Die Öffnung der Welt: Eine Globalgeschichte des Hellenismus [2 ed.] 3534274016, 9783534274017

Wie die Kultur der Griechen zuerst das Römische Reich und dann Europa prägte Es war Alexander der Große, der die Grenze

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German Pages 544 Year 2022

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1 Wie alles begann: von Makedonien zur Oikoumene (356–323 v. Chr.)
2 Die Diadochen: Abenteurer und Architekten von Königreichen (323–275 v. Chr.)
3 Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert: ein Kampfum Überleben, Freiheit und Vorherrschaft (279–217 v. Chr.)
4 Griechen auf dem Pharaonenthron: das goldene Zeitalter der Ptolemäer (283–217 v. Chr.)
5 Die Welt der Monarchie: Könige und Königreiche
6 Die Welt der Bürger: Stadtstaaten in einer Welt der Städtebündeund Königreiche
7 Verflechtung: Rom betritt die Bühne (221–188 v. Chr.)
8 Jetzt auch der Osten: Die griechischen Staaten werden römischeProvinzen (188–129 v. Chr.)
9 Niedergang: das Ende der hellenistischen Königreiche in Asienund Ägypten (188– 80 v. Chr.)
10 Ehrgeiz und Gier: der Osten, ein Schlachtfeld auswärtigerAmbitionen (88–30 v. Chr.)
11 Der römische Osten: Regionalgeschichte(n) und ihr globaler Kontext (30 v. Chr. – 138 n. Chr.)
12 Kaiser, Städte und Provinzen: von Augustus bis Hadrian (30 v. Chr. – 138 n. Chr.)
13 Sozioökonomische Gegebenheiten: von griechischen Städten zu einem „ökumenischen“ Netzwerk
14 Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen: Wohltäter,Vereinsgenossen, Epheben, Athleten, Frauen und Sklaven
15 Von städtischen Kulten zu Megatheismus: Religionen in einerkosmopolitischen Welt
16 Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung: die Griechenund die Oikoumene
Anhang
Zeittafel
Karten
Weiterführende Literatur und Quellen
Bibliographie
Abbildungsnachweis
Register
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Die Öffnung der Welt: Eine Globalgeschichte des Hellenismus [2 ed.]
 3534274016, 9783534274017

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Angelos Chaniotis Die Öffnung der Welt

Angelos Chaniotis

Die Öffnung der Welt Eine Globalgeschichte des Hellenismus

Aus dem Englischen übersetzt von Martin Hallmannsecker

Dem Andenken von John Davey gewidmet

Die englische Originalausgabe ist 2018 bei PROFILE BOOKS LTD, London, unter dem Titel Age of Conquests. The Greek World from Alexander to Hadrian (336 bc – ad 138) erschienen. © Angelos Chaniotis, 2018 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg THEISS ist ein Imprint der wbg. © der deutschen Ausgabe 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werks wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Melanie Kattanek, Hemmingen Gestaltung und Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Umschlagmotiv: Ausschnitt aus der Zeichnung „Die Acropolis von Pergamon, rekonstruiert nach den bisherigen Ausgrabungen von F. Thiersch, Febr. 1882“, Berlin, Pergamon-Museum. akg-images Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3993-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-4053-5 eBook (epub): 978-3-8062-4054-2

Inhalt

Vorwort

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Einleitung

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1 Wie alles begann: von Makedonien zur Oikoumene (356–323 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2 Die Diadochen: Abenteurer und Architekten von Königreichen (323–275 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3 Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert: ein Kampf um Überleben, Freiheit und Vorherrschaft (279–217 v. Chr.) . . . . . . 71 4 Griechen auf dem Pharaonenthron: das goldene Zeitalter der Ptolemäer (283–217 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5 Die Welt der Monarchie: Könige und Königreiche

. . . . . . . . . . . 103

6 Die Welt der Bürger: Stadtstaaten in einer Welt der Städtebünde und Königreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 7 Verflechtung: Rom betritt die Bühne (221–188 v. Chr.)

. . . . . . . . 175

8 Jetzt auch der Osten: Die griechischen Staaten werden römische Provinzen (188–129 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 9 Niedergang: das Ende der hellenistischen Königreiche in Asien und Ägypten (188–80 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10 Ehrgeiz und Gier: der Osten, ein Schlachtfeld auswärtiger Ambitionen (88–30 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 5

Inhalt

11 Der römische Osten: Regionalgeschichte(n) und ihr globaler Kontext (30 v. Chr. – 138 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12 Kaiser, Städte und Provinzen: von Augustus bis Hadrian (30 v. Chr. – 138 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 13 Sozioökonomische Gegebenheiten: von griechischen Städten zu einem „ökumenischen“ Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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14 Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen: Wohltäter, Vereinsgenossen, Epheben, Athleten, Frauen und Sklaven . . . . . . 365 15 Von städtischen Kulten zu Megatheismus: Religionen in einer kosmopolitischen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 16 Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung: die Griechen und die Oikoumene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Weiterführende Literatur und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

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Vorwort

Dieses Buch geht auf Vorlesungen zurück, die ich an der Universität Heidelberg in den Jahren 2001–2006 gehalten hatte. So erfüllt mich mit besonderer Freude, dass eine erst auf Deutsch verfasste historische Darstellung über Umwege und nach starker Überarbeitung nach Deutschland zurückkehrt. Das Buch ist für eine breite Leserschaft geschrieben. Es bietet allgemeine ­Informationen über die wichtigsten historischen Entwicklungen in den Bereichen Politik, Gesellschaft und Religion jener Gegenden, in denen in nachklassischer Zeit Griechen siedelten. Es umfasst dabei zwei historische Epochen, die sonst meist getrennt voneinander behandelt werden: das hellenistische Zeitalter, das man für gewöhnlich mit den Kriegszügen (ab 334 v. Chr.) oder dem Tod Alexanders des Großen (323 v. Chr.) beginnen und mit dem Tod Kleopatras (30 v. Chr.) enden lässt sowie die frühe römische Kaiserzeit, von der Einrichtung der monarchischen Herrschaft des Augustus (27 v. Chr.) bis zum Tod Hadrians (138 n. Chr.). In der Einleitung erkläre ich, wie eine gemeinsame Behandlung dieser beiden Epochen zu einem besseren Verständnis gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen beiträgt. Bis ins späte 19. Jahrhundert wurde vor allem die politische Geschichte des Hellenismus auf der Grundlage von literarischen Quellen betrieben. Die Erforschung der griechischen Welt unter römischer Herrschaft wurde, mit Ausnahme der Bereiche Literatur und Kunst, größtenteils vernachlässigt. Dies änderte sich im Lauf des 20. Jahrhunderts mit den Fortschritten der Archäologie, mit der Veröffentlichung von Inschriften und der Erforschung von ­Papyri und Münzen. Durch immer neue Inschriften und Papyri wuchs das Quellenmaterial – und diese neuen Quellen helfen uns, Antworten zu finden auf einige bekannte Fragen, stellen uns aber auch vor neue Probleme, und sie vermögen den etablierten Wissensstand zu differenzieren. Heutzutage stellen das hellenistische Zeitalter und die Kaiserzeit äußerst dynamische Forschungsbereiche dar. Neue Entdeckungen verbessern die Forschungslage, manche bedeuten für sich genommen sogar eine kleine Revolution. 7

Vorwort

Wenn ich all die Bücher, Aufsätze und Inschriftenkorpora aufzählen müsste, auf denen der Inhalt dieses Buches aufbaut, wäre das Literaturverzeichnis wohl länger als der Haupttext. In den Anmerkungen habe ich mich auf die Angabe jener Quellen beschränkt, die im Text zitiert oder erwähnt werden. Darüber hinaus empfehle ich dort eine kleine Auswahl von Aufsätzen und Büchern zur weiterführenden Lektüre und verweise auf Quellen und weitere Sekundärliteratur. Auch das allgemeine Literaturverzeichnis ist sehr selektiv. Weder das Literaturverzeichnis noch die Anmerkungen werden dem Beitrag gerecht, den Herausgeber und Kommentatoren des inschriftlichen Materials zur Erforschung der hellenistischen Welt und des römischen ­Ostens leisten. Unter all diesen will ich mit großem Respekt nur jene erwähnen, die nicht mehr unter uns weilen und die mit ihren Werken die Grundlage für unser Verständnis der nachklassischen griechischen Welt geschaffen haben: Wilhelm Dittenberger, Philippe Gauthier, Christian Habicht, Peter Herrmann, Maurice Holleaux, Louis Robert, Frank Walbank und Adolf Wilhelm. Tom Harrison und ein anonymer Gutachter lieferten wertvolle Hinweise. Penny Daniel und Louisa Dunnigan von Profile Books haben den Publikationsprozess des englischen Originals kompetent betreut. Mein großer Dank gebührt der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, die das Buch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht hat, und insbesondere Clemens Heucke, der die Übersetzung anregte, sowie Regine Gamm und Melanie ­K atannek, die die deutsche Ausgabe auf effiziente und sorgfältige Weise ­lektoriert haben. Mit Martin Hallmannsecker fand mein Buch den idealen Übersetzer; er hat mit Sachverstand und Eleganz das Buch übersetzt und dabei einige Fehler des Originals korrigiert. John Davey lud mich ein, dieses Buch zu schreiben, und begleitete seine Entstehung mit gutem Rat und Geduld in oft schwierigen Zeiten. Er hat die Veröffentlichung nicht mehr erlebt. Dieses Buch ist daher in Dankbarkeit seiner Erinnerung gewidmet.

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Einleitung

Alexander der Makedone, Sohn Philipps, … bezwang Dareios, den König der Perser und Meder und wurde König an seiner statt … Er führte viele Kriege, eroberte Festungen und erschlug die Könige der Erde. Er zog bis ans Ende der Welt und plünderte eine Vielzahl von Völkern … Alexander regierte zwölf Jahre lang und starb. Seine Gefolgsleute übernahmen die Macht, jeder in seinem eigenen Gebiet. Und nach seinem Tod setzten sie sich alle die Königskrone auf, und viele Jahre lang hielten es ihre Kinder nach ihnen ebenso und sie vermehrten das Elend auf Erden.

Diesen Auszug aus dem 1. Buch der Makkabäer, einem hebräischen Text aus dem späten 2. Jahrhundert v. Chr., der in griechischer Übersetzung erhalten ist, kann man als subjektive Zusammenfassung der „hellenistischen“ Epoche lesen, also der Zeit zwischen den Kriegszügen Alexanders (334–324 v. Chr.) und dem Tod Kleopatras (30 v. Chr.). Die Erzählperspektive ist dabei die eines militanten Vertreters einer eroberten Provinz, die gegen griechische Könige und ihre hellenisierten jüdischen Unterstützer zu den Waffen griff. Es gibt gute Gründe dafür, ein Buch über die Geschichte der Griechen in einem kosmopolitischen Zeitalter mit einem Zitat aus einem jüdischen Text zu beginnen: Denn erstens zeigt das, dass es verschiedene Perspektiven und abweichende Meinungen gab; zweitens ist es bemerkenswert, dass ein Buch, das die kulturelle und politische Vormachtstellung der Griechen infrage stellte, ausgerechnet auf Griechisch gewissermaßen als Lingua franca Verbreitung fand; und drittens verdankt die hellenistische Epoche ihren Namen den „Hellenisten“, einer jüdischen Gruppierung, die die griechische Lebensart übernahm. Das 1. Buch der Makkabäer spiegelt daher einige der Gegensätze und Widersprüche dieser Epoche wider. Was ist das hellenistische Zeitalter? Warum erforschen wir es? Und ist es angemessen, seinen traditionellen Endpunkt im Jahr 30 v. Chr. nach hinten zu verlagern und noch die ersten 150 Jahre der Kaiserzeit hinzuzunehmen, beides gemeinsam als „langes hellenistisches Zeitalter“ zu erfassen? Als bedeutender Wendepunkt in der Geschichte des antiken Griechenland kann 9

Einleitung

der Tod Alexanders des Großen in der Tat als Anfangspunkt beibehalten werden. Die durch seine Nachfolger begründeten Dynastien sind vermutlich der sichtbarste und sicherlich der neuartigste Aspekt der Jahrzehnte nach seinem Tod. Ohne Zweifel vermehrten sie das Elend auf der Welt, vielleicht nicht jenes Elend, das der jüdische Autor des Makkabäerbuches im Sinn hatte – die religiöse und kulturelle Unterdrückung der Juden –, aber mit ­Sicherheit jenes, für das endlose Kriege, private und öffentliche Verschuldung und bürgerkriegsähnliche Unruhen ursächlich waren. Natürlich wäre es einseitig und falsch, das hellenistische Zeitalter lediglich als eine Zeit des Elends zu charakterisieren. Die Epoche ist weit mehr als nur die Summe der Kriege zwischen den Nachfolgern Alexanders, den von ihnen begründeten Dynastien, Rom, barbarischen Stämmen, fremdländischen Königen, Städten und Städtebünden. Welche Aspekte dieser drei Jahrhunderte sind es sonst noch wert, genauer unter die Lupe genommen zu werden? In unserer Alltagssprache sagen wir, dass jemand einen kolossalen ­I rrtum begangen hat oder dass eine Person etwas stoisch erträgt. Wir sprechen manchmal von einem Pyrrhussieg, und im Urlaub an einem fremden Ort gehen wir möglicherweise in ein Museum. Manche hatten zu Schul­ zeiten ihre Freude an euklidischer Geometrie, andere hassten sie. Wenn wir unerwartet die Lösung eines Problems finden, rufen wir „Heureka! “ Und auch wenn wir vielleicht nicht verstehen, wie sie funktionieren, sind ­hydraulische Pumpen und Zylinder aus unserem Leben nicht wegzudenken. Was die Begriffe kolossal, stoisch, Pyrrhussieg, Museum, euklidisch, heu­ reka und hydraulisch verbindet, ist, dass sie ihren Ursprung in der hellenistischen Zeit haben. Die philosophische Schule der Stoiker wurde im ­späten 4. Jahrhundert v. Chr. gegründet. Pyrrhus war ein Kriegsherr des frühen 3. Jahrhunderts v. Chr. „Heureka! “ (Ich habe es gefunden!) rief angeblich Archimedes um 230 v. Chr., als er feststellte, dass das Volumen des Wassers, das er verdrängte, als er in eine Badewanne stieg, dem Volumen des Teils seines Körpers entsprach, der sich unter Wasser befand. Und ­Euklid war ein Mathematiker und Ingenieur, der im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. unter Ptolemaios I. in Alexandria lebte, dem König, der das Mouseion, den „Schrein der Musen“, gründete, ein seinem Palast angeschlossenes Bildungszentrum. In diesem Mouseion setzte der Mathematiker und Ingenieur Ktesibios sein theoretisches Wissen über Wasserkraft in die Praxis um und erfand die erste Pfeifenorgel (hydraulis), die mit Wasserdruck funktionierte. Der Koloss war eine riesige Statue des Sonnengottes, die 280 v. Chr. im Hafen von Rhodos aufgestellt wurde und zusammen mit 10

Einleitung

dem Pharos – dem monumentalen Leuchtturm von Alexandria – zu den Sieben Weltwundern gezählt wurde. Die Wirkmächtigkeit einer historischen Epoche lässt sich oft an den Wörtern und Ausdrücken bemessen, die sie der Nachwelt vermacht hat. Wissenschaftliche, künstlerische, intellektuelle und kulturelle Errungenschaften wie die eben erwähnten sollten nicht aus ihrem Kontext gerissen betrachtet werden. Das Mouseion von Alexandria, die ihm angeschlossene Bibliothek und die unzähligen Beiträge der dort tätigen Gelehrten und Wissenschaftler existierten nur, weil Alexander die Stadt gegründet hatte und weil die Könige des hellenistischen Ägypten über immense Ressourcen geboten, die sie für die Weiterentwicklung des Wissens zur Verfügung stellten. Dass sich die kulturelle Führungsrolle von Athen in Griechenland nach Ägypten und Asien verlagerte, war Teil eines Prozesses, der damit begann, dass griechische Einwanderer in den neugegründeten Städten in den von Alexander eroberten Gebieten angesiedelt wurden. Der Koloss wurde anlässlich eines militärischen Sieges errichtet; der Pharos von Alexandria stand in enger Verbindung mit der gestiegenen Bedeutung des Schiffs­ verkehrs im östlichen Mittelmeer; die stoische Philosophie stand in einem andauernden dialektischen Verhältnis zu politischem Leben und gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Geschichte der sozialen Konflikte, Kriege, politischen Experimente und Innovationen in den Städten und König­ reichen des hellenistischen Zeitalters ist für ein Verständnis von Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Literatur, Technologie und Religion unverzichtbar. Es lassen sich also gute Gründe für eine Beschäftigung mit der hellenistischen Epoche anführen. Die Kriegszüge Alexanders sind ein guter Anfangspunkt. Aber wo hören wir auf? Man definiert das Ende des hellenistischen Zeitalters herkömmlicherweise mit dem Selbstmord Kleopatras 30 v. Chr. und der Annektierung ihres ägyptischen Königreichs durch Rom. Das ist sicher ein bedeutender Wendepunkt der politischen Geschichte. Er markiert das Ende des letzten großen hellenistischen Königreichs und den Beginn des Prinzipats – einer Ausprägung monarchischer Herrschaft, die unter Augustus und seinen Nachfolgern Gestalt annahm. In der Gesellschafts-, Wirtschafts-, Religionsund Kulturgeschichte hingegen stellt das Jahr 30 v. Chr. keine Zäsur dar. Entwicklungen, die wir in hellenistischer Zeit beobachten können, setzten sich in den zwei Jahrhunderten nach Kleopatras Tod fort. Um diese umfassend verstehen zu können, müssen wir auch spätere Quellen miteinbeziehen. Umgekehrt können wir die politischen Institutionen, die gesellschaftlichen 11

Einleitung

Strukturen, die wirtschaftliche Situation, die Kultur und Religion des griechisch-römischen Ostens der ersten beiden Jahrhunderte der Kaiserzeit nur verstehen, wenn wir auch deren hellenistische Wurzeln berücksichtigen. Die Zeitspanne von Alexanders Kriegszügen im Osten bis ungefähr zu den Regierungsjahren Marc Aurels (161–180 n. Chr.) sollte daher als eine zusammenhängende historische Epoche ins Auge gefasst werden – ich nenne sie das „lange hellenistische Zeitalter“. Innerhalb dieses Zeitraums von annähernd 500 Jahren lassen sich rückblickend verschiedene Phasen ausmachen – die Kapiteleinteilung dieses Buches spiegelt sie wider –, die Entwicklung war jedoch kontinuierlich. Der ereignisgeschichtliche Teil des Buches endet mit dem Tod Hadrians im Jahr 138 n. Chr., obwohl sich die Situation in den griechischsprachigen Provinzen unter seinem Nachfolger Antoninus Pius nicht wesentlich änderte. Erst mit dem Beginn der Partherkriege unter Marc Aurel 161 n. Chr. setzte allmählich ein Wandel ein. Ich habe die Herrschaft Hadrians nicht deshalb als Endpunkt dieses Buches genommen, weil dieser Kaiser etwa einer breiteren Leserschaft vertrauter wäre als sein Nachfolger oder weil er die Grenzen des Römischen Reiches befestigte und so die große Offensive unter seinem Vorgänger Trajan zu Ende führte. Meine Wahl liegt darin begründet, dass die Einrichtung des Panhellenions – eines Ratsgremiums, in dem sich zumindest theoretisch alle Städte griechischen Ursprungs versammelten – gewissermaßen den Kreis schloss, der mit den Bemühungen Philipps II. von Makedonien und seines Sohnes Alexander, alle Griechen zu vereinen, seinen Anfang genommen hatte. Da die Frage der Einheit der Griechen eines der übergreifenden Themen dieses Buches ist, schien es mir angemessen, den Panhellenenbund Philipps und Alexanders und das Panhellenion Hadrians als Eckpunkte zu nehmen. Alexander begann den Kriegszug gegen das Perserreich als Anführer einer griechischen Allianz mit dem erklärten Ziel, die griechischen Städte Kleinasiens von barbarischer Herrschaft zu befreien und die Zerstörung griechischer Heiligtümer durch die Perser im Jahr 480 v. Chr. zu rächen. Den Spartanern konnte er es nie verzeihen, dass sie sich der Allianz nicht anschlossen – womit sie Alexanders Anspruch vereitelten, einen Kriegszug aller Griechen anzuführen. Nach seinem ersten Sieg am Granikos sandte er eine Weihgabe für Athena nach Athen. Die kurze Weihinschrift erniedrigte den einzigen Feind, den Alexander nicht in direktem Kampf hatte besiegen können: „Alexander, Sohn Philipps, und die Griechen, außer den Lakedämoniern, von den Barbaren, die in Asien leben.“ 12

Einleitung

Hadrian versuchte nicht, dort erfolgreich zu sein, wo Alexander versagt hatte; sein Panhellenion hatte mit der militärischen Allianz des Makedonen nichts gemein. Eben dieser Gegensatz zwischen zwei Formen griechischer Einheit – die eine gegen einen barbarischen Feind gerichtet, die andere eine Vereinigung innerhalb des administrativen Rahmens des Römischen Reiches – macht Hadrians Herrschaft zu einem geeigneten Endpunkt für dieses Buch. Viereinhalb Jahrhunderte nach Alexanders Kriegszug waren die griechischen Städte – und dieses Mal alle griechischen Städte – längst wieder einer imperialen Großmacht unterworfen: dem Römischen Reich. Alexanders Geburtsort Pella war eine römische Kolonie; Alexandria, die nach ihm benannte Stadt in Ägypten, war immer noch der wichtigste Hafen im Mittelmeer; es hatte aber seine Bedeutung als Zentrum politischer Macht verloren, die es den Großteil des 3. Jahrhunderts v. Chr. über innegehabt hatte. Auch wenn sich die politischen Machtverhältnisse radikal verändert hatten und beinahe alle Gebiete, in denen Griechen und griechischsprachige Bevölkerungsgruppen lebten, dem Römischen Reich einverleibt worden waren, hatte sich eines nicht geändert: Es gab noch immer eine griechische Identität, die die Hellenen von den anderen unterschied. Es ist daher angebracht, für die Zeit der Römerherrschaft eine eigenständige griechische Geschichte zu schreiben, ebenso wie wir die Geschichte der Juden, Germanen, Iberer, Briten oder jedes anderen unterworfenen Volkes untersuchen können. Diese „griechische Identität“ war zugegebenermaßen wandelbar. Da war es sogar möglich, dass gewitzte griechische Schriftsteller die Römer zu Abkömmlingen eines griechischen Stammes erklärten, wenn es ihnen half, mit der römischen Herrschaft ins Reine zu kommen; und eine hellenisierte Stadt in Kleinasien konnte dem Panhellenion beitreten, indem man Belege dafür erfand, dass sie von einem griechischen Heros oder Kolonisten gegründet worden war. So gut wie jede Person, die eine griechische Bildung vorweisen konnte und aus einer Stadt tatsächlichen oder erfundenen griechischen Ursprungs stammte, konnte als Grieche durchgehen, ganz egal, ob ihr Name griechisch, thrakisch, iranisch oder römisch war. Intellektuelle in Athen, Ephesos und Alexandria mögen vielleicht verächtlich auf die hellenisierte Bevölkerung Asiens oder des Balkans herabgeblickt haben, in der kosmopolitischen Welt des Römischen Reiches mit seinen weitreichenden politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und religiösen Netzwerken kann eine „Geschichte der Griechen“ jedoch nicht auf die Gebiete beschränkt bleiben, in denen es bereits vor Alexanders Kriegszügen griechische Städte und Kolonien gegeben hatte; sie muss auch 13

Einleitung

die Gegenden berücksichtigen, in denen unter Alexanders Herrschaft und in den Königreichen seiner Nachfolger Griechen siedelten. Dementsprechend ist meine Herangehensweise an die Geschichte der Griechen von ­A lexander bis Hadrian gewissermaßen „geographisch inklusiv“. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Gebieten, die in unseren Quellen am besten dokumentiert sind und die höchste Konzentration griechischer Siedlungen aufwiesen: Griechenland, die Ägäis, Kleinasien, Syrien, die Kyrenaika und das Nildelta in Ägypten. Sowohl im ereignisgeschichtlichen Teil als auch in der Darstellung der politischen, gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Entwicklungen habe ich mich aber auch bemüht, die Griechen im Westen (Sizilien und Unteritalien), die griechischen Städte an der West- und Nordküste des Schwarzen Meeres sowie die Griechen in Zentralasien – in Afghanistan, Pakistan und Nordindien – mit einzubeziehen. Die verbindenden Elemente im „langen hellenistischen Zeitalter“, die dieses auch von vorhergehenden Epochen unterscheiden, sind: die Bedeutsamkeit monarchischer Herrschaftsformen; die starke imperialistische Tendenz als Kennzeichen der Politik sowohl hellenistischer Könige als auch des römischen Senats; die enge Verflechtung politischer Entwicklungen im Balkanraum, in Italien, der Schwarzmeerregion, Kleinasien, im Nahen Osten und in Ägypten; die erhöhte Mobilität der Bevölkerung in diesen Gebieten; die Verbreitung städtischer Lebensformen und Kultur; technologische Fortschritte; und die allmähliche Homogenisierung von Sprache, Kultur, Religion und Institutionen. Die meisten der eben genannten Phänomene hatte es vor Alexanders Kriegszügen nicht in einem vergleichbaren Ausmaß gegeben. Die Epoche kann tatsächlich als das kosmopolitische Zeit­ alter der Griechen bezeichnet werden, denn kein Zeitraum vorher kam ihr darin gleich. Viele der Phänomene, die sich im „langen hellenistischen Zeitalter“ beobachten lassen, finden eine Entsprechung in der modernen Welt, und unter anderem diese „Modernität“ macht die Epoche so attraktiv. Auf vier dieser Phänomene will ich kurz eingehen: Globalisierung, Megacities, neue Religionen und Regierungsgewalt. Aufgrund der Vernetzung großer Teile Europas, Asiens und Nordafrikas sieht man die hellenistische Welt und das Römische Reich zu Recht als frühe Beispiele von „Globalisierung“ an. Der moderne Begriff Globalisierung kann hier eigentlich nur in Anführungszeichen verwendet werden. Denn erstens umfassten die hellenistischen und römischen Netzwerke nicht den gesamten Globus, sondern nur den Bereich, der als oikoumene (bewohnte 14

Einleitung

Welt) galt, und zweitens stellten sich die meisten Menschen damals die bewohnte Welt nicht als Kugel, sondern als eine vom Ozean umgebene Scheibe vor. Die Reichweite der Vernetzung innerhalb der den Griechen und Römern bekannten Gebiete ist nichtsdestotrotz beeindruckend. Mit seinen Eroberungen errichtete Alexander kein dauerndes Weltreich, er schuf jedoch die Voraussetzungen für ein gewaltiges politisches Netzwerk aus Königreichen, halb unabhängigen Dynasten und poleis (Stadtstaaten), das sich von der Adria bis nach Afghanistan und von der Ukraine bis nach Äthiopien erstreckte. Diese Staaten unterhielten Verbindungen nach Italien, zu den griechischen Kolonien in Südfrankreich, zu Karthago in Nordafrika und zum Mauryareich in Indien und bildeten so ein Netzwerk, das die gesamte bekannte Welt, mit Ausnahme von China, umfasste. Die römische Expansion brachte eine Erweiterung dieser vernetzten Welt, indem sie ihr Zentral- und Westeuropa sowie große Teile Nordafrikas hinzufügte. Polybios, ein Staatsmann und Historiker, der die Frühphase der römischen Expansion analysierte, war sich dieser Vernetzung innerhalb des gesamten Mittelmeerraums bereits in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in vollem Umfang bewusst; er prägte dafür den Begriff symploke (Verflechtung; s. S. 176). Wie sich diese Veränderung auf das Leben der Menschen und auf die Institutionen und Kulturen sehr unterschiedlicher Gemeinwesen auswirkte, ist eine spannende Frage. Oberflächlich betrachtet lässt sich in verschiedenen Lebensbereichen eine stärkere Vereinheitlichung feststellen. Griechisch wurde zur Lingua franca in den hellenistischen Königreichen Asiens und Afrikas und später in den östlichen Provinzen des Römischen Reiches; auch in Italien und den westlichen Provinzen wurde es häufig verwendet, vor allem von Intellektuellen und Einwanderern aus dem Osten. Griechische und römische Rechtsinstitutionen drangen bis in entlegenste Gebiete vor. Die meisten Aspekte des kulturellen Lebens wiesen eine bemerkenswerte Konformität auf und folgten den Trends in den größeren politischen und kulturellen Zentren: vom Erscheinungsbild der Städte selbst bis hin zur Mode, bei Männern der Gesichtsbehaarung, bei Frauen den Frisuren, vom Stil der Kunstwerke bis hin zur Form der Lampen, die man bei nächtlichen Aktivitäten als Lichtquellen nutzte, von der Rhetorik bis zu den verschiedenen Formen der Unterhaltungskultur. Diese Prozesse kultureller Konvergenz für die hellenistische Zeit als „Hellenisierung“ und für die Kaiserzeit als „Romanisierung“ zu bezeichnen, wie dies oft getan wurde, wäre irreführend. Beide Begriffe implizieren eine einseitige Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie – die Entwicklung 15

Einleitung

einer kulturellen koine (einer gemeinsamen Ausdrucksform) im „langen hellenistischen Zeitalter“ war aber das Ergebnis längerer und weitaus komplexerer Prozesse. Ihre Protagonisten waren nicht nur Personen mit politischer Autorität, sondern auch reisende Künstler, Redner und Dichter, Soldaten und Sklaven sowie Magier und Traumdeuter, die sich über Grenzen hinwegbewegten. Es war also die erhöhte Mobilität in den multiethnischen Königreichen und im Römischen Reich, die eine solche kulturelle Konvergenz brachte; sie führte auch dazu, dass verschiedene religiöse Vorstellungen verschmolzen, was als „Synkretismus“ bezeichnet wird. Wenn ich in diesem Buch die Begriffe „Hellenisierung“ und „hellenisiert“ verwende, beziehe ich mich auf die Übernahme der griechischen Sprache und Schrift durch nicht-griechische Bevölkerungsgruppen, im vollen Bewusstsein, dass lokale Bräuche und spezifische Identitäten unter der Oberfläche einer gemeinsamen Sprache fortbestehen konnten. Zwei- und dreisprachige Inschriften auf Griechisch und Latein, Griechisch und Ägyptisch, Griechisch und Hebräisch, Latein und Aramäisch usw. sind sichtbarer Ausdruck dieser unverwüstlichen kulturellen Komplexität. Der dynamische Austausch zwischen Griechen, einheimischen Bevölkerungsgruppen in Asien und Ägypten und später Einwanderern aus Italien hatte zur Folge, dass sich die Kultur kontinuierlich wandelte. Am deutlichsten erkennt man nicht-griechische Elemente bei religiösen Praktiken und Personennamen; sie lebten jedoch mit Sicherheit auch in vielen anderen Bereichen fort, wie in der Mythologie, im kollektiven Gedächtnis und in Jenseitsvorstellungen, gesellschaftlichen Konventionen, Begräbnispraktiken, in der Kleidung, Essenszubereitung oder in landwirtschaftlichen Methoden. Multikulturalismus war naturgemäß eher ein Merkmal der Megacities dieser Zeit. Städte wie Alexandria, Antiochia, Athen, Ephesos, Thessalonike, Korinth und Pergamon, mit Einwohnerzahlen zwischen 100 000 und einer Million, lassen sich nicht mit modernen Megacities von zehn Millionen Einwohnern oder mehr vergleichen. Dennoch: Ihren Zeitgenossen erschienen sie als überdimensional. Im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. beschrieb der Dichter Theokrit die Reaktionen zweier aus Syrakus nach Alexandria eingewanderter Frauen, als sie während eines Festes durch eine stark bevölkerte Straße gehen: „Himmel, was für eine Menschenmenge! Wie und wann sollen wir da jemals durchkommen? Sie sind wie Ameisen – zahllos und unzählbar.“ Die Einwohner großer Städte mit einer heterogenen Bevölkerung, wie Alexandria, sahen sich mit vielen Problemen konfrontiert, die auch uns nicht unbekannt sind, wie etwa: Gefahren für die Sicherheit, 16

Einleitung

Spannungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Anonymität, das Gefühl von Verlorenheit, der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit. Je mehr die Möglichkeiten des Einzelnen zur politischen Teilhabe in seiner Gemeinschaft eingeschränkt wurden, desto stärker wurde das Bedürfnis, diesen Verlust durch die Teilnahme an einer anderen Form von Gemeinschaft auszugleichen – sei diese religiöser, beruflicher oder anderer Natur. Einigen dieser Bedürfnisse begegneten, wie auch heute, „neue Religionen“; sie verhießen Geborgenheit zu Lebzeiten und Glückseligkeit nach dem Tod. Exotische Kulte wurden importiert und einer griechischen Umgebung angepasst. Die Anhänger organisierten sich in freiwilligen Kultvereinen; diese waren einerseits exklusiv, insofern sie eine Initiation erforderten, andererseits inklusiv, da sie in der Regel jedem offenstanden, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und gesellschaftlichem Status. Solche Vereinigungen – religiöse oder auch andere – gaben ihren Mitgliedern ein Gefühl von Zugehörigkeit. Auch wenn die Königreiche und großen Städtebünde übergeordnet waren, blieb doch die polis der Hauptschauplatz politischen, gesellschaftlichen und religiösen Lebens. In keiner anderen Epoche der griechischen Geschichte, nicht einmal im Zeitalter der großen Kolonisation vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr., wurden so viele neue Städte gegründet wie im späten 4. und im 3. Jahrhundert v. Chr. Alte und neue poleis, und später die römischen Kolonien, die vom späten 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum frühen 2. Jahrhundert n. Chr. in Griechenland, Kleinasien und im Nahen Osten gegründet wurden, besaßen alle ein gewisses Maß an Souveränität und beträchtliche Selbstverwaltungskompetenzen. Doch dieser Eigenständigkeit wurden auch Grenzen gesetzt, zunächst durch die Könige, nach 146 v. Chr. durch die Einrichtung einer römischen Provinzverwaltung und später durch die alles überschattende Präsenz des römischen Kaisers. In den Städten gab es zwar weiterhin Institutionen, die eine bürgerliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglichten, wie beispielsweise die Volksversammlung, aber sie waren in zunehmendem Maß auf Zuwendungen von­ seiten begüterter Wohltäter angewiesen. Zusammen mit den direkten Eingriffen der Könige und römischen Autoritäten zugunsten oligarchischer Institutionen veränderte dies die Städte schrittweise von gemäßigten Demokratien zu Oligarchien. Mussten wohlhabende Männer zunächst noch ihre Macht mit der Bürgerschaft verhandeln, mit den ihnen Gleichrangigen um Ämter konkurrieren und für ihr Tun Rechenschaft ablegen, hingen nun ­politische Rechte und Macht von den Vermögensverhältnissen ab. Dieser 17

Einleitung

Gegensatz zwischen nomineller Volkssouveränität und -teilhabe und wirklicher Macht, auch heutigen Demokratien nicht fremd, führte dazu, dass sich die Angehörigen der Elite, aber auch die Könige, theatrale Verhaltensweisen aneigneten, um inszeniert volksnah und zugleich angemessen distanziert zu wirken – ein Verhaltensmuster, das dem heutigen Populismus nicht unähnlich ist. Verschuldete, Enteignete, Unterprivilegierte und Diskriminierte probten gelegentlich den Aufstand, vermochten es aber nicht, Reformen herbeizuführen. Solange die „Honoratioren“ willens waren, einen Teil ihres Vermögens für die heutzutage als „öffentliche Ausgaben“ bezeichneten Aufwendungen zur Verfügung zu stellen, wurde ihre Herrschaft nicht hinterfragt. Den gesellschaftlichen Verhältnissen des „langen hellenistischen Zeitalters“ lagen komplexe Formen der Reziprozität zugrunde. Den heutigen Leser werden so augenscheinlich aktuelle Aspekte der in diesem Buch besprochenen historischen Epoche zweifelsohne verblüffen. Der antike Leser würde sich für zwei andere Dinge begeistern, die in der hellenistischen Epoche und der Kaiserzeit zuhauf belegt sind: peripeteiai (plötzliche Schicksalswendungen) und paradoxa (unvorhergesehene Ereignisse). Das „lange hellenistische Zeitalter“ konfrontiert uns mit Gegensätzen und Widersprüchen: Fortbestehen von Traditionen versus technologische Revolutionen – zum Beispiel wurde der Mechanismus von Antikythera in dieser Zeit entwickelt, eine komplexe Apparatur, die Erscheinungen der Himmelskörper und Bewegungen von Sonne und Mond anzeigte; Rationa­ lität versus Aberglaube, Monarchie versus Volksteilhabe, die kleine Welt der polis versus die große Welt der Königreiche und des Römischen Reiches, das Lokale versus das Globale. Dies war auch der kulturelle Kontext, in dem das Christentum sich entwickelte. Dieses Zeitalter bietet Denkanstöße für wachsame Beobachter von heute. Alles in allem hoffentlich Grund genug, um in die Seiten dieses Buches einzutauchen.

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1 Wie alles begann: von Makedonien zur Oikoumene

Das Vermächtnis des Vaters (ca. 356–336 v. Chr.) Wer im Jahr 343 v. Chr. Mieza, eine kleine Stätte am Fuß des Bermion-­ Gebirges, besuchte, bewunderte wahrscheinlich zunächst die atemberaubende Schönheit der Landschaft: bewaldete Berghänge, klare Wasserläufe und ein paar Höhlen in einer Felswand. Die Schönheit dieses Ortes hatte seine Einwohner inspiriert, in ihm einen Wohnsitz der Nymphen, ein Nymphaion, zu sehen. Unser imaginärer Besucher hätte überrascht festgestellt, dass die Nymphen männliche Gesellschaft bekommen hatten: ein bärtiger Lehrer ­A nfang vierzig und eine Gruppe von Jugendlichen und jungen Männern diskutierten dort über Lyrik, Geographie, Mythen und Naturphänomene. Niemals wäre unser Besucher auf den Gedanken gekommen, dass die an diesem idyllischen Ort versammelten Personen dazu bestimmt waren, die Weltgeschichte nachhaltig zu beeinflussen. Einer von ihnen, Aristoteles, sollte die Grundlagen der westlichen Philosophie und Wissenschaft legen – erst Descartes hatte wieder einen vergleichbar maßgeblichen Einfluss auf die europäische Geistesgeschichte. Aristoteles war vom makedonischen König Philipp zum Erzieher von dessen Sohn Alexander und den Sprösslingen der Elite seines Königreichs bestimmt. Kallisthenes, ein Neffe von Aristoteles, sollte mit Ende zwanzig eine einflussreiche Geschichte der Taten Alexanders verfassen, und dieses Werk sollte später den Verfasser des Alexanderromans inspirieren, der in griechischen, lateinischen, syrischen, armenischen und slawischen Adaptionen im Umlauf war und zu einem der meistgelesenen Bücher der Vormoderne wurde. Der 13-jährige Alexander würde weniger als zehn Jahre später eine Militäroperation in Gang setzen, die das Antlitz der damals bekannten Welt veränderte; elf Jahre darauf gründete er Alexandria, eine Stadt, die alle anderen Städte des östlichen Mittelmeerraums hinsichtlich Wohlstand, Bevölkerungszahl und Kultur in den Schatten stellen sollte. In dieser Stadt begründete Ptolemaios, ein weiterer dieser Jugendlichen, eine 19

Wie alles begann

Dynastie, die länger Bestand hatte als jede andere bekannte Dynastie der antiken Welt; aber noch bedeutsamer war, dass er das größte Bildungs­ zentrum errichtete, das die Welt je gesehen hatte: das Mouseion mit seiner berühmten Bibliothek. Derartige Konstellationen von außergewöhnlichen Persönlichkeiten zur selben Zeit am selben Ort begegnen in der Geschichte nicht häufig. Falls sie zu einer Zeit auftreten, in der der Wunsch nach Veränderung groß ist, können großartige Dinge geschehen, wie die Renaissance, die Aufklärung oder die Französische Revolution. Im Jahr 343 v. Chr. war in Griechenland der Wunsch nach Veränderung in der Tat groß. Im späten 5. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. hatten verschiedene Hegemonialmächte einander abgelöst – jeder gelang es nur für kurze Zeit, sich als Anführer in der Welt der freien Städte und Städtebünde zu etablieren. Die kontinuierlichen Kriege zwischen Hegemonialmächten und rebellierenden Verbündeten lieferten den Achämenidenkönigen von Persien die Gelegenheit, Rache zu nehmen für die Niederlagen, die sie in einer Reihe von Kriegen gegen die Griechen (490–449 v. Chr.) erlitten hatten. 387 v. Chr. verleibten die Achämeniden die griechischen Städte Kleinasiens wieder ihrem Reich ein. Jetzt, nachdem die Stadtstaaten Athen, Sparta und Theben hatten mitansehen müssen, wie ihre jeweilige Führungsrolle etabliert, herausgefordert und dann zunichtegemacht worden war, trat in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. am Rand der griechischen Welt eine neue Macht in Erscheinung: die Makedonen (Makedones) unter der Herrschaft des Argeadenkönigs Philipp II. Das Königshaus der Argeaden herrschte seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. über die Makedonen. Die Dynastie führte ihren Ursprung auf Temenos, den König von Argos, und letzten Endes auf Herakles zurück. Die Makedones waren ein Stamm mit einem griechischen Namen, vermutlich mit der Bedeutung „die Hochlandbewohner“ – von makednos (hoch). Sie verehrten griechische Götter, insbesondere den Olympischen Zeus. Ihre bedeutendsten Siedlungen trugen griechische Namen: Dion, „das Heiligtum des Zeus“, und Aigai, „der Ziegen-Ort“. Ihre Personennamen leiteten sich aus dem Griechischen ab: Philippos, „der, der Pferde liebt“; Ptolemaios, „der Kriegerische“; Perdikkas, „das Rebhuhn“; Amyntas, „der Verteidiger“; Alexandros, „der Männer-Abwehrer“; Berenike, „die Frau, die Sieg bringt“; Kleopatra, „die Tochter eines ruhmreichen Vaters“; Archelaos, „der Führer des Heeres“. Und sie sprachen einen griechischen Dialekt. Was sie von den Griechen des Festlands und der Kolonien unterschied, war aber nicht so sehr ihr Dialekt – im 20

Das Vermächtnis des Vaters (ca. 356–336 v. Chr.)

Abb. 1 Miniaturkopf aus Elfenbein von Philipp II. Vergina, ca. 350–336 v. Chr. Archäologisches Museum Aigai/Vergina.

Ohr eines Atheners klang das vermutlich so wie das Englisch eines amerikanischen Südstaatlers im Ohr eines Oxford-Professors – als vielmehr ihre Lebensweise. Bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. waren die Makedonen in erster Linie Hirten, die in kleinen Siedlungen lebten. Anders als die Griechen im Süden, die das Erbkönigtum vor dem 6. Jahrhundert v. Chr. abgeschafft hatten – Spartas Doppelkönigtum war eine Ausnahme –, wurden sie von einem König regiert. Die in öffentlichen Dokumenten gelegentlich getroffene Unterscheidung zwischen „den Hellenes und den Makedones“ beruht nicht auf ethnischen Kriterien, sondern bezieht sich auf verschiedene Organisationsformen der Gemeinwesen. Bis Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. lebten die Makedonen im Schatten der Achämenidenkönige und später Athens. König Archelaos (412–399 v. Chr.) stärkte das Königreich und förderte städtisches Leben und Kultur; an seinem Hof verfasste Euripides seine Bakchen. Auf Archelaos’ Tod folgten 21

Wie alles begann

jedoch dynastische Konflikte und Kriege. Als König Perdikkas III. 359 v. Chr. auf dem Schlachtfeld fiel, ergriff sein Bruder Philipp die Macht ­a nstelle seines minderjährigen Sohnes Amyntas. In den 25 Jahren seiner Herrschaft veränderte Philipp II. (s. Abb. 1) Makedonien und die gesamte griechische Welt auf so dramatische Weise, wie sein Sohn später den Rest der bekannten Welt verändern sollte. Der Historiker Arrian legte Alexander im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Würdigung dessen in den Mund, was Philipp für die Makedonen getan hatte: Er fand euch als mittellose Streuner, die meisten von euch in Schafhäute gekleidet, als ihr in den Bergen ein paar wenige Schafe weidetet und um diese erfolglos mit den Illyrern, den Triballern und den Thrakern, euren Nachbarn, kämpftet. Er gab euch Mäntel, die ihr anstatt der Schafhäute tragen konntet; er führte euch von den Bergen in die Ebenen hinab; er versetzte euch in die Lage, gegen die Feinde an euren Grenzen kämpfen zu können, sodass ihr nicht mehr auf die befestigte Lage eurer Siedlungen vertrauen musstet, sondern euch durch euren eigenen Mut verteidigen konntet. Er machte euch zu Stadtbewohnern und sorgte durch Gesetze und gute Bräuche für Ordnung.

Auch wenn dieses Bild von Makedonien vor Philipp mit Sicherheit überzeichnet ist, wie archäologische Forschungen vor Ort gezeigt haben, waren seine Errungenschaften durchaus beachtlich. Philipp war ein militärisches Genie, ein geschickter Diplomat, ein begabter Propagandist und großartiger ­Organisator, und er war begierig, von anderen zu lernen, erkannte mit scharfem Verstand Herausforderungen und Gelegenheiten und verfügte über einen grenzenlosen Ehrgeiz – damit verdient er den Beinamen „der Große“ nicht weniger als sein Sohn. Während seiner mehrjährigen Geiselhaft als Jugendlicher in Theben hatte Philipp die neue Taktik der thebanischen Armee erlernt: Bei dieser Schiefen Schlachtordnung war der linke Heeresflügel stärker als das Zentrum und der rechte Flügel; während der schwächere rechte Flügel den Feind in den Kampf verwickelte und so lange wie möglich seine Stellung hielt oder sich zurückzog, hatte der linke Flügel die Gelegenheit, gegen den traditionell starken rechten Flügel des Gegners vorzustoßen, ihn zu durch­brechen und so den Feind einzukesseln. Philipp verbesserte diese Taktik mit einer genialen Erfindung. Er stattete seine Infanterie mit langen Speeren ­(sarissai) aus, die alle im selben Moment gesenkt wurden; mit einer Länge zwischen 4,5 und 5,5 Metern schützten sie fünf Reihen von Soldaten. Er verbesserte auch die Ausbildung der Kavallerie. Seine militärischen 22

Das Vermächtnis des Vaters (ca. 356–336 v. Chr.)

­ rfolge begleitete er mit verwaltungstechnischen Maßnahmen. Den NachE wuchs des makedonischen Adels ließ er unter Aufsicht des Hofes erziehen, er gründete Städte, nutzte die natürlichen Ressourcen der neuen Gebiete – Holz und Silber – zum Bau einer Flotte und teilte den Soldaten im Gegenzug für ihren Militärdienst Land zu. Dass Philipp mit Aristoteles einen aufgehenden Stern auf dem Gebiet von Philosophie und Wissenschaft dazu einlud, seinen Sohn zu erziehen, weist ihn als Mann der Tat aus. Sein Palast in Aigai (heue Vergina) lässt ideologische Raffinesse erkennen. Einer der Höfe war mit einem symbolträchtigen Motiv verziert: der Entführung der phönizischen Prinzessin Europa durch Zeus. Zeitgenössische Betrachter hätten darin eine Anspielung auf den Konflikt zwischen Europa und Asien erkannt. Herodot beginnt seine Schilderung der Perserkriege mit einem Hinweis auf diesen Mythos, um zu erklären, worin die anhaltenden Konflikte zwischen Griechen und Barbaren ihren Ursprung hätten. Philipp bereitete die Griechen ganz bewusst auf den nächsten Schritt in ihrer Auseinandersetzung mit dem jetzt geschwächten Perserreich vor: auf einen neuen Feldzug gegen Asien, unter seinem Kommando. Während Philipps Palast gebaut und ausgeschmückt wurde, drängte ihn 346 v. Chr. ein athenischer Intellektueller, Isokrates, in einem offenen Brief dazu, „sich für die Eintracht der Griechen und einen Feldzug gegen die Barbaren einzusetzen“, also gegen das Perserreich. Um seinen Plan einer Eroberung des Perserreichs in die Tat umzusetzen, baute sich Philipp nach und nach ein Netzwerk von Unterstützern auf – seinen Höhepunkt fand dies 337 v. Chr. in einem Bündnis, seinem genialsten diplomatischen Schachzug. Die Erweiterung von Philipps Einflussgebiet ­außerhalb der geographischen Grenzen Makedoniens nach Süden hatte bereits viel früher, mit der De-facto-Annektierung Thessaliens um 352 v. Chr., begonnen. Sobald er zum Oberbeamten (archon) des Thessalischen Bundes ernannt war, kontrollierte Philipp dieses Land, das reich an Getreide und Pferden war, und verfügte über die Einnahmen aus dessen Häfen und Märkten. Philipps Erfolg beruhte nicht allein auf militärischer Macht. Er bestach Staatsmänner in Athen, das mit ihm um die Führungsrolle in Griechenland wetteiferte, und unterzeichnete immer dann, wenn es ihm als geeignetes Mittel erschien, einen Gegner zu neutralisieren, einen Bündnisvertrag – jedoch ohne die Absicht, diesen auch einzuhalten. Viele haben von Philipp das Bild eines alten betrunkenen Vaters, der mit seinem talentierten Sohn und seiner ehrgeizigen Frau in Konflikt geriet. Doch tatsächlich war er ein Mann, der den größten Redner der Antike allein durch seine Gegenwart 23

Wie alles begann

zum Schweigen bringen konnte. Als Demosthenes von Athen 347 v. Chr. als Botschafter die einmalige Gelegenheit hatte, Philipp von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, verließ ihn seine beste Waffe: seine Redegewalt. Zunächst sprach er noch einige einleitende Worte, hörte dann aber plötzlich auf zu reden und brach zusammen. Philipps größte Leistung bestand darin, die Griechen zum ersten Mal seit 477 v. Chr. zu einer Allianz vereinigt zu haben. Sein Heer besiegte die verbündeten Truppen der Athener und Böoter 338 v. Chr. in der Schlacht von Chaironeia. Für Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts markierte diese Schlacht das Ende der freien Stadtstaaten und damit das Ende griechischer Geschichte – oder zumindest des Teils davon, den sie als untersuchenswert betrachteten. Aus einer anderen Perspektive markiert die Schlacht von Chaironeia auch den Anfang vom Ende der achämenidischen Geschichte. Anstatt seine besiegten Feinde zu zerstören, lud Philipp sie zu einer Versammlung ein – einer seiner unerwarteten und genialen diplomatischen Schachzüge. Der Versammlungsort war sorgfältig gewählt: Korinth. An diesem Ort, an dem eine schmale Landbrücke Zentralgriechenland mit der Peloponnes verbindet, befand sich ein Heiligtum des Poseidon, wo eines der vier traditionellen panhellenischen Festspiele abgehalten wurde. Von größerer Bedeutung war jedoch, dass sich die Griechen in Korinth 480 v. Chr. zum ersten Mal zu einem Bündnis gegen die Perser zusammengeschlossen hatten. Ebendieser erste Korinthische Bund schlug Xerxes 480 v. Chr. bei Salamis und 479 v. Chr. bei Plataiai, brach aber nur ein Jahr später auseinander. Philipp stellte sich in die Tradition dieser Siege; er erinnerte die Griechen daran, dass sie die Perser nur dann würden besiegen und die eigene Freiheit bewahren können, wenn sie sich zusammenschlössen; und er erinnerte sie an ihre Pflicht, die griechischen Städte Kleinasiens von der persischen Herrschaft zu befreien, wie sie es 478 v. Chr. getan hatten. Die meisten griechischen Städte und Städtebünde – Ausnahmen bildeten Sparta und Epirus – folgten seiner Einladung. Die Abgeordneten schlossen ein Friedensabkommen, das den Griechen garantierte, was ihnen das Wichtigste war: ihre Unabhängigkeit, Abgabenfreiheit, und dass es keine Besatzungstruppen geben würde. Wer den Eid des Abkommens schwor, verpflichtete sich dazu, den Frieden einzuhalten und nicht zu versuchen, die Verfassungsordnung der Mitgliedsstaaten oder die Königsherrschaft Philipps und seiner Nachfolger zu stürzen. Die Mitglieder des Bündnisses waren in einer Ratsversammlung (synhedrion) vertreten, vermutlich proportional zu ihrer Bevölkerungszahl oder ihrer Truppenstärke; kleine Gemeinwesen 24

Die Vision des Sohnes: von Troja nach Ägypten (336–331 v. Chr.)

stellten möglicherweise gemeinsam einen Abgeordneten. Im Fall von Konflikten zwischen Mitgliedern fungierte der Rat als Schiedsgericht. Wurde das Territorium oder die Verfassung eines Mitgliedstaates angegriffen, waren die Mitglieder dazu verpflichtet, dem Angreifer den Krieg zu erklären. Der Bund wählte einen Anführer (hegemon), der im Kriegsfall den Oberbefehl über das Heer innehatte und die Größe der von jedem Bündnispartner zu entsendenden Truppenkontingente festlegte. Wie erwartet, wurde Philipp zum hegemon gewählt und mobilisierte die Griechen zu einem Krieg gegen die Perser. Vermutlich zielte er letzten Endes darauf ab, sein Reich zu vergrößern, die Griechenstädte Kleinasiens von der persischen Herrschaft zu befreien und sie in sein Bündnis einzugliedern; es ist unwahrscheinlich, dass er beabsichtigte, das Perserreich zu zerstören. Zwar können wir viele Einzelheiten dieses Abkommens nicht fassen, fest steht aber, dass es beträchtlichen Einfluss auf die künftige Geschichte hatte. Dieser Korinthische Bund oder Hellenenbund bildete die Grundlage für Alexanders Führungsposition auf seinem Feldzug, und er wurde in regelmäßigen Abständen von späteren Königen wiederbelebt, wenn sie die Führerschaft der Griechen für sich beanspruchten. Philipp mag die Angelegenheiten in Griechenland erfolgreich in Ordnung gebracht haben, es gelang ihm jedoch nicht, die Spannungen innerhalb seiner eigenen Familie abzubauen. Dass er 338 oder 337 v. Chr. eine neue Frau – seine siebte – heiratete, war nichts Außergewöhnliches: Die makedonischen Könige praktizierten Polygamie. Anders als seine übrigen Frauen gehörte diese neue Gemahlin, Kleopatra, jedoch einer Familie der makedonischen Elite an; alle Söhne, die sie zur Welt bringen würde, würden Alexanders Nachfolgeansprüche infrage stellen. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wurde so angespannt, dass Alexander den Hof kurzzeitig verlassen musste. Kurz bevor der Perserfeldzug beginnen sollte, söhnte er sich mit seinem Vater aus und kehrte nach Aigai zurück.

Die Vision des Sohnes: von Troja nach Ägypten (336–331 v. Chr.) Auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, wurde Philipp an dem Tag, an dem er im Theater von Aigai die Hochzeit seiner Tochter Kleopatra feierte, von einem seiner Leibwächter und ehemaligen Liebhaber ermordet. Angeblich bestand das Motiv des Mörders darin, dass Philipp es versäumt hatte, jene zu bestrafen, die den Leibwächter während eines der üblichen 25

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Trinkgelage bei Hof vergewaltigt hatten. Nur wenige Minuten vor dem Mord waren in einer Prozession Bildnisse der Zwölf Götter ins Theater getragen worden, und dazu ein dreizehntes Bildnis, nämlich das von Philipp selbst. Damit stellte Philipp seine weltliche Macht auf eine Stufe mit der göttlichen. In den Augen vieler Griechen war das Anmaßung, Hybris, und Philipps Tod eine göttliche Strafe. Dass er in einem Theater ermordet wurde, kann in der Tat als tragische Ironie gesehen werden: Die Zuschauer gingen gewöhnlich gerade deshalb ins Theater, um sich anzuschauen, wie die Hybris mythischer Helden unverzüglich von den Göttern bestraft wurde. Das Schicksal brachte an jenem Tag im Theater von Aigai vor dem versammelten Publikum genau dieses Schauspiel zur Aufführung. Das wahre Leben eine Nachahmung der Kunst. Die meisten Zeitgenossen wandten ihre Aufmerksamkeit jedoch anderen Aspekten zu. Hatte Olympias, Philipps entfremdete Gattin und Mutter Alexanders – eine mächtige und leidenschaftliche Frau –, den Mörder zur Tat ermutigt? War Alexander in die Verschwörung verwickelt, die seinen Vater ins Grab und ihn auf den Thron brachte? Hatte für diesen Mord persisches Gold den Besitzer gewechselt, um die Bedrohung einer unmittelbaren Invasion abzuwenden? Gerüchte machten die Runde, aber nichts wurde jemals auch nur annähernd bewiesen. In Athen zeigte sich Demosthenes der ­Öffentlichkeit in prächtigen Gewändern, um Philipps Tod zu feiern, obwohl er noch den Tod seiner eigenen Tochter betrauerte. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Zuneigung zu seinem Kind der Liebe zu seinem Vaterland und zur Freiheit, die er sich für Athen erhoffte, in seinen Augen untergeordnet war. Demosthenes’ Freude sollte nicht lange anhalten. Alexander, mittlerweile 20 Jahre alt, festigte seine Position als König der Makedonen. Zu diesem Zweck musste sein Cousin Amyntas, der Sohn von König Perdikkas, sterben, und Alexander ließ ihn denn auch ermorden. In einer Reihe von Feldzügen schützte der junge König die Grenzen im Norden, besiegte jene, die gedacht hatten, die makedonische Hegemonie hätte ein Ende gefunden, und zerstörte Theben. Im Jahr 336 v. Chr. erneuerte er den Hellenenbund und wurde zu dessen hegemon gewählt, damit er das Werk seines Vaters fortführte. Philipp hatte bereits Truppen nach Kleinasien entsandt. Nun mobilisierte Alexander die Bündnistruppen zu einem Krieg gegen den Großkönig Dareios III. Im Mai 334 v. Chr. setzte er nach Asien über. Sein erster Halt war Troja, wo er mit einer Reihe von symbolischen Handlungen darauf abzielte, seinen Feldzug mit dem Trojanischen Krieg in Verbindung zu bringen. 26

Die Vision des Sohnes: von Troja nach Ägypten (336–331 v. Chr.)

Am Grab des Achilles legte er Kränze nieder, nachdem er sich selbst eingeölt und nackt an einem Wettlauf mit seinen Gefährten teilgenommen hatte, wie es der Brauch ist, und äußerte, wie viel Glück Achilles habe, dass er zu Lebzeiten einen treuen Freund [Patroklos] und nach seinem Tod einen großartigen Herold seines Ruhms [Homer] hatte.

Die erklärten Ziele des Feldzugs scheinen die Befreiung der griechischen Städte Kleinasiens sowie Rache für die Zerstörung von Heiligtümern durch die Perser während der Invasion von Griechenland 480/479 v. Chr. gewesen zu sein. Das erste Ziel wurde innerhalb von weniger als zwei Jahren erreicht. Mit dem zweiten Ziel war Alexander – wahrscheinlich mit Absicht – weniger konkret geblieben. Worin eine angemessene Vergeltung bestand, konnte und sollte Auslegungssache sein. Alexanders erste Schritte nach seinem Sieg in der ersten großen Schlacht am Granikos 334 v. Chr. und der Eroberung von Sardis, der persischen Hauptstadt Kleinasiens, waren mehr oder weniger vorhersehbar (s. Karte 2). Abgesehen von einem strategisch unnötigen, symbolisch jedoch bedeut­ samen Umweg nach Gordion – Alexander durchschlug dort den Gordischen Knoten und machte damit deutlich, dass das Erringen der Herrschaft über Asien, was die Lösung des Knotens in Aussicht stellte, eine Sache des Schwertes war –, setzte er seinen Feldzug entlang der Küste fort. Hartnäckig suchte er die direkte Konfrontation mit dem persischen Heer, bis er den Großkönig selbst im Oktober oder November 333 v. Chr. bei Issos besiegte. Es war absehbar, dass Dareios unter diesen Umständen ein Angebot machen würde, um dem Krieg ein Ende zu setzen. Er wollte Alexander alle Gebiete westlich des Euphrats überlassen, doch Alexander lehnte dieses Angebot ab. Auch wenn die Authentizität der Briefe, die angeblich zwischen den beiden Königen ausgetauscht wurden, zweifelhaft ist, scheint Alexander bereits zu diesem Zeitpunkt die Legitimität der Herrschaft des Dareios infrage gestellt zu haben. Auch sein nächster Schritt ist nachvollziehbar: Einer der Schwachpunkte seiner Strategie war es, dass Griechenland und die Ägäis den Manövern der persischen Flotte in der Ägäis schutzlos ausgesetzt waren; daher griff er als nächstes die bedeutendsten persischen Flottenstützpunkte in Phönizien an. Nach siebenmonatiger Belagerung fiel der wertvolle Hafen von Tyros. Die meisten Feldherren hätten jetzt vermutlich den besiegten Feind verfolgt, Alexander aber machte sich Ende des Jahres 332 v. Chr. auf den Weg nach Ägypten. Diese Entscheidung stellt einen bedeutenden Wendepunkt dar. 27

Wie alles begann

War der Schritt gerechtfertigt? Es stand zu erwarten, dass eine persische Provinz, die oft gegen die Achämeniden revoltiert hatte, ein einfaches Angriffsziel wäre; und tatsächlich leistete Ägypten keinen Widerstand. Ebenso ist es plausibel, dass die Soldaten nach zwei Jahren Feldzug, und besonders nach den Entsagungen, die sie während der Belagerungen von Tyros und später von Gaza zu erdulden hatten, ein wenig Erholung nötig hatten. Strategisch bedeutete die Kontrolle über Ägypten, dass der gesamte östliche Mittelmeerraum in Alexanders Händen lag. Was er dann aber in Ägypten unternahm, zeigt, dass er nicht dorthin gekommen war, um seiner Armee eine Auszeit zu verschaffen oder seine Kontrolle über das östliche Mittelmeer zu konsolidieren. In den wenigen Monaten seines Aufenthalts führte Alexander eine Reihe von Maßnahmen durch, die beispielhaft für seine Auffassung von Herrschaft waren und seine weiteren Pläne erahnen ließen. Er übernahm die Titel und Machtbefugnisse des Pharaos; mit seinem Besuch des AmmonOrakels in der Oase von Siwa schuf er die Grundlage für seine Verehrung als Gott; und er gründete eine neue Stadt, die er nach sich selbst benannte. In ägyptischen Quellen trägt Alexander die offiziellen Titel des ägyptischen Pharaos; allerdings ist nicht sicher, ob er auch offiziell inthronisiert wurde. Ein eindeutiger Hinweis darauf, wie Alexander sein Reich zu regieren beabsichtigte, war, dass er lokale Traditionen übernahm. Er brachte dem heiligen Stier in Memphis ein Opfer dar, stellte die Macht der Priester wieder her und veranlasste Bauprojekte an den heiligen Stätten von Karnak und Luxor. Daraufhin durchquerte er die Libysche Wüste, um das Heiligtum des Amun (auf Griechisch Ammon) in der Oase von Siwa zu besuchen. Warum aber nahm er das auf sich – es handelte sich immerhin um eine der gefährlichsten Wüsten? War es die Herausforderung, die ihn reizte? Kambyses, der persische Eroberer Ägyptens, war 525 v. Chr. an ihr gescheitert – sein Heer wurde angeblich von einem plötzlichen Sandsturm begraben. Oder wurde Alexander von tiefer Religiosität angetrieben? Suchte er den Rat eines der meistverehrten Orakel, um seine Autorität zu stärken? Die Antworten der Historiker auf diese Fragen fallen unterschiedlich aus, da uns keine verlässlichen Quellen zur Verfügung stehen. Hinsichtlich Ale­ xanders Persönlichkeit und Agieren handelt es sich dabei aber nicht um die einzigen Ungewissheiten. Es ist generell schwierig, auszumachen, welche rationalen, ideologischen oder emotionalen Motive jeweils hinter seinen Entscheidungen standen. In Siwa wurde Alexander vom Hohepriester auf die einem Pharao an­ gemessene Weise begrüßt: als Sohn des Gottes Amun-Ra. Übersetzt ins 28

Die Vision des Sohnes: von Troja nach Ägypten (336–331 v. Chr.)

Abb. 2 Silbertetradrachme von Lysimachos mit Alexander mit Diadem und Ammon-Hörnern. Münzstätte von Lysimacheia, ca. 297–281 v. Chr. Numismatisches Museum Athen.

Griechische konnte dieser Titel „Sohn des Zeus“ bedeuten, da die Griechen Ammon mit ihrem Zeus identifizierten. Der Hinweis auf eine göttliche Abstammung verlieh Alexander eine Aura, die in den folgenden Jahren eine Weiterentwicklung erfuhr. Er brachte „Ammon, seinem Vater“ Weihungen dar, und die Münzen, die unmittelbar nach seinem Besuch in der Oase geschlagen wurden, zeigen ihn mit den Hörnern des Ammon (s. Abb. 2). Seine Propaganda schlug rasch Kapital aus dem Besuch des Ammonheiligtums. Das dritte und wichtigste Ereignis während Alexanders Aufenthalt in Ägypten war die Gründung von Alexandria. Eine neue Stadt zu gründen, kann kaum als originelle Idee Alexanders gesehen werden. Die Griechen gründeten Städte, wohin sie auch kamen; das hatten sie seit Jahrhunderten getan. Herakles, Alexanders mythischer Vorfahre, tat auf seinen Wanderungen angeblich drei Dinge: Er vollbrachte Taten, die unmöglich erschienen; er schlief mit Jungfrauen; und er gründete Städte. Zumindest hinsichtlich zweier dieser Aktivitäten folgte Alexander diesem Vorbild. Es war auch keineswegs überraschend, dass die neue Stadt nach ihm benannt wurde. Schon sein Vater hatte zwei Städte gegründet, die seinen Namen trugen: Philippi und Philippopolis. Und bereits 340 v. Chr. hatte Alexander, damals 16 Jahre alt, nach einer erfolgreichen Militärexpedition irgendwo 29

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in Thrakien ein Alexandropolis gegründet. Was Alexandria so bedeutsam machte, waren seine Größe und die Aufmerksamkeit, die Alexander der Stadtplanung gewidmet haben soll. Diese Stadt sollte sich als seine dauerhafteste Errungenschaft erweisen. Alexander war als König der Makedonen und Feldherr des Hellenen­ bundes nach Ägypten gekommen. Er verließ es als Pharao, ktistes (Gründer) und lebender Gott. Als Pharao war er der absolute Herrscher des ältesten Königreichs, das seine Zeitgenossen kannten. Dieses Königtum unterschied sich in hohem Maß vom makedonischen; es spiegelte 3000 Jahre alte Traditionen wider und entsprach den spezifischen administrativen Anforderungen dieses Lands am Nil. Als Gründer einer Stadt hatte Alexander sich selbst in den Rang der legendären Städtegründer erhoben, die als übermenschliche Figuren griechische Mythen und Legenden bevölkerten und in ihrer jeweiligen Stadt verehrt wurden. Durch seinen Besuch in Siwa verband er sich aufs Engste mit den göttlichen Mächten. Die Reise nach Ägypten brachte auch einen Abschluss: Einem damals kursierenden Gerücht zufolge bestätigte das Orakel in Siwa, dass Alexander den Mörder seines Vaters bestraft hatte. Doch Alexander würde noch etwas Anderes zu Ende bringen: die Bestrafung der Perser für ihre Frevel während der Perserkriege. Das sollte ihm im folgenden Jahr gelingen.

Der Zug nach Persien: Alexander der Rächer (331–327 v. Chr.) Dareios hatte gute Gründe, eine Entscheidungsschlacht zu suchen. Bei Issos war er persönlich besiegt worden, und seine Strategie, eine zweite Front in der Ägäis zu errichten, um Alexanders Aufmerksamkeit abzulenken, hatte versagt. Ein sich hinziehender Krieg würde nur seine Autorität untergraben und zentrifugale Kräfte innerhalb seines Reiches verstärken. Alexander in das Herz des Irans einmarschieren zu lassen und ihn dort mithilfe einer ­Politik der verbrannten Erde einzuschließen, wäre aus militärstrategischer Sicht eine Option gewesen, es war jedoch unvereinbar mit einer Ideologie, die dem Monarchen Unbesiegbarkeit zuschrieb. In dieser Phase des Kriegs lag die Initiative bei Dareios. Er mobilisierte Truppen, insbesondere Kavallerie, aus den östlichen und nördlichen Gebieten seines Reiches und entschied sich für das Schlachtfeld. Dareios’ Armee, viel stärker als die gegnerische, erwartete den Angreifer auf einer weiten Ebene bei Gaugamela, östlich des Tigris; die 30 000 Reiter und Sichelwagen 30

Der Zug nach Persien: Alexander der Rächer (331–327 v. Chr.)

waren dort im Vorteil. Alexander nahm die Herausforderung mit gutem strategischen Gespür an. Er ließ es zu, dass die iranische Reiterei das Zentrum seiner vordersten Linie besiegte, doch gelang es der zweiten Verteidigungslinie, sie in ein längeres Gefecht zu verwickeln. Dies gab ihm die Gelegenheit, mit seiner Kavallerie in die Lücken vorzustoßen, die sich durch das persische Vordringen aufgetan hatten. Er hielt direkt auf das Zentrum der persischen Truppen zu, wo der selbstbewusste Großkönig Stellung bezogen hatte. Dareios’ Truppen vermochten die makedonische Reiterei nicht aufzuhalten, und der König selbst war letztlich gezwungen zu fliehen. Dieser Triumph einer waghalsigen Strategie über zahlenmäßige Überlegenheit markierte das Ende des Achämenidenreichs, und Alexander wurde noch auf dem Schlachtfeld zum König von Asien ausgerufen. Im Dezember 331 v. Chr. eroberte Alexander zwei große Städte des Perserreichs, Babylon und Susa, ohne Widerstand. Die traditionelle Hauptstadt des Reiches, Persepolis, leistete ein wenig Widerstand, aber auch sie wurde im Januar oder Februar 330 v. Chr. eingenommen und geplündert. Erst Monate später, im Mai 330 v. Chr., wurde der Königspalast in Brand gesetzt, vermutlich eher als Racheakt für die Zerstörung der griechischen Heiligtümer während der persischen Invasion denn infolge einer angeblich spontanen Entscheidung betrunkener Offiziere, angestiftet von einer Prostituierten. Durch diese Tat konnte Alexander behaupten, seine Verpflichtungen dem Hellenenbund gegenüber erfüllt zu haben. Es kann kein Zufall sein, dass er vor seiner Abreise aus Persepolis die Truppen aus den griechischen Städten und Städtebünden entließ. Dieser Akt markierte das Ende des Feldzugs, dem er als Anführer des griechischen Bündnisses vorgestanden hatte. Es gibt indirekte Hinweise, dass Alexander womöglich auch beabsichtigte, einige seiner vertrautesten Offiziere zurück nach Makedonien zu schicken. Wenn das stimmt, bedeutet es, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Plan verfolgte, seinen Feldzug jenseits der persischen Hauptstädte fortzusetzen. Vielleicht sah er sich gezwungen, mit seinem makedonischen Heer und zusätzlich rekrutierten Truppen den besiegten Gegner weiter zu verfolgen, weil in den nördlichen Satrapien Unruhen aufflammten – aufgrund des Machtvakuums sowie der Tatsache, dass Dareios immer noch auf freiem Fuß war. Da er als Heerführer versagt hatte, hatte Dareios seine Legitimierung eingebüßt; er wurde von seinen Satrapen gefangen genommen und im Sommer 330 v. Chr. hingerichtet. Alexander behandelte den toten Monarchen mit dem Respekt, den man nicht einem Feind, sondern einem Vorgänger schuldet: Er ließ ihn im königlichen Friedhof in Persepolis bestatten und 31

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verschaffte sich selbst so, besonders in den Augen von Dareios’ ehemaligen Untertanen, eine zusätzliche Legitimierung. Dann spielte Alexander wieder einmal die Rolle des Rächers. Er verfolgte die Mörder des Dareios und ließ sie hinrichten, und er unterwarf in einem dreijährigen Militäreinsatz die revoltierenden Provinzen im nördlichen und östlichen Iran (330–327 v. Chr.). Am Ende dieses Feldzugs kehrte er nicht in eine seiner persischen Hauptstädte zurück, sondern zog weiter nach Osten und gelangte in Gebiete, die der griechische Mythos nur mit den östlichen Reisen des Gottes Dionysos und den Abenteuern des Herakles in Verbindung brachte. Kein anderer Grieche vor ihm hatte je den indischen Subkontinent erreicht. Im Winter 327/326 v. Chr. begann Alexander einen Feldzug gegen die Stämme, die sich weigerten, seine Autorität anzuerkennen. Dieser Feldzug brachte ihn in den Punjab (s. Karte 2), an neue Grenzen und näher an den östlichen Ozean, der in der Vorstellung seiner Zeitgenossen das Ende der Welt war. Auch Alexander selbst kam hier an seine Grenzen.

Pothos: die Sehnsucht, bis zum Äußersten zu gehen (327–324 v. Chr.) Nachdem er den östlichen Iran, Afghanistan und Baktrien durchquert hatte, lotete Alexander 327 und 326 v. Chr. seine Grenzen aus – mit dem Versuch, die als uneinnehmbar geltende Festung von Aornos auf dem Pir-Sar in Pakistan zu erobern. Selbst seinem Vorfahren Herakles war es, so der ­ Mythos, nicht gelungen, sie einzunehmen (von den Herausforderungen, ­ denen der Heros sich stellte, lag diese am weitesten im Osten). Antike Autoren beteuern, dass Alexander von pothos (Sehnsucht) bis ans Ende der Welt getrieben wurde. Auch andere Griechen stellten sich, von pothos angetrieben, bislang nicht gemeisterten Herausforderungen und erforschten das Unbekannte. Während Alexander versuchte, den östlichen Ozean zu erreichen, erkundete einer seiner Zeitgenossen, Pytheas von Massalia (heute Marseille), den Ozean jenseits der Säulen des Herakles, also westlich von Gibraltar. Doch hatte Alexanders pothos unmittelbaren und nachhaltigen Einfluss auf seine Zeitgenossen. Nachdem er die Festung von Aornos eingenommen hatte, lenkte Alexander seinen Feldzug nach Indien – in dem Verlangen, den östlichen Ozean zu erreichen. Das Unternehmen war nicht nur von Neugierde allein getrieben. Als König von Asien hatte er die Ideologie orientalischer Monarchen 32

Pothos: die Sehnsucht, bis zum Äußersten zu gehen (327–324 v. Chr.)

übernommen, was bedeutete, dass er es nicht dulden konnte, wenn andere Herrscher seine Autorität nicht anerkannten. Der Feldzug nach Indien mag auch Forschungscharakter gehabt haben, er war jedoch in erster Linie eine Militärkampagne zur Etablierung einer Herrschaft, deren Grenzen nur mit dem Ende der bewohnbaren Welt zusammenfallen konnten. Als er den Indus überquert hatte, besiegte Alexander im Juni 326 v. Chr. Poros, den König des Punjab; er ernannte ihn daraufhin zum Statthalter dieses Gebiets und gründete zwei neue Städte an gegenüberliegenden Ufern des Hydaspes. Es handelt sich hier um die einzigen von Alexander gegründeten Städte, die nicht seinen Namen tragen: Die eine nannte er Boukephala, zu Ehren seines Pferdes Boukephalos, das in der Schlacht gegen Poros getötet worden war, die andere Nikaia (Stadt des Sieges, das heutige Mong), um seinen Erfolg zu verewigen. Alexander konnte nicht wissen, dass dies sein letzter militärischer Sieg sein sollte. Als Alexander versuchte, seinen Feldzug in Indien fortzusetzen, wurde er von der Natur besiegt. Die Soldaten, die durch die Entbehrungen erschöpft waren und permanent gegen Stürme ankämpfen mussten, die durch die Monsunwinde verursacht wurden, weigerten sich am Fluss Hyphasis (Beas), weiterzumarschieren. Diese Meuterei zwang Alexander dazu, seinen Feldzug zu unterbrechen und nach Persien zurückzukehren. Ein Opfer an Poseidon im Meer vor der Küste des Indusdeltas bei Patala (s. Karte 2) markierte das Ende des Feldzugs. Ein Teil des Heeres kehrte mit einer Flotte unter dem Kommando von Alexanders Jugendfreund Nearchos in den Iran zurück. Nearchos hatte Befehl, von Indien aus in den Persischen Golf zu segeln. Seine Beschreibung dieser Reise war reich an Informationen über Geographie, Flora, Fauna und Klima, und sie hat sich indirekt in Arrians Indike erhalten, die im 2. Jahrhundert n. Chr. verfasst wurde. Aus unbekannten Gründen – wollte er sich einer weiteren Herausforderung stellen oder seine Truppen für ihre Meuterei bestrafen? – führte Alexander seine Armee von über 30 000 Mann auf einer äußerst schwierigen Route durch die Gedrosische Wüste zurück. Mindestens 20 000 Männer hatten auf diesem Marsch ihr Leben gelassen, als Alexander zwei Monate später in Pura ankam; nach weiteren vier Monaten, im März 324 v. Chr., erreichte er Susa. Er war 31 Jahre alt, unbesiegt und der absolute Herrscher des größten Reiches, das die Menschheit je gesehen hatte. Als Vergleichsmaßstab hatte er sich nicht Menschen, sondern Götter und Helden aus dem Mythos – Dionysos und Herakles – gewählt, und er hatte sie übertroffen. 33

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Wenn wir den Quellen Glauben schenken, hatte Alexander auf seinen Feldzügen stets einen Dolch und ein Exemplar der Ilias unter seinem Kopfkissen. Wir werden nie erfahren, ob er auch ein Exemplar der Odyssee besaß. Das ist jedoch unwahrscheinlich. Das Thema der Odyssee ist nostos, die Sehnsucht nach Heimkehr, und Alexander zeigte keinerlei Verlangen, jemals nach Makedonien zurückzukehren. Der Stoff der Ilias war mehr nach seinem Geschmack. Dieses Epos behandelt den Zorn (menis) des Achilles, eines Mannes, dessen Ehre verletzt worden war. Der Held des Epos begreift, dass die einzige den Menschen gegebene Form der Unsterblichkeit jene ist, die durch kleos aphthiton (unsterblichen Ruhm) erlangt wird. Seit seiner Kindheit hatte sich Alexander Achilles zum Vorbild genommen; er hatte sogar den Beginn seines Feldzugs in Asien als Tribut an diesen homerischen Helden inszeniert. Wenn Alexander seiner Nachahmung des Achilles treu bleiben wollte, musste er die Person verlieren, die ihm am nächsten stand, wie Achilles Patroklos verloren hatte. Und auch er selbst musste jung sterben. In dieser Hinsicht sollte Alexander nicht enttäuscht werden.

Unsterblichkeit (324/323 v. Chr.) In der epischen Dichtung ist kein Platz für administrative Dinge; im echten Leben aber ziehen sich Eroberer für gewöhnlich nicht zurück, um die Annehmlichkeiten des Friedens zu genießen. Alexander hatte erobert; nun musste er herrschen. Die Folgen seines ausgedehnten Aufenthalts in Zentralasien traten offen zutage, als er nach Persien zurückkehrte: Korruption, Furcht vor Aufständen, Gefahren für den Zusammenhalt des Reiches. Den härtesten Schlag hatte ihm sein oberster Schatzmeister, Harpalos, versetzt, als er sich aus Angst vor einer Bestrafung für die schlechte Verwaltung der königlichen Finanzen Anfang des Jahres 324 v. Chr. mit einem Großteil der Staatskasse nach Griechenland absetzte. Alexanders Feinde hätten dieses Geld nun zur Bezahlung von Söldnern verwenden können. Griechenland hatte Alexander lange Zeit vernachlässigt, weshalb er nun seine Präsenz dort auf radikale Weise spürbar werden ließ: Per Dekret befahl er den griechischen Städten, die Rückkehr ihrer Verbannten zu akzeptieren – Menschen, die ihre Stadt im Lauf von Bürgerkriegen, oder weil sie ihre Schulden nicht bezahlt hatten, hatten verlassen müssen. Wenn Alexander darauf abgezielt hatte, die Unterstützung der Verbannten zu ge­ winnen, ist ihm das mit Sicherheit gelungen. Als das Dekret bei den 34

Unsterblichkeit (324/323 v. Chr.)

Olympischen Spielen 324 v. Chr. verkündet wurde, wurde es von Tausenden von Verbannten freudig begrüßt. Wenn er darauf abgezielt hatte, seine Macht zur Geltung zu bringen, ist ihm auch das gelungen, doch reagierten die Städte mit Aufruhr. Die Rückkehr von Verbannten wirkte sich auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft aus; es war ein radikaler Eingriff in die Autonomie einer griechischen Stadt, die Alexander als hegemon des Hellenenbundes eigentlich zu respektieren hatte. Die griechischen Städte sahen sich mit einem Dilemma konfrontiert, das die Beziehungen zwischen poleis und ­Königen noch in den folgenden Jahrhunderten bestimmen sollte: Wenn sie sich dazu entschieden, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, riskierten sie einen Krieg gegen einen unermesslich stärkeren König. Auch in der Vergangenheit waren Alexanders Entscheidungen oft auf Widerstand gestoßen, doch war dies nichts im Vergleich zu der Krise, mit der er kurz nach seiner Ankunft in Persien konfrontiert wurde. Er beschloss, 10 000 makedonische Soldaten, die in den letzten zehn Jahren für ihn gekämpft hatten, zu entlassen und zurück nach Griechenland zu schicken. Als die Soldaten Widerstand leisteten, beendete Alexander eine Meuterei in Opis, indem er die Anführer hinrichten und die Truppen durch Iraner ersetzen ließ. Krateros, einer seiner Generäle, sollte die Veteranen nach Griechenland führen; die verbleibenden makedonischen Soldaten, insgesamt nicht mehr als 6000, schworen Alexander zusammen mit den iranischen Truppen einen Treueeid. Diese Veränderung in der Zusammensetzung der Armee, einem Grundpfeiler seiner monarchischen Macht, spiegelt die Umwandlung von Alexanders Herrschaft wider: Er wurde vom König der Makedonen zum König von Asien. Just in dieser Krisenzeit wurde Alexander von den griechischen Städten die größte vorstellbare Ehre zuteil: Er wurde kultisch behandelt, als wäre er ein Gott. Aber hatte Alexander danach verlangt? Das ist fraglich, doch die Städte wussten sicherlich, dass er diese Ehre begrüßen würde. Traditionell war die Beziehung zwischen den Menschen und den Göttern vom Prinzip der Gegenseitigkeit gekennzeichnet. Die Sterblichen zeigten durch Rituale – Opfer, Weihungen und Gebete –, dass sie die Existenz und Macht der Götter anerkannten, solange sie Manifestationen göttlicher Macht erlebten. Diese Gegenseitigkeit muss es gewesen sein, die einige griechische Städte dazu veranlasste, Alexander auf ritueller Ebene auf die gleiche Art und Weise zu behandeln wie ihre Götter, indem sie heilige Gesandte mit Kränzen auf ihren Häuptern zu ihm schickten, ihm Opfer darbrachten und ihre Anliegen an ihn herantrugen. Ohne dass er ein Gott war oder zu einem werden 35

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würde, wurde Alexander mit den Göttern auf eine Stufe gestellt, da ja auch seine Leistungen jegliches menschliche Maß übertrafen. Wie die Menschen, so sind auch die Götter gegenüber dem Schicksal machtlos, und Alexander war da keine Ausnahme. Im Herbst 324 v. Chr. starb Hephaistion, Alexanders Kindheitsgefährte, engster Freund und Liebhaber – es handelte sich um eine homoerotische Beziehung, wie sie für die griechische Gesellschaft der archaischen Zeit typisch war. Alexander trauerte um Hephaistion nicht weniger, als Achilles um Patroklos getrauert hatte. Er ließ ein monumentales Grabmal errichten, und in Makedonien wurde Hephaistion als Heros verehrt. Hephaistions Tod verzögerte die Vorbereitungen für den nächsten Schritt des ruhelosen Königs: die Erforschung und Eroberung der Arabischen Halbinsel. Dieses Vorhaben wurzelte in erster Linie in Alexanders Wunsch, die Eroberung der gesamten Welt abzuschließen, war jedoch auch von strategischen Überlegungen geleitet: Er brauchte Arabien als Bindeglied zwischen den beiden Enden seines Reiches, Ägypten und Indien. Er ließ eine neue Flotte bauen, in Babylon einen größeren Hafen anlegen und die Kanäle in Mesopotamien verbessern. Kurz vor Beginn des neuen Feldzugs zeigten sich bei Alexander Krankheitssymptome, die er selbst zunächst nicht ernst nahm. Geschwächt durch Wunden, übermäßige Anstrengungen, Erschöpfung und den Tod von Hephaistion starb er am 10. Juni 323 v. Chr., noch vor Vollendung seines 33. Lebensjahrs. Wahrscheinlich wird die Kontroverse um die Ursache seines Todes – Malaria, eine andere Krankheit oder Gift – nie geklärt werden. Alexander hatte letzten Endes die einzige Form der Unsterblichkeit erreicht, an der Menschen Anteil haben: kleos aphthiton.

Alexanders Vermächtnis Seit Johann Gustav Droysen, der 1833 die erste moderne Alexander-Geschichte verfasste, ist es üblich, das Vermächtnis des makedonischen Eroberers auf dem Feld der Kultur zu verorten. In Droysens Vision verfolgte Alexander bewusst und systematisch das Ziel, die Trennung zwischen Orient und Okzident zu überwinden: Und wie an dem ersten Schöpfungstage Gott das Licht von der Finsterniß schied, und aus Abend und Morgen der erste Tag ward, so hat der erste Tag der Geschichte die Völker aus Abend und Morgen zum ersten Male geschieden zu ewiger Feindschaft und dem ewigen Verlangen der Versöhnung …

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Alexanders Vermächtnis

So begann sich Alexanders Heer in das Asiatische Leben hineinzuleben und sich mit denen, die das Vorurtheil von Jahrhunderten gehaßt, verachtet, rohe Barbaren genannt hatte, zu versöhnen und zu verschmelzen, es begann sich Morgen- und Abendland zu durchgähren und eine Zukunft vorzubereiten, in der beide sich selbst verlieren sollten.

Generationen von Historikern haben diese Ansicht modifiziert, die einen grundlegend, die anderen weniger radikal. Zwar kann es plausibel widerlegt werden, dass Alexander den Plan verfolgte, Ost und West zu vereinen, doch seine Eroberungen haben zweifelsohne den ersten Anstoß gegeben für den Assimilierungsprozess, der sich in den Jahrhunderten nach seinem Tod vollzog. Dem von ihm geschaffenen Reich fehlte ein solides Fundament, und so zerfiel es als administrative Einheit; die Eroberten blieben jedoch in einem Netzwerk politischer Beziehungen, ökonomischen Austauschs und kultureller Einflüsse miteinander verbunden. Auch wenn Alexander keinen direkten Nachfolger hinterlassen hatte, inspirierten seine Persönlichkeit und seine Leistungen ehrgeizige Männer aus seinem unmittelbaren Umfeld, die Diadochen, die um die Kontrolle über das Reich kämpften, und später hellenistische Könige sowie römische Feldherren und Kaiser. Der greifbare Einfluss Alexanders und sein direktes Vermächtnis liegen jedoch in den Maßnahmen und Vorbildern, nach denen der griechische Osten in den folgenden drei Jahrhunderten geformt wurde. Wie Alexander als Soldat von seinen Leidenschaften und manchmal von irrationalem Verlangen getrieben wurde, so trieb ihn als Verwalter der Pragmatismus. Durch seinen makedonischen Hintergrund war er damit vertraut, über ein heterogenes Konglomerat von Untertanen und Verbündeten zu herrschen. In Makedonien waren unter den Untertanen seines Vaters die Makedonen, deren König er war; dazu Bürger griechischer Städte, die von ihm unterworfen oder gegründet worden waren und denen ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden wurde; und Bürger der Städte des Thessalischen Bundes, den Philipp als Oberbeamter befehligte. Die Mitglieder des Hellenenbundes unterstanden nicht der Herrschaft des Königs, akzeptierten jedoch seine militärische Führerschaft. Dieses Konstrukt hatte sich während der 20-jährigen Herrschaft Philipps allmählich herausgebildet. Die Eroberungen Alexanders brachten eine weitaus komplexere Situation hervor. Alexander hatte die griechischen Städte Kleinasiens befreit, die sich vermutlich dem Hellenenbund anschlossen. Er hatte mehrere Städte gegründet, auch wenn die von Plutarch genannte Anzahl (mehr als 70) zu Recht 37

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angezweifelt wird. Deren Bürger waren zumeist griechische Söldner, die in den Traditionen der freien griechischen Städte erzogen worden waren, und doch befanden sich die neuen Städte auf Land, das vom König erobert worden war. Alexander hatte in Ägypten die Position des Pharaos übernommen und war dem Großkönig als Herrscher über eine Vielzahl ethnischer Gruppen und abhängiger regionaler Dynasten nachgefolgt. Dieses Reich zu regieren, war eine noch größere Herausforderung als die, mit der sich einst die Gründer des Achämenidenreichs, Kyros I. (ca. 550–530 v. Chr.) und Dareios I. (522–486 v. Chr.), konfrontiert sahen. Alexander muss eingesehen haben, dass ihm das erfahrene Personal fehlte, das er benötigte, um einen reibungslosen Übergang von der Herrschaft der Achämeniden zu seiner eigenen zu schaffen und um störungsfrei Tribut einzusammeln und eine funktionierende Verwaltung sicherzustellen. Er musste auf lokale Verwaltungstraditionen zurückgreifen. Auch war die lokale Bevölkerung an einer schnellen und friedlichen Rückkehr zum Alltag interessiert. Dieser Wunsch äußerte sich etwa in dem enthusiastischen Empfang des Eroberers als neuem Monarchen in Babylon 331 v. Chr. Alexander reagierte umsichtig. Er zeigte Respekt gegenüber den traditionellen Göttern und beließ die Satrapen in ihrer jeweiligen Position, ernannte jedoch auch makedonische Militärführer in den Provinzen, um seine Herrschaft sicherzustellen. Im Dezember 331 v. Chr. saß er auf dem Thron des Großkönigs in Susa und übernahm externe Herrschaftsinsignien, wie Elemente der persischen Königskleidung, die jeder Grieche sofort als barbarisch identifiziert hätte. Er besuchte das Grab des Kyros in Pasargadai und bestattete Dareios auf dem königlichen Friedhof. Er versuchte, für die Begegnung zwischen Monarch und Untertanen ein persisches Ritual einzuführen, das proskyne­ sis genannt wurde – eine Verbeugung oder ein Niederknien vor dem König, eine Geste, wie sie bei den Griechen der Verehrung von Göttern vorbehalten war; der Widerstand seiner Höflinge ließ ihn diesen Plan aufgeben. Seine Heirat mit Roxane, der Tochter eines lokalen Herrschers in Sogdien, ließ enge Verbindungen mit der einheimischen Aristokratie des Irans entstehen. Alexander erkannte Poros, einen der fähigsten Militärführer, gegen den er je gekämpft hatte, als Herrscher über die östlichsten Reichsgebiete an. Er gliederte 30 000 Iraner, die nach Art der Makedonen ausgebildet worden waren, in seine Armee ein und nahm die besten iranischen Reiter in die makedonischen Kavallerieeinheiten auf. Gegen Ende seiner Regierungszeit umgab sich Alexander mit persischen Leibwächtern. Er erkannte die Beziehungen von 10 000 Soldaten mit nicht-griechischen, größtenteils iranischen 38

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Frauen als Ehen und ihre Kinder als rechtmäßig an. In einer Massenhochzeit in Susa heirateten 90 seiner engsten Gefährten iranische Frauen nach persischem Ritus; während dieser Hochzeit nahmen Alexander und seine engen Freunde Hephaistion und Krateros jeweils ein Mitglied der persischen Königsfamilie zur Frau. Einige Historiker sahen in diesen Maßnahmen das Ergebnis einer großen Vision, andere eher das Bemühen darum, den Herausforderungen der Verwaltung eines riesigen Reiches zu begegnen, wozu die begrenzte Anzahl an makedonischen Adligen und die wenigen Männer aus griechischen Städten zahlenmäßig einfach nicht ausgereicht hätten. Letztere Annahme erscheint plausibler. Indem er Iraner in sein Heer und seine Verwaltung eingliederte, folgte Alexander in größerem Maßstab einer Maßnahme, die bereits sein Vater erprobt hatte, als er Mitglieder rivalisierender Stämme makedonischer Adliger in seinen Hofstaat aufnahm. Alexander scheint eher um eine Vergrößerung des Rekrutierungspools für seine Armee und Verwaltung bemüht gewesen zu sein als darum, ethnische Unterschiede in den eroberten Gebieten, die stets multikulturell gewesen waren, abzubauen. Die Beharrlichkeit, mit der Alexander diese Politik gegen heftigen Widerstand verfolgte, ist bemerkenswert. Er liquidierte einige der Mitglieder seines innersten Kreises aufgrund von deren tatsächlicher oder angeblicher Beteiligung an Verschwörungen oder wegen ihrer offenen Kritik an ihm: Philotas, der Kommandant der Kavallerie, und sein Vater, der alte General Parmenion, wurden 330 v. Chr. hingerichtet; Kleitos, einer von Alexanders höchsten Befehlshabern, der dessen neuen, unmakedonischen Habitus heftig getadelt hatte, wurde 328 v. Chr. getötet; und Alexanders Geschichtsschreiber, Kallisthenes, der den Geist freier griechischer Bürger repräsentierte, wurde 327 v. Chr. hingerichtet, zusammen mit einigen königlichen Pagen, die von ihm unterwiesen worden waren. Der Kampf gegen eine solche Opposition lässt kaum daran zweifeln, dass Alexander einen Plan verfolgte und nicht bloß seinem Instinkt folgte oder aus einer Laune heraus handelte. Alexander folgte dem einzigen Vorbild, das er kannte: einer personenbezogenen Monarchie, einer solchen also, bei der alles vom König abhing. Diejenigen, die ihm nahestanden, besetzten die höchsten militärischen und administrativen Posten. An der Spitze der Hierarchie standen die Männer, die den höchsten militärischen Rang innehatten. Unter diesen waren die engsten Freunde des Königs unter dem Ehrentitel „Leibwächter“ (somato­ phylakes) bekannt. Der Offizier mit dem höchsten Dienstgrad war der 39

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­chiliarchos, „Befehlshaber über tausend Männer“, eine Funktion, die der des achämenidischen Wesirs entsprach und vermutlich aus der iranischen Tradition übernommen worden war. Einige Mitglieder der iranischen Aristokratie wurden auch in den innersten Kreis der „Verwandten“ (syngeneis) aufgenommen, denen es gestattet war, den König zu küssen. Elitesoldaten dienten als hetairoi, Gefährten, in der agema, einer Elitetruppe innerhalb der Kavallerie, sowie als Soldaten in den Eliteeinheiten der Infanterie. Alexanders Königsherrschaft wurzelte in drei unterschiedlichen monarchischen Traditionen – in der makedonischen, in der Achämenidendynastie und in der des pharaonischen Ägypten – sowie in seiner Funktion als hegemon des Hellenenbundes. Alexander kehrte nie nach Griechenland zurück, und keines der Gerüchte über seine letzten Pläne drehte sich um eine Rückkehr nach Makedonien. Das bedeutet allerdings nicht, dass er sich nicht um die Angelegenheiten in Griechenland und Makedonien kümmerte. Mit königlichen Briefen, Anordnungen (diagrammata) und durch Botschafter überbrachte Nachrichten machte er seinen Willen in den Städten bekannt, die formell seine Verbündeten und nicht Teil seines Herrschaftsgebiets waren. Diese Medien blieben bis zum Ende der hellenistischen Zeit wichtige Herrschaftsinstrumente. Alexanders Entscheidungen formten die hellenistische Welt in äußerst konkreter Weise: Er bestimmte die geographischen Grenzen dieser Welt im Osten und definierte den Charakter monarchischer Herrschaft, die Beziehungen zwischen König und Stadt, die Urbanisierung sowie die Integration lokaler Bevölkerungsteile und Traditionen. Die 13 Jahre seiner Herrschaft sind einer jener Zeitabschnitte der Geschichte, in denen die Uhr schneller getickt zu haben scheint als gewöhnlich. Alexanders Feldzug begann als Antwort auf Bedürfnisse und Entwicklungen seiner Zeit und endete mit der Verfolgung persönlicher Wünsche. Das Ausmaß, in dem Alexander den Lauf der Geschichte veränderte, lässt sich nicht bemessen. Mit Sicherheit beschleunigte er den Fall des Perserreichs und das Entstehen eines Netzwerks von Regionen, das weitaus größer werden sollte, als es sich irgendeiner seiner Zeitgenossen je hätte vorstellen können. Der Widerstand gegen ­ ­A lexander und die Tatsache, dass das Reich nach seinem Tod zerfiel, zeigen, dass der Makedone den Puls der Geschichte gewissermaßen in die Höhe ­getrieben hatte und dass seine Zeitgenossen das ebenso wenig begreifen konnten, wie sie in der Lage waren, mit ihm mitzuhalten. Es ist unwahrscheinlich, dass Alexanders eigener Lehrer und der größte Geist seiner Zeit, Aristoteles, die Politik seines Schülers verstand oder ­g uthieß. Abgesehen von dem Misstrauen gegenüber absoluter Monarchie 40

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vonseiten eines Philosophen, der, geboren in einer griechischen polis, sich dazu entschieden hatte, in Athen zu leben und zu lehren, der Stadt, die sich als Musterbeispiel für Freiheit und Demokratie betrachtete, hatte Aristoteles auch klare Vorstellungen von der natürlichen Überlegenheit der Griechen über die Barbaren: Es gibt auch noch eine andere Form der Monarchie, von der sich als Beispiele Königtümer bei einigen von den Barbaren finden. Ihnen allen ist eine Macht zu eigen, die jener von Tyrannen ähnlich ist, doch sind sie an Gesetze gebunden und erblich; denn da die Barbaren von Natur aus sklavischer sind als die Griechen, und die Asiaten als die Europäer, erdulden sie despotische Herrschaft ohne jeglichen Unmut.

Die Eingliederung von iranischen Soldaten in das makedonische Heer und die Mischehen zwischen Griechen und Nichtgriechen lassen sich kaum mit solchen Lehren in Einklang bringen. Ich frage mich, wie eine Stadt wie Alexandria, eine griechische polis, gepflanzt in ein Land mit theokratischen Traditionen, in dem die Präsenz königlicher Macht allgegenwärtig war, in Aristoteles’ Klassifizierungssystem der Verfassungen gepasst hätte. Der Philosoph starb kurz nach Alexander und hat somit noch einen Blick auf die Morgenröte einer neuen Welt erhaschen können. Was diese neue Welt bedeutete, bringt der Dichter Konstantinos Kavafis aus Alexandria (1863– 1933) in seinem Gedicht „Im Jahr 200 v. Chr.“ großartig zum Ausdruck: Und aus diesem wunderbaren panhellenischen Feldzug, diesem siegreichen, diesem in jeder Hinsicht glänzenden, diesem überall verherrlichten, diesem so gerühmten, wie nie zuvor einer gerühmt worden war, diesem unvergleichlichen, gingen wir hervor: die neue hellenische Welt, die große. Wir, die Alexandrier, die Antiochier, die Seleukier und die zahllosen anderen Griechen Ägyptens und Syriens und die in Medien und die in Persien und all die anderen. Mit unserer weitreichenden Oberhoheit, mit unserer flexiblen Praxis der umsichtigen Anpassung. Und unserer gemeinsamen Hellenischen Sprache, die wir bis nach Baktrien trugen, bis zu den Indern.

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2 Die Diadochen: Abenteurer und Architekten von Königreichen

Das Problem der Nachfolge (323 v. Chr.) Makedonische Könige starben für gewöhnlich nicht im Bett; sie fielen im Kampf oder wurden ermordet. In der traditionellen makedonischen Monarchie erlangte ein neuer König seine Legitimierung per Akklamation durch das Heer. Er war in erster Linie ein militärischer Befehlshaber. Wie in den poleis die Bürgerversammlungen ihre Militärführer und andere Beamten wählten, so berief auch die makedonische Versammlung von Kriegern den Mann, der sie in die Schlacht führen würde. Das dynastische Prinzip der Nachfolge wurde respektiert, aber der neue König war nicht immer der ­ä lteste Sohn des verstorbenen Königs – nicht einmal zwingend sein Sohn. Als Philipp 336 v. Chr. ermordet wurde, war es alles andere als selbstverständlich, dass Alexander ihm nachfolgen würde. Philipps Neffe Amyntas, der Sohn von König Perdikkas III., hatte immer noch Anspruch auf den Thron, und Alexander hatte zwei Halbbrüder: den älteren Arrhidaios, 359 v. Chr. geboren, und Karanos, den minderjährigen Sohn von Philipps letzter Gemahlin. Arrhidaios hatte eine Behinderung, Karanos’ Thronansprüche ­hätten jedoch von seinen Verwandten mütterlicherseits, die Mitglieder des makedonischen Adels waren, unterstützt werden können. Unmittelbar nachdem das Heer Alexander zum König erklärt hatte, wurden Amyntas und Karanos getötet. Dieses Blutvergießen von 336 v. Chr. war noch nicht vergessen, als Alexander 13 Jahre später starb. Und die älteren Generäle in Alexanders Armee hatten auch zwischen 369 und 359 v. Chr. schon Königsmorde und Usurpationen miterlebt. Derartige Erfahrungen ließen kaum auf eine friedliche Machtübertragung hoffen. Wenn sich 359 und 336 v. Chr. die Frage gestellt hatte, wer König der ­Makedonen werden sollte, war die Lage 323 v. Chr. weitaus komplizierter. Ein Großteil der makedonischen Armee, die einen neuen König akklamieren 43

Die Diadochen

konnte, befand sich in Makedonien, nur ca. 6000 Soldaten waren in Babylon geblieben. Und Alexander war mehr als nur makedonischer König und Oberbeamter des Thessalischen Bundes. Er war der Anführer des Hellenenbundes und, noch wichtiger, der Herrscher eines Reiches, das er persönlich erobert hatte. Dass Alexander selbst keine Vorkehrungen für seine Nachfolge getroffen hatte, machte es nicht gerade einfacher. Bei seinem Tod übergab Alexander seinen Siegelring einem seiner höchsten Offiziere, Perdikkas, der chiliarchos (Wesir) war. Das bedeutete jedoch nicht, dass er ihm den Thron überließ; es verlieh Perdikkas lediglich die Autorität, die Machtübertragung zu überwachen. Zum Zeitpunkt von Alexanders Tod war es unvorstellbar, dass eine Person außerhalb der Argeadendynastie zum König erklärt werden könnte. Nur ein enger Verwandter kam infrage: ein Bruder, ein Sohn oder ein Schwager. Der König hinterließ zwei Witwen: Roxane, seit 327 v. Chr. seine Gattin, war schwanger. Stateira, die Tochter von Dareios III., hatte Alexander erst ein Jahr vor seinem Tod geheiratet und ihm keine Kinder geboren. Einige Quellen behaupten, dass ­A lexander einen außerehelichen Sohn mit seiner Geliebten Barsine, einen Jungen namens Herakles, gehabt haben könnte. Alexanders ältere Schwestern, Kynnane und Kleopatra, waren verwitwet; eine dritte Schwester, Thessalonike, nun Mitte zwanzig, war (überraschenderweise) noch unverheiratet. Für ehrgeizige Männer des makedonischen Adels wären alle drei Frauen gute Partien gewesen, doch keine von ihnen befand sich in Babylon. Sie waren in Makedonien bei Alexanders Mutter Olympias, die immer noch eine einflussreiche Persönlichkeit am Hof war. Nur Alexanders älterer Halbbruder Arrhidaios hielt sich in Babylon auf – trotz seiner Behinderung hatte er Alexander auf seinem Feldzug begleitet. Das Heer erklärte also Arrhidaios zum König, doch seine Herrschaft muss als Übergangslösung betrachtet worden sein, bis Alexanders ungeborenes Kind volljährig sein würde oder es einem von Alexanders Generälen gelingen würde, sich auf irgendeine Art die Legitimierung der Herrschaft über das Königreich von Makedonien oder das gesamte Reich zu verschaffen. Der neue König, der den Königsnamen Philipp III. annahm, wurde unter die Vormundschaft von Krateros, einem der höchsten Offiziere, gestellt, während den wichtigsten Militärkommandanten Aufgaben in der Reichsverwaltung übertragen wurden. Als Roxane wenige Monate später einen Sohn zur Welt brachte, wurde auch dieser, als Alexander IV., zum König erklärt und demselben Vormund anvertraut. Was dachten wohl die älteren Herren, die erst für Philipp und dann für Alexander gekämpft hatten? Und noch wichtiger: Was ging den jüngeren 44

Das Problem der Nachfolge (323 v. Chr.)

Männern durch den Kopf, die mitangesehen hatten, wie ihr Kindheitsgefährte die damals bekannte Welt erobert hatte, Herrscher eines Vielvölkerreiches geworden war, sich allmählich von den meisten von ihnen distanziert hatte, Züge eines orientalischen Despoten angenommen und sogar den Status eines Gottes erlangt hatte? Alle historischen Berichte, die wir haben, betrachten die Ereignisse dieser Jahre von ihrem Ergebnis her – der Aufspaltung des Reiches und der Schaffung dreier großer und mehrerer kleiner Königreiche. Doch konnte im Jahr 323 v. Chr. niemand wissen, was kommen würde, nicht einmal, ob Roxane einen Jungen oder ein Mädchen zur Welt bringen würde. Alexander hatte weniger als sieben Jahre gebraucht, um das Perserreich zu unterwerfen; seine Generäle benötigten letztlich 17 Jahre, um es zu wagen, sich selbst zum König zu erklären, was zeigt, wie sehr sie zögerten, mit der Tradition der Argeadendynastie zu brechen. Wir wissen nicht, ob 323 v. Chr. eine Teilung des Reiches überhaupt als Option betrachtet wurde. Erst 281 v. Chr., mehr als 40 Jahre nach Alexanders Tod, wurde diese Vision von einem einzelnen Herrscher über das Reich, oder einen Großteil davon, aufgegeben. Alexanders Schatten lastete weiterhin schwer auf seinen Gefährten. Als einer von ihnen, Kassander, eine Statue Alexanders sah, sollen sich an ­seinem Körper alle Symptome von Angst gezeigt haben: Schaudern, Zittern und Schwindelgefühl. Selbst tot rief Alexander nicht nur Furcht hervor, sondern fachte auch Ehrgeiz an, und er konnte Legitimität verleihen. Sein Leichnam, die Insignien seiner Macht sowie seine Familienmitglieder wurden zu bedeutenden Instrumenten für Propaganda und Legitimierung. Aus diesem Grund entführte Ptolemaios, einer der Generäle, Alexanders Leichnam, um ihn in seiner eigenen Provinz, Ägypten, beerdigen zu lassen. Obwohl die antiken Quellen das Begräbnis explizit in Alexandria lokalisieren, hindert das phantasiebegabte Archäologen nicht daran, auch anderswo nach seinem Grab zu suchen. Auch die Vormundschaft über die Könige Philipp III. Arrhidaios und Alexander IV. war ein äußerst umkämpftes ­ ­Privileg. Kassander bemühte sich um Legitimierung, indem er Alexanders Schwester Thessalonike heiratete. Ein extremes Beispiel für die Instrumentalisierung der Hinter­lassenschaften Alexanders ist das Verhalten von Eumenes, einem seiner höchsten Offiziere: Bei Militärratsversammlungen während eines Krieges in Kleinasien präsentierte er Alexanders Thron und insinuierte so die ­A nwesenheit des toten Königs. Als man Alexander auf seinem Totenbett fragte, wem er seine Königsherrschaft überlassen würde, soll er geantwortet haben: „Dem Besten; ich 45

Die Diadochen

sage vorher, dass meine Freunde als Leichenspiele für mich einen großartigen Wettkampf organisieren werden.“ Se non è vero, è ben trovato. Sein Tod entfachte eine Abfolge von Kriegen, die als Wettkampf zwischen ehrgeizigen und mächtigen Männern – und einigen ihrer Frauen – um die höchste Macht gesehen werden können. Das Resultat dieser Kriege war nicht nur eine völlig neue politische Landschaft, sondern auch eine neue Auffassung von monarchischer Herrschaft, die zunächst stärker auf Charisma als auf dynastische Legitimität gründete.

Die Diadochen: eine Porträtgalerie des Ehrgeizes Die zahlreichen Protagonisten dieser Epoche werden die „Diadochen“ genannt, weshalb auch der Zeitraum ununterbrochener Kriege zwischen Alexanders Tod und der endgültigen Teilung des Reiches 281 v. Chr. als „Diadochenzeit“ bekannt ist. Einige dieser Diadochen waren alte Männer aus Philipps Generation, Mitglieder der makedonischen Aristokratie. Antipatros, 75 Jahre alt und Regent von Makedonien seit 334 v. Chr., stand für Kontinuität und Autorität. Der 60-jährige Antigonos Monophthalmos (der Einäugige), der während des Feldzugs das Kommando über die griechischen Verbündeten innegehabt hatte, regierte nun Großphrygien, eine der bedeutendsten Provinzen in Kleinasien (s. Karte 3). Alt mögen diese Männer gewesen sein, sie waren aber zugleich die Väter von ehrgeizigen Söhnen. Antipatros’ Sohn Kassander, geboren um 350 v. Chr., hielt sich zum Zeitpunkt von Alexanders Tod in Babylon auf und muss Hoffnungen gehegt haben, der Nachfolger seines Vaters zu werden. Der Sohn von Antigonos Monophthalmos, Demetrios, war damals erst 14 Jahre alt, doch sollte er bald zu einem der bedeutendsten Diadochen werden und sich später den Beinamen Poliorketes (Städtebelagerer) verdienen. Unter den zahlreichen Offizieren, die in die Auseinandersetzungen verwickelt waren, die sich nach Alexanders Tod entfalteten, sollten drei Männer die nächsten 40 Jahre das politische Feld dominieren. Sie waren Alexanders Freunde seit Kindestagen und Mitglieder des engen Kreises der „Leibwächter“: Ptolemaios, 44 Jahre alt, wurde zum Satrapen der wichtigen Provinz Ägypten ernannt; Lysimachos, um die 38 Jahre alt, wurde Statthalter von Thrakien, jener Provinz, die Europa und Asien miteinander verband; und Seleukos, 35 Jahre alt, folgte Perdikkas als chiliarchos nach. Auch Eumenes, der königliche Sekretär Alexanders, hatte eine wichtige administrative Stellung inne. 46

Der Lamische oder Hellenische Krieg (323/322 v. Chr.)

So sehr das tatsächliche Machtvakuum diese Männer auch zu Hoffnungen und Träumen inspirierte, waren sie doch an Alexanders Hof gewohnt gewesen, einander als ebenbürtig zu sehen. Wie konnten sie es nun akzeptieren, dass einer von ihnen in die Position aufstieg, die einst der tote König innegehabt hatte? Sollte einer von ihnen versuchen, zu viel Macht zu erlangen, würden sich, so stand zu erwarten, die anderen gegen ihn verbünden. Diese Bedrohung hielt die wichtigsten Protagonisten jedoch nicht davon ab, zu versuchen, sich mehr Macht zu verschaffen, wie es Alexander mit großer Leidenschaft mehr als ein Jahrzehnt lang vorgemacht hatte. Ihre widerstreitenden Ambitionen machen die politische Geschichte dieser Epoche zu einer verwirrenden Abfolge von Kriegen und renversements des alliances, für gewöhnlich begleitet von Ehen, die zwischen einem Diadochen und der Schwester oder Tochter eines anderen arrangiert wurden, aber meist nur kurze Zeit hielten. Viele Einzelheiten sind, was die Ereignisse dieser Epoche betrifft (s. die Zeittafel, S. 463–465), immer noch ungewiss, auch wenn neu gefundene Inschriften immer wieder zusätzliche Informationen liefern. Nur einige wenige der bedeutendsten Entwicklungen werden hier zusammengefasst – sie charakterisieren die Natur der Konflikte und die Pläne und Erwartungen der Protagonisten am besten.

Der Lamische oder Hellenische Krieg (323/322 v. Chr.) „Wenn Alexander wirklich tot wäre, würde die ganze Welt nach seiner Leiche stinken“, soll der athenische Redner Demades gesagt haben, als die Nachricht vom Tod Alexanders Athen erreichte. Als die Neuigkeit bestätigt wurde, riet Demosthenes seinen Landsleuten, sich von der makedonischen Vorherrschaft zu befreien. Sie hatten gute Gründe, seinem Rat zu folgen. Das „Verbanntendekret“ (s. S. 34f.) hatte große Unzufriedenheit hervorgerufen, und die Athener waren in der Lage, einen Krieg gegen Antipatros zu finanzieren – ironischerweise mit Alexanders Geld: 324 v. Chr. war Harpalos, der abtrünnige Schatzmeister des Königs, mit der enormen Summe von angeblich 5000 Talenten und einer kleinen Armee von 6000 Söldnern in ihre Stadt gekommen. Dieses Geld konnte man nun nutzen, um Söldner anzuheuern. Tausende von ihnen, die arbeitslos geworden waren, nachdem Alexander die Armeen der Satrapen aufgelöst hatte, warteten am Kap Tainaron auf einen Arbeitgeber. Athen fand Verbündete unter den ­ 47

Die Diadochen

g ­ riechischen Staaten, die ihre Gründe hatten, sich einer makedonischen Führerschaft zu widersetzen. Die zeitgenössische Bezeichnung dieses Krieges – „Hellenischer Krieg“ – weist darauf hin, dass die griechischen Städte und Städtebünde, die sich mit Athen verbündeten, ihren Kampf als den der freien griechischen Staaten gegen makedonische Herrschaft propagierten. Eine Inschrift nennt ihn „den Krieg, den das athenische Volk für die Freiheit der Hellenen kämpfte“. Nach anfänglichen Erfolgen aufseiten der Hellenen war Antipatros gezwungen, sich in die thessalische Stadt Lamia zurückzuziehen, wo er vom Winter 323 bis zum Frühjahr 322 v. Chr. belagert wurde – daher die Bezeichnung „Lamischer Krieg“. Doch da wendete sich das Blatt für die Hellenen. Nach einem makedonischen Sieg bei Krannon im September 322 v. Chr. kapitulierten sie bedingungslos. Demosthenes wurde zusammen mit anderen antimakedonischen Anführern von der athenischen Volksversammlung verurteilt und kam als Schutzflehender in das Heiligtum des Poseidon in Kalauria; dort beging er Selbstmord, um einer Verhaftung zu entgehen. Für Gelehrte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts markierte Demosthenes’ Tod das Ende der Geschichte der freien griechischen Staaten. Nach der Niederlage der Griechen wurden in den Städten oligarchische Regimes und Besatzungen eingerichtet. Doch der Traum von der Freiheit lebte fort. Das Versprechen von eleutheria (Freiheit), autonomia (Autonomie) und Befreiung von Besatzung wurde zu einem bedeutenden Propaganda­ instrument – einige Diadochen setzten es ein, um die griechischen Städte als Unterstützer im Kampf gegen ihre Feinde zu gewinnen. Auch wenn ­d ieses Versprechen immer wieder gebrochen wurde: Erst nach der Gründung des Römischen Reiches gaben die Griechen ihren Traum auf.

Von Warlords zu Königen (322–306 v. Chr.) Die Unruhen in Griechenland waren nicht die einzige Bedrohung, mit der sich die Diadochen unmittelbar nach Alexanders Tod konfrontiert sahen. Große Teile Kleinasiens befanden sich nicht wirklich unter der Kontrolle ihrer Satrapen, und die erfolglosen Kriege der Diadochen in den folgenden Jahrzehnten führten zur Entstehung von Kleinkönigreichen (s. Karte 5). In Kappadokien wurde 322 v. Chr. der rebellierende König Ariarathes I. gekreuzigt, doch sein Neffe und Adoptivsohn Ariarathes II. besiegte 301 v. Chr. den makedonischen Satrapen und begründete eine Dynastie, die 48

Von Warlords zu Königen (322–306 v. Chr.)

mehr als zwei Jahrhunderte Bestand haben sollte. In Bithynien verteidigte der lokale Herrscher Zipoites erfolgreich sein Reich gegen makedonische Armeen (326–301 v. Chr.) und nahm 297 v. Chr. den Königstitel an; das Königreich, das er gründete, sollte eines der bedeutendsten an der Peripherie der großen Reiche werden, die aus den Kriegen dieser Epoche hervorgingen. Kaum waren die Auseinandersetzungen in Griechenland und Kleinasien zu Ende, brachen die Kriege der Diadochen untereinander aus. In den ersten Jahren, als Alexanders rechtmäßige Erben noch am Leben waren, richteten die Hauptakteure ihre Bemühungen darauf aus, militärische Stärke zu erlangen: und zwar durch Bündnisse mit griechischen Städten sowie durch die Kontrolle von Provinzen, die ihnen Tribut zahlten und als Rekrutierungsbasis für Söldner dienten. Der Verschiedenartigkeit ihrer Besitztümer entsprechend griffen die einzelnen Diadochen auf unterschiedliche Strategien zurück (s. Karte 3). Ptolemaios war klar im Vorteil durch seine Kontrolle über Ägypten, ein homogenes Gebiet mit unermesslichen Ressourcen und einer jahrhundertealten Tradition monarchischer Herrschaft. Kassander gründete seine Macht auf den Besitz von Makedonien und eines Großteils von Thessalien sowie auf die Kontrolle über eine Reihe von wichtigen Städten, einschließlich Athens, wo Garnisonstruppen stationiert und oligarchische Regimes und Tyrannen unterstützt wurden. Lysimachos’ Machtbasis war die strategisch wichtige Provinz Thrakien. Nach 312 v. Chr. kontrollierte Seleukos das Herz des Reiches, Babylonien und Mesopotamien, was ihm Zugang zu großem Reichtum und zur Reichsarmee verschaffte. Antigonos, der schon sehr früh deutlich machte, dass er den Ehrgeiz hatte, das gesamte Reich unter seiner Herrschaft zu vereinen, agierte an verschiedenen Fronten, von Babylonien bis Syrien und von Griechenland bis Kleinasien. Seine größten Vorteile waren seine Flotte, die Kontrolle über die Häfen sowie die Unterstützung der Griechen, die seinem Versprechen vertrauten, dass er ihre Städte befreien würde. Immer wenn einer der Diadochen zu viel Macht zu gewinnen schien, schlossen sich die anderen gegen ihn zusammen. War er besiegt, wurden Abkommen geschlossen, die jedoch gleich wieder gebrochen wurden, sobald sich einem der Bündnispartner die Gelegenheit bot, seinen eigenen Machtbereich zu vergrößern oder sogar Kontrolle über das gesamte Reich zu erlangen. Dann war er es, der von seinen Verbündeten im Stich gelassen wurde, und es bildeten sich neue Bündnisse, bis der neue überehrgeizige Feldherr besiegt war. Es war eine Zeit von Ehrgeiz, Hoffnung und Verrat, von Abenteuern und abrupten Schicksalswendungen. Kein Wunder, dass die 49

Die Diadochen

verschiedenen Darstellungen, die diese Zeit behandeln, plötzliche Kehrtwenden des Schicksals (peripeteiai) und unerwartete Entwicklungen (para­ doxa) in den Mittelpunkt stellen. Die meisten der Protagonisten dieser ­Epoche wurden, einer nach dem anderen, ermordet, von ihren O ­ ffizieren verraten oder von ihren Verbündeten getötet – im besten Fall fielen sie in der Schlacht. 310 v. Chr. war die Argeadendynastie ausgelöscht, womit der Königstitel von nun an auch für Männer der makedonischen Elite außerhalb der alten Dynastielinie frei war. Der erste große Wendepunkt dieses Zeitalters war der Krieg einer Koalition aus beinahe allen Diadochen gegen Perdikkas, der 320 v. Chr. in Ägypten eingefallen war. Eben dorthin hatte Ptolemaios, der Satrap dieser Provinz, Alexanders Leichnam gebracht, um ihn im Herbst 321 v. Chr. in Alexandria zu bestatten; damit hatte er sich eines der bedeutendsten Symbole der Kontinuität mit der Argeadendynastie angeeignet. Perdikkas wurde nun von seinen eigenen Offizieren ermordet, Krateros, der Vormund der Könige, fiel auf dem Schlachtfeld in Kleinasien. Die verbleibenden Diadochen schlossen im Sommer 320 v. Chr. in Triparadeisos in Nordsyrien ein Abkommen, das Antipatros als Regenten in Europa bestätigte und ihn zum Vormund der beiden Könige machte. Antigonos Monophthalmos folgte Perdikkas als Oberbefehlshaber des Heeres nach. Diese Position und die Heirat seines Sohnes Demetrios mit Antipatros’ Tochter Phila machten ihn zu einem der mächtigsten Männer im Reich. Ihm wurde auch die Mission übertragen, gegen die verbleibenden Perdikkas-Anhänger in Kleinasien Krieg zu führen. Das war zwar eine mühsame Aufgabe, aber sie verschaffte ihm immerhin das Kommando über große Armeen. Von den anderen Diadochen behielt Ptolemaios seine Provinz Ägypten und Lysimachos Thrakien, während Seleukos, einer der Offiziere, die Perdikkas verraten hatten, Babylonien erhielt, eine Region mit enormen Ressourcen. Niemand konnte vorhersehen, dass diese „Konferenz von Triparadeisos“ die Grundlagen für die Teilung des Reiches 40 Jahre später bereiten würde. Antipatros starb ein Jahr später, nachdem er Polyperchon, einen makedonischen Adligen, zum Vormund der Könige ernannt hatte, und nicht ­seinen eigenen Sohn Kassander. Von den Maßnahmen seines Vaters enttäuscht, verbündete sich dieser mit Antigonos und anderen Diadochen gegen Polyperchon, dessen einziger Unterstützer in Kleinasien der der rechtmäßigen Herrschaft der Argeaden treu ergebene Eumenes war. Vier Jahre Krieg – während dieser Zeit ermordete Olympias König Philipp III., und 315 v. Chr. wurde Eumenes getötet – brachten Kassander dem Thron in 50

Von Warlords zu Königen (322–306 v. Chr.)

Makedonien ein Stück näher. Indem er für das standesgemäße Begräbnis des ermordeten Königs und seiner Familie auf dem königlichen Friedhof von Aigai sorgte, erfüllte er die traditionelle Pflicht des Thronfolgers. Darüber hinaus war er der Vormund des verbleibenden Königs, Alexander IV., und er heiratete Alexanders Schwester Thessalonike und benannte eine neugegründete Stadt nach ihr. Die einzigen Hindernisse, die noch zwischen ihm und dem Thron standen, waren ein siebenjähriger Junge, der rechtmäßige König Alexander IV., und der Ehrgeiz der übrigen Diadochen. Der älteste von ihnen, Antigonos Monophthalmos, erwies sich nun als mächtigster Mann im zersplitternden Reich. Der jüngste der Diadochen war sein Sohn Demetrios, geboren 337 v. Chr. – seine Jugend und Schönheit, sein strategisches Geschick und sein Ehrgeiz ließen ihn wie einen neuen Alexander wirken. Antigonos vereinigte einen wesentlichen Teil der Gebiete in Asien unter seiner Macht. Selbst Seleukos, der Statthalter von Babylonien, bekam diesen Druck zu spüren und musste Zuflucht in Ägypten suchen. Doch dann sah sich der mächtigste Diadoche dem Widerstand aller anderen gegenüber. Kassander, Ptolemaios, Seleukos und Lysimachos bildeten 314 v. Chr. ein neues Bündnis, stellten Antigonos ein Ultimatum und forderten eine Neuverteilung der Provinzen. Antigonos reagierte mit einem sorgfältig inszenierten Schauspiel: Er versammelte das Heer, das in der Tradition des makedonischen Königtums die Quelle zur Legitimierung wichtiger Entscheidungen war, in Tyros und ließ es per Akklamation ein Dokument bestätigen, das Kassander zum Staatsfeind erklärte und ihn dazu aufforderte, Alexander IV. freizulassen, die Garnisonen aus den griechischen Städten abzuziehen und diesen ihre Freiheit zu geben. Antigonos sprach damit einerseits die Loyalität der Armee gegenüber dem rechtmäßigen Argeadenkönig an und andererseits den Wunsch der griechischen Städte, frei und autonom zu bleiben. Polyperchon und sein Sohn Alexandros, der die Kontrolle über Teile Südgriechenlands innehatte, verbündeten sich mit Antigonos, und ein neuer Krieg begann. Antigonos und seine Verbündeten konnten in Griechenland einige Erfolge feiern, doch gelang es ­Seleukos 312 v. Chr., die Kontrolle über seine Provinz Babylonien zurückzugewinnen. 311 v. Chr. stellte ein Friedensabkommen den Status quo von 314 v. Chr. wieder her, doch war klar, dass dieser Friede nicht von Dauer sein würde. Kassander beseitigte das letzte Element der Kontinuität, indem er 310 v. Chr. die Ermordung Alexanders IV. in Auftrag gab. Auch Herakles, ein Jugendlicher, der als uneheliches Kind Alexanders von einer persischen Adligen und damit als nächster in der Thronfolge galt, wurde umgebracht. 51

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Das „biologische Ende“ der Argeadendynastie hatte zur Folge, dass der Titel basileus (König) nun naturgemäß nicht mehr von einem Mitglied von Alexanders Familie getragen werden konnte; jeder konnte nun Anspruch darauf erheben. Überraschenderweise tat es niemand. Zu diesem Zeitpunkt wäre zu erwarten gewesen, dass Kassander, der einzige Diadoche, der durch seine Heirat mit Alexanders Schwester mit der Argeadendynastie verbunden war, seine Ausrufung als König ins Werk setzen würde. Zum König wurde man jedoch nicht durch die Ermordung von Jugendlichen, sondern durch einen militärischen Sieg. Dieser Sieg stand noch bevor, und er sollte einem anderen Diadochen vergönnt sein. Die meisten Diadochen sahen in dem freien Platz auf dem Thron eine Einladung, die Teilung des Reiches zu besiegeln und zu versuchen, ihrem jeweiligen Anteil so viele Gebiete wie möglich hinzuzufügen. Antigonos nahm es als Herausforderung, das Reich unter seiner Alleinherrschaft wieder zu vereinen. Zunächst gelangen ihm beeindruckende Erfolge. Sein Sohn Demetrios befreite 307 v. Chr. Athen von den Garnisonstruppen Kassanders, was für die freiheitsliebenden Griechen ein Ereignis von großer sym­bolischer Bedeutung war. Kurz darauf besiegte Demetrios die Flotte des ­P tolemaios bei Salamis auf Zypern (s. Abb. 3). Der Seesieg bei Salamis war strategisch gesehen nicht so bedeutsam wie sein früheres Pendant – der Sieg der Griechen über die Perser 480 v. Chr. bei Salamis in der Nähe von Athen –, doch markierte er einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte dieser Epoche, die Diadochen traten endgültig aus dem Schatten Alexanders heraus. Demetrios soll einen Gesandten, Aristodemos, losgeschickt haben, um seinem Vater den Sieg zu verkünden. Wahrscheinlich auf Demetrios’ Anweisungen hin – wir wissen, dass Demetrios ein Meister der Inszenierung war – ließ der Gesandte Antigonos und die versammelte Armee zunächst im Unklaren über den Ausgang der Schlacht. Plutarch beschreibt die dramatische Szene, die Erzählung eines zeitgenössischen Historikers zusammenfassend: Aristodemos gab niemandem eine Antwort, sondern näherte sich Schritt für Schritt mit einer feierlichen Miene, ohne ein Wort zu sagen. Antigonos, der deswegen überaus besorgt war und sich nicht länger zurückhalten konnte, kam Aristodemos zur Tür entgegen; dieser wurde nun schon von einer großen Menschenmenge begleitet, die zum Palast eilte. Als er sich ihm genähert hatte, streckte er seine Hand aus und rief mit lauter Stimme: „Heil, König Antigonos, wir haben Ptolemaios in einer Seeschlacht besiegt und halten Zypern und haben 16 000 Soldaten als Kriegsgefangene.“

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Von Warlords zu Königen (322–306 v. Chr.)

Abb. 3 Diese Silbertetradrachme von Demetrios Poliorketes erinnert an dessen Sieg bei Salamis; Avers: Nike steht mit einer Trompete auf dem Vorderdeck des Bugs einer Galeere; Revers: Poseidon. Münzstätte von Ephesos, ca. 301–295 v. Chr. Numismatisches Museum Athen.

Aristodemos’ Verkündigung erinnert an Schauspielerei. In seinen Bewegungen, seinem Gesichtsausdruck und seiner Körpersprache imitierte er die Rolle des Boten in der Tragödie, wie sie das Volk unzählige Male auf der Theaterbühne gesehen hatte. Erst nachdem er sich der Aufmerksamkeit seines Publikums vergewissert und Spannung erzeugt hatte, verkündete er den Sieg. Von größerer Bedeutung als die Verkündigung an sich war jedoch der Gruß „Heil, König Antigonos“. Die Jubelrufe der Offiziere und Soldaten am „Hof“ des Antigonos kamen der Akklamation eines Königs durch die makedonische Armee gleich und verliehen Antigonos’ Königtum somit den Anstrich von Legitimität. Der neue König gründete die nach ihm benannte neue Stadt Antigoneia am Fluss Orontes und nahm dort als Zeichen seines neuerworbenen Status das Diadem an. Auch seinem Sohn sandte er ein Diadem. Als Antigonos und Demetrios den Königstitel angenommen hatten, zogen die anderen Diadochen rasch nach. 306 v. Chr. ließen sich Ptolemaios, Seleukos, Lysimachos und Kassander zu Königen ausrufen. Aber wovon oder von wem waren sie Könige? Waren sie Könige in der Nachfolge Alexanders? Waren sie Könige von Territorialkönigreichen? Weder bei ihnen noch bei ihren Nachfolgern wurde der Königstitel von einer ethnischen oder geographischen Bestimmung begleitet, wie dies beispielsweise beim „König der ­Epiroten“ der Fall war. Dieses Fehlen einer ethnischen oder geographischen 53

Die Diadochen

Angabe impliziert, dass die Diadochen Könige all jener Länder waren, die sie würden erobern und in ihrem Besitz halten können. Zumindest zwei von ihnen, Antigonos und sein Sohn Demetrios, scheinen den Ehrgeiz besessen zu haben, eine „Universalherrschaft“ anzustreben. Das „Jahr der Könige“, wie 306 v. Chr. auch genannt wird, brachte keine Lösung für die Frage der Nachfolge Alexanders; es war lediglich der Beginn einer neuen Phase von Kriegen.

Imperialistische Träumereien (306–281 v. Chr.) Beinahe fünf Jahre lang waren Makedonien und das Reich ohne König (310– 306 v. Chr.). Nun gab es plötzlich sechs Könige, und es wurden immer mehr. 297 v. Chr. nahm der Herrscher von Bithynien, Zipoites, als erster nichtgriechischer Herrscher in Kleinasien den Königstitel an. Auf Sizilien wurde Agathokles 304 v. Chr., dem Beispiel der Diadochen folgend, zum König ausgerufen. Die Unbestimmthei des Titels „König“ lud seine Träger dazu ein, ihrem jeweiligen Reich so viele Gebiete hinzuzufügen, wie sie konnten. Das suchten sie in einer neuen Phase von Kriegen zu erreichen. Die denkwürdigste Episode war Demetrios’ Belagerung der Insel Rhodos, eines Verbündeten von Ptolemaios, in den Jahren 305 und 304 v. Chr. Auch wenn es Demetrios nicht gelang, die Hauptstadt einzunehmen, brachte ihm sein Erfindungsreichtum während der Belagerung doch den Spitznamen Poliorketes ein: Seine Ingenieure konstruierten eine bewegliche Belagerungsmaschine, die helepolis. Es handelte sich um eine turmartige Holzkonstruktion, die aus neun Stockwerken bestand, auf Rädern gezogen wurde und mit Brandschutzvorrichtungen und Treppen ausgestattet war; ein langer herausragender Balken lief zu einer kegelförmigen Spitze zu, die mit einem Widderkopf verziert war. Von dem Verkauf ebendieser riesigen Belagerungsmaschinen, die Demetrios’ Ingenieure konstruiert hatten, finanzierten die siegreichen Rhodier zwölf Jahre später ein Kriegsdenkmal: eine 30 Meter hohe Statue ihrer Schutzgottheit Helios, der Sonne. 226 v. Chr. wurde diese Statue, die den rhodischen Hafen beherrschte, durch ein Erdbeben zerstört, doch ihre Berühmtheit als eines der sieben Weltwunder der Antike dauert fort, und ihre Rekonstruktion regt die Fantasie der Kunsthistoriker an. Es ist der Koloss von Rhodos (s. Abb. 4). Von ihrem militärischen Erfolg ermutigt, erneuerten Antigonos und Demetrios den Hellenenbund – und gaben damit das Ausmaß ihres Ehrgeizes zu erkennen. Als Befehlshaber dieses Bündnisses hatte Alexander die Grie54

Imperialistische Träumereien (306–281 v. Chr.)

Abb. 4 Der Koloss von Rhodos, eines der sieben Weltwunder der Antike. Kupferstich von Philip Galle (1537–1612) nach Maarten van Heemskerck (1498–1574). The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City.

chen auf seinem Feldzug nach Asien angeführt. Dass Antigonos und Demetrios den Bund 302 v. Chr. wieder zum Leben erweckten und viele griechische Städte unter ihrer Führung vereinten, offenbart das bewusste Bemühen, Alexanders Position als hegemon der Griechen zu übernehmen. Ihre Entscheidung bestätigt den Verdacht, dass sie zu diesem Zeitpunkt danach strebten, Alexander als alleinige Herrscher des Reiches nachzufolgen. Dies bedeutete natürlich auch, dass sie das Risiko einer direkten Konfrontation mit den vereinten Kräften der anderen Diadochen eingingen. Die Reaktion kam wie erwartet: Seleukos, Lysimachos und Ptolemaios schlossen sich gegen diese „deutliche und gegenwärtige Gefahr“ zusammen. Es ist ungewiss, ob die übrigen Diadochen ähnliche Ambitionen wie ­A ntigonos verfolgten, aber für Seleukos ist dies wahrscheinlicher als für die anderen. Nachdem er seine Herrschaft in Mesopotamien und im Osten des 55

Die Diadochen

Irans gefestigt hatte, hatte auch Seleukos Alexander imitiert und einen Feldzug nach Indien ins Werk gesetzt. Auch wenn es ihm nicht gelang, östlich des Indus dauerhaft seine Herrschaft zu etablieren, war sein Feldzug von unmittelbarer militärischer Bedeutung und hatte indirekt auch ideologische und kulturelle Konsequenzen. Er brachte ihn mit einem Königreich in Kontakt, das in der Folge von Alexanders Feldzügen entstanden war. Chandragupta (bei den Griechen Sandrokottos), ein Abenteurer und Militärführer, hatte sich mithilfe seiner militärischen Schlagkraft politische Macht verschafft, das Mauryakönigreich in der Ganges-Ebene gegründet und seinen Herrschaftsbereich allmählich vom Ganges bis zum Indus ausgedehnt. Seleukos gelang es nicht, ihn zu besiegen, aber Chandragupta unterzeichnete 303 v. Chr. ein Abkommen, in dem Seleukos ihm alle Gebiete zwischen dem Paropamisos und dem Indus zugestand, im Gegenzug für die Anerkennung seiner Oberhoheit und für 500 Kriegselefanten – eine mächtige Waffe, die Seleukos einen unerwarteten militärischen Vorteil gegenüber seinen Gegnern verschaffte. Auf ideologischer Ebene machte ihn dieser Feldzug zum neuen Alexander. Seine Leistung sollte ein Jahrhundert später von seinem Nachkommen Antiochos III. imitiert werden (s. S. 192). Das Abkommen hatte unvorhersehbare kulturelle Auswirkungen: Seleukos’ Abgesandter Megasthenes verfasste einen Bericht über seine Reisen und die Organisation des Maurya-Hofes – eine unserer wichtigsten Quellen für die Frühgeschichte Indiens. Da Seleukos durch seine Kriegselefanten Verstärkung bekommen hatte und seine östlichen Grenzen abgesichert waren, zog er nun nach Kleinasien und vereinigte sich dort mit Lysimachos. Die entscheidende Schlacht fand 301 v. Chr. bei Ipsos in Phrygien statt. Als Anführer der Kavallerie imitierte Demetrios Alexanders gewagte Angriffsmanöver und besiegte die ihm direkt gegenüberstehende Frontlinie. Doch beging er einen fatalen Fehler: Er verfolgte die fliehenden Feinde, ohne die Lücke zu bemerken, die er in der Armee seines Vaters hinterließ. Seleukos nutzte diese Gelegenheit. Er drang mit seinen Elefanten in diese Lücke ein und besiegte Antigonos’ Truppen. Der 81-jährige König fiel in der Schlacht, wobei er bis zuletzt darauf gehofft hatte, dass sein Sohn ihn noch rechtzeitig retten würde. Demetrios blieb ein mächtiger Akteur; er kontrollierte einige Küstenstädte in Kleinasien sowie die Insel Zypern und die wichtigen Flottenstützpunkte Tyros und Sidon. Es war auch abzusehen, dass die siegreiche Allianz unmittelbar nach dem Sieg auseinanderbrechen würde. Und tatsächlich ­gewann Lysimachos große Gebiete in Kleinasien für sich, womit er Seleukos’ 56

Imperialistische Träumereien (306–281 v. Chr.)

Hoffnungen auf eine Expansion nach Westen zunichtemachte. Ptolemaios, der bei der Schlacht nicht anwesend war, hatte die Gelegenheit genutzt und Koilesyrien (das sogenannte hohle Syrien) erobert, das in etwa dem heutigen Südsyrien, Libanon und Palästina entspricht – ein Gebiet, dessen Kontrolle in den folgenden 100 Jahren mehrmals umkämpft wurde: in sechs sogenannten Syrischen Kriegen zwischen den Nachkommen des Ptolemaios und denen des Seleukos. Als Ptolemaios’ Tochter Arsinoë, eine intelligente und ehrgeizige Frau, Lysimachos heiratete, erkannte Seleukos, dass seine Rivalen seinen Ambitionen Einhalt boten. Es kam zu einem neuen renver­ sement des alliances. Nur zwei Jahre nach der Schlacht bei Ipsos ging Demetrios ein Bündnis mit Seleukos ein, das sich als ebenso kurzlebig erweisen sollte wie all die vorangegangenen. Doch vorerst konnte Demetrios zumindest darauf zählen, dass Seleukos seine Bemühungen, seine Macht zu vergrößern, tolerieren würde. Demetrios hatte viele Vorteile auf seiner Seite: Er war immer noch jung, berühmt wegen seiner Innovationen bei der Belagerung von Rhodos und bewundert als einer der schönsten Männer seiner Zeit; dazu war er gerissen, skrupellos und ehrgeizig. Sein Nachteil lag darin, dass er im Gegensatz zu seinen Rivalen kein geographisch zusammenhängendes Gebiet kontrollierte. Es sollte sich bald eine Gelegenheit ergeben, dahingehend Abhilfe zu schaffen – er gewann Makedonien für sich, das Vaterland aller Diadochen: Kassander, der sich als König in Makedonien etabliert hatte, starb 298/297 v. Chr.; sein Sohn, Philipp IV., verstarb nur ein Jahr später, und seine zwei jüngeren Brüder, Antipatros und Alexandros, kämpften nun um den Thron. Während Demetrios auf den richtigen Moment wartete, um zuzuschlagen, erweiterte er seine Macht in Griechenland und bereitete sein Comeback vor. Um seine Pläne zu verwirklichen, musste Demetrios unbedingt die Kontrolle über Athen erlangen, einen traditionellen Anführer der griechischen poleis. Athen war die Stadt, in der er und sein Vater ihren ersten großen Erfolg errungen hatten und in der ihnen Ehren zuteilwurden, die sie mit lokalen Heroen gleichsetzten; es war aber auch die Stadt, die ihn nach Ipsos verraten hatte. Im Frühling 295 v. Chr. eroberte Demetrios Athen, aber anstatt die Athener zu bestrafen, versprach er ihnen eine reiche Getreide­ spende. In der Zwischenzeit erreichte der dynastische Konflikt in Makedonien seinen Höhepunkt. Einer der Thronanwärter, Alexandros, beging einen fatalen Fehler: Er bat Demetrios um Hilfe. Demetrios sah dies als Einladung des Schicksals selbst und nahm sie nur allzu gern an. Er sorgte dafür, dass Alexandros ermordet wurde, und inszenierte seine eigene 57

Die Diadochen

­ usrufung zum König durch das Heer im Herbst 294 v. Chr. Auf dem Höhe­ A punkt seiner Macht angekommen, inszenierte er seine Herrschaft weiterhin als Schauspiel – und vergaß dabei, dass jede Tragödie mit der Bestrafung von Hybris endet. 291 v. Chr. heiratete Demetrios Lanassa, angeblich eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Unmittelbar nach der Hochzeit reiste er nach Athen, wobei er seine Ankunft in der Stadt mit der Feier der Eleusinischen Mysterien zusammenfallen ließ. Die Athener feierten seine Ankunft als das Erscheinen eines neuen Gottes, sie verbrannten Weihrauch auf den Altären, sie bekränzten Statuen und Altäre, sie brachten Trankopfer dar, sie tanzten auf den Straßen und sangen einen Hymnos, der Demetrios’ weltliche Macht mit jener der Götter gleichsetzte (s. S. 134f.). Er ist hier voller Freude, wie es sich für einen Gott geziemt, schön und lachend. Feierlich ist seine Erscheinung, all seine Freunde im Kreis um ihn und er in ihrer Mitte, als wären seine Freunde Sterne und er die Sonne. Heil dir, Kind des mächtigsten Poseidon und der Aphrodite! Denn andere Götter sind entweder weit entfernt, oder sie haben keine Ohren, oder sie existieren nicht, oder sie schenken uns keine Beachtung, doch dich sehen wir hier anwesend, nicht aus Holz oder Stein, sondern echt.

Demetrios imitierte Dionysos und tauschte die Symbole königlicher Macht gegen dionysische Kleidung, Efeukranz und Fenchelstängel (thyrsos) ein. Um diese Zeit ordnete er die Anfertigung eines Mantels an (er wurde nie vollendet), der die Sterne und den Tierkreis abbilden sollte, eine Anspielung auf die Kontrolle über den Jahreszyklus, die Kontrolle über die Jahreszeiten und die Kontrolle über die Zeit selbst. In seiner Propaganda erschien Demetrios inmitten seiner Freunde als von den Sternen umgebene Sonne. Dem Beispiel Alexanders und der anderen Diadochen folgend, gründete er in Thessalien eine neue Stadt, Demetrias, an einer für seine Flotte strategisch günstigen Stelle gelegen – an den Verkehrsrouten, die vom griechischen Festland durch die Ägäis nach Kleinasien und darüber hinausreichten: an der Südküste des Golfs von Pagasai gegenüber von Iolkos auf der Nordseite, wo im Mythos die Argonauten lossegelten. Es ist ein Zeichen seines militärischen Genies, dass er die Wichtigkeit einer Flotte und sicherer Häfen für die Erhaltung seiner Herrschaft erkannte; die meisten der Diadochen folgten seinem Beispiel und betrieben eine Flottenpolitik. Es ist kein Zufall, dass die Athener Demetrios in ihrem Hymnos als Sohn des Poseidon bezeichneten. Demetrios’ Handlungen lässt sich schließen, dass sein Ziel darin Aus ­ 58

Imperialistische Träumereien (306–281 v. Chr.)

­ estand, seinen Machtbereich über Makedonien hinaus zu erweitern, zub nächst in Griechenland und dann jenseits der Ägäis. Als Antwort auf die Bitten der Athener, die unter den Angriffen ätolischer Piraten litten, führte Demetrios einen Krieg gegen den Ätolischen Bund. Die Ätoler waren eine wachsende Macht in Westgriechenland und kontrollierten mit Delphi auch eines der bedeutendsten Heiligtümer Griechenlands. Dieser Krieg gab Demetrios die Gelegenheit, zu beweisen, dass seine Absichten, die Griechen zu beschützen, aufrichtig waren. Ihm gelang es jedoch nicht, die Ätoler zu besiegen, und so musste er 289 v. Chr. mit ihnen ein Abkommen schließen. Sein Stern sank so schnell, wie er aufgegangen war. Sein Verhängnis erschien in der Person eines anderen Abenteurers, dessen unzählige Schicksalswendungen denen des Demetrios nicht unähnlich waren: Pyrrhus von Epirus (s. Abb. 5). Pyrrhus war ein Mitglied der Königsfamilie, die über die Molosser herrschte, einen griechischen Stamm in Epirus in Nordwestgriechenland, und als solcher war er ein entfernter Verwandter von Alexander dem Großen, dessen Mutter eine molossische Prinzessin gewesen war. Er bestieg den Thron 306 v. Chr., als er zwölf oder 13 Jahre alt war, musste jedoch aufgrund von dynastischen Konflikten bald ins Exil gehen. 302 suchte er Zuflucht am Hof von Demetrios. 298 wurde er als Geisel zu Ptolemaios gesandt. Er kehrte 297 als König nach Epirus zurück und suchte, inspiriert von Alexanders Erfolg, seine Macht zu vergrößern. Beinahe 30 Jahre nach Alexanders Tod erschien Pyrrhus seinen Zeitgenossen als ein neuer Alexander, wie Plutarch beteuert: Viele der Makedonen fühlten sich bewogen zu sagen, dass sie in ihm allein von allen Königen ein Abbild des Wagemuts des großen Alexanders sehen konnten; wohingegen sich die anderen, und besonders Demetrios, Alexanders Größe und Majestät nur anmaßten, wie Schauspieler auf einer Bühne.

Als Demetrios 288 v. Chr. einen großen Feldzug zur Rückeroberung Kleinasiens vorbereitete, angeblich mit einer Infanterie von 98 000 Mann, 12 000 Reitern und 500 Schiffen, schlossen Pyrrhus, Lysimachos, Ptolemaios und Seleukos ein weiteres opportunistisches Bündnis, um ihn aufzuhalten. Pyrrhus marschierte von Westen in Makedonien ein und Lysimachos von Osten, was bei Demetrios’ Truppen Angst und Wut aufkommen ließ und viele Soldaten zum Desertieren veranlasste. Bevor eine Entscheidungsschlacht gegen ­P yrrhus stattfinden konnte, drängten einige Soldaten Demetrios dazu, den Thron und 59

Die Diadochen

Makedonien aufzugeben. Und das tat er. Kavafis fängt in seinem von Plutarchs Bericht inspirierten Gedicht „König Demetrios“ die Stimmung ein: Er zog seine goldenen Gewänder aus, warf seine purpurnen Stiefel fort, zog sich schnell einfache Kleidung an und stahl sich davon. Genauso wie ein Schauspieler, der, wenn das Stück vorüber ist, seine Kleidung wechselt und geht …

Es war der Anfang vom Ende eines Königs, dessen Lebensgeschichte immer noch auf einen Filmproduzenten wartet. Obwohl er sich Angriffen von ­Ptolemaios in Griechenland, der Ägäis und Phönizien ausgesetzt sah und große Teile seiner Armee sowie zwei seiner wertvollsten Besitzungen, die Häfen von Sidon und Tyros, verloren hatte, versuchte Demetrios weiterhin, Kleinasien zu besetzen, doch der Feldzug war ein Misserfolg. In Kilikien im Süden Kleinasiens wurde er zum Rückzug gezwungen und musste über das Tauros-Gebirge Seleukos’ Reich betreten. Dort saß er in der Falle. Da er das Meer nicht erreichen konnte, entschied er sich 285 v. Chr. dazu, zu kapitulieren und sich Seleukos zu ergeben. Wie seinem Vater so war es auch Demetrios nicht gelungen, ein Reich zu schaffen, das in seinem Ausmaß dem Alexanders vergleichbar gewesen wäre. Er starb zwei Jahre später als Gefangener von Seleukos. Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um vorherzusagen, was als nächstes passierte: Das Ad-hoc-Bündnis von Demetrios’ Gegnern zerbrach, und zwei Diadochen, Lysimachos und Seleukos, bemühten sich, das zu erreichen, was Demetrios nicht gelungen war. Lysimachos verjagte seinen Juniorpartner, Pyrrhus, aus Makedonien und wurde so der alleinige König der Makedonen; er hatte nun nicht nur Thrakien, sondern auch den Großteil Kleinasiens in seinem Besitz. Seleukos wiederum kontrollierte die meisten von Alexanders Besitztümern im Osten. Ein Showdown zwischen den beiden alten Königen, den einzigen Überlebenden von Ale­ xanders Generation, nachdem Ptolemaios I. 283/282 v. Chr. gestorben war, war nur eine Frage der Zeit. Wie so oft in dieser Epoche lösten ehrgeizige Frauen und dynastische Konflikte den Krieg aus. Lysimachos’ letzte Frau war Arsinoë, die Tochter von Ptolemaios I.; sie war 45 Jahre jünger als ihr Mann und sollte sich als die einflussreichste Frau der hellenistischen Geschichte vor Kleopatra 60

Imperialistische Träumereien (306–281 v. Chr.)

Abb. 5 Pyrrhus von Epirus: moderner Abguss eines ­Marmorporträtkopfes aus römischer Zeit; dieser war ­wiederum eine Kopie eines Originals aus dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. Archäologisches Museum Ioannina. Ephorat für Antiquitäten von Ioannina.

e­ rweisen. Arsinoë wandte sich gegen Agathokles, Lysimachos’ ältesten Sohn und Statthalter von Kleinasien. Sie realisierte vermutlich, dass ihre eigenen Kinder nur dann einen Anspruch auf den Thron haben würden, wenn sie Agathokles aus dem Weg räumte. Sie ließ Lysimachos glauben, dass sein Sohn beabsichtige, ihn zu vergiften, und so ließ der Vater den Sohn 283 v. Chr. ermorden. Agathokles’ Anhänger flohen zu Seleukos, unter ihnen befand sich auch Ptolemaios Keraunos (der Blitz). Keraunos war der älteste Sohn von Ptolemaios I. und damit Arsinoës Halbbruder. Er war 285 v. Chr. zu Lysimachos geflohen, als sein Vater beschlossen hatte, einen Sohn von einer anderen Frau zu seinem Nachfolger zu ernennen. Seleukos, nun beinahe 80 Jahre alt, witterte eine Chance, sein Reich nach Westen zu erweitern – er musste nur vorschützen, Agathokles’ Tod rächen zu wollen. 61

Die Diadochen

Lysimachos befand sich nun in einer schwierigen Lage. Erstens waren die Nordgrenzen seines Reiches permanent von der Invasion durch Barbarenstämme bedroht. Zweitens sah er sich in Kleinasien mit einem durch den Mord an Agathokles verursachten Aufstand konfrontiert; in Pergamon, einer bedeutenden Festung in Nordwestkleinasien, rebellierte der Kommandant Philetairos. Und nun drang auch noch Seleukos in seine Besitztümer in Kleinasien ein. Beinahe sein ganzes Leben lang hatte Seleukos seine Aufmerksamkeit dem Osten gewidmet. Nachdem er zweimal nach Indien gezogen war und seinen Sohn Antiochos I. 293 v. Chr. zum Regenten der öst­ lichen Teile seines Königsreichs ernannt hatte, bot sich ihm nun, an seinem Lebensabend, die Gelegenheit, in sein makedonisches Vaterland zurückzukehren, das er nicht mehr gesehen hatte, seit er es über 50 Jahre zuvor als junger Offizier verlassen hatte, um Alexander zu folgen. Die beiden Könige trafen 281 v. Chr. in Kouroupedion in Phrygien aufeinander. Lysimachos fiel in der Schlacht, was Seleukos die Möglichkeit eröffnete, den Traum zu realisieren, den alle Diadochen einmal geträumt hatten: ein möglichst großes Gebiet von Alexanders Reich, von Makedonien bis zum Iran, wiederzuvereinigen. Doch hatte er die Lektion der letzten 40 Jahre nicht gelernt: Traue niemals einem Verbündeten, wenn der gemeinsame Feind erst besiegt ist. Ptolemaios Keraunos ermordete Seleukos im September 281 v. Chr. in Lysimacheia, der Hauptstadt von Thrakien, und heiratete Lysimachos’ Witwe, seine eigene Halbschwester Arsinoë, mit dem Versprechen, das Leben ihrer Kinder zu verschonen. Auf diese Weise gelang es ihm, sich selbst zum König zu erklären, der über Makedonien und Thrakien herrschte. Kaum war diese Mission erfüllt, ließ er zwei von Arsinoës Söhnen ermorden (dem ältesten gelang die Flucht), was Arsinoë selbst zur Rückkehr nach Ägypten zwang. Dort erwartete ihr Bruder Ptolemaios II. sie mit offenen Armen – er wurde ihr dritter und letzter Gemahl, und zusammen sollten sie das ägyptische Ptolemäerreich konsolidieren.

Sizilische Abenteuer Die griechisch kolonisierten Gebiete im Westen (Süditalien und Sizilien) und im Norden (die West- und Nordküste des Schwarzen Meeres) wurden von den Diadochenkriegen nur indirekt beeinträchtigt. Die politischen Ereignisse in Sizilien sind ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie sich Ost und West parallel entwickelten (s. Karte 4). Zwar waren die Griechen in 62

Sizilische Abenteuer

Italien und Sizilien in Stadtstaaten organisiert, aber sie blickten auf eine lange Tradition autokratischer Tyrannenherrschaft zurück. Immer wieder nutzten ehrgeizige Männer Krisensituationen zu ihrem Vorteil, um ihre ­eigene Herrschaft zu etablieren. An Gelegenheiten mangelte es nicht, denn es gab drei Probleme: Die Karthager strebten danach, auf Kosten der Griechen ihren Einflussbereich auf Sizilien zu erweitern; nicht-griechische Völker in Italien stellten eine Bedrohung dar (Bruttier, Lukaner, Mamertiner). Und es gab politische Konflikte zwischen den Anhängern der Demokratie und oligarchischen Gruppierungen. Parallel zu den Diadochenkriegen entspann sich in Sizilien ein ähnlicher Kampf um persönliche Herrschaft. 322 v. Chr. erreichte die politische Krise in der größten Stadt Siziliens, Syrakus, ihren dramatischen Höhepunkt. Ein Bürgerkrieg zwischen den Demokraten und den Oligarchen bedrohte die Autonomie der Stadt in ihrem Kern, denn die Oligarchen baten Syrakus’ schlimmsten Feind um Hilfe: die Karthager. 319/318 v. Chr. gelang es dem Anführer der radikalen Demokraten, Agathokles – ein gerissener Stratege und populistischer Staatsmann –, sich die Unterstützung der Mehrheit der Bürger zu sichern, indem er versprach, die Spaltung zu beenden und die politischen Institutionen zu schützen. Die Volksversammlung wählte ihn zum General, ein traditionelles Amt, fügte jedoch seinem Titel die Bezeichnung „Beschützer des Friedens“ hinzu. Titeln, die einen an die Orwell’schen Ministerien für Wahrheit, Frieden und Überfluss erinnern, sollte man niemals trauen. Agathokles legte seine Rolle als „Beschützer des Friedens“ recht merkwürdig aus: Er ließ 4000 Gegner ermorden; weitere 6000 flohen nach Akragas (heute Agrigent). Mit der Behauptung, er wünsche, wieder das Leben eines Privatmanns zu führen, leitete er 317 v. Chr. lediglich seine Wahl in ein weiteres außerordentliches Amt ein: Er wurde General mit unbegrenzten Vollmachten (strategos au­ tokrator), dem die „Fürsorge für die Stadt“ (epimeleia tes poleos) oblag. Mittels populistischer Methoden – Schuldenerlass und Landschenkungen für die Armen – gewann er die öffentliche Unterstützung, die er für seine autokratische Herrschaft benötigte. 314 v. Chr. erkannten Akragas, Gela und Messana die Hegemonie Syrakus’ an; andere sizilische Städte gründeten jedoch ein Bündnis gegen die syrakusische Vorherrschaft. Mit der Unterstützung Karthagos, das erfolgreich eine divide et impera-Politik betrieb, belagerten die Syrakus-Feinde die Stadt. Agathokles reagierte auf diese Bedrohung, indem er Karthago angriff und die Karthager zwang, ihre Armee 310 v. Chr. von Syrakus abzuziehen. 63

Die Diadochen

In Nordafrika verfolgte Agathokles den Traum, sich ein kleines Reich aufzubauen, inspiriert von Alexanders Eroberungen. Kyrene, die größte griechische Kolonie in Libyen, wurde von dem Makedonen Ophellas, einem engen Freund Alexanders, regiert. Kurz nach seiner Ankunft 308 v. Chr. ließ Agathokles Ophellas töten und übernahm seine Armee. Diese afrikanische Expedition blieb letzten Endes aber ohne Erfolg, da die karthagische Flotte überlegen war und die beiden Söhne des Agathokles von dessen eigenen Söldnern getötet wurden. Agathokles bewahrte jedoch seine Macht in Sizilien und schloss 306 v. Chr. ein Friedensabkommen mit Karthago, das ihn zum Alleinherrscher der griechischen Gebiete Siziliens machte. Dem Beispiel der Diadochen folgend, nahm er 304 v. Chr. den Königstitel an, schlug Münzen mit seinem Porträt und knüpfte durch seine Heirat mit einer der Töchter von Ptolemaios I. Beziehungen zu den anderen hellenistischen Königen. Der rastlose Herrscher erweiterte seinen Einflussbereich über ­Sizilien hinaus, indem er den griechischen Städten Süditaliens gegen die Barbaren aus der Umgebung Beistand leistete und indem er Korkyra (Korfu) besetzte. Agathokles war gerade dabei, Vorbereitungen für einen neuen Einmarsch in Afrika zu treffen, als er 289 oder 288 v. Chr. verstarb. Agathokles’ „Karriere“ hatte bei einem Bürgerkrieg in einer sizilischen Stadt begonnen, doch im Lauf von drei Jahrzehnten hatten ihn seine Abenteuer nach Nordafrika gebracht, und seine politischen Beziehungen erstreckten sich von Ägypten bis nach Süditalien und von Makedonien bis nach Sizilien. Wie Alexander nahm er einen traditionellen barbarischen Feind der Griechen, Karthago, ins Visier und trug den Krieg zum ersten Mal in dessen Territorium. Er verwendete dieselben Taktiken wie die Könige ­seiner Zeit – Krieg, dynastische Heiraten, Bündnisse, Verrat und Mord – und setzte seinem Ehrgeiz dabei zu keinem Zeitpunkt geographische Grenzen. Zwar gelang es ihm nicht, eine Dynastie zu begründen, aber er machte die westlichen Griechen mit der Vorstellung vertraut, dass sie als Vorkämpfer gegen ihre barbarischen Feinde – Rom und Karthago – einen Monarchen benötigten. Ein neuer Vorkämpfer trat in Gestalt des Pyrrhus von Epirus auf den Plan.

Der letzte Abenteurer: Pyrrhus „Pyrrhussieg“ ist einer der zahlreichen Ausdrücke, die der Hellenismus der Nachwelt hinterlassen hat. Er hat seinen Ursprung in den Abenteuern des 64

Der letzte Abenteurer: Pyrrhus

Pyrrhus (ca. 318–272 v. Chr.), der von 306 bis 302 und dann nochmals von 297 bis 272 v. Chr. König von Epirus war (s. Abb. 5). Pyrrhus ist uns bereits als einer von Alexanders charismatischsten Nachfolgern und siegreicher Gegner von Demetrios Poliorketes begegnet. Dem Beispiel anderer Diadochen folgend, übte er seine königliche Herrschaft in allen Gebieten aus, die er erobern konnte. 288 v. Chr. vertrieb er Demetrios aus Makedonien, doch war seine Herrschaft dort nur von kurzer Dauer, da er 284 v. Chr. von Lysimachos wieder verdrängt wurde. Als König von Epirus befehligte er die größte militärische Streitkraft östlich der Adria. Daher war es nur natürlich, dass sich die Griechen Italiens und Siziliens an ihn wandten, als sie den Druck der römischen Expansion zu spüren begannen. Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts hatten die römischen Adligen, die den Senat kontrollierten, eine Politik der Expansion betrieben. Aristokratischer Wettbewerb beförderte diesen Prozess, da Mitglieder der herrschenden Klasse begierig darauf waren, militärische Kommandos zu übernehmen und ihr eigenes Prestige sowie das ihrer Familien durch militärische Siege zu erhöhen. Am Ende dieses Jahrhunderts hatte die römische Expansion Süditalien erreicht und bedrohte die dortigen griechischen Kolonien. Die Bürger von Taras (heute Taranto) wussten, dass sie den Kürzeren ziehen würden, wenn sie einem Angriff von Rom ohne externe Unterstützung begegnen müssten. Wäre es ein Jahrhundert früher zu dieser Bedrohung gekommen, wäre ihr natürlicher Verbündeter und Beschützer Sparta gewesen, die Mutterstadt ihrer Kolonie. Doch die Zeiten hatten sich geändert, und im Jahr 281 v. Chr. baten sie Pyrrhus um Hilfe. Pyrrhus’ Motivation, diese Einladung zum Eingreifen anzunehmen, ist leicht nachvollziehbar: Lysimachos hatte seinen Ambitionen einer Ostexpansion ein Ende bereitet; eine Gelegenheit zur Erweiterung seines Machtbereichs nach Westen war ihm also durchaus willkommen, in einer Zeit, in der Königtum von erfolgreicher Kriegsführung und dem Erwerb neuer Territorien abhing. Als der Philosoph Kineas von Pyrrhus’ Plänen, nach Italien zu segeln, erfuhr, soll er ihn in folgende Diskussion verwickelt haben: „Pyrrhus, die Römer sollen gute Soldaten und Herrscher über viele kriegerische Völker sein; wenn ein Gott uns nun gewährte, diese Männer zu besiegen, wozu sollen wir unseren Sieg nutzen?“ Pyrrhus antwortete: „Die Antwort auf deine Frage, Kineas, ist offensichtlich; wenn die Römer besiegt sind, gibt es dort weder eine Barbaren- noch eine Griechenstadt, die uns gewachsen wäre, wir aber werden sofort ganz Italien besitzen – und keiner weiß besser als du selbst um die Größe, den Wohlstand und die

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Die Diadochen

Macht dieses Landes.“ Nach einer kurzen Pause sagte Kineas: „Und wenn wir Italien eingenommen haben, was werden wir dann tun, oh König?“ Pyrrhus, der noch nicht begriff, worauf der andere hinauswollte, antwortete: „Sizilien ist nahe und streckt seine Hände nach uns aus, eine wohlhabende und menschenreiche Insel, und leicht einzunehmen; denn dort ist alles voller Bürgerkrieg, Kineas, und voller Anarchie in den Städten und und voll reizbarer Demagogen, nun da Agathokles fort ist.“ – „Was du sagst“, antwortete Kineas, „ist wahrscheinlich; aber wird die Eroberung von Sizilien für uns das Ende des Feldzugs sein?“ – „Möge Gott uns Sieg und Erfolg gewähren“, sagte Pyrrhus, „und wir werden dies als Vorbereitung auf große Unternehmungen verwenden. Denn wer könnte uns dann noch von Libyen und Karthago fernhalten, wenn sie in unsere Reichweite kommen, wenn Agathokles sie beinahe eingenommen hätte, als er heimlich aus Syrakus geflohen war und mit wenigen Schiffen übergesetzt hatte? Dass aber keiner unserer Feinde, die uns jetzt mit Verachtung begegnen, sich uns entgegenstellen wird, wenn wir diese bezwungen haben, wird wohl niemand bestreiten.“ – „Natürlich nicht“, sagte Kineas, „denn es ist klar, dass wir, mit einer so großen Macht ausgestattet, Makedonien zurückerobern werden und sicher über Griechenland herrschen können. Und wenn wir uns alles unterworfen haben, was werden wir dann machen?“ Daraufhin lachte Pyrrhus und sagte: „Dann werden wir viel Zeit zur Muße haben und jeden Tag Wein trinken, mein Bester, und uns mit Gesprächen gegenseitig unterhalten.“ Nun, da er Pyrrhus zu dieser Aussage gebracht hatte, sagte Kineas: „Was hindert uns denn jetzt daran, Wein zu trinken und miteinander mußevolle Stunden zu verbringen, wenn wir das wollen? Wenn dies jetzt schon möglich ist und wir es ohne Schwierigkeiten haben können, weshalb sollten wir es durch Blutvergießen und große Mühen und Gefahren zu erlangen suchen und dabei anderen großes Leid zufügen und selbst viel Schlimmes erdulden?“

Die Weltgeschichte wäre vielleicht anders verlaufen, wenn Staatsmänner und Könige einen Kineas als Gesprächspartner gehabt hätten – und verstanden hätten, worauf er hinauswollte. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Unterhaltung jemals tatsächlich stattgefunden hat, aber sie beschreibt die imperialistische Dynamik dieser Epoche gut. Pyrrhus setzte 280 v. Chr. nach Italien über. Seine Stärken waren sein militärisches Genie, seine starke Kavallerie und seine Kriegselefanten. Sein Pech war, dass sein Feldzug mit Siegen begann (s. Karte 4). Doch diese Siege, bei Herakleia 280 und bei Asculum 279 v. Chr., brachten seinem Heer schwere Verluste bei, ohne den Krieg zu entscheiden. Nach Asculum sagte 66

Der letzte Abenteurer: Pyrrhus

Pyrrhus angeblich: „Noch ein Sieg über die Römer und wir sind verloren.“ Wäre ihm das Glück einer Niederlage gleich am Anfang seines Feldzugs zuteilgeworden, hätte er der Nachwelt wohl nicht den Ausdruck „Pyrrhussieg“ hinterlassen; er hätte dann wohl die Möglichkeit gehabt, seinen Lebensabend damit zu verbringen, in aller Ruhe Wein zu trinken und sich an angenehmer Konversation zu erfreuen. Zunächst brachte die Schwäche der Römer einheimische Volksstämme, die Lukaner und die Bruttier, sowie die griechischen Städte Kroton und Lokroi dazu, sich Pyrrhus anzuschließen. Ermutigt durch seine Erfolge ­ kehrte er nicht in den Osten zurück, um aus dem Tod des Lysimachos und dem Chaos in Makedonien nach dem Einfall der Kelten(s. S. 73–80) Kapital zu schlagen. Anstatt Makedonien gegen die Barbaren zu verteidigen und Anspruch auf seinen Thron zu erheben, wandte er seine Aufmerksamkeit den Barbaren im Westen zu: den Karthagern in Sizilien. Das war ein Fehler – es gab Antigonos Gonatas, dem Sohn von Demetrios Poliorketes, die Gelegenheit, sich als Vorkämpfer der Griechen zu präsentieren. Pyrrhus war zunächst erfolgreich und ernannte sich zum König von ­Sizilien. Als es ihm jedoch nicht gelang, die karthagische Festung in Lilybaion zu erobern, und er ein Friedensabkommen mit Karthago schloss, verlor er die Unterstützung der Griechen. Für sie war ein Monarch ein guter König, wenn er sie verteidigen konnte, und ein Tyrann, wenn ihm das nicht gelang. Der Aufstand der Griechen zwang Pyrrhus, nach Italien zurückzukehren, wo er 275 v. Chr. bei Maleventum ein letztes Mal den Römern gegenübertrat. Die Schlacht brachte keinen eindeutigen Sieger hervor, da aber seine Armee dezimiert war und seine finanziellen Ressourcen erschöpft waren, blies Pyrrhus seine italischen Abenteuer ab und kehrte nach Makedonien zurück. Dort setzte er seine militärischen Unternehmungen fort. Er besiegte A ntigonos Gonatas und erlangte kurzzeitig den Thron von Makedonien ­ ­zurück, wobei er Antigonos die Kontrolle über die Küstenstädte überließ. Als Herrscher verlor Pyrrhus allerdings an Beliebtheit, besonders als seine gallischen Söldner die Königsgräber von Aigai entweihten. 272 v. Chr. willigte er ein, dem exilierten König von Sparta, Kleonymos, dabei zu helfen, seinen Thron zurückzugewinnen, vermutlich in der Hoffnung, die Kontrolle über Südgriechenland zu erlangen. Sein Angriff auf Sparta scheiterte jedoch, und sein Sohn kam dabei ums Leben. Pyrrhus zog unverzüglich nach Norden weiter, um in Argos, einer der wichtigsten Städte auf der Peloponnes, in einen Konflikt einzugreifen. Dort setzte ein Dachziegel, den eine 67

Die Diadochen

Frau während eines Straßenkampfes auf ihn schleuderte, seinem Leben und seinen militärischen Abenteuern ein Ende. Pyrrhus war es nicht gelungen, ein Königreich zu schaffen und eine ­D ynastie zu begründen. Alles, was er erreicht hatte, war sein Ruhm als großer Militärkommandant. Hannibal und Scipio, der römische General, der Hannibal besiegte, sollen einmal über große Feldherren diskutiert haben, und Hannibal soll dabei den ersten Platz Alexander zugewiesen haben, Pyrrhus den zweiten und sich selbst den dritten. Ironischerweise schuf keiner von ihnen ein Reich, das von Dauer war.

Eine neue Welt im Osten und im Westen: getrennt und doch verbunden Die Teilung von Alexanders Vermächtnis und Pyrrhus’ Tod markieren den Beginn einer etwa 100-jährigen Periode (bis 188 v. Chr.), in der die politische Geographie der hellenistischen Welt größtenteils unverändert blieb (s. Karte 3). Bis zur ersten direkten Konfrontation zwischen einem hellenistischen Königreich und Rom 215 v. Chr. bildeten die hellenistischen Staaten eine beinahe geschlossene Zone, die nur zeitweilig durch gelegentliche Barbareneinfälle gestört wurde. Aus den Diadochenkriegen waren mehrere Königreiche hervorgegangen. Jedes von ihnen verfügte über ein geographisch relativ klar definiertes Kernland. Die zusätzlichen äußeren Gebiete waren oft umkämpft, manchmal gingen sie verloren, und manchmal wurden sie erweitert, der Kern blieb jedoch im Wesentlichen der gleiche. Ptolemaios I. hatte sein Königreich in Ägypten eingerichtet, und auch wenn er und seine Nachfolger beträchtliche Besitzungen außerhalb Ägyptens hatten – Zypern, Koilesyrien, einige ägäische Inseln und Küstensiedlungen in Griechenland und Kleinasien –, bildeten das Land am Nil und die Kyrenaika den Kern ihres Königreichs. Ptolemaios I. starb friedlich 283 oder 282 v. Chr. und hinterließ seinen Kindern Ptolemaios II. und Arsinoë II. ein stabiles Königreich. Seine Dynastie der Ptolemäer oder Lagiden – Lagos war Ptolemaios’ Vater – sollte in Ägypten bis 30 v. Chr. an der Macht bleiben. Nach Seleukos’ Tod 281 v. Chr. fiel dessen Nachfolger Antiochos I. die Aufgabe zu, die Gebiete in Mesopotamien, Syrien und weiten Teilen Kleinasiens zu verteidigen; den Traum, auch als König von Makedonien zu herrschen, musste Antiochos aufgeben. Einer seiner Nachkommen, Antiochos III., stellte aufgrund von Seleukos’ Sieg bei Kouroupedion Gebietsforderungen, doch 68

Eine neue Welt im Osten und im Westen: getrennt und doch verbunden

seine Träume, über Asien hinaus zu expandieren, sollten die Römer zunichtemachen. Die Dynastie der Seleukiden kontrollierte ein riesiges, kulturell vielfältiges und permanent bedrohtes Territorium. Die Bevölkerungsgruppen des früheren Achämenidenreichs waren monarchische Herrschaft gewohnt, doch die griechischen Städte Kleinasiens mussten sich ein neues diplomatisches „Drehbuch“ für den Umgang mit den Seleukidenkönigen aneignen. Bis zu seiner endgültigen Auflösung 63 v. Chr. verschoben sich die Grenzen dieses Königreichs öfter als bei jedem anderen. In Nordwestkleinasien trat eine neue Macht in Erscheinung: das Reich von Philetairos und seinen Nachfolgern in Pergamon; sie waren noch keine Könige, aber dennoch mächtige Herrscher. Die Dynastie dieser Attaliden – nach Attalos I., dem ersten Herrscher von Pergamon, der sich selbst zum König ernannte – erlebte ihre Glanzzeit im späten 3. und frühen 2. Jahrhundert v. Chr. Nahe des attalidischen Territoriums formierte sich das Kleinkönigreich von Bithynien unter der Herrschaft von Zipoites (297–278 v. Chr.), das bis 74 v. Chr. Bestand haben sollte. In Kappadokien, an der Grenze zu den seleukidischen Besitztümern in Kleinasien und Syrien, erbte Ariarathes II. die Herrschaft von seinem gleichnamigen Onkel und schuf ein weiteres Kleinkönigreich; seine Dynastie herrschte bis 95 v. Chr. Zu guter Letzt wurde als Folge der Schlacht bei Kouroupedion und den darauffolgenden Ereignissen das Königreich von Pontos geschaffen, das von 281 bis 47 v. Chr. von einer weiteren Dynastie iranischer Abstammung, die kulturell jedoch den Griechen überaus nahestand, regiert wurde: den Mithridatiden. In Syrakus war ein syrakusischer Staatsmann dort erfolgreich, wo Agathokles und Pyrrhus gescheitert waren. Hieron von Syrakus wurde mit der Unterstützung des Volkes 275 v. Chr. zum General gewählt, etablierte seine persönliche Herrschaft und wurde 269 v. Chr. zum König ernannt. Unter seiner Herrschaft, die bis 215 v. Chr. dauerte, entwickelte sich der griechische Teil Siziliens in eine ähnliche Richtung wie die hellenistischen Königreiche. In den Randgebieten existierten weitere Königreiche. Im Westen blieb Epirus nach Pyrrhus’ Tod ein unabhängiges Königreich, aber der benachbarte Stamm der Athamanen wurde von einem eigenen König regiert. In Dalmatien herrschten Könige über die illyrischen Stämme. Die Spartokiden beherrschten den nordöstlichen Teil des Schwarzen Meeres. Nur eine der großen hellenistischen Dynastien war nach Kouroupedion nicht mehr an der Macht: die Antigoniden in Makedonien, die Nach­ kommen von Antigonos Monophthalmos und Demetrios Poliorketes. Nach ­Kouroupedion lag das Königreich von Makedonien, das auch Thessalien 69

Die Diadochen

und Thrakien umfasste, in den Händen von Ptolemaios Keraunos. Doch sollte seine Herrschaft nicht von Dauer sein. Nur ein Jahr nach seinen tückischen Taten sah er sich der Invasion von Barbarenstämmen aus dem fernen Westen ausgesetzt: dem Einfall der Gallier. Keraunos wurde be­siegt, gefangen genommen und enthauptet – was viele seiner Zeitgenossen ­sicherlich als göttliche Vergeltung betrachteten. Erst Demetrios’ Sohn Antigonos Gonatas gelang es 277 v. Chr., dieses Königreich zu konsolidieren und die Dynastie der Antigoniden zu begründen. Der Galliereinfall, eine der traumatischsten Erfahrungen der griechischen Geschichte, ermöglichte seinen Aufstieg zur Macht.

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3 Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert: ein Kampf um Überleben, Freiheit und Vorherrschaft

Die Allgegenwart des Krieges Welche Ereignisse sieht man heute als Meilensteine in den 60 Jahren zwischen der Konsolidierung der hellenistischen Staaten um 275 v. Chr. und dem ersten Krieg zwischen einem hellenistischen Königreich und Rom? Mit Sicherheit, dass eine Gruppe von etwa 70 hebräischen Gelehrten in Alexandria auf Einladung eines Königs, der Sage nach Ptolemaios’ II., das Alte Testament übersetzte; dass ein Mathematiker in Syrakus aus einer Badewanne sprang und „Heureka! “ rief; und dass ein Astronom behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne. All das, geschehen im „kurzen 3. Jahrhundert“, veränderte die Weltkultur. Die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments, erlaubte es Nichtjuden, mit der Heiligen Schrift vertraut zu werden. In Syrakus entdeckte Archimedes ein Prinzip, das noch heute seinen Namen trägt und die Berechnung des Volumens unregelmäßiger Objekte ermöglicht. Aristarchos von Samos schuf die Grundlagen für eine heliozentrische Weltsicht. Es lassen sich dem weitere, weniger bekannte, aber ebenso glückliche Momente aus Wissenschaft und Kultur dieser Jahre hinzufügen: zum Beispiel die verblüffend genaue Berechnung des Erdumfangs durch Eratosthenes – er schätzte ihn auf 250 000 Stadien (damit lag er nur 1675 km über dem tatsächlichen Wert); oder die Erfindung der hydraulis, einer frühen Form der Pfeifenorgel, durch Ktesibios um 270 v. Chr.; oder dass der Arzt Erasistratos, geboren auf der kleinen Insel Keos, entdeckte, dass das Herz nicht das Zentrum der Empfindungen ist, sondern vielmehr wie eine Pumpe funktioniert; oder die Tatsache, dass Zenodotos von Ephesos, Bibliothekar in Alexandria, die erste kritische Ausgabe der homerischen Epen besorgte und das Prinzip einführte, eine Bibliothek nach Sachgebieten und innerhalb der Fächer ­a lphabetisch nach Autorennamen zu ordnen; er erfand auch das 71

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

Schildchen mit den wesentlichen Identifikationsangaben (Autor, Titel und Thema), das von nun an am Ende einer jeden Schriftrolle angebracht wurde. Es ist kein Zufall, dass die meisten dieser Dinge in Alexandria entwickelt wurden, dem führenden kulturellen Zentrum der Welt. Nur wenige Zeitgenossen realisierten vermutlich die volle Tragweite dieser Ereignisse. Und noch weniger schenkten wohl den Taten König Ashokas in Indien Beachtung: Der hatte auf beinahe dem ganzen indischen Subkontinent ein Reich etabliert (269–232 v. Chr.), konvertierte dann zum Buddhismus und entsandte Missionare in den Westen. Nur die westlichen Griechen nahmen wohl den Krieg zur Kenntnis, der zwischen Rom und Karthago geführt wurde und als Erster Punischer Krieg (264–241 v. Chr.) in die Geschichte einging. Und verständlicherweise wusste niemand von den Kriegen in Fernost, die 221 v. Chr. zur Vereinigung Chinas unter der ersten Kaiserdynastie der Qin führten. Die Griechen des 3. Jahrhunderts waren zu sehr damit beschäftigt, um die Grenzen von Königreichen, Städten und Städtebünden zu kämpfen, als dass sie über die Grenzen ihrer eigenen Welt hätten hinausblicken können. Der Krieg dominierte die öffentlichen und privaten Erinnerungen im kurzen 3. Jahrhundert. Er beeinträchtigte das Leben aller; er war die einprägsamste Erfahrung, die ein Mensch machen konnte – ungeachtet seines Status, Alters oder Geschlechts. Das Grab eines gewissen Apollonios von Tymnos, der nicht in der Schlacht fiel, sondern um die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. an Altersschwäche starb, war mit dem Symbol ­geschmückt, das einst seinen Schild geziert hatte: mit einer Schlange. Sein Epitaph erwähnt die Ereignisse, von denen er anscheinend gern erzählte: die Schlachten, die er für sein Vaterland geschlagen hatte, und die zahllosen Speere, die er „fest in das Fleisch seiner Feinde gestoßen hatte“. Menschen gedachten eines Vaters, eines Sohnes, eines Bruders oder eines Freundes, der in der Schlacht gefallen war; der Tochter, die von Piraten entführt worden war; des Verwandten, der sich im Krieg ausgezeichnet hatte. Erinnerungen an den Krieg waren unterschiedlicher Natur. Sie reichten vom Grabmal eines jungen Soldaten, das von seinem Vater ­errichtet wurde, und einer Weihung eines Kriegers nach seiner sicheren Heimkehr nach einem Feldzug bis zu einem langen Dekret zu Ehren eines Offiziers, der Beschreibung einer Schlacht durch einen Historiker und den res gestae eines siegreichen Königs. Es ist nicht möglich, die Kriege dieser Epoche in ihrem ganzen Umfang darzustellen (s. die Zeittafel, S. 465–467), doch bevor wir eine Auswahl der bedeutendsten von ihnen näher betrachten, ­sollen kurz die Hauptursachen dieser Kriege geschildert werden. 72

Die neuen Barbaren: Die Gallier betreten die griechische Welt (279–277 v. Chr.)

Der Aufstieg der hellenistischen Königreiche war mit Sicherheit die bedeutendste Ursache, und zwar aus drei Gründen: Erstens schränkten die Expansionen der Königreiche das Territorium, die Freiheit und die Autonomie griechischer poleis ein; immer, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergab, rebellierten die Städte, um ihre Autonomie zurückzugewinnen. Zweitens versuchten die Könige permanent, das eigene Territorium auf Kosten anderer Königreiche zu vergrößern. Und drittens verlor der Typus des „Abenteurer-Königs“ eines ­P yrrhus, Demetrios oder Agathokles zwar an Bedeutung, verschwand jedoch nicht vollständig, und mehrere Abenteurer, in der Regel Mitglieder einer ­D ynastie, Usurpatoren oder abtrünnige Statthalter, versuchten, sich eigene Königreiche aufzubauen. Die Monarchie war zwar ein neuer Faktor, der Kriege verursachte, die Konflikte zwischen und innerhalb von Städten waren allerdings so alt wie die griechische polis selbst. Viele kleine und große Kriege hatten ihren Ursprung in Gebietsstreitigkeiten und den Bestrebungen größerer Städte, ihre kleineren Nachbarn zu kontrollieren. Gebietserweiterung und ­Hegemoniestreben waren auch für Städtebünde typisch: In der Folge kam es vermehrt zu kleineren Kriegen um die Aneignung von Land oder um die Unterwerfung eines Gemeinwesens. Invasionen größeren Ausmaßes durch ­ Barbaren, wie die der Kelten 280 v. Chr. oder der Parther 238 v. Chr., waren weniger häufig, sie hatten jedoch dramatische Auswirkungen.

Die neuen Barbaren: Die Gallier betreten die griechische Welt (279–277 v. Chr.) Einer Legende zufolge wurde Rom durch das Schnattern der heiligen Gänse auf dem Kapitol, das die Verteidiger der Stadt alarmierte, vor einem nächtlichen Barbarenangriff gerettet. Diese Barbaren waren die Gallier, eine keltische Bevölkerungsgruppe. Es wird oft vergessen, dass die Gänse nicht Rom, sondern lediglich seine letzte Verteidigungslinie, den Kapitolshügel, retteten. Die Stadt wurde 387 v. Chr. gebrandschatzt und geplündert – zwar konnten Archäologen die antiken Berichte einer totalen Zerstörung nicht bestätigen, aber der Schaden muss dennoch beträchtlich und der Schock der Römer gewaltig gewesen sein. In Nordgriechenland gab es 100 Jahre später keine heiligen Gänse, die die keltische Invasion angekündigt hätten, doch wären die Herrscher von Makedonien nicht so sehr durch ihre Kriege untereinander abgelenkt gewesen, hätten sie die unmittelbare Bedrohung womöglich bemerkt. 73

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

Die Griechen im Norden und Nordwesten waren schon immer Barbarenangriffen ausgesetzt gewesen. Makedonien wurde in regelmäßigen Abständen von verschiedenen Stämmen überfallen, die in den Gebieten südlich der Donau siedelten, und Alexander der Große musste zuerst gegen die Barbaren im Norden kämpfen, bevor er zu seinem Asienfeldzug aufbrechen konnte. König Lysimachos von Thrakien und sein Sohn waren von den Geten gefangen genommen worden und mussten ein hohes Lösegeld für ihre Freilassung bezahlen. Raubzüge von Thrakern und skythischen Stämmen stellten für die griechischen Städte in Thrakien und an der Westküste des Schwarzen Meeres eine konstante Bedrohung dar. Auch die westgriechischen Städte und Stämme in Epirus und Illyrien mussten oft mitansehen, wie ihre Ländereien von Eindringlingen geplündert wurden. Der keltische Stamm der Gallier bewohnte ursprünglich Gebiete im Osten Frankreichs und in der Schweiz; von dort aus begann er im 4. Jahrhundert, nach Osten und Süden zu ziehen. Die Plünderung Roms ist lediglich eine frühe Episode einer Migrationsbewegung, die zur Folge hatte, dass sich Kelten zunächst im nördlichen Balkanraum und dann in Zentralkleinasien ansiedelten. Die frühen Begegnungen der Griechen mit diesen Barbaren waren gewalttätig, aber nicht so dramatisch, dass sie bleibenden Eindruck hinterlassen hätten. Manchmal wurde ein Angriff durch die Zahlung von Tribut – als „Geschenk“ deklariert, damit der Zahler das Gesicht wahren konnte – verhindert. Es wird auch berichtet, dass Alexander der Große Gesandte von den Häuptlingen der Galatai (Galater/Gallier) empfing. Im annus horribilis 280 v. Chr. sollte die Lage jedoch eine andere sein. Die Anzahl der Invasoren war sehr groß; sie drangen bis in Gegenden Zentralgriechenlands vor, wo sie bislang noch nie gesehen worden waren. Über die Ursachen für diese Invasion können wir nur spekulieren. Die üblichen Verdächtigen sind Hungersnot, Gier, Bevölkerungswachstum und Druck vonseiten anderer Stämme weiter im Norden und Osten – es sind zugleich die Ursachen, die in den antiken Quellen genannt werden. Es scheint jedoch, dass der Zeitpunkt der Invasion mit Entwicklungen in Makedonien und Thrakien zusammenhing. Die Kelten waren nicht so weit entfernt, dass sie nicht über die Kriege zwischen den Diadochen und die Konflikte am Hof von Ptolemaios Keraunos informiert gewesen wären. Es gab regelmäßigen Kontakt zwischen Makedonien und Thrakien und den Barbaren im Norden, und als Ptolemaios Keraunos 281 v. Chr. zwei Söhne seiner Gattin und Schwester Arsinoë tötete, floh ein dritter zu den Dardanern, einem der Barbarenstämme. Es ist wahrscheinlich, dass die keltischen Stammesführer 74

Die neuen Barbaren: Die Gallier betreten die griechische Welt (279–277 v. Chr.)

diese Ereignisse zu ihrem Vorteil nutzten, als sie die Invasion von 280/279 v. Chr. ins Werk setzten. Die verfügbaren Quellen erlauben uns nicht, die genaue Anzahl der Menschen zu bestimmen, die sich auf den Weg machten – angeblich 85 000 Männer, Bedienstete und Familienangehörige. Ihr Ziel war vermutlich Migration, nicht Invasion. Die Kelten bewegten sich in drei Heeresdivisionen: Die östliche Gruppe unter Kerethrios griff Thrakien an, die mittlere Gruppe unter Brennos und Akichorios fiel in Paionien (nördlich von Makedonien) ein, während die westliche Gruppe gegen Makedonien und Illyrien zog. Ptolemaios Keraunos versuchte, sein eben erst erworbenes Königreich zu verteidigen, doch er wurde besiegt, gefangen genommen und enthauptet. Sein Nachfolger, sein Bruder Meleagros, wurde nach zweimonatiger Herrschaft von der Armee gezwungen abzudanken; der nächste König, Antipatros, ein Neffe von König Kassander, hielt nur 45 Tage durch. Der Königsthron wurde dann dem Feldherrn Sosthenes angetragen, der unter Lysimachos Statthalter von Kleinasien gewesen war. Den Königstitel lehnte er vermutlich ab, nicht ­jedoch die Mission. Ihm gelang es, die Eindringlinge hinter die Grenzen des Königreichs zurückzutreiben, und er blieb etwa zwei Jahre lang an der Macht (279–277 v. Chr.). Im zweiten Jahr der Invasion (279/278 v. Chr.) marschierte die Hauptmacht der keltischen Armee unter Brennos und Akichorios auf dem griechischen Festland ein – die erste Barbareninvasion in diesem Teil Griechenlands seit den Perserkriegen genau 200 Jahre zuvor. Und genau wie während des persischen Einfalls unter Xerxes versuchte ein griechisches Bündnis, die Angreifer bei dem engen Pass der Thermopylen aufzuhalten. Den Griechen gelang es, den Pass zu verteidigen, nicht jedoch, der Invasion Einhalt zu gebieten. Die Kelten umgingen den Pass, und anstatt nach Süden zu ziehen, marschierten sie nach Westen, um das Apollonheiligtum in Delphi zu plündern. Die Armeen zweier Städtebünde Zentralgriechenlands, der Ätoler und der Phoker, trafen gerade noch rechtzeitig ein und vertrieben die Barbaren, indem sie sich ihr Wissen über das gebirgige Terrain und die schlechten Wetterbedingungen zunutze machten. Dieses knappe Entkommen wurde sofort einer göttlichen Intervention zugeschrieben, einem Wunder Apollons oder Zeus Soters (des Retters). 400 Jahre später berichtete Pausanias davon, wie Delphi gerettet wurde. Seine Schilderung, eine erweiterte Version zeitgenössischer Berichte, gibt uns einen Eindruck davon, wie dieses Ereignis von den Verteidigern Delphis den anderen Griechen verkündet wurde, die nicht dabei gewesen waren, um diese großen, schrecklichen, furchtlosen, 75

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

gottlosen und blutrünstigen Krieger zu bekämpfen, deren Anzahl (angeblich zwischen 40 000 und 60 000) die der Griechen um ein Vielfaches überstiegen haben soll: Die ganze Erde, auf der sich die Armee der Galater befand, wurde beinahe den ganzen Tag lang heftig erschüttert, und andauernd gab es Donner und Blitze. Der Donner verängstigte die Kelten und hinderte sie auch daran, ihre Befehle zu hören, während die Blitze aus dem Himmel nicht nur jene, die sie trafen, sondern auch jene, die neben ihnen standen, in Flammen aufgehen ließen, sowohl sie selbst als auch ihre Rüstung. Dann erschienen ihnen die Geister der Heroen Hyperochos, Laodokos und Pyrrhus … Doch die Nacht sollte noch viel schmerzlichere Erfahrungen über sie bringen. Denn es setzte ein schwerer Frost ein und mit ihm heftiger Schneefall; und große Felsbrocken, die vom Parnass herabrollten, und einstürzende Steilwände zielten auf die Barbaren … Sie lagerten dort, wo sie auf ihrem Rückzug von der Nacht überfallen wurden, und während der Nacht befiel sie eine panische Angst … Und zunächst wurden nur ein paar von ihnen wahnsinnig, und diese meinten, das Stampfen galoppierender Pferde und den Angriff nahender Feinde zu hören; kurz darauf breitete sich diese Wahnvorstellung jedoch auf alle aus. So griffen sie zu ihren Waffen und teilten sich in zwei Gruppen auf, wobei sie sich gegenseitig töteten und getötet wurden, und sie verstanden weder ihre Muttersprache, noch erkannten sie ihre Umrisse oder die Formen ihrer Schilde …

Erdbeben, Gewitter und Nebel kommen in der Parnass-Gegend überaus ­häufig vor. Wenn solche Naturphänomene zur rechten Zeit während eines Barbarenangriffs auftreten und noch dazu nur die Bösen niederstrecken und die Guten retten, müssen sie eine Folge göttlicher Vorsehung sein. Das ist es, was die Griechen glaubten, als sie kurz nach diesen Ereignissen ­beschlossen, Dankopfer und Festspiele für die Rettung Griechenlands einzurichten. Der verwundete Brennos beging Selbstmord; daraufhin zog sich Akichorios mit der verbleibenden Armee zurück, wobei er weitere Verluste erlitt. Griechenland war gerettet, doch kleine Gruppen von Kelten hatten sich erfolgreich in Illyrien und Thrakien niedergelassen. Was von noch größerer Bedeutung war: Makedonien hatte wieder keinen König. Von einer solchen Gelegenheit hätte Antigonos Gonatas, der Sohn von Demetrios Poliorketes, niemals zu träumen gewagt. Er hatte von seinem Vater nicht nur einen Teil von dessen Armee, Flotte und Festungen geerbt, sondern auch seinen Ehrgeiz und den Anspruch auf den Thron von Makedonien. Er eilte mit seiner 76

Die neuen Barbaren: Die Gallier betreten die griechische Welt (279–277 v. Chr.)

Armee nach Makedonien und besiegte die übrigen keltischen Truppen bei Lysimacheia, angeblich mit der Unterstützung von Pan, dem Gott des Schreckens. Sein Sieg lieferte seiner Armee die Rechtfertigung, ihn 277 v. Chr. zum König auszurufen. 275 v. Chr. wurde Gonatas von Pyrrhus kurzzeitig aus Teilen Makedoniens vertrieben, doch mit Pyrrhus’ Tod 272 v. Chr. war das letzte Hindernis zwischen ihm und dem Thron von Makedonien beseitigt; Makedonien sollte bis 167 v. Chr. von der Antigonidendynastie regiert werden. Was Makedonien und Griechenland jedoch letztendlich vor der keltischen Bedrohung rettete, war nicht Antigonos’ Sieg oder Apollons Wunder, sondern vielmehr die Unvorsichtigkeit eines anderen Königs. Nikomedes I. von Bithynien benötigte Söldner, um seine Herrschaft in dem Königreich zu ­stabilisieren, das ihm kurz zuvor von seinem Vater Zipoites vermacht worden war. So lud er zwei Gruppen der Kelten unter Lonorios und Lutarios, die Gebiete am Hellespont und in Thrakien plünderten, dazu ein, für ihn zu kämpfen. 277 v. Chr. setzten die Kelten zum ersten Mal nach Kleinasien über. Anfangs unterstützten sie Nikomedes bei seinen Kriegen, doch bald begannen sie, unabhängig zu agieren. Die Küstenstädte und später das Landesinnere von Kleinasien fielen ihren Raubzügen zum Opfer. Die Kelten waren gekommen, um zu bleiben: Drei Stämme ließen sich in Zentral­ kleinasien nieder, in einer Region, die Galatien genannt wird, „das Land der ­Galater“ – sprich, das Land der Gallier (s. Karte 5). Die Tolistoagier siedelten in der Nähe von Pessinous, die Trokmer in der Nähe von Ankyra und die Tektosagen in der Nähe von Tavium. Sie gründeten Stammesfürstentümer nach keltischer Tradition und behielten keltische Kultur, Orts- und Personennamen, Siedlungstypen und Begräbnispraktiken bei. Der Galatische Bund überdauerte bis 25 v. Chr., als diese Region dem Römischen Reich einverleibt wurde. Die keltische Invasion veränderte die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung in großen Gebieten von der Donau bis zur Ägäis, besonders im nördlichen Balkanraum und, in geringerem Ausmaß, in Thrakien, Illyrien und Kleinasien. Sie löste auch folgenschwere politische Entwicklungen aus. In Griechenland waren die größten Nutznießer die Ätoler. Auf „internationaler“ Ebene waren sie zwar bislang ohne Bedeutung gewesen, und aufgrund ihrer Raubzüge in Südgriechenland galten sie zumeist als Unsicherheitsfaktor, doch hatten sie eine wichtige Rolle bei der Verteidigung von Delphi gespielt und sich als Vorkämpfer griechischer Freiheit präsentiert. Kaum war die keltische Bedrohung weg, vereinigten die Ätoler in ihrem 77

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

Bund eine große Anzahl von Städten in Zentralgriechenland und darüber hinaus, wobei sie ihnen in Aussicht stellten, ihnen vor einer dauerhaften Bedrohung ihrer Freiheit Schutz zu bieten: vor Makedonien. Alle, die sich den Ätolern nicht anschlossen, wurden zum Opfer ihrer Raubzüge. Die Konflikte, die sich aus der Konfrontation zwischen Ätolien und seinen Feinden, insbesondere Makedonien und dem Städtebund der Achäer auf der Peloponnes, ergaben, dominierten die politische Geschichte des späten 3. Jahrhunderts v. Chr. In Kleinasien trug die keltische Invasion zum Aufstieg des Attalidenreichs von Pergamon bei. Denn der Dynast von Pergamon, Attalos I., nahm den Königstitel erst nach einem großen Sieg über die Galater um 238 v. Chr. an. Im kollektiven Gedächtnis und ethnischen Bewusstsein der Griechen ersetzten die Kelten in einem gewissen Sinn die Perser als die Barbaren, die ihre Freiheit bedrohten und Frevel begingen, letztendlich jedoch besiegt wurden. Die Invasion von 279 v. Chr. war ein Schock, den man mit dem 11. September 2001 vergleichen kann, und die Erinnerung sowohl an die Schrecken als auch an den Sieg wurde jahrzehntelang durch Erzählungen, Gedenktage, Feste, Monumente (s. Abb. 6) und vor allem die Bemühungen jener wachgehalten, die selbst gegen die Gallier gekämpft hatten und sich ihren Sieg in der politischen Arena zunutze machen wollten. In Delphi wurde kurz nach dem Sieg ein Gedenkfest eingerichtet: die Soteria (das Fest des Retters Zeus). Die Ätoler strukturierten es wenige Jahre vor 246 v. Chr. um und luden Teilnehmer aus der gesamten griechischen Welt ein, in athletischen und musischen Wettkämpfen gegeneinander anzutreten. Auf der Akropolis von Athen weihte der Befehlshaber der makedonischen Garnison von König Antigonos Gonatas in der Nähe des Tempels von Athena Nike, in dessen Skulpturenschmuck dargestellt war, wie die Athener ihr Vaterland gegen barbarische Invasoren – die Amazonen und die Perser – verteidigten, ein Monument „zur Erinnerung an die Taten des Königs gegen die Barbaren für die Rettung der Griechen“. Dieses Monument, das vermutlich aus bemalten Wandfeldern bestand, verewigte Antigonos’ Sieg über die Gallier 277 v. Chr. Sein Aufstellungsort im Schatten der Tempel von Athena Parthenos und Athena Nike und das Aufgreifen von Motiven aus deren Skulpturenschmuck boten den idealen Kontext, um seine Botschaft deutlich zu machen: Es war Antigonos Gonatas – und nicht die Ätoler –, der die Griechen vor den Barbaren gerettet hatte. Dieser Anspruch blieb jedoch nicht unangefochten. 50 Jahre später wählte ein Feind der Antigoniden, der König von Pergamon, Attalos I., dieselbe Stelle für die Weihung einer 78

Die neuen Barbaren: Die Gallier betreten die griechische Welt (279–277 v. Chr.)

Abb. 6 Die sogenannte Galliergruppe Ludovisi: Ein Gallier tötet seine Frau und sich selbst. Marmorkopie aus dem 1./2. Jahrhundert n. Chr. eines Originals aus dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. Museo Nazionale di Roma.

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Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

Skulpturengruppe, die sterbende Gallier darstellt. So wurde die Akropolis von Athen zu einem anderen Schlachtfeld: Kunstwerke brachten einander widersprechende Versionen der jüngsten Geschichte zum Ausdruck. Göttliche Erscheinungen waren ein bedeutendes Element in der Erinnerungskultur rund um die Keltenkriege. In keiner anderen Periode der hellenistischen Geschichte gab es so viele Wundererzählungen, wie in den Jahren der Galaterinvasion. Geschichten darüber, wie Götter die frevelhaften Barbaren besiegten, wurden nicht nur in Delphi und am makedonischen Hof erzählt, sondern auch in den Städten Kleinasiens. In Kyzikos wurde He­ rakles über einem Galater stehend abgebildet. In Themisonion sollen sich ­Herakles, Apollon und Hermes Magistraten im Traum gezeigt und sie angewiesen haben, die gesamte Bevölkerung zu retten: Sie sollten sie in einer Höhle verstecken. In Kelainai wurden die Barbaren vom mythischen Musiker Marsyas und seiner Musik abgewehrt. Wahrscheinlich inspirierte die Wundererzählung von Delphi auch diese anderen Berichte. Indem sie die Götter auf die Erde holten, stellten die Griechen, die die schreckliche Invasion der Galater miterlebt hatten, ihre Kämpfe auf eine Stufe mit den homerischen Geschichten, in denen Götter und Menschen Seite an Seite kämpften, sowie mit den Wundern, die im Kontext der Perserkriege erzählt wurden. So nahm die Niederwerfung der Gallier mit göttlicher Unterstützung epische Züge an und wurde in den Status eines hellenischen Sieges über die archetypischen Barbaren erhoben. Die nächsten Barbaren, die in Griechenland einmarschieren sollten, die Römer, kamen auf Einladung der Griechen. Bei ihrer Ankunft waren die Griechen gespalten wie eh und je. Doch dieses Mal sollten die Olympier nicht zu Hilfe kommen.

Der Chremonideïsche Krieg (267–261 v. Chr.) Die Bewohner des griechischen Festlands und der Ägäis hatten von Freiheit und Autonomie ihre ganz konkreten Vorstellungen: Sie wollten frei sein in der Außenpolitik ihrer Städte; frei von königlichen oder anderen Garnisonen; frei von Tributzahlungen; und frei in der Verwaltung ihrer internen Angelegenheiten. Die dominante Stellung des makedonischen Königs beschnitt viele dieser Freiheiten. Diejenigen, die sie verloren, waren nur allzu gern bereit, jedem zu glauben, der ihnen versprach, sie wiederherzustellen. Antigonos Monophthalmos machte sich diese Sehnsucht 311 v. Chr. als ­Erster zunutze (s. S. 51), doch auch andere hellenistische Könige versuchten 80

Der Chremonideïsche Krieg (267–261 v. Chr.)

in ihrem Umgang mit griechischen Gemeinwesen, von dieser Freiheitsliebe zu profitieren, indem sie sie zu einem Aufstand aufwiegelten, der einen ihrer Gegner schwächen würde. Stützpunkte in Zentral- und Südgriechenland waren für die Könige von Makedonien von entscheidender Bedeutung, da sie über eingeschränktere Ressourcen verfügten als die Ptolemäer und Seleukiden und da ihr Pool an Arbeitskräften vergleichsweise klein war. Im Grunde wachten die Antigoniden über den gesamten Verkehr in Griechenland, denn sie kontrollierten Demetrias in Thessalien, die beiden wichtigsten Städte auf Euböa, Chalkis und Eretria, die Festungen auf dem Mouseion-Hügel in Athen und den Hügel von Mounychia im Piräus sowie die Zitadelle von Akrokorinth am Eingang der Peloponnes. Demetrias, Chalkis und Akrokorinth waren daher später als die „Fesseln Griechenlands“ bekannt. Immer, wenn poleis aufgrund der Expansion eines Königs ihre Autonomie bedroht oder verloren sahen, suchten sie das Bündnis mit einem anderen König oder anderen poleis oder Städtebünden und griffen für den Kampf um ihre Freiheit zu den Waffen. Soviel zum Hintergrund des Chremonideïschen Krieges. Im Jahr 268 v. Chr. schlug der athenische Staatsmann Chremonides in der athenischen Volksversammlung einen Bündnisvertrag zwischen Athen, Sparta, ihren jeweiligen Verbündeten und Ptolemaios II. vor. Diese Allianz war gegen Antigonos Gonatas gerichtet. Das Ziel der Griechen war klar: Sie wollten sich der makedonischen Besatzung entledigen. Ptolemaios II. zielte darauf ab, Gonatas zu schwächen. Die Ptolemäer hatten traditionell ein großes Interesse an der Ägäis, da sie durch den Nesiotenbund (Koinon ton Ne­ sioton), einen Zusammenschluss der Kykladeninseln, mehrere Inseln kontrollierten. Der Oberbeamte dieses Bundes (nesiarchos) stand im Dienst des Königs. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war der ptolemäische Admiral Philokles, der zugleich König der phönizischen Stadt Sidon war. Antigonos’ Präsenz in der Ägäis und die Tatsache, dass er über Häfen verfügte, behinderten die ptolemäische Oberhoheit auf dem Meer. Vielleicht standen hinter Ptolemaios’ Beteiligung an diesem Krieg aber auch weitreichendere Ambitionen. Für Ptolemaios’ Politik einer Vorherrschaft auf See und einer Führungsrolle in Griechenland zeichnete vor allem seine Frau Arsinoë (s. Abb. 7) verantwortlich. Bevor sie 279 v. Chr. ihren Bruder heiratete, war sie nacheinander mit zwei makedonischen Königen vermählt gewesen: Lysimachos und Ptolemaios Keraunos. Das Königreich, das jetzt Gonatas regierte, war einst ihr Königreich gewesen. Ihr einziger überlebender Sohn aus der Ehe 81

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

Abb. 7 Goldmünze mit ­Arsinoë II. Philadelphos; 3. Jahrhundert v. Chr.

mit Lysimachos, Ptolemaios Epigonos (der Nachgeborene), war ein erklärter Feind von Gonatas und hatte bereits versucht, den Thron von Makedonien zu gewinnen. Es ist fraglich, ob das Königspaar von Ägypten konkrete Pläne verfolgte, in Makedonien zu herrschen oder direkte Kontrolle über Griechenland zu etablieren. Sie waren aber möglicherweise darauf aus, eine Hegemonialstellung über die Griechen zu erlangen, ähnlich der, die Philipp II. und Alexander innegehabt hatten. Die Menschen aus dem näheren Umfeld Ptolemaios’ II. übernahmen die Idee, die Griechen unter einem einzigen Anführer zu vereinigen, um diejenigen zu bekämpfen, die ihre Freiheit bedrohten. In Plataiai, wo die Griechen 479 v. Chr. auf griechischem Boden die persische Armee endgültig besiegt hatten, bewarb Glaukon, ein Athener im Dienst des Königs, die Idee von griechischer Freiheit und Eintracht, indem er ein Opfer zu Ehren von Zeus Eleutherios (Freiheitsbringer) und Homonoia (Eintracht) finanzierte. In Athen verbreitete Glaukons Bruder Chremonides denselben panhellenischen Geist. Indem er an die Perserkriege erinnerte und Ptolemaios als Vorkämpfer griechischer Freiheit pries, rechtfertigte er das Bündnis zwischen Athen, Sparta und Ptolemaios II., und zwar mit den folgenden Worten: Früher waren die Athener, die Lakedämonier und ihre jeweiligen Verbündeten durch eine gemeinsame Freundschaft und ein gemeinsames Bündnis miteinander verbunden, und gemeinsam fochten sie viele glorreiche Schlachten gegen jene, die versuchten, die Städte zu versklaven, wobei sie

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Aratos und der Aufstieg der Achäer (251–229 v. Chr.)

sich selbst Ruhm erwarben und den anderen Griechen die Freiheit brachten. Und nun, da ähnliche Umstände ganz Griechenland widerfahren sind aufgrund jener, die versuchen, die Gesetze und traditionellen Verfassungen einer jeden Stadt abzuschaffen, zeigt König Ptolemaios, der Politik seiner Vorfahren und seiner Schwester folgend, großen Eifer für die gemeinsame Freiheit der Griechen. Das Volk der Athener hat ein Bündnis mit ihm geschlossen und ein Dekret erlassen, das die übrigen Griechen zu derselben Politik anhält.

Aus Ptolemaios’ Perspektive würde ein Krieg „für die gemeinsame Freiheit der Griechen“ seinen größten Gegner in Griechenland und der Ägäis schwächen. Militärische Einsätze gab es in Attika, auf der Peloponnes und auf vielen ägäischen Inseln. Das antimakedonische Bündnis war zunächst siegreich, doch Ptolemaios versäumte es, trotz seiner Flottenoperationen in der Ägäis, eine schlagkräftige Unterstützung bereitzustellen. Das Umland Athens wurde geplündert, die Bevölkerung litt unter Nahrungsmittelknappheit, und die Allianz musste zwei schwere Rückschläge einstecken: die Niederlage und den Tod des spartanischen Königs Areus 265 v. Chr. in der Nähe von Korinth sowie den Verlust der athenischen Flotte 261 v. Chr. bei einer Seeschlacht in der Nähe von Kos. Athen, durch Belagerung, Blockade und Überfälle auf sein Umland in die Knie gezwungen, beinahe ohne Getreide und seiner Flotte beraubt, musste 261 v. Chr. kapitulieren. Die Stadt sollte mehr als 30 Jahre lang unter makedonischer Kontrolle bleiben. Die Athener hatten in ihrem Kampf um Freiheit versagt. Die Idee einer panhellenischen Allianz geriet über die nächsten 40 Jahre in Vergessenheit, und Sparta zog sich wieder einmal von der panhellenischen Bühne zurück. Was Athen und Sparta nicht geschafft haben, sollte später einem Staatsmann aus Sikyon gelingen.

Aratos und der Aufstieg der Achäer (251–229 v. Chr.) Alexander war 20 Jahre alt, als ihm der Thron von Makedonien und die Verantwortung, die Griechen auf einen Feldzug gegen Persien anzuführen, übertragen wurden. Demetrios Poliorketes hatte dasselbe Alter, als er 307 v. Chr. Athen befreite, woraufhin ihm von den Athenern göttliche Ehren zuteil­ wurden. Als Pyrrhus 298/297 v. Chr. nach Epirus zurückkehrte, um seinen Thron zurückzugewinnen, war er 21 Jahre alt. Und im Alter von 20 Jahren 83

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

beendete Antiochos III. den Aufstand in den östlichen Provinzen des Seleukidenreichs, das er 220 v. Chr. als 17-Jährige geerbt hatte. In Monarchien stellte der Tod von Königen junge Männer vor Herausforderungen und Gelegenheiten. In der Welt der poleis mussten junge Männer auf eine Führungsposition warten, zumindest wenn die Institutionen korrekt funktionierten; sie verbrachten ihre Jugend damit, Amtsaufgaben zu erlernen und sich durch persönliche Leistungen, soziale Verbindungen und geerbtes Vermögen einen Ruf aufzubauen. Nur in Krisenzeiten konnten Männer, die gerade erst das Alter eines Vollbürgers erreicht hatten, die Initiative ergreifen. Einer dieser Männer war Aratos. Er nutzte die politische und soziale Krise im Norden der Peloponnes zu seinem Vorteil und prägte mit seinem Handeln die Geschichte von ganz Griechenland. Die Peloponnes war im 3. Jahrhundert immer noch eine Welt der poleis; aber deren politische Ordnung war durch Jahrzehnte sozialer Unruhen und Eingriffe durch Monarchen durcheinandergeraten. Wie in Syrakus und Kleinasien hatten ehrgeizige Männer persönliche Herrschaften errichtet. In zeitgenössischen Quellen werden sie „Tyrannen“ genannt, obwohl sie ihre autokratische Herrschaft in der Regel unter dem Deckmantel eines traditionellen Amtes verbargen. Argos wurde nacheinander von einer ganzen Reihe von Tyrannen aus einer Elitefamilie regiert, die mit der Unterstützung von Antigonos Gonatas an die Macht gelangt war. Tyrannen herrschten auch in Megalopolis und Sikyon. Korinth unterstand der direkten Kontrolle von Antigonos Gonatas – er hatte seinen Halbbruder Krateros als Kommandanten der Garnison und damit im Grunde als Statthalter eingesetzt. Indem er diese Tyrannen stürzte, sollte Aratos das Geschick der Peloponnes für ein Jahrhundert verändern. Geboren um 271 v. Chr., hatte Aratos schon in seiner Kindheit politische Gewalt erlebt. Sein Vater Kleinias war ein Mitglied einer der führenden ­Familien in Sikyon und ein Gegner der Tyrannen. Als Aratos sieben Jahre alt war, ergriff ein neuer Tyrann die Macht; sein Vater wurde getötet, Aratos gelang es, nach Argos zu fliehen. Obwohl er sich im Exil befand, erhielt er die für Personen seines Standes übliche Erziehung, erfuhr Bewunderung als Athlet und wurde zum Anführer der exilierten Sikyonier. Er war 20, als er 251 v. Chr. eine kleine Gruppe von Exilanten nach Sikyon zurückführte. Sie kletterten bei Nacht über die hohe Stadtmauer, nahmen die Wachen gefangen und verbreiteten die Nachricht von der Revolte. Die Bürger erhoben sich gegen den Tyrannen Nikokles und setzten seinen Palast in Brand, und letzten Endes wurde die Tyrannenherrschaft von Sikyon gestürzt, wobei nur 84

Aratos und der Aufstieg der Achäer (251–229 v. Chr.)

eine Person ums Leben kam. Um zu vermeiden, dass es zum Bürgerkrieg kam, als die heimkehrenden Exilanten ihren Besitz zurückforderten, ergriff Aratos zwei Maßnahmen: Er machte Sikyon zum Mitglied eines alten, aber bis dahin unbedeutenden Städtebundes, des Achäischen Bundes, und er ließ sich von demjenigen König finanziell unterstützen, der von der Schwächung der ­makedonischen Macht in Griechenland profitieren würde: vom König von Ägypten. Aratos’ Entscheidung, Sikyon dem Achäischen Bund beitreten zu lassen, hatte weitreichende Konsequenzen für die gesamte Peloponnes und die griechische Geschichte. Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. gab es auf der Peloponnes Gruppen von Gemeinwesen, die sich in einigen Punkten unterschieden: im Dialekt, hinsichtlich der mythischen Gründungsheroen, auf die sie ihre Geschichte zurückführten, und in ihren politischen Institutionen. Einige dieser Gruppen (die Achäer, Eleier und Arkader) waren in losen Bündnissen organisiert, sogenannten koina. In klassischer Zeit war der bedeutendste Städtebund derjenige der Arkader im Herzen der Peloponnes. Das koinon der Achäer hatte nie eine wichtige Rolle gespielt. Ursprünglich bestand es aus zwölf Gemeinwesen im Nordwesten der Peloponnes. Zwei dieser Städte, ­Helike und Olenos, wurden 373 v. Chr. von einem Erdbeben und dem davon verursachten Tsunami zerstört, und die übrigen Städte verfielen aufgrund der Einmischungen der makedonischen Könige in einen Zustand der Zwietracht. Um 280 v. Chr. wurde der Bund auf Initiative der Städte Dyme, Patrai, Pharai und Tritaia wiederbelebt. 275/274 v. Chr. zogen die anderen Städte nach, vertrieben Tyrannen und Garnisonen, und der Städtebund wurde neu organisiert unter der Führung eines Sekretärs und zweier Generäle (später auf einen reduziert), die jährlich gewählt wurden. Die Möglichkeiten, die eine solche Zusammenarbeit hinsichtlich der Freiheit von Tyrannenherrschaft und der Unabhängigkeit von Makedonien bot, machten den Achäischen Bund für Aratos attraktiv. Als Sikyon, eine Stadt auf der gegenüberliegenden Seite der Peloponnes, dem Bund beitrat, veränderte das seinen Charakter – es handelte sich bis dahin um einen regionalen Städtebund. Der Achäische Bund beschritt einen Weg, der ihn zunächst zu einer peloponnesischen und später zu einer griechischen Macht werden ließ. 245 v. Chr. wurde Aratos in das höchste Amt gewählt, das Amt des Generals (strategos). Um diesen Städtebund in eine einflussreiche Macht in Griechenland zu verwandeln, musste er sich der makedonischen Vorherrschaft in Südgriechenland entgegenstellen. Das wichtigste Ziel war hierbei Korinth, eine Stadt von größter strategischer Bedeutung. Dort bewachte 85

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

eine makedonische Garnison die Zitadelle von Akrokorinth, die den Verkehr zwischen Zentralgriechenland und der Peloponnes kontrollierte. ­A ratos führte eine kleine Einheit von 400 Mann durch einen Geheimgang in die Zitadelle, besiegte die Besatzungstruppen und befreite Korinth, das sich sofort dem Bund anschloss. Von diesem Erfolg ermutigt, zogen Megara, Troizen und Epidauros nach, vertrieben ihre makedonischen Garnisonen und traten dem Bund bei. In seiner durchgängigen Amtszeit als General von 241 bis 235 v. Chr. stürzte Aratos Tyrannen in mehreren Städten, Argos allerdings, die Stadt, in der er seine Kindheit verbracht hatte, konnte er nicht zum Beitritt bewegen. Ein Meilenstein beim Aufstieg des Bundes zur Macht war die Entscheidung des Lydiadas, des Tyrannen von Megalopolis, seine Stadt dem Bund anzuschließen. In den folgenden Jahren wechselte Lydiadas sich mit Aratos im Amt des strategos ab (234–230 ­ v. Chr.). Eine kurzzeitige Allianz mit dem Ätolischen Bund ermöglichte eine weitere Expansion, und 229 v. Chr. stand Aratos mit seinen Truppen vor den Toren Athens. Einst war die Stadt Anführer der Griechen gewesen, doch nun stand sie seit 261 v. Chr. unter der Kontrolle einer makedonischen Garnison. Aratos überzeugte den Garnisonskommandanten davon, seine Truppen abzuziehen, indem er ihm einen Betrag von 150 Talenten anbot – 20 Talente steuerte Aratos selbst bei, und die verbleibende Summe wurde teils vom athenischen Staatsmann Medeios bestritten und teils vom König von Ägypten gespendet, der alles daran setzte, den makedonischen Interessen zu schaden. Die Insel Ägina, Hermione, die Mehrheit der arkadischen Städte und Argos traten nun dem Bund bei, der den Höhepunkt seiner territorialen Ausdehnung erreicht hatte, Sparta als größte Macht auf der Peloponnes in den Schatten stellte und dem Ätolischen Bund an Einfluss gleichkam. Polybios, ein Bürger des Bundes und schon früh in seinem Leben ein Kommandant seiner Kavallerie, hinterließ uns eine ungemein schmeichelhafte ­Beurteilung: Im Allgemeinen liegt der Unterschied zwischen der ganzen Peloponnes und einer einzigen Stadt nur darin, dass seine Einwohner nicht von derselben Stadtmauer umgeben werden. In jeder anderen Hinsicht ist die Situation im Bund und in den einzelnen Städten nahezu identisch … nirgends lässt sich ein politisches System der Gleichheit, Redefreiheit und, kurz gesagt, der wahren Demokratie finden, das reiner ist als das der Achäer … Keinem der ursprünglichen Mitglieder werden besondere Privilegien zugestanden, und auch die neuen Mitglieder haben die gleichen Rechte.

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Die Wiederherstellung der Macht: Doson und Kleomenes (239–221 v. Chr.)

Es überrascht nicht, dass Polybios’ Sicht derart wohlwollend ausfiel; seine Hauptinformationsquelle für die Ereignisse dieser Zeit waren Aratos’ (nicht erhaltene) Memoiren. Und natürlich stellte der wichtigste Protagonist den Aufstieg dieser unbedeutenden Macht an der Peripherie zu einem der Hauptakteure der „internationalen“ Politik als Erfolgsgeschichte dar. Doch bei näherer Untersuchung der Zeugnisse zeigen sich Spannungen und Brüche, die den Achäischen Bund letzten Endes daran hinderten, die Griechen zu vereinen. Aratos und die anderen Anführer des Bundes repräsentierten eine wohlhabende Elite von Grundbesitzern, die jahrzehntelang die Macht monopolisiert hatten, bisweilen als gewählte Beamte, bisweilen als Tyrannen. Der Bund hatte zwar Prozesse für die friedliche Beilegung von Gebietsstreitigkeiten zwischen seinen Mitgliedern entwickelt, die traditionellen Feindseligkeiten aber lebten weiter. Das größte Problem bestand jedoch darin, dass der Bund völlig versagte, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen, die sich in den vorangehenden Jahrhunderten auf der Peloponnes aufgestaut hatten. Der Bund konnte nicht zu einem glaubwürdigen Vorkämpfer der Freiheit der Griechen werden, solange er von Staatsmännern angeführt wurde, die nicht willens waren, die durch ökonomische und soziale Ungleichheit verursachten Spannungen zu lindern. Dieses Problem trat weniger als zwei Jahrzehnte nach der Befreiung von Korinth zutage und führte zu einem Krieg, der sogar die Existenz des Bundes selbst bedrohte.

Die Wiederherstellung der Macht: Doson und Kleomenes (239–221 v. Chr.) Am Ende seines Lebens sahen die Dinge in Griechenland für Antigonos ­Gonatas nicht gut aus. Nach dem Chremonideïschen Krieg hatte er zwei Jahrzehnte lang in Griechenland eine dominierende Stellung innegehabt; nach einem Sieg über die ptolemäische Flotte um 256 v. Chr. hatte er den Großteil der ägäischen Inseln kontrolliert. Aratos’ Politik hatte ihn jedoch 245 v. Chr. seiner wichtigsten Festung in Südgriechenland, Akrokorinth, beraubt. Es gelang ihm zwar, Athen und Euböa unter seiner Kontrolle zu halten, aber die Regimes, die er auf der Peloponnes unterstützte, brachen eines nach dem anderen zusammen. Sein Nachfolger Demetrios II. musste die meiste Zeit seiner kurzen Herrschaft (239–229 v. Chr.) mit dem Kampf gegen die vereinten Kräfte der Ätoler und Achäer zubringen, um seinen Einflussbereich in Zentralgriechenland zu verteidigen; sein größter Erfolg war 87

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

es, den Städtebund Böotiens 236 v. Chr. daran zu hindern, sich mit dem Ätolischen Bund zusammenzuschließen. Als Demetrios während eines Krieges gegen Stämme im Norden seinen Verletzungen erlag, war sein Sohn Philipp gerade einmal neun Jahre alt. Sein Halbcousin Antigonos, ein Enkel von Demetrios Poliorketes, übernahm die Regierung bis zu Philipps Volljährigkeit. Zusätzlich zum Königstitel wurde ihm auch der Spitzname Doson (der, der [das Königtum] geben wird) verliehen. Die Umstände hätten 229 v. Chr. für einen makedonischen König nicht schwieriger sein können. Die Nordgrenze wurde bedroht, und im benachbarten Königreich Epirus hatte eine Revolution das Königtum gestürzt und um 233 v. Chr. eine Republik entstehen lassen, was die Ambitionen der Ätoler anfachte, in diese Region zu expandieren. Römische Truppen, die gegen die illyrische Königin Teuta kämpften (s. S. 176f.), agierten zum ersten Mal östlich der Adria. Obwohl sie traditionell verfeindet waren, hatten sich die Ätoler und die Achäer gegen Makedonien zusammengeschlossen, und der bedeutendste Stützpunkt der Antigoniden im Süden, Athen, war für immer verloren, nachdem der Kommandant der makedonischen Garnison gegen eine sehr hohe Geldsumme seine Truppen zurückgezogen hatte. In dieser verheerenden Lage erwies sich Doson als ebenso tatkräftig wie sein Großvater Demetrios Poliorketes. Er sicherte nicht nur die Nordgrenzen seines Reiches durch einen Sieg über die Barbarenstämme, sondern er belebte auch eine traditionelle Politik der Antigoniden wieder: Er versuchte, sich die Kontrolle über die Ägäis zu verschaffen, die in den letzten Jahrzehnten von den Ptolemäern dominiert worden war. Seine Militäroperationen in Karien 228 v. Chr., über die wenig bekannt ist, waren kein planloses Abenteuer, sondern die Bemühung, auf beiden Seiten der Ägäis Flottenstützpunkte zu errichten. Dosons Entscheidung, in einem Gebiet zu operieren, an dem die Ptolemäer ein lebhaftes Interesse hatten, muss ein strategischer Zug gewesen sein, der darauf abzielte, eine neue Phase im Wettbewerb zwischen den beiden Königreichen um die Oberherrschaft zur See einzuläuten. Auch wenn es Doson nicht gelang, im Süden Kleinasiens eine dauerhafte makedonische Kontrolle zu etablieren, gewann er doch einen Ruf als bedeutender politischer und militärischer Anführer. Doson hatte mehr potenzielle Gegner, als er handhaben konnte: die Ptolemäer, den Achäischen und den Ätolischen Bund sowie Rom. Diese Verflechtung wurde noch komplizierter, als ein junger spartanischer König, Kleomenes III., der seit 235 v. Chr. regierte, 228 v. Chr. Sozialreformen ins Werk setzte, die auf die Wiederherstellung der militärischen Macht Spartas 88

Der „Bundesgenossenkrieg“: der letzte große Krieg der Griechen untereinander

abzielten (s. S. 351f.). Kleomenes vergrößerte letztlich die Gruppe der Bürger, die Grund und Boden besaßen und über die finanziellen Grundlagen für eine militärische Ausbildung und den Armeedienst verfügten. Dieses spartanische Projekt weckte an anderen Orten Griechenlands die Hoffnungen der Enteigneten und Verschuldeten, und es wurden Stimmen laut, die eine Umver­ teilung von Land und einen Schuldenerlass forderten, ein Thema, das bei sozialen Konflikten immer wieder aufkam. Als Kleomenes versuchte, seine Reformen zu „exportieren“ und für Sparta eine Führungsrolle auf der Peloponnes zurückzugewinnen (227–222 v. Chr.), sah sich der Achäische Bund zu einer Reaktion gezwungen. Da er sich Kleomenes’ Militäroperationen auf der Peloponnes nicht erfolgreich entgegenstellen konnte und Doson als großen Anführer betrachtete, traf Aratos eine folgenreiche Entscheidung. Er beendete die Feindschaft zwischen dem Achäischen Bund und dem makedonischen Königreich und ging mit der Bitte auf seinen früheren Gegner zu, doch in einem Krieg gegen Kleomenes die Führung zu übernehmen. Dem Beispiel seines Urgroßvaters Antigonos Monophthalmos folgend, hauchte Doson dem Hellenenbund 224 v. Chr. in Korinth neues Leben ein und wurde zum Anführer einer Koalition aller großen Städtebünde Griechenlands. Neben dem Achäischen Bund und den Thessalern, die der makedonischen Herrschaft unterstanden, traten auch die großen Städtebünde Zentralgriechenlands, die Phoker, Böoter, Akarnanen und Epiroten, dem Bündnis bei. Die wenigen Verbündeten Spartas waren diejenigen Staaten auf der Peloponnes, die sich weigerten, dem Achäischen Bund beizutreten. Die Wiederbelebung des Hellenenbundes unter der Führung des makedonischen Königs beendete den Einfluss der Ptolemäer in Griechenland. Zwei Jahre später, 222 v. Chr., setzte Dosons Sieg bei Sellasia Kleomenes’ Ambitionen ein Ende, und der besiegte spartanische König musste in Ägypten Zuflucht suchen, wo er später ermordet wurde.

Der „Bundesgenossenkrieg“: der letzte große Krieg der Griechen untereinander (220–217 v. Chr.) Auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, war Doson gezwungen, nach Makedonien zurückzukehren, um im Norden einen Angriff der Illyrer abzuwehren; er siegte, wurde jedoch vermutlich durch eine Wunde derart geschwächt, dass er 221 v. Chr. plötzlich verstarb. Sein Neffe, der nun 18 Jahre alt war, bestieg den Thron als Philipp V. Er folgte Doson auch als Anführer 89

Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert

des Hellenenbundes nach. Ihre Erziehung, ihre Familientraditionen und die mit ihrer königlichen Stellung verbundenen Erwartungen veranlassten ­sowohl Philipp als auch seinen Zeitgenossen, den Seleukiden Antiochos III., zu militärischen Unternehmungen, die die Welt 30 Jahre lang – von 219 bis 189 v. Chr. – erschüttern sollten. Keine ihrer Ambitionen wurde erfüllt. Im Gegenteil, am Ende ihres Lebens ließen beide ihr Königreich viel schwächer zurück, als es zu Beginn ihrer Herrschaft gewesen war. Philipp V. wurde bald dazu aufgefordert, Dosons Werk fortzusetzen; er führte den Hellenenbund von 220 bis 217 v. Chr. in einen Krieg gegen den Ätolischen Bund, Sparta und Elis. Der Krieg war durch die Überfälle der Ätoler in Zentral- und Südgriechenland ausgelöst worden: Die aufsteigende Macht der Ätoler bedrohte Makedoniens Verbündete (Epirus und Akarnanien) und sogar die Grenzen des Königreichs selbst; und auf der Peloponnes waren Städte des Achäischen Bundes von den Ätolern angegriffen worden. Dieser sogenannte Bundesgenossenkrieg brachte Zerstörung über ganz Griechenland, er ließ aber auch Philipps militärisches Geschick zutage treten; dass er mit Aratos einen erfahrenen Anführer als Berater hatte, trug zum Erfolg des jungen Königs bei. Trotz bedeutender Siege stimmte Philipp im August 217 v. Chr. Friedensverhandlungen mit den Ätolern zu. Das Abkommen stellte den Status quo vor Ausbruch des Krieges wieder her. Zwar machte es alle Errungenschaften Philipps zunichte, aber es vermehrte dennoch seinen Ruhm als Anführer. Es ist kein Zufall, dass ein kretisches Bündnis, das Kretische Koinon, ihn zu seinem prostates (Anführer) wählte. Um zu verstehen, weshalb Philipp den Krieg beendete und warum das Jahr 217 v. Chr. insgesamt zu einem der bedeutendsten Wendepunkte der hellenistischen Geschichte werden sollte, müssen wir den Blick auf Ereignisse lenken, die weit entfernt von Griechenland stattfanden: einerseits auf die Konflikte zwischen den Ptolemäern und den Seleukiden um Südsyrien (s. S. 94–102), andererseits auf den erbitterten Wettstreit zwischen Rom und Karthago um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeerraum.

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4 Griechen auf dem Pharaonenthron: das goldene Zeitalter der Ptolemäer

Ptolemäische Hegemonie im kurzen 3. Jahrhundert Kurz nach dem Tod seines Vaters gründete Ptolemaios II. in Alexandria Festspiele, die Ptolemäen. Er erklärte dieses Fest als gleichrangig mit den Pythischen Spielen Apollons. Städte aus der ganzen griechischen Welt wurden eingeladen, durch Entsendung heiliger Gesandter (theoroi) daran teilzunehmen, wie bei den traditionellen großen Festspielen. Als das Fest zum ersten Mal stattfand – das Datum ist umstritten (ca. 274 v. Chr.?) – inszenierte der König in Anwesenheit dieser fremden Gesandten und Besucher die großartigste Prozession, die die griechische Welt je zu sehen bekommen würde. Sie war so beeindruckend, dass der Autor Athenaios noch ein halbes Jahrtausend später eine ausführliche Beschreibung zitieren konnte, die sich im Werk des Kallixeinos von Rhodos erhalten hatte. Die verschiedenen Abteilungen der Prozession verdeutlichten die Beziehung der Ptolemäer zu ihren göttlichen Schutzpatronen Zeus und Dionysos sowie zu Alexander dem Großen, ihren Beitrag zur Freiheit der Griechen und das Ausmaß ihrer Macht. Schauspieler in bunten luxuriösen Kostümen stellten die Begleiter des Dionysos sowie Abstraktes wie das Jahr und die vier Jahreszeiten dar. Eine regelrechte Armee von Satyrn marschierte in silberner, goldener und bronzener Montur; Silene, Jungen und Mädchen spielten Dionysos’ triumphale Rückkehr aus Indien nach. Es gab Statuen von Alexander und von Ptolemaios, die mit goldenen Efeukränzen bekrönt waren. Die Statue der (militärischen) Tugend, die neben Ptolemaios stand, hatte einen goldenen Kranz aus Olivenzweigen … Die Stadt Korinth, die neben Ptolemaios stand, war mit einem goldenen Diadem bekränzt … Diesem Wagen folgten Frauen, die luxuriöse Gewänder und Schmuck trugen; es wurde ausgerufen, dass diese die Städte in Ionien sowie die übrigen griechischen Städte in Asien und auf den Inseln

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Griechen auf dem Pharaonenthron

darstellten, die von den Persern beherrscht worden waren … Nach all diesem kamen in der Prozession die Kavallerie und die Infanterie, die erstaunlich bewaffnet waren. Die Infanterie zählte um die 57 600 Männer, die Kavallerie 23 200 …

Die Feier war eine komplexe Propagandamaßnahme, inszeniert, um die Legitimität der Herrschaft, den göttlichen Schutz, den Reichtum und die Macht der Ptolemäer vorzuführen. Das unvergessliche Spektakel hatte militärische Zwischentöne – eine Anspielung auf den Anspruch der Ptolemäer auf eine Hegemonialstellung in der griechischen Welt. Anders als bei allen anderen hellenistischen Dynastien hatte die Über­ tragung der Macht von der Generation der Diadochen auf die nächste 283/282 v. Chr. im ptolemäischen Ägypten ohne Zwischenfälle stattgefunden. Die „geschwisterliebenden“ Monarchen Ptolemaios II. und Arsinoë II. (s. Abb. 7) machten sich die reichen Ressourcen ihres Königsreichs, dessen Territorium nicht direkt bedroht war, zunutze und betrieben eine ausgeklügelte Bündnispolitik. Auf diese Weise machten sie das Ptolemäerreich zur führenden politischen Macht im östlichen Mittelmeerraum. Theokrit beschrieb Ägypten und seinen Herrscher um 270 v. Chr. in den folgenden Versen: Zahllose Länder und zahllose Völker lassen ihre Feldfrüchte wachsen mit der Hilfe des Regens von Zeus, doch keines bringt so viel hervor wie die Niederungen Ägyptens, wenn der Nil überläuft und den Boden aufbricht, noch hat eines so viele Städte gelernter Handwerker. Dreihundert Städte sind dort erbaut, dann dreitausend zusätzlich zu dreißigtausend, und zweimal drei und dreimal neun dazu. Über all diese herrscht Ptolemaios als König. Darüber hinaus hält er einen Teil Phöniziens, Arabiens, Syriens, Libyens und des Landes der dunkelhäutigen Äthiopier. Er befehligt alle Pamphylier, die kilikischen Speerwerfer, die Lykier und die kriegsliebenden Karer, die Inseln der Kykladen, da seine Schiffe die besten sind, die das Meer befahren. Das ganze Meer und Land und die tosenden Flüsse werden von Ptolemaios beherrscht, viele Reiter und viele Schildträger, die mit glänzender Bronze beladen sind, versammeln sich um ihn. Hinsichtlich seines Reichtums könnte er alle Könige übertreffen, so viel kommt jeden Tag in sein reiches Haus,

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Ptolemäische Hegemonie im kurzen 3. Jahrhundert

von überall her. Das Volk geht seinen Beschäftigungen in Frieden nach … Ein solch großartiger Mann herrscht über die weiten Ebenen, der blonde Ptolemaios, kundig im Speerkampf, der sich sehr darum bemüht, den Besitz seines Vaters zu bewahren, wie sich dies für einen guten König ziemt, und selbst neuen dazugewinnt …

Würde man Hofdichtern Glauben schenken, liefen zukünftige Historiker Gefahr, hinsichtlich der nordkoreanischen Dynastie der Kims in die Irre geführt zu werden. Ptolemaios II. beherrschte nicht wirklich Libyen. Magas, sein Stiefbruder und Statthalter von Kyrene, hatte sich 276 v. Chr. selbst zu einem unabhängigen König erklärt, und Kyrene blieb bis zu seinem Tod 250 v. Chr. ein unabhängiges Königreich. Erst als Magas’ Tochter Berenike 246 v. Chr. Ptolemaios’ Sohn heiratete, wurde Kyrene wieder zu einem Teil des Ptolemäerreichs. Von seinen Übertreibungen einmal abgesehen, ist Theokrits Darstellung von Reichtum, militärischer Macht, Seeherrschaft, Einfluss außerhalb und Sicherheit innerhalb des Reiches so zutreffend, wie es das Genre der Lobgedichte zulässt. Ptolemaios wusste dieses Image der Überlegenheit gut zu propagieren, doch konnte er aufmerksame Beobachter nicht täuschen. Es wird erzählt, dass Aratos den Reichtum Ägyptens bewunderte, „als er Geschichten von seinen Elefanten, Flotten und Palästen hörte“; als er jedoch einen Blick hinter die Kulissen warf, „sah er, dass alles in Ägypten Inszenierung und Kulissenmalerei“ war. Die diplomatischen Verbindungen der Ptolemäer reichten bis in die heutige Ukraine. Im Hafen von Nymphaion ist in einem Graffito auf der Wand eines Aphroditeheiligtums ungeheuer detailreich ein Schiff mit dem Namen Isis dargestellt, vermutlich jenes, das Abgesandte Ptolemaios’ II. zu den Städten an der Nordküste des Schwarzen Meeres brachte. Und an diesen König wandten sich griechische Städte in Zeiten der Not und Konflikte. ­Ptolemaios II. war in den Chremonideïschen Krieg involviert und unterstützte Aratos bei der Befreiung peloponnesischer Städte von Tyrannenherrschaften und Garnisonen. Ptolemaios’ Außenpolitik verfolgte zwei Ziele: erstens durch die Kontrolle der Inseln und Küstenstädte in Kleinasien die Oberherrschaft über die Ägäis zu sichern; zweitens eine Region unter seine Kontrolle zu bringen, um die auch Jahrhunderte später noch Reiche, Nationen und Religionen kämpfen würden – Koilesyrien (das hohle Syrien); es umfasste die Gebiete des heutigen Südsyriens, des Libanons und Palästinas (s. Karte 3); sechs 93

Griechen auf dem Pharaonenthron

Syrische Kriege wurden zwischen den Ptolemäern und den Seleukiden um den Besitz dieser Region geführt.

Im Osten viel Neues: die Syrischen Kriege (274–253 v. Chr.) Während des Ersten Syrischen Krieges, etwa in den Jahren 274–271 v. Chr., gelang es Ptolemaios II., die Besatzung Koilesyriens und seine Stützpunkte in Kleinasien zu verteidigen. Seine Ambitionen und die seines Adoptivsohnes und Mitregenten Ptolemaios Epigonos müssen im Zweiten Syrischen Krieg (260–253 v. Chr.) um Einiges weitreichender gewesen sein, der kurz nach dem Chremonideïschen Krieg unter unbekannten Umständen ausbrach. Dieser jüngere Ptolemaios war der einzige überlebende Sohn der geliebten Schwester und Gattin des Königs, Arsinoë, aus ihrer Ehe mit Lysimachos (s. S. 62). Damit man ihn von Ptolemaios’ ältestem Sohn, dem späteren Ptolemaios III., unterscheiden konnte, wurde ihm der Beiname Epigonos (der Nachgeborene) gegeben. Nach erfolglosen Bemühungen, den Thron seines Vaters zurückzugewinnen und über Makedonien und Thrakien zu herrschen (279–277 v. Chr.), war dieser Ptolemaios Epigonos nach Ägypten gekommen, und nicht später als 267 v. Chr., um die Zeit des Ausbruchs des Chremonideïschen Kriegs gegen Antigonos Gonatas, ernannte Ptolemaios II. ihn – und nicht seinen ältesten Sohn – zum Mitregenten. Als ein Sohn von Lysimachos war Epigonos der natürliche Feind von Antigonos Gonatas, da dieser den Thron besetzte, den sein biologischer Vater, Lysimachos, einst innegehabt hatte. Um die Zeit, als Ptolemaios II. einen neuen Syrischen Krieg gegen Antiochos II. begann, ca. 260 v. Chr., befand sich Epigonos in Milet, vermutlich um die Interessen seines Adoptivvaters zu vertreten. Wahrscheinlich aus Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung für seinen Traum, in Makedonien zu herrschen, verbündete er sich jedoch mit Timarchos, einem Tyrannen in Milet, und revoltierte 259/258 v. Chr. gegen Ptolemaios II. Anfangs wurde er von Antiochos II. unterstützt, doch die Revolte endete mit der Eroberung Milets durch Antiochos II., dem Tod des Timarchos und vermutlich der Aussöhnung zwischen Epigonos und dem König von Ägypten. Die starke ptolemäische Präsenz in Kleinasien versetzte sowohl Rhodos, einer Seemacht in der Südägäis, als auch Antigonos Gonatas in Alarm­ bereitschaft; Gonatas beschloss, sich mit Antiochos zu verbünden. Bei einer großen Seeschlacht in der Nähe von Kos (256 v. Chr.?) wurde die ptolemäische Flotte besiegt. Gonatas 94

Cherchez la femme: der Laodike-Krieg und die Locke der Berenike

kontrollierte nun die Ägäis, außer Thera, wo Ptolemaios eine Garnison aufrecht erhielt. Antiochos II. gewann einen Großteil des Territoriums zurück, das die Seleukiden im Ersten Syrischen Krieg verloren hatten. Diese Syrischen Kriege, und jene, die noch folgen sollten, waren mehr als nur das Streben von Königen nach der Kontrolle eines Gebiets, das für militärische Kommunikation und Handel von strategischer Bedeutung war. Sie waren Teil der Bemühungen, ihre Herrschaft durch militärische Erfolge zu legitimieren. Koilesyrien blieb ein weiteres Jahrhundert lang zwischen diesen beiden Königreichen umkämpft. Die ersten Syrischen Kriege stehen beispielhaft auch dafür, wie leicht sich regionale Konflikte durch die Beteiligung zusätzlicher Mächte – ob Königreiche oder Städte – ausdehnen konnten. Das Friedensabkommen 253 v. Chr. wurde mit einer dynastischen Heirat besiegelt. Antiochos II. ließ sich von seiner Frau Laodike scheiden und erklärte sich bereit, eine Ehe mit Ptolemaios’ Tochter Berenike einzugehen. Diese Heirat hatte schwerwiegende Konsequenzen, wenn auch nicht die von den beiden Königen beabsichtigten: Sie hatten den Groll der verstoßenen Königin unterschätzt.

Cherchez la femme: der Laodike-Krieg (246–241 v. Chr.) und die Locke der Berenike Mit dem Tod Ptolemaios’ II. im Januar 246 v. Chr. ging eine Ära zu Ende, eine Zeit, die vom Einfluss des Ptolemäerkönigs auf die „internationale Politik“ geprägt war. Vielleicht erkannte Antiochos II. nun eine Chance, auf Kosten ptolemäischen Territoriums außerhalb von Ägypten zu expandieren. Doch auch Ptolemaios III. hatte gute Gründe, einen Krieg zu beginnen: Der Frieden von 253 v. Chr. hatte dem ptolemäischen Einfluss in Kleinasien und in der Ägäis immens geschadet, und das rechtfertigte sein Bestreben, die verlorenen Gebiete zurückzugewinnen und seine Herrschaft durch militärische Leistungen zu legitimieren. 246 v. Chr. hielt sich Antiochos II. in Kleinasien auf, vermutlich nachdem er sich mit der in Ephesos lebenden Laodike ausgesöhnt hatte. Er hatte eine Heirat mit einer ägyptischen Prinzessin abgelehnt, was das Friedensabkommen beeinträchtigte; somit muss er sich auf einen Krieg vorbereitet haben. Doch auch Ptolemaios III. war nicht unvorbereitet; seine Armee operierte in der Nordägäis bereits in einer frühen Phase des Konflikts. 95

Griechen auf dem Pharaonenthron

Im August 246 v. Chr. starb Antiochos II. plötzlich – womöglich hat Laodike ihn ermordet; sie übernahm umgehend die Führung des Königreichs, ließ ihren ältesten Sohn Seleukos II. zum König ausrufen und fädelte in der seleukidischen Hauptstadt Antiochia die Ermordung von Berenikes Sohn und später der Königin selbst ein. Für Ptolemaios III. war der Krieg nicht nur eine Frage der Gebietsverteidigung oder -eroberung, sondern es ging ihm zunächst auch um den Schutz seiner Schwester und seines Neffen, und später um Rache für deren Tod. Sein Erfolg war beeindruckend. Er führte einen Feldzug ins Herz des Seleukidenreichs, eroberte die Hauptstädte ­Seleukeia und Antiochia, überquerte dann den Euphrat und zog bis nach Mesopotamien weiter. Dass Ptolemaios III. bis nach Südmesopotamien gelangte, war ein großes Wagnis, aber auch ein grandioser Erfolg. Von dort aus hatte beinahe 80 Jahre zuvor sein Großvater, der Weggefährte Alexanders, seine Reise nach Alexandria begonnen. Als der Statthalter von Ephesos zu Ptolemaios überlief, ging die bedeutendste Stadt Kleinasiens in ptolemäische Kontrolle über. Bis zu diesem Punkt war der Krieg ein Konflikt zwischen den Ptolemäern und den Seleukiden gewesen; doch wie so oft in dieser Epoche löste er einen Dominoeffekt aus. Als Ainos in Thrakien, eine Stadt von strategischer Bedeutung für den Seehandel in der Nordägäis, unter ptolemäische Kontrolle kam, alarmierte dies Antigonos Gonatas, den traditionellen Rivalen der ­Ptolemäer in der Ägäis. Mit seinem Eintreten in den Kampf wurde der „Laodike-Krieg“ zu einem der hellenistischen Weltkriege. Der makedonische König, der jüngst seine Hauptstützpunkte in Südgriechenland verloren hatte, witterte die Chance, die Kontrolle über die Kykladen zurückzugewinnen. In einer großen Seeschlacht bei Andros wurde die ptolemäische Flotte 246 oder 245 v. Chr. geschlagen. Ptolemaios III. musste den Feldzug um 243 v. Chr. abbrechen, vermutlich weil es in Ägypten aufgrund seiner langen Abwesenheit zu Unruhen gekommen war. Seleukos II. konnte in Kleinasien und Syrien wieder Boden gutmachen, jedoch nicht ohne dafür einen hohen Preis zu zahlen: Er musste seinen jüngeren Bruder Antiochos Hierax (der Habicht) als Mitregenten akzeptieren; dieser erklärte sich später, um 240 v. Chr., in Kleinasien zum König. Was Antigonos Gonatas betrifft, so wurden die Auswirkungen seines Erfolgs in Andros schon bald beinahe vollständig wieder zunichtegemacht. Aratos befreite 245 v. Chr. Korinth und Akrokorinth von der makedonischen Besatzung. Unter seiner Führung verbündete sich der Achäische Bund mit Ptolemaios III., der 243 v. Chr. zu dessen hegemon auf Land und See erklärt wurde. 96

Cherchez la femme: der Laodike-Krieg und die Locke der Berenike

Praktisch gesehen hatte diese Position nur wenig Bedeutung – Ptolemaios III. hatte nie das Kommando über achäische Truppen oder Schiffe inne. Sie sandte jedoch eine politische Botschaft. Es war nicht das erste Mal, dass ein Städtebund einen König zu seinem militärischen Führer wählte: Es ­handelte sich um die Position, die Philipp II. im Hellenenbund innehatte, wie später auch die Antigoniden Antigonos Doson und Philipp V. bei dessen ­Wiederbelebung 224 v. Chr. Zum ersten Mal übernahm jetzt allerdings ein König, dessen Reich sich außerhalb Griechenlands befand, diese Funktion, was weitreichende politische Ansprüche sowohl aufseiten des Ernennenden, Aratos, als auch aufseiten des Ernannten, Ptolemaios III., erkennen lässt. Wir können annehmen, dass der Achäische Bund aus Aratos’ Sicht in die Fuß­ stapfen des Hellenenbundes trat. Es wäre überraschend, wenn ein Staatsmann seines Formats, der über Weitblick und ein Bewusstsein seiner historischen Rolle verfügte – Aratos verfasste als einer der ersten Staatsmänner Memoiren –, dies nicht realisiert hätte. Und es wäre ebenso überraschend, wenn Ptolemaios über frühere Bündnisse mit panhellenischen Ansprüchen und die Bedeutung seiner Position als hegemon einer Allianz in Griechenland im ­Unklaren gewesen wäre. Auch Ptolemaios III. war sich seiner historischen Rolle bewusst: Er hinterließ uns kurze Berichte seiner Taten in einer Inschrift, in der er stolz von seinen beispiellosen Errungenschaften (s. S. 98f.) erzählt. Damit soll nicht gesagt werden, dass Ptolemaios III. den Traum von einer Nachfolge Alexanders in Europa und Asien wiederbelebte. Dennoch lassen sich Kontinuitäten bei der Wahl der von Königen und führenden Staats­ männern angewandten Instrumente politischen Handelns nicht leugnen. Es lässt sich ein wiederkehrendes Muster erkennen: Eine Gruppe griechischer Städte, die sich zusammengeschlossen hatten, um sich einer Bedrohung ihrer Unabhängigkeit entgegenzustellen, akzeptierte einen Monarchen als ihren Führer, dessen Politik ihrem Plan zu diesem Zeitpunkt zuträglich schien; und ein Monarch akzeptierte die Führungsrolle, nicht aus Freiheitsliebe, sondern um auf der panhellenischen Bühne Berühmtheit zu erlangen. Der Laodike-Krieg dauerte bis 241 v. Chr., als Seleukos II. und Ptolemaios III. schließlich ein Friedensabkommen schlossen. Ptolemaios’ größter Erfolg bestand darin, dass er nicht nur Koilesyrien halten konnte, sondern auch sein Reich erweitert hatte, indem er den bedeutendsten Hafen Syriens, Seleukeia Pieria, eingenommen hatte. Durch seine Kontrolle über Zypern, mehrere ägäische Inseln, Küstenstädte in Thrakien und Städte in Kleinasien festigte Ägypten unter Ptolemaios III. seine Position als bedeutendste Macht im östlichen Mittelmeerraum. Ptolemaios’ Vorherrschaft wurde auch durch 97

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die politischen Probleme begünstigt, mit denen sich seine wichtigsten Gegenspieler konfrontiert sahen. Der größte Verlierer des Krieges war Seleukos II. Nach einem Bürgerkrieg herrschte sein Bruder Hierax über weite Teile Nord- und Westkleinasiens als unabhängiger König. Und in Pergamon nahm der lokale Dynast Attalos I. nach einem großen Sieg über die keltischen Stämme 238 v. Chr. in Nordwestkleinasien den Königstitel an. Um 228 v. Chr. vertrieb er Hierax aus Kleinasien. Hierax setzte seine Abenteuer zunächst in Mesopotamien und dann in Thrakien fort, wo er 226 v. Chr. getötet wurde. Im Osten hatte Andragoras, der Statthalter von Parthien, Seleukos’ II. Beteiligung am Laodike-Krieg zu seinem Vorteil genutzt und regierte seine Provinz als unabhängiger König (ca. 245–238 v. Chr.). Als der Nomadenstamm der Parner – später als Parther bekannt – in die östlichen Provinzen der Seleukiden einmarschierte und ganz Parthien besetzte (238–209 v. Chr.), konnte Seleukos II. den Satrapien nicht den Schutz bieten, den diese von einem König erwarteten. In der Folge erklärte sich Diodotos, der Satrap von Baktrien, für unabhängig und gründete das Griechisch-Baktrische ­Königreich (s. S. 231). Als Seleukos II. 226 v. Chr. vom Pferd stürzte und starb, war sein Königreich nur noch beinahe halb so groß wie das seines Vaters. Ptolemaios hatte allen Grund zum Feiern. Kurz nach dem Krieg gab er den Bau eines riesigen Throns in Auftrag: Er wurde bei Adulis, dem südlichsten Teil seines Reiches, am Erythräischen Meer, dem heutigen Roten Meer, errichtet. Eine auf Griechisch und Ägyptisch verfasste Inschrift verkündet stolz Ptolemaios’ Errungenschaften. Ein Mönch, Kosmas Indikopleustes (der, der nach Indien segelte), sah diesen Text 525 n. Chr. und hinterließ uns eine Zeichnung von Thron und Text: Nachdem König Ptolemaios der Große … von seinem Vater die Königsherrschaft über Ägypten, Libyen, Syrien, Phönizien, Zypern, Lykien, Karien und die Inseln der Kykladen übernommen hatte, zog er nach Asien mit Infanterie, Kavallerie, einer Flotte und Elefanten aus dem Land der Troglodyten und aus Äthiopien, die sein Vater und er selbst als Erste aus diesen Ländern gejagt und nach Ägypten gebracht hatten, wo sie sie zu Kriegszwecken ausrüsteten. Nachdem er die Macht erlangt hatte über das ganze Gebiet diesseits des Euphrats, Kilikien, Pamphylien, Ionien, den Helles­ pont, Thrakien, alle Streitkräfte in diesen Ländern sowie die indischen Elefanten, und nachdem er alle Herrscher dieser Gegenden zu seinen Untertanen gemacht hatte, überschritt er den Fluss Euphrat, und nachdem er sich Mesopotamien, Babylonien, Sousiane, Persis, Medien und das ganze restliche Land bis Baktrien unterworfen hatte, und nachdem er alle

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heiligen Objekte ausfindig gemacht hatte, die von den Persern aus Ägypten fortgeschafft worden waren, und sie zusammen mit den anderen Schätzen aus diesen Gegenden wieder nach Ägypten gebracht hatte, schickte er seine Streitkräfte durch die gegrabenen Flüsse [Kanäle] …

Ptolemaios III. Euergetes (der Wohltäter) präsentierte sich hier selbst als Garant dynastischer Legitimität, als Herrscher über mehr Länder als jeder andere König nach Alexander, als Krieger, der den Spuren des großen Eroberers bis nach Baktrien folgte, als militärischer Erneuerer sowie als Rächer des Unrechts, das der Perserkönig Kambyses 525 v. Chr. gegen die ägyptischen Tempel begangen hatte. Auch wenn er übertrieb, war er in der Tat der mächtigste Mann im östlichen Mittelmeerraum. Es überrascht vielmehr, dass Ptolemaios III. sich nicht dazu entschied, seinen klaren Vorteil gegenüber Gonatas und Seleukos II. dazu zu nutzen, eine aggressivere Politik zu betreiben. War er der einzige hellenistische König, der aus den Fehlern der Diadochen gelernt und begriffen hatte, dass sich seine Feinde gegen ihn zusammenschließen würden, wenn er zu viel Macht erlangte? Oder sehnte er sich nach einem weniger abenteuerlichen Leben in Ägypten? Insofern man von seinen Taten auf seine Absichten schließen kann, war Ptolemaios daran interessiert, ein Gleichgewicht der Mächte aufrechtzuerhalten, wobei er jene unterstützte, die seine Gegner schwächten – öfter durch finanzielle Mittel als durch Streitkräfte. Eine weniger aggressive Politik bedeutete auch weniger Risiken, und im Gegensatz zu seinen Gegnern, die bis zu ihrem Tod permanent in Kriege verwickelt waren, verbrachte Ptolemaios III. die letzten 20 Jahre seiner Herrschaft in Ägypten und richtete seine Aufmerksamkeit auf sein väterliches Erbe. Er ist der erste ptolemäische König, für den die ägyptischen Priester Inschriften mit langen Ehrendekreten auf Griechisch, in ägyptischen Hieroglyphen und auf Demotisch errichteten; er reformierte auch die Verwaltung der Provinzen. Von Alexandria aus konnte er die Auseinandersetzungen in Griechenland, Kleinasien, Mesopotamien und im fernen Osten bequem im Auge behalten. Die Erinnerung an Laodike und ihren Krieg begann zu verblassen. Ein kleiner Zwischenfall hat jedoch für immer seine Spuren am Sternenhimmel hinterlassen: Als Ptolemaios III. 243 v. Chr. in Mesopotamien Krieg führte, gelobte seine junge Frau Berenike, dass sie ihr langes blondes Haar Aphrodite darbringen würde, wenn die Göttin den König beschützte und ihn ihr wieder zurückbrächte. Ptolemaios kehrte heil zurück, und Berenike erfüllte ihr Gelübde und deponierte ihr Haar im Tempel der Aphrodite. Als dieses 99

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am nächsten Tag nirgends mehr zu sehen war, brachte der Hofastronom folgende Erklärung dafür vor. Er identifizierte das Haar mit einem Sternbild und behauptete, die Göttin der Liebe habe sich so sehr über die Opfergabe gefreut, dass sie das Haar der Berenike ans Firmament gesetzt habe, wo es immer noch mit bloßem Auge zu erkennen ist. Der Hofdichter Kallimachos verfasste ein von diesem Vorfall inspiriertes Gedicht. Das meiste davon ist heute verloren, abgesehen von Versfragmenten auf einem Papyrus. Doch hat sich eine lateinische Übersetzung in Catulls Carmen 66 erhalten, ein wunderbarer Lobpreis der Liebe. War Berenikes Liebe stärker als der Drang nach Eroberung? Ist es das, was Ptolemaios in Ägypten hielt und ihn der Versuchung widerstehen ließ, neue Eroberungen in Angriff zu nehmen? Diese Hypothese wird niemals bewiesen oder widerlegt werden können; sie bleibt ein netter, wenn auch unwahrscheinlicher Gedanke, ein heiteres Intermezzo zwischen einer Reihe von Kriegen und der nächsten.

Der letzte Sieg der Ptolemäer: die Schlacht bei Raphia Im Jahr 221 v. Chr. fielen zentrale Führungspositionen im Mittelmeerraum in die Hände einer neuen Generation junger Männer. Der König von Makedonien, Antigonos Doson, starb, und ihm folgte Philipp V. nach, damals 18 Jahre alt. In Ägypten ließ der Tod Ptolemaios’ III. den 17-jährigen Ptolemaios IV. auf dem Thron zurück. Im Osten hatte Antiochos III., der 22 Jahre alt und vier Jahre zuvor der Nachfolger seines Bruders Seleukos’ II. geworden war, gerade eben den Usurpator Molon besiegt und seine Herrschaft in Kleinasien wiederhergestellt. Er machte sich diesen Sieg zunutze und setzte einen Feldzug gegen Ägypten ins Werk, mit dem Ziel, das verlorene Territorium von Koilesyrien zurückzugewinnen. Dieser Vierte Syrische Krieg (219–217 v. Chr.) endete mit einer der größten Schlachten der hellenistischen Zeit, der Schlacht bei Raphia in der Nähe von Gaza am 22. Juni 217 v. Chr. Schenkt man den Angaben bei Polybios Glauben, so waren die beiden Armeen zusammen 150 000 Mann stark und wurden von 175 Kriegselefanten unterstützt. Zum ersten Mal bestand auch ein wesentlicher Teil der ptolemäischen Streitkräfte aus eingeborenen Ägyptern, die nach makedonischer Art ausgebildet worden waren – angeblich 20 000 Männer. Zu Beginn der Schlacht verfielen Ptolemaios’ afrikanische Elefanten, die den Geruch und die Geräusche von Antiochos’ indischen Elefanten nicht ertragen konnten, in Panik und verursachten Chaos in 100

Der letzte Sieg der Ptolemäer: die Schlacht bei Raphia

­ tolemaios’ Armee. Während Antiochos den linken Flügel der Kavallerie P bezwang und im Glauben, er habe den Sieg errungen, zur Verfolgung des fliehenden Feindes ansetzte, führte Ptolemaios einen erfolgreichen Angriff im Zentrum. Als Antiochos bemerkte, dass seine Phalanx zurückgedrängt war, war es bereits zu spät. Der Besiegte zog sich nach Gaza zurück und bat um eine Waffenruhe, um seine Gefallenen bestatten zu können – angeblich ein Sechstel seiner Armee. Koilesyrien sollte weitere 20 Jahre lang ptolemäisch bleiben. Doch trotz des Sieges hatte der Krieg negative Auswirkungen für Ägypten. Die hohen Kosten belasteten die königliche Staatskasse und, was von noch größerer Bedeutung war, der Beitrag der eingeborenen Ägypter zum Sieg steigerte deren Selbstbewusstsein. Nur zehn Jahre nach der Schlacht rebellierten die Eingeborenen gegen Ptolemaios; ihr Anführer Hugronaphor etablierte sich als Pharao in Oberägypten (im Süden des Landes). 20 Jahre lang, von ca. 205 bis 185 v. Chr., sollten die Ptolemäer über einen Großteil ihres Königreichs keine Kontrolle mehr haben. Polybios beschreibt diesen Konflikt als einen „Krieg, der, abgesehen von der Rohheit und Gesetzlosigkeit, mit denen beide Seiten einander begegneten, keine Feldschlacht, keine Seeschlacht, keine Belagerung oder irgendetwas anderes Erwähnenswertes beinhaltete“. Die Folgen für die ptolemäische Wirtschaft und die Akzeptanz der königlichen Herrschaft wogen schwer. Auch wenn der Vierte Syrische Krieg hier als ein regionaler Krieg behandelt wurde, sollte doch auch erwähnt werden, dass er lose mit zwei anderen Kriegen verbunden war, die zwischen 222 und 217 v. Chr. gekämpft wurden: einer auf Kreta, der andere war der „Bundesgenossenkrieg“ zwischen Philipp V. von Makedonien und den Achäern auf der einen und den Ätolern auf der anderen Seite (s. S. 89f.). Dieses allen hellenistischen Kriegen gemeinsame Merkmal, das jede Darstellung hellenistischer Geschichte verwirrend macht, lässt sich an diesen Jahren beispielhaft beobachten. Um es verstehen zu können, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die an der Schlacht bei Raphia beteiligten griechischen Söldner richten: 6500 Griechen in Antiochos’ Armee und weitere 11 000 in Ptolemaios’ Heer. Von den Söldnern, die auf beiden Seiten dienten, kamen 5500 allein aus Kreta. Die Kreter, die Antiochos dienten, wurden von einem Mann aus Gortyn angeführt, während jene in Ptolemaios’ Armee dem Kommando eines Mannes aus Knossos unterstanden, Gortyns größtem Feind. Die Präsenz kretischer Söldner in den Armeen sowohl der Seleukiden als auch der Ptolemäer rührt von der politischen Spaltung Kretas her. 222 v. Chr. hatten sich Gortyn und Knossos 101

Griechen auf dem Pharaonenthron

gegen die einzige Stadt verbündet, die sich ihrer Vorherrschaft ­w iedersetzte: Lyttos. Doch trafen sie auf Widerstand, der vermutlich mit sozialen Konflikten in Verbindung stand. Der Krieg gegen Lyttos löste in mehreren Städten einen Bürgerkrieg aus und führte letzten Endes zum Auseinanderbrechen des Bündnisses zwischen Knossos und Gortyn. Und dieser kretische Konflikt spielte sich parallel zu und in Verbindung mit dem Krieg von Philipp V. und den Achäern gegen die Ätoler ab. Die Gortyner und ihre Verbündeten unterstützten Philipp V., während die Knossier mit den Ätolern verbündet waren. Der zeitgenössische Historiker Polybios bezeichnete dieses Phänomen miteinander verbundener Kriege in Griechenland, Asien und Afrika als symploke (Verflechtung). Ab 217 v. Chr. kam zu den Verflechtungen im östlichen Mittelmeerraum ein weiterer Protagonist hinzu: Rom. Diese Entwicklung werden wir erst nach einem Überblick über die politische Organisation der hellenistischen Welt untersuchen.

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5 Die Welt der Monarchie: Könige und Königreiche

Die vielfältigen Ursprünge des hellenistischen Königtums Ein anonymer hellenistischer Autor definierte „Königtum“ folgendermaßen: „Königsherrschaft [basileia] wird den Menschen weder von der Natur noch durch ein Gesetz gegeben; sie wird jenen gegeben, die imstande sind, ein Heer zu führen und politische Angelegenheiten umsichtig zu verwalten.“ Indem sie Legitimität militärischem Erfolg unterordnet, bricht diese Definition mit früheren griechischen Traditionen von Königtum. Bis zu Alexander hatten die Griechen nur den Fall gekannt, dass ein Mann den Titel basileus (König) auf der Grundlage institutioneller Traditionen führte: weil er einer bestimmten Familie angehörte – den Argeaden in Makedonien zum Beispiel – oder weil er in das jährliche Amt eines basileus gewählt worden war, wie es einige Städte kannten. Alexanders Zeitgenossen und seine Nachfolger erlebten jedoch, wie militärische Siege Männer zu Königen werden ließen. Es waren seine Siege gewesen, die Alexander erst zum Pharao in Ägypten und dann zum König von Asien gemacht hatten. Alle Diadochen wurden aufgrund ihrer militärischen Erfolge zu Königen erklärt, nicht aufgrund dynastischer Legitimität. Obwohl er eine Armee befehligte und Gebiete kontrollierte, wurde Antigonos Gonatas nicht unmittelbar nach dem Tod seines Vaters 283 v. Chr. zum König erklärt, sondern erst nach seinem Sieg über die Gallier 277 v. Chr. Ebenso zögerten die ersten Dynasten von Pergamon, sich zu Königen zu erklären. Erst Attalos’ I. Sieg über die Gallier um 238 v. Chr. erlaubte es ihm, den Königstitel anzunehmen. Im Westen hatten die Griechen auf Sizilien bereits langjährige Erfahrung mit der monarchischen Macht von Tyrannen, doch der erste Mann, der sich seine militärischen Erfolge zunutze machte, um den Titel basileus anzunehmen, war Agathokles (s. S. 63f.). Dem Beispiel der Diadochen folgend, fügte er seinem Königstitel keine geographische oder ethnische Bestimmung hinzu. Er war nicht „König von Sizilien“ oder „König der Syrakuser“. Agathokles war einfach 103

Die Welt der Monarchie

nur „König Agathokles“, sprich: König eines jeden Territoriums, das er unter seine Kontrolle bringen würde. Nur Kassander verwendete einen Titel mit einer ethnischen Bestimmung: „König der Makedonen“. Die absichtliche Unbestimmtheit des Titels hellenistischer Könige eröffnete ihnen die Möglichkeit einer kontinuierlichen Machterweiterung; sie war eine Aufforderung zur Eroberung. Als sich die hellenistischen Dynastien etabliert hatten, hing die Legitimität eines Königs vom dynastischen Prinzip der Nachfolge ab, wobei in der Regel die Macht vom Vater auf den Sohn überging; die Macht eines Königs hingegen beruhte auf seiner Armee. Die Ausrufung des Königs durch die Heeresversammlung war ein altes Ritual von großer Symbolkraft. Man nimmt an, dass im vorhellenistischen Makedonien nach dem Tod eines Königs die einflussreichen Mitglieder des Hofs dem Heer jenen Mann als nächsten Monarchen präsentierten, auf den sie sich – freiwillig oder unter Druck – geeinigt hatten. Per Akklamation erkannte das Heer diesen als König und Kommandanten an. Diese Praxis wurde auch nach dem Ende der Argeadendynastie fortgesetzt. Für die Zeit nach den Diadochen werden Proklamationen von Königen nur im Kontext von Usurpationen oder Problemen bei der Thronfolge erwähnt, doch heißt dies nicht, dass sie nicht auch unter normalen Umständen vorkamen. Im Ptolemäerreich fand die Königsproklamation wahrscheinlich nicht nur vor dem versammelten Heer, sondern auch vor der Bevölkerung der Hauptstadt Alexandria statt. Doch waren die makedonischen Traditionen nur ein Teil dessen, was das hellenistische Königtum auszeichnete. Fremdeinflüsse waren von ebenso großer Bedeutung. Als Alexander die Kontrolle über Ägypten übernahm, wurde er vermutlich als Pharao inthronisiert; als er sich auf den Thron der alten Achämenidenhauptstädte setzte, tat er dies als Nachfolger der Groß­ könige, wobei er Elemente von deren Königstracht übernahm. Wir wissen nicht, wie sein makedonischer Freundeskreis auf die ägyptischen Rituale reagierte. Was Alexanders Übernahme persischer Traditionen in Sachen königliche Gewänder und Zeremonien anbelangt, wissen wir aber, dass sie mit Kritik, Spott und offener Ablehnung reagierten. Eine der zeremoniellen Traditionen, die proskynesis oder Ehrerbietung, wurde so heftig als barbarisch abgelehnt, dass Alexander sie aufgeben musste. Anders war es mit dem Diadem, einer ornamentalen Stirnbinde: Die Griechen konnten sie leicht mit der Stirnbinde in Verbindung bringen, die siegreichen Athleten verliehen wurde. Seit dem „Jahr der Könige“ war das Diadem das bedeutendste der Königsinsignien. Als Antiochos IV. 175 v. Chr. von König Eumenes II. von 104

Die vielfältigen Ursprünge des hellenistischen Königtums

Pergamon und dessen Brüdern auf den Seleukidenthron gesetzt wurde, wurde die Krönungszeremonie mit den folgenden Worten beschrieben: Sie schmückten ihn mit dem Diadem und den anderen Insignien, wie es sich ziemte, opferten einen Ochsen und sicherten sich gegenseitig ihr Vertrauen zu mit allem Wohlwollen und aller Zuneigung.

Um die Übernahme nicht-griechischer Traditionen durch hellenistische ­Könige in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen, müssen wir kurz die Perspektive wechseln. Anstatt sie von einem griechischen Standpunkt aus zu betrachten, sollten wir sie mit den Augen der lokalen Eliten, der Hofbediensteten – der Schreiber, Astrologen, Eunuchen und Diener – sowie der lokalen Bevölkerung sehen, vor allem in Städten wie Babylon oder Susa. Zu Beginn unterlag die einheimische Elite der militärischen Macht: Offiziere, Verwaltungspersonal und Priester, ohne die es unmöglich gewesen wäre, erst Alexanders Reich und dann die seleukidischen und ptolemäischen Königreiche am Laufen zu halten. Als der anfängliche Schock über das Ende der Achämenidendynastie nachließ, verlangten sie nach Gesten, die es ihnen ermöglichten, sich in das neue System, die neue Herrschaft zu integrieren. Maßnahmen waren vonnöten, die die Kontinuität bei komplexen Verwaltungspflichten sicherstellen sollten, wie bei der Begutachtung des Landes für die Steuereintreibung, bei der Aufrechterhaltung der Infrastruktur und der Kommunikation, der Verwaltung der Rechtsangelegenheiten und der Überwachung der riesigen Territorien der Königreiche. Die hellenistischen Könige, die ihre Macht mit mehreren verschiedenen Parteien „verhandeln“ mussten, waren gern bereit, mit diesen Gesten guten Willen zu demonstrieren. Die Übernahme nicht-griechischer Königssymbole war eine ihrer Verhandlungsstrategien. In Ägypten trat jedes Jahr im August der Nil über seine Ufer, egal ob die Macht in den Händen eines ägyptischen Pharaos, eines persischen Satrapen, des Nachkommen eines makedonischen Generals oder eines römischen Monarchen lag; die kultischen, administrativen und technischen Aufgaben rund um die Nilflut blieben dieselben. Der Herrschaftswechsel war eine Herausforderung; Diskontinuität bedeutete Desaster. Ein ähnlicher horror ­ saltus, also die Furcht vor Sprüngen und plötzlichen Brüchen, charakterisierte die Verwaltung in Asien. Aus der Perspektive der Traditionsbewahrer änderten sich lediglich die Namen der Herrscher, nicht die Pflichten und Strukturen. Die traditionellen Dokumente – die in Babylonien gefundenen astronomischen Tagebücher, Königslisten und Chroniken – verzeichnen die 105

Die Welt der Monarchie

Geschehnisse unter Alexander und den Seleukiden genauso wie alles, was Hunderte von Jahren zurücklag, in derselben Sprache und Schrift; sie l­ assen dieselbe Mentalität erkennen und eine ähnliche Auffassung von ­Monarchie wie zur Zeit der Achämeniden. In Ägypten sprechen die Priesterdekrete zu Ehren ptolemäischer Könige ebendiese mit denselben verherrlichenden Ausdrücken an, wie sie den Pharaonen schon seit Jahrhunderten Freude bereiteten, zum Beispiel: „… der König von Ober- und Unterägypten Ptolemaios, der Immerlebende, der Geliebte des Ptah, Sohn von Ptolemaios und Arsinoë, den Geschwistergöttern“. Die hellenistische Welt war voller Illusionen, gewollter wie ungewollter. Eine davon war die Illusion von Kontinuität, obwohl sich tatsächlich doch so viel verändert hatte. Was sich jedoch niemals veränderte, war die Wichtigkeit des dynastischen Nachfolgeprinzips: der Machterhaltung innerhalb des Kreises einer einzigen, zugegebenermaßen oft ziemlich erweiterten ­Familie.

Königtum als Familienangelegenheit Führen Sie sich einmal diese Geschichte vor Augen: Eine Frau heiratet ihren Bruder und dann, nach seinem Tod, ihren zweiten Bruder; aber dann verlässt ihr neuer Ehemann sie, um ihre Tochter aus ihrer früheren Ehe zu heiraten, und tötet ihren einzigen Sohn. „Das kann schon mal passieren“, werden Sie vielleicht sagen. Und in der Tat: So etwas kommt vor – in schlechten Fernsehserien und an hellenistischen Königshöfen. Es ist die Geschichte von Kleopatra II. (s. S. 237). Hellenistische Königsfamilien mussten sich mit all den Herausforderungen auseinandersetzen, mit denen mächtige Familien eben konfrontiert sind: mit der Erhaltung, Teilung und Übertragung der familiären Macht; mit Kämpfen um Zuneigung und Aufmerksamkeit, mit Eifersucht und Neid, Ehrgeiz und Enttäuschung. Das hellenistische Königtum nur als Institution zu untersuchen, ohne zwischenmenschliche Beziehungen und emotionale Spannungen in den Blick zu nehmen, wäre so verfehlt, als würde man die britische Königsfamilie analysieren und Emotionen dabei ausklammern. Aber wenn wir es mit Familien zu tun haben, die vor über 2000 Jahren gelebt haben, haben wir es natürlich mit gefilterten Informationen zu tun. Die hellenistischen Monarchien verglichen sich selbst mit einem Haushalt und wurden als solcher geführt. Theoretisch lag die gesamte Macht in 106

Königtum als Familienangelegenheit

den Händen des Haushaltsvorstands, je nach seinem Alter, seiner Erfahrung und seiner Persönlichkeit konnte der Einfluss seiner Gattinnen, Mutter, Kinder und Höflinge, oder „Freunde“, allerdings beträchtlich sein. Die Auffassung von hellenistischer Monarchie als einer Familie ist keine moderne. Eben als solche präsentierten sich Monarchien ihren Untertanen und der Außenwelt. Laodike, die Gattin Antiochos’ III., war nicht die Schwester des Königs – und wurde doch offiziell als solche bezeichnet. Die königlichen Beinamen, unter denen die ptolemäischen Monarchen bekannt waren, rückten ihre familiären Beziehungen in den Vordergrund. Ptolemaios II. war „schwesterliebend“ (Philadelphos); Ptolemaios IV., Ptolemaios VII., Berenike III., Ptolemaios XIII. und Kleopatra VII. (die berühmte Kleopatra) waren „vaterliebend“ (Philopatores); Ptolemaios VI. war „mutterliebend“ (Philometor), wie auch seine beiden Gattinnen, seine Schwester Kleopatra II. und deren Tochter Kleopatra III. Manchmal spiegelten diese Beinamen die Realität wider – Ptolemaios II. liebte seine Schwester Arsinoë II. wirklich – und manchmal nicht: Die Beziehung zwischen Kleopatra II. und Kleopatra III. war, euphemistisch ausgedrückt, dysfunktional. Diese Beinamen, ob nun Ausdruck wahrer Gefühle oder nicht, dienten stets demselben Zweck: den Untertanen ein Bild von dynastischer Kontinuität und Harmonie zu präsentieren. Ein Sohn verliebt sich in die zweite Ehefrau seines Vaters; diese Geschichte ist uns aus Verdis (und Schillers) Don Carlos vertraut, es gibt aber auch ein solches hellenistisches Liebesdrama – mit Happy End. Im Mittelpunkt steht die Liebe von Antiochos I. zu seiner Stiefmutter Stratonike, und sie sollte David und Ingres zu Gemälden inspirieren und einer der beliebtesten komischen Opern des späten 18. Jahrhunderts als Grundlage dienen, Étienne Méhuls Stratonice (1792). Diese Liebesgeschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Königshaus als liebevolle Familie darstellte. Im Jahr 294 v. Chr. verliebte sich Antiochos in Stratonike, die junge Gattin seines Vaters Seleukos. In seiner Verzweiflung beschloss er, sich zu Tode zu hungern, und verweigerte unter dem Vorwand einer Krankheit jegliches Essen. Seinen Arzt Erasistratos konnte er jedoch nicht täuschen; dieser war fest entschlossen, herauszufinden, wer das Objekt der Begierde seines Patienten war, sei es männlich oder weiblich. Da er Tag für Tag in dessen Zimmer verbrachte, bemerkte Erasistratos, dass Antiochos auf die Besuche von Stratonike mit den typischen Symptomen eines Liebeskranken reagierte: „stotternde Stimme, feuriges Erröten, verdüsterter Blick, plötzliche Schweißausbrüche, unregelmäßiges Herzklopfen und schließlich, wenn seine Seele 107

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überwältigt war, Hilflosigkeit, Starrheit und Blässe“. Der Arzt verließ sich letzten Endes auf Seleukos’ Zuneigung zu seinem Sohn und ging das Risiko ein, dem König zu erzählen, dass Antiochos’ Leiden eine Liebe war, die weder erfüllt noch geheilt werden könne: die Liebe zur Ehefrau des Erasistratos. Als Seleukos Erasistratos bei ihrer Freundschaft anflehte, ihm seine Gattin zu geben, fragte Erasistratos den König, ob er dasselbe täte, wenn Antiochos in Stratonike verliebt wäre. Mit Tränen in den Augen behauptete Seleukos, dass er nur allzu gern sein ganzes Königreich aufgeben würde, wenn er nur Antiochos retten könnte. Als er ihn zu dieser Aussage gebracht hatte, enthüllte Erasistratos die Wahrheit. Daraufhin berief Seleukos eine Versammlung des ganzen Volkes ein und erklärte, dass es sein Wunsch und sein Beschluss sei, Antiochos zum König der oberen Satrapien und Stratonike zu seiner Frau zu machen, sodass die beiden als Ehepaar zusammenlebten. Er glaubte, dass sein Sohn, der ihm für gewöhnlich in allen Dingen folgte und gehorchte, ihm hinsichtlich dieser Heirat nicht widersprechen würde; und sollte seine Frau über diesen ungewöhnlichen Schritt verdrossen sein, rief er seine Freunde dazu auf, sie zu belehren und dazu zu überzeugen, das, was dem König als vorteilhaft erschien, als gut und gerecht anzusehen.

Was sich in den königlichen Gemächern der Seleukiden genau zutrug, können wir nicht mit Sicherheit sagen; dass wir die Geschichte des liebeskranken Sohnes kennen, liegt vermutlich darin begründet, dass der Hof ihre Verbreitung abgesegnet hatte. Schließlich waren die von den drei Protagonisten zum Ausdruck gebrachten Gefühle keineswegs tadelnswert. Es ist die Geschichte von einem warmherzigen Vater, der bereit ist, Opfer zu bringen, von einem respektvollen und gehorsamen Sohn und einer pflichtbewussten und um­ sichtigen Ehefrau, kurz: von einer liebevollen Familie, die in ihren Entscheidungen von ihren Freunden unterstützt wird. Diese Geschichte enthielt vermutlich auch ein theatrales Element: Die Angehörigen der Königsfamilie erschienen ihren Untertanen als Menschen mit Emotionen. „Der König und sein Sohn sind einer von uns“, mögen die Menschen gedacht haben. Eine solche PR-Strategie kennen wir aus der modernen Politik. Es ist von Bedeutung, dass Seleukos eine Versammlung einberief, um seine Entscheidung bekannt zu geben: Die Versammlung bestand wahrscheinlich aus den Hauptstadtbewohnern und der Armee und wurde für die Präsentation des Mitregenten und zukünftigen Königs genutzt, ganz im Einklang mit der alten makedonischen Tradition der Königsproklamation durch das Heer. 108

Königtum als Familienangelegenheit

Beinahe ein Jahrzehnt später, um 285 v. Chr., machte Ptolemaios I. seinen Sohn Ptolemaios II. zu seinem Mitregenten. Derartige Bekanntmachungen wurden in hellenistischen Königreichen später eine übliche Praxis zur Bewahrung der dynastischen Nachfolge. Die Machtübertragung fand jedoch nicht immer auf so friedliche Art statt. Da königliche Hochzeiten in der Regel ein Mittel zur Knüpfung neuer Bündnisse waren, war es nicht unüblich, dass ein König seine Frau verstieß und eine weibliche Verwandte eines anderen Königs heiratete, wenn es die Umstände erforderlich machten. Die Kinder aus mehreren Ehen des Königs und oft auch die verstoßenen Ehefrauen sorgten regelmäßig für Konflikte. Nehmen wir zum Beispiel den Fall Ptolemaios’ I. von Ägypten. Bevor er König wurde, hatte er Eurydike, die Tochter des mächtigen Regenten Antipatros, geheiratet. Eurydike gebar ihm drei Söhne und zwei Töchter. Im Jahr 317 v. Chr. kam Berenike, eine Nichte des Antipatros und die Witwe eines makedonischen Ad­ligen, mit ihrem Sohn Magas und ihren Töchtern Antigone und Theoxena nach Alexandria. Während sie der Königin ihre Aufwartung machte, fiel sie Ptolemaios ins Auge. Dieser verstieß seine erste Frau, um sie zu ehelichen; Berenike gebar ihm zwei Töchter, Arsinoë und Philotera, und einen Sohn, den späteren Ptolemaios II. Allein aus diesen beiden Ehen (und es gab noch weitere) hatte Ptolemaios also acht Kinder und drei Stiefkinder. Als er beschloss, Ptolemaios II. zu seinem Nachfolger zu machen, floh sein ältester Sohn, Ptolemaios Keraunos, an den Hof des Lysimachos, wo seine Halbschwester Arsinoë Königin war und seine Schwester Lysandra mit dem Sohn des Königs, Agathokles, verheiratet war. Nachdem Arsinoës Intrigen dazu geführt hatten, dass Agathokles hingerichtet wurde, flohen Keraunos und Lysandra an den Hof des Seleukos. Keraunos half Seleukos dabei, Lysimachos bei der Schlacht von Kouroupedion zu besiegen, doch war sein Ehrgeiz stärker als seine Dankbarkeit. Nach dem Sieg ermordete er Seleukos und ließ sich selbst zum König von Makedonien erklären. Als er auch Ansprüche auf den Thron von Ägypten erhob, versuchte Ptolemaios II., mit seinem älteren Halbbruder ins Reine zu kommen und arrangierte eine Ehe zwischen ihm und ihrer Schwester Arsinoë. Diese intrigierte jedoch gegen ihren neuen Gatten, und Keraunos ließ zwei ihrer Söhne ermorden. Arsinoë kehrte schließlich nach Ägypten zurück, heiratete ihren Bruder Ptolemaios II. und wurde zu einer der einflussreichsten Frauen der hellenistischen Geschichte; nach ihrem Tod wurde sie als Göttin verehrt (s. Abb. 7). Angesichts solcher Verflechtungen überrascht es nicht, dass dynastische Kämpfe weitverbreitet waren. Lysimachos ließ seinen Sohn Agathokles 109

Die Welt der Monarchie

­ inrichten (284 v. Chr.); Magas, der Herrscher von Kyrene, wandte sich gegen h seinen Stiefbruder Ptolemaios II. (274 v. Chr.); Antiochos I. ließ seinen rebellischen ältesten Sohn Seleukos ermorden (267 v. Chr.); Antiochos Hierax kämpfte mit seinem Bruder Seleukos II. um den Thron und herrschte kurzzeitig in Teilen Kleinasiens (ca. 246–235 v. Chr.); und Philipp V. befahl die Hinrichtung seines Sohnes Demetrios (180 v. Chr.), weil er den Verdacht hatte, er würde sich mit den Römern gegen ihn verschwören. 40 Jahre lang litt das Ptolemäerreich unter den Machtkämpfen zwischen Ptolemaios VI. und seinem Bruder Ptolemaios VIII., und später zwischen Ptolemaios VIII. und seiner Schwester Kleopatra II. (ca. 163–118 v. Chr.). Im Seleukidenreich gab es zwischen 161 v. Chr. und seinem Untergang 63 v. Chr. zahllose ­dynastische Konflikte zwischen den einzelnen Linien des Geschlechts (s. S. 233–236). In all diesen dynastischen Kämpfen spielten Frauen eine zentrale Rolle. Dass die Frau eines Königs über Einfluss verfügte, ging auf eine Tradition zurück, die tief in den Stammeskönigreichen von Makedonien und Epirus verwurzelt war; deren Frauen waren weitgereist und hatten politische Erfahrung, manchmal sogar militärische Kenntnisse. Olympias, Alexanders Mutter, war eine der Akteure der Diadochenkriege, ebenso wie Eurydike, die Gattin von König Philipp III. Arrhidaios. Der sogenannte Laodike-Krieg (s. S. 95–100) zeigt, welchen Einfluss hellenistische Königinnen politisch haben konnten. Keine von ihnen kam jedoch der letzten hellenistischen Königin, Kleopatra VII., gleich, die sich für Wissenschaften interessierte und mit ihrer Persönlichkeit zwei der größten Feldherren Roms in ihren Bann zog (s. S. 259–268). Auch uneheliche Kinder der Könige mit ihren Kurtisanen waren bisweilen in dynastische Konflikte verwickelt. Ein gewisser Herakles, angeblich ein unehelicher Sohn Alexanders aus dessen Beziehung mit Barsine, einer persischen Adligen, spielte eine Nebenrolle in den Diadochenkriegen. Ein anderes uneheliches Kind aus einem Königshaus, Aristonikos, Sohn von ­Attalos Eumenes II., erklärte sich selbst zum König, als sein Halbbruder ­Attalos III. 133 v. Chr. sein Königreich Rom vermachte (s. S. 218–221), und auch uneheliche Kinder der seleukidischen Könige spielten eine wichtige Rolle bei den dynastischen Kämpfen des 2. Jahrhunderts v. Chr. Die Usurpation der Macht durch entferntere Verwandte von Königen ist ein ähnliches Phänomen. Im Kleinen ist das bezeugt für Alexander, den Neffen von König Antigonos Gonatas. Der König ernannte ihn zum Kommandanten von Korinth, des wichtigsten makedonischen Stützpunkts in Griechenland. Alexander nutzte die Schwächung der makedonischen Macht 110

Königtum als Familienangelegenheit

in Südgriechenland zu seinem Vorteil, revoltierte und etablierte kurzzeitig eine eigene Herrschaft in Korinth und auf Euböa. Molon, der die oberen seleukidischen Satrapien regierte, revoltierte gegen Antiochos III., aus Hass auf dessen obersten Minister (223–220 v. Chr.). Derselbe Antiochos sah sich auch der Revolte von Achaios ausgesetzt, eines entfernten Verwandten, dem es gelang, sich zum König von Teilen Kleinasiens ausrufen zu lassen (220– 214 v. Chr.). Die Usurpatoren beabsichtigten wahrscheinlich, nur die Gebiete zu beherrschen, die sie in ihre Hände bekamen, und nicht ihre Macht auf das gesamte Seleukidenreich auszudehnen. Trotz dieser Herausforderungen waren die hellenistischen Dynastien langlebiger als alle römischen Dynastien. Die Antigoniden herrschten, mit Unterbrechungen, von 307 bis 167 v. Chr., die Attaliden von 281 bis 133 v. Chr. und die Ptolemäer von 323 bis 30 v. Chr. Dem langen „Todeskampf“ der Seleukiden (150–63 v. Chr.) war eine Periode energischer Reichspolitik vorangegangen (312–163 v. Chr.). Im Gegensatz dazu konnten sich die Antoninen, eine Dynastie von römischen Adoptivkaisern, nicht einmal ein Jahrhundert lang halten (96–192 n. Chr.). Wie aber lässt sich die Langlebigkeit der hellenistischen Dynastien erklären? Der erste Faktor war, dass das Prinzip der Erbfolge in jeglicher rechtlichen und gesellschaftlichen Hinsicht allgemein respektiert wurde. Eine größere Rolle spielte jedoch, dass nur Mitglieder der herrschenden Dynastie sowie deren enge Verwandte und oberste Berater Zugang zur politischen Erfahrung, zu Ressourcen – Geld und Streitkräfte – sowie zum Beziehungsnetzwerk von Militärbefehlshabern, Statthaltern, städtischen Eliten und später römischen Senatoren hatten, was für die Etablierung persönlicher Macht unabdingbar war. Als Folge hiervon konnte es nur unter ganz bestimmten Umständen zu einem Machtwechsel von einer Herrscherfamilie zu einer anderen kommen: wenn sich die Statthalter in lose kontrollierten und unzureichend verteidigten Gebieten an der Peripherie eines Königreichs von ihren Loyalitäten lossagten und unabhängige Königreiche schufen, wie im Fall des Griechisch-Baktrischen Königreichs im Iran und in Afghanistan (s. S. 230– 233); oder wenn der Machtwechsel das Ergebnis von Fremdbeteiligung war – in der Regel vonseiten der Römer. Darüber hinaus waren die hellenistischen Höfe überaus erfolgreich darin, eine Bandbreite von Medien einzusetzen, damit ihre Herrschaft den verschiedenen, in komplexe Verhandlungen involvierten Partnern annehmbar erschien: der Armee, den abhängigen Städten, der einheimischen Bevölkerung, den Bewohnern der königlichen Hauptstädte und, eine gewisse Zeit lang, Rom. 111

Die Welt der Monarchie

Neue administrative Herausforderungen: wie man ein Reich regiert Was würden Sie tun, wenn Sie Mitte zwanzig wären und dazu ausgebildet worden wären, ein Königreich zu regieren, das Sie in weniger als zehn Tagen zu Fuß durchqueren können, plötzlich aber über ein Reich herrschen sollen, das sich vom Balkan bis zum Iran im Osten und im Süden bis nach Ägypten erstreckt? Angenommen, der Erfolg hat Ihren gesunden Menschenverstand nicht vernebelt, so übernehmen Sie vermutlich das Verwaltungssystem, das Sie vorgefunden haben, und nehmen daran nur so viele Änderungen vor, wie unbedingt nötig. Was tun Sie jedoch, wenn Sie in die frisch unterworfenen Gebiete eine Bevölkerungsgruppe mitbringen, die mit den lokalen Institutionen und Traditionen nicht vertraut ist? Führen Sie deren Institutionen in den eroberten Gebieten ein, oder gewöhnen Sie die Neuankömmlinge an die in ihrer neuen Umgebung bereits existierenden Strukturen? Vor diesen beiden Herausforderungen sah sich Alexander der Große unmittelbar nach seiner Ankunft in Ägypten. Und sie wurden umso dringlicher, als er Dareios III. bei Gaugamela besiegt hatte und auf dem Thron der achämenidischen Könige in Susa saß. Auch auf seinem Feldzug im fernen Osten setzte sich Alexander mit diesen Problemen auseinander, als er Veteranen in den eroberten Gebieten ansiedelte; und er wurde in der kurzen Zeit zwischen seiner Rückkehr vom Feldzug und seinem frühen Tod wieder mit ihnen konfrontiert. Was die erste der beiden Herausforderungen anbelangt, folgte Alexander dem gesunden Menschenverstand und machte sich die bestehende Infrastruktur zunutze. 200 Jahre lang hatten die Achämenidenkönige ihr Reich mithilfe eines Systems von Satrapien regiert, wobei sie die zentralisierte, autokratische Herrschaft des Königs und seines Hofs mit der Dezentralisierung gewisser Aufgaben auf die Ebene der Provinz verbanden – dazu zählten die lokale Rekrutierung von Truppen, die Wahrung von Recht und Ordnung sowie die Eintreibung von Tribut. Eine weitere traditionelle Autorität, die Alexander nicht ignorieren konnte, war die der Priester, insbesondere in Ägypten. Die Ansiedlung von Veteranen, die in den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Traditionen der griechischen poleis aufgewachsen waren, war in Ägypten und im Rest von Alexanders riesigem Reich allerdings ein neues Phänomen. Für die Organisation und Ver­ waltung der neuen poleis griff Alexander auf das Modell der griechischen Kolonien zurück. Bei der Ansiedlung und der Zuteilung von Land an ­ 112

Neue administrative Herausforderungen: wie man ein Reich regiert

­ oldaten in eroberten Gebieten folgten er und seine Nachfolger möglicherS weise einem bereits existierenden makedonischen System. Die Organisation und die Verwaltung der hellenistischen Königreiche hatten ihre Wurzeln also in vielen verschiedenen Milieus, sowohl in griechischen und makedonischen Institutionen als auch in lokalen Traditionen; doch gab es immer Raum für Innovationen. Alexander starb, bevor er sich mit den alltäglichen Verwaltungsangelegenheiten einer Reichsregierung auseinandersetzen musste. Seine Nachfolger konnten diese Herausforderung jedoch nicht mehr umgehen; sie hatten sich umgehend um administrative Dinge zu kümmern. Die wesentlichen Züge der Verwaltung müssen schon um 300 v. Chr. fixiert gewesen sein. Zwar gab es in vielen wichtigen Punkten Unterschiede, einzelne Elemente hinsichtlich der Stellung des Königs, der Ideologie der Monarchie sowie der Verwaltung hatten die verschiedenen hellenistischen Königreiche aber gemein. Die Hauptaufgaben bestanden in der militärischen Organisation und der Verteidigung des Territoriums, in finanzwirtschaftlichen Angelegen­ heiten und der Eintreibung von Tribut, in der Rechtsprechung und in der Instandhaltung der Heiligtümer. Der König war von erstrangigen Beamten umgeben, die seinen Hofstaat bildeten. Sofern er nicht noch minderjährig war, rekrutierte er diese Beamten persönlich, nach Verdienst, Fähigkeit und Loyalität. Die meisten Beamten waren, besonders in der Anfangszeit, nicht in dem Königreich geboren, in dem sie dienten, sondern stammten aus griechischen Städten und erreichten ihren Aufstieg bei Hof durch eine Vielzahl von Faktoren. Abstammung aus einer Familie mit Einfluss und Verbindungen war einer Stellung am Hof dienlich, aber auch Männer ohne entsprechenden Hintergrund konnten sich, sofern sie fähig waren, durch ihren Verdienst und ihre Loyalität in der ­H ierarchie nach oben arbeiten – vor allem Armeeoffiziere. Ihre Loyalität war personenbezogen, gehörte also dem König, nicht dem Königreich oder „Staat“. War ein König in administrativen Dingen inkompetent oder erlitt er eine Niederlage in einem Krieg, dann konnte das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Offizieren gestört sein, was wiederum dazu führen konnte, dass sich ein Offizier einen anderen Auftraggeber suchte. Die Mitglieder des Hofs und die hohen Beamten waren direkt an die Person des Königs gebunden. Sie waren seine „Freunde“ (philoi). Ihre Titel zeigten ihre Nähe zum König sowie ihre Stellung in der Hierarchie an. Im ­Ptolemäerreich, wo die Titel der hohen Beamten und Mitglieder des Hofs im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. formalisiert wurden, gab es „Leibwächter“ 113

Die Welt der Monarchie

(somatophylakes), „Gefolgsleute“ (diadochoi), „Freunde“ (philoi), „Oberste Leibwächter“ (archisomatophylakes), „Erste Freunde“ (protoi philoi), „Verwandte“ (syngeneis) und später „jene, die gleich an Ehre wie die Verwandten sind“ (isotimoi tois syngenesin) und „jene, die gleich an Ehre wie die Ersten Freunde sind“ (isotimoi tois protois philois). Ähnliche Bezeichnungen gab es im seleukidischen Königreich: „Freunde“, „geehrte Freunde“ (timomenoi philoi), „Erste Freunde“ und „Erste und Ausgezeichnete Freunde“ (protoi kai protimomenoi philoi). Die „Freunde“ waren eines der bedeutendsten administrativen und militärischen Organe eines hellenistischen Königreichs. Sie waren Befehlshaber wichtiger Militäreinheiten, Bezirks- und Provinzstatthalter, Botschafter und Berater. Sie begleiteten den König, wenn er auf die Jagd ging, und nahmen an seinen Banketten teil; sie fungierten als Lehrer der Prinzen, und manchmal waren sie wirkliche Freunde. Mit der Zeit wurde die Stellung als „Freund“ eines Königs von einer Generation an die nächste weitergegeben, und es entwickelte sich eine Art Erbadel – kompetente oder gerissene Emporkömmlinge hatten grundsätzlich aber immer die Chance, zu einem Teil des Hofs zu werden. Der Hof war dort, wo der König war, und der König war, wenn er sich nicht gerade auf einem Kriegszug befand, in seiner Hauptstadt, oder in einer seiner Hauptstädte, wenn es mehr als eine gab. Für die Ptolemäer war diese Hauptstadt Alexandria, das im Lauf der hellenistischen Zeit zu einem großen urbanen Zentrum mit ungefähr einer Million Einwohner anwuchs, zu einer regelrechten Megacity der Antike. Der Königspalast, nahe den Königsgräbern, war das unumstrittene Zentrum der Macht. Er war mit einem Bildungszentrum und einer Bibliothek verbunden, dem Mouseion. Das Seleukidenreich hatte drei Hauptstädte: Antiochia und Apameia am Orontes sowie Seleukeia am Tigris. Pergamon, die Hauptstadt der Attaliden, ent­ wickelte sich im Lauf des 3. Jahrhunderts v. Chr. zu einem bedeutenden urbanen Zentrum. In Makedonien wuchsen weder die traditionellen Hauptstädte Aigai und Pella noch die spätere Hauptstadt Demetrias auf eine mit den Hauptstädten in den neuen Königreichen vergleichbare Größe. Die komplexen Verwaltungsaufgaben machten den Alltag an den hellenistischen Höfen anspruchsvoller, verglichen mit dem am „primitiveren“ Hof der alten makedonischen Monarchie. Das grundlegende Element höfischen Lebens blieb das Bankett oder symposion, das den König, seine Familie und die höchsten militärischen und administrativen Beamten zum geselligen Trinkgelage zusammenbrachte. Es bot eine Gelegenheit für Beratungen über Themen der Außenpolitik und Militärstrategie, für den Austausch mit 114

Neue administrative Herausforderungen: wie man ein Reich regiert

fremden Gästen und Gesandten wie auch für allgemeine Diskussion. An den hellenistischen Höfen, und besonders in Alexandria, erreichten die kulturellen Aktivitäten während eines Banketts – Vortrag von alten und neuen literarischen Werken, Vorlesungen über Geschichte, Diskussionen über Kunstwerke und musikalische Darbietungen – oftmals ein sehr hohes intellektuelles und künstlerisches Niveau. Das hing von den intellektuellen Fähigkeiten und Interessen des jeweiligen Königs und seiner Höflinge ab. Am einen Ende des Spektrums rangierten Männer wie Ptolemaios I., selbst ein versierter Historiker, der in Alexandria die führenden Gelehrten seiner Zeit versammelte, um das Mouseion und seine Bibliothek als Zentren der Bildung zu schaffen, oder Pyrrhus und Antigonos Gonatas, die sich mit Philosophen umgaben; am anderen Ende finden sich Könige, die gern ihre eigenen Darbietungskünste zur Schau stellten, Antiochos IV. als Mimentänzer und Ptolemaios XII. als Flötenspieler, jedoch von ihren Zeitgenossen dafür kritisiert wurden, die Würde des Königtums zu beschädigen. Selbstverständlich gediehen an den hellenistischen Königshöfen wie an jedem anderen Hof in der Geschichte Ehrgeiz, Feindschaften, Verschwörungen und der Wettstreit der Höflinge um Einfluss, wie auch Liebesaffären zwischen Königen und weiblichen Verwandten von Hofleuten. Die größeren Königreiche übernahmen ein System der Provinzialverwaltung, das im Wesentlichen früheren Traditionen folgte. In Ägypten gab es seit den Zeiten der Pharaonen ein ausgeklügeltes Verwaltungssystem, um aus der jährlichen Nilflut den größtmöglichen Nutzen für die Landwirtschaft zu ziehen. Es wurde von den Ptolemäern übernommen. Wichtige Aufgaben, insbesondere der Bau und die Instandhaltung von Kanälen und Dämmen oder das Vorbereiten der Felder für den Anstieg des Nils, mussten von einer zentralen Autorität koordiniert werden, der die lokalen Verwalter unterstellt waren. Das Herz der Verwaltung war der Hof in Alexandria, wo der „Hauptverwalter“ (dioiketes) der Steuerverwaltung vorstand. Das Land war in ungefähr 40 Provinzen oder Distrikte aufgeteilt, die nomoi genannt wurden. Jeder nomos wurde von einem „General“ (strategos) regiert, der polizeilichen und richterlichen Pflichten nachkam. Der „Anführer des nomos“ ­(nomarches) war für die landwirtschaftliche Produktion verantwortlich, während ein „Aufseher“ (oikonomos) finanzwirtschaftliche Angelegenheiten und die Tributzahlungen an die königliche Schatzkammer in Alexandria überwachte. Er wurde vom „königlichen Schreiber“ (basilikos grammateus) unterstützt, der für die Buchhaltung verantwortlich zeichnete. Diese Ämter waren ungemein wichtig, da beinahe alle ökonomischen Aktivitäten im 115

Die Welt der Monarchie

­tolemäischen Wirtschaftssystem der strengen Kontrolle der königlichen p Verwaltung unterstanden. Die Zentralverwaltung bestimmte, was wo von wem in welchen Mengen produziert wurde, und legte darüber hinaus die Preise der Waren und die Höhe des zu zahlenden Tributs fest. Die Herstellung vieler Produkte, insbesondere pflanzlicher Öle, unterlag einem Staatsmonopol, und Bestimmungen der Regierung schränkten den Handel mit der Außenwelt ein. Um dieses System am Laufen zu halten, nutzte die Verwaltung die Dienste von Steuerpächtern: Sie streckten die geschätzte Tributsumme für ein bestimmtes Produkt vor und erhielten im Gegenzug das Recht, den Tribut von der Bevölkerung einzutreiben. Im 2. Jahrhundert v. Chr. waren „Territorialgeneräle“ (strategoi oder epistrategoi tes choras) für Gebietseinheiten zuständig, die größer waren als die Provinzen, nämlich für Mittel- und Oberägypten, die Thebais und Zypern. Jeder nomos war in topoi (Bezirke) untergliedert, die sich aus komai (Dörfern) zusammensetzten. Jeder topos und jede kome wurden von lokalen Beamten regiert, dem toparches und dem komarches, die wiederum von Schreibern unterstützt wurden. Für die Rechtsprechung gab es eigene lokale Gerichte, die jeweils für die Griechen, die einheimische Bevölkerung und möglicherweise auch für ethnische Gruppen wie die Juden zuständig waren. Darüber hinaus respektierten die Ptolemäer bis zu einem gewissen Grad die Autorität der einheimischen Priester als Vermittler zwischen den Sterblichen und den Göttern. Das Verwaltungs- und Steuersystem Ägyptens kam, mit geringfügigen Änderungen, auch bei der Verwaltung der ptolemäischen Außenbesitzungen in Südsyrien und Palästina, Kleinasien und der Ägäis zur Anwendung. Auch diese Außenbesitzungen wurden von Generälen regiert, während oikonomoi steuerliche und wirtschaftliche Angelegenheiten überwachten und das Bindeglied zwischen Steuerpächtern und königlicher Schatzkammer darstellten. Jeder Verwaltungsbeamte war in einer streng hierarchischen Befehlskette einer höheren Autorität untergeordnet, die auf der Ebene des Dorfes begann und über die Bezirke und Provinzen zur Zentralverwaltung in Alexandria führte. In Angelegenheiten der Sicherheit und Justiz unterstanden die Provinz-„Generäle“ direkt dem König, während die Steuerverwaltung vom „Hauptverwalter“ geleitet wurde. Ein wichtiges Element in der königlichen Verwaltung war der Unterhalt der Streitkräfte. Die Kriegsführung hatte ein hohes Niveau an taktischer Raffinesse in der Schlacht und bei langen Belagerungen und einen hohen Spezialisierungsgrad erreicht; es gab verschiedene Truppengattungen mit jeweils spezifischen Waffen, wie die schwere Phalanx mit ihren langen 116

Neue administrative Herausforderungen: wie man ein Reich regiert

Lanzen, die leichtbewaffneten Streitkräfte mit kurzen Rundschilden, die Bogenschützen und die Schleuderer, diejenigen, die Belagerungsmaschinen und Geschütze bedienten, die Kavallerie und die Flotte; jeder Truppenteil benötigte ein spezielles Training. Die vom König mobilisierten Streitkräfte waren bisweilen sehr groß – in der Schlacht bei Raphia zum Beispiel kämpften 140 000 Mann – und heterogen, denn sie umfassten ein stehendes Berufsheer, zusätzliche Söldner, Truppen von verbündeten Städten und Städtebünden sowie, in manchen Fällen, aus der nicht-griechischen Bevölkerung rekrutierte Soldaten. Im Seleukidenreich waren die Bedingungen ganz anders. Ein geographisch verbindendes Element wie den Nil gab es dort nicht; die große Entfernung von den Hauptstädten zu den Satrapien an der Peripherie begünstigte zentrifugale Tendenzen, die sich zu Usurpationen und Abspaltungen auswachsen konnten. Die administrativen Prinzipien aber unterschieden sich von denen im ptolemäischen Ägypten nicht. Auch hier bauten die Reichsgründer ihre Herrschaft auf eine Kombination aus lokalen Traditionen, insbesondere bei der Verwaltung der östlichen Provinzen, und griechischen städtischen Traditionen, die bei der Verwaltung der Städte Anwendung fanden. Der „Aufseher der Geschäfte“ (epi ton pragmaton), eine Art Wesir, war der bedeutendste Verwaltungsbeamte unter dem König; seine Position hatten die Seleukiden von den alten orientalischen Königreichen übernommen. Tribut und Einnahmen wurden von der königlichen Schatzkammer (to basilikon) eingetrieben, die der Kontrolle des „Aufsehers der Einkünfte“ (epi ton prosodon) unterstand; die lokalen Finanzbeamten in den Provinzen waren ihm untergeordnet. Im späten 3. und frühen 2. Jahrhundert v. Chr. wurden die Provinzen in Kleinasien von einer Art Vizekönig regiert, dem „Aufseher der Geschäfte jenseits des Taurus“. Ein weiterer bedeutender Beamter war der „Kammerdiener“ (epi tou koitonos). Das Königreich war in Provinzen unterteilt, die in etwa den Satrapien des Perserreichs entsprachen. Deren Statthalter, der General (strategos), vereinte in sich militärische und zivile Funktionen. Die interne Gliederung der Satrapien in Bezirke und Unterbezirke, oder topoi, variierte je nach Größe und Lage der jeweiligen Satrapie. Die Befehlskette lässt sich anhand von Inschriften rekonstruieren, die einzelne Befehle des Königs samt Begleitschreiben enthalten, die untergeordnete Autoritäten instruieren, die Befehle auszuführen und sie inschriftlich festzuhalten. So beinhaltet beispielsweise ein Dokumentendossier, das auf 209 v. Chr. datiert und in Philomelion in Phrygien gefunden wurde, den Befehl des Königs (prostagma), Nikanor zum Hohepriester aller 117

Die Welt der Monarchie

Heiligtümer in den Provinzen Kleinasiens zu ernennen. Dieser Befehl wurde zuerst an Zeuxis, den Vizekönig, gesandt, der ihn an Philomelos, den Satrapen von Phrygien, weiterleitete; der Satrap wiederum sandte ihn zu einem Bezirksstatthalter, Aineias, der ihn Demetrios übergab, der einem Unter­ bezirk vorstand. Schließlich händigte Demetrios einem weiteren Empfänger, möglicherweise einem lokalen Beamten oder Priester, eine Kopie aus. Der ganze Übermittlungsvorgang dauerte weniger als einen Monat. Die Seleukiden fanden in ihrem Reich eine bereits existierende Infrastruktur vor, in erster Linie ein Straßennetz, das Kommunikation und Handel ermöglichte. Sie verbesserten es, hauptsächlich indem sie Städte und Häfen ausbauten, die mit ihrer Lage als Zentren für den Transithandel von Ost nach West dienen konnten. Das Königreich der Attaliden war verhältnismäßig klein, bis der römische Senat 188 v. Chr. König Eumenes II. mit riesigen Ländereien in Kleinasien belohnte, die zuvor zum Seleukidenreich gehört hatten (s. S. 202). In diesen Gebieten übernahmen die Attaliden die bestehenden Verwaltungsstrukturen. Das ­Königreich der Antigoniden in Makedonien und Thessalien war während der gesamten Zeit seines Bestehens weitaus kleiner als die anderen hellenistischen Königreiche, und seine wichtigste Herausforderung bestand in der Kontrolle der unterworfenen Städte in Südgriechenland und auf den ägäischen Inseln. Die Könige mussten komplexe Verhandlungen führen, um ihre Autorität durchzusetzen, mit Städten, die in ihrem Kampf um Autonomie zu keinem Zeitpunkt nachließen. Die hellenistischen Königreiche waren multiethnisch und multilingual, was schon für sich genommen eine administrative Herausforderung darstellte. Selbst im kulturell homogeneren Königreich der Antigoniden in Makedonien war ein Teil der Landbevölkerung nicht-griechischen Ursprungs; doch benutzten diese Menschen – größtenteils, aber nicht ausschließlich Thraker – Griechisch für ihre Grabinschriften und Weihungen, und sie waren in einem hohen Maß hellenisiert. In Asien und Ägypten gestalteten sich die Dinge komplizierter. In den Königreichen Kleinasiens gab es ein Nebeneinander von alten und neuen griechischen Städten – mit ihrer nahezu ausschließlich griechischen Bevölkerung – und ländlichen Siedlungen, deren Einwohner verschiedenen indigenen anatolischen Bevölkerungsgruppen angehörten: Dort lebten Myser, Karer, Phryger, Lyder, Paphlagonier, Thraker und andere. Söldnerdienst brachte weitere Einwanderer: Iraner, Gallier und Juden. Im Königreich der Ptolemäer finden wir neben der einheimischen ägyptischen Bevölkerung und den griechischen Siedlern eben118

Neue administrative Herausforderungen: wie man ein Reich regiert

falls eine große Anzahl von Juden und Söldnern unterschiedlicher Herkunft. Das Seleukidenreich war hinsichtlich ethnischer Gruppen und Sprachen das vielfältigste der Königreiche, insbesondere in der Zeit seiner größten Ausdehnung im 3. Jahrhundert v. Chr. Mit Blick auf diese verschiedenen Bevölkerungsteile musste sich die königliche Verwaltung in erster Linie um zwei Aufgaben kümmern: Besteuerung und Rechtsprechung. Die indigenen Bevölkerungsgruppen, die auf Königsland lebten, für ihre lokalen Angelegenheiten jedoch ein gewisses Maß an Selbstverwaltung beibehielten, wurden laoi (die Völker) genannt. Sie bewirtschafteten das Land des Königs und entrichteten kollektiv einen Tribut entweder an den König selbst oder an die Person, die das Land von ihm als Geschenk erhalten hatte – sei dies ein Höfling, ein früherer Beamter oder eine geschiedene Königin. Der Tribut eines Dorfes – nicht eines einzelnen Bauern – bestand in der Regel aus einem Zehntel seines Agrarertrags sowie einem bestimmten Prozentsatz (zwischen zwei und zwölf Prozent) des Wertes von Holz, Nutztieren, Wein und anderen Gütern. Doch auch eine Vermögenssteuer ist gelegentlich bezeugt. Der moderne Begriff „Leibeigene“ gibt die Stellung der laoi nicht exakt wieder. Die laoi waren frei, insofern sie nicht das Eigentum einer anderen Person oder Institution waren. Wenn der Besitzer des von ihnen bewirtschafteten Landes infolge von Eroberung oder Schenkung wechselte, änderte sich der Empfänger ihrer Tributzahlungen, was jedoch nicht bedeutet, dass sie zum Eigentum des neuen Besitzers des Landes wurden oder dass sie an das Land gebunden waren. Wenn der König ihr Land dem Territorium einer Stadt hinzufügte, wurden sie zu paroikoi (jene, die nahe der Stadt wohnen). Verallgemeinerungen hinsichtlich der Stellung der laoi sind mit großer Wahrscheinlichkeit unzutreffend. Angesichts der Häufigkeit von Kriegen und der Tatsache, dass Könige ihre Schatzkammern mit Geld füllen mussten, um ihre Armeen zu bezahlen, müssen Unterdrückung und Ausbeutung weitverbreitet gewesen sein. In Ägypten, wo uns mehr Informationen über das Leben der einheimischen Bevölkerung zur Verfügung stehen, wurden viele Bewohner im 2. Jahrhundert v. Chr., insbesondere unter den chaotischen Bedingungen der Bürgerkriege, zu Opfern von Ausbeutung und Gesetzlosigkeit, viele verließen die Felder und lebten als Straßenräuber. Der ptolemäische Amnestieerlass von 118 v. Chr., nach einer langen Phase dynastischer Kriege, erwähnt dieses Problem explizit. Der König verfügte in seiner Erklärung, dass „jene, die geflohen waren, da sie der Straßenräuberei und anderer Vergehen angeklagt worden waren, in ihre Häuser zurückkehren, ihre früheren Tätigkeiten 119

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­ ieder aufnehmen und jene ihrer Besitztümer zurückerhalten sollen, die w aus diesen Gründen eingezogen worden waren und noch nicht verkauft wurden“. In Kleinasien gewann Aristonikos im späten 2. Jahrhundert v. Chr. teilweise auch wegen der Unzufriedenheit dieser Bevölkerungsgruppe im Attalidenreich Unterstützung für seine Revolte gegen Rom (s. S. 220). In den städtischen Siedlungen waren Fremde, zumeist Söldner, in selbstverwalteten Gemeinschaften organisiert, die politeumata (Bürgergemeinschaften) genannt wurden. Wir kennen solche politeumata aus dem Ptolemäerreich. Die Personen aus Kaunos und Termessos, die in Sidon lebten, waren in jeweils eigenen politeumata organisiert; ähnliche Gruppen – Böoter, Kreter, Kilikier, Juden und Idumäer (aus einer Gegend im Süden des Toten Meeres) – sind in Ägypten belegt. Die politeumata der Phryger und Lykier, die nur für die Kaiserzeit bezeugt sind, müssen auch schon früher existiert haben. Die politeumata hatten eigene Heiligtümer und Priester. Den jüdischen politeumata nach zu urteilen, die in mehreren Städten belegt (Alexandria, Herakleopolis, Leontopolis, Berenike) und insgesamt besser dokumentiert sind, lebten die Mitglieder eines politeuma in eigenen Stadtvierteln; dort hatten die Beamten des politeuma administrative und richterliche Pflichten inne, die ihnen von der ptolemäischen Verwaltung übertragen worden waren. Der Oberbeamte eines politeuma war der politarches oder ethnarches. Dank einem hohen Maß an Flexibilität und einer Übernahme verschiedener Traditionen waren die Königshöfe in der Lage, die komplexe Verwaltung riesiger und heterogener Gebiete mit begrenztem Personalaufwand zu bewerkstelligen. Nichtsdestotrotz hatte das hellenistische Königtum mit Problemen zu kämpfen – mit dynastischen Konflikten und dem militärischen Charakter des Königtums, der den König dazu zwang, seine Herrschaft kontinuierlich durch Kriege zu legitimieren. Wie diese Probleme die Stabilität der Herrschaft unterminierten, sehen wir in den nächsten Kapiteln.

Städte und Könige: Kämpfe um Autonomie und die Illusion von Freiheit Im Jahr 318 v. Chr. wurde der athenische General Phokion vor Gericht gestellt, weil er sich König Philipp Arrhidaios widersetzt hatte. Einigen Quellen zufolge wurde er allgemein verurteilt. In Plutarchs Leben des Phokion hat sich aber ein Bericht erhalten, der eine andere Version bietet; er 120

Städte und Könige: Kämpfe um Autonomie und die Illusion von Freiheit

stammt von einem hellenistischen Historiker aus Athen, dessen Namen wir nicht kennen: Ihr Transport [gemeint ist: der Phokions und seiner Anhänger] war ein trauriges Spektakel, da sie auf Karren durch den Kerameikos zum Theater gebracht wurden. Nachdem er sie dorthin gebracht hatte, hielt sie Kleiton [ein Unterstützer des Königs] unter Arrest, bis die Magistrate die Volksversammlung einberiefen, von der sie niemanden ausschlossen, weder Sklaven noch Fremde oder Bürger, die ihre Bürgerrechte verloren hatten, und in der sie jedem Mann und jeder Frau Zugang zum Podium und zum Theater gewährten. Dann wurde der Brief des Königs verlesen, in dem dieser erklärte, dass diese Männer seiner Meinung nach Verräter seien, dass aber die Athener, da sie frei und autonom seien, ihr eigenes Urteil fällen dürften. Danach führte Kleiton die Männer herein. Die tüchtigsten der Bürger verbargen bei Phokions Anblick ihr Gesicht, blickten nach unten und vergossen Tränen. Einer aber stand auf und fand den Mut zu sagen, dass – da der König eine so bedeutende Entscheidung dem Volk anvertraut habe – es angemessen sei, dass die Sklaven und Fremden die Versammlung verließen.

Der anonyme Historiker wollte mit diesen Ausführungen zeigen, dass die Volksversammlung, der bedeutendste Ausdruck von Demokratie und Volkssouveränität, zu einer Theateraufführung verkommen war. Einige Details wirken auf den ersten Blick belanglos, aber sie zeichnen das Bild eines Spektakels. Die Volksversammlung fand im Theater statt, dem Ort der Vorführungen. Sie bestand nicht nur aus den Bürgern, die die reguläre beschlussfassende Körperschaft bildeten, sondern auch aus dem üblichen Theaterpublikum: aus Männern und Frauen, Bürgern und Fremden, Freien und Sklaven. Während dieses Spektakels wurde der Brief des Königs verlesen, in dem dieser das Recht der Athener anerkannte, ihr freies Urteil zu fällen – zuvor hatte er sie jedoch über sein eigenes Urteil in Kenntnis gesetzt. Im Theater, dem Ort der Illusion und Täuschung, inszenierte der König eine theatrale Vorführung von „Freiheit“. Diese Parodie einer Volksversammlung funktionierte wie eine Theatermaske: Sie versuchte, die bittere Realität zu verbergen – den Verlust von Souveränität. Der Sieg Philipps II. bei Chaironeia 338 v. Chr. war nicht das Ende der griechischen poleis, er war aber sicherlich ein Wendepunkt in ihrer Geschichte: Ab diesem Zeitpunkt unterstanden viele Bürgergemeinschaften in Griechenland und Kleinasien der direkten oder indirekten Kontrolle von Königen; und die, auf die das nicht zutraf, wurden früher oder später in 121

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Städtebünde eingegliedert und mussten die parallele Souveränität des Bundes akzeptieren. Die Vorteile, die Könige daraus zogen, dass sie poleis kontrollierten, waren vielfältiger Natur. Städte unterstützten ihre „internationale“ Politik. Ihre Armeen dienten als Verbündete. Sie waren ein wichtiger Pool für die Rekrutierung von Söldnern. Ihre Festungen und Häfen ermöglichten es den ­Königen, strategisch wichtige Plätze sowie den Land- und den Seehandel zu kontrollieren. So dominierten beispielsweise die makedonischen Garnisonen in Chalkis und Akrokorinth wichtige Reiserouten. Häfen – Athen für die Antigoniden, Ephesos und Itanos auf Kreta für die Ptolemäer – und Inseln wie Thasos, Thera und Samos waren für königliche Flotten ungemein wichtig. Manchmal konnte ein König einer Stadt auch einen regelmäßigen Tribut oder eine außerordentliche Beitragszahlung auferlegen. Die Könige hatten viele verschiedene Mittel, um Kontrolle über eine Stadt auszuüben. Das direkteste und effektivste, aber auch das verhassteste, war die Einrichtung einer Garnison, was die Könige als Schutzmaßnahme ausgaben, die Bürger jedoch als Beschneidung ihrer Freiheit missbilligten. Vom frühen 4. Jahrhundert v. Chr. an wurde der Begriff aphrouretos (frei von Garnisonen) beinahe gleichbedeutend mit autonomos. In den Worten einer der hellenistischen Quellen, die Plutarch in seinem Leben des Aratos zitiert, wurden die Achäer „gezäumt wie ein Pferd“, als sie eine makedonische Garnison akzeptierten und Geiseln an König Antigonos Doson übergaben. Garnisonen übten Druck auf die politischen Institutionen einer Bürgergemeinschaft aus; bis zu einem gewissen Maß beuteten sie deren ökonomische Ressourcen aus; und sie besetzten die militärischen Einrichtungen – Festungen, Zitadellen und Häfen. Zusätzlich zum Garnisonskommandanten, einem einflussreichen Stellvertreter der Interessen eines Königs, wurde in einigen Fällen auch ein den König vertretender Beamter ernannt, die königliche Kontrolle damit weiter institutionalisiert. Einen „Aufseher der Stadt“ (epistates epi tes poleos oder einfach epi tes poleos) setzten Könige in der Regel für Städte innerhalb der Grenzen des Königreichs ein. Solche „StadtStatthalter“, die bisweilen mit den Garnisonskommandanten identisch waren, sind bezeugt für die ptolemäischen Außenbesitzungen auf Zypern, in Kleinasien und der Ägäis, für das Attalidenreich von Pergamon, für das bosporanische Reich im Schwarzmeerraum sowie für die Königreiche von Bithynien und Kappadokien. Im makedonischen Königreich übte der König seine Macht über die Städte aus, indem er Anweisungen an „Aufseher“ (epi­ statai) verschickte; es ist nicht klar, ob diese epistatai gewählte städtische 122

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Beamte oder vom König ernannte „Stadt-Statthalter“ waren. Die Könige machten ihren Willen durch allgemeine Verordnungen (diagrammata) und Briefe, in denen es um spezifische Fragen ging, bekannt. Auch durch lokale Staatsmänner, die ihnen gegenüber loyal waren, konnten Könige Einfluss auf Städte ausüben. Es oblag allerdings der Stadt, die königlichen Anweisungen auch umzusetzen, indem sie ein Dekret oder ein Gesetz von der Volksversammlung absegnen ließ. Indem sie „Aufseher“ ernannten oder Tyrannen unterstützten, Garnisonen einrichteten, politischen Freunden Unterstützung anboten und ihren Willen brieflich kommunizierten, übten hellenistische Könige eine strenge Kontrolle über die Städte in ihrem Einflussbereich aus und beschränkten die Volkssouveränität. Zugleich aber waren sie bemüht, den Schein zu wahren, die Illusion von Demokratie und Souveränität aufrechtzuerhalten und den Städten den Eindruck zu vermitteln, dass sie nicht nur auf dem Papier frei waren. Dies erreichten sie durch eine bewusste Wortwahl in ihrer Korrespondenz mit den Städten wie auch durch theatral anmutendes Verhalten. Die Korrespondenz zwischen dem Antigoniden Philipp V. und der offiziell unabhängigen Stadt Larisa in Thessalien ist diesbezüglich äußerst aufschlussreich. 217 v. Chr. schickten die Larisäer eine Gesandtschaft zu ­Philipp V., die ihm erklären sollte, dass die Bevölkerungszahl ihrer Stadt aufgrund der Kriege geschwunden war. Als Antwort auf diese Gesandtschaft einer freien Stadt gab Philipp Anweisungen, die jedoch der formellen Bestätigung durch die Volksversammlung der Empfänger bedurften: Solange ich an andere denke, die eurer Bürgerrechte würdig sind, ist es für den Augenblick mein Urteil, dass ihr ein Dekret erlassen sollt, durch das den Thessalern und anderen Griechen, die in eurer Stadt leben, das Bürgerrecht verliehen wird. Denn ich bin überzeugt, dass, wenn dies vollbracht ist und alle wegen der erhaltenen Gunstbezeigungen zusammenhalten, daraus viele andere Vorteile für mich und für die Stadt entstehen, und dass das Land umfassender bewirtschaftet wird.

Über die Verleihung der Bürgerrechte, also die Aufnahme neuer Mitglieder mit vollen Rechten in die polis-Gemeinschaft, konnte nur die unabhängige Gemeinde entscheiden, per Abstimmung in der Volksversammlung. Wie groß die tatsächliche Macht eines Königs also auch war, er konnte niemals irgendjemandem die Bürgerrechte einer polis in seinem Reich verleihen. Was er jedoch tun konnte, war, die Gemeinde zu bitten, diese Entscheidung gemäß ihrer eigenen konstitutionellen Verfahren zu treffen. Natürlich 123

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konnte der König seinen Willen deutlich machen. Philipp tat dies, indem er das starke Verb krino (bestimmen, ein Urteil fällen) verwendete; er kombinierte sein Urteil jedoch mit Argumenten, um es den Larisäern zu ermög­ lichen, ihr Gesicht zu wahren und das Dekret als Ergebnis nicht seiner ­A nordnung, sondern ihrer Überzeugung zu erlassen. Die Formulierung „Es ist mein Urteil, dass ihr ein Dekret erlassen sollt …“ zeigt die Diskrepanz zwischen der nominellen Unabhängigkeit Larisas („ihr sollt ein Dekret erlassen“) und der wahren Macht des Königs („es ist mein Urteil“). Philipps Empfehlung war zu deutlich, um ignoriert zu werden, doch die Geschichte war damit noch nicht zu Ende. Als der König durch einen Krieg abgelenkt war, annullierten die Larisäer das Dekret, das er ihnen aufgezwungen hatte. ­Philipp musste 214 v. Chr. einen zweiten Brief schicken: Ich habe erfahren, dass diejenigen, denen gemäß meinem Brief und eurem Dekret das Bürgerrecht verliehen wurde und deren Namen auf die Stelen eingemeißelt wurden, gestrichen wurden. Wenn das wirklich geschehen ist, haben die, die euch beraten haben, die Interessen eurer Stadt und mein Urteil ignoriert … Dennoch fordere ich euch auch jetzt noch dazu auf, unbefangen an diese Sache heranzugehen und diejenigen, die von den Bürgern bestimmt wurden, wieder in ihre Bürgerrechte einzusetzen.

Dieses Mal erklärte Philipp die Vorteile dieser Maßnahme ausführlicher und machte deutlich, was die Stadt tun sollte. Auch jetzt konnte er kein Dekret erlassen, aber er konnte seinen Inhalt diktieren. Er bat die Larisäer dann, alle Entscheidungen bezüglich Personen, die als der Bürgerrechte unwürdig betrachtet werden, zu vertagen, und schloss mit den Worten: „Aber warnt im Voraus all jene, die Anschuldigungen gegen diese vorbringen wollen, davor, dass es so wirken könnte, als würden sie aus reinem Ehrgeiz handeln.“ Dieses zweite Mal fügte sich die Stadt. Philipp war ein Meister der Theatralik; er wusste, wie er die Maske des umgänglichen Herrschers, des Volksfreundes, zu tragen hatte. Als er einige Jahre später (209 v. Chr.) Argos besuchte, „legte er sein Diadem und sein purpurnes Gewand ab, um den Eindruck zu erwecken, er stünde auf einer Stufe mit den einfachen Leuten und sei eine milde Person und ein Mann des Volkes“. Er wechselte nicht nur seine Kleidung für den „Imagewechsel“, sondern wählte auch entsprechende Worte, um einen Befehl wie einen Ratschlag aussehen zu lassen. Die Korrespondenz zwischen Philipp V. und Larisa ist ein gutes Beispiel dafür, inwiefern königliche Briefe ein wichtiges Mittel der indirekten Machtausübung sein konnten. 124

Der militärische Charakter des hellenistischen Königtums

Das Verhältnis zwischen Königen und offiziell unabhängigen poleis zeichnete sich durch Gegenseitigkeit aus. Könige waren auf die Städte angewiesen, doch die Städte brauchten auch ihre Unterstützung, besonders in puncto Verteidigung gegen die Angriffe von Piraten in der Ägäis und von Nachbarn und Barbaren in Kleinasien, aus der nördlichen Ägäis und Thrakien. Aus diesem Grund rechtfertigten Könige die Errichtung einer dauerhaften Garnison bisweilen als einen Akt der Wohltätigkeit zum Schutz der Stadt, während sie ihm selbst zugleich strategische Vorteile bot. Bürgergemeinschaften baten Könige, ihre Rechtsstreitigkeiten zu schlichten. Sie hofften auf finanzielle Unterstützung und Spenden, durch die sie ihre Stadt mit Repräsentativbauten und Kunstwerken schmücken, die Bürger mit billigem Getreide versorgen, den Athleten Olivenöl für das Einölen in den Palästren zur Verfügung stellen und die Verehrung der Götter prächtiger gestalten konnten. Den bedeutendsten materiellen Beitrag leisteten die Könige für die Verteidigung der Städte: Sie stifteten Pferde für die Kavallerie, Waffen und Kriegsschiffe, Holz für den Bau von Schiffen sowie Mittel zum Bau oder zur Ausbesserung von Stadtmauern. Nichts aber wurde höher geschätzt als die Bereitschaft eines Königs, die Freiheit und Autonomie einer Stadt anzuerkennen, Steuerbefreiung zu gewähren und seine Garnison abzuziehen. Einem König gegenüber, der ihren Interessen gedient hatte, brachte eine Stadt ihre Loyalität dadurch zum Ausdruck, dass sie ihm gottgleiche Ehren zuteilwerden ließ (s. S. 130–137). Das Verhältnis zwischen Königen und Städten basierte auf einem komplexen Verhandlungsprozess rund um Macht und Reziprozität, ähnlich dem, wie er zwischen Volk und Elite ablief. Als einmal eine alte Frau darauf bestanden haben soll, eine Audienz bei Demetrios Poliorketes zu bekommen, soll dieser ihr geantwortet haben, er habe keine Zeit; darauf soll sie ihn angeschrien haben: „Dann sei kein König!“ Die Akzeptanz der Herrschaft eines Königs beruhte darauf, dass der König im Gegenzug gewisse Dienste leistete.

Der militärische Charakter des hellenistischen Königtums Wenn in hellenistischen Dokumenten ein hellenistisches Königreich erwähnt wird, dann wird dafür der Ausdruck „der König, die Freunde und die Truppen“ (ho basileus kai hoi philoi kai hai dynameis) verwendet. Ein hellenistisches Königreich bestand demnach aus dem König, den hohen Militärbefehls125

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habern und Verwaltungsbeamten (den Freunden) sowie der Armee. Ein hellenistischer König war in erster Linie ein Militärführer (s. Abb. 8 und 9). In dieser Hinsicht unterschied er sich nicht von den meisten vorhellenistischen basileis. An den Pflichten des Königs, der Ausbildung der Prinzen, der Organisation ihrer Höfe, den Symbolen ihrer Macht, ihrer Selbstdarstellung und an ihrer Beziehung zur Armee lässt sich der militärische Charakter des hellenistischen Königtums ablesen. In seinem Lobpreis Ptolemaios’ II. behauptete der Hofdichter Theokrit, „wie sich dies für einen guten König ziemt, ist er sehr darum bemüht, den Besitz seines Vaters zu bewahren und selbst neuen dazuzugewinnen“. Die obersten Pflichten eines hellenistischen Königs beinhalteten die Verteidigung des väterlichen Besitzes, die Rückgewinnung verlorener Gebiete und die Eroberung neuer Territorien. Es wurde von ihm erwartet, dass er kämpfte, effektiven militärischen Schutz bot, siegreich war und, wenn nötig, in der Schlacht fiel. Der Seleukide Antiochos III. entsprach diesem Modell eines idealen hellenistischen Königs. Er bestieg den Thron im Alter von nur 20 Jahren und schlug in einer Reihe von Kriegen einen Aufstand Molons nieder, des Statthalters der oberen Satrapien, der sich selbst in Medien zum König ernannt hatte (220 v. Chr.), gewann beinahe Koilesyrien für sein Königreich zurück (219–217 v. Chr.) und stellte die Kontrolle über weite Teile Kleinasiens wieder her, indem er den Usurpator Achaios besiegte (216–213 v. Chr.). Dann begann er in Imitation Alexanders des Großen einen großen Feldzug, der sein Heer in Gebiete jenseits des Hindukusch führte (212–205 v. Chr.), wo er einheimische Könige zur Anerkennung seiner Oberherrschaft zwang. Zum Zeitpunkt seiner Rückkehr (204 v. Chr.) wurde er „Megas“ (der Große) genannt. Um solchen Erwartungen gerecht zu werden, musste ein Prinz von jungen Jahren an ausgebildet werden. Militärisches Training, Reitkunst und Jagd hatten höchste Priorität in der Erziehung des männlichen königlichen Nachwuchses. Indem er seinen Vater oder andere Befehlshaber auf Feldzügen begleitete, gewann ein junger Prinz Erfahrung und legitimierte seinen Thronanspruch. Einige Könige entwickelten ein ausgeprägtes Interesse an Militärtheorie und daran, wie wissenschaftliche Erkenntnisse im Krieg zur Anwendung kommen konnten. Demetrios Poliorketes verdankte seinen Spitznamen – der Belagerer – den neuen mechanischen Vorrichtungen, die er während der Belagerung von Rhodos 305/304 v. Chr. zum Einsatz brachte: Er ließ sich von Epimachos von Athen eine bewegliche, neunstöckige Belagerungsmaschine (helepolis) mit einem langen herausragenden Balken 126

Der militärische Charakter des hellenistischen Königtums

Abb. 8 Silbertetradrachme von Eukratides I., dem Herrscher von Baktrien, ca. 297–281 v. Chr.; Eukratides hält einen Speer und trägt ein Diadem und einen Helm mit Hörnern. Numismatisches Museum Athen.

bauen, der in einer mit einem Widderkopf verzierten Kegelspitze endete. Pyrrhus und sein Sohn Alexandros sollen Werke über Militärtaktik verfasst haben. Die Ptolemäer interessierten sich für ballistische Forschungen, und Hieron II. von Syrakus setzte Archimedes’ Fähigkeiten dazu ein, Probleme des Belagerungskriegs zu lösen (s. S. 187). Von Königen wurde erwartet, dass sie Angriffe in der ersten Reihe ihrer Truppen anführten, doch es galt als verfehlt, wenn sie sich dabei ohne guten Grund Gefahren aussetzten. Die meisten Könige des 3. und frühen 2. Jahrhunderts v. Chr., mit Ausnahme der Ptolemäer, verbrachten einen Großteil ihrer Herrschaft auf Feldzügen, viele von ihnen wurden mehrmals verwundet, und manche starben bei den Kampfhandlungen. Einige der Spitznamen, unter denen die Könige bekannt waren, hatten ihren Ursprung in Akklamationen, spontanen oder inszenierten Jubelrufen, die militärische Erfolge und militärisches Geschick hervorhoben: Soter (der Retter), Nikator (der Siegreiche), Nikephoros (der Siegbringer), Kallinikos (der mit den schönen Siegen) und Epiphanes (der, dessen Macht offenbar 127

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Abb. 9 Bronzestatue eines Prinzen, 3./2. Jahrhundert v. Chr. Museo Nazionale di Roma, Palazzo Massimo, Italien.

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Der militärische Charakter des hellenistischen Königtums

ist). Der militärische Charakter des hellenistischen Königtums zeigt sich auch an Machtsymbolen. Der Helm war ein Standardattribut auf einem ­Königsporträt (s. Abb. 8). Die berühmte Statue eines Mitglieds eines hellenistischen Königshauses (s. Abb. 9) zeigt einen nackten König in entspannter Haltung; eine virtuelle Diagonale lenkt den Blick des Betrachters zur Spitze seines Speers – dem Betrachter ist klar: Wann immer es nötig sein sollte, könnte dieser Mann eine Probe seiner Stärke liefern. Militärische Qualitäten und militärische Macht spielten eine wichtige Rolle bei von Königen organisierten Feierlichkeiten. Militärische Elemente waren prominenter Bestandteil des nachgewiesenermaßen großartigsten Fests, das in dieser Epoche stattfand: der von Ptolemaios II. organisierten Prozession zu Ehren seines Vaters in Alexandria (ca. 274 v. Chr.). Den Zuschauern wurde ein sichtbarer Beweis der militärischen Stärke des Königs vorgeführt, denn sie sahen, wie 57 600 Infanteriesoldaten und 23 200 Reiter in Rüstung durch die Straßen von Alexandria zum Stadium marschierten. Als es Antiochos IV. nicht gelang, die Kontrolle über Ägypten an sich zu reißen, und er dabei von einem römischen Offizier erniedrigt wurde (s. S. 226f.), kompensierte er sein Versagen, indem er eine beeindruckende Militärparade mit mehr als 50 000 Männern organisierte, die teilweise mit exotischen Waffen ausgerüstet waren; es war zugleich eine Andeutung seiner Zukunftspläne. Ein König, dem es nicht gelang, militärischen Schutz zu bieten, wurde den Erwartungen nicht gerecht, und all jene, die das Erwartete einzulösen vermochten, fühlten sich ermutigt, seinen Platz einzunehmen – entweder durch Usurpation, oder indem sie sich gewissermaßen ihr eigenes Königreich schufen. Die oberen Satrapien der Seleukiden im Nordiran und in Afghanistan, die kontinuierlich Angriffen von Nomadenstämmen ausgesetzt waren, fielen vom Reich ab, als die Aufmerksamkeit der Seleukiden auf andere Dinge gerichtet war. Timarchos, der Satrap von Medien, nutzte seine Kriege gegen die einfallenden Parther dazu aus, König dieses Teils des Reiches zu werden (163–160 v. Chr.). Beinahe alle Kleinkönigreiche an der ­Peripherie der hellenistischen Welt hatten ihren Ursprung im Ehrgeiz abtrünniger Statthalter und Dynasten, die aus der Schwäche des Königs Kapital schlugen. Der militärische Charakter der Monarchie führte dazu, dass ein guter Monarch definiert wurde als einer, der permanent siegreich war und sich um die Anliegen seiner Untertanen und der unendlich schwächeren unabhängigen Städte kümmerte. Nicht alle Könige wurden diesen Erwartungen gerecht. Die Macht derer aber, die ihnen gerecht wurden, war nicht mit 129

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menschlichem Maßstab zu messen; sie konnte nur mit der von Göttern verglichen werden. Ihnen wurden daher Ehren zuteil, die für gewöhnlich den Göttern vorbehalten waren.

Das Gottmenschentum hellenistischer Könige Der erste Sterbliche, dem in Griechenland zu Lebzeiten gottgleiche Ehrungen zuteilwurden, war der spartanische General Lysander nach der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg 404 v. Chr.: Nach ihrer Rückkehr aus dem Exil errichteten die samischen Oligarchen aus Dankbarkeit einen Altar, brachten ihm Opfer dar, sangen Kultlieder und änderten den Namen des Herafestes zu „Lysandreia“, Fest des Lysander. Zwar waren diese Ehrungen von kurzer Dauer, aber sie deuteten doch bereits auf spätere Entwicklungen voraus, für die Philipp II. von Makedonien und Alexander der Große wichtige Anstöße lieferten. Philipp wurde in der von ihm gegründeten Stadt Philippi und vermutlich auch in mehreren anderen griechischen Städten kultisch verehrt. Am Tag seiner Ermordung ließ er sein Bildnis zusammen mit denen der zwölf Olympier in einer Prozession herumtragen; mit einer derartigen Zurschaustellung erklärte sich Philipp nicht direkt selbst zum Gott, sondern er stellte indirekt seine Macht mit der von Göttern auf eine Stufe. Die kultische Verehrung Alexanders ist ein komplexeres Phänomen. Bis zu seinem Lebensende verhielt sich Alexander wie ein frommer Sterblicher und vernachlässigte nie die Opfer für die Götter. Als er einmal verwundet wurde, versicherte er seinen Kameraden im Scherz, dass das, was sie sahen, Blut war und nicht „Ichor, der in den seligen Göttern fließt“. Alexander zählte Herakles und Achilles zu seinen Vorfahren, die als Heroen und Götter verehrt wurden. Seine Blutsverwandtschaft mit Heroen und Göttern war aber keine neue Erfindung. Schon andere Griechen vor ihm waren aufgrund ihrer außergewöhnlichen Leistungen als Söhne von Göttern und Heroen gesehen worden: So glaubte man beispielsweise, dass der berühmte Athlet Theagenes aus Thasos ein Sohn des Herakles war. Diese Tradition wurde später von den Ptolemäern, die ihre Herkunft sowohl auf Herakles als auch auf Dionysos zurückführten, sowie von den Seleukiden fortgeführt, die Apollon als ihren Vorfahren – bzw. sogar als Vater von Seleukos I. – betrachteten. Als Alexander in Ägypten den Status eines Pharaos erlangte, war er quasi von Amts wegen Sohn des Sonnengottes Ra und damit selbst ein göttliches Wesen. Während seines Aufenthalts in Ägypten oder kurz 130

Das Gottmenschentum hellenistischer Könige

danach machten Gerüchte die Runde, dass nicht Philipp, sondern Zeus sein Vater sei. Was jedoch die Wahrnehmung Alexanders als eines Mannes, dessen Macht jener der Götter vergleichbar war und dem entsprechende Ehren zustanden, verstärkte, waren seine beispiellosen militärischen Leistungen und sein Bestreben, die Heroen und Götter zu übertreffen. Als er Aornos angriff, maß er sich mit Herakles (s. S. 32), und seine Eroberung Indiens wurde mit dem indischen Feldzug des Gottes Dionysos verglichen. Während Alexanders Feldzug wurde in mehreren Städten Kleinasiens ein Kult für ihn eingeführt: Altäre wurden errichtet, auf denen ihm zu Ehren geopfert wurde, Wettkämpfe fanden statt und Phylen (Unterabteilungen der Bürgerschaft) wurden nach ihm benannt. Sein Freund Hephaistion wurde nach seinem Tod als Heros verehrt. Zu einer wahrhaftigen Innovation kam es 323 v. Chr., als die Städte des griechischen Festlands, möglicherweise auf Drängen Alexanders hin oder von seinem Hof ermutigt, heilige Gesandte nach Babylon schickten, um Alexander als Gott zu verehren. Alexander starb kurz darauf, und sein Kult wurde bis auf wenige Ausnahmen nicht fortgesetzt. Erythrai in Kleinasien brachte Alexander im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. immer noch Opfer dar, und in Ephesos sind bis ins 2. Jahrhundert n. Chr., in Erythrai sogar bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. Alexanderpriester bezeugt. Seit dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. war es gängige Praxis, Königen Ehren zu erweisen, die ansonsten den Göttern vorbehalten waren. Eines der frühesten Beispiele ist der Kult für Antigonos Monophthalmos und Demetrios Poliorketes in Athen: Nachdem Demetrios Athen von der Besatzung des Kassander befreit hatte (307 v. Chr.), erklärten die Athener die beiden zu „Rettern“ (soteres) der Stadt; ein Altar wurde errichtet, und der neu eingeführte „Priester der Retter“ brachte Opfer dar; zwei neue Phylen wurden nach den Rettern benannt, Antigonis und Demetrias; und ein jährliches Fest mit Prozession, Opfern und Wettspielen wurde begründet. In den meisten Städten bestand die Verehrung von Königen und einigen wenigen Königinnen aus denselben Elementen. Ein heiliger Bezirk (temenos) wurde dem Herrscher geweiht und nach ihm benannt. In dem Bezirk wurde ein Altar für Opfer für den König errichtet. Eine Statue von ihm wurde in einem bereits bestehenden Tempel neben der Statue einer traditionellen Gottheit aufgestellt, mit der sich der König von nun an „den Tempel teilte“ (synnaos). Jährlich wurde ein Priester ernannt, der die Durchführung des Opfers zu leiten hatte, das während eines Festes stattfand. Griechische Feste wurden in der Regel am Geburtstag eines Gottes gefeiert und beinhalteten eine ­Prozession, ein Opfer und athletische Wettkämpfe. Diese Elemente dienten 131

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als Vorbilder für den städtischen Herrscherkult. Das Fest wurde nach dem König benannt (zum Beispiel als „Antiocheia“ für Antiochos). Ein aufschlussreiches Beispiel ist die Einrichtung göttlicher Ehren für Seleukos I. und Antiochos I. in Aigai in Kleinasien unmittelbar nach deren Sieg bei Kouroupedion 281 v. Chr. Aigai ehrte die beiden Könige, die der Stadt die Freiheit geschenkt hatten, mit dem Epitheton „Soteres“ und ergriff darüber hinaus eine Reihe von Maßnahmen: Sie errichteten einen Tempel neben dem Sakralbezirk Apollons, stellten zwei Kultstatuen auf sowie zwei Altäre für die Könige und einen Altar und eine Statue der Soteira, „der Retterin“ (wahrscheinlich Athena), und sie opferten Seleukos und Antiochos während des Apollonfestes Stiere. Weitere Opfer wurden jeden Monat dargebracht, um der Befreiung der Stadt zu gedenken, sowie im nach Seleukos benannten Monat Seleukeon. Für diesen Kult sollte jedes Jahr ein Priester gewählt werden. Er sollte einen Lorbeerkranz, eine Stirnbinde und prächtige Gewänder tragen und auf dem Altar des Königs vor jeder Sitzung der Volksversammlung das einleitende Opfer darbringen. Der heilige Herold schloss die Könige in alle Gebete mit ein, und bei allen Libationen (Trankspenden), die vor den Magistraten durchgeführt wurden, sollte Weihrauch dargebracht und sollten Gebete gesprochen werden. Auch wurden zwei neue Phylen nach Seleukos und Antiochos benannt; das Amtslokal der Ratsherren wurde nach Seleukos, das der Generäle nach Antiochos benannt. Ähnliche Elemente und zusätzliche Ehren lassen sich auch 204 v. Chr. in Teos in Kleinasien beobachten, als die Stadt Antiochos III. ihre Dankbarkeit dafür zeigte, dass er sie von Steuerabgaben befreit und als unverletzlich anerkannt hatte. Die dankbaren Bürger verliehen Antiochos und der Königin, seiner „Schwester“ Laodike, Ehren, die sie mit den Göttern auf eine Stufe stellten. Statuen von Antiochos und Laodike wurden neben der Statue des Dionysos, der Schutzgottheit der Stadt, aufgestellt, damit jene, die die Stadt und ihr Territorium heilig und unverletzlich gemacht haben, uns vom Tribut befreit haben und diese Gunst dem Volk sowie der Vereinigung der Künstler des Dionysos gegeben haben, von allen bestmöglich geehrt werden; indem sie den Tempel und das andere mit ­Dionysos teilen, sollen sie zusammen die Retter der Stadt sein und uns ­zusammen Gutes bringen.

Ein neues Fest wurde eingerichtet und nach dem Königspaar benannt ­(Antiocheia kai Laodikeia). Jede städtische Unterabteilung musste einen Altar für den König und die Königin errichten und ihnen auf dieselbe Weise 132

Das Gottmenschentum hellenistischer Könige

Opfer darbringen, wie man Poseidon Opfer darbrachte. Darüber hinaus wurden die Einwohner ohne Bürgerrecht dazu aufgefordert, an den Feierlichkeiten teilzunehmen und in ihren Häusern zu opfern. Am Tag des Festes sollte jeder einen Kranz tragen, um den feierlichen Charakter des Tages deutlich zu machen; die Gerichtshöfe wurden geschlossen, und alle Arbeiten wurden unterbrochen. Der Ort, an dem Antiochos der Große seine Wohltaten bekanntgegeben hatte, das Rathaus, wurde geheiligt und mit einer Statue von ihm versehen. Da die Statue des Königs im Amtssitz des Rates stand, fanden alle Sitzungen der Ratsherren gleichsam unter seinem Blick statt. Neben den ­Opfern für Antiochos wurde auch zwei Personifikationen, die die Natur der Ehrungen auf symbolische Weise hervorhoben, ein Opfer dargebracht: den Chariten, den Personifikationen der Dankbarkeit und der Gunst, und Mneme, der Erinnerung. Das Opfer brachte die Vorstellung zum Ausdruck, dass die Teier der Gunstbezeugungen für immer gedenken und dauerhaft dankbar sein würden. Am Neujahrstag sollten alle Magistrate „zu ihrem Amtsantritt ein Opfer darbringen, damit sie ihr Amt im Guten beginnen“; so wurde das Neujahrsfest zu einem Fest des Königs. An diesem Tag brachten die jungen Männer, die ihre Ausbildung als Epheben beendet hatten und in die Bürgerschaft aufgenommen worden waren, dem Königspaar ein Opfer dar, „damit sie keine öffentlichen Tätigkeiten ausführen, ohne vorher den Wohltätern gedankt zu haben, und damit wir unseren Nachwuchs daran gewöhnen, alles andere dem Ausdruck von Dankbarkeit gegenüber als zweitrangig zu betrachten“. Sieger von athletischen Wettkämpfen krönten die ­Statue des Königs, kaum waren sie in die Stadt eingezogen, und brachten ein Opfer dar. Um dem König dafür zu danken, dass er die Bewirtschaftung des Landes absicherte und dieses ertragreich machte, wurden Erstlingsgaben vor die Statue des Königs gelegt, und der Priester krönte sie mit einem saisonalen Kranz. Der Königin Laodike wurde ein Brunnen geweiht: Da die Königin den Göttern gegenüber fromm und den Menschen gegenüber wohlwollend ist, ziemt es sich, dass alle, die die Götter ehren und Reinigungsrituale durchführen, Wasser für die Vorbereitung der Riten aus dem nach ihr benannten Brunnen schöpfen … Alle Priester und Priesterinnen, die im Namen der Stadt Opfer durchführen, sollen bei allen Opfern, bei denen Wasser gebraucht wird, dieses Wasser verwenden.

Diese Rituale verbanden zentrale Elemente des Alltags mit dem königlichen Paar: die Beschlussfassung im Rat, die Exekutivmacht der Magistrate, die Erziehung der Jungen, die Bürgerrechte, die Siege bei athletischen Wett133

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kämpfen, die Landwirtschaft, die Familie und den Dionysoskult. Der König und die Königin waren bei politischen Aktivitäten und städtischen Ritualen symbolisch präsent; sie wurden mit abstrakten Vorstellungen wie Erinnerung, Erlösung, Schutz, Freiheit und Dankbarkeit in Verbindung gebracht. Die Rituale stellten die Wirkungsmacht des Königs auf eine Stufe mit der göttlichen. Wie ein Gott hatte Antiochos Wohlstand verliehen. Indem sie ihn wie einen Gott verehrten, zeigten die Teier ihre Dankbarkeit, brachten jedoch auch ihre Hoffnung darauf zum Ausdruck, dass die Gnade des Königs ihnen auch in der Zukunft förderlich sein möge. Als Zurschaustellung von Dankbarkeit war der Herrscherkult eine Überzeugungsstrategie: Er verpflichtete den König, sein Wohlwollen auch künftig beizubehalten. Um königliche Wohltaten zu erlangen, präsentierten sich die Städte bewusst als schwach, leidend und abhängig und konstruierten so das Bild des mächtigen Königs. Indem sie die Macht eines Königs mit der eines Gottes auf eine Stufe stellten, verpflichteten die Städte den Herrscher indirekt dazu, wie ein solcher zu handeln. Ein Begriff, der bisweilen in Zusammenhang mit dem Herrscherkult verwendet wurde, ist isotheoi timai (gottgleiche Ehren). Das Attribut isotheos betont die Tatsache, dass die hellenistischen Könige nicht im eigentlichen Sinn Götter waren; sie wurden nur wie Götter verehrt. Dieses Konzept erlaubte es den hellenistischen Griechen, die Könige in einen Status zu erheben, der höher war als der eines Sterblichen, ohne sie jedoch zu vergöttlichen. Die Verehrung von Königen und Königinnen hatte offiziellen Charakter; selbst Opfer, die zu Hause vollzogen wurden, waren offiziell geregelt. Menschen beteten nicht wegen persönlicher Belange zu Königen. Nur Königin Arsinoë II. erhielt nach ihrem Tod um 268 v. Chr. einen privaten Kult: Als Schutzherrin der Seefahrer wurde sie eine populäre Gottheit im östlichen Mittelmeerraum und gleichgesetzt mit traditionellen Schutzpatroninnen der Seefahrt wie Aphrodite und Isis. Die Geisteshaltung hinter dem Herrscherkult zeigt sich in dem Hymnos, den die Athener 291 v. Chr. sangen, als sie Demetrios Poliorketes empfingen. Er legte seine Ankunft in Athen auf den Zeitpunkt der Eleusinischen Mysterien der Demeter, und Prozessionschöre und ithyphalloi (verkleidete Männer mit erigierten Phallen) kamen ihm in den Straßen tanzend und singend entgegen: Wie die größten und liebsten Götter in unserer Stadt anwesend sind! Denn eine günstige Gelegenheit hat Demeter und Demetrios zur selben Zeit hierhergeführt; sie kommt, um die erhabenen Mysterien der Kore [Persephone]

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Das Gottmenschentum hellenistischer Könige

zu feiern, und er ist hier voller Freude, wie es sich für einen Gott geziemt, schön und lachend. Feierlich ist seine Erscheinung, all seine Freunde im Kreis um ihn und er in ihrer Mitte, als wären seine Freunde Sterne und er die Sonne. Heil dir, Kind des mächtigsten Poseidon und der Aphrodite! Denn andere Götter sind entweder weit entfernt, oder sie haben keine Ohren, oder sie existieren nicht, oder sie schenken uns keine Beachtung, doch dich sehen wir hier anwesend, nicht aus Holz oder Stein, sondern echt. So beten wir zu dir: zuerst bringe Frieden, Liebster; denn du hast die Macht. Und dann die Sphinx, die nicht nur über Theben, sondern über ganz Griechenland herrscht, der Ätoler, der auf dem Felsen sitzt wie die alte Sphinx und alle unsere Leute festnimmt und wegbringt, und ich kann ihn nicht bekämpfen, denn es ist bei den Ätolern üblich, den Besitz der Nachbarn zu beschlagnahmen und nun sogar das, was entfernt liegt; vor allem bestrafe du sie selbst; wenn nicht, finde einen Ödipus, der diese Sphinx entweder von einer Klippe stürzt oder in Asche verwandelt.

Das Lied feiert die Epiphanie der Götter – also die Manifestation ihrer Präsenz; es verherrlicht ihre sichtbare und wirksame Macht mit Epitheta im Superlativ; es nimmt Bezug auf die Bereitschaft der Götter, die dieser Bezeichnung würdig sind, Gebete zu erhören. Das sind wesentliche Merkmale hellenistischer Gottesverehrung. Dem religiösen Konzept zufolge, das diesem Hymnos zugrunde liegt, ist ein wahrer Gott, im Gegensatz zu stummen Bildnissen, willens, mit Sterblichen zu kommunizieren und ihre Gebete zu erhören. Demetrios ist „echt“ aufgrund seiner sichtbaren und wirksamen Präsenz, auf die gleiche Weise, auf die nur Götter, die anwesend sind und ihre Macht manifest werden lassen, echte Götter sind. Indem er erklärt, dass nur jene Götter von Bedeutung sind, die Gebete erhören, sprach der Dichter implizit die Warnung an Demetrios aus, dass auch seine Macht davon abhänge. Als ein echter Gott musste er seine Fähigkeit unter Beweis stellen, die Gebete der Athener zu erhören und sie vor ihren Feinden zu retten. Die Unsterblichkeit von Sterblichen basierte auf Effizienz. In den Worten des Historikers Cassius Dio aus dem frühen 3. Jahrhundert n. Chr.: „Arete [außergewöhnliche, wirksame Macht] macht viele Männer gottgleich ­ ­[isotheos], niemand wurde je durch eine Abstimmung zum Gott.“ Der von den Städten eingerichtete Herrscherkult nahm also Bezug auf Wohltaten, vergangene oder erhoffte, und förderte so die Kommunikation zwischen Stadt und König; der vom Hof eingeführte dynastische Herrscherkult aber hatte einen anderen Hintergrund und ein anderes Ziel: Innerhalb der riesigen Territorien war er ein verbindendes Element, er knüpfte ein 135

Die Welt der Monarchie

Band zwischen König und Untertanen. Anfangs bestand der Dynastiekult in der Vergöttlichung eines verstorbenen Königs; später umfasste er auch ­lebende Herrscher. Als Ptolemaios I. 283 v. Chr. starb, erklärte ihn sein Sohn und Nachfolger, Ptolemaios II., zum Gott; dieselbe Ehre wurde Ptolemaios’ Witwe Berenike 279 v. Chr. gewährt. Das verstorbene Königspaar wurde als „Rettergötter“ (theoi soteres) verehrt. Als Arsinoë, die Gattin und Schwester Ptolemaios’ II., starb (268 v. Chr.?) – oder möglicherweise sogar schon davor –, wurde ihr Kult in den Tempeln aller einheimischen Götter in Ägypten eingeführt. Auf subtile Weise propagierte und legitimierte Ptolemaios II. seine Herrschaft, indem er sich und seine Schwester mit dem Kult für Alexander den Großen in Verbindung brachte. Alexanders Priester wurde zugleich zum Priester der „geschwisterliebenden Götter“ (theoi philadel­ phoi). Alle seine Nachfolger taten dasselbe und fügten dem Titel des Priesters ihre Beinamen hinzu. So wurde der Kult für Alexander in Alexandria in einen Dynastiekult umgewandelt. Öffentliche Dokumente wurden nach diesem „eponymen“ Priester datiert, was sowohl die dynastische Kontinuität als auch die göttliche Natur der Monarchie unterstrich. Zusätzlich zu diesem Kult wurden die Ptolemäer in den ägyptischen Tempeln als „Götter, die den Tempel teilen“ (synnaoi theoi) verehrt, und ihnen wurden dort täglich Libationen und Weihrauch dargebracht. Dieser Kult richtete sich in erster Linie an die einheimische Bevölkerung. Das Datum für viele dynastische Feste wurde nach ägyptischer Tradition festgelegt; der Kult für Arsinoë wurde aus Geldern finanziert, die zuvor an die einheimischen ägyptischen Tempel gezahlt wurden; und die Beschlüsse der ägyptischen Priester, die in der Schrift der Einheimischen in Stein gemeißelt wurden, bezeichneten die Mitglieder der Königsfamilie mit der traditionellen ägyptischen religiösen Terminologie. Eine solche Praxis ermöglichte es der einheimischen Bevölkerung, im ptolemäischen König ihren Pharao zu sehen. Außerhalb von Ägypten, in den ptolemäischen Besitzungen in Kleinasien, auf Zypern und den ägäischen Inseln, wurde der Dynastiekult von den Soldaten praktiziert, die in den ptolemäischen Garnisonen dienten, was sie mit dem Zentrum der Macht in der weit entfernten Hauptstadt verband. Der ptolemäische Dynastiekult war für die Aufrechterhaltung des Kontaktnetzwerks von entscheidender Bedeutung, wie auch für die Zurschau­ stellung von Grandezza. Der größte Monarch dieses Königreichs, Ptolemaios II., nutzte ihn bewusst für diese Zwecke, als er die Ptolemäen einrichtete (s. S. 91f.), zu denen Städte aus der ganzen griechischen Welt ihre heiligen Gesandten (theoroi) entsandten. 136

Die Macht verhandeln

Die Seleukiden herrschten über ein Reich, das weniger homogen war als das ptolemäische Ägypten. Auch wenn sie ihren Dynastiekult nicht auf bereits bestehende Praktiken wie die pharaonischen Traditionen stützen ­ konnten, konnten sie sich immer noch die verbindende Kraft religiöser Ver­ ehrung zunutze machen. Seit der Zeit Antiochos’ I. war es Usus, dass ein verstorbener Monarch vergöttlicht wurde; zu einer Neuerung kam es erst, als Antiochos III. zu Lebzeiten einen Kult für sich selbst einrichtete. Er führte das Amt des Hohepriesters seiner selbst und seiner Vorfahren ein (209 v. Chr.), und etwas später einen Hohepriester seiner Gattin Laodike. Innerhalb ihrer Königreiche stützte der dynastische Kult den Monarchen ideologisch; der einheimischen Bevölkerung ermöglichte er, an einer Form der kultischen Verehrung teilzunehmen, die vertraute Elemente enthielt. Städte setzten den Herrscherkult aber auch als ein Instrument ein, um eine enge Beziehung zu einem Monarchen aufzubauen und ihrer Dankbarkeit für erhaltene Wohltaten wie auch ihrer Erwartung von zukünftigen direkten Ausdruck zu verleihen. Und die Könige und Königinnen reagierten auf diese Ehrungen mit dem Versprechen, die Interessen der Städte zu berücksichtigen. In den heiklen Verhandlungen ermutigten die poleis ihren König zur Großzügigkeit, und sie erschufen das Bild eines Monarchen, der die höchste Gewalt und unbegrenzte, gottgleiche Macht in sich vereinigte.

Die Macht verhandeln Ein hellenistischer König herrschte über alle Territorien, die er mithilfe seiner Militärmacht erobern und halten konnte: die Territorien, die er vererbt bekam und zu verteidigen in der Lage war; die Territorien, die er erobern konnte; und die Territorien von Städten, denen er seinen Schutz bot. Dementsprechend waren die hellenistischen Reiche heterogen, je nach der Herkunft ihrer Einwohner, deren rechtlicher Stellung – Bürger, Militärsiedler, abhängige Bevölkerungsgruppen – und deren Institutionen. Jedes Königreich hatte ein geographisches Kerngebiet. Für die Antigoniden war dies Makedonien und Thessalien, für die Ptolemäer Ägypten, für die Seleukiden Nordsyrien, Babylonien und Teile Kleinasiens, und für die Attaliden Nordwestkleinasien; die Kerngebiete der peripheren Kleinkönigreiche Bithynien, Kappadokien, Pontos und Armenien waren die jeweiligen Regionen. Die Territorien der größeren Königreiche hatten, wenn noch mehrere ­Außenbesitzungen hinzukamen, keine durchgängige Außengrenze. Solche 137

Die Welt der Monarchie

Königreiche zu regieren, war eine Herausforderung. Die Akzeptanz der Herrschaft des Königs beruhte auf dem Erfolg sensibler Verhandlungen mit anderen Königen (und deren Töchtern), mit seinen „Freunden“, mit seiner Armee, mit den Einwohnern seiner Städte und besonders der Hauptstadt oder Hauptstädte, mit den griechischen Städten, mit der einheimischen Elite und der lokalen Bevölkerung, mit den Göttern und, vom frühen 2. Jahrhundert v. Chr. an, auch mit Rom. Die Macht eines hellenistischen Königs hing also in komplexer Form von Interaktionen mit „anderen“ ab – es war ein Spielen mit Versprechungen und Erwartungen, mit Forderungen und Angeboten, mit Errungenschaften und Drohungen, mit Machtausübung und Toleranz. Das hellenistische Königtum war stark personengebunden. Was wir heute „Staatsgeschäfte“ nennen würden, wurde im hellenistischen Griechisch als „die Geschäfte des Königs“ (pragmata tou basileos) bezeichnet; der Wesir des Königreichs war der „Mann, der für die Geschäfte zuständig ist“ (epi ton pragmaton); das Königreich wurde mit einem Haushalt (oikos) verglichen; der Hof bestand aus den „Freunden“ (philoi) des Königs. Deren immer stärker formalisierte Titel ließen erkennen, wie nahe sie der Person des Königs standen und wie sehr dieser ihnen vertraute. Der Begriff „Freund“ impliziert ein Verhältnis von Vertrauen und Zuneigung, das auf der Akzeptanz der hierarchisch übergeordneten Stellung des Königs und auf der Erwartung basierte, dass Loyalität belohnt werden würde. Die Könige waren sich der Auswirkungen bewusst, die ihre Großzügigkeit auf die Loyalität ihrer Freunde, Offiziere und Streitkräfte haben würde. Aus diesem Grund stellten sie sicher, dass ihre Politik, all jene großzügig zu belohnen, die ihnen gute Dienste erwiesen, in relevanten Dokumenten, die in Stein gemeißelt öffentlich ausgestellt waren, explizit erwähnt wurde. Eine ähnliche gegenseitige Übereinkunft bestimmte das Verhältnis zwischen dem König und seiner Armee. Es wurde erwartet, dass Loyalität und Erfolg im Dienst mit Beförderung, Patronage, Ehrungen und materiellen Vorteilen – mit Land, Geld, Preisen oder nach einem erfolgreichen Feldzug einem Anteil an der Beute – belohnt werden würden. Wem der König eine Gefälligkeit erwiesen hatte, der erwähnte diese in einer Weihung an die Götter oder in einer Weihgabe für das Wohlergehen des Königs. Und indem er anderen das Konzept der Reziprozität kommunizierte, festigte er die Loyalität und propagierte die Prinzipien, auf denen das Königtum basierte. In den Augen der Soldaten war es die wichtigste Belohnung, wenn sie Land erhielten. Wie die Loyalität der Freunde, so konnte aber auch die Loyalität des Heeres leicht verloren gehen, wenn die Furcht vor einer Niederlage offen138

Die Macht verhandeln

kundig oder das Versprechen von Beute nicht erfüllt wurde, oder wenn die Herrschaft eines Königs zu schwach oder zu autoritär ausfiel. Nicht einmal Alexander dem Großen blieb die Erfahrung einer Meuterei aufgebrachter Soldaten erspart; Meutereien von Armeen und besonders von Söldnern sowie Fälle von Desertion sind gut bezeugt. Seit dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. sahen sich die hellenistischen ­Könige in den meisten Fällen gezwungen, ihre Position mit einer externen Macht zu verhandeln: Rom. Sie schlossen Bündnisverträge mit den Römern; sie verhandelten mit ihnen die Bedingungen eines Friedensabkommens, wenn sie in einem Krieg eine Niederlage erlitten hatten; sie baten die Römer, in ihren dynastischen Konflikten als Schlichter oder Unterstützer zu fungieren; sie betrachteten sie als potenzielle Unterstützer ihrer Außenpolitik; und wenn ihnen keine andere Option mehr blieb, vermachten sie ihnen ihre Königreiche. Dass verbündete Satellitenkönigreiche entstanden, war das Ergebnis des wachsenden Einflusses der Römer und ihres anfänglichen ­ ­Zögerns, Gebiete zu annektieren und deren Verwaltung abzuwickeln – sie zogen es vor, diese Aufgabe „Klientelkönigen“ zu überlassen. Besonders frustrierend waren diese Verhandlungen, weil Griechen und Römer in diplomatischen Dingen verschiedene Sprachen redeten, weil die römische Politik äußerst wandelbar war und die Machtbalance zwischen dem Senat und ehrgeizigen Militärkommandanten oft nicht leicht zu verstehen. Im Jahr 168 v. Chr. bekam Antiochos IV. römische Diplomatie auf eine Weise zu spüren, die man so schnell nicht mehr vergessen sollte. Als er nach einer erfolgreichen Invasion Ägyptens kurz davor stand, das Ptolemäerreich zu annektieren, konfrontierten ihn die Römer mit der Forderung, er solle seine Truppen zurückziehen. Wie die Dinge lagen, hatte Antiochos wenig Handlungsspielraum. Der römische Gesandte zog mit seinem Stab einen Kreis um ihn und befahl ihm, diesen nicht zu verlassen, ehe er ihm nicht eine Antwort gegeben hatte. Der Seleukide musste sich fügen. Zur selben Zeit führte Prusias II., der König von Bithynien, seinen Zeitgenossen vor Augen, wie ein schwacher König den Römern – sie hatten eben erst seinen Schwager Perseus besiegt – gegenübertreten konnte, um seine Ziele zu erreichen: Als römische Gesandte zuerst zu ihm kamen, trat er ihnen mit rasiertem Haupt und mit einer Kappe, einer Toga und Schuhen entgegen, in ebenjener Kleidung, die bei den Römern all diejenigen tragen, die vor Kurzem frei­ gelassen wurden und liberti genannt werden; und nachdem er die Gesandten

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Die Welt der Monarchie

begrüßt hatte, sagte er: „Seht mich als euren Freigelassenen, der euch in allem zu Gefallen sein und eure Bräuche nachahmen will!“ … Und dann, als er zum Eingang des Senatsgebäudes kam, blieb er an der Türe den Senatoren gegenüber stehen, senkte beide Hände, erwies der Schwelle und den sitzenden Senatoren seine Ehrerbietung und rief aus: „Heil euch Rettergöttern!“, womit er es jedem, der nach ihm kam, unmöglich machte, ihn an Unmännlichkeit, effeminiertem Verhalten und Schmeichelei zu überbieten.

Indem er den Habitus eines Freigelassenen annahm, verpflichtete Prusias den Senat dazu, die Verantwortung wahrzunehmen, die ein patronus ­seinem Freigelassenen gegenüber hatte. Und indem er die Senatoren in den Status von Rettergöttern erhob, forderte er den Senat heraus, dementsprechend zu handeln – das lässt sich vergleichen mit dem Vorgehen der Städte, die Herrscherkulte einrichteten, um die Unterstützung des Königs zu erlangen. Eine solche Theatralik stellt ein wesentliches Merkmal hellenistischen Königtums dar.

Die Inszenierung der Monarchie Demetrios Poliorketes war von den hellenistischen Königen sicherlich die tragischste Gestalt, aber das theatralische Verhalten war bei ihm auch am stärksten ausgeprägt. Er bemühte sich beharrlich, sich als Nachfolger Alexanders als Herrscher über das Reich zu etablieren, und erlebte dabei mehr Schicksalswendungen als jeder andere hellenistische König; wiederholt verlor er Königreiche und gewann sie wieder zurück. Hellenistischen Quellen folgend, betrachtete Plutarch Demetrios’ Leben als ein Schauspiel. Demetrios und die anderen Diadochen, die ihr Verhalten änderten, kaum hatten sie das Diadem erhalten, vergleicht er mit Tragödienschauspielern, die „ihren Gang, ihre Stimme, ihre Haltung bei Tisch und ihre Art, andere anzureden, ihren Kostümen anpassen“. Er beschreibt Demetrios’ Schicksalswandel als eine Verlagerung von der Komödien- auf die Tragödienbühne. Die Garderobe des Königs wird als „großes Schauspiel“ bezeichnet, also mit dem Kostüm eines Schauspielers verglichen. Plutarch kommentiert Demetrios’ Situation nach dessen Niederlage mit Stellen aus Sophokles’ Menelaos und Euripides’ Bakchen. Seine Beerdigung skizzierte er als ­d ramatische Vorführung: Während der berühmteste Flötist eine feierliche Melodie spielte, „hielten die Ruder den Rhythmus dazu, und ihr Geräusch antwortete, wie wenn sich Trauernde auf die Brust schlagen, den Kadenzen 140

Die Inszenierung der Monarchie

der Flötentöne“. Die Ruder des Schiffs übernahmen also die Rolle eines ­Tragödienchors. Plutarch beschließt seine Vita des Königs mit den Worten „und nun, da das makedonische Drama aufgeführt worden ist, lasst uns das römische einführen“. Demetrios war kein Bauernopfer im Spiel des Schicksals, sondern ein ­f ähiger Interpret seiner Rolle als König. Sein Leben wurde mit einem Schauspiel verglichen, weil er es als ein guter Schauspieler gestaltete. Demetrios wusste, wie er theatralisches Verhalten einsetzen musste, um an seinem Image zu arbeiten. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist sein sorgfältig inszeniertes Erscheinen 295 v. Chr. in Athen – er hatte die Stadt eingenommen, die ihn einige Jahre zuvor verraten hatte. Als Zeitpunkt seines Erscheinens wählte der König den Tag, an dem die Athener die Theaterwettspiele der Dionysia zu feiern pflegten, und er befahl den Athenern, sich im Theater zu versammeln – als Zuschauer ihres eigenen Dramas. Er umstellte das Bühnengebäude mit bewaffneten Männern und bemannte selbst die Bühne mit seinen Leibwächtern. Erst als die Athener durch diese Vorkehrungen verwirrt und verängstigt waren, trat Demetrios wie ein Tragödienschauspieler durch einen der oberen Nebeneingänge auf. Er hatte die Emotionen der verängstigten Athener fest in seiner Hand und inszenierte im Theater eine Schicksalswendung, eine wahre peripateia. Er wählte seine Worte und den Tonfall ganz bewusst, als er den Athenern vergab und sie auf seine Seite brachte – genau dieses Ergebnis hatte er sich von seiner Darbietung erhofft. Wie lässt sich der Einsatz theatralischen Verhaltens durch hellenistische Könige erklären? Eine Antwort liefert eine Abhandlung über das Königtum, die einem gewissen Diotogenes zugeschrieben wird. Der Text wurde vermutlich im 2. Jahrhundert n. Chr. verfasst, doch seine Vorstellungen über monarchische Herrschaft treffen auch auf das hellenistische Königtum zu. Der Autor rät dem Monarchen, sich von menschlichen Schwächen zu distanzieren und die Zuschauer mit inszenierten Auftritten und eingeübten Posen in Staunen zu versetzen: Der Monarch sollte sich von den menschlichen Schwächen abgrenzen und sich den Göttern annähern, nicht durch Arroganz, sondern durch Großmut und unübertreffliche Größe seiner Tugend, und indem er sich hinsichtlich seines Aussehens, seiner Gedanken, seiner Vernunft, der Tugendhaftigkeit seiner Seele, seiner Taten, seiner Bewegung und seiner Körperhaltung mit so viel Vertrauen und Autorität umgibt, dass jene, die ihn erblicken, in Erstaunen versetzt und mit Scham, Weisheit und einem Gefühl des Vertrauens geschmückt werden.

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Die Welt der Monarchie

Der Autor kommt zu dem Schluss: „Und vor allem sollte man nicht vergessen, dass Königtum die Nachahmung der Götter ist.“ Er betrachtet den König indirekt als einen Schauspieler, der auf Erden die Rolle übernimmt, die im Himmel von den Göttern gespielt wird: als einen Mann, der die Götter imitiert, ohne selbst ein Gott zu sein. Um dies zu erreichen, benötigt der König mehr als moralische und intellektuelle Fähigkeiten; sein inszeniertes Verhalten erfordert den sorgfältigen Einsatz von Körpersprache. An einer anderen Stelle hebt der Autor wieder die Bedeutung des Auftretens hervor: Bei öffentlichen Ansprachen hat der gute König auf angemessene Haltung und angemessenes Auftreten zu achten, um so ein politisches und seriöses Bild seiner selbst zu erzeugen, damit er der Menge weder als schroff noch als verachtenswert, sondern als lieblich und umsichtig erscheint. Dies wird er erreichen, wenn er, erstens, erhaben anzusehen und anzuhören ist und seiner Herrschaft als würdig erscheint; wenn er, zweitens, in seinen Unterhaltungen, seinem Erscheinen und seinen Wohltaten freundlich ist; wenn er, drittens, in seiner Ehrlichkeit, seinen Strafen, seiner Schnelligkeit und allgemein in seiner Erfahrung und Praxis des Königtums furchterregend ist. Erhabenheit, als eine Nachahmung der Götter, vermag es nämlich, dass er von den Menschen bewundert und verehrt wird; Freundlichkeit vermag es, dass sie ihm gegenüber wohlwollend sind und ihn lieben; Strenge schließlich macht ihn bei seinen Feinden gefürchtet und unbesiegbar, bei seinen Freunden aber großmütig und souverän.

Ein entscheidender Punkt bei öffentlichen Auftritten wie auch für das Image eines hellenistischen Königs war, dass das Gleichgewicht zwischen Zugänglichkeit – nötig für seine Popularität – und Distanziertheit, die den Respekt vor seiner Herrschaft wahren sollte, nicht gestört wurde. Distanziertheit und Zugänglichkeit waren beide wesentlich für die Akzeptanz von militärischer Führerschaft und für die Beziehung zu den autonomen Städten. Ein Heer zu führen, erfordert eine klare Distanz in der Hierarchie zwischen König und Soldat. Ein erfolgreicher Kommandant muss sich allerdings beim Training und auf dem Schlachtfeld zeigen, auf die Bedürfnisse der Soldaten eingehen und die Bereitschaft zeigen, sie für ihre Loyalität und ihre Dienste zu belohnen. Das Verhältnis eines Königs zu einer freien Stadt basierte auf einem ähnlichen Gleichgewicht zwischen Autorität und Freundlichkeit, Distanz und Nähe, Ungleichheit und Umgänglichkeit, zwischen seinem Anspruch auf Loyalität und dem Anspruch der Stadt auf Autonomie. 142

Die Inszenierung der Monarchie

Könige mussten Ebenbürtigkeit theatralisch zur Schau stellen, um ihre Ziele zu erreichen. Könige hatten genügend Gelegenheiten, um Auftritte zu inszenieren: die Heeresversammlung, Feierlichkeiten bei Hof, Prozessionen und zeremonielle Empfänge in den Städten. Philipp V. soll seine Kleidung manipuliert haben, um die Illusion von Ebenbürtigkeit und Zugänglichkeit zu erzeugen: Nachdem er die Wettspiele der Nemeen gefeiert hatte, kehrte er nach Argos zurück und legte sein Diadem und sein purpurnes Gewand ab, um den Eindruck zu erwecken, er stünde auf einer Stufe mit den einfachen Leuten und sei eine milde Person und ein Mann des Volkes. Je demokratischer seine Kleidung jedoch wurde, desto größer und monarchischer wurde seine Macht.

Kleidung war für Philipp, was eine Maske für einen Schauspieler war: ein Mittel, um ein Bild zu erzeugen. Polybios beschreibt ein ähnliches Verhalten im Fall des Seleukiden Antiochos IV., der darum bemüht war, das erwünschte öffentliche Image zu kreieren: Oftmals legte er die königliche Kleidung ab und zog eine Toga an, ging so auf der Agora umher, nahm an den Wahlen teil und bat die Leute um ihre Stimmen, wobei er einige umarmte und andere anflehte, damit er zum agoranomos [Marktaufseher] oder zum demarchos [Stadtoberhaupt] gewählt wurde.

Um die Illusion des volksnahen Königs zu erzeugen, soll er sich bei Feierlichkeiten unter das gemeine Volk gemischt und Musikinstrumente gespielt haben. Am Ende des großen Festes, das er 166 v. Chr. in Daphne organisiert hatte (s. S. 227), wurde er von Mimentänzern zum Palast getragen, als wäre er einer der Künstler. Dort tanzte er nackt und führte mit den Clowns ein Schauspiel auf. Diese inszenierte Leutseligkeit fand nicht bei allen Anklang, und Polybios änderte seinen Königstitel Epiphanes (der, dessen Macht offenbar ist) zu Epimanes (der Verrückte); wenn die Balance zwischen Distanz und Geselligkeit gestört war, wurde ein solches Verhalten oft als Verrücktheit aufgefasst. Sorgfältige Inszenierung konnte jedoch enormen Eindruck machen. Als zwei der Söhne Attalos’ I. um 185/184 v. Chr. Kyzikos besuchten, die Heimatstadt ihrer Mutter Apollonis, inszenierten sie ihren Besuch als eine Reminiszenz an die berühmtesten „tugendhaften Söhne“ der griechischen Geschichte: Als der Sage nach keine Ochsen verfügbar waren, um den ­K arren der Herapriesterin von Argos zum Heiligtum der Hera zu 143

Die Welt der Monarchie

ziehen, übernahmen deren Söhne Kleobis und Biton diese Aufgabe. Attalos’ Söhne platzierten ihre Mutter zwischen sich und gingen in allen Heiligtümern der Stadt umher; dabei hielten sie die Hände ihrer Mutter. Die Zuschauer würdigten und ehrten die jungen Männer hierfür; und eingedenk der Geschichte von Kleobis und Biton verglichen sie ihr Verhalten mit deren.

Diese Geschichte fasst anschaulich einige der Aspekte einer königlichen ­Familie ganz gut zusammen: die Darstellung der Herrscherdynastie als liebevolle Familie, die richtige Balance zwischen Zugänglichkeit und Distanziertheit, die Erhebung der königlichen Familie über normale Sterbliche, ihren Vergleich mit Sagengestalten und das Bestreben, Zustimmung zu erlangen. Selbst in den Jahren ihres Niedergangs blieb Kleopatra, die letzte Ptolemäerin, in einer Sache unübertroffen: In der Weise, wie sie Zuschauer durch die glamouröse Inthronisierung ihrer ­K inder bezauberte. Aber, Kavafis zufolge: Wussten die Alexandrier natürlich, dass all dies bloße Worte waren, reines Theater.

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6 Die Welt der Bürger: Stadtstaaten in einer Welt der Städtebünde und Königreiche

Die polis: materieller Niedergang und ideologische Strahlkraft Was für einen Eindruck hinterließ Athen – die großartigste Stadt des ­k lassischen Zeitalters – bei jemandem, der sie 200 Jahre nach dem Tod des ­Perikles besuchte? Der Reisende Herakleides schrieb in der Mitte oder am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. seine Eindrücke nieder, wie er es auch für andere Städte tat: Die Stadt selbst ist ganz vertrocknet und hat keine gute Wasserversorgung; die Straßenführung ist aufgrund ihres Alters schlecht. Die meisten Häuser sind von billiger Machart, nur wenige sind brauchbar; ein Fremder würde es auf den ersten Blick schwer zu glauben finden, dass dies die berühmte Stadt Athen ist, doch würde er bald davon überzeugt werden. Dort kann man die schönsten Sehenswürdigkeiten der Welt sehen: ein großes und beeindruckendes Theater, einen prachtvollen Tempel der Athena, weithin sichtbar und wirklich sehenswert, den sogenannten Parthenon, der oberhalb des Theaters liegt … Sie haben Feste aller Arten, und Philosophen von überall her führen die Menschen hinters Licht und bieten Unterhaltung; es gibt viele Gelegenheiten zum Müßiggang und pausenlos Vorführungen. Die Früchte des Landes sind alle unvergleichlich und von erstklassigem Geschmack, wenn auch etwas knapp vorhanden. Die Anwesenheit von Fremden, an die sie alle gewohnt sind und die gut mit ihren eigenen Neigungen harmoniert, lenkt ihre Aufmerksamkeit den angenehmen Dingen zu und lässt sie ihren Magen vergessen. Wegen der Spektakel und Unterhaltungen in der Stadt kennt das einfache Volk keinen Hunger, da diese veranstaltet werden, damit die Menschen das Essen vergessen; doch für jene, die Geld haben, gibt es keine andere Stadt, die hinsichtlich der gebotenen Vergnügungen vergleichbar wäre.

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Die Welt der Bürger

Es war eine Stadt der Kontraste: zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Reich und Arm, Illusion und Realität. In seiner Beschreibung Athens und anderer Städte zeichnete Herakleides lebhafte Bilder einer heterogenen Welt. Beeindruckende Gebäude, Darbietungen, Feste, Vorträge, sichere Straßen und eine gute Infrastruktur zählen zu den positiven Aspekten. Im benachbarten Böotien lobt er Tanagra für seine Gastfreundschaft und den Gerechtigkeitssinn seiner Einwohner; auch die Tatsache, dass es in den Wäldern in der Umgebung der Stadt keine Räuber gebe, nennt er unter den positiven Dingen. Wenn der Autor solche Punkte hervorhebt, dann nur deshalb, weil man sie nicht überall erwarten konnte. An vielen Orten nahm er Anzeichen des Verfalls wahr. In Bezug auf Plataiai zitiert er die verächtlichen Verse des komischen Dichters Poseidippos: Es hat zwei Tempel, eine Säulenhalle und seinen Namen … Meistens ist es eine Wüste, und nur zum Fest der Eleutheria wird es eine Stadt.

Da es in jüngerer Zeit keine eigenen Leistungen vorzuweisen hatte, auf die es stolz sein konnte, konnte Plataiai nur auf das Gedenkfest verweisen, das die letzte Schlacht gegen die Perser 479 v. Chr. feierte. Eine berühmte Vergangenheit war das einzige, das alte Griechenstädte im Überfluss hatten. Athen fehlte es an Wasser, Anthedon an Getreide. Ein Besucher würde in Athen eine Vielzahl von bewunderungswürdigen Bauwerken vorfinden – das Theater, den Parthenon, den immer noch unvollendeten Tempel des Zeus Olympios, die Philosophenschulen in der Akademie und im Lykeion, das Gymnasium bei Kynosarges –, doch keines dieser Gebäude war im hellenistischen Zeitalter gebaut worden. Theben wirkte nur deshalb moderner, weil es 335 v. Chr. von Alexander dem Erdboden gleichgemacht und 20 Jahre später wiederaufgebaut worden war. Der Hauptgrund für den Niedergang war der Krieg. Nach Alexander nahm die Zahl der Kriege zu – Grund dafür waren königlicher Ehrgeiz, Gebietsstreitigkeiten, Barbareneinfälle, Piraterie und römische Expansion. Ihre Ergebnisse waren verheerend: Verlust von Arbeitskräften, Verwüstung des Landes und seiner Ressourcen, hohe Schulden für die Gemeinschaft und einzelne Bürger, starke Abhängigkeit von Mächten, die Schutz bieten konnten. Was trotz aller Probleme, Beschwerden und Anzeichen des Verfalls dennoch beeindruckend ist, ist die Vitalität der polis als politischer Bezugspunkt. 146

Die polis: materieller Niedergang und ideologische Strahlkraft

Als Polybios im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. die Leistungen des Achäischen Bundes rühmen wollte, verglich er ihn mit einem Stadtstaat: Im Allgemeinen liegt der Unterschied zwischen der ganzen Peloponnes und einer einzigen Stadt nur darin, dass seine Einwohner nicht von derselben Stadtmauer umgeben werden.

Als der Redner Aelius Aristides 300 Jahre später, 155 n. Chr., in seiner Rede auf Rom das Römische Reich verherrlichte, beschrieb er es als ein Netzwerk städtischer Zentren und ein Gemeinwesen von Stadtstaaten: Wann gab es je so viele Städte sowohl im Landesinneren als auch an der Küste, oder wann waren sie je so schön mit allem geschmückt? Wer von denen, die vor uns lebten, reiste je so durch das Land, wie wir es tun, die Städte nach den Tagen zählend und manchmal am selben Tag durch zwei oder drei Städte ziehend, als wären sie nur Teile einer einzigen? … Die Städte leuchten vor Glanz und Anmut, und die ganze Erde wurde geschmückt wie ein Garten.

Für Polybios und Aristides war der Bezugspunkt, an dem jedes politische Gebilde gemessen werden sollte, die polis, der Stadtstaat. Spätestens seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. war die polis die vorherrschende Form politischer Organisation im antiken Griechenland. Eine polis bestand normalerweise aus einem städtischen Zentrum (asty), in der Regel mit einer befestigten Zitadelle (akropolis). Die Hauptsiedlung war vom Umland (chora) umgeben, in dem ein großer Teil der Bevölkerung lebte und arbeitete. Auf der akropolis oder an geeigneten Orten in ihrer Nähe befanden sich Altäre, Heiligtümer und Tempel, die Lokalität der Volksversammlung, der Markt (agora), die Amtssitze der Magistrate und andere öffentliche Gebäude. Je nach ihrer Lage konnte eine polis über einen oder mehrere Häfen, territoriale Unterabteilungen, für gewöhnlich demoi genannt, sowie abhängige Siedlungen verfügen. Einige Bauern auf dem Land hatten das Bürgerrecht und übten ihre Rechte als Bürger in ländlichen Gemeinden aus, die auf dem Territorium der polis verstreut lagen. Ob die Bürger aus den ländlichen Gebieten jedoch an der Volksversammlung in der Stadt teilnahmen, hing davon ab, wie weit sie von ihr entfernt lebten und ob es für sie machbar war, zum städtischen Zentrum zu reisen und dort Zeit zu verbringen. Der Stadtstaat blieb die einzige politische Realität, mit der große Teile der Bevölkerung in der hellenistischen Welt und im Römischen Reich ­d irekte Erfahrung hatten. Für die Intellektuellen stellte er das wichtigste 147

Die Welt der Bürger

gedankliche Bezugssystem dar. Bei Dichtern und Romanschriftstellern konkurrierte die polis mit idealisierten ländlichen Idyllen als Schauplatz ihrer literarischen Schöpfungen. Zwar ist Aristides’ Lobpreis so übertrieben und einseitig wie jedes Enkomium, aber in einer Sache traf er die realen Verhältnisse: Die Anzahl von großen und kleinen Städten war im ­Römischen Reich so groß wie nie zuvor. In den westlichen Provinzen und in Nordafrika war das das Ergebnis von Kolonisation und Urbanisierung, die auf römische Initiative zurückgingen. Im griechischsprachigen Osten – in Griechenland und auf seinen Inseln, in Kleinasien und im Nahen und Mittleren Osten – wurzelte die Urbanisierung viel tiefer als im Westen, ­sodass hier einige Differenzierungen nötig sind. Es ist korrekt, dass viele ­poleis auf dem griechischen Festland, auf einigen Inseln und in Kleinasien im Lauf der hellenistischen Zeit verschwanden, sei es durch vollständige Zerstörung, sei es durch Verlust ihres Status als autonome Gemeinwesen. Als aber riesige Gebiete von der Ägäisküste bis ins moderne Afghanistan der griechischen Kultur einverleibt wurden, wurden so viele neue poleis gegründet oder bestehende Siedlungen zu poleis aufgewertet, dass die Epoche von Alexander bis Hadrian, wenn man nur den quantitativen Aspekt betrachtet, zugleich die Epoche wäre, in der die griechische polis ihren größten Aufschwung erlebte und ihre Institutionen und architektonischen Merkmale die größte Verbreitung erfuhren: Volks- und Ratsversammlungen, Magistrate, Gymnasien, Theater, Marktplätze und Rathäuser. Eine ­solche Betrachtung auf Basis rein quantitativer Kriterien ließe aber einen falschen Eindruck entstehen. Zwar lässt sich ein beispielloser Anstieg der Anzahl von poleis beobachten, aber zur selben Zeit verlagerte sich die Macht von den poleis weg zu Städtebünden und Königreichen und später zum Römischen Reich hin. Dass Städte in der einen oder anderen Form politisch von Hegemonialmächten abhängig waren, war nichts Neues. Über weite Strecken des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. wurden viele griechische poleis erst von Athen, dann von Sparta, Theben und Makedonien beherrscht; von 387 v. Chr. bis zu Alexanders Feldzug standen die freien poleis Kleinasiens unter der Herrschaft des Perserkönigs. Die Etablierung der hellenistischen Monarchien brachte eine neue qualitative Veränderung: Viele Städte, inklusive einer traditionellen Hegemonialmacht wie Athen, gerieten für einen längeren Zeitraum unter direkte oder indirekte königliche Kontrolle. Der Aufstieg der Städtebünde verlagerte das Zentrum der Macht von den Staatsmännern der Stadtstaaten zu den Staatsmännern der Städtebünde. Und 148

Eine Welt voller poleis

schließlich führte der allmähliche Aufbau römischer Provinzialverwaltung zu einer weiteren Verlagerung. Auch wenn die Stadtstaaten als Gemeinschaften von Bürgern die Bühne eines dynamischen politischen Lebens blieben, war ihr Einfluss auf der großen politischen Bühne eingeschränkt – lässt man die Kriege, die sie immer wieder provozierten, einmal außer Acht. Stadtstaaten brachten erstklassige Staatsmänner, wie Aratos von Sikyon, hervor, doch wann immer diese Staatsmänner ihre Spuren in der Geschichte hinterließen, dann, weil sie ­außerhalb der engen Grenzen ihrer eigenen Städte als Anführer von Städte­ bünden oder als königliche Berater tätig waren. Stadtstaaten konkurrierten in der Gegenwart um Distinktion und Ehre, ihre Ansprüche auf Privilegien basierten jedoch auf Leistungen in der Vergangenheit. Diese Gegensätze lassen sich durch tiefe Veränderungen in der Gesellschaft und den Institutionen erklären, da sich die Grenzen der Welt, innerhalb derer die Städte bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. existiert hatten, weiteten.

Eine Welt voller poleis In keiner anderen Epoche der griechischen Geschichte seit der Zeit der ­großen Kolonisation des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr. entstanden so viele neue poleis wie in den 450 Jahren von Alexander bis Hadrian; doch verschwanden auch in keiner anderen Epoche so viele poleis von der Landkarte oder verloren, in der Regel durch Kriege, ihren Status als autonome Staaten. Innerhalb dieser Epoche lassen sich verschiedene Phasen ausmachen. Die erste Phase, von ca. 330 bis ca. 220 v. Chr., begann mit den Eroberungen Alexanders und den Bemühungen der Diadochen, ihre eigenen Königreiche zu etablieren. Viele neue poleis wurden in den von Alexander eroberten und von seinen Nachfolgern regierten Territorien gegründet. Alexander allein soll mehr als 70 Städte gegründet haben, aber das ist mit Sicherheit eine Übertreibung. Die genaue Anzahl seiner Alexandrias, von denen die berühmtesten Alexandria in Ägypten und Alexandria Arachosia, das moderne Kandahar, sind, lässt sich nicht bestimmen. Sie dienten den Diadochen als Vorbilder. Schon in den ersten Jahren nach Alexanders Tod kam es zu einer Welle von Neugründungen; sie dienten als Verwaltungszentren und wurden nach Königen und Mitgliedern der Königs­ familien benannt. Kleine Siedlungen wurden umbenannt und als poleis neu organisiert, Siedlungen, die bereits militärische und religiöse Funk149

Die Welt der Bürger

tionen innehatten, erlangten den Status einer polis, zerstörte Städte wurden wiederaufgebaut, und in der Nähe von Dörfern und Heiligtümern wurden neue Städte gegründet. So wurde beispielsweise Therme zu Thessalonike, benannt nach Alexanders Schwester, der Gattin von König Kassander; Kassander gründete 316 v. Chr. auch Kassandreia an der Stelle von Poteidaia, einer Stadt, die 356 v. Chr. zerstört worden war. Auch Theben verdankte seinen Wiederaufbau 316/315 v. Chr. Kassander. Die kleine Siedung Pharmake am Orontes wurde unter dem Namen Apameia, nach Apama, der Gattin Seleukos’ I., zur königlichen Schatzkammer; Seleukos I. gründete zwei weitere Hauptstädte für sein Reich und benannte sie nach sich und seinem Sohn Antiochos: Seleukeia am Tigris und Antiochia am Orontes. Demetrios Poliorketes gründete Demetrias in Thessalien. Ptolemaios I. etablierte ­ ­P tolemais Hermiou als Hauptstadt Oberägyptens, und sein Sohn gründete zwei Häfen am Roten Meer, von denen einer nach seiner Gattin Arsinoë und einer nach seiner Mutter Berenike benannt wurde. Die wichtigen Städte in den königlichen Reichen erfüllten als Königsresidenzen und Amtssitze der Provinzstatthalter zentrale administrative Funktionen. Ihre Einwohner waren als Bürgergemeinschaften organisiert, doch unterschieden sie sich von „normalen“ poleis durch die Anwesenheit des Königs, seines Hofs, seiner Schatzkammer und seiner Armee. Auch Statthalter von Königen gründeten Städte: Antigonos Dokimos, ein Statthalter unter Antigonos Monophthalmos, gründete im späten 4. Jahrhundert v. Chr. Dokimeion in Phrygien; Themison, ein Höfling Antiochos’ II., gründete Themisonion, ebenfalls in Phrygien; und Nikanor, ein seleukidischer Beamter, gründete Antiochia Arabis. Ein weiteres charakteristisches Phänomen dieser Epoche ist die Eingliederung kleinerer Gemeinwesen in größere Nachbarstädte, entweder auf der Grundlage eines zwischenstaatlichen Abkommens (sympoliteia) oder als Ergebnis von Krieg und Eroberung. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: In Kleinasien gliederte Milet Myus und Thebai ein, Ephesos tat dasselbe mit Pygela, und Teos mit Kyrbissos. Als Pergamon zur königlichen Hauptstadt aufstieg, wurden alte Städte in der Nähe seinem Territorium einverleibt; nach und nach verloren sie dann an Bedeutung und wurden schließlich aufgegeben. Wenn eine polis und ihr Territorium in eine andere integriert wurden, erhielten ihre Einwohner für gewöhnlich das Bürgerrecht und bildeten eine eigene städtische Unterabteilung, manchmal wurden sie jedoch in den Status einer abhängigen Bevölkerungs150

Eine Welt voller poleis

gruppe degradiert. Bisweilen bestand die Siedlung als Festung oder städtische Siedlung fort, manchmal verließen die Einwohner sie jedoch und zogen in die größere Stadt. In dieser ersten Phase zog die Gründung neuer Städte in Asien eine große Anzahl von Siedlern an – wie die Neue Welt vom späten 17. bis ins 19. Jahrhundert. Für das „Alte Griechenland“ bedeutete dies einen Bevölkerungsverlust. In den ersten Jahrzehnten dieses Prozesses, und in einigen isolierten Fällen auch später, war das in der Tat ein gewünschter Effekt. Menschen, die selbst keinen Grund und Boden besaßen, und Angehörigen von Gruppierungen, die in politischen Auseinandersetzungen unterlegen waren, bot sich hier ein Neubeginn. Diese Bewegung von Westen nach Osten trug auch dazu bei, dass sich wirtschaftliche und kulturelle Zentren vom griechischen Festland zu den Hauptstädten der neuen Königreiche sowie zu Städten verlagerten, die enge Verbindungen zu den neuen Machtzentren hatten, wie beispielsweise Rhodos und Ephesos. Die Stellung einer Stadt wurde nun von neuen Parametern bestimmt: von ihrem Verhältnis zu einem König, als königliche Gründung, Hauptstadt oder Stützpunkt einer königlichen Garnison; von ihrer administrativen Stellung in einem Königreich; von ihrer Lage an einer der Straßen, die die neuen Gebiete mit dem Mittelmeerraum verbanden; von ihrer Mitgliedschaft in einem Städtebund. Die zweite Phase, von ca. 220 bis ca. 64 v. Chr., war geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen griechischen Städten und Kriegen im Zusammenhang mit der römischen Expansion. Viele poleis auf dem griechischen Festland und den Inseln wurden zerstört, verloren ihre Unabhängigkeit oder wurden größeren politischen Gemeinschaften einverleibt. Dass die Römer 146 v. Chr. Korinth dem Erdboden gleichmachten, wurde als eine Tragödie beweint; man erinnerte sich daran als einen Akt der unübertroffenen Barbarei. Dutzende kleiner Städte erlitten dasselbe Schicksal, in den meisten Fällen durch die Hände siegreicher griechischer Nachbarn und nicht-römischer Soldaten; manche erholten sich von der physischen Zerstörung, andere wurden ausgelöscht. Wenn antike Quellen die Zerstörung von 70 Stätten in Molossis (Epirus) im Jahr 167 v. Chr. erwähnen, beinhaltet diese Zahl mit Sicherheit auch kleine poleis. Auf Kreta, einem besonders kriegerischen Ort, wurde man im 2. Jahrhundert v. Chr. Zeuge der Zerstörung von mindestens acht poleis. Als Kreta Teil des Römischen Reiches wurde, behielten nur 15 oder 16 Siedlungen den Status einer polis, ein Bruchteil der mehr als 50 Stadtstaaten, die es dort zu Beginn des hellenistischen Zeitalters gegeben hatte. 151

Die Welt der Bürger

Aufgrund von dynastischen Krisen in den ptolemäischen und seleukidischen Königreichen lässt sich in dieser Phase auch beobachten, dass sich der politische Einfluss königlicher Hauptstädte wie Antiochia und Alexandria veränderte. Die Einwohner dieser Städte wurden allmählich zu einem wichtigen politischen Faktor, übten Druck auf den Hof aus, stellten Forderungen, organisierten Aufstände, und es kam sogar vor, dass sie einen König stürzten. Vom frühen 2. Jahrhundert v. Chr. an wirkte sich der Einfluss Roms auf den rechtlichen Status von poleis aus. Der römische Senat und die römischen Magistrate entschieden über den Status – und manchmal sogar die Existenz – einer polis und über Tributzahlungen, sie teilten eine Stadt einem Königreich zu und teilten Territorien an verbündete Städte auf. So ging beispielsweise Delos, bis dahin ein unabhängiger Stadtstaat, 167 v. Chr. in den Besitz Athens über, während Rhodos die Gebiete in Lykien und Karien sowie die Kontrolle über Städte in diesen Regionen verlor, die ihm 20 Jahre zuvor verliehen worden waren. Doch während im „Alten Griechenland“ in dieser Zeit die Zahl der poleis zurückging, wurden in Ägypten und Asien immer noch neue poleis geschaffen. Boëthos, ein Statthalter der Thebais in Ägypten, gründete beispielsweise zwischen 140 und 130 v. Chr. drei Städte von militärischem Charakter: Euergetis, Philometoris und Kleopatra. Neue poleis waren nun jedoch nicht mehr so oft Neugründungen von Königen und königlichen Statthaltern, die meisten entstanden durch die Erhebung bestehender Garnisonsstützpunkte zu poleis, auf Initiative von lokalen Offizieren. Als die Macht der Seleukiden in Kleinasien schwand, nutzten einige Siedlungen die Gelegenheit und beanspruchten für sich den Status einer polis. Tyriaion an der Grenze zwischen Phrygien und Pisidien ist ein Paradebeispiel: Seine Bevölkerung bestand aus Soldaten und Einheimischen. Nach der Niederlage Antiochos’ III. und dem Frieden von Apameia 188 v. Chr. schickte Tyriaion eine Gesandtschaft zu Eumenes II., dem diese Gebiete von den Römern zugesprochen worden waren, und forderten für ihre Siedlung eigene Gesetze, einen Rat und ein Gymnasium – in anderen Worten, den Status einer selbstverwalteten polis. Eine weitere Siedlung, die auf diese Weise den Status einer polis erlangt haben muss, ist Aphrodisias in Karien, das später eine Blütezeit erlebte. Die dritte Phase begann mit der Neuordnung des Ostens durch Pompeius 64 v. Chr.; ihr wesentlicher Teil ist allerdings nach dem Ende der römischen Bürgerkriege zu verorten. Jetzt hing der Status griechischer poleis vom ­römischen Senat, von römischen Feldherren und später vom Kaiser ab. 152

Hellenistischer Föderalismus: große Erwartungen und große ­E nttäuschungen

Die Kolonie römischer Bürger war eine neue Form einer städtischen Gemeinschaft, und sie sollte wesentlichen Einfluss auf die griechische Gesellschaft und Kultur haben (s. S. 286f.).

Hellenistischer Föderalismus: große Erwartungen und große ­Enttäuschungen Der Aufstieg des Ätolischen und des Achäischen Bundes ließ in der griechischen Geschichte neben Königreichen und poleis eine neue Form der Macht in Erscheinung treten: den Städtebund. Natürlich gab es auch schon vor Alexanders Eroberungen solche Gemeinschaften. Die Einwohner Zentralgriechenlands und der Peloponnes waren in Bünden verschiedener Art organisiert; deren Mitglieder waren sowohl Städte als auch lose organisierte Stammes­gemeinschaften. Die übliche Bezeichnung solcher Bünde war koi­ non oder ethnos. Thessalien war in mehrere koina unterteilt, und weitere koina gab es in Ätolien, Akarnanien und Böotien in Zentralgriechenland, in Achäa, ­A rkadien und Messenien auf der Peloponnes und in Kleinasien. Im 3. und frühen 2. Jahrhundert v. Chr. erlebten die Städtebünde in puncto Größe und Bedeutung eine Blütezeit. Sie waren die Protagonisten bedeutender politischer Entwicklungen und militärischer Ereignisse, von der Niederschlagung der Gallier 278 v. Chr. durch das Ätolische Koinon bis zum finalen Widerstand des Achäischen Koinons gegen die römische Expansion 146 v. Chr. Für den Aufstieg der Städtebünde zu einflussreichen politischen Organisationen waren zwei Faktoren wesentlich: die Notwendigkeit für griechische Gemeinden, Formen militärischer Kooperation zu entwickeln, um sich besser gegen externe Bedrohungen verteidigen zu können; und der Druck vonseiten hellenistischer Könige, die die Autonomie der freien poleis bedrohten. Da Städtebünde über größere Territorien verfügten, konnten sie größere Armeen mobilisieren als einzelne Städte. Umsichtige und ehrgeizige Staatsmänner, wie Aratos in Achäa, erkannten die Vorteile von Einigkeit, und dennoch gelang es ihnen nie, die Antagonismen und traditionellen Feindseligkeiten auszumerzen, die oft zu fremde Interventionen und letztlich dazu führten, dass Griechenland erobert wurde. Zwar gab es lokal wesentliche Unterschiede, aber die hellenistischen Städtebünde hatten dennoch gewisse Merkmale gemein. Mit ganz wenigen Ausnahmen, darunter Kreta, sahen sie doppelte Bürgerrechte vor, das heißt, dass einzelne Personen Bürger sowohl des Städtebundes als auch der 153

Die Welt der Bürger

Mitgliedsstadt waren: Der offizielle Name des Historikers Polybios lautete beispielsweise „Polybios, Sohn des Lykortas, Achäer, Bürger von Megalopolis“. Jede Mitgliedsstadt verstand sich als unabhängige und eigenständige Bürgergemeinschaft, die nur einige Aspekte ihrer Souveränität zu bestimmten Zwecken an Bundesbeamte abtrat. So lag zum Beispiel in Kriegszeiten der militärische Oberbefehl in den Händen eines Feldherrn des Bundes. Andere Bereiche, in denen die Mitgliedsstädte kooperierten, waren Feste und Wettspiele, Vorgehensweisen bei bestimmten rechtlichen Angelegenheiten, die Beilegung von Gebiets- und anderen Streitigkeiten – durch Schlichtung, richterliche Entscheidung durch eine fremde Stadt oder durch geladene fremde Richter – und Gewichtsstandards. In der Regel, jedoch nicht immer, ähnelten sich die Verfassungsformen der Mitglieder eines Städtebundes. Die einzelnen Mitglieder verwalteten ihre lokalen Angelegenheiten selbst und verfügten auch über ein eigenes Territorium, lokale Magistrate und oft eigene Münzprägungen. Einige Bünde dehnten sich weit über die geographischen Grenzen ihres ursprünglichen Stammesgebiets hinaus aus: Das ­Ätolische Koinon hatte Mitglieder im entfernten Kreta und Kleinasien, das Böotische Koinon expandierte über die Grenzen Böotiens, und das Achäische Koinon vereinte weite Teile der Peloponnes. Die Städtebünde hatten eine gemeinsame Außenpolitik: Mit anderen Worten, sie führten Kriege, gingen Bündnisse mit anderen Staaten ein, schlossen Friedensabkommen und mobilisierten Truppen unter einem gemeinsamen Kommando. In dieser Hinsicht ähnelten sie Bündnissen gleichberechtigter Partner, mit einheitlichen internen Strukturen und einer gewissen Kontinuität. Für alle Angelegenheiten, die den Bund betrafen, beriefen die koina eine Bundesversammlung ein, zu regulären und außerordentlichen Sitzungen, während die alltäglichen Geschäfte von einem Rat, in dem die Mitglieder vertreten waren, und Bundesbeamten – Militärbefehlshaber, Sekretär und Schatzmeister – geführt wurden. Das Achäische Koinon wurde von einem Gremium von zehn Exekutivbeamten (damiourgoi), einem General (strate­ gos), einem Kavalleriekommandanten (hipparchos), einem Sekretär (gram­ mateus), einem Flottenbefehlshaber (nauarchos), stellvertretenden Generälen (hypostrategoi) und einem Schatzmeister (tamias) verwaltet. Diese Amtsträger wurden gewählt; es war allerdings nicht das Ziel, dass die einzelnen Mitgliedsstädte gleichmäßig repräsentiert wurden: Zuverlässige Staatsmänner konnten wiedergewählt werden – Aratos wurde 16 Mal, Philopoimen acht Mal gewählt. Im Ätolischen Koinon wurden die Magistrate von der Bundesversammlung gewählt, in der jeder Bürger eine Stimme hatte. 154

Hellenistischer Föderalismus: große Erwartungen und große ­E nttäuschungen

Neben dem General und dem Kavalleriekommandanten gab es Befehlshaber für jede der sieben Abteilungen des Heeres (epilektarcheontes), einen Sekretär und sieben Schatzmeister, die die Beitragszahlungen verwalteten, die je nach Bevölkerungszahl von den Mitgliedern entrichtet wurden. Die Bundesversammlung, die allen Bürgern offenstand, trat regelmäßig bei großen Festen zusammen sowie unregelmäßig, wann immer eine wichtige Entscheidung getroffen werden musste. Sie wurde für gewöhnlich in einem Bundesheiligtum oder einer größeren Stadt abgehalten. In der „Kriegssaison“ traf sich die achäische Bundesversammlung vier Mal – Anfang Mai, Anfang Juni, Ende Juli und Ende September –, ursprünglich im Heiligtum des Zeus Homarios in der Nähe von Aigion; nach 189 v. Chr. wechselten sich die Mitgliedsstädte als Gastgeber des Treffens ab. Jede Stadt hatte eine Stimme; die Bürger der verschiedenen Mitgliedsstädte, die über 30 waren und teilnehmen konnten, hielten während der Versammlung jeweils eine Wahl ab, um die Stimme ihrer Gemeinde zu ermitteln. Das Ätolische Koinon traf sich zwei Mal pro Jahr sowie immer dann, wenn die Notwendigkeit bestand; das Treffen zur Wahl der Magistrate fand im Herbst im Bundesheiligtum in Thermon statt, während die anderen Sitzungen abwechselnd in verschiedenen Städten abgehalten wurden. Die Beschlüsse der ätolischen Bundesversammlung hatten im gesamten Bundesterritorium Gültigkeit; hin und wieder wählte die Versammlung ein Gremium von „Gesetzesschreibern“ (nomographoi), die neue Gesetze aufzeichneten und sicherstellten, dass es zwischen den neuen und den alten Gesetzen keine Widersprüche gab. Der Rat des Bundes (synhedrion oder boule) war ein wichtiges Organ in einem Städtebund. Er trat öfter zusammen als die Bundesversammlung, bereitete Anträge für die Versammlung vor, empfing fremde Gesandtschaften und arbeitete bei wichtigen politischen Angelegenheiten mit den Magistraten zusammen. Im Rat des Ätolischen Koinons waren die Mitgliedsstädte ihrer Einwohnerzahl entsprechend vertreten. Ab 167 v. Chr. umfasste der Rat mehr als 550 Mitglieder, und ein kleinerer Ausschuss von 30 Ratsherren (apokletoi) kümmerte sich um die Alltagsgeschäfte. Einige Städtebünde entwickelten ausgeklügelte Strukturen, um eine effiziente Mobilisierung der Truppen, eine angemessenere Repräsentation der Mitgliedsstädte in den Bundesorganen und harmonische Beziehungen der Mitglieder untereinander zu gewährleisten. Das Böotische Koinon war in sieben Bezirke (tele) mit einer annähernd gleichen Anzahl von Bürgern unterteilt. Jedes telos war zugleich eine Militäreinheit und war im Rat, im Gremium der sieben „Magistrate der Böoter“ (boiotarchai) und in anderen Organen vertre155

Die Welt der Bürger

ten. Die vier größten Städte – Theben, Orchomenos, Tanagra und Thespiai – bildeten einen jeweils eigenen Bezirk, wohingegen kleinere Städte auf die drei übrigen Bezirke verteilt wurden. Als das Koinon im späten 3. Jahrhundert v. Chr. Opous annektierte, fügte man einen achten Bezirk hinzu. Auch in Achäa war das Bundesterritorium in Bezirke (synteleiai) unterteilt; jeder von ihnen hatte denselben Beitrag zu den Streitkräften zu leisten. Es gab auch Abweichungen von diesem allgemeinen Schema. Im späten 4. Jahrhundert v. Chr. schuf Antigonos Monophthalmos ein loses, künstliches Bündnis von Kykladeninseln, den Nesiotenbund, um seine Verbündeten in der Ägäis zu vereinen; in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. wurde diese Organisation von den Ptolemäern und später von Rhodos (ca. 188–167 v. Chr.) kontrolliert. Der Nesiotenbund sah keine doppelten Bürgerrechte vor, und der „Anführer der Inseln“ (nesiarchos) war kein jährlich gewählter Beamter, sondern ein ptolemäischer Magistrat, der vom König ernannt wurde und zusammen mit dem Admiral (nauarchos) die ptolemäischen Interessen im Ägäisraum vertrat. In den gebirgigen Gegenden Südwest­ kretas entstand im späten 4. Jahrhundert v. Chr. ein „Bund der Bergbewohner“ (Koinon ton Oreion). Er bestand aus nur vier oder fünf Städten und verfügte über ein gemeinsames Bürgerrecht und ein gemeinsames Territorium; die Städte schlossen gemeinsam Bündnisse, prägten Bundesmünzen und entwickelten ein regionales Identitätsgefühl. Ein zweiter Bund auf Kreta, der „Bund der Kretaier“, entstand im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. Der künstliche Name des Bundes, die „Kretaier“ (Kretaieis), spiegelt eine bewusste Unterscheidung zwischen den Kretern (Kretes), wie die Einwohner der Insel Kreta und die außer Landes lebenden Menschen kretischen Ursprungs bezeichnet wurden, und den Kretaiern, den Bürgern der Städte, die Teil des koinon waren. Dieser Bund war im Grunde ein Bündnis zwischen zwei Hegemonialmächten, Gortyn und Knossos; wegen deren Konflikte löste er sich immer wieder auf, nur um dann unter dem Einfluss fremder Könige wiederbelebt zu werden. Es gab weder ein Bundesbürgerrecht noch Magistrate oder eine gemeinsame Armee; die Mitglieder waren in einem Rat repräsentiert, und eine Vollversammlung diskutierte außenpolitische Angelegenheiten. Die wichtigste Errungenschaft dieses Bundes waren Regeln zur Konfliktlösung zwischen Mitgliedsstädten, zwischen Bürgern von verschiedenen poleis sowie zwischen kretischen Bürgern und Fremden. Außerhalb Griechenlands ist das Konzept eines Bundes unabhängiger Gemeinwesen am besten in Lykien belegt. Für die Existenz eines Lykischen Bundes zur Zeit der ptolemäischen Vorherrschaft im 3. Jahrhundert v. Chr. 156

Politische Institutionen

fehlen sichere Zeugnisse, es ist aber wahrscheinlich, dass die Ptolemäer die Schaffung eines Städtebundes, der ihre Herrschaft gestützt hätte, befürworteten. Sicher belegt ist ein Bund für die Phase der rhodischen Besatzung Lykiens (188–167 v. Chr.): Er widersetzte sich der rhodischen Kontrolle. Nach seiner Befreiung wies der Bund alle Merkmale eines Städtebundes auf. Er bestand aus 23 Städten und wurde von einem Rat verwaltet, wobei die größeren Städte jeweils drei Repräsentanten, die kleineren zwei oder einen Vertreter entsandten. Die Gemeinwesen leisteten je nach ihrer Größe einen Beitrag zu den Finanzen des Bundes. Der Rat, dessen Sitzungen reihum in verschiedenen Städten abgehalten wurden, wählte den Oberbeamten – den „Anführer der Lykier“ (lykiar­ ches) – sowie andere Magistrate und die Richter des Bundesgerichtshofs. Der Bund verfolgte eine eigene Außenpolitik: Er unterzeichnete beispielsweise 46 v. Chr. einen Bündnisvertrag mit Rom unter Iulius Caesar. Prozesse zur Konfliktlösung, wie sie die Städtebünde entwickelten, und die Verfeinerung eines Systems der proportionalen Repräsentation können als wichtige Errungenschaften hellenistischer Politikkultur gelten. Städtebünde brachen die politischen, geografischen und ethnischen Grenzen ­zwischen Gemeinwesen mit unterschiedlichen Traditionen auf; im Rat des Bundes debattierten Staatsmänner aus verschiedenen Gemeinden – und behielten dabei gemeinsame Interessen im Blick. Gerade weil die Städtebünde aber regionale Identitäten begünstigten und oft eine aggressive Politik der Annektierung benachbarter Gemeinwesen verfolgten, gelang es ihnen nicht, die politische Fragmentierung der griechischen Welt zu beseitigen. Da sie sich auf die Konflikte mit Städten, die gegen ihre Expansion Widerstand leisteten, sowie mit anderen koina versteiften, suchten sie dort Verbündete, wo die größte Gefahr für ihre Autonomie lauerte: bei den Königen und in Rom. Im späten 3. und im 2. Jahrhundert v. Chr. provozierten und führten sie die Kriege, die dereinst die römische Herrschaft nach Griechenland bringen sollten.

Politische Institutionen Auf den ersten Blick scheinen sich die politischen Strukturen und Institutionen der griechischen polis wenig verändert zu haben, bis sich dann im 1. Jahrhundert v. Chr. institutionelle Einflüsse und Interventionen der Römer auswirkten. Diese Institutionen ähnelten sich in der ganzen griechischen Welt, von den Kolonien in Magna Graecia und den Städten Griechen157

Die Welt der Bürger

lands und Kleinasiens bis zu den von Alexander und den hellenistischen Königen gegründeten Militärkolonien im Nahen und Mittleren Osten. Die polis-Gemeinschaften verfügten über eine Volksversammlung, die für gewöhnlich als ekklesia bezeichnet wurde und regelmäßig zusammentrat, um Anträge zu diskutieren und anzunehmen, die vom Rat eingebracht worden waren. Der Rat, zumeist boule genannt, war für die alltäglichen Geschäfte zuständig, doch bestand seine wichtigste Funktion darin, vorab Anträge zu diskutieren, die von Magistraten und manchmal auch von gewöhnlichen Bürgern initiiert worden waren (probouleusis). Der Rat verfügte in der Regel über ein Exekutivkomitee, das für einen begrenzten Zeitraum, für gewöhnlich einen oder sechs Monate, amtierte. Jährlich wechselnde Exekutivbeamte schließlich, unter der allgemeinen Bezeichnung archai oder archontes (diejenigen, die herrschen) bekannt, waren für verschiedene militärische, finanzielle, religiöse und administrative Aufgaben zuständig, deutlich zu viele, als dass sie hier alle aufgezählt werden könnten. Die Anzahl, Bezeichnung, Pflichten und Art der Ernennung dieser Magistrate waren je nach Größe, Traditionen und Natur der Verfassung einer Stadt unterschiedlich. Wichtige Ämter, die sich in den meisten hellenistischen Städten finden, waren: die militärischen Ämter der strategoi (Generäle), die für gewöhnlich ein Gremium bildeten, und der hipparchoi (Kavalleriekommandanten); die Posten der Finanzbeamten, die tamiai (Schatzmeister) und epi tes dioikeseos (zuständig für die öffentlichen Finanzen) genannt wurden; die der Magistrate, die „für die Stadt verantwortlich“ (astynomoi) und „für den Markt verantwortlich“ (agoranomoi) waren und öffentliche Anlagen – Straßen, öffentliche Gebäude und den Markt – beaufsichtigten; die Ämter der Aufseher der Gymnasien (gymnasiarchoi); und Priesterämter. Einer der Beamten war „eponym“: Das heißt, das Jahr, in dem er im Amt war, wurde nach ihm benannt. In Kleinasien wurde dieses Eponymenamt oft vom stephanephoros (Kranzträger) wahrgenommen; viele Städte hatten eponyme Priester. In demokratischen Verfassungen trat die Volksversammlung öfter zusammen als in Oligarchien – in Athen gab es 40 reguläre Sitzungen pro Jahr –, und Diskussionen wurde ein größerer Raum zugestanden. In manchen Städten, zum Beispiel Iasos in Kleinasien, erhielten die Bürger ein Honorar für die Teilnahme an den Sitzungen der Volksversammlung ­ ­(ekklesiastikon). In Demokratien wurden zumindest einige Magistrate per Losverfahren ernannt, also nicht gewählt, wodurch allen Bürgern, unabhängig von Besitz und anderen Voraussetzungen, Möglichkeiten zur politischen Betätigung gegeben wurden. Das Bürgerrecht erhielt man durch 158

Politische Institutionen

­ eburt in eine Bürgerfamilie, es war nicht von Besitz oder Berufsstand abG hängig. Im Gegensatz dazu gab es in Oligarchien Vermögensanforderungen sowohl für das Bürgerrecht als auch für den Dienst in Ämtern und dem Rat. Bestimmte Ämter, insbesondere die mit finanziellen Pflichten, setzten sowohl in Demokratien als auch in Oligarchien ein gewisses Vermögen voraus. In Teos in Kleinasien konnten nur Männer mit einem geschätzten Vermögenswert von mindestens vier Talenten – was dem Lebenseinkommen eines Söldners entsprach – zum Garnisonskommandanten der Festung von Kyrbissos ernannt werden. Einige Priesterämter waren sogar in Demokratien das erbliche Privileg von Elitefamilien. Um das Problem der Finanzierung des Gottesdienstes in einem polytheistischen Religionssystem zu lösen, verkauften einige Städte die Priesterämter gewisser Götter an Männer und Frauen, die bereit waren, die Verpflichtung zu übernehmen, die mit dem Kult verbundenen Aufgaben durchzuführen, wofür sie im Gegenzug priesterliche Privilegien erhielten und von bestimmten steuerlichen und ­a nderen Pflichten befreit wurden. Hinsichtlich einer Charakterisierung des politischen Lebens in hellenistischen Städten ist Vorsicht geboten: Ihre Institutionen waren derart heterogen und kurzfristige Veränderungen so weit verbreitet (durch einen König, als Ergebnis eines Bürgerkriegs oder aufgrund der Errichtung einer autokratischen Herrschaft), dass die folgenden allgemeinen Bemerkungen nicht auf alle Städte zutreffen. Es lässt sich allerdings durchaus eine allgemeine Entwicklungslinie zeichnen, die immer noch hinreichend Raum für lokale Variationen lässt. Wichtige Faktoren, die das Wesen der Verfassung bestimmten, waren: Vermögensvoraussetzungen für politische Aktivitäten – sprich, für die Teilnahme an der Volksversammlung und die Übernahme öffentlicher Positionen sowie in einigen Fällen für das Bürgerrecht; die Ernennung von Ratsherren und Magistraten per Wahl, per Auslosung unter der gesamten Bürgerschaft oder per Auslosung unter vorausgewählten Bürgern; die Bestätigung aller politischen Entscheidungen durch die Volksversammlung; die Rechenschaftspflicht der Magistrate; und die Ausübung externer Kontrolle beispielsweise durch eine Garnison, einen von einem fremden König unterstützen Tyrannen oder einen könig­lichen „Aufseher“ in der Stadt. Athen und andere Städte, für die uns genügend Quellenmaterial zur Verfügung steht, insbesondere Samos, Rhodos, Kos, Milet, Pergamon, Magnesia am Mäander und Priene, ermöglichen es uns, zu verstehen, inwiefern sich diese Faktoren unterscheiden konnten. In Athen wurde zum Beispiel 322 159

Die Welt der Bürger

v. Chr. von den Makedonen ein Vermögenszensus eingeführt, der 12 000 Bürger von der politischen Teilhabe ausschloss, deren Vermögen weniger als 2000 Drachmen betrug, und die Anzahl der Bürger, die sich für den Rat und die Ämter und möglicherweise sogar für die Volksversammlung qualifizierten, auf lediglich 9000 Personen reduzierte. 317 v. Chr. wurde diese Voraussetzung auf 1000 Drachmen heruntergesetzt, und 307 v. Chr. wurde sie vermutlich abgeschafft. Ähnliche Regulierungen muss es in Städten gegeben haben, die unsere Quellen als oligarchisch beschreiben. Für einen Großteil seiner Geschichte von 322 bis 229 v. Chr. unterstand Athen der direkten Kontrolle makedonischer Könige. Die demokratischen Institutionen existierten also zwar weiterhin, aber die makedonische Garnison, die Stellvertreter der makedonischen Könige und loyale Staatsmänner vor Ort stellten sicher, dass die Entscheidungen der Volksversammlung mit den Wünschen der Könige konform gingen. Die radikale Demokratie, wie sie im 5. Jahrhundert v. Chr. in Athen existiert hatte und von den Athenern ihren Verbündeten aufgezwungen worden war, erfuhr im Lauf des 4. Jahrhunderts v. Chr. beträchtliche Modifizierungen, sowohl in Athen als auch im Rest der griechischen Welt. Eine der grundlegenden Veränderungen bestand darin, dass den Magistraten, die nun beinahe ausschließlich gewählt und nicht per Losverfahren bestimmt wurden, größere Exekutivmacht und größerer Einfluss gegeben wurde. Auch hatte sich die Bedeutung des Wortes demokratia verändert. In der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. charakterisierte Polybios die Verfassung des Achäischen Bundes als eine Demokratie: Nirgends lässt sich ein politisches System der Gleichheit, Redefreiheit und, kurz gesagt, der wahren Demokratie finden, das reiner ist als das der Achäer.

Dabei monopolisierte im Achäischen Bund eine kleine Minderheit wohlhabender Landbesitzer die politische Macht; und Polybios’ Lob der „wahren Demokratie“ setzt die Existenz „falscher Demokratien“ voraus. Während eine äußerst vage Vorstellung von demokratia zum Ideal erhoben wurde, unterschied sich gleichzeitig die konkrete institutionelle Bedeutung des Wortes von Stadt zu Stadt und von Epoche zu Epoche. „Demokratie respektieren“ wurde zu einem Schlagwort, das eine Vielzahl von Interpretationen zuließ. Die Bedeutung von demokratia veränderte sich allmählich von „Volksherrschaft“ – Herrschaft der Bürger ohne Berücksichtigung von Vermögen und Herkunft – hin zu „Volkssouveränität“ – Souveränität der Bürgerschaft in 160

Demokratische Illusionen und plutokratische Realitäten

erster Linie gegenüber externen Interventionen. Diese semantische Verschiebung erlaubte es, dass selbst Städte, in denen viele Bürger von politischen Ämtern, politischer Teilhabe und politischen Initiativen ausgeschlossen waren, als demokratiai angesprochen wurden. Dies bedeutet nicht, dass die alten Konflikte zwischen „Demokraten“ und Anhängern der Oligarchie oder Aristokratie in den Hintergrund getreten wären. Es wurden weiterhin Gesetze erlassen, die eine Einrichtung oligarchischer Regimes verhindern sollten; Städte feierten weiterhin die Wiederherstellung der Demokratie, wenn fremde Garnisonen abzogen oder autoritäre Regimes zusammenbrachen; und Bürgerkriege zwischen Anhängern und Gegnern der Demokratie waren weiterhin nichts Ungewöhnliches. Wie wird ein Historiker der Zukunft die Fahrkarten des New Jersey Transit interpretieren? Der Text auf diesen Tickets informiert den Fahrgast, dass er das Recht auf einen Sitzplatz hat, unabhängig von seiner Rasse und Hautfarbe, seinem Geschlecht, seiner Nationalität oder Religionszugehörigkeit. Ein Historiker der Zukunft wird feststellen, dass dieser Text, gerade indem er die Diskriminierung verdammt, anerkennt, dass es sie gibt. Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität und Religionszugehörigkeit mögen für die Sitzplätze des New Jersey Transit irrelevant sein, sie spielen aber 50 Jahre nach dem Civil Rights Act von 1964 immer noch eine große Rolle, in vielen und weitaus bedeutenderen Aspekten der amerikanischen Gesellschaft. Ein Althistoriker sieht sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert, wenn er versucht, Widersprüche zwischen äußerem Schein und Realität aufzudecken. Und dies gilt auch für die Untersuchung der „Demokratie“ in den hellenistischen Städten, da die größten Beschränkungen der Demokratie nicht institutioneller Natur, sondern faktisch waren: Einige wenige wohlhabende Familien monopolisierten die Macht und sicherten die Übertragung wichtiger politischer Positionen von einer Generation auf die nächste. Auch wenn die griechischen Städte weiterhin das Ideal der Volkssouveränität hoch­ hielten, scheint Demokratie für die Städte, in deren politische Realität uns die Quellen Einblicke erlauben, nur eine Illusion gewesen zu sein.

Demokratische Illusionen und plutokratische Realitäten Elitefamilien mit Reichtum, Verbindungen und auf Traditionen beruhendem Prestige waren schon immer ein hervorstechendes Merkmal des politischen Lebens der Griechen gewesen, selbst in der radikalen Demokratie des klassi161

Die Welt der Bürger

schen Athens. Sie hatten auch im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. weiterhin Einfluss, doch seit dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. und weitaus deutlicher seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. ging die Entwicklung hin zu einer Monopolisierung der Macht durch Angehörige einiger weniger Familien und zu einer Übertragung wichtiger politischer Positionen von einer Generation auf die nächste. Die ursächlichen Wurzeln dieses Prozesses liegen in der Abhängigkeit der öffentlichen Finanzen von privaten Geldgebern: das heißt, in der Rolle der Wohltäter. Indem sie die Mittel für öffentliche Aufgaben als Spenden, Darlehen oder Beiträge zu öffentlichen Subskriptionen zur Verfügung stellten, förderten sie ihr eigenes Image und erlangten Zustimmung für die politische Führungsrolle ihrer Familien (s. S. 366–370). Eine Reihe von Fragen kann uns dabei helfen, den „Grad der Demokratie“ in verschiedenen hellenistischen Städten bzw. das Ausmaß des Machtmonopols reicher Familien zu beurteilen: Welche Personen wurden in ein Amt gewählt und wie oft? Wie viele Ämter häuften sie an? Waren ihre Vorfahren, Familienmitglieder oder Nachfahren politisch aktiv? Wurden ärmere Bürger durch die Zahlung eines Honorars zur Teilnahme an den Sitzungen der Volksversammlung ermuntert? Wurden bei der Volksversammlung ­A nträge von Personen eingereicht, die selbst kein Amt bekleideten? Ehreninschriften, die einige biographische Informationen zu einer berühmten Person sowie Angaben zu deren Vorfahren bereitstellen, liefern hier relevante Hinweise. Auf Kos wurde beispielsweise ein gewisser Diokles, der um 200 v. Chr. aktiv war, in eine angesehene Familie geboren. Sein Großvater Praxagoras war ein berühmter Arzt; sein Vater Leodamas hatte das höchste Amt, das des monarchos, im Bezirk von Halasarna inne. Als junger Mann erwarb sich Diokles 217 v. Chr. Ruhm als Sieger in dem größten lokalen athletischen Wettkampf. 206 v. Chr. übernahm er das Amt des Dionysospriesters. Als sich seine Stadt 201 v. Chr. Angriffen vonseiten kretischer Piraten ausgesetzt sah, beantragte Diokles in der Volksversammlung einen Spendenaufruf, der die Mittel für die Verteidigung von Kos zur Verfügung stellen sollte. Mit einem Beitrag von 7000 Drachmen – einer Summe, für die ein Söldner mehr als 20 Jahre lang arbeiten musste – war Diokles selbst zugleich ihr größter Spender. Die Ehrendekrete, die seine Leistungen während des Krieges rühmen, lassen auch die Tradition seiner Familie im öffentlichen Dienst nicht unerwähnt. Diokles „handelte in Übereinstimmung mit der Tugend, die ihm durch seine Vorfahren vererbt worden war“, und bewies Führungsqualitäten und taktisches Denken; er sicherte die Festung seines demos, rekrutierte, organisierte und führte deren Verteidiger; er 162

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­ esorgte Waffen, überwachte den Bau von Befestigungsanlagen, stellte die b nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung und verlieh Geld, wann immer dies notwendig war. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss von Elitefamilien stammt aus Athen, dessen politisches Leben im späten 3. Jahrhundert v. Chr. von zwei Brüdern dominiert wurde: Eurykleides und Mikion. Eurykleides diente als Infanteriegeneral und Schatzmeister der Militärkasse; während seiner Amtszeit setzte er einen großen Teil seines eigenen Geldes ein: Als Organisator von Wettspielen gab er die enorme Summe von sieben Talenten aus; und als die Felder aufgrund der Kriege brachlagen und nicht kultiviert wurden, beschaffte er die für die Bewirtschaftung notwendigen finanziellen Mittel. 229 v. Chr. „stellte er zusammen mit seinem Bruder Mikion die Freiheit der Stadt wieder her“, indem er das nötige Geld besorgte, um die makedonische Besatzung zu bestechen und sie zu „überzeugen“, aus Athen abzuziehen. „Er befestigte die Häfen und besserte die Mauern der Stadt und des Piräus aus, zusammen mit seinem Bruder Mikion“; er schloss Bündnisse mit anderen griechischen Städten, sorgte dafür, dass Darlehen an Athen zurückgezahlt wurden, stellte Anträge für neue Gesetze, organisierte Darbietungen, um die Götter zu ehren, führte einen athletischen Wettkampf bewaffneter Männer ein, um der Wiederherstellung der Freiheit zu gedenken, und tat sich bei Bautätigkeiten hervor. Eurykleides arbeitete nicht nur eng mit seinem Bruder zusammen, sondern führte auch seinen Sohn in die Politik ein. Nachdem er ein Jahr lang als Schatzmeister der Militärkasse gedient hatte, ein Amt, für das ein gewisses Vermögen erforderlich war, übte er diese Pflichten für ein zweites Jahr „durch seinen Sohn“ aus, der ebenfalls Mikion hieß und so in das politische Leben eingeführt wurde. Eine der kostspieligsten und prestigeträchtigsten Liturgien (obligatorische Dienste an der Gemeinschaft, die den vermögenden Klassen auferlegt wurden) war die agonothesia, die f inanzielle Verantwortlichkeit für die Organisation eines Wettkampfs. ­ ­Eurykleides „stellte wieder seinen Sohn für diese Aufgabe zur Verfügung“. Wir wissen, dass Mikion, der seine Pflichten unter der Führung seines ­Vaters erlernte, später als agonothetes, als Mitglied eines Ausschusses zum Ankauf von Getreide sowie als Geldgeber in Erscheinung trat. Dies ist kein Einzelfall. Helikon, Wachkommandant in Priene, wurde während seiner Amtszeit im späten 3. Jahrhundert v. Chr. von seinem Sohn unterstützt. Manchmal wurden die Ehren, die einem prominenten Bürger verliehen wurden, an dessen Nachkommen weitervererbt. Die Athener zum Beispiel beschlossen, dass Philippides, ein Komödiendichter, Staatsmann 163

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und Wohltäter aus dem frühen 3. Jahrhundert v. Chr., für alle Zeit kostenlose Mahlzeiten mit dem Exekutivkomitee des Rates sowie einen Ehrensitz bei allen von der Stadt organisierten Wettkämpfen erhalten sollte. Nicht nur wurde Philippides über gewöhnliche Bürger erhoben und mit den prominentesten Männern in Verbindung gebracht, sondern diese Ehrungen wurden auch den jeweils Ältesten seiner Nachkommen gewährt, wodurch die herausgehobene Stellung der Familie des Wohltäters zusätzlich gefestigt wurde. Diese Entwicklungen lassen sich auch in den Randgebieten der hellenistischen Welt beobachten. Protogenes war im späten 3. Jahrhundert v. Chr. einer der wohlhabendsten Männer in Olbia an der Nordküste des Schwarzen Meeres. Er wurde in das Amt der „Neun“ (wahrscheinlich Schatzmeister) gewählt, diente als Botschafter in einer Gesandtschaft zum König der Skythen und wurde als Verantwortlicher für die öffentlichen Finanzen eingesetzt, was er drei Jahre lang blieb. Das Dekret zu seinen Ehren beginnt mit einer Erwähnung seines Vaters, welcher „der Stadt viele und große Dienste erwiesen hatte sowohl hinsichtlich der Finanzen als auch der öffentlichen Geschäfte“, und betont so die Wichtigkeit von Familientraditionen und weitervererbten Pflichten. Von geerbtem Status, geerbtem Vermögen, geerbter Führungsposition und geerbter Dankbarkeit war es nur ein kleiner Schritt zur Institutionalisierung einer Klasse privilegierter Bürger. Dieser Schritt wurde getan, als die griechischen Städte in das Römische Reich integriert wurden. Zwar existierten demokratische Institutionen in den hellenistischen Städten weiter, aber das politische Leben nahm zunehmend oligarchische und aristokratische Züge an: Ämter und politische Tätigkeiten wurden nach und nach zu einem exklusiven Privileg einer kleinen Anzahl wohlhabender Familien, wie in oligarchischen Regimen; und dieses Privileg wurde innerhalb dieser Familien weitervererbt, wie bei Erbaristokratien. Oft wurden Ämter und politische Funktionen angehäuft oder fortgesetzt (Amtsiteration), Ämter wurden durch Mitglieder derselben Familien besetzt, und die politische Initiative wurde von einer kleinen Elite monopolisiert. Der demos akzeptierte die Führungsrolle der Elite im Gegenzug für die Dienste, welche die Elite durch ihre Wohltaten leistete. Dieses Verhältnis der Reziprozität hat der Geograph Strabon im 1. Jahrhundert v. Chr. auf Rhodos beobachtet: Die Rhodier sorgen sich um den demos, auch wenn sie nicht unter einer Demokratie leben. Dennoch wollen sie, dass es der Menge der armen Leute

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gut geht. Dementsprechend wird dem gemeinen Volk Essen zur Verfügung gestellt und die Wohlhabenden unterstützen einer alten Tradition gemäß die Bedürftigen. Es gibt dort gewisse Liturgien zur Bereitstellung von Essen, sodass gleichzeitig die Armen ernährt werden und es der Stadt nicht an brauchbaren Leuten fehlt, besonders im Hinblick auf die Flotte.

Damit soll nicht gesagt sein, dass die politische Führungsrolle und der politische Einfluss der Elite unangefochten oder an jedem Ort und während der gesamten hier untersuchten Epoche unverändert blieben. Vom 3. zum 2. Jahrhundert v. Chr. veränderte sich auch allmählich das Wesen der führenden politischen Stellung von Wohltätern. In der frühen Phase dieser Entwicklung strebten Mitglieder der Elitefamilien danach, den ersten Rang unter ihren Mitbürgern einzunehmen; ab der Mitte der 2. Jahrhunderts v. Chr., als die öffentlichen Ausgaben einer Stadt primär von Wohltätern bestritten wurden, wurden die Mitglieder der Elite jedoch nicht länger als die Ersten unter Gleichen gesehen, die für ihren Patriotismus respektiert wurden, sondern sie bildeten eine geschlossene Gruppe, die dem Rest der Bürgerschaft klar übergeordnet war. Diese interne Entwicklung fiel mit der Expansion direkter römischer Herrschaft, zuerst in Griechenland und später in Kleinasien, zusammen. Die politischen Führer der Römer, die in einem aristokratischen Regierungssystem sozialisiert worden waren, fanden ihre natürlichen Verbündeten in den griechischen Städten unter den Anhängern der Oligarchie. Diese befürworteten Reformen, welche politische Ämter und Ratsmitgliedschaft nur jenen Personen zugestanden, die bestimmte Vermögensvoraussetzungen erfüllten. Nach ihrer Eroberung Griechenlands 146 v. Chr. führten die Römer oligarchische Verfassungen ein, denen zufolge politische Teilhabe und Kandidatur für ein Amt von Vermögensanforderungen abhängig waren (apo timematon). So wurde die De-facto-Führungsrolle der Elite immer stärker auch mit rechtlichen Anforderungen und Vermögensbedingungen verbunden. Dieser Prozess kam in der Kaiserzeit zu einem Abschluss. Bürger, die nicht dem Kreis der Elitefamilien angehörten, verfügten, wenn überhaupt, nur über eingeschränkte Möglichkeiten, Exekutivmacht auszuüben oder Anträge für den Rat vorzubereiten und einzubringen, um den Anstoß zu einem Gesetzgebungsverfahren zu geben. Sie fanden jedoch Wege, Einfluss auf das politische Leben zu nehmen. Erstens konnten Gruppen von Bürgern ihren Wünschen durch Akklamationen Ausdruck verleihen, durch lautes rhythmisches Rufen in der Volksversammlung oder bei 165

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informellen Treffen, die für gewöhnlich anlässlich eines bedeutsamen Ereignisses im Theater stattfanden. Wenn, zweitens, wichtige Belange – wie Bündnisse, Kriegserklärungen, Friedensabkommen, institutionelle Veränderungen, öffentliche Finanzen und private Schulden – eine Gemeinde tief spalteten, konnte es bei Aufläufen von Bürgern zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen, die sich bisweilen zu Bürgerkriegen auswuchsen. Und die größte Rolle spielte, drittens, dass die Elite nie eine völlig homogene Gruppe bildete. Einzelpersonen und Familien wetteiferten um die Macht und folgten ihrer jeweils eigenen Agenda. Innerhalb dieses Wettkampfs buhlten sie um die Unterstützung der Bürger für die Wahl in ein Amt oder für ihre Anträge in der Volksversammlung. Diese Unterstützung konnte sich je nach den Wünschen der Bürger von einem Staatsmann auf den anderen verlagern. Der Aufstieg und Fall von Staatsmännern, die in unseren Quellen als Demagogen und Tyrannen bezeichnet werden, ist nichts anderes als das Ergebnis einer solchen sich verlagernden Unterstützung. Die miteinander wetteifernden Politiker mussten große Gruppen von Bürgern auf ihre jeweilige Seite bringen. Dies erforderte Überzeugungsstrategien, die einfache rhetorische Fähigkeiten bei Weitem überschritten. Sie mussten die Illusion der Volksherrschaft aufrechterhalten und zugleich entweder als autokratische Herrscher persönliche politische Macht ausüben oder als Mitglieder einer beinahe erblichen Oligarchie eine privilegierte Stellung bewahren. Eine derartige Diskrepanz zwischen dem Prinzip der Gleichheit und der tatsächlichen Herrschaft der Elite ist als strukturelles Problem auch heutigen Massendemokratien nicht unbekannt. Wie der griechische Philosoph Panajotis Kondylis bemerkte, lässt sich die Asymmetrie zwischen Realität und Erwartung in der Art und Weise beobachten, wie sich die Elite den „einfachen Leuten“ präsentiert: Der Populismus muß aber auch permanent psychologische Bedürfnisse befriedigen, und zwar dadurch, daß er Ersatz für die Gleichheit da schafft, wo faktisch keine vorhanden ist. Solchen Ersatz bietet z. B. die zunehmende Beseitigung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem, so daß sich der „kleine Mann“ oder auch der „mündige Bürger“ auf Grund der Berichte der Massenmedien z. B. davon überzeugen kann, daß sich dieses oder jenes Mitglied dieser oder jener Elite „menschlich“ verhält und im allgemeinen genauso ist „wie wir alle auch“. Der immanente Populismus der Massendemokratie macht es für die Mitglieder der Eliten zur ersten Pflicht, bei passender Gelegenheit zu demonstrieren, wie nahe sie dem Menschen auf der Straße stehen.

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Abb. 10 Porträtstatue eines hellenistischen Staatsmannes von einem Grabmonument in Smyrna. Heute ­verschollen.

Hellenistische Staatsmänner begegneten der aus der Asymmetrie zwischen Erwartung und Realität entstehenden Herausforderung damit, dass sie sich bei ihrer Interaktion mit Bürgern inszenierten und theatralische Verhaltensweisen aneigneten: sorgfältig verfasste Texte, spezielle Kleidung, Körpersprache, Mimik und Stimmkontrolle. Statuen von Staatsmännern zeigen ordentlich drapierte Mäntel, die Zurschaustellung von Luxus wird vermieden; die ruhig gehaltenen Arme evozieren Selbstbeherrschung und Zurückhaltung; ragen sie frei aus den Falten des Mantels heraus, zeigen sie Energie und Spannung an (s. Abb. 10). In Porträts bringt der Gesichtsausdruck den Elan und die Anstrengungen auf den Punkt, mit denen der gute Bürger 167

Die Welt der Bürger

Abb. 11 Porträt eines bärtigen Mannes. Herkunft unbekannt, ca. 150 v. Chr. Jean Paul Getty Museum.

mühsame städtische Pflichten übernommen hat (s. Abb. 11). Diese Bildnisse erinnern an den Rat, den Quintilian Rednern mit auf den Weg gibt: Sie sollen ihre Erschöpfung demonstrieren, indem sie ihr Gewand in achtlose Unordnung geraten und ihre Toga verrutschen lassen, indem sie stark schwitzen und Anzeichen der Ermüdung zeigen, wodurch sie zum Ausdruck bringen, dass sie ihre ganze Kraft für die Interessen ihrer Klienten aufgebracht haben. Die Ähnlichkeit zu einem Bericht von der Kongresskampagne George Bush Seniors 1964 in Houston ist frappierend: Immer wieder konnte man auf jedem Fernsehbildschirm in Houston George Bush sehen, seinen Mantel über seine Schultern geworfen; seine Ärmel hochgekrempelt; durch die Straßen seines Bezirks gehend; grinsend, mitreißend ließ er den Wähler wissen, dass er sich kümmerte. Worum, wurde nie klargemacht.

Bis zum hellenistischen Zeitalter hatten sich politische Reden zu einer sorgfältig inszenierten dramatischen Performance entwickelt, mit der ein Staatsmann die Emotionen der Volksversammlung kontrollierte. Wer politische Reden hielt, nahm Nachhilfeunterricht bei Schauspielern und lernte 168

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dort den richtigen Einsatz von Körpersprache. Wenn der Autor der Rhetorica ad Herennium, das teilweise auf hellenistischen Vorbildern basiert, bemerkt, dass „ein guter Vortrag gewährleistet, dass das, was der Redner sagt, von Herzen zu kommen scheint“, liegt die Betonung auf dem Schein (videatur), auf der Erzeugung einer Illusion. Einer der effektivsten Wege, die Macht der Elite zu stärken und annehmbar zu machen, war, ihre Dienste und Wohltaten dauerhaft sichtbar zu halten. Mit freiwilligen Beiträgen stellten sie ihre Bereitschaft zur Schau, einen Teil ihres Privatvermögens für die Gemeinschaft auszugeben. Diese Bereitschaft war jedoch an die Erwartung gekoppelt, dass die Gemeinschaft ihre politische Führungsrolle akzeptierte. Die Elite setzte kontinuierlich theatralische Verhaltensweisen ein, um die Emotionen und Gedanken der Menschen zu kontrollieren, um die Illusion zu erzeugen, dass sie sich nicht von den normalen Bürgern distanzierte. Schon im späten 4. Jahrhundert v. Chr. legte Demetrios von Phaleron großen Wert auf sein Make-up, um heiter und umgänglich zu wirken; Jahrhunderte später werden tugendhafte Bürger mit einem Gesichtsausdruck dargestellt, der die Erschöpfung nach ihren Anstrengungen für das Gemeinwohl erkennen lässt. Man fühlt sich an Fred Ebbs Liedzeilen in Chicago erinnert: Gib ihnen das alte Spektakel, Hau sie vom Hocker, Gib ihnen ’ne Show mit viel Glitzer, Und sie werden ausrasten. […] Hau sie vom Hocker, Und sie machen dich zu ’nem Star.

Die hellenistische ,,Welt der Stars“: Demagogen, Tyrannen, Dynasten und Helden Das politische Leben in hellenistischer Zeit, zumindest das, das aufregend genug war, um seine Spuren in den schriftlichen Quellen zu hinterlassen, wurde von Stars dominiert. Die Eroberungen Alexanders hatten deutlich gemacht, dass selbst das scheinbar Unmögliche erreicht werden konnte – durch leidenschaftliches Verfolgen einer Aufgabe (pothos), durch die eifrige Nachahmung ruhmreicher Männer aus der Vergangenheit (zelos) und natürlich durch das Schicksal (tyche). Ererbte familiäre Macht war als Pluspunkt 169

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nicht zu vernachlässigen, aber man konnte auch ohne diesen Hintergrund gut auskommen. Persönliche Herrschaft musste nicht so weitreichend sein wie die der Diadochen; sie konnte auf eine Stadt oder eine Region beschränkt sein. Sehen wir uns einige Beispiele von Männern an, die an die Macht gelangten, indem sie sich ihre militärischen Fähigkeiten zunutze machten! Im späten 4. Jahrhundert v. Chr. errichtete Agathokles eine – letztlich kurzlebige – Königsherrschaft in Sizilien, ausgehend von einem städtischen Amt (s. S. 63). Im Jahr 319 v. Chr. suchte der makedonische Offizier Alketas Zuflucht in Termessos in Pisidien und erlangte dank seines militärischen Geschicks eine außerordentliche Machtposition. Er rekrutierte junge Männer, organisierte Raubzüge und kam zu Berühmtheit, weil er die Beute großzügig verteilte. Nur das verräterische Verhalten der „alten Männer“, die versuchten, ihn gefangen zu setzen und an Antigonos Monophthalmos auszuliefern, trieb Alketas schließlich in den Selbstmord. Hätte er weitergelebt, wäre er einer jener mächtigen Männer geworden, die eine Stadt kontrollierten und in unseren Quellen bisweilen als „Tyrannen“ bezeichnet werden. Ein gewisser Timarchos, Tyrann von Milet um 260 v. Chr., hatte ursprünglich wohl Söldner befehligt oder war ein hochrangiger Soldat gewesen; er erlangte eine autokratische Machtstellung, indem er sich seine Kriegserfahrung zunutze machte. Ein anderer Weg, in kleinerem Rahmen eine autokratische Herrschaft zu errichten, verlief über königliche Unterstützung. So regierte beispielsweise der Redner und Philosoph Demetrios von Phaleron von 317 bis 307 v. Chr. Athen als Tyrann mit der Unterstützung von Kassander. Telmessos in Lykien wurde von ca. 250 v. Chr. an etwa ein Jahrhundert lang von Dynasten beherrscht, die mit Ptolemaios I. von Ägypten verwandt waren. Seit archaischer Zeit gediehen Tyrannenherrschaften in Städten unter zwei Bedingungen: Fremdherrschaft und innere Unruhen. Sikyon wurde über Jahrzehnte hinweg sowohl von inneren Unruhen erschüttert als auch von Tyrannen regiert: Die Stadt Sikyon … wurde zum Opfer von inneren Unruhen und dem Ehrgeiz von Demagogen, es fiel in einen dauerhaften Zustand der Krankheit und des Aufruhrs, und ein Tyrann wechselte den anderen ab, bis nach der Ermordung Kleons Timokleides und Kleinias zu Magistraten gewählt wurden, Männer von höchstem Ansehen und Einfluss bei den Bürgern. Doch sobald die Regierung einigermaßen stabil schien, starb Timokleides, und

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Abantidas, der Sohn des Paseas, wollte sich selbst zum Tyrannen machen und tötete Kleinias. Von Kleinias’ Freunden und Verwandten schickte er einige ins Exil, andere tötete er.

Die Morde und die Abfolge von Tyrannen setzten sich fort, bis Kleinias’ Sohn Aratos aus dem Exil zurückkehrte und dem Ganzen ein Ende setzte. 500 weitere Bürger kehrten aus dem Exil zurück und forderten Eigentum zurück, das das vorige Regime konfisziert und an seine Anhänger verteilt hatte. Die Tyrannenherrschaften auf der Peloponnes zur Zeit von Aratos wurden als Folge von Konflikten zwischen Mitgliedern der Elite errichtet und gestürzt. Der vage Hinweis auf Demagogen deutet darauf hin, dass ­Tyrannen nicht nur die Unterstützung durch Söldner suchten und erlangten, sondern auch die von Bürgern. Es ist wahrscheinlich, dass sie die Unterstützung einiger Bürger dadurch gewannen, dass sie ihnen Ländereien versprachen, die sie von ihren Gegnern konfiszieren würden. Manche Staatsmänner verdankten ihre politische Führungsrolle den Ratschlägen, die sie gaben, ihren militärischen Fähigkeiten und ihrem Mut. Sie kämpften gegen Tyrannen und externe Feinde, bewahrten ihre Gemeinden davor, in militärischen Auseinandersetzungen für die falsche Seite Partei zu ergreifen, und fungierten als Botschafter. Wenn sie einen heroischen Tod in der Schlacht fanden, inspirierte ihr Vorbild zukünftige Generationen. Das Beispiel des Eugnotos, eines Kommandanten der böotischen Kavallerie, vermag dies zu veranschaulichen. Als er realisierte, dass die Schlacht gegen Demetrios Poliorketes bei Onchestos 294 v. Chr. verloren war, beging er auf dem Schlachtfeld Selbstmord. Seine Statue, neben dem Altar des Zeus auf dem Marktplatz, verherrlichte seinen heroischen Tod und forderte die jungen Männer auf: „Werdet zu Kämpfern im Ruhm auf solche Weise, werdet zu tapferen Männern auf solche Weise, indem ihr die Stadt eurer Väter verteidigt!“ Eugnotos’ Statue und die Inschrift wurden zu einem Exempel für die Jugend. Nach seinem Tod wurden über Generationen hinweg auf der Basis seiner ­Statue die Namen der Wehrpflichtigen eingemeißelt, die ihren Eid vermutlich genau vor dem Altar des Zeus und der Statue des Eugnotos ablegten. Für gewöhnlich waren es ihre unbestrittenen Führungsqualitäten als Kommandanten und Ratgeber, wodurch einzelne Männer über ihre Mit­ bürger erhoben wurden. Während der Herrschaft Alexanders war Lykurgos von Athen ein solcher Anführer. Als Spross einer der angesehensten Familien Athens, wohlhabender Mann und berühmter Redner besetzte er wiederholt das Amt des Aufsehers über die Finanzverwaltung und tat sich als 171

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­ ntragsteller von Dekreten hervor. Er brachte die Finanzen der Stadt in A Ordnung, setzte ein umfassendes Bauprogramm ins Werk und reformierte ­athenische Institutionen. Aufgrund seiner Führungsrolle wird eine ganze Periode athenischer Geschichte als „lykurgisches Athen“ bezeichnet. Aratos und Philopoimen hatten jahrzehntelang die politische und militärische Führung des Achäischen Bundes inne. Eurykleides und Mikion taten dasselbe im Athen des späten 3. Jahrhunderts v. Chr. (s. S. 163), und im frühen 1. Jahrhundert v. Chr., in den Jahren nach dem Ende der attalidischen Monarchie, war Diodoros Pasparos der führende Mann in Pergamon. Als Ergebnis von Eheschließungen und Migration konnte sich der Einfluss einer wohlhabenden Familie in mehr als einer Stadt und über mehrere Generationen hinweg ausbreiten. Ein gewisser Chairemon in Nysa war einer der reichen Griechen, die während des Mithridatischen Krieges 88 v. Chr. Partei für die Römer ergriffen. Sein Sohn Pythodoros zog nach Tralleis, wo er durch seinen enormen Reichtum zu einem der führenden Bürger der Stadt wurde. Seine Tochter Pythodoris heiratete in eine andere wohlhabende ­Familie in Laodikeia ein und wurde 14 v. Chr. Königin von Pontos (s. S. 343); und um 25 v. Chr. reiste ein weiteres Familienmitglied, Chairemon, zum Senat in Rom sowie zum Kaiser, um nach einem verheerenden Erdbeben Hilfe für den Wiederaufbau von Tralleis anzufordern. Bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. zählten Angehörige dieser Familie zur Elite von Tralleis und Nysa. Nach ihrem Tod wurden solche Männer oft über alle einfachen Leute erhoben: Ihnen wurden jährlich Opfer dargebracht; Gymnasien wurden nach ihnen benannt; man hielt die Erinnerung an sie am Leben. Die unruhigen Jahre des 1. Jahrhunderts v. Chr. sahen den Aufstieg eines neuen Typus des politischen Anführers: des ehrgeizigen, oftmals gebildeten und rhetorisch geschulten Mannes, der an die Macht gelangte, indem er sich mit einem römischen Befehlshaber verbündete (s. S. 345f.). Ein solcher Mann war Nikias auf Kos, der anscheinend aus einfachen Verhältnissen stammte. Angeblich gebar eines seiner Schafe einen Löwen, was als Vorzeichen für seine zukünftige Herrschaft interpretiert worden sein soll. Dank der Unterstützung des Marcus Antonius konnte er auf Kos eine beinahe monarchische Herrschaft etablieren. Sein Porträt schmückte die Münzen seiner Stadt, und Dutzende Altäre wurden, einem Aufruf – oder einer Verordnung – folgend, für sein Wohlergehen zu beten, in Privathäusern aufgestellt. Die eingemeißelten Weihinschriften richten sich „an die Götter der Vorfahren für das Heil des Nikias, des Sohnes des Volkes, Freundes des Vaterlands, des Heros, des Wohltäters der Stadt“. Die Bezeichnung „Heros“ 172

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zeigt, dass Nikias bereits über den Rang von Sterblichen erhoben worden war. Nach Antonius’ Niederlage wurde sein Grab allerdings entweiht, sein Leichnam geschändet. In vielen Fällen erwiesen sich rhetorische Fertigkeiten und Demagogie als zentral für „Tyrannen“. Athenion aus Athen hatte sich seinen Reichtum als Lehrer der Redekunst erworben; als ein Demagoge und Fürsprecher von König Mithridates VI. in Athen errichtete er eine als „Tyrannei“ beschriebene Herrschaft, auch wenn sie sich unter dem Deckmantel eines öffentlichen Amtes verbarg (s. S. 245f.). Ein weiterer Gelehrter, der Mithridates unterstützte und in seiner Heimatstadt, Adramyttion, politische Macht innehatte, ist der Philosoph Diodoros; während seiner Amtszeit als General ordnete er die Ermordung des gesamten Rates an. Die Wichtigkeit von Überzeugungsstrategien erklärt, weshalb sich eine beträchtliche Anzahl an Philosophen und Lehrern der Redekunst – wie Euthydemos und Hybreas in Mylasa (s. S. 341f.) – unter den mächtigen Männern hellenistischer Städte findet. In Tarsos weigerte sich – den genauen Zeitpunkt kennen wir nicht – der epikureische Philosoph Lysias, der zum Priester des Herakles gewählt worden war, am Ende seiner einjährigen Amtszeit als ­eponymer „Kranzträger“ seinen Kranz abzulegen; er „wurde durch seine Kleidung zu einem König, er zog sich eine purpurne Tunika mit weißen Streifen, einen prächtigen Umhang, weiße Schuhe aus Lakonien und einen goldenen Kranz an“. Kleider machen Leute; eine goldene Krone macht einen König. Doch was machte Lysias zu einem autokratischen Herrscher? Uns fehlen weitere Informationen, aber sein philosophischer Hintergrund sowie, damit verbunden, seine rhetorischen Fähigkeiten legen nahe, dass wir es hier mit einem Demagogen zu tun haben, der soziale Spannungen ausnutzte, um seine Herrschaft aufzubauen. Als ein Priester des Herakles, des Schutzherrn des Gymnasiums, war er vielleicht in die Ausbildung der Epheben involviert, sein Gewand ähnelte stark dem des Aufsehers des Gymnasiums. Möglicherweise wurde er von jungen Männern unterstützt, was bei vielen Bürgerkriegen ein zentraler Faktor war. Lange biographische Inschriften schildern die Taten heroischer Generäle, weiser Berater, großzügiger Wohltäter und mutiger Rom-Gesandter. Die Ehrenstatuen dieser Akteure schmückten in beispielloser Zahl den öffentlichen Raum. Mit der festen Etablierung kaiserlicher Macht unter Augustus wurde im Reich jedoch nur noch ein Protagonist geduldet: der Kaiser.

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7 Verflechtung: Rom betritt die Bühne

Symploke: die Geburtsstunde der Globalgeschichte Im Jahr 221 v. Chr., in dem sowohl im Antigoniden- als auch im Ptolemäerreich ein neuer König an die Macht kam, nahm sicher kein Staatsmann der griechischen Welt Kenntnis von diesem Ereignis, das sich an einem weit entfernten Ort zutrug: In Spanien ermordete ein iberischer Sklave den karthagischen Kommandanten Hasdrubal, und einer von dessen Verwandten, 26 Jahre alt, folgte ihm als Oberbefehlshaber in Spanien nach: Hannibal, der Sohn von Hamilkar Barkas. Hannibals Vater hatte das karthagische Heer im Ersten Punischen Krieg befehligt, der 241 v. Chr. mit einem Sieg der Römer geendet hatte. Seit seiner Kindheit war Hannibal ein erklärter Feind der Römer; als Jugendlicher hatte er die Bemühungen seines Vaters miterlebt, die Macht Karthagos in Spanien wiederzubeleben (237–229 v. Chr.). Nun bot sich ihm die Gelegenheit, diese Aufgabe fortzusetzen. Seine Militäroperationen in Spanien von 221 bis 219 v. Chr. waren die ­Ouvertüre einer Auseinandersetzung, die zur Invasion Italiens, zum Zweiten Punischen Krieg und 215 v. Chr. zum Bündnis mit Makedonien führte. „Löst der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas aus?“ – diesen Titel schlug man Edward Lorenz, dem Mathematiker und Pionier der Chaostheorie, für seinen Vortrag beim 139. Treffen der American Association for the Advancement of Science 1972 vor. „Löste ein Sklave in Spanien letztendlich die Eroberung Griechenlands durch die Römer aus?“ Es ist müßig, in der Geschichte nach solchen Schmetterlingseffekten zu suchen. Doch ist es untrennbar mit den grundlegenden Charakteristika einer historischen Epoche verbunden, in welchem Ausmaß Ereignisse in verschiedenen Regionen voneinander abhängig waren. Es ist kein Zufall, dass eine solche Interdependenz von einem Historiker zum ersten Mal in Verbindung mit Ereignissen um 220 v. Chr. beobachtet wurde. Dieser Historiker war Polybios, seine Beobachtung bezieht sich auf 175

Verflechtung

die Interdependenz historischer Ereignisse im gesamten Mittelmeerraum von 220 v. Chr. an, und der Begriff, den er für dieses Phänomen prägte, lautet symploke: Verflechtung. Im ersten Buch seiner Geschichte erklärt Polybios, weshalb er sich dazu entschied, seinen Bericht mit Ereignissen im Jahr 220 v. Chr. zu beginnen: In früheren Zeiten waren die Geschehnisse der bewohnten Welt sozusagen zerstreut gewesen, da die einzelnen Ereignisse hinsichtlich ihrer Initiativen, Ergebnisse und Orte unverbunden waren. Von diesem Zeitpunkt an ist die Geschichte ein organisches Ganzes geworden, und die Geschehnisse in Italien und Libyen wurden mit jenen in Asien und Griechenland verflochten und alles führte auf ein Ziel hin.

In Griechenland, Kleinasien, dem Nahen Osten und Ägypten waren regionale Verflechtungen seit den Diadochenkriegen ein beständiges Phänomen gewesen. An großen Kriegen wie dem Chremonideïschen Krieg und dem Laodike-Krieg waren alle größeren und die meisten der kleineren Mächte beteiligt gewesen. Polybios machte in den Jahren um 220 v. Chr. aber völlig zu Recht den Beginn einer Periode der beispiellosen Verflechtung politischer und militärischer Ereignisse aus.

„Frau, Feuer und das Meer“: der Krieg, der die Römer in den Balkan führte (229 v. Chr.) Antiken Historikern, die den Anfang der römischen Expansion im Osten schilderten, bereitete es offenbar keine Probleme, die Schuldigen auszumachen: cherchez la femme. Ihnen zufolge war Roms Expansion in den Osten eine Reihe berechtigter Kriege, und diese Expansion hatte mit Feldzügen begonnen und geendet, die von bösen Königinnen provoziert worden waren: Teuta von Illyrien und Kleopatra von Ägypten. Dass Autoren in der Antike Frauen in mehr Fällen wegen ihres schlechten Rufs als wegen ihrer vorausschauenden Klugheit namentlich erwähnten, ist der männlichen Voreingenommenheit anzulasten. Die Moral ihrer Geschichten ist, dass weibliche Handlungsmacht ins Desaster führt. Dieses Vorurteil machte der hellenistische Komödiendichter Menander in einem Vers unsterblich: „Frau, Feuer und das Meer“ – es ist der einzige antike Vers, der es – als Titel einer Kurzgeschichte – in den Playboy geschafft hat. Männliche Voreingenommenheit und Vorurteile sind für eine historische 176

„Frau, Feuer und das Meer“: der Krieg, der die Römer in den Balkan führte

Interpretation allerdings nicht die besten Werkzeuge, und man muss Historikern auch nicht nur deshalb Glauben schenken, weil sie auf Griechisch oder Latein schrieben. Teuta betrat die Bühne, als ihr Ehemann Agron, der König des illyrischen Stammes der Ardiaier, in der Folge eines exzessiven Siegesfestes 231 v. Chr. plötzlich starb. Er hinterließ einen minderjährigen Sohn, Pinnes, von seiner ersten Frau Triteuta. Teuta bestieg den Thron in Pinnes’ Namen. Das Volk, das sie regierte, war es, wie viele andere Völker im Adria- und Ägäisraum auch, gewohnt, seinen Lebensunterhalt durch Raubzüge zu bestreiten. Mit der Kurzsichtigkeit der Frauen sah sie nur den jüngsten Erfolg und nahm nichts von dem wahr, was anderswo vor sich ging. So erlaubte sie zuerst privaten Seeleuten, alle Schiffe zu plündern, die ihnen begegneten, und stellte dann eine Flotte und eine Streitkraft zusammen, die so groß war wie die frühere, und schickte sie aus, wobei sie den Anführern auftrug, die gesamte Küste als Feindesland zu behandeln.

So sah Polybios die Dinge 70 Jahre später aus der Perspektive eines griechischen Mannes. Die Plünderer erreichten das Ionische Meer und eroberten sogar die bedeutende Insel Korkyra (Korfu) – Teuta unterstellte sie dem Befehl des Demetrios, des Herrschers der Insel Pharos (Hvar). Als die Überfälle unter den römischen und italischen Handelsschiffen ihre Opfer forderten und die Sicherheit der Seerouten in der Adria in Gefahr war, beschloss der römische Senat zu handeln. Zwei römische Gesandte trafen Teuta und forderten Reparationszahlungen und ein Ende der Raubzüge. Während dieser Unterhaltung behauptete Teuta angeblich, Raubzüge zur See seien ein legitimer Weg, um Besitz zu erwerben – viele Küstenbewohner hätten diese Ansicht wohl geteilt –, und dass sie ihren Untertanen den Profit aus dieser Aktivität nicht vorenthalten würde. Einer der römischen Gesandten antwortete, Rom würde dafür sorgen, dass in Illyrien dereinst bessere Sitten einkehren würden. Auf der Rückreise wurde das römische Schiff angegriffen, und einer der Gesandten wurde getötet. 229 v. Chr. erklärte Rom den Krieg. Es ist unwahrscheinlich, dass allein das illyrische Piratenwesen die Senatsentscheidung motivierte, mehr als 20 000 Männer und 200 Schiffe zu entsenden, um Korkyra einzunehmen und nach Illyrien überzusetzen. Überfälle durch illyrische Schiffe waren nichts Neues. 229 v. Chr. gab es aber neue Faktoren, die letztendlich den entscheidenden Unterschied machten: Roms Interessengebiet erstreckte sich nun bis an die Adriaküste Italiens, und ein Teil Siziliens war 241 v. Chr. zur römischen Provinz geworden. 177

Verflechtung

Was den Konflikt 229 v. Chr. entzündete – und vor der Mitte des 3. Jahrhunderts nicht möglich gewesen wäre –, war nicht eine Frau, sondern die neue Verpflichtung der Römer, eine größere Anzahl von Verbündeten und abhängigen Gemeinwesen zu beschützen. Der Erste Illyrische Krieg dauerte nicht lange (229/228 v. Chr.). Als die römische Flotte und die römische Armee unter dem Kommando der beiden Konsuln Korkyra erreichten, wechselte Demetrios von Pharos die Seiten, übergab seine Inseln an die Römer und diente ihnen als Führer. Teuta zog sich in den nördlichen Teil ihres Königreichs zurück und kapitulierte; ihr Name tauchte in den historischen Aufzeichnungen nicht wieder auf. Der römische Senat hatte getan, was getan werden musste: Er hatte sich das Vertrauen seiner Verbündeten bewahrt – ihnen wurde mit einem Friedensabkommen Genüge getan, das Teuta dazu verpflichtete, Tribut zu zahlen und sich aus weiten Teilen Illyriens zurückzuziehen; nicht mehr als zwei unbewaffneten Schiffen war es gestattet, jenseits von Lissos, der Grenze Illyriens, zu verkehren. An einer Errichtung eines Protektorats in Illyrien, einer Besetzung strategisch wichtiger Orte oder einer Eroberung und Annektierung von Gebieten war Rom nicht interessiert. In erster Linie wollte es seine Führungsrolle bestätigen, indem es die Interessen seiner Verbündeten wahrte. Indem sie von Teuta verlangten, ihre Führerschaft aller illyrischen Stämme aufzugeben, versuchten die Römer, den Aufstieg eines vereinten illyrischen Staates zu verhindern. Als dieses Ziel erreicht war, zogen sie sich zurück und überließen Demetrios von Pharos die Kontrolle über weite Teile Illyriens. Allerdings sollte dieser Krieg weitreichende Konsequenzen haben, da Rom nun mit früheren Opfern Teutas – Epidamnos, Korkyra und Apollonia – Freundschaftsverträge schloss. Auf den ersten Blick wirkten diese Abkommen harmlos, aber sie konnten die Römer potenziell dazu verpflichten, politisch und militärisch aktiv zu werden.

Roms erste Schritte in Richtung imperiale Herrschaft Generationen von Gelehrten haben in der Neuzeit versucht, die römische Expansion zu erklären, und dabei ihre Interpretationen kontinuierlich modifiziert. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Prozess der Neuinterpretation je zu einem Abschluss kommen wird, denn die Perspektive eines heutigen Historikers ist in der Mehrheit der Fälle durch seine oder ihre „Imperialismuserfahrung“ geprägt – britisch, deutsch, sowjetisch, amerikanisch, oder 178

Roms erste Schritte in Richtung imperiale Herrschaft

was auch immer die Zukunft bringen mag – und infolgedessen von neuen theoretischen Modellen und nicht von neuen Zeugnissen bestimmt. In den Augen all derjenigen, die in der Antike an Teleologie, einen zielgerichteten historischen Fortschritt, glaubten, war Roms Expansion eine natürliche Entwicklung. Die Menschheit strebe naturgemäß eine ökumenische Einheit unter der Führung und Herrschaft des besten Mannes oder der besten Nation an. Eine extreme Auslegung dieser Teleologie brachte in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Plinius der Jüngere zum Ausdruck, der das Römische Reich als Staatenbund von Nationen interpretierte. Für ihn war Italien von den Göttern dazu auserwählt, „die zerstreuten Mächte zu vereinen, die Sitten zu mäßigen, die misstönenden und rüden Dialekte so vieler Völker durch den Gebrauch einer gemeinsamen Verkehrssprache zusammenzuziehen, den Menschen Menschlichkeit zu geben, und, kurz gesagt, die einzige Heimat aller Völker auf der ganzen Welt zu werden“. Manche antiken Autoren stellten die Frage anders: Aus welchem Grund war Rom bei der Eroberung der Welt so erfolgreich? Der griechische Historiker Polybios schrieb diesen Erfolg der Überlegenheit der römischen Verfassung zu, wohingegen der römische Historiker Sallust ihn auf die männliche Tugendhaftigkeit (virtus) der Römer zurückführte. Derartige Vorstellungen fanden Anklang bei deutschen Historikern zur Zeit des Nationalsozialismus, die Hitlers Ansicht folgten, dass ein richtiges Verständnis der römischen Geschichte in Sachen Politik ein guter Lehrmeister sei, und den Erfolg der Römer ihrer biologischen Überlegenheit und einem natürlichen Herrschaftsinstinkt zuschrieben. Historiker mit weniger strengen ideologischen Absichten als Plinius erkannten, dass unbefriedigenden Erklärungen in der Regel die falschen Fragen zugrunde liegen. Für sie war die Frage weder eine teleologische („Welchem Ziel diente die römische Expansion?“) noch eine der simplen Kausalität („Weshalb beschlossen die Römer, die Welt zu erobern?“), es ging ihnen darum, dynamische Prozesse auszumachen und zu versuchen, die Hauptziele der römischen Politik in verschiedenen Phasen der römischen Expansion zu verstehen. So bevorzugten einige Historiker die Idee eines „defensiven Imperialismus“, demzufolge Roms Politik im Osten vom Zweiten Punischen Krieg bis zum Ende des makedonischen Königreichs (216–167 v. Chr.) vom Wunsch des römischen Senats dominiert war, echte oder eingebildete Gefahren abzuwenden; andere bestritten die Existenz eines Plans und betrachteten die Expansion im Osten als einen der größten Unfälle der Weltgeschichte oder als Ergebnis einer Kette von Zufällen; wieder andere 179

Verflechtung

sprachen der römischen Expansion den Charakter einer homogenen und kontinuierlichen Entwicklung ab und machten stattdessen eine allmähliche Verlagerung von einer Defensivpolitik hin zu einem erhöhten Interesse an Annexionen und wirtschaftlicher Ausbeutung der Gebiete östlich der Adria aus. Kein Denkansatz vermag jedoch die römische Expansion im Osten wirklich zu erklären, wenn sie nur als ein Phänomen der römischen Geschichte und als Ergebnis römischer Handlungsmacht in den Blick genommen wird. Bis zur Annektierung von Gebieten in Griechenland 146 v. Chr. war Rom für die meisten hellenistischen Staaten in erster Linie ein Instrument zur Verfolgung ihrer eigenen Absichten. Im selben Maß, wie sie ein Teil der römischen Geschichte ist, ist die römische Expansion eine wichtige Episode der hellenistischen Geschichte. Von der Abschaffung des Königtums im späten 6. Jahrhundert v. Chr. bis zum Ersten Punischen Krieg (264–241 v. Chr.) hatte die Politik der Adelsfamilien, die den Senat dominierten, darauf abgezielt, zuerst eine führende Position unter den Städten Latiums zu etablieren und diese Hegemoniestellung dann auf den Rest Italiens auszudehnen. Römische Expansion ist ein kontinuierlicher Prozess, vom ersten Bündnis Roms mit den Nachbarstädten in Latium 493 v. Chr. bis zur Expansion nach Norditalien von ca. 232 bis 218 v. Chr. Sofern die von Rom ergriffenen Maßnahmen nach einem siegreichen Krieg Rückschlüsse auf die Politik der Nobilität zulassen, war Rom nicht in erster Linie an Gebietseroberung und -annektierung interessiert; allerdings konnte eine Annektierung durchaus vorkommen, wenn das Territorium der Feinde in der Nähe gelegen war. Roms Hauptanliegen waren die Anerkennung seiner führenden Stellung in Italien und die Schaffung eines Netzwerks von Verbündeten, die es im Kriegsfall unterstützen würden. Roms Verhältnis zu den besiegten Gemeinwesen wurde von lokalen Besonderheiten, spezifischen Herausforderungen und potenziellen Vorteilen – politischen, militärischen und wirtschaftlichen – bestimmt; daher war jeder Fall anders. Oft gestattete Rom einer besiegten Gemeinde, als autonomer Verbündeter fortzubestehen; die Rechte und Pflichten waren verschieden. Das römische Herrschaftssystem bestand aus unterschiedlichen Arten von verbündeten, semiautonomen und unterworfenen Gemeinwesen. Etruskische, italische und griechische Städte und Stämme in Zentral- und Süditalien, die entweder friedlich auf Grundlage eines Abkommens oder nach einer militärischen Niederlage zu Verbündeten Roms geworden waren, bewahrten ihre Autonomie, waren jedoch dazu verpflichtet, die Römer in ihren Kriegen mit Truppen unter eigenen Befehlshabern zu unterstützen. 180

Roms erste Schritte in Richtung imperiale Herrschaft

Auch andere unterworfene Gemeinwesen mit einem gewissen Grad an Autonomie stellten den Römern für ihre Kriege Truppen. Kolonien – also Siedlungen römischer Bürger in Italien und später in den Provinzen – waren von großer Bedeutung für die militärische Kontrolle Italiens und boten Rom zugleich Raum, die ärmsten Bevölkerungsteile der Stadt anzusiedeln. Dieses flexible Herrschaftssystem stellte die unbeschränkte militärische und politische Führerschaft Roms in Italien sicher, ohne der römischen Nobilität die lästige Aufgabe aufzubürden, die internen Belange von Verbündeten und abhängigen Gemeinwesen zu regeln; es bot einen großen Rekrutierungspool für verlässliche Soldaten; und es lieferte den Römern Möglichkeiten für wirtschaftliche Aktivitäten jenseits ihres eigenen Territoriums. Die Schwachpunkte des Systems traten später, ab der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr., zutage: Eine Armee, die aus Kleingrundbesitzern bestand, war nun über lange Zeiträume hinweg von zu Hause entfernt, da die Politik des Senats die römischen Legionen in immer weiter entfernte Regionen führte; die traditionellen römischen Institutionen reichten zudem nicht mehr aus, um das riesige Netzwerk unterworfener Gemeinwesen zu kontrollieren. Die Führerschaft der Römer in diesem komplexen System von Bündnissen und abhängigen Gemeinwesen basierte auf einem Wert, der Roms aristokratischer Gesellschaft zugrunde lag: fides (Vertrauen/Treue). Fides verpflichtete eine hierarchisch höherstehende Person (patronus) dazu, einer von ihm abhängigen Person (cliens) Schutz zu bieten, wofür der patronus im Gegenzug die Unterstützung des Klienten im Wettkampf der Adligen um politische Macht und Sozialprestige erhielt. Auf die römische Außenpolitik übertragen verpflichtete fides Rom dazu, zugunsten all jener zu intervenieren, die als Verbündete seine Führungsposition oder als abhängige Gemeinden seine Herrschaft akzeptiert hatten. Römische Expansion hatte Gemeinwesen an der Ostküste Italiens und auf Sizilien in das römische fides-System miteingeschlossen. Aus diesem Grund konnte Rom im späten 3. Jahrhundert v. Chr. das illyrische Piratenwesen nicht mehr ignorieren, wie es das in der Vergangenheit getan hatte, als die Opfer der illyrischen Plünderer noch nicht Teil seines Netzwerks gewesen waren. Der Erste Illyrische Krieg führt uns somit, kurz gesagt, mehrere wichtige Merkmale römischer Expansion vor Augen: Rom hatte einen Führungsanspruch entwickelt, mit allen politischen, militärischen und ökonomischen Vorteilen, die eine Hegemoniestellung mit sich bringt; ein lokaler Krieg zwang Rom dazu, zu intervenieren, um diese Führerschaft zu bestätigen; diese Intervention führte zu einer weiteren Ausdehnung der Kontakte Roms 181

Verflechtung

und zur Einführung neuer Mitglieder in das römische Hegemonienetzwerk. Neue Kontakte bedeuteten zusätzliche Verpflichtungen, und so waren neue Interventionen bereits absehbar. Wenn sich ein neuer Freund mit einem ernsthaften Problem konfrontiert sah, war Rom dazu genötigt, seine Führerschaft zu demonstrieren und Schutz zu bieten; dieses Einschreiten wiederum würde Rom weiter nach Osten führen, zu wieder neuen Kontakten, neuen Verpflichtungen und neuen Interventionen. Dieser Prozess wirkt vertraut, haben wir ihn doch auch im Fall anderer Hegemonien beobachten können – in jüngster Vergangenheit bei den USA.

Demetrios von Pharos und der Zweite Illyrische Krieg (219/218 v. Chr.) Wenn den Römern noch nicht klar war, dass man einem Verräter nicht trauen konnte, sollten sie diese Lektion bald lernen. Demetrios von Pharos, dessen Verrat ihnen geholfen hatte, den Krieg zu gewinnen, errichtete seine eigene Herrschaft, festigte seine Position durch Bündnisse mit Makedonien 222 v. Chr. und mit dem illyrischen Stamm der Histrer 221 v. Chr. und versuchte, genau die Politik wiederzubeleben, die zu Teutas Sturz geführt hatte. Eine neue illyrische Flotte segelte 220 v. Chr. jenseits der Stadt Lissos, was das Abkommen mit Rom verletzte, plünderte den Süden der Peloponnes und versetzte die Inseln der Ägäis in Angst und Schrecken. Im „Bundesgenossenkrieg“ in Griechenland (s. S. 89f.) stellte sich Demetrios auf die Seite Makedoniens. Vermutlich war er darauf aus, Illyriens Macht wiederherzustellen. Er musste einerseits gemerkt haben, dass jetzt der geeignete Zeitpunkt war, da Rom seine Aufmerksamkeit auf Auseinandersetzungen mit keltischen Stämmen in Norditalien (225–222 v. Chr.) und später mit Karthago (219 v. Chr.) gerichtet hatte, und dass Makedonien andererseits der richtige Verbündete war. In der Folge dehnte er seine Macht auf Kosten römischer Verbündeter aus und machte den Handel im Adriaraum unsicher. Er hatte nicht erwartet, dass Rom unmittelbar und energisch reagieren würde. Doch kurz vor Beginn des Krieges mit Hannibal entschied der römische Senat, die Häfen in Illyrien zu sichern, und so brach 219 v. Chr. der Zweite Illyrische Krieg aus. Was als ein Plünderungszug begann, löste aufgrund der Verflechtungen zwischen verschiedenen Parteien einen Dominoeffekt aus. Die raffinierte Strategie des römischen Konsuls Aemilius Paullus, der Demetrios im Zentrum seiner Macht, der 182

Wolken ziehen auf im Westen (217–205 v. Chr.)

Insel Pharos, angriff, entschied den Krieg 218 v. Chr. zugunsten Roms. Demetrios floh an den makedonischen Hof, und in Illyrien entstanden kleine unabhängige Stammesgemeinschaften. Während Aemilius Paullus in Rom einen Triumph feierte, machte sich Hannibals Armee auf den Weg nach Italien. Hannibal hatte 220/219 v. Chr. Spanien erobert und überquerte im September 218 erst die Pyrenäen und dann die Alpen; im Oktober 218 marschierte er mit einer Infanterie von 20 000 und einer Kavallerie von 6000 Männern in die Poebene ein. Nur zwei Jahre später kam Aemilius Paullus auf dem Schlachtfeld bei Cannae ums Leben, Roms Macht begann zu wanken, und die griechische und die römische Geschichte wurden miteinander auf eine Art verflochten, wie sie am Ende des Zweiten Illyrischen Krieges niemand hätte vorhersehen können.

Wolken ziehen auf im Westen (217–205 v. Chr.) In etwa zu der Zeit, als die Schlacht bei Raphia maßgebliche Entwicklungen in Ägypten auslöste (s. S. 100f.), kam es an einem entlegenen Ort zu einem weiteren militärischen Großereignis, das weitreichende langfristige Folgen zeitigen sollte. Ende Juni 217 v. Chr. bezog ein römisches Heer in der Nähe des Trasimenischen Sees Stellung, um Hannibals Invasion Norditaliens aufzuhalten. In einer Schlacht an den Ufern des Sees erlitten die Römer eine der schmachvollsten Niederlagen ihrer Geschichte. Die Niederlage und die enormen Verluste (angeblich 15 000 Männer) ließen in Rom Panik aufkommen und veranlassten den Senat dazu, die Ernennung eines dictator zu beantragen – eines Militärkommandanten mit Befehlsgewalt über alle Magistrate für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten: eine außergewöhnliche Maßnahme, die nur in Zeiten äußerster Verzweiflung gestattet war. Als Hannibal seinen Feldzug in Zentral- und Süditalien fortsetzte, einige der römischen Verbündeten zu ihm überliefen und die Römer begannen, um die schiere Existenz ihrer Stadt zu bangen, traf Philipp V. eine unerwartete Entscheidung: Er lud die Griechen im August 217 v. Chr. zu einer Friedenskonferenz nach Naupaktos ein. Sein Hauptgegner, Ätolien, wurde durch dessen führenden Staatsmann Agelaos vertreten. Dieser drängte – dem Historiker Polybios zufolge – in einer Rede Philipp V. dazu, die weitreichenden Konsequenzen zu berücksichtigen, die der Krieg zwischen Hannibal und Rom nach sich ziehen würde: 183

Verflechtung

Ob nun in diesem Krieg die Karthager die Römer oder die Römer die Karthager besiegen, es ist in keiner Weise wahrscheinlich, dass sich die Sieger mit der Herrschaft über Italien und Sizilien begnügen werden. Sie werden kommen und ihre Pläne und Streitkräfte weiter ausweiten, als uns das lieb sein kann … Wenn du tätig werden willst, wende deinen Blick nach Westen und beschäftige dich mit den Kriegen in Italien. Beobachte die Situation bedächtig und ergreife dann zum richtigen Zeitpunkt die Gelegenheit, die Weltherrschaft zu erlangen. Die gegenwärtige Situation ist einer solchen Hoffnung auch nicht unbedingt abträglich. Ich rate dir, deine Streitigkeiten und Kriege mit den Griechen auf ruhigere Zeiten zu vertagen, und deine ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten, die Macht zu bewahren, mit ihnen Frieden zu schließen und Krieg zu führen, wann du das willst. Denn wenn du es einmal zulässt, dass sich die Wolken, die sich im Westen zusammen­ ballen, auf Griechenland legen, befürchte ich wirklich, dass uns allen die Macht, über Krieg und Frieden zu entscheiden, kurz: all die Spiele, die wir jetzt miteinander spielen, in einem solchen Maße aus den Händen gerissen wird, dass wir zu den Göttern flehen werden, uns nur die Macht zu gewähren, Kriege zu führen und Frieden zu schließen, wann immer wir wollen – in einem Wort: Herr unserer eigenen Auseinandersetzungen zu sein.

Polybios schrieb diese Zeilen ein halbes Jahrhundert später – als sich die Wolken, die man damals im Westen aufziehen sah, bereits über Griechenland gelegt hatten. Auch wenn Agelaos nicht genau die Worte verwendete, die Polybios ihm in den Mund legt, zeigt seine Rede, was die Betroffenen damals umtrieb. Die Idee, dass sich die Griechen zusammenschließen sollten, um äußeren Bedrohungen zu begegnen, hat in der griechischen Ideologie eine lange Tradition: Die Griechen – zumindest die meisten von ihnen – stellten sich der persischen Invasion unter Xerxes 480 v. Chr. entgegen; und Philipp II. und Alexander der Große führten ein panhellenisches Bündnis gegen das Achämenidenreich. Die führenden Staatsmänner der Griechen waren über die Entwicklungen in Italien im Bild. Agelaos’ Ratschlag an Philipp, seine Kriege gegen die Griechen zu vertagen, entspricht der opportunistischen Politik ­d ieser Epoche genauso wie Philipps berüchtigter Gerissenheit. Die Hoffnung auf Machterweiterung war fester Bestandteil des hellenistischen Königtums; und Agelaos’ Hinweis auf den imperialistischen Drang, demzufolge der Sieger in einem Konflikt zu weiterer Expansion getrieben wird, ist eine Vorstellung, die man in der griechischen Literatur bis Herodot zurückverfolgen kann. Die Rede mag fiktiv sein, doch die Ansichten, die in ihr zum Ausdruck kommen, sind nicht zwangsläufig anachronistisch. Gänzlich anachronis184

Die große Verflechtung: der Erste Makedonische Krieg (215–204 v. Chr.)

tisch aber ist die Prognose, dass die Griechen ihrer Freiheit, Frieden zu schließen und Kriege zu führen, beraubt werden könnten. Das konnte 217 v. Chr. niemand vorhersehen. Ebenso konnte niemand die Konsequenzen von Philipps Entscheidung, einem Friedensschluss in Griechenland zuzustimmen, und derjenigen zwei Jahre später, sich mit Hannibal zu verbünden, absehen. Beendete Philipp den „Bundesgenossenkrieg“ in Griechenland, um die geschwächten Römer angreifen zu können und die Weltherrschaft zu erlangen? Zwar spräche der Zeitpunkt seiner Entscheidung, nur wenige Wochen nach der verheerenden Niederlage der Römer, für eine solche Interpretation, aber es mag auch andere Faktoren gegeben haben, die den König zum Handeln zwangen. Es ist wahrscheinlich, dass Philipp sein Königreich gegen einen der häufigen Angriffe von Barbarenstämmen verteidigen und seinen Einfluss in Illyrien wieder festigen musste. Doch abgesehen von seiner ursprünglichen Motivation für Friedensverhandlungen in Griechenland: Es ist von Bedeutung, dass Philipp eine Konfrontation mit Rom suchte. Diese Entscheidung entfremdete ihn seinem wichtigsten Berater Aratos. Der König ließ 100 lemboi bauen, kleine, schnelle Schiffe, die für den Transport von Truppen und Überraschungsangriffe, nicht aber für Seeschlachten geeignet waren. Diese lemboi waren mit Sicherheit nicht das Mittel, um die Weltherrschaft zu erlangen, sie waren jedoch ideal dafür, die Kontrolle über die Ostküste und die Inseln der Adria zu erlangen. Als eine römische Flotte von zehn Schiffen das Ionische Meer erreichte, um den römischen Freunden (Apollonia, Epidamnos und Korkyra) Unterstützung zu leisten, brach Philipp seine Operationen umgehend ab. Er war weder auf einen großen Krieg vorbereitet, noch sah er ihn kommen. In der Frühphase ihrer Konfrontation verhielten sich sowohl die Römer als auch Philipp vorsichtig. Die Römer konnten ihre Verbündeten in der Adria nicht einfach im Stich lassen, sie konnten aber auch keine zweite große Front eröffnen; Philipps Priorität lag in der Sicherung seines Reiches.

Die große Verflechtung: der Erste Makedonische Krieg (215–204 v. Chr.) Ein Jahr später veränderte sich die Sachlage dramatisch. Im August 216 v. Chr. erlitten die Römer eine weitere verheerende Niederlage, dieses Mal bei Cannae. Polybios zufolge wurde beinahe die gesamte römische Armee, 185

Verflechtung

die gegen Hannibal ins Feld gezogen war (90 000 Mann), ausgelöscht, wobei 70 000 zu Tode kamen und 10 000 gefangen genommen wurden. Die Zahlen sind übertrieben, sie weisen jedoch auf das enorme Ausmaß des Verlusts und seine Auswirkungen hin. Ähnlich übertrieben waren die Nachrichten, die nach Rom gelangten: zwei konsulare Armeen und ihre Kommandanten seien vollständig verloren. Die Wirkung auf die Bevölkerung war entsetzlich. Modernen Schätzungen zufolge hatte Rom in den ersten Jahren des Krieges ein Fünftel der männlichen Bürger über 17 verloren. Und doch wurden überraschenderweise nur ein paar wenige römische Verbündete abtrünnig, darunter Syrakus, die größte griechische Kolonie im Westen. In ebendiesem kritischen Moment, 215 v. Chr., unterzeichnete Philipp V. einen Bündnisvertrag mit Hannibal – damit machte er die griechische Geschichte von da ab unbeabsichtigterweise zu einem Kapitel der römischen Expansionsgeschichte. Eine griechische Übersetzung dieses Vertrags hat sich in Polybios’ Geschichte erhalten. Die beiden Parteien schworen sich Bündnistreue und gegenseitigen Schutz vor ihren Feinden; der Geltungs­ bereich des Vertrags im Fall eines Sieges über Rom war allerdings äußerst eingeschränkt. Die relevante Passage, in der Hannibal die Pflichten und erwarteten Vorteile seines Verbündeten benennt, ist aufschlussreich: Sobald uns die Götter den Sieg im Krieg gegen die Römer und ihre Bundesgenossen verliehen haben, wenn die Römer ein Friedensabkommen schließen wollen, werden wir ein Abkommen schließen, das auch euch in den Frieden einschließt, zu den folgenden Bedingungen: Sie sollen niemals Krieg gegen euch führen; sie sollen Korkyra, Apollonia, Epidamnos, Pharos, Dimale, Parthini und Atintania nicht länger beherrschen; und sie sollen Demetrios von Pharos alle seine Freunde zurückgeben, die sich im Herrschaftsgebiet der Römer befinden.

Philipp wollte die Römer von jedem Ort östlich der Adria vertrieben sehen. Sein Fokus lag auf Griechenland, wo er immer wieder in die politischen ­A ngelegenheiten der poleis eingriff. Weder hatte Philipp den Ehrgeiz, seine Macht nach Italien auszudehnen, noch verfolgte Hannibal irgendwelche Pläne, Rom zu vernichten. Hannibal forderte während seines Kriegs in Italien zu keinem Zeitpunkt Truppen an; ihm genügte es zu wissen, dass die Römer an einer zweiten Front in Illyrien würden kämpfen müssen. Doch auch wenn dieser Vertrag in seinem Geltungsbereich beschränkt war: Die Konsequenzen waren gewaltig. Aratos, der oberste Staatsmann des Achäischen Bundes, widersetzte sich wiederholt Philipps Aktionen, starb aber 214 v. Chr. nach lan186

Die große Verflechtung: der Erste Makedonische Krieg (215–204 v. Chr.)

ger Krankheit; angeblich wurde er langsam vom König vergiftet, der eine ­A ffäre mit Aratos’ Schwiegertochter hatte. Auf seinem Rückweg nach Makedonien wurde der athenische Gesandte von den Römern gefangen genommen. Als die Römer von dem Abkommen erfuhren, beschlossen sie, eine Flotte unter dem Proprätor Marcus Valerius Laevinus zu entsenden, mit dem Auftrag, die neue Front im Osten zu sichern. Illyrien war der Hauptschauplatz in diesem Ersten Makedonischen Krieg, der von 214 bis 205 v. Chr. dauerte. Philipps größter Erfolg war die Einnahme des bedeutenden Hafens von Lissos 212 v. Chr., was ihm Zugang zur Adria und Kontrolle über die angrenzenden Gebiete verschaffte. In ­Italien liefen die Dinge für Hannibal nicht gut. Seine Hoffnungen, dass Roms Verbündete auf seine Seite überlaufen würden, lösten sich in Luft auf. Die meisten Verbündeten hielten Rom die Treue, und die, die es nicht taten, wurden von den Römern erobert. Die Belagerung von Syrakus 214 v. Chr., bei der ein großer Stratege, Marcus Claudius Marcellus, und ein großer Mathematiker, Archimedes, einander gegenüberstanden, war eine der dramatischsten Episoden des Zweiten Punischen Krieges. Als Marcellus die Belagerung eröffnete, ließ er auf einer Plattform, die er aus acht zusammengebundenen Galeeren konstruiert hatte, eine riesige Belagerungsmaschine errichten; da erfand Archimedes technologische Gerätschaften, die dem Belagerer das Leben schwer machten. Alle möglichen Geschosse und Steine wurden mit unglaublicher Geschwindigkeit auf die Römer geschleudert; ihre Schiffe wurden von Balken zerstört, die plötzlich aus den Mauern hervorstießen; Eisenklauen packten ihre Schiffe am Bug, hoben sie in die Luft und ließen sie wieder fallen. Marcellus gelang es schließlich doch, die Stadt einzunehmen: Er hatte während einer Verhandlung bemerkt, dass einer der Türme schlecht bewacht wurde; er schätzte seine Höhe, ließ Sturmleitern vorbereiten und führte einen Angriff, während die Syrakuser ein Fest feierten. Archimedes wurde im Gemenge getötet. Ein römischer Soldat näherte sich ihm, während er ganz von einem geometrischen Problem eingenommen war, zu dessen Lösung er Formen in den Sand gezeichnet hatte. „Störe meine Kreise nicht“ waren seine berühmten letzten Worte. Während dieses Krieges ging es jedoch um mehr als um geometrische Pläne. Die Römer brauchten in Griechenland Verbündete. Da kamen natürlich die Feinde ihrer Feinde infrage, die Ätoler, die angstvoll zur Kenntnis nahmen, dass Philipps Macht wuchs. Im Herbst 212 v. Chr. schlossen Rom und die Ätoler ein Bündnis, dessen Text im Geschichtswerk des Livius und 187

Verflechtung

t­eilweise in einer Inschrift erhalten ist. Wie beim Bündnis zwischen Hannibal und Philipp ist auch hier die Klausel, die die Zeit nach dem Krieg betrifft, aufschlussreich. Alle Gebiete nördlich von Ätolien sollten dem ätolischen Staat einverleibt werden, während die Gefangenen und beweglichen Güter römische Beute sein sollten; Städte, die kapitulierten, sollten Mitglieder des Ätolischen Bundes werden und ihre Autonomie beibehalten. Rom zeigte keinerlei Interesse an territorialer Expansion. Zwei Klauseln, die auf den ersten Blick von geringerer Bedeutung schienen, hatten unerwartete Konsequenzen: Erstens verbot der Vertrag den Verbündeten, ein separates Friedensabkommen zu schließen – genau das aber taten die Ätoler 206 v. Chr.; durch diesen Vertragsbruch befreiten sie die Römer von jeglicher Verpflichtung ihnen gegenüber. Und zweitens gestattete es der Vertrag, dass weitere Staaten dem Bündnis beitraten, was Roms Kontakte in Griechenland und darüber hinaus erweiterte. Dass das Königreich Pergamon dem Bündnis beitrat, hatte langfristige Folgen. Pergamon hatte sich unter den Dynasten Philetairos (281–263 v. Chr.) und Eumenes I. (263–241 v. Chr.) als Regionalmacht in Nordwestkleinasien etabliert. 238 v. Chr. errang der neue Herrscher Attalos I. (241– 197 v. Chr.) einen bedeutenden Sieg über die Galater, die Kleinasien drei Jahrzehnte lang geplündert hatten. Sein Sieg brachte ihm auch territoriale Zugewinne in Kleinasien ein, auf Kosten des Seleukidenreichs. Attalos’ größter Feind war sein Nachbar Prusias I., der König von Bithynien (ca. 228–182 v. Chr.), ein Verbündeter Philipps. Dies ließ Attalos keine andere Wahl, als sich mit Philipps Feinden zu verbünden. Indem er dem Bündnis zwischen Rom und Ätolien beitrat, machte Attalos Pergamon überhaupt erst zu einem politischen Faktor in Europa und schuf eine Verbindung zwischen Rom und Kleinasien. Seine Entscheidung führte zu einem großen Krieg, in den beinahe alle Staaten in Griechenland und zwei Königreiche in Kleinasien verwickelt waren. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Rom und den griechischen Staaten offenbaren ein wichtiges Merkmal der politischen Geschichte dieser Epoche: die Zersplitterung der griechischen Welt in viele rivalisierende Staaten, die Bündnisse nur zu einem Zweck eingingen – für ihre eigene Sicherheit – und diese brachen, sobald sich ihnen eine bessere Möglichkeit auftat. In einer Welt, in der ein Staat nur Feinde hatte, waren die Feinde eines Feindes Freunde, solange sie den eigenen Offensiv- oder Defensiv­ interessen dienten. Im Ersten Makedonischen Krieg unterstützte der Achäische Bund Philipp V. gegen Rom, da dessen Gegner auf der Peloponnes 188

Die große Verflechtung: der Erste Makedonische Krieg (215–204 v. Chr.)

(Sparta, Messene und Elis) auch Philipps Feinde waren. Die Ätoler unterstützten die Römer, weil diese die Feinde ihres Rivalen um die Macht auf dem griechischen Festland waren. Attalos I. schlug sich auf die Seite der Ätoler, weil sein Gegner in Kleinasien, das Königreich Bithynien, ein Verbündeter Philipps war. Jede kleine Verschiebung in diesem zerbrechlichen Bündnissystem hatte weitreichende Konsequenzen. Obwohl sich Philipp an verschiedenen Fronten in Zentralgriechenland und auf der Peloponnes mit einer großen Koalition konfrontiert sah, hielt er seine Stellung, und 207 v. Chr. zwang er Attalos I. von Pergamon zum Abbruch seines Feldzugs und zur Rückkehr nach Pergamon. Als sie mit ihm einen Verbündeten verloren hatten und aus Rom keine wesentliche Hilfe kam, sahen sich die Ätoler 206 v. Chr. dazu genötigt, ein separates Friedensabkommen mit Philipp zu schließen, wodurch sie ihr Abkommen mit Rom verletzten. Hätten sie doch nur gewartet! Auch die Römer unterzeichneten ein Jahr später einen Vertrag mit Philipp – den Frieden von Phoinike (205 v. Chr.) –, um sich voll und ganz auf die letzte Phase ihres Kriegs gegen Hannibal konzentrieren zu können, der 202 v. Chr. mit der Schlacht bei Zama und einer Niederlage Karthagos endete. Der Friede von Phoinike bestätigte den Status quo vor Kriegsausbruch und untermauerte so Roms Position als Schutzmacht kleiner unabhängiger Städte am Ionischen Meer, in Epirus und Illyrien. Philipp V. war es nicht gelungen, die Römer aus dem Balkan zu vertreiben. Der Achäische Bund, der 214 v. Chr. seinen Anführer Aratos verloren hatte und von den immerwährenden Problemen auf der Peloponnes abgelenkt war, spielte in diesem Krieg keine große Rolle. Es lohnt, den Krieg, der parallel zum Ersten Makedonischen Krieg auf der Peloponnes stattfand, kurz in den Blick zu nehmen; er ist nur einer von vielen regionalen Konflikten dieses Ausmaßes in Griechenland und Kleinasien in diesen Jahren. Drei Hauptkonfliktursachen bestimmten die Regionalgeschichte auf der Peloponnes: Gebietsstreitigkeiten, besonders zwischen Megalopolis, einem Mitglied des Achäischen Bundes, und Messene; Spartas Bestrebungen, den Einfluss und die Territorien zurückzugewinnen, die es nach Kleomenes’ Niederlage bei Sellasia (s. S. 89) verloren hatte; und die Auseinandersetzungen des Achäischen Bundes mit den Städten und Städtebünden, die seine Hegemonialstellung nicht anerkannten, insbesondere Sparta, Elis und Messene. In der Person des Philopoimen, eines großen Militärkommandanten, der 209 v. Chr. zum ersten Mal zum General der Achäer gewählt wurde, fand der Bund erneut einen starken Anführer. Philopoimen organisierte das 189

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Bundesheer neu und wandte sich dann den Problemen zu, die durch den wiederaufflammenden Ehrgeiz der Spartaner verursacht wurden. Sparta wurde traditionsgemäß von zwei Königen regiert, die aus zwei Königs­ häusern stammten. Um 209 v. Chr. war einer dieser Könige ein Kind namens Pelops. Indem man ihm diesen Namen gab, wollte man vermutlich Hegemonialansprüche andeuten: Pelops war im Mythos der Held, nach dem die ­Peloponnes benannt wurde (Insel des Pelops). Da keine frühere historische Person dieses Namens bekannt ist, scheint er im Fall dieses Königs Ambitionen auf eine regionale Machtstellung zum Ausdruck zu bringen. Welche Ambitionen jedoch auch immer mit dem Kind verbunden wurden, sie sollten nicht erfüllt werden. Unter ungeklärten Umständen wurde ein gewisser ­Machanidas, ein Mann unbekannter Herkunft, vermutlich ein Söldner, zum Regenten. Als Verbündeter der Ätoler plünderte der Usurpator die Peloponnes bis Olympia, bis Philopoimen ihn 207 v. Chr. in einer Schlacht bei ­Mantineia eigenhändig tötete. Machanidas’ Nachfolger als Regent war ein anderer Abenteurer unbekannter Herkunft, Nabis; er setzte diese Expansionspolitik fort und widersetzte sich dem Achäischen Bund, bis er 201 v. Chr. von Philopoimen in einer Schlacht bei Tegea geschlagen wurde und gezwungen war, sich nach einer neuen Gelegenheit umzusehen. „Das Beste wäre es, wenn die Griechen gar nicht gegeneinander Krieg führten“: Agelaos’ Rat wurde nicht befolgt. Nun, da Philipp V. zum ersten Mal ein griechisches Königreich in einen Krieg mit Rom geführt hatte, war die Verflechtung der Schicksale des westlichen und des östlichen Mittelmeerraums vollkommen. Nur die Griechen an der Nordküste des Schwarzen Meeres – sie waren von unmittelbareren Bedrohungen durch benachbarte Barbarenstämme abgelenkt – mögen die „Wolken, die sich im Westen zusammenballten“ und sich über Griechenland legten, nicht bemerkt haben. Von nun an hatte jeder Kontakt zwischen einem griechischen Gemeinwesen und Rom Auswirkungen nicht nur auf das betroffene Gemeinwesen selbst, sondern auf alle Städte, Städtebünde und Königreiche, mit denen dieses Gemeinwesen in Beziehung stand. Der Mittelmeerraum zu dieser Zeit mag an eine Stelle im zweiten Akt von Rossinis La Cenerentola erinnern: Questo è un nodo avviluppato, Questo è un gruppo rintrecciato. Chi sviluppa più inviluppa, Chi più sgruppa, più raggruppa.

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Die ägyptische Krise und eine opportunistische Allianz (204–201 v. Chr.)

(„Dies ist ein verworrener Knoten, / dies ist ein verwickeltes Geflecht. / Wenn einer versucht, es zu lösen, verwickelt er es nur noch mehr, / wenn einer versucht, es aufzudröseln, bindet er es noch fester zusammen.“ Jacopo Ferretti, Libretto von G. Rossinis La Cenerentola, 2. Akt, 8. Szene.)

Die ägyptische Krise und eine opportunistische Allianz (204–201 v. Chr.) Der Frieden von Phoinike fiel zeitlich mit unerwarteten Entwicklungen im ptolemäischen Königreich zusammen – Philipp V. und Antiochos III. bot sich eine Gelegenheit zur Expansion, von der sie nicht zu träumen gewagt hätten: Als Ptolemaios IV. 205 v. Chr. starb, ließ er auf dem Thron von Ägypten ein Kind zurück, seinen vierjährigen Sohn Ptolemaios V. Der Höfling Agathokles, dessen Schwester die Geliebte des verstorbenen Königs gewesen war, ergriff die Gelegenheit, ermordete Königin Arsinoë III. und wurde zum Vormund des Kindes. Der Südteil des Königreichs, wo 206 v. Chr. ein Aufstand der einheimischen Bevölkerung begonnen hatte, stand ab 205 v. Chr. unter der Kontrolle eines lokalen Pharaos, Haronnophris. Und als sich Agathokles’ Machtmissbrauch bemerkbar machte, wuchs die Empörung der Bevölkerung Alexandrias über den Vormund des Königs. Den traditionellen Rivalen der Ptolemäer, den Antigoniden und den Seleukiden, blieb die Krise im ptolemäischen Königreich nicht verborgen. Der Friede von Phoinike erlaubte es Philipp, seine Aufmerksamkeit wieder einmal dem Osten zuzuwenden. Es ist denkbar, dass er seinen Krieg mit Rom genau aus dem Grund beendete, weil er Expansionspläne jenseits der Ägäis verfolgen wollte. Die Antigoniden hatten stets ein Interesse daran gehabt, den Ägäisraum zu dominieren; weder Philipp noch sein Vorgänger hatten vergessen, dass die Begründer ihrer Dynastie einst Teile Kleinasiens beherrscht hatten. Nur zwei Jahrzehnte zuvor, 228 v. Chr., hatte Antigonos Doson versucht, Gebiete in Karien zu besetzen. Nun war es an Philipp, ähnliche Pläne zu verfolgen. Sein natürlicher Gegner in der Südägäis war die Insel Rhodos, eine Seemacht mit ausgeprägten wirtschaftlichen und militärischen Interessen. Um deren wachsenden Einfluss aufzuhalten, setzte Philipp V. seine Autorität auf Kreta ein – seit 217/216 v. Chr. war er der Anführer eines Bündnisses kretischer Städte. Er stachelte die Kreter dazu an, mit ihren Schiffen Rhodos, weitere Inseln in der Südägäis und Küstenstädte in Kleinasien zu überfallen. Dieser sogenannte Erste Kretische Krieg 191

Verflechtung

(ca. 206–201 v. Chr.) brachte für Philipp keine nachhaltigen Ergebnisse. Im Gegenteil, er entfremdete viele griechische Gemeinden dem König und steigerte das Prestige der Rhodier als Verteidiger der Sicherheit zur See. Bis 201 v. Chr. hatten die Rhodier das kretische Bündnis unterminiert, indem sie Verbündete auf Kreta gewannen, und sogar eine Garnison im Osten der Insel errichteten. Philipp gelang es zwar nicht, Kontrolle über die Südägäis zu erlangen, aber es gab durchaus ein Gebiet von strategischer Bedeutung, in dem seine Unternehmungen erfolgreich waren: Thrakien, am Eingang des Hellespont, eine Region, die den Verkehr sowohl vom Mittelmeer in das Schwarze Meer als auch von Europa nach Asien kontrollierte (s. Karte 5). Teile des europäischen Thrakiens standen immer noch unter ptolemäischer Kontrolle; auf der asiatischen Seite der Meerengen waren die Königreiche Pergamon unter Attalos I. und Bithynien unter Philipps Schwager Prusias I. in einen regionalen Gebietskonflikt verwickelt; und eine Reihe von griechischen Städten, die eine strategische Position für die Kommunikation zwischen den Kontinenten innehatten, wie Byzantion, Abydos und Kios, waren mit dem Ätolischen Bund verbündet. Hier erlebte Philipp seinen größten Erfolg. Er eroberte Kios und Myrleia und übergab sie an Prusias; im Gegenzug bat er den bithynischen König darum, auf Kosten Pergamons zu expandieren. Die nächsten Opfer waren zwei weitere ätolische Verbündete, Lysimacheia und Chalkedon, sowie die Insel Thasos. Für Antiochos III. waren die Entwicklungen in Ägypten eine Einladung zum Handeln und zur Rache für die bei Raphia erlittene Niederlage. In den Jahren nach dieser Schlacht hatte er all seine Energie darauf verwendet, die verlorenen Teile seines Reiches zurückzugewinnen. Zuerst unterdrückte er einen Aufstand seines Cousins Achaios, der sich in Kleinasien selbst zum König erklärt hatte (216–214 v. Chr.). In den anschließenden Feldzügen, die bis 209 v. Chr. andauerten, gewann Antiochos die nördlichen und östlichen Provinzen zurück, die unter Statthaltern und lokalen Herrschern abtrünnig geworden waren. Xerxes, der Herrscher von Armenien, erkannte ihn als Oberherrn an, Parthien wurde zurückerobert, und Euthydemos, der griechische König von Baktrien, wurde geschlagen, jedoch als König anerkannt. Dann begann Antiochos seine größte Unternehmung, einen Feldzug nach Indien nach dem Vorbild Alexanders. 207 v. Chr. überquerte er den Hindukusch und erreichte das indische Königreich Sophagasenos (Subhashsena). Dieser Feldzug brachte ihm zwar keine dauerhaften Gebietsgewinne in ­A fghanistan und Indien ein, dafür aber Schätze, 150 Kriegselefanten und 192

Der Zweite Makedonische Krieg (200–197 v. Chr.)

Prestige. Als Antiochos 205 oder 204 v. Chr. nach Syrien zurückkehrte, hatte er das einst von Seleukos I. regierte Reich wiederhergestellt und wurde Antiochos Megas (der Große) genannt. Es wäre zu erwarten gewesen, dass Philipp V. und Antiochos III., zwei mächtige und ehrgeizige Könige, um die Besetzung und Kontrolle ptolemäischer Gebiete kämpfen würden, nun, da sich das Ptolemäerreich in einer Krise befand. Stattdessen entschieden sie sich jedoch, zu kooperieren, um dem ptolemäischen Königreich so viele Gebiete wegzunehmen, wie sie nur konnten. Im Winter 203/202 v. Chr. trafen sie die Übereinkunft, das Ptolemäerreich unter sich aufzuteilen. Antiochos sollte Zypern, die ptolemäischen Besitzungen in Südkleinasien (Lykien und Kilikien) sowie Koilesyrien erhalten; Philipp würde die nördlichen Besitzungen der Ptolemäer in Thrakien, die thrakische Chersonesos (am Eingang des Hellespont) sowie die ­Kykladeninseln bekommen. Niemand erwartete, dass dieses (geheime) Abkommen, das Operationen in Gebieten betraf, an denen die Römer keinerlei Interesse hatten, bald zu neuen Kriegen mit Rom führen würde.

Ein Wendepunkt des römischen Imperialismus? Der Zweite Makedonische Krieg (200–197 v. Chr.) Philipp und Antiochos begannen ihre Operationen 202 v. Chr., doch Philipps Vordringen löste einen Dominoeffekt mit unvorhergesehenen Konsequenzen aus. Seine Manöver in Thrakien und Teilen Kleinasiens, wo er 201 v. Chr. das Territorium von Pergamon verwüstete und Gebiete in Ionien und Karien eroberte, bedrohten Rom nicht direkt. Sie stellten jedoch eine direkte Bedrohung für Pergamon dar, beeinträchtigten Rhodos und setzten die freien Griechenstädte in Alarmbereitschaft. Die Rhodier und König Attalos I., unterstützt von Athen, beschlossen, sich an Rom zu wenden. Im Sommer 201 v. Chr. erschienen ihre Gesandten vor dem Senat, informierten die Römer über das Abkommen zwischen Antiochos und Philipp und baten sie um Hilfe gegen Philipps Expansion. Rom hatte erst kurz zuvor seinen Krieg gegen Karthago beendet; zwar hatten sie gesiegt, doch war der Verlust an Männern groß, die Kriegskosten waren hoch gewesen, und die landwirtschaftlichen Tätigkeiten waren vernachlässigt worden. Die Senatoren hatten natürlich noch nicht vergessen, dass sich Philipp zu eben jenem Zeitpunkt mit ihren Feinden verbündet hatte, als sie mit einer ernsten Bedrohung konfrontiert waren. Ihre Antwort war jedoch keine Kriegserklärung und konnte auch 193

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keine sein – noch nicht. Stattdessen entsandten sie drei Senatoren als Botschafter: Sie sollten Philipp ein Ultimatum stellen. Rom untersagte es ­Philipp, Krieg gegen griechische Städte zu führen, und empfahl ein „internationales“ Schiedsgericht zur Beilegung von Konflikten, besonders von jenem zwischen Makedonien und Pergamon. Zu diesem Zeitpunkt belagerte Philipp gerade die Stadt Abydos in Nordwestkleinasien. Anfänglich ignorierte er das Ultimatum, um es dann später abzulehnen. In Rom berief der Konsul Publius Sulpicius Galba, dem Makedonien als politischer Zuständigkeitsbereich zugewiesen worden war, die Volksversammlung ein und stellte, unterstützt von der senatorischen Elite, einen Antrag, demzufolge König Philipp und den Makedonen der Krieg erklärt werden sollte, da sie Ungerechtigkeiten gegenüber Verbündeten des römischen Volks begangen und diese angegriffen hatten. Der Antrag wurde abgelehnt, angeblich weil die Römer der Gefahren und Leiden des Krieges müde waren. Erst in einer zweiten Sitzung gelang es dem Konsul, die Volksversammlung davon zu überzeugen, den Krieg zu erklären. Diese Entscheidung, die zum Zweiten Makedonischen Krieg (200–197 v. Chr.) führte, wird als Wendepunkt in der politischen Geschichte des gesamten Mittelmeerraums betrachtet. Anders als bei ihren früheren militärischen Konflikten in Griechenland war der Casus Belli für die Römer dieses Mal nicht eine direkte Bedrohung für sie selbst. Philipps Operationen in Thrakien und Kleinasien hatten keinerlei Auswirkungen auf ihre Interessen und die Interessen ihrer Bundesgenossen in Italien. Darüber hinaus betraf das Abkommen zwischen Philipp und Antiochos das Schicksal von Regionen, die von Rom und Italien und den angrenzenden Interessengebieten weit entfernt waren. Diese Faktoren unterscheiden diesen Beschluss von den früheren Eingriffen Roms an der Ostküste der Adria. Weder Rhodos noch Athen war ein Verbündeter Roms. Lediglich Attalos I., der während des Ersten Makedonischen Krieges ein Verbündeter der Römer gewesen war und dies vermutlich auch nach dem Frieden von Phoinike blieb, mag eine plausible Rechtfertigung gehabt haben, um militärische Unterstützung zu bitten, wobei er zum Zeitpunkt der Kriegserklärung gar nicht mehr selbst von Philipp angegriffen wurde. Stellt das Jahr 200 v. Chr. also den Beginn einer neuen, offensiven, imperialistischen Politik Roms im Osten dar? Nach Ansicht Theodor Mommsens, der für seine Römische Geschichte 1902 den Literaturnobelpreis erhielt, mussten die Römer diesen Krieg für ihre eigene Sicherheit führen. Mommsen schrieb zu einer Zeit, als sich Staatsmänner so sicher waren wie 194

Der Zweite Makedonische Krieg (200–197 v. Chr.)

George W. Bush 100 Jahre später, dass es so etwas wie einen vorbehaltslos gerechten Krieg gab. Wenn wir heute eine Entscheidung nachvollziehen wollen, berücksichtigen wir auch die Auswirkungen der Emotionen, Mentalität und Werte der Menschen, die sie trafen. Mit Sicherheit verfolgten die Römer und ihre Anführer den Aufstieg einer Großmacht im Osten nur wenige Jahre, nachdem sie Karthago im Westen bezwungen hatten, mit Misstrauen und Sorge; über Philipps arrogante Ablehnung ihres Ultimatums waren sie empört; sie wollten sich an dem Mann rächen, der sich mit Hannibal verbündet hatte und im Frieden von Phoinike straflos davongekommen war. Auch wirkten sich die sozialen Werte, mit denen die Römer erzogen wurden, auf diese Entscheidung aus, insbesondere der Wert der fides, den die Römer in ihren „internationalen“ Beziehungen anwandten (s. S. 181). Verbündeten die Unterstützung zu verweigern, würde das fides-Verhältnis verletzen und Roms Anspruch auf eine Führungsposition direkt unterminieren. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass sich die römischen Staatsmänner, als sie die Kriegserklärung beantragten, der mittel- oder längerfristigen Konsequenzen eines Engagements in Makedonien und Kleinasien bewusst waren – auch wenn Roms Einmischung in Spanien als lehrreiches Beispiel hätte dienen können. Sowohl die anfangs negative Reaktion der Volksversammlung als auch die Hartnäckigkeit des Konsuls, der ein Nein als Antwort nicht akzeptierte, zeigen deutlich, dass römische Ansichten von Führerschaft und Expansion im Jahr 200 v. Chr. immer noch nicht festgelegt waren. Die Entscheidung der römischen Volksversammlung, der Tatenlosigkeit letztendlich einen Krieg vorzuziehen, bestimmte den Verlauf der Geschichte im östlichen Mittelmeerraum und die Entscheidungen der Römer in ihren zukünftigen Außenbeziehungen. In den Worten Ciceros, der in der Endphase der römischen Expansion schrieb, führten die Römer Krieg aut pro sociis aut de imperio (entweder um ihrer Verbündeten willen oder wegen ihrer Hegemonie). Als die Anzahl ihrer Verbündeten wuchs und sich ihre Hegemoniestellung kontinuierlich erweiterte, entschieden sich die Römer immer seltener dazu, Handlungsaufforderungen zu ignorieren. Im Zweiten Makedonischen Krieg konnte Rom auf die Unterstützung all jener griechischen Staaten zählen, die über Philipps Expansion an verschiedenen Fronten in Griechenland und Kleinasien besorgt waren. Die Ätoler, traditionelle Feinde Makedoniens, schlossen sich Pergamon, Rhodos und Athen an. In den ersten Jahren der Konfrontation (200–198 v. Chr.) gelang es Philipp, sich dieser großen Koalition in einem Krieg zu widersetzen, der mit geringem Enthusiasmus geführt wurde. Der Achäische Bund nahm 195

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z­ unächst nicht daran teil, da er in einen Krieg gegen Spartas Monarchen Nabis verwickelt war; der spartanische Herrscher bot Philipp seine Unterstützung an im Gegenzug für die bedeutende Stadt Argos; 199 v. Chr. besetzte Nabis Argos. Die Dinge änderten sich 198 v. Chr., als Titus Quinctius Flamininus, ein junger, um 229 v. Chr. geborener Feldherr, der die griechische Kultur zutiefst bewunderte und die Werte der griechischen Gemein­ wesen bestens verstand, zum Kommandanten der römischen Truppen ernannt wurde. Unter Flamininus’ Kommando bestand das Ziel des Krieges nicht länger darin, Philipp von einem Angriff auf die Griechen abzuhalten, sondern darin, ihn dazu zu zwingen, seine Garnisonen aus den griechischen Städten abzuziehen. Flamininus eignete sich den Schlachtruf der Freiheit an, der in der Vergangenheit schon oft von hellenistischen Königen gegen ihre Gegner eingesetzt worden war. Die Griechen waren nur allzu gern bereit, Flamininus’ Aufruf zu einem Krieg um der Freiheit willen Folge zu leisten. Bei seiner Kampagne, die Griechen auf seine Seite zu bringen, wurde er von Attalos I., dem König von Pergamon, unterstützt. Doch während Attalos in Böotien eine Rede zugunsten Roms hielt, erlitt er einen Schlaganfall und musste nach Pergamon zurückgebracht werden. Flamininus zwang Philipp zum Rückzug nach Thessalien, und sein Einsatz erhielt einen neuen Impuls, als viele Mitglieder des Achäischen Bundes ihre promakedonische oder neutrale Haltung aufgaben und sich den Römern anschlossen. Dann verriet Nabis Philipp, da er hoffte, im Fall eines römischen Sieges Argos behalten zu können. Philipp erklärte sich bereit, ein Friedensabkommen zu verhandeln und seine Eroberungen in Thrakien und Kleinasien aufzugeben, Flamininus aber hatte kein Interesse an einem Friedensschluss, da er sein Kommando verlängert haben wollte. Seine Forderung war, dass sich Philipp aus Griechenland zurückziehen und auf Makedonien und Thessalien beschränken sollte – sprich: auf die Grenzen des makedonischen Königreichs vor der Schlacht von Chaironeia 338 v. Chr. Das betrachtete der Antigonidenkönig offensichtlich als inakzeptabel. Während die Verhandlungen nur langsam vorankamen, erhielt Flamininus die erwünschte Verlängerung seines Kommandos und nahm den Krieg wieder auf. Verlassen von seinen Bundesgenossen, bis auf Akarnanien, wurde Philipp schließlich in Thessalien besiegt. Die Entscheidungsschlacht fand im Juni 197 v. Chr. in den Hügeln von Kynoskephalai statt und geriet zu einem Triumph römischer Militärtaktik über die schwere makedonische Phalanx, die in dem hügeligen Gelände nicht ihre volle Wirkung entfalten konnte und von den flexiblen römischen Manipeln umzingelt wurde. Nachdem er 196

Freiheit: eine Verkündigung mit Folgen (196 v. Chr.)

hohe Verluste erlitten und vom Schlachtfeld geflohen war, sah sich Philipp gezwungen, die Friedensbedingungen der Römer zu akzeptieren. Philipp willigte ein, neben seinen Eroberungen in Kleinasien, Thrakien und der nördlichen Ägäis (Lemnos und Thasos) auch ganz Griechenland zu räumen. Er verlor Thessalien, das seit der Zeit Philipps II. Teil des makedonischen Königreichs gewesen war, einschließlich einer der makedonischen Hauptstädte, Demetrias, wo Demetrios Poliorketes, Philipps Urgroßvater bestattet war. Ohne seine traditionellen Stützpunkte Chalkis und Korinth hatte Philipp in Griechenland keinerlei Einfluss mehr. Darüber hinaus wurden Teile Makedoniens im Westen (Orestis) und Norden autonom. Philipp wurde gezwungen, seine Flotte, bis auf fünf Schiffe, zu übergeben, eine Kriegsentschädigung von 1000 Talenten zu zahlen und seinen jüngeren Sohn Demetrios als Geisel nach Rom zu schicken. Die Friedensbedingungen waren demütigend. Auch wenn das Königreich Makedonien als Staat erhalten blieb: Als Hegemonialmacht wurde es in die Knie gezwungen. Attalos I. starb etwa zur selben Zeit in Pergamon, vermutlich ohne je von der Niederlage seines Feindes erfahren zu haben.

Freiheit: eine Verkündigung mit Folgen (196 v. Chr.) Flamininus wusste, wie er die Verkündigung des Sieges vor einem griechischen Publikum zu inszenieren hatte. Alle zwei Jahre feierten alle Griechen ein großes Fest mit athletischen und musischen Wettspielen bei Isthmia in der Nähe von Korinth. Der Ort war von vielschichtiger symbolischer und ideologischer Bedeutung. In Isthmia wurde während der Perserkriege der erste Hellenenbund gegründet, und später wurden hier hellenische Bündnisse erneuert. Poseidon, zu dessen Ehren das Fest abgehalten wurde, war der Schutzherr von Demetrios Poliorketes, und die nahegelegene Zitadelle von Akrokorinth war die bedeutendste antigonidische Garnison in Griechenland gewesen. Flamininus wählte dieses Fest, um den versammelten Griechen ihre Befreiung zu verkünden. Im nachfolgenden Tumult waren sich viele im Publikum nicht sicher, was genau verkündet worden war. Der Herold wurde noch einmal ins Stadium beordert, um es zu wiederholen. Es wird erzählt, dass die Beifallsrufe so laut waren, dass man Vögel vom Himmel fallen sehen konnte. Die Thessaler richteten ein Fest der Freiheit (Eleutheria) ein, um ihre Befreiung und die Neugründung ihres Städtebundes zu feiern. 197

Verflechtung

Mit dieser Freiheitserklärung tat ein römischer Feldherr, was hellenistische Könige in der Vergangenheit vorgemacht hatten: Er erschien als Retter und Befreier. In Chalkis erhielt Flamininus göttliche Ehren, wie hellenistische Könige vor ihm. Rom war zu einer Macht geworden, deren Präsenz von der Ostküste der Adria bis nach Kleinasien deutlich zu spüren war; es hatte eine Rolle übernommen, die zuvor von den hellenistischen Königen gespielt worden war. Es kann daher nicht überraschen, dass Rom von den griechischen Gemeinwesen auf exakt dieselbe Art geehrt wurde wie hellenistische Könige in der Vergangenheit: als eine Göttin. Ihr Name war Thea Rhome (die Göttin Rom), und da das Wort rhome „Macht“ bedeutet, verehrten die Griechen zugleich eine Personifikation der Macht und eine Personifikation der größten Militärmacht ihrer Zeiten. Die Übertragung göttlicher Ehren auf Rom begann unmittelbar nach der Freiheitserklärung. Der Bund euböischer Städte begründete 196 v. Chr. das Fest der Rhomaia – also das Fest der Göttin Rom –, und in Kleinasien lassen sich für die Zeit ab 189 v. Chr. Zeugnisse für die Verehrung Roms finden. Die Verehrung des gesamten römischen Volkes und des römischen Senats folgte bald darauf. Eine Freiheitserklärung. Doch was bedeutete das? Flamininus meinte damit etwas ganz Konkretes: Freiheit von makedonischen Garnisonen. Manche Griechen würden dem Wort jedoch eine umfassendere Bedeutung zuschreiben: Freiheit von jeder Macht, die ihre Autonomie beschränkt, die Freiheit, nach eigenem Gutdünken Kriege zu führen und Frieden zu schließen. Mit einer solchen Auslegung waren neue Konflikte vorprogrammiert. Rom hatte ein Minenfeld der widerstreitenden Interessen betreten, das seine senatorische Führungsriege nicht ignorieren konnte. Die Griechen erwarteten, dass nun Rom die Rolle der Schlichter bei Gebietsstreitigkeiten und der Unterstützer in Notzeiten übernahm, die traditionell von den hellenistischen Königen gespielt worden war. Die Verantwortung für die Sicherheit Griechenlands vor Barbareneinfällen im Norden – aus diesem Grund war den Römern wichtig, dass das makedonische Königreich erhalten blieb –, aber auch die Verantwortung für die Beilegung aller kleineren und größeren Konflikte in Griechenland verortete man jetzt bei den Römern. Um diese Rolle zu spielen, mussten die Römer Griechen werden. Sie wurden zur Teilnahme an verschiedenen panhellenischen Festen zugelassen, und man erinnerte sich an bzw. erfand Legenden, die ihre Verwandtschaft mit den Griechen belegten. Rom schien die hellenistische Welt nicht wie ein externer Eroberer betreten zu haben, sondern als hellenistische Großmacht; viele griechische Staaten schlossen mit dieser Macht Bündnisverträge, 198

Eine fatale Konfrontation: Antiochos III. und Rom (196–189 v. Chr.)

­ odurch die Verpflichtungen für die Römer immer zahlreicher wurden und w sie tiefer und tiefer in die politischen Verwicklungen des hellenistischen Ostens hineingezogen wurden.

Eine fatale Konfrontation: Antiochos III. und Rom (196–189 v. Chr.) Die Dynamik dieser Entwicklung machte sich unmittelbar nach der Freiheitserklärung bemerkbar. Ein ehrgeiziger König war unterworfen, doch Rom musste sich nun mit einem weiteren auseinandersetzen: Antiochos III. vergaß sein Geheimabkommen mit Philipp einfach und expandierte auf Kosten des Ptolemäerreichs; Pergamon, Rhodos und Rom kamen ihm dabei nicht in die Quere, denn ihre Kräfte waren im Zweiten Makedonischen Krieg gebunden. In Alexandria wurde der Höfling Agathokles, der als Vormund des Kindkönigs Ptolemaios’ V. regierte, 202 v. Chr. bei einem Volksaufstand getötet. Die Lähmung der Zentralautorität und eine Revolte in Südägypten ermöglichten es Antiochos 198 v. Chr., die Rückeroberung von Koilesyrien abzuschließen. Daraufhin konnte er seine Expansion in Kleinasien fortsetzten, wodurch er zu einer Bedrohung für Pergamon wurde. Als Flamininus im Frühjahr 196 v. Chr. in Isthmia das Friedens­abkommen mit Philipp verkündete, befand sich Antiochos III. mit seinen Truppen bereits auf europäischem Boden, in Thrakien. Seine Abgesandten waren bei dem Fest anwesend, und Flamininus bestellte sie ein; er präsentierte ihnen Forderungen, die sich aus der Freiheitserklärung ergaben. Antiochos solle die Freiheit der freien Städte Kleinasiens respektieren und aus den Städten abziehen, die er Philipp und den Ptolemäern entrissen hatte. Und er solle nicht mit seiner Armee den Hellespont überqueren. Diese Forderungen führten nicht unmittelbar zu einem Krieg – die Römer benötigten eine Pause. Als sie bei einer Konferenz in Lysimacheia in Thrakien Anfang 195 v. Chr. ihre Forderungen wiederholten und Antiochos’ Präsenz in ­Europa als Teil eines Angriffsplans gegen Rom auslegten, stellte der König ­ öffentlich seinen Standpunkt dar: Der König sagte, er würde nicht verstehen, aus welchem Grund die Römer mit ihm über die Städte in Asien stritten; denn das zu tun obliege allen anderen mehr als den Römern. Dann bat er sie, sich nicht in die Angelegenheiten in Asien einzumischen; er selbst halte sich ja auch gänzlich aus den Angelegenheiten in Italien heraus. Er sagte, er habe nach Europa übergesetzt, um die Chersonesos und die Städte in Thrakien wieder in Besitz zu

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nehmen. Die Herrschaft über diese Gebiete stehe nämlich ihm am meisten von allen zu. Diese seien ursprünglich Teil von Lysimachos’ Herrschaftsgebiet gewesen, als allerdings Seleukos gegen ihn Krieg führte und ihn besiegte [281 v. Chr.], sei das gesamte Königreich des Lysimachos dem ­Seleukos als Kriegsbeute zugefallen … Was die autonomen Städte Asiens betraf, so müssten sie ihre Freiheit nicht durch eine Verordnung der Römer erlangen, sondern durch einen Gnadenakt von ihm selbst.

Von früher Jugend an hatte Antiochos einen Plan verfolgt: das Reich der Gründer seiner Dynastie wiederherzustellen. In den östlichen Satrapien, Syrien, Palästina und Kleinasien war ihm das gelungen. Seit dem Sieg Seleukos’ I. über Lysimachos hatten die Seleukiden nach Antiochos’ Auffassung einen rechtmäßigen Anspruch auf Thrakien. Nur in einem Punkt stimmten die Römer und Antiochos überein: Asien war nicht Teil des römischen Interessengebiets. Was allerdings Europa betraf, war die Behauptung der Römer, Antiochos’ Präsenz dort stelle eine Bedrohung für sie dar, nicht so abwegig, wie sie zunächst schien. Nur 23 Jahre zuvor hatte Hannibal seinen Feldzug gegen Rom von einem Ort begonnen, der weiter entfernt lag als Thrakien. Und Hannibal, der geschlagene Feind der Römer, hielt sich an Antiochos’ Hof auf und riet dem König, den Krieg nach Italien zu tragen. Darüber hinaus war Griechenland nun Teil des römischen Interessen­ gebiets, und Rom konnte Antiochos’ Expansion nicht einfach ignorieren. Bei dieser Konferenz prallten zwei Welten aufeinander: die Welt eines Königs, der „der Große“ genannt wurde und dessen Ansprüche auf die Diadochenkriege zurückgingen, und die neue Welt, in der Roms Verpflichtungen seinen Verbündeten gegenüber es zu einem bedeutenden Faktor in der griechischen Politik gemacht hatten. Man kann es Antiochos aber nicht zum Vorwurf machen, dass er nicht begriff, wie viel sich durch Roms Sieg verändert hatte. In den darauffolgenden Jahren setzte Antiochos III. weiterhin auf dynastische Heiraten, um seine Stellung zu festigen. 196 v. Chr. hatte er bereits seinen ältesten Sohn, Antiochos, zum Mitregenten ernannt und ihn mit seiner Schwester Laodike verheiratet – solche Geschwisterehen waren in Ägypten weitverbreitet, im Seleukidenreich war dies der erste Fall. Als dieser jüngere Antiochos 193 v. Chr. starb, heiratete Laodike den nächsten in der Thronfolge, Seleukos, der nun zum Mitregenten ernannt wurde. Antiochos’ Tochter Antiochis ehelichte 194 v. Chr. den König von Kappadokien, Ariarathes IV., was die Bande zu Ostanatolien sicherstellte; und 193 v. Chr. 200

Der Frieden von Apameia

legte Antiochos seinen Konflikt mit Ägypten bei, indem er seine Tochter Kleopatra I. Syra – die erste ägyptische Königin dieses Namens – Ptolemaios V. zur Frau gab. Zwei weitere Mächte ließen den kalten Krieg zwischen Antiochos und Rom zu einem richtigen Krieg werden: die Ätoler, die darüber enttäuscht waren, dass sie aus Makedoniens Niederlage im Zweiten Makedonischen Krieg keinen Gewinn gezogen hatten, obwohl sie den Römern geholfen ­hatten; und der neue König von Pergamon, Eumenes II., der mitansehen musste, wie sich Antiochos einen Großteil der Besitzungen, die sein Vater Attalos I. erworben hatte, aneignete. Aus je verschiedenen Gründen drängten also sowohl die Ätoler als auch Eumenes auf einen Krieg zwischen Rom und Antiochos. 192 v. Chr. taten die Ätoler den entscheidenden Schritt, als sie den Seleukidenkönig nach Griechenland einluden, um zwischen Ätolien und Rom zu schlichten. Antiochos kam im Oktober 192 mit einer ganz kleinen Armee von nur 10 000 Infanteristen, 500 Kavalleristen und sechs Kriegselefanten in Demetrias an. Seine Hoffnung, ganz Griechenland würde hinter ihm stehen, wurde sofort zunichte gemacht. Selbst Philipp V. stellte sich auf die Seite der Römer, um seinen alten Feind, die Ätoler, und seinen treulosen Partner Antiochos abzustrafen. Nachdem Antiochos nun in Griechenland angekommen war, konnten die Römer nicht mehr untätig bleiben, und so begann der Krieg. Da er seine Stellung in Griechenland nicht halten konnte, kehrte Antiochos im Frühjahr 190 v. Chr. nach Kleinasien zurück. Der neugewählte ­Konsul Lucius Cornelius Scipio errang, begleitet von seinem Bruder Scipio Africanus, dem Sieger über Hannibal, 190 v. Chr. in einer Schlacht bei ­Magnesia am Sipylos einen bedeutenden Sieg. Auch wenn Livius bei den Verlusten übertrieb, und zwar auf beiden Seiten (400 Römer und 50 000 seleukidische Soldaten seien umgekommen): Der Ausgang der Schlacht war für Antiochos ein Desaster und zugleich ein Wendepunkt in der Geschichte des Seleukidenreichs. Kurz darauf, im Jahr 189 v. Chr., waren auch die ­Ätoler gezwungen, ein Friedensabkommen einzugehen.

Der Frieden von Apameia: ein Wendepunkt in der Geschichte des griechischen Ostens (188 v. Chr.) Die von den Römern nach dem Ende des Krieges gegen Antiochos diktierten Vereinbarungen sind wichtige Meilensteine der Entwicklung sowohl römi201

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scher Expansion als auch „internationalen“ Rechts. Die Ätoler wurden gezwungen, die römische Hegemonialstellung (imperium maiestatemque ­ populi Romani) zu akzeptieren und von nun an dieselben Freunde und Feinde wie die Römer zu haben – mit anderen Worten, ihre Außenpolitik den Wünschen Roms zu unterwerfen. Diese Übereinkunft unterschied sich von der früheren römischen Praxis, Freundschaftsverträge (amicitia) oder Bündnisse für konkrete Kriege einzugehen. Das Friedensabkommen mit Antiochos wurde 188 v. Chr. in Apameia geschlossen. Antiochos verlor all seine Besitzungen in Kleinasien (s. Karte 5) nördlich des Taurosgebirges und des Flusses Kalykadnos, beinahe ein Drittel seines Territoriums. Seine Garnisonen wurden aus den Städten abgezogen, und seine Kriegselefanten wurden zusammen mit Geiseln den Römern übergeben. Antiochos willigte ein, eine enorme Kriegsentschädigung zu zahlen: 15 000 Talente – was in etwa dem Jahresgehalt von 300 000 Söldnern entsprach. Seinen Schiffen war es nicht gestattet, nördlich des Kalykadnos zu verkehren. Die Römer gestatteten ihm lediglich, sich an den Westgrenzen seines Königreichs militärisch zu verteidigen. In Kleinasien wurden einige Städte als frei erklärt, und ein paar Garnisonsstädte nutzten das Machtvakuum dazu, sich selbst in den Status von poleis zu erheben. Die Römer belohnten ihre Verbündeten mit riesigen Gebietszuwendungen. Rhodos, das bereits über Besitzungen an der Küste Kleinasiens verfügte, erhielt Lykien und Karien und wurde so für eine kurze Zeit zu der griechischen polis mit dem größten Territorium, da es Gebiete innehatte, von denen selbst Athen auf dem Höhepunkt seiner Macht und Sparta niemals hätten träumen können. Die Grenzen des Königreichs des Eumenes von Pergamon wurden erweitert, indem ihm ehemals seleukidische Ländereien zugeschlagen wurden. Die Römer mussten noch ein paar Jahre warten, ehe sie sich Hannibals entledigen konnten, der seinen Kampf bis ins hohe Alter – er war 247 v. Chr. geboren – fortsetzte, erst gegen die Römer als Armee- und Flottenkommandant unter Antiochos (bis 189 v. Chr.) und dann gegen Eumenes als Kommandant unter Prusias I. von Bithynien. Unter dem Druck Roms zog es Prusias in Erwägung, den karthagischen General an die Römer auszuliefern, Hannibal zog es dann aber 182 oder 181 v. Chr. vor, Gift zu nehmen – damit befreite er seine angestammten Feinde endlich von ihren Ängsten. „Lasst uns die Römer von ihrer beständigen Sorge befreien, da sie nicht die Geduld haben, auf den Tod eines alten Mannes zu warten“, schrieb er in einem Brief. 202

Als Griechenland aufhörte, gute Männer hervorzubringen

Als Griechenland aufhörte, gute Männer hervorzubringen Der Sieg über Antiochos war ein wichtiger Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Rom und den griechischen Staaten. Wie im Fall der Freiheitserklärung von 196 v. Chr. waren auch die Entscheidungen über das Schicksal der griechischen Städte Kleinasiens einseitig getroffen worden, von den Römern, genauer von einem Komitee aus zehn Senatoren unter Gnaeus Manlius Vulso. Zwar machten die Römer selbst keine territorialen Zugewinne und lehnten es immer noch ab, im griechischen Osten administrative Verantwortlichkeiten zu übernehmen, aber sie traten als die höchste Macht auf, die Entscheidungen über territoriale Fragen und Tributzahlungen an andere Staaten sowie über den rechtlichen Status griechischer Städte treffen konnte. Der römische Senat hatte seine Hauptziele erreicht, die darin bestanden, die Macht seiner Gegner für immer zu brechen und seine Bundesgenossen zu stärken. Die römischen Truppen wurden abgezogen und überließen es den griechischen Staaten, zu lernen, wie sie mit diesem neuen Gleichgewicht der Mächte umgehen sollten. Schon in den Jahren unmittelbar vor dem Frieden von Apameia hatten der römische Senat und römische Magistrate das Machtvakuum gefüllt, das durch den Niedergang des Antigonidenreichs entstanden war. In den zwei Jahrzehnten nach dem Frieden intensivierte sich diese Rolle: Der Senat und römische Befehlshaber schlichteten Grenzkonflikte und Auseinandersetzungen zwischen griechischen Gemeinwesen; die zuvor an die Königshöfe entsandten Botschafter überquerten nun die Adria und wandten sich an die Führer Roms; und römische Abgesandte waren nun in Griechenland und an den Königshöfen häufig anzutreffen. Rom hatte allerdings weder irgend­ einen Ort auf dem Balkan oder in Kleinasien in seinem Besitz, noch unterstand einer seiner direkten Verwaltung. Dies ließ den traditionellen Monarchen genügend Raum, ihre eigene Politik zu betreiben und in der Illusion zu leben, dass sich nur wenig verändert hatte. Es gab immer noch Staatsmänner, die der Meinung waren, Rom solle keinerlei Einfluss haben auf die Angelegenheiten der Griechen. Philopoimen wurde aus eben diesem Grund von einem Römer – wir wissen nicht, von wem genau – „der letzte Grieche“ genannt, da er der festen Überzeugung war, der Achäische Bund solle wirklich unabhängig bleiben. Er starb, während er diese Politik verfolgte: Er hatte Messenes Revolte gegen den Bund 183 v. Chr. nicht hinnehmen wollen und war gegen die Stadt ins Feld ge­ zogen; hinter den feindlichen Linien fiel er von seinem Pferd und wurde 203

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gefangen genommen. Seine Feinde zwangen ihn dazu, Gift zu trinken. Sein Tod vereinte den Bund gegen das aufständische Messene, und Philopoimen erhielt in seinem Vaterland, Megalopolis, über Jahrhunderte hinweg gött­ liche Ehren. Der künftige Historiker Polybios wurde dazu auserwählt, in einer der beeindruckendsten Bestattungen, die je in Griechenland abgehalten wurden, die Urne des Feldherrn zu tragen. 400 Jahre später sollte der Reiseschriftsteller Pausanias anmerken, dass Griechenland nach Philopoimens Tod aufhörte, gute Männer hervorzubringen. Darüber lässt sich streiten. Fest steht, dass nach seinem Tod weder die Bestrebungen von Staaten, aus dem Achäischen Bund auszutreten, noch die römischen Interventionen aufhörten, bis Griechenland eine römische Provinz wurde.

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8 Jetzt auch der Osten: Die griechischen Staaten werden römische Provinzen

Macht als Gewohnheit In einer erhellenden Studie zu den Theorien, die den römischen Imperialismus erklären wollen, führt Zvi Yavetz einen polnischen Witz an, in dem ein katholischer Pfarrer versucht, einem Bauern zu erklären, was Wunder sind: „Wenn ich vom Kirchturm fallen würde und nach dem Aufprall unverletzt wäre, wie würdest du das nennen?“ „Einen Zufall“, antwortet der Bauer. „Und wenn ich ein zweites Mal hinunterfallen würde und immer noch unverletzt wäre?“, insistiert der Pfarrer. „Einen weiteren Zufall.“ „Und wenn das ein drittes Mal passieren würde?“ Der gewitzte Bauer antwortet: „Eine Gewohnheit.“ Lassen sich Roms militärische Aktivitäten im Osten bis zur Niederlage des Antiochos noch als Zufälle betrachten, so wurden sie bald nach diesem Ereignis sicherlich zu einer Gewohnheit. Innerhalb von 40 Jahren hatte die hellenistische Welt eine regelrechte Revolution erlebt: den Aufstieg und Niedergang der drei traditionellen Monarchien – der Antigoniden, der Seleukiden und der Ptolemäer – und den Aufstieg einer neuen Macht und ihrer Verbündeten – Rom, Rhodos und Pergamon. Was die römischen Anführer erreicht und vermutlich auch beabsichtigt hatten, war eine territoriale Expansion im Westen; in Spanien schufen sie zwei Provinzen, und in Italien konsolidierten sie ihre Herrschaft, vernetzten die italischen Gemeinwesen stärker mit Rom. Neben anderen Maßnahmen, wie der Gründung von Kolonien römischer Bürger in Italien und der Verleihung des römischen Bürgerrechts, trug der Bau der Via Flaminia 220 v. Chr. zu dieser Konsolidierung bei – die Fernstraße verband Rom mit dem bedeutenden Hafen von Ariminum (Rimini) an der Adriaküste. Zu einer Zeit, als die senatorische Führungsriege die Vereinigung Italiens noch nicht zuwege gebracht hatte, konnte sie kein Interesse an der Unter205

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werfung von Gebieten im Osten haben. Die Dinge veränderten sich allmählich, als Roms Hegemonialstellung im Mittelmeerraum seine wirtschaft­ lichen Strukturen veränderte: Eine hohe Anzahl von Sklaven kam nach Italien, der Kleinbesitz erlebte einen Niedergang, große landwirtschaftliche Produktionseinheiten entstanden, ein Teil der Bevölkerung war von Kriegsbeute abhängig, und wirtschaftlich richteten sich die Interessen allmählich auf Regionen außerhalb Italiens. Nach den kontinuierlichen Siegen Roms in Kriegen im ganzen Mittelmeerraum, in allen vier Himmelsrichtungen, war seine Außenpolitik mit Sicherheit nicht mehr vorrangig reaktiv; sie war eine Politik der Tat. Wir werden der Entwicklung dieser Politik auf verschiedenen Wegen, erst in Makedonien und Griechenland, dann in Asien und Ägypten, separat verfolgen, aber in der neuen „verflochtenen“ Welt waren sie eng miteinander verbunden.

Das Ende des makedonischen Königreichs (179–167 v. Chr.) In Makedonien verbrachte Philipp V. die letzten Jahre seiner Herrschaft (bis 179 v. Chr.) damit, die nunmehr verkleinerten Grenzen seines Reiches zu verteidigen und seine Armee zu verstärken. Sein Sohn und Nachfolger Perseus setzte diese Politik fort, vermied Provokationen und respektierte die Freiheit der griechischen Städte. Er agierte jedoch immer noch wie ein selbstbewusster Herrscher. Er war König über ein verkleinertes Königreich, allerdings eben auch ein Mitglied einer Dynastie, die jahrhundertelang eine aktive Rolle in der griechischen Politik gespielt hatte. Ihm fehlten die Garnisonen, die einst seines Vaters Kontrolle über Teile Griechenlands gestützt hatten, ihm fehlten jedoch nicht die diplomatischen und propagandistischen Werkzeuge, um sich eine einflussreiche Stellung zurückzugewinnen. 178 v. Chr. heiratete er die Tochter des Seleukidenkönigs Seleukos IV; seine eigene Schwester war mit Prusias II., dem König von Bithynien, verheiratet. Auf dem griechischen Festland hatte das von allen Griechen respektierte Heiligtum von Delphi einst unter der Patronage seines Vorfahren Demetrios Poliorketes gestanden. Die Makedonen waren in dem Rat des heiligen Bundes (Amphiktyonie) vertreten, der dieses verwaltete. Und eben hier erschien Perseus 174 v. Chr., während der Feier der Pythischen Spiele, mit einer Militäreskorte, wodurch er seine Ambitionen zu erkennen gab, eine führende Stellung unter den Griechen einzunehmen. Um diese Zeit errichtete er in Delphi auch ein Monument mit Inschriften, die den Schutz bezeugten, den 206

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seine Vorfahren dem Heiligtum geboten hatten. 173 v. Chr. schloss er dann einen Vertrag mit dem Städtebund von Böotien. Perseus’ Handlungen wurden von Eumenes II. von Pergamon genauestens beobachtet. Als dieser ein Attentat auf seine Person in Delphi überlebte, klagte er Perseus an, der Drahtzieher hinter diesem Anschlag gewesen zu sein. Dem Beispiel seines Vaters Attalos folgend, der den Zweiten Make­ donischen Krieg initiiert hatte, indem er wegen der Operationen Philipps V. den römischen Senat alarmierte, erschien Eumenes 172 v. Chr. vor dem Senat und argumentierte in einer fesselnden Rede, dass jeder Schritt des Perseus eine direkte Bedrohung für Rom darstelle. Mit seiner Rede hatte er Erfolg, nicht etwa weil seine Argumente plausibel gewesen wären, sondern weil die römische Elite den Aussichten auf einen Krieg in Griechenland gegenüber durchaus empfänglich war. Mehrere Jahre lang war Rom in keine militärischen Konflikte verwickelt gewesen, und das frustrierte die jüngeren Senatoren, die neidisch auf die Siege, Triumphe und den Ruhm der älteren Generation blickten. Aristokratischer Wettbewerb nährte sich von Kriegen. Einflussreiche römische equites, Mitglieder des Ritterstandes, die in der römischen Gesellschaft den zweiten Rang einnahmen, betätigten sich aktiv in Handel und produzierendem Gewerbe. Sie hatten ein großes Interesse an neuer Kriegsbeute und der Versklavung von Kriegsgefangenen, und solche Aussichten erschienen auch anderen Teilen der Bevölkerung attraktiv. Wirtschaftliche Interessen sind, was die Motivation für Roms neuen Krieg betrifft, ein wahrscheinlicherer Kandidat als die Verteidigung Verbündeter oder aus fides entstehende Verpflichtungen. Es kann nicht überraschen, dass die neu gewählten Konsuln Makedonien als Zuständigkeitsgebiet für das folgende Jahr forderten. Man schickte Botschafter nach Griechenland, um sich für einen potenziellen Krieg gegen Perseus der Unterstützung der Griechen zu versichern. Gleichzeitig ergriff der makedonische König Maßnahmen, um sein Ansehen in Griechenland zu erhöhen, ohne allerdings eine militärische Konfrontation herbeiführen zu wollen. In den griechischen Städten verbanden viele, die gute Gründe hatten, mit ihrer momentanen Situation unzufrieden zu sein, insbesondere Schuldner, gewisse Hoffnungen mit seiner Person, vermutlich nicht etwa, weil Perseus konkrete Pläne für Sozialreformen oder Schuldenerlass gehabt hätte, sondern weil sie die oligarchischen politischen Anführer missbilligten, die die Römer unterstützten. Perseus’ Bemühungen, die römischen Botschafter, die gerade durch Griechenland reisten und um Verbündete warben, persönlich zu treffen und den 207

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Krieg abzuwenden, blieben erfolglos. Der römische Senat hatte nicht die Absicht, zu verhandeln, um einen militärischen Konflikt zu verhindern, der bereits beschlossene Sache war. Zu keinem Zeitpunkt stellten die Römer ­i rgendwelche Forderungen oder ein Ultimatum. Man hat den Eindruck, dass es vom ersten Augenblick dieser Konfrontation an die Absicht der politischen Anführer der Römer war, der Beute wegen Krieg zu führen. Die Kriegserklärung erfolgte Anfang 171 v. Chr. Kurz vor Ausbruch dieses Dritten Makedonischen Krieges sandten die Römer einen Brief nach Delphi, in dem sie ihre Beschwerden gegenüber Perseus zusammenfassten. Dieser Text, eingemeißelt in großen Buchstaben im Heiligtum, ist eine ausgezeichnete Quelle dafür, wie ein Casus Belli dargestellt wurde. Perseus wurde angeklagt, weil er während der heiligen Waffenruhe der Pythischen Spiele mit seiner Armee nach Delphi gekommen war; weil er sich mit den Barbaren verbündet hatte, die jenseits der Donau lebten, denselben Barbaren, die einst versucht hatten, Griechenland zu versklaven und das Heiligtum des Apollon in Delphi zu plündern; weil er Freunde und Verbündete der Römer angegriffen hatte; weil er Botschafter getötet hatte, die ausgesandt worden waren, um Verträge mit Rom zu schließen; weil er versucht hatte, den Senat zu vergiften und König Eumenes zu ermorden; weil er in den griechischen Städten Verwirrung und Streit angezettelt, die führenden Staatsmänner bestochen und versucht hatte, durch das Versprechen von Schuldenbefreiung die Gunst der Massen zu gewinnen; weil er einen Krieg gegen Rom plante, um die Griechen ihres Beschützers zu berauben und sie zu versklaven. Es folgten weitere Anschuldigungen, die in der Inschrift aber nicht mehr erhalten sind; wahrscheinlich waren sie nicht minder falsch oder übertrieben als die, die sich erhalten haben. Vor einem Angriff Beschwerden vorzubringen, ist eine universell eingesetzte Überzeugungsstrategie. Eine der Fabeln des Babrius (2. Jahrhundert n. Chr.) kommentiert diese Praxis ironisch: Einmal sah ein Wolf ein Lamm, das sich von seiner Herde entfernt hatte; anstatt aber auf es zuzustürmen und es mit Gewalt zu ergreifen, suchte er nach einem plausiblen Vorwurf, um seine Feindseligkeit zu rechtfertigen. „Vor einem Jahr hast du mich beleidigt, auch wenn du noch klein warst.“ – „Ich dich vor einem Jahr? Ich bin noch nicht einmal ein Jahr alt.“ – „Aber weidest du nicht auf dem Feld, das mir gehört?“ – „Ich habe noch kein Gras gegessen und weide auch noch nicht.“ – „Und hast du nicht aus der Quelle getrunken, aus der nur ich trinken darf?“ – „Die mütterlichen Zitzen tränken mich bis jetzt.“ Daraufhin packte er das Lamm, und während er es

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fraß, sagte er: „Du wirst den Wolf nicht seines Abendmahls berauben, auch wenn du alle meine Vorwürfe einfach zunichtemachst.“

Niemand würde die römische Wölfin ihres Abendmahls berauben. In diesem Krieg war Perseus, trotz der Sympathien vieler Griechen und des Unmuts über die römische Intervention, beinahe völlig auf sich allein gestellt. In der Anfangsphase (171/170 v. Chr.) war er durchaus erfolgreich, doch brachte ihm dies – vom illyrischen König Gentios einmal abgesehen – keine weiteren Verbündeten ein, und die Römer hatten nicht die Absicht, zu verhandeln. Die Bestrebungen der Rhodier, in diesem Konflikt zu vermitteln, lehnte Rom ab; man begegnete ihnen mit Argwohn. 168 v. Chr. wurde Gentios besiegt und gefangen genommen. Der neue Konsul des Jahres 168 v. Chr., Lucius Aemilius Paullus, trat Perseus 168 v. Chr. in der entscheidenden Schlacht bei Pydna gegenüber. Zu Beginn gelang es der römischen Armee nicht, dem Vorstoß der furchterregenden makedonischen Phalanx mit ihren langen Lanzen standzuhalten. Als sich die römischen Legionen jedoch auf das unebene Gelände der Hügel zurückzogen, verlor die Phalanx ihren Zusammenhalt und Paullus’ Manipel stießen in die entstehenden Lücken vor und griffen die makedonischen Soldaten an ihren ungeschützten Flanken an. Die kurzen Schwerter der Makedonen konnten gegen die längeren Schwerter und schweren Schilde der Legionäre wenig ausrichten. In dem kritischen Moment, in dem sich das Blatt wendete, griff die makedonische Kavallerie nicht ein, entweder weil der König am Anfang der Schlacht verletzt worden war oder weil er, feindseligen Berichten zufolge, feige die Flucht ergriffen hatte. Die makedonische Armee wurde ausgelöscht – angeblich fielen 30 000 Makedonen. Perseus floh auf die Insel Samothrake; als er aber realisierte, in welch auswegloser Lage er sich befand, ergab er sich schließlich Paullus, wurde nach Rom gebracht und in einem Triumphzug vorgeführt. Er starb kurz darauf, 165 oder 162 v. Chr., in Gefangenschaft in Alba Fucens. Die Maßnahmen der Römer nach diesem Sieg unterscheiden sich qualitativ von ihren früheren Reaktionen nach Siegen und offenbaren eine wesentliche Veränderung in ihrer Politik. Das Antigonidenreich von Makedonien wurde aufgelöst. Dieses Mal hatte die Entscheidung des Senats nicht nur Auswirkungen auf die territoriale Integrität eines hellenistischen Staats, sondern auf seine schiere Existenz. Das Territorium des Königreichs wurde in vier unabhängige Republiken unterteilt, die merides (Distrikte) genannt wurden und möglicherweise bereits bestehenden Verwaltungs209

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und Militäreinheiten entsprachen (s. Karte 1). Die östlichste meris, mit Ampholis als ihrer Hauptstadt, lag zwischen den Flüssen Nestos und Strymon; Thessalonike war die Hauptstadt der zweiten meris in Zentralmakedonien, zwischen den Flüssen Strymon und Axios; das Herz des alten ­makedonischen Königreichs im Westen wurde zur dritten meris, als deren Hauptstadt die alte Königsresidenz Pella diente; die vierte meris bestand aus den gebirgigen Gegenden Obermakedoniens (Pelagonia) mit Herakleia Lynkestis als Hauptstadt. Den vier Staaten war es nicht gestattet, irgendwelche Beziehungen zueinander zu unterhalten, nicht einmal Eheschließungen waren erlaubt. Auch die Nutzung von Makedoniens natürlichen Ressourcen, Holz und Minen, war bis 158 v. Chr. verboten. Die Hälfte des zuvor an die königliche Schatzkammer entrichteten Tributs wurde nun an Rom gezahlt – zum ersten Mal hatten die Römer östlich der Adria regelmäßige Tributzahlungen angeordnet: ein klares Zeichen von Unterwerfung. Der König, die Mitglieder des Hofs und die königlichen Schätze wurden nach Rom gebracht. Diese Maßnahmen wurden den makedonischen Abgeordneten in Amphipolis im Sinne einer Freiheitserklärung präsentiert, da die Bevölkerung ja von der Monarchie befreit wurde. In Illyrien wurde die Monarchie abgeschafft und das Territorium in drei merides unterteilt, die nominell unabhängig waren. Die neue Qualität der römischen Präsenz in Griechenland tritt auch in den Maßnahmen zutage, die die übrigen Griechen betrafen, selbst Gemeinwesen, die nicht in diesen Krieg verwickelt gewesen waren. Personen in neutralen oder verbündeten Staaten, die Perseus gegenüber wohlgesonnen waren, wurden von ihren politischen Gegnern denunziert, verhaftet und zusammen mit Geiseln, die Loyalität gegenüber Rom für die Zukunft garantieren sollten, nach Italien deportiert. Allein der Achäische Bund musste 1000 Geiseln ausliefern – unter ihnen befand sich der Kavalleriekommandant Polybios, Sohn eines berühmten Staatsmannes und Mitglied der herrschenden Oligarchie der Achäer; er hatte sich für Achäas Neutralität ausgesprochen. Sein Unglück ist das Glück des modernen Historikers. Polybios wurde der Erzieher der Söhne von Aemilius Paullus, wurde in den Kreis der führenden Senatoren eingeführt und hatte Zugang zu Dokumenten und ­Informationen aus erster Hand über die jüngste und zeitgenössische Geschichte; diese Informationen bildeten die Grundlage für sein Geschichtswerk, in dem er die römische Expansion von 264 bis 146 v. Chr. behandelte. Gefangen zwischen einem nostalgischen Blick auf die Welt unabhängiger griechischer Staaten und seiner Bewunderung für römische Institutionen 210

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und Werte, liefert es uns beeindruckende Überlegungen nicht nur zur politischen Geschichte, sondern auch zur Rolle des Historikers als Lehrmeister für die Realpolitik. In Epirus, dem einzigen bedeutenden von Perseus’ Bundesgenossen, wurden 70 Siedlungen zerstört und geplündert; die Einwohner, angeblich 250 000 Menschen, wurden in die Sklaverei verkauft. Die Rhodier, traditionell eigentlich Freunde der Römer, wurden hart dafür bestraft, dass sie zwischen Rom und Perseus hatten vermitteln wollen. Rhodos verlor seine Gebiete in Kleinasien – Karien und Lykien –, die für frei erklärt wurden. Seine größte Bestrafung bestand jedoch darin, dass die Insel Delos, die den Großteil der hellenistischen Zeit über von Athen unabhängig gewesen war (314–167 v. Chr.), den Athenern zurückgegeben und zu einem Freihafen erklärt wurde: also zu einem Hafen, in dem auf Exporte und Importe kein Zoll erhoben wurde. Rhodos hatte plötzlich einen starken Rivalen im Bereich des Handels, und Delos wurde zum bedeutendsten Transithandelszentrum im östlichen Mittelmeerraum, was viele Händler aus Italien ­(Italici) anzog. Selbst Eumenes II., der doch den Krieg provoziert und aufseiten der Römer gekämpft hatte, brachte der Senat Misstrauen entgegen, denn es kursierten Gerüchte, er habe während der Endphase des Krieges Perseus’ endgültige Niederlage abwenden wollen. Mit diesen Maßnahmen trat Rom nun nicht mehr als Verbündeter und Beschützer, sondern als oberster Herrscher auf. Die Ereignisse dieser Jahre lassen eine Veränderung der römischen Politik im Osten erkennen. Ohne triftigen Grund wurde ein Krieg erklärt; der besiegte Staat verlor seine Integrität; neue Staaten wurden gegründet, und ihre Institutionen wurden von den Römern vorgeschrieben; den Römern wurde Tribut gezahlt; Gebiete wechselten auf Grundlage einseitiger Entscheidungen des Senats den Besitzer; Könige wurden gedemütigt. Im Jahr 167 v. Chr. besuchte König Prusias von Bithynien Rom, mit rasiertem Haupt und der Kleidung eines freigelassenen Sklaven, um das Mitleid des Senats zu erflehen (s. S. 139f.). Die psychologischen Auswirkungen auf die griechische Welt waren erheblich, und glücklicherweise lassen sie sich in zeitgenössischen Dokumenten fassen. 167 v. Chr. reisten Gesandte aus Teos in Ionien nach Rom, um im Konflikt ihrer Kolonie Abdera in Thrakien mit dem thrakischen König Kotys zugunsten Abderas zu intervenieren. Ein Dekret zu Ehren dieser Gesandten zeigt die emotionale Spannung, die entstand, wenn der alte Stolz eines freien Gemeinwesens mit dem Zwang konfrontiert wurde, die Römer um Hilfe anzuflehen: 211

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Als sie als Botschafter nach Rom reisten, erduldeten sie psychische und körperliche Leiden, sprachen bei den römischen Magistraten vor und boten sich durch ihr Durchhaltevermögen selbst als Geiseln an … Sie nahmen sogar die mühseligen täglichen Besuche der Atrien auf sich.

Keine andere griechische Inschrift erwähnte je psychische Leiden. Da sie sich an römische Magistrate wenden und die täglichen Rituale der clientes durchführen mussten, kamen sich die Botschafter nicht mehr wie freie Menschen vor, sondern wie Geiseln – wie die unzähligen anderen Geiseln, die zu dieser Zeit nach Rom gebracht wurden. Die Vorhersage, die Agelaos in Naupaktos gemacht haben soll, war eingetroffen: Die Wolken aus dem Westen hatten sich auf Griechenland gelegt.

Graecia capta: die Provinzialisierung Griechenlands (167–146 v. Chr.) Mit der Auflösung des Antigonidenreichs und den anderen einseitigen Maßnahmen von 167 v. Chr. demonstrierten die Römer ihren Anspruch auf Hegemonialherrschaft in Griechenland und Kleinasien. Und doch dauerte es weitere 20 Jahre, bis sie den letzten Schritt unternahmen: die Annektierung von Gebieten und die Einführung einer direkten Verwaltung durch die Schaffung von Provinzen, was eine direkte Herrschaft bedeutete. Die Gelegenheit dazu boten ihnen ein Aufstand in Makedonien und die ständigen Konflikte auf der Peloponnes. 153 v. Chr. behauptete ein gewisser Andriskos, der Herrscher von Adramyttion in Nordwestkleinasien, er sei Perseus’ Sohn und der rechtmäßige König von Makedonien. Sein angeblicher Onkel, der Seleukidenkönig Demetrios I., unterstützte seinen Thronanspruch nicht und lieferte ihn stattdessen an den Senat aus. Damit erkannte er den Senat als eine höhere Autorität an, die, wenn nicht das Recht, so doch sicherlich die Macht hatte, Könige anzuerkennen. In Rom nahm niemand Andriskos ernst (sein Name bedeutet „Männlein“). 149 v. Chr. gelang ihm allerdings die Flucht aus Rom, und mit der Hilfe des Thrakerkönigs Teres, der mit Perseus’ Schwester verheiratet war, marschierte er in Makedonien ein, stellte die Monarchie wieder her und begann, Thessalien zu überfallen. Angeblich wurde er von den Unterschichten unterstützt, die ihre Hoffnungen darauf setzten, dass er ihnen ihre Schulden erlassen und das Land umverteilen würde. Anfänglich unterschätzten die 212

Graecia capta: die Provinzialisierung Griechenlands (167–146 v. Chr.)

Römer diese Gefahr und zogen die Möglichkeit in Betracht, den Achäischen Bund sich um ihn kümmern zu lassen. 148 v. Chr. brach dann aber der Dritte und letzte Punische Krieg aus, und Andriskos verbündete sich mit Karthago – ein fataler Fehler. Einer gegen ihn ausgesandten Legion gelang es nicht, ihn zu besiegen, und Andriskos eroberte sogar Thessalien. Als jedoch 148 v. Chr. zwei Legionen unter dem Prätor Quintus Caecilius Metellus ankamen, hatte Andriskos keine Chance mehr auf einen Sieg. Da er keinen Rückhalt bei der makedonischen Elite hatte und über keine Verbündeten in Griechenland verfügte, wurde er bald besiegt und gefangen genommen; er wurde in einem Triumphzug in Rom vorgeführt und hingerichtet. Auf der Peloponnes hatte in etwa zur selben Zeit der regionale Konflikt zwischen dem Achäischen Bund und Sparta eine neue Wendung genommen. Nach der Ermordung von König Nabis 192 v. Chr. war Sparta dazu gezwungen worden, dem Bund beizutreten, was Sparta selbst allerdings als Verlust seiner Unabhängigkeit betrachtete. Die Spannungen schaukelten sich weiter auf, als der Bund 165 v. Chr. vom Senat gebeten wurde, in einem Gebietskonflikt zwischen Megalopolis und Sparta zu schlichten, und eine Entscheidung zugunsten von Megalopolis traf. Spartas Wunsch, aus dem Bund auszutreten, wurde vom Senat wohlwollend aufgenommen. Die Senatoren, die entweder nichts von den lokalen Befindlichkeiten wussten oder sich nicht um sie scherten, gingen 147 v. Chr. sogar so weit, den Austritt mehrerer bedeutender Städte aus dem Bund, darunter Korinth und Argos, zu empfehlen. Die Situation geriet explosiv, als der Konflikt auch eine soziale Dimension annahm. Der achäische Staatsmann Kritolaos verband die Eingliederung Spartas in den Bund mit dem Versprechen auf Sozialreformen zugunsten der Verschuldeten und Enteigneten. Ob es das Ergebnis eines wirklichen Interesses an Sozialreformen war oder einfach eine populistische Maßnahme, um die Unterstützung der breiten Masse zu gewinnen, ist schwer zu bestimmen. Kritolaos schlug keinen Schuldenerlass vor, sondern lediglich, Zahlungen einzufrieren und all diejenigen zu befreien, die ihre Freiheit verloren hatten, weil sie ihre Schulden nicht hatten bezahlen können. Sein ursprünglich gegen Sparta gerichtetes Sozialprogramm vereinte alle, die von ihm profitierten, und richtete deren Feindseligkeit nicht nur gegen Sparta, sondern auch gegen Rom. Der Konflikt wurde nach Zentralgriechenland exportiert, da eine Reihe von Städtebünden (Böotien, Euböa, Phokis, Lokris) Kritolaos’ Politik unterstützten. Metellus, der nach seinem Sieg in Makedonien geblieben war, sandte drei Botschafter zur Versammlung des Achäischen Bundes, doch die Versamm213

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lung schickte sie wieder fort, erklärte Sparta den Krieg und provozierte so eine Reaktion aus Rom. Metellus’ Legionen brachen unverzüglich aus Makedonien auf und besiegten die Achäer in Skarpheia. Kritolaos fiel in der Schlacht, und sein Nachfolger Diaios organisierte schnell ihre Verteidigung in Korinth. In ihrer Verzweiflung versprachen die Anführer der Achäer allen Sklaven die Freiheit und Bürgerrechte, die bereit waren, für sie zu kämpfen. In Leukopetra in der Nähe von Korinth schlugen die Griechen ihre letzte Schlacht – und verloren. Der neue römische Konsul Lucius Mummius eroberte 146 v. Chr. Korinth und machte die Stadt, vermutlich gemäß einem Senatsbeschluss, dem Erdboden gleich. Im selben Jahr erlitt auch Karthago dieses Schicksal. Diaios beging Selbstmord; die Einwohner von Korinth wurden entweder getötet oder in die Sklaverei verkauft. Wenn der Senat mit der Zerstörung von Korinth für alle Griechen ein Exempel statuieren wollte – die wahrscheinlichste Deutung dieses Akts der Barbarei –, war ihm das gelungen. Zwei Generationen lang bereitete das griechische Festland den römischen Senatoren keinerlei Kopfzerbrechen mehr. Für Roms Maßnahmen nach diesen Siegen gab es nicht nur hinsichtlich ihrer Brutalität, sondern auch hinsichtlich ihrer institutionellen Dimension keinerlei Präzedenzfall. Die vier makedonischen Staaten wurden aufgelöst, und ihr Territorium wurde zur ersten römischen Provinz auf griechischem Boden. Die neue Provinz stand unter der Verantwortung eines Prokonsuls, also eines ehemaligen Konsuls, dessen Machtbefugnis nach einjähriger Amtszeit verlängert wurde und dem eine unter der direkten Herrschaft Roms stehende Region zugewiesen wurde. Der Zuständigkeitsbereich des Prokonsuls schloss auch Illyrien mit ein, das seit der Beseitigung seines letzten Königs, Gentios, 167 v. Chr. nominell unabhängig war. Der erste Statthalter nach Metellus’ Abreise, Gnaeus Egnatius, kam 146 v. Chr. dort an. Dem Vorbild der Via Flaminia (s. S. 205) folgend, setzte er umgehend den Bau einer Straße ins Werk, die als Via Egnatia bekannt ist; sie verband den bedeutenden Hafen von Epidamnos (Dyrrhachion, Durazzo) an der Adria mit Thessalonike und trug so zu einer Konsolidierung der Provinz wie auch zu einer Verbesserung des Verkehrs und der Kommunikation mit Italien bei. Nach unzähligen Reparaturen ist diese Straße auch heute noch in Benutzung (s. Abb. 17). Eine senatorische Zehnerkommission regelte die Angelegenheiten in Zentral- und Südgriechenland; dem Historiker Polybios wurde die Aufgabe der politischen Umstrukturierung Südgriechenlands übertragen. Die meisten Maßnahmen können nur indirekt aus späteren Quellen erschlossen werden. 214

Graecia capta: die Provinzialisierung Griechenlands (167–146 v. Chr.)

Roms Bundesgenossen (Sparta, Athen, Ätolien, Akarnanien, die Städtebünde in Thessalien) blieben nominell frei. Alle anderen Staaten (der Achä­ ische Bund, Megara, Lokris, Böotien, Phokis, Euböa) wurden der Gerichtsbarkeit des Provinzstatthalters von Makedonien unterstellt. Die Städtebünde wurden kurzzeitig aufgelöst, und als sie wiedergegründet wurden, wurde die Anzahl ihrer Mitglieder reduziert: So wurde beispielsweise der Achäische Bund auf die Grenzen der gleichnamigen Region Achäa im Nordwesten der Peloponnes beschränkt. Die Städte blieben frei und autonom. Da für Griechenland Zeugnisse fehlen, die für einen Einsatz von Steuerpächtern (publicani) sprechen, ist es unwahrscheinlich, dass die Städte anfangs Tribut an Rom entrichten mussten. Teile des Territoriums von Korinth sowie das Land im Besitz derer, die den Widerstand gegen Rom angeführt hatten, wurden zu römischem Staatsbesitz. Die neue Freiheit der griechischen Gemeinwesen unterschied sich radikal von derjenigen, wie sie Flamininus einst verkündet hatte. Nun gab es einen römischen Statthalter in Makedonien, und keine griechische Gemeinde dachte auch nur daran, außenpolitische Maßnahmen zu ergreifen, ohne vorher den Statthalter und den Senat zu konsultieren. Ihre internen Angelegenheiten lagen in den Händen der Anführer der oligarchischen Regime, die nun allerorts eingerichtet und von Rom unterstützt wurden. Nach 146 v. Chr. war Griechenland der Autorität des römischen Senats unterworfen. Im Rahmen einer vergleichenden Untersuchung imperialer Regime wurden einige gemeinsame Merkmale ausgemacht, die das Verhalten einer Imperialmacht gegenüber den von ihr abhängigen Staaten charakterisieren. Roms Maßnahmen nach 146 v. Chr. – ebenso wie einige, die bereits früher getroffen worden waren – weisen die meisten dieser Merkmale auf: Rom beschränkte die Freiheit der griechischen Staaten hinsichtlich ihrer auswärtigen Beziehungen, errichtete eine Provinzialverwaltung, annektierte Gebiete, intervenierte bei lokalen Angelegenheiten, verpflichtete manche abhängige Gemeinwesen zur Zahlung von Tribut und erwartete bedingungslose militärische Unterstützung; es beutete ökonomische Ressourcen aus, gestattete seinen Bürgern, in den abhängigen Gebieten Land zu erwerben, und verpflichtete die abhängigen Staaten dazu, als ungleiche Partner Verträge mit Rom zu schließen. Als Korinth dem Erdboden gleichgemacht wurde, wurden zahllose Kunst­werke aus der Stadt nach Rom geschafft – sie gaben der künstlerischen Produktion in Rom und Italien einen neuen Impuls. 100 Jahre später sollte Horaz die Auswirkungen dieses Ereignisses in einem berühmten Vers 215

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anerkennen: Graecia capta ferum victorem cepit et artes intulit agresti Latio (das eroberte Griechenland eroberte den wilden Sieger und brachte dem ländlichen Latium die Künste). Zeitgenossen, die dieses Ereignis miterlebten, konnten in der Zerstörung einer der ältesten Städte Griechenlands keinerlei positive kulturelle Auswirkungen erkennen. Die Griechen waren über alle Maßen schockiert. In einer langen Kette rhythmisch angeordneter Fragen beklagt der zeitgenössische Dichter Antipatros von Sidon die Zerstörung dieser Stadt und hebt dabei bitter das vergängliche Wesen der Macht und die zerstörerische Kraft des Krieges hervor: Wo ist deine bewunderte Schönheit, dorisches Korinth, wo sind die Kronen deiner Türme, wo ist dein alter Wohlstand? Wo sind die Tempel der Seligen? Wo sind die Paläste? Wo sind die Ehefrauen und die unzähligen Menschen, die Nachkommen des Sisyphos? Nicht eine einzige Spur von dir ist geblieben, du Unglücklichste. Denn der Krieg hat alles ergriffen und verschlungen.

Vom verbündeten Königreich zur Provinz: die letzten Attaliden (159–129 v. Chr.) Obwohl das Königreich Pergamon Roms treuester Verbündeter in seinen Kriegen gewesen war, brachte der Versuch Eumenes’ II., 168 v. Chr. einen Frieden zwischen Perseus und Rom zu vermitteln, ihm das Misstrauen des Senats ein. Der pergamenische König hatte einen Krieg provoziert, in dem Glauben, er könne die Römer gegen seine makedonischen Feinde benutzen; er hatte ihnen jedoch lediglich einen Vorwand geliefert, einen Krieg um ihre eigenen Interessen zu führen. In den folgenden Jahrzehnten sahen sich die pergamenischen Könige mit zwei Bedrohungen konfrontiert: Es kam zu Gebietsstreitigkeiten mit dem benachbarten Königreich Bithynien, und, weiter im Osten, überfielen die galatischen Herrscher wiederholt pergamenisches Territorium, griechische Städte in dieser Gegend und den Tempelstaat von Pessinous in Phrygien. Obwohl Eumenes 166 v. Chr. einen Aufstand galatischer Stämme erfolgreich niederschlug, bestrafte ihn Rom für seinen mangelnden Enthusiasmus in der Endphase des Krieges gegen Perseus und erkannte die Autonomie des galatischen Staates an. Auf Eumenes folgte sein Bruder Attalos II. (159–139/138 v. Chr.). Der neue König, bereits ein alter Mann, war sich der Abhängigkeit von Rom 216

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durchaus bewusst. In einem Brief an den Priester von Pessinous versuchte er zu erklären, weshalb er gezögert hatte, gegen die Gallier Kleinasiens Krieg zu führen – deswegen hatte er nicht den von ihm erwarteten Schutz bieten können: Eine Unternehmung ohne jene [die Römer] ins Werk zu setzen, schien eine große Gefahr zu bergen; denn wenn wir erfolgreich wären, würde uns das Neid und Herabsetzung und schädliches Misstrauen – das sie auch meinem Bruder entgegenbrachten – bringen, wohingegen uns ein Misserfolg sichere Zerstörung bringen würde. Sie würden uns nämlich nicht gewogen sein, sondern sich sogar darüber freuen, da wir solche Dinge ohne sie unternommen hatten. Wenn wir aber nach momentanem Stand der Dinge – was nicht geschehen mag – in irgendeiner Hinsicht geschwächt würden, würden wir Hilfe erhalten und nach dem Willen der Götter unsere Verluste wiedergutmachen, da wir alles mit ihrer Zustimmung getan haben.

Attalos machte seine Entscheidungen von der Zustimmung Roms abhängig, nicht auf der Basis rechtlicher Vereinbarungen und Verträge, sondern auf Grundlage der neuen politischen Realität. Bithyniens Expansion unter Prusias II. verursachte einen langen Krieg (159–154 v. Chr.). Mit Unterstützung der Könige von Kappadokien und Pontos besiegte Attalos II. den Bithynier Prusias II. Dieser wurde von Rom dazu verpflichtet, Kriegsentschädigungen an Pergamon zu zahlen. Einige Jahre später, im Jahr 149 v. Chr., wurde Prusias II. von seinem eigenen Sohn Nikomedes ermordet. In Kappadokien half Attalos König Ariarathes V. bei dessen Krieg gegen seinen Bruder Orophernes (158–156 v. Chr.) und erwarb sich so auch dort wesentlichen Einfluss. In seinen letzten Jahren regierte Attalos II. zusammen mit seinem Neffen Attalos III. ein Königreich, das durch die Tributzahlungen von untergebenen Städten und Völkern Schätze anhäufte und zur Stabilität in Westkleinasien beitrug. Der irgendwann zwischen 184 und 166 v. Chr. erbaute Pergamonaltar (s. Abb. 12) ist das berühmteste Zeugnis der Macht der Attaliden; die Darstellung einer Schlacht zwischen den olympischen Göttern und den Giganten spielt auf ihre Siege über die Gallier an, andere Bilder verherrlichen die mythischen Gründer Pergamons. Auf Attalos II. folgte Attalos III., der allerdings nach nur kurzer Regierungszeit (139/138–133 v. Chr.) starb. Eine lange Inschrift rühmt einen militärischen Sieg, durch den er sich göttliche Ehren – die Aufstellung einer riesigen Statue, ein extravagantes Fest und die Einrichtung eines jährlichen 217

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Abb. 12 Athena im Kampf gegen den Giganten Alkyoneus und Gaia. Relief des Pergamonaltars, 2. Jahrhundert v. Chr. Pergamonmuseum, Berlin.

Gedenktages – erwarb, das wahre Interesse des Königs aber galt wohl medizinischen und botanischen Studien. Weder sein Sieg noch seine medizinischen Abhandlungen hatten bleibende Auswirkungen. Sein Testament hingegen schon. Er hatte keine Kinder und vermachte sein Königreich dem römischen Volk, doch erklärte er zur gleichen Zeit die Stadt Pergamon und ihr Territorium für frei; er scheint die Entscheidung den Römern überlassen zu haben, ob auch den anderen griechischen Städten in seinem Königreich, werden die bislang tributpflichtig gewesen waren, die Freiheit gegeben ­ sollte. Heute nimmt man an, dass Attalos III. soziale Unruhen fürchtete oder dass er sich einer Nachfolge durch seinen Halbbruder Aristonikos widersetzen wollte. Dass zum Zeitpunkt seines Todes direkte römische Herrschaft in Griechenland seit über einem Jahrzehnt Realität war und nirgendwo im östlichen Mittelmeerraum bedeutende politische Entscheidungen ohne vorherige Rücksprache mit dem römischen Senat getroffen wurden, mag seine Entscheidung beeinflusst haben. Die Umstände zum Zeitpunkt von Attalos’ III. Tod waren dergestalt, dass sein letzter Wille unvorhergesehene Entwicklungen auslöste. Erstens befand sich Rom in einer schweren gesellschaftlichen Krise, in erster Linie weil 218

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Kleingrundbesitzer verarmten. Zu dieser Zeit beantragte Tiberius Gracchus die Agrarreformen, die sein Bruder Gaius Gracchus ein Jahrzehnt später umsetzen würde. Die pergamenische Erbschaft war für Rom eine unerwartete Geldquelle, um Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme zu finanzieren, und Tiberius schlug umgehend vor, Attalos’ Schätze zu versteigern und das Geld unter denen zu verteilen, die Grund und Boden erhielten. Zweitens war Attalos’ Halbbruder Aristonikos, ein unehelicher Sohn von Eumenes II., nicht bereit, sein Erbe kampflos aufzugeben. Drittens sahen die griechischen Städte, die Teil des attalidischen Königreichs und tributpflichtig gewesen waren, jetzt eine Gelegenheit, ihre volle Autonomie zurückzuerlangen. Und zu guter Letzt weckte jede ernste politische Entwicklung bei all denen, die mit ihrer finanziellen und gesellschaftlichen Situation unzufrieden waren, Hoffnungen auf große Veränderungen. Das Zusammentreffen dieser Faktoren machte die Lage explosiv. Aristonikos gab sich den Thronnamen Eumenes und erhielt seinen Anspruch auf den Thron aufrecht. Auch muss es einigen Widerstand gegen das Testament und möglicherweise Unterstützung für Aristonikos gegeben haben. Personen, von denen bezeugt ist, dass ihnen das Bürgerrecht entzogen wurde, weil sie Pergamon nach Attalos’ Tod verließen, könnten unter Aristonikos’ Unterstützern gewesen sein. Angesichts der neuen Aussicht auf Freiheit waren weder Pergamon noch andere griechische Städte dazu bereit, einen neuen König zu akzeptieren. Eine Inschrift aus Metropolis in Ionien zu Ehren des lokalen Staatsmannes Apollonios, der 132 v. Chr. im ersten Jahr des Krieges gestorben war, bringt diese Gefühlslage zum Ausdruck: Als nun König Philometor [Attalos III.] gestorben war und die Römer, die gemeinsamen Wohltäter und Retter aller, ihrem Dekret entsprechend all denen die Freiheit zurückgegeben hatten, die zuvor unter Attalos’ Königsherrschaft gestanden hatten, und als Aristonikos kam und uns der Freiheit berauben wollte, die uns vom Senat wiedergegeben worden war, verschrieb sich Apollonios ganz der Verpflichtung, sich jenem Mann in Wort und Tat in allem zu widersetzen, der ungeachtet des Beschlusses der Römer, der gemeinsamen Wohltäter, sich selbst die Königswürde verliehen hatte, wobei sich Apollonios gemäß dem Willen des Volkes aufrichtig für den Schutz der Freiheit einsetzte.

Scheinbar hatte der römische Senat umgehend versprochen, die Städte vom Tribut zu befreien, den diese an den König gezahlt hatten. Eine Rede, die Marcus Antonius 41 v. Chr. vor der Versammlung der Griechen in Asien 219

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hielt, bestätigt das. Darin heißt es: „Wir haben euch von den Steuern befreit, die ihr zuvor an Attalos gezahlt habt.“ Die Städte fassten diesen Akt als eine Rückkehr zu ihrem ursprünglichen, rechtmäßigen Status auf. Da er in den Städten keine Unterstützung fand, gewann sich Aristonikos eine Anhängerschaft unter der ländlichen Bevölkerung, indem er den Sklaven ihre Freiheit und den abhängigen Bauern eigenen Besitz in Aussicht stellte. Er kontrollierte einige Städte (Thyateira, Apollonia und Stratonikeia am Kaikos) und gründete eine Stadt in Mysien, die den Namen Heliopolis, die Sonnenstadt, erhielt. Marxistische Historiker deuteten Aristonikos’ Politik traditionellerweise als Sozialrevolution, vermutlich war sie aber nichts weiter als eine pragmatische Antwort auf die Erfordernisse seines Machtkampfs. Militärkommandanten und Städte versuchten immer wieder, die Rekrutierungsbasis ihrer Armeen zu vergrößern, indem sie die Befreiung von Sklaven, den Erlass von Schulden und die Verleihung des Bürgerrechts in Aussicht stellten. Ernsthafte sozioökonomische Reformen waren in erster Linie Werkzeuge zur Wiederbelebung der Militärmacht eines Staates. Damit soll nicht gesagt werden, dass es in dieser Zeit nicht auch das Bedürfnis nach sozialen und ökonomischen Reformen gab. Im Gegenteil, zur selben Zeit, als Aristonikos seine Revolte begann, sah sich Rom zum ersten Mal mit einem Sklavenaufstand auf Sizilien konfrontiert – er wurde von einem gewissen Eunous, einem Sklaven aus Syrien, angeführt (135–132 v. Chr.) – und in Rom riet der stoische Philosoph Gaius Blossius dem Tiberius Gracchus, seine Agrarreformen durchzuziehen und Land an die Enteigneten zu verteilen. Nach Tiberius’ Ermordung 133 v. Chr. verließ Blossius Rom und schloss sich Aristonikos an. Möglicherweise spielten seine philosophischen Ideen, über die aber so gut wie nichts bekannt ist, eine Rolle bei der Gründung der „Sonnenstadt“. Wie dem auch sei, Aristonikos begann seine Revolte wahrscheinlich nicht, um Sozialreformen umzusetzen, sondern nutzte lediglich gesellschaftliche Unzufriedenheit für seine eigenen Zwecke aus; alle, die mit ihrer Situation unglücklich waren, schlossen sich nur allzu gern jemandem an, der ihr Vorstreiter werden konnte, ihr Hauptanliegen war allerdings nicht, wer Pergamon regieren, sondern wer ihnen Land und Freiheit schenken würde. Aus unterschiedlichen Gründen schlossen sich die meisten Städte und alle benachbarten Königreiche (Pontos, Bithynien, Kappadokien und Paphlagonien) einer Koalition gegen Aristonikos unter römischer Führung an. Die Städte fürchteten soziale Unruhen, hofften auf Unabhängigkeit und wollten ihre Loyalität gegenüber Rom zur Schau stellen; und die benach220

Expansion als Ausbeutung: römische Steuerpächter in Kleinasien

barten Königreiche widersetzten sich dem Aufstieg eines mächtigen Staates in ihrer unmittelbaren Nähe. Anfangs war Aristonikos noch erfolgreich, und der römische Konsul Publius Licinius Crassus wurde 131 v. Chr. in der Frühphase des Krieges in einer Schlacht getötet. Das Blatt wendete sich mit der Ankunft der Verstärkung unter Marcus Perperna; Perperna belagerte Aristonikos in Stratonikeia, nahm ihn gefangen und brachte ihn 129 v. Chr. nach Rom; während der Feierlichkeiten von Perpernas Triumphzug wurde Aristonikos durch Erdrosselung hingerichtet. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges wurde eine Kommission von zehn Senatoren unter dem Konsul Manius Aquillius nach Pergamon entsandt, um die Vorkehrungen zu treffen hinsichtlich eines vorangegangenen Senatsbeschlusses zur Annahme des Testaments. Die östlichen Territorien des Königreichs (Teile Phrygiens und Lykaoniens) wurden vermutlich den Königreichen überlassen, die sich mit Rom verbündet hatten (s. Karte 5). Es blieben genügend Gebiete in Kleinasien übrig, aus denen man eine neue Provinz namens Asia einrichten konnte. Sie bestand aus den hellenisierten und urbanisierten Gegenden in Nordwest- und Zentralkleinasien (Mysien, Troas, Ionien, Lydien, Südwestphrygien und Teilen Kariens). Die europäischen Besitzungen der Attaliden – die thrakische Chersonesos und die Insel Ägina – wurden der Provinz Makedonien zugeschlagen. Pergamon und andere bedeutende Städte erhielten die Freiheit, mit Ausnahme der Städte, die Aristonikos unterstützt hatten. Nach einem Krieg gegen Piraten in Südostkleinasien 102 v. Chr. wurde das Territorium des ebenen Kilikien zur zweiten römischen Provinz in Asien.

Expansion als Ausbeutung: römische Steuerpächter in Kleinasien Während des Expansionsprozesses erhob Rom Tribut von seinen Provinzen, einschließlich Makedonien. Die öffentlichen Finanzen hingen in hohem Maß von dieser Besteuerung ab, besonders weil man ein weitreichendes Programm von Sozialreformen zu finanzieren hatte. Auch wenn die neue Provinz Asia in den ersten Jahren nach ihrer Einrichtung vermutlich keinen Tribut entrichtete, stand es zu erwarten, dass die Römer ihrem Vorgehen in anderen Provinzen, wie Sizilien und Makedonien, folgen und Tribut einfordern würden. Die Organisation der Tributzahlungen war das Werk von Gaius Gracchus – sie war ein wesentlicher Teil seiner Bemühungen, die ­finanziellen Mittel aufzubringen, um seine Sozialreformen umsetzen zu 221

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können. Aufbauend auf den Reformvorschlägen seines Bruders beantragte Gaius eine Reihe von Gesetzen, durch die Vorkehrungen getroffen wurden für die Zuteilung von Land an römische Bürger, die Gründung von Siedlungen in den Provinzen, den Ankauf von Getreide und dessen Verteilung an die Bürger zu einem niedrigen Preis, den Bau von Straßen sowie die Ausrüstung von Soldaten auf Staatskosten (123/122 v. Chr.). Wer würde die Kosten eines solchen Programmes tragen? Gaius forderte eine effizientere Eintreibung des Tributs aus den Provinzen, und die neugegründete Provinz Asia, die als Quelle unvorstellbaren Reichtums angesehen wurde, eignete sich gut, um das neue System zu testen. Eine weitverbreitete Methode der Steuereintreibung war die mittels Unternehmern. Das Recht zur Steuereintreibung wurde an den höchstbietenden Unternehmer oder die höchstbietende Gruppe von Unternehmern versteigert; die Bieter machten ihr Angebot auf Grundlage einer groben Schätzung der verschiedenen Steuern, die von einer Region erwartet wurde: darunter Transaktions- und Grundsteuern, Zollgebühren in Häfen und so weiter. Bei diesem System erhielt die Staatskasse die Steuern im Voraus, benötigte keinen eigenen Verwaltungsapparat zur Eintreibung der Steuern und übertrug das Risiko hinsichtlich Steuerausfällen – zum Beispiel aufgrund von Missernten – auf die Steuerpächter. Natürlich tat die Person oder das „Unternehmen“, das dieses Recht erworben hatte, alles, um alle nur möglichen Steuern einzutreiben und über den im Voraus an die Staatskasse gezahlten Betrag hinauszukommen; dieser Überschuss war ihr Gewinn. In Rom sind die Steuerpächter, die sich in societates publicanorum genannten Zusammenschlüssen organisierten, sicher ab 184 v. Chr. bezeugt, es muss sie aber auch schon früher gegeben haben. Die publicani gehörten größtenteils dem Ritterstand an, der Klasse wohlhabender römischer Bürger, die sich in Handel, Bergbau, produzierendem Gewerbe und finanziellen Unternehmungen betätigten, weshalb es ihnen seit 218 v. Chr. nicht gestattet war, Mitglieder des Senats zu werden oder sich in hohe öffentliche Ämter wählen zu lassen. Die publicani wurden berühmt-berüchtigt für ihre unbarmherzige Eintreibung von Steuern und die skrupellosen Methoden, die sie einsetzten, um höhere Steuersätze durchzusetzen. Gaius’ Gracchus lex Sempronia de provincia Asia schuf die Grundlagen für die Eintreibung der Steuern in der neuen Provinz Asia. Die Fünfjahresverträge für die Steuereintreibung wurden nun nicht mehr in der Provinz durch den dortigen Statthalter abgeschlossen, sondern sollten in Rom unter der Verantwortlichkeit des Zensors versteigert werden, eines angesehenen 222

Expansion als Ausbeutung: römische Steuerpächter in Kleinasien

Beamten, der für die Veröffentlichung eines Verzeichnisses römischer Bürger und ihres Vermögens verantwortlich war. So hoffte Gaius, die Gefahr von Bestechung und Korruption einzudämmen. Die Steuer auf die landwirtschaftliche Produktion war auf zehn Prozent der Erzeugnisse festgesetzt; eine Zollgebühr von 2,5 Prozent wurde auf Importe und Exporte erhoben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde in dieser Zeit zum ersten Mal ein Gesetz über die Zölle verfasst, die auf Importe und Exporte nach und aus Asia zu Land und See – in der wirtschaftlich wichtigen Region zwischen dem Bosporus und Pamphylien – zu zahlen waren. Dieses Gesetz (lex de portorii Asiae) wurde mehrere Male abgeändert, und dank einer Inschrift ist es uns in der Form erhalten, die es unter Kaiser Nero hatte (62 n. Chr.). Die ungeheure Detailfülle dieses Textes macht die Bemühungen deutlich, die Steuerangelegenheiten in den Provinzen streng zu reglementieren und willkür­ liche Entscheidungen und Korruption, aber auch den Verlust von Einkünften zu verhindern. Selbst die freien Städte waren nicht von der Zollgebühr von 2,5 Prozent des Warenwertes befreit. Lediglich eine Zone in Lykien war davon ausgenommen; auch römische Amtsträger, Soldaten und die Steuereintreiber selbst waren von der Steuer befreit. Selbst das von Gaius Gracchus eingebrachte Gesetz, das es den Provinzen ermöglichte, gegen die unrechtmäßige Beschlagnahmung von Eigentum durch römische Autoritäten Beschwerde einzulegen (lex Sempronia ­repetundarum), konnte Missbrauch nicht gänzlich verhindern. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Tätigkeiten der publicani in Asia wiederholt zum Gegenstand von Beschwerden und Klagen in Rom. So versuchten die publicani beispielsweise 101 v. Chr., sogar von Territorien Steuern einzutreiben, die zur freien Stadt Pergamon gehörten. Gaius Gracchus verfasste einmal einen Bericht darüber, wie sein Bruder auf einer Reise durch Etrurien gesehen habe, wie in den ländlichen Gebieten, die von freien Bauern verlassen worden waren, die Felder von fremden Sklaven bestellt wurden; diese Erfahrung habe, so behauptete er, ­Tiberius zu seinen Reformen angeregt. Seine eigenen Reformen waren das Werk eines römischen Bürgers, der nur auf den Wohlstand römischer ­Bürger bedacht war. In einem erhaltenen Fragment einer seiner Reden erläutert er seine Beweggründe: „Ich rate euch, die Steuern zu erhöhen, um eurem ­eigenen Vorteil zu dienen und die Republik leichter verwalten zu können.“ Seine Position war die eines Vertreters eines imperialistischen Staates, der für den Vorteil seiner Bürger die unterworfene Bevölkerung ausbeuten würde, ohne mit der Wimper zu zucken. Cicero sah in den 223

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­publicani 66 v. Chr. äußerst ehrenwerte und fähige Männer; die durch sie sichergestellten Tributzahlungen nannte er die „Nerven der Republik“ (nervos rei publicae). Die Einwohner der römischen Provinzen im Osten sahen das ganz anders, wie der Historiker Diodor 100 Jahre nach Gaius’ Reformen zusammenfasste: Indem er die Provinzen der Rücksichtslosigkeit und der Gier der Steuerpächter aussetzte, erregte er den gerechtfertigten Hass der Untertanen auf die römische Herrschaft.

Als der Autor des Lukasevangeliums in der Parabel vom Pharisäer und dem Zöllner nach einer Person suchte, die es am dringendsten nötig hatte, Buße zu tun, fiel es ihm nicht schwer, sich für den Zöllner zu entscheiden. In den folgenden Jahrzehnten war die Einstellung der griechischen Provinzen gegenüber Rom stark von den Erfahrungen geprägt, die sie mit den in ihrer Welt sichtbarsten Vertretern der römischen Herrschaft machten.

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9 Niedergang: das Ende der hellenistischen Königreiche in Asien und Ägypten

Götterdämmerung im Osten Der langsame Niedergang der Seleukiden, währenddessen ihr immer weiter schrumpfendes und von internen Konflikten zerrissenes Königreich auf der „internationalen“ Bühne immer mehr an Bedeutung verlor, setzte unmittelbar nach dem Frieden von Apameia ein. Er zog sich über mehr als 100 Jahre hin und kann hier nicht im Detail nacherzählt werden. Die Bemühungen seleukidischer Könige, ihr Reich zusammenzuhalten oder Teile davon zurückzugewinnen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Von dynastischen Konflikten und Aufständen geschwächt, verloren die Seleukiden nach und nach nicht nur ihre Satrapien im Osten, sondern beinahe ihr gesamtes Königreich. Im Jahr 83 v. Chr. riss der armenische König Tigranes II. den Seleukidenthron an sich; 20 Jahre später wurde der letzte „Marionettenkönig“ dieser einst einflussreichen Dynastie ermordet. Um seine Verluste im Westen zu kompensieren, brach Antiochos III. unmittelbar nach dem demütigenden Frieden von Apameia zu einem neuen Feldzug in den Osten auf, nach Luristan (Westiran). Er starb 187 v. Chr. bei der Plünderung eines Tempels; darin, dass ihn der Tod ereilte, während er ein derartiges Sakrileg beging, müssen viele Zeitgenossen eine göttliche Strafe gesehen haben. Sein Sohn Seleukos IV. erbte zusammen mit dem Königsthron auch die immensen Reparationsverpflichtungen, die seinem Vater von den Römern auferlegt worden waren. Anstatt die Expansionspolitik seines Vaters fortzuführen, versuchte Seleukos, den finanziellen Problemen seines Reiches zu begegnen, indem er die Tributeintreibung in den Provinzen verbesserte. Als eine dieser Maßnahmen zentralisierte er die Ernennung der Priester, die in den Provinzen die Tempel samt ihren Einkünften beaufsichtigten. Eine Episode des Alten Testaments, die Raffael in der Stanza del Eliodoro im Vatikan verewigte, steht in direktem Zusammenhang mit dieser 225

Niedergang

Politik des Königs. Sein oberster Minister Heliodoros wurde nach Jerusalem geschickt, um den Tempelschatz zu beschlagnahmen, der vermutlich aus dort deponierten Geldern bestand; eine göttliche Intervention habe das verhindert. Es sei dem Glauben des Lesers überlassen, die Historizität dieser biblischen Geschichte zu beurteilen, eindeutig ist sie aber ein Beleg für die Maßnahmen des Seleukos. Neu gefundene Inschriften aus Israel enthalten Kopien eines königlichen Schreibens von 178 v. Chr., das an eben diesen Heliodoros gerichtet war und ihn über die Ernennung eines für die Tempel in Koilesyrien und Phönizien zuständigen Priesters unterrichtete. Eine kurze Periode friedlicher Beziehungen zwischen Seleukiden und Ptolemäern fand ein jähes Ende, als 176 v. Chr. die Königin von Ägypten, Kleopatra „die Syrerin“, verstarb und ihrem noch minderjährigen Sohn Ptolemaios VI. den Thron hinterließ. Ihr Bruder Seleukos IV. wurde ein Jahr später von Heliodoros ermordet; dieser hegte die Hoffnung, Seleukos’ Sohn Demetrios, damals noch ein Kleinkind, auf dem Thron zu sehen. Doch der Bruder des ermordeten Königs, Antiochos IV., griff nach der Macht und nahm die Witwe des Königs zur Frau – für Laodike war es die dritte und letzte Heirat mit einem ihrer Brüder. Die Tatsache, dass sie sowohl mit Seleukos als auch mit Antiochos Kinder hatte, war letztlich die Ursache für dynastische Konflikte, die über ein Jahrhundert lang anhalten sollten. Als die Vormunde Ptolemaios’ VI. die Rückgabe Koilesyriens verlangten, griff Antiochos IV. Ägypten an (Sechster Syrischer Krieg); er marschierte in ptolemäisches Gebiet ein, gelangte bis nach Alexandria und nahm den König gefangen (170/169 v. Chr.). Ein Aufstand der alexandrinischen Bevölkerung brachte dann den später als Ptolemaios VIII. bekannten Bruder ­Ptolemaios’ VI. auf den Thron. Die beiden Kinder – 16 und zwölf Jahre alt – einigten sich auf eine gemeinsame Herrschaft, doch Antiochos nutzte die Tatsache, dass Rom offenbar durch den Dritten Makedonischen Krieg abgelenkt war, 168 v. Chr. für einen zweiten Angriff, um sowohl Ägypten als auch Zypern zu erobern. In Eleusis, einem Vorort von Alexandria, trat ihm allerdings der römische Gesandte Gaius Popillius Laenas entgegen, auf einen Hilferuf der ägyptischen Könige hin. Laenas forderte den Abzug von Antiochos’ Truppen aus Ägypten. Als der König antwortete, dass er diese Angelegenheit mit seinem Rat besprechen wolle, zog Laenas rings um ihn mit seinem Stab einen Kreis in den Sand und sagte: „Gib dem römischen Senat eine Antwort, bevor du diesen Kreis verlässt.“ Vor die Aussicht eines Krieges gegen Rom gestellt, stimmte der verblüffte König schließlich einem Rückzug zu. All denen, die diese Szene miterlebten, die als „Tag von Eleusis“ 226

Kampf der Kulturen in Judäa: von Hohepriestern zu Königen

in die Geschichte einging, muss klar geworden sein, dass sich die Welt geändert hatte. „Der Tag von Eleusis“ traf Antiochos IV. wie aus dem Nichts, zu einem Zeitpunkt, als die Eroberung eines Teils oder ganz Ägyptens schon in Reichweite schien. Es entspricht einem geläufigen Muster, dass ein Herrscher eine militärische Niederlage durch eine Machtdemonstration kompensiert. Antiochos IV. war ein Meister der Illusion (s. S. 143); er musste seine ganzen Inszenierungskünste aufbieten, um die Demütigung von Eleusis als seinen Triumph darzustellen. Daher organisierte er 166 v. Chr. nach der Rückkehr von seinen Feldzügen in Daphne, nahe der Hauptstadt Antiochia, eine eindrucksvolle Militärparade mit mehr als 50 000 Männern. Diese demonstrative Zurschaustellung von militärischer Macht, Reichtum und exotischen Waffen sollte allerdings zum Abgesang auf die Seleukiden werden. Über ein Jahrhundert liegt zwischen der Demütigung eines Seleukiden am „Tag von Eleusis“ und der Entmachtung und dem Tod des letzten seleukidischen „Marionettenkönigs“ im Jahr 63 v. Chr. Es ist eine Zeit des unaufhörlichen Niedergangs, dessen Ursache ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren war, darunter ein Volksaufstand in Judäa, der Verlust der östlichen Provinzen und vor allem eine Reihe dynastischer Konflikte und Usurpationen. Zwar entwickelten sich die Ereignisse an allen diesen drei Fronten parallel zueinander, und sie waren teils miteinander verbunden, wir müssen sie aber dennoch jeweils für sich betrachten.

Kampf der Kulturen in Judäa: von Hohepriestern zu Königen Antiochos IV. befand sich 168 v. Chr. noch auf seinem Feldzug in Ägypten, als ein lokaler Konflikt in Jerusalem eine Abfolge von Ereignissen auslöste, die letztlich zur Errichtung des ersten jüdischen Staates seit der Zeit der babylonischen Gefangenschaft (587 v. Chr.) führte. Jerusalem und Judäa, die im 3. Jahrhundert v. Chr. unter ptolemäischer Kontrolle standen, waren 198 v. Chr. als Teil der Provinz Koilesyrien und Phönizien in seleukidische Hände gefallen. Angehörige der jüdischen Elite, die den Ptolemäern gedient hatten, stellten eine Bedrohung für die neuen Herrscher dar, die Kontrolle Jerusalems wurde durch eine Garnison garantiert. Um die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, erlaubten es Antiochos III. und seine Nachfolger den Juden, ihre religiösen Traditionen und Bräuche zu pflegen und ein gewisses Maß an Autonomie unter der Kontrolle eines Hohepriesters 227

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zu genießen. Die seleukidischen Könige interessierten sich für Steuerabgaben, nicht für jüdische Rituale. Bereits unter ptolemäischer Herrschaft hatten Mitglieder der jüdischen Elite in Jerusalem griechische Namen und Gebräuche angenommen. Diese „Hellenisten“ sahen sich der Verachtung der hasidim ausgesetzt, der frommen Juden unter dem Einfluss der konservativen Thora-Exegeten, der sogenannten „Schriftgelehrten“. Da die meisten frommen Juden, nicht alle, den niederen Gesellschaftsschichten angehörten, war dieser Gegensatz zwischen den beiden jüdischen Gruppierungen zugleich ein sozialer Konflikt. Diese Auseinandersetzung entzieht sich allerdings allzu simplen Kategorisierungen; sie weist gleichermaßen soziale und ökonomische, religiöse und kulturelle Züge auf. Die Hellenisten waren alles andere als eine einheitliche Front mit klar definierten Zielen. Persönliche Ambitionen und Feindschaften sowie Rivalitäten um das Amt des Hohepriesters ließen diese komplexe Auseinandersetzung zu einem blutigen ­Konflikt werden. Ein unter dem Namen Jason, der griechischen Variante von „Jesus“, bekannt gewordener Hellenist schaffte es, sich das Amt des Hohepriesters zu sichern, indem er versprach, den an Antiochos IV. gezahlten Tribut zu erhöhen. Es ist fraglich, ob er mit seinen Reformen ein stringentes politisches Programm verfolgte, einige seiner Maßnahmen deuten aber klar in die Richtung einer Akzeptanz griechischer Institutionen, wie beispielsweise die Einrichtung eines Gymnasiums als Ort athletischen und militärischen Trainings oder die Einführung der ephebeia, der institutionellen staatsbürgerlichen und militärischen Ausbildung zukünftiger Bürger. Auf dem Tempelberg, wo der Zweite Tempel stand, richtete Jason ein Heiligtum für den Kult des Zeus Olympios ein. Er entweihte zwar nicht das traditionelle jüdische Heiligtum Jahwes, tastete dessen Altar nicht an, aber er wollte der in Jerusalem ansässigen gemischten Gemeinde der griechischen und orientalischen Militärkolonisten erlauben, ihre eigenen Himmelsgötter zu verehren – den griechischen Zeus Olympios und den syrischen Baal-Shamen. 172 v. Chr. aber versprach Menelas, ein äußerst inbrünstiger Hellenist, dem König einen noch höheren Tribut und verdrängte Jason aus seinem Amt; dies führte dazu, dass Jerusalem zur Bühne eines gewaltsamen Konflikts zwischen den beiden ehrgeizigen Männern wurde: Menelas besetzte die ­Zitadelle, Jason bemächtigte sich der Stadt. Entgegen aller Gerüchte, er sei in Ägypten getötet worden, erschien ­A ntiochos IV. 168 v. Chr. in Jerusalem und zeigte sich fest entschlossen, diesen Wirren ein Ende zu bereiten, indem er Menelas unterstützte und zu 228

Kampf der Kulturen in Judäa: von Hohepriestern zu Königen

drastischen Maßnahmen gegen die Unruhestifter griff. Dabei ging er jedoch zu weit. Er annullierte die Rechte, die sein Vater den Juden gewährt hatte und die bis dahin respektiert worden waren: Traditionelle Rituale, wie die Beschneidung, wurden abgeschafft; den Juden war es nun nicht mehr erlaubt, nach ihren Gesetzen zu leben; und für die seleukidische Besatzung wurde eine Festung (Akra, die Zitadelle) gebaut. Diese Maßnahmen, von Antiochos als Lösung eines lokalen Problems und nicht als ehrgeiziges Hellenisierungsprogramm oder als antijüdische Aktion initiiert, provozierte unter den Juden eine Revolte, den sogenannten Makkabäeraufstand. Die Gegner dieser neuen Maßnahmen verließen Jerusalem und organisierten auf dem Land und in der Wüste Widerstand unter der Führung von Mattathias (bis 165 v. Chr.) und später von seinen Söhnen Judas Maqqabi bzw. Makkabäus (165–160 v. Chr.) und Jonathan (160–143 v. Chr.). Antiochos war es nicht möglich, sich mit dieser Revolte zu befassen, denn seine Kräfte waren durch einen Krieg im Iran gebunden (wo er 164 v. Chr. verstarb). Judas besetzte Jerusalem, außer der Zitadelle, und weihte 164 v. Chr. den Tempel wieder ein. Dieser Rückeroberung des Tempels für die jüdische Religion wird auch heute noch mit dem Chanukka-Fest gedacht. Antiochos’ Reichsverweser ­Lysias, der darauf erpicht war, seine Position auch unter dem neuen König Antiochos V. innezuhaben, stimmte übereilt einem Friedensvertrag zu, der die Juden wieder in ihre Rechte setzte. Doch war der Aufstand damit noch nicht zu Ende. Auch in den darauffolgenden Jahren schwelten die internen jüdischen Konflikte weiter. Als Judas 161/160 v. Chr. eine Armee unter dem seleukidischen General Nikanor besiegte, blies der neue Seleukidenkönig Demetrios I. zu einem neuen Feldzug. Zwar unterlag Judas 160 v. Chr. und fand den Tod, die Aufständischen hatten aber bereits Beziehungen zu Rom geknüpft; Judas’ Bruder Jonathan führte den Kampf einige Jahre lang gegen den seleukidischen General Bakchides fort. Ein Friedensvertrag mit den Seleukiden ermöglichte es ihm, seine Macht auszubauen, wobei ihm Machmas (oder Michmas) als Stützpunkt diente. Das Blatt wendete sich für die Aufständischen im Jahr 150 v. Chr., als Jonathan die Chancen nutzte, die sich ihm aufgrund dynastischer Konflikte im Seleukidenreich boten. Er diente sich dem Usurpator Alexander Balas an und erhielt im Gegenzug nicht nur das Amt des Hohepriesters, sondern auch die politische Funktion des meri­ darches (Leiter der meris – die Statthalterschaft der Region Judäa). Es war der erste Schritt hin zur Schaffung eines jüdischen Staates. Als der nächste Usurpator, Diodotos Tryphon, in Erscheinung trat, bot Jonathan abermals 229

Niedergang

seine Dienste an, fiel jedoch einem Verrat zum Opfer: Tryphon lud ihn zu Verhandlungen ein, verhaftete ihn und ließ ihn 143 v. Chr. hinrichten. Um seinen Tod zu rächen, stellte sich Jonathans Bruder Simon auf die Seite des rechtmäßigen Königs, Demetrios II., und erlangte Abgabenfreiheit sowie 142 v. Chr. die Anerkennung als erster Herrscher eines halb unabhängigen Judäas. Im darauffolgenden Jahr wählte ihn eine Versammlung der Priester, der Ältesten und des Volks zum Hohepriester auf Lebenszeit. Es war der Anfang der Hasmonäerdynastie, die bis 63 v. Chr. über Judäa herrschte. Als Simon 135 v. Chr. ermordet wurde, setzte sein Sohn Johannes Hyrkanos (135–104 v. Chr.) sein Werk fort und eroberte Transjordanien, Samarien, Galiläa und Idumäa; er blieb allerdings ein Vasall der Seleukiden, bis sein Staat 110 v. Chr. die volle Unabhängigkeit erlangte. Judäa bestand als Staat bis zur römischen Besetzung Jerusalems 63 v. Chr. fort, wurde jedoch von dynastischen Konflikten und Bürgerkriegen zerrissen und war andauernd in kriegerische Auseinandersetzungen mit seleukidischen Königen und Usurpatoren verwickelt.

Aufstieg und Niedergang griechischer Königreiche in Zentralasien Parallel zu den Entwicklungen in Judäa mussten die Seleukiden auch um die meisten ihrer Gebiete in der östlichen Reichshälfte kämpfen. Obwohl die sogenannten oberen Satrapien – auf dem Gebiet des heutigen Iran und ­A fghanistans – letzten Endes verloren gingen, erlebten hellenische Kultur und Institutionen dort bis zum späten 2. Jahrhundert v. Chr. eine Blüte, was die Kunst und Kultur Zentralasiens prägte. Die Loyalität der oberen Satrapien hing von der Fähigkeit des Herrschers ab, ihnen Schutz gegen die Einfälle von Nomadenstämmen und gegen fremde Invasoren zu bieten. Mit seinem großen Feldzug zwischen 210 und 204 v. Chr. hatte Antiochos III. seine Autorität dort wiederhergestellt und abtrünnige Satrapen und lokale Dynasten gezwungen, ihn als Oberherrn anzuerkennen. Seine Niederlage gegen die Römer und die nachfolgenden Unruhen ließen allerdings ein Machtvakuum entstehen. Das Königreich, das am meisten vom anschließenden Niedergang der Seleukiden profitierte, war das der Parther. Das Partherreich war entstanden, als sich die Satrapie Parthien im Nordosten des Iran 247 v. Chr. vom Seleukidenreich lossagte und der Satrap 230

Aufstieg und Niedergang griechischer Königreiche in Zentralasien

­ ndragoras sich selbst zum König ernannte. Sein Reich wurde 238 v. Chr. A von dem iranischen Volk der Parner erobert, die später Parther genannt wurden. Da er nicht in der Lage war, seine Herrschaft dort wieder zu sichern, hatte Antiochos III. keine andere Wahl, als Arsakes II. als König zu tolerieren; 209 v. Chr. forderte er den Partherkönig aber dazu auf, ihn als Oberherrn anzuerkennen. Als Mithridates I. (171–138 v. Chr.) den Thron bestieg, bot sich ihm eine Gelegenheit zur Expansion. Antiochos IV. hatte seine Aufmerksamkeit auf die Feldzüge in Ägypten und später auf die Probleme in Judäa gerichtet. In den ersten Jahren seiner Herrschaft eroberte Mithridates Herat und Teile Baktriens (s. Karte 6). Als Antiochos’ IV. 164 v. Chr. während seiner Feldzüge gegen die Parther starb und es anschließend zu dynastischen Konflikten kam, bot sich Mithridates die Gelegenheit, nach und nach seleukidisches Gebiet östlich des Tigris (Medien und Persien) sowie Teile Mesopotamiens und Babyloniens zu erobern. 141 v. Chr. fiel Seleukeia am Tigris, die erste nach dem Gründer der Dynastie benannte Hauptstadt der Seleukiden, Mithridates in die Hände und wurde zur westlichen Hauptstadt des Partherreichs. Die Gebiete, die nicht von den Parthern erobert wurden, kamen unter die Herrschaft lokaler Dynasten, die wir dank ihrer Münzprägung kennen. Spätere Seleukidenherrscher nahmen den Kampf gegen die Parther wieder auf, aber es gelang ihnen nicht, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Ab dem Zeitpunkt, als die Seleukiden all ihre Besitztümer im Iran verloren hatten, waren die Griechen, die am weitesten im Osten lebten – in Baktrien und Indien –, vom Rest der hellenistischen Welt abgeschnitten. Das Griechisch-Baktrische Königreich entstand aus dem Bedürfnis der östlichsten Satrapien heraus, sich gegen den aufstrebenden Staat der Parther zur Wehr zu setzen. König Euthydemos war von Antiochos III. gezwungen worden, sich ihm zu unterwerfen, aber Euthydemos’ Sohn Demetrios I. machte das Griechisch-Baktrische Königreich wieder unabhängig, nutzte den Fall des Mauryareichs in Indien 185 v. Chr. zu seinem Vorteil und eroberte Arachosia (Südafghanistan/Nordpakistan; s. Karte 6) zurück. Eine im Osten Baktriens gefundene Inschrift verherrlicht Euthydemos als „größten aller Könige“ und seinen Sohn Demetrios als „den, der schöne Siege errungen hat“. Demetrios hatte seine Feldzüge, die ihn vermutlich sogar bis nach Nordindien führten, bereits zur Regierungszeit seines Vaters begonnen. Als Demetrios um 180 v. Chr. starb, wurde sein Königreich in der Folge von Usurpationen durch Feldherren aufgeteilt. Ein eigenes Indo-Griechisches Königreich entstand um 175 v. Chr. mit Gandhara (im heutigen Pakistan) als Kerngebiet; in der Phase seiner Expansion verfügte es über zusätzliche 231

Niedergang

Gebiete in Arachosia, Paropamisaden und Punjab. Das eigentliche Griechisch-Baktrische Königreich wurde zweigeteilt und von nun an von unterschiedlichen Dynastien regiert. Der wichtigste dieser Herrscher war Eukratides (ca. 170–145 v. Chr.; s. Abb. 8). Er regierte ein gewaltiges Gebiet, aber es gelang ihm nicht, die östlichen Landstriche in Besitz zu nehmen, die der größte der indo-griechischen Könige, Menandros (ca. 165/155 – ca. 130 v. Chr.), kontrollierte. Die spätere Geschichte dieser hellenistischen Königreiche im Osten gehört auch schon zur Geschichte Zentralasiens. Die Bevölkerungsbewegungen in den Steppen Zentralasiens setzten eine Migration von Stämmen nach Westen und Süden in Gang. Die Einfälle nomadischer Stämme, erst der Skythen aus dem Norden und dann der Yuezhi (Tocharer?) von der Westgrenze Chinas, brachten die Zentralgewalt zu Fall und führten zur Auflösung des Griechisch-Baktrischen Königreichs um 130 v. Chr. Zwar verlor auch das Indo-Griechische Königreich etwa zur selben Zeit seine Einheit, aber dennoch kontrollierten griechische Herrscher weiterhin einen Großteil von Menandros’ Reich. Wir kennen ihre Namen von den zweisprachigen griechisch-indischen Legenden auf ihren Münzen und von verstreuten Informationen aus griechischen, indischen und chinesischen Quellen. Weil die isolierte Lage ihres Reiches am Hindukusch sie vor Invasionen schützte, konnten sie sich länger an der Macht halten als die griechisch-baktrischen Herrscher, aber die Einfälle der Skythen, Parther und Yuezhi dezimierten nach und nach auch ihre Gebiete. Eine Inschrift aus Mathura (im heutigen Uttar Pradesh in Nordindien) spricht vom Bau eines Brunnens „im 116. Jahr der Herrschaft der Yavanas“ (der Ioner, das heißt der Griechen); wenn diese Ära hier mit Demetrios’ Herrschaft begann (ca. 186/185 v. Chr.), hieße das, dass das Gebiet bis ins frühe 1. Jahrhundert v. Chr. von griechischen Herrschern kontrolliert wurde. Die letzte indo-griechische Dynastie regierte im östlichen Punjab noch im 1. Jahrhundert v. Chr.: 10 n. Chr. aber wurde das Herrschaftsgebiet Stratons, ihres letzten Königs, von Indo-Skythen erobert. Die griechisch-baktrischen und indo-griechischen Könige bewahrten die griechische Sprache und Kultur und beförderten einen Synkretismus von griechischer Religion und buddhistischem Glauben. Die Verschmelzung von griechischer Kunst und buddhistischer Religion zeigt sich deutlich in den buddhistischen Reliefs aus der Gegend von Gandhara. Von hier aus breitete sich der Einfluss griechischer Kunst auf den indischen Subkontinent aus und lässt sich als solcher noch im 2. Jahrhundert n. Chr. nachweisen. Eine 232

Die dynastischen Konflikte der Seleukiden

Inschrift mit einem langen und kunstvollen Gedicht aus Alexandria Arachosia (Kandahar) aus dem späten 1. Jahrhundert v. Chr. zeigt (s. S. 448), dass es dort auch nach dem Fall der griechisch-baktrischen Königreiche noch eine griechische Kultur von beträchtlichem Niveau gab.

Die dynastischen Konflikte der Seleukiden und der langsame Tod der seleukidischen Dynastie Die Gebietsverluste in den östlichen und westlichen Teilen des Seleukidenreichs gingen einher mit dynastischen Konflikten – für manche waren diese sogar ursächlich; sie setzten nach dem Tod Antiochos’ IV. 164 v. Chr. ein und dauerten 100 Jahre lang an. Es gab die Probleme, die allen Systemen innewohnen, in denen Führungspositionen nicht aufgrund von Verdienst besetzt, sondern vererbt werden, aber die Krise der Seleukiden wurde durch ein Zusammenspiel zusätzlicher Faktoren verschärft. Während die meisten früheren Könige zu dem Zeitpunkt, als sie den Thron bestiegen, schon in die Regierungsgeschäfte ihrer Väter eingewiesen worden waren und ausreichend Ausbildung und Erfahrung hatten sammeln können, kam es ab dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. häufig vor, dass ein Kleinkind oder Kind die Thronfolge antrat, unter der Vormundschaft eines ehrgeizigen Höflings oder einer verwitweten Königin. Das Hauptaugenmerk eines Vormunds lag nicht auf der Erziehung des jungen Königs, sondern darauf, die eigene Machtposition zu bewahren und das eigene Überleben zu sichern. Dazu kamen ander, zumindest in dieser Dichte neue Faktoren: Fremde Könige und die Römer mischten sich ein, wenn es um die Frage der Nachfolge ging. Die Schwäche eines Herrschers bot weiblichen Mitgliedern der Dynastie die Gelegenheit zu politischen Interventionen. In der Frühzeit der hellenistischen Epoche waren Prinzessinnen zumeist nur diplomatische Werkzeuge – sie wurden von ihren Vätern oder Brüdern mit fremden Königen verheiratet. Im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. waren sich viele Frauen der Königshäuser jedoch ihrer politischen Macht und ihrer Bedeutung für die Herrschaftslegitimierung eines Bruders oder Sohnes bewusst. Auch die Einwohner der Hauptstädte waren sich ihres Einflusses bewusst und stellten, wenn sie die Rechtmäßigkeit eines Königs akzeptieren sollten, Forderungen. Dass die Hauptstadtbewohner zu aktiven Protagonisten bei dynastischen Veränderungen wurden, war zwar nicht eine Ursache der Krise, kann aber mit ­Sicherheit als eines ihrer Symptome betrachtet werden. 233

Niedergang

Die ungemein verwirrende Geschichte der seleukidischen Bürgerkriege kann hier nicht nacherzählt werden, aber wir sollten uns zumindest anschauen, was diese beispiellose Reihe dynastischer Konflikte auslöste. Ihre Frühgeschichte ist hier aufschlussreich: Als Seleukos IV. 175 v. Chr. ermordet wurde, befand sich sein sechsjähriger Sohn Demetrios als Geisel in Rom. In Demetrios’ Abwesenheit usurpierte Seleukos’ Bruder Antiochos IV. den Thron und heiratete die Witwe seines Bruders, die auch seine Schwester war. Als Antiochos IV. 164 v. Chr. starb, war sein Sohn Antiochos V. gerade einmal neun Jahre alt. Demetrios sah seine Chance gekommen, den Thron zurückzugewinnen. Er wandte sich mit der Bitte um Unterstützung an den römischen Senat und sprach ihm mit diesem Akt die Autorität zu, über die Legitimität eines hellenistischen Königs zu entscheiden. Der Senat zog ein Kind auf dem Thron einem ehrgeizigen jungen Mann vor und wies Demetrios’ Bitte ab, wovon sich der 22-jährige Prinz allerdings nicht entmutigen ließ. Er floh aus Rom und kehrte 161 v. Chr. nach Syrien zurück. Dort tötete er Antiochos V. und den Reichsverweser Lysias und trat eine Herrschaft an, die Kavafis in der ersten Zeile seines Gedichtes „Von Demetrios Soter“ so zusammenfasst: „Alle seine Erwartungen erwiesen sich als falsch!“ Anfangs sah es noch so aus, als könnte Demetrios das Reich wieder vereinen. In Judäa besiegte er Judas Makkabäus und in Medien den Satrapen Timarchos, der seine Satrapie gegen die Parther verteidigt und sich selbst zum König ernannt hatte (162–160 v. Chr.). Beide Gegner wurden getötet, doch beide hatten sie Brüder – und die trugen letztlich zu Demetrios’ Untergang bei. In Judäa führte Jonathan Makkabäus den Aufstand fort, und Timarchos’ Bruder Herakleides machte 152 v. Chr. einen jungen Mann ausfindig, der den Thron der Seleukiden für sich beanspruchte: Balas. Seine Herkunft war ungewiss, aber er wurde als Sohn Antiochos’ IV. präsentiert und erhielt einen königlichen und ruhmreichen Namen: Alexander. Zu diesem Zeitpunkt seiner kurzen Herrschaft hatte sich Demetrios I. durch seine Einmischung in die dynastischen Konflikte im Nachbarkönigreich Kappadokien und in Ägypten bereits so viele Feinde gemacht, dass sein Kampf gegen den Usurpator Alexander Balas zum Scheitern verurteilt war. Der römische Senat unterstütze Balas’ Anspruch, Jonathan Makkabäus half dem Usurpator und wurde im Gegenzug dafür Hohepriester, und Pto­ lemaios VI. gab Balas seine Tochter Kleopatra Thea zur Frau. Demetrios I., genannt Soter (Retter), konnte sich selbst nicht retten. Er wurde 150 v. Chr. besiegt und getötet. 234

Die dynastischen Konflikte der Seleukiden

Das war aber nicht das Ende, sondern erst der Anfang der dynastischen Kriege. Demetrios’ Sohn, Demetrios II., focht 147 v. Chr. erfolgreich Balas’ Herrschaft an, doch war seine eigene Herrschaft kurz, unbeliebt und unglücklich. Er verdankte den Thron fremder Patronage und der militärischen Unterstützung von Söldnern. Als diese Söldner Antiochia plünderten, kam es zu einem Volksaufstand. Die Revolte wurde im Blut ertränkt, aber Demetrios’ Tage in Antiochia waren gezählt, und mit ihnen auch die Tage eines vereinten seleukidischen Königreichs. Gespalten von den Thronansprüchen einer stets wachsenden Anzahl von Söhnen toter Könige, von den Unabhängigkeitsbestrebungen von Herrschern semiautonomer Gebiete und von den Ambitionen verwitweter Königinnen und Generäle, zerbrach das Seleukidenreich schließlich, und die Provinzen östlich des Tigris wurden entweder von den Parthern erobert oder zu unabhängigen Königreichen gemacht. Vermutlich zur Zeit Demetrios’ II. erklärte sich Hyspaosines, der seleukidische Satrap der Gegend um den Persischen Golf, unabhängig und gründete das Königreich Charakene – es umfasste das Gebiet südlich des Zusammenflusses von Tigris und Euphrat sowie den Persischen Golf bis mindestens Bahrain. Eine Inschrift aus Bahrain, die der Statthalter des Distrikts von „Tylos und den Inseln“ im Namen von König Hyspaosines und Königin Thalasia den Dioskuren weihte, zeigt, dass seleukidische Verwaltungsinstitutionen, griechische Sprache und griechische Kultur im neuen Königreich bewahrt wurden. In den ersten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts v. Chr., nach Jahren von Krieg und Schrecken, bestand das gespaltene Seleukidenreich aus wenig mehr als dem Umland Antiochias. Umzingelt von Feinden, wie es war, hatte es seine Bedeutung eingebüßt, und die Könige hatten die Macht verloren, ihre Herrschaft zu legitimieren, indem sie der Bevölkerung Sicherheit und Wohlstand, den Städten Privilegien, der Armee Kriegsbeute und den Höflingen Unterstützung boten. 83 v. Chr. forderten die Einwohner von Antiochia den mächtigsten König der Region auf, den Thron zu besteigen: Tigranes II., König von Armenien. In den Jahren zuvor hatte Tigranes die Grenzen seines Königreichs auf Kosten der Parther erweitert und Gebiete im Nordiran und Irak erobert. Er nahm das Angebot an und erregte damit den Unmut des römischen Senats, der es bevorzugt hätte, einen seleukidischen Prinzen als „Marionettenkönig“ anzuerkennen. Dies hielt Tigranes allerdings nicht davon ab, sich Syrien und sogar Kilikien einzuverleiben, was die Grenzen seines Reiches bis nach Kleinasien verschob. Zum ersten Mal seit der Schlacht von Gaugamela 331 v. Chr., als Alexander den Großkönig 235

Niedergang

besiegte und zum König von Asien ernannt wurde, regierte nun ein König iranischen Ursprungs, der den Titel „König der Könige“ führte, ein Reich, das sich vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer erstreckte. Das Jahr 83 v. Chr. markiert nur deshalb nicht das Ende hellenischer Kultur in dieser Region, weil Tigranes 63 v. Chr. von Pompeius besiegt wurde. Syrien wurde wieder Teil der griechischen Welt, wenn auch als römische Provinz.

Game of Thrones: die Bürgerkriege der Ptolemäer Ein Drehbuchautor könnte sich auf der Suche nach Handlungssträngen für eine Fernsehserie voller familiärer Rivalitäten, Intrigen, inzestuöser Beziehungen, Mord und unwahrscheinlichster Schicksalswendungen ohne Weiteres von den letzten 150 Jahren der Ptolemäerdynastie inspirieren lassen. Der Ruhm dieses Hauses hatte seinen Höhepunkt mit zwei Geschwistern erreicht, die einander heirateten, gemeinsam regierten und als Philadelphoi, der/die „geschwisterliebende“ König und Königin, bekannt wurden: Ptolemaios II. und Arsinoë II. Königliche Beinamen wie Philopator (vaterliebend, für Ptolemaios IV., VII. und XIII. sowie für Kleopatra VII.) und Philometor (mutterliebend, für Ptolemaios VI.) evozierten das Bild einer liebevollen Familie. Die Realität sah anders aus. Ptolemaios V. war ein Kind von elf Jahren, als Antiochos III. 198 v. Chr. Koilesyrien und Phönizien eroberte. Die meiste Zeit seiner Herrschaft über wurde Südägypten von ägyptischen Rebellen unter der Führung des einheimischen Pharaos Ankmachis kontrolliert. Der berühmte Rosetta-Stein mit seiner griechischen, hieroglyphischen und demotischen Inschrift – dank ihm wurde es möglich, die Hieroglyphenschrift zu entziffern – stammt aus der Zeit, als Ptolemaios 196 v. Chr. einen Teil des Königreichs unter seine persönliche Kontrolle stellte. Er enthält ein Dekret ägyptischer Priester aus Memphis, das den 13-jährigen König aufgrund der Steuerbefreiung, die er den Tempeln verliehen hatte, mit göttlichen Ehrungen verherrlicht. Dieser Text ist ein Zeugnis für die Abhängigkeit des Königs von den traditionellen Priestertümern, und nicht für seine Macht. Es dauerte nochmals elf Jahre, bis Ptolemaios den Usurpator in Südägypten verhaften konnte, und erst 183 v. Chr. wurden die Rebellen endgültig besiegt. Seine Heirat mit Kleopatra I., „der Syrerin“, 193 v. Chr. brachte zumindest für gewisse Zeiträume Frieden mit den Seleukiden. Als Ptolemaios V. 180 v. Chr. starb, wurde Kleopatra die erste allein regierende ägyptische Königin, ihr ältester Sohn, Ptolemaios VI., war 236

Game of Thrones: die Bürgerkriege der Ptolemäer

damals erst sechs Jahre alt. Der Tod Kleopatras I. 176 v. Chr. markierte den Auftakt zu einer langen Phase von blutigen dynastischen Konflikten, Bürgerkriegen und Unruhen, die erst ein Ende fand, als sich die letzte Kleopatra (VII.) erfolgreich ihrer Brüder-Gatten Ptolemaios XIII. und XIV. entledigte (47 und 44 v. Chr.) und zur letzten Alleinherrscherin Ägyptens wurde. Nach dem Tod Kleopatras I. war der zehnjährige Ptolemaios VI. Philometor der alleinige Herrscher. Ptolemäischem Usus gemäß heiratete er seine Schwester Kleopatra II. und zeugte mit ihr vier Kinder. Er dachte wohl nicht an die Probleme, die dies für zukünftige Historiker mit sich bringen würde, als er beide Söhne Ptolemaios nannte und beide Töchter Kleopatra. Die Jungen, Ptolemaios Eupator (der mit dem guten Vater) und Ptolemaios VII. Neos Philopator (der neue vaterliebende), waren letztlich von geringer historischer Bedeutung – abgesehen von kurzen Phasen, in denen ihr Vater sie an der Regierung beteiligte – und starben jung. Von den beiden Kleopatras lässt sich das nicht sagen. Kleopatra Thea wurde Königin in Syrien und war nacheinander mit Alexander Balas, Demetrios II., Antiochos Sidetes und dann wieder mit Demetrios II. verheiratet. Und ihre Schwester Kleopatra III. übertraf alle anderen hellenistischen Königinnen mit ihren Machtkämpfen. Die Faktoren, die zu den dynastischen Krisen im ptolemäischen Ägypten beitrugen, unterscheiden sich nicht allzu sehr von denen, die wir bereits im Zusammenhang mit der dynastischen Krise der Seleukiden gesehen haben. Unerfahrene Minderjährige wurden auf den Thron gesetzt; Geschwister waren gezwungen, gemeinsam zu regieren, kämpften jedoch letzten Endes gegeneinander um die Alleinherrschaft; Königinnen – Mütter von Königen und Schwester-Gattinnen – hatten nun einen großen Anteil an den Machtkämpfen, ebenso Höflinge. Interventionen von Fremden, besonders vonseiten Roms und der Seleukiden, hatte es im 3. Jahrhundert v. Chr. nicht gegeben, jetzt aber waren sie gang und gäbe; auch das trug zur Führungskrise bei. Könige gingen jetzt, wenn sie von ihren Brüdern oder Schwestern abgesetzt worden waren, für gewöhnlich nach Rom und flehten dort um Unterstützung. Je schwächer die Autorität eines Herrschers, desto wichtiger war die Rolle der Hauptstadtbewohner – sie konnten einen König bei einem Aufstand stürzen und durch einen Verwandten ersetzen. Anders als die Seleukiden war Ägypten nicht den Einfällen ausländischer Mächte ausgesetzt – abgesehen von der Invasion Antiochos’ IV. während des Sechsten Syrischen Krieges (170–168 v. Chr.) –, seine Könige sahen sich jedoch vor lokale Probleme gestellt: Die Kontrolle zweier weit entfernter Provinzen, Kyrenaika und Zypern, gestaltete sich schwierig; in Zeiten von Bürgerkriegen wurden 237

Niedergang

sie oft von unterschiedlichen Königen regiert. Und die Könige mussten der Unzufriedenheit der einheimischen Bevölkerung mit der königlichen Verwaltung Herr werden, die sich gelegentlich zu kleineren Bauernaufständen auswuchsen – es kam des Öfteren vor, dass Bauern die Felder verließen. Zwischen 170 und 118 v. Chr. war Ägypten wiederholt Schauplatz eines Bürgerkriegs zwischen Geschwisterkönigen und -königinnen, die ausnahms­ los die Namen Ptolemaios und Kleopatra trugen. Einige ausgewählte Episoden dieser gebeutelten Jahrzehnte zeigen das Ausmaß der Krise: Da er Angst vor Anschlägen auf sein Leben hatte – ob er sich die Gefahr nun einbildete oder nicht –, griff einer der Könige dieser Zeit, Ptolemaios VIII. Physkon (der Kugelbauch), der die Kyrenaika regierte, zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass sein Bruder Ptolemaios VI. nichts zu gewinnen hätte, selbst wenn er ihn erfolgreich aus dem Weg räumte. Im Frühjahr 155 v. Chr. veröffentlichte er ein Testament, demzufolge sein Königreich im Fall seines Ablebens zum Eigentum des römischen Volkes werden sollte. Zwar wurden die Bestimmungen dieses Testaments nie erfüllt (Physkon überlebte seinen Bruder), aber es wurde zum Vorbild für drei ähnliche Nachlässe, durch die Rom letztlich die Kontrolle über das Königreich Pergamon (133 v. Chr.), über die Kyrenaika und Bithynien (74 v. Chr.) erlangte. Auch in der zweiten Episode spielt Physkon wieder eine Rolle. Als sein Bruder Ptolemaios VI. starb, übernahmen dessen Sohn Ptolemaios VII. und dessen Witwe Kleopatra II. die Herrschaft. Ermutigt von der Bevölkerung Alexandrias, die seine Rückkehr forderte, eroberte Physkon Zypern und rückte auf die Hauptstadt vor. Kleopatra II., die nur von der jüdischen Bevölkerung und den Gelehrten des Mouseions unterstützt wurde, erkannte die Ausweglosigkeit ihrer Situation und erklärte sich bereit, Physkon zu heiraten. Dieser Schritt besiegelte das Schicksal ihres Sohnes: Schon während ihrer Hochzeitsnacht wurde Ptolemaios VII. ermordet. Physkon zeigte sich unbarmherzig in seiner Rache. Er verfolgte alle, die sich in der Vergangenheit gegen ihn gestellt hatten, darunter unzählige Intellektuelle; sie wurden ins Exil geschickt – andere Zentren der Gelehrsamkeit, wie Pergamon, profitierten von diesem Exodus von Wissenschaftlern. 142 v. Chr. nahm dieses Game of Thrones eine neue dramatische Wende. Physkon verliebte sich in die Tochter seiner Frau (seine eigene Nichte), Kleopatra III., und nahm sie zu seiner zweiten Frau. Diese inzestuöse Ménageà-trois war nicht von Dauer, und die Streitereien zwischen den beiden Kleopatras führten 131 v. Chr. zu einer Teilung des Reiches. Mit der Unterstützung 238

Game of Thrones: die Bürgerkriege der Ptolemäer

der Bevölkerung von Alexandria, die den Palast in Brand steckte, gelang es Kleopatra II., den Thron für sich zu beanspruchen; Physkon floh mit Kleopatra III. und dem einzigen Sohn, den er mit Kleopatra II. gezeugt hatte, Ptolemaios Memphites, nach Zypern. Von dort sandte er seiner SchwesterGattin ein grausiges Geschenk: den Kopf, die Hände und die Füße ihres gemeinsamen Sohnes. 127 v. Chr. gewann er die Kontrolle über Ägypten zurück und Kleopatra II. ging ins Exil – sie kehrte erst 124 v. Chr. zurück, als eine Versöhnung mit ihrem Bruder und ihrer Tochter möglich wurde. 118 v. Chr. wurde eine allgemeine Amnestie verkündet; das Dokument hat die Zeiten überdauert und gibt Einblick in die tiefe Spaltung des Landes und das Ausmaß des Bürgerkriegs, an dem verschiedene Gruppen – die griechische Bevölkerung, die ägyptischen Priester, die einheimischen Bauern und die Soldaten – beteiligt waren. Als 140/139 v. Chr. römische Gesandte unter Scipio Aemilianus Ägypten besuchten, waren sie begeistert von der Fruchtbarkeit und dem Reichtum des Landes, der großen Anzahl an Städten und Siedlungen, der hohen Bevölkerungszahl, Infrastruktur und Sicherheit. 20 Jahre später konnten auch die sorgsam gewählten Formulierungen des Amnestiedekrets den Eindruck nicht verbergen, dass in Ägypten Recht und Ordnung jahrelang missachtet worden waren. Die Bauern hatten die ländlichen Gebiete verlassen und waren zu Banditen geworden; die königliche Schatzkammer zeugte noch immer von verspäteten Steuerzahlungen, wie die Tempelkassen von der Unterbrechung von Beitragszahlungen; Land war illegal besetzt worden, Häuser waren zerstört, Schutzflehende von ihren Zufluchtsstätten entfernt worden; Beamte hatten ihre Macht missbraucht; und der Infrastruktur war nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit gewidmet worden. Die dynastischen Konflikte fanden kein Ende, und am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. war das ptolemäische Königreich de facto in drei Teile gespalten: Ägypten, Kyrene und Zypern. Die Kyrenaika ging 96 v. Chr. für immer verloren, als Ptolemaios Apion die Städte in die Freiheit entließ und sein Reich dem römischen Volk vermachte. Die Römer richteten hier 74 v. Chr. eine neue Provinz ein. Ptolemaios IX. Lathyros vereinte 88 v. Chr. zeitweise, was vom Königreich noch übrig war, doch sein Tod 81 v. Chr. eröffnete das letzte Kapitel des ptolemäischen Game of Thrones.

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10 Ehrgeiz und Gier: der Osten, ein Schlachtfeld auswärtiger Ambitionen

Die Sehnsucht nach der Freiheit, Kriege zu führen Denn wenn du es einmal zulässt, dass sich die Wolken, die sich im Westen zusammenballen, auf Griechenland legen, befürchte ich wirklich, dass uns allen die Macht, über Krieg und Frieden zu entscheiden, kurz: all die Spiele, die wir jetzt miteinander spielen, in einem solchen Maße aus den Händen gerissen wird, dass wir zu den Göttern flehen werden, uns nur die Macht zu gewähren, Kriege zu führen und Frieden zu schließen, wann immer wir wollen, in einem Wort: Herr unserer eigenen Auseinandersetzungen zu sein.

Als Polybios diese Zeilen um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. schrieb (s. S. 184), wusste er, dass diese Sorgen eines ätolischen Staatsmannes Wirklichkeit geworden waren: Die wachsende Macht der Römer hatte die Griechen der Freiheit beraubt, ihre eigenen Kriege zu führen. Krieg war in den beiden Jahrhunderten nach Alexanders Tod eine allgegenwärtige Konstante gewesen. Mit der Ausnahme gelegentlicher Barbareneinfälle an den Grenzen der hellenistischen Welt waren es Kriege zwischen griechischen Staaten, Städtebünden und Königreichen gewesen. Vom späten 3. Jahrhundert v. Chr. an erlebte der „griechische Krieg“ mit den Makedonischen Kriegen allerdings eine Wesensveränderung: Jetzt waren die Römer ein Teil „all der Spiele, die die Griechen miteinander spielten“. Und um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. hatte die Errichtung direkter römischer Herrschaft in fast ganz Griechenland und in weiten Teilen Kleinasiens Kriege der Griechen untereinander unmöglich gemacht. Zu einer weiteren Wesensänderung, die Polybios niemals hätte vorhersagen können, kam es im 1. Jahrhundert v. Chr., als Griechenland und Kleinasien zum Schauplatz von Kriegen wurden, die nicht in den persönlichen Ambitionen griechischer Könige wurzelten, sondern in denen fremder Staatsmänner: Erst kam es zu 241

Ehrgeiz und Gier

Kriegen zwischen Rom und Mithridates, dem König von Pontos, dann zu Bürgerkriegen zwischen ehrgeizigen römischen Politikern. Die römische Expansion brachte eine große Anzahl italischer Händler und Handwerker (negotiatores), Italici genannt, nach Griechenland und Kleinasien. Sie nutzten die Möglichkeiten, die sich ihnen in den unterworfenen griechischen Regionen in Sachen Handel boten – mit Sklaven, Luxusprodukten und landwirtschaftlichen Erzeugnissen, besonders solchen, die man problemlos in großen Gefäßen aufbewahren und per Schiff transportieren konnte: Wein und Olivenöl. Sie beteiligten sich auch immer mehr am Bankwesen, am Handwerk und, sofern sie Land erwerben konnten, an der landwirtschaftlichen Produktion. Zwar lässt sich die Zahl der italischen Siedler im Osten nicht mit Sicherheit bestimmen, aber verschiedene Quellen, wie die Dokumente privater Vereinigungen, Grab- und Ehreninschriften, lassen keinen Zweifel daran, dass ihre Präsenz zu spüren war. Unter den Neuankömmlingen waren nicht nur Unternehmer, sondern auch Steuereintreiber (publicani). Für die Griechen Kleinasiens stellten die Tributzahlungen an Rom eindeutig einen Rückschritt dar: Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Produktion und des staatlichen Einkommens wurden an Rom abgeführt; der zu zahlende Betrag wurde nicht jährlich, sondern für fünf Jahre im Voraus festgelegt, ohne Schwankungen in der Versorgungslage zu berücksichtigen. In den Jahrzehnten nach dem Aristonikos-Krieg wurde die Provinz Asia wirtschaftlich gnadenlos ausgebeutet. Die Bevölkerung der Provinz richtete ihre Beschwerden an den römischen Senat und römische Amtsträger, als sich ihre Situation dadurch aber nicht merklich verbesserte, setzten die Griechen ihre Hoffnung auf den ehrgeizigen König eines aufstrebenden Reiches: Mithridates VI., den König von Pontos. Mithridates’ Bestreben, sein Königreich auf Kosten der Römer zu erweitern, und die Unzufriedenheit der Griechen in Kleinasien und Griechenland wurden zum Auslöser der Mithridatischen Kriege zwischen 88 und 64 v. Chr.

Pontos: vom Königreich an der Peripherie zum „internationalen“ Akteur Das an der Südostküste des Schwarzen Meeres gelegene Pontos war ursprünglich ein Teil der Satrapie von Kappadokien und wurde während der Diadochenkriege zu einer unabhängigen Region. Der erste Herrscher war ein persischer Dynast aus der Stadt Kios; er trug – wie auch seine Nachkom242

Pontos: vom Königreich an der Peripherie zum „internationalen“ Akteur

men – den Namen Mithridates. Sein Sohn Mithridates Ktistes (Gründer) ernannte sich 281 oder 280 v. Chr. selbst zum König. In den folgenden Jahrhunderten expandierte das Königreich entlang der Südost- und Ostküste des Schwarzen Meeres (s. Karten 3 und 5). Durch die Kontrolle wichtiger Häfen wie Amastris, Sinope und Trapezous und mit Verbündeten wie dem taurischen Chersonesos auf der Krimhalbinsel und Odessos im heutigen Bulgarien an seiner Seite wurde das Königreich Pontos zu einer einflussreichen Macht in der Schwarzmeerregion. Mithridates V. (150–120 v. Chr.) verbündete sich mit Rom und profitierte letztlich von seinen Loyalitätsbezeugungen, erhielt zusätzliche Territorien in Phrygien. Unter seiner Herrschaft schritt die Hellenisierung seines Reiches voran, und griechische Söldner wurden in seine Armee aufgenommen. Nachdem er unter ungeklärten Umständen ermordet worden war, wurde das Königreich von seiner Witwe Laodike regiert; sie zog ihren Sohn Mithridates Chrestos (der Rechtschaffene) seinem Bruder Mithridates Eupator (der mit dem guten Vater) vor. Der junge Prinz ging ins Exil, um 113 v. Chr. für einen Rachefeldzug zurückzukehren. Er tötete seinen Bruder, verhaftete seine Mutter und richtete sie später hin; die Politik seiner Vorgänger, die traditionell prorömisch gewesen war, änderte er von Grund auf. Anfangs expandierte er nach Osten. Durch eine Erbschaft fügte er Kleinarmenien seinem Reich hinzu, er eroberte Kolchis und gewann die Unterstützung der Griechen auf der Krim, indem er sie gegen Angriffe der Skythen verteidigte. Nachdem er sich zusätzliche Ressourcen und Truppen verschafft hatte, die Kontrolle über wichtige Handelsrouten übernommen und seine Machtposition konsolidiert hatte, expandierte Mithridates nach Kleinasien, auf Kosten der angrenzenden Königreiche. Er eroberte Paphlagonien und teilte es zwischen sich und König Nikomedes IV. von Bithynien auf. Und er verleibte Teile von Galatien seinem Reich ein. In Kappadokien arrangierte 116 v. Chr. seine Schwester, die mit dem König Ariarathes VI. verheiratet war, die Ermordung ihres Gatten; sie regierte daraufhin dessen Reich, bis Mithridates 101 v. Chr. dort seinen Sohn Ariarathes IX. auf den Thron brachte. Die Situation war gerade günstig, denn Rom war durch zwei lange Kriege geschwächt, in denen es seine Besitzungen in Norditalien und Nordafrika verteidigen musste: durch die Kriege gegen die germanischen Stämme der Kimbern und Teutonen (113–101 v. Chr.) und durch den Krieg gegen König Iugurtha in ­Numidien, dem heutigen Algerien (112–105 v. Chr.). 97 v. Chr. erhöhte sich der Druck vonseiten der Römer allerdings wieder, und Mithridates zog sich aus Kappadokien zurück, wo der Senat Ariobarzanes 243

Ehrgeiz und Gier

als König einsetzte. Doch kaum richteten die Römer ihre Aufmerksamkeit auf den Konflikt mit ihren Verbündeten in Italien, die römisches Bürgerrecht forderten, kehrte Mithridates auch schon wieder zu seiner Expansionspolitik zurück. Während sein Schwiegersohn und Verbündeter Tigranes der Große von Armenien 91 v. Chr. in Kappadokien einfiel, eroberte Mithridates Bithynien. Mit römischer Unterstützung erlangte der entmachtete König Nikomedes IV. seinen Thron jedoch wieder zurück: Obwohl die Römer immer noch den Bundesgenossenkrieg gegen ihre Verbündeten in Italien fochten, entsandten sie 90 v. Chr. eine Armee nach Asia und zwangen Tigranes zum Rückzug aus Kappadokien. Damit hatten die Konflikte zwischen diesen Königreichen an der Peripherie ihr Ende aber noch nicht erreicht. Als Nikomedes sein Territorium plünderte, ignorierte Mithridates ein römisches Ultimatum und fiel 89 v. Chr. wieder in Bithynien ein. Dabei konnte er sich auf eine große Streitkraft – angeblich 250 000 Infanteristen, 50 000 Kavalleristen und 130 Sichelwagen –, auf die Unterstützung seiner Verbündeten und auf die Unzufriedenheit der griechischen Bevölkerung Asias verlassen. Er setzte seine Hoffnung auch darauf, dass der Bundesgenossenkrieg in Italien die Römer davon abhalten würde, allzu viele Legionen in den Osten zu entsenden. So eine einmalige Gelegenheit schrie geradezu nach entschiedenem Handeln – und Mithridates war ein Mann der Tat. Was er nicht vorhersehen konnte, war, dass seine Expansion auch für ehrgeizige und machthungrige römische Feldherren eine einmalige Gelegenheit darstellte. In den folgenden 60 Jahren wurde der griechische und hellenisierte Osten zu einem Schlachtfeld, auf dem sich römische Größen Lorbeeren errangen, um zu Hause in Rom ihre Machtposition zu verbessern.

Der Erste Mithridatische Krieg und der Aufstieg Sullas Der Erste Mithridatische Krieg dauerte von 89 bis 84 v. Chr. – zeitgleich tobten in Griechenland und Kleinasien Aufstände gegen Rom und in Rom selbst der erste Bürgerkrieg. Die römischen Bürgerkriege hatten ihren Ursprung in der Konfrontation von Popularen, die auf Reformen zur Lösung sozialer Probleme drängten, die sich über Jahrzehnte aufgestaut hatten, und den konservativen Optimaten. Während Marius, ein erfahrener Feldherr und Anführer der Popularen, und Sulla, die Galionsfigur der Optimaten, noch darüber stritten, wer das Kommando im Krieg gegen Mithridates 244

Der Erste Mithridatische Krieg und der Aufstieg Sullas

übernehmen sollte, gelang es dem pontischen König, die Kontrolle über beinahe die gesamte Provinz Asia zu gewinnen. 88 v. Chr. ordnete Mithridates während seines Aufenthalts in Ephesos die Ermordung der Römer, der italischen Siedler und Unternehmer in Asia an. Etwa 80 000 Römer und Italiker wurden in einer einzigen Nacht getötet. Dieses als „Ephesische Vesper“ bekannte grauenhafte Ereignis zeigt einerseits, wie zahlreich Italiker in Kleinasien präsent waren, und andererseits den Hass, der in der unterdrückten Bevölkerung schwelte. Zu einem weiteren Massaker kam es auf Delos. Die Nachrichten vom Erfolg Mithridates’ ließen bei den Griechen die Hoffnung auf Befreiung von der römischen Herrschaft aufkeimen. Von Makedonien aus zog Mithridates’ Heer durch Thessalien nach Zentralgriechenland. Nur einige wenige Städte in Kleinasien und Rhodos, das traditionell ein Feind der mit Mithridates verbündeten Piraten war, hielten den Römern die Treue. Auch die Friedensphase in Griechenland nach der Eroberung von 146 v. Chr. hatte die Sehnsucht nach Freiheit nicht ersticken können. Die Athener begrüßten Mithridates als Befreier und Neuen Dionysos, und andere Städte taten es ihnen schnell gleich. Nach nur einem Jahr schien die römische Herrschaft im Osten der Vergangenheit anzugehören. Der zeitgenössische Historiker und Philosoph Poseidonios (ca. 135–51 v. Chr.), der damals auf Rhodos lebte und Rom als einen Garanten für Stabilität betrachtete, berichtet, wie der Philosoph Athenion die Athener dazu ermutigte, gegen die Herrschaft der Römer zu den Waffen zu greifen. Diese Beschreibung zeigt, wie Gerüchte und Übertreibungen hinsichtlich Mithridates’ Macht und Erfolg Entscheidungsprozesse beeinflussten: Lasst mich euch von Dingen erzählen, die wir uns im Traum nicht hätten vorstellen können: König Mithridates ist Herr über Bithynien und das obere Kappadokien sowie über ganz Asien bis Pamphylien und Kilikien. Die Könige der Armenier und Perser sind seine Leibwächter, ebenso die Dynasten jener Völker, die in einem Umkreis von 30 000 Stadien um den Maiotis-See und das Schwarze Meer leben. Der römische Gouverneur von Pamphylien, Quintus Oppius, hat sich ergeben und folgt ihm in Fesseln nach. Der Konsul Manius Aquillius, der einen Triumph über Sizilien feierte, wird an eine lange Kette gebunden herumgeschleift, angeführt von einem fünf Ellen großen Bastarner, der Römer zu Fuß hinter einem Barbaren zu Pferde. Die anderen Römer klammern sich an Götterstatuen oder legen ihre Togen ab und berufen sich wieder auf ihre ursprünglichen Herkunftsländer. Jede Stadt überhäuft ihn mit Ehrungen, die menschliches

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Maß übersteigen, und spricht ihn als Gottkönig an. Orakel von überall her prophezeien ihm die Herrschaft über die gesamte bewohnte Welt. Eine große Streitmacht wurde nach Thrakien und Makedonien entsandt, und alle Teile Europas sind geschlossen auf seine Seite gewechselt. Gesandtschaften nicht nur der italischen Völker, sondern auch der Karthager sind mit dem Anliegen zu ihm gekommen, ein Bündnis zur Zerstörung Roms zu schließen.

Athenions Rede liefert uns auch einen Eindruck davon, was die Athener erwarteten: Wozu rate ich euch nun? Die Anarchie nicht länger hinzunehmen, die der römische Senat uns unter dem Vorwand aufzwingt, er müsse eingehend prüfen, wie wir regiert werden sollten. Und lasst uns nicht darüber hinwegsehen, dass unsere Heiligtümer verschlossen sind, dass unsere Gymnasien verwahrlost sind, dass unser Theater nicht länger Schauplatz von Volksversammlungen ist, dass unsere Gerichtshöfe verstummt sind, und dass unsere durch Götterorakel geheiligte Pnyx dem Volk entrissen ist. Lasst uns, Bürger von Athen, auch nicht darüber hinwegsehen, dass der heilige Ruf des Iakchos zum Schweigen gebracht wurde, der ehrwürdige Schrein der beiden Göttinnen verschlossen ist und die Schulen der Philosophen verstummt sind.

Die Athener wählten Athenion, wie auch die von ihm nominierten Personen, begeistert zum General und sahen darüber hinweg, dass er seine politischen Gegner gnadenlos verfolgte. Die traditionellen politischen Strukturen in Rom waren auf die Verwaltung einer Stadt ausgelegt und nicht auf die eines Reiches; sie erwiesen sich als unzureichend, um auf solch eine Krise angemessen zu reagieren. Die Anzahl der mit imperium (militärische Befehlsgewalt) ausgestatteten Beamten war begrenzt, die Entscheidungsprozesse waren kompliziert und langwierig. Da Rom von Kriegen geschwächt und aufgrund der Notwendigkeit sozialer und politischer Reformen gespalten war, konnte es nur sehr langsam reagieren. Die beiden Hauptgegner in Rom, Marius und der damalige Konsul Sulla, konkurrierten um den Oberbefehl im Krieg gegen Mithridates, und in der Stadt kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Als Sulla das Unvorstellbare wagte und mit sechs Legionen auf Rom marschierte, und so als erster General in der Geschichte der Stadt das pomerium (die Stadtgrenze) mit einer Armee überschritt, waren Marius und seine Anhänger zur Flucht gezwungen; Sulla konnte sich den Oberbefehl sichern. 246

Der Erste Mithridatische Krieg und der Aufstieg Sullas

87 v. Chr. ging Sulla mit fünf Legionen in Epirus an Land; er konnte nicht ahnen, wie schnell sich die Lage in Rom zu seinen Ungunsten verändern würde. Während seiner Abwesenheit kehrte Marius in die Stadt zurück, verbannte ihn und wurde zum Konsul für das nächste Jahr gewählt. Als Marius kurz nach seiner Wahl verstarb, ging die Kontrolle über Rom auf seinen Anhänger Lucius Cornelius Cinna über – und dieser arbeitete darauf hin, Sulla von seinem Mandat zu entbinden. Sullas Aufmerksamkeit war jedoch auf den Feind des römischen Volkes und dessen griechische Unterstützer gerichtet. Er marschierte durch Böotien nach Athen und belagerte die Stadt. Etwa ein Jahr lang verteidigten die Athener ihre Stadt, bis sie durch einen Mangel an Nahrungsmitteln und Streitkräften dazu gezwungen waren, mit ihm zu verhandeln. Plutarchs Bericht über die kurzen Verhandlungen kann als Kommentar zu dem Gegensatz zwischen ruhmvoller Vergangenheit und jämmerlicher Gegenwart, sowie zwischen traditioneller athenischer Rhetorik und dem Pragmatismus eines römischen Generals gelesen werden: Als die Gesandten keine Forderungen über die Rettung der Stadt vorbrachten, sondern feierlich über Theseus, Eumolpos und die Perserkriege sprachen, sagte Sulla zu ihnen: „Geht fort, ihr Glückseligen, und nehmt diese Reden mit; denn ich wurde nicht von den Römern nach Athen gesandt, um meinen Bildungshunger zu stillen, sondern um Aufständische niederzuschlagen.

Athen kapitulierte im März 86 v. Chr., was die Stadt allerdings nicht vor brutaler Plünderung bewahrte. In der Zwischenzeit hatten Sullas Feinde in Rom eine Armee unter Lucius Valerius Flaccus und Gaius Flavius Fimbria entsandt, um ihn von seinem Oberbefehl zu entbinden. Doch als die Armee in Griechenland ankam, liefen viele von Flaccus’ Soldaten zu Sulla über, und der scharfsinnige General bezwang Mithridates’ Truppen zuerst in Chaironeia und dann in Orchomenos. Während die restlichen Soldaten dieser zweiten römischen Armee in Nordgriechenland gegen die pontischen Truppen vorgingen und dann nach Kleinasien zogen, übernahm Sulla die Kontrolle in Griechenland, zerstörte die Städte, die sich den römischen Streitkräften entgegengestellt hatten, und besetzte die ägäischen Inseln. Auch in Kleinasien brach Mithridates’ Macht zusammen. Obwohl die ­römische Führungsriege gespalten war – Fimbria rebellierte gegen Flaccus, Flaccus wurde gefangen gesetzt und hingerichtet –, hatten Mithridates’ Truppen den vorrückenden römischen Legionen nichts entgegenzusetzen. Den Griechen dämmerte es langsam, dass sie die Herrschaft der Römer gegen 247

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die eines orientalischen Despoten eingetauscht hatten, der keinerlei Interesse daran hatte, ihre Traditionen städtischer Autonomie zu respektieren. Die Einwohner von Chios schienen dem König aufgrund ihres starken prorömischen Lagers verdächtig; sie wurden daher zuerst dazu gezwungen, ihre Waffen abzugeben und die Kinder der einflussreichsten Familien als Geiseln zu stellen, dann zu einer Strafzahlung verurteilt und schließlich gefangen gesetzt und nach Pontos gebracht. Als die Grausamkeit seines Generals Zenobios in anderen Städten bekannt wurde, verlor Mithridates so gut wie alle seine Verbündeten. Auf die Abtrünnigkeit seiner Verbündeten reagierte er mit einem alten Populistentrick. Er stiftete das Volk zu Aufständen gegen die herrschenden Eliten an, indem er den Besitzlosen Land, den Verschuldeten Schuldentilgung und den Sklaven Freiheit in Aussicht stellte. Mit diesen Versprechungen konnte sich Mithridates zwar ein bisschen Zeit erkaufen, da er aber an zwei Fronten angegriffen wurde, sah er ein, dass Verhandlungen seine beste Option waren. Auch Sulla war nur allzu bereit, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, um sich seinen Gegnern in Rom widmen zu können. Aus diesem Grund stimmte der römische General 85 v. Chr. einem Treffen mit Mithridates in Dardanos zu und bot ihm verhältnismäßig milde Friedensbedingungen an. Dass Mithridates aus all den Gebieten abziehen sollte, die er seit 88 v. Chr. erobert hatte, war keineswegs eine harte Forderung – Fimbria hatte diese Gebiete ohnehin schon zurückerobert. Mithridates stimmte auch zu, eine Flotte und Gelder für Sulla bereitzustellen, und im Gegenzug dafür wurde ihm gestattet, sein Königreich zu behalten, und er wurde unter die „Freunde des römischen Volkes“ aufgenommen. Sulla hatte nun freie Hand, um sich seinen Feinden in Kleinasien zu widmen, und er tat dies mit einer Schonungslosigkeit, die auf die Massaker ­vorausdeutete, die einige Jahre später in Rom stattfinden sollten. Er griff ­Fimbria in seinem Heerlager an, was dazu führte, dass dessen Soldaten desertierten und Fimbria sich das Leben nahm; zur Belohnung ließ Sulla seine Veteranen die abtrünnigen Städte Asias plündern; die Griechen bestrafte er für ihr Abfallen, indem er ihnen hohe Strafzahlungen auferlegte. Die Unterstützer Roms wurden mit Privilegien entschädigt, und Rhodos erhielt Gebiete in Karien. Daraufhin kehrte Sulla nach Rom zurück, wo es 84 v. Chr. zu einem unerwarteten Machtvakuum gekommen war: Während eines schlecht organisierten Feldzugs nach Illyrien war der Konsul Cinna von seinen eigenen Soldaten zu Tode gesteinigt worden. Sulla kam 83 v. Chr. in Italien an und eroberte Rom im November 82 v. Chr. nach einem blutigen Bürgerkrieg. Im Jahr 81 v. Chr. wurde er vom 248

Der Zweite und Dritte Mithridatische Krieg und lukullische Ambitionen

Senat zum dictator ernannt, „um Gesetze zu erlassen und die Verfassung festzulegen“, woraufhin er Reformen einleitete, die die römische Provinzialverwaltung grundlegend veränderten (s. S. 313). Nachdem er ein Jahr lang als ­Konsul gedient hatte, zog er sich 79 v. Chr. von seinen Ämtern zurück; ein Jahr später starb er. Zuvor hatte er noch seine Memoiren vollendet – nur einige wenige Zitate daraus sind erhalten.

Der Zweite und Dritte Mithridatische Krieg und lukullische Ambitionen Der Frieden von Dardanos hielt nicht lange. 83 v. Chr. brach ein neuer Krieg aus, der Zweite Mithridatische Krieg: Sullas Stellvertreter Lucius Licinius Murena fiel in Pontos ein, unter dem Vorwand, Mithridates würde den Friedensvertrag verletzen und eine neue Armee zur Invasion Kleinasiens aufstellen. Murena wurde von Mithridates besiegt und der Krieg 81 v. Chr. auf Befehl Sullas beendet. Doch Murenas Verdacht, dass Mithridates seine Expansionsgelüste in Dardanos keineswegs begraben hatte, sollte sich einige Jahre später als begründet erweisen. Nikomedes IV., König von Bithynien, starb 74 v. Chr. und vermachte sein Reich den Römern. Der Senat erkannte das Testament an und errichtete eine weitere Provinz in Kleinasien: Bithynia. Jetzt sah Mithridates eine Gelegenheit, seine Gebietsverluste wiedergutzumachen, und besetzte 73 v. Chr. Bithynia; die lokale Bevölkerung empfing ihn freudig – sie zog seine Herrschaft der Ausbeutung durch die römischen publicani vor. Lucius Licinius Lucullus, ein römischer Adliger, der bereits unter Sulla im Osten gedient hatte, erhielt den Oberbefehl im Krieg gegen Mithridates. Berühmtheit erlangte er letzten Endes durch seine Dinnerpartys und nicht so sehr durch seine militärischen Taten, die in der Frühphase des Dritten Mithridatischen Krieges allerdings durchaus verdienstvoll waren. Innerhalb von drei Jahren gelang es ihm, nicht nur Bithynia zurückzugewinnen, sondern sogar Mithridates’ Königreich Pontos zu erobern. Der besiegte König fand 70 v. Chr. bei Tigranes Zuflucht, dem König von Armenien und mächtigsten Herrscher im Osten. In dieser Zeit war Roms Außenpolitik eng mit den persönlichen politischen Interessen römischer Aristokraten verknüpft, mit deren Wettstreit um Oberbefehle und ihrem Zwang, ihren Soldaten Kriegsbeute und ihren Veteranen Land bieten zu können. Die römische Expansion hatte auch die 249

Ehrgeiz und Gier

Schwachpunkte der politischen Institutionen der Römer zutage treten lassen. Lucullus’ Verhalten im Osten nach seinen Siegen kann mit diesen internen römischen Konflikten erklärt werden. Seine Aufgabe war mit Mithridates’ Niederlage erfüllt, sein Ehrgeiz war jedoch noch nicht befriedigt. Lucullus musste weiterhin den Befehl über Legionen innehaben. Das war von entscheidender Bedeutung in einer Zeit, als andere römische Staatsmänner militärische Oberbefehle in einer Reihe miteinander verbundener Kriege erhielten, die für das Fortbestehen der römischen Herrschaft essenziell waren: Gnaeus Pompeius, später bekannt als Pompeius der Große, wurde als Sieger über den abtrünnigen Statthalter von Spanien, Sertorius, gefeiert, der eine Revolte der unterdrückten Bevölkerung gegen Rom angeführt und einen unabhängigen Staat gegründet hatte, der von 83 v. Chr. bis zu Sertorius’ Ermordung 72 v. Chr. Bestand hatte. Näher an Rom, in Italien, hatte Marcus Licinius Crassus den Sklavenaufstand des Spartakus niedergeschlagen, der die italischen Städte und ihr Umland von 73 bis 70 v. Chr. in Schrecken versetzt hatte. Und 74 v. Chr. war Marcus Antonius – dem Vater des berühmteren Marcus Antonius – der Oberbefehl im Kampf gegen die Piraten übertragen worden, deren Überfälle auf Handelsschiffe den Verkehr im östlichen Mittelmeer zu einem zunehmend gefährlichen Unterfangen gemacht hatten. All diese Feinde der römischen Ordnung – Mithridates, Sertorius, die Sklaven und die Piraten – waren miteinander vernetzt. Sie arbeiteten bisweilen enger zusammen in ihrem Kampf gegen Rom als die römischen Feldherren, die sie besiegen sollten. Um seinen Oberbefehl zu verlängern, setzte Lucullus die Offensive gegen Tigranes unter dem Vorwand fort, dass sich der armenische König weigere, Mithridates auszuliefern. Doch neben seinem Ehrgeiz gab es für Lucullus auch weitere Gründe, den Krieg fortzuführen. Wenn sich die römischen ­A nführer vor Augen führten, wie sich Mithridates in der Vergangenheit verhalten hatte, mussten sie sich darüber im Klaren sein, dass ihre Besitztümer im Osten nicht sicher waren, solange der König am Leben war; und jeder vorausschauende Staatsmann hätte die Gefahren erkannt, die von einem erstarkten armenischen Königreich ausgingen, das sich unter Tigranes dem Großen Mesopotamien, Kilikien und einen Großteil Nordsyriens einverleibt und so die Nachfolge des Seleukidenreichs als stärkste Macht im Nahen und Mittleren Osten angetreten hatte. 70 v. Chr. errang Lucullus einen bedeutenden Sieg in der Nähe von Tigranokerta, Tigranes’ Hauptstadt, konnte Tigranes und Mithridates aber nicht gefangen setzen. Geblendet von diesem Erfolg, führte er seinen Feldzug in 250

Die Piratenkriege und der Aufstieg des Pompeius

Regionen fort, in die noch kein römisches Heer jemals einen Fuß gesetzt hatte, kam so dem Herrschaftsgebiet der Parther nahe und erschwerte eine angemessene Versorgung seiner Armee mit Nachschub. Darüber hinaus zog er sich, weil er die Provinzbevölkerung milder besteuerte, die Feindschaft der publicani und des römischen Ritterstandes zu, und durch seinen Erfolg den Neid der anderen nobiles. 69 v. Chr. entband ihn der römische Senat von seinem Oberbefehl in der Provinz Asia und später auch von dem in Cilicia. Im Jahr 67 v. Chr. musste Lucullus seinen Feldzug in Armenien wegen einer Revolte in seinem Heer unterbrechen. Tigranes gewann sein Königreich zurück und Mithridates konnte einen Teil seines alten Reiches in Pontos zurückerobern. Damit hatte Lucullus die Römer nach sechs Jahren ununterbrochenen Krieges genau an dessen Ausgangspunkt zurückgebracht. Zu einer Veränderung in der römischen Führungsriege kam es, als Pompeius zum obersten Befehlshaber im Mittelmeerraum ernannt wurde. Dies stellte einen Wendepunkt dar, nicht nur in der römischen Expansions­ geschichte, sondern auch auf Roms langem Weg von der Republik hin zur ­Monarchie.

Die Piratenkriege und der Aufstieg des Pompeius Weil Mithridates mit Gemeinwesen kooperierte, die sich ihren Lebensunterhalt traditionell durch Raubzüge zu Schiff verdienten, insbesondere mit den Kretern und Kilikiern, war der Dritte Mithridatische Krieg von Anfang an eng mit den römischen Piratenkriegen verbunden. Im antiken Mittelmeerraum war es ein äußerst schmaler Grat zwischen maritimen Streifzügen zur Erlangung von Beute, was die Römer als Piraterie bezeichneten, und „normalem“ Kriegswesen – falls sich beides überhaupt trennen ließ. Viele Gemeinwesen ahndeten erlittenes Unrecht durch Vergeltungsmaßnahmen gegen das andere Gemeinwesen, unternahmen Raubzüge oder beschlagnahmten Besitz. Überfälle wurden auch von Freibeutern organisiert, die die chaotischen Zustände während eines Krieges ausnutzten und im Gefolge eines Heeres dessen Operationen durch Angriffe auf Schiffe und Küstensiedlungen unterstützten. In bestimmten Regionen, wie Illyrien, Ätolien, Kreta und Kilikien, wurden Raubzüge regelmäßig gegen all diejenigen ausgeführt, die nicht durch einen Unantastbarkeitsvertrag (asylia) gesichert waren. Beute wurde – ähnlich wie Eroberung – als legitimer ­Profit betrachtet, der sich aus militärischer Überlegenheit ergab und mit 251

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göttlicher Unterstützung erlangt wurde. Der Profit aus Piraterie und Raubzügen bestand in erster Linie aus Wertgegenständen und Gefangenen, die als Sklaven verkauft oder von ihren Familien oder ihrer Stadt freigekauft wurden. Nach einem Raubzug verwandelten sich die Piraten alsbald in Kaufleute, steuerten den nächstgelegenen größeren Hafen an oder kehrten nach Hause zurück, um ihre Beute zu Geld zu machen. Das Sprichwort „Die drei schlimmsten Kappas sind Kappadokien, Kreta und Kilikien“ hat seinen Ursprung in der zweifelhaften Berühmtheit der Einwohner dieser Regionen als Piraten und Banditen. Im späten 2. und frühen 1. Jahrhundert v. Chr. stellten die häufigen Piratenüberfälle eine veritable Gefahr für die Schiffsrouten zwischen Italien und den Märkten, Getreidelieferanten und Rohstoffquellen in Nordafrika, Griechenland, Kleinasien und dem Nahen Osten dar. Dass die Piraterie zunahm, hatte verschiedene Ursachen: den Niedergang von Rhodos als militärischer Macht – sie hatte zuvor zur Sicherheit im östlichen Mittelmeerraum beigetragen; die Kooperation zwischen Mithridates und den Piraten; die Tatsache, dass die Kreter in der Intensivierung der Piraterie einen Ausgleich dafür finden mussten, dass sie nicht mehr als Söldner in den königlichen Armeen beschäftigt wurden; und vermutlich lag ein Grund auch in einem erhöhten Bedarf an Sklaven für Landwirtschaft und Handwerk – auf Delos konnten angeblich bis zu 10 000 Sklaven an einem einzigen Tag verkauft werden, und viele dieser Menschen waren Opfer von Piraten. Rom läutete seine erste Kampagne gegen die Piraten 74 v. Chr. ein. Der Prätor Marcus Antonius wurde mit dem Auftrag betraut, das Meer von den Piraten zu säubern. Diese Kampagne war ein voller Misserfolg, und dass sich die Römer die Ressourcen für ihren Krieg bei der Provinzbevölkerung holten, ließ die Griechen nur noch unzufriedener werden mit der römischen Herrschaft. Marcus Antonius verstarb 71 v. Chr. auf Kreta, ohne irgendetwas erreicht zu haben. Er erhielt den Spitznamen Creticus, allerdings nicht als Ehrennamen, etwa weil er die Kreter besiegt hätte (Bezwinger der Kreter), sondern als ironisches Andenken an sein Scheitern (Creticus kann auch „Kreide-Mann“ bedeuten). Nichtsdestotrotz waren die Römer fest entschlossen, des Piratenproblems Herr zu werden. Als eine Abordnung des Kretischen Bundes 70 v. Chr. in Rom erschien, um die Bedingungen eines Friedensvertrags auszuhandeln, forderte der Senat die Zahlung des enormen Betrags von 4000 Talenten, die Auslieferung ihrer Kriegsschiffe an Rom und die Übergabe von 300 Geiseln, inklusive ihrer militärischen Führer. Die Kreter waren gespalten: Die älteren Bürger 252

Die Piratenkriege und der Aufstieg des Pompeius

waren geneigt, auf diese Forderungen einzugehen, aber die jungen Männer, die seit frühester Kindheit auf Kampf und Beuteerwerb getrimmt worden waren, setzten sich letztlich durch. Und so kämpften 24 000 junge Kreter unter der Führung von Lasthenes von Knossos und Panares von Kydonia von 69 bis 67 v. Chr. gegen die Römer. Quintus Caecilius Metellus hatte den Oberbefehl über die römischen Streitkräfte; er überrannte die Insel von Westen nach Osten, belohnte alle, die zur Kollaboration bereit waren, machte Piratenfestungen, wie den Hafen von Phalasarna, dem Erdboden gleich und fügte Städten wie Eleutherna und Knossos immensen Schaden zu. Am Ende dieses Krieges war ein soziales und politisches System abgeschafft, das seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. Bestand gehabt hatte, und in einer ersten Welle wanderten römische und italische Unternehmer nach Kreta ein. 67 v. Chr., bevor der Kretische Krieg zu Ende war, wurden Pompeius weitreichende Vollmachten für einen Vernichtungskrieg gegen die Piraten übertragen. Die lex Gabinia, das Gesetz, das den Umfang dieser außergewöhn­ lichen Befugnisse beschrieb, sollte zum entscheidenden Wegbereiter werden für die Etablierung monarchischer Herrschaftsstrukturen vier Jahrzehnte später. Pompeius’ Befugnisse übertrafen die aller anderen römischen Feldherren (imperium maius); sie waren drei Jahre lang gültig und verliehen Pompeius die Kontrolle über Land und Meer bis zu einem Abstand von 80 Kilometern von der Küste. So ein imperium verletzte zwei grundlegende Prinzipien der römischen Verfassung: Niemand sollte ein Amt länger als ein Jahr innehaben, und jeder Beamte sollte zumindest einen Amtskollegen haben. Pompeius erhielt auch 13 Statthalter (legati bzw. Gesandte), die letztlich die Vorläufer der späteren legati Augusti pro praetore waren (s. S. 314), die Stellvertreter des Kaisers in all jenen Provinzen, in denen römische Truppen stationiert waren. Der Widerstand konservativer Kreise im Senat wurde letzten Endes durch die Unterstützung von Gaius Iulius Caesar und dem Volkstribun Aulus Gabinius überwunden, der die Erlassung des Gesetzes beantragt hatte. Pompeius und seine Statthalter begannen mit der systematischen Vernichtung der Piratenfestungen und -flotten von Westen nach Osten. Innerhalb von 40 Tagen war zwischen Spanien und Italien kein Piratenschiff mehr übrig. Dann wandte sich der Feldzug den beiden Zentren der Piraterie zu: Kreta, wo Metellus bereits tätig war, und Kilikien. Mithilfe einer Kombination aus militärischen Operationen und Verhandlungen zwang Pompeius die kilikischen Piraten, ihr traditionelles Gewerbe aufzugeben, und nur wenige Piratennester konnten sich ein weiteres Jahrzehnt lang halten. 253

Ehrgeiz und Gier

Während seines Aufenthalts in Kilikien scheint Pompeius einen Plan für die Befriedung des Ostens innerhalb der Grenzen des Römischen Reiches entwickelt zu haben. Viele Piraten siedelte er in der Stadt Soloi an, die er in Pompeiopolis umbenannte – eine folgenreiche Entscheidung, nicht nur weil Pompeius damit einen früheren Feind milde behandelte, indem er ihm eine alternative Einkommensquelle (Landwirtschaft) zur Verfügung stellte, sondern auch deshalb, weil zum ersten Mal ein römischer General der Tradition hellenistischer Könige folgte und eine Stadt gründete und nach sich selbst benannte. Nach diesem erfolgreichen Krieg, der im Winter geplant, im Frühling begonnen und im Sommer beendet worden war – wie Cicero es formulierte –, erwartete man nun von Pompeius, dort zu reüssieren, wo ­Lucullus versagt hatte. Sein Oberbefehl wurde verlängert, und ihm wurde der Krieg gegen Tigranes und Mithridates übertragen.

Pompeius’ Pläne für den römischen Osten Im Krieg gegen Tigranes folgte Pompeius dem Prinzip divide et impera. Er nahm Kontakt mit dem Königreich der Parther auf, das von Tigranes’ Expansion bedroht war, und erkannte den Euphrat als dessen Westgrenze an. Damit legte er den östlichsten Punkt für die Expansion des Römischen Reiches fest, und das sollte für die römische Politik über Jahrhunderte hinweg bestimmend sein. Während die Parther Tigranes’ Kräfte an der Ostgrenze seines Reiches banden, hatte Pompeius freie Hand im Kampf gegen Mithridates. Dessen Streitmacht wurde an einer Stelle nahe des nördlichen Laufs des Euphrats geschlagen; an dieser Stelle gründete Pompeius nun die Stadt Nikopolis (Stadt des Sieges). An zwei Fronten bedrängt, sah sich Tigranes 66 v. Chr. zur Kapitulation gezwungen; er zog sich in sein Kerngebiet in Armenien zurück und gab all seine Eroberungen den Römern preis. Mithridates gelang es, mit den Resten seines Heeres in den nördlichsten Bereich seines Reiches zu fliehen, zum kimmerischen Bosporus an der Nordostküste des Schwarzen Meeres. Doch Pompeius setzte die Verfolgung trotz des Widerstandes kaukasischer Stämme bis nach Kolchis fort. 65 v. Chr. besetzte Mithridates die Krimhalbinsel und bestieg, nachdem er seinen eigenen Sohn Machares hatte beseitigen lassen, den Thron des Bospo­ ranischen Reiches. Während er Pläne zur Invasion Italiens entlang der ­Donauroute schmiedete, musste er feststellen, dass all seine Verbündeten ihn verlassen hatten, sogar sein Sohn Pharnakes, der einen Aufstand gegen 254

Pompeius’ Pläne für den römischen Osten

ihn anführte. Der alte König wurde in Pantikapaion belagert, konnte sich aber nicht einmal mit einem Gifttrank das Leben nehmen: Über Jahre hinweg hatte er kleine Mengen verschiedener Gifte zu sich genommen und die Dosis immer weiter erhöht, bis er gegen sie immun war – diese Methode der Immunisierung wurde nach ihm als Mithridatismus bezeichnet. 63 v. Chr. ließ er sich schließlich von einem Söldner töten. Sein altes Königreich wurde Bithynia angeschlossen, wodurch die neue Provinz Bithynia et Pontos entstand. Pompeius überließ den Thron des Bosporanischen Reiches dem Sohn, der seinem Vater in den Rücken gefallen war, Pharnakes, ohne zu argwöhnen, dass dieser den Ehrgeiz seines Vaters ­geerbt haben könnte. 49 v. Chr. sollte Pharnakes die Gelegenheit nutzen, die sich ihm durch den Bürgerkrieg in Rom bot, und Kolchis sowie einen Teil von Armenien besetzen. Seine Herrschaft wäre in der Bedeutungslosigkeit versunken, wäre es 47 v. Chr. nicht zu Caesars raschem Gegenangriff gegen ihn und zu eben dem schnellen Sieg gekommen, den der römische Heerführer einem Freund mit den berühmten Worten beschrieb: „Ich kam, sah und siegte“ (Veni, vidi, vici). Nachdem Pompeius sich um Mithridates „gekümmert“ hatte, war es an der Zeit, dass er sich Syrien und dem Mittleren Osten zuwandte. Das Seleukidenreich existierte nur noch als Marionette Roms. Bis 83 v. Chr. war ein Großteil seiner Territorien dem Königreich des Tigranes einverleibt worden. Die Nachkommen der verschiedenen Linien der seleukidischen Dynastie führten die Bürgerkriege fort, die das Reich seit beinahe einem Jahrhundert spalteten; sie kontrollierten jeweils nur ganz kleine Gebiete. Nur einer von ihnen, Antiochos XIII., wurde vom römischen Senat als König anerkannt. Als dieser 63 v. Chr. auf Pompeius’ Befehl hin von einem arabischen Dynasten aus Emesa ermordet worden war, konnte der römische General westlich des Euphrat endlich klare Fronten schaffen. Rom hatte nun gemeinsame Grenzen mit dem Partherreich – und konnte sich dort keine Zonen der Gesetzlosigkeit leisten. Syrien wurde 63 v. Chr. römische Provinz. Auch die Hasmonäerherrschaft in Judäa, das von endemischen Bürgerkriegen gebeutelt war, fand ein Ende; König Aristoboulos wurde abgesetzt und durch seinen Sohn Hyrkanos II. ersetzt, dem die Titel Hohepriester und ethnarches (Führer der Nation) verliehen wurden. Judäa wurde in die Provinz Syrien integriert und zu Tributzahlungen verpflichtet. In weniger als fünf Jahren hatte Pompeius den Osten radikal umgestaltet. Er hatte die neuen Provinzen Bithynia et Pontus sowie Syria geschaffen und die Provinz Cilicia restrukturiert; er hatte dem Römischen Reich mehr 255

Ehrgeiz und Gier

­ ebiete hinzugefügt als jeder andere römische Befehlshaber vor ihm; und G er legte die Grenzen der verbleibenden Königreiche fest – die Armeniens, Kappadokiens, des Bosporanischen Reichs und des Partherreichs. Anders als frühere Expansionen scheint die pompeianische Neuordnung im Osten das Ergebnis eines kohärenten Konzepts für die Zukunft des Römischen Reiches gewesen zu sein. Gebiete wurden erobert und angegliedert oder aber Nachbarstaaten überlassen, um dem Reich eine kontinuierliche Grenze zu geben. In dieser Hinsicht kann Pompeius’ Politik als Vorgänger derjenigen des Augustus angesehen werden. Auch Städteneugründungen waren Teil dieser Konsolidierungs- und Strukturierungspolitik, wurden doch auf diese Weise frühere Feinde und Piraten nach und nach zu loyalen Reichsbewohnern gemacht. Pompeius machte aus kilikischen Piratenhäfen poleis und benannte Soloi in Pompeiopolis um. Im früheren Herrschaftsgebiet Mithridates’ VI. stellte er den alten polis-Status von Amastris, Sinope, Amisos und Phanagoreia wieder her und erhob mehrere weitere Siedlungen in den Rang von poleis: Abonou Teichos, das später in Ionopolis (die Stadt Ions) umbenannt wurde, Zela und Kabeira, das später Diopolis (die Stadt des Zeus) genannt wurde. Von größerer Tragweite war jedoch, dass Pompeius fünf völlig neue poleis zur Erinnerung an seine Siege gründete: Nikopolis (die Stadt des Sieges), Megalopolis (die Stadt von [Pompeius] dem Großen), Magnopolis (die Stadt von [Pompeius] Magnus), ein zweites Pompeiopolis und Neapolis (die neue Stadt). Die Bevölkerung von Nikopolis und Pompeiopolis in Paphlagonien bestand aus römischen Militär­ kolonisten, die der anderen poleis aus Griechen und Einheimischen. Als Pompeius 61 v. Chr. nach Rom zurückkehrte, durfte er einen Triumph feiern, der Senat empfing ihn aber eher misstrauisch als enthusiastisch. Seine Gegner stellten sich der Ratifizierung seiner im Osten getroffenen Maßnahmen und der Belohnung seiner Veteranen entgegen. Um zu erlangen, was der Senat ihm verwehrte, schloss Pompeius ein geheimes Bündnis mit zwei anderen mächtigen Männern (das sogenannte erste Triumvirat): mit Gaius Licinius Crassus, dem wohlhabendsten Mann der Stadt, der Rom vor dem Sklavenaufstand des Spartakus bewahrt hatte; und mit Gaius Iulius Caesar, Spross einer der ältesten Familien Roms, Unterstützer der Popularen und erfolgreicher Offizier im Krieg gegen Sertorius in Spanien. Was diese Männer vereinte, war ihr grenzenloser Ehrgeiz; und sie alle sahen sich dem Misstrauen ihrer Kollegen ausgesetzt, die die Konzentration der Macht in den Händen einiger weniger Individuen fürchteten. 60 v. Chr. unterstützten sie eine Gesetzgebung, die ihren unmittelbaren Interessen förderlich war – 256

Die letzten Ptolemäer: von Herrschern zu Vasallen römischer Schutzherren

Amtsberufung, militärische Oberbefehle und Land für ihre Veteranen. Ihre wortreichsten Gegner, der Redner Cicero und der konservative Politiker Cato der Jüngere, mussten ins Exil gehen; Caesar erhielt den Oberbefehl, der ihm die Eroberung Galliens von 58 bis 50 v. Chr. ermöglichte, während Crassus und Pompeius sich selbst das Konsulat von 55 v. Chr. sicherten. Dieses opportunistische Bündnis verzögerte den Ausbruch des Bürgerkriegs jedoch nur. Nachdem Crassus 53 v. Chr. in einem Krieg gegen die Parther gefallen war, war der Konflikt zwischen den beiden verbleibenden Triumvirn unvermeidlich. In Rom führten Straßenkämpfe zwischen den Popularen, den Anhängern Caesars, und den konservativen Optimaten, für die Pompeius zunehmend Sympathie zeigte, zu Anarchie sowie zur Ernennung des Pompeius zum einzigen Konsul (consul sine collega). Dies war ein direkter Bruch der Verfassung – und für Caesar eine Provokation. Nachdem jegliche Versöhnungsbemühungen gescheitert waren, wurde Marcus Antonius, Caesars Gefolgsmann in Rom, vom Senat verbannt; er floh zu Caesar in das Heerlager nahe des Flusses Rubikon, der die Grenze des Gebiets markierte, in dem Caesar rechtmäßig den militärischen Oberbefehl führte. Am 7. Januar 49 v. Chr. erklärte der Senat Caesar zum Verräter und Staatsfeind. Die Würfel waren gefallen. Drei Tage später überschritt Caesar mit seinem Heer den Rubikon und marschierte auf Rom – was Pompeius und seine Anhänger zur Flucht nach Griechenland zwang. Ein neuer Bürgerkrieg hatte begonnen, und dieses Mal war er eng mit dem einzigen noch bestehenden Königreich von Alexanders Nachfolgern verbunden: dem ptolemäischen Ägypten.

Die letzten Ptolemäer: von Herrschern zu Vasallen römischer Schutzherren Das Ptolemäerreich, das einst mächtigste Reich der hellenistischen Welt, schrumpfte durch Aufstände der einheimischen Bevölkerung, dynastische Konflikte, militärische Niederlagen und verminderte Einkünfte zu einer marginalen Macht im Südwesten des Mittelmeerraums. Als es alle seine ­e xternen Besitzungen in Kleinasien, Syrien, der Ägäis und der Kyrenaika verloren hatte, bestand es nun nur noch aus Ägypten und Zypern. Und als Ptolemaios IX. Lathyros 81 v. Chr. starb, ohne einen legitimen männlichen Erben hinterlassen zu haben, kam es zu einer neuen dynastischen Krise. Zum ersten Mal bestieg eine Frau den Thron, Lathyros’ Tochter Berenike III., die einst mit ihrem Onkel, König Ptolemaios X. Alexander, verheiratet 257

Ehrgeiz und Gier

­ ewesen, nun aber Witwe war. Berenike war bei der Bevölkerung Alexandg rias überaus beliebt, genoss aber nicht das Vertrauen des Senats. Rom konnte sich keinen Unruheherd in einem Land leisten, das ein so bedeutsamer Getreidelieferant war. Ein neuer König musste gefunden werden. Es lohnt, sich den genauen Verlauf der Ereignisse anzuschauen, da er den bemitleidenswerten Zustand eines einst großen Königreichs, die Rolle Roms und der Bevölkerung Alexandrias sowie die schonungslosen Machtkämpfe innerhalb der dysfunktionalen Familie der Ptolemäer eindrücklich vor Augen führt. Sulla „rekrutierte“ einen in Rom lebenden Sohn Ptolemaios’ X. (Beiname: Alexander) – dessen Mutter möglicherweise Berenike war – und zwang Berenike 80 v. Chr., ihres Ehemannes Sohn (bzw. eben sogar ihren eigenen) zu heiraten. Ihr neuer Gatte, Ptolemaios XI., ließ sie einige Tage später ermorden, wurde dann aber selbst von den Einwohnern Alexandrias gelyncht. Die dynastische Krise war also keineswegs beseitigt, im Gegenteil: Ptolemaios’ XI. kurze Regierungszeit hatte eine neue Krise verursacht, und sie spitzte sich noch dadurch zu, dass Ägypten seinem Testament zufolge in den Besitz Roms übergehen sollte, falls er bei seinem Tod keinen Erben haben würde. Es wurde jedoch ein Erbe gefunden: Ptolemaios IX. Lathyros hatte uneheliche Kinder, die im Exil lebten. Der älteste von ihnen wurde nun auf den Thron gesetzt und regierte als Ptolemaios XII. Er hieß „der Neue Dionysos“, war aber landläufig als Auletes (Flötist) und Nothos (der Uneheliche) bekannt. Sein geschicktester Schachzug bestand darin, 63 v. Chr. durch Bestechung als Verbündeter Roms anerkannt zu werden und so seine Herrschaft zu festigen. Dies hielt die Römer jedoch nicht davon ab, 59 v. Chr. die Annektierung Zyperns vorzunehmen. Die Insel – von großer strategischer Bedeutung für die Kontrolle des östlichen Mittelmeerraums – wurde mit Kilikien zu einer großen Provinz zusammengeschlossen. Ein Aufstand der Bevölkerung in Alexandria gegen Auletes bot seiner Frau Kleopatra Tryphaina und seiner ältesten Tochter Berenike IV. die Gelegenheit, Auletes abzusetzen, und er sah sich gezwungen, zusammen mit seiner zweiten Tochter Kleopatra nach Rom zu fliehen. In Fortführung der langen Familientradition der Zwietracht vergiftete Berenike IV. erst ihre Mutter, dann ihren Gatten, ehe sie allein regierte (57–55 v. Chr.), bis sich Gabinius, der Statthalter von Syria, durch ein immenses Bestechungsgeld überzeugen ließ, Auletes wieder in seine Rechte zu setzen. Berenike wurde auf Befehl ihres Vaters enthauptet, und 2000 römische Soldaten, die sogenannten Gabiniani, wurden in Ale­xandria zurückgelassen, um den König zu beschützen, aber auch um die ­Versorgung 258

Eine römische Affäre: Kleopatra und Caesar

Roms mit ägyptischem Getreide sicherzustellen. Während ­d ieses Feldzugs erregte angeblich ein 14-jähriges Mädchen, die zukünftige Königin Kleopatra, die Aufmerksamkeit von Marcus Antonius, damals ein 26-jähriger Kavallerieoffizier in Gabinius’ Armee. Doch sollte es noch weitere 16 Jahre dauern, bis ihre Liebesgeschichte, Stoff einer Shakespeare-Tragödie, dutzender Filme und zahlloser Gemälde, Fahrt aufnahm. Als Auletes 51 v. Chr. verstarb, hinterließ er ein ruiniertes Königreich, zwei Töchter im Jugendalter und zwei Söhne, die darum kämpfen mochten. Die älteste Tochter, die 18-jährige Kleopatra, wurde zusammen mit ihrem elfjährigen Bruder Ptolemaios XIII. auf den Thron gesetzt, und Pompeius wurde vom Senat zu ihrem Vormund ernannt. Doch Pompeius war weit entfernt, und seine Aufmerksamkeit war ganz auf die Auseinandersetzung mit Caesar gerichtet. Nur kurz nach dem Beginn des nächsten römischen Bürgerkriegs (Januar 49 v. Chr.) folgte die letzte Runde blutiger dynastischer Kämpfe in Alexandria.

Eine römische Affäre: Kleopatra und Caesar Kleopatra VII. hatte von ihren Vorgängern den Ehrgeiz geerbt, ihre Macht mit niemandem zu teilen; zudem verfügte sie über ein beeindruckendes Bildungsniveau, Kenntnisse der einheimischen Sprache und Gebräuche – und Charisma. Die auf Münzen erhaltenen Porträts lassen ihre Verführungskünste nicht erkennen (s. Abb. 13). Sie zeigen eine Frau mit einer charakteristischen langen Nase – Physiognomen des 17. Jahrhunderts zufolge ein Zeichen starken Charakters (dies veranlasste Pascal zu der Bemerkung, dass das Antlitz der Erde ein anderes wäre, wenn Kleopatras Nase kürzer gewesen wäre). Nach Jahrzehnten schwacher Könige war der Einfluss der Höflinge in Alexandria gestiegen. Wie in vielen orientalischen Monarchien gab es auch hier Eunuchen, und sie wurden nicht als Bedrohung der Dynastie gesehen, da sie ja ihrer Zeugungsfähigkeit beraubt waren. Solch ein Hofstaat war den Ambitionen eines tatkräftigen Monarchen nicht wohlgesonnen. Bald nach Beginn des römischen Bürgerkriegs entmachteten die Höflinge unter dem Einfluss des Eunuchen Potheinos Kleopatra und erklärten Ptolemaios XIII. zum alleinigen Herrscher. Kleopatra suchte Zuflucht in Syrien und stellte dort ihr eigenes Heer auf. Auch ihre jüngere Schwester, Arsinoë IV., erhob, angeleitet von einem anderen Eunuchen, Ganymedes, Anspruch auf den Thron. 259

Ehrgeiz und Gier

Der ägyptische Bürgerkrieg hatte gerade erst begonnen, als der Krieg in Rom eine dramatische Wende nahm. Caesar hatte die westlichen Provinzen und Italien unter seine Kontrolle gebracht und setzte nun seinen Kampf gegen Pompeius in Epirus fort. Im August 48 v. Chr. besiegte er Pompeius in Pharsalos in Thessalien. Die meisten Senatoren stellten sich nun auf Caesars Seite, Pompeius war jedoch immer noch der Vormund der ägyptischen Könige. Er floh unverzüglich nach Ägypten, wo er auf Unterstützung ebendieser hoffte. Doch kaum war er dort an Land gegangen, wurde er auf ­Potheinos’ Befehl hin getötet. Der Eunuch dachte, Caesar würde ihm für diese Tat dankbar sein, doch da lag er falsch. Als Caesar, zum Diktator und dann 47 v. Chr. zum Konsul gewählt, in Alexandria ankam und ihn dort keine Mitglieder des Königshauses erwarteten, sondern Potheinos, und als dieser ihm Pompeius’ Kopf und Siegelring präsentierte, da soll er Tränen vergossen haben; Caesar sah in Pompeius’ Tötung nicht eine Beseitigung eines politischen Gegners, sondern die Ermordung eines römischen Bürgers. ­ aesars Einladung hin kehrte Ptolemaios XIII. nach Alexandria zurück, Auf C nur um zu erfahren, dass seine exilierte Schwester auf der Seite des römischen Diktators stand. Die ehrgeizige Königin war in einem Teppich versteckt in Caesars Gemächer geschmuggelt worden und hatte das Herz des wettergegerbten Generals erobert. Caesars Bemühungen, die Königsfamilie wieder zu versöhnen, waren zum Scheitern verurteilt. Die unablässigen Intrigen der Eunuchen, die Machtkämpfe zwischen Ptolemaios XIII., Kleopatra und Arsinoë sowie der Ehrgeiz des Achillas, des Befehlshabers der ägyptischen Armee, führten 47 v. Chr. zu einem Aufstand in Alexandria, dem bellum Alexandrinum. Dieser Krieg war Caesars letzte große militärische Herausforderung. Er wurde im Palast belagert und sah sich einer Armee gegenüber, die der ­seinen zahlenmäßig überlegen war. Caesar erhielt jedoch Verstärkung aus Pergamon und Judäa und machte sich die Konflikte zwischen seinen Gegnern zunutze, sodass er schließlich die Aufständischen besiegen konnte. Ptolemaios XIII. ertrank bei einem Fluchtversuch; Arsinoë, die Anführerin des Aufstandes, wurde gefangen genommen und schmückte Caesars Triumphzug im Jahr darauf. Es wurde ihr gestattet, als Schutzflehende im Artemistempel von Ephesos zu leben, wo sie dann 41 v. Chr. auf Befehl Kleopatras ermordet wurde. Das größte Opfer dieses Krieges aber war die berühmte Bibliothek von Alexandria, die damals in Flammen aufging. Caesar setzte Kleopatra auf den Thron, dieses Mal jedoch zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Ptolemaios XIV. Er selbst verließ Ägypten 47 260

Der Diktator ist tot. Es lebe wer?

Abb. 13 Silbertetradrachme von Kleopatra VII. Münzstätte von Askalon, ca. 48 v. Chr. Numis­ matisches Museum Athen.

v. Chr. und kehrte nach Rom zurück, nur einige Tage bevor Kleopatra ­seinen Sohn, Ptolemaios Kaisar, oder Kaisarion (kleiner Caesar), zur Welt brachte. Vier römische Legionen wurden zurückgelassen, um die Ordnung im Osten wiederherzustellen. In den nächsten Jahren, von 47 bis 44 v. Chr., richtete Caesar seine Aufmerksamkeit auf die Herstellung von Ruhe und Ordnung in Rom, auf unter anderem politische Reformen und auf die Vorbereitung eines Feldzugs gegen die Parther. Kleopatras Entscheidung, zu ihm nach Rom zu kommen, sollte sich weder für sie noch für ihren Liebhaber als vorteilhaft erweisen. Sie ließ Argwohn hinsichtlich Caesars zukünftiger Pläne aufkommen, bot seiner Familie Grund zur Beunruhigung, seinen Feinden Anlass zu Kritik und der Bevölkerung Stoff für Klatsch und Tratsch. Gerüchten zufolge wollte Caesar Bigamie per Gesetz legalisieren lassen, nur damit er Kleopatra heiraten und seine eigene monarchische Herrschaft in Ägypten errichten konnte, mit Alexandria als zweiter Hauptstadt des Reiches. Tatsache ist, dass Caesar Kleopatra und seinen einzigen Sohn, Kaisarion, in seinem Testament mit keinem Wort erwähnte.

Der Diktator ist tot. Es lebe wer? Bei einem Fest am 15. Februar 44 v. Chr. wurde Caesar, der nun Diktator auf Lebenszeit war, vom Konsul Marcus Antonius ein Diadem angeboten, ein Symbol königlicher Herrschaft. Caesar lehnte es ab – eine Gruppe 261

Ehrgeiz und Gier

misstrauischer Senatoren ließ sich davon aber nicht täuschen. Caesar war bereits im Besitz absoluter Macht, und die förmliche Errichtung der Monarchie würde nur eine Frage der Zeit sein. Bei einer Senatsversammlung am 15. März wurde Caesar von etwa 60 Senatoren unter der Führung von Cassius und Brutus ermordet, nur wenige Tage vor dem geplanten Beginn seines Feldzugs gegen die Parther. Die Hoffnung der Mörder, dass Caesars Tod automatisch zur Wiederherstellung der Republik führen würde, waren so illusorisch wie die Erwartungen George W. Bushs, dass der Fall von Saddam Hussein ganz von selbst westliche Demokratie in den Nahen Osten bringen würde. Caesars Ermordung läutete nur eine weitere Runde der ­Bürgerkriege ein. Das Machtvakuum nach Caesars Tod hielt monatelang an. Der Senat sperrte sich gegen die Schaffung verfassungswidriger Ämter, war jedoch gleichzeitig nicht in der Lage, einer Krise diesen Ausmaßes ohne die Dienste von Männern mit außergewöhnlicher Autorität Herr zu werden. Die Position der Mörder war ambivalent. Manche feierten sie als Befreier, andere hassten sie als Mörder einer beliebten Persönlichkeit – Caesar wurde schon bald zum Gott erklärt. Die Führungsrolle innerhalb der Caesar-Anhänger war umkämpft. Der amtierende Konsul Marcus Antonius und der erfahrene Senator Marcus Aemilius Lepidus waren die naheliegenden Kandidaten. Marcus Antonius, 83 v. Chr. geboren, hatte seine Jugend mit Glücksspiel verbracht, sich unterschiedslos Männern und Frauen zu erotischen Vergnügungen angeboten, war Teil einer Straßenbande gewesen, hatte Schulden angehäuft und kurzzeitig Rhetorik und Philosophie in Athen studiert. 57 v. Chr. war er aber in die Armee eingetreten, als Kavallerieoffizier in der Provinz Syria, und hatte von da an seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt, und zwar sowohl während einer Revolte in Judäa als auch später während Caesars Gallischer Kriege. In den Jahren vor Caesars Ermordung war er dessen engster Gehilfe gewesen. Lepidus hatte 46 v. Chr. zusammen mit Caesar als Konsul gedient und war während dessen Zeit als Diktator sein militärischer Stellvertreter (magister equitum) gewesen. Caesars Testament hielt für die beiden jedoch eine Überraschung bereit: Der Diktator hatte seinen 19-jährigen Neffen Gaius Octavius adoptiert und ihn als Erben seiner immensen Reichtümer sowie seines Klientelnetzwerks eingesetzt. Unter dem Namen Gaius Iulius Octavianus trat der junge Mann nun unerwartet als primärer Kandidat für die Nachfolge Caesars auf. Caesars Testament verlieh ihm das Recht, eine Führungsrolle ­einzufordern, obwohl er noch keinerlei Erfahrung in öffentlichen Ämtern 262

Der Diktator ist tot. Es lebe wer?

gesammelt hatte. Octavian ist besser unter dem Namen Augustus bekannt, den er 17 Jahre später erhalten sollte. Nach einer Reihe gewalttätiger Auseinandersetzungen beschlossen Antonius und Octavian, ihre Streitigkeiten beizulegen und mit vereinten Kräften den wichtigsten Männern im Senat entgegenzutreten, die planten, die Republik wiederherzustellen. Sextus Pompeius, der Sohn von Pompeius dem Großen, erhielt vom Senat den Oberbefehl über die Flotte in Sizilien, und die Caesarenmörder Cassius und Brutus wurden zu Statthaltern von Macedonia und Syria ernannt. Durch diese Ernennungen war die gesamte östliche Hälfte des Reiches in den Händen der Feinde Antonius’ und Octavians. Am 27. November 43 v. Chr. bildeten Antonius, Lepidus und Octavian, der Rom mit Gewalt eingenommen und sich selbst zum Konsul ernannt hatte, ein gesetzlich legitimiertes Triumvirat. Es erhielt den euphemistischen Namen „Triumvirat zur Widerherstellung der Republik“, aber das einzige Ziel der Triumvirn war die Vereinigung des Reiches unter ihrer eigenen Herrschaft. Nach einem Massaker an ihren Gegnern in Rom zwischen Dezember 43 und Januar 42 v. Chr. waren Antonius und Octavian bereit für ihren Feldzug in Makedonien und Thrakien, wo die „Befreier“ in Vorbereitung auf den Krieg Städte plünderten. In zwei Schlachten bei Philippi im Oktober 42 v. Chr. besiegten Octavian und Antonius die „Befreier“, die daraufhin Selbstmord begingen; ihre Armeen kapitulierten. Die siegreichen Triumvirn teilten das Reich unter sich auf: Antonius erhielt Gallien – das er jedoch 40 v. Chr. Octavian überließ –, alle östlichen Provinzen sowie die Aufgabe, einen Feldzug gegen die Parther anzuführen, die Cassius und Brutus unterstützt hatten; Lepidus erhielt Nordafrika; Octavian kontrollierte Spanien und Gallien; Italien stand unter ihrer gemeinsamen Führung. Sextus Pompeius erwies sich als schwierigerer Gegner, als Cassius und Brutus es gewesen waren. Sein Widerstand hielt bis 39 v. Chr. an. Erst als die Parther unter der Führung des abtrünnigen römischen Generals Labienus in Syrien einfielen und beinahe alle Städte Kleinasiens eroberten, schloss Sextus Pompeius um Roms willen einen Frieden mit Octavian. Als dann die Parther 39 v. Chr. aus den römischen Gebieten vertrieben waren, begann der Krieg mit Sextus aber wieder. Octavian erlitt wiederholt Niederlagen, bis schließlich Octavians Freund Marcus Vipsianus Agrippa 36 v. Chr. einen entscheidenden Sieg errang. Sextus wurde in Kleinasien gefangen genommen und 35 v. Chr. ohne Prozess hingerichtet. 36 v. Chr. wurde dann Lepidus von Octavian entmachtet. Der Weg war bereitet für den finalen Entscheidungskampf der beiden übrigen Triumvirn. 263

Ehrgeiz und Gier

Die letzte hellenistische Tragödie: Antonius und Kleopatra Nach Caesars Ermordung hatte Kleopatra keine andere Wahl als in ihr Königreich zurückzukehren. Dort ließ sie ihren Bruder-Gatten Ptolemaios XIV. beseitigen und machte Kaisarion unter dem Namen Ptolemaios XV. zu ihrem Mitregenten. Während sich ihre Flotte an der Seite der Triumvirn am Krieg gegen Brutus und Cassius beteiligte, unterzog Kleopatra das, was von ihrem Königreich übriggeblieben war, einer Neuordnung. Anders als ihre unmittelbaren Vorgänger, die in erster Linie Könige von Alexandria gewesen waren, verstand sich Kleopatra als Königin von Ägypten. Sie war das erste Mitglied der Ptolemäerdynastie, das die Sprache der Einheimischen beherrschte; sie förderte die lokalen Kulte; und sie konnte auf die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung bauen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass einer ihrer Ehrentitel „Philopatris“ (vaterlandsliebend) war. Während die Ehrentitel ihrer Vorgänger die Zuneigung zu anderen Familienmitgliedern hervorhoben, bezeugte Kleopatra mit ihrem Beinamen ihre Zuneigung zu einem Königreich, das sie als ihr Vaterland betrachtete. In einer Zeit, als die parthische Bedrohung jenseits des Euphrats wieder aufkeimte und Klientelkönige in den Randgebieten des Reiches die Abwesenheit römischer Herrschaft wahrzunehmen und Hoffnungen auf Expansion zu hegen begannen, saß auf dem Ptolemäerthron mit ihr wieder eine starke Persönlichkeit. Die Zuweisung der östlichen Gebiete an Marcus Antonius beinhaltete auch die Aufgabe, die parthische Expansion aufzuhalten und die Loyalität der zahlreichen Klientelkönigreiche und -staaten in Anatolien und dem Mittleren Osten zu festigen. Daher wurde Ägypten eine bedeutende strategische Rolle zuteil. Von 42 bis 41 v. Chr. hielt sich Antonius in Griechenland und Kleinasien auf, schloss Freundschaft mit Griechen, belohnte Städte, die sich den „Befreiern“ entgegengestellt hatten, begnadigte exilierte römische Senatoren, installierte Freunde als Statthalter, trieb Steuern ein und übte Einfluss aus auf die dynastischen Angelegenheiten von Klientelkönigreichen. 41 v. Chr. beschloss er schließlich, sich mit Ägypten zu befassen. Die Königin nahm seine Einladung an, ihn im kilikischen Tarsos zu treffen. Sie war sich der Macht der Bilder und einer theatralischen Inszenierung wohl bewusst und bereitete dem hartgesottenen römischen Soldaten, den sie als leichte Beute sah, ein besonderes Schauspiel. Sie segelte den Fluss Kydnos in einer Barke mit vergoldetem Heck hinauf, die purpurnen Segel gebläht, die silbernen Ruder wurden zum harmoni-

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Die letzte hellenistische Tragödie: Antonius und Kleopatra

schen Klang von Flöten, Schalmeien und Leiern geschlagen. Sie selbst ruhte geschmückt wie eine gemalte Aphrodite unter einem golddurchwirkten Baldachin, und Jünglinge, die Eroten auf einem Gemälde glichen, standen ihr zu beiden Seiten und fächelten ihr zu. Ebenso standen die schönsten ihrer Mägde mit den Gewändern von Nereiden und Grazien angetan an der Ruderpinne oder am Vorsegel. Wundersame Düfte aus zahlreichen Weihrauchgefäßen strömten über die Ufer des Flusses.

Zwei Abendessen später – eines in Kleopatras extravagantem Zelt, eines ein karges Mahl, wie es für römische Soldaten typisch war – hatte sich Marcus Antonius den Reizen der 28-jährigen Königin ergeben. Allen Quellen zufolge war es nicht ihre körperliche Schönheit, sondern ihre starke Persönlichkeit, vor der er kapitulierte. Durch die wachsenden Spannungen zwischen den Triumvirn wurde der bereits von Caesar geplante Krieg gegen die Parther für Antonius zur obersten Priorität. Ein Sieg im Osten würde es ihm ermöglichen, die Kontrolle über das restliche Reich zu übernehmen. Ein erfolgreicher Feldzug setzte jedoch Ressourcen voraus, wie sie nur Ägypten in ausreichendem Maß hatte. Daher bestimmten möglicherweise nicht nur Kleopatras Reize, sondern auch politisches Kalkül Antonius’ Entscheidung, sein Schicksal mit dem ihren zu verbinden. In den Jahren 37 und 36 v. Chr. setzte Antonius seine territoriale Neugestaltung fort und machte damit Pompeius’ Vision für den römischen Osten zunichte. Nur drei römische Provinzen blieben unangetastet: Asia, Bithynia et Pontus und Syria. Die anderen Provinzen wurden zu Klientelkönigreichen, auf deren Throne Antonius loyale Freunde platzierte. Judäa wurde wieder zu einem Königreich, doch unter einer neuen Dynastie, an deren Anfang Herodes stand. Der große Gewinner dieser Restrukturierung war aber Kleopatra: Sie gewann nicht nur Zypern und die Kyrenaika zurück, sondern auch die Insel Kreta; und sie erhielt neue Gebiete im Nahen Osten (das Hinterland von Kilikien, Teile des Nabatäerreichs und das Königreich Chalkis in Syrien). Kleopatras Reich war damit so groß, wie es seit dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr gewesen war. Octavians Propaganda interpretierte diese Maßnahmen als das Ergebnis des schlechten Einflusses einer ägyptischen Verführerin, die einen römischen Soldaten zum Verrat angestiftet habe. Wir sollten aber auch die Vorteile in Betracht ziehen, die diese Neuordnung mit sich brachte: Rom verlor keinerlei Einkünfte, da Asia und Bithynia weiterhin tributpflichtig waren, gleichzeitig entband Antonius das Reich von der Verwaltung gebirgiger und unterentwickelter Regionen und überließ deren schwierige Kontrolle loyalen 265

Ehrgeiz und Gier

Klientelkönigen, die seinen Feldzug unterstützen würden. Indem er Provinzen auflöste, konnte Antonius die dort stationierten Legionen für seinen Krieg nutzen; und durch seine Erweiterung Ägyptens vergrößerte er nicht nur irgendein weiteres Klientelkönigreich – dieses Reich würde ihm künftig als Stützpunkt für sein persönliches autokratisches Regime dienen. Als Antonius sich 36 v. Chr. zur Kriegsvorbereitung in Antiochia aufhielt, sah er zum ersten Mal die Zwillinge, die ihm Kleopatra drei Jahre zuvor geboren hatte. Ihre Namen, Alexander Helios (die Sonne) und Kleopatra Selene (der Mond), waren nicht nur für die griechische Welt und für Ägypten von symbolischer Bedeutung, sondern auch für den neuen Feind, denn der Partherkönig führte den Titel „Bruder der Sonne und des Mondes“. Der Krieg begann noch im selben Jahr; Antonius’ Feldzug in Armenien wurde allerdings kein großer Erfolg. Octavian hätte ihm 20 000 Soldaten zur Verfügung stellen sollen, sandte aber nur 2000. Octavians Propaganda in Rom kritisierte Antonius als einen Verräter, der seiner ägyptischen Konkubine römische Besitzungen zum Geschenk gemacht hatte, obwohl er doch eigentlich mit Octavians Schwester Octavia verheiratet war. Nach der Rückkehr von seinem Armenienfeldzug kam Antonius zu der Überzeugung, dass eine Verständigung mit Octavian ausgeschlossen und ein Krieg unvermeidbar war. Sulla, Pompeius und Caesar hatten alle bereits mit verschiedenen Formen einer konkurrenzlosen persönlichen Machtposition experimentiert: Sulla als „Diktator zur Erlassung von Gesetzen und Regelung der öffentlichen Angelegenheiten“ über einen Zeitraum hinweg, der die verfassungskonformen sechs Monate überschritt, Caesar in der verfassungswidrigen Position eines zeitlich nicht begrenzten Diktators, und Pompeius mit einer Reihe von Sondervollmachten. Antonius’ neuer Plan hingegen war direkter: monarchische Herrschaft in einem Reich im Osten mit Alexandria als Hauptstadt. Aus Armenien zurückgekehrt, feierte er in Alexandria einen Triumph und ernannte dann Kleopatra und Kaisarion zu Königin und König aller Könige. Seine eigenen drei Kinder sollten über kleinere Königreiche herrschen: Alexander Helios über Armenien und alle Gebiete östlich des Euphrats (das heißt das Partherreich); Ptolemaios Philadelphos über die Gebiete westlich des Euphrats, Syrien und Kilikien; und Kleopatra Selene über Libyen und die Kyrenaika. … und die Alexandriner drängten zu dem Fest voller Begeisterung und jubelten ihnen zu auf Griechisch und Ägyptisch und einige auf Hebräisch, bezaubert von diesem wundervollen Spektakel –

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Die letzte hellenistische Tragödie: Antonius und Kleopatra

sie wussten aber natürlich, was all dies wert war, welch leere Worte sie in Wirklichkeit waren, diese Königtümer. (K. Kavafis, „Alexandrinische Könige“, 1912)

Diese „alexandrinischen Schenkungen“ besiegelten Antonius’ Bruch mit Rom. Das Triumvirat, das Ende 33 v. Chr. aufgelöst worden war, wurde nicht erneuert, und der Senat erklärte Antonius, nach zwei Jahren propagandistischer Agitation gegen ihn in Rom, 31 v. Chr. zum Staatsfeind. So begann der letzte Bürgerkrieg der Republik. Octavians größter Trumpf war sein General Agrippa. Dieser eroberte einen wichtigen Hafen in Griechenland, Methone, und schlug dann am 2. September 31 v. Chr. die Flotte Antonius’ und Kleopatras bei Actium vernichtend. Besiegt und verzweifelt floh Antonius nach Ägypten, aber im August 30 v. Chr. marschierten Octavians Truppen dort ein. Als Antonius realisierte, dass Widerstand zwecklos war, nahm er sich das Leben. Einige Tage später kam Octavian nach Alexandria und setzte Kleopatra gefangen. Als sie die Begräbniszeremonie für Antonius abgehalten hatte, beging auch sie Selbstmord, da sie nicht als Beutestück in Octavians Triumphzug mitgeführt werden wollte; angeblich ließ sie sich von einer Viper in den Arm oder die Brust beißen. Das ägyptische Königreich wurde aufgelöst, und sein Territorium ging in die persönliche Kontrolle Octavians und später der Kaiser über. Von Kleopatras vier Kindern wurde Kaisarion, der einzige leibliche Sohn Caesars, von Octavian, Caesars Adoptivsohn, aus dem Weg geräumt – den Ratschlag seines Lehrers, des stoischen Philosophen Areios Didymos, konnte dieser nicht einfach ignorieren: „Es ist nicht gut, viele Caesars zu haben.“ Die drei Kinder des Antonius aber wurden verschont. Sie wurden nach Rom gebracht und in Octavians Triumphzug mitgeführt. Anstatt der Diademe oder der Königsherrschaft, die ihr Vater für sie vorgesehen hatte, trugen sie goldene Ketten, die so schwer waren, dass sie kaum gehen konnten – die Zuschauer bekamen bei diesem Anblick Mitleid. Kleopatra Selene wurde später mit König Juba in Numidien verheiratet. Vom Schicksal ihrer Brüder ist nichts bekannt; vermutlich starben sie jung in Rom. Ob Antonius, der „der Neue Dionysos“ genannt wurde, in seiner letzten Nacht wirklich den Lärm und die Musik dionysischer Nachtschwärmer ­gehört hat, wie es Kavafis in seinem Gedicht „Der Gott verlässt Antonius“ beschreibt, wissen wir nicht. Wenn auch für nichts anderes, so sollten wir Antonius zumindest dafür dankbar sein, dass er Kavafis zu diesem Gedicht, einem seiner schönsten, inspirierte: 267

Ehrgeiz und Gier

Wenn plötzlich du, um Mitternacht, eine unsichtbare Prozession vorüberziehen hörst mit erlesener Musik, mit Stimmen – dein Glück, das nun dich verlässt, deine Werke, die gescheitert sind, deine Lebenspläne, die alle sich als Irrtümer erwiesen, bewein sie nicht vergebens. Als ein schon lange Vorbereiteter, als Mutiger, sag Lebewohl zu ihr, zu Alexandria, die weiterzieht. Vor allem gib dich nicht der Täuschung hin, sag nicht, dass es ein Traum gewesen sei, dass deine Ohren dich getrogen: Zu solch leeren Hoffnungen erniedrige dich nicht. Als ein schon lange Vorbereiteter, als Mutiger, wie es sich für dich gehört, der du einer solchen Stadt als würdig dich ­erwiesest, tritt entschlossen an das Fenster und lausche gerührt, doch nicht flehend und klagend wie ein Feigling, als letztem Genuss den Klängen, den erlesenen Instrumenten der geheimnisvollen Prozession und sag Lebewohl zu ihr, zu Alexandria, die du verlierst.

Die Auflösung des letzten verbliebenen Königreichs, das von einem der Nachfolger Alexanders gegründet wurde, markiert den Endpunkt des Zeitalters, das wir herkömmlicherweise das hellenistische nennen. Sie markiert zugleich das Ende eines andauernden Kriegszustands wie auch die Vereinigung des Römischen Reiches unter der Herrschaft eines einzigen Mannes zu einem politischen System, das in der Forschung als Prinzipat bezeichnet wird. Auch wenn die pax Romana und die monarchische Herrschaft des princeps große Veränderungen mit sich brachten: Alle bedeutenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen, die sich in den beiden nun folgenden Jahrhunderten in der griechischen Welt vollzogen, hatten ihre Wurzeln in der hellenistischen Epoche.

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11 Der römische Osten: Regionalgeschichte(n) und ihr globaler Kontext

Irdische Götter und himmlische Könige Was Millionen Menschen als das wichtigste Ereignis der Weltgeschichte betrachten, wird vom bedeutendsten Historiker der Kaiserzeit nur kurz erwähnt. Tacitus, der seine Annalen um 116 n. Chr. verfasste, schreibt über die Kreuzigung Jesu: Christus … erlitt die höchste Strafe während der Herrschaft des Tiberius durch unseren Prokurator, Pontius Pilatus, und dieser verderbliche Aberglaube, einstweilen unter Kontrolle gehalten, erhob sein Haupt wieder, nicht nur in Judäa, dem Ursprung dieses Übels, sondern sogar in Rom, wo alle abscheulichen und schändlichen Dinge aus allen Teilen der Erde zusammenkommen und Beliebtheit erlangen.

Drei oder vier Jahre zuvor hatte Plinius der Jüngere, Statthalter von Bithynien et Pontus und persönlicher Freund Kaiser Trajans, nur eine äußerst vage Vorstellung davon, wer genau diese Christen sind. Was ihm über ihre religiösen Praktiken berichtet wurde, unterschied sich nur geringfügig von den Kultpraktiken anderer religiöser Vereinigungen: Sie versammelten sich in bestimmten Nächten, sangen Hymnen, verpflichteten sich durch einen Eid zu moralischem Verhalten und nahmen gewöhnliche Speisen zu sich. Weder Plinius noch Tacitus hätte je gedacht, dass die einzigen Ereignisse aus den 150 Jahren zwischen Octavians Sieg und ihrer eigenen Zeit, die noch zwei Jahrtausende später auf der ganzen Welt Jahr für Jahr gefeiert werden, die Geburt und die Passion Christi sein würden, Ereignisse, die sich in einer kleinen, aber unruhigen Provinz des römischen Ostens zugetragen hatten. Fünf Jahre vor dem Datum, an dem Kirchenhistorikern zufolge Christus geboren wurde, verabschiedete der Bund der Griechen der Provinz Asia ein 269

Der römische Osten

Ehrendekret für Octavian, der seit 27 v. Chr. unter einem neuen Namen bekannt war: Augustus. Das Dekret (s. S. 301) legte Augustus’ Geburtstag, den 23. September, als Jahresanfang fest: Caesar [gemeint ist Augustus] hat die Hoffnungen, die in ihn gesetzt wurden, mit seinen Wohltaten überboten, indem er nicht nur seine Vorgänger mit all seinen guten Taten übertraf, sondern auch den kommenden Generationen keine Hoffnung ließ, ihm je gleichzukommen. Der Geburtstag des Gottes war für die Welt der Anfang der durch ihn veranlassten guten Botschaften.

Für den größten Teil der Bevölkerung im römischen Osten war die Schlüsselfigur des öffentlichen Lebens in den Jahrhunderten nach Octavians Sieg bei Actium der römische Kaiser, ein Gott auf Erden, sterblich, aber mit einer Macht ausgestattet, die jener der Unsterblichen vergleichbar war. Seine Herrschaft war ökumenisch: das heißt, sie umfasste die gesamte „bewohnte Erde“ (oikoumene), oder zumindest den Teil, der von Bedeutung war. Einer der Ehrentitel, die Octavian/Augustus verliehen wurden, war „Aufseher von Land und Meer“. Auch Pompeius war schon mit diesem Titel geehrt worden, doch hatte er im Fall des Augustus eine konkretere Bedeutung. Augustus war der alleinige Herrscher eines Reiches, das sich von der Iberischen Halbinsel und den gallischen Provinzen (das heutige Frankreich, Belgien, Luxemburg und Teile Deutschlands) bis zum Euphrat erstreckte und das ganz Europa südlich der Donau, bis auf das verbündete Königreich Thrakien im heutigen Bulgarien, und beinahe die gesamte Küste Nordafrikas, von Algier bis zum Roten Meer, inklusive der ganzen Kyrenaika und Ägyptens, dazu weite Teile Kleinasiens, Syrien und die Küstengebiete im Norden des Schwarzen Meeres umfasste (s. Karte 7). Germanien nördlich des Rheins ging dem Reich 9 n. Chr. verloren, aber Augustus fügte seinem Herrschaftsgebiet die Territorien von Klientelkönigen hinzu, Galatien 25 v. Chr. und einen Teil Judäas 4 v. Chr. Seine Nachfolger erweiterten das Reich um neue Provinzen (s. S. 290 und 315f.). In seiner Aeneis erwähnt Vergil eine Prophezeiung, der zufolge Jupiter den Römern ein grenzenloses Reich geben werde: imperium sine fine. In einem luxuriösen Haus in Ephesos, das vom 1. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. bewohnt war, schrieb jemand eine Akklamation an die Wand, die er in den Straßen der Stadt gehört haben musste: „Rom, Herrscherin über alle, deine Macht wird nie vergehen!“ Dank eines Buches, das als Offenbarung bekannt ist und nur zwei Jahrzehnte, bevor das Römische Reich seine 270

Die Griechen als Publikum einer Globalgeschichte

größte Ausdehnung erlangt hatte, auf der kleinen griechischen Insel Patmos verfasst wurde, wissen wir, dass es innerhalb des Reiches auch Gruppierungen gab, die andere Erwartungen hatten: die Vernichtung des weltlichen Reiches und das Kommen eines himmlischen Königreichs. In einer seiner Visionen wurde dem Autor von einem Engel gezeigt, wie Rom in der Gestalt einer Hure mit gotteslästerlichem Namen – den Titeln des Kaisers – auf einem siebenköpfigen Untier sitzt: Die Frau war in Purpur und Scharlachrot gekleidet und mit Gold, Edelsteinen und Perlen geschmückt, in ihrer Hand hielt sie einen Becher voller Schändlichkeiten und den Unreinheiten ihrer Unzucht … Als ich sie sah, war ich äußerst erstaunt. Der Engel sagte zu mir: „Warum bist du erstaunt? Ich werde dir das Geheimnis der Frau sagen und des Untiers, das sie trägt und das sieben Köpfe und zehn Hörner hat. Das Untier, das du sahst, war, und ist nicht; und es wird aus dem Abgrund hervorkommen und in sein Verderben gehen … Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt. Es sind sieben Könige. Fünf sind gefallen, der eine ist, der andere ist noch nicht gekommen. Wenn er kommt, so muss er ein klein wenig verweilen … Die Frau, die du sahst, ist die große Stadt, die über die Könige der Erde herrscht.“

Die Geschichte der griechischen Welt unter Augustus und den zehn Kaisern nach ihm ist mehr als nur die Geschichte einiger großer Ereignisse, die wie eine Reichsgeschichte von den Griechen als Zuschauern verfolgt wurden. Es ist auch die Geschichte kollektiver Emotionen – von der Hoffnung auf Frieden und Wohlstand in dieser Welt bis hin zur Hoffnung auf einen göttlichen Erlöser; es ist die Geschichte von Spannungen zwischen der dominierenden Reichsideologie und denen, die sie anzweifelten; es ist die Mikrogeschichte lokaler Gemeinwesen, die darum kämpften, ein Gefühl der Identität und Selbstbestimmung in dieser neuen Welt aufrechtzuerhalten; und es ist die Geschichte der kontinuierlichen Neuordnung der Provinzen und Klientel­ königreiche und immer neu definierter Reichsgrenzen.

Die Griechen als Publikum einer Globalgeschichte Die meisten Kriege der römischen Kaiser von Augustus bis Hadrian wirkten sich nicht direkt auf das Leben der Menschen in Griechenland, Kleinasien und Ägypten aus. Für den Lauf der wichtigsten Ereignisse hatten Orte der 271

Der römische Osten

griechischen Welt nur eine nachgeordnete Bedeutung. Die griechischsprachige Bevölkerung im Osten hatte nur dann das Gefühl, Teil einer größeren militärischen Unternehmung zu sein, wenn römische Legionen auf dem Weg zu einer Front jenseits der Grenzen ihrer Welt durch ihr Gebiet marschierten. Dass es in der näheren Umgebung Griechenlands nur selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam, war für eine Region, die sich nur langsam von den verheerenden Kriegen des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. erholte, ein Segen. Das moderne Konzept einer pax Romana, das sich bereits in antiken Texten nachweisen lässt, hätten viele Griechen als ihre Realität akzeptiert, besonders wenn sie ihre eigenen äußerst beschränkten Kriegserfahrungen mit der kontinuierlichen und extremen Gewalt der Jahrzehnte vor Actium verglichen. Philipp von Pergamon, ein griechischer Historiker, der nur durch die Inschrift auf der Basis seiner Statue bekannt ist, nimmt in den Anfangsworten seines Werks, das er etwa zur Zeit des Augustus schrieb, direkt auf die Schrecken des Krieges in der gesamten oikoumene Bezug: Da es in unserer Zeit zu verschiedenen Leiden und kontinuierlichem gegenseitigen Morden in Asien, Europa, den Stämmen Libyens und den Städten der Inselbewohner kam, habe ich für die Griechen mit frommer Hand eine geschichtliche Darstellung dieser jüngsten Geschehnisse veröffentlicht, damit sie auch durch uns lernen mögen, welch große Übel durch Bestechung, Gewinnsucht, Bürgerzwist und Vertrauensbruch hervorgebracht werden, und so, durch die Beobachtung des Leidens von anderen, unbekümmert einen besseren Lebensweg einschlagen.

Philipp teilt mit den Historikern aller Zeiten den unerschütterlichen Glauben, dass die Menschen aus der Geschichte lernen können. Aber ehrlich gesagt war die pax Romana nicht das Ergebnis geschichtlicher Lektionen. Sie war in erster Linie das Ergebnis davon, dass Augustus alle seine Rivalen um die monarchische Herrschaft ausgeschaltet und all diejenigen unterworfen hatte, die die römische Herrschaft infrage stellten. Im Lauf der Zeit wurde die griechische Welt von einem Unruheherd an den Grenzen des Reiches in eine Reihe von Provinzen umgewandelt, in sicherem Abstand zu den barbarischen Feinden. Durch offizielle Bekanntmachungen und Lobreden auf die Kaiser während eines Festes blieben die Griechen auch aus der Ferne über wichtige Entwicklungen informiert. Im Jahr 2 n. Chr. schloss Augustus’ Enkel und 272

Die Griechen als Publikum einer Globalgeschichte

Erbe, Gaius Caesar, auf einer Insel im Euphrat Frieden mit den Parthern. Als diese Neuigkeiten Messene erreichten, war ein römischer Magistrat, nachdem er erfahren hatte, dass Gaius, der Sohn des Augustus, der gegen die Barbaren für das Wohl aller Menschen kämpfte, wohlauf sei, der Gefahr entronnen war und am Feind Rache genommen hatte, außer sich vor Freude angesichts dieser besten aller Neuigkeiten, und er befahl allen, Kränze zu tragen und Opfer darzubringen, frei von Arbeit und Unruhe; und er selbst opferte einen Stier für Gaius’ Heil und organisierte großzügig verschiedenste Darbietungen.

Ein Vertreter der römischen Autoritäten wies die Bevölkerung von Messene an, Freude und Loyalität zur Schau zu stellen aufgrund eines Vorfalls im entfernten Osten, der wenig mit ihrem eigenen Leben zu tun hatte, auch wenn Gaius’ Feldzug als Krieg „für das Wohl aller Menschen“ deklariert wurde. Ein Friedensabkommen wurde als militärischer Sieg gefeiert. Kos ging nach der Verkündigung dieser Neuigkeit sogar noch einen Schritt weiter: Die Bewohner verehrten Gaius als Gott und verliehen ihm den inoffiziellen Titel Parthicus, „Bezwinger der Parther“. Ein Jahr später wurde Gaius in einer Schlacht in Armenien verwundet, und er erlag ­d iesen Verletzungen. Für Feldzüge wie den seinen war die griechische Bevölkerung ein enthusiastisches Publikum mit einem gewissen Sicherheitsabstand (s. Abb. 16); über Niederlagen konnte praktischerweise hinweg­ gegangen werden. Die Eingliederung der griechischen Welt in das Römische Reich mag den Eindruck erwecken, dass eine eigenständige „griechische Geschichte“ im engeren Sinn – eine griechische Geschichte, deren Akteure griechische Gemeinwesen und ihre politischen Anführer waren – zu einem Ende gekommen war. Es mag stimmen, dass griechische Staatsmänner und Herrscher nicht mehr die Protagonisten bei wichtigen politischen Ereignissen waren, wie noch zu Zeiten eines Perikles, Demosthenes und Philipp (klassische Zeit) oder eines Alexander, Ptolemaios II. und Arsinoë, Philipp V., Antiochos III. und Kleopatra VII. (hellenistische Epoche). Die neuen Hauptdarsteller und Initiatoren von Entwicklungen waren Kaiser, Senatoren und Statthalter, und in einem geringeren Maß griechische Staatsmänner und Intellektuelle aus deren Umfeld. Auch in den Bereichen Kunst und Kultur war Rom nicht länger nur Ideenempfänger, der unzivilisierte Eroberer, der seine Kultur von den Griechen übernahm. Im späten 1. Jahrhundert n. Chr. wunderte sich der griechische Philosoph Plutarch: 273

Der römische Osten

Nun, da die Geschäfte der Städte nicht mehr die Gelegenheit bieten, eine militärische Führungsrolle zu übernehmen, Tyrannenherrschaften zu stürzen oder Bündnisse zu schließen, wie lässt sich noch eine bemerkenswerte und glänzende politische Karriere beginnen?

Dass die bürgerlichen Eliten zu Plutarchs Zeiten nicht mehr die Möglichkeit hatten, ihre Fähigkeiten als Anführer ihrer Gemeinwesen in Kriegen und wichtigen diplomatischen Aktivitäten unter Beweis zu stellen, bedeutet weder das Ende der Geschichte noch das Ende des politischen Lebens. Zu dieser Zeit spielten sich politisches Leben und zwischenstaatliche Beziehungen auf mehreren Ebenen ab. Auf der lokalen Ebene der Städte mussten politische und, noch wichtiger, finanzielle Probleme gelöst werden. Auf der höheren Ebene der Regionen und Provinzen kämpften die Städte um Privilegien und Ehren: das Privileg, einen Tempel für den Kaiserkult errichten zu dürfen, das Recht, einen Markt oder Wettkämpfe abzuhalten, die Unantastbarkeit eines Heiligtums. Schließlich konnten die Provinzbevölkerung und ihre Führer auch gewisse Rollen auf der noch höheren Ebene des Reiches übernehmen. Diese Rollen waren unterschiedlicher Natur: Sie konnten nach einer Naturkatastrophe als Bittsteller fungieren, als Beschützer gegen repressives Verhalten römischer Beamter, als Fürsprecher zur Verteidigung von Rechten und Privilegien, und sie konnten einen Rekrutierungspool für die römische Verwaltung und das Heer darstellen. In diesem Kapitel werden wir uns ein paar ausgewählte historische Ereignisse und Prozesse ansehen, die die Provinzen des römischen Ostens von Augustus bis Hadrian entscheidend prägten und Einfluss hatten auf das Leben der griechischen und hellenisierten Bevölkerung.

Augustus und die Herausbildung des Prinzipats Einige Jahre nach der Krönung von Caesars Sohn in Alexandria war „Kaisarion, voll Anmut und Schönheit“, tot, und ein anderer Sohn Caesars, ein adoptierter, hielt das Schicksal des Römischen Reiches in seinen Händen. Octavian hatte nach der Ermordung Iulius Caesars dessen Reichtum und politischen Einfluss geerbt; nach seinem Sieg im Jahr 30 v. Chr. stellte sich die Frage, welche Form seine neue Herrschaft annehmen sollte. Eine ­A ntwort darauf wurde nicht unmittelbar gefunden. Nach einer Phase des Experimentierens kam es 23 v. Chr. zu einer Übereinkunft. Der nun als Imperator 274

Augustus und die Herausbildung des Prinzipats

Caesar Augustus bezeichnete Octavian häufte Machtbefugnisse, Titel und Privilegien an, die ihn zum princeps, dem „ersten Mann“ des Reiches, machten. In Ermangelung besserer Alternativen bezeichnen Historiker diese Herrschaftsform, die mit geringfügigen Änderungen bis zum Ende der antoninischen Dynastie (192 n. Chr.) Bestand hatte, heute als Prinzipat. Den von Traditionen geradezu besessenen Römern präsentierte Augustus diese Regierungsform als Wiederherstellung der alten Republik: res publica res­ tituta. Der erste princeps beschrieb diese Entwicklung in einem Bericht seiner Taten (Res Gestae Divi Augusti). Die finale Version, kurz vor seinem Tod im Jahr 14 n. Chr. fertiggestellt, wurde in größeren Provinzstädten in Stein gemeißelt, entweder im lateinischen Original oder in einer griechischen Übersetzung. Eine beinahe vollständige Kopie beider Versionen hat sich auf den Mauern des Roma-und-Augustus-Tempels in Ankyra (heute Ankara; s. Abb. 14) erhalten. Die griechische Übersetzung teilt Augustus’ griechischen Untertanen Folgendes mit: Während meines sechsten und siebten Konsulats [28 und 27 v. Chr.], nachdem ich den Brandherd der Bürgerkriege gelöscht und gemäß den Gebeten meiner Mitbürger absolute Kontrolle über alle Angelegenheiten erhalten hatte, übertrug ich die Herrschaft aus meiner Macht in die des Senats und des römischen Volkes. Aus diesem Grund wurde ich Augustus [Sebastos, „der Verehrte“] genannt; meine Eingangstüre wurde öffentlich mit Lorbeer bekränzt; der Kranz aus Eichenlaub, der für die Rettung von Bürgern verliehen wird, wurde über meiner Türe angebracht; und ein goldener Schild, der vom Senat und dem römischen Volk im Senatshaus geweiht wurde, bezeugt durch eine Inschrift meine Tugend, Güte, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Ich übertraf alle an Rang/Würde [axioma], aber ich hatte keine größere Macht als meine Mitregierenden.

Kollegialität war ein zentrales Prinzip der republikanischen Verfassung: Jeder Amtsträger teilte seine Macht mit zumindest einem weiteren Kollegen. Durch die Betonung der Kollegialität versuchte Augustus, die Aufmerksamkeit von der Verletzung zweier anderer alter republikanischer Prinzipien abzulenken: Kein römischer Bürger sollte mehrere Machtbefugnisse anhäufen, und kein Amtsträger sollte die gleiche Position länger als ein Jahr am Stück innehaben. Natürlich hatte man die republikanischen Prinzipien während des Ausnahmezustandes der Bürgerkriege wiederholt missachtet; nun wurden Anhäufung von Ämtern und Machtkontinuität jedoch institutionalisiert. Unter dem Deckmantel der Wiederherstellung der Republik 275

Der römische Osten

Abb. 14 Die Ruinen des Augustus-und-Roma-Tempels mit den Res gestae. ­Ankara, Türkei, 1. Jahrhundert n. Chr.

führte Augustus den Prozess der Machtübertragung vom Senat auf ein einzelnes Individuum zu Ende; die augusteische Herrschaftsform wurde von späteren Kaisern, vor allem von Vespasian (69 n. Chr.), ein wenig modifiziert, blieb jedoch in ihrem Wesen bis ins späte 2. Jahrhundert n. Chr. unverändert. Augustus war der einzige Mann in Rom, der mehrere Ämter zur gleichen Zeit und ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod innehatte. Alle seine Machtbefugnisse hatten ihren Ursprung in traditionellen republikanischen Ämtern: Die tribunicia potestas, die Amtsgewalt eines Volkstribuns, gab ihm das Recht, Senatsversammlungen einzuberufen, Gesetzesvorlagen einzubringen, ein Veto gegen Entscheidungen des Senats und der Volksversammlung einzulegen, bei Sitzungen als Erster zu sprechen und die Aufsicht über die Wahlen zu übernehmen. Er hatte auch das Recht, einen census abzuhalten und so zu bestimmen, wer die Chance haben würde, Senator zu werden. Das imperium proconsulare maius machte ihn zum Statthalter all jener Provinzen, in denen das römische Heer stationiert war. Gelegentlich übernahmen Augustus und seine Nachfolger auch das jährliche Amt des 276

Augustus und die Herausbildung des Prinzipats

Konsuls, das den einflussreichsten Senatoren vorbehalten war; die Kaiser dienten ebenso als pontifices maximi und repräsentierten damit die höchste religiöse Autorität. Ursprünglich gab es in Rom nur zwei Konsuln, aber der Bedarf, ausgewählten Senatoren Profilierungsmöglichkeiten zu bieten oder die Dienste loyaler Feldherren und Statthalter zu belohnen, führte dazu, dass zusätzliche „Suffektkonsuln“ gewählt wurden. Die singuläre Stellung des princeps fand ihren Ausdruck in Augustus’ Namen. Jeder römische Bürger hatte drei Namen: einen Vornamen (praeno­ men), den Namen der erweiterten Familie, der er qua Geburt, Adoption oder Freilassung angehörte (nomen gentile), und den Namen, unter dem er bekannt war (cognomen). Zur besseren Identifizierung wurde in offiziellen Dokumenten auch der Name des Vaters oder früheren Herrn mitangegeben: zum Beispiel Lucii filius oder Publii libertus, „der Sohn des Lucius“ und „der Freigelassene des Publius“. Der vollständige Name Sullas war Lucius Cornelius Sulla, mit dem hinzugefügten „Spitznamen“ (agnomen) Felix. Octavians ursprünglicher Name war Gaius Octavius – sein cognomen war angeblich Thurinus. Als Caesar 44 v. Chr. getötet wurde, wurde der 19-jährige Octavius auf der Grundlage seines Testaments postum adoptiert. Octavius’ neuer Name wurde Gaius Iulius Gaii filius Caesar, doch war er auch als Octavianus bekannt, „der aus der Familie der Octavii stammt“. Als Caesar 42 v. Chr. zum Gott erklärt wurde, drückte Augustus seine einzigartige Beziehung zu diesem Gott durch einen Namenszusatz aus – dieser hob ihn von nun an aus der Masse Tausender anderer Iulii heraus: Er war nun Gaius Iulius Divi filius (Sohn Gottes) Caesar. Einige Zeit später, zwischen 38 und 31 v. Chr., ersetzte er sein praenomen und sein nomen gentile durch Namen, die kein anderer Römer trug: Imperator, ein Titel, den ein siegreicher General von seinen Soldaten durch Akklamation verliehen bekam, wurde zu seinem Vornamen; Caesar, ein Name, der in Ehren gehalten wurde, wurde sein „Familienname“. Der Name Imperator Caesar Divi filius drückte unmissverständlich Octavians herausgehobene Stellung aus. Schließlich wurde am 6. Januar 27 v. Chr. der Ehrentitel „Augustus“ zu Octavians drittem Namen, und der Kaiser war nun als Imperator Caesar Augustus bekannt. Die beiden Namen Caesar ­Augustus wurden von Augustus’ Nachfolgern übernommen. Als die Kaiser der Flavierdynastie (69–96 n. Chr.) auch den Namen Imperator hinzufügten, wurde „Imperator Caesar Augustus“ zum integralen Bestandteil eines jeden Kaisernamens und konnte insgesamt als Titel aufgefasst werden. Viele Studierende heutzutage sind überrascht, wenn sie herausfinden, dass Imperator Caesar Augustus ursprünglich kein Amt oder Titel, sondern 277

Der römische Osten

ein Personenname war. Was sie nach einem Überraschungsmoment (hoffentlich) begreifen, hat die Bevölkerung der griechischsprachigen Provinzen vermutlich nie ganz verstanden. Aus den bisweilen ziemlich freien Übersetzungen der Kaisernamen in griechischen Inschriften lässt sich schließen, dass diese Namen als Ehrentitel aufgefasst wurden. Doch auch wenn die Bewohner der griechischsprachigen Provinzen die technischen Details dieser neuen Entwicklung nicht verstanden, wussten sie doch, dass diese sich auf ihr Leben auswirken würde. Machtrituale, die Eingriffe des Kaisers und seiner Stellvertreter in die Provinzverwaltung, kaiserliche Wohltätigkeit gegenüber den Städten und Gunstbezeigungen gegenüber Mitgliedern der Elite: All das ließ keinen Zweifel daran, dass sie de facto die Untertanen eines Monarchen waren.

Die Organisation des römischen Ostens: Klientelkönige und Annektierungen Während der Regierungszeiten Claudius’ und Neros wurde in Aphrodisias, einer freien Stadt in Kleinasien, ein luxuriöser Gebäudekomplex errichtet. Durch ein monumentales Tor kam man auf eine breite, von dreistöckigen Portiken flankierte Prachtstraße, die zum Tempel der Kaiser führte; dieser erhob sich auf einem Podium (s. Abb. 15). Die Portiken waren mit 190 ­Reliefplatten geschmückt, deren Darstellungen – kultische Szenen, Sujets aus der römischen und griechischen Mythologie sowie Allegorien – auf die ­ersten römischen Kaiser und ihre Siege Bezug nahmen (s. Abb. 16). Diese ­Dekorationen umfassten Darstellungen von ca. 50 „Nationen“ am Rand des römischen Herrschaftsgebiets, von Spanien bis Arabien. Einige davon sind bekannter – zum Beispiel die Juden, die Ägypter und die Araber – als andere: Selbst ein Experte in Alter Geschichte hätte wohl seine Probleme damit, Stämme wie die Piroustoi, die Andizetoi oder die Trunpilonoi auf einer Landkarte zu lokalisieren. Wer dieses Sebasteion, diesen „den Augusti geweihten Ort“, in der Antike besuchte, bekam einen visuellen Eindruck vom Ausmaß römischer Macht. Die lange Liste dieser Stämme mit ihren exotischen Namen konnte ihm Ehrfurcht einflößen und ihn womöglich auch stolz machen, dass seine Stadt ein freier Partner und Verbündeter der Römer war. Als das Sebasteion fertiggestellt wurde, war der Prozess der Annektierungen und Einrichtung von Provinzen noch nicht zu einem Ende gekom278

Die Organisation des römischen Ostens: Klientelkönige und Annektierungen

Abb. 15 Die südliche Portikus des Sebasteions von Aphrodisias mit mythologischen Darstellungen. Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.

men. Eine Reihe von Klientelkönigreichen bildete eine Pufferzone zwischen dem Reich und seinen potenziellen Feinden. Die wichtigsten unter ihnen bestanden schon seit Jahrhunderten und wurden von lokalen Dynastien regiert: die Königreiche von Pontos, Paphlagonien, Kappadokien und Galatien in Kleinasien sowie das Königreich Emesa in Syrien. Darüber hinaus hatten der Zusammenbruch der seleukidischen Macht im 2. Jahrhundert v. Chr. und die chaotischen Zustände des 1. Jahrhunderts v. Chr. eine große Anzahl kleiner unabhängiger Regionen und Städte entstehen lassen, die von Dynasten oder Priestern regiert wurden: Darunter der König in Hierapolis/Kastabala, die Priesterherrscher von Olbia in Kilikien und Komana in Pontos sowie ein zum Dynasten aufgestiegener Bandit im mysischen Gordioukome. Marcus Antonius hatte, um vor Ort Unterstützung sowohl für seinen geplanten Krieg gegen die Parther als auch für den Bürgerkrieg gegen Octavian zu finden, in die politische Geographie des Ostens eingegriffen und seine Unterstützer – für gewöhnlich gebildete und wohlhabende Griechen – in traditionellen Königreichen auf den Thron gebracht, verbündete Könige 279

Der römische Osten

Abb. 16 Marmorreliefplatte aus dem Sebasteion von Aphrodisias: Claudius unterwirft Britannien. Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.

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Die Organisation des römischen Ostens: Klientelkönige und Annektierungen

mit zusätzlichen Gebieten belohnt und Tyrannen in Städten sowie Dynasten in kleinen Regionen toleriert oder sogar gefördert. Augustus begab sich auf dieses gefährliche Terrain persönlicher Ambitionen und lokaler Konflikte mit der gebotenen Vorsicht; er entfernte einige der Unterstützer des Antonius, ließ andere jedoch gewähren und beurteilte jeden Fall nach seinem Gutdünken. Klientelkönige und Dynasten boten unbestreitbare Vorteile: Sie kannten die lokalen Gegebenheiten und konnten administrative Aufgaben übernehmen, die sonst den römischen Verwaltungsapparat belastet hätten. In einigen Fällen belohnte Augustus seine Unterstützer sogar damit, dass er ihnen gestattete, in ihren Städten eine persönliche Herrschaft zu errichten. Doch konnten Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten auch eine Bedrohung darstellen. Zu viel Macht war unerwünscht, aber zu wenig Puffer nahe der Grenze des Reiches war auch wieder nicht gut. Da die Herrschaft eines Klientelkönigs voll und ganz vom kaiserlichen Wohlwollen abhängig war, konnte sie auch abrupt beendet werden. Hatte sich die lokale Bevölkerung erst einmal an die römische Präsenz gewöhnt, war der Klientelkönig verzichtbar. Sobald sich die Gelegenheit dazu bot, sei es aufgrund dynastischer Konflikte (wie in Judäa), Aufstände und Raubzüge (wie in Thrakien) oder interner Streitigkeiten (wie beim ­Lykischen Bund), wurden die Klientelstaaten annektiert und der nächst­ gelegenen römischen Provinz hinzugefügt oder zu einer neuen Provinz gemacht. Zu Augustus’ Zeit war das ein wiederkehrendes Muster, und blieb es bis etwa ein Jahrhundert nach seinem Tod; die meisten griechischen und hellenisierten Regionen wurden auf diese Weise unter eine einheitliche Verwaltung zusammengeführt. Nur die griechischen Städte auf der Krimhalbinsel und an der Nordostküste des Schwarzen Meeres, unter anderem Olbia, das taurische Chersonesos, Pantikapaion und Phanagoreia, standen zu Augustus’ Zeit nicht unter der Verwaltung des Römischen Reiches. Sie waren Untertanen der Könige des Bosporanischen Reiches. Aber auch hier trugen die Klientelkönige stolz den Namen Tiberius Iulius, was sie als römische Bürger auswies, sowie den Titel Philoromaios (Römerfreund). Die Eingliederung von Klientelstaaten führte dazu, dass sich das Römische Reich besser verteidigen konnte, und erhöhte somit auch die Sicherheit in den griechischen Gebieten, die eine nie dagewesene Friedenszeit erleben sollten. Die Römer stellten die griechische und hellenisierte Bevölkerung unter eine einheitliche Verwaltung; das brachte zwar Steuerlasten mit sich, aber die Römer verbesserten auch die Infrastruktur, vor allem durch den 281

Der römische Osten

Abb. 17 Als Meilenstein verwendete Marmorsäule zur Markierung der 260. Meile von Epidamnos auf der Via Egnatia. Sindos, ca. 146–118 v. Chr. Archäologisches Museum Thessaloniki.

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Abb. 18 Rekonstruktion eines Monuments aus Patara mit Längenangaben der Straßen, die Lykiens Städte miteinander verbanden. Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.

Die Wiederbelebung Griechenlands und Kleinasiens

Bau und die Instandhaltung von Straßen, und führten neue Kommunika­ tionswege ein. Meilensteine (s. Abb. 17), die die Entfernung von größeren Städten angaben, waren sichtbarer Ausdruck der Einheit des Reiches. Als unter Claudius Lykien annektiert wurde (43 n. Chr.), wurde in Patara ein monumentaler Pfeiler errichtet, vermutlich mit einer Statue des Kaisers darauf. Eine Inschrift auf drei seiner Seiten listet alle Städte der neuen Provinz auf sowie die Längen der Straßen, die sie verbanden (s. Abb. 18). Durch die Vermessung und Kartierung ihres Reiches vermittelten die Römer ein ­Gefühl von Ordnung.

Die Wiederbelebung Griechenlands und Kleinasiens Die Kriege des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. hatten in Griechenland und Kleinasien offene Wunden hinterlassen. Selbst eine Stadt, die nicht direkt Schaden durch eine Belagerung erlitten hatte oder nach einem Angriff geplündert worden war, deren Felder nicht verbrannt worden und deren Sklaven nicht geflohen waren, war in der Regel doch dazu gezwungen worden, Nahrung, Nachschub, Schiffe, Lasttiere und Unterkünfte für fremde Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Nach 146 v. Chr. war eine stetig wachsende Anzahl von Städten Rom gegenüber tributpflichtig. Die Kriege hatten die Wirtschaft ruiniert. Sie hatten auch das Verhältnis zwischen Stadt und Land, die Bevölkerungszahlen sowie die Besiedlung und Bewirtschaftung des Territoriums beeinträchtigt. Die Auswirkungen des Krieges auf Demographie und Nutzung der ländlichen Gebiete war zugegebenermaßen nicht überall gleich. In einigen Gebieten – beispielsweise in Böotien und Attika – weisen archäologische Befunde darauf hin, dass die Anzahl bewohnter Siedlungen in den ländlichen Gebieten von ca. 200 v. Chr. an sank, in anderen Gebieten war es jedoch schon früher zu einem Niedergang der Landsiedlungen gekommen, dem dann nach der römischen Eroberung eine erneute Wachstumsphase folgte. Ebenso ist es nicht möglich, von einem allgemeinen Rückgang der Bevölkerungszahlen zu sprechen, wie ­Polybios in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.: In unserer Zeit war ganz Griechenland von Kinderlosigkeit und einem allgemeinen Rückgang der Bevölkerungszahlen befallen; aus diesem Grund sind die Städte verlassen und es kam zu einem Mangel an Getreide, obwohl wir weder durch andauernde Kriege noch durch Epidemien bedroht

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werden … Denn da die Menschen so überheblich, geldgierig und gleichgültig geworden sind und nicht mehr heiraten wollen, oder wenn sie heiraten, die ihnen geborenen Kinder nicht großziehen wollen, oder nur eines oder zwei von ihnen, die sie dann in Reichtum zurücklassen und verwöhnt aufziehen können, wuchs das Übel schnell und unbemerkt.

Wenn es solch einen dramatischen Niedergang wirklich gegeben hat, dann nur als regionales Phänomen, besonders in den Gegenden Griechenlands, in denen Kriege Städte und deren Umland zerstört hatten. Diese Gegenden, einschließlich Makedoniens, der nördlichen Peloponnes und Teilen Zentralgriechenlands, hatten dringend neue Einwohner nötig. Was die Peripherie der griechischen Welt betrifft, war die Bevölkerung in den Städten auf der Krimhalbinsel zurückgegangen. So lassen beispielsweise die in Olbia bezeugten Eigennamen darauf schließen, dass die Stadt ihre Bürgerschaft durch Einbürgerung hellenisierter Iraner und Mischehen stärken musste. 39 oder 38 v. Chr. empfing Octavian (Abb. 19), der damals noch mit Marcus Antonius kooperierte, einen Gesandten aus Aphrodisias, „der Stadt Aphrodites“, in Kleinasien. Der Gesandte schilderte die Leiden seiner Stadt während der Invasion des Labienus in den dramatischsten Farben. Er wusste, dass er Octavians Sympathien gewinnen würde, wenn er anfügte, dass eine goldene Erosstatuette, die Caesar der Aphrodite geweiht hatte, als Kriegsbeute nach Ephesos gebracht worden war. Aphrodite, Mutter des Eros und Schutzgöttin von Aphrodisias, wurde von Caesars Familie als Ahnherrin betrachtet (Aeneas, der Gründer Roms, war Aphrodites Sohn, weshalb Octavian sie als seine entfernte Vorfahrin sehen konnte). Octavians Brief an die Epheser gibt uns einen Eindruck von der Atmosphäre in diesen schwierigen Jahren: Solon, Sohn des Demetrios, Gesandter der Plaraser und der Aphrodisier, hat mir berichtet, wie sehr ihre Stadt im Krieg gegen Labienus gelitten hat und wie viel Eigentum, sowohl privates als auch öffentliches, geraubt wurde … Ebenso wurde mir berichtet, dass von der Beute ein goldener Eros, der von meinem Vater der Aphrodite geweiht worden war, zu euch gebracht und als Weihgabe für Artemis aufgestellt wurde. Ihr würdet gut daran tun und euch eurer selbst als würdig erweisen, wenn ihr die von meinem Vater der Aphrodite gestiftete Weihegabe zurückgebt.

Octavian fügte mit einem gewissen Esprit hinzu: „Und überhaupt ist Eros keine angemessene Weihegabe für Artemis“ – die jungfräuliche Göttin ­A rtemis hätte eine Statuette des verspielten Liebesgottes sicherlich nicht zu 284

Die Wiederbelebung Griechenlands und Kleinasiens

Abb. 19 Porträtbüste von Kaiser Augustus, 1. Jahrhundert n. Chr. Glyptothek München.

schätzen gewusst. Dies war eine gutgemeinte Geste, doch bedurften Aphrodisias und die anderen Städte mehr als einer Geste. Einige Jahre später war Octavian, nun Augustus genannt, der alleinige Herrscher der oikoumene. Auch wenn die Lage der griechischen Städte nicht so beklagenswert war, wie die griechischen Gesandten und Stellvertreter sie schilderten, so hatten sie doch dringend eine Wiederbelebung nötig. Friede war hilfreich, aber Friede allein füllte weder die entvölkerten Städte mit Einwohnern, noch kurbelte er die Wirtschaft an. Augustus musste handeln. Einige seiner frühen Maßnahmen offenbaren das Ausmaß des Problems. Hätte er nach seinem Sieg bei Actium nicht zusätzliches Getreide an die Städte verteilt, hätten die Menschen vielerorts Hunger leiden müssen. Der 285

Der römische Osten

princeps verkündete einen allgemeinen Erlass öffentlicher Schulden gegenüber Rom und erwartete vermutlich, dass die Städte auch den Einzelnen ihre Schulden erlassen würden. Das wohlhabende Rhodos war die einzige Stadt, die dieses Angebot ablehnte; den meisten Griechen brachte es immerhin kurzzeitig Linderung. Doch benötigte Griechenland mehr als solche großzügigen Taten. Eine der bedeutendsten Maßnahmen zur Wiederbelebung der griechischen Gebiete war eine arrangierte Bevölkerungsmigration. Natürlich war die Motivation römischer Feldherren für die Umsiedlung von Bevölkerungsteilen nicht die Not der griechischen Landschaft, sondern ihr eigener dringender Bedarf nach Land für ihre Veteranen, enteignete Italiker, die verarmte Stadtbevölkerung und Roms Freigelassene. Griechenland bot den nötigen Platz. Neue Gründungen benötigte man auch in Kleinasien – beispielsweise in Kilikien, Pontos und Paphlagonien –, um die Urbanisierung und damit einhergehend die Akzeptanz der römischen Herrschaft voranzutreiben. Pompeius hatte in dieser Hinsicht bereits Pionierarbeit geleistet. Viele der von den Römern gegründeten oder wiedergegründeten Städte stellen eine rechtlich eigenständige Form einer städtischen Siedlung dar: die Kolonie römischer Bürger. Mit der Gründung von Kolonien ergriff Augustus eine Maßnahme, die zur Stabilisierung römischer Herrschaft in Italien beigetragen hatte und bereits von seinem Adoptivvater, Iulius Caesar, angewandt worden war. Caesar hatte nach seinem Sieg 47 v. Chr. Kolonien gegründet, eine davon in Korinth, an der Stelle dieser einstmals ruhmreichen Stadt, die nach ihrer Zerstörung 146 v. Chr. hundert Jahre lang verlassen gewesen war; die Kolonien in Dyme auf der Peloponnes, Bouthroton in Epirus, Sinope an der Südküste des Schwarzen Meeres und möglicherweise auch Parion in Kleinasien können ebenfalls Caesars Initiative zugerechnet werden. Auch innerhalb von Städten gab es organisierte Siedlungen römischer Bürger neben der griechischen Bevölkerung – so in einigen Fällen an der Nordküste Kleinasiens, beispielsweise in Herakleia, Kyzikos und Amisos. Octavian/Augustus führte diese Praxis fort und wandelte etliche alte Städte in römische Kolonien um, einschließlich Dyrrhachion an der adriatischen Küste Illyriens, Dion und Pella, das traditionelle Heiligtum und die königliche Hauptstadt der Makedonen, Philippi in Makedonien, Patrai auf der Peloponnes, Knossos auf Kreta und Alexandria Troas im Nordwesten Kleinasiens. Die Hauptaufgabe eines dichten Kolonienetzwerks in Kleinasien bestand in der Sicherung der römischen Herrschaft, besonders in den 286

Die Wiederbelebung Griechenlands und Kleinasiens

weniger hellenisierten Gegenden; Veteranen bekamen Land, und die neuen Gründungen stellten sicher, dass es in den jüngst gewonnenen Gebieten ­loyale Einwohner gab. In Pisidien allein gab es sechs Kolonien – Antiochia, Olbasa, Komana, Kremna, Parlais und Lystra. Kolonien, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf Augustus zurückgehen, waren auch das kilikische Ninika, Germa in Nordgalatien und das bithynische Apameia Myrleia (umbenannt in Colonia Iulia Concordia). Es gab auch zwei augusteische Kolonien in Syrien: Berytos und Heliopolis. Weitere Kolonien wurden von Augustus’ Nachfolgern vor allem in Kleinasien und Judäa gegründet. Unter Claudius wurde Seleukeia am Kalykadnos in Kilikien zu Claudiopolis; Vespasian erhob Caesarea Maritima in den Rang einer Kolonie; und Hadrian gründete 130/131 n. Chr. die colonia Aelia Capitolina neben der alten Stadt in Jerusalem. Die Gründung einer Kolonie war ein dramatischer Eingriff der römischen Autoritäten in die traditionelle Landschaft, nicht nur weil eine Bevölkerung angesiedelt wurde, die eine andere Sprache sprach (Latein), andere Götter verehrte und andere kulturelle Traditionen pflegte, sondern auch weil den römischen Kolonien Land gegeben wurde, das bereits bestehenden Siedlungen weggenommen wurde – diese verschwanden oder wurden zu abhängigen Dörfern. So verleibte beispielsweise Augustus, als er 28 v. Chr. seine „Stadt des Sieges“, Nikopolis, in Actium gründete, dem Stadtterritorium beinahe ganz Südepirus und große Teile Akarnaniens und Ätoliens ein, womit er eines der größten städtischen Territorien schuf und die Einwohner der Nachbarstädte und angrenzenden Städtebünde zwang, sich in der neuen Stadt niederzulassen. Die römischen Veteranen lebten hier gemeinsam mit einer griechischen Bevölkerung, die zwar nicht das römische Bürgerrecht innehatte, aber die Privilegien einer Stadtgemeinde genoss. Die römischen Kolonien wirkten sich auf die lokale Kultur und Gesellschaft aus, trugen zur Urbanisierung bzw. Reurbanisierung von Landstrichen bei, die unter Kriegen gelitten hatten, und schufen neue Chancen für Handwerk und Handel. Kreta ist ein Fall für sich. Als die Eroberung der Insel 67 v. Chr. abgeschlossen war, ließen sich römische Händler in Gortyn, der wichtigsten Stadt der Insel, nieder, angezogen vom Handel mit Olivenöl und Wein. Um 27 v. Chr. errichtete Augustus eine römische Kolonie in Knossos, die sowohl Einwanderer aus Kampanien als auch Veteranen aufnahm. Aus ihrem Herkunftsland waren die neuen Siedler und Landbesitzer mit den Möglichkeiten und Risiken einer auf Export ausgerichteten Form der Agrarproduktion vertraut. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden 287

Der römische Osten

­k retische Weine in den gesamten Mittelmeerraum exportiert; auf Wein­ krügen, die in großen Mengen in Pompeji – 79 n. Chr. durch den Ausbruch des Vesuvs zerstört – gefunden wurden, bezeugen Inschriften einen kretischen Ursprung. Die Eingliederung Kretas in ein befriedetes Reich und die Ansiedlung von Italikern machte aus der Insel, deren Agrarproduktion in der Vergangenheit in erster Linie für den lokalen Gebrauch und nur in geringem Maß für den Handel bestimmt war, einen integralen Bestandteil eines „internationalen“ Netzwerks des Austauschs. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch anderenorts beobachten. Auf der Peloponnes und dem griechischen Festland pflegten die augusteischen Kolonien in Korinth, Patrai und Nikopolis über die Adria enge Handelsbeziehungen zu Italien. Der von Augustus’ Maßnahmen gegebene Anstoß setzte sich unter seinen Nachfolgern fort. Griechenland und Kleinasien wurden allerdings nicht zu einem Paradies auf Erden; soziale Spannungen gab es auch weiterhin, und Unzufriedenheit mit der römischen Herrschaft äußerte sich gelegentlich in Aufständen. Doch dem Großteil der griechischen und hellenisierten Gebiete blieben von Augustus bis Hadrian die Schrecken des Krieges erspart.

Nero, die kurze Freiheit der Griechen und der lange Kampf der Juden In der von Augustus geschaffenen Friedensordnung war Achaea – das südlich von Makedonien gelegene Griechenland – eine ruhige Provinz und keinen direkten äußeren Bedrohungen ausgesetzt. Nach Augustus’ Tod wurde es dem Statthalter von Moesia Inferior zugewiesen, erst ab 44 n. Chr. war es wieder eine eigenständige Provinz. Der erste Kaiser nach Augustus, der nach Griechenland reiste, war Nero (54–68 n. Chr.). Gegen Ende seiner Regierungszeit, von September 66 bis November 67 n. Chr., absolvierte er eine Grand Tour durch Griechenland. Er hatte den Ehrgeiz, bei allen vier traditionellen Wettkämpfen (den Olympischen, Isthmischen, Nemeischen und Pythischen Spielen) in den Kategorien Komposition und Gesang zu siegen. Die Spiele fanden normalerweise nacheinander über einen Zeitraum von vier Jahren statt, und nicht alle sahen einen Wettkampf für kitharodoi (Sänger, die die kithara spielten) vor. Es musste somit ihr Programm geändert werden, und alle vier wurden in ein einziges Jahr gezwängt. Wie nicht anders zu erwarten, gewann Nero alle Wettkämpfe und wurde von begeisterten Menschenmengen bejubelt, wenn auch nicht für sein Talent, so doch 288

Nero, die kurze Freiheit der Griechen und der lange Kampf der Juden

zumindest für seine Großzügigkeit. Er lud alle Griechen zu den Isthmischen Spielen am 28. November 67 n. Chr. ein und verkündete dort die Freiheit Achaeas sowie eine allgemeine Steuerfreiheit – seine Rede hat sich inschriftlich erhalten: Ich mache euch, Männer Griechenlands, ein unerwartetes Geschenk, auch wenn wegen meiner Großzügigkeit nichts jenseits aller Hoffnung liegt; ein so großes Geschenk, das zu erbitten euch niemals in den Sinn gekommen wäre. Die ihr Achaea und das bis zum heutigen Tage als Pelopsinsel bekannte Land bewohnt, nehmt alle die Freiheit und Steuerfreiheit, was ihr alle nicht einmal zu euren glücklichsten Zeiten hattet, da ihr doch von anderen oder von einander versklavt wurdet. Ach, hätte ich dieses Geschenk doch gewähren können, als Griechenland auf dem Gipfel seiner Macht stand, sodass mehr Menschen diese Gnade genießen könnten! Deswegen beschuldige ich den Lauf der Zeiten, der die Größe meiner Gnade verprasst hat. Doch selbst jetzt erweise ich euch diese Wohltat nicht aus Mitleid, sondern aus Wohlwollen, und vergelte den Dienst eurer Götter, deren Fürsorge ich stets auf Land und Meer erfahren habe, weil sie es mir gewährten, euch solch große Wohltaten zu erweisen. Denn auch andere Herrscher haben Städten die Freiheit gegeben, Nero aber einer ganzen Provinz.

Für seine Freiheitsverkündung wählte Nero denselben Schauplatz wie Flamininus 263 Jahre zuvor. Doch abgesehen vom Schauplatz und dem Wort eleutheria war alles anders. Diese Freiheitserklärung brachte ein Abhängigkeitsverhältnis zum Ausdruck. Nero erinnerte die Griechen daran, dass sie selbst in ihren ruhmreichen Tagen „versklavt“ waren. Als Herr über die gesamte Welt, der Sonne gleichgesetzt, betonte er die Größe seines Geschenks, indem er die Vergangenheit zum Vergleich heranzog und seine Motivation auf emotionaler Ebene erklärte: Er handelte nicht aus Mitleid, sondern aus Zuneigung und Dankbarkeit den Göttern gegenüber. Um die emotionale Wirkung zu erhöhen, drückte Nero keine Freude angesichts seiner Wohltat aus, sondern Kummer, da der demographische Niedergang in Griechenland die Anzahl der Empfänger seiner Wohltat verringert hatte. Die historischen Umstände hatten seine Freude getrübt, und den Griechen wurde ihr Niedergang vor Augen geführt. Neros Geschenk wurde dankbar und begeistert angenommen. Epameinondas, ein Staatsmann aus Akraiphia in Böotien, verfasste einen Beschluss zu Ehren des Kaisers, und dieser wird darin dafür gepriesen, dass er „die vom Anbeginn der Zeit eingeborene und autochthone Freiheit der Griechen 289

Der römische Osten

wiederherstellte, die ihnen zuvor genommen worden war“. Was aus der Sicht des Kaisers ein Geschenk war, war für einen selbstbewussten Griechen die Wiederherstellung eines angestammten Status. Neros Verkündigung ließ seine Beliebtheitswerte in die Höhe schießen und rechtfertigte seine Gleichsetzung mit Zeus Eleutherios, dem „Schutzherrn der Freiheit“. Doch die Freude währte nicht lange, weder für ihn noch für die Griechen. Während die Griechen in Achaea allen Grund zum Feiern hatten, sah es für andere nicht so gut aus. Das aufmüpfige Klientelkönigreich Pontos wurde 64 n. Chr. annektiert. Doch die größten Schwierigkeiten bereitete Judäa. Die Juden waren seit 44 n. Chr. von einem römischen Statthalter (procurator) regiert worden. Provokationen durch römische Soldaten, schwere Steuerlasten und verächtliche Handlungen gegenüber den Juden radikalisierten sogar die gemäßigten unter ihnen und verstärkten den Einfluss einer Gruppierung stark antirömischer Ausrichtung, der sogenannten Zeloten. Als der Statthalter Florus 66 n. Chr. die immensen Reichtümer aus dem Tempel entfernen ließ, war eine Eskalation nicht mehr zu vermeiden; während der Ausschreitungen wurde die römische Besatzung ausgelöscht, und bald befand sich Rom mit den Juden im Krieg. Die Juden sahen sich nicht nur mit den römischen Streitkräften konfrontiert, sie hatten auch mit einer tiefen Spaltung in den eigenen Reihen zu kämpfen – die gemäßigteren Anführer wurden von den Zeloten ermordet. Der große Jüdische Krieg dauerte vier Jahre. Zu Hause waren die Probleme für Nero aber noch größer. Nachdem in der Nacht des 18. Juli 64 n. Chr. ein Inferno einen großen Teil Roms in Schutt und Asche gelegt und Nero enorme Ausgaben für seine extravaganten Bauprojekte in der Hauptstadt aufgewendet hatte, musste zum ersten Mal in der Geschichte Roms die Währung abgewertet werden. Der Senat und etliche Statthalter waren über Neros Politik empört. Als Nero sich im Juni 68 n. Chr. mit einer Rebellion konfrontiert sah, wusste er keinen Ausweg und bat seinen Sekretär, ihn zu töten. Auch nach seinem Tod hielt Neros Beliebtheit im griechischen Osten an. In den 20 Jahren danach machten sich insgesamt drei Hochstapler diese Popularität zunutze, gaben sich als Nero aus und führten Aufstände in Kleinasien an, die allerdings nicht lange anhielten. Mit dem Tod Neros fand die von Augustus begründete julisch-claudische Dynastie ein Ende. Sie hatte die Römer und ihre Untertanen mit der Idee versöhnt, dass das Reich nur von einem einzelnen Mann regiert werden konnte. Es folgte ein Jahr voller kriegerischer Auseinandersetzungen, das als „Vierkaiserjahr“ in die Geschichte einging. Einer (Galba) wurde ermordet, 290

Die Integration der Griechen in die Reichselite: die Flavier

ein Anderer (Otho) beging Selbstmord und ein Dritter (Vitellius) wurde ­h ingerichtet. Ein Vierter, Vespasian, wurde 69 n. Chr. in Alexandria zum Kaiser ausgerufen. Ihm gelang es, das Reich zu vereinen, und er begründete die Dynastie der Flavier.

Die Integration der Griechen in die Reichselite: die Flavier Vespasian ist für sein Bonmot Pecunia non olet (Geld stinkt nicht) bekannt, das er geäußert haben soll, als die Besteuerung öffentlicher Toiletten eingeführt wurde. Doch abgesehen von der Regelung der Finanzen in Rom lag seine Priorität in der Wiederherstellung der Ordnung in den östlichen Provinzen. Unmittelbar nachdem er sich nach einem kurzen Bürgerkrieg den Thron gesichert hatte, sandte er seinen Sohn Titus nach Jerusalem. Die Stadt fiel erst im Sommer 70 n. Chr. nach einer langen Belagerung. Der Zweite Tempel wurde zerstört, und die Schätze und religiösen Symbole der Juden wurden nach Rom gebracht. Der Widerstand einer radikalen Gruppierung von 960 Leuten, der Sicarii, dauerte im Fort von Masada, einer natürlichen Festung nahe des Toten Meeres, bis 73 n. Chr. an. Flavius Iosephus berichtet, dass die Verteidiger Selbstmord begingen, als die Römer nach mehreren ­Monaten Belagerung eine Rampe errichteten, um einen riesigen Belagerungsturm auf den Gipfel des Berges zu transportieren – was die archäologischen Befunde aber nicht rundum bestätigen. Da die jüdische Religion Selbstmord verbietet, losten die Belagerten angeblich und brachten sich gegenseitig um, bis auf zwei Frauen und drei Kinder, die in einer Zisterne ­versteckt überlebten. Griechenland erlitt durch den Jüdischen Krieg von 69 bis 70 n. Chr. bzw. den Bürgerkrieg 69 n. Chr. keinen Schaden. Vespasian widerrief allerdings die Freiheitserklärungen für Achaea, Rhodos, Byzantion, Samos und vermutlich Lycia. Der Jüdische Krieg und die anhaltende Bedrohung durch das Partherreich machten deutlich, dass die Verteidigung der östlichen Grenzen verbessert werden musste. Vespasian eroberte zu diesem Zweck Gebiete, strukturierte die Provinzen um und ordnete die Legionen entlang der Grenzen zum Königreich der Parther neu an. Diese Maßnahmen hatten Auswirkungen auf die Verwaltung der östlichsten hellenisierten Gebiete. 72 oder 73 n. Chr. fügte der Statthalter von Syria, Caesennius Paetus, das ­ K lientelkönigreich Kommagene seiner Provinz hinzu. Die Lücke zwischen Syria und Cappadocia, den beiden Provinzen mit der 291

Der römische Osten

­ rößten strategischen Bedeutung im Osten, wurde auf diese Weise geschlosg sen. Die Provinz Cappadocia wurde mit Galatia und Gebieten in Armenia Minor vereint – diese neue Großprovinz „Cappadocia und Galatia“ umfasste die weniger urbanisierte und hellenisierte anatolische Hochebene. Eine ­weitere Großprovinz wurde im Süden Kleinasiens geschaffen: Lycia et Pamphylia, das Teile Pisidiens sowie den westlichen Teil des Rauen Kilikiens miteinschloss. Das Ebene Kilikien, das zuvor ein Teil der Provinz Syria ­gewesen war, wurde zusammen mit einem Teil des Rauen Kilikien zu einer neuen Provinz gemacht. Einige dieser Reformen machte Trajan dann rückgängig – er trennte Cappadocia und Galatia wieder und schloss Armenia an Cappadocia an sowie Galatia an Paphlagonien. Diese Veränderungen nahe der Ostgrenze des Reiches stehen in starkem Kontrast zur weitaus stabileren und friedlicheren Lage in Griechenland und im hellenisierten Teil Kleinasiens. Dieser Teil des Römischen Reiches wurde unter Vespasian (69–79 n. Chr.), Titus (79–81 n. Chr.) und Domitian (81–96 n. Chr.) schnell stärker in das Reich integriert. Gemäß der großzügigen Tradition, das römische Bürgerrecht an wohlhabende und politisch einflussreiche Männer in Griechenland und Kleinasien zu verleihen, rekrutierten die flavischen Kaiser Männer griechischer Herkunft für die Führungsriege der römischen Aristokratie. Neun Männer aus dem griechischen Osten wurden unter Vespasian in den Senat aufgenommen und stiegen so in den höchsten Rang der Reichselite auf. Sieben von ihnen kamen aus Städten in Kleinasien, während die anderen beiden nach ihrem Militärdienst im römischen Heer Senatoren wurden. Unter Domitian folgten weitere acht Senatoren aus Kleinasien. Kleinasien profitierte von der langanhaltenden Friedensphase, genauso wie vom Abbau natürlicher Ressourcen wie Marmor, von der Fruchtbarkeit seiner Böden und von der Versorgung der römischen Legionen entlang der Donau und des Euphrats und erlebte eine Periode des Wachstums. Ein Zeichen dieses Wachstums ist die Tatsache, dass 300 der etwa 500 Städte Kleinasiens unter den Flaviern ihre eigenen Münzen schlugen und so ein eigenes Identitätsgefühl und wirtschaftlichen Austausch förderten. Den Flaviern lassen sich auch der Bau und die Instandhaltung von Straßen zuschreiben. Domitian war aufgrund seines autokratischen Regierungsstils bei den ­Senatoren unbeliebt, in den östlichen Provinzen aber überaus populär. Die flavische Dynastie fand ein Ende, als er einer Palastverschwörung zum Opfer fiel und ermordet wurde. Mit Nerva, einem alten und erfahrenen Senator, kam eine neue Dynastie an die Macht. Die folgenreichste Entscheidung ­seiner 292

Die Befestigung der Grenzen der oikoumene: Trajan und Hadrian

kurzen Regierungszeit (96–98 n. Chr.) war, dass er einen äußerst t­ alentierten General, Trajan, als seinen Nachfolger adoptierte. Es war der Anfang der antoninischen Dynastie bzw. der Dynastie der „Adoptivkaiser“.

Die Befestigung der Grenzen der oikoumene: Trajan und Hadrian Unter der Herrschaft Trajans (98–117 n. Chr.) erreichte das Römische Reich seine größte Ausdehnung (s. Karte 8). Trajans Feldzüge in Dakien – dem heutigen Rumänien – von 101 bis 106 n. Chr. endeten damit, dass dieses unruhige Königreich zu einem Teil des Reiches wurde; das Königreich der Nabatäer, das gebietsmäßig in etwa dem heutigen Jordanien entspricht, wurde 107 n. Chr. annektiert. Der einzige ernstzunehmende Feind der Römer blieb das Partherreich. Sowohl Rom als auch die Parther kämpften um Einfluss in Armenien. Trajans Offensive in Armenien und Mesopotamien von 113 bis 115 n. Chr. verschob die römische Grenze zeitweilig bis an den Tigris und den Persischen Golf. Im Jahr 115 n. Chr., gegen Ende seiner Regierungszeit, sah sich Trajan mit einer neuen Revolte der Juden konfrontiert, die sowohl Babylonien und Syrien als auch Ägypten und die Kyrenaika erfasste. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, und beinahe die gesamte jüdische Bevölkerung Alexandrias wurde getötet. Trajan starb 117 n. Chr., kurz nachdem er dem Reich zu seiner größten Ausdehnung verholfen hatte. Der Politik der Flavier folgend nahm Trajan viele Griechen aus Kleinasien und nun auch vom griechischen Festland in den Senat auf. Einer von ihnen, Tiberius Claudius Atticus, war der Vater von Herodes Atticus, des reichsten Mannes im Griechenland des 2. Jahrhunderts – er war zudem ein bedeutender Redner und 143 n. Chr. der erste Grieche, der regulärer Konsul wurde (also nicht Suffektkonsul). Heute noch besuchen Touristen in Athen Konzerte und Theateraufführungen im von ihm finanzierten Konzertgebäude, dem sogenannten Odeion des Herodes Atticus (s. Abb. 20). Als Trajan 117 n. Chr. kinderlos verstarb, bestieg sein Adoptivsohn Hadrian im Alter von 41 Jahren den Thron. Er war der Sohn eines Senators aus Spanien, Neffe Trajans und Ehemann Sabinas, einer Großnichte des Kaisers. Wie sein Vorgänger verfügte Hadrian über militärische Erfahrung. Kurz vor seinem Amtsantritt war er noch zum Statthalter der bedeutendsten Provinz des Ostens, Syrias, ernannt worden. Doch ist er besser bekannt für seine Liebe zu griechischer Literatur und Philosophie, die ihm den 293

Der römische Osten

Abb. 20 Das Odeion des Herodes Atticus in Athen. Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr.

Spitznamen Graeculus (der kleine Grieche) einbrachte (s. Abb. 21). Seine anderen Leidenschaften waren die Jagd und ein schöner Jüngling aus Bithynien, Antinoos. Nach seiner Thronbesteigung beendete Hadrian den Krieg gegen die Parther, gab Armenien und Mesopotamien auf und verbrachte den größten Teil seiner Regierungszeit damit, durch sein Reich zu reisen, Aufstände niederzuschlagen und die Grenzen des Reiches zu sichern, vom Wall im Norden Britanniens, der seinen Namen trägt, bis an den Euphrat. Aufgrund seiner langen Aufenthalte im Osten war sein Einfluss auf die Angelegenheiten der Griechen größer und spürbarer als der aller seiner Vorgänger, einschließlich Neros. Während seiner ersten Reise durch das Reich, von 121 bis 125 n. Chr., veranlasste Hadrian die Errichtung eines Walls in Britannien und setzte sich mit einem Aufstand in Mauretanien auseinander, bevor er dann rasch in den Osten ziehen musste, um einen neuen Krieg mit den Parthern zu verhindern. Im Winter 123 n. Chr. und Frühling 124 n. Chr. blieb er in Kleinasien und besuchte dort viele Städte. Anlässlich seines Besuches wurde Stratonikeia zu Hadrianopolis umbenannt, und eine erfolgreiche Bärenjagd in Mysien wurde mit der Gründung einer Stadt namens Hadrianou Therai 294

Die Befestigung der Grenzen der oikoumene: Trajan und Hadrian

Abb. 21 Kolossales Marmorporträt Hadrians, ca. 130–138 n. Chr. Archäologisches Nationalmuseum Athen.

(Hadrians Jagd) gefeiert. Während dieser Reise wurde dem Kaiser ein zwölfjähriger Junge aus Mantineion in Bithynien vorgestellt: Antinoos; er sollte zu einem der schönsten Jünglinge seiner Zeit und zum Liebling des Kaisers werden (s. Abb. 22). Im Sommer 124 n. Chr. zog Hadrian nach Griechenland, besuchte die berühmtesten Stätten – Athen, Delphi, Sparta – und verlieh seiner Liebe zu Griechenland dadurch Ausdruck, dass er in Athen als Beamter diente und sich in die Eleusinischen Mysterien einweihen ließ. Er sorgte dafür, dass der Tempel des Zeus Olympios, der seit der Zeit des Tyrannen Peisistratos im späten 6. Jahrhundert v. Chr. unvollendet geblieben war, fertiggestellt wurde. 125 n. Chr. war Hadrian dann zurück in Italien. Nach einer Afrikareise kehrte Hadrian 128 n. Chr. nach Griechenland zurück, nun als Träger des Ehrentitels pater patriae (Vater des Vaterlandes). Im Osten wurde er als der „Olympier“ empfangen und mit Zeus verglichen. In Athen wurde seine Ankunft als der Beginn einer neuen Ära betrachtet. Hunderte von Altären, die zu seiner öffentlichen und privaten Verehrung errichtet 295

Der römische Osten

Abb. 22 Marmorporträtbüste des Antinoos. Patrai, Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Archäologisches National­ museum Athen.

wurden, zeugen auch heute noch von Hadrians Beliebtheit. 129 n. Chr. machte sich der philhellene Kaiser von Athen aus auf eine weitere Reise durch Kleinasien und Syrien. Als er 130 n. Chr. in Jerusalem ankam, erließ er Maßnahmen, die die jüdische Opposition gegen die Herrschaft der Römer erneut aufflammen ließen: Er verbot die Beschneidung, möglicherweise um die Hellenisierung der Juden voranzutreiben. Er befahl auch die Errichtung eines Tempels für Iuppiter Capitolinus und gründete neben der alten Stadt von Jerusalem eine neue Stadt, die colonia Aelia Capitolina. Im Juli 130 n. Chr. erreichten Hadrian und seine Entourage Ägypten. Dort diskutierte der Kaiser eine Zeit lang mit den Gelehrten im Mouseion. Eine Löwenjagd, die er zusammen mit Antinoos in der libyschen Wüste ­u nternahm, inspirierte den alexandrinischen Dichter Pankrates zu einem Gedicht. Der kaiserliche Besuch brachte noch mehr Poesie hervor, als die 296

Die Befestigung der Grenzen der oikoumene: Trajan und Hadrian

Dichterin Iulia Balbilla, eine Gefolgsfrau Sabinas, der Reise zu ägyptischen Denkmälern in Versen gedachte – noch heute kann man sie eingemeißelt auf den Füßen der Kolossalstatuen Pharao Amenhoteps III. in der Nekropole Thebens bewundern. Damals glaubte man, diese Statuen stellten den äthiopischen Prinzen Memnon dar, der während des Trojanischen Krieges von Achilles getötet wurde. Sie waren durch ein Erdbeben beschädigt worden und ließen bei Tagesanbruch gelegentlich einen Klang ertönen, den man für den Gesang Memnons hielt. Für Hadrian sang Memnon dreimal mit gewaltiger Stimme: Der Herrscher Hadrian selbst erbot dann Memnon Seinen Gruß und hinterließ auf Stein für die, die nach ihm kommen, Diese Inschrift, die alles, was er sah und hörte, beschreibt. Es war allen klar, dass die Götter ihn lieben.

Diese im November verfassten Verse lassen in keiner Weise die Tragödie erahnen, die sich nur wenige Tage zuvor zugetragen hatte: Der 19-jährige Antinoos war am 24. Oktober im Nil ertrunken. An ebendiesem Tag gedachten die Ägypter des Todes ihres großen Gottes Osiris, der wie Antinoos im Nil ertrunken ist. Ob es im Fall Antinoos ein Unfall, ein Opfer oder ein Selbstopfer war, werden wir nie erfahren. Doch lieferte sein Tod Hadrian die Gelegenheit, Achilles’ Totenklage um Patroklos und jene Alexanders um Hephaistion in den Schatten zu stellen. In der Mythologie wird Osiris von seiner Schwester und Gattin, Isis, wieder zum Leben erweckt. Hadrian konnte Antinoos nicht wieder zum Leben erwecken, aber er konnte ihn zu einem Gott machen – und tat dies auch. Sein wunderschönes Bildnis zierte Tempel in den östlichen Teilen des Reiches, und in Athen trugen die Epheben bei dem neuen Fest der Antinoeia einen Wettkampf mit Gedichten und Panegyrik auf ihren vergöttlichten Ephebengenossen aus. Nur wenige Tage nach Antinoos’ Tod, am 30. Oktober, wurde nahe dem Unfallort und mit seinem Tempelgrab als Zentrum die neue Stadt Antinoopolis gegründet. Steuerbefreiungen und andere Privilegien zogen griechische Siedler und römische Militärveteranen an, und die Stadt entwickelte sich nicht nur zu einem bedeutenden Hafen am Nil, sondern sogar zum Vorreiter des Hellenismus in Ägypten. Im Frühjahr 131 n. Chr. trat Hadrian über Syrien, Kleinasien und Athen seine lange Rückreise nach Rom an. Sein größter Erfolg während dieser zweiten Reise war die Gründung des Panhellenions im Jahr 132 n. Chr. Er wollte damit ein Ratsgremium schaffen, in dem alle griechischen Städte 297

Der römische Osten

vertreten sein sollten. Hiermit führte er eine Tradition fort, die bis zu den Perserkriegen und der zeitweiligen Einheit der Griechen zurückreichte, kombinierte sie jedoch mit dem Konzept religiöser Zentren wie Olympia und Delphi, die die Griechen in ihrer Gesamtheit zu vertreten beanspruchten; so schuf Hadrian eine Institution, die all diejenigen Städte vereinte, die ihren hellenischen Ursprung überzeugend glaubhaft machen konnten. Die Gründung des Panhellenions war eine Einladung an weit entfernte Städte, einen Nachweis ihres griechischen Ursprungs vorzubringen. Dieser Akt beförderte nicht nur lokale Geschichtsschreibung, sondern gab auch einen wichtigen Anstoß zur Definierung einer griechischen Identität. Das Panhellenion wurde zur Bühne für die Zurschaustellung hellenischer Identität und für den Konkurrenzkampf der griechischen Städte untereinander. Die Folgen seiner Handlungen in Judäa ließen Hadrian keine Zeit, die Schaffung des neuen Griechenbundes zu feiern. 132 n. Chr. kam es unter Simeon Bar Kochba in Judäa zu einem großen Aufstand. Der Kaiser ließ seinen besten Feldherrn, Sextus Iulius Severus, aus Britannien kommen und zog Truppen aus den angrenzenden Provinzen ab, um die Aufständischen zu bekämpfen. Er kehrte 133 n. Chr. nach Rom zurück, doch setzte sich der Krieg, der die Herrschaft der Römer in dieser Gegend ernsthaft bedrohte, bis 135 fort – dann aber wurde Judäa der neuen Provinz Syria und Palaestina angeschlossen. Nach dem Sieg der Römer war es den Juden nicht mehr erlaubt, Jerusalem zu betreten. Seine letzten Jahre verbrachte Hadrian im Krankenbett und mit der Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Als der designierte Kandidat Lucius Aelius Caesar starb, fiel die Wahl auf Aurelius Antoninus, der als Pius (der Fromme) bekannt wurde. Dieses Attribut verdankte er seiner Unnachgiebigkeit bezüglich der Vergöttlichung Hadrians – er setzte sie gegen den Widerstand des Senats durch. Hadrians letzte Ruhestätte ist eines der bekanntesten Wahrzeichen Roms: Castel Sant’ Angelo, die Engelsburg. Die jüdische Revolte und die gesundheitlichen Probleme in seinen späten Jahren konnten Hadrians Engagement für die Griechen nicht schmälern. Immer mehr Inschriften werden gefunden, die Kaiserbriefe zitieren, die ­Hadrians Interesse für die politischen und kulturellen Angelegenheiten der griechischen Welt bezeugen. 134 n. Chr. verfasste Hadrian drei lange Briefe mit detaillierten Anweisungen über die Organisation von Wettkämpfen, die Pflichten der Organisatoren, die an die Sieger gezahlten Geldpreise und die Einführung einer strengen Abfolge der Wettkämpfe, die es Athleten und Künstlern ermöglichen sollte, von einem Austragungsort zum anderen zu 298

Die Befestigung der Grenzen der oikoumene: Trajan und Hadrian

reisen. In zwei weiteren Briefen aus seinen letzten Jahren beschäftigte er sich mit der Wahl der Amtsträger des Makedonischen Koinons und mit der Errichtung eines ihm geweihten Tempels in Pergamon – diese Ehre lehnte er allerdings ab. Noch in den Wochen vor seinem Tod kümmerte sich Hadrian um die Streitereien der Griechen. Einer Gesandtschaft der kleinen Stadt Naryx in Zentralgriechenland bestätigte er, dass ihr der Status und die Rechte einer polis zukamen, und stellte dabei seine Bildung zur Schau: „Und einige der berühmtesten Dichter, sowohl römische als auch griechische, haben euch als Narykeier erwähnt; und sie führen explizit einige der ­Heroen auf, die in eurer Stadt geboren wurden.“ Hadrian bezieht sich hier auf den lokrischen Heros Ajax und auf die Bezugnahmen auf seine Taten in den Werken Kallimachos’, Vergils und Ovids. In einem kurzen Satz in einer Inschrift für „Imperator Hadrian, den Retter“ wird voll Dankbarkeit anerkannt, dass der Kaiser „sein Hellas rettete und ernährte“ (ten heautou Hel­ lada), eine Possessivkonstruktion, die nicht von gewaltsamer Dominanz herrührt, sondern von Zuneigung.

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12 Kaiser, Städte und Provinzen: von Augustus bis Hadrian

Das Geschenk der göttlichen Vorsehung an die Menschheit: der römische Kaiser In einem Dekret nannte die Versammlung der in Kleinasien lebenden Griechen 9 v. Chr. Augustus’ Geburtstag den „Beginn der frohen Botschaften für die Welt“. Dementsprechend sollte dieser Tag – der 23. September – der erste Tag eines neuen Jahres sein. Die Vorsehung, die unser Leben ordnet, hat jeglichen Eifer und Ehrgeiz aufgebracht und das für unser Leben vollkommenste Gut geschaffen, indem sie Augustus hervorgebracht hat. Zur Wohltat der Menschen hat sie ihn mit jeglicher Tugend erfüllt und hat ihn uns und denen nach uns an ihrer Stelle zum Gott gegeben. Er hat den Krieg beendet und den Frieden geordnet.

Die griechische Bevölkerung ahnte nichts von den heiklen Verhandlungen mit der Senatsaristokratie, auf denen Augustus’ Macht beruhte. Doch am Ende der julisch-claudischen Dynastie (68 n. Chr.) hatte diese Macht eine mehr oder weniger klar definierte Form angenommen. 69 n. Chr. konkretisierte eine vom Senat verabschiedete lex de imperio Vespasiani die Machtbefugnisse des Kaisers wie auch deren institutionelle Grundlage: die tribu­ nicia potestas und das imperium proconsulare maius. Erstens war der Kaiser direkt und indirekt für die Verwaltung der Provinzen verantwortlich. Als Prokonsul war er der nominelle Statthalter aller Provinzen, in denen römische Legionen stationiert waren. Weite Teile des Balkans – unter Hadrian waren dies Epirus, Thrakien, Moesien und Dakien – sowie beinahe der gesamte Nahe Osten und Ägypten unterstanden damit seiner direkten Herrschaft. Da der Kaiser nicht in all diesen „kaiserlichen Provinzen“ persönlich vor Ort sein konnte, regierte er sie mittels einflussreicher Senatoren, die er 301

Kaiser, Städte und Provinzen

als seine Stellvertreter in die Provinzen entsandte (s. S. 315). In Provinzen, die unter der direkten Herrschaft des Senats standen (senatorische Provinzen), waren keine Streitkräfte stationiert. Der Kaiser war jedoch auch in diesen Fällen in die Auswahl der Statthalter involviert. Und alle Statthalter wandten sich an ihn, um Rat, Unterstützung und Legitimierung zu erlangen, bisweilen sogar in belanglosen Angelegenheiten. Der Briefwechsel zwischen Plinius dem Jüngeren, Statthalter von Bithynia et Pontus, und Trajan veranschaulicht das Arbeitspensum, das ein gewissenhafter Kaiser auf sich nehmen musste, wenn er die Rolle eines Beraters ernst nehmen wollte. Für gewöhnlich reagierte der Kaiser auf Anfragen und Probleme individuell, manche aber, besonders Vespasian, Trajan und Hadrian, setzten auch allgemeine Richtlinien in Kraft – in Bezug auf die Verteidigung des Reiches, die Integration der Provinzelite in die Reichsaristokratie, die Finanzen, die Bautätigkeiten und das Thema Restrukturierung von Provinzen. Die Kaiser griffen in das Alltagsleben in den Provinzen ein, indem sie in ihren Edikten allgemeine Regeln aufstellten, Briefe (epistulae) mit Anweisungen für die Statthalter oder die Provinzversammlung sandten, Finanzauf­ seher (correctores) ernannten und auf Petitionen jeglichen nur erdenklichen Inhalts antworteten: Da ging es um Einschränkungen der Weinproduktion, die Festlegung des Fischpreises, um interne Konflikte, die geschlichtet werden mussten, um Gebietsstreitigkeiten zwischen Städten, um Steuerbefreiung und Privilegien, Schutz vor Misshandlungen durch Soldaten oder die Organisation von Wettkämpfen. Augustus musste sich sogar mit dem Tod eines Mannes aus Knidos auseinandersetzten, der von einem Nachttopf am Kopf getroffen worden war, den ein Sklave nach ihm geworfen hatte. Das Opfer hatte den Tod verdient, urteilte Augustus, da er des Nachts das Haus eines anderen Mannes überfallen hatte. Für gewöhnlich wurde die Antwort des Kaisers (apokrima) unter den jeweiligen Brief gesetzt (subscriptio, hypographe), oft vom Kaiser selbst. Einem von Plutarch erzählten Witz nach zu urteilen konnte die Antwort eines Kaisers so vieldeutig ausfallen wie ein Orakelspruch Apollons in Delphi – oder einfach nur einen gewissen Sinn für Humor zum Ausdruck bringen. Jemand überbrachte Augustus einen libellus, auf dem die Frage stand: „Ist Theodoros von Tarsos ein Glatzkopf oder ein Dieb? Was denkst du?“, worauf Augustus antwortete: „Ja, ich denke.“ Die Macht des Kaisers wurde in der Stadt Rom und in Italien, in den westlichen Provinzen und in denjenigen des griechischen Ostens, die auf eine lange Tradition monarchischer Herrschaft zurückblickten, unterschiedlich 302

Das Geschenk der göttlichen Vorsehung an die Menschheit

wahrgenommen. Für die griechische Bevölkerung war der Kaiser ein absoluter Monarch mit einem beispiellosen universellen Machtanspruch, ein Herrscher, dem gegenüber die Provinzbevölkerung zu Gefolgschaft verpflichtet war. Die einzigartige Machtposition des Kaisers wurde durch Loyalitätseide anerkannt. Der Eid wurde von der Bevölkerung einer Provinz – oder ihren Vertretern – nur anlässlich der Thronbesteigung eines neuen Kaisers abgelegt, in der Regel an der Stätte des Kaiserkultes. Auch machten Gesandtschaften dem Kaiser ihre Aufwartung, um ihm zu gratulieren. Die Einwohner der Provinzen bekundeten auch indirekt ihre Loyalität, indem sie bei geschäftlichen Transaktionen beim Schicksal des Kaisers schworen. Solche regelmäßig ausgeführten Rituale führten der griechischen Bevölkerung vor Augen, dass der Kaiser ihr Herrscher war. Er war mehr als nur der höchste Repräsentant der römischen Herrschaft. Er war ein Monarch mit direkten und absoluten Machtbefugnissen, wie sie sich kein hellenistischer König je zu erträumen gewagt hätte. Seine Macht erstreckte sich über die gesamte bewohnte Erde. Augustus wurde gepriesen als „Retter der Griechen und der gesamten oikoumene“, Vespasian als „Retter und Wohltäter der oi­ koumene“, Hadrian als „Retter und Gründer der oikoumene“ sowie als „Herr und Retter der oikoumene“, für den „die oikoumene Opfer darbringt und für dessen ewige Erhaltung sie betet“. Nichts Vergleichbares ist für einen hellenistischen König bekannt. So gut wie alle Kaiser haben vor ihrer Thronbesteigung eine gewisse Zeit im Osten verbracht, aber während ihrer Regierungszeit reisten nur Augustus, Nero, Trajan und Hadrian in den Balkan, nach Griechenland und Kleinasien. Augustus hielt sich zwischen 22 und 19 v. Chr. eine Zeit lang in den östlichen Provinzen auf. Sein Nachfolger Tiberius reiste zwar während seiner Regierungszeit nicht nach Griechenland, hatte aber sieben Jahre auf Rhodos verbracht und dort die Lebensart und Kleidung der Griechen übernommen. Nero war wegen seiner Teilnahme an den Wettkämpfen 67/68 n. Chr. in Griechenland, Trajan kam im Rahmen seiner Kriegszüge auf den Balkan, nach Kleinasien und Mesopotamien, und Hadrian bereiste den Osten zweimal. Manche Kaiser entwickelten besondere Beziehungen zu einzelnen Städten oder Provinzen, entweder weil sie dort Freunde hatten oder weil sie dort gelebt oder studiert hatten. So war Claudius beispielsweise ein großer Wohltäter der Insel Kos, der Heimat seines Arztes und Freundes Gaius Stertinius Xenophon. Zwei Kaiser allerdings übertrafen alle anderen durch ihre engen Beziehungen zu griechischen Provinzen und Städten sowie durch das Ausmaß ihrer Wohltaten: Nero und Hadrian. 303

Kaiser, Städte und Provinzen

Dennoch: Beinahe alle Kaiser nahmen Einfluss auf die Siedlungs­ geschichte, selbst aus der Ferne; im übertragenen Sinn wurden sie zu „Gründern“ (ktistai) von Städten, indem sie Geldmittel für öffentliche Baumaßnahmen spendeten, ein Stadtgebiet erweiterten, Privilegien gewährten und für den Wiederaufbau von Städten sorgten, die unter Erdbeben und an­deren Naturkatastrophen oder Geldknappheit gelitten hatten. Indem sie ­Ehrentitel wie „Tempelwärter“ (neokoros) des regionalen Kaiserkultes verliehen, setzten sie einen Konkurrenzkampf der Städte um Status und Privilegien in Gang, und beförderten so unbeabsichtigt Lokalpatriotismus und städtische Identitäten, wie es auch ein Lokalpolitiker nicht besser hätte zuwege bringen können. Obwohl die Provinzbevölkerung den Kaiser selbst kaum je zu Gesicht bekam, war er auf ritueller und symbolischer Ebene in ihrem Leben präsent.

Aus der Ferne regieren: die Sichtbarkeit des Kaisers In einer berühmten Stelle des Markusevangeliums nimmt Jesus einen Denar in die Hand, deutet auf die Abbildungen auf beiden Seiten der Münze und sagt: „Gebt Caesar was Caesars ist und Gott was Gottes ist.“ Für den Großteil der Bevölkerung des römischen Ostens bestand der direkteste Kontakt mit dem römischen Kaiser im Alltag in der Verwendung von Münzen, die mit seinem Abbild geschmückt waren (s. Abb. 23). Auf den Münzen waren Inschriften zu lesen, die den Kaiser verherrlichten und wichtige Konzepte hinsichtlich seiner Stellung, aber auch hinsichtlich der potenziellen Erwartungen seiner Untertanen vermittelten: aequitas, aeternitas, concordia, felicitas, fortuna, gloria, securitas – Ausgeglichenheit, Ewigkeit, Eintracht, Glück­ seligkeit, Erfolg, Ruhm, Sicherheit. Selbst wenn die Menschen im griechischsprachigen Osten möglicherweise Schwierigkeiten hatten, die lateinischen Münzlegenden zu verstehen, so waren der Kaiser und seine Macht doch auch durch andere Medien überall sichtbar. Verschiedene Kommunikationsformen machten die Bevölkerung mit dem Herrscher des Reiches vertraut: Bekanntmachungen und Ankündigungen, Festspiele und Wettkämpfe, Prozessionen und Opfer, Hymnen, Lobreden und Bilder. Die meisten Menschen wussten, wer das Reich regierte und wie er aussah. In einer Welt ohne Internet mag es eine Weile gedauert haben, bis die Nachricht vom Tod eines Kaisers und der Name seines Nachfolgers in die entlegensten Winkel des Reiches getragen wurden. Ein am 17. November 54 304

Aus der Ferne regieren: die Sichtbarkeit des Kaisers

Abb. 23 Silberdenar des ­Domitian mit der Aufschrift „Imp(erator) Caes(ar) Domit(ianus) Aug(ustus) Germ(anicus) P(ontifex) M(aximus) tr(ibunicia) p(otestate) XV“. Münzstätte von Rom, 95/96 n. Chr. Numismatisches Museum Athen.

n. Chr. verfasster Papyrus bewahrt den Entwurf einer Bekanntmachung der Thronbesteigung Neros. Claudius war am 2. Oktober verstorben – die Nachricht vom neuen Kaiser hatte also über einen Monat gebraucht, um nach Ägypten zu gelangen: Der seinen Vorfahren geschuldete und manifeste Gott Caesar ist zu ihnen gegangen, und der von der oikoumene erwartete und erhoffte Kaiser wurde ernannt, der gute Geist der oikoumene und Quelle aller guten Dinge, Nero Caesar wurde ernannt. Deshalb sollen wir alle Kränze tragen und Rinder opfern und so allen Göttern Dank bezeugen.

Zu Zeiten von Usurpationen wie dem „Vierkaiserjahr“ konnte es zu Verwirrungen kommen; das erklärt vielleicht, wieso sich in den 20 Jahren nach dem Selbstmord Neros mindestens drei Hochstapler im römischen Osten als ebendieser ausgeben konnten. Eine Handvoll Griechen aus dem römischen Osten konnte dem Kaiser auf Gesandtschaftsreisen nach Rom persönlich begegnen – sie waren einer der höchsten Dienste, die ein Mitglied der Elite seiner Stadt oder Provinz erweisen konnte. Gesandte mussten sich den gewöhnlichen Risiken des Reisens stellen, dazu der kaiserlichen Laune, die eine ungewöhnliche Gefahr sein konnte, und sie mussten die Angst aushalten, mit dem Anliegen ihres Gemeinwesens zu scheitern. Erfolgreiche Dienste wurden jedoch nicht vergessen, und „Sebastognostos“ (mit dem Verehrten bekannt) war ein Ehrentitel, der sowohl dem Betroffenen selbst als auch seinen Nachkommen 305

Kaiser, Städte und Provinzen

großes Prestige verlieh. Gesandte traten mit konkreten Anfragen vor den Kaiser, aber auch nur um ihm ihre Aufwartung zu machen und ihm zum Geburtstag, einem Sieg oder anlässlich der Mannwerdung eines 15-jährigen Prinzen zu gratulieren, wenn dieser das Symbol der Männlichkeit, die toga virilis, erhielt. Diese Gesandtschaften wurden zu einer enormen finanziellen Belastung für die Städte: So zahlte beispielsweise Byzantion jährlich 12 000 Sesterzen – den Preis für sechs Sklaven –, um einen Gesandten mit einem Ehrendekret zum Kaiser zu schicken, und weitere 3000 für einen Gesandten zum Statthalter von Moesia, bis Plinius ihnen mit der Zustimmung des Kaisers diese Kosten ersparte, indem er anordnete, dass sie das Schreiben ohne einen Gesandten schicken sollten. Einige der Gesandtschaften gerieten so groß, dass Vespasian den Städten letztlich per Edikt verbot, mehr als drei Gesandte zu entsenden. Wenn sie Glück hatten, bekamen die Gesandten einen Brief des Kaisers mit der Empfehlung ausgestellt, dass ihnen die Reisekosten rückerstattet werden sollten, außer sie hatten versprochen, die Gesandtschaft auf eigene Kosten durchzuführen. Besonders in schwierigen Zeiten waren Freiwillige nicht leicht zu finden, und so entwickelte die Stadt Maroneia um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein Verfahren, das es jedem Bürger ermöglichte, die Initiative zu ergreifen und sich bei den Magistraten um eine Gesandtschaftsreise zum Kaiser zu bewerben. Das Dekret dazu enthält auch Anweisungen dafür, wie sich ein Gesandter zu verhalten habe: Wenn die Gesandtschaft vor den göttlichen Caesar Augustus tritt, soll sie ihn im Namen der Stadt umarmen und, nachdem sie ihre Freude über sein und seiner Familie Wohlbefinden sowie über den exzellenten Zustand seiner Angelegenheit und der des römischen Volkes bekundet haben, sollen sie ihm und dem heiligen Senat alle Rechte der Stadt erläutern und mit allem Flehen und allen Bitten fordern, dass er uns unsere Freiheit, unsere Gesetze, unsere Stadt und ihr Umland sowie die anderen Privilegien, die unsere Vorfahren und wir erhalten haben, dass er uns all dies bewahrt, damit wir, die wir immer und ohne Unterlass Wohlwollen und Vertrauen den Römern gegenüber bewahrt haben, uns dadurch immer ihrer Gnade erfreuen.

Eines der Ehrenattribute, die seit dem frühen 1. Jahrhundert n. Chr. für Kaiser verwendet wurden, war epiphanestatos: also „der, dessen Macht am sichtbarsten präsent ist“. Durch verschiedene Medien wurde die kaiserliche Präsenz wirkungsvoll angedeutet. Kaiser übernahmen oft städtische und religiöse Ämter: Augustus diente beispielsweise als strategos (General) des 306

Aus der Ferne regieren: die Sichtbarkeit des Kaisers

Abb. 24 Ein Hohepriester des Kaiserkults auf einem Marmorsarkophag aus Aphrodisias. Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. Aphrodisias.

Thessalischen Bundes, Trajan und Hadrian als Propheten im Heiligtum von Didyma, Hadrian als oberster Magistrat in Delphi. Selbstverständlich führten sie das jeweilige Amt nicht persönlich, sondern durch einen Stellvertreter vor Ort aus. Viele Städte und Provinzen firmierten und datierten ihre Verträge mit Monatsnamen, die Augustus, Mitglieder seiner Familie oder andere Kaiser kommemorierten; in Kibyra wurde der erste Tag eines jeden Monats zu Ehren Augustus’ sebaste genannt. In vielen Städten wurden Phylen, Unterabteilungen der Bürgerschaft, als Ehrerbietung nach Kaisern benannt, wie die Phyle Hadrianis in Athen und Aphrodisias. Statuen von Kaisern und Mitgliedern ihrer Familie wurden noch zu deren Lebzeiten aufgestellt und blieben auch nach ihrem Tod sichtbar, außer in den seltenen Fällen einer damnatio memoriae. Bisweilen wurde an jedem Geburtstag eines Kaisers eine neue Statue geweiht. Kaiserporträts zierten die Kronen der Oberpriester (s. Abb. 24); Büsten konnten in öffentlichen Gebäuden betrachtet und bei 307

Kaiser, Städte und Provinzen

zeremoniellen Prozessionen mitgeführt werden. Durch die Statuen von Angehörigen der kaiserlichen Familie wurde die Provinzbevölkerung auch mit diesen vertraut gemacht. Ein neuer Haarschnitt eines Mitglieds der Kaiserfamilie – und das schloss im Fall der Männer auch die Gesichtsbehaarung mit ein – wurde genau registriert und in allen Bevölkerungsschichten nachgeahmt. Die kunstvolle Frisur Flavia Domitillas, der Gattin Vespasians, hinterließ in gleicher Weise ihre Spuren auf den Köpfen der Frauen – von Ägypten bis Makedonien –, wie Farbe und Schnitt der Haare von Lady Di bei Frauen in der westlichen Welt der 1980er-Jahre. Bei traditionellen Götterfesten wurden regelmäßig Lobreden auf die Kaiser und ihr Haus gehalten, bei einigen Wettkämpfen stellten diese sogar eine eigene Kategorie dar, in der Redner und Epheben gegeneinander antraten. Die Thronbesteigung eines Kaisers wurde, wenn nicht in allen, so doch in den größeren Städten mit Opfern gefeiert. An seinem Geburtstag wurden die Leistungen des Kaisers in Hymnen und Festreden gepriesen. Der gewöhnlicherweise an seinem Geburtstag zelebrierte Kaiserkult war sicherlich das bedeutendste Medium; es verband nicht nur den Kaiser mit der Provinzbevölkerung, sondern schuf auch eine symbolische Verbindung unter den Einwohnern des Reiches.

Theoi sebastoi: die Göttlichkeit der Kaiser Im römischen Osten war der Kult für den Kaiser fest mit lokalen Traditionen verwurzelt: mit der religiösen Verehrung hellenistischer Könige und des römischen Feldherrn Flamininus, mit dem Kult für Thea Rhome – die Personifizierung Roms – und mit der gelegentlichen Darbringung gött­ licher Ehren für den personifizierten römischen Senat und für römische Statthalter. Diesen Vorbildern folgend richteten viele griechische Städte nach dem Tod Iulius Caesars einen Kult für ihn ein, und später für Augustus und seine Nachfolger, jedoch bereits zu deren Lebzeiten. In der Regel war der städtische Kaiserkult mit der Verehrung der Göttin Roma oder einer traditionellen Gottheit, oft Zeus, verbunden. Kaisern wurde gern der Name eines Gottes als Ehrentitel verliehen, womit angedeutet wurde, dass sie ähnliche Qualitäten besaßen. Augustus, Tiberius und Claudius wurden „Zeus“ genannt; Augustus, Claudius und Nero wurden mit Apollo verglichen; Claudius und Nero mit Asklepios; Gaius Caesar, Augustus’ Enkel, wurde als Ares verehrt. Weibliche Verwandte von Kaisern wurden mit 308

Theoi sebastoi: die Göttlichkeit der Kaiser

Abb. 25 Die Frisur des Mannes erinnert an die Kaiser Trajans, die der Frau an die Haartracht Faustinas der Älteren, der Ehefrau des Antoninus Pius. Marmorgrabrelief des Dioskourides. Thessalonike, ca. 160 n. Chr. Archäologisches Museum Thessaloniki.

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Kaiser, Städte und Provinzen

Fruchtbarkeits- und Muttergottheiten assoziiert: Augustus’ Tochter Iulia wurde mit Leto verknüpft, Agrippina und Sabina mit der „fruchtbringenden“ (Karpophoros) Demeter, Drusilla mit Aphrodite. Der beliebteste unter den Kaisern, Hadrian, wurde als Neuer Dionysos, Neuer Pythios (das heißt Apollon), „Schirmherr des Rates“ (Boulaios), Olympier und „Zeus, der die Freiheit beschützt“ (Eleutherios) verehrt. Ein Priester oder Oberpriester des sebastos oder der sebastoi war für den städtischen Kult des regierenden Kaisers verantwortlich. Diese städtischen Priester stammten stets aus den wohlhabendsten und angesehensten Familien. Sie übernahmen die Kosten für die Feiern und dienten manchmal ihr Leben lang in diesem Amt. Oft führten sie es auch gemeinsam mit einer weiblichen Verwandten aus, in der Regel ihrer Ehefrau, bisweilen ihrer Tochter. Neben Städten organisierten auch Städtebünde (koina), die aus den Städten einer geographischen Region, manchmal des Distrikts einer Provinz, bestanden, ihren eigenen Kult und feierten jährliche Feste. Den Vorsitz über diese regionalen Bünde hatte ein Beamter inne, dessen Titel sich aus dem Namen der Region und dem Suffix -arches (oberster Magistrat) zusammensetzte: Der Asiarches beispielsweise war der Präsident des Koinons von Asia, der Makedoniarches stand dem Makedonischen Koinon vor, der Lykiarches dem Lykischen Bund und so weiter. Zusammen mit seiner Frau bzw. engsten weiblichen Angehörigen diente dieser Amtsträger auch als Oberpriester (archiereus) des Kaiserkults des Koinons. Zur Seite stand ihm dabei ein agonothetes (Vorsitzender der Wettkämpfe). Manchmal übernahmen wohlhabende Männer neben dem Amt des Oberpriesters gleichzeitig auch das des agonothetes. Eine der Städte der Region oder Provinz, nicht zwingend die Provinzhauptstadt, beherbergte den Kaisertempel und führte den ruhmreichen Titel neokoros (Tempelwärter). Die erste neokoria wurde kurz nach der Schlacht bei Actium eingerichtet, als der Bund der Griechen von Asia 29 v. Chr. um die Erlaubnis bat, Octavian kultisch verehren zu dürfen. Der Tempel wurde in Pergamon errichtet und der gemeinsamen Verehrung von Octavian/Augustus und Roma geweiht. Die römische Provinzbevölkerung nahm an diesem Kult nicht teil, sondern richtete einen eigenen Kult für Iulius Caesar und Roma in Ephesos ein. Andere Regionen folgten dem Beispiel Asias. 25 v. Chr. wurde unmittelbar nach der Annektierung Galatiens durch Rom ein Kult für Roma und Augustus in Ankyra eingerichtet. Nach Augustus’ Tod forderte das Koinon von Asia 23 n. Chr. die Errichtung eines zweiten Tempels, dieses Mal für Tiberius, seine Mutter Livia und den Senat; 310

Theoi sebastoi: die Göttlichkeit der Kaiser

damit wollten die Griechen von Asia ihrer Dankbarkeit dafür Ausdruck verleihen, dass zwei korrupte Statthalter strafrechtlich verfolgt worden waren. Als elf Städte mit Verweis auf ihr ehrwürdiges Alter und ihre Loyalität gegenüber Rom jeweils für sich beanspruchten, den Tempel beheimaten zu dürfen, wurde dieses Vorrecht nach langen Streitigkeiten Smyrna zugesprochen. Zur Zeit der flavischen Kaiser war es bereits gang und gäbe, dass bedeutende Städte um die Ehre der neokoria konkurrierten, und bisweilen entwickelten sich aus diesem Wettstreit erbitterte Konflikte und Jahrzehnte anhaltende Feindschaften. Genau wie die religiöse Verehrung hellenistischer Könige umfasste der Kaiserkult verschiedene Aktivitäten, die direkt vom traditionellen Götterkult übernommen worden waren: Prozession, Opfer und athletische – manchmal auch musische – Wettkämpfe. Die Griechen nahmen den Kult der Götter ganz bewusst zum Vorbild für den Kaiserkult. In Mytilene wurden zum Beispiel die Rituale für Augustus’ Geburtstag vom „Gesetz für Zeus“ (Diakos nomos) kopiert, das die Rituale des Zeuskults festschrieb. Der Geburtstag des Kaisers war in der Regel der Anlass, zu dem das Kaiserfest abgehalten wurde. Sowohl auf städtischer als auch auf regionaler Ebene gab es Opfer für verstorbene Kaiser sowie Opfer an dem Tag eines jeden Monats, der dem Geburtstag eines Kaisers entsprach: Da beispielsweise ­Augustus am 23. September geboren worden war, wurden in Pergamon am 23. eines jeden Monats Opfer dargebracht. Diese Feste waren spektakuläre Veranstaltungen. Der Priester und der agonothetes trugen beeindruckende Gewänder, manchmal aus Purpur, und einen goldenen Kranz, der mit den Porträts des oder der Kaiser geschmückt war, gelegentlich auch mit dem Bildnis eines mit dem Fest assoziierten Gottes (s. Abb. 24). „Die Träger der Bildnisse der Augusti“ (sebastophoroi) nahmen an der Prozession teil und trugen glänzende, meist vergoldete oder silberne Bildnisse des regierenden Kaisers und früherer Kaiser. Zum Opfer für den Kaiser, und oft auch für traditionelle Gottheiten, wurden Hymnen gesungen. Vereinigungen von Hymnensängern (hymnodoi), die ihre Mitglieder aus Sprösslingen der berühmtesten Familien rekrutierten, waren für die Darbietung der Hymnen verantwortlich, wohingegen sebastologoi (die über den Kaiser sprechen) Lobreden vortrugen. Der Dichter Publius Aelius Pompeianus Paion, der wegen seines Talents als „neuer Homer“ geehrt wurde, kam durch seine melischen und epischen Dichtungen zu Ruhm, die er zu Ehren des vergöttlichten Hadrian sang (melopoios kai rhapsodos Theou Hadrianou). 311

Kaiser, Städte und Provinzen

Auf das Opfer folgte ein Festmahl, zu dem Bürger und manchmal auch Fremde und Sklaven geladen waren. Ein wichtiger Bestandteil war der Wettkampf (agon), der üblicherweise nach dem Kaiser benannt war – Sebasteia für Augustus, Hadrianeia für Hadrian und so weiter – und bisweilen auch eine traditionelle Gottheit neben dem Kaiser ehrte. So ehrte beispielsweise der traditionelle Wettkampf für Eros in Thespiai zusätzlich auch Roma und Augustus (Kaisareia Erotideia Rhomaia). Die Feier des Kaiserkults war auch eine gute Gelegenheit, um Statuen des Kaisers oder von Mitgliedern seiner Familie zu weihen – eine solche Weihung konnte aber auch zu jedem anderen Zeitpunkt eines Jahres stattfinden. Der Kaiserkult basierte auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit: Die Verehrer des Kaisers bezeugten ihre Loyalität, erwarteten dafür aber Schutz und Fürsorge als Gegenleistung. Für die wohlhabendsten Familien, aus denen die Oberpriester stammten, bot der Kaiserkult Prestige – manchmal wurde er jedoch auch zur finanziellen Belastung, die zu übernehmen einige nicht bereit waren. Für die Städte schuf er gleichermaßen eine Wettkampfarena, in der sie ihren vergangenen Ruhm und ihre lokale Identität zur Schau stellen konnten. Für die Regionen und Provinzen bot die Versammlung der Stellvertreter der Städte anlässlich des jährlichen Festes die Gelegenheit, wichtige Angelegenheiten wie Missstände in der Verwaltung, drückende Steuerlasten oder Naturkatastrophen zu besprechen.

Die Verwaltung der Provinzen Die römische Provinzialverwaltung entwickelte sich langsam über einen längeren Zeitraum; der Prozess war von zwei Faktoren bestimmt: den Erfahrungen, die der römische Senat und die führenden Staatsmänner während der römischen Expansion gesammelt hatten; und der Veränderung der römischen Gesellschaft und Institutionen, besonders nach der Zerstörung Karthagos und der Unterwerfung Griechenlands 146 v. Chr. Anfangs hatten die Römer keine eigenen Institutionen für die Verwaltung der Provinzen. Der Begriff provincia bezeichnete die Kompetenzen, die den Magistraten mit militärischem Oberbefehl – den Konsuln und Prätoren – vom Senat übertragen wurden, sowie den geographischen Bereich, in dem sie ihren Oberbefehl ein Jahr lang ausüben sollten. Als 241 und 238 v. Chr. Teile ­Siziliens und Sardiniens annektiert wurden, bedurften diese Gebiete einer direkten und ständigen Verwaltung; sie wurden einem 312

Die Verwaltung der Provinzen

Magistraten mit ­m ilitärischem Oberbefehl unterstellt und somit zur pro­ vincia dieses Amtsträgers. Die Senatoren, die üblicherweise als Prätoren eine Provinz ver­walteten, wurden von rangniedrigeren militärischen Befehlshabern und Finanzbeamten unterstützt. Eine Statthalterschaft brachte Erfahrung, Reichtum – durch Erpressung und Ausbeutung – und politische Kontakte. Die Provinzbevölkerung war allerdings nicht schutzlos rücksichtsloser Ausbeutung und Misswirtschaft ausgeliefert. Erstens erstreckte sich das römische Patronagesystem – einflussreiche römische Senatoren versprachen abhängigen Bürgern, clientes, als Gegenleistung für politische Unterstützung Schutz – über die Stadt Rom hinaus; Provinzgemeinden konnten also einen römischen Staatsmann zu ihrem patronus erklären, wobei sie sich ihm gegenüber im Austausch für Unterstützung in Notzeiten zu Loyalität verpflichteten. Zweitens konnten Anschuldigungen der Korruption und Misswirtschaft gegen einen Provinzstatthalter von seinen Gegnern im Konkurrenzkampf der römischen Adligen als politisches Druckmittel verwendet werden. Und drittens waren der römische Senat der Republik und der Kaiser im Prinzipat in gleichem Maß daran interessiert, Aufstände zu verhindern und regelmäßige Tributzahlungen aus den Provinzen an den fiscus fließen zu sehen. Die bedeutendste Reform der Provinzverwaltung setzte Sulla während seiner Diktatur 81 v. Chr. ins Werk. Er hatte verstanden, dass die traditionelle Anzahl von Magistraten mit militärischem Oberbefehl (imperium) – zwei Konsuln und vier Prätoren – für die Verwaltung einer größeren Anzahl an Provinzen nicht länger ausreichte, und führte ein System ein, das im Wesentlichen bis zu Augustus’ Zeit bestehen blieb. Die Anzahl der Präturen wurde auf acht erhöht. Nun wurden pro Jahr regulär zwei Konsuln und acht Prätoren gewählt, die ihr Amt in Rom erfüllten; nach Ablauf dieses Jahres wurde ihr imperium verlängert, sie übten es nun allerdings nicht mehr in Rom aus, sondern in den Provinzen. Als sogenannten Prokonsuln und Proprätoren (Stellvertreter-Konsuln bzw. -Prätoren) wurde ihnen die Statthalterschaft einer der damals zehn Provinzen sowie das Kommando über die dort stationierten Truppen übertragen. Dieses System erwies sich aber als unzureichend, nicht nur weil sich die Anzahl der Provinzen erhöhte, sondern auch weil während der folgenden Kriege sehr häufig außerordentliche Oberbefehle vergeben wurden. Nichtsdestotrotz blieb die zugrundeliegende Vorstellung die gleiche: Provinzen sollten von Senatoren regiert werden, die zuvor in hohen Positionen gedient hatten. 313

Kaiser, Städte und Provinzen

Augustus’ Prinzipat brachte signifikante Veränderungen dieses Systems. Der Kaiser hatte nun die Amtsgewalt eines Prokonsuls dauerhaft inne, und dies in Verbindung mit Machtbefugnissen in den Provinzen, die jene aller anderen Autoritäten überstiegen (imperium maius). Als Prokonsul war ein Kaiser Statthalter aller Provinzen, in denen römische Truppen stationiert waren. Unter normalen Umständen wurde der Kaiser in den kaiserlichen Provinzen von seinen „Gesandten“ bzw. legati Augusti pro praetore (Gesandte des Augustus mit der Amtsgewalt eines Prätors) vertreten, die er persönlich ernannte. Er bestellte auch die Statthalter kleinerer neugeschaffener Provinzen sowie Statthalter, die für Klientelkönigreiche zuständig waren; diese waren keine Senatoren, sondern Ritter und führten den Titel praefectus und später procurator. Provinzen ohne stehendes Heer unterstanden der Macht des Senats, der ihre Statthalter und Prokonsuln ernannte. Die Prokonsuln waren Senatoren, ehemalige Prätoren, denen eine Provinz zugelost wurde; nur der Statthalter von Asia war aufgrund der ökonomischen Bedeutung und des Prestiges dieser Provinz ein ehemaliger Konsul. Dennoch wurde der Kaiser in den Auswahlprozess miteinbezogen; er konnte Kandidaten nominieren und in wichtige Verwaltungsangelegenheiten eingreifen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Verlosung manipuliert wurde. Ansonsten ließe es sich nicht erklären, weshalb Prokonsuln ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in mehr Fällen, als der Zufall es erlauben würde, jeweils genau die Provinz zugeteilt wurde, aus der sie selbst stammten: Der erste aus Asia stammende Senator, ein gewisser Celsius Polemaianos, wurde später Statthalter von Asia; kurz darauf hatte Iulius Quadratus, ein weiterer Konsul aus Asia, die Statthalterschaft seiner Heimatprovinz inne. Erfahrungen früherer Diensttätigkeit im Osten, Familientraditionen, persönliche Verbindungen und ökonomische Interessen spielten bei solchen Ernennungen mit Sicherheit eine Rolle. In der Regel blieb ein Statthalter ein Jahr lang in seiner Provinz, es sei denn besondere Umstände, wie eine Revolte, machten eine Verlängerung seiner Amtszeit notwendig. Aufgrund der Nähe zum Königreich der Parther war die bedeutendste Statthalterschaft die in Syria. Hier blieb der kaiserliche Legat für gewöhnlich drei Jahre im Amt. Der Statthalter erhielt Anweisungen (mandata) vom Kaiser und stand mit ihm in regelmäßigem Austausch. Alle Statthalter erhielten ein beträchtliches Gehalt, das von 100 000 Sesterzen für einen Prokurator bis zu einer Million für den Statthalter von Africa im späten 2. Jahrhundert n. Chr. reichen konnte (zum Vergleich: der 314

Die Verwaltung der Provinzen

Jahreslohn eines Legionärs im späten 1. Jahrhundert n. Chr. betrug 1200 Sesterzen). Der Statthalter wurde von einigen wenigen Bediensteten unterstützt, darunter Sekretäre, Herolde und eine Leibwache. Das rangniedrigere Personal wurde aus seinen Sklaven rekrutiert, das höhere aus Angehörigen und Freunden. Der Prokonsul wählte aus den Senatoren einen Stellvertreter ­(legatus). Die Statthalter großer und bedeutender Provinzen wie Asia hatten drei legati. Die Verwaltung der Finanzen war die Aufgabe eines jungen Senators, des Quästors. Statthaltern war es auch sehr wichtig, Beziehungen zu den Eliten der Provinz zu knüpfen, weshalb sie deren Mitglieder in ihren Beraterstab aufnahmen. In den Provinzen, in denen der Kaiser Besitztümer oder ökonomische Interessen hatte – Ländereien, Minen etc. –, ließ er sich von einem Ritter mit dem Titel Prokurator vertreten. Im griechischen Osten war die Entwicklung der Provinzialadministration ein komplexer Prozess, da bis zu Trajans Herrschaft neue Provinzen geschaffen und restrukturiert wurden und ihr Status – oder der Status einzelner Städte – sich den Bedürfnissen des Kaisers entsprechend oder aufgrund von kaiserlichen Privilegien ändern konnte. So verlor beispielsweise Rhodos 43 n. Chr. seinen Status als freie Stadt, erlangte ihn jedoch 55 n. Chr. wieder zurück; Achaea wurde um 15 n. Chr. als eigene Provinz aufgelöst und war bis 44 n. Chr. Teil Makedoniens; 67 n. Chr. machte Nero dies wieder rückgängig und erklärte die Städte für frei, doch wurden diese Maßnahmen nach seinem Tod aufgehoben. Während der Regierungszeit Hadrians, als die Grenzen des Reiches konsolidiert waren, gab es auf dem Balkan vier Provinzen (s. Karte 8). Achaea, mit Korinth als Hauptstadt, erstreckte sich über beinahe ganz Griechenland, umfasste die Peloponnes, Zentral- und Westgriechenland, die Ionischen Inseln und einen Großteil der Ägäischen Inseln. Macedonia, die ­ä lteste Provinz auf griechischem Boden, hatte Thessalonike als Hauptstadt und umfasste Makedonien, Thessalien und Epirus. Das dicht von nichtgriechischen Stämmen besiedelte Thracia, wo sich der griechische Bevölkerungsteil in mehreren Städten an der Westküste des Schwarzen Meeres konzentrierte, wurde von einem Prokurator regiert. Es wurde 46 n. Chr. zu einer Provinz gemacht, mit Philippopolis als Hauptstadt. Auch weiter nördlich in Moesia Inferior gab es noch ein paar wenige griechische Kolonien; die alten Kolonien an der Nordküste des Schwarzen Meeres waren an diese Provinz angeschlossen. Thracia und Moesia Inferior sowie die lateinischsprachigen Balkanprovinzen Dacia und Moesia Superior waren für 315

Kaiser, Städte und Provinzen

die Verteidigung der Grenzen von entscheidender Bedeutung und wurden von kaiserlichen legati regiert. Im Süden bildete die Insel Kreta zusammen mit der Kyrenaika eine Provinz, mit dem kretischen Gortyn als Hauptstadt. Die beiden Teile dieser Provinz waren extrem unterschiedlich. Die von griechischen Städten dominierten Gebiete Kleinasiens bildeten die Provinz Asia mit Ephesos als Hauptstadt. Eine weitere kaiserliche Provinz war Bithynia et Pontus im mehr oder weniger hellenisierten Norden Kleinasiens entlang der Südküste des Schwarzen Meeres; sie wurde von einem Prokonsul mit Amtssitz in Nikomedeia regiert. Auch Cyprus wurde von einem Prokonsul verwaltet und blieb von Militärpräsenz verschont. Die Geschichte Cilicias gestaltete sich bis ca. 74 n. Chr. komplex, als Vespasian römische und semi-autonome Gebiete zu einer einzigen Provinz zusammenschloss, mit Tarsos als Hauptstadt. Die übrigen Gebiete des römischen Ostens wurden in kaiserliche Provinzen aufgeteilt, die von kaiserlichen legati regiert wurden; diese führten das Kommando über unterschiedlich große Streitkräfte, je nach strategischer Bedeutung ihrer Provinz. Lycia, das seit 43 n. Chr. eine Provinz war, wurde 70 n. Chr. mit Pamphylia zusammengeschlossen; die Hauptstadt wurde ­Attaleia. Die anderen kleinasiatischen Provinzen waren nur oberflächlich hellenisiert: Galatia, mit einer Mischung aus keltischen, griechischen, römischen und indigenen Bevölkerungsteilen, hatte Ankyra zur Hauptstadt. Auch Cappadocia, mit Kaisareia als Hauptstadt, wies eine überwiegend indigene Bevölkerung auf, die ihre lokale Sprache bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. bewahrte. Im Süden war Syria nicht nur wegen der Nähe zum Partherreich in strategischer Hinsicht die bedeutendste Provinz, sondern durch ein einflussreiches Netzwerk hellenistischer Städtegründungen auch in kulturellen und wirtschaftlichen Belangen. Seine Hauptstadt Antiochia war eines der wichtigsten urbanen Zentren des Reiches. Die Präsenz von drei oder vier Legionen machte den Legaten von Syria, einen ehemaligen Konsul, zu einem der bedeutendsten Statthalter des Reiches. Judäa blickte auf eine unruhige Geschichte lokaler Konflikte und wiederholte Revolten gegen Rom zurück; es wurde von einem Prokurator regiert, bis der Aufstand 66 n. Chr. es nötig machte, dass es einem legatus unterstellt wurde. Die angrenzende Provinz Petraia Arabia, die dem Reich erst unter Trajan hinzugefügt wurde, mit Petra als Hauptstadt, kann kaum als hellenisiert bezeichnet werden, auch wenn die Menschen in öffentlichen und privaten Inschriften die griechische Sprache nutzten. Ägypten zu guter Letzt, das seit der Eroberung durch Alexander in hohem Maß von Griechen besiedelt worden war, war ein Sonderfall. Seine 316

Die Verwaltung der Provinzen

Bedeutung für die Getreideversorgung Roms sowie für den Handel im Osten, aber auch die Umstände seiner Eroberung durch Octavian nach Actium wie auch die lange Tradition einer persönlichen, zentralisierten Herrschaft rechtfertigten eine Sonderbehandlung. Ägypten wurde nicht von einem Senator, sondern von einem Mitglied des Ritterstands regiert, der den Titel „Präfekt von Ägypten“ führte. Es war keinem Senator gestattet, ohne kaiserliche Erlaubnis einen Fuß nach Ägypten zu setzen. Das Leben in einer Provins hing von einer Vielzahl Faktoren ab: vom Grad an Hellenisierung und Urbanisierung zur Zeit ihrer Schaffung, von der Homogenität hinsichtlich Kultur und städtischen Lebensformen, der Präsenz bewaffneter Truppen und vom Status der Provinzstädte (ehemalige Königsresidenzen, römische Kolonien, freie Städte). Details zu den einzelnen Provinzen wurden im „Provinzgesetz“ (lex provinciae) geregelt. Der Inhalt der Gesetze für Asia und Bithynia, die Sulla beziehungsweise Pompeius entworfen hatte, ist nur indirekt durch Referenzen in literarischen Quellen und Inschriften bekannt. Unter anderem regelten die Gesetze den Ablauf der Wahlen in den Städten, definierten Altersbestimmungen für die Übernahme von Ämtern und die Aufnahme in den Rat und legten die Reisekosten für Gesandtschaften fest. Trotz der regionalen Unterschiede wies die Provinzverwaltung gemeinsame Züge auf. Der Statthalter residierte in der Hauptstadt (caput provinciae). Die Provinzhauptstädte waren keine Neugründungen, sondern alte bedeutende Städte: Hauptstädte aufgelöster Königreiche – so wie Alexandria, Antiochia und Nikomedeia –, wichtige urbane Zentren mit Zugang zum Meer – so wie Korinth, Thessalonike, Ephesos und Tarsos – oder bedeutende Städte einer Region – so wie Gortyn. Der Palast des Statthalters (praetorium) war mehr als nur eine Luxusresidenz mit Bädern und Zeremoniesälen für Empfänge und Gerichtsprozesse. Er beherbergte Amtszimmer, Archive, Schreine und Unterkünfte für die Wachen. Je nach Größe der Provinz wurde ein Teil der Verwaltung auch außerhalb der Hauptstadt abgewickelt. Die senatorischen Provinzen waren in Verwaltungsbezirke, conventus, unterteilt. Die Großprovinz Asia hatte 13 Bezirke, Macedonia vier. Der Statthalter suchte die Bezirkshauptstädte mindestens einmal pro Jahr auf, um dort Recht zu sprechen. In großen Städten wie Ephesos wurde er dauerhaft durch einen seiner Legaten vertreten. Römische Bürger, die Vertreter von Städten, aber auch gewöhnliche Einwohner hatten die Möglichkeit, ihren Fall vor den Statthalter zu bringen. Die Hauptaufgaben eines Statthalters waren Rechtsprechung, Steuern, ­öffentliche Ordnung, die Verteidigung der Provinz und Schlichtung von 317

Kaiser, Städte und Provinzen

Konflikten zwischen Städten. Der Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan gibt uns wichtige Einblicke in das Alltagsgeschäft eines gewissenhaften Statthalters. Die Untertanen, mit denen sich der Statthalter auseinanderzusetzen hatte, waren so unterschiedlich wie die Vorfälle, zu denen es während seiner Amtszeit kommen konnte; sie reichten von der Erlaubnis zur Errichtung öffentlicher Bäder bis zu den Schwierigkeiten, die eine neue Religion machte, von finanzpolitischen Problemen bis zur öffentlichen Ordnung, von Gebietsstreitigkeiten zwischen Städten bis zu Anfragen lokaler Magnaten, die von ihren Pflichten entbunden werden wollten. Oft beantwortete der Statthalter einfach nur die Anfragen von Städten und regionalen Städtebünden, die ihm ihre Sorgen vorgetragen hatten, sie konnten aber auch ihrerseits die Initiative ergreifen, sei es aus Interesse oder Ehrgeiz oder aufgrund persönlicher Beziehungen zu ihrer Provinz. Als Grundlage für ihre Entscheidungen bezogen sie sich auf Präzedenzfälle, verwiesen auf die in der lex provinciae ausgeführten Regelungen, suchten den Rat lokaler Politiker und Intellektueller oder baten den Kaiser brieflich um Anweisungen. Eine wichtige Aufgabe des Statthalters war die Rechtsprechung. Die Prinzipien, nach denen er sich dabei richten würde, wurden in einem Edikt erläutert, das er bei seinem Amtsantritt veröffentlichte. Viele solche Edikte beinhalteten auch Regelungen, die vom jeweiligen Amtsvorgänger eingeführt worden waren. Viele Rechtsstreite wurden durch Schlichtung beigelegt; wenn eine Schlichtung nicht möglich war, wurden die Fälle vor Magistrate oder Gerichte gebracht. Der Statthalter musste sich nur mit einem kleinen Teil der Fälle beschäftigen, in erster Linie mit denen, in die römische Bürger und einflussreiche Individuen involviert waren, oder mit Verbrechen, die mit der Todesstrafe geahndet wurden, wie Mord, Gotteslästerung und Ehebruch. Nur der Statthalter besaß das ius gladii, das Recht des Schwertes: also das Recht, die Todesstrafe zu verhängen. Wenn römische Bürger verurteilt wurden, hatten sie das Recht, vor dem Kaiser Berufung einzulegen. Ob ein Einzelner oder eine Stadt mit ihrem Antrag, ihr Fall möge vom Statthalter beurteilt werden, erfolgreich war, hing nicht nur von der Wichtigkeit des Falls ab, sondern auch von den Beziehungen der involvierten Parteien – und manchmal auch vom gezahlten Bestechungsgeld. Alles in allem zeigten sich die Statthalter, die von einem Ratsgremium (con­ silium) beraten wurden, flexibel und respektierten lokale Traditionen. Der Statthalter musste sich um die Städte kümmern, ungeachtet ihres Status. Er hatte dafür Sorge zu tragen, dass die gewählten Beamten ihre Aufgaben erfüllten und die mit ihren Ämtern verbundenen Kosten über318

Die Verwaltung der Provinzen

nahmen, dass die Mitglieder des städtischen Rates ihren Verpflichtungen nachkamen, dass Gebäude repariert und Aquädukte gebaut und instand ­gehalten wurden. Die Statthalter waren auch für den Bau von Straßen zuständig, die von großer Bedeutung waren für Handel, Kommunikation und Militärtransporte. Eine ungemein wichtige Aufgabe war die Aufsicht über die städtischen Finanzen. Zur Bekämpfung finanzieller Misswirtschaft ernannte der Kaiser, sogar in autonomen Städten, gelegentlich außerordent­ liche Aufseher. Kontrollmechanismen, die früher in den Händen des Volkes gelegen hatten, wurden nun vom Kaiser übernommen. Die Städte, die nicht das Privileg einer Steuerbefreiung (immunitas) genossen, mussten diverse Steuern entrichten. Es gab zum einen eine Kopfsteuer; zum anderen wurden auf die landwirtschaftliche Produktion Steuern erhoben; Exporte und Importe unterlagen Zollsteuern, ebenso wie die Benutzung der Häfen. Als Folge der Proteste der Provinzbevölkerung gegen die publicani (s. S. 221–224) verloren diese nach und nach an Bedeutung. In Asia entzog Caesar ihnen die Verantwortung für die Steuereintreibung und übertrug sie den Städten – die Steuerpächter waren von nun an nur noch für Zölle zuständig; bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. wurden ihre Aufgaben dann den Vertretern der Reichsregierung übertragen. Die Steuern wurden zunächst von den städtischen Autoritäten eingetrieben, und diese zahlten dann die fällige Summe in den senatorischen Provinzen an den Quästor, in den kaiserlichen Provinzen an den Prokurator. Der Prokurator war auch für die kaiserlichen Einkünfte in all den Provinzen zuständig, in denen der Kaiser Ländereien, Wälder, Steinbrüche, Minen etc. besaß. Die erfolgreiche Verwaltung einer Provinz hing nicht nur von der Integrität und Kompetenz ihres Statthalters ab, sondern auch davon, wie dieser mit den städtischen und regionalen Autoritäten kooperierte und Rücksprache mit dem Kaiser hielt. Während der Republik und des frühen Prinzipats waren einige Statthalter von Asia, wie Quintus Mucius Scaevola (Statthalter 98/97 und 94/93 v. Chr.) und Sextus Appuleius (Statthalter von 23 bis 21 v. Chr.), so erfolgreich in ihrer Amtsführung, dass ihnen außergewöhnliche Ehren zuteilwurden. In den größeren Städten wurde das Fest der Moukieia gefeiert, und Appuleius wurde in Alexandria Troas wie ein Gott verehrt. Kurz nach Trajans Thronbesteigung wurden die Prokonsuln von Bithynia et Pontus, Africa sowie Baetica des Machtmissbrauchs angeklagt. Mehrere Gesetze lassen die Anstrengungen des Kaisers erkennen, Korruption und Ausbeutung einzudämmen. Statthaltern war es verboten, während ihrer Regierungszeit in ihrer Provinz Land zu erwerben; Eheschließungen zwischen 319

Kaiser, Städte und Provinzen

einem Prokonsul oder seinem Sohn und einer Frau aus der Provinz waren nicht erlaubt; und als das Verhalten der Gattinnen der Statthalter infolge eines Senatsbeschlusses von 20 n. Chr. in den Fokus der Aufmerksamkeit geriet, entschieden sich einige Statthalter dazu – oder fanden eine gute Ausrede dafür –, ihre Frauen während ihrer Statthalterschaft in Rom zu lassen. Die römischen Statthalter – üblicherweise haben sie vor Amtsantritt über viele Jahre hinweg die Stationen einer ritterlichen oder senatorischen Karriere durchlaufen, Streitkräfte befehligt und eine Vielzahl administrativer Aufgaben erledigt – waren den Anforderungen ihres Amtes in der Regel durchaus gewachsen. Sie waren jedoch auch in der Kunst der Überredung geschult, und bisweilen hinterließ ihre rhetorische Ausbildung in sophistischer Argumentation ihre Spuren in ihrer Denk- und Handlungsweise. Plinius sah sich mit folgendem Problem konfrontiert: Obwohl das Gesetz der Provinz es einem Mann nicht gestattete, das Bürgerrecht in zwei bithynischen Städten gleichzeitig innezuhaben, war man mit dieser Sache seit 150 Jahren recht locker umgegangen, was dazu geführt hatte, dass viele Ratsherren doppelte Bürgerrechte hatten. Die Zensoren, die die Mitglieder der Räte regelmäßig überprüften, wollten nun wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten. In seinem Brief bittet Plinius den Kaiser um Rat – und hält mit seiner vorläufigen Antwort nicht hinterm Berg: „Es stimmt, dass das Gesetz es verbietet, einem Bürger einer anderen Stadt das Bürgerrecht zu verleihen, aber es verlangt nicht, ihn deshalb aus dem Rat zu verbannen.“ Die Überzeugungskraft dieses Arguments rührte nicht von stringentem juristischen Denken her, sondern von Pragmatismus: Zu viele Städte würden zu viele Ratsherren verlieren, wenn das Gesetz strikt angewandt würde. Flexibilität und Realismus machten einen guten Statthalter aus, und Plinius wusste das. Doch wusste er auch, dass es in dieser Angelegenheit besser war, nicht selbst die Initiative zu ergreifen, sondern sie Trajans Urteil zu überlassen. Es ist schwierig, zu einem ausgewogenen Urteil über den Erfolg der römischen Verwaltung und die Akzeptanz römischer Herrschaft zu gelangen. Die meisten unserer Quellen – Lobreden, offizielle römische Dokumente, öffentliche Inschriften, die von Mitgliedern der städtischen Eliten verfasst wurden – sind selektiv und tendenziös. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass das System der römischen Provinzverwaltung im Osten, zumindest bis ins späte 2. Jahrhundert n. Chr., durchaus wirkungsvoll war; gerade wenn es darum ging, die Anzahl der Aufstände möglichst gering zu halten und ­Lösungen für dringende Probleme zu bieten, die von Naturkatastrophen, finanziellen Engpässen oder einer Bedrohung der Sicherheitslage verursacht 320

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

­ urden. Viele Faktoren trugen dazu bei: Statthalter und Kaiser reagierten auf w administrative Herausforderungen größtenteils mit Flexibilität und Pragmatismus; sie legten die Hauptverantwortung für die Verwaltung der Gemeinwesen – lokale Rechtsprechung, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Steuereintreibung, die Versorgung mit Nahrung und Wasser, Bau und Instandhaltung öffentlicher Gebäude – in die Hände städtischer Magistrate und Ratsgremien, die aus den wohlhabenden lokalen Eliten rekrutiert wurden; auch die allmähliche Entstehung einer „supra-nationalen Elite“, bestehend aus Provinzbürgern, die in den Senatoren- oder Ritterstand aufgenommen worden waren, stärkte den Zusammenhalt des Reiches. In einer unvergesslichen Szene im Film Das Leben des Brian von Monty Python stellt ein Mitglied der „Volksfront von Judäa“ die Frage: „Was haben die Römer je für uns getan?“ Eine rhetorische Frage, mag man meinen. Die anderen Mitglieder der Volksfront liefern jedoch eine ganze Liste: Die Römer haben Kanalisation, Bewässerungssysteme, Bildung, Wein, Sicherheit und Frieden gebracht; sie haben Straßen, Bäder und Aquädukte gebaut. Viele dieser Geschenke der Römer waren das Ergebnis guter Verwaltung. Eine ihrer größten Leistungen war es, dass sie die Untertanen mit der Herrschaft Roms versöhnten. Die Tatsache, dass Priester in Lydien um 200 n. Chr. die Begriffe senatus (Senat) und praetorium (Sitz des Provinzstatthalters) als Bezeichnung für die Versammlung der Götter und ihren Tempel wählten, zeigt, dass sie mit zwei prominenten Institutionen römischer Herrschaft nicht etwas Negatives assoziierten. Eigenständige kulturelle Identitäten blühten auf, solange sie nicht als eine Bedrohung gesehen wurden – wie im Fall der Juden. Und dank der „sanften“ Herrschaft umsichtiger Statthalter war ein Nebeneinander aus römischer Reichsverwaltung und pulsierendem öffentlichen Leben in den Städten möglich.

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben In seiner Lobrede auf Rom verglich der Rhetor Aelius Aristides das Römische Reich mit einem Stadtstaat, mit Rom als städtischem Zentrum und Zitadelle und der zivilisierten Welt als seinem Umland: Was eine polis für ihre eigenen Grenzen und ihr Umland ist, das ist diese Stadt für die Grenzen und das Territorium der gesamten oikoumene, als

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Kaiser, Städte und Provinzen

wäre sie zum gemeinsamen Stadtzentrum des Umlandes ernannt worden. Man könnte sagen, dass alle perioikoi oder alle, die in Demen außerhalb leben, in dieser einen Zitadelle zusammenkommen.

Für Aristides, wie für den Großteil der Einwohner des Römischen Reiches, blieb die polis die einzige politische Realität, mit der sie direkte Erfahrung hatten. Für die Intellektuellen bot sie das wichtigste geistige Bezugssystem. Bei Dichtern und Schriftstellern konkurrierte sie mit idealisierten ländlichen Idyllen als Schauplatz ihrer literarischen Schöpfungen. Obwohl Aristides’ Lob so übertrieben und einseitig ist wie jedes andere Enkomion, hatte der Redner in einer Hinsicht Recht: Das Römische Reich umfasste in der Tat eine beispiellose Anzahl sowohl großer als auch kleiner Städte. In den westlichen Provinzen und Nordafrika war dies das Ergebnis der von den Römern initiierten Kolonisierung und Urbanisierung. Im griechischsprachigen Osten, wo es eine viel längere Tradition der Urbanisierung gab als im Westen, müssen wir differenzieren. Auf dem griechischen Festland, einigen Inseln und in Kleinasien verschwanden zahlreiche poleis im Lauf des hellenistischen Zeitalters – die einen wurden zerstört, andere verloren den Status eines unabhängigen Gemeinwesens. Doch es entstanden auch neue Städte, und alte Städte wurden auf die Initiative erst von Pompeius, dann von Caesar, Augustus und anderen Kaisern wiederbelebt. Die unter Augustus neugegründeten Kolonien ließen Griechenland und Kleinasien wieder aufblühen. Doch wurden auch traditionelle poleis von den Kaisern gefördert. Trajan und Hadrian wirkten, indem sie Städte gründeten oder Siedlungen zu poleis aufwerteten, besonders stark auf die griechische Siedlungsgeschichte ein, Ersterer wegen seiner Balkanfeldzüge, Letzterer wegen seiner Reisen in den griechischen Osten. Trajan gründete Augusta Traiana, eine große und wohlhabende polis in Thrakien, und machte die Festung von Doriskos zu Traianopolis. Hadrian gründete Hadrianoi, Hadrianeia und Hadrianou Therai in Mysien; und vier Städte in Kleinasien und zwei in Griechenland wurden nach ihm Hadrianopolis genannt. Um seinen geliebten Antinoos zu verewigen, gründete er zudem Antinoopolis in Ägypten. Das zeitgleiche Nebeneinander aus griechischen Städten und römischen Kolonien in einer Region trug dazu bei, dass sich griechische und römische Institutionen wechselseitig beeinflussten. Die Kolonien waren gewissermaßen Mini-Roms, „kleine Ebenbilder und Bildnisse“, wie Gellius sagt (quasi effigies parvae simulacraque). Ihre politische Organisation imitierte 322

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

römische Institutionen, und auch die religiösen Ämter waren typisch ­römisch. Die Bürger ­(coloni) hatten volles römisches Bürgerrecht und waren von Tributzahlungen befreit. Sie verehrten die Götter Roms, besonders die kapitolinische Trias – bestehend aus Jupiter, Juno und Minerva – und den „Schutzgeist der Kolonie“ (genius coloniae). Noch Jahrhunderte nach der Gründung der Kolonie wurde Latein nicht nur als offizielle Verwaltungssprache, sondern auch in privater Kommunikation verwendet. Zumindest während der ersten Jahrhunderte im Leben einer Kolonie war die Mehrheit der städtischen Bevölkerung, der coloni, italischen Ursprungs: Militärveteranen und andere Siedler aus Italien, die römisches Bürgerrecht besaßen, inklusive Freigelassener. Die Bevölkerung der ländlichen Gebiete, die inco­ lae oder paroikoi, bestand aus den lokalen griechischen und hellenisierten Bevölkerungsteilen. Die Kolonien wurden von einem Rat von decuriones sowie von einem Gremium aus zwei „Bürgermeistern“ (duoviri) und zwei Aufsehern des öffentlichen Raumes (aediles) regiert. Daneben gab es das Amt des augur, der für die Prophezeiungen im Namen der Kolonie zuständig war, sowie einen Ausschuss von sechs Männern (seviri). Manchmal ernannte eine Kolonie den Kaiser selbst zum Bürgermeister; in diesen Fällen wurde er von einem praefectus Caesaris quinquennalis, einem kaiserlichen Aufseher, vertreten, der sein Amt ohne Kollegen für einen Zeitraum von fünf Jahren ausübte. Diese außerordentliche Ehre war wohlhabenden und prominenten Männern vorbehalten. Die Organisation des städtischen Raumes war ebenfalls römisch. Zwei breite, einander kreuzende Straßen, der cardo und der decumanus, dominierten einen Stadtplan (s. Abb. 26). Im pisidischen Antiochia trugen die Stadtbezirke die exakt selben Namen wie die Bezirke (vici) in Rom. Die Kolonien mit ihren aufwendigen Bädern und öffentlichen Toiletten, Brunnen und Aquädukten, Theatern und Konzerthallen trugen zur Urbanisierung der weniger hellenisierten Gebiete Anatoliens und des Nahen Ostens bzw. zur Reurbanisierung von Gegenden, die unter Kriegen gelitten hatten, bei. In Griechenland und Kleinasien fanden die italischen Siedler Orte mit einer langen Tradition der Selbstverwaltung, hochentwickelten politischen Strukturen, einem exquisiten Kulturleben und einer hohen Alphabetisierungsrate vor, die vollständig in die gemeinsame Kultur der hellenistischen Welt integriert waren. Ein intensiver Austausch zwischen der lokalen Bevölkerung und den Neuankömmlingen, der nicht immer frei von Spannungen oder Konflikten ablief, brachte allmählich ein neues kulturelles und gesellschaftliches Profil hervor. In den meisten Fällen waren die Kolonisten zwei 323

Kaiser, Städte und Provinzen

Abb. 26 Die Hauptstraße in der römischen Kolonie Dion in Makedonien, von Norden gesehen.

oder drei Generationen nach ihrer Ankunft vollständig hellenisiert – einige Kolonisten hatten unter ihren Vorfahren Griechen aus Italien –, doch in manchen Städten, wie zum Beispiel Philippi, blieb Latein bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. die vorherrschende Sprache. Die Institutionen der römischen Kolonien hatten indirekt Einfluss auf die politischen Institutionen der griechischen Städte. Die römische Verwaltung und die Entscheidungen der Statthalter hinterließen ihre Spuren im Vermögens- und Strafrecht. Und schließlich verstärkten und beschleunigten direkte Eingriffe der Römer auch einen Prozess, der seinen Ursprung in der hellenistischen Zeit hatte: die Umwandlung griechischer Städte von mehr oder weniger gemäßigten „Demokratien“ in Oligarchien (s. S. 162–169). In einem Brief bat Plinius Trajan um Anweisungen hinsichtlich des folgenden Problems: Dem Provinzgesetz für Bithynia zufolge konnten nur 324

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

Männer über 30 ein Amt übernehmen; danach waren sie für eine Ratsmitgliedschaft qualifiziert. Augustus hatte jedoch das Mindestalter für unwichtigere Ämter auf 25 gesenkt. Nun fragte sich der Provinzstatthalter, ob dies bedeutete, dass diese jüngeren Männer auch Mitglieder des Rats werden konnten – da sie ja in einem Amt gedient hatten. Und wenn solche Männer, die unter 30 waren, in den Rat aufgenommen werden konnten, hieß dies, dass alle anderen Männer zwischen 25 und 30 Jahren ebenfalls in den Rat gewählt werden konnten, auch wenn sie noch kein Amt ausgeübt hatten? Wie nur wenige andere erhaltene Quellen unterrichtet dieser Brief uns im Detail darüber, wie die lex provinciae die interne Organisation griechischer Städte beeinflussen konnte. Das Provinzgesetz von Bithynia beinhaltete Anordnungen mit unmittelbaren Auswirkungen auf das politische Leben: die Auswahlkriterien für eine Ratsmitgliedschaft, die Altersbestimmungen für ein Amt, die von einem neugewählten Ratsmitglied zu entrichtende Geldsumme und die Einschränkung des Rechts einer Person, das Bürgerrecht in mehr als einer Stadt innezuhaben. Eine Kombination von römischen Eingriffen und der Weiterentwicklung bereits vorher bestehender Tendenzen verfestigte das Machtmonopol einer Elite von „Honoratioren“. Reichtum war die Grundvoraussetzung für politische Rechte. Zur Bestimmung des Status eines Bürgers wurden in regelmäßigen Abständen die Besitztümer erfasst – und damit die Grundlage für die Ausübung von Bürgerrechten. So hatten beispielsweise in Sparta 300 Bürger einen privilegierten Status inne; die 32 Mitglieder eines Beamtengremiums (synarchia) wurden aus ihren Reihen gewählt. Eine Inschrift aus Xanthos in Lykien aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. unterscheidet verschiedene Kategorien von Bürgern; nur die wohlhabendsten unter ihnen konnten Mitglieder des Stadtrats (boule) und eines Ältestenrats (gerousia) werden, der zwar keinerlei politische Bedeutung hatte, aber seinen Mitgliedern großes soziales Prestige einbrachte; eine zweite Gruppe bestand aus den sitomet­ roumenoi (diejenigen, die das Getreide abmessen), die den „anderen Bürgern“ und den Fremden übergeordnet waren. Gewisse öffentliche Funktionen waren ausschließlich durch Reichtum und nicht durch Verdienst definiert. Die „zehn Ersten“ und die „zwanzig Ersten“ (dekaprotoi und eiko­ saprotoi) beispielsweise waren die wohlhabendsten Bürger; sie übernahmen die kostspieligsten Liturgien und wurden aufgrund ihres Reichtums und Ansehens in die führenden städtischen Ämter gewählt. Mit ihrem persönlichen Vermögen garantierten sie die direkten Steuereinnahmen, die ihre 325

Kaiser, Städte und Provinzen

Stadt an den kaiserlichen Fiskus abführen musste, sie überwachten jedoch auch die Eintreibung der städtischen Einnahmen. Eine bedeutende Neuerung der Kaiserzeit ist die Umwandlung des Rats, der in traditionellen griechischen Verfassungen jährlich neu berufen wurde, in eine permanente Institution mit lebenslanger Mitgliedschaft – ähnlich dem römischen Senat. Der Rat hatte weiterhin dieselbe Funktion wie in der Vergangenheit: Anträge für die Volksversammlung vorzubereiten und mit den Magistraten bei alltäglichen politischen und finanziellen Geschäften zusammenzuarbeiten. Seine Mitglieder waren nun allerdings ehemalige Magistrate. Da die Übernahme eines Amtes in vielen Städten die Bezahlung eines Geldbetrags (summa honoraria) erforderte, bestand der Rat aus Mitgliedern der Elite, die die vorgeschriebene Altersgrenze erreicht und als Magistrat gedient hatten. Diese Regelung zementierte die privilegierte Position der wohlhabenden Elite innerhalb der politischen Führungsriege. Bezeichnenderweise wurde das Wort „Ratsherren“ (bouleutai) nicht nur für all diejenigen verwendet, die tatsächlich Mitglieder des Rates waren, sondern auch für die gesamte Klasse der Wohlhabenden, denen dies grundsätzlich möglich war. Den Zweck solcher Regulierungen fasste Plinius in einem Brief an Trajan in klare Worte: „Es ist besser, den Söhnen prominenter Familien Zugang zum Rat zu gewähren als den Söhnen des Volkes.“ Dies wurde manchmal dadurch erreicht, dass ein Mitglied der Elite sich ein Amt mit seinem Sohn teilte oder für seinen Sohn die Kosten einer Liturgie übernahm. Ein Mann im kleinasiatischen Nysa, der als General, „Friedenshüter“ (eirenarches, zuständig für die Sicherheit), Aufseher der Knaben, Schatzmeister, dekaprotos und viermal als Marktaufseher (agoranomos) gedient hatte, übertrug kurz vor seinem Tod seinem Sohn, der bereits als Sekretär der Stadt tätig war, das Amt des agoranomos. Viele Ämter bedeuteten hohe Kosten, und sie hätten die limitierten finanziellen Mittel der Städte schnell aufgezehrt, wie zum Beispiel die anfallenden Ausgaben für die Ämter des Aufsehers des Gymnasiums und des Marktes (gymnasiarchos, agoranomos), aber auch die für das ursprünglich religiöse Amt des stephanephoros (Kranzträger), nach dem das Jahr benannt wurde, in dem er amtierte. Infolgedessen wurden solche Ämter nur von wohlhabenden Leuten übernommen; nur sie konnten es sich leisten, nominiert und auch gewählt zu werden. Dadurch verschwamm die Grenze zwischen einem Amt (arche), das jemand per Wahl oder Losverfahren erhielt, und einer Liturgie oder leitourgia, einem obligatorischen Ehrendienst für das Gemeinwesen, der wohlhabenden Bürgern auferlegt wurde. Von dem 326

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

kleinen Kreis der Reichen wurde die Übernahme dreier Dienstleistungen erwartet: Ämter und Priestertümer, Liturgien und Gesandtschaftsreisen. Zumindest in einigen Städten stand die Teilnahme an der Volksversammlung – oder vielleicht nur an bestimmten Sitzungen der Volksversammlung – nicht allen Bürgern offen, sondern nur denen, die gewisse Eigentumsbedingungen erfüllten. In Pogla in Pisidien und Sillyon in Pamphylien gab es beispielsweise eine Klasse von Bürgern, die „jene, die [regelmäßig] die Volksversammlung besuchen“ (ekklesiastai) genannt wurden; dies impliziert, dass einige Bürger von bestimmten Sitzungen der Volksversammlung ausgeschlossen waren. Die gleiche Unterscheidung kam wahrscheinlich auch in dem Begriff ekklesia pandemos (vom ganzen Volk besuchte Volksversammlung) zum Ausdruck; einige Sitzungen der Volksversammlung wurden demnach anscheinend nur von einem Teil der Bürgerschaft besucht. Gleichermaßen waren „die Fünfhundert“ in Oinoanda und „die Tausend“ in Tlos, beides in Lykien, Gruppen von Bürgern, die aufgrund ihres Reichtums gewisse Privilegien genossen. Da Reichtum vererbt wurde, wurden auch politische Privilegien erblich. Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. war die de facto erbliche Herrschaft der reichen Elite in den meisten Städten der griechischen Welt zur Realität geworden. Bereits in der späten hellenistischen Zeit war der herausgehobene Status bestimmter Familien anerkannt worden. In der Kaiserzeit wurde diese Auszeichnung dann auch formell mit politischen Privilegien verknüpft. In öffentlichen Inschriften der Kaiserzeit begegnet eine Reihe von Begriffen, die eine kleine Gruppe von Familien der wohlhabenden Elite deutlich von den übrigen Bürgern abgrenzen. Sie spielen teils auf die Ursprünge ihrer Macht an – dynamenoi oder dynatoi, „jene, die [finanzielle] Macht haben“ –, teils weisen sie auf ihre Führungsrolle hin – „die Ersten“ (protoi, proteuontes) –, und teils drücken sie ihre Selbsteinschätzung aus – aristoi, „die Besten“, und endoxoi, „die Hochangesehenen“. Die Ehreninschriften aus dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. bringen dieses Zusammenspiel von Reichtum, Ämtern und erblichem Anspruch auf politische Macht dadurch zum Ausdruck, dass sie explizit auf die Stellung (axioma) gewisser Familien Bezug nehmen. Ihre Stellung ergab sich aus einer Kombination aus Vorrechten, die auf Abstammung und von Familientraditionen herrührenden Verpflichtungen gründeten. Eine auf etwa 200 n. Chr. datierte Ehreninschrift aus Olbia an der Nordküste des Schwarzen Meeres bringt die Vermischung von ererbtem Vermögen, Familientraditionen und politischer Macht anschaulich zum Ausdruck: 327

Kaiser, Städte und Provinzen

Kallisthenes, Sohn des Kallisthenes, war ein Mann mit hervorragenden Vorfahren, die mit den Kaisern bekannt waren, unsere Stadt bauten und ihr in schweren Krisenzeiten viele Wohltaten erwiesen, Männer, deren Lob sich schwer in Worte fassen lässt, das durch die Zeit jedoch stets am Leben gehalten wird. Da er nun von solchen Vorfahren abstammte, erbte er nicht nur ihr Vermögen, sondern auch ihre Tugend, die er weiter verschönerte. Nicht durch menschliche Not gezwungen, sondern durch göttliche Vorsehung gebildet, verfügte er über eine angeborene, unvergleich­liche Weisheitsliebe. Nach seiner Mannwerdung befasste er sich mit öffentlichen Angelegenheiten und diente verlässlich als General, wobei er sich sehr gut um die Bewachung [der Stadt] kümmerte; auf ehrenhafte und gerechte Weise diente er viermal in den höchsten eponymen Ämtern. Da er die besten Vorschläge machte und stets zum Nutzen der Stadt handelte, wurde er als Vater der Stadt ausgezeichnet.

Wie der römische Kaiser „Vater des Vaterlandes“ (pater patriae) war, so war ein Mann wie Kallisthenes „Vater der Stadt“; er war den übrigen Bürgern übergeordnet und verfügte über eine unangefochtene Autorität, die auf seinem Erbe gründete. Ehrentitel wie „Vater der Stadt“ und „Sohn/Tochter der Stadt/des Volkes“ schufen die Fiktion einer intimen, ja einer familiären Beziehung zwischen dem Volk und der Elite. Sie erzeugten ein Verhältnis gegenseitiger Fürsorge und Zuneigung. Die Mitglieder der Elite wurden zu adoptierten Familienangehörigen der Gemeinschaft gemacht: Die Elite übernahm die Verantwortung, so für die Gemeinde zu sorgen wie ein Vater für seine Kinder und Kinder für ihre Eltern; und im Gegenzug dafür akzeptierte die Gemeinde die Autorität der Elite. Die Mitglieder der Elite saßen bei Theateraufführungen und Wettkämpfen auf besonderen Sitzen, und die Volksbeschlüsse zu ihren Ehren wurden bei öffentlichen Veranstaltungen laut vorgelesen. Die Ehrenstatuen, die den öffentlichen Raum schmückten, und die Inschriften, die Ämter und Wohltaten auflisteten und von den Vorfahren geleistete Dienste verzeichneten, machten die exponierte Stellung der Elite sichtbar und dienten als Vorbild für zukünftige Generationen von Wohltätern aus der Elite. Akklamationen während der Sitzungen der Volksversammlung und der Feste waren ein weiteres Medium zur Steigerung der herausgehobenen Stellung der Elite: „Epameinondas ist der einzig wahre Wohltäter aller Zeiten!“, „Nur Dion liebt seine Stadt!“, „Lang lebe er, der seine Mitbürger liebt, lang lebe er, der Mäßigung liebt, Ursprung guter Dinge, Gründer der Stadt!“ Akklamationen wie diese beteuerten Dank­ barkeit und Akzeptanz der Führerschaft, brachten gleichzeitig jedoch auch 328

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

Erwartungshaltungen zum Ausdruck. Besonders die Alexandriner waren große Meister auf dem Gebiet der Akklamationen, sodass Nero einige Männer aus Alexandria nach Rom bringen ließ, damit sie der römischen Bevölkerung beibrächten, wie man dabei vorzugehen habe. Wenn ein Mitglied der Elite, das seiner Gemeinde gedient hatte, verstarb, war ein Staatsbegräbnis zu erwarten – auch das trug zur Fiktion der Stadt als Familie bei. Als Athens reichster Bürger, Herodes Atticus, 177 n. Chr. starb und sein Begräbnis von seinen Freigelassenen in Marathon ausgeführt wurde, wo er seine Güter hatte, marschierten die athenischen Epheben von Athen nach Marathon, „ergriffen den Leichnam mit eigenen Händen“, brachten ihn in einer Prozession zurück nach Athen und begruben ihn nahe des von Herodes gestifteten Stadions. Philostrat berichtet, dass alle Athener dem Begräbnis beiwohnten und den Tod ihres Wohltäters beweinten „wie Kinder, die einen guten Vater verloren haben“. So eine Zurschaustellung von Dankbarkeit und Zuneigung ermutigte die Elite, noch größere Wohltaten ins Werk zu setzen, etablierte zur selben Zeit ein Abhängigkeitsverhältnis und wies den Teilnehmern feste Rollen zu: Herodes die Beschützerrolle des ­Vaters, dem Volk die der abhängigen Familienmitglieder. Dies bedeutete jedoch nicht, dass der demos – die Masse der weniger privilegierten Bürgerschaft – politisch irrelevant war. Er übte Einfluss auf die Elite aus und konnte sie unter Druck setzen, was das politische Leben in den griechischen Städten der Kaiserzeit zu einem komplexen System von Machtverhandlungen machte. Erstens mussten Anträge der Magistrate von der Volksversammlung abgesegnet werden; den gelegentlichen Hinweisen auf lautstarke Proteste und sogar Ausschreitungen nach zu urteilen kann es keinen Zweifel daran geben, dass einige der vom Rat und den Magistraten eingebrachten Anträge auf Widerstand stießen. Zweitens wurden die Magistrate von der Volksversammlung gewählt. Diese beiden Charakteristika – Absegnung von Entscheidungen durch die Volksversammlung und reguläre Wahlen – zusammen mit der Rechenschaftspflicht der Beamten waren Relikte der alten gemäßigten demokratischen Verfassungen. Doch obwohl alle Bürger wählen konnten, konnten nicht alle Bürger auch nominiert werden. Die politische Dominanz der Eliten lässt sich beobachten in Phänomenen wie der Anhäufung öffentlicher Funktionen (in klassischer Zeit ungewöhnlich), der wiederholten Übernahme eines Amtes (in klassischen Demokratien in Ausnahmefällen bei militärischen Ämtern möglich), der Besetzung von Ämtern mit engen Verwandten sowie dem Monopol politischer Initiativen in Rat und Volksversammlung. 329

Kaiser, Städte und Provinzen

Neben seiner institutionellen Macht in der Volksversammlung nahm „das Volk“ (demos, plethos) auch dadurch am politischen Leben Teil, dass es Druck auf die Elite ausübte und durch Akklamationen und bisweilen bei gewaltsamen Aufständen Forderungen stellte. Wir haben umfangreiche Zeugnisse für Volksaufstände und -unruhen, besonders für die Frühzeit des Prinzipats, als der Konflikt zwischen den Anhängern des Antonius und denen Octavians noch frisch und die Verhältnisse ungeklärt waren. Der Geograph Strabon, ein Zeitgenosse des Augustus, und der Redner Dion von Prusa (spätes 1. Jahrhundert n. Chr.) liefern viele Informationen über die von ihnen besuchten Städte; sie haben nicht nur alte Mythen, Landschafts- und Gebäudebeschreibungen aufgezeichnet, sondern schilderten auch politische Kontroversen. Ihre Werke zeigen, dass das politische Leben der Griechen gesund und munter war in Städten, die sich mit der neuen kaiserlichen Herrschaft arrangierten, sich dabei aber auch die Freiheit bewahrten, unerbittlich über all die Themen zu streiten, die ihnen wichtig waren: die Wahl von Amtsträgern, öffentliche Ausgaben, die Reduzierung des Getreidepreises, den Umgang mit Naturkatastrophen oder den Wettstreit mit Nachbarstädten um Privilegien und Status. Einige Proteste richteten sich auch gegen die Römer, andere hatten einen ethnischen und religiösen Hintergrund und nahmen die Juden ins Visier. Einige Beispiele können veranschaulichen, welche Faktoren dem öffentlichen Leben förderlich waren und „dem Volk“ Gelegenheiten gaben, zu zeigen, dass es seine Bedeutung noch nicht vollständig eingebüßt hatte. Tarsos war eine politisch aktive Stadt; sie war so dynamisch, wie es die Heimat ehrgeiziger und rhetorisch begabter Männer nur sein konnte. Als der Philosoph Athenodoros unter Augustus dorthin zurückkehrte, nachdem er einige Jahre mit der Erziehung des zukünftigen Kaisers Tiberius in Rom verbracht hatte, musste er feststellen, dass seine Stadt immer noch unter der Kontrolle des Dichters und Demagogen Boëthos stand, eines alten Anhängers des Antonius (s. S. 342f.). Strabon liefert keine Erklärung zu den Ursachen dieser politischen Spaltung, er führt lediglich eine Pauschalanklage an – dass Boëthos’ Anhängerschaft sich alle nur erdenklichen Unverschämtheiten leiste. Mit der ihm von Augustus übertragenen Autorität verurteilte Athenodoros Boëthos und seine Anhänger zum Exil, wahrscheinlich nicht ohne diese Entscheidung von einem Gericht oder der Volksversammlung bestätigt haben zu lassen. Daraufhin beschmierten Boëthos’ Anhänger die Wände mit Sprüchen gegen ihn wie 330

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

„Taten sind für junge Männer, Ratschläge für jene mittleren Alters, Fürze aber für alte Männer.“ Athenodoros fasste diese Inschrift als einen Witz auf und ordnete an, dass man ihr den Satz „Donner aber für alte Männer“ hinzufügte. Daraufhin kam jemand, der jeglichen Anstand gering achtete und eine sehr gute Verdauung hatte, des Nachts an seinem Haus vorbei und besudelte ausgiebig seine Türe und seine Hauswand. Als Athenodoros diese Fraktion in der Volksversammlung anklagte, sagte er: „Die Krankheit und die Entfremdung einer Stadt lassen sich an vielen Stellen erkennen, besonders aber anhand ihrer Exkremente.“

Athenodoros konnte sich glücklich schätzen, dass sein Haus nur „besudelt“ worden war. Es ist vielfach überliefert, dass ein mit Steinen, Stöcken und Fackeln bewaffneter Mob die Häuser prominenter Männer angriff und in Brand steckte. Einer der berühmtesten Thessaler während der Regierungszeit des Augustus, ein gewisser Petraios, der zweimal als „General“ des Thessalischen Bundes gedient hatte, verbrannte in seinem Haus bei lebendigem Leib. Es wird berichtet, dass unter Tiberius in Kyzikos und unter Claudius auf Rhodos römische Bürger gekreuzigt wurden. Und während eines Aufstandes in Alexandria wurde sogar der Statthalter, der Präfekt Gaius Petronius, zu Tode gesteinigt. Als ein reicher Mann in Aphrodisias, Attalos, im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. eine Stiftung gründete, um unter anderem das Gymnasium zu finanzieren, war er sich bewusst, dass seine Initiative auf Widerstand stoßen würde, da das Gymnasium eine Institution der Elite war. In seinem Testament hielt er fest, dass weder ein Magistrat noch ein Sekretär noch eine Privatperson das Recht haben soll, einen Teil des Kapitals oder der Zinsen oder das gesamte Kapital oder die gesamten Zinsen umzulegen oder die Berechnung zu verändern oder das Geld für einen anderen Zweck zu verwenden, weder indem er eine eigene Abstimmung organisiert noch durch einen Beschluss der Volksversammlung, einen Brief, ein Dekret oder eine schriftliche Erklärung noch durch Mobgewalt oder auf irgendeine andere Art.

Der Stifter befürchtete nicht nur mögliche Eingriffe nicht-städtischer (das heißt römischer) Autoritäten, sondern auch die Maßnahmen lokaler Amtsträger, Diskussionen in der Volksversammlung und den Druck des „Mobs“; „außerparlamentarische“ Opposition würden wir es heute nennen. Einige Leute in Aphrodisias dachten vielleicht, dass die Einlagerung von Getreide zum billigeren Weiterverkauf – oder womöglich Gladiatorenkämpfe – eine bessere Investition wären. Die Aktivitäten der Eliten wurden genauestens 331

Kaiser, Städte und Provinzen

beobachtet, wie der Redner Dion von Prusa aus eigener Erfahrung wusste. Als er zu einem Zeitpunkt, als sich die Stadt mit erhöhten Getreidepreisen konfrontiert sah, Land zum Bau von Geschäften erwarb, erregte er den Zorn und – seiner Meinung nach – auch den Neid der Volksversammlung. Auf der anderen Seite wissen wir auch von spontanen Demonstrationen zu Ehren von Mitgliedern der Elite. War ein Wohltäter gestorben, kam beispielsweise das Volk auf der Straße zusammen, um ein Staatsbegräbnis einzufordern, oder es nahm sogar den Leichnam an sich und machte die private Bestattung so zu einer öffentlichen Angelegenheit, womit sie insinuierten, dass der Wohltäter ein Verwandter des Volkes war. Die folgenreichsten politischen Erhebungen im Osten hatten ihren Ursprung jedoch nicht in Konflikten zwischen Griechen oder zwischen Griechen und Römern, sondern in kulturellen, religiösen und sozialen Spannungen zwischen Griechen und Juden. Alexandria mit seinem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil war ein zentraler, aber nicht der einzige Schauplatz von Aufständen. Die jüdische Gemeinde entwickelte ein starkes Identitätsgefühl, als Augustus einen „Ältestenrat“ als ihr Führungsgremium schuf und den Juden eine spezielle Bürgerpflicht übertrug: die Flussufer sauber zu halten. Unter anderem die Tatsachen, dass nur Juden, die alle in einem einzigen Viertel des Nildeltas lebten, Wohnrechte und Steuerbefreiungen genossen und dass Juden der Zutritt zum Gymnasium verwehrt war, stärkten die Geschlossenheit der jüdischen Gemeinde, was wiederum die alexandrinischen Griechen immer wieder gegen sie aufbrachte. Die Konflikte eskalierten unter Caligula – ein ursprünglich belangloser Zwischenfall löste gewaltsame Unruhen aus: Caligula sandte 38 n. Chr. Herodes Agrippa, den Herrscher von Galiläa und seinen persönlichen Freund, nach Alexandria, damit er die Tätigkeiten des Statthalters Flaccus überwachte, dem er misstraute. Das selbstbewusste Auftreten eines „Königs der Juden“ erzürnte die Griechen; der Demagoge Isidoros wiegelte sie zusätzlich auf. Unter dem Vorwand, dass sich die Juden angeblich weigerten, den Kaiser kultisch zu verehren, dessen Statuen auch in einigen Synagogen standen, griff der griechische Mob Juden an, entweihte Synagogen und kreuzigte 38 Älteste, bis der Statthalter abberufen wurde und das römische Heer die Unruhen niederschlug. Nach Caligulas Ermordung 41 n. Chr. sandten beide Parteien Gesandtschaften zu Kaiser Claudius; sein Urteil stellte aber keine der beiden Seiten zufrieden: Die Privilegien der Juden wurden wiederhergestellt, doch war es ihnen strengstens verboten, das Gymnasium oder athletische Wettkämpfe zu besuchen; die Forderung der Alexandriner nach einem eigenen 332

Die Städte: traditionelle poleis, römische Kolonien und das politische Leben

Ratsgremium wurde abgewiesen, und zwei ihrer Anführer, Isidoros und Lampon, wurden hingerichtet. Auf Papyri haben sich fiktionalisierte Protokolle dieser Begegnung zwischen den griechischen Honoratioren und dem Kaiser erhalten; sie stellen die Griechen als Vorbilder in Sachen Rede­ freiheit, Mut und Patriotismus dar, sogar einem autoritären Kaiser gegenüber. Diese sogenannten Alexandrinischen Märtyrerakten legen ein beredtes Zeugnis ab für den Wert, der in einem politischen Gemeinwesen unter römischer Herrschaft der Freiheit beigemessen wurde, für die Missachtung kaiserlicher Autorität, aber auch für ethnische Diskriminierung. Ähnliche Ausbrüche mit einem religiösen Hintergrund gab es gelegentlich auch anderswo. Um 55 n. Chr., während Paulus’ Aufenthalt in Ephesos, erkannte ein Silberschmied, der silberne Artemisschreine für Pilger herstellte, in den Christen eine Bedrohung für sein Geschäft und entfachte in der ortsansässigen Gilde der Silberschmiede Proteste. Der Vorfall, wie er in der Apostelgeschichte beschrieben wird, hat scheinbar dazu geführt, dass sich das Volk spontan im Theater versammelte: Als sie dies hörten, wurden sie zornig und schrien: „Groß ist die Artemis von Ephesos!“ Die Stadt war erfüllt von Verwirrung; das Volk lief geschlossen ins Theater und schleifte die Makedonen Gaius und Aristarchos mit sich, die Paulus’ Reisegefährten waren … Währenddessen wurden viele unterschiedliche Dinge gerufen; und die meisten von ihnen wussten nicht einmal, weswegen sie zusammengekommen waren.

Als ein Jude versuchte, zur Volksversammlung zu sprechen, schrien die Leute stundenlang im Chor: „Groß ist die Artemis von Ephesos!“ Nur dem Sekretär der Volksversammlung, dem höchsten städtischen Beamten, gelang es, die Menschenmenge zum Schweigen zu bringen, indem er sie dazu aufforderte, Anklagen entweder vor Gericht oder vor eine reguläre Volksversammlung zu bringen, und sie warnte: „Wir laufen Gefahr, einer Revolte angeklagt zu werden wegen der heutigen Vorfälle.“ Zu weiteren Unruhen gegen Juden kam es in griechischen Städten während der großen jüdischen Revolten von 68 und 115–117 n. Chr. So berechtigt die Vorstellung einer pax Romana als allgemeine Charakterisierung der frühen Kaiserzeit sein mag, so war das Römische Reich doch weniger homogen und befriedet, als seine Enkomiasten es wahrhaben wollten. Störungen des Friedens und Aufstände lassen ein komplexeres Bild erkennen und zeigen, dass es nicht frei von sozialen und ethnischen Spannungen war. 333

13 Sozioökonomische Gegebenheiten: von griechischen Städten zu einem „ökumenischen“ Netzwerk

Neue soziale Hierarchien Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und das gilt umso mehr, wenn es um den Widerstand traditioneller gesellschaftlicher Strukturen gegen Veränderung geht. Die E ­ roberungen Alexanders und die von ihnen ausgelösten erdrutschartigen Veränderungen der politischen Geographie des östlichen Mittelmeerraums und Asiens wirkten sich auf Gesellschaft und Wirtschaft aus. Einige Veränderungen vollzogen sich schneller als andere, insbesondere solche, die mit Migrationsbewegungen und neuen Möglichkeiten für den Handel in Zusammenhang standen; andere, wie die Stellung von Frauen und Sklaven, wandelten sich spürbar erst später. In diesem Kapitel werden wir das Zusammenspiel von Kontinuität und Wandel in der erweiterten griechischen Welt betrachten, sowohl während der tiefgreifenden Veränderungen in den Jahrhunderten nach Alexanders Tod als auch während des langen Prozesses der Integration in das Römische Reich. Hinsichtlich der Faktoren, die die soziale Stellung eines Individuums ­determinierten, treten Kontinuitäten und Veränderungen klar zutage. Bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. waren zwei rechtliche Faktoren bestimmend: Freiheit und Bürgerrecht. Natürlich gab es auch weitere Kriterien, die Bürger klar von der freien Bevölkerung ohne Bürgerrechte schieden. Reichtum war davon das Wichtigste. Doch hing das gesellschaftliche Prestige einer Person auch sehr stark von der Quelle ihres Reichtums – Grundbesitz, Handel, Handwerk, Finanzgeschäfte oder aber Raubüberfälle – sowie von ihrem rechtlichen Status ab. Ein Freigelassener konnte doppelt so reich sein wie ein Bürger und doch kaum je ein gleichwertiges gesellschaftliches Ansehen erreichen. Andere bedeutende Parameter sozialer Hierarchisierung waren Familie und Abstammung, militärische Leistungen und Bildung. Die Kombination solcher Faktoren bestimmte im vorhellenistischen Griechenland 335

Sozioökonomische Gegebenheiten

die Stellung eines Individuums innerhalb der Gesellschaftsstruktur eines Gemeinwesens; für Männer und Frauen, Kinder, Jungen und Mädchen, Greise und Greisinnen gab es feste Rollen. Der Einfluss dieser Faktoren variierte je nach Größe des Gemeinwesens, seiner geographischen Lage und seiner Institutionen. Doch vom späten 4. Jahrhundert v. Chr. an verschob sich das Gewicht dieser Faktoren, und neue kamen hinzu. Wie nicht anders zu erwarten blieb Reichtum auch weiterhin eine wichtige Voraussetzung für eine hohe gesellschaftliche Stellung. Was sich im Vergleich zum 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. jedoch veränderte, war seine Wertigkeit für das politische Leben von Gemeinwesen. De facto war Reichtum stets eine Voraussetzung für politische Aktivität gewesen, doch seit der späthellenistischen Zeit war dieser Anspruch institutionalisiert (s. S. 165). Reichtum ermöglichte es einer Person, durch Einladungen zu extravaganten Abendessen, finanzielle Unterstützung und andere Formen der Patronage ein soziales Netzwerk aufrechtzuerhalten. Er ermöglichte einer Person außerdem, durch Wohltaten den Ruf eines guten Bürgers und durch Weihegaben den eines frommen Menschen zu erlangen. Eine weitere Veränderung besteht darin, dass die Zahl der Frauen, die sehr reich waren und so eine bedeutende Rolle als Wohltäterinnen spielen konnten, zunahm (s. S. 385). Zu guter Letzt ist eine Veränderung in der gesellschaftlichen Akzeptanz verschiedener Quellen von Reichtum zu beobachten. Natürlich war geerbtes Vermögen weiterhin von Bedeutung, und Grundbesitz blieb die respektabelste Grundlage für Reichtum. Im Lauf des hellenistischen Zeitalters verbreiteten sich jedoch auch andere Formen der Vermögensanhäufung als Grundbesitz, und sie waren nun nicht mehr Zielscheibe gesellschaftlicher Diskriminierung, wie sie es in den meisten Städten in der Vergangenheit gewesen waren. Solche Vermögensquellen waren Handel, Finanzgeschäfte, Handwerk, eine erfolgreiche Karriere im Unterhaltungssektor, als Schauspieler, Dichter, Redner oder Musiker, Kompetenzen in einem spezialisierten Metier – zum Beispiel als Arzt oder Philosophie- und Rhetoriklehrer –, Preisgelder aus athletischen Wettkämpfen, Söldnerdienste und später auch der Dienst in der römischen Armee. Natürlich hatten Neureiche ein besonderes Interesse daran, ihr Vermögen in Grundbesitz in ihrer Heimat oder andernorts zu investieren. In der neuen kosmopolitischen Welt war das leichter zu bewerkstelligen als in der Vergangenheit. Ein Mann – manchmal auch eine Frau – konnte eine privilegierte Beziehung zu einer fremden Gemeinde aufbauen, indem ihm/ihr der Titel eines proxenos – eine Art Staatsfreund – verliehen wurde; die mit Proxenie einhergehenden Privilegien 336

Neue soziale Hierarchien

­ einhalteten für gewöhnlich das Recht auf Land- und Immobilienerwerb, b Unantastbarkeit (asylia) sowie Beistand in Rechtsgeschäften. Auch die Bedeutung der Bürgerrechte als Parameter der gesellschaftlichen Stellung änderte sich, da erstens die Erlangung der Bürgerrechte einfacher wurde; da zweitens in den griechischen Städten die Anzahl von Einwohnern ohne Bürgerrechte wuchs; und da drittens die Rechte von Einwohnern ohne Bürgerrechte oft durch zwischenstaatliche Abkommen geschützt wurden. Die städtische Bevölkerung war äußerst heterogen; sie bestand aus Bürgern, Sklaven und freien Einwohnern ohne Bürgerrechte. Bei Letzteren konnte der Hintergrund ganz unterschiedlich sein: Sie waren ausländische Immigranten, uneheliche Kinder, der Nachwuchs aus Mischehen, Freigelassene und Personen, die ihre Bürgerrechte infolge einer gerichtlichen Verurteilung verloren hatten. Bürgerrechte gaben einem Individuum die Möglichkeit, politischen Einfluss auszuüben, das Privileg auf Grundbesitz und den Schutz durch das Gesetz. Nach Alexanders Eroberungen konnte das Fehlen oder der Verlust von Bürgerrechten leichter ausgeglichen werden als in der Vergangenheit. Wer durch Eroberung, Bürgerkriege oder Verurteilung sein Bürgerrecht in seinem Vaterland verloren hatte, emigrierte in ein Königreich, wo er erwarten konnte, in einer der neugegründeten Städte angesiedelt zu werden, oder er bemühte sich um das Bürgerrecht eines anderen Gemeinwesens, indem er ihm seine Dienste anbot. Die Ver­ leihung von Bürgerrechten oder von mit Bürgerrechten verbundenen Privilegien – Grund- und Immobilienerwerb, Rechtsschutz – wurde zu etwas viel Alltäglicherem als in früheren Zeiten. Dank zwischenstaatlicher Abkommen wurden die Bürger der jeweiligen Partnerstädte unter den Schutz des Gesetzes gestellt. Hunderte Inschriften bezeugen individuelle Bürgerrechtsverleihungen, meistens für ausländische Wohltäter, Freunde der Könige, Unterhaltungskünstler und Ärzte, aber auch für andere Fachleute, Händler und Bankiers. Weniger häufig wurden größere Gruppen, etwa Soldaten, eingebürgert – hauptsächlich geschah dies in Städten, deren Bevölkerungszahl von Kriegen dezimiert worden war. Auch der Kauf von Bürgerrechten ist belegt, in erster Linie für die Randgebiete der griechischen Welt, die Städte am Schwarzen Meer und in Magna Graecia, wo der Rückgang der griechischen Bevölkerung es erforderlich machte, dass man zusätzliche Verteidiger gegen die Bedrohung durch die Barbaren anwarb. In weit größerem Ausmaß als je zuvor konnten Individuen als Folge der Ehrbezeugungen, die ihnen von ­poleis verliehen wurden, die nicht ihre Heimatstadt waren, auch die Bürgerrechte mehrerer anderer Gemeinwesen innehaben. Diese Entwicklung setzte 337

Sozioökonomische Gegebenheiten

sich in der Kaiserzeit fort. Im 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. genossen viele Athleten, Unterhaltungskünstler und Rhetoren, Menschen, die ein Wanderleben führten und von Festspiel zu Festspiel reisten, in mehreren Städten das Bürgerrecht. Infolge der gesellschaftlichen Komplexität der hellenistischen Zeit waren die freien Einwohner ohne Bürgerrechte eine heterogene Schicht. Eine wirtschaftlich und politisch bedeutende Gruppe stellten die ansässigen Fremden (Metöken) dar. Dank ihrer Dienste für eine Stadt oder auf Grundlage von zwischenstaatlichen Abkommen wurden einige Fremde privilegiert und hinsichtlich ihrer rechtlichen Stellung den Bürgern angeglichen, was die Besteuerung, die Befreiung von bestimmten Zöllen, Heirat, den Zugang zu Gerichtshöfen und Eigentum betraf. Und durch die Einrichtung von privaten freiwilligen Vereinigungen entwickelten auch ansässige Fremde ein Gemeinschafts- und Identitätsgefühl. Als die Römer den Osten eroberten, gab es plötzlich einen neuen Typus des privilegierten Fremden: den römischen Bürger. Römer wanderten aus Rom und Italien ein, lebten in griechischen Städten, aber waren in getrennten Gemeinden (conventus) organisiert, hatten aufgrund ihres römischen Bürgerrechts eine privilegierte Stellung inne und beanspruchten für sich eine Sonderbehandlung. In der Frühphase römischer Herrschaft in Griechenland und Kleinasien erlitten sie bisweilen Angriffe – der berüchtigtste trug sich 88 v. Chr. in Ephesos zu (s. S. 245). Als das r­ömische Bürgerrecht aber immer häufiger auch an Griechen verliehen wurde, insbesondere unter den Flaviern, und die Freilassung von Sklaven durch ihre römischen Herren die Anzahl der römischen Bürger vervielfachte, verlor das römische Bürgerrecht nach und nach seine Bedeutung als Distinktionsmerkmal. Die am stärksten benachteiligte freie Bevölkerungsgruppe sowohl im Fall der poleis als auch in den Königreichen waren die Einwohner der ländlichen Gebiete. Diejenigen, die auf Königsland lebten, die laoi (s. S. 119), waren ­tributpflichtig. In einigen Städten in Kleinasien und in den von Alexander eroberten Gebieten wurden große Territorien von freien Einwohnern ohne Bürgerrechte, den paroikoi (diejenigen, die nahe der Stadt wohnen), besiedelt. Diese hatten das Recht auf Grundbesitz, nicht jedoch auf politische Teilhabe, obwohl sie dazu verpflichtet waren, bei der Verteidigung der Stadt zu helfen. Ein Großteil dieser Bevölkerungsgruppe war indigen, übernahm jedoch in hellenistischer Zeit die griechische Sprache und Kultur. Sie verehrten weiterhin lokale Gottheiten, für gewöhnlich unter einem griechischen Namen, und praktizierten ihre jeweils eigenen Rituale. In den gewalttätigen 338

Gelehrte Männer: sozialer Aufstieg durch Bildung und Kunstfertigkeit

Jahrhunderten der hellenistischen Zeit wurden diese paroikoi oft Opfer von Raubzügen: beispielsweise während der Überfälle der Gallier im 3. Jahrhundert v. Chr. in Kleinasien. In Kriegszeiten sahen sie sich von Gefangenschaft und von der Zerstörung ihres Kulturlandes und seiner Anlagen bedroht. Hellenistische Städte bemühten sich, diese Bevölkerungsgruppen der ländlichen Gebiete als Teil der polis zu behandeln. Sie wurden in die Gebete für die ­Errettung der Stadt und des Umlandes wie auch bei Beschwerden über Raubzüge und Unsicherheit miteinbezogen; sie wurden zu den städtischen Festen eingeladen; und seit der späthellenistischen Zeit luden großzügige Wohltäter auch die paroikoi und andere ohne Bürgerrechte zur Teilnahme an den von ihnen finanzierten öffentlichen Banketten ein. Dies wurde als eine außergewöhnliche Großzügigkeit dargestellt, und all diejenigen Einwohner, die keinen Anteil an den Privilegien der Bürger hatten, konnten sich so dennoch als Teil der Gemeinschaft fühlen. Derartige Gesten förderten die Eintracht, ohne jedoch die rechtliche und gesellschaftliche Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu schließen. Sozialer Aufstieg war nur durch Bildung, Kunstfertigkeit oder Nähe zur Macht möglich.

Gelehrte Männer: sozialer Aufstieg durch Bildung und Kunstfertigkeit Virtuosentum in den darstellenden Künsten, athletisches Können und Bildung sind drei Faktoren, die in der griechischen Welt vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum Prinzipat mehr und mehr an Bedeutung gewannen, was die Verbesserung der individuellen gesellschaftlichen Stellung anbelangt (s. S. 356–358 und 376–378). In der hellenistischen Zeit kam der Bildung, die in vielen Städten den höheren Gesellschaftsschichten mit der nötigen Freizeit und Muße vorbehalten blieb, im politischen und gesellschaftlichen Leben ein besonderer Stellenwert zu. Für Dichter, Historiker, Mythographen und Wissenschaftler war es ein Segen, dass Könige ein ernsthaftes Interesse daran hatten, Kunst und Wissenschaft zu fördern – weil sie sich unmittelbare Vorteile von technologischen Entdeckungen erhofften oder auch weil sie nach dem Prestige strebten, das sie gewannen, indem sie sich mit berühmten Künstlern und Literaten umgaben oder in deren Dichtungen gepriesen wurden. Die größten hellenistischen Dichter, Theokrit, Kallimachos und Poseidippos, standen alle in enger Verbindung zum Hof von Ptolemaios II. in Alexandria. 339

Sozioökonomische Gegebenheiten

Der „Universalgelehrte“ war in hellenistischer Zeit zwar kein gänzlich unbekanntes Phänomen, aber revolutionäre wissenschaftliche Fortschritte standen oft mit einer von den Königshöfen geförderten Spezialisierung in Zusammenhang. Das Mouseion in Alexandria, von Ptolemaios I. als Zentrum des Wissens gegründet, war dem Palast angeschlossen und beherbergte die größte Bibliothek der Welt. Es versammelte Gelehrte aller Disziplinen, von Astronomie bis Zoologie, von Homer-Philologie bis Medizin. Die Begründer der alexandrinischen Schule für Medizin, Herophilos (ca. 331–280 v. Chr.) und Erasistratos (ca. 304–250 v. Chr.), gaben einen Anstoß zu medizinischer Forschung, besonders durch die Praxis der Anatomie. Herophilos erkannte das Gehirn als kognitives Zentrum und revolutionierte das Wissen von den Gefäß- und Nervensystemen. Erasistratos, ursprünglich der Arzt von Seleukos I., der Antiochos Liebeskrankheit diagnostiziert hatte, war nicht nur auf dem Gebiet der Herzensangelegenheiten ein Experte, sondern untersuchte auch die körperlichen Funktionen dieses Organs. Er studierte den Blutkreislauf und unterschied zwischen Venen und Arterien. Auf dem Gebiet der angewandten Wissenschaften waren es die militärischen Bedürfnisse der hellenistischen Könige, die dazu führten, dass Wissenschaftler und Ingenieure an ihre Höfe gelockt wurden. Unter königlicher Patronage wurden ausgeklügelte Belagerungsmaschinen entwickelt, wie die helepolis von Demetrios Poliorketes, ein beeindruckender Hebeapparat, oder die sambyke, womit kleinere Soldateneinheiten auf die Stadtmauer gehoben werden konnten, das Torsionskatapult, das Repetierkatapult und der Flammenwerfer. Der Mathematiker Archimedes (ca. 287–212 v. Chr.) ist der berühmteste dieser Wissenschaftler, die in enger Verbindung mit einem Königshof Karriere machten, in seinem Fall mit dem von König Hieron II. von Syrakus auf Sizilien. Während der römischen Belagerung von Syrakus (214–212 v. Chr.) stellte er seine Talente und seine Erfindungen in den Dienst seiner Heimatstadt (s. S. 187). Rhetoren, Philosophen und die in diesen Disziplinen Lehrenden bildeten eine weitere Gruppe von Personen, die realistischerweise erwarten konnten, dank ihrer Bildung aufzusteigen. In den gemäßigten Demokratien der hellenistischen Städte war die Volksversammlung weiterhin der Ort, an dem Entscheidungen getroffen wurden. Auch wenn die Initiative für Anträge in den Händen der Mitglieder der wohlhabenden Elite lag, benötigten die politischen Anführer immer noch rhetorisches Training und Überzeugungskraft, um die Unterstützung der Bürger gewinnen und die Interessen einer Stadt bei diplomatischen Kontakten vertreten zu können. Einige Redner und 340

Gelehrte Männer: sozialer Aufstieg durch Bildung und Kunstfertigkeit

Philosophen, die gleichzeitig auch die Kunst der Überzeugung lehrten, kamen nicht nur zu Ruhm und Reichtum, sondern avancierten in ihren Städten auch zu prominenten politischen Figuren. Stoische Philosophen folgten oftmals dem Vorbild ihres Schulgründers, Zenon von Kition, der im späten 4. Jahrhundert v. Chr. die Einladungen seines Bewunderers König Antigonos Gonatas ausschlug, ihn an seinem Hof zu besuchen, wie er auch das athenische Bürgerrecht ablehnte, als man es ihm verleihen wollte. Zenon schuf die Grundlagen einer philosophischen Ethik, propagierte ein Leben im Einklang mit Vernunft und Tugend sowie eine Vermeidung der negativen Gefühle Begierde, Angst und Freude; in Hellenismus und Kaiserzeit war die Stoa überaus einflussreich und wurde besonders von Staatsmännern geschätzt. Viele Philosophen traten aber auch als Gesandte und Magistrate in den Dienst ihrer Städte, andere wiederum gewannen politischen Einfluss durch die Freundschaft mit Königen, römischen Politikern und Provinzstatthaltern. Philosophen und Redner konnten gelegentlich durch Demagogie und ihre Nähe zur Macht zu Einfluss kommen, insbesondere in den unruhigen Jahrzehnten zwischen den Mithridatischen Kriegen und Actium, wie die folgenden Beispiele zeigen: Im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. gelang es dem Redner Metrodoros von Skepsis, „einem armen Mann, aufgrund seiner Reputation eine ruhmreiche Eheverbindung in Chalkedon einzugehen und in Chalkedon das Bürgerrecht zu erlangen“. Er erhielt eine hohe Stellung in der Justizverwaltung des Königreichs von Mithridates VI., fiel dann aber einer Verschwörung seiner Gegner zum Opfer. Die turbulenten Jahre der späten Republik boten Männern aus einfachen Verhältnissen Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Aufstieg, indem sie ihre intellektuellen Fähigkeiten dazu einsetzten, römische Staatsmänner zu beeindrucken und sich mit ihnen ­a nzufreunden. In der Stadt Mylasa wurden im 1. Jahrhundert v. Chr. zwei talentierte Redner unterschiedlicher Herkunft zu den Anführern ihrer Stadt. Euthydemos war ein typischer Vertreter der Elite. Er hatte von seinen Vorfahren Vermögen und Ansehen geerbt, was er beides zusammen mit seinem rhetorischen Geschick dazu einsetzte, in seiner Stadt und in ganz Kleinasien zu Einfluss zu kommen. Seine Herrschaft in Mylasa nahm autokratische Züge an. Bei seinem Begräbnis pries ihn der Redner Hybreas mit den berühmten Worten: „Euthydemos, du bist das notwendige Übel der Stadt. Wir können weder mit dir noch ohne dich leben.“ Dieser Hybreas, der zweite Redner und Staatsmann aus Mylasa, war ein Emporkömmling. Kurz nach seinem Tod fasste Strabon seine Karriere zusammen: 341

Sozioökonomische Gegebenheiten

Wie Hybreas selbst in seiner Schule erzählte und die Bürger es bestätigten, hinterließ ihm sein Vater ein Maultier, das Holz trug, und einen Maultiertreiber. Für kurze Zeit verdiente er sich mit diesen seinen Lebensunterhalt. Nachdem er von Diotrephes von Antiochia unterrichtet worden war, kehrte er in die Stadt zurück und widmete sich dem Amt des Marktaufsehers. Dort wurde er herumgestoßen und verdiente nur wenig Geld, woraufhin er sich eifrig der Politik zuwandte und jenen folgte, die den Markt aufsuchen. Er gewann rasch an Einfluss und wurde sogar schon zu Lebzeiten des Euthydemos bewundert, besonders aber nach dessen Tod, nachdem er zum Herrn der Stadt geworden war.

Hybreas überzeugte seine Mitbürger, Rom die Treue zu halten und sich 40/39 v. Chr. dem abtrünnigen Feldherrn Labienus und den Parthern zu widersetzen (s. S. 263). Als die Bürger seinen Ratschlag befolgten, wurde die Stadt gewaltsam erobert und geplündert; Hybreas floh nach Rhodos, und sein luxuriöses Haus wurde ausgeraubt. Als Labienus jedoch besiegt wurde, kehrte Hybreas in seine Stadt und an die Macht zurück, und die Römer belohnten Mylasas Treue. Hybreas wurde das römische Bürgerrecht verliehen, und nach seinem Tod wurde er als Heros verehrt. Auch wenn Reichtum stets eine Voraussetzung für politischen Einfluss war, musste er nicht immer ererbt, sondern konnte auch neu erworben worden sein, wie das Beispiel Hybreas’ zeigt. Rhetorische Fertigkeiten allein genügten zwar nicht für eine politische Karriere, aber sie waren durchaus von Bedeutung, da selbst die Herrschaft der Eliten der Legitimierung durch die Volksversammlung bedurfte. Als das Reich noch zwischen Octavian und Marcus Antonius geteilt und der Osten in den Händen des Letzteren war, kam Boëthos, ein Dichter und Redner aus Tarsos, als Demagoge an die Macht. Er verfasste ein Gedicht zu Ehren von Marcus Antonius anlässlich dessen Sieges bei Philippi und gewann dadurch dessen Gunst; diese suchte er zum Nutzen von Tarsos einzusetzen. Die Tarsier wollten unbedingt das typische Wahrzeichen einer griechischen Stadt besitzen: ein Gymnasium. Strabon dazu: Antonius versprach den Tarsiern, das Amt des Gymnasiumaufsehers einzurichten; stattdessen setzte er jedoch Boëthos als Gymnasiarchen ein und vertraute ihm die Ausgaben an. Aber Boëthos wurde dabei beobachtet, wie er unter anderem das Olivenöl für sich selbst zur Seite schaffte. Als die Ankläger seine Schuld unter dem Beisein Antonius’ darlegten, versuchte er den Zorn des Antonius zu besänftigen und sagte unter anderem: „Wie Homer das Lob des Achilles, Agamemnon und Odysseus sang, so habe auch

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Gelehrte Männer: sozialer Aufstieg durch Bildung und Kunstfertigkeit

ich dich gepriesen. Es ist daher nicht rechtens, dass ich wegen solch ­falscher Vorwürfe vor dich geführt werde.“ Der Ankläger griff jedoch seine Aussage auf und antwortete: „Homer stahl aber nicht das Öl des Agamemnon noch das des Achilles, du aber schon. Daher sollst du bestraft werden.“

Boëthos gelang es, seiner Bestrafung zu entgehen, und er herrschte noch einige Jahre nach Antonius’ Niederlage über die Stadt. Zenon von Laodikeia ist ein weiterer Redner, der aufgrund seiner Entscheidung, während des Parthereinfalls des Labienus die Römer zu unterstützen, an die Macht gelangte. Die Karriere seines Sohnes Polemon übertraf die anderer Männer dieser unruhigen Jahre der späten Republik und des frühen Prinzipats. Marcus Antonius machte ihn zum König von Pontos, Kolchis und Armenia Minor. Polemons Herrschaft wurde von Antonius’ Untergang nicht beeinträchtigt. Zwar verlor er 20 v. Chr. Armenia Minor, als Augustus es einem anderen Dynasten übertrug, aber er vergrößerte sein Königreich, indem er Dynamis, die Königin des Bosporanischen Reiches, heiratete. Nach deren Tod 14 v. Chr. ging er eine weitere vorteilhafte Eheverbindung ein. Seine neue Frau Pythodoris stammte aus einer wohlhabenden griechischen Familie aus Tralleis. Polemon und Pythodoris regierten zusammen bis zu Polemons Tod im Jahr 8 v. Chr. Seine Familie blieb bis zum Ende der julisch-claudischen Dynastie einflussreich. Sein erstgeborener Sohn Zenon wurde König von Armenien; sein zweiter Sohn Polemon II. regierte Pontos, bis es 64 n. Chr. von Nero annektiert wurde. Seine Tochter Antonia Tryphaina, Königin von Thrakien durch ihre Heirat mit König Rhoimetalkes II. (12–38 n. Chr.), zog sich in die Stadt Kyzikos zurück und engagierte sich dort durch diverse Wohltaten. Rhetorische, literarische und wissenschaftliche Aktivitäten behielten auch in der Kaiserzeit ihre Bedeutung hinsichtlich kaiserlicher Patronage und damit für gesellschaftlichen Aufstieg. Die Hauptstadt des Reiches zog zahlreiche Redner, Philosophen, Dichter, Historiker, Lehrer und Ärzte an, und die begabtesten unter ihnen fanden Schirmherren in den philhellenischen Kreisen der Senatselite. Einige besonders Glückliche bauten enge Beziehungen zu römischen Kaisern auf oder gewannen sogar deren Freundschaft. Der Mediziner Gaius Stertinius Xenophon, der Leibarzt Kaiser Claudius’, war beispielsweise der bedeutendste Mann auf Kos in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., und auch seine Nachkommen hatten einflussreiche Stellungen in der Stadt inne. Der Philosoph Athenagoras von Tarsos wurde von Augustus als Lehrer nach Rom geholt. Im Alter kehrte er nach 343

Sozioökonomische Gegebenheiten

Tarsos zurück, sandte den bereits genannten Boëthos ins Exil, herrschte bis zu seinem Tod mit absoluter Macht und reformierte die Institutionen seiner Stadt (s. S. 330f.). Auf ihn folgte mit Nestor, dem Lehrer von Augustus’ Neffen Marcellus, ein weiterer Philosoph. Gaius Iulius Nikanor, ein Dichter aus Hierapolis in Syrien, kam während der Regierungszeit des Augustus nach Athen und setzte sein großes Vermögen dazu ein, Teile der Insel Salamis in athenisches Eigentum zurückzubringen, die während der Bürgerkriege von einigen Individuen aufgekauft worden waren. Dass er den Athenern die vollständige Kontrolle über diese Insel zurückgab, die sie mit einem der ruhmreichsten Momente ihrer Geschichte verbanden, brachte ihm den Ehrentitel „Neuer Themistokles“ ein – nach dem athenischen General, der 480 v. Chr. die Perser schlug. Ob Nikanor auch den Titel „Neuer Homer“ verdiente, werden wir nie herausfinden. Keine seiner Dichtungen hat der Prüfung der Zeiten standgehalten.

Nähe zur Macht und sozialer Aufstieg Der in Hellenismus und Prinzipat mit Abstand wichtigste Faktor für den sozialen Aufstieg war die Nähe zu einem Vertreter autoritärer Macht: zu einem hellenistischen König, einem römischen Befehlshaber mit außerordentlichen Machtbefugnissen oder zum römischen Kaiser. Der Militärdienst bot vielen Griechen die Chance, als höhere Feldherren im Heer, als Freunde und Ratgeber von Königen oder als Verwaltungsbeamte politisch Einfluss zu gewinnen. Mit etwas Glück konnten sie sich in eine griechische Stadt zurückziehen und die königliche Patronage zum Erwerb von Land und Ansehen einsetzen. Die Könige waren nur allzu gern bereit, Loyalität und Effizienz mit Ehren oder Beförderung zu belohnen oder materiell zu vergüten. Auf den unteren Rängen erhielten Soldaten Land und weniger bedeutende Militärkommandanten Geschenke und Auszeichnungen; höhere Offiziere und „Freunde“ des Königs konnten mehr erwarten, wie große Ländereien und Statuen als sichtbare Zeugnisse königlicher Patronage. Nach Ausscheiden aus dem Dienst wurden sie Grundbesitzer in Städten, unterhielten jedoch weiterhin Beziehungen zum Hof, sodass sie rasch in die Führungsriege ihrer Gemeinwesen aufstiegen. Römische Senatoren, Feldherren und Statthalter benötigten griechische Berater mit Kenntnissen der lokalen Gegebenheiten. Eine solche Unterstützung fanden sie bei den wohlhabenden, gebildeten Bürgern der griechischen 344

Nähe zur Macht und sozialer Aufstieg

Städte, die große Sympathien für die römische oligarchische Regierungsform hegten. Freunde römischer Anführer waren unter anderem der Historiker Polybios, der epikureische Philosoph Philodemos, Lehrer und Freund des Statthalters von Macedonia, Lucius Calpurnius Piso Caesoninus (57–55 v. Chr.), der Universalgelehrte, Philosoph und Historiker Poseidonios von Apameia, ein Freund des Pompeius, und Theopompos, ein einflussreicher Mann aus Knidos und Verfasser einer Sammlung von Mythen, ein Freund Caesars. Hätte der Diktator auf ihn gehört, hätte er nicht an der Senatssitzung teilgenommen, in der er letztlich ermordet wurde. Theophanes von Mytilene ist ein gutes Beispiel für einen äußerst gebildeten und erfahrenen Mann im Dienst eines römischen Kommandanten. Er begleitete Pompeius auf dessen Feldzug gegen Mithridates. Er nutzte Pompeius’ Unterstützung zum Wohl seiner Stadt und erlangte die Anerkennung ihrer Freiheit. Er erhielt nicht nur das römische Bürgerrecht, sondern wurde auch in den Ritterstand aufgenommen. Seine Dienste wurden nach Pompeius’ Tod nicht vergessen: Seine Stadt führte kultische Ehren für ihn ein, und seine Nachkommen hatten über Jahrzehnte eine einflussreiche Stellung in der Stadt inne. Einer von ihnen, Pompeius Macer, wurde nach Rom beordert, um die kaiserliche Bibliothek zu organisieren; er stieg in den Rang eines römischen Ritters auf und diente in Asia als Prokurator des Kaisers. Sein Sohn trat 15 n. Chr. als Prätor in den Senat ein. Solche persönlichen Beziehungen waren für beide Seiten vorteilhaft. Die römischen Befehlshaber und Statthalter konnten auf erfahrene Berater und loyale Unterstützer zählen, und ihre griechischen Freunde wurden mit Patronage und bisweilen mit dem römischen Bürgerrecht belohnt. Wenn es ihnen gelang, diese Patronage zur Erlangung von Privilegien für ihre Stadt einzusetzen, steigerte dies unmittelbar ihren politischen Einfluss und ihr gesellschaftliches Ansehen. Während der römischen Bürgerkriege, von 49 bis 30 v. Chr., benutzten einige Männer, insbesondere Redner und Philosophen – unter ihnen auch Leute aus einfachen Verhältnissen –, römische Patronage dazu, in ihrer jeweiligen Stadt eine beinahe monarchische Herrschaft zu errichten, die von ihren Freunden als politische Führerschaft angesehen wurde, und von ihren Feinden als Tyrannei: Boëthos in Tarsos (s. S. 330), Hybreas in Mylasa (s. S. 341f.) und Nikias auf Kos (s. S. 172) waren solche Parvenüs. Hatten sie sich letztlich mit der Verliererseite zusammengetan, konnte das fatale Auswirkungen auf ihre Stellung und sogar für sie selbst zeitigen; einigen gelang es, rechtzeitig die Seiten zu wechseln, andere gewannen das Vertrauen des Siegers. Diejenigen, die ­Octavian unterstützt hatten, wurden für ihre Dienste belohnt. 345

Sozioökonomische Gegebenheiten

Als Marcus Antonius in der letzten Phase der Schlacht bei Actium realisierte, dass seine Verbündeten, einschließlich Kleopatra, ihn im Stich gelassen hatten und die Schlacht verloren war, ergriff er an Bord seines Schiffes die Flucht. Dieses Schiff wurde unerbittlich von einem gewissen Eurykles von Sparta verfolgt. Eurykles stand auf dem Deck und schüttelte seine Lanze gegen Antonius’ Schiff. Als Antonius ihn fragte, wer er sei, antwortete dieser: „Ich bin Eurykles, Sohn des Lachares, und folge dem Schicksal Caesars, um den Tod meines Vaters zu rächen.“ Plutarch erläutert, dass Lachares von Antonius wegen Piraterie hingerichtet worden war, und wir können annehmen, dass auch Eurykles seinen Lebensunterhalt mit Piraterie bestritt. Er blieb seiner Motivation, „dem Schicksal Caesars zu folgen“ – das heißt, Octavian zu unterstützen –, treu und nahm Rache, nicht indem er Antonius’ Schiff angriff, sondern indem er die Galeere des zweiten Admirals sowie ein weiteres Schiff mit den wertvollsten Besitztümern des Antonius kaperte. Dieser Eurykles und seine Nachkommen sind ein interessanter, wenn auch nicht typischer Fall sozialen Aufstiegs in der Zeit des Prinzipats. Er und sein Vater waren von zweifelhafter Herkunft, aller Wahrscheinlichkeit nach keine Mitglieder der Adelsfamilien Spartas, deren Ansehen und Wohlstand auf Grundbesitz basierte, und gehörten zur letzten Generation von Freibeutern, die sich die chaotischen Umstände der Bürgerkriege zunutze machten. Er wurde von Octavian/Augustus mit der persönlichen Herrschaft über Sparta belohnt. Es ist nicht bekannt, ob seine quasi-monarchische Stellung sich auch in einem Titel manifestierte, wie Anführer (he­ gemon oder prostates) oder Aufseher (epistates) der Lakedämonier. Eurykles erhielt das römische Bürgerrecht und regierte Sparta, Lakonien und Kythera als Monarch, bis sein Machtmissbrauch der lokalen Bevölkerung zu viel wurde und Augustus ihn 2 v. Chr. ins Exil schicken musste. Nichtsdestotrotz blieben seine Nachkommen über Generationen hin die bedeutendste Familie in Sparta. Bekanntschaft mit einem Kaiser war für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der mit Abstand wichtigste Faktor. In vielen solchen Fällen war der Betroffene schon lange vor der Thronbesteigung eines Kaisers mit diesem bekannt. Viele, die später Kaiser wurden, verbrachten eine gewisse Zeit als Studenten, Reisende, Statthalter, Armeeoffiziere oder Exilanten im Osten und kamen so mit vielen Griechen verschiedener Berufe und gesellschaftlicher Schichten in Kontakt. Viele griechische Familien mit „kaiserlichen“ nomina wie Iulius, Flavius oder Aelius verdankten ihr römisches Bürgerrecht der Patronage eines Kaisers oder zukünftigen Kaisers. 346

Nähe zur Macht und sozialer Aufstieg

Zahlreiche Personen, fast ausschließlich Männer, kamen durch intellektuelle Beiträge als Dichter, Redner, Philosophen oder Historiker mit dem Kaiser in Kontakt oder beeindruckten ihn mit ihren künstlerischen bzw. athletischen Leistungen. Kaiser Titus, der Eroberer Jerusalems, hatte beispielsweise den griechischen Boxer Melankomas (der Schwarzhaarige) zum Liebhaber; dieser war nie einem Gegner unterlegen, starb aber 82 oder 86 n. Chr. sehr jung während der Sebasta-Wettspiele in Neapel. Andere, die im Dienst eines Kaisers gesellschaftlich aufstiegen, sind der koische Arzt Gaius Stertinius Xenophon und Flavius Arrianus bzw. Arrian aus Nikomedeia, dessen literarischer Ruhm seine lange und erfolgreiche Karriere in der Verwaltung in den Schatten stellte: Nachdem er bei Epiktet, einem ehemaligen Sklaven, der zum einflussreichsten stoischen Philosophen des späten 1. und frühen 2. Jahrhunderts n. Chr. avancierte, Philosophie studiert hatte, trat Arrian als Mitglied des Ritterstandes in die kaiserliche Verwaltung ein. Vermutlich unter Hadrian wurde er in den Senat aufgenommen und als Statthalter nach Baetica (Spanien) und Cappadocia (131–137 n. Chr.) geschickt. Nach Hadrians Tod schied er aus dem Dienst aus und zog nach Athen, wo er historische, geographische und strategische Arbeiten verfasste; sein bekanntestes Werk ist seine Geschichte Alexanders des Großen. Eine weitere Gruppe von Menschen mit sozialem Prestige und Reichtum waren die Nachkommen einiger Klientelkönige. Sie besetzten führende Positionen und taten sich als Wohltäter griechischer Städte hervor. Philopappos (65–116 n. Chr.) zum Beispiel, der Enkel von Antiochos IV., dem letzten König von Kommagene, lebte ein glamouröses Leben in Athen, führte den Titel basileus (König), trat als Wohltäter in Erscheinung, hatte hohe Ämter in der Stadt inne und war mit Philosophen befreundet. Unter den Kaisern Trajan und Hadrian stieg er in die höchsten Kreise der römischen Gesellschaft auf und wurde 109 n. Chr. Senator und Suffektkonsul. Seine Schwester Balbilla, eine enge Freundin Hadrians, ließ für Philopappos in Athen ein Grabmonument errichten – es ist heute noch ein markantes Wahrzeichen der Stadt auf dem Hügel gegenüber der Akropolis. Die gesellschaftliche Gruppe, die von der Nähe zum Kaiser profitierte, umfasste auch kaiserliche Sklaven griechischen Ursprungs, denen es gelang, das Vertrauen ihres Herrn zu gewinnen. Wenn sie freigelassen wurden, erhielten sie automatisch das römische Bürgerrecht und konnten wichtige Positionen erlangen. Solche einflussreichen Freigelassenen gab es bereits zur Zeit der späten Republik. Einige von ihnen waren ursprüng347

Sozioökonomische Gegebenheiten

lich vermutlich Bürger griechischer Städte und wurden als Kriegsgefangene versklavt; aufgrund ihrer Bildung, Erfahrung und Fertigkeiten wurden ihnen wichtige Aufgaben übertragen. Ein gewisser Cornelius Epikados, ein ehemaliger Sklave Sullas, vollendete beispielsweise die Autobiographie seines Herrn nach dessen Tod. Die Anzahl der Sklaven und Freigelassenen, die wichtige Positionen im kaiserlichen Haushalt oder in der Verwaltung innehatten, stieg im Prinzipat. Um seinen unterschiedlichen Pflichten nach­ zukommen und einen hohen Lebensstandard aufrechtzuerhalten – oder auch schlicht, um am Leben zu bleiben –, bedurfte der Kaiser zahlreicher Bediensteter: darunter eigene Ärzte, Sekretäre für den Schriftverkehr (ab epistulis) oder die Finanzen (a rationibus); und Hunderte Sklaven in den Palästen und Villen. Einer der bemerkenswertesten kaiserlichen Freigelassenen war Gaius Iulius Zoilos, ein Freigelassener des Augustus; ihm gelang es, seiner Heimatstadt Aphrodisias Privilegien zu verschaffen, und er bekleidete die höchsten Ämter der Stadt und wurde in einem außergewöhnlichen Grabmonument im Stadtzentrum beerdigt. Weil Kriegsgefangenschaft infolge der Kriege im 1. Jahrhundert v. Chr. ein häufiges Phänomen war und Menschen jeglicher gesellschaftlicher Schichten in diese Situation gerieten, ist es durchaus möglich, dass Männer wie Zoilos aus einer respektablen Familie ihrer jeweiligen Stadt stammten, bevor sie in die Sklaverei verkauft wurden. Andere kaiserliche Sklaven hatten ihre Macht ihrer Bildung und ihrem Talent zu verdanken. Kallistos, Pallas und Narkissos, die drei Sekretäre von Kaiser Claudius, waren sogar reicher als Crassus, der reichste Mann der Republik. Um ein Vermögen wie das ihre anzuhäufen, 200 Millionen Sesterzen, hätte man 200 Jahre lang als Provinzstatthalter von Asia dienen müssen. Polybios, ein weiterer Freigelassener des Claudius, übersetzte Homer ins Lateinische und Vergil ins Griechische. Ein Gedicht des römischen Dichters Statius liefert uns einige Informationen über das Leben eines kaiserlichen Freigelassenen, des Vaters von Claudius Etruscus, dessen vollen Namen wir nicht kennen. Er wurde 2 n. Chr. in Smyrna geboren und vermutlich als Findelkind unter Augustus an das Kaiserhaus verkauft. Unter Tiberius wurde er in die Freiheit entlassen und erhielt das nomen Claudius. Er war einer der Vertrauten von Kaiser Claudius und heiratete eine frei geborene Frau. Er überlebte die Herrschaft Neros und wurde nach der Thronbesteigung Vespasians als a rationibus Leiter der kaiserlichen Finanzverwaltung. Seine beiden frei geborenen Söhne erfüllten die Vermögensvoraussetzungen für die Aufnahme in den Ritterstand, und Vespasian verlieh diese Ehre auch 348

Drängende Probleme und gescheiterte Lösungsversuche

dem ehemaligen Sklaven selbst. Er wurde von Domitian ins Exil geschickt, kehrte jedoch mit über 90 Jahren kurz vor seinem Tod nach Rom zurück. Sein Sohn Etruscus war wohlhabend genug, um ein luxuriöses öffentliches Bad bauen zu lassen. Für diese Leute persönlich konnte eine Beziehung zum Kaiser entscheidend sein. Sie eröffnete aber auch in anderer Weise Wege: Die kaiserliche Gunst ließ sich nicht nur für den eigenen gesellschaftlichen Aufstieg nutzen, sondern auch für Hilfeleistungen für ihr Heimatland. Zwar lebten viele „Männer des Kaisers“ in Rom, aber manche vergaßen ihren Herkunftsort nicht und wurden zu Stellvertretern, durch die der Kaiser seine Großzügigkeit beweisen konnte. Publius Aelius Alkibiades, cubicularius (epi tou koi­ tonos), Kammerdiener Hadrians, stammte aus Nysa. In seiner Heimatstadt, in der er nach dem Tod des Kaisers als Freigelassener lebte, bezeugen mehrere Inschriften seinen immensen Reichtum; er setzte ihn für Wohltaten ein und erhielt im Gegenzug extravagante Ehrbezeugungen. Vergoldete Statuen von ihm wurden in den Kaisertempeln in Kleinasien und Nysa aufgestellt. Kein Freigelassener in der griechischen Welt vor der römischen Eroberung hätte sich jemals derartige Auszeichnungen erträumt.

Drängende Probleme und gescheiterte Lösungsversuche im hellenistischen Griechenland Um 320 v. Chr. porträtierte Theophrast, ein Schüler des Aristoteles, in seinen Charakteren das Verhalten der Menschen im privaten und öffentlichen Raum Athens. Einige der von ihm beschriebenen Situationen sind aufs Engste mit der Kluft zwischen Arm und Reich verbunden. Er gibt Szenen wieder, in denen athenische Männer Extravaganz und Luxus zur Schau stellen: Sie halten sich zum Beispiel einen Affen als Haustier oder besitzen Würfel aus Gazellenhorn; sie lassen sich private Palästren bauen und laden Sophisten, militärische Ausbilder und Musiker ein, dort aufzutreten; sie erwerben einen aus Äthiopien importierten Sklaven; sie hängen den Schädel eines Opferstiers, des teuersten Opfertiers, an ihre Haustür, damit jeder ihn sehen kann. Der wohlhabende Oligarch verbirgt nicht seine Verachtung gegenüber dem gemeinen Volk; in der Volksversammlung neben einem dünnen und verschwitzten Mann aus der Arbeiterklasse zu sitzen, verursacht ihm Abscheu; er protestiert gegen die Forderung eines finanziellen Beitrags zu den städtischen Ausgaben. Armut ist so peinlich, dass ein Habenichts 349

Sozioökonomische Gegebenheiten

demonstrativ seinen Sklaven zur Bank schicken würde – niemand darf wissen, dass er nicht einmal eine Drachme auf dem Konto hat. Im spätklassischen Athen wurde die ökonomische Ungleichheit als sichtbarste und relevanteste Form der Ungleichheit wahrgenommen. Die sozialen Gegebenheiten, die wir durch das Vergrößerungsglas eines Autors sehen, der in Griechenlands größtem urbanen Zentrum schrieb, gab es mit geringfügigen Unterschieden auch in den meisten anderen Teilen der griechischen Welt um die Zeit von Alexanders Eroberungen, wenn sie auch in großen Städten deutlicher zu sehen waren als in kleineren. Lokale Besonderheiten – wie Leibeigene in Thessalien, in Sparta und auf Kreta oder Sonderregelungen hinsichtlich des rechtlichen Status von Händlern und Handwerkern in einigen Städten – machen das allgemeine Bild insgesamt heterogener. Aber in der ganzen griechischen Welt im 4. Jahrhundert v. Chr. waren die Bedingungen ähnlich, nur in unterschiedlichem Maßstab: Es lag eine Kluft zwischen denen, die die Arbeitskraft einer beträchtlichen Zahl an Sklaven für Landwirtschaft, Handwerk und Haushalt ausnutzen konnten, und denen, die darum kämpften, mit ihrer eigenen Arbeit und der ihrer Familienmitglieder ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Da waren einerseits die Erben riesiger Vermögen, andererseits diejenigen, die zu harter körperlicher Arbeit verdammt waren. Der Kontrast zwischen Groß- und Kleingrundbesitzern, Geldverleihern und Schuldnern, Spendern und Empfängern von Großzügigkeit trat deutlich zutage. Dass viele Menschen bereit waren, ihr Leben als Söldner zu riskieren, dass der Besitz vieler Exilanten konfisziert wurde und dass es permanent Auseinandersetzungen wegen Schulden und Landbesitz gab, lässt darauf schließen, dass soziale und ökonomische Ungleichheit ein weitverbreitetes Phänomen war, das zu Unzufriedenheit führte. Immer wenn die Unzufriedenheit diesbezüglich überhand nahm, brachen Bürgerkriege aus, und ehrgeizige politische Anführer zwangen ihren tief ­gespaltenen Gemeinwesen autokratische Herrschaften auf. Einige Bürgerkriege in hellenistischer Zeit sind nur durch ein inschriftlich erhaltenes Versöhnungsabkommen belegt; und von einem Tyrannen erfahren wir oft nur, weil eine Quelle seine Machtergreifung oder seinen Sturz erwähnt. Dass soziale Spannungen hinter diesen gewalttätigen Ausbrüchen lagen, ist eine plausible Vermutung, aber nicht mehr. So vermag beispielsweise der einzigartige und komplexe Versöhnungsprozess in der kleinen Stadt Nakone auf Sizilien um 300 v. Chr. zwar einen Eindruck von der tiefen Spaltung der Stadt zu geben, nicht aber Hinweise auf deren Ursachen: Nach einer Schlichtung trafen sich die beiden Konfliktparteien in der 350

Drängende Probleme und gescheiterte Lösungsversuche

Volksversammlung, und jede von ihnen präsentierte eine Liste mit 30 Gegnern. Per Losverfahren wurden „Bruderschaften“ gebildet, die jeweils aus Mitgliedern der beiden Streitparteien sowie neutralen Bürgern bestanden – das wäre in etwa so, als würde man in Israel künstliche Familien aus israelischen Siedlern, Hamas-Kämpfern und Pazifisten bilden. Die Schlichter hofften, dass diese neuen, künstlichen Familienbande die Eintracht wiederherstellen würden. In anderen Fällen wurden die Konfliktparteien dazu verpflichtet, vergangene Kränkungen ruhen zu lassen und sie nicht zum Anlass für neue Untaten zu nehmen. Leider gibt es keine griechische Stadt, für die das Quellenmaterial ausreicht, um eine kontinuierliche Sozialgeschichte zu schreiben. Wir sind ­gezwungen, isolierte und bisweilen übertriebene Angaben aus verstreuten literarischen Quellen, Inschriften und Papyri zu sammeln. Und dennoch: Der Fakt, dass die immer gleichen Probleme in ganz unterschiedlichen Regionen, von Chersonesos im Schwarzmeerraum bis nach Kreta und von der Adriaküste bis nach Kleinasien, wiederholt belegt sind, legt nahe, dass es im „Alten Griechenland“ – also der Welt der griechischen poleis aus der Zeit vor Alexanders Feldzügen – wiederholt zu sozialen Spannungen kam, für die die Verschuldung großer Teile der Bevölkerung und die hohe Anzahl von Bürgern ohne Grundbesitz von ausreichender Größe ursächlich waren. Wenn sowohl wohlmeinende Staatsmänner als auch Demagogen – Agathokles auf Sizilien, Agis und Kleomenes in Sparta, Perseus und Andriskos in Makedonien, Kritolaos in Achäa und Aristonikos in Pergamon – immer wieder genau diese beiden Probleme ausnutzten und um die Unterstützung derer buhlten, die unter ihnen litten, dann zeigt dies, dass die Probleme real waren und ungelöst blieben. Nur Kleomenes, von 235 bis 222 v. Chr. König von Sparta, setzte eine Reform in Gang, die sich der beiden Probleme – Verschuldung und Konzentration von Grundbesitz in den Händen einiger Weniger – mit kohärenten Maßnahmen umfassend angenommen zu haben scheint. Er schaffte das Gremium der fünf Ephoren ab, die die Exekutivkompetenzen des Königs überwachten, und verkündete, dass „das ganze Land öffentliches Eigentum werden sollte, dass Schuldner von ihren Schulden befreit und Fremde überprüft und klassifiziert werden sollten, damit die mächtigsten von ihnen zu Bürgern Spartas gemacht würden und sie mit ihren Waffen die Stadt retteten“. Der gesamte Privatgrund wurde dem öffentlichen Besitz übereignet und in Parzellen aufgeteilt, die einem jeden Bürger zugewiesen wurden. Unter den Empfängern befanden sich auch aus dem Exil zurückgekehrte Spartaner sowie Neubürger. 351

Sozioökonomische Gegebenheiten

Die spartanische Armee, nun 4000 Mann stark, erlernte neue Taktiken, und die archaischen Traditionen der militärischen Ausbildung der Jugendlichen sowie die öffentlichen Mahlgemeinschaften wurden wiederbelebt. Kleomenes’ Reformen ließen auch in anderen Städten auf der Peloponnes, in denen das Volk einen Schuldenschnitt und die Umverteilung des Landes forderte, Hoffnung aufkeimen, doch das Bündnis zwischen dem Achäischen Bund und den Makedonen vernichtete sein Heer bei der Schlacht von Sellasia 222 v. Chr.: Es war zugleich das Ende seiner Reformen. Die Probleme aber blieben. Es gab durchaus oft Maßnahmen zur Linderung der drängendsten Probleme der Verschuldeten und Armen, doch sie konnten keine wirklichen Lösungen bieten. Die von Polybios beschriebene Situation in Böotien im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. vermittelt uns einen Eindruck von den demagogischen Praktiken, auf die in antiken Quellen angespielt wird: Einige der Generale gewährten den Bedürftigen sogar Zuschüsse aus der Staatskasse. Die breite Masse lernte so, auf diejenigen zu hören und diejenigen in hohe Ämter zu setzen, die es ihnen ermöglichen würden, einer Strafe für ihre Verbrechen und ihre unbezahlten Schulden zu entgehen, sowie als Gunsterweis der Magistrate gelegentliche Zuwendungen aus der Staatskasse zu erwarten.

Polybios’ Bericht ist nicht frei von den Vorurteilen, die man von einem konservativen Geist erwartet. Aber viele Inschriften erwähnen unbezahlte Schulden und fremde Richter, die in Städte reisten, um sich mit den chronischen Problemen von Rechtsstreitigkeiten über Schulden zu beschäftigen. Auch klagen in vielen Städten die Verfasser von Dekreten über den bedauerlichen Zustand der öffentlichen Finanzen und die schwere Last der Staatsverschuldung. Weitaus weniger häufig begegnet uns der Fall, dass ein Gläubiger willens war, seine Schuldner von Zinsen und Schulden zu befreien. Nachsichtige Gerichte und Magistrate gewährten gelegentlich ein wenig Nachlass, brachten jedoch keinen strukturellen Wandel. Mit der Ausnahme des spartanischen Experiments war eine übliche Antwort auf die von Verschuldung und Mangel an Grundbesitz verursachten Spannungen: Krieg – mit dem Ziel, das Nachbarterritorium zu erobern. Zu solchen Grenzkriegen kam es auf der Peloponnes, in Kleinasien und auf Kreta sehr häufig. Oft führten Bürgerkriege und Wirtschaftskrisen dazu, dass Habenichtse in Gebiete in Asien und Ägypten auswanderten, manchmal nur vorübergehend – um als Söldner zu dienen –, oft jedoch für immer, solange es Land gab, das sie aufnehmen konnte. 352

Ubi bene, ibi patria: hellenistische Migrationsbewegungen

Ubi bene, ibi patria: hellenistische Migrationsbewegungen Im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. stellte Theokrit in einem Gedicht die Leiden des Aischinas dar, eines liebeskranken jungen Mannes, der von seinem Liebhaber Kyniska wegen eines anderen Mannes verlassen wurde und nun als Heilmittel gegen seine Leiden den Söldnerdienst in Betracht zieht: Simos, der sich in dieses hartherzige Mädchen verliebte, ging ins Ausland und kam geheilt zurück – ein Mann meines Alters. Auch ich werde das Meer überqueren. Als Soldat bin ich nicht der schlechteste, vielleicht auch nicht der erste, aber so gut wie jeder andere.

Eine Enttäuschung in Liebesdingen oder die Angst vor der Rache eines gehörnten Ehemanns haben schon viele Männer dazu gebracht, von zu Hause wegzulaufen und sich dem Militär zuzuwenden. Doch zur Zeit Alexanders und seiner Nachfolger waren die Hauptgründe dafür, dass es Söldner gab, Bodenknappheit, Verschuldung und Exil nach einem Bürgerkrieg, nicht gebrochene Herzen. Die Feldzüge Alexanders des Großen und die Kolonisierung der eroberten Gebiete linderten vorübergehend die individuelle Last der Verschuldung und damit auch das generelle Problem der Bodenknappheit. Die Siedler der neu gegründeten poleis waren Soldaten aus den Armeen Alexanders und seiner Nachfolger, die aus Makedonien, vom griechischen Festland, von den ägäischen Inseln und aus den alten griechischen Kolonien Kleinasiens stammten; ihre Anzahl lässt sich nicht ermitteln. Diese Migration setzte sich in den folgenden Jahrzehnten fort, und nach und nach kamen zu den griechischen Siedlern auch Söldner nicht-griechischen Ursprungs – Thraker, indigene Einwohner Anatoliens, Iraner, Gallier und Juden – hinzu und übernahmen die griechische Sprache und Kultur. Die Könige brachten Siedler nach Ägypten, in die Binnengebiete Kleinasiens, nach Syrien und Mesopotamien, und an strategisch wichtigen Stellen stationierten sie auch Garnisonseinheiten. Noch 192 v. Chr. brachte Antiochos III. Griechen aus Euböa, Kreta und Ätolien nach Antiochia; er war es auch, der 2000 jüdische Familien aus Mesopotamien und Babylonien in Festungen seines Reiches ansiedelte, besonders in Kleinasien, wo ihnen Land gegeben wurde; und Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. gründete Attalos II. Eukarpeia (die fruchtreiche Stadt) in Phrygien, siedelte Soldaten an und stellte ihnen Grundstücke zur Verfügung. Die Verheerungen nach der römischen Expansion in Makedonien gaben der Migration nach Kleinasien vermutlich neuen Anstoß. 353

Sozioökonomische Gegebenheiten

Militärdienst mit Ländereien zu belohnen, wurde ein typisches Verfahren im Heerwesen der wichtigsten hellenistischen Königreiche. Natürlich gab es aufgrund der unterschiedlichen Strukturen ihrer Gebiete lokale Variationen. Im ptolemäischen Ägypten erhielten erfahrene Soldaten und Offiziere eine Parzelle (kleros) zur Nutzung nach Bedarf im Gegenzug für ihren Militärdienst. Waffen und Rüstung waren Eigentum der Soldaten, und sie konnten per Testament vererbt werden. Ihre Familien bewahrten die ursprüngliche Bezeichnung der ethnischen Herkunft oder Staatsbürgerschaft desjenigen Vorfahren, der als erster rekrutiert worden war (Kreter, Korinther, Kyrenäer etc.) – diese Bezeichnungen finden sich sogar noch Generationen nach der Ansiedlung dieses ersten Mannes einer Familie in Ägypten. Im Königreich der Seleukiden wurden die Söldner in der Regel in Kolonien urbanen Charakters angesiedelt, von denen einige später den Status einer unabhängigen polis erlangten. In den seleukidischen Militärkolonien konnte das Stück Land vom Kolonisten an enge Verwandte weitervererbt werden und fiel nur dann an den König zurück, wenn sich kein Erbe finden ließ, der auch als Soldat dienen konnte. Ein entsprechendes System gab es im Makedonien der Antigoniden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass schon Alexander der Große oder sein Vater Philipp II. eine frühe Form dieser Landschenkungen an Soldaten unter Vorbehalt entworfen haben. Beide waren Städtegründer und mussten sich mit den Problemen von Militärkolonien auseinandersetzen. Alexander hat bekanntermaßen „den Makedonen“ die Stadt Kalindoia auf der Chalkidike, ihr Umland und ihre Dörfer übergeben; und schon für seine ersten Nachfolger, Kassander und Lysimachos, sind individuelle Landschenkungen an Soldaten und Offiziere belegt. Die Aussicht auf den Erwerb von Grundbesitz motivierte Tausende von jungen Männern, eine Anstellung als Söldner zu suchen. Oft wurden Söldner nicht individuell angeheuert, sondern traten auf der Grundlage eines Abkommens zwischen ihrer Stadt und einem potenziellen Arbeitgeber einer fremden Armee bei oder als Gruppen unter der Führung von condot­ tieri, erfahrenen Offizieren und Feldherren. „Soldatenvermittler“ (xenolo­ goi) wurden von Königen und Städten gut bezahlt, damit sie in Gebiete reisten, in denen sie potenzielle Söldner zu finden glaubten. Pyrgopolynikes (der, der mehrere Male einen Turm erobert hat) beispielsweise, der Protagonist von Plautus’ Komödie Miles gloriosus, betrieb sein Rekrutierungsbüro in Ephesos. Ein gut dokumentierter Fall einer Massenmigration ist die der Söldner aus Kreta im späten 3. Jahrhundert v. Chr. Milet annektierte in den Jahren 354

Ubi bene, ibi patria: hellenistische Migrationsbewegungen

234/233 und 229/228 v. Chr. Gebiete im Mäandertal und verlieh nun mehr als 1000 kretischen Söldnern das Bürgerrecht und siedelte sie mitsamt ihren Familien in den neuen Gebieten an – insgesamt schätzungsweise mehr als 3000 Personen. Als die Konzentration von Grundbesitz in den Händen einiger weniger Großgrundbesitzer und die steigenden Bevölkerungszahlen Kreta eine sozioökonomische Krise bescherten, sahen Bürger ohne Land­ besitz das Kriegswesen als profitables Metier und beteiligten sich selbst an Raubzügen oder dienten als Söldner. Die Tatsache, dass sich viele dieser Söldner im Ausland, nicht nur in Milet, sondern auch in Kretopolis (die kretische Stadt) in Pisidien und in Ägypten ansiedelten, legt nahe, dass es ihr Verlangen nach Grundbesitz war, das sie ihre Insel verlassen ließ. Neben militärischen Traditionen brachten Armut oder Gewinnerwartungen auch die Einwohner anderer gebirgiger Gegenden dazu, in Söldnerdienste zu treten: zum Beispiel die kriegerischen Lykier, Pamphylier und Pisider. Je nachdem, welche Konditionen sie mit ihrem Auftraggeber vereinbart hatten, erhielten die Soldaten ein verhältnismäßig gutes Gehalt – zumindest im 3. Jahrhundert v. Chr. lag es über dem Durchschnittsgehalt anderer Berufe. Darüber hinaus erwartete ein Söldner Essensrationen und, nach einer siegreichen Schlacht, Beute und Geschenke. Die Söldner wollten im Wesentlichen das, was ihnen in ihrer Heimat fehlte: Land. Auch während des 3. Jahrhunderts und regionenweise im 2. Jahrhundert v. Chr. war der Boden knapp, in unterschiedlichem Ausmaß; Bodenknappheit war die Hauptur­ sache für die Unzufriedenheit der Bewohner Griechenlands. Für nur temporär beschäftigte Söldner waren der Tod in der Schlacht, Gefangenschaft, Invalidität oder Arbeitslosigkeit wahrscheinlicher, als dass sie tatsächlich zu Grundbesitz kamen. Bekanntermaßen kamen im Heraheiligtum auf Samos arbeitslose Söldner (apergoi) zusammen und betätigten sich illegal als Händler – aller Wahrscheinlichkeit nach verkauften sie Beute, die sie im Dienst gemacht hatten. Auf dem griechischen Festland wurde im Vergleich mit Kleinasien und den ptolemäischen und seleukidischen Königreichen selten Land zugeteilt. Wenn aber Kriege und Migration ganze Landstriche entvölkerten, die reich an kultivierbarem Land waren, so wie Thessalien, war es möglich, Land an neue Siedler zu verteilen. Philipp V. wies beispielsweise 214 v. Chr. Larisa in Thessalien an, die in der Stadt lebenden Thessaler und anderen Griechen, vermutlich Soldaten, einzubürgern und ihnen Land zu geben, das in vergangenen Jahren unbestellt geblieben war. In den griechischen Städten war der Erwerb von Land durch Fremde nur als Privileg – enktesis genannt – 355

Sozioökonomische Gegebenheiten

möglich; das Land wurde auf der Grundlage eines zwischenstaatlichen ­Abkommens zur wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit – isopo­ liteia – an Einzelpersonen als Belohnung für ihre Dienste oder an ganze Gemeinwesen verliehen. Wollte sich ein Bürger einer Stadt, die mit einer anderen einen isopoliteia-Vertrag abgeschlossen hatte, in dieser Partnerstadt niederlassen, dann hatte er dort die gleichen Bürgerrechte. Die Massenauswanderung in neue Gebiete brachte den Spannungen in griechischen Städten im späten 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. vorübergehend Linderung und half, die Gegenden, in denen die griechischen Truppen angesiedelt wurden, zu urbanisieren und in größere Wirtschaftsnetzwerke zu integrieren. Doch die anhaltenden Kriege bescherten ständig neue Probleme. Söldnerdienst und Raubzüge mögen die wirtschaftlichen Bedürfnisse derjenigen befriedigt haben, die sie ausübten, sie lösten jedoch nicht die vielen gesellschaftlichen Probleme in griechischen Städten. Der Gewinn eines Söldners oder Plünderers war zugleich der Verlust einer anderen Familie. Darüber hinaus ging der Bedarf nach Söldnern im Lauf des 2. und frühen 1. Jahrhunderts v. Chr. nach und nach zurück, da die Anzahl potenzieller Auftraggeber – hellenistische Könige – weniger wurde. Die hellenistischen Kriege schufen Probleme, sie lösten sie nicht. Erst die Befriedung des östlichen Mittelmeerraums brachte eine wesentliche Veränderung.

Berufliche Spezialisierung und Mobilität Neben der Massenmigration von Soldaten in die Neugründungen der Könige lässt sich ein weiteres Phänomen beobachten. Die politischen und wirtschaftlichen Netzwerke, die sich nach den Eroberungen Alexanders allmählich herausbildeten, vergrößerte den Bewegungsspielraum von Einzelpersonen, Familien und Gruppen jeglicher Art spezialisierter Berufe. Einige dieser Spezialisten führten ein Leben auf Wanderschaft, weil es ihre Profession erforderte. Indem sie von Stadt zu Stadt, von Hof zu Hof, von Fest zu Fest oder von Markt zu Markt zogen, hatten sie größere Chancen, in den Bereichen eine Anstellung zu finden, in denen die Nachfrage zeitlich begrenzt war. So fanden beispielsweise Theateraufführungen und Konzerte nicht täglich, sondern nur während größerer Feste und, unregelmäßig, während außergewöhnlicher Feierlichkeiten statt. Wenn ein Schauspieler, Dichter oder Musiker in einer einzigen Stadt blieb, war er nur an wenigen Tagen im Jahr beschäftigt; nur ein permanentes Herumreisen jeweils zu der Stadt, die 356

Berufliche Spezialisierung und Mobilität

­ erade ein Fest ausrichtete, stellte eine Anstellung über weite Teile des Jahg res sicher. Ein weiterer Faktor, der in puncto Reisetätigkeit von Spezialisten eine Rolle spielte, war die Tatsache, dass man eine exzellente Ausbildung in gewissen Disziplinen, wie Medizin oder Bildhauerei, nicht überall bekommen konnte. Sie wurde nur in großen Städten angeboten, und sehr oft entwickelte eine Stadt eine lokale „Schule“: zum Beispiel das hellenistische Kos für Medizin, Athen für Rhetorik und Philosophie, Rhodos – und in der Kaiserzeit Aphrodisias – für Bildhauerei und Sikyon für Malerei. Infolgedessen waren Spezialisten aus diesen Städten weit über ihren Herkunftsort hinaus gefragt. Berühmte Spezialisten, besonders in großen Städten, konnten es sich leisten, gewissermaßen zu Hause zu bleiben und darauf zu warten, dass ­Kunden bei ihnen anklopften oder sie dazu einluden, ihre Künste für ein beträchtliches Gehalt in einer fremden Stadt darzubieten. Ein solcher Spezialist war beispielsweise ein gewisser Antipatros aus Eleutherna auf Kreta, der die hydraulis spielte – eine frühe Form der Pfeifenorgel, die im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alexandria erfunden wurde und mit Wasserdruck funktionierte. 94 v. Chr. sandte Delphi eine Gesandtschaft zu ihm und lud ihn zusammen mit seinem Bruder, der ihm bei der Bedienung dieses komplexen Musikinstruments assistierte, dazu ein, Konzerte zu geben – gegen einen großzügigen Lohn. Doch war es spezialisierten Künstlern und Handwerkern nur in großen Städten möglich, dauerhaft Beschäftigung zu finden. Daher verbrachten Hunderte von Unterhaltungskünstlern – Musiker, Tänzer, Schauspieler und Sänger –, aber auch zahlreiche Künstler, Ärzte und Intellektuelle – Philosophen, Rhetoren und Historiker – einen Großteil ihres Lebens auf Reisen. Im hellenistischen Zeitalter waren unter solchen reisenden Spezialisten auch Frauen (s. S. 386). Nur einige wenige erfolgreiche Ärzte oder Intellektuelle konnten es sich leisten, ihre Dienste kostenlos anzubieten. Der Grund, weshalb wir von ihnen wissen, ist ihr außergewöhnlicher Erfolg; Hunderte ihrer Kollegen, die sich gerade so über Wasser halten konnten, fielen dem Vergessen anheim. Über die berufliche Spezialisierung in den darstellenden und bildenden Künsten sind wir nur deshalb besser informiert, weil ihre Vertreter „sichtbar“ waren. Die Spezialisierung ist ein wichtiges Merkmal städtischer Wirtschaft und Gesellschaft, und es gab sie auch bei vielen ökonomischen Tätigkeiten, von Landwirtschaft und Handel bis hin zu Töpferei und Parfümproduktion, Textilmanufaktur und Metallverarbeitung. Eine Neuerung der späthellenistischen Zeit ist, dass sich die Berufsvertreter in 357

Sozioökonomische Gegebenheiten

f­reiwilligen Vereinigungen organisierten. Besonders für ansässige Fremde in großen Handelszentren wie Athen, Rhodos und Delos brachte diese Form der Organisation neben praktischen Vorteilen ein gewisses Solidaritäts- und Identitätsgefühl (s. S. 370–373). Dass in Produktionsprozessen eine Spezialisierung stattgefunden hat, lässt sich anhand der materiellen Hinterlassenschaften aufzeigen. Dass die Herkunft von Produkten wie Weinkrügen, Lampen oder Feinkeramik rein aufgrund ihrer Form und Verzierung bestimmt werden konnte, war zwar nichts Neues, aber es war nun die Regel, nicht mehr nur die Ausnahme wie bisher, und es betraf nun die gesamte griechische Welt, da lokale Produkte in viel größerem Umfang zu entfernten Absatzmärkten exportiert wurden. Der Export lokaler Weine aus Thasos, Rhodos, Knidos, Kos und den Schwarzmeerstädten Sinope, Chersonesos und Herakleia ist hier wohl das bekannteste Beispiel: Die Herkunft konnte anhand eines Stempels mit dem Produktionsort und -jahr sowie anhand der Form des Gefäßes bestimmt werden – wie man heute anhand der Flaschenform einen roten Beaujolais von einem weißen Pinot Grigio unterscheiden kann. Vor dem Hintergrund der erhöhten Mobilität und der Ausbreitung urbaner Zentren bot berufliche Spezialisierung eine Alternative zur Landwirtschaft und machte es für Enteignete leichter, eine Anstellung zu finden. Zwar war Grundbesitz in der gesamten Antike die prestigeträchtigste Form von Reichtum, aber jetzt konnten auch Menschen, die durch Handwerk, Handel und Bankgeschäfte zu Reichtum gekommen waren, in den meisten Städten hohes gesellschaftliches Ansehen und politischen Einfluss erlangen, besonders wenn sie willens waren, einen Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke auszugeben. Die Spezialisierung und Mobilität, die sich in der hellenistischen Zeit zu entwickeln begonnen hatten, fanden ihren Höhepunkt in der befriedeten oikoumene der Kaiserzeit.

Pax Romana: alte Spannungen in einem neuen Kontext Fast 200 Jahre nach der Errichtung des Prinzipats war die griechische Welt größtenteils befriedet, soziale Probleme sorgten jedoch weiterhin für zivile Unruhen. (s. S. 330–332) Für die Zeit Hadrians offenbaren Inschriften, die Wohltäter wegen ihrer Zuwendungen für das Volk preisen, die dringenden Bedürfnisse gewisser Bevölkerungsteile sowie der Städte, die nicht selbst in der Lage waren, öffentliche Projekte zu finanzieren. So stellte Opramoas 358

Pax Romana: alte Spannungen in einem neuen Kontext

von Rhodiapolis in Lykien, der sich über die letzten Jahre der Regierungszeit Hadrians und die Herrschaft von dessen Nachfolger durch großes wohltätiges Engagement hervortat, nicht nur Mittel für Tempel, Gymnasien, Bäder, Märkte und Feste in mehreren Städten zur Verfügung, sondern schenkte auch den Bedürfnissen der Armen Gehör: Er stellte billiges Getreide, finanzierte all denjenigen, deren Familien sich solches nicht leisten konnten, ein würdiges Begräbnis und Mädchen mit begrenzten Mitteln die Mitgift, übernahm die Kosten für Erziehung und Ernährung der Bürger­ kinder und spendete den Armen Essen. Gesellschaftliche Probleme und Spannungen veränderten sich in ihrem Ursprung und in ihrer Art in den ersten Jahrhunderten des Prinzipats nicht grundlegend: Die Kluft zwischen Arm und Reich trat so deutlich zutage wie eh und je. Menschen mit begrenzten Mitteln, größtenteils die städtische Bevölkerung, waren von Spenden abhängig, um an billiges Getreide zu kommen. Einige der Enteigneten sahen keinen anderen Ausweg, als ihre neugeborenen Kinder auszusetzen – diese Findelkinder (threptoi) wurden in der Regel als Sklaven aufgezogen – oder sich selbst als Sklaven zu verkaufen oder Straftaten zu begehen. Organisierte Straßenräuberei blieb weiterhin ein Problem, besonders in Kleinasien, nicht nur weil in gebirgigen Gegenden alte Gewohnheiten dahingehend schwer totzukriegen waren, sondern auch weil die Menschen schlicht verzweifelt waren. Im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. versetzte Tillorobos die Gegend um den Berg Ida im Nordwesten Kleinasiens in Angst und Schrecken, brandschatzte die ländlichen Regionen und griff sogar städtische Siedlungen an: Arrian schrieb nicht nur eine Geschichte Alexanders des Großen, sondern auch eine des Tillorobos. Wenn die Hauptprobleme auch nicht verschwanden, so änderte sich doch die Reaktion, denn eine der traditionellen Lösungen für gesellschaftlichen Druck – benachbartes Territorium erobern und Land und Beute unter den Bürgern verteilen – war nicht länger möglich. Zu Gebietsstreitigkeiten zwischen Städten kam es auch noch bis weit in die Kaiserzeit hinein, doch waren Eroberungskriege nicht mehr eine vorübergehende Lösung für den dringenden Bedarf an Land. Nach Pompeius verschwanden Piraterie und Raubüberfälle an den Küsten größtenteils aus dem Mittelmeerraum – und damit eine wichtige Einnahmequelle für die Bevölkerungen Kretas und Kilikiens. Anders als die berühmte Szene in Ben Hur, in der römische Schiffe zu Augustus’ Zeit von makedonischen Piraten angegriffen werden, glauben machen mag, spielten Piraten in der Kaiserzeit nur noch in Romanen eine 359

Sozioökonomische Gegebenheiten

größere Rolle, deren Handlung sich in früheren Zeiten zutrug, als Piraten im östlichen Mittelmeer noch so häufig vorkamen wie Delphine. Eine der traditionellen Antworten auf sozialen Druck aber gab es auch im Römischen Reich: Militärdienst. Söldnerdienst im großen Maßstab in den königlichen Heeren wurde durch Militärdienst in kleinerem Ausmaß in der römischen Armee ersetzt; nur die Dienstbedingungen hatten sich geändert. Männer aus den östlichen Provinzen, die nicht das römische Bürgerrecht besaßen (peregrini), konnten sich für einen Zeitraum von 25 Jahren frei­ willig zum Dienst in den Auxiliartruppen melden. Zur Zeit Hadrians gab es 26 Einheiten von Bogenschützen, die Hälfte von ihnen stammte aus Syrien, der Rest aus Thrakien, Kleinasien und Kreta. Männer mit römischem ­Bürgerrecht – ihre Anzahl stieg im Lauf der ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. – konnten in den regulären Legionen dienen. In der Folge bot Militärdienst auch weiterhin all denen ohne Grund und Boden bzw. eine andere gewinnversprechende Perspektive eine Beschäftigung. Die Integration des Ostens ins Römische Reich eröffnete auch neue Möglichkeiten. Bereits seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. hatten sich neue Netzwerke des Austauschs gebildet. Delos beheimatete schon bald, nachdem es 167 v. Chr. zum Freihafen geworden war, eine beträchtliche Anzahl von Immigranten aus Italien, zumeist Händler und Bankiers. In anderen Gegenden, in Makedonien, auf dem griechischen Festland und in Kleinasien, wurde die Präsenz italischer und römischer Unternehmer (negotiatores) und, in einem weitaus geringeren Umfang, Landbesitzer (enkektemenoi) erst ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. spürbar. Römische Kolonien waren das Ergebnis eines einmaligen Gründungsakts, nicht eines allmählichen Wachstums- und Entwicklungsprozesses. Folglich unterschied sich die soziale Schichtung ihrer Bevölkerung von der der alten griechischen Städte; in erster Linie lebten hier ehemalige Soldaten, Freigelassene, Handwerker, Händler und städtische Plebejer – ihnen wurde hier Land gegeben. Die Einstellung gegenüber anderen Einnahmequellen als Grundbesitz änderte sich. So findet sich zum Beispiel für das Selbstbewusstsein, mit dem sich römische und italische Kaufleute mit Monumenten und Weihungen im späten 2. und frühen 1. Jahrhundert v. Chr. im „internationalen“ Hafen von Delos präsentierten, in den meisten griechischen Städten keine Parallele. Die römischen Kolonisten konnten Netzwerke wirtschaftlicher Kooperation knüpfen und fördern, die über die Grenzen von Städten und Regionen hinausgingen. Verschiedene Zweige ein und derselben römischen Familie konnten in unterschiedlichen Städten leben, sich gegenseitig in wirtschaftlichen 360

Pax Romana: alte Spannungen in einem neuen Kontext

Aktivitäten unterstützen und an ihrem sozialen Aufstieg arbeiten. Aus diesen Gründen wirkten italische Neuankömmlinge stark auf die Wirtschaft ein. Im späten 1. Jahrhundert v. Chr. und im 1. Jahrhundert n. Chr. hauchten die römischen Kolonien Landstrichen, die während der Kriege in Mitleidenschaft gezogen worden waren, neues Leben ein. Korinth und Patrai, am östlichen bzw. westlichen Ende des Golfs von Korinth gelegen, begünstigten beispielsweise den Handel mit Italien und trugen so zum wirtschaftlichen Wachstum bei. Die Keramikindustrie von Korinth versorgte Griechenland, Kleinasien, Nordafrika und Italien mit Tonlampen. Als in Kleinasien neue römische Provinzen entstanden und, damit einhergehend, große Gebiete unter eine einheitliche Verwaltungsform kamen, gaben der Bau und die Instandhaltung großer Straßen wie auch die neue Bewegungsfreiheit für Händler und Unternehmer über die Grenzen von Städten und Provinzen hinweg einen beispiellosen Anstoß für den Handel mit verarbeiteten Gütern, zum Beispiel Textilien, und Rohstoffen, insbesondere Marmor. In Kleinasien und Makedonien, in geringerem Ausmaß auch in anderen Gegenden, gab es große Landgüter, die ihre landwirtschaftliche Produktion darauf ausrichteten, nicht nur den Markt vor Ort abzudecken, sondern auch weiterverarbeitete Güter wie Olivenöl und Wein zu exportieren. Einige dieser Landgüter waren nun im Besitz römischer Senatoren oder in den Ritterstand aufgenommener Griechen. Wohlhabende Männer – und einige Frauen – besaßen manchmal auch Land innerhalb des Territoriums von Städten, die nicht zugleich ihre Heimatstadt waren. Große Landgüter ließen die Besitzer von Sklaven und Freigelassenen als Haushofmeister (oikonomoi) verwalten. Kreta ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Eroberung und Befriedung auf die Wirtschaft auswirkten (s. S. 287f.). Die Kreter hatten ihren Lebensunterhalt mit Überfällen und Söldnerdiensten bestritten, aber kaum hatten sie sich von dem Schock ihrer Eroberung 67 v. Chr. erholt, begannen sie, die Vorteile zu nutzen, die ihnen die Integration ihrer fruchtbaren Insel in die Handelsnetzwerke des Reiches bot. Zusätzlich zum massenhaften Export von Wein ist auch der Handel mit Olivenöl und Heilpflanzen belegt; große Fischtanks aus der Kaiserzeit offenbaren eine neue Art der Nahrungsmittelproduktion; und Kreta tat sich in der Herstellung von Lampen hervor, die es nach Kleinasien und Nordafrika exportierte. Der Anstoß zur Produktion von Tonlampen mithilfe von Matrizen kam von italischen Einwanderern aus Kampanien. Im 2. Jahrhundert n. Chr. berichtete der berühmte Arzt Galen von einer anderen profitablen Exportware, die für die Zeit vor der römischen Eroberung nicht bezeugt ist: 361

Sozioökonomische Gegebenheiten

Jedes Jahr im Sommer kommen viele Heilpflanzen aus Kreta nach Rom. Der Kaiser unterhält auf der Insel Kräutersammler, die nicht nur ihn, sondern die ganze Stadt mit Körben voller Heilpflanzen beliefern. Kreta exportiert diese Kräuter auch in andere Regionen, da diese Insel nicht zu wenig Kräuter, Früchte, Getreide, Wurzeln und Säfte hat. Alle anderen Produkte sind rein, aber einige Säfte sind gepanscht, auch wenn das nicht oft vorkommt. Die Pflanzenvielfalt auf Kreta ist so groß, dass die Kräutersammler ihre Kunden nicht wirklich betrügen müssen.

Die Provinzialisierung der griechischen Welt durch die Römer war ein langsamer Prozess. Die römischen Autoritäten reagierten individuell auf Herausforderungen; sie folgten keinem Plan. Das bedeutet nicht, dass sie sich einiger der langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen nicht bewusst gewesen wären. Im griechischen Osten, besonders in den griechischen oder hochgradig hellenisierten Provinzen mit ihren starken urbanen Traditionen und ihrem hohen kulturellen Niveau, versuchten sie nicht, zu „romanisieren“. Sie entwurzelten die lokalen Traditionen nicht. Sie zwangen den Leuten nicht ihre spezifisch römische Kultur, Bräuche, Rechtsinstitutionen oder Werte auf. Doch entfaltete die Schaffung einer befriedeten Großregion unter einer einheitlichen Verwaltung und mit relativ klaren und stabilen Grenzen eine enorme Integrationskraft. Als Hadrian die östlichen Provinzen zum zweiten Mal bereiste, kopierten Frauen die Frisur seiner Gattin und Männer den Schnitt seines Bartes; Menschen mit dem kaiserlichen Namen Publius Aelius, die ihr römisches Bürgerrecht Hadrian verdankten, fanden sich in jedem Winkel des Reiches; lateinische Wörter wurden von den Griechen übernommen; Säulen aus den Steinbrüchen des Mons Claudianus in Ägypten wurden nach Rom verschifft, um dort im Pantheon verbaut zu werden; Schiffe aus Berenike und Ptolemais in Ägypten steuerten regelmäßig die Häfen Arabiens und Indiens an; Körbe voller Heilpflanzen aus Kreta kamen nach Rom und in andere Städte; Karawanen aus Mesopotamien und Arabien waren durch Palmyra in Syrien und Petra in Jordanien mit dem Reich verbunden, und die Handelsrouten wurden von römischen Garnisonen wie Dura-Europos beschützt. 155 n. Chr. trug Aelius Aristides in der Reichshauptstadt eine Lobrede auf Rom vor und zeichnete darin ein Bild von Wohlstand und Überfluss. Auch wenn man die Übertreibungen des professionellen Lobredners abzieht, spiegelt seine Rede doch die Möglichkeiten wider, die der über ein Jahrhundert lang ununterbrochene Frieden den meisten griechischen Regionen hinsichtlich eines intensiven wirtschaftlichen Austauschs geboten hatte: 362

Pax Romana: alte Spannungen in einem neuen Kontext

Das [Mittel]Meer erstreckt sich wie eine Art Gürtel in der Mitte der bewohnten Welt und eures Reiches. Die großen Kontinente um es herum neigen sich ihm weit und breit zu und bringen euch stets etwas im Überfluss. Was die Jahreszeiten wachsen lassen und jedes Land hervorbringt, und die Flüsse, die Seen und die Künste der Griechen und Barbaren, wird aus jedem Land und Meer zu euch gebracht. Wenn jemand all dies betrachten wollte, müsste er entweder die ganze oikoumene bereisen, um es zu sehen, oder einfach in diese Stadt kommen. Denn es kann gar nicht sein, dass es hier jemals einen Mangel gibt an irgendetwas, das irgendwo auf der Welt wächst oder produziert wird … Wenn du Ladungen aus Indien oder Arabia Felix willst, kannst du so viele von ihnen sehen, dass du glauben wirst, dass die Bäume für die Menschen dort in Zukunft nackt sind und dass sie, wenn sie etwas brauchen, hierher kommen und um ihre eigenen Produkte bitten müssen.

Aristides war ein gebildeter Grundbesitzer aus Kleinasien, und seine Familie hatte unter Hadrian das römische Bürgerrecht erhalten und von der römischen Herrschaft profitiert. Die Juden aber, deren letzte Revolte 20 Jahre zuvor niedergeschlagen worden war, teilten seine Perspektive sicherlich nicht. Sie muss auch all denen unverständlich gewesen sein, die Schwierigkeiten hatten, den Tributzahlungen nachzukommen, auf denen Roms Herrlichkeit – wie 600 Jahre zuvor die des perikleischen Athens – basierte.

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14 Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen: Wohltäter, Vereinsgenossen, Epheben, Athleten, Frauen und Sklaven

Entwicklungen und Innovationen Eine Inschrift in Metropolis in Kleinasien, gemeißelt im 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr., zählt die Namen all derjenigen auf, die Spenden für ein Gymnasium getätigt hatten, einen Ort des sportlichen Trainings und des Müßiggangs. Über ihren Namen steht Folgendes geschrieben: Zum guten Glück und zur Rettung der Kaiser und ihres gesamten Hauses, als Alexandros, Sohn des Alexandros, Enkel des Rheximachos, Priester war, am zweiten Tag des Monats Dystros. Gemäß dem Dekret der älteren Bürger und als Alexandra Myrton, Tochter des Asklepiades, Aufseherin des Gymnasiums war, haben die Folgenden für die Kaiser und für die älteren Bürger gespendet: …

Das Gymnasium wurde der kaiserlichen Familie geweiht und unter ihren Schutz gestellt. Es würde von Bürgern, die über 60 Jahre alt waren (presby­ teroi), genutzt werden. Die meisten Spender gelobten, ein triclinium zu stiften, ein Ensemble aus drei Liegen, wie es bei einem Bankett verwendet wurde. Die alten Herren von Metropolis gingen nicht nur in ihr Gymnasium, um ihre Körper zu trainieren, sondern auch – bzw. sogar wahrscheinlicher –, um auf diesen Liegen ausgestreckt einige Zeit mit Trinken und Konversation zu verbringen. Nur einer der Spender war „einer der presbyte­ roi selbst“; die vielen Männer, die einen Beitrag leisteten, müssen dies älteren Familienmitgliedern zuliebe oder mit Blick auf ihr eigenes Senioren­ dasein getan haben. An all dem ist nichts ungewöhnlich; im Gegenteil, dieser Text ist charakteristisch für drei wichtige Trends der hellenistischen und der Kaiserzeit: Wohltätigkeit, Geselligkeit in freiwilligen Vereinigungen und die gesell365

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

schaftliche und kulturelle Bedeutung des Gymnasiums. Doch weist er auch zwei markante Merkmale auf, die vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. unvorstellbar gewesen wären. Erstens tritt eine Frau als Amtsträgerin in einer bedeutenden städtischen Funktion in Erscheinung, der des gymnasiarchos, des Aufsehers einer exklusiv männlichen Institution. Sie hatte dieses Amt nur aufgrund ihres Reichtums inne; sie erscheint sogar unter den Spendern, die beträchtliche Summen versprachen (630 denarii). Zweitens finden sich auf der Spenderliste drei Personen, denen der Zutritt zum Gymnasium mit Sicherheit verwehrt war: zwei Frauen und ein Sklave der Stadt. Sie tätigten eine Spende, weil sie die entsprechenden Mittel zur Verfügung hatten und frei über diese verfügen konnten, und weil sie im Gegenzug öffentliche Anerkennung erwarteten. Diese scheinbar gewöhnliche Inschrift aus Metropolis ist nicht das Ergebnis einer Revolution, sondern von allmählichen Veränderungen, die sich auch in Gesellschaft und Kultur auswirkten. Wir wollen nun einen kurzen Blick auf Entwicklungen werfen, die Eines gemeinsam haben: Sie nahmen alle in hellenistischer Zeit ihren Anfang, ungefähr im 3. Jahrhundert v. Chr., und setzten sich ohne dramatische Veränderungen in der Kaiserzeit fort. Sie spiegeln damit die Einheit – nicht die Gleichförmigkeit oder die Homogenität – des „langen hellenistischen Zeitalters“ wider.

„Euergetismus“: Wohltätigkeit, soziales Prestige und politische Macht Die griechischen Städte verfügten nicht über ein hochentwickeltes System für Einkommens- und Vermögenssteuern. Selbstverständlich gab es eine bunte Vielfalt von Steuern und Einnahmen: Einkünfte von der Verpachtung öffentlichen Landes, öffentlicher Weideflächen, Minen und Steinbrüche; Zölle und Verkaufssteuern, Bußgelder, Kriegsbeute, Einnahmen aus dem Verkauf von Priesterämtern und so weiter. Weil städtische Mittel knapp waren, mussten wichtige laufende Kosten, wie die Finanzierung von Festen und die Instandhaltung der Flotte, von wohlhabenden Bürgern übernommen werden – es handelte sich um ein System von Liturgien: Verantwortlichkeiten wurden auf Grundlage des jeweiligen Vermögens delegiert. Es blieb jedoch das gewichtige Problem irregulärer Kosten, beispielsweise für Bauprojekte, Verteidigungsmaßnahmen oder ­ den Ankauf eines Vorrats an billigem Getreide. In solchen Fällen hatten 366

„Euergetismus“: Wohltätigkeit, soziales Prestige und politische Macht

die Bürger außerordentliche Zahlungen (eisphorai) oder freiwillige Beiträge durch öffentliche Subskriptionen (epidoseis) zu leisten. Doch selbst das war nicht genug. Wegen der häufigen Kriege blieben die erwarteten Einnahmen bisweilen aus, gerade wenn der Bedarf noch dringender wurde: für die Entlohnung von Söldnern, Proviant für die Truppen und die Reparatur der Stadtmauern. Wenn ihre Ausgaben höher waren als die verfügbaren Mittel, reagierten die griechischen Städte so wie die meisten Regierungen heute: Sie nahmen Kredite auf, bisweilen zu ungünstigen Konditionen, es sei denn patriotische Bürger waren willens, ihr Geld zinsfrei zu verleihen. Allerdings war die Hauptmotivation der Geldverleiher eben gerade ein hoher Zinssatz. Während des römischen Kriegs gegen die Piraten 71 v. Chr. fand sich kein Kreditgeber, der Gytheion, einer kleinen Stadt südlich von Sparta, das benötigte Geld leihen wollte. Zwei Römer, die Cloatii-Brüder, stimmten einem Darlehen zu, jedoch zu einem extrem hohen Zinssatz von 48 Prozent. Nichtsdestotrotz wurden sie als Wohltäter geehrt, da sie letzten Endes auf einen großen Teil der Zinsen verzichteten, als Gytheion (wie zu erwarten war) die Schulden nicht zurückzahlen konnte. Gytheion ist ein Extremfall, aber verhältnismäßig hohe Zinssätze von zwölf Prozent oder mehr kamen im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. häufig vor, ebenso kam es vor, dass Dar­ lehen nicht zurückgezahlt werden konnten. Manchmal warben die Städte um Spender, aber in Extremfällen gab es oft keine andere Lösung, als eine Hypothek auf das gesamte Stadtterritorium aufzunehmen. Viele Ehren­ inschriften aus hellenistischer Zeit wurden für Männer aufgestellt, die Darlehen zu niedrigen Zinssätzen oder sogar zinsfrei gewährt hatten – oder einen „Haircut“ des Kredits akzeptiert hatten, wie wir heute sagen würden. In modernen Gesellschaften wird Sponsoren und Geldgebern in der Regel keine Gegenleistung für ihre Großzügigkeit versprochen. Die Geldgeber erwarten nicht mehr, als dass ein Gebäude, eine Straße oder ein Preis nach ihnen benannt wird – und selbst das geschieht oft erst postum; es ist nicht ungewöhnlich, dass Spender anonym bleiben wollen. Im hellenistischen Griechenland und in der Kaiserzeit gab es keine anonymen Spender, und Großzügigkeit war Teil dieses Systems von Reziprozität. Die Auswirkungen auf das politische Leben waren dramatisch. Spenden war ein öffentlicher Auftritt, der als Zurschaustellung von Patriotismus organisiert wurde. Der Zweck und das Datum einer öffentlichen Subskription wurden angekündigt, und den Beitragenden wurden Ehrenbezeugungen versprochen. Während der Subskription stellte das versammelte Volk lauthals Forderungen an all 367

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

die Bürger, bei denen sie ein gewisses Vermögen vermuteten; jede Zusicherung wurde öffentlich bekannt gegeben und rief Freudenrufe und Beifall hervor, was reiche Bürger dazu motivieren konnte, sich zu höheren Spenden zu verpflichten – oder aber in ihnen den Wunsch weckte, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Die Spendenbeiträge wurden öffentlich zelebriert. Oft wurden sie nicht nach ihrer Höhe, mit der größten Summe zuerst, festgehalten, sondern in der Reihenfolge, in der sie eingingen. Diese Versprechungen waren eine Art Wettbewerb, und denen, die sich als Erste meldeten, wurde die größte Ehre zuteil. Nicht nur die Namen all derer, die einen Beitrag leisteten, wurden festgehalten, sondern auch die Namen jener, die ihre Versprechen nicht hielten und sich damit der Verachtung ihrer Mitbürger aussetzten. Im Fall von Subskriptionen wurde der Verwendungszweck von der Volksversammlung bestimmt. Bei freiwilliger Wohltätigkeit lag die Initiative beim Spender selbst; oft reagierte er auf tatsächliche Bedürfnisse und stiftete ein öffentliches Gebäude, Olivenöl für das Gymnasium oder finanzielle Mittel für die Aufrechterhaltung eines öffentlichen Amtes; manche ließen sich aber auch von persönlichen Interessen und Vorlieben leiten und finanzierten beispielsweise ein neues Fest. Die erhöhte Sichtbarkeit von Wohltätern (euergetai) und ihre soziale und politische Rolle werden in der modernen Forschung als „Euergetismus“ bezeichnet. Euergetismus basierte auf Reziprozität. Eine gute und einfache Definition von Reziprozität findet sich in „Mamas Lied“ aus Fred Ebbs Musical Chicago: Ich hab ein kleines Motto, Immer hilft es mir: Bist du gut zu Mama, Ist Mama gut zu dir.

Durch freiwillige Spenden demonstrierten lokale Wohltäter ihre Bereitschaft, einen Teil ihres Vermögens der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Diese Bereitschaft war jedoch mit der Erwartung verbunden, dass das Gemeinwesen ihre politische Führungsrolle akzeptierte. Im Gegenzug für die von den wohlhabenden Familien getätigten Spenden und Liturgien nahm der demos ihr Machtmonopol hin. Diese wechselseitige Beziehung erlaubte es Städten in der späthellenistischen und der Kaiserzeit, einige gemäßigt demokratische Institutionen sowie die Illusion von Volkssouveränität aufrechtzuerhalten, auch wenn das politische Leben oligarchische Züge annahm. 368

„Euergetismus“: Wohltätigkeit, soziales Prestige und politische Macht

Ein lokaler Wohltäter wurde geehrt, indem man ihm an prominenter Stelle eine Statue aufstellte, ihm eine goldene Krone aufsetzte oder indem man seine Spende öffentlich ausrufen ließ; er wurde dazu eingeladen, bei Theateraufführungen und athletischen Wettkämpfen einen Ehrensitz einzunehmen, oder zusammen mit den Magistraten zu speisen; und das von ihm finanzierte Gebäude – ob Rathaus, öffentliches Bad oder Gymnasium – wurde nach ihm benannt. Wenn er starb, konnte er ein Staatsbegräbnis und manchmal sogar die außerordentliche Ehre eines Begräbnisses innerhalb der Stadtmauern erwarten. In Ausnahmefällen wurden einem Wohltäter nach seinem Tod kultische Ehren zuteil. Diese Ehrungen hielten ihn in seiner Stadt gewissermaßen lebendig. Und was noch wichtiger war: Die Wohltaten wurden nicht vergessen. Viele Ehreninschriften für prominente Bürger erwähnen, dass deren Vorfahren Beiträge zu Subskriptionen geleistet oder Spenden getätigt hatten. Wohltätigkeit stärkte das soziale Prestige und den politischen Einfluss nicht nur der Wohltäter selbst, sondern auch ihrer Familien über Jahrzehnte hinweg. Nicht nur Großgrundbesitzer oder Mitglieder der Elite taten sich durch Wohltaten hervor. Der soziale Hintergrund differenzierte sich immer weiter aus, auch Frauen, Fremde, Freigelassene und sogar Sklaven engagierten sich, und so wurde Wohltätigkeit zu einem bedeutenden Instrument für gesellschaftlichen Aufstieg. Fremde, die beträchtliche finanzielle Beiträge in einer polis leisteten, konnten dort eine Vorzugsbehandlung erwarten, manche Privilegien konnten sie sogar vererben. Der Wohltäter wurde für gewöhnlich mit den Privilegien eines proxenos (s. S. 336) und in einigen Fällen mit Bürgerrechten belohnt. Die Abhängigkeit griechischer Städte von den Spenden reicher Wohltäter war im 2. Jahrhundert v. Chr. deutlich zutage getreten. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt in der Kaiserzeit. Eine neue Form der Wohltätigkeit waren Stiftungen, die der Stadt zur ­Deckung der Kosten für Ämter wie das des stephanephoros, des agonothetes und des gymnasiarchos überlassen wurden. In Jahren, in denen kein Bürger diese Ämter übernehmen wollte, deckte die Stiftung die Kosten, und der Spender führte den Amtstitel. Derartige Stiftungen – „ewige stephane­ phoria“, „ewige agonothesia“ und „ewige gymnasiarchia“ genannt – ermöglichten es einer Person, ein Amt nominell sogar postum zu übernehmen. In der frühhellenistischen Zeit wurde der Titel euergetes oft einem Individuum für seinen Heldenmut in der Schlacht oder für einen politischen Dienst für die Stadt verliehen. Er wurde als Patriot respektiert. In dieser Phase gelang es wohlhabenden Männern, indem sie alle anderen mit ihrer Großzügigkeit übertrafen, die Ersten unter ihren Mitbürgern zu werden; die 369

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Anzahl öffentlicher und religiöser Aktivitäten, die durch Liturgien und freiwillige Spenden finanziert wurden, wurde immer größer, und dies führte dazu, dass die euergetai durch außergewöhnliche Behandlung über ihre Mitbürger erhoben wurden. Diese Entwicklung zeigt sich in Ehrendekreten für Wohltäter deutlich in der Sprache – beispielsweise im Lobpreis eines gewissen Hermogenes aus Aphrodisias um 50 v. Chr.: … einer der ersten und ruhmreichsten Bürger, ein Mann, der Männer als Vorfahren hat, die unter den Größten waren und unter jenen, die unser Gemeinwesen zusammen erbauten und ihr Leben in Tugend und Ruhmesliebe und mit vielen Versprechen von Wohltätigkeiten und mit den schönsten Werken für das Vaterland verbracht hatten; ein Mann, der selbst gut und tugendreich war, ein Vaterlandsliebender, ein Erbauer, ein Wohltäter der Stadt, und ein Retter; ein Mann, der sich gegenüber dem gesamten Volk und gegenüber jedem einzelnen Bürger gutmütig und verständig verhalten hat; ein Mann, der den Göttern und dem Vaterland stets den höchsten Respekt zollte; der unser Vaterland auf großzügigste Weise mit den schönsten Versprechungen und Weihegaben schmückte …

In solchen Enkomia (vgl. S. 328) erscheinen Männer wie Hermogenes aus Aphrodisias als geliebte Führer ihrer Stadt. Wir können nicht erwarten, dass öffentliche Inschriften offenbaren, was viele Menschen im Privaten gedacht haben mögen: dass diese Wohltäter die notwendigen Übel einer Stadt waren. Herodes Atticus, der größte Wohltäter Athens während der Herrschaft Hadrians, muss dies gespürt haben. Er ließ furchtbare Flüche in die Basen der von ihm gestifteten Statuen einmeißeln, als Warnung gegen die, die sie zerstören wollten. Wohltäter wussten, was sie von ihren Mitbürgern zu erwarten hatten: nicht Dankbarkeit, sondern Neid.

Freiwillige Vereinigungen Vor Alexanders Feldzügen fiel der mengenmäßige Anteil ansässiger Fremder nur in größeren städtischen Zentren auf, besonders in Athen und einigen anderen wirtschaftlich aktiveren Städten. Ihre Anzahl stieg in den meisten griechischen Städten im Lauf der hellenistischen Zeit kontinuierlich an. Unter ihnen befanden sich dauerhaft ansässige Fremde (Metöken), Händler und Bankiers, Exilanten, Garnisonsmitglieder und Söldner. Ein ­Höhepunkt war in den beiden Jahrhunderten nach Augustus erreicht. 370

Freiwillige Vereinigungen

In neugegründeten Städten wurden die Immigranten umgehend in das Gemeinwesen integriert und hatten zusammen mit anderen Siedlern unterschiedlichen Hintergrunds einen Anteil an der neuen städtischen Identität. In den alten griechischen Städten Griechenlands und Kleinasiens war die Situation eine ganz andere. Hier waren und blieben die ansässigen Fremden eine deutlich abgegrenzte Minderheit. Zugegeben: Meist wurden sie wie Bürger behandelt, was ihre Rechtsansprüche anbelangt, sie hatten militärische und finanzielle Verpflichtungen, sie leisteten monetäre Beiträge, und unter gewissen Umständen war es ihnen erlaubt, Grundbesitz zu erwerben, doch sie hatten keine politischen Rechte. Zwar wurden sie den Bürgern immer ähnlicher, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass die Bürgerschaft eine eigene Identität kultivierte, die auf einem ausgeklügelten System patriotischer Erziehung gründete (s. S. 382f.). Fremde konnten sich einer Gruppe zugehörig fühlen, indem sie einer freiwilligen Vereinigung beitraten. Grundlage einer solchen Vereinigung konnten gemeinsame ethnische Ursprünge sein, aber auch Familienbeziehungen, ein gemeinsames Gewerbe oder religiöse Vorstellungen. Freiwillige Vereinigungen (eranos, thiasos, koinon), modernen „Klubs“ nicht unähnlich, gab es bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. Ihre Anzahl erhöhte sich jedoch drastisch ab dem 4. Jahrhundert v. Chr., aus drei primären Gründen: Erstens ließ eine größere Mobilität die Zahl ansässiger Fremder steigen, besonders in wichtigen Hafenstädten und Handels-, Kultur- und Produktionszentren; Auswanderer bildeten Vereinigungen als eine Form der Gemeinschaft – als im 2. Jahrhundert v. Chr. die Migration italischer Händler nach Griechenland und Kleinasien einsetzte, wurden Vereinigungen ein wichtiger Ort für die Organisation und Abhaltung römischer Feste, insbesondere in wirtschaftlichen Zentren wie Delos. Zweitens erhöhte sich die Anzahl von Kulten, die eine enge und privilegierte Beziehung zwischen Kultanhängern und Gottheit in Aussicht stellten; besonders populär waren solche, die eine Initiation in geheime Rituale und Doktrinen erforderte; die Mitglieder organisierten sich in exklusiven Gruppen von Anhängern oder Eingeweihten und hielten an bestimmten Tagen in den Vereinshäusern ihre Riten ab. Gebetshäuser und Synagogen der Diaspora-Juden waren auch eine Form von freiwilligen Vereinigungen – synagoge ist ein griechisches Wort für „Klub“. Und drittens boten Klubs Menschen aus niederen gesellschaftlichen Schichten die Möglichkeit, eine Form der Geselligkeit nach­ zubilden, die in der Vergangenheit ein Merkmal der Elite gewesen war und die in der hellenistischen Zeit an den Königshöfen praktiziert wurde: das 371

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Symposion. Diese Vereinigungen organisierten Zusammenkünfte in Vereinshäusern, hielten in Schreinen Feste für Schutzgottheiten ab und boten ihren Mitgliedern die Möglichkeit, sich in ihren eigenen Grabparzellen bestatten zu lassen. Unabhängig von der Herkunft ihrer Mitglieder oder ihrer Hauptaktivität standen Vereinigungen stets unter dem Schutz einer Gottheit. In den meisten Fällen leitete sich der Name eines Klubs von dem Gott oder den Göttern ab, die von seinen Mitgliedern verehrt wurden. Die Apolloniastai standen unter dem Schutz Apollons, die Hermiastai unter dem von Hermes und so weiter. Die freiwilligen Vereinigungen bildeten die Institutionen der polis in kleinerem Maßstab nach: Sie hatten ihre Statuten, Versammlungen, Magistrate, Dekrete, gemeinsamen Besitz und gemeinsame Finanzen. Eine Mitgliedschaft in einem freiwilligen Verein ähnelte einer Staatsbürgerschaft und ersetzte diese bis zu einem gewissen Grad als Grundlage für Gemeinschaft und Identität. Vereinigungen nahmen in der Regel Mitglieder auf, ohne deren Status zu berücksichtigen: Bürger, ansässige Fremde, Freigelassene, oft auch Frauen und manchmal sogar Sklaven. Die Verehrung bestimmter Gottheiten und die Übernahme ethischer Prinzipien und religiöser Vorstellungen waren die Basis für Gemeinschaftlichkeit, nicht Herkunft, Geschlecht oder Status. Auf diese Weise trugen Klubs zu einer Lockerung der strikten rechtlichen Grenzen bei, die in der früheren griechischen Gesellschaft vorherrschend gewesen waren; in einem gewissen Sinn ermöglichten sie einen größer angelegten Austausch zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Eine sehr spezielle Form einer freiwilligen Vereinigung, und zugleich ein charakteristischer Ausdruck von Mobilität und Kosmopolitismus, war die der Theaterkünstler, die sogenannten „Künstler des Dionysos“ (Dionysiakoi technitai). Dieser Verein wurde im späten 4. oder frühen 3. Jahrhundert v. Chr. in Athen gegründet und half beim Organisieren von Festspielen, vertrat die Interessen seiner Mitglieder (die in gefährlichen Zeiten andauernd unterwegs waren), knüpfte enge Beziehungen zu Königen und übte politischen Einfluss aus. In der hellenistischen Zeit gab es an vielen Orten in Griechenland, Kleinasien, Ägypten, auf Zypern und Sizilien „Ortsgruppen“. Der Ortsverband der Dionysoskünstler in Teos baute eine solch enge Beziehung mit der Stadt auf, dass die Teier ihre ganze Stadt samt ihrem Territorium dem Gott Dionysos weihten. Dieser Verein ähnelte einem Staat im Staat und schlug sogar seine eigenen Münzen, mit denen Festspiele finanziert wurden. 372

Wettkampfkultur und „internationale“ Stars in Sport und Unterhaltung

Indem sie zum Entstehen sozialer Netzwerke innerhalb einer Stadt beitrugen und Brücken schlugen zwischen gesellschaftlichen Gruppen, waren die freiwilligen Vereinigungen ein Motor für gesellschaftlichen Wandel und ein Gradmesser des kosmopolitischen Charakters der hellenistischen Städte. Auch unter römischer Herrschaft waren sie weiterhin von Bedeutung. Mysterienkulte wurden immer beliebter, und so wuchs die Zahl religiöser Klubs. Auch Berufsvereinigungen, die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Einfluss ausübten, wurden immer zahlreicher; Straßen, öffentliche Plätze und Stadtteile wurden nach ihnen benannt. In der Kaiserzeit bildeten die älteren Mitglieder der Elite einen „Altherrenklub“ (gerousia) mit erheblichem sozialen Prestige und einigem politischen Einfluss. Die gemeinsamen Interessen, die Menschen in einer Vereinigung zusammenbrachten, kannten keine Grenzen. Wir wissen von Klubs der Fans von Witzen (philopaiktores), von Freude und Ausgelassenheit (kalokardioi, eutherapioi) und von Gladiatorenkämpfen (philhoploi). Auch waren die Athleten und Vertreter der darstellenden Künste, die bei „internationalen“ Festspielen antraten, in „ökumenischen Vereinigungen“ organisiert, und ihre leitenden Beamten standen in engem Kontakt zum Kaiser. Freiwillige Vereinigungen spiegeln auf vielfältige Weise den „internationalen“ und kosmopolitischen Charakter der Welt wider, die aus Alexanders Eroberungen hervorging.

Wettkampfkultur und „internationale“ Stars in Sport und Unterhaltung Seit den Anfängen ihrer Geschichte, soweit wir sie kennen, hatten die Griechen athletische und musische Wettkämpfe organisiert, in Verbindung mit städtischen und Bundesfesten, Übergangsriten wie auch mit Begräbnissen bedeutender Individuen – später auch nach militärischen Siegen. Ein Wettkampf (agon) zog in der Regel Teilnehmer aus einer einzelnen Stadt oder aus den Mitgliedsstädten eines Bundes an, im 6. Jahrhundert v. Chr. waren allerdings vier Festspiele – in Olympia und Nemea zu Ehren von Zeus, in Delphi zu Ehren von Apollon Pythios und am Isthmus von Korinth zu Ehren von Poseidon – zu panhellenischem Ansehen gelangt. Sie fanden in vier aufeinanderfolgenden Jahren statt und bildeten so einen Vierjahres­ zyklus, die periodos (Umlauf). Die Griechen wurden durch heilige Gesandte (theoroi) eingeladen, und für die Zeit der Wettkämpfe wurde ein Waffenstillstand erklärt. 373

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Von der hellenistischen Zeit an erhöhte sich die Anzahl der Wettkämpfe gewaltig. Könige, alte und neue Städte, Städtebünde und private Sponsoren richteten neue Festspiele ein, um einen militärischen Sieg oder die Befreiung einer Stadt zu feiern oder neu eingeführte Götter, Könige, lokale Wohltäter, Staatsmänner, Feldherren, verstorbene Familienmitglieder und römische Befehlshaber und Statthalter zu ehren. Städtebünde förderten mit Wettkämpfen ihre Einigkeit, Städte benutzten sie dazu, ihre Bemühungen um die Anerkennung ihrer Unantastbarkeit zu unterstützen, und Sponsoren hofften dadurch, ihr eigenes Prestige und das ihrer Familie zu steigern. Jedes Mal, wenn in einer Stadt ein neuer agon eingerichtet wurde, brachte dies einen neidischen Nachbarn dazu, seinen eigenen zu gründen oder zu erweitern. Diese Entwicklung setzte sich in der Kaiserzeit fort, als zu Ehren der Kaiser Wettkämpfe eingerichtet wurden. Als die Städte zunehmend oligarchische Züge annahmen, stieg auch die Anzahl wohlhabender Individuen, die einen öffentlichen Wettkampf (themis) zu Ehren eines verstorbenen Familienmitglieds gründeten, und ebenso die Zahl der Wettkämpfe, die von Wohltätern eingerichtet und nach diesen benannt wurden, wie die Demostheneia in Oinoanda. Im 3. Jahrhundert v. Chr. etwa waren unter anderem die Ptolemaia in Alexandria zu Ehren von Ptolemaios I. von Bedeutung (s. S. 91f.), die Soteria in Delphi, die den Sieg über die Gallier zelebrierten, die Didymeia in Milet zu Ehren von Apollon, die Asklepieia auf Kos und die Leukophryena in Magnesia am Mäander zu Ehren von Artemis. Im Prinzipat kamen zwei weitere Feste von „internationalem“ Status hinzu: die Sebasta in Neapel zu Ehren von Augustus und die Aktia in Nikopolis im Angedenken an Octavians Sieg bei Actium. Nero versuchte mit seinen Neroneia, einen agon der griechischen Art in Rom einzuführen – er überdauerte seinen Gründer allerdings nicht. Im Gegensatz dazu konnte sich der von Domitian 86 n. Chr. in Rom zu Ehren von Iuppiter Capitolinus gegründete agon Capitolinus neben den vier alten Festspielen etablieren. Die Panhellenia in Athen, die mit der Gründung des Panhellenions unter Hadrian verbunden waren (s. S. 297), erreichten trotz der Unterstützung des Kaisers nie das gleiche Ansehen. Man geht davon aus, dass es in den östlichen Provinzen im 2. Jahrhundert n. Chr. ca. 500 agones gab – eher vorsichtig geschätzt. Weil die Zahl agonistischer Festspiele derart stieg, intervenierte Hadrian 134 n. Chr. und etablierte eine feste Reihenfolge für die bedeutendsten Wettkämpfe, sodass die Teilnehmer genügend Zeit hatten, von einer Veranstaltung zur nächsten zu reisen. Die agonistische Kultur zwischen dem späten 3. Jahr374

Wettkampfkultur und „internationale“ Stars in Sport und Unterhaltung

hundert v. Chr. und dem frühen 3. Jahrhundert n. Chr. war historisch gesehen beispiellos; erst die Wettkämpfe in Sport und darstellenden Künsten nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten wieder ein vergleichbares Ausmaß. Um ihre Festspiele attraktiver zu machen, erweiterten Städte und Städte­ bünde ihr Programm um musische und dramatische Wettbewerbe. Die prestigeträchtigsten Wettkämpfe waren die, bei denen Kränze als Preise verliehen wurden – aus wilder Olive bei den Olympischen Spielen, Lorbeer bei den Pythien, Sellerie bei den Nemeen und Sellerie (später Pinienzweigen) bei den Isthmien. Einige Wettkämpfe verliehen auch Preise von materiellem Wert: Schilde, goldene Kronen, Dreifüße und Geld. Die hieronikai, die „Sieger in einem heiligen Wettkampf“, in dem der Preis ein Kranz war, konnten aber mehr erwarten als nur den mit dem Sieg verbundenen Ruhm und das soziale Prestige. Je nach Status des Wettkampfes gewährte ihnen ihre Heimatstadt eine Vielzahl von Ehrbezeugungen, von einem Ehrenplatz in einer Prozession und einem Ehrensitz bis hin zu Geldpreisen und freien Mahlzeiten bei öffentlichen Festmählern. Wenn ein Fest als den Pythien von Delphi gleichrangig (isopythios) anerkannt wurde, konnte der siegreiche Athlet die gleichen Belohnungen von seiner Stadt erwarten wie ein Sieger bei den Pythien. Die Gewinner von „iselastischen“ Wettkämpfen wurden mit eiselasis geehrt, einem zeremoniellen Einzug in die Stadt, und erhielten Preisgelder. Die meisten Wettkämpfe waren athletische Events, zu denen Teilnehmer aus verschiedenen Altersklassen – Knaben, Epheben und Männer – zugelassen waren. Das Programm beinhaltete für gewöhnlich die „klassischen“ Disziplinen des antiken Sports: Wettlauf über verschiedene Distanzen, manchmal von bewaffneten Männern, Ringkampf, Boxen, Pentathlon (Diskuswurf, Standweitsprung, Speerwurf, Stadionlauf, Ringkampf) und pan­ kration – eine Art Kickboxen. Verschiedene agones umfassten darüber hinaus besondere Veranstaltungen. Ein Wettlauf in voller Rüstung fand bei den Eleutheria von Plataiai statt, in Erinnerung an den Sieg der Griechen über die Perser 479 v. Chr.: Die Wettkämpfer mussten vom Siegeszeichen der Schlacht zum Altar des Zeus Eleutherios rennen – ca. 2500 Meter. Dem Sieger wurde der Ehrentitel „der beste der Hellenen“ verliehen. Auch Wettläufe für Mädchen sind in einigen Fällen bezeugt. Pferdewettkämpfe waren nicht weitverbreitet, aber beliebt und berühmt in Gegenden, in denen traditionell Pferdezucht betrieben wurde: Wettrennen von einzelnen jungen oder ausgewachsenen Pferden, Kriegspferden, Pferdegespannen und Maultiergespannen, Fackelläufe zu Pferd, Speerwurf zu Pferd und Wagenrennen mit 375

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

jungen bzw. ausgewachsenen Pferden. Die Teilnahme in den Pferdesportdisziplinen war ein Privileg der wohlhabenden Schichten, die sich ein Pferd und dessen Training leisten konnten. Frauen nahmen an Pferdewettkämpfen insofern teil, als sie eigene Pferde an den Start schickten. Für die Zuschauer waren athletische Wettkämpfe spektakuläre und mitreißende Veranstaltungen. Ein Sieg ohne stattgefundenen Kampf war allerdings auch überaus prestigeträchtig, besonders wenn ein Boxer ihn allein durch seinen Ruhm oder seine Stärke erlangte, oder dadurch, dass er alle potenziellen Konkurrenten derart einschüchterte, dass sie vom Wettkampf zurücktraten. Der Boxer Melankomas, der Liebhaber von Kaiser Titus, verdankte seinen außerordentlichen Ruhm der Tatsache, dass er noch nie von einem Gegner getroffen worden war. Er besiegte seine Gegner nicht, indem er sie niederschlug, sondern indem er sie erschöpfte. Es gab Fälle von unentschiedenen Wettkämpfen, weil beide Gegner aufgaben oder ein Trainer den agon unterbrach; in solchen Fällen wurde der Preis dem Gott geweiht. Manchmal wurden auch beide Gegner zu Siegern erklärt, aufgrund von zeitlichen Zwängen oder weil die Wettkämpfer übereingekommen waren, den Sieg und die Preise zu teilen. Athleten, die in ihrer Disziplin in allen vier großen Festspielen siegreich waren, wurden periodonikai, die „UmlaufSieger“, genannt – das Pendant zu den Gewinnern des Grand Slam im modernen Tennis. Im Fall eines hoch angesehenen Wettkampfs konnte sogar allein die Teilnahme schon als eine Ehre gesehen werden. Musikalische Wettbewerbe blicken auf eine ebenso lange Geschichte zurück wie die athletischen. Am weitetsten verbreitet waren die Wettbewerbe von Knaben-, Mädchen- und Männerchören, die jeweils die Unterabteilungen der Bürgerschaft einer polis repräsentierten. Unter dem Einfluss Athens verbreiteten sich Theaterfestspiele in der gesamten hellenisierten Welt. Dionysische Feste, die Chor-, Musik- und Theater-agones beinhalteten, sind in beinahe jeder Stadt bezeugt. Musikalische und theatralische – oder „thymelische“ – Wettbewerbe wurden auch dem Programm traditioneller athletischer Festspiele hinzugefügt. Die Teilnehmer traten gegeneinander im Vortrag neuer Stücke und in Produktionen von „Klassikern“ an, in Lyrik, Musik und in von Liedern begleitetem Tanz sowie in der vokalen Darbietung von Herolden. Allmählich bildete sich ein mehr oder weniger standardisierter Ablauf der Wettkämpfe heraus, wobei Raum für lokale Variationen blieb. Geläufige Wettbewerbe waren die für Trompeter, Herolde, Enkomiasten, Dichter, Musiker (Oboisten, Kitharaspieler), tragische Chöre, Komödianten und Tragödien. Der erwachsene Kitharasänger bekam das höchste Preisgeld. 376

Wettkampfkultur und „internationale“ Stars in Sport und Unterhaltung

Auch die Darbietungen von Mimentänzern (Pantomime) waren äußerst ­beliebt, aber sie wurden dennoch erst im späten 2. Jahrhundert n. Chr. als Kategorie bei agonistischen Festspielen aufgenommen. Einige Städte veranstalteten agones in eigentümlichen Disziplinen, die mit lokalen Traditionen verbunden waren. Wir kennen beispielsweise einen Wettbewerb von Bildhauern in Aphrodisias, einen Wettbewerb von Ärzten in Pergamon und Schönheitswettbewerbe auf Lesbos. Die agonistischen Festspiele wurden in der Regel von einem Markt begleitet, der fremde Besucher und Händler anzog. Es gab außerdem zusätz­ liche Konzerte, für die man Eintritt zahlen musste, sowie eine Vielzahl kultureller Darbietungen, wie epideiktische Reden und Vorlesungen. Politische und gesellschaftliche Veranstaltungen wurden abgehalten, und wichtige Dinge wurden bekannt gegeben: Magistrate und geehrte Einzelpersonen wurden aufgefordert, einen Ehrenplatz einzunehmen, und Ehrbezeugungen wurden bekanntgegen. Teilnehmer der athletischen Wettkämpfe waren oft die Sprösslinge von Elitefamilien – sie hatten die Muße, im Gymnasium zu trainieren; sofern sie fit genun waren, konnten sie schon im Knabenalter an Wettkämpfen teilnehmen. Für solche Leute waren athletische Siege nur eine weitere Komponente des Prestiges ihrer Familie. Die Statuen von siegreichen Knabenathleten wurden neben die ihrer Verwandten gestellt, die sich in Wohltätigkeit und öffentlichem Dienst hervorgetan hatten. Unterhaltungskünstler waren eine sozial bunt gemischte Gruppe – so unterschiedlich wie ihre jeweilige musikalische, literarische oder dramatische Disziplin: vom Ependichter bis zum Mimentänzer. Virtuosität und Erfolg setzten ein umfangreiches Training voraus, wie es in der Antike oft im familiären Kontext stattfand. Viele Musiker, Tänzer, Akrobaten und Komödianten stammten schon aus Familien von Unterhaltungskünstlern und wurden von frühester Kindheit an in ihrer Disziplin ausgebildet. Ihre berufliche Spezialisierung spiegelt sich des Öfteren in ihren Namen wider: Areskousa und Terpnos (der/die Gefällige), oder Apolaustos (der Erfreuliche). Für einen talentierten Mann oder eine talentierte Frau von niederer Herkunft bedeutete Erfolg bei musikalischen Wettbewerben Wohlstand und gesellschaftliches Prestige. Die Wettbewerbskultur steigerte nicht nur die Einigkeit und Mobilität der hellenistischen und hellenisierten Welt, sondern schuf auch Künstlern und Athleten neue Möglichkeiten, sich auf ihre jeweilige Disziplin zu spezialisieren und sich ihren Lebensunterhalt allein durch Preisgelder zu verdienen. 377

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Die Formung bürgerlicher Werte und einer städtischen Identität: die ephebeia und das Gymnasium Öffentliche Erziehung – mit einem Schwerpunkt auf militärische Ausbildung und die Vermittlung bürgerlicher Werte, lokaler Bräuche und historischer Traditionen – war eine Bedingung für die Eingliederung eines ­jungen Menschen in die Bürgerschaft und die Gesellschaft der polis. Sie separierte nicht nur Bürger von ansässigen Fremden, sondern auch Mitglieder der Elite von der breiten Masse und natürlich Männer von Frauen. Zusätzlich zu ihrer Ausbildung in Haushaltsangelegenheiten erhielten Mädchen in der Regel eine elementare Erziehung in Schreiben und Lesen, Musik und Dichtung; abhängig von Reichtum und Bildungsgrad ihrer Familie konnte ihre literarische Ausbildung durchaus beachtlich sein, und von hellenistischer Zeit an ist eine beträchtliche Anzahl von Dichterinnen bezeugt. Mädchen traten bei religiösen Festen in Chören auf, und diese Pflicht machte sie mit den Traditionen und Werten ihrer Stadt vertraut. Nur ganz wenige Frauen erhielten eine höhere Bildung in den Philosophenschulen. Knaben wurden zu Hause von Privatlehrern (für gewöhnlich Sklaven) erzogen bzw. in den Städten, die sich staatliche Erzieher leisten konnten, in einer öffentlichen Schule. Üblicherweise lagen die Schwerpunkte ihrer Erziehung auf Lesen und Schreiben, Rhetorik und Mythologie, auf dem Rezitieren von Auszügen von Homer und anderen Dichtern und ein wenig auch auf Musik. In der hellenistischen Zeit gewann die Erziehung, die Knaben und junge Männer unter der Aufsicht der städtischen Autoritäten erhielten, an Bedeutung. Zwei miteinander verbundene Institutionen förderten die „patriotische“ Ausbildung der Jugendlichen einer Stadt: das gymnasion und die ephebeia. Das gymnasion – dem Wortsinn nach der Ort, an dem Männer ihre nackten Körper trainieren – war das Zentrum männlicher Ausbildung. Sein Aufseher, der gymnasiarchos, war in der Regel ein angesehener und wohlhabender Mann, der zwischen 30 und 60 Jahre alt war. Er wurde in dieses Amt gewählt, aber weil die Betriebskosten hoch waren, wurde die gymnasiarchia in der hellenistischen und der Kaiserzeit eine der wichtigsten Liturgien; gelegentlich wurde das Amt auch von wohlhabenden Frauen übernommen, die dann für die anfallenden Kosten aufkamen. Der gymnasiarchos stellte sicher, dass Disziplin und die Öffnungszeiten eingehalten wurden und dass die unterschiedlichen Altersklassen getrennt voneinander trainierten. Er 378

Die Formung bürgerlicher Werte und einer städtischen Identität

beaufsichtigte die Trainer (paidotribai), stellte die notwendigen Mittel zur Anschaffung des Olivenöls bereit, mit dem die Körper der Athleten eingeölt wurden, organisierte Wettkämpfe und bezahlte dafür die Siegespreise. Hermes und Herakles waren die Schutzgottheiten des Gymnasiums. Bei den Festspielen der Hermaia traten junge Männer in den Bereichen Disziplin (eutaxia), Ausdauer (philoponia), mannhaftes Verhalten (euandria) und gute körperliche Verfassung (euexia) gegeneinander an; die jüngeren Mitglieder traten in Fackelläufen an. Als Preise gab es Schilde. In einigen hellenistischen Gymnasien umfassten die athletischen Wettkämpfe militärische Disziplinen, wie die Bedienung des Katapults, Speerwurf, Bogenschießen und den Kampf mit Schild und Lanze. Je nach Vorlieben des gymnasiarchos konnten auch ungewöhnliche Wettkämpfe, wie literarische, stattfinden. In späthellenistischer Zeit wurden in Gymnasien auch Vorlesungen abgehalten – insbesondere von Philosophen und Historikern. Männer suchten als Erwachsene weiterhin das Gymnasium auf, um ihren Körper zu trainieren und Kontakte zu pflegen. Städte mit den entsprechenden Mitteln und einer großen Bevölkerung hatten mehr als ein Gymnasium, nicht nur an verschiedenen Orten, sondern auch für jeweils unterschiedliche Altersgruppen. Sklaven und Freigelassene sowie die Nachkommen von Freigelassenen waren üblicherweise vom Gymnasium ausgeschlossen; andere Personen, denen der Zutritt verwehrt war, waren männliche Prostituierte, in einigen Städten Händler, Betrunkene und Menschen, die als geisteskrank betrachtet wurden. In Alexandria wurde unter Claudius den Juden der Zutritt zum Gymnasium untersagt (s. S. 332). So war das Gymnasium ein Ausdruck sozialer Hierarchien – ein Aspekt, der auch in der Kaiserzeit erhalten blieb. In der hellenistischen Zeit war das Gymnasium mehr als nur ein Ort athletischen und, indirekt, auch militärischen Trainings. Es war ein Zentrum gesellschaftlichen Austauschs unter den Bürgern; außerhalb Griechenlands wurde es auch zu einem Symbol hellenischer Kultur und zu einem der wichtigsten externen Merkmale einer polis. Gymnasien gab es in jeder größeren griechischen Stadt, bis ins heutige Afghanistan. Eines der größten Gymnasien wurde in der Tat in Ai Khanoum (Alexandria am Oxus) in Baktrien ausgegraben (s. Abb. 27). Was die jüdischen Hellenisten in Jerusalem im 2. Jahrhundert v. Chr. von denen unterschied, die dem jüdischen Gesetz treu blieben, war, dass Erstere das Gymnasium besuchten. Als Tyriaion in Phrygien den Status einer unabhängigen polis für sich beanspruchte, forderte es von König Eumenes II. neben einem Ratsgremium und Gesetzen ein Gymnasium. Dieses 379

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Abb. 27: Das Gymnasium von Ai Khanoum, Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.

Image hatte das Gymnasium auch noch in der Kaiserzeit. Im späten 2. Jahrhundert n. Chr. war der Reisende Pausanias überrascht davon, dass die Stadt Panopeus in Phokis als polis zählte, wo sie doch weder ein Gymnasium noch ein Theater oder einen Marktplatz hatte. Der Begriff ephebeia bezeichnet das Training einer Gruppe junger Männer, in der Regel zwischen 18 und 20 Jahre alt, unter der Aufsicht staatlicher Autoritäten. Archaische Formen des Trainings, die während der klassischen Periode an Bedeutung verloren hatten, wurden in hellenistischer Zeit sowohl aus militärischen Gründen als auch als Ausdruck städtischer Souveränität wiederbelebt. Beispielsweise hatte die agoge, das Training, das in archaischer Zeit in Sparta eine der Voraussetzungen für den Bürgerstatus gewesen war, im 4. Jahrhundert v. Chr. seine Wichtigkeit eingebüßt. Sie wurde 228 v. Chr. von König Kleomenes III. als einer der Grundpfeiler seiner Reformen zu neuem Leben erweckt, jedoch 188 v. Chr. von Philopoimen 380

Die Formung bürgerlicher Werte und einer städtischen Identität

wieder abgeschafft. Nur in ganz konservativen Orten, wie Kreta, erhielten sich alte Trainingsformen scheinbar unverändert. In den kretischen Städten waren die jungen Männer in „Herden“ (agelai) unter der Führung eines weiteren Jugendlichen von hohem sozialen Status organisiert; sie wurden im Kämpfen, Ringen, Boxen, Laufen, Jagen und Tanzen in voller Rüstung unterrichtet. In Makedonien, einer weiteren konservativen Region, überlebten ephebische Rituale und Wettkämpfe – Wettläufe und Pferderennen – bis in hellenistische Zeit. Die ephebeia in Athen, das obligatorische Kriegstraining der jungen Männer, die zwischen 18 und 19 Jahre alt waren und Bürgerstatus innehatten, erlebte infolge der politischen Umbrüche des späten 4. Jahrhunderts v. Chr. einen Niedergang. Während der Herrschaft des Demetrios von Phaleron (317–307 v. Chr.) war die Ephebenausbildung ein Privileg der Söhne von Bürgern mit einem Vermögen im Wert von mindestens 1000 Drachmen; zwischen ca. 306 und 268 v. Chr. war die Teilnahme an der ephebeia nicht obligatorisch, und das Training dauerte nur ein Jahr anstelle von zweien. Erst als Athen nach dem Ende der makedonischen Monarchie einige seiner ausländischen Besitzungen zurückgewann und es ansässigen Fremden erlaubt wurde, sich als Epheben zu registrieren, stieg deren Anzahl wieder, auf ca. 100 bis 180 Mann. Das große Interesse der Gemeinschaft an der Ausbildung der Sprösslinge der Elite zeigt sich in der hohen Anzahl an Ehreninschriften, die Jahr für Jahr die Freiwilligen priesen, die ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatten und dabei die Tugenden, wie sie die Athener von ihren zukünftigen Bürgern und Soldaten erwarteten, zur Schau stellten: Gewissenhaftigkeit, Ausdauer, Gehorsam, Disziplin, Frömmigkeit und Respekt gegenüber den Traditionen der Vorfahren. Die athenische ephe­ beia war eine Kombination aus athletischen Aktivitäten, militärischem Training und Polizeidiensten im ländlichen Raum, Teilnahme an den traditionellen religiösen Ritualen, Anwesenheit bei Gedenk- und Jahrestagen sowie Vorbereitung auf bürgerliche Pflichten. Die Institution der ephebeia – oft genau das athenische Modell – gab es in vielen weiteren Städten und Regionen. Die griechischen Siedler brachten diese Institutionen auch nach Anatolien, in den Nahen Osten und nach Ägypten. Unter römischer Herrschaft bewahrten die griechischen Städte die Institution der ephebeia. Eine Inschrift aus Amphipolis in Makedonien, die auf 24/23 v. Chr. datiert, aber auf ein Gesetz des frühen 2. Jahrhunderts v. Chr. zurückgeht, zeigt, dass die Ephebenausbildung für griechische Städte nach wie vor zentral war. Die Epheben wurden in erster Linie in athletischen 381

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­ isziplinen, in einem beschränkten Ausmaß im Gebrauch von Waffen D (Bogen, Schleuder, Speer), und in Regionen mit langer Tradition in der Pferdezucht in der Reitkunst ausgebildet. Mitglieder der Elite beaufsichtigten die Epheben, und der „Ephebenanführer“ (ephebarchos) war bisweilen ein enger Verwandter des Aufsehers. Es war immer noch Aufgabe der Epheben, durch das städtische Territorium zu patrouillieren und es vor Banditen zu schützen. Nichtsdestotrotz war die Hauptfunktion der ephebeia in der Kaiserzeit, durch religiöse Rituale ein Identitätsgefühl zu schaffen, durch die Vermittlung historischer Erinnerung lokalen Patriotismus zu fördern, Loyalität dem Kaiser gegenüber zu propagieren und Beziehungen zu knüpfen zwischen den Mitgliedern der Besitzklasse, deren Söhne es sich leisten konnten, sich ein oder zwei Jahre lang diesem Training zu widmen. Bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. blieb die Institution der ephebeia ein charakteristisches Merkmal hellenischer Kultur, sogar im Herzen des Römischen Reiches, in Italien. Kurz vor seinem Tod beobachtete Augustus während eines Aufenthalts in Neapolis (dem heutigen Neapel), wie die Epheben dieser griechischen Stadt den Traditionen ihrer Vorfahren gemäß trainierten. Und im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. hatte die kleine böotische Stadt Tanagra immer noch mehr als 60 Epheben, eingeteilt in zwei „Regimenter“ (tagmata). Die jungen Männer traten bei acht Festspielen in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an, wobei sie eine regelrechte Traditionsbesessenheit an den Tag legten. Einer der Wettkämpfe bestand darin, dass ein plötzlicher Angriff von Infanterie und Kavallerie (prosdromai) simuliert wurde, ein Relikt aus einer Zeit, als die ephebeia auf das Training von Soldaten ausgerichtet war. Eine weitere Disziplin verlangte das Tragen eines Ochsen über eine bestimmte Distanz (boarsion) – ein alter Wettkampf unter jungen Männern. Die ephebeia blieb, zumindest bis zum frühen 3. Jahrhundert n. Chr., ein wichtiges Sozialisationsmedium, indem sie die Sprösslinge der Elitefamilien auf die Führerschaft ihrer Gemeinwesen vorbereitete.

Neue Heiratsmuster und die „Sichtbarkeit“ von Frauen In seiner Grabrede für die gefallenen Athener hatte Perikles 430 v. Chr. wenig über Frauen zu sagen: „Nicht schwächer zu sein als eure gegebene Natur ist großer Ruhm für euch, und so wenig wie möglich Gerede unter den Männern zu erregen, weder Lob noch Tadel.“ Perikles’ ideologisch aufgeladene Äußerung vermag die Stellung der Frau im frühen Griechenland 382

Neue Heiratsmuster und die „Sichtbarkeit“ von Frauen

nicht adäquat zu beschreiben. Er wird damit weder der öffentlichen „Sichtbarkeit“ noch dem Einfluss seiner eigenen Frau, Aspasia, gerecht. Die Rolle der Frau in Familie, Gesellschaft, Wirtschaft, Religion und Kultur gestaltete sich komplex und von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Aber im Allgemeinen standen Frauen unter der Vormundschaft ihres nächsten männlichen Verwandten (kyrios, Herr): Bei einer Unverheirateten war dies ihr Vater oder Bruder, bei einer Verheirateten ihr Ehemann, bei einer Verwitweten ihr Sohn. In den meisten Gemeinwesen konnten Frauen selbst keinen Besitz erben. Sie übernahmen keine öffentlichen Ämter, ausgenommen Priesterämter. Wer in eine Bürgerfamilie hineingeboren wurde, übertrug den Bürgerstatus auf die Nachkommen, da in den meisten Städten nur Ehen zwischen Bürgern als rechtmäßig angesehen wurden; eine Frau selbst war allerdings von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Natürlich konnten einige Frauen Einfluss auf ihre Gatten ausüben. Und bisweilen erfreuten sich Frauen von niederer sozialer Stellung, die jedoch beruflich aktiv waren – Ammen, Wäscherinnen, Köchinnen und Kurtisanen –, einer größeren Bewegungsfreiheit als die Gattinnen und Töchter der Besitzklasse sowie der Freiheit, über ihr Vermögen zu ­bestimmen (zum Beispiel im Zusammenhang mit der Aufstellung von Weihgaben). Das Leben der Frauen im Griechenland vor Alexander war zu komplex, als dass man es einfach als ein Leben im Schatten der Männer betrachten könnte. Die neue Welt, die sich nach Alexanders Eroberungen herausbildete, brachte beträchtliche Veränderungen mit sich. Migration hatte an diesen Veränderungen einen nicht geringen Anteil. Die gestiegene Anzahl von Einwanderern in den städtischen Zentren führte dazu, dass Ehen zwischen Männern und Frauen mit unterschiedlichem Bürgerrecht nun so häufig vorkamen, wie nie zuvor. Vereinbarungen zwischen zwei Gemeinden konnten „Mischehen“ (epigamia) möglich machen. In Städten, die für die Recht­ mäßigkeit einer Ehe bei beiden Partnern Bürgerrechte voraussetzten, wurden die in Mischehen geborenen Kinder immer noch als illegitim betrachtet. Da sich jedoch zahllose Griechen weit entfernt von ihren Heimatstädten aufhielten, mit geringer Aussicht, jemals wieder heimzukehren, und eingeschränkten Möglichkeiten, im Ausland einen Partner aus der gleichen Stadt zu finden, hatten sie gegen eine griechische Gattin mit den Bürgerrechten einer anderen Stadt nichts einzuwenden. All diejenigen aber, die in entlegenen Garnisonen dienten, hatten keine andere Wahl, als eine einheimische Ehefrau zu nehmen. Alexander hatte die Folgen dieser Umstände schon 383

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

e­ rkannt und eine Massenhochzeit zwischen seinen Soldaten und iranischen Frauen organisiert. Ein Ehevertrag aus Ägypten, wo sich derartige Dokumente auf Papyrus erhalten haben, veranschaulicht diesen neuen Stand der Dinge. Er datiert auf 311 v. Chr. und betrifft die Heirat eines Mannes aus Temnos in Kleinasien mit der Tochter eines Mannes aus Kos. Beide Männer sowie die Zeugen, die aus Temnos, Gela, Kyrene und Kos stammten, müssen Söldner im Dienst Ptolemaios’ I. gewesen sein, die sich nun dauerhaft in Ägypten niedergelassen hatten. Herakleides nimmt Demetria aus Kos, beide von freier Geburt, zu seiner rechtmäßigen Frau von ihrem Vater Leptines aus Kos und ihrer Mutter Philotis; sie bringt Gewänder und Schmuck im Wert von 1000 Drachmen mit. Herakleides soll Demetria all das zur Verfügung stellen, was einer freien Ehefrau angemessen ist. Wir sollen dort miteinander leben, wo immer es Leptines und Herakleides nach gemeinsamer Beratung am besten erscheint. Wenn Demetria dabei erwischt wird, wie sie etwas Böses zur Schande ihres Mannes tut, sollen ihr alle Dinge, die sie mitbrachte, genommen werden, aber Herakleides muss das, wessen auch immer er Demetria anklagt, vor drei Männern beweisen, auf die sie sich beide geeinigt haben. Herakleides ist es nicht erlaubt, eine andere Frau nach Hause zu bringen als Beleidigung für Demetria, noch Kinder von einer anderen Frau zu haben, noch Demetria aus irgendeinem Vorwand ein Leid anzutun. Wenn Herakleides dabei erwischt wird, wie er etwas von diesen Dingen tut und Demetria dies vor drei Männern, auf die sie sich beide geeinigt haben, beweist, muss Herakleides Demetria die Mitgift von 1000 Drachmen, die sie mitgebracht hat, zurückgeben und zusätzlich eine Strafe von 1000 Drachmen des alexandrischen Silbergeldes zahlen …

Einige Elemente in diesem Vertrag entsprechen alten griechischen Traditionen: Beide Partner waren frei; die Braut wurde durch den nächsten männlichen Verwandten vertreten; sie brachte eine Mitgift in die Ehe mit, die ihr im Fall einer Scheidung zurückgegeben wurde; der Vertrag schützte die Ehre sowohl des Ehemanns als auch der Ehefrau. Wir sehen jedoch auch lokale Einflüsse: Das explizite Verbot einer zweiten Ehefrau oder Konkubine muss ägyptischem Einfluss zugeschrieben werden. Das neuartigste Element in diesem Vertrag ist aber die Tatsache, dass die Eheleute die Bürgerrechte in unterschiedlichen Städten innehatten. Der Knackpunkt ­ war nicht, ob ihre Kinder Bürgerrechte in einer Stadt bekommen würden, 384

Neue Heiratsmuster und die „Sichtbarkeit“ von Frauen

die sie vermutlich niemals sehen würden, sondern die Rechtmäßigkeit von Kindern und Erbschaft. Da die Vorschriften hinsichtlich der Legitimität einer Ehe flexibler wurden und Bürgerstatus nicht mehr als notwendige Voraussetzung für den Erwerb von Besitz angesehen wurde, erweiterten sich allmählich die Möglichkeiten für Frauen, ihren eigenen Besitz zu erwerben und zu verwalten. In klassischer Zeit war eine Erbin gezwungen gewesen, ihren nächsten männlichen Verwandten zu heiraten, da sie selbst keinen Besitz erben konnte; sie konnte ihn lediglich ihren Kindern übertragen. Dieses Gesetz, das im Handlungsverlauf hellenistischer Komödien und ihrer lateinischen Adaptionen immer noch eine wichtige Rolle spielte, verlor nach und nach an Bedeutung. Frauen selbst erbten Besitz, als Töchter oder Witwen; sie besaßen Werkstätten, große Ländereien und Sklaven; und sie verdienten auch Eigentum durch Berufstätigkeit. Frauen waren in vielen Berufszweigen tätig, von Handel bis Medizin – Unterhaltungskünstlerinnen, wie Musikerinnen, Schauspielerinnen und Dichterinnen, sind in den Quellen am häufigsten vertreten. Wenn eine Frau ihr Vermögen für wohltätige Zwecke einsetzte, wurde sie in der Gesellschaft „sichtbarer“. Neben den Königinnen waren es die wohlhabenden, für ihre Großzügigkeit bekannten Frauen, die sich in hellenistischer Zeit als weibliche Persönlichkeiten hervortaten. Sie stammten für gewöhnlich aus wohlhabenden Familien, was sie mit einem sozialen Netzwerk, Reichtum und dem Potenzial, als Wohltäterinnen aufzutreten, ausstattete. Wenn sie uns bekannt sind, dann aus Inschriften zu ihren Ehren; sie listen ihre Spenden und Stiftungen auf. Solche Frauen stellten die tausend anderen in den Schatten, die anonym blieben, es sei denn, es wurde zu ihrem Gedenken ein Grabstein errichtet. Wohltäterinnen spielten in den Städten auch in der Kaiserzeit eine große Rolle. Auf der Basis ihres Reichtums schmückten sie ihre Städte mit Gebäuden und Statuen; ihnen wurden Liturgien übertragen, und sie übernahmen auf diesem Weg Funktionen, die vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. für Frauen noch unvorstellbar gewesen wären, wie das „eponyme“ Amt des „Kranzträgers“ (stephanephoros) und die Aufsicht über das Gymnasium. Zwei solche außergewöhnlichen Frauen geben einen Eindruck von den Möglichkeiten, die Reichtum eröffnen konnte. Die erste ist eine gewisse Epikteta, eine wohlhabende Witwe. Sie lebte im 3. Jahrhundert v. Chr. auf der Insel Thera und hatte Eigentum geerbt, aber auch selbst zusätzliches Land erworben. Gemäß den Anweisungen ihres verstorbenen 385

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Gatten und Sohnes führte sie die Errichtung eines Musenheiligtums zu Ende und ließ darin Statuen ihrer Verwandten aufstellen. Sie schuf auch einen Klub von Familienmitgliedern, die jährlich in diesem Schrein zusammenkommen sollten, um Gedenkopfer für Epikteta selbst, ihren Gatten und ihre Söhne abzuhalten; die Opfer wurden durch eine Stiftung finanziert. Die Tatsache, dass sie ein Testament hinterlassen hat, zeigt, dass sie frei über ihr Eigentum verfügen konnte. Die zweite außergewöhnliche Frau war Archippe von Kyme im späten 2. Jahrhundert v. Chr. Sie wurde in eine Familie mit berühmten Vorfahren hineingeboren und verwendete ihr geerbtes Vermögen dazu, den Bau eines Ratsgebäudes und ein Festmahl für die gesamte freie Bevölkerung zu ­f inanzieren. Im Gegenzug dafür wurde sie mit einer Statue geehrt; daneben stand eine Statue des personifizierten Volkes, die ihr eine Krone aufs Haupt setzte. Bei den Feierlichkeiten der dionysischen Festspiele erhielt sie tatsächlich eine Krone, und zwar beim Wettkampf der Knabenchöre – also dann, wenn die größte Zuschauerzahl zu erwarten war. Und bei ihrem ­Begräbnis sollte sie einen goldenen Kranz erhalten. Um die Errichtung ihrer Statue zu beschleunigen, bat die Volksversammlung ihren Bruder um Geld, ohne davon auszugehen, dass eine Rückzahlung nötig sei. Als Archippe von einer schweren Krankheit genas, brachte die Stadt den Göttern öffentlich ein Dankopfer dar, wie es auch Kinder für die Rettung ihrer Mutter getan hätten. Eine weitere Gruppe von Frauen mit hoher „gesellschaftlicher Sichtbarkeit“ waren die reisenden Unterhaltungskünstlerinnen. Auch dies hatte seine Ursache in der erhöhten Mobilität, aber auch in der Häufigkeit von Festspielen bzw. im Bedarf an Künstlern. Dichterinnen, Musikerinnen und andere Unterhaltungskünstlerinnen reisten aus­giebig in der griechischen Welt umher, allein oder in Begleitung eines männlichen Verwandten. Die erfolgreichsten unter ihnen wurden für ihre Darbietungen geehrt und erlangten Reichtum und Ruhm. Ein frühes Beispiel einer solchen Frau ist die Trompeterin Aglais (um 270 v. Chr.). Schon ihr von der Muse Aglaia inspirierter Name legt nahe, dass sie zur Künstlerin erzogen worden war, möglicherweise in einer Künstlerfamilie. Sie war für ihren großen Appetit bekannt, der ihr starke Lungen bescherte, die wiederum nötig waren, um die Trompete zu spielen; angeblich aß sie pro Tag bis zu zwölf Pfund Fleisch mit vier Pfund Brot und trank drei Liter Wein. Sie war ein richtiger Star und wurde für den Eindruck, den ihre Darbietung bei Prozessionen und Feierlichkeiten für siegreiche Athleten machte, gerühmt. Ihr größter Moment 386

Neue Heiratsmuster und die „Sichtbarkeit“ von Frauen

war, als sie in Alexandria bei der Prozession der Ptolemaia aufspielte, mit Perücke und Helm mit Helmbusch. Auch die Harfenistin Polygnota aus Theben ist ein aufschlussreiches Beispiel. Im Jahr 86 v. Chr. liefen in Delphi die Vorbereitungen zu den Pythischen Spielen, doch machte Sullas Feldzug in Griechenland das Reisen zu einem gefährlichen Unterfangen und der Wettkampf musste abgesagt werden. Polygnota – mutiger als ihre Kollegen – kam zusammen mit ihrem Cousin nach Delphi und gab eine Reihe von Konzerten, mit spektakulärem Erfolg. Sie wurde für ihre Frömmigkeit und Professionalität geehrt. Zusätzlich zu verschiedenen bedeutenden Privilegien, einschließlich des Rechts, in Delphi Grundbesitz zu erwerben, erhielt sie einen Ehrensold von 500 Drachmen – mehr als ein Söldner in einem Jahr verdiente. Die „Sichtbarkeit“ von Frauen erhöhte sich auch durch religiöse Feierlichkeiten. Schon in früheren Zeiten hatten Mädchen und Frauen an öffentlichen Veranstaltungen und Prozessionen teilgenommen, und sie hatten auch ihre eigenen, exklusiven Feste. Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. stieg jedoch die Zahl von Festen allgemein an, und mit ihnen auch die Gelegenheiten, bei denen Frauen das Haus verließen, um Prozessionen anzuschauen, und kultische Funktionen übernahmen. Zusätzlich wurden neue Feste exklusiv für Frauen eingerichtet, wie die Eisiteria in Magnesia am Mäander, bei denen die Weihung der Statue von Artemis Leukophryene in ihrem neuen Tempel gefeiert wurde. Schenken wir einem literarischen Topos Glauben, dann verloren Mädchen bei Prozessionen und Festen ihren Verstand, ihr Herz und ihre Jungfräulichkeit. Ein Indikator der erhöhten Mobilität von Frauen ist auch die Tatsache, dass sie in Mitgliederlisten freiwilliger Vereinigungen auftauchen, besonders in den Städten der Kaiserzeit. Teils unter römischem Einfluss und teils in Nachahmung männlicher Körperschaften, wie der Volksversammlung, des Ältestenrats und Klubs junger Männer, hatten Frauen nun ihre eigenen Organisationen; die Gattinnen griechischer und römischer Bürger waren in ihnen vertreten; belegt sind diese Organisationen in Dion in Makedonien, in Stratonikeia in Karien und in Akmoneia in Phrygien. Vermutlich hielten sie bei Frauenfesten ihre eigenen Versammlungen ab. Zu ihren Aktivitäten zählte das Aufstellen von Ehrenstatuen – ein kostspieliges Unterfangen: Diese Frauenorganisationen verwalteten ihre Mittel somit wahrscheinlich selbst. Wenn in traditionellen Gesellschaften Frauen ein gewisses Maß an Einfluss gewinnen, tritt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Sorte Mitbürger 387

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

auf den Plan, die die Tradition hochhält. Das in einigen hellenistischen Städten eingeführte Amt des „Frauenaufsehers“ (gynaikonomos) war eine solche Reaktion; Ziel war, das weibliche Rollenbild, den „Anstand“ und die männliche Vorherrschaft zu bewahren.

Shades of Grey: Sklaverei in der hellenistischen Welt und im römischen Osten Sklaverei ist eine der ältesten griechischen Institutionen – sie ist schon in Dokumenten aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. bezeugt. Ihre Definition ist einfach: ein Sklave ist eine Person, die das Eigentum einer anderen Person oder einer Gruppe von Personen (Stadt oder Vereinigung) ist. Oft steht hinter einer einfachen rechtlichen Definition eine äußerst komplexe gesellschaftliche Realität. Die Stellung und das Leben eines Sklaven hingen von seiner ethnischen Herkunft, den Umständen seiner Versklavung, seiner Ausbildung und seinem Beruf ab. Manche wurden schon als Sklaven geboren, andere waren Findelkinder, die als Sklaven aufgezogen wurden, und wieder andere wurden in Nordafrika, Kleinasien und dem nördlichen Balkan gefangen genommen und auf Sklavenmärkten verkauft, waren Kriegsgefangene oder Opfer von Piraten, oder sie verloren ihre Freiheit, weil sie ihre Schulden nicht bezahlt hatten. Sklaven, die in der städtischen Verwaltung (zum Beispiel in Archiven oder als Sicherheitskräfte) oder im Haushalt tätig waren, waren in einer weitaus besseren Lage als diejenigen, die zuhauf in Minen arbeiteten. Sklaven, die für ihre Besitzer in Handel, Handwerk und Bankwesen tätig waren, konnten selbst ein beträchtliches Vermögen erwerben; und die bei der landwirtschaftlichen Produktion eingesetzten Sklaven genossen eine gewisse Form von Unabhängigkeit. Die Geschichte der griechischen Sklaverei – und eigentlich jeder Sklaverei – ist nicht nur, oder nicht einmal hauptsächlich, eine Geschichte rechtlicher Normen und sozioökonomischer Gepflogenheiten, sondern auch eine Geschichte zwischenmenschlicher Beziehungen und individueller Erfahrungen. Individuelle Erfahrungen fügen sich nicht leicht zu einem allgemeinen Bild. Auf der einen Seite sind da die Sklaven, die wir namentlich kennen: Epikles, der Sohn eines kretischen Söldners auf ­Zypern, wurde von Piraten gefangen genommen und verkauft, dann aber befreit und in Amphissa eingebürgert; der Eunuch Krokos wurde zum Erzieher einer kilikischen Prinzessin; Philippos, ein Sklave der Stadt, hatte 388

Shades of Grey: Sklaverei in der hellenistischen Welt und im römischen Osten

genügend finanzielle Mittel, um für das Gymnasium von Metropolis zu spenden (s. S. 365); und Epaphroditos, ein Sklave Trajans und Hadrians, ist als Vertragsnehmer in den Steinbrüchen Ägyptens belegt. Diesen Biographien kann, auf der anderen Seite, das Schicksal der 10 000 anonym gebliebenen Personen gegenübergestellt werden, die angeblich pro Tag auf Delos verkauft wurden, dazu die Tausenden Ruderer auf den Schiffen, die Gladiatoren, die auf Befreiung hoffen konnten, wenn sie ihre Gegner töteten, und die Arbeiter in den Minen und Steinbrüchen. Im 1. Jahrhundert v. Chr. zeichnete Diodor ein düsteres Bild von der Arbeit in den Goldminen in Südägypten: angekettete Menschen, die mit um die Stirn gebundenen Lampen Tag und Nacht arbeiteten. Die körperlich Stärksten brachen den Quarzstein mit Eisenhämmern, dann brachten ihn Jungen durch die Stollen nach draußen, wo er von alten Männern und Frauen zermahlen wurde; diese Menschen mussten unter Peitschenhieben arbeiten, bis sie starben: Und da sie ihren Körper nicht pflegen können und nicht einmal Kleidung haben, um ihre Scham zu bedecken, kann niemand diese Unglückseligen anschauen, ohne wegen ihrer extremen Qualen Mitleid für sie zu empfinden … Aufgrund ihrer extremen Strafe glauben sie, dass die Zukunft immer noch schrecklicher sein wird als die Gegenwart und daher freuen sie sich auf den Tod, der ihnen wünschenswerter ist als das Leben.

So faszinierend Einzelschicksale auch sind, in diesem Kapitel ist nur Raum für allgemeine Entwicklungen. Auch wenn hellenistische Intellektuelle – allen voran Epikur im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. und sein Zeitgenosse Zenon, der Gründer der stoischen Philosophenschule – Sklaverei kritisierten und ihre Existenz nicht der Natur, sondern menschlichen Traditionen zuschrieben, war es nicht die Philosophie, die die Sklaverei veränderte, sondern der Krieg. Erstens bot der Krieg Sklaven, die auf dem Land lebten, Gelegenheiten zur Flucht. Zweitens versuchten viele Städte in verzweifelten Situationen, ihre militärische Stärke zu erhöhen, indem sie Sklaven befreiten und ihnen manchmal sogar die Bürgerrechte verliehen – sie erwarteten im Gegenzug, dass diese ehemaligen Sklaven für die Bewahrung ihres neuen Status kämpften. Und drittens – der wichtigste Punkt – wechselten Sklaven nicht nur durch Piraterie oder Raubzüge, sondern eben auch in den allgegenwärtigen Kriegen, von Alexander bis Actium, den Besitzer, und die Zahl der Freien, die in die Sklaverei verkauft wurden, stieg. Gefangene mit Bürgerstatus konnten von ihren Familien ausgelöst werden und 389

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

anschließend nach Hause zurückkehren, nicht-griechische Sklaven aber wurden in der Regel ins Ausland verkauft. Ein Sklave konnte einen Preis von 100 bis 300 Drachmen erzielen; ein Lösegeld war mindestens doppelt so hoch. Piraten, die zu Kaufleuten und Sklavenhändlern geworden waren und bei Feldzügen im Gefolge der Armeen mitreisten, versorgten die wichtigsten Sklavenmärkte der Ägäis – Rhodos, Delos, Kreta und Ephesos – regelmäßig mit Sklaven. Die Zahlen zu in die Sklaverei verkauften Frauen, Kindern und anderen Gefangenen, wie wir sie in antiken Quellen finden, besonders für die Zeit der römischen Expansion, sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Angeblich versklavten die Ätoler 240 v. Chr. bei einem einzigen Feldzug 50 000 perioikoi – freie Einwohner von Lakonien ohne Bürgerrechte –, und die Römer 167 v. Chr. 150 000 Epiroten. Auch wenn solche Zahlen übertrieben sein mögen, sind sie doch ein Hinweis, dass in gestiegenem Ausmaß Sklaven angeboten wurden, die nicht schon in Sklaverei geboren worden waren. Das wirkte sich nicht nur auf die wirtschaftliche Situation in Italien aus, wo Sklaven im großen Maßstab für die landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion eingesetzt wurden, sondern auch auf die Häufigkeit von Freilassungen. Für einen Sklavenbesitzer war es vorteilhaft, einen Sklaven freizulassen, da er dafür eine Ausgleichszahlung erhielt, die in etwa dem Preis eines Sklaven entsprach; er konnte sich somit einfach einen neuen kaufen. Es kam schon in klassischer Zeit vor, dass Sklaven freigelassen wurden, besonders in großen städtischen Zentren wie Athen. Im Zeusorakel von ­Dodona haben sich aus dem späten 3. und frühen 2. Jahrhundert v. Chr. viele Anfragen von Sklaven erhalten, die wissen wollten, ob sie auf Freilassung hoffen konnten. Die Aussicht auf Freilassung war demnach durchaus realistisch, besonders wenn ein Sklave über eigene Ersparnisse verfügte, um das Lösegeld selbst zu zahlen. Die Freiheit konnte jedoch auch eine Herausforderung sein. Nur Sklaven mit einer gewissen Ausbildung hatten den nötigen Durchblick, um auf eigenen Füßen zu stehen; vermutlich hofften viele Sklaven, weiter für ihre früheren Herren arbeiten zu können – gegen Lohn. Freigelassene waren bisweilen verpflichtet, bis zum Tod ihres früheren Besitzers in dessen Haushalt zu bleiben und ihm weiterhin bestimmte Dienste zu leisten. Für manche Sklaven war diese Verpflichtung, paramone (Verpflichtung, nahe zu bleiben) genannt, ein Segen. Auf einem der Täfelchen aus Dodona, von ca. 300 v. Chr., fragt ein Sklave den Gott, was er hinsichtlich seiner Freilassung tun solle, um das Recht zu bekommen, bei seinem Herrn zu bleiben. 390

Shades of Grey: Sklaverei in der hellenistischen Welt und im römischen Osten

In Zentral- und Nordgriechenland fand eine Freilassung oft in Form einer Weihung oder eines Verkaufs an die Gottheit statt. Eine Freilassungs­ urkunde aus Physkos in Zentralgriechenland aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. ist ein typisches Beispiel: … Anthemo und Ophelion haben der Athena, die in der Stadt der Physker ist, einen Sklavenjungen verkauft, der im Hause geboren wurde und den Namen Soterichos hat, zum Preis von drei Minen, zu den folgenden Bedingungen: Soterichos soll bei Anthemo bleiben und die Befehle von Anthemo ausführen, solange Anthemo lebt. Wenn er nicht bleibt oder ihre Befehle nicht ausführt, hat Anthemo, oder wer auch immer von Anthemo dazu beauftragt wird, die Macht, Soterichos auf die von ihr bevorzugte Weise zu bestrafen. Wenn aber Anthemo stirbt, soll Soterichos frei sein.

Da Freigelassenen nicht das Bürgerrecht verliehen wurde und sie nicht den damit verbundenen rechtlichen Schutz genossen, wurde ihr neuer Status dadurch geschützt, dass sie einem Gott geweiht wurden. Indem sie zum „Eigentum“ eines Gottes wurden, waren ehemalige Sklaven vor Inbesitznahme geschützt: Denn jeder, der versuchte, sie zu versklaven, würde göttliches Eigentum beschlagnahmen. Freilassungen, egal ob per Testament des Besitzers oder in Form eines Verkaufsgeschäfts oder einer Weihung an einen Gott, wurden in Dokumenten festgehalten und im städtischen Archiv verzeichnet. Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. wurden in Heiligtümern immer häufiger Freilassungsurkunden in Stein gemeißelt. Tausende Freilassungsurkunden vom späten 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. haben sich erhalten. Die größte Gruppe aus hellenistischer Zeit, im Heiligtum des Apollon in Delphi, umfasst etwa 1250 solcher Fälle. Man könnte argumentieren, dass sich ab dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. nicht etwa die Anzahl der Freilassungen erhöht hatte, sondern dass lediglich die Praxis, sie in Stein zu meißeln, neu war. Es gibt aber weitere Belege dafür, dass Freilassungen in späthellenistischer Zeit häufiger waren als zuvor, wie Grabsteine und Weihgaben von Freigelassenen. Gründe für diese Zunahme waren womöglich, dass römische Freilassungspraktiken als Vorbild dienten und dass das Angebot an Sklaven nun größer war. Freilassungen waren auch in der Kaiserzeit weitverbreitet. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Entwicklung der Sklaverei in hellenistischer Zeit war die Konzentration von Land in den Händen einiger weniger Grundbesitzer. Dieser Trend erreichte einen Höhepunkt im Prinzipat, als große Ländereien zu den bedeutendsten Vermögensbestandteilen der 391

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

Elite wurden. Erwähnungen von Haushofmeistern (oikonomoi), die diese großen Anwesen verwalteten, sowie Ehreninschriften, aufgestellt von Gruppen von Sklaven für ihren Grundbesitzer, bestätigen ihre Existenz. Auch römische Senatoren und der Kaiser besaßen in den östlichen Provinzen große Landgüter und setzten zu deren Bewirtschaftung Sklaven ein. Die Errichtung des Prinzipats brachte weitere Veränderungen. Sklavenmärkte florierten weiterhin in Städten wie Ephesos, Sardis und Thyateira. Nicht nur Grundbesitzer, sondern auch Unternehmer beschäftigten Sachverwalter (pragmateutai), die ein beträchtliches Maß an Entscheidungsund Bewegungsfreiheit genossen. Die Freigelassenen römischer Bürger und der Kaiser erhielten das römische Bürgerrecht, und dies eröffnete die Möglichkeit zu gesellschaftlichem Aufstieg, wenn nicht ihnen selbst, dann zumindest ihren Nachkommen. Viele Magistrate in römischen Kolonien waren Freigelassene oder die Nachfahren von Freigelassenen. Sklaven erscheinen in den Quellen nun regelmäßig unter den Mitgliedern religiöser Vereinigungen. Andere Gruppen von Sklaven, die in der Kaiserzeit „sichtbarer“ waren als zuvor, sind Findelkinder, die in einer anderen Familie großgezogen wurden (threptoi, trophimoi), und Tempelsklaven (hieroi, hierodouloi). Doch war nicht jeder threptos ein Sklave, und einige „heilige Sklaven“ waren nach weltlichem Recht frei und wurden nur deshalb als „heilig“ bezeichnet, weil ihre Freilassung in Form einer Weihung an einen Gott stattgefunden hatte. Eine ganz neue Kategorie von Sklaven waren die Gladia­ toren. Zwar gab es auch freie Gladiatoren, aber in der Regel waren sie Sklaven oder verurteilte Verbrecher. Gladiatorenschulen (ludi) waren im Besitz von Unternehmern, und manchmal von Mitgliedern der Elite, die sie trainierten und ausbeuteten, um Gladiatorenkämpfe im Rahmen des Kaiserkults zu organisieren. In der Kaiserzeit scheint die Sklaverei heterogener geworden zu sein, die Bandbreite der von Sklaven ausgeführten Aktivitäten größer. Sklaven der Stadt dienten als Wachen, Schreiber und Archivare; private Sklaven wurden bei landwirtschaftlichen Arbeiten, im Handwerk, Bankwesen und im Haushalt sowie als Schullehrer und Aufseher von Kindern eingesetzt. Sklavinnen dienten im Haushalt als Hausmädchen und Ammen. Viele Tänzerinnen, Musikerinnen, Akrobatinnen, Mimentänzerinnen und Prostituierte waren Sklavinnen, und es gab einige wenige Gladiatorinnen. Ein griechischer Sklavenhändler in Rom, Marcus Sempronius Neikokrates, ließ seine „Profession“ auf seinem Grabstein einmeißeln: „Händler schöner Frauen“. 392

Shades of Grey: Sklaverei in der hellenistischen Welt und im römischen Osten

Abb. 28 Das Grabrelief des Sklaven und Händlers Aulus ­Caprilius Timotheos. Amphipolis, ca. 100 n. Chr. SEG XXVIII 537.

In der Kaiserzeit gab es keine rechtmäßigen Ehen unter Sklaven oder zwischen Sklaven und Freien; die Kinder von Sklaven wurden als illegitim betrachtet. Im Haushalt oder in der Landwirtschaft beschäftigte Sklaven konnten jedoch ein eigenes Familienleben haben und Grabsteine errichten, die sich in nichts von denen freier Personen unterscheiden. In einigen Fällen lassen sich sogar Zeichen der Zuneigung zwischen Sklaven und ihren Herren erkennen. Freigelassene konnten es zu Wohlstand und Macht bringen. Aber wie wirkte sich die Erfahrung von Sklaverei auf das Leben eines freigelassenen Sklaven aus? Caprilius Timotheos, ein Freigelassener aus Amphipolis, der um 100 n. Chr. lebte, entschied sich dafür, auf seinem Grabstein nicht nur die Tatsache zu verewigen, dass er ein Freigelassener war, sondern auch, 393

Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen

dass er selbst ein Sklavenhändler geworden war (s. Abb. 28). Er setzte seinen Beruf in zwei Reliefdarstellungen ins Bild: In Ketten marschierende Gefangene im unteren Bildfeld zeigen die Quelle seines Reichtums; eine Weinbauszene im oberen Bildfeld lässt vermuten, dass diese Sklaven, gefangen genommen vermutlich in Thrakien, beim Weinbau in Makedonien eingesetzt wurden. Drückt dieses Grabmonument Timotheos’ Stolz und Freude darüber aus, dass er dem Schicksal jener, denen er seinen späteren Reichtum verdankte, entronnen war? Das wissen wir nicht. Was wir wissen, ist, dass Sklaven in den seltenen Fällen, in denen ihre individuellen Stimmen überliefert sind, Sklaverei als das schrecklichste Schicksal eines Menschen darstellten. Ein gewisser Menandros brachte dies in einem Epigramm zum Ausdruck, das er für seinen Bruder Hyllos verfasste, einen Sklaven und Schullehrer in Ephesos im 1. Jahrhundert n. Chr.: Das Schicksal beweint dich, die unerträgliche Notwendigkeit betrauert deinen Sklavenstatus, den die Parze dir zu tragen gesponnen hat.

Weder philosophische Diskurse noch Rechtsprechung machten dieses Schicksal erträglicher.

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15 Von städtischen Kulten zu Megatheismus: Religionen in einer kosmopolitischen Welt

Globale Entwicklungen, individuelle Erfahrungen In seinem metrischen Mimus „Frauen, die Adonis verehren“ beschreibt der Dichter Theokrit die Erfahrung zweier Frauen bei einem Fest in Alexandria – Theokrit wurde in Syrakus geboren, lebte aber im frühen 3. Jahrhundert in Alexandria. Gorgo lädt ihre Freundin Praxinoa dazu ein, mit ihr zusammen zur Feier des Adonisfestes in den Palast zu gehen: „Lass uns zum Palast unseres reichen Königs Ptolemaios gehen, um den Adonis zu sehen. Ich habe gehört, dass die Königin etwas Schönes vorbereitet hat.“ – „In einem gesegneten Haus ist alles gesegnet.“ – „Was du gesehen hast, kannst du, wenn du selbst es gesehen hast, jemandem erzählen, der es nicht gesehen hat.“

Die beiden Frauen kämpfen sich durch die Menge und erreichen schließlich den Palast: „Praxinoa, komm her und schau dir zuerst die Wandteppiche an, wie fein gewoben sie sind und wie elegant – würdig, um Götter zu kleiden, möchte man sagen.“ – „Herrin Athena, welch große Arbeiterinnen müssen jene gewesen sein, die sie anfertigten, und welch große Künstler, die die Linien so genau zogen! Die Figuren stehen und drehen sich auf so natürliche Art und Weise, als wären sie lebendig und nicht gewebt. Welch ein intelligentes Wesen ist der Mensch! Und schau ihn an; wie wunderschön er ist, wie er da auf seiner silbernen Couch liegt mit dem ersten Bartflaum auf seinen Schläfen, der dreifach geliebte Adonis, sogar im Tode noch geliebt.“

Dieser Mimus, mit all seinen Übertreibungen, zeigt einige zentrale Aspekte religiöser Erfahrung in der kosmopolitischen Welt, wie sie sich nach Alexanders Eroberungen herausgebildet hatte. Auch der städtische und „internationale“ Charakter dieser Welt ist deutlich: Die P ­ rotagonistinnen des Mimus sind 395

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

zwei Frauen aus Sizilien; sie wohnen dem Fest eines Gottes orientalischen Ursprungs bei, einem „Neuankömmling“ in Ägypten. Praxinoa ist von der Illusion fasziniert, die von den Bildern erzeugt wird. Unter dem starken Eindruck der Bilder, verwendet sie die rituelle Akklamation „dreifach geliebter Adonis“ – einen emotionalen Ausdruck der Hingabe. Wir erkennen auch die Wichtigkeit königlichen Handelns in dieser spektakulären Feierlichkeit. Hier wird ein Fest als ästhetische Erfahrung wahrgenommen. Die beiden Frauen nehmen an ihm als Zuschauerinnen eines inszenierten Spektakels teil, über das sie später würden berichten können. Solche Merkmale waren, allgemeiner gesprochen, charakteristisch für die religiöse Erfahrung in der hellenistischen Welt und später im Römischen Reich. Wir müssen Prozesse religiösen Wandels über einen langen Zeitraum hinweg betrachten, auch wenn dabei unvermeidlich wenig Raum bleibt, um lokale Unterschiede und kurzfristige Entwicklungen zu untersuchen. Vom späten 4. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurde die gesamte griechische Welt von denselben Trends beeinflusst, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Man sollte sich regionaler Unterschiede bewusst sein: So war die religiöse Praxis in den griechischen Städten der Nordküste des Schwarzen Meeres beispielsweise von der Verschmelzung griechischer, thrakischer, skythischer und iranischer Gottheiten geprägt, während die Dorfbewohner Anatoliens weiterhin ihre traditionellen Rituale ausführten, die ihren Ursprung in der Bronzezeit hatten, und lokale Götter im griechischen Gewand verehrten. In dieser langen Zeitspanne lassen sich wichtige Wendepunkte ausmachen. In den ersten Jahrzehnten nach den Eroberungen Alexanders emigrierten griechische Siedler nach Ägypten und in den Osten und wurden dort mit fremden Religionen vertraut; sie richteten neue Kulte ein, verehrten lebende und tote Könige, und in städtischen Zentren gab es nun immer mehr private Kultvereinigungen. In der darauffolgenden Zeit, in etwa von der Abhaltung der Ptolemaia in Alexandria kurz nach 280 v. Chr. (s. S. 91f.) bis zur Eroberung des griechischen Festlands durch die Römer 146 v. Chr., lässt sich beobachten, dass griechische Städte alte Feste umstrukturierten und vergrößerten, neue Wettspiele gründeten und lokale Kulte förderten, die sie als wichtig erachteten, um ihrer Identität Ausdruck zu verleihen und an Privilegien zu kommen. Viele diplomatische Missionen, die eine Anerkennung der Unantastbarkeit (asylia) von Heiligtümern erwirken sollten, fallen in diese Zeit, ebenso wie Dekrete, die davon zeugen, dass man die Feierlichkeiten traditioneller Feste spektakulärer gestalten wollte. Die Haupttrends dieser bei396

Was ist „hellenistisch“ an den Religionen des „langen hellenistischen Zeitalters“?

den früheren Phasen fanden ihren Höhepunkt in einer dritten Phase, die von der Einrichtung römischer Provinzialverwaltung in Griechenland bis zum Beginn von Augustus’ Herrschaft anhielt – also von 146 bis 27 v. Chr.: Die Kultvereinigungen wurden zu wichtigen Orten religiöser Praxis, und Mysterienkulte gewannen weiter an Bedeutung. Ausdrucksformen privater Frömmigkeit waren weitaus häufiger und aufwendiger als in früheren Zeiten. Diese Entwicklungen setzten sich in der von Frieden und Mobilität geprägten vierten Phase fort – den ersten beiden Jahrhunderten des Prinzipats, von ca. 27 v. Chr. bis zur Herrschaft Marc Aurels (161–180 n. Chr.). Neben dem Kaiserkult, der in Städten und Regionen nun einen der wichtigsten Anlässe für Opfer und Wettspiele bot, wurden alte lokale Kulte wiederbelebt und luxuriöse Feste organisiert. Lokalpatriotismus, der Wettstreit zwischen Städten sowie die Zurschaustellung von Großzügigkeit durch die Elite beförderten diesen Prozess. Mysterienkulte und Kultvereinigungen boten Auswanderern die Möglichkeit, einer Gemeinschaft anzugehören: einer Gemeinschaft von Kultanhängern. Das Bedürfnis nach göttlichem Schutz stärkte die Bindung von Individuen an einen Kult jenseits der traditionellen städtischen Kulte oder zusätzlich zu diesen. Die jüdische Diaspora trug zu einem Austausch zwischen den religiösen Gruppierungen bei – dahingehend hatte sie bereits in hellenistischer Zeit einen gewaltigen Anteil gehabt, aber nach den erfolglosen jüdischen Aufständen in Judäa und der Kyrenaika war sie weiter angewachsen. Eschatologische Interessen sowie der Wunsch nach einer starken und dauerhaften Verbindung zwischen Sterblichen und dem Göttlichen waren bis dahin von Kulten erfüllt worden, die äußerste, beinahe exklusive, Hingabe an einen Gott forderten. Im 1. Jahrhundert n. Chr. bot das Christentum diesbezüglich eine neue Antwort. Die „Mobilität von Ideen“ innerhalb des Römischen Reiches ermöglichte, dass sich Religionen gegenseitig befruchteten, und reisende Philosophen, „heilige Männer“ und frühchrist­ liche Missionare wurden ein zentraler Faktor in diesem Ideenfluss.

Was ist „hellenistisch“ an den Religionen des „langen hellenistischen Zeitalters“? Man könnte argumentieren, dass sich bei der griechischen Religion in den Jahrhunderten nach Alexander dem Großen wenig verändert hat. Die Griechen verehrten weiter ihre alten Götter. Zugegeben, es wurden einige weitere, wie Serapis und Mithras, hinzugefügt, doch lässt sich dies kaum als ein neues 397

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

Phänomen betrachten. Auch in der Vergangenheit hatte es das schon oft ­gegeben. So war beispielsweise in Athen im späten 5. Jahrhundert v. Chr. der Kult der thrakischen Bendis eingeführt worden; anatolische und nahöstliche Gottheiten wie Kybele und Adonis wurden sogar schon früher verehrt. Griechische Götter wurden weiterhin fremden Göttern angenähert, mit diesen gleichgesetzt oder gemeinsam verehrt, wie im Fall von Artemis und der persischen Anahita, von Hermes und dem ägyptischen Thot oder von Zeus und dem anatolischen Sabazios. Die Form der religiösen Verehrung blieb unverändert, es gab Prozessionen, Opfer, Libationen, Hymnengesang, Gebete sowie athletische und musische Wettkämpfe. Natürlich wurden unter dem Einfluss fremder Religionen auch neue Rituale eingeführt. Das Anzünden von Lampen in den Tempeln traditioneller sowie neuer Gottheiten entstammte zum Beispiel ägyptischer Kultpraxis. Solche neuen Rituale veränderten den Charakter der religiösen Praktiken aber nicht grundlegend. Orakel gaben frustrierten Fragestellern weiterhin ihre mehrdeutigen Antworten. Philosophen spekulierten über die Natur des Göttlichen, wie schon seit dem 6. Jahrhundert v. Chr., und Männer wie Frauen aller gesellschaftlichen Schichten praktizierten weiterhin magische Rituale, in der Hoffnung, sich selbst zu schützen oder das Leben ihrer Gegner unerträglich zu machen. Die Menschen entwickelten äußerst ausgeklügelte und oft widersprüchliche Jenseitsvorstellungen; sie bauten ihre Hoffnung auf ein angenehmes Leben nach dem Tod auf Mysterienkulte und ließen sich initiieren, wie ihre Vorfahren seit Jahrhunderten. Mythen, Heiligtümer und Kulte waren immer schon für politische und diplomatische Zwecke ausgebeutet worden, und auch das änderte sich nach Ale­xanders Eroberungen nicht. In der hellenistischen Zeit wurden Sterbliche, Könige und Wohltäter als Götter verehrt, manche erst nach ihrem Tod, andere schon zu Lebzeiten; nach 196 v. Chr. kamen römische Feldherren und später die römischen Kaiser hinzu. Die Übertragung göttlicher Ehren auf Sterbliche ist keine hellenistische Innovation. Gibt es denn, außer den vielen neuen Festen und einigen neu hinzugekommenen Gottheiten, überhaupt irgendetwas essenziell Neues in Religion und Kult vom späten 4. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr.? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas Abstrakteres berücksichtigen: den Zeitgeist. Inwiefern entsprechen religiöse Praktiken und Vorstellungen ab dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. einer neuen allgemeinen Mentalität? Als eine Möglichkeit, sich dem Zeitgeist des Hellenismus und des frühen Prinzipats zu nähern, könnte man ein spezifisches Vokabular untersuchen, 398

Was ist „hellenistisch“ an den Religionen des „langen hellenistischen Zeitalters“?

sprich: Ausdrücke, die in zeitgenössischen Dokumenten häufig begegnen. Jede historische Epoche hat ihre eigenen Schlagwörter – sie spiegeln die Anliegen und Prioritäten der Zeitgenossen wider; heute wären das zum Beispiel „Nachhaltigkeit“, „Transparenz“, „Soziale Netzwerke“ etc. Für die uns interessierende Epoche finden wir solche Begriffe in öffentlichen Dokumenten, besonders in Beschlüssen der Volksversammlung und in den Werken zeitgenössischer Historiker. Wörter, die entweder zum ersten Mal auftauchen oder aber häufiger als zuvor, liefern uns entscheidende Hinweise auf die Werte und Anliegen der intellektuellen und politischen Elite, die den Diskurs beeinflusste, alte Bräuche wiederbelebte, neue Praktiken einführte, Prioritäten setzte und auf Bedürfnisse reagierte. Es lassen sich mehrere Begriffe und Ausdrücke finden, die als Spiegel der zeitgenössischen religiösen Mentalität dienen können: Spoude (Beflissenheit) und zelos (Wetteifer um Ruhm) bringen einen Trend hin zu intensiven und sichtbaren Frömmigkeitsbekundungen zum Ausdruck. Epauxanein (vergrößern, erweitern) bezieht sich auf quantitative Veränderungen bei den Feierlichkeiten – fast nichts war in der Religion nach dem 4. Jahrhundert v. Chr. neu, aber alles war größer als jemals zuvor. Die Formulierung „damit es für jeden ersichtlich ist, dass ein Gemeinwesen Dankbarkeit zeigt“ begegnet als Phrase am Ende von Ehrendekreten und reflektiert den Trend hin zur theatralischen Zurschaustellung von Gefühlen. Das Wort paradoxon verrät, dass Gegensätze erkannt wurden, zeugt aber auch von einer Faszination für den Kontrast zwischen Erwartung und plötzlicher Veränderung, zwischen Hoffnung und dem Zuschlagen des Schicksals. Zu guter Letzt bringen auch verherrlichende Epitheta, die bei Akklamationen und Lobreden auf Götter verwendet wurden, Einstellungen gegenüber dem Göttlichen zum Ausdruck. Die Epitheta epekoos (der, der Gebete erhört), soter (Retter), megas (groß) und heis (Genitiv: henos; einzeln, einzigartig) zeugen vom Wunsch der Sterblichen, göttlichen Schutz vor Gefahren zu erlangen und eine persönliche Beziehung zu einem Gott aufzubauen. Die modernen Begriffe „Soteriologie“, „Henotheismus“ und „Megatheismus“, die eine starke persön­ liche Hingabe an einen Gott und die Beliebtheit von Gottheiten und Kulten beschrieben, die Sicherheit im Diesseits und Erlösung im Jenseits in Aussicht stellten, sind von diesen Epitheta abgeleitet (s. S. 418). Eine zweite Methode, sich „hellenistischen“ Charakteristika auf dem Feld der Religion zu nähern, besteht darin, die Faktoren zu untersuchen, die damals die Welt prägten und in der Folge auch Religion und religiöse Gefühle beeinflussten. Königtum und später die Etablierung der kaiser­ 399

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lichen Macht zeitigten sichtbare Auswirkungen auf religiöse Praktiken. Da gab es – erstens – den Herrscher- und Kaiserkult, und nicht nur die Institution der Monarchie hatte ihren Einfluss auf Religion und Kult, sondern auch das Interesse der Herrscher an der Zurschaustellung von Luxus. Die in den königlichen Hauptstädten gefeierten Feste setzten neue Trends. Die Könige selbst fungierten auf verschiedene Arten als religiöse Akteure. Sie förderten Kulte, die mit ihren Königshäusern verbunden waren – Ptolemaios I. förderte beispielsweise den Serapiskult. Sie begünstigten Heiligtümer mit ihrer Patronage und Geschenken und wetteiferten darum, ihre Macht in traditionellen Heiligtümern, etwa in Delphi oder auf Delos, zur Schau zu stellen. Sie griffen aktiv in religiöse Angelegenheiten ein – so wurde beispielsweise die Übersetzung der Thora aus dem Hebräischen ins Griechische erst durch die Förderung durch Ptolemaios II. möglich. Und schließlich brachten ihre Soldaten die religiösen Traditionen ihrer Heimat mit an die Orte ihres Einsatzes. Zweitens war in den großen multiethnischen Königreichen und, unter römischer Herrschaft, im vereinigten östlichen Mittelmeerraum und Nahen Osten die Mobilität von Volksgruppen größer als vorher – auch das trug dazu bei, dass sich religiöse Vorstellungen und Kultpraktiken verbreiten konnten. Immer mehr Ausländer und ansässige Fremde nahmen nun an den öffentlichen Kulten von Städten teil, und die Aktivitäten privater Kultvereinigungen steigerten die religiöse Diversität. Auch die intensiven diplomatischen Kontakte zwischen Städten, Städtebünden, Königen und den römischen Autoritäten förderten die „religiöse Mobilität“. Krieg war ein weiterer Faktor – ein wichtiger, nicht nur, weil auch er die Mobilität erhöhte, sondern auch, weil er den Glauben daran reifen ließ, dass Sicherheit und Wohlbefinden von einer erfolgreichen Kommunikation und guten Beziehungen zu den Göttern abhingen. In den Städten gab es weitere Faktoren, die das religiöse Leben beeinflussten: die erhöhte „Sichtbarkeit“ und Macht von Frauen; die Handlungsmacht strenggläubiger Männer (und einiger weniger gleichgesinnter Frauen) hinsichtlich religiöser Innovation; die von Wohltätern angebotene Unterstützung für Kulte und Heiligtümer; und den Beitrag der Elite zur Entwicklung der Religion – dadurch, dass ihre Angehörigen neue Kulte etablierten, spektakuläre Feste organisierten, alte Riten wiederbelebten und neue einführten.

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Festwesen Der Geograph Strabon – er schrieb im 1. Jahrhundert v. Chr., verwendete aber eine ältere Quelle – behauptete, dass es in Taras mehr staatliche Feiertage gab als Arbeitstage. Ähnliches behauptete der hellenistische Reisende Herakleides über Athen (s. S. 145). Wer Athen im 3. Jahrhundert v. Chr. besuchte, den erwarteten „Feste aller Arten; intellektuelles Vergnügen und Entspannung durch alle möglichen Philosophen; viele Gelegenheiten zum Müßiggang; Spektakel ohne Unterbrechung“. Auch wenn wir solche Behauptungen nicht wörtlich nehmen dürfen, können wir davon ausgehen, dass in hellenistischer Zeit häufiger Feste gefeiert wurden als in früheren Epochen. Auf Kos listete ein Kalender von Festen, die um 150 v. Chr. im Gymnasium abgehalten wurden, allein für den Monat Artamitios acht städtische Opfer und Feste auf, bei denen die jungen Männer des Gymnasiums zur Teilnahme verpflichtet waren: das Poseidonfest am 4. Tag des Monats, eine Prozession für König Eumenes II. am 6., das Apollonfest und Prozessionen zu den Heiligtümern des Apollon Kyparissios und der Zwölf Götter am 7., das von Pythokles gestiftete Fest des Zeus Soter am 10., ein Opfer für Dionysos am 12., eine Prozession zum Heiligtum des Apollon Delios am 15., eine Prozession zu Ehren der Musen am 19. sowie eine Prozession für König Attalos II. am 26. Drei dieser Feste waren in hellenistischer Zeit hinzugekommen: Zwei ehrten hellenistische Könige, und eines wurde von einem Wohltäter finanziert. Die Anzahl der Feste nahm stetig zu, insbesondere nach der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. In Griechenland und Kleinasien wurden im 2. Jahrhundert n. Chr. mehr als 500 agonistische Festspiele – Feste, die mit athletischen und/oder musischen Wettkämpfen kombiniert waren – gefeiert. Viele Faktoren trugen zu dieser „Explosion“ des Festwesens bei. Die neuen Städte hatten ihre eigenen Feste einzurichten; politische Ereignisse, für gewöhnlich militärische Siege, wollten gefeiert werden; die Mitglieder der lokalen Eliten wetteiferten im Ausrichten von Festspielen oder spendeten dafür, dass noch luxuriösere Feiern möglich wurden, gründeten Stiftungen, belebten alte Traditionen wieder oder dienten als für die Feste und Wettbewerbe verantwortliche Beamten. Zusätzlich zu den neuen öffentlichen Festen gab es ein gegenüber dem vorhellenistischen Griechenland weitgehend neues Phänomen: Privatfinanzierte Feste wurden eigens gegründet, oft zum Gedenken verstorbener Mitglieder aus Elitefamilien. Eine neue Art von Feierlichkeit war auch der ritualisierte Empfang von Königen, 401

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ausländischen Gesandten, römischen Magistraten und, später, Kaisern und deren Familienmitgliedern in den Städten. Institutionalisierte Theaterwettspiele, eine Seltenheit in der klassischen Epoche, waren in hellenistischer Zeit weitverbreitet und sind für beinahe jede Stadt ab einer gewissen Einwohnerzahl belegt. Und schließlich war ein bedeutender Faktor, dass nun auch die Institution des Gymnasiums weitverbreitet war. Gymnasien waren nicht nur Orte des militärischen und athletischen Trainings und der Bildung, es wurden in ihnen auch reguläre Wettkämpfe und Feierlichkeiten abgehalten. Antike Quellen umschreiben ein Fest für gewöhnlich als „Prozession, Opfer und Wettkampf“ (pompe kai thysia kai agon) und stellen so drei wichtige Bestandteile religiöser Feierlichkeiten heraus: Das Opfer war das bedeutendste kultische Element; die athletischen und musischen Wettkämpfe bildeten den spektakulärsten Teil des Festes; die Prozession erforderte die aktive Beteiligung einer großen Anzahl von Bürgern und Nichtbürgern und konnte so leicht zum Gegenstand detaillierter „Regieanweisungen“ gemacht werden. Eine Inschrift aus Mallos (Antiochia am Pyramos) in Kilikien veranschaulicht die in den neuen Festen evidente Kombination aus Tradition und Innovation. Um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde in dieser Stadt ein Fest eingerichtet zu Ehren der personifizierten Eintracht (Homonoia) und zum Gedenken an das Ende eines Konflikts mit Tarsos (Antiochia am Kydnos). Der Homonoia wurde ein Altar geweiht und am Tag, an dem der Altar errichtet wird, soll eine Prozession abgehalten werden, so schön und so prachtvoll wie möglich, vom Altar des Rates zum Heiligtum der Athena. Die Prozession wird vom demiourgos [dem obersten Beamten] und den prytaneis [Ratsherren] angeführt. Sie werden der Athena und der Homonoia jeweils eine Kuh mit vergoldeten Hörnern opfern. Es sollen an der Prozession teilnehmen die Priester, alle anderen Beamten, die Sieger der Wettkämpfe, der Aufseher des Gymnasiums zusammen mit allen Epheben und jungen Männern sowie der Aufseher der Kinder zusammen mit allen Kindern. Dieser Tag wird ein Feiertag sein; alle Bürger sollen Kränze tragen; alle sollen von der Arbeit befreit sein; die Sklaven sollen von ihren Ketten losgemacht werden …

Die Beamten waren dazu angehalten, ihren Geschmack, ihre Vorstellungskraft und ihr Geld einzusetzen oder die Gepflogenheiten anderer Feste zu kopieren, um die Feier „so schön und so prachtvoll wie möglich“ zu gestal402

Festwesen

ten. Im zeitgenössischen Diskurs über Feste und Prozessionen lassen sich drei Hauptaspekte ausmachen: Größe, Ästhetik und politische Zwischentöne. Die Vergrößerung der Feste – hinsichtlich Dauer, Kosten und Teilnehmerzahl – ist der Trend, der am unmittelbarsten ins Auge fällt. Die von den Königen organisierten Feste setzten neue Standards. Da Feste ein bedeutender Aspekt monarchischer Selbstdarstellung waren, wurden sie geradezu verschwenderisch geplant und durchgeführt, um eine großartige Wirkung zu erzielen und Macht zu demonstrieren. Städte und sogar Privatpersonen ahmten das im Kleinen nach. Die Organisatoren städtischer Feste konnten mit den königlichen Feierlichkeiten wie den Ptolemaia in Alexandria (ca. 274 v. Chr.) zwar nicht konkurrieren, aber sie versuchten, immerhin ihre Vorgänger und andere Städte zu übertreffen. Städte werteten ihre Wettkämpfe und die den siegreichen Athleten verliehenen Preise auf. Es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Anzahl der Teilnehmer, der Priester, der Magistrate, der Sieger, der Epheben, der Bürger und der ansässigen Fremden zu erhöhen. Auf die Größe kam es an. Worauf es noch ankam, waren Schönheit und Ordnung. Da sie gesellschaftliche und politische Strukturen widerspiegelten, aber auch, weil die Menschen die Ästhetik als Strategie anwandten, um das Interesse der Götter zu wecken, waren Prozessionen seit jeher Gegenstand sorgfältiger Inszenierung. Für die Zeit ab der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. lässt sich feststellen, dass Ästhetik und Regieanweisungen eine größere Aufmerksamkeit zuteilwurde. Sakrale Verordnungen ließen sich nicht nur über Fragen zu religiösen Ritualen aus, sondern beschäftigten sich auch mit genauen Regieanweisungen für die aktiven Teilnehmer sowie mit der Vorbereitung, Anordnung, Dekoration und Aufführung der Prozession: der Reinigung von Prozessionswegen, der Beschaffung von während der Prozession getragenen Geräten und Objekten, der Kleidung der Magistrate und der Bevölkerung, der Reihung der Opfertiere nach ihrer Schönheit, der Teilnahme von Reitern, der musikalischen Begleitung sowie der Anordnung der Teilnehmer nach Sippen, Altersgruppen, Hierarchie, Prestige oder Aufgabenbereich. Ein Kultgesetz über einen Mysterienkult in Andania, nahe Messene, aus dem frühen 1. Jahrhundert n. Chr. verrät nichts über die Initiationsrituale, liefert aber eine Vielzahl von Informa­t ionen über eine spektakuläre Prozession, die in Messene begann und vermutlich drei Stunden später beim Heiligtum der Großen Götter in Andania ankam. Mnasistratos, der für die Neuordnung des Kults verantwortlich zeichnete, führte die Prozession an; ihm folgten die Sakralbeamten, die Flötenspieler, die „heiligen Mädchen“ bei 403

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dem Wagen, auf dem die sakralen Objekte der ­Mysterien transportiert wurden, die Frau, die das Festmahl für Demeter organisierte, zusammen mit ihren Gehilfinnen, die „heiligen Frauen“, die Göttinnen verkörperten, die „heiligen Männer“ sowie die Opfertiere. Großer Wert wurde auf Feierlichkeit, Schicklichkeit und Ordnung gelegt. Die Anordnungen legten genau fest, welche Kleidung und Accessoires die Würdenträger und Kultanhänger zu tragen hatten: Kränze für die „heiligen Männer“, weiße Hüte und lange Roben für die „heiligen Frauen“, für die „obersten Eingeweihten“ zu Beginn der Initiation eine Tiara und am Ende ein Lorbeerkranz, weiße Roben und keine Schuhe für die Eingeweihten. Den weiblichen Eingeweihten war es nicht gestattet, durchsichtige Kleidung, Gewänder mit breitem Saum, Juwelen, extravagante Frisuren oder Make-up zu tragen. Dekrete zu Ehren von Personen, die für die erfolgreiche Organisation von Festen verantwortlich waren, stellten die Schönheit der Prozession in den Vordergrund. Ein Dekret aus der make­donischen Stadt Kalindoia von 1 n. Chr. ehrte einen lokalen Wohltäter für die Organisation einer Prozession, die „kunstvoll/bunt“ und „sehenswert“ war. Die verantwortlichen Magistrate wurden geehrt, weil sie ein ansprechendes und schönes Spektakel geboten hatten. Ein solch starkes Interesse an den ästhetischen Aspekten der Götterverehrung gründete auf mehreren historischen und kulturellen Faktoren. Die Allgegenwart raffinierter Theatervorführungen steigerte das Interesse an der Inszenierung von Feierlichkeiten. Informationen über innovative und spektakuläre Feste fanden in Zeiten besserer Reisemöglichkeiten überregionale Verbreitung und konnten eine Kultgemeinde dazu motivieren, das nachzuahmen oder zu übertreffen, was eine andere zuvor geboten hatte. Dabei war noch ein zusätzlicher Faktor im Spiel: der Wunsch, die Gegenwart des Göttlichen zu erleben. Die Begriffe enargeia (Lebendigkeit) und enarges (lebendig), die sich in Rhetorik und Literatur auf die Fähigkeit eines Redners oder Autors beziehen, beim Publikum den Eindruck zu erwecken, es würde das in Worten Beschriebene selbst erleben, wurden sehr häufig in religiösen Kontexten verwendet. Hier bezeichneten sie Erscheinungsformen göttlicher Macht, die einen starken emotionalen Eindruck bei den anwesenden Personen oder Personengruppen hinterließen. Die Inszenierung von Festen war eine der Strategien, die angewandt wurden, um göttliche Macht „auf noch lebendigere Weise präsent“ zu machen und so die Illusion der Präsenz des Gottes aufrechtzuerhalten und die angemessenen Emotionen hervorzurufen. Ein weiterer Grund für die große Bedeutung von Festen in dieser Zeit waren die politischen Vorteile, die sie brachten. Sie boten einer polis die 404

Festwesen

­ elegenheit, eine diplomatische Mission durchzuführen, Besucher anzuzieG hen, gegenüber einem König oder Kaiser Loyalität zur Schau zu stellen, einen Markt abzuhalten, sich selbst zu repräsentieren, der Jugend Traditionen zu vermitteln, ihren Zusammenhalt zu stärken und die Armen von ihren Problemen abzulenken. Weil man Krieg und Überfälle fürchtete, war es den Städten ein großes Anliegen, dass ihre Unantastbarkeit hinsichtlich Überfällen (asylia) von anderen Gemeinwesen anerkannt wurde. Sehr häufig wurde, wenn Gesandte mit einem asylia-Antrag zu Städten, Städtebünden und Königen geschickt wurden, ein Fest umgestaltet, oder andere griechische Gemeinden wurden zur Teilnahme eingeladen. Kos forderte 242 v. Chr. asylia für das Asklepiosheiligtum, und Tenos um dieselbe Zeit für das Heiligtum von Poseidon und Amphitrite sowie für die gesamte Insel; daraufhin erklärte Magnesia sein ganzes Stadtterritorium für unantastbar, als es 208 v. Chr. das Fest der Artemis Leukophryene aufwertete; dasselbe tat Teos, als es 203 v. Chr. sein Gebiet dem Dionysos weihte. Die von Kos, Magnesia und Teos in die ganze griechische Welt geschickten Gesandtschaften sind von allen diplomatischen Unternehmungen, die wir aus der griechischen Antike kennen, die am besten dokumentierten. Asylia-Erklärungen bescherten auch Probleme, denn Verbrecher nutzten bisweilen die asylia von Heiligtümern dazu aus, einer Strafe zu entgehen, und doch wurden sie populär – und zwar in einem solchen Ausmaß, dass der römische Senat 22 n. Chr. alle Ansprüche auf Unantastbarkeit Fall für Fall neu untersuchte und letztlich die meisten von ihnen ablehnte. Alle Feste, die in hellenistischer Zeit gegründet wurden, wie auch viele der neuen Feste der Kaiserzeit, hatten einen politischen und weltlichen Hintergrund. Sie wurden eingerichtet, um ein politisches Ereignis der jüngsten Vergangenheit zu verewigen – wie den Sieg in einem Krieg, die Auflösung einer fremden Garnison oder die Wiederherstellung von Freiheit und Demokratie –, um einen König oder Kaiser zu ehren oder eines Wohltäters zu gedenken. Bei solchen Festen waren religiöse Rituale in einen explizit politischen Kontext eingebettet. Wenn die Athener seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. die Panathenaia feierten, ehrten sie Athena; als die Ätoler im 3. Jahrhundert v. Chr. die Soteria einführten, ehrten sie Apollon Pythios und Zeus Soter. Aber: Die Athener erinnerten an den Sieg Athenas über ­Poseidon, wohingegen die Ätoler ihren Sieg über die Gallier feierten. Diesen Unterschied außer Acht zu lassen, hieße, die weltliche Funktion zu ignorieren, die die Akteure, die es schufen, dem neuen Fest zuschrieben. 405

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Ein gutes Beispiel für die politischen Funktionen von Festen bietet ein Dekret bezüglich eines der ältesten athenischen Feste: der Thargelia. Die zentralen Rituale dieser Feierlichkeit waren die Darbringung der ersten Früchte an Apollon Patroos, den Schutzherrn der Vorfahren, sowie ein Sündenbockritual. Als die Thargelia 129/128 v. Chr. umgestaltet wurden, wurden sie zu einem patriotischen Fest, das die Leistungen der Vorfahren in den Mittelpunkt stellte. Der Mann, der dieses Dekret aufsetzte, erklärte: Es ist eine Norm unserer Ahnherren, ein Brauch des athenischen demos und eine Tradition unserer Vorfahren, sich in höchstem Maße um die Frömmigkeit gegenüber den Göttern zu kümmern. Aus diesem Grund haben sich die Athener den Ruhm und Lobpreis für die glorreichsten Taten sowohl zu Land als auch zu See in vielen Kriegszügen zu Land und an Bord von Schiffen erworben, wobei sie all ihre Unternehmungen stets mit einer Huldigung von Zeus Soter und der Verehrung der Götter begannen. Es gibt auch einen Apollon Pythios, der für die Athener ein Gott ihrer Vorfahren und ein Ratgeber guter Dinge ist, gleichzeitig ein Retter aller Griechen, der Sohn von Zeus und Leto.

Es wurden Maßnahmen ergriffen, um „die Opfer und Ehrungen auf eine schöne und fromme Art zu erweitern“. Dieser Text enthält die wichtigsten Aspekte, die hellenistische Feste charakterisieren: Vergrößerung, Schönheit und politische Zwischentöne.

Das wechselhafte Schicksal der alten Götter Plutarch überliefert in seinem Text „Über den Niedergang der Orakel“ eine mysteriöse Geschichte. Als während der Herrschaft des Tiberius (14–37 n. Chr.) ein gewisser Thamos auf seinem Weg nach Italien an der kleinen Insel Paxoi vorbeisegelte, habe er eine Stimme vernommen, die ihm zu verkünden befahl: „Pan ist tot!“ Antike Götter konnten in der Tat sterben, aber ihr Ableben hatte stets einen tieferen Sinn: Sie wurden zyklisch wiedergeboren und repräsentierten so den jährlichen Kreislauf der Natur – dies soll beim kretischen Zeus der Fall gewesen sein; oder ihr Tod und die Wiederkehr in ein göttliches Leben wurden zur Grundlage eines Mysterienkults, wie im Fall von Dionysos und Osiris; oder er war Teil einer Sonderabmachung – die Dioskuren, unzertrennliche Geschwister, verbrachten jeden zweiten Tag in der Unterwelt; oder der Tod eines Gottes wurde jährlich in 406

Das wechselhafte Schicksal der alten Götter

rituellem Kontext nachgespielt, wie der des Adonis. Griechische Götter starben als Götter nicht wirklich, zumindest nicht, bis sich das Christentum ausbreitete – und einer frühen Episode von Star Trek zufolge zogen sie sich auch dann nur auf Pollux IV zurück, da sie ohne die Liebe der Menschen nicht in der Lage waren, ihre Macht aufrechtzuerhalten. Es ist nicht klar, was wir uns unter Pans angeblichem Tod vorstellen sollen. Die Kulte einzelner Gottheiten hatten mit Sicherheit ihre Höhen und Tiefen. Immer wieder wird in Inschriften erwähnt, dass ein bestimmter Kult auf Initiative eines frommen Kultanhängers, Priesters oder Magistraten wiederbelebt werden musste. Dass ein Kult nicht fortgeführt wurde, konnte einfach an einem Mangel an den nötigen finanziellen Mitteln liegen. In ­einigen hellenistischen Städten wurden Priestertümer bei öffentlichen Auktionen angeboten, um sicherzustellen, dass permanent ein Bürger die regelmäßige Durchführung der Riten beaufsichtigte und sich um die Heiligtümer kümmerte. Manchmal ging die Verehrung eines bestimmten Gottes zurück, wenn eine andere Gottheit populärer wurde. Die Konstellation von Göttern, die in einer griechischen Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt verehrt wurden – wir nennen das üblicherweise das „Pantheon“ einer polis –, veränderte sich stetig. Einige Gottheiten blieben von solchen Veränderungen zugegebenermaßen unberührt. Der allmächtige Zeus stand unter ihnen an erster Stelle, gefolgt von Athena, der Verteidigerin der Städte, und Demeter, der Göttin der Fruchtbarkeit – ihre geheimen Riten wurden alljährlich von Frauen in der ganzen griechischen Welt begangen. Andere bedeutende Gottheiten waren: Dionysos, der nicht nur der Gott des Theaters war, sondern auch mit orgiastischen Ritualen assoziiert wurde und all jenen, die in seine Mysterien eingeweiht waren, ein seliges Leben im Jenseits garantierte; Apollon, der Gott der Musik, der Orakel, der Reinheit und Heilkunst; die Jägerin Artemis, die Beschützerin der Frauen, besonders während der Niederkunft; Aphrodite, die Göttin der Liebe, die auch als Schutzherrin der Magistrate verehrt wurde; Hermes, der Schutzherr der Reisenden und Geschäftsleute; und Hestia, die Beschützerin des Staatsherdes einer Stadt. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. avancierte Asklepios, der Gott der Heilkunst, der anfangs nur an wenigen Orten verehrt wurde, zu einer der beliebtesten Gottheiten. Herakles zählte zwar nicht zu den traditionellen olympischen Göttern, aber viele Menschen riefen ihn in Zeiten der Not an. Sogar schon vor Alexanders Eroberungen hatte der Kontakt der Griechen mit fremden Religionen zu einer Assimilierung ausländischer Gottheiten an 407

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ihre griechischen Pendants geführt, neue Götter wurden von nun an unter fremden oder griechischen Namen verehrt: die thrakische Jägerin Bendis, die anatolische Große Mutter Kybele, der nahöstliche Gott Adonis, die ägyptischen Götter Ammon und Isis, und andere mehr. Nach Alexanders Feldzügen intensivierte sich der Trend natürlich, und noch mehr Kulte wurden aus Asien und Nordafrika übernommen. Und als die Römer Griechenland eroberten und ihre Kolonien gründeten, kamen mehrere italische Gottheiten in den Balkan, nach Kleinasien und in den Nahen Osten: die Kapitolinische Trias – Jupiter, Juno und Minerva, die mit Zeus, Hera und Athena gleichgesetzt wurden – und der Schutzherr der Wälder, Silvanus. An vielen Orten waren uralte lokale Götter die wichtigsten Gottheiten, wie Diktynna und Britomartis auf Kreta, oder solche, die traditionell mit einer Stadt verbunden waren, wie die Nemeseis in Smyrna. Die nicht-griechischen Bevölkerungsteile in den nördlichen Balkangebieten und in Asien verehrten weiterhin ihre traditionellen indigenen Gottheiten. Bisweilen sind schriftliche Zeugnisse über diese Götter erst für die Zeit verfügbar, ab der sich im Zuge der Verbreitung der griechischen Sprache als Lingua franca die Alphabetisierungsrate der indigenen Bevölkerung erhöht hatte: Da die Anzahl von Weihungen mit griechischen Inschriften anstieg, finden wir nun auch die Namen von Gottheiten, die zwar jahrhundertelang verehrt worden waren, von deren Popularität aber nur wenige bis gar keine Spuren zeugen. Viele wurden den griechischen Göttern angeglichen. In Thrakien war beispielsweise der sogenannte Thrakische Reiter beliebt; er wurde für gewöhnlich mit Apollon und Asklepios in Verbindung gebracht und als junger Mann auf einem Pferd dargestellt, der sich einem Altar und einem Baum nähert, um dessen Stamm sich eine Schlange windet (s. Abb. 29). Er wurde als Heros und Rettergott (soter) verehrt, sowie als Gottheit, die Gebete erhört (epekoos). Die Beliebtheit von Göttern lässt sich oft anhand der Epitheta bemessen, mit denen sie in Gebeten und Akklamationen gepriesen wurden. Solche Beinamen bezeugen Zuneigung, Hingabe und den Glauben daran, dass die Götter auf menschliche Bedürfnisse und Bitten antworten. „Retter“ – soter für Götter, soteira für Göttinnen – ist einer der weitverbreitetsten unter ihnen; er wurde auch für etliche hellenistische Könige und vergöttlichte Sterbliche verwendet. Von einem als soter angerufenen und gepriesenen Gott wurde erwartet, dass er Schutz in allen möglichen lebensbedrohlichen Situationen bot: bei Krankheit, Erdbeben, schlechtem Wetter, Verbrechen und Krieg. Götter wie Zeus, seine kriegerische Tochter Athena, die als Polias (Schutz408

Das wechselhafte Schicksal der alten Götter

Abb. 29 Grabrelief des Titus Flavius Kotys mit einer Darstellung des Thrakischen Reiters. Philippopolis, 2./3. Jahrhundert n. Chr. Regionales Archäologisches Museum Plovdiv (Inscriptiones Graecae in Bulgaria Repertae V 5466).

herrin der Stadt) und Nikephoros (Siegbringerin) verehrt wurde, Artemis, die Dioskuren, die Beschützer der Seefahrer und Soldaten, sowie Herakles, als Kallinikos mit schönem Sieg assoziiert, verdankten ihre Beliebtheit ihrem Status als Schirmherren des Krieges. Soldaten und die Verteidiger von Städten konnten jedoch den Schutz der meisten Götter beschwören, von Pan, Gott der Panik, und Ares, dem traditionellen Kriegsgott, bis hin zu Aphrodite Stratia, der Anführerin von Streitkräften, Hermes, dem Verteidiger der Stadttore (Propylaios), und Hekate, der Göttin der Wegkreuzungen, der Zauberei und der Nacht. In der Kaiserzeit wurde diese Schutzfunktion auch dem römischen Kaiser zugeschrieben. Unter den relativ friedlichen Bedingungen, die im Römischen Reich in weiten Teilen der griechischen Welt vorherrschten, umfasste der von einzelnen Kultanhängern und Gemeinwesen erbetene Schutz auch einen Schutz vor anderen Sorgen: vor Nahrungsmittelknappheit, Steuerproblemen, vor 409

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einem Verfall des Stadtbilds, vor Räuberwesen und, in erster Linie, vor Krankheit. Dies erklärt die Popularität von Apollon, seinem Sohn Asklepios und seiner Schwester Artemis. Doch erfüllte eine ganze Schar alter und neuer Gottheiten ähnliche Funktionen: Muttergottheiten wie die Mutter der Götter (Meter Theon), eine alte anatolische Gottheit, die mit Leto (der ­Mutter von Apollon und Artemis) gleichgesetzt wurde, der neue Heilgott Glykon, der Neue Asklepios (s. S. 435–438), und weitere Götter unterschiedlichen Ursprungs, deren Kulte sich über die ausgedehnten Kontaktund Mobilitätsnetzwerke verbreiteten. Die Verehrung der ägyptischen Götter, der Kult des Theos Hypsistos, orientalische Religionen, Mysterienkulte und das Christentum verdienen eine gesonderte Betrachtung.

Ägyptische und ägyptisierende Kulte Die Griechen waren mit ägyptischen Kulten vertraut, lange bevor Alexander Ägypten eroberte. Der mit Zeus identifizierte Ammon wurde bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. verehrt, und ägyptische Einwanderer und Kaufleute hatten den Kult der großen Mondgöttin Isis, der Schwester und Gattin des Osiris, schon vor dem 4. Jahrhundert v. Chr. nach Athen gebracht. Dieser Kulttransfer ist allerdings nicht vergleichbar mit der massiven Verbreitung ägyptischer Kulte ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. und insbesondere nach der römischen Eroberung. Isis, Osiris und Serapis wurden einzeln oder zusammen mit anderen göttlichen Wesen ägyptischen Namens und in fremdartigen Darstellungsformen verehrt: mit dem schakalköpfigen Anubis und dem Kindgott Harpokrates. Mit königlicher Unterstützung fand der Serapiskult weite Verbreitung in Gegenden, die unter ptolemäischem Einfluss standen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er seinen Ursprung in Ägyptens traditioneller Hauptstadt Memphis, wo Apis, ein heiliger Stier, verehrt wurde. Nach seinem Tod wurde der Stier mit Osiris als Oserapis identifiziert. Ptolemaios I. förderte eine Version dieser Gottheit unter dem Namen Sarapis oder Serapis, vermutlich um seinem riesigen multikulturellen Königreich durch einen gemeinsamen Kult einen gewissen Zusammenhalt zu verleihen; so konnten die griechischen Siedler in Ägypten eine lokale Gottheit verehren, die ihnen nicht vollkommen fremdartig und barbarisch erschien. Das Abbild des Gottes (s. Abb. 30), eine künstliche Mischung heterogener Elemente, vereinte 410

Ägyptische und ägyptisierende Kulte

Abb. 30 Marmorstatuette des Serapis. Rom, 4. Jahrhundert n. Chr. Vaticanische Museen.

Züge von Zeus, dem Heilgott Asklepios sowie Pluto, dem Gott der Unterwelt. Serapis wurde zum Schutzherrn der Wahrsagekunst, der Heilkunst, der Fruchtbarkeit und des Jenseits. Dank der Mobilität ptolemäischer Soldaten, Verwaltungsbeamter und Gesandtschaftsreisender verbreitete sich der Kult zuerst in den ptolemäischen Gebieten und Gegenden, in denen die Ptolemäer politisch Einfluss ausübten – auf den ägäischen Inseln und in Kleinasien –, 411

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

und danach im gesamten Mittelmeerraum. Amulette, Statuen und Statuetten, Inschriften und Personennamen (Sarapion, Serapas, Serapammon etc.) bezeugen Serapis’ Popularität bis in die Spätantike. Auf Delos musste der Kult zunächst den Widerstand der Priester des traditionellen Apollonkultes überwinden. Als dies gelang, interpretierten es die Serapispriester als Wunder ihres Gottes, was die Attraktivität des Kultes für seine Anhänger weiter steigerte. Das Erzählen von Wundergeschichten war ein wesentlicher Bestandteil des Serapiskultes. Es gab regionale Unterschiede im Kult des Gottes. So verbrachten seine Anhänger beispielsweise nur im Hauptheiligtum in Memphis längere Zeiträume in Abschottung (enkatochoi). Der Isiskult (s. Abb. 31) hatte seinen Ursprung in ägyptischen Mythen und Riten, wurde jedoch um zusätzliche Elemente bereichert. Ein bedeutender Aspekt dieses Kults war die Abhaltung von Mysterien, die den Eingeweihten versprachen, die Gnade der Göttin im Diesseits und ein seliges Schicksal im Jenseits zu erlangen. Einem ägyptischen Mythos zufolge wurde Osiris von Seth, dem Gott der Wüste, getötet und zerstückelt. Isis gelang es, die Teile des verstümmelten Körpers ihres Bruders wieder einzusammeln. Sie erweckte ihn wieder zum Leben, nahm ihn zu ihrem Gatten und gebar ihren gemeinsamen Sohn Horus. Dieser Mythos von Tod, Wiedergeburt und ewigem Leben bot den Eingeweihten Trost, ermutigte sie dazu, in Osiris’ Reich ein Leben nach dem Tod zu suchen, und gab ihnen Hoffnung im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens. Die heiligen Zeremonien umfassten dramatische Darstellungen von Isis’ Leiden, aufgeführt von Kultdienern. Ein Relief aus Thessalonike zeigt einen Priester, der den Gott Anubis darstellt (s. Abb. 32). Unter dem starken emotionalen Eindruck, den solche kultischen Aufführungen hinterließen, führten die Eingeweihten ein Ritual aus, das ihren eigenen Tod und ihre eigene Wiedergeburt verkörperte. Weil das Nilwasser in ägyptischen Ritualen eine zentrale Bedeutung hatte, wurden in den Heiligtümern der ägyptischen Götter, sei es in Dion in Makedonien oder in Tivoli nahe Rom, Miniatur-„Nile“ geschaffen – die Eingeweihten sollten symbolisch an Osiris’ Geburtsort geführt werden, und es sollte die Illusion einer engen Verbindung mit dem ägyptischen Gott entstehen. In der Kaiserzeit wurde Isis als Schutzherrin der Seefahrt verehrt. Ein Fest der Isis markierte den Beginn der Seefahrtssaison am 5. März. Die Verehrung von Isis erforderte ein höheres Maß an Hingabe und emotionaler Bindung als die traditionellen städtischen Kulte. Religiöse Texte, Hymnen, Wundererzählungen und Berichte von Isis’ Macht, die sogenannten „Aretalogien“, trugen zur Konstruktion ihres Profils als mächtige und 412

Ägyptische und ägyptisierende Kulte

Abb. 31 Votivrelief mit Isisdarstellung. Dion, Makedonien, Ende des 3./Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. Archäologisches Museum Dion.

fürsorgliche Göttin bei. Eine dieser Aretalogien, angeblich die Kopie einer Inschrift in einem ägyptischen Tempel, wurde in mehreren ihrer Heilig­ tümer aufgestellt. Die Göttin spricht darin selbst („Ich bin Isis“) und offenbart ihre Macht. Solche Texte ließen in den Kultgemeinden die Hoffnung auf Erlösung keimen. Die Aretalogien wurden vermutlich von Priesterinnen rezitiert, die dabei die Göttin verkörperten. Einige Passagen aus einer Abschrift des Textes, im 1. Jahrhundert v. Chr. in Kyme aufgestellt, vermitteln uns eine Vorstellung davon, welchen Eindruck diese göttliche Selbstoffenbarung auf die Kultanhänger gehabt haben mochte: Ich bin Isis, die Herrscherin über das ganze Land … Ich bin sie, welche die Früchte des Feldes für die Menschen erfand … Ich trennte die Erde vom Himmel. Ich wies den Sternen ihre Bahnen. Ich bestimmte den Lauf von Sonne und Mond. Ich erfand Fischerei und Seefahrt. Ich machte das Recht stark. Ich führte Frau und Mann zusammen … Ich beendete die Herrschaft von Tyrannen. Ich beendete das Morden. Ich erzwang, dass Frauen von Männern geliebt werden. Ich machte das Recht stärker als Gold und Silber … Ich bin die Herrin des Krieges. Ich bin die Herrin des

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Von städtischen Kulten zu Megatheismus

Abb. 32 Grabrelief des Priesters Aulus Papius Cheilon mit seiner Darstellung als Anubis. Thessalonike, 2. Jahrhundert n. Chr. Archäologisches Museum Thessaloniki.

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Mithras

Blitzes. Ich besänftige das Meer und rege es auf. Ich bin in den Strahlen der Sonne. Ich begleite den Lauf der Sonne. Was immer ich beschließe, wird auch vollbracht.

Isis’ Machtbereiche waren so vielfältig, dass sie ohne Weiteres mit anderen Göttinnen identifiziert werden konnte: mit Artemis Lochia als Beschützerin der Geburt; mit Demeter als Schutzherrin der Landwirtschaft; mit der Mondgöttin Hekate; mit Aphrodite und zahllosen anderen griechischen und orientalischen Göttinnen. Die Erhöhung von Isis über andere göttliche Wesen hinaus und ihre Verbindung mit der Initiation in einen Mysterienkult sind wichtige religiöse Entwicklungen des Späthellenismus und der Kaiserzeit.

Mithras Der Kult des Mithras, des iranischen Gottes des Lichts, war zwar inhaltlich ganz anders als andere Mysterienkulte, aber hinsichtlich der Inszenierung von Zeremonien, der Existenz von sieben verschiedenen Initiationsgraden und der Erwartungen derer, die sich einweihen lassen wollten, gab es durchaus Gemeinsamkeiten. Der Mithraskult war bereits in den hellenistischen Königreichen mit iranischen Bevölkerungsteilen von Bedeutung, besonders in Pontos und Kommagene. Doch wandelte er sich im Lauf des 1. Jahrhunderts v. Chr. unter unbekannten Umständen zum Mysterienkult, und die Ähnlichkeiten mit seinen iranischen Ursprüngen, falls es sie denn gab, waren von nun an immerhin fraglich. Die Eingeweihten trafen sich in ­u nterirdischen Heiligtümern mit künstlich angelegten Höhlen (speleum, an­ trum) und hielten dort Festmähler ab. Zwar ist beinahe gar nichts über die heiligen Texte des Kultes bekannt, aber Mithras’ Ikonographie gibt einige Hinweise auf seine Eigenschaften als siegreicher und lebensbewahrender Gott. Für gewöhnlich wird seine Geburt aus einem Felsen oder der Augenblick seiner Stiertötung dargestellt, wobei er von zwei Fackelträgern begleitet wird; es gibt auch Darstellungen, auf denen er ein Mahl mit dem Sonnengott teilt oder in einem Wagen in den Himmel auffährt. In Szenen, in denen Mithras den Stier tötet, greift ein Skorpion nach den Genitalien des Tieres und ein Hund und eine Schlange recken sich nach dem Blut; Weizenähren sprießen aus dem Schwanz oder der Wunde des Stieres (s. Abb. 33). Anscheinend waren nur Männer zu diesen Mysterien zugelassen, und gewöhnlich 415

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

Abb. 33 Kalksteinrelief: Mithras tötet den Stier. Dura-Europos, ca. 170 n. Chr. Yale University Art Gallery.

waren sie von niederem Ansehen – hauptsächlich Soldaten, aber auch eine beträchtliche Anzahl an Freigelassenen und Kaufleuten. Bis ins späte 2. Jahrhundert n. Chr. fand der Kult in den griechischsprachigen Provinzen keine weite Verbreitung, ausgenommen die mit starker römischer Militärpräsenz, wie insbesondere Syria. Aufgrund der einheitlichen Ikonographie und der weithin bezeugten Benennung der sieben Initiationsgrade (möglicherweise standen sie mit den Planeten in Zusammenhang) lässt sich argumentieren, dass dieser Kult ein gewisses Maß an Homogenität aufwies, was die mit ihm verbundenen Mythen, Rituale und religiösen Ideen anbelangt, auch wenn es lokale Abweichungen gab. Wir wissen jedoch nichts über den oder die Männer, die seine Gründungsprinzipien festgelegt, die maßgeblichen Mythen formuliert, die in den Zeremonien verwendeten Schriften verfasst, die von den Eingeweihten geforderten Prüfungen ersonnen und die Vorbilder für die Szenen entwickelt haben, die mit der Verbreitung des Kults in Mithräen im gesamten Reich unzählige Male kopiert wurden. Eine allmähliche Entwicklung kann 416

Der Höchste Gott, jüdische Einflüsse und monotheistische Tendenzen

nicht ausgeschlossen werden, es ist aber wahrscheinlicher, dass die mithräischen Mysterien in der Form, wie sie sich im Römischen Reich verbreiteten, das Werk eines religiösen Reformers waren, dessen Namen wir heute nur nicht kennen: Es könnte ein Mann wie Alexander von Abonou Teichos gewesen sein, der den Glykonkult begründete, oder wie Paulus, der das Christentum maßgeblich formte.

Der Höchste Gott, jüdische Einflüsse und monotheistische Tendenzen Die Vorstellung, dass ein einziges, unter vielen Namen bekanntes göttliches Wesen existiert, lässt sich bereits in den Schriften griechischer Gelehrter aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. finden. Ein allmächtiger Gott konnte ohne Weiteres in ein tolerantes polytheistisches System eingegliedert werden; die Verehrung eines höchsten göttlichen Wesens konnte neben der Verehrung anderer Götter bestehen; und bisweilen konnten zwei oder drei ursprünglich eigenständige Götter zu einem einzigen verschmelzen – zum Beispiel wurde Zeus Helios Serapis als ein einzelner und einzigartiger Gott betrachtet. Dieser Trend hin zur Verehrung eines einzigen Gottes innerhalb eines polytheistischen Systems zeigte sich zum Beispiel im Kult des Theos Hypsistos. Sein Beiname ist mehrdeutig. Wörtlich bedeutet er „höchster Gott“, er kann jedoch auch als „Gott der Höhen“ und „erhöhter Gott“ übersetzt werden. Das Epitheton Hypsistos wurde gern für Zeus verwendet, schon in vorhellenistischer Zeit, in der Kaiserzeit wurde es jedoch einem anonymen Gott zugewiesen, der lediglich Theos, „Gott“, genannt wurde. In Gegenden, in denen es jüdische Gemeinden gab – in Griechenland, Kleinasien und dem Schwarzmeerraum –, finden sich im Kult des Theos Hypsistos jüdische Einflüsse. In den Gebieten des Bosporanischen Reiches war Theos Hypsistos oft der Name, unter dem die Juden ihren Gott in Gebetshäusern verehrten. Die Anhänger des Theos Hypsistos (Hypsistarii, Hypsistiani) werden bisweilen als theosebeis (Gottesfürchtige) bezeichnet; zumindest einige dieser Gottesfürchtigen waren Heiden, die die jüdische Synagoge besuchten. Es darf bezweifelt werden, dass sich alle Erwähnungen von Theos Hypsistos auf einen einzigen Gott mit einer einheitlichen Theologie beziehen, gesichert ist aber, dass der Kult in den ersten beiden Jahrhunderten v. Chr. bereits beträchtliche Verbreitung gefunden hatte. Ein Orakel des Apollon Klarios bezieht sich möglicherweise auf diesen Gott: 417

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

Selbstgeboren, ohne Lehrer, mutterlos, unerschütterlich, nicht in einem Namen enthalten, vielnamig, im Feuer lebend, dies ist Gott. Ein kleiner Teil Gottes sind wir, seine Engel. Euch, die ihr diese Frage über Gott stellt, was sein Wesen sei, hat er verkündet, dass Äther der allsehende Gott ist. Zu ihm sollt ihr im Morgengrauen beten, ihn anschauen und nach Sonnenaufgang blicken.

Dieses Orakel ermöglichte es, die traditionellen Götter als Engel in die Verehrung des einen Gottes zu integrieren. Es wurde auch von christlichen Autoren zitiert und hinterließ seine Spuren in der religiösen Landschaft in Kleinasien und darüber hinaus. Die in diesem Orakelspruch zutage tretende Vorstellung des Göttlichen wurde bisweilen mit frühem, heidnischem Monotheismus in Verbindung gebracht, doch ist der Terminus Monotheismus – er impliziert die exklusive Verehrung eines einzigen Gottes – ungeeignet, um die religiösen Phänomene dieser Zeit zu beschreiben, mit Ausnahme des Judentums und des Christentums. Nichtjuden und Nichtchristen konnten sich ganz der Verehrung einer Gottheit hingeben, ohne die Existenz anderer Götter zu leugnen. Solche Gläubige neigten dazu, Götter unterschiedlicher Herkunft einander anzugleichen und sie als verschiedene Hypostasen einer einzigen Gottheit zu betrachten; Akklamationen zur Verherrlichung derartiger Götter verwenden das Wort heis (Genitiv: henos) – daher der Begriff Henotheismus: Das heißt, man verschmolz unterschiedliche Götter und schrieb ihnen höchste göttliche Eigenschaften zu. Heis wurde auch in der Bedeutung von einzigartig (nicht „einzig“) verwendet. In vielen Fällen bekannten sich die Anhänger eines bestimmten Gottes jedoch lediglich zu ihren Präferenzen und zur großen Macht ihrer Gottheit, indem sie sie mit dem Attribut megas (für Götter) bzw. megale (für Göttinnen) belegten: „groß“ (oder, im Super­ lativ, megistos). Jeder Gott konnte von einem Individuum, das seine Macht erlebt hatte, als „groß“ gepriesen werden, doch wurden Zeus, Apollon und Artemis unter den Olympiern sowie Serapis und Mes unter den Göttern fremder Herkunft am häufigsten mit diesem Beinamen angerufen, der besondere Hingabe zum Ausdruck brachte. Die Anwesenheit der Götter war mit ihrer Wirkmächtigkeit verbunden, was durch das Epitheton megas ausgedrückt wird. Die Akklamation megas theos (Gott ist groß) oder megas plus der Name einer Gottheit (x ist groß) lässt sich in Hunderten Inschriften, auf Amuletten und in literarischen Texten finden, was den zeitgenössischen Trend widerspiegelt, diejenigen Götter zu verehren, die ihre Macht sichtbar 418

Ein Zeitalter der Wunder

demonstriert hatten. Aufgrund dieser Verwendung von megas wurde Megatheismus als Begriff für diese affektive, beinahe exklusive Art der Verehrung vorgeschlagen. Die physische Präsenz eines Gottes (parousia, epiphaneia), seine durch die Wirksamkeit seines Einschreitens offenbarte Macht (arete, dynamis) sowie seine Bereitschaft, Gebete zu erhören (epekoos) – alles drei spielte im religiösen Leben eine wichtige Rolle. Erwähnungen göttlicher Epiphanien spiegeln das gleiche Verlangen nach einer Präsenz der Götter wider. Göttliche Epitheta wie epidemos (der, der anwesend ist) und epiphanestatos (der, dessen Macht am sichtbarsten ist) implizierten die greifbare, dauerhafte und wirksame Präsenz der Götter in der Welt der Sterblichen. Wundererzählungen lieferten den Beweis für göttliche Macht.

Ein Zeitalter der Wunder Inschriften zeugen von der Manifestation göttlicher Macht oder arete, von Wundern – Heilung, Rettung, aber auch Bestrafung. Die Heilungswunder, die in Heiligtümern des Asklepios in Epidauros, Lebena auf Kreta, Kos und Rom bezeugt sind, veranschaulichen uns die Erfahrung von Pilgern in diesen Heiligtümern. Die Kultanhänger führten zunächst Rituale aus und schliefen dann in einem Schlafsaal oder Inkubationsraum neben dem Tempel. Sie erwarteten, dass der Gott ihnen in einem Traum erscheinen und sie heilen würde. In Epidauros finden wir Heilungsberichte, die sich einer rationalen Erklärung entziehen: Ein Mann hatte einen Stein in seinem Penis. Er sah einen Traum. Er schien Sex mit einem schönen Knaben zu haben, und als er im Schlaf einen Orgasmus hatte, stieß er den Stein aus, hob ihn hoch und ging, ihn in den Händen haltend, davon.

Einige der Menschen, die Inkubation betrieben – die Nacht in einem Heiligtum verbrachten und erwarteten, dass ihnen der Gott in einem Traum erscheinen und Anweisungen geben oder sie heilen würde –, glaubten anschließend wirklich, dass sie geheilt worden waren. Die Inkubation ließ eine Krankheit nicht verschwinden, aber sie veränderte beim Patienten deren subjektive Wahrnehmung. Manche waren eingebildete Kranke, Hypochonder. Sie hielten sich an dem heiligen Ort auf, lauschten den Wundererzählungen und waren dadurch nur allzu bereit zu glauben, dass der Gott auch 419

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

sie gesegnet hatte. Wenn er so viele und so unglaubliche Heilungen vollbracht hatte, wie könnte er dann ihnen eine Heilung verweigern? Andere Patienten litten weiterhin, konnten das aber nicht zugeben. Dass der Gott sie ignorierte, konnte als die Folge einer Sünde gesehen werden. Dementsprechend behaupteten mit Sicherheit einige Patienten, ihr Leiden sei verschwunden, nur um ihr Gesicht zu wahren. Patienten, deren Krankheit psychosomatische Ursprünge hatte, fanden Linderung durch ­Autosuggestion. Und schließlich vollzogen sich viele Heilungen auch ganz von selbst, auf natürlichem Weg, ohne den Eingriff eines Arztes. Eine gewisse Artemisia in Ephesos schielte auf dem linken Auge, weil ein Nerv vorübergehend gelähmt war, wie man auf der Votivtafel erkennen kann, die ihr krankes Auge zeigt (s. Abb. 34). Als ihr Leiden plötzlich verschwand und sie wieder richtig sehen konnte, schrieb sie die Heilung dem Gott zu, zu dem sie gebetet hatte. Dank solcher unbestreitbarer Heilungen, so wenige es davon auch gegeben haben mag, wurden die inschriftlich gesammelten Wunder insgesamt glaubhaft und weckten Hoffnung. Wer immer noch Zweifel hegte oder versucht sein mochte, den Gott zu hintergehen und ihm die obligatorische Weihung zu verweigern, dem dienten Geschichten wie die folgende als Warnung: Ein Mann, der an allen Fingern außer einem gelähmt war, kam als Hilfe­ suchender zu dem Gott. Als er die Tafeln im Heiligtum sah, schenkte er den Heilungen keinen Glauben und machte sich über die Inschriften lustig. Er schlief im Tempel und sah eine Erscheinung. Er schien unter dem Tempel mit Astragalen zu spielen, und als er sie gerade werfen wollte, erschien der Gott, sprang auf seine Hand und zog der Reihe nach an allen seinen Fingern. Als er alle gerade gemacht hatte, fragte ihn der Gott, ob er den Inschriften auf den Tafeln im Heiligtum immer noch keinen Glauben schenken würde, und er verneinte. „Da du ihnen zuvor keinen Glauben schenktest, obwohl sie nicht unglaubwürdig waren, soll von nun an“, sagte er, „dein Name ‚der Ungläubige‘ sein.“ Als es Tag wurde, ging er geheilt davon.

Texte, die eine solche religiöse Mentalität und den Glauben an eine Kommunikation zwischen Sterblichen und Göttern widerspiegeln, finden wir im griechischen und römischen Osten überall. Unter ihnen sind die Berichte über göttliche Eingriffe, heilende und auch strafende, wie wir sie aus Heiligtümern in Kleinasien aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. kennen, ungemein wichtig. Die Bezeichnung „Beichtinschriften“ trifft die Sache nicht exakt; der Name verdankt sich der Tatsache, dass einige der Stifter in den 420

Ein Zeitalter der Wunder

Abb. 34 Dem Zeus Hypsistos geweihte Bronzevotivtafel mit Abbildung der Augen der Artemisia, die unter einer Augenkrankheit litt. Ephesos. 2. Jahrhundert n. Chr. ­Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.

Texten ihre eigenen Vergehen beichten oder die Sünden von Vorfahren oder Verwandten beschreiben. Manchmal erschienen die Götter einem Betroffenen im Traum und gaben ihm Anweisungen oder boten Hilfe, oft waren aber Mittelsmänner vonnöten, die ihren Willen kundtaten: Priester oder Orakel. So bezeugt es eine Inschrift aus Silandos aus dem Jahr 235 n. Chr.: Theodoros, ein Tempelsklave in Silandos, hatte wiederholt das Gebot der sexuellen Enthaltsamkeit verletzt und sogar Ehebruch begangen. Als seine Seh­ fähigkeit beeinträchtigt wurde, ging er in das Heiligtum. Er wurde dort in Gewahrsam genommen und erhielt Anweisungen bezüglich der Rituale, durch die er Mes, den iranischen Mondgott, der ihn bestraft hatte, würde besänftigen können. Die Inschrift liefert keine zusammenhängende Erzählung der Ereignisse, sondern gibt Theodoros’ Geständnisse wieder, gefolgt von göttlichen Äußerungen und rituellen Anweisungen: Ich wurde von den Göttern zu Sinnen gebracht, von Zeus und von dem Großen Mes des Artemidoros … Ich hatte Geschlechtsverkehr mit Trophime, der Sklavin des Haplokomas, der Frau des Eutychis, im praeto­ rium … Während ich ein Sklave der Götter von Nonnos war, hatte ich

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Von städtischen Kulten zu Megatheismus

­ eschlechtsverkehr mit der Flötistin Ariagne … Ich hatte Geschlechts­ G verkehr mit der Flötistin Arethousa.

Die Verlautbarungen des Gottes und die Anweisung, die Sünden zu tilgen, indem man sie auf Dreiergruppen von Tieren übertrug (s. S. 457), wurden vermutlich von Priestern ausgesprochen, die den Gott verkörperten. Theodoros hatte Glück; er behauptet: „Ich hatte Zeus zu meinem Anwalt [parak­ letos].“ Interessanterweise verwendete er in der Inschrift den gleichen Ausdruck und knüpfte an die gleiche Vorstellung an wie der Autor des Ersten Briefes des Johannes, wenn er beteuerte, dass wir, „wenn irgendjemand Sünden begeht, einen Anwalt [parakletos] beim Vater haben, Jesus Christus, den Gerechten“. Auf Fürsprache von Zeus hin bat der Rat der Götter Mes in einem himmlischen Gericht, Theodoros zu vergeben. Letztendlich stellte Mes Theodoros’ Sehvermögen wieder her. Die Erwartung göttlichen Schutzes und die Angst vor göttlicher Vergeltung waren kein Produkt der epigraphischen Kultur der hellenistischen und römischen Zeit; mit Sicherheit wirkte sie aber verstärkend. Eben dieser ­dynamische Austausch von Zurschaustellung und Empfindung veränderte das religiöse Leben. Dank der nun größeren Mobilität verbreiteten sich Ideen und Geschichten, neue Kulte konnten leichter übernommen werden, und Trendsetter bekamen eine noch größere Wirkungsmacht. Jeder, der in ein Heiligtum ging und bereit war, den Wundererzählungen Glauben zu schenken, demonstrierte damit, dass er der Macht eines Gottes vertraute; indem er Frömmigkeit zeigte, verdiente er sich die Aufmerksamkeit des Gottes. Die Berichte über göttliches Wirken zeichneten das Bild eines mächtigen Gottes, der willens war, zu verstehen, beizustehen, anwesend zu sein. Die Beliebtheit einiger Gottheiten in hellenistischer und römischer Zeit war eng mit diesem Bild verknüpft, und es prägte auch den christlichen Gott und seinen Sohn auf Erden. Diejenigen Götter, die „Gebete erhörten“ und mit denen ihre Anhänger in direkten Austausch treten konnten, waren die bedeutendsten.

Schenk mir Gehör: persönliche Kommunikation mit den Göttern Religiöse Praxis ist von drei Gefühlen beherrscht: Furcht, Hoffnung und Dankbarkeit – Furcht vor Bestrafung von Vergehen, Hoffnung auf Beistand in Zeiten der Not, Dankbarkeit für Manifestationen göttlicher Hilfe. Diese 422

Schenk mir Gehör: persönliche Kommunikation mit den Göttern

Gefühle werden durch den Glauben daran gesteigert, dass Götter und Sterbliche miteinander kommunizieren können. Die Menschen im hellenistischen Zeitalter waren nicht die ersten, die sich nach göttlichem Schutz sehnten; dieses Bedürfnis war so alt wie die griechische Religion selbst. Eine wirk­ liche Neuigkeit nach den Feldzügen Alexanders war aber, dass sich eine epigraphische Kultur über die gesamte griechische Welt verbreitete. Weihungen, Lobpreisungen, Wundererzählungen und Ähnliches, was in Stein gemeißelt göttliches Wirken bezeugte, wurden immer häufiger und waren nicht mehr nur auf einige wenige größere Städte und Heiligtümer beschränkt. Eine derart gesteigerte Zurschaustellung erfolgreicher Kommunikation mit den Göttern wirkte sich auf zeitgenössische religiöse Empfindungen und die Wahrnehmung des Göttlichen aus. Auch wenn philosophische Schulen, insbesondere die Epikureer, behaupteten, die Götter seien, selbst wenn sie existierten, für das Leben der Menschen irrelevant: Wer ein Heiligtum besuchte, war von Texten und Bildern umgeben, die belegten, dass die Götter Menschen aus ihrer Not errettet und böse Taten gerächt hatten. Ihre Hoffnung auf Erhörung ihrer Gebete wuchs, wie auch ihre Furcht vor göttlicher Bestrafung. Und gerade weil die Zurschaustellung von Beweisen für göttliches Wirken allgegenwärtig war, wurden Epitheta, die die Anwesenheit, Macht, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Schutzkräfte von Göttern hervorhoben, weitaus häufiger verwendet, um das Göttliche zu charakterisieren, als noch vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. Somit kann die persönliche Kommunikation zwischen Sterblichen und Göttern als ein signifikantes, wenn auch nicht beispielloses, Element der Religiosität in den Jahrhunderten zwischen Alexander und Hadrian betrachtet werden. In der griechischen Welt wurden für diese Kommunikation unterschiedliche „Kanäle“ genutzt – es wurde mündlich und schriftlich, mit Text und Bild kommuniziert. Die Sterblichen verliehen ihren Anliegen in Gebeten Ausdruck. Mit Gelübden versprachen sie beinahe noch im gleichen Atemzug Gegenleistungen. Sie baten um Rat, indem sie in mündlicher und schriftlicher Form Orakel befragten. Sie besänftigten die Götter, wenn sie selbst, aber auch Verwandte oder Vorfahren sich Fehltritte geleistet hatten. In manchen Gegenden Kleinasiens gestanden sie öffentlich ihre Sünden. Mit Fluchtäfelchen – die in die Gräber derer gelegt wurden, die einen unzeitgemäßen oder gewaltsamen Tod erlitten hatten – setzten sie ihre Feinde dem Zorn der Unterweltgötter aus. Mit magischen Substanzen versuchten sie, das Herz des Mannes oder der Frau ihres Begehrens zu gewinnen; mit Beschwörungen und Inkubation in den Heiligtümern des Asklepios suchten 423

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

sie Heilung von Krankheiten. Sie hofften, von den Göttern Rat im Traum zu bekommen. Und wenn sie der Meinung waren, ein Unrecht erlitten zu haben, wandten sie sich mit „Gebeten für Gerechtigkeit“ an die Götter. Wenn ein Wunsch erfüllt wurde, glaubten die Menschen, dass die Götter ihre Gebete erhört, ihr Gelübde angenommen und darauf geantwortet hatten. Im „langen hellenistischen Zeitalter“ fand das Epitheton epekoos – jener, der erhört – weite Verbreitung. Auf Weihreliefs aus der Kaiserzeit (s. Abb. 35) versinnbildlichen die Ohren genau diese Bereitschaft der Götter, Gebete zu erhören. Man glaubte auch, dass sich die Götter durch Zeichen äußerten, wie Vogelflug, Hundegebell, einen plötzlichen Sturm oder einen Donnerschlag. Von kunstreicheren Kommunikationswegen zeugen Orakelsprüche in Prosa- oder Versform, die an einzelne Personen oder Gemeinwesen gerichtet waren. Für gewöhnlich ging es in ihnen um praktische Angelegenheiten, aber für die Zeit ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. sind immer mehr Orakelsprüche belegt, die Anweisungen zur Form des Gottesdienstes und der Rituale gaben oder sogar das Wesen des Göttlichen offenbarten (s. S. 417f.). Träume und Visionen, in denen sich die Götter offenbarten, waren vermutlich ebenso häufig wie in der Zeit vor Alexander, nur dass sie jetzt gern i nschriftlich festgehalten wurden; Menschen waren erpicht darauf, zu ­ erwähnen, dass sie direkt mit einem Gott kommuniziert und göttliche ­ A nweisungen erhalten hatten. Inkubation wurde in einigen Asklepios­ Heiligtümern bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. praktiziert, mit Sicherheit in Athen und Epidauros; in hellenistischer Zeit fand diese Praxis eine noch viel größere Verbreitung und wurde auch in den Tempeln anderer Gottheiten, insbesondere denen des Serapis, betrieben. Kommunikation fand nicht nur auf individueller Ebene statt, denn Zeichen wurden auch von größeren Gruppen beobachtet. Nach einer entscheidenden Schlacht behaupteten die Kämpfer, in den eigenen Reihen Heroen gesehen zu haben; in Milet scheinen die Götter sich im 2. Jahrhundert n. Chr. massiv in die Träume der Menschen gedrängt zu haben; Alexandra, eine Priesterin der Demeter, wunderte sich: Die Götter waren noch nie so manifest in Träumen – sowohl in den Träumen von Mädchen und verheirateten Frauen als auch in denen von Männern und Kindern –, wie seit der Zeit, als sie das Priesteramt übernommen hatte. Was bedeutet das? Und ist es ein gutes Omen?

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Schenk mir Gehör: persönliche Kommunikation mit den Göttern

Abb. 35 Weihung an Dionysos – die Ohren stehen sinnbildlich für den epekoos theos. Aus dem Serapisheiligtum in Thessalonike (IG X.2.1.59), 2. Jahrhundert n. Chr. Archäologisches Museum Thessaloniki.

Um die Bedeutung von Kommunikation für die griechische Religionspraxis zu verstehen, müssen wir ein grundlegendes, aber oft übersehenes Charakteristikum der griechischen Götter berücksichtigen: Sie konnten zu ein und demselben Zeitpunkt nur an einem Ort präsent sein. Die Anwesenheit einer Gottheit an einem bestimmten Ort war das Ergebnis ihrer persönlichen Entscheidung und bot damit Anlass zu Wettbewerb. Wenn Menschen in einer Inschrift von einem Wunder berichteten, eine Weihung tätigten, um ein Gelübde zu erfüllen, oder behaupteten, ihre Weihung würde einem gött­ lichen Auftrag gemäß gemacht, brachten sie damit zur Geltung, dass sie 425

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

erfolgreich mit einer Gottheit kommuniziert und so, wenn auch nur vorübergehend, eine privilegierte Beziehung zum Göttlichen hergestellt hatten. In Epidauros beschrieb ein Junge namens Isyllos im späten 4. Jahrhundert v. Chr. seine Erfahrungen mit dem Heilgott Asklepios in einem Hymnos. Zu der Zeit, als Sparta gerade von einer makedonischen Armee angegriffen wurde, flehte Isyllos den Gott an, ihn von einer Krankheit zu heilen; in einer Vision antwortete der Gott: „Fasse Mut. Ich werde zu gegebener Zeit zu dir kommen. Bleibe dort, während ich von den Spartanern das Unheil abwende …“ So machte er sich auf den Weg nach Sparta.

Während Asklepios in Sparta war, konnte er den Jungen in Epidauros nicht heilen; er führte seine Epiphanien eine nach der anderen aus. Über die Anwesenheit eines Gottes musste also verhandelt werden. Um 100 v. Chr. schrieb ein Redner, dessen Name nicht überliefert ist, in Maroneia in Thrakien einen Lobpreis der Isis; er erinnerte die Göttin darin, dass sie seine Augen geheilt hatte, und verlangte ihre Anwesenheit: Isis, genau wie du meine Gebete bezüglich meiner Augen erhört hast, komme nun, um deinen Lobpreis zu hören und eine zweite Bitte zu erfüllen … Ich bin überzeugt, dass du anwesend sein wirst. Denn da du gekommen bist, als ich dich anrief, um mich zu retten, wie könntest du nicht zu deinem eigenen Lobpreis kommen?

Indem der Autor Isis einlud, die ihr zustehende Ehre zu empfangen, bat er sie, ein weiteres seiner Gebete zu erhören. Diese Notwendigkeit, sich an die Götter zu wenden, war mit konkreten Erwartungen verbunden: Man wünschte sich Schutz, Gesundheit, Reichtum, ein langes Leben. Um 100 v. Chr. errichtete eine private Kultvereinigung in Philadelpheia mehrere A ltäre und weihte sie einem „Konglomerat“ von Personifikationen und ­ Gottheiten, die man nicht nur mit spirituellen Eigenschaften, sondern auch mit materiellen Vorteilen verband: dem gütigen Zeus, der Glückseligkeit (Eudaimonia), dem Reichtum (Ploutos), der Tugend (Arete), der Gesundheit (Hygieia), dem Guten Schicksal (Tyche Agathe), dem Guten Geist (Agathos Daimon), der Erinnerung (Mneme), den Grazien, dem Erfolg (Nike). Diese Vereinigung forderte von ihren Kultanhängern moralische Qualitäten, Reinheit und die Durchführung von Initiationsritualen. Wer sich in einen Mysterienkult einweihen ließ, erwartete, eine persönliche Beziehung zur betreffenden Gottheit aufzubauen. 426

Traditionelle Mysterienkulte

Traditionelle Mysterienkulte Einem Sprichwort zufolge belebt Konkurrenz das Geschäft. Der Mysterienkult der Isis bediente dieselben Bedürfnisse wie die schon vorher existierenden, traditionellen Mysterien – insbesondere die eleusinischen Mysterien, der älteste Initiationskult Griechenlands, und die dionysisch-orphischen Mysterien, die sich seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. zu verbreiten begannen. Der Mythos der Entführung der Persephone oder Kore (Mädchen) durch Pluto, den Gott der Unterwelt, lieferte eine Ätiologie bzw. Erklärung für die in Eleusis, in der Nähe von Athen, abgehaltenen Mysterien: Nach einer verzweifelten Suche schloss Demeter – Persephones Mutter – ein Abkommen mit Pluto, demzufolge Persephone nur einen Teil des Jahres in der Unterwelt verbringen sollte. Als Belohnung für die Gastfreundschaft, die der König von Eleusis ihr hatte zuteilwerden lassen, beschenkte Demeter ihn mit der Gabe der Landwirtschaft. Der Mythos eines göttlichen Kindes, Iakchos (mit Dionysos gleichgesetzt), war schon früh mit diesem Kult verbunden. Gesagtes, Getanes und Gezeigtes (legomena, dromena, deiknymena) spielten eine zentrale Rolle bei den Zeremonien dieser Initiation, über die aber nur wenig bekannt ist. Die Initiation, die anfangs nur griechischsprachigen Personen zugänglich war, war mit Fruchtbarkeit und Jenseitsvorstellungen verbunden. Da die Landwirtschaft dem Mythos zufolge von Demeter zuerst auf athenischem Gebiet eingeführt worden war, forderten die Athener von allen Griechen, in Eleusis Erstlingsopfer darzubringen. In Zeiten des athenischen Niedergangs wurde dieser Brauch vernachlässigt, sporadische Zeugnisse im 1. Jahrhundert v. Chr. und 2. Jahrhundert n. Chr. deuten aber darauf hin, dass es immer wieder einmal Versuche gab, ihn wiederzubeleben. Die Verknüpfung dieser Mysterien mit Reinheitsvorstellungen und die Initiation von Römern, in der Regel berühmten Staatsmännern und Kaisern, stellten zwei bedeutende Innovationen in diesem konservativen Kult dar. Die Verbindung von Mysterien mit moralischen Vorstellungen und ihre Anziehungskraft auf Römer sind auch für die Mysterien der Großen Götter von Samothrake zu beobachten. Nachdem es von der königlichen Patronage Arsinoës II. und Ptolemaios’ II. profitiert hatte, entwickelte sich das Heiligtum der Großen Götter von einem regionalen Kultzentrum zu einem „internationalen“ Heiligtum, das regelmäßige Festgesandtschaften (theoriai) aus vielen Städten sowie Eingeweihte aus so entfernten Gegenden wie Kleinasien, Syrien, Ägypten, Sizilien und Rom anzog. Diese Mysterien waren 427

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

überaus beliebt bei Sklaven und Freigelassenen, Schiffmannschaften und Angehörigen des römischen Militärs. Einen weiteren bedeutenden Mysterienkult gab es in Andania in der Nähe von Messene. Eine lange Inschrift – die ausführlichste erhaltene Kultverordnung aus Griechenland, vermutlich aus dem Jahr 24 n. Chr. – gibt Anweisungen zur Prozession und zu den Feierlichkeiten, ohne jedoch irgendetwas über die religiösen Vorstellungen zu verraten, die mit dem Kult der Großen Götter und ihren Mysterien verbunden waren. Diese Mysterienkulte, sowie viele andere von geringerer Bedeutung, waren jeweils an einen bestimmten Ort gebunden. Im Gegensatz dazu konnten die Mysterien des Dionysos, genauso wie die ägyptischen Mysterien, überall dort abgehalten werden, wo es eine Kultvereinigung (einen thiasos oder ein bakcheion) gab; wir finden diese Vereinigungen in jedem Winkel der griechischen Welt. Man sollte aber nicht annehmen, dass alle dionysischen Vereinigungen beim Abhalten ihrer Mysterien vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis ins späte 3. Jahrhundert n. Chr. denselben Lehren folgten. Einen Einblick in ihre Rituale bekommen wir durch ein paar wenige zufällige Bemerkungen über verschiedene Initiationsgrade, über Kultstätten mit Gewölbegängen, unterirdischen Kammern und künstlichen Höhlen, über Kultbeamte, die Statuen, rituelle Gegenstände, Phalloi und andere heilige Symbole trugen, und über Fackelträger (es muss also nächtliche Zeremonien gegeben haben). Bezeichnungen wie „Oberhirte“ und „Silen“ lassen die Verwendung von Kostümen vermuten. Die dionysischen Mysterien waren uralt. Seit dem späten 6. Jahrhundert v. Chr., wenn nicht sogar schon früher, waren sie mit eschatologischen Vorstellungen verknüpft. Zwar haben uns die dionysischen Eingeweihten keine heiligen Schriften hinterlassen, aber Texte, die in ihre Gräber gelegt wurden, liefern uns einige Informationen über ihre Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod – eine Thematik von elementarer Bedeutung für Religionen im „langen hellenistischen Zeitalter“.

Leben nach dem Tod In Perinthos lässt ein Grabepigramm von ca. 100 n. Chr. einen verstorbenen 18-jährigen Rhetorikstudenten aus Ephesos aus dem Grab zu uns sprechen; er beteuert: „Ich lebe im heiligen Haus der Heroen, nicht in jenem des Acheron [der Fluss der Unterwelt]; denn dies ist das Ziel des Lebens für die 428

Leben nach dem Tod

­ eisen Menschen.“ Sich der Stimme eines Verstorbenen zu bedienen und w ihn bzw. sie aus dem Grab sprechen zu lassen und all denen, die es verdienen – Weisen, Frommen, Gerechten und denen, die jung und mit reinem Gewissen gestorben sind –, ein gutes Leben im Jenseits in Aussicht zu stellen, war eine übliche Praxis, für gewöhnlich eine Strategie der Trauerbewältigung für die Hinterbliebenen. Derselben Technik bedient sich um die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. der alexandrinische Dichter Kallimachos; hier aber dämpft der Dialog zwischen einem Toten und einer Person, die vor dessen Grab steht, die Erwartungen des Lesers: „Wie ist es da unten?“ – „Sehr düster.“ – „Gibt es irgendwelche Straßen nach oben?“ – „Das ist eine Lüge.“ – „Und Pluto?“ – „Ein Mythos.“ – „Ich bin verloren!“ – „Meine Worte sind wahr. Aber wenn dir süße Worte lieber sind, solltest du wissen, dass ein großer Ochse im Hades nur einen Pfennig kostet.“

Was der Dichter in Perinth und Kallimachos gemeinsam haben, ist, dass sie alle beide nicht aus persönlicher Erfahrung sprechen. Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und von der Unterwelt sind das Werk der Einbildungskraft der Lebenden, und doch werden sie gern in den Bericht eines Sterblichen gekleidet, der in die Unterwelt gegangen und zurückgekehrt ist – wie Odysseus oder Orpheus –, oder in den eines Verstorbenen, der einer ihm ­nahestehenden Person im Traum erscheint und ihm das Reich beschreibt, das er jetzt sein Zuhause nennt. So spricht beispielsweise ein Mädchen aus dem kaiserzeitlichen Thyateira aus ihrem Grab: Sofort erschien ich meiner verehrten Mutter in der schwärzesten Nacht und erklärte ihr Folgendes: „Melitine, meine Mutter, hör auf zu trauern, ende die Klage und gedenke meiner Seele, die Zeus, der sich an Blitzen erfreut, unsterblich gemacht hat und ewig jung; er ergriff sie und brachte sie in den bestirnten Himmel.“

Griechische Jenseits- und Unterweltsvorstellungen haben eine lange und komplexe Geschichte. Sie reichten von der völligen Leugnung eines Lebens nach dem Tod bis hin zur Ansicht, der Tod sei ein ewiger Schlaf, und von einer detaillierten Vorstellung der Unterweltsgeographie bis hin zu der ­A nsicht, die Verstorbenen würden sich mit dem Äther vereinigen oder zu Sternen werden. Eine Grabschrift in Smyrna spiegelt eine agnostische Sicht: „Wenn es Wiedergeburt gibt, dann wird dich der Schlaf nicht lange umfangen. Wenn es jedoch keine Wiederkehr gibt, dann wird ewiger Schlaf dich 429

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

umfangen.“ Ein Epigramm aus Amorgos aus der gleichen Zeit lässt einen jungen Mann zu seiner Mutter sprechen: „Mutter, beweine mich nicht, wozu ist das gut? Nun, da ich ein göttlicher Stern am Nachthimmel geworden bin, erweise mir deine Verehrung.“ Derart unterschiedliche und oft widersprüchliche Vorstellungen sind vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis in die Spät­ antike sehr gut in Grabinschriften repräsentiert. In der hellenistischen Epoche und der Kaiserzeit lassen sich aber einige bedeutende Entwicklungen beobachten. Einer alten und weitverbreiteten Vorstellung zufolge ist der Tod eine Reise, die den Verstorbenen in eine dunkle Gegend unter der Erde bringt. Nur ganz wenige Personen haben ein anderes Ziel – die Insel der Seligen oder die Elysischen Gefilde, wo sie ein ewiges Leben in Freude erwartet. Einer anderen weitverbreiteten Ansicht zufolge wurde die Seele des Verstorbenen mit dem Äther vereinigt. Schon in klassischer Zeit wurde ein gutes Leben nach dem Tod mit einer Initiation in einen Mysterienkult verbunden, in die eleusinischen und die dionysischen Mysterien. Durch beschriftete Goldtäfelchen, die vielen Verstorbenen auf den Mund gelegt wurden, und durch literarische Quellen über die Sekten der Orphiker und der Pythagoreer, die mit der Figur des Dionysos verbunden waren, haben wir einige Informationen über die Jenseitsvorstellungen dieser Eingeweihten. Die dionysischen Mysterien wurzelten in der mutmaßlichen Dichotomie zwischen sterblichem Körper und unsterblicher, göttlicher Seele. Moralisches Verhalten zu Lebzeiten, das Studium der Riten und heiligen Schriften sowie die Befolgung ritueller Reinheitsgebote stellten sicher, dass der Eingeweihte einer Wiedergeburt – dem Schicksal gewöhnlicher Sterblicher – entkam und stattdessen an einem ewigen Festmahl der Götter teilnahm. Durch die Initiation in die Mysterien wurden die Eingeweihten sich des göttlichen Ursprungs ihrer Seele bewusst und auf ihre Reise in die Unterwelt vorbereitet. Goldtäfelchen mit kurzen, eingravierten Texten, wie man sie in die Gräber von Eingeweihten legte, wurden im hellenistischen Makedonien, Thessalien, auf der Peloponnes sowie auf Kreta gefunden und bezeugen die anhaltende Beliebtheit dieser Mysterien. Einige Texte geben den Verstorbenen Anweisungen hinsichtlich des Pfads, dem sie in der Unterwelt folgen sollen, ermahnen sie, nicht aus dem Brunnen des Vergessens zu trinken, und enthüllen ihnen, was sie sagen sollen, wenn sie den Wächtern der Unterwelt oder Persephone selbst begegnen: „Ich bin der Sohn der Erde und des bestirnten Himmels“, „Dionysos selbst hat mich befreit“. Wenn sich der Eingeweihte im Moment seines Todes der Lehren des Kults erinnerte, würde 430

Leben nach dem Tod

er oder sie – die Initiation von Frauen war erlaubt – an den Ort gelangen, der in der Unterwelt für die Seligen und Frommen reserviert war. Die Initiation allein war allerdings nicht genug. Ein seliges Leben nach dem Tod setzte ein frommes Leben voraus. Dass nun Werte statt Taten betont wurden, spiegelt eine bedeutende Veränderung der Einstellung gegenüber Ritualen wider, die bereits im späten 5. Jahrhundert v. Chr. zutage getreten ist. Einer Ansicht zufolge, die sich zunehmend durchsetzte – sie fand zuerst durch Intellektuelle wie Euripides Ausdruck und ist danach auch unter ­R itualexperten belegt –, hing die Wirksamkeit von Ritualen nicht nur davon ab, ob etwa ein „Drehbuch“ genau befolgt wurde, sondern auch von Rechtfertigungen und dem Einhalten von Werten. Schutzflehende wurden nicht automatisch aufgenommen, wenn sie einen Altar erreichten; ganz im Gegenteil, es wurden Maßnahmen eingeführt, um Verbrecher von den Zufluchtsstätten auszuschließen. Die Verfasser von Flüchen verließen sich nicht allein auf korrekte Fluchformeln, sie rechtfertigten auch sich selbst, wobei sie ein eigenes Genre von Flüchen schufen, die als „Gebete für Gerechtigkeit“ bekannt sind. Das Ritual der Reinigung fokussierte nicht mehr allein auf die Reinheit des Körpers, wie dies bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. der Fall gewesen war, sondern schloss nun auch das Herz mit ein. Die Verehrung der Götter verlangte verbale Äußerungen der Hingabe, nicht bloß Opfer. Gleichermaßen begannen Mysterienkulte, zusätzlich zur Initiation auch die Verpflichtung auf moralische Werte einzufordern. Die Statuten einer Kultvereinigung in Philadelpheia von ca. 100 v. Chr. (s. S. 426) beschäftigten sich mit dem moralischen Verhalten der Eingeweihten und verboten Betrug, die Verwendung von Giften und Zaubertränken, außereheliche Beziehungen und Abtreibung; sie verdammten nicht nur diejenigen, die die Regeln verletzt haben, sondern sogar alle, die auch nur von einem Fehltritt wussten und nichts dagegen unternahmen. Für die hellenistische und besonders die Kaiserzeit finden wir vermehrt Hinweise, dass Gerechtigkeit und Frömmigkeit Voraussetzungen waren für ein seliges Leben nach dem Tod. Ein weiterer bedeutender Trend ist die Heroisierung von Sterblichen. In früheren Epochen wurden Kriegsgefallene und Städtegründer heroisiert, in hellenistischer Zeit wurde dies, aufgrund von deren dominierender Stellung, auch für politische Führer und später Wohltäter üblich. Unter dem Einfluss der Heroisierung von Personen des öffentlichen Lebens verbreitete sich diese Praxis in der hellenistischen Gesellschaft, und wohlhabende Menschen erhoben verstorbene Familienmitglieder in den Status von Heroen und richteten Kulte für sie ein. 431

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

Religiöse Erneuerung: Kultgründer, Missionare und „heilige Männer“ Im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. wurden einige neue Heiligtümer und Kulte auf die Initiative von Einzelpersonen hin gegründet. Der Kult des Heilgottes Asklepios verdankt seine weite Verbreitung im späten 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. der Initiative von Missionaren und Kultanhängern; der Tragödiendichter Sophokles war einer von ihnen, er beherbergte Asklepios’ Kult in seinem eigenen Haus. Solche privaten Kultgründungen erlebten in der hellenistischen Zeit einen gewaltigen Boom. Dieser Trend trat im 3. Jahrhundert v. Chr. deutlich zutage, insbesondere bei der Gründung von Serapisheiligtümern durch seine Anhänger, und setzte sich in der Kaiserzeit fort. Die Beweggründe derer, die solche religiösen Innovationen anstießen, waren unterschiedlich. Einige waren Auswanderer und ließen sich von ihrer Dankbarkeit den Göttern gegenüber leiten, die ihnen geholfen hatten, andere glaubten, dass ihnen von einem Gott eine Mission übertragen worden war, wieder andere waren „heilige Männer“, die eine besondere Beziehung mit dem Göttlichen für sich beanspruchten. Dazu kamen städtische Wohltäter, die ihren Namen mit einem öffentlichen Fest verknüpfen wollten, Konservative, die vergessene Traditionen wiederbeleben wollten, oder Männer und Frauen, die das Andenken an verstorbene Familienmitglieder am Leben halten wollten, indem sie Kulte zu deren Gedenken einrichteten. Auch die Handlungsmacht der Könige spielte eine wichtige Rolle. Ptolemäische Soldaten trugen zur Verbreitung des Serapiskults bei. In der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. erließ der Mauryakönig von Indien, Ashoka – ein glühender Buddhist –, ein Edikt, in dem er dem Krieg entsagte und ethische Prinzipien des Buddhismus propagierte. Er ließ diesen Text auf Griechisch übersetzen und an öffentlichen Orten einmeißeln, und er entsandte Mönche in den Westen. Seine Inschrift behauptet, dass Griechen in den hellenistischen Königreichen zum Buddhismus konvertiert seien, aber dies ist lediglich für jene Gebiete bezeugt, die später von den griechisch-baktrischen bzw. von den griechisch-indischen Königen regiert wurden. Und im späten 1. Jahrhundert v. Chr. leitete König Antiochos I. von Kommagene – berühmt für sein Heiligtum und seine Grabanlage auf dem Nemrud Dag˘ in der Türkei – religiöse Reformen ein, die auf einer Mischung aus hellenistischen Praktiken des Herrscherkults und religiösen Vorstellungen des Zoroastrismus, griechischen und iranischen Ritualen sowie griechischen, iranischen und armenischen Gottheiten basierten. 432

Religiöse Erneuerung: Kultgründer, Missionare und „heilige Männer“

Es gab viel mehr Kultgründungen durch einfache Leute als solche aufwendigen religiösen Reformen. Artemidoros, ursprünglich ein Bürger von Perge in Pamphylien, ist ein frühes Beispiel eines eifrigen Kultgründers. Er hatte in den Armeen der Ptolemäer gedient (ca. 285–245 v. Chr.) und ließ sich im Alter, wohlhabend, auf der Insel Thera nieder. Dort renovierte er den Tempel der ägyptischen Götter; nach einem Traum, in dem ihm die personifizierte Eintracht erschien und ihm die Errichtung eines Altars für sie empfahl, gründete Artemidoros ihr zu Ehren einen Sakralbezirk und richtete darin auch mehreren anderen Gottheiten, größtenteils fremden Ursprungs, Kulte ein. Was diese Götter gemeinsam hatten, waren ihre Schutzkräfte – es handelte sich um: die Dioskouroi Soteres, die Schutzgötter der Seeleute und Soldaten; die Großen Götter von Samothrake, die als Beschützer von Menschen in Not angesehen wurden; die lokalen Gottheiten Zeus Olympios, Apollon Stephanephoros, Poseidon und Hekate Phosphoros; den Fruchtbarkeitsgott Priapos; Tyche, die Personifizierung des Schicksals; und die Heroinen. Und ein Altar war der Artemis von Perge geweiht, der Göttin von Artemidoros’ Vaterland, seiner persönlichen Retterin (Soteira). Sehr oft war eine Neugründung jedoch weniger aufwendig als im Fall der Konstellation von Göttern bei Artemidoros. Als beispielsweise ein gewisser Menophilos eine Epiphanie des Zeus erlebte, errichtete er einen Altar; der Gott, dem auf diesem Altar geopfert wurde, wurde als der „Große Zeus des Menophilos“ bezeichnet. In seltenen Fällen erlangte ein neuer Kult regionale Beliebtheit. Ein gewisser Artemidoros, den wir nur aus diesem Kontext kennen, gründete in der lydischen Stadt Axiotta eine Kultstätte; sie wurde dem „Mes des Artemidoros von Axiotta“ geweiht; von Axiotta aus breitete sich der Kult über weitere Gegenden in Lydien und Phrygien aus. Die inschriftlich festgehaltenen Berichte von Mes’ Heilungs- und Bestrafungswundern verbreiteten dessen Ruf als mächtiger Gott, der von seinen Anhängern beständig Lobpreis forderte. Die Einführung eines neuen Kultes setzte in der Regel die Stiftung finanzieller Mittel voraus. Für Feste, die ihren Sponsor verherrlichten, waren die Mittel eingeschränkt, und die Feierlichkeiten fielen bescheiden aus: Es gab ein Opfer, von einem Festmahl begleitet, manchmal eine Chordarbietung oder einen athletischen Wettkampf. In der Kaiserzeit führte der wachsende Konkurrenzkampf unter den Wohltätern allerdings dazu, dass extravagante Feste veranstaltet wurden wie das, das 104 n. Chr. Gaius Vibius Salutaris, ein wohlhabender Bürger von Ephesos und römischer Ritter, in seiner Stadt finanzierte. Salutaris stellte die Mittel für die Anfertigung einer goldenen 433

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

Statue der Artemis sowie von 28 Silberstatuen zur Verfügung – acht von ihnen stellten die Göttin dar, die übrigen Kaiser Trajan und seine Frau Plotina, den römischen Senat und das römische Volk, König Lysimachos (den Gründer der hellenistischen Stadt) und Personifikationen, die römische und ephesische Institutionen und Orte verewigten, die für die lokale Identität von Bedeutung waren. Bei öffentlichen Veranstaltungen wurden die Statuen in einer Prozession vom Tempel der Artemis zum Theater getragen und dort ausgestellt. Salutaris’ Stiftung verherrlichte die lokale Gottheit, stellte Loyalität zu Rom zur Schau und vermittelte Elemente der lokalen Geschichte sowie bürgerliche Werte. Ein besonderer Typus eines religiösen Akteurs in der frühen Kaiserzeit war der „heilige Mann“, ein Wanderprediger mit theologischen und philosophischen Interessen. Philostrat, ein Autor des frühen 3. Jahrhunderts n. Chr., schildert das Leben eines solchen Mannes: Der im kappadokischen Tyana geborene Apollonios war ein Anhänger der pythagoreischen Philosophie; darüber hinaus war er selbst ein Philosoph, führte ein Leben auf Wanderschaft und reiste bis nach Indien, um die Quelle der Weisheit zu finden. Er erlangte den Ruf eines Mannes mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und der Macht, Wunder zu vollbringen: So erzählte man sich beispielsweise, Apollonios habe am 18. September 96 n. Chr. gegen Mittag in Ephesos verkündet, dass er soeben der Ermordung Kaiser Domitians in Rom beigewohnt habe – er rühmte den Akt als Tyrannenmord. Das meiste davon ist Fiktion. Dass Apollonios den pythagoreischen Lehren von der Trennung zwischen sterblichem Körper und unsterblicher Seele und von der Wiedergeburt und dem Entkommen der Wiedergeburt durch ein gerechtes Leben folgte, ist plausibel – schließlich gewannen diese pythagoreischen Vorstellungen in der Kaiserzeit an Beliebtheit. Es ist außerdem sehr wahrscheinlich, dass Apollonios sein Leben größtenteils auf Reisen in Kleinasien und angrenzenden Gebieten wie Syrien und Kreta verbrachte – so ein Wanderleben war unter Philosophen durchaus üblich. Auch seine Kritik an der Opferpraxis und seine Ansicht, dass Gott als reiner Geist nicht auf Gebete und Opfer ­reagiere, sondern auf eine spirituelle Verehrung durch den menschlichen Geist, können für die Kaiserzeit nicht überraschen. Ein Orakel des Apollon von Didyma aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. lässt den Gott beteuern, dass die Unsterblichen nicht an Opfern interessiert sind: Was Apollon Freude bereitet, sind Hymnen, je älter desto besser. Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen den Wundergeschichten des Apollonios und denen von Jesus, wurde Ersterer im späten 3. und im 4. Jahrhundert n. Chr. zum Objekt der 434

Religiöse Erneuerung: Kultgründer, Missionare und „heilige Männer“

Bewunderung durch die Anhänger der traditionellen Götter und zugleich zur Zielscheibe für Angriffe vonseiten der Christen. Lange nachdem das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war, glaubte man in den Städten des Ostens immer noch an die Schutzkräfte von Talismanen, die Apollonios zugeschrieben wurden. Ein Kult übertraf die übrigen Kultgründungen an Raffinesse; er wurde kurz nach Hadrians Tod von einem gewissen Alexander in dessen Heimatstadt Abonou Teichos an der türkischen Küste des Schwarzen Meeres eingeführt. Apollonios von Tyana war sein Mentor. In seinem Alexander oder der Lügenprophet stellt Lukian diesen Alexander als einen Hochstapler dar, der bei seiner Suche nach der besten Methode, an Geld und Macht zu kommen, realisierte, dass das Leben der Menschen von Furcht und Hoffnung regiert wird, und infolgedessen von dem Wunsch, die Zukunft vorherzusehen. Mit Blick auf materiellen Profit überredete Alexander seine Mitbürger, einen Tempel für Asklepios zu erbauen. Dann überzeugte er sie davon, dass eine Schlange von ungewöhnlicher Größe und Schönheit, Glykon (der Süße), der Neue Asklepios sei. Der Tempel wurde zum Zentrum von Wahrsagung, Wunderheilungen und einem Mysterienkult. Münzen, Statuetten und Inschriften bestätigen die Verbreitung dieses Kultes in ganz Kleinasien. Sogar der römische Provinzstatthalter von Cappadocia, Rutilianus, soll das Orakel befragt haben, und seine Tochter heiratete den Kultgründer. Eine wirkliche Innovation war, dass die Orakel des Schlangengottes mit menschlicher Stimme verkündet wurden: Lukian zufolge setzte sich Alexander in einem dunklen Raum auf ein Sofa, in majestätische Gewänder gekleidet und mit Glykon auf seinem Schoß. Er wickelte sich die Schlange um den Hals und ließ ihren langen Schwanz über seinen Schoß auf den Boden fallen, ihren Kopf hielt er jedoch unter seinem Arm verborgen; stattdessen zeigte er einen Kopf aus Stoff, an den die Luftröhren von Kranichen angebracht waren. Einer seiner Mitarbeiter beantwortete die Fragen, indem er in diese Röhre sprach und so den Eindruck erweckte, es sei die Stimme der Schlange zu hören. Unter dem Einfluss pythagoreischer Vorstellungen von der Seelenwanderung predigte Alexander, dass ein Mensch durch eine richtige und reine Lebensweise aus dem Kreislauf der Wiedergeburten befreit werden könne. Lebensweise und moralische Qualitäten bestimmten das Schicksal der Seele nach dem Tod: Wiedergeburt im Körper eines Tieres, Königs oder Sklaven, oder aber Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburt und Vereinigung mit den Seligen und den Göttern. Für die breite Masse von Anhängern 435

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

führte Alexander ein Initiationsritual ein, das die Mysterien von Eleusis nachahmte, den ältesten und prestigeträchtigsten griechischen Mysterienkult. Trotz der Übertreibungen, wie sie von einem satirischen Autor zu erwarten sind, vermag uns Lukians Beschreibung dieses Rituals einen Eindruck davon zu geben, welche Rolle „heilige Dramen“, Klänge und Licht, Kostüme und Gesang in einem Mysterienkult spielten: Am ersten Tag gab es, wie in Athen, eine Verkündigung, die lautete: „Wenn irgendein Gottloser oder Christ oder Epikureer gekommen ist, um die Riten auszuspionieren, soll er verschwinden. Die an den Gott glauben, sollen die Mysterien durchführen, zu gutem Gelingen.“ Dann fand gleich zu Beginn die Austreibung statt. Er begann mit den Worten „Hinaus mit den Christen“, und die gesamte Menge antwortete „Hinaus mit den Epikureern“. Dann wurden die Niederkunft der Leto, die Geburt Apollons, seine Hochzeit mit Koronis und die Geburt des Asklepios aufgeführt; am zweiten Tag die Epiphanie des Glykon und die Geburt des Gottes; am dritten Tag die Hochzeit von Podaleirios [dem Sohn des Asklepios] und der Mutter Alexanders. Dies wurde der Tag der Fackeln genannt, und Fackeln wurden entzündet. Zuletzt wurde die Liebe der Mondgöttin und Alexanders dargestellt und die Geburt von Rutilianus’ Tochter. Alexander, der neue Endymion [in der Mythologie der Liebhaber der Mondgöttin], diente als Fackelträger und Hierophant. Während er so dalag, als würde er schlafen, kam zu ihm vom Dach herab, wie aus dem Himmel, anstelle der Mondgöttin eine gewisse Rutilia, eine wunderschöne Frau, die Gattin eines der Verwalter des Kaisers, die in Wirklichkeit in Alexander verliebt war und auch von ihm geliebt wurde. Und vor den Augen dieses Halunken, ihres Gatten, küssten und umarmten sie sich in aller Öffentlichkeit. Und wären dort nicht so viele Fackeln gewesen, wäre es schnell zum Beischlaf gekommen. Nach einer Weile kam Alexander wieder herein, im Kostüm des Hierophanten, und es herrschte völlige Stille. Mit lauter Stimme sprach er „Heil, Glykon“, und einige paphlagonische Nachahmer der Eumolpiden und Herolde [der eleusinischen Mysterien], seine Anhänger in Arbeitsschuhen und Knoblauchdämpfe ausrülpsend antworteten „Heil, Alexander“.

Ein wesentlicher Faktor für Alexanders Erfolg war, dass sein Heiligtum alles an einem Ort bot, was Kultanhänger sonst nur an verschiedenen heiligen Orten bekommen konnten: Heilung von Krankheit, Vorhersage der Zukunft und Befreiung von der Angst vor dem Tod durch Initiation in einen Kult, der ein gesegnetes Leben im Jenseits garantierte. Wie viele andere Priester arbeitete Alexander mit Tricks, Illusionen und inszenierten 436

Religiöse Erneuerung: Kultgründer, Missionare und „heilige Männer“

Abb. 36 Marmorskulptur des Glykon. Tomis, 2. Jahrhundert n. Chr. Archäologisches Museum Konstanza, Rumänien.

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Aufführungen ritueller Dramen. Bei der Feier der Mysterien wurden Kostüme, Fackeln, Lichteffekte und der dramatische Kontrast zwischen Stille und lauten Schreien eingesetzt, um unter den Anhängern eine Art Ehrfurcht zu erzeugen. Ein weiteres bedeutendes Element dieses Kults war die physische Anwesenheit der Gottheit im Heiligtum. Glykon war durchgängig mit den Sorgen seiner Anhänger beschäftigt und nahm sich ihrer Anliegen an. In Statuen und auf Amuletten wird der Schlangengott mit charakteristisch großen Ohren dargestellt – eine Anspielung auf seine Bereitschaft, Gebete zu erhören (s. Abb. 36). Zu guter Letzt legte Alexander auch auf eine emotionale Interaktion mit den Kultanhängern Wert. Die Austreibung der Gegner des Kults wurde als ein Ereignis ritueller Aggression inszeniert, das die Anhänger Glykons von „den Anderen“ trennte – dieser Akt stärkte ihr Zusammengehörigkeitsgefühl und festigte damit auch ihre beinahe exklusive Hingabe an diesen einen Gott. Andere zeitgenössische Quellen bestätigen die Hauptmerkmale der Religiosität, wie wir sie auch bei unseren Beispielen religiöser Innovation finden: das starke Verlangen, in persönlichen Kontakt mit dem Göttlichen zu treten; eine Betonung der ästhetischen, performativen und theatralen Aspekte religiöser Feste; starke Emotionalität während der Feierlichkeiten; und persönliche Hingabe.

Das Christentum und die Anfänge religiöser Intoleranz In Monty Pythons Leben des Brian ist Judäa in den ersten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n. Chr. von unzähligen Propheten, Predigern, Missionaren und Asketen bevölkert, die jedem, der ihnen zuhören will, nur allzu gern den rechten Weg aufzeigen. Dieses Bild gibt die für diese Zeit typischen religiösen Unternehmungen und den religiösen Pluralismus ungemein akkurat wieder. In Judäa entsponnen sich hitzige Debatten zwischen den Hauptfraktionen der Essener, Sikarier, Zeloten, Pharisäer und Sadduzäer über verschiedenste Fragestellungen: die Auslegung der Thora und den Willen Gottes, das Kommen des Messias, Moral und Reinheit, die korrekte Durchführung von Ritualen, Sünde und Erlösung, die Auferstehung und das Leben nach dem Tod. Das alles kann zwar die Entstehung des Christentums nicht erklären, aber doch zumindest seine Verbreitung: Menschen unterschiedlichen ethnischen und religiösen Ursprungs stellten ähnliche Fragen, und unterschiedliche Religionen gaben darauf Antworten, die einander bis 438

Das Christentum und die Anfänge religiöser Intoleranz

zu einem gewissen Grad ähnelten. Trotz seiner Einzigartigkeit und seines eigenen Profils kann das Christentum einem zeitgenössischen Beobachter nicht sonderlich außergewöhnlich vorgekommen sein, abgesehen von seinem Gebot, nur einen einzigen Gott zu verehren. Die Christen behaupteten nicht nur, ihr Glaube sei der einzig wahre Glaube, sondern betrachteten ihn auch als unvereinbar mit jeglicher anderen religiösen Praktik, eingeschlossen der Verrichtung von Kulthandlungen zu Ehren des Kaisers. Der historische Jesus und seine Lehren sind seit Jahrhunderten Diskussionsgegenstand, und dies ist nicht der richtige Ort für eine Zusammen­ fassung. Nicht der Ursprung des Christentums ist für die Geschichte der griechischen Welt relevant, sondern seine Verbreitung seit der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Jüdische Sekten und das frühe Christentum hatten mit früheren und zeitgenössischen Kulten, insbesondere denen mit einem soteriologischen Hintergrund, bestimmte Themen gemein: die genaue Definition von Reinheit und die Ursachen für Befleckung; die Reinheit des Geistes oder des Herzens; die Regulierung eines sexuellen Verhaltenskodex und von Speisevorschriften; die Bedeutung, die dem Bekenntnis von Sünde und der Buße zuzuschreiben ist; den Glauben an einen höchsten Gott, der über seine Engel mit den Sterblichen kommuniziert und dem niedrigere Gott­ heiten die Anliegen der Menschen zutragen; die Form der Verehrung und die Wirksamkeit und Angemessenheit von Tieropfern. Über Aspekte des Judentums war man auch in Gebieten außerhalb von Judäa gut unterrichtet, da in größeren Städten (wie Alexandria), aber auch in vielen kleineren Städten in Kleinasien, auf Kreta, auf einigen ägäischen Inseln und im Bosporanischen Reich Diasporagemeinden von beträchtlicher Größe existierten. Das Scheitern der jüdischen Revolten im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. ließ die Diaspora wachsen, erhöhte die Anzahl der Juden samt Synagogen in der griechischen Welt. Im Gegensatz zum Judentum, das Konvertiten nur widerstrebend akzeptierte, zog das frühe Christentum keine strengen, durch Ethnizität, Herkunft oder sozialen Status festgelegte Grenzen. Ganz im Gegenteil, eifriges Missionieren war von Beginn an ein wesentliches Merkmal des Christentums. Da sich Christen in den Inschriften für gewöhnlich nicht zu erkennen gaben und weil sie in den literarischen Quellen des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. so gut wie nie erwähnt werden, fehlt es uns an unvoreingenommenen Informationen über ihre Mission. Über die Botschaft des frühen Christentums gibt es nur wenige unbestreitbare Fakten: so den Glauben an die Auferstehung von Jesus Christus als langerwartetem Messias; die Erwar439

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

tung der Auferstehung der Toten; Nächstenliebe; und die Verurteilung von Habgier und leiblichen Freuden. Selbst der Statthalter einer Provinz hatte nur ungenaue Vorstellungen davon, wer die Christen wirklich waren. Da er erpicht darauf war, zu erfahren, was diese neue Art der religiösen Verehrung sei, stellte Plinius der Jüngere als Provinzstatthalter von Bithynia et Pontus 112 n. Chr. Nachforschungen an – was er herausfand und dem Kaiser mitteilte, war Folgendes: Sie beteuerten, dass die Summe und das Wesen ihrer Schuld oder ihres Vergehens darin bestand, dass sie sich an einem bestimmten Tag vor Tagesanbruch zu versammeln pflegten und einen Hymnus zu Christus als zu einem Gott sangen und dass sie sich per Eid nicht zu einem Verbrechen, sondern dazu verpflichteten, weder Betrug noch Diebstahl noch Ehebruch zu begehen, noch das in sie gesetzte Vertrauen zu enttäuschen, noch die Herausgabe eines ihnen anvertrauten Gutes zu verweigern, wenn man dies von ihnen verlangte. Wenn dies vorbei war, pflegten sie ihrer Wege zu gehen und wieder zusammenzukommen, um miteinander zu essen – aber gewöhnliche und harmlose Speisen.

Es gibt nichts in Plinius’ Darstellung des Christentums, das wie eine seltsame Neuerung gewirkt haben könnte. Zusammenkünfte an festgelegten Tagen sind für zahlreiche Kultvereinigungen bezeugt. Das Singen von Hymnen war eine beliebte Form des Gottesdienstes – eine spirituellere Alternative zu Tieropfern. Die eidliche Verpflichtung zur Einhaltung moralischer Standards und die Verurteilung gewisser Verbrechen, insbesondere von Eidbruch, finden eindeutige Parallelen in religiösen Inschriften aus Kleinasien vom späten 2. Jahrhundert v. Chr. bis ins frühe 3. Jahrhundert n. Chr. Und schließlich waren auch das gemeinsame Verzehren gewöhnlicher Speisen – Wein und Brot natürlich – und nächtliche Feierlichkeiten alles andere als exklusive Merkmale. Beispielsweise wurde an bestimmten Tagen um Mitternacht unter den Mitgliedern einer Kultvereinigung in Thessalonike, die sich der Verehrung des Dionysos widmete – in genau der Zeit, in der Plinius seinen Brief schrieb –, Brot verteilt. Wie lässt sich also die Feindseligkeit gegenüber den Christen erklären? Ein charakteristisches Merkmal des frühen Christentums, das sowohl seinen Erfolg als auch die hervorgerufene Feindseligkeit erklärt, ist sein missionarisches Wesen – die inständig gefühlte Verpflichtung der frühen Christen, ihre Botschaft unter den Heiden bekanntzumachen, falls nötig sogar unter der Inkaufnahme von Verfolgung und Tod. Der missionarische 440

Das Christentum und die Anfänge religiöser Intoleranz

Eifer ist natürlich mit dem Glauben an einen, und nur einen, wahren Gott verbunden, dessen Verehrung sich nicht damit vereinbaren lässt, dass man religiöse Rituale zu Ehren anderer Götter vollführt, inklusive des Kaisers. Es hatte auch früher schon Missionare gegeben – insbesondere glühende Anhänger von Asklepios und Serapis –, sie hatten sich aber gegenüber anderen Göttern nie intolerant verhalten oder den Kult von Königen und Kaisern abgelehnt; ihre Hingabe zu einem bestimmten Gott hielt sie nicht davon ab, an den öffentlichen Kulten teilzunehmen oder sogar Priesterämter in den Kulten von anderen als den von ihnen verehrten Göttern zu übernehmen. Der christliche Missionar, eine neue Art des „heiligen Mannes“, wurde ein charakteristisches Merkmal des Christentums. Der bekannteste von ihnen ist Paulus. Über seine Reisen, seine Lehren, seine gelegentlichen gewalttätigen Auseinandersetzungen mit sowohl jüdischen als auch römischen städtischen Autoritäten, über seine zeitweilige Inhaftierung in Philippi und schließlich seinen Tod in Rom im Jahr 64 n. Chr. finden wir Informationen in der Apostelgeschichte und in seinen authentischen und den „deuteropaulinischen“ Briefen. Paulus predigte an Orten des öffentlichen Lebens, wie in jüdischen Synagogen und der Versammlungsstätte des athenischen Rats auf dem Areopag gegenüber der Akropolis. Seine Zuhörerschaft bestand aus Juden, Heiden und denen, die mit jüdischen religiösen Vorstellungen sympathisierten – sie wurden „Gottesfürchtige“, theosebeis, genannt. Von Palästina aus breitete sich das Christentum nach Ägypten und in die Kyrenaika aus, nach Nordsyrien (Antiochia), Kleinasien, Kreta und, wie wir aus den wenigen authentischen Briefen des Paulus wissen, auch in großen Städten in Griechenland wie Philippi, Thessalonike und Korinth. Die frühen Orte des Christentums waren städtische Zentren mit komplexen Gesellschaftsschichtungen und oft einer jüdischen Gemeinde, in der Regel an wichtigen Verkehrs- und Handelsrouten gelegen. Aber auch in den länd­ lichen Gebieten Kleinasiens gab es christliche Gemeinden und Sekten, zum Beispiel in Phrygien. Viele dieser Missionare sahen sich gewaltsamen Reaktionen vonseiten jüdischer Menschenmengen ausgesetzt. Das Römische Recht verbot das ­ Christentum per se nicht, aber es bestrafte Unruhestifter, und die Christen wurden bisweilen als ebensolche betrachtet, besonders wenn sie mit den Juden aneinandergerieten. Nero lastete den großen Brand Roms im Juli 64 n. Chr. den Christen an, was gewaltsame Verfolgungen nach sich zog. Die Bevölkerung glaubte nur allzu gern, dass die Anhänger dieser verhassten 441

Von städtischen Kulten zu Megatheismus

neuen Sekte, über deren Riten und Glaubensinhalte man nur vage Bescheid wusste, für das Verbrechen verantwortlich waren, und erfreute sich an der Hinrichtung all derer, die gefangen genommen worden waren. Bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. hatten sich die Christen zu einer so bedeutenden und sichtbaren religiösen Gruppierung entwickelt, dass Alexander von Abonou Teichos sie, zusammen mit den atheistischen epikureischen Philosophen, als die größten Feinde seines neugegründeten Kults des Neuen ­A sklepios Glykon betrachtete (s. S. 436). Das Christentum entstand im östlichen Mittelmeerraum in der religiösen Atmosphäre, wie sie in diesem Kapitel beschrieben wurde. Es begegnete denselben Bedürfnissen, die die Menschen auch zu den Heiligtümern der „großen Götter“ und zu den Mysterienkulten führten. Auch wenn ihre Antworten neuartig waren, so brachten die frühchristlichen Missionare ihre Botschaft doch auf eine Weise zum Ausdruck, die den Juden und Heiden dieser Zeit vertraut war. Der Apostelgeschichte zufolge begann Paulus, als er im Winter 51/52 n. Chr. nach Athen kam, seine Predigt mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass es in der Stadt einen Altar für den „Unbekannten Gott“ (Agnostos Theos) gab.

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16 Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung: die Griechen und die Oikoumene

„Sechs Grade der Trennung“: eine antike „Globalisierung“ Der Film Babel von 2006 zeigt, wie das Schicksal einiger Menschen in Marokko, Japan, Mexiko und den USA – ohne dass sie sich jemals begegnet wären – aufgrund gewisser Umstände miteinander verbunden ist. Dieses Drama (Regie: Alejandro González Iñárritu, Drehbuch: Guillermo Arriaga) ist nur eines von vielen Filmen, Theaterstücken und Fernsehserien, denen die Theorie zugrunde liegt, dass alle Menschen durch Verwandtschaften oder Bekanntschaften sechs oder weniger Stufen voneinander – also von jeder anderen Person auf der Welt – entfernt sind. Der Erste, der dieses Konzept formulierte, war der ungarische Autor Frigyes Karinthy, und zwar 1939 in seiner Kurzgeschichte Láncszemek (Ketten). Bekannt wurde es durch die Arbeit des Sozialpsychologen Stanley Milgram, Autor von „The SmallWorld Problem“, das 1967 in Psychology Today veröffentlicht wurde. Um es mit den Worten einer der Personen aus dem Stück Six Degrees of Separation von John Guare von 1990 zu sagen: „Sechs Grade der Trennung zwischen uns und jedem anderen auf diesem Planeten. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, ein Gondoliere in Venedig, trag einfach die Namen ein.“ Im Zeitalter des Internets, von Facebook und Twitter mutet dieses Konzept archaisch an. Es lässt sich nicht ernsthaft postulieren, dass Alexander, als er 336 v. Chr. den Thron von Makedonien bestieg, durch sechs Grade von allen Menschen getrennt war, die in den Gebieten lebten, die zehn Jahre später zu seinem Reich gehören sollten. Dagegen ist die Annahme nicht unbegründet, dass Kaiser Hadrian, als er 453 Jahre später seinen Thron bestieg, sechs oder weniger Grade von einer beliebigen Person in seinem Reich und den angrenzenden Staaten entfernt war. Selbst ein einfacher Fellache in Südägypten kannte einen Dorfsekretär, der mit dem Dorfoberhaupt kommuni443

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

zierte, der Kontakt zum Bezirksgouverneur hatte, der den Präfekten von Ägypten kannte, der vom Kaiser ernannt worden war. Die durch Ale­xanders Feldzüge angestoßenen Entwicklungen ließen letztendlich ein komplexes Netzwerk aus politischen, administrativen, ökonomischen und kulturellen Verbindungen entstehen, das dem modernen Phänomen der Globalisierung durchaus nahekam. Natürlich umspannte dieses Netzwerk nicht den gesamten Globus, es umfasste jedoch jene Weltgegend, die den Zeitgenossen als oikoumene bekannt war, „die bewohnte Welt“. Es wäre daher angemessen, von einer „Ökumenisierung“ zu sprechen. Die Eroberungen Alexanders brachten das Perserreich zu Fall, ließen jedoch kein beständiges Reich entstehen, das es ersetzt hätte. Doch es entstand ein immenses politisches Netzwerk aus Königreichen, semi-unabhängigen Dynasten und poleis, das sich von der Adria bis nach Afghanistan und von der Nordküste des Schwarzen Meeres bis nach Äthiopien erstreckte. Diese Staaten unterhielten auch Beziehungen zu Italien, den griechischen poleis in Magna Graecia und Rom, zu den griechischen Kolonien in Südfrankreich, zu Karthago in Nordafrika sowie zum Mauryareich in Indien. So bildete die Welt der Nachfolger Alexanders ein Netzwerk, das die gesamte bekannte Welt, mit Ausnahme Ostasiens, umfasste. Vor dem Hintergrund verschiedener anderer Bevölkerungsbewegungen – wie der Migration der Gallier nach Griechenland und Kleinasien im frühen 3. Jahrhundert v. Chr., der Invasion der Yuezhi und anderer Nomadenstämme nach Baktrien im 2. Jahrhundert v. Chr. und der wiederholten Überfälle der Skythen und anderer Stämme auf die Gebiete griechischer Städte – war die Welt von Alexanders Nachfolgern auch mit Zentraleuropa, Zentralasien und den westlichen Grenzregionen Chinas verbunden. Die römische Expansion ab dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. verschob allmählich die Grenzen dieses Netzwerks miteinander verbundener Regionen, das nun auch die Iberische Halbinsel, Mittel- und Westeuropa, Britannien und Nordafrika miteinschloss. Zum Zeitpunkt von Hadrians Tod lag ein Großteil der oikoumene innerhalb der Grenzen eines einzigen Reiches. Die große griechische Kolonisation vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. hatte den Horizont der Griechen natürlich auch erweitert, doch dies ist in keiner Weise mit der Situation nach Alexanders Feldzügen zu vergleichen. Dieser Prozess beeinflusste viele griechische Regionen. Traditionelle Hegemonialmächte wie Athen, Sparta und Theben wurden in ihrer politischen Bedeutung von den hellenistischen Königreichen und den Städtebünden sowie von Regionalmächten wie Rhodos überflügelt. Im Zuge der römi444

Eine kleine Welt

schen Eroberung gewannen die Provinzhauptstädte und die ­römischen Kolonien an wirtschaftlicher Bedeutung. Im befriedeten römischen Mittelmeerraum war Kreta nicht mehr eine Insel am Rand der griechischen Welt, sondern ein zentraler Knotenpunkt für den Verkehr im östlichen Mittelmeerraum. In diesem abschließenden Kapitel gehe ich kurz auf die sich verändernde geostrategische Lage der Griechen ein und die Faktoren, die ihre neue Position in der oikoumene bestimmten: Konnektivität, Mobilität und Multikulturalität.

Eine kleine Welt In etwa zu der Zeit, als Alexander versuchte, Herakles zu übertreffen, indem er Aornos eroberte – den Felsen, den der Held bei seinem östlichsten Abenteuer nicht hatte einnehmen können –, nahm ein anderer Grieche dort ein gewagtes Unterfangen in Angriff, wo man gemeinhin die westlichste Tat des Herakles verortete: an den Säulen des Herakles, dem heutigen Gibraltar. Um 325 v. Chr. ging der Geograph und Seemann Pytheas von Massalia auf eine Expedition, um den westlichen Ozean zu erforschen. Er durchbrach die karthagische Blockade der Straße von Gibraltar und segelte, in der Absicht, Europa zu umrunden, die Küste Portugals entlang. Im Lauf seiner Reise entdeckte er die britischen Inseln, gelangte möglicherweise nach Norwegen oder Island – je nachdem, wo man den Ort lokalisiert, der in der Antike Thule genannt wurde – und segelte bis weit in die Ostsee hinein. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Alexander jemals von Pytheas’ Unternehmung erfuhr, ist es doch kein Zufall, dass diese beiden Abenteuer mehr oder weniger zeitgleich stattfanden. Pytheas und Alexander waren von derselben Neugierde und derselben Faszination des Unbekannten getrieben. Zu dieser Zeit, in der komfortableren Örtlichkeit der schattigen Gärten des Athener Lykeions, verfolgten Aristoteles und seine Schüler den Plan, die Gesamtheit der sichtbaren Welt und alle Aspekte menschlichen Verhaltens aufzuzeichnen, zu analysieren und zu klassifizieren. Pytheas im Westen, Alexander im Osten und Aristoteles im intellektuellen Zentrum Griechenlands sind gewissermaßen parallele Höhepunkte von Jahrzehnten griechischer Forschung, die nun, im späten 4. Jahrhundert v. Chr., neue Wege einschlug. Als Alexander im Osten neue Horizonte eröffnet hatte, folgten andere nach, die sich von Plänen oder dem Schicksal leiten ließen. Der Universalgelehrte Poseidonios hörte bei seinem Besuch der Stadt Gades (in Spanien, 445

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

heute Cádiz) im frühen 1. Jahrhundert v. Chr., wo er die Gezeiten an der Atlantikküste untersuchte, von den Abenteuern eines gewissen Eudoxos von Kyzikos. Sein Werk Über den Ozean ist verloren, ein Bericht über Eudoxos’ Expeditionen ist jedoch in Strabons Geographika erhalten: Unter Ptolemaios Euergetes II. [c. 145–116 v. Chr.] kam Eudoxos als heiliger Festgesandter und Herold der Wettkämpfe des Kore-Festes nach Ägypten. Er wurde zum Begleiter des Königs und seines Hofstaats, vor allem bei dessen Reisen den Nil hinauf, denn er war ein Bewunderer lokaler Besonderheiten und darin nicht ungebildet. Es trug sich zu, dass ein Inder von den Garnisonssoldaten des Roten Meeres zum König gebracht wurde, die berichteten, dass sie diesen halbtot, schiffbrüchig und allein vorgefunden hatten; wer er sei und woher er komme, wüssten sie nicht, da sie seine Sprache nicht verstanden. Er wurde Männern übergeben, die ihn Griechisch lehren sollten. Als er es erlernt hatte, erzählte er, dass er von Indien aus losgesegelt und vom Kurs abgekommen war und dass er sich hierher hatte retten können, alle seine Gefährten jedoch verhungert waren. Er wurde beim Wort genommen und versprach, der zuvor vom König ausgewählten Mannschaft als Führer auf der Überfahrt nach Indien zu dienen. Eudoxos war einer von diesen. So stach er mit Geschenken in See und kam mit einer Ladung von Parfüms und Edelsteinen wieder zurück … Eudoxos’ Hoffnungen wurden jedoch getrogen. König Euergetes nahm nämlich die gesamte Schiffsladung in seinen eigenen Besitz.

Was Eudoxos von dem indischen Seemann lernte, war die Nutzung der Monsunwinde; sie machten es möglich, durch den Indischen Ozean von Äthiopien direkt nach Indien überzusetzen, wodurch sich die lange, kostspielige und gefährliche Reise entlang der Südküste Arabiens und durch den Golf von Oman vermeiden ließ. Im Jahr 116 v. Chr. verstarb der König, und einige Zeit später schickte Königin Kleopatra III. Eudoxos auf eine Expedition, die sein Schiff erneut mit Luxusgütern füllte – wahrscheinlich mit Gewürzen, Parfüms und Edelsteinen. Die Rückreise geriet abenteuerlich; das Schiff lief irgendwo zwischen Kap Guardafui in Somalia und Sansibar auf Grund. Eudoxos gelang es, nach Alexandria zurückzukehren, jedoch nur um mitansehen zu müssen, wie der neue König seine Ladung beschlagnahmte. Dann versuchte Eudoxos sein Glück im Westen. Er fuhr nach Gades in Spanien, mit dem Plan, Afrika zu umsegeln und auf einer alternativen Route nach Indien zu gelangen. Er scheiterte, und der König von Mauretanien lieferte ihn an Sulla aus. Er ging auf eine vierte Reise – kehrte aber nie zurück. Die Art, wie Poseidonios (und Strabon) diese Geschichte erzählen, 446

Eine kleine Welt

entspricht dem hellenistischen Geschmack: Es kommt zu einer schicksal­ haften Begegnung zwischen einem schiffbrüchigen Inder, einem neugierigen Griechen und einem habgierigen König. Und wie in vielen hellenistischen Geschichten gibt es unerwartete Wendungen, und Erwartungen werden enttäuscht. Die Abenteuer von Eudoxos veranschaulichen die neuen Möglichkeiten, die die hellenistische Welt für den Handel mit exotischen Produkten und die Verbreitung von Informationen schuf. Zum Teil wurden diese Entwicklungen durch königliche Patronage unterstützt, was vor Alexander noch unbekannt gewesen war. Ein Reisehandbuch, Umsegelung des Roten Meeres (Periplous Maris Ery­ thraei), verfasst vermutlich in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., bietet detaillierte Informationen zu Häfen, Handelsposten und Produkten, die entlang der Küsten des Roten Meeres, des Persischen Golfs und des Indischen Ozeans gefunden werden können. So erfuhren beispielsweise Händler, die am Import von Weihrauch von der Arabischen Halbinsel interessiert waren: Nach Arabia Felix kommen ein durchgängiger langer Küstenabschnitt sowie eine Bucht, die sich über 2000 oder mehr Stadien hinzieht und an deren Ufern Nomaden und Fischesser in Dörfern leben. Kurz hinter dem Kap, das aus dieser Bucht herausragt, befindet sich ein weiteres küstennahes Handelszentrum, Kana, vom Königreich von Eleazos, dem Weihrauch-Land; und gegenüber liegen zwei verlassene Inseln, eine wird die Vogel-Insel genannt, die andere Dom-Insel, 120 Stadien von Kana. Dahinter im Landesinneren liegt die Hauptstadt Sabbatha, wo der König lebt. Die gesamte Weihrauchproduktion dieses Landes wird auf Kamelen hierher gebracht und hier gelagert, und nach Kana nach Landessitte auf Flößen aus aufgeblasenen Tierhäuten sowie auf Schiffen.

Dieser Text führt auf äußerst eindrückliche Art und Weise vor Augen, wie sehr sich die Kenntnisse über diese Regionen erweitert hatten seit der Zeit des Nearchos, des Admirals Alexanders, der 327 v. Chr. von Indien aus an den Persischen Golf reiste. Neros Untertanen – der römische Kaiser unterhielt diplomatische Beziehungen zu Herrschern in Arabien – wagten, motiviert durch die Hoffnung auf Profit, Handelsreisen entlang der Küste der Arabischen Halbinsel und weit in den Osten bis nach Indien und Sri Lanka. Die Handelsaktivitäten mit diesen Regionen waren durchaus vielfältig. Beispielsweise konnten römische und griechische Kaufleute im bedeutenden Hafen von Barygaza in Nordwestindien mit dem Verkauf von Wein, Textilien und Silbergefäßen wie auch von Chorknaben und schönen Mädchen für den 447

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

Harem des Königs profitable Geschäfte machen, wofür sie im Gegenzug Halbedelsteine, Kräuter, Gewürze und exotische Tiere erhielten. Ein gewisser Sophytos, der im späten 1. Jahrhundert v. Chr. in Alexandria Arachosia (heute Kandahar) starb, war womöglich einer dieser Händler, die nach Barygaza kamen. In dem kunstvollen Grabepigramm, das er für sich selbst verfasste, berichtet er von seinen Leistungen: Da das Vermögen seiner Vorfahren verloren war, suchte Sophytos nach Wegen, dem Haus seiner Familie wieder zu seiner alten Größe zu verhelfen. Er nahm einen Kredit auf und verließ seine Stadt, fest entschlossen, nur als reicher Mann zurückzukehren – „Mit diesem Ziel segelte ich auf Handelsschiffen zu v ­ ielen Städten und erlangte großen Reichtum, ohne Schaden anzurichten.“ Seine Seefahrten muss er im Indischen Ozean unternommen haben. Von Kandahar aus konnte er leicht den Hafen von Barygaza erreichen, von wo ihn seine Reisen womöglich sogar bis nach Ägypten führten. Er kehrte als wohlhabender Mann zurück, baute das Haus seiner Familie wieder auf, errichtete ein neues Grabmal für seine Vorfahren und sich selbst und verfasste dieses Gedicht auf Griechisch für die griechische Bevölkerung, die zu der Zeit immer noch in Alexandria Arachosia gelebt haben musste. Die archäologischen Befunde in Hafenanlagen in Südindien und die gefundenen römischen Münzen und Weingefäße bestätigen, dass sich der griechische Handel mit diesen Gegenden in der frühen Kaiserzeit intensivierte. Der Anstoß zu derartigen Verbindungen ging von Alexander aus. Sein Feldzug war gleichsam der „Big Bang“ der hellenistischen „Globalisierung“. Alexander hatte beschlossen, die Grenzen der Welt, und nicht die Grenzen des Perserreichs, zum Ziel seines Feldzugs zu machen. Er siedelte seine Soldaten an strategisch wichtigen Punkten entlang des Weges zum Indischen Ozean an und erforschte alle Regionen, die er besuchte.

Menschen in Bewegung Die Entwicklung eines Netzwerks miteinander verbundener Regionen – die einander zeitweise bekriegten, zeitweise unter einer einzigen Macht vereinigt waren – war von Bevölkerungsbewegungen in einem nie zuvor dagewesenen Ausmaß begleitet. Wie gezeigt, reichte die Spanne von freiwilligen Bewegungen – von Söldnern, Kunstschaffenden, Händlern, Unterhaltungskünstlern, reisenden Rednern und ­Erziehern, Rhetorik- und Philosophiestudenten, Pilgern, die zu heiligen Stätten reisten, und Athle448

Menschen in Bewegung

ten – bis hin zur erzwungenen Migration von Exilanten nach Bürgerkriegen, von Kriegsgefangenen, Sklaven und Diaspora-Juden. Manche Reisebewegungen fanden periodisch statt, wie die der „heiligen Gesandten“ (theoroi), die panhellenische Feste ankündigten, die Besuche der Zuschauer der großen athletischen Wettkämpfe in Olympia und Delphi sowie die Seereisen durch den Indischen Ozean, deren Zeitpunkt von den Monsunwinden bestimmt wurde. In der Mehrzahl der Fälle entsprangen sie jedoch den Bedürfnissen des Augenblicks, wie die Gesandtschaftsreisen zu Städten, Königen, römischen Autoritäten und Kaisern. Solche Bewegungen konnten beträcht­liche Ausmaße annehmen, wie wenn in hellenistischer Zeit eine neue Stadt gegründet wurde oder später römische Kolonisten angesiedelt wurden, oder als die Gallier in Griechenland und später in Kleinasien einfielen oder wenn nach einem Aufstand Juden umgesiedelt wurden. Wenn sich große Gruppen bewegten, dann sollten sie in der Regel dauerhaft anderswo bleiben, was die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung dramatisch verändern konnte und zu kultureller Diversität beitrug. Doch auch die individuellen und kurzfristigen Bewegungen von Menschen, besonders von Händlern und Gelehrten, hatten einen signifikanten Einfluss auf die Kultur. Die Reisen von Intellektuellen sind ein Paradebeispiel. Redner, Philosophen und Historiker bereisten nachgewiesenermaßen schon im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. die griechische Welt und hielten in größeren Städten und Heiligtümern Vorträge. Infolge der erhöhten Konnektivität der Welt ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. und der Häufigkeit großer Festspiele, der Weiterentwicklung von Bildung, Historiographie, Rhetorik und Philosophie sowie der Existenz von Königshöfen (und später dem Kaiserhof in Rom) nahm die Frequenz solcher Vorträge nun aber deutlich zu. Akroasis (öffentlicher Vortrag) ist das Wort, das die Haupttätigkeit der reisenden Gelehrten beschreibt: Sie besuchten eine Stadt, ein Heiligtum oder einen Hof, blieben dort für einige Tage oder Monate und hielten Vorträge in Gymnasien, Theatern, Rathäusern und Palästen. Der Inhalt der Vorträge war äußerst vielfältig: Es wurden Auszüge aus historiographischen Werken verlesen, philosophische Fragestellungen präsentiert, Städte-Enkomien nahmen Bezug auf die jeweiligen Mythen, historischen Leistungen, Gebäude, berühmten Menschen und die Schönheit der Landschaft, es wurden Lobreden auf Kaiser gehalten, Ratschläge zu gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten geboten, etwa zur Eintracht innerhalb einer Stadt oder zur Versöhnung zwischen verschiedenen Städten, oder Nachweise für die „Verwandtschaft“ 449

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

zweier Städte oder Regionen erbracht, auf der Grundlage der Verwandtschaft bestimmter Götter oder Gründungsheroen. Polemon von Ilion ist einer der bekanntesten Universalgelehrten dieser Zeit. Er reiste umher, sammelte Informationen zu Lokalgeschichte und lokalen Kulten und hielt über diese Themen Vorträge, zum Beispiel in Delphi und Athen in den Siebzigerjahren des 2. Jahrhunderts v. Chr. Ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. wurden Lobreden auf die Römer immer häufiger, und als sich der Einfluss des Senats auf die Angelegenheiten der Griechen erhöhte, wurde Rom zu einem weiteren beliebten Ziel von Intellektuellen. Manche von ihnen kamen als Gesandte ihrer Städte nach Rom, andere als Freunde römischer Staatsmänner, und wieder andere versuchten in der neuen Welthauptstadt ihr Glück auf eigene Faust. Einen Wendepunkt in dieser Hinsicht stellte die „Gesandtschaft der Philosophen“ von Athen nach Rom im Jahr 155 v. Chr. dar, die gegen die Senatsentscheidung, der Stadt Strafzahlungen aufzuerlegen, Berufung einlegen sollte. Die Vorträge von Karneades, der an einem Tag die Gerechtigkeit verteidigte und am nächsten gegen sie sprach, erlangten Berühmtheit; zwar stellte Cato der Ältere, ein konservativer römischer Senator, sicher, dass die Philosophen die Stadt umgehend wieder verließen, aber ihr Einfluss blieb, und die Anzahl griechischer Intellektueller, die nach Rom reisten, vervielfachte sich in den folgenden Jahrzehnten. Die Aktivitäten reisender Historiker, Redner, Grammatiker und Philosophen – oder Gelehrter, die auf allen diesen Gebieten bewandert waren (sie wurden „Sophisten“ genannt) – setzten sich in der Kaiserzeit fort. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in einer Bewegung, die als „Zweite Sophistik“ bezeichnet wird und in etwa von der Regierungszeit Neros bis ins frühe 3. Jahrhundert n. Chr. andauerte. Die Reden von Dion von Prusa, der seine Blütezeit unter den Flaviern und Trajan erlebte und als Chrysostomos (Goldmund) bekannt ist, sind aus dieser Zeit am besten erhalten. Viele widmeten sich bedeutenden politischen und moralischen Themen, so wie dem idealen Königtum oder Sklaverei und Freiheit, manche waren aber auch verspielte Übungen der rhetorischen Fertigkeiten, wie Dions „Lob des Haupthaars“. Seiner Meinung Ausdruck zu verleihen, kann jedoch in Zeiten autokratischer Herrschaft ein gefährliches Unter­fangen sein. Vespasian ließ Philosophen aus Rom verbannen, weil sie die Studenten verdarben, und Dion wurde unter Domitian ins Exil geschickt. Allgemein gesprochen war das 2. Jahrhundert n. Chr. aber ein goldenes Zeitalter für reisende Gelehrte, und ihr Unterricht und ihre Vorträge trugen signifikant zur Homogenisierung der 450

Menschen in Bewegung

Kultur und zur Verbreitung von Ideen sowie literarischer und rhetorischer Stilrichtungen bei. „Nach Osten“ war die Losung für die meisten Griechen unter den Nachfolgern Alexanders, und bis auf wenige (aber bedeutende) Ausnahmen – wie Pyrrhus mit seinen Feldzügen in Italien und Sizilien – blieb dies über Jahrhunderte hinweg unverändert. Als Rom seine Stellung im Zentrum der ­oikoumene konsolidierte und die pax Romana das Reisen verhältnismäßig sicher machte, fanden Einzelpersonen und Personengruppen aus Griechenland und den hellenisierten Provinzen ihren Weg nach Rom, Italien und in die westlichen Provinzen. Literaten, Schauspieler und Athleten stellten unter ihnen eine Minderheit dar, die in unseren Quellen allerdings über­ repräsentiert ist; die meisten waren Sklaven, Händler, Künstler und Fach­ arbeiter. Gelegentlich erzählen Grabinschriften die Geschichten dieser Menschen, wie im traurigen Fall von Hyle aus Thessalonike, die um 200 n. Chr. einsam in Bonn verstarb: Thessalonike war meine Heimat und Hyle war mein Name. Asios, Sohn des Batallos, bezwang mich mit Liebestränken, obwohl er ein Eunuch war. Und so war mein Ehebett fruchtlos. Und nun liege ich hier, so weit entfernt von meinem Vaterland.

In der kleinen Welt des Römischen Reiches konnte eine Frau aus Thessalonike, die ihrem Gatten nach Germanien gefolgt war, immer noch nostalgisch ihres Vaterlandes gedenken. Wenn wir das Thema Bewegung im „langen hellenistischen Zeitalter“ untersuchen, ist nicht nur die Bewegung von Menschen zu betrachten, sondern auch die Bewegung von Gegenständen. Geplünderte griechische Kunstwerke zierten römische Häuser und Villen, und römische Tonlampen erhellten die Häuser in Kleinasien. Einzelne Objekte aus griechischer und römischer Produktion gelangten sogar bis nach China, Thailand und Korea, was Kontakte, wenn nicht sogar regelmäßigen Handel nahelegt. Und schließlich sollten wir auch nicht die Bewegung von Tieren vergessen: die Pferde und Hunde aus Regionen, die für ihre besonderen Züchtungen bekannt waren, und die exotischen Kreaturen, die bei Prozessionen und Triumphzügen vorgeführt oder in der Arena getötet wurden. Ein Grabepigramm für ein „reisendes Schwein“ gibt uns einen Einblick in die Mobilität dieser Epoche. Das Tier war vermutlich dressiert worden, um bei Festspielen akrobatische Kunststücke vorzuführen oder an Wettläufen teilzunehmen. Es kam den ganzen Weg von Dyrrhachion an der Adriaküste bis nach 451

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

Abb. 37 Grabrelief mit Epigramm für ein Schwein, das von einem Wagen getötet wurde. Edessa, Makedonien, ca. 200 n. Chr. Abteilung für Altertümer, Pella.

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Kulturelle Konvergenz und lokale Traditionen

Edessa in Makedonien, um einer Dionysosprozession beizuwohnen. Es wurde aber bei einem Fest von einem Wagen überfahren (s. Abb. 37). Hier ruht „das Schwein“, von allen geliebt, ein junger Vierbeiner, der das Land von Dalmatia verließ, als Geschenk weggebracht. Ich gelangte nach Dyrrhachion und wollte Apollonia sehen, ich durchquerte jedes Land auf meinen eigenen Füßen, allein, unbesiegt. Aber nun habe ich wegen der Gewalt der Räder das Licht verlassen. Ich wollte so gern Emathie und den Phallus-Wagen sehen, nun liege ich hier, obwohl ich zu jung war, um dem Tod meinen Tribut zu zahlen.

In keiner früheren Epoche der Menschheitsgeschichte, soweit wir sie kennen, gab es Bewegung so intensiv, umfangreich und weitreichend. Und doch führte die allmähliche politische und kulturelle Konvergenz der oikoumene, die mit Alexander begonnen hatte und unter den römischen Kaisern weiter fortschritt, nie zu einer Entwurzelung oder dazu, dass etwa lokale Identitäten und Zugehörigkeitsgefühle verloren gegangen wären.

Kulturelle Konvergenz und lokale Traditionen Während Alexanders Aufenthalt in Ägypten oder kurz danach wurde in der Nähe eines Tempels in der Bahariya Oase ein Altar oder Sockel errichtet. Auf der Vorderseite nennt ein Hieroglyphentext Alexander mit seinen pharaonischen Titeln, wie König von Ober- und Unterägypten, Sohn Amuns, Geliebter des Amun-Ra. Auf der linken Seite verkündet ein griechischer Text, eingemeißelt vermutlich von einem ägyptischen Steinmetz, der mit den griechischen Buchstaben nicht vertraut war: „König Alexander weihte dies dem Ammon, seinem Vater.“ Wir haben hier den wohl frühesten erhaltenen Text, der bezeugt, dass Alexander die lokalen Traditionen einer eroberten Region übernahm und sich selbst als Sohn einer lokalen Gottheit präsentierte, genau wie jeder Pharao vor ihm es getan hatte. Alexander übernahm auch die königlichen Traditionen des Perserreichs. Seine Nachfolger folgten seinem Beispiel, sowohl in Ägypten als auch im Seleukidenreich. Die Verschmelzung griechischer und lokaler Traditionen gilt als eines der bedeutendsten Phänomene der hellenistischen Epoche. Sie nahm verschiedene Formen an, und es gab verschiedene Intensitätsgrade. Die bildende Kunst und Architektur der Griechen wurden im Seleukidenreich vorherr453

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

Abb. 38 Relief aus Mathura: Szenen aus den Wanderungen des Buddha. ­Mathura, 2. Jahrhundert n. Chr.

schend, weniger in weiten Teilen Ägyptens. Auch in den Gebieten der griechisch-baktrischen und griechisch-indischen Königreiche war ihr Einfluss groß – in Pakistan und Nordindien ganz besonders, wie wir an Reliefs aus Mathura aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. (s. Abb. 38) und an Steinpaletten mit mythologischen Szenen aus Pakistan aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. sehen. Dieser Einfluss lässt sich noch im 2. Jahrhundert n. Chr. nachweisen, in den buddhistischen Skulpturen von Gandhara. Die am besten bezeugte Form kultureller Konvergenz ist die Verwendung der griechischen Sprache in den Königreichen von Ägypten und Asien. Griechisch wurde nicht nur in der Verwaltung verwendet, sondern auch von der lokalen Bevölkerung, etwa in Weihungen und Gebäudeinschriften. Auch wenn die Sprache Griechisch war, waren die darin ausgedrückten Vorstellungen und Gebräuche größtenteils indigen – allerdings vermischten sich auch diese nach und nach mit den Praktiken, Werten und Glaubens­ vorstellungen der griechischen Siedler. In den eroberten Gebieten wurden typische Institutionen der griechischen Gesellschaft eingeführt, wie athletisches Training, Wettkämpfe und Theateraufführungen; umgekehrt übernahmen die griechischen Siedler in zunehmendem Maß lokale Gebräuche, identifizierten einheimische Gottheiten mit ihren eigenen und passten ihre Kleidung und Essensgewohnheiten den örtlichen Gegebenheiten an – in 454

Kulturelle Konvergenz und lokale Traditionen

Ägypten trugen sie beispielsweise Kleidung aus Leinen statt aus Wolle. Die bedeutendsten Vertreter indigener Traditionen in den Gebieten der hellenistischen Königreiche waren die lokalen Priester; sie verteidigten nicht nur die Privilegien ihrer Gemeinschaften, indem sie mit den Königen verhandelten, sondern bewahrten auch Gebräuche, indem sie mit der indigenen Bevölkerung interagierten, und sie verfassten weiterhin Dokumente in den einheimischen Sprachen und erhielten die Erinnerung an die lokale Vergangenheit aufrecht. Manetho, angeblich ein Priester aus Heliopolis unter Ptolemaios II., schrieb eine Geschichte Ägyptens; sie ist nur fragmentarisch erhalten, ist aber ein wichtiger Beleg dafür, dass die Griechen die ägyptische Vergangenheit kannten. Auch jenseits der Verwaltungsebene standen die Griechen und die lokale Bevölkerung in permanentem Austausch. Diese Prozesse liefen nicht immer ohne Konflikte ab. Die konservativen Juden von Jerusalem lehnten die griechische Institution des Gymnasiums ab, und in Ägypten zeugen auf Papyri erhaltene Petitionen von ethnischen Spannungen. Im Jahr 218 v. Chr. beschrieb ein gewisser Herakleides in einer Petition seinen Konflikt mit einer ägyptischen Frau in Magdola: Als ich an ihrem Haus vorüberging, lehnte sich eine Ägypterin, deren Name angeblich Psenobastis ist, aus einem Fenster und entleerte einen Nachttopf mit Urin über mir, sodass mein Gewand ganz durchnässt war. Als ich ihr erzürnt Vorwürfe machte, beschimpfte sie mich. Als ich sie meinerseits beschimpfte, zog Psenobastis am Falz meines Mantels, den ich umgelegt hatte, zerriss ihn und zerrte ihn mir vom Leib, sodass meine Brust entblößt wurde. Sie spuckte mir auch ins Gesicht in der Gegenwart mehrerer Leute, die ich als Zeugen anrief … Ich flehe dich, oh König, daher an, wenn es dir gefällt, nicht darüber hinwegzusehen, dass mir – einem Griechen und Gast – so grundlos von einer Ägypterin Unrecht zugefügt wird.

Papyri aus derselben Zeit zeigen jedoch auch, wie griechische Siedler durch die Heirat mit ägyptischen Frauen gemischte Familien gründeten. Ein Mann namens Dryton und seine Familie haben eine Vielzahl von Dokumenten hinterlassen, die uns Einblicke in das Leben von Griechen und Ägyptern gewähren. Dryton, vermutlich ein Sohn oder Nachkomme kretischer Söldner, wurde 195 v. Chr. als Bürger der griechischen Stadt Ptolemais geboren. Aus dem kretischen Namen seines Schwiegervaters Esthladas können wir folgern, dass seine erste Frau, Sarapias, kretischer 455

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

Abstammung war; Dryton heiratete also zuerst innerhalb seiner eigenen ethnischen Gruppe. Nach Sarapias’ Tod bzw. der Scheidung von ihr heiratete Dryton um 150 v. Chr. ein weiteres Mal. Seine zweite Gattin Apollonia, auch Senmouthis genannt, war um einiges jünger als er, hatte keinen Bürgerstatus und war keine Kreterin. Ihre Familie war vermutlich spätestens in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. aus Kyrene nach Ägypten eingewandert. Nach drei oder vier Generationen, die in ländlichen Teilen Ägyptens gelebt hatten, hatten die Mitglieder dieser Familie größtenteils ägyptische Kultur und ägyptische Namen übernommen. Diese Apollonia, ihre vier Schwestern und ihre fünf Töchter hatten alle Doppelnamen, einen griechischen und einen ägyptischen. Die Konvergenz der beiden Kulturen wird in der Generation von Drytons Kindern noch augenfälliger. Wir wissen, dass zwei seiner Töchter ägyptische Männer heirateten – und sich dann wieder von ihnen scheiden ließen. Zu ähnlichen Veränderungen kam es in Griechenland und den griechischen Kolonien in Kleinasien, als sich dort ab der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Italiker niederließen. Mischehen – wie auch allein schon das Zusammenleben in derselben Region – förderten kulturelle Konvergenz. Auch römisches Recht und römische Institutionen hatten großen Einfluss. Das taurische Chersonesos (heute Sebastopol) reformierte beispielsweise um 100 n. Chr. sein Gerichtssystem und übernahm das römische Prinzip der reiectio iudicum, sprich: das Recht der Streitparteien, bis zu fünf Richter abzulehnen. Der bedeutendste Effekt der römischen Kolonisierung war ihre Auswirkung auf das kulturelle Leben. In den römischen Kolonien war die lateinische Sprache nicht nur offizielle Amtssprache, sondern wurde auch von der Bevölkerung gesprochen. In vielen Kolonien wurde Latein nach und nach durch Griechisch ersetzt und nur noch für offizielle Dokumente oder öffentliche Inschriften verwendet. Es gab jedoch auch Kolonien, wie Philippi und Dion in Makedonien, Patrai in Achäa und Alexandria Troas in Kleinasien, in denen Latein bis ins späte 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. die Hauptverständigungssprache blieb. Auch wurden römische Gottheiten, Feste und Rituale eingeführt, und ihr Einfluss blieb nicht auf die Kolonien beschränkt. Ein frühes Beispiel kultureller Konvergenz ist die Einführung des römischen Festes der Compitalia auf Delos im späten 2. Jahrhundert v. Chr. Gefeiert wurde es in Nachbarschaften, in denen italische Familien lebten. Den römischen Familiengöttern, den Laren, sowie Merkur (mit dem griechischen Hermes gleichgesetzt) und Herkules wurden Opfer dargebracht. Es handelte sich zwar um eine offizielle Feier der Gemeinschaft der Italiker, aber das 456

Kulturelle Konvergenz und lokale Traditionen

Fest wurde auch von den Freigelassenen italischer Familien übernommen. Die athletischen Wettspiele (ludi) und die Opfer waren Teil der ursprünglichen Tradition, den Brauch, vor den Häusern Altäre zu errichten, übernahmen die italischen Siedler jedoch von den Griechen. Auch das römische Grabritual der rosalia ist ein Paradebeispiel. Anlässlich des römischen Festes der Rosalia im Mai schmückte man die Gräber mit Rosen, zum Andenken an die Verstorbenen. Römische und italische Siedler brachten den Brauch zunächst in die Balkangebiete, wo die lokale Bevölkerung ihn bald unter dem Namen rhoda oder rhodismos übernahm, da er ohne Weiteres mit der Tradition, Blumen auf die Gräber zu legen, verbunden werden konnte. Vom Balkan aus breitete sich der Brauch weiter nach Osten, nach Kleinasien, aus. Künstlerische Einflüsse bewegten sich in die Gegenrichtung, von Griechenland nach Italien, Rom und in die westlichen Provinzen. Auch die Wettkampfkultur der Griechen war im Westen nicht unbekannt. Um die Zeit von Hadrians Tod ließ sich ein gewisser Gaius Valerius Avitus in Tarraco in Spanien eine Villa bauen. Ein griechischer Text wurde mit Farben auf ein Wandfresko aufgetragen; er verewigte Siege – mit großer Wahrscheinlichkeit die von Familienangehörigen – bei zwei agonistischen Festen in Griechenland, den Nemeen und den Aktia. Unter der mehr oder weniger einheitlichen Kultur, die wir die koine nennen, blieben lokale Traditionen bestehen. Manchmal wissen wir von ihnen nur deshalb, weil indigene Bevölkerungsteile im Zuge der Erhöhung der Alphabetisierungsrate nun in der Lage waren, Inschriften herzustellen und in ihnen die Rituale bezeugen, die seit Jahrhunderten durchgeführt worden sein müssen, ohne je Spuren in den Schriftzeugnissen hinterlassen zu haben. In Lydien wird ein einzigartiges Ritual erst im 2. und 3. Jahrhundert inschriftlich erwähnt: Bei diesem Ritual wurde eine Sünde auf Dreier­ gruppen von Tieren übertragen – triphonon (Tiere mit drei Stimmen) und enneaphonon (Tiere mit neun Stimmen) –, die verschiedene Orte wie die Erde, den Himmel, die Unterwelt und die Flüsse repräsentierten, und man erwartete, dass die Tiere die Sünde mit sich hinwegnehmen würden. Für eine solche rituelle Übertragung einer Sünde auf Tiere finden wir Parallelen in hethitischen Ritualen aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., bei denen verschiedene Kreaturen – Vögel, Fische, Mäuse – freigelassen wurden, um böse Taten und Sünden zu entfernen; dieses Ritual wurde von Beschwörungsformeln begleitet. Die plausibelste Erklärung hierfür ist, dass solche traditionellen Rituale über die Jahrhunderte hinweg in den lokalen Heiligtümern über­dauerten, und nicht, dass sie künstlich wiederbelebt wurden. In Tralleis 457

Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung

erwähnen Inschriften aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. den anderweitig nicht bezeugten rituellen Dienst der „Konkubine“ (pallake) und „jener, die ihre Füße nicht waschen“ (aniptopodes). Man könnte geneigt sein, diese kultischen Besonderheiten als künstliche Wiederbelebungsversuche oder „erfundene Traditionen“ zu betrachten, wenn die Texte nicht bekräftigten, dass diese Funktionen von Generation zu Generation innerhalb derselben Familie weitergegeben wurden. Ein weiteres lydisches Ritual, das allem Anschein nach das Endglied einer langen Tradition zu sein scheint, beschrieb Pausanias – er hatte es in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. in Heiligtümern der „Persischen Artemis“ in Hierokaisareia und Hypaipa in Lydien beobachtet. In diesen Heiligtümern standen Altäre, auf die ein magus, ein persischer Priester mit einer Tiara, trockenes Holz legte. „Dann singt er zu irgendeinem der Götter eine Beschwörung in einer fremden Sprache, unverständlich für die Griechen, wobei er die Beschwörung aus einem Buch rezitiert“; der Priester erwartete, dass das Holz ohne die Verwendung von Feuer in Flammen aufging. Als sich Augustus nur wenige Monate vor seinem Tod im Jahr 14 n. Chr. in Capri aufhielt, verteilte er dort griechische Gewänder an Römer und römische Kleidung an Griechen und ermunterte die beiden Gruppen dazu, die Sprache des jeweils anderen zu sprechen. Die Kaiserzeit war eine Zeit der Osmose. Eben diese Konfrontation der Griechen mit verschiedenen Kulturen schärfte bei den Gebildeten unter ihnen das Bewusstsein für ihre eigenen kulturellen Traditionen und ließ ein großes Interesse entstehen an griechischen Antiquitäten und griechischer Geschichte. Das „lange hellenistische Zeitalter“ war die Blütezeit der Historiographie, zumindest hinsichtlich Quantität; es war auch die Blütezeit von Gedenkjubiläen, historischen Monumenten und Mythographie. Die Griechen bemühten sich darum, in einer kosmopolitischen Welt eine breitere griechische Identität aufrechtzuerhalten, oft zusätzlich zu einer lokalen, städtischen oder regionalen Identität. Hellenarch, „der Oberbeamte der Griechen“, war im 2. Jahrhundert n. Chr. der Titel eines der Beamten in Tanais, am Eingang zum Asowschen Meer. Selbst in Zeiten, als die Anpassung an das Römische Reich, besonders auf sprachlicher Ebene, tiefgreifend war, verblasste die Erinnerung an die griechischen Ursprünge nie. Angeregt von einer Passage im Werk des Autors Athenaios aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. bringt Kavafis in einem seiner „Verborgenen Gedichte“ dieses Fortbestehen der Erinnerung zum Ausdruck, mit der für ihn charakteristischen historischen Sensibilität und Scharf­ sinnigkeit: 458

Kulturelle Konvergenz und lokale Traditionen

Die Poseidonier vergaßen die griechische Sprache nach so vielen Jahrhunderten der Vermischung mit Tyrrhenern, Lateinern und anderen Fremden. Das Einzige, was ihnen von ihren Vorfahren blieb, war ein griechisches Fest, mit schönen Riten, mit Leiern und Flöten, Wettkämpfen und Kränzen. Und sie pflegten gegen Ende des Festes sich einander von ihren alten Bräuchen zu erzählen und noch einmal die griechischen Namen zu nennen, die nur wenige von ihnen noch verstanden. Und so fand ihr Fest stets ein melancholisches Ende, da sie sich erinnerten, dass auch sie Griechen waren, dass auch sie einmal Bürger von Magna Graecia gewesen waren; und wie tief sie nun gefallen waren, was aus ihnen geworden war, die sie wie Barbaren lebten und sprachen und ach so weit entfernt waren vom Griechentum.

459

Anhang

Zeittafel

336 v. Chr. 335 334–325 334 333 332/331 331 330 330–327 327–325 326 325 324 323

323/322

321–281 321/320

319–315 319–288 317 315

Ermordung Philipps II. von Makedonien; Alexander wird König Zerstörung von Theben Alexanders Eroberungszug in Asien Alexanders Sieg beim Granikos Alexander besiegt Dareios III. bei Issos Alexander in Ägypten; Gründung von Alexandria Alexander besiegt Dareios III. bei Gaugamela Brand des Palasts in Persepolis; Ermordung Dareios’ III. Alexander erobert den Nordosten Irans und Afghanistan Alexanders Feldzug im Punjab Alexanders Schlacht am Hydaspes; Sieg über Poros Alexanders Rückkehr aus Indien; Nearchos erkundet den ­Indischen Ozean und den Persischen Golf Alexanders Edikt bezüglich der Rückkehr von Exilierten; ­Meuterei von Alexanders Heer in Opis; Tod Hephaistions Tod Alexanders; Philipp III. Arrhidaios und Alexander IV. werden zu Königen unter der Vormundschaft des Krateros erklärt; Aufteilung der Satrapien unter Alexanders Generälen Der Hellenische oder Lamische Krieg (Aufstand griechischer Städte gegen die makedonische Oberherrschaft); Niederlage Athens Diadochenkriege um die Aufteilung des Alexanderreichs Perdikkas und Eumenes gegen Antipatros, Krateros, Antigonos Monophthalmos und Ptolemaios; Aufteilung des Alexanderreichs im Abkommen von Triparadeisos Kämpfe Kassanders gegen Polyperchon und Olympias, Antigonos’ gegen Eumenes Autokratische Herrschaft Agathokles’ von Syrakus auf Sizilien Olympias befiehlt die Ermordung Philipps III. Niederlage und Tod des Eumenes 463

Zeittafel

314

312 311 310 308–306 307 306

305/304 304 303–301

301 297

296

295 294 288

287–285

464

Koalition zwischen Kassander, Lysimachos, Ptolemaios und ­Seleukos gegen Antigonos Monophthalmos und seinen Sohn Demetrios Poliorketes; Antigonos und Demetrios verkünden die Freiheit der griechischen Städte Seleukos kehrt in seine Satrapie in Babylon zurück Friedensabkommen zwischen den Diadochen Kassander befiehlt die Ermordung Alexanders IV., des letzten Mitglieds der Argeadendynastie Feldzug Agathokles’ von Syrakus in Nordafrika Befreiung Athens von makedonischer Besatzung durch ­Demetrios Poliorketes Sieg Demetrios Poliorketes’ über Ptolemaios bei Salamis auf Zypern; das „Jahr der Könige“: Antigonos Monophthalmos und Demetrios nehmen den Königstitel an; Ptolemaios, Kassander, Lysimachos und Seleukos folgen ihrem Beispiel Belagerung von Rhodos durch Demetrios Poliorketes Agathokles wird auf Sizilien zum König erklärt Krieg zwischen Ptolemaios, Kassander, Lysimachos und ­Seleukos gegen Antigonos und Demetrios; Antigonos und ­Demetrios gründen einen Hellenenbund Antigonos fällt in der Schlacht bei Ipsos; Ariarathes II. begründet das Königreich Kappadokien Tod Kassanders, des Königs von Makedonien; Philipp IV. wird sein Nachfolger; Zipoites wird König von Bithynien; Pyrrhus wird König in Epirus Tod Philipps IV., des Königs von Makedonien; dynastischer Konflikt zwischen Kassanders Söhnen Alexander und ­A ntipatros Demetrios Poliorketes besetzt Athen Demetrios wird zum König von Makedonien erklärt Lysimachos und Pyrrhus vertreiben Demetrios aus Makedonien; Lysimachos vertreibt Pyrrhus und herrscht allein in ­Makedonien und Thrakien; seine Gattin ist Arsinoë, die Tochter Ptolemaios’ I. Erfolgloser Feldzug des Demetrios in Kleinasien; Demetrios wird von Seleukos gefangen genommen und stirbt 283 in ­Gefangenschaft

Zeittafel

283

283–246 281

281–261 280–275 279/278

278 277 275/274 –271 274–272

272–239 268–261

264–241 261–246 260–253 255/254 251 250–245 247

Tod Ptolemaios’ I., des Königs von Ägypten; Arsinoë veranlasst Lysimachos dazu, die Ermordung seines Sohnes Agathokles in Auftrag zu geben; Agathokles’ Witwe, Lysandra, und ihr ­Bruder Ptolemaios Keraunos suchen Zuflucht am Hof von ­Seleukos  I. Ptolemaios II., König von Ägypten (von 281 bis ca. 268 ­zusammen mit Arsinoë II.) Krieg zwischen Seleukos und Lysimachos; Lysimachos fällt in der Schlacht von Kouroupedion; Seleukos wird von seinem Verbündeten Ptolemaios Keraunos ermordet, welcher König in Makedonien wird Antiochos I., König des Seleukidenreichs Feldzüge des Pyrrhus von Epirus in Italien und auf Sizilien Einfall der Gallier (Galater); Tod Ptolemaios Keraunos’; Anarchie in Makedonien; Sieg der Ätoler über die Gallier in Delphi; Aufstieg des Ätolischen Bundes Die Gallier setzen nach Kleinasien über und beginnen, die griechischen Städte zu überfallen Sieg Antigonos Gonatas’ über die Gallier in Lysimacheia; Antigonos wird zum König erklärt Erster Syrischer Krieg zwischen Antiochos I. und Ptolemaios II. um die Kontrolle über Koilesyrien Pyrrhus erobert Teile Makedoniens zurück; Krieg zwischen Pyrrhus und Antigonos Gonatas; Pyrrhus wird in Argos getötet (272) Antigonos Gonatas, alleiniger König von Makedonien Chremonideïscher Krieg: Antigonos Gonatas gegen Ptolemaios II., Athen, Sparta und deren Bundesgenossen; Gonatas setzt sich durch; makedonische Besetzung Athens (bis 229) Erster Punischer Krieg zwischen Rom und Karthago Antiochos II., König des Seleukidenreichs Zweiter Syrischer Krieg: Antiochos II., Rhodos und Antigonos Gonatas gegen Ptolemaios II. Bithynischer Thronfolgekrieg Aratos befreit Sikyon; Sikyon tritt dem Achäischen Bund bei Abfall Alexanders, des Befehlshabers der makedonischen Garnison in Korinth, von Antigonos Gonatas Gründung des Partherreichs

465

Zeittafel

246 246–221 246

246–225 245

243 241 241–197 240 239 239–229 239–233 238 231–229 230–227 229–221 229 229/228 229–222 229–220 227 225–222 224–222

222–187

466

Tod Ptolemaios’ II. (Januar) und Antiochos’ II. (Sommer) Ptolemaios III., König in Ägypten Beginn des Dritten Syrischen Krieges oder Laodike-Krieges; siegreicher Feldzug Ptolemaios’ III. im Seleukidenreich (Syrien und Mesopotamien) Seleukos II., König des Seleukidenreichs Sieg Antigonos Gonatas’ über die ptolemäische Flotte bei ­A ndros; Seleukos II. erobert Gebiete in Nordsyrien und Mesopotamien zurück Aratos befreit Korinth von der makedonischen Besatzung Ende des Dritten Syrischen Krieges; Ptolemaios III. macht ­Gebietsgewinne in Syrien Attalos I., Herrscher von Pergamon (238 zum König erklärt) Antiochos Hierax fällt vom Seleukidenreich ab und errichtet seine Herrschaft in Kleinasien Tod Antigonos Gonatas’; Allianz des Ätolischen und des ­Achäischen Bundes Demetrios II., König von Makedonien Krieg des Demetrios gegen den Ätolischen und den Achäischen Bund Siege Attalos’ I. von Pergamon in Kriegen gegen die Gallier in Kleinasien Einfall von Dardanern in Makedonien Siegreicher Krieg Attalos’ I. von Pergamon gegen Antiochos Hierax (dieser starb 226) Antigonos Doson, König von Makedonien Befreiung Athens von der makedonischen Besatzung Erster Illyrischer Krieg: Die Römer besiegen Königin Teuta Kleomenischer Krieg (Sparta gegen den Achäischen Bund) Ätolische Überfälle auf der Peloponnes und in Zentralgriechenland Militäroperationen Antigonos Dosons von Makedonien in ­K arien (Kleinasien) Seleukos III., König des Seleukidenreichs Hellenenbund unter der Führung von Antigonos Doson; Krieg gegen Kleomenes von Sparta; Niederlage Kleomenes’ in der Schlacht von Sellasia (222) Antiochos III., König des Seleukidenreichs

Zeittafel

222–213 221

221–179 221–204 221–219

220 220–217

219/218 219–217 218 217

216 216–213 215 215–205 214 212 212–205 206 205 205–185 205–201

Krieg Antiochos’ III. gegen Molon, welcher Teile Kleinasiens kontrolliert; Sieg Antiochos’ Tod Ptolemaios’ III. und Antigonos Dosons; der karthagische Kommandant Hasdrubal wird in Spanien ermordet; sein Nachfolger ist Hannibal Philipp V., König in Makedonien Ptolemaios IV., König in Ägypten Krieg von Lyttos auf Kreta (Knossos und Gortyn mit ihren Bundesgenossen gegen Lyttos, Bürgerkrieg in Gortyn); Militäroperationen Hannibals in Spanien Krieg zwischen Rhodos und Byzantion wegen der Abschaffung von Zöllen für Schiffe, die durch die Meerengen fahren „Bundesgenossenkrieg“: der Hellenenbund unter Philipp V. von Makedonien gegen den Ätolischen Bund; Einfälle von Dardanern in Makedonien (220–219, 217) Zweiter Illyrischer Krieg: Rom besiegt Demetrios von Pharos Vierter Syrischer Krieg zwischen Ptolemaios IV. und Antiochos III. Hannibal beginnt seinen Feldzug gegen Rom; Ausbruch des Zweiten Punischen Kriegs 22. Juni: Ptolemaios IV. besiegt Antiochos III. in der Schlacht bei Raphia; Ende Juni: Hannibal besiegt die Römer am Trasimenischen See; August: Friedenskonferenz in Naupaktos ­zwischen Philipp V. und den Ätolern Hannibal besiegt die Römer bei Cannae Krieg zwischen Antiochos III. und dem Usurpator Achaios in Kleinasien Bündnisvertrag zwischen Philipp V. und Hannibal Erster Makedonischer Krieg: Philipp V. gegen Rom Tod des Aratos Die Römer erobern Syrakus; Bündnis zwischen dem Ätolischen Bund und Rom gegen Philipp V. Rückeroberung der östlichen Provinzen durch Antiochos III. Friedensabkommen zwischen den Ätolern und Philipp V. Mit dem Frieden von Phoinike endet der Erste Makedonische Krieg; Revolte der einheimischen Bevölkerung in Südägypten Südägypten wird von einheimischen Pharaonen regiert Erster Kretischer Krieg: mit Philipp V. verbündete kretische Städte gegen Rhodos, Kos und andere Inseln 467

Zeittafel

204 204–180 203/202 202 202–200 201 200–197 197

197–158 196 195 194 192–188 191 189 188

185 187–175 180–175 180 180–170 179 179–168 175

468

Tod Ptolemaios’ IV. Ptolemaios V., König von Ägypten Geheimabkommen zwischen Philipp V. und Antiochos III. über die Aufteilung des Ptolemäerreichs Niederlage Hannibals im Zweiten Punischen Krieg; Fünfter ­Syrischer Krieg: Antiochos III. gegen Ptolemaios V. Militäroperationen Philipps V. in Südkleinasien; Krieg Philipps V. gegen Rhodos Attalos I. und Rhodos fordern die Hilfe der Römer gegen ­Philipp V. an Zweiter Makedonischer Krieg: Philipp V. gegen Rom und seine Bundesgenossen Pergamon, Rhodos und Athen Sieg Titus Quinctius Flamininus’ über Philipp V. bei Kynoskephalai; Antiochos III. besetzt makedonische und ptolemäische Besitzungen in Kleinasien und Thrakien; Tod Attalos’ I. Eumenes II., König von Pergamon Flamininus verkündet die Freiheit der griechischen Städte Krieg der Römer gegen König Nabis von Sparta Die römischen Truppen ziehen sich aus Griechenland zurück; „kalter Krieg“ zwischen Antiochos III. und Rom Antiochoskrieg: Antiochos III. und die Ätoler gegen Rom und seine Bundesgenossen, Pergamon und Makedonien Niederlage Antiochos’ III. bei den Thermopylen; Rückkehr nach Kleinasien Niederlage Antiochos’ III. bei Magnesia am Sipylos Friede von Apameia: Antiochos verliert seine Besitzungen in Kleinasien; Eumenes II. von Pergamon und Rhodos erhalten zusätzliche Gebiete Tod Antiochos’ III. in Iran; Gründung eines autonomen ­Griechisch-Baktrischen Königreichs unter Euthydemos Seleukos IV., König des Seleukidenreichs Gründung eigenständiger griechisch-baktrischer und ­griechisch-indischer Königreiche Tod Ptolemaios’ V. Erste Regierungszeit Ptolemaios’ VI. Tod Philipps V. Perseus, König von Makedonien Seleukos V. wird von seinem obersten Minister Heliodoros ­ermordet

Zeittafel

175–164 171–168 170

170–118

168

164

159–154 158 158–138 153–145 149/148

146

145–139 143/142 142–138 141

Antiochos IV. ergreift die Macht im Seleukidenreich Dritter Makedonischer Krieg: Rom und seine Bundesgenossen gegen Perseus von Makedonien Sechster Syrischer Krieg; Antiochos IV. marschiert in Ägypten ein; Ptolemaios VI. wird durch seinen Bruder Ptolemaios VIII. als König ersetzt Dynastische Konflikte und Bürgerkriege in Ägypten zwischen Ptolemaios VI. (170–145), Ptolemaios VIII. (170–163, 145–116), Kleopatra II. (145–127, 124–116) und Kleopatra III. (139–101) Sieg Aemilius Paullus’ über Perseus in der Schlacht von Pydna; das Ende der antigonidischen Monarchie; das makedonische Königreich wird in vier Staaten aufgeteilt; 1000 griechische Geiseln in Rom; Rhodos verliert seine Besitzungen in Kleinasien; Delos wird zu einem Freihafen erklärt; Antiochos IV. wird von den Römern gezwungen, aus Ägypten abzuziehen; er macht die Privilegien der Juden in Jerusalem rückgängig; Beginn des Makkabäer-Aufstands Tod Antiochos’ IV.; Beginn von Usurpationen und Bürger­ kriegen zwischen verschiedenen Linien der Seleukiden; Judas Makkabäus besetzt Jerusalem Krieg zwischen Pergamon und Prusias II., dem König von ­Bithynien; Sieg Pergamons Tod Eumenes’ II. Attalos II., König von Pergamon Alexander Balas usurpiert den Seleukidenthron Andriskos ergreift die Macht in Makedonien und stellt das ­makedonische Königreich wieder her; er wird von den Römern besiegt; Makedonien wird die erste römische Provinz in ­Griechenland Achäischer Krieg: der Achäische Bund gegen Rom; die Achäer werden besiegt, Korinth wird zerstört, und Griechenland wird der direkten Verwaltung der Römer unterstellt Demetrios II., König im Seleukidenreich Der Seleukide Demetrios II. erkennt die Unabhängigkeit Judäas an Diodotos Tryphon usurpiert den Seleukidenthron Die Parther besetzen Seleukeia am Tigris, eine der seleukidischen Hauptstädte 469

Zeittafel

Demetrios II. wird von den Parthern besiegt und verbringt zehn Jahre in Gefangenschaft Tod Attalos’ II. 138 Attalos III., König von Pergamon 138–133 Tod Attalos’ III. von Pergamon; er vermacht sein Königreich 133 den Römern Aristonikos-Krieg: Aristonikos, unehelicher Sohn Attalos’ II. 133–129 von Pergamon, kämpft gegen die Römer; er hat die Unter­ stützung von Angehörigen der unteren sozialen Schichten Die Seleukiden verlieren Mesopotamien an die Parther 130 Aristonikos wird besiegt; Einrichtung der römischen 129 Provinz Asia Die Reformen des Gaius Gracchus in Rom; Maßnahmen zur 123–122 Tributeintreibung in Asia ca. 105–96 Ptolemaios Apion, König in der Kyrenaika Ptolemaios Apion vermacht sein Königreich den Römern; 96 74 wird die Kyrenaika römische Provinz Erster Mithridatischer Krieg: Mithridates VI., König von 88–86 ­Pontos, und seine griechischen Verbündeten gegen Rom; sieg­ reicher Feldzug Sullas in Griechenland Friede von Dardanos zwischen Sulla und Mithridates VI. 85 Die Bevölkerung von Antiochia lädt Tigranes II., den König 83 von Armenien, dazu ein, das Seleukidenreich zu übernehmen Zweiter Mithridatischer Krieg: Mithridates VI. gegen Rom 83–81 Die Kyrenaika und Bithynien werden römische Provinzen 74 Dritter Mithridatischer Krieg: Mithridates VI. gegen Rom 74–64 Feldzüge des Lucullus gegen Mithridates 74–67 Eroberung Kretas durch die Römer 69–67 Lex Gabinia: Pompeius erhält ein außerordentliches Kommando 67 im Krieg gegen die Piraten und Mithridates Mithridates VI. begeht Selbstmord; das Königreich Pontos wird 64 aufgelöst; Pompeius’ Neuorganisation des Ostens; Einrichtung der Provinz Bithynia et Pontus; Pompeius gründet Städte in Kleinasien Das seleukidische Königreich wird zu einer römischen Provinz 63 Rom annektiert Zypern 59 Mit römischer Hilfe erobert Ptolemaios XII. seinen Thron in 55 Ägypten zurück Bürgerkrieg zwischen Pompeius und Caesar 49/48 139

470

Zeittafel

48 47

44 43 40 37–36

31 30 27 27–14 n. Chr. 25 ca. 10 6

6 n. Chr. 14–37 18 37–41 41–54 43 44 46 54–68 63

Caesar besiegt Pompeius bei Pharsalos; Pompeius wird in ­A lexandria ermordet Caesar wird in Rom zum dictator ernannt; Bellum Alexandrinum: Caesar unterdrückt einen Aufstand in Alexandria und setzt Kleopatra VII. als Königin ein Ermordung Caesars; Kleopatra kehrt mit ihrem Sohn Kaisarion von Rom nach Alexandria zurück Triumvirat in Rom: Octavian, Marcus Antonius und Lepidus; Antonius kontrolliert den römischen Osten Antonius verbündet sich mit Kleopatra Antonius’ Neuorganisation des römischen Ostens, Einrichtung von Klientelkönigreichen und Vergrößerung des Königreichs der Kleopatra Rom erklärt Antonius und Kleopatra den Krieg; Sieg Octavians bei Actium Antonius und Kleopatra begehen Selbstmord; Kaisarion wird von Octavian hingerichtet; Ägypten wird von Rom annektiert Octavian, nun unter dem Namen Imperator Caesar Augustus, errichtet in Rom ein monarchisches Regime Herrschaft des Augustus Galatien wird römische Provinz Das letzte griechisch-indische Königreich in Nordindien wird aufgelöst Das Königreich Paphlagonien wird aufgelöst und der Provinz Galatia angeschlossen

Ein Teil des Königreichs von Judäa wird römische Provinz Herrschaft des Tiberius Das Königreich Kappadokien wird römische Provinz Herrschaft des Caligula Herrschaft des Claudius Lykien wird römische Provinz Das Reich von König Herodes Agrippa in Judäa wird römische Provinz Das Königreich Thrakien wird römische Provinz Herrschaft Neros Nero annektiert das Königreich Pontos und Kolchis 471

Zeittafel

64 66–70 66/67 68 69 69–79 70 70–73 ca. 71 ca. 73 79–81 81–96 96 96–98 98–117 101–106 107 113–115 115–117 117–138 123–125 128–132 130 132 133–135 138

472

Ein Feuer zerstört Teile Roms; Christenverfolgung Jüdischer Krieg Nero besucht Griechenland; er erklärt die griechischen Städte für frei Widerstand gegen Nero in Rom; Nero begeht Selbstmord; Ende der julisch-claudischen Dynastie Bürgerkrieg im Römischen Reich („Vierkaiserjahr“); Vespasian ergreift die Macht und begründet die flavische Dynastie Herrschaft Vespasians Vespasians Sohn Titus erobert Jerusalem Letzter Widerstand der Juden in Masada Lykien und Pamphylien werden zu einer Provinz zusammen­ geführt Das Königreich Kommagene wird annektiert und wird Teil der Provinz Syria Herrschaft des Titus Herrschaft Domitians Ermordung Domitians; Ende der flavischen Dynastie Herrschaft Nervas, der die Dynastie der Adoptivkaiser (antoninische Dynastie) begründet Herrschaft Trajans Eroberung von Dakien Eroberung des Nabatäerreichs in Arabien Eroberung Mesopotamiens; das Römische Reich erreicht seine größte Ausdehnung Jüdische Aufstände in Syrien, Ägypten und der Kyrenaika Herrschaft Hadrians Hadrian besucht Griechenland und Kleinasien Zweite Reise Hadrians in den Osten (Syrien, Ägypten, ­K leinasien, Griechenland) Tod des Antinoos in Ägypten Hadrian gründet das Panhellenion in Athen Jüdischer Aufstand unter Bar Kochba Tod Hadrians

Karten

Die Karten wurden auf Basis der Vorlagen in der englischen Ausgabe für die deutsche Ausgabe von Peter Palm, Berlin umgesetzt.

473

Karten

Dyrrhachion

ILLYRIEN PELAGONIA

N

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Apollonia

Str N

Pella Aigai EORDAIA Pydna Dion ORESTIS

on

Philippi

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Amphipolis Thessalonike

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Kassandreia

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s Larisa Peneio Dodona THESSALIEN Demetrias Kassope Pharsalos Ambrakia

KERKYRA

Actium LEUKAS

AKARNANIEN ÄTOLIEN

Ä

Histiaia

Herakleia

EUBÖA



is

SKYROS

Thermon Delphi

Chaironeia Chalkis Eretria Theben Patrai ACHÄA Megara Sikyon Athen Karystos Elis ARKADIEN ANDROS Korinth Epidauros Olympia Argos Mantineia KEOS Tegea Megalopolis

Naupaktos

KEPHALLENIA

KYK

ZAKYNTHOS

LA

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Messene Sparta

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Karte 1: Griechenland und Westkleinasien

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Karte 2: Alexanders Eroberungszug

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Karte 6: Das Seleukidenreich und die Griechisch-Baktrischen Königreiche

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Weiterführende Literatur und Quellen

Abkürzungen BCH: Bulletin de Correspondance Hellénique CIG: Corpus Inscriptionum Graecarum, Berlin, 1825–77 F.Delphes: Fouilles de Delphes FdXanthos VII: A. Balland, Inscriptions d’époque impériale du Létôon. Fouilles de Xanthos VII, Paris, 1981 FGrH: F. Jacoby u. a., Die Fragmente der Griechischen Historiker, Berlin und Leiden, 1923 ff. I.Didyma: A. Rehm, Didyma, II: Die Inschriften, hg. von R. Harder, Berlin, 1958 I.Ephesos: H. Wankel u. a., Die Inschriften von Ephesos (IGSK, 11– 17), Bonn, 1979–81 I.Erythrai: H. Engelmann und R. Merkelbach, Die Inschriften von Ery­ thrai und Klazomenai, I–II. (IGSK, 1/2), Bonn, 1972/73 IG: Inscriptiones Graecae, Berlin, 1873 ff. IGR: Inscriptiones Graecae ad res Romanas pertinentes, Paris, 1911–27 IGSK: Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien, Bonn, 1972 ff. IGUR: L. Moretti, Inscriptiones Graecae Urbis Romae, Rom, 1968– 90 I.Iasos: W. Blümel, Die Inschriften von Iasos (IGSK, 28, 1/2), Bonn, 1985 I.Knidos: W. Blümel, Die Inschriften von Knidos, I (IGSK, 41), Bonn, 1992 I.Kyme: H. Engelmann, Die Inschriften von Kyme (IGSK, 5), Bonn, 1976 I.Metropolis: B. Dreyer und H. Engelmann, Die Inschriften von Metropo­ lis. Teil I. Die Dekrete für Apollonios: Städtische Politik 490

Weiterführende Literatur und Quellen

I.Olympia: IOSPE I2:

I.Pergamon: I.Perinthos:

I.Priene: ISE: I.Side: I.Smyrna: I.Tralleis: JHS: JRS: LSAM: Milet VI.1:

OGIS: P.Eleph.:

P.Enteux.:

unter den Attaliden und im Konflikt zwischen Aristonikos und Rom (IGSK, 63), Bonn, 2003 W. Dittenberger und K. Purgold, Inschriften von Olympia, Berlin, 1896 V. Latyshev, Inscriptiones antiquae orae septentrionalis Pontis Euxini Graecae et Latinae. Vol. 1. Inscriptiones Ty­ riae, Olbiae, Chersonesis Tauricae, 2. Auflage, St. Petersburg, 1916 M. Fraenkel, Die Inschriften von Pergamon, Berlin, 1890– 95 M. H. Sayar, Perinthos-Herakleia (Marmara Ereg˘lisi) und Umgebung: Geschichte, Testimonien, griechische und latei­ nische Inschriften, Wien, 1998 F. Hiller von Gaertringen, Inschriften von Priene, Berlin, 1906 L. Moretti, Iscrizioni storiche ellenistiche, I–II, Florenz, 1967–76 J. Nollé, Side im Altertum: Geschichte und Zeugnisse, II (IGSK, 44, 2), Bonn, 2001 G. Petzl, Die Inschriften von Smyrna (IGSK, 23/24), Bonn 1982–90 F. B. Poljakov, Die Inschriften von Tralleis und Nysa, I: Die Inschriften von Tralleis (IGSK, 36, 1), Bonn, 1989 Journal of Hellenic Studies Journal of Roman Studies F. Sokolowski, Lois sacrées d’Asie Mineure, Paris, 1955 Inschriften von Milet. Teil 1: A. Inschriften n. 187–406 (Nachdruck aus den Bänden I.5–II.3) von A. Rehm, mit einem Beitrag von H. Dessau; B. Nachträge und Überset­ zungen zu den Inschriften n. 1–406 von P. Herrmann, Berlin und New York, 1997 W. Dittenberger, Orientis Graeci Inscriptiones Selectae, Leipzig, 1903–05 O. Rubensohn, Ägyptische Urkunden aus den Königlichen Museen in Berlin: Griechische Urkunden, Sonderheft. Ele­ phantine-Papyri, Berlin, 1907 O. Gueraud, Enteuxeis: Requêtes et plaintes adressées au Roi d’Égypte au IIIe siècle avant J.-C., Kairo, 1931/32 491

Weiterführende Literatur und Quellen

P.Oxy.: Oxyrhynchus Papyri, London, 1898 ff. REG: Revue des Études Grecques Supplementum Epigraphicum Graecum, Leiden, 1923 ff. SEG: Staatsverträge III: H. H. Schmitt, Die Staatsverträge des Altertums, III, München, 1969 Steinepigramme I: R. Merkelbach und J. Stauber, Steinepigramme aus dem griechischen Osten, I: Die Westküste Kleinasiens von Knidos bis Ilion, Stuttgart und Leipzig, 1998 3 Syll. : W. Dittenberger, Sylloge Inscriptionum Graecarum, 3. Auflage, Leipzig, 1915–24 TAM: Tituli Asiae Minoris, Wien, 1901 ff. ZPE: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik Zitate aus antiken und modernen Werken wurden, sofern nicht ­a nders angegeben, vom Übersetzer ins Deutsche übertragen.

1 Wie alles begann: von Makedonien zur Oikoumene Weiterführende Literatur: A. B. Bosworth, A Historical Commentary on Ar­ rian’s History of Alexander, Oxford, 1980–95; Bosworth, 1988; A. B. Bos­ worth, Alexander and the East: The Tragedy of Triumph, Oxford, 1996; P. Cartledge, Alexander the Great: The Hunt for a New Past, London, 2004; A. W. Collins, „The Royal Costume and Insignia of Alexander the Great“, Amer­ ican Journal of Philology 133, 2012, 371–402; Errington, 1986; P. M. Fraser, Cities of Alexander the Great, Oxford, 1996; N. G. L. Hammond, Sources for Alexander the Great: An Analysis of Plutarch’s ‚Life‘ and Arrian’s ‚Anabasis Alexandrou‘, Cambridge, 1993; N. G. L. Hammond, Alexander the Great: King, Commander and Statesman, 2. Auflage, Bristol, 1994; Hammond und Walbank, 1988; M. B. Hatzopoulos, „Philippe II fondateur de la Macédoine nouvelle“, REG, 125, 2012, 37–53; W. Heckel, The Conquests of Alexander the Great: Key Conflicts of Classical Antiquity, Cambridge, 2008; W. Heckel und L. A. Tritle (Hgg.), Alexander the Great: A New History, Malden, MA, 2009; W. Heckel und J. C. Yardley, Alexander the Great: Historical Sources in Translation, Malden, MA, 2004; A. J. Heisserer, Alexander the Great and the Greeks: The Epigraphic Evidence, Norman, OK, 1980; F. L. Holt, Into the Land of Bones: Alexander the Great in Afghanistan, Berkeley, 2005; R. Lane Fox, Alexander the Great, London, 1973 [dt. Ausgabe: Alexander der Große. Eroberer der Welt, Stuttgart, 2004]; Lane Fox (Hg.), 2011; J. Roisman (Hg.), 492

Weiterführende Literatur und Quellen

Brill’s Companion to Alexander the Great, Leiden, 2004; H.-U. Wiemer, Alex­ander der Große, 2. Auflage, München, 2015; Worthington, 2014; I. Worthington (Hg.), Alexander the Great: A Reader, London, 2003. Erwähnte Quellen: Arrian über Philip: Anabasis, 7.9.2. Der Palast in Aigai (Vergina): A. Kottaridi u. a., The Palace of Aegae 2007–2009: The Commencement of a Major Project, Thessaloniki, 2009. Isokrates’ Brief an Philipp: Brief 5.16. Demosthenes und Philipp: Aeschines, 2.34. Das Frie­ densabkommen nach Chaironeia: Staatsverträge, III, 403. Alexander in Troja: Arrian, Anabasis, 1.11.6–8. Korrespondenz zwischen Alexander und Dareios: Arrian, Anabasis, 2.14. Alexanders Pläne für einen Feldzug: M. B. Hatzopoulos, „Alexandre en Perse: la revanche et l’empire“, ZPE, 116, 1997, 41–52. Alexander und die Ilias: Plutarch, Alexander, 7. Das Verbannten­ dekret: S. Dmitriev, „Alexander’s Exiles Decree“, Klio, 86, 2004, 348–381. Der Kult für Hephaistion: SEG, XL, 547. Droysen über Alexander: J. G. Droysen, Geschichte Alexanders des Großen, Hamburg, 1833, 1 und 234. Aristo­ teles über Griechen und Barbaren: Politik, 1285a 19–22.

2 Die Diadochen: Abenteurer und Architekten von Königreichen Weiterführende Literatur: E. M. Anson, Eumenes of Cardia, a Greek among Mace­donians, Leiden, 2015; R. A. Billows, Antigonos the One-Eyed and the Creation of the Hellenistic State, Berkeley, 1990; A. B. Bosworth, The Legacy of Alexander: Politics, Warfare and Propaganda under the Successors, Ox­ ford, 2002; Bouché-Leclercq, 1913/14; Bowman, 1996; P. Briant, Antigone le Borgne: Les débuts de sa carrière et les problèmes de l’assemblée macédo­ nienne, Paris, 1973; S. N. Consolo Langher, Agatocle: Da capoparte a monarca fondatore di un regno tra Cartagine e i Diadochi, Messina, 2000; W. M. Ellis, Ptolemy of Egypt, London, 1994; Errington, 1986; J. D. Grainger, Seleukos Nikator: Constructing a Hellenistic Kingdom, London, 1990; Habicht, 1995; Hammond und Walbank, 1988; Hauben und Meeus (Hgg.), 2014; W. Heckel, The Marshals of Alexander’s Empire, London, 1992; Hölbl, 1994; J. Kobes, ‚Kleine Könige‘: Untersuchungen zu den Lokaldynas­ tien im hellenistischen Kleinasien (323–188), St. Katharinen, 1996; C. Lehmler, Syrakus unter Agathokles und Hieron II.: Die Verbindung von Kul­ tur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Frankfurt, 2005; P. Lévêque, Pyrrhos, Paris, 1957; H. S. Lund, Lysimachus: A Study in Helle­ nistic Kingship, London, 1992; Martinez-Sève, 2011; A. Meeus, „Kleopatra and the Diadochoi“, in P. van Nuffelen (Hg.), Faces of Hellenism: Studies in 493

Weiterführende Literatur und Quellen

the History of the Eastern Mediterranean (4th Century BC – 5th Century AD), Leuven, 2009, 63–92; D. Ogden, The Legend of Seleucus: Kingship, Narrative and Mythmaking in the Ancient World, Cambridge, MA, 2017; L. O’Sullivan, The Regime of Demetrius of Phalerum in Athens, 317–307 BCE: A Philosopher in Politics, Leiden, 2009; J. Seibert, Das Zeitalter der Diado­ chen, Darmstadt, 1983; Sherwin-White und Kuhrt, 1993. Erwähnte Quellen: Kassander und die Statue Alexanders: Plutarch, Ale­ xander, 74.6. Eumenes und Alexanders Thron: Diodor, 18.60.6. Alexanders letzte Worte: Diodor, 17.117.4. Demades über Alexanders Tod: Plutarch, Pho­ kion, 22. „Der Hellenische Krieg“: IG, II2, 467. Antigonos’ Ausrufung zum König: Plutarch, Demetrios, 17. Demetrios in Athen: Demochares, FGrH, 75, F 2; Duris, FGrH, 76, F 13; Plutarch, Demetrios, 12, 34; Herodian, 1.3.3. De­ metrios’ Mantel: Duris, FGrH, 76, F 14. Pyrrhus als neuer Alexander: Plutarch, Pyrrhus, 8. Pyrrhus und Kineas: Plutarch, Pyrrhus, 14. Hannibal über Pyrrhus: Plutarch, Pyrrhus, 8.2.

3 Das „alte“ Griechenland im kurzen 3. Jahrhundert: ein Kampf um Überleben, Freiheit und Vorherrschaft Weiterführende Literatur: A. J. Bayliss, After Demosthenes: The Politics of Early Hellenistic Athens, London und New York, 2011; K. Buraselis, Das hel­ lenistische Makedonien und die Ägäis: Forschungen zur Politik des Kassan­ dros und der drei ersten Antigoniden im Ägäischen Meer und in Westklein­ asien, München, 1982; Cartledge und Spawforth, 2002; Errington, 1986; J. J. Gabbert, Antigonus II Gonatas: A Political Biography, London, 1997; Gray, 2015; Habicht, 1995; Hammond und Walbank, 1988; H. Heinen, Un­ tersuchungen zur hellenistischen Geschichte des 3. Jahrhunderts v. Chr.: zur Geschichte der Zeit des Ptolemaios Keraunos und zum Chremonideischen Krieg, Wiesbaden, 1972; Koehn, 2007; Kralli, 2017; S. Le Bohec, Antigone Dôsôn, roi de Macédoine, Nancy, 1993; McKechnie und Guillaume (Hgg.), 2008; G. Nachtergael, Les Galates en Grèce et les Sotéria de Delphes: Re­ cherches d’histoire et d’épigraphie hellénistique, Brüssel, 1977; Oliver, 2007; K. Scherberich, Koinè symmachía: Untersuchungen zum Hellenenbund Anti­ gonos’ III. Doson und Philipps V. (224–197 v. Chr.), Stuttgart, 2009; F. W. Walbank, Aratos of Sicyon, Cambridge, 1933. Erwähnte Quellen: Das Wunder von Delphi: Pausanias, 10.23.1–10; vgl. Justin, 24.8. Die kleine Attalidengruppe: Pausanias, 1.25.2. Antigonidische Garnisonen als Fesseln Griechenlands: Polybios, 18.45. Glaukon und Pla­ 494

Weiterführende Literatur und Quellen

taiai: SEG, LXI, 352. Das Dekret des Chremonides: IG, II2, 687; Austin, 2006, Nr. 61; Bagnall und Derow, 2004, Nr. 19. Polybios über den Achäischen Bund: 2.37.11–38.8.

4 Von Ägypten hinaus in die Welt: das goldene Zeitalter der Ptolemäer Weiterführende Literatur: Bowman, 1996; K. Buraselis, M. Stefanou und D. J. Thompson (Hgg.), The Ptolemies, the Sea, and the Nile: Studies in Wa­ terborne Power, Cambridge, 2013; D. L. Clayman, Berenice II and the Golden Age of Pto­lemaic Egypt (Women in Antiquity), Oxford, 2014; Fra­ ser, 1972; Grainger, 2010; Harris und Ruffini (Hgg.), 2004; Hölbl, 1994; McKechnie und Cromwell (Hgg.), 2018; McKechnie und Guillaume (Hgg.), 2008; Manning, 2010; J. G. Manning, „Hellenistic Egypt“, in Scheidel u. a. (Hgg.), 2007, 434–459; R. Strootman, The Birdcage of the Muses: Patron­ age of the Arts and Sciences at the Ptolemaic Imperial Court (305–222 BCE), Leiden, 2016; Weber, 1991. Erwähnte Quellen: Die Prozession bei den Ptolemäern: Athenaios, V, 201d–203b. Theokrit über Ptolemaios II.: 17.77–97 und 102–105. Aratos über Ägypten: Plutarch, Aratos, 15. Das Schiff „Isis“ in Nymphaion: SEG, L, 696. Die Inschrift Ptolemaios’ III. in Adulis: OGIS, 54; Austin, 2006, Nr. 268; ­Bagnall und Derow, 2004, Nr. 26. Die Schlacht bei Raphia: Polybios, 5.82.5– 86.6. Der Aufstand der Ägypter: Polybios, 14.12.4.

5 Die Welt der Monarchie: Könige und Königreiche Weiterführende Literatur: Allen, 1983; G. G. Aperghis, The Seleukid Royal Economy: The Finances and Financial Administration of the Seleukid Em­ pire, Cambridge, 2004; Bagnall, 1976; B. Bar-Kochva, The Seleucid Army: Organization and Tactics in the Great Campaigns, Cambridge, 1976; J. Bau­ schatz, Law and Enforcement in Ptolemaic Egypt, Cambridge, 2013; Biker­ man, 1938; Billows, 1995; Bouché-Leclercq, 1913/14; D. Bonneau, Le régime administratif de l’eau du Nil dans l’Égypte grecque, romaine et byzantine, Leiden, 1993; Bowman, 1996; Capdetrey, 2009; Chaniotis, 2005, 57–77; A. Chaniotis, „The Ithyphallic Hymn for Demetrios Poliorcetes and Hellenistic Religious Mentality“, in P. P. Iossif, A. S. Chankowski und C. C. Lorber (Hgg.), More Than Men, Less Than Gods: Studies in Royal Cult and Imperial Worship, Leuven, 2011, 157–195; F. Coarelli, Pergamo e il re: forma e fun­ zioni di una capitale ellenistica, Pisa, 2016; D. Engels, Benefactors, Kings, 495

Weiterführende Literatur und Quellen

Rulers: Studies on the Seleukid Empire between East and West, Leuven, 2017; ­Fischer-Bovet, 2014; Fraser, 1972; J. D. Grainger, The Cities of Seleu­ kid Syria, Oxford, 1990; C. Habicht, Gottmenschentum und griechische Städte, 2. durch­gesehene Auflage, München, 1970; Hansen, 1971; Hatzopou­ los, 1996; M. B. Hatzopoulos, L’organisation de l’armée macédonienne sous les Antigonides: Problèmes anciens et documents nouveaux, Athen und Paris, 2001; Heitmann-Gordon, 2017, 267–339; Hölbl, 1994; W. Huss, Der makedonische König und die ägyptischen Priester: Studien zur Geschichte des ptolemäischen Ägypten, Stuttgart, 1994; L. Koenen, „The Ptolemaic King as a Religious Figure“, in A. Bulloch u. a. (Hgg.), Images and Ideologies: Selfdefinition in the Hellenistic World, Berkeley, 1993, 25–115; Kosmin, 2014; Kosmin, 2018; A. Lichtenberg, K. Martin, H.-H. Nieswandt und D. Salzmann (Hgg.), Das Diadem der hellenistischen Herrscher: Übernahme, Transforma­ tion oder Neuschöpfung eines Herrschaftszeichens, Münster, 2012; Ma, 2002; J. Ma, „The Attalids: A Military History“, in Thonemann (Hg.), 2013, 49–82; Manning, 2003 und 2010; H. Melaerts (Hg.), Le culte du souverain dans l’Égypte ptolémaïque au IIIe siècle avant notre ère, Leuven, 1998; A. Monson, ­Agriculture and Taxation in Early Ptolemaic Egypt: Demotic Land Surveys and ­Accounts (P. Agri), Bonn, 2012; Monson, 2012; L. Mooren, La hiérarchie de cour ptolémaique: Contribution à l’étude des institutions et des classes dirigeantes à l’époque hellénistique, Leuven, 1977; K. Mueller, Settle­ ments of the Ptolemies: City Foundations and New Settlement in the Helle­ nistic World, Leuven, 2006; Préaux, 1939; P. Sänger, „Das politeuma in der hellenistischen Staatenwelt: eine Organisationsform zur Systemintegration von Minderheiten“, in P. Sänger (Hg.), Minderheiten und Migration in der griechisch-römischen Welt, Paderborn, 2016, 25–45; I. Savalli-Lestrade, Les philoi royaux dans l’Asie hellénistique, Genf, 1998; Scholz, 2015; C. Schuler, „Landwirtschaft und königliche Verwaltung im hellenistischen Kleinasien“, Topoi, 6, 2004, 509–543; Sherwin-White und Kuhrt, 1993; Strootman, 2014; Thompson, 1988; P. Thonemann, „The Attalid State“, in Thonemann (Hg.), 2013, 1–48; P. van Nuffelen, „Le culte royal de l’Empire des Séleu­ cides: Une réinterpretation“, Historia, 52, 2004, 278–301; Versnel, 2011, 439–492; B. Virgilio, Le roi écrit: Le correspondance du souverain hellénis­ tique, suivie de deux lettres d’Antiochos III, à partir de Louis Robert et d’Adolf Wilhelm, Pisa, 2011; Weber, 1991; Welles, 1934. Erwähnte Quellen: Definition von Königtum: Suda, s. v. basileia; Austin, 2006, Nr. 45. Kassander als „König der Makedonen“: Hatzopoulos, 1996, II, Nr. 20. Ausrufung Demetrios Poliorketes’ zum König: Plutarch, Demetrios, 496

Weiterführende Literatur und Quellen

37.2–3; vgl. Justin, 16.1.9 und 18. Die Inthronisierung Antiochos’ IV: IG, II 3, 1323. Antiochos I. und Stratonike: Plutarch, Demetrios, 38. Das Dokumen­ tendossier aus Philomelion: SEG, LIV, 1353. Räuberwesen im „Amnestie­ dekret“: Austin, 2006, Nr. 290. Der Prozess des Phokion: Plutarch, Phokion, 34; Diodor, 18.66–67. Die Achäer werden „gezäumt wie ein Pferd“: Plutarch, Aratos, 38.10. Philipps Brief an Larisa: Austin, 2006, Nr. 75; Bagnall und Derow, 2004, Nr. 32. Philipps V. theatralisches Verhalten: Polybios, 10.26.1– 2. Demetrios und die alte Frau: Plutarch, Demetrios, 42. Theokrits Lobpreis des Ptolemaios: 17.104–105. Alexanders Blut: Plutarch, Alexander, 28. Fort­ setzung des Kultes für Alexander: LSAM, 26, L. 9; I.Ephesos, 719;  I. Erythrai, 64. Der Kult für Seleukos I. und Antiochos I. in Aigai: SEG, LIX, 1406 A. Der Kult für Antiochos III. in Teos: SEG, XLI, 1003; A. Chaniotis, „Isotheoi timai: la divinité mortelle d’Antiochos III à Téos“, Kernos, 20, 2007, 153–171. Der Hymnos für Demetrios: Demochares, FGrH, 75, F 2; Athenaios, VII, 253d–f. Cassius Dio über gottgleiche Ehren: 52.35.5. Pru­ sias I. in Rom: Polybios, 30.18–19. Die Theatralität von Demetrios Polior­ ketes: Plutarch, Demetrios, 28, 34, 41, 44, 45, 53. Diotogenes über König­ tum: Stobaios, 4.7.62. Die Theatralität von Philipp V.: Polybios, 10.26.1–2. Polybios über Antiochos IV.: 26.1.5. Die Söhne Attalos’ I. in Kyzikos: Polybios, 22.20.5–7.

6 Die Welt der Bürger: Stadtstaaten in einer Welt der Städtebünde und Königreiche Weiterführende Literatur: Beck und Funke (Hgg.), 2015; R. Behrwald, Der lykische Bund: Untersuchungen zu Geschichte und Verfassung, Bonn, 2000; Berthold, 1984; Billows, 1995; Boehm, 2018; H. Börm und N. Luraghi (Hgg.), The Polis in the Hellenistic World, Stuttgart, 2018; Brun, 1996; Cart­ ledge und Spawforth, 2002; Chaniotis, 2005; Cohen, 1978, 1995 und 2006; Couvenhes und Fernoux (Hgg.), 2004; Dmitriev, 2005; Fernoux, 2004; For­ ster 2018; Fröhlich, 2004; Fröhlich und Müller (Hgg.), 2005; Gabrielsen, 1997; Gauthier, 1985; Grainger, 1999; V. Grieb, Hellenistische Demokratie: Politische Organisation und Struktur in freien griechischen Poleis nach Ale­ xander dem Großen, Stuttgart, 2008; Habicht, 1995; P. Hamon, „Le conseil et la participation des citoyens: les mutations de la basse époque hellénis­ tique“, in Fröhlich und Müller (Hgg.) 2005, 121–144; Hamon, 2007; Har­ ding, 2015; Kralli, 2017; Labarre, 1996; C. Mann und P. Scholz (Hgg.), ‚Demokratie‘ im Hellenismus. Von der Herrschaft des Volkes zur Herrschaft 497

Weiterführende Literatur und Quellen

der Honoratioren, Mainz, 2012; Migeotte, 1992; K. Mueller, Settlements of the Ptolemies: City Foundations and New Settlement in the Hellenistic World, Leuven, 2006; Quass, 1993; Roubineau, 2015; Sartre, 1995; Sher­ win-White, 1978; Wörrle und Zanker (Hgg.), 1995. Erwähnte Quellen: Herakleides über die Städte Griechenlands: F. Pfister, Die Reisebilder des Herakleides, Wien, 1951. Polybios über den Achäischen Bund: 2.37.11. Städte im Römischen Reich: Aelius Aristides, Orationes, 26.93. Tyriaion wird eine polis: SEG, XLVII, 1745. Der Vertrag zwischen den Lykiern und Caesar: SEG, LV, 1452. Die Garnison in Kyrbissos: SEG, XXVI, 1306, 8–11. Der Achäische Bund als eine Demokratie: Polybios, 2.38.6. Dio­ kles von Kos: SEG, XLVIII, 1104. Eurykleides und Mikion: IG, II2, 834, 1705; C. Habicht, Studien zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit, Göttingen, 1982, 179–182. Helikon von Priene: I.Priene, 19. Philippides von Athen: IG, II2, 657. Protogenes von Olbia: IOSPE, I2, 32; Austin, 2006, Nr. 115. Strabon über Rhodos: 14.2.5. Mummius und oligarchische Verfassungen: Pausanias, 7.16.9. Kondylis über Populismus: P. Kondylis, Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, Frankfurt, 1991, 200. Quintilians Rat für Redner: Institutio oratoria, 11.3.147. Bushs Kampagne: E. Burns, Theatricality: A Study of Convention in the Theatre and in Social Life, London, 1972, 34. Alketas: Diodor, 18.46.1–47.3. Rhetorica ad Herennium zur rhetorischen Performanz: 3.15.27. Tyrannenherrschaften in Sikyon: Plutarch, Aratos, 2.1–2. Eugnotos von Akraiphia: J. Ma, „The Many Lives of Eugnotos of Akraiphia“, in B. Virgilio (Hg.), Studi ellenistici, 16, Pisa, 2005, 141–191. Diodoros Pas­ paros: C. P. Jones, „Diodoros Pasparos and the Nicephoria of Pergamon“, Chiron, 4, 1974, 183–205. Chairemon, Pythodoros und ihre Familie: C. P. ­ gathias“, ZPE, 170, 2011, 107–115. Nikias Jones, „An Inscription Seen by A von Kos: IG, XII.4, 682–711; Buraselis, 2000, 30–65, 131–133. Diodoros von Adramyttion: Strabon, 13.1.66. Lysias von Tarsos: Athenaios, V, 215b–c.

7 Verflechtung: Rom betritt die Bühne Weiterführende Literatur: Berthold, 1984; Eckstein, 2006; R. M. Errington, Philopoemen, Oxford, 1969; Errington, 1986; Grainger, 1999, 2010 und 2015; Ferrary, 2014; Gruen, 1984; Hammond und Walbank, 1988; Hansen, 1971; Harris, 1979 und 2016; Hoyos (Hg.), 2013; Koehn, 2007; Kralli, 2017; Ma, 2002; R. Pfeil­schifter, Titus Quinctius Flamininus: Untersuchungen zur römischen Griechenlandpolitik, Göttingen, 2005; J. B. Scholten, The Poli­ tics of Plunder: Aitolians and their Koinon in the Early Hellenistic Era, 498

Weiterführende Literatur und Quellen

279–217 BC, Berkeley, 2000; Sherwin-White und Kuhrt, 1993, 188–216; Wiemer, 2002. Erwähnte Quellen: Polybios über symploke: 1.3.1–4. Polybios über Teuta: 2.4.8–9. Plinius über das Römische Reich: Plinius, Naturalis historia, 3.39. Agelaos’ Rede in Naupaktos: Polybios, 5.104. Die Auswirkungen von Cannae: Polybios, 3.117.2; Livius, 22.54.7. Das Abkommen zwischen Philip V. und Hannibal: Polybios, 7.9. Die Belagerung von Syrakus: Plutarch, Marcellus, 14–19. Der Vertrag zwischen Rom und den Ätolern: Staatsverträge, III, Nr. 536. Die Freiheitserklärung in Isthmia: Polybios, 18.46; Plutarch, Titus, 10.3–6. Antiochos’ III. Rede in Lysimacheia: Polybios, 18.51. Cicero über Roms Mission: De officiis, 2.26 (VIII). Hannibals letzte Worte: Livius, 39.51. Philopoimen, „der letzte Grieche“: Plutarch, Philopoimen, 1. Pausanias über Philopoimen: 8.52.

8 Jetzt auch der Osten: die griechischen Staaten werden römische Provinzen Weiterführende Literatur: Bernhard, 1985 und 1998; Camia, 2009; Cart­ ledge und Spawforth, 2002; G. Champion, „Empire by Invitation: Greek Po­ litical Strategies and Roman Imperial Interventions in the Second Century BCE“, Transactions of the American Philological Association, 137, 2007, 255–275; Eckstein, 2006; Ferrary, 2014; Gruen, 1984; Hansen, 1971; Har­ ris, 1979 und 2016; J. Hopp, Untersuchungen zur Geschichte der letzten At­ taliden, München, 1977; Hoyos (Hg.), 2013; P. Kay, Rome’s Economic Revo­ lution, Oxford, 2014, 59–83; Kralli, 2017; Magie, 1950; Martinez-Sève, 2011; Z. Yavetz, „Towards a Further Step into the Study of Roman Imperia­ lism“, in E. Hermon (Hg.), Gouvernants et gouvernés dans l’imperium ro­ manum (Cahiers des Études Anciennes 3), Québec, 1991, 3–22. Erwähnte Quellen: Das Perseus-Monument in Delphi: SEG, XLVIII, 588. Die römischen Anklagepunkte gegen Perseus in Delphi: Bagnall und Derow, 2004, Nr. 44; Austin, 2006, Nr. 93. Abdera-Dekret: Syll.3, 656. Horaz über die kulturellen Auswirkungen der Expansion: Epistulae, 2.1.156–157. Antipatros von Sidon über die Zerstörung von Korinth: Anthologia Graeca, 9.151. Brief Attalos’ II. an Pessinous: Welles, 1934, Nr. 61; Bagnall und Derow, 2004, Nr. 50. Die Ehreninschrift für Attalos III.:  I.Pergamon, 246. Die Ehren­ inschrift für Apollonios von Metropolis:  I.Metropolis, 1. Die lex portorii Asiae: M. Cottier u. a., The Customs Law of Asia, Oxford, 2008. Marcus An­ tonius über die Besteuerung von Asia: Appian, Bürgerkriege, 5.1. Tiberius 499

Weiterführende Literatur und Quellen

Gracchus’ Reise durch Etrurien: Plutarch, Tiberius, 8.7. Gracchus’ Rede: ­Gellius, Noctes Atticae, 11.10.3. Cicero über die publicani: De imperio Gnaei Pompeii, 17. Die Auswirkungen des Steuerwesens: Diodor, 34/35.25.

9 Niedergang: das Ende der hellenistischen Königreiche in Asien und Ägypten Weiterführende Literatur: B. Bar-Kochva, Judah Maccabee: The Jewish Struggle Against the Seleucids, Cambridge, 1989; C. R. Benjamin, The Yuezhi: Origin, Migration and the Conquest of Northern Bactria, Turnhout, 2007; J. Chr. Bernhardt, Die jüdische Revolution: Untersuchungen zu Ur­ sachen, Verlauf und Folgen der hasmonäischen Erhebung, Berlin, 2017; E. J. Bickerman, The Jews in the Greek Age, Cambridge, MA, 1988; BouchéLeclercq, 1913/14; Bowman, 1996; Braund, 1984; Chauveau, 2000; Coloru, 2009; F. Daubner, Bellum asiaticum: Der Krieg der Römer gegen Aristonikos von Pergamon und die Einrichtung der Provinz Asia, 2. Auflage, München, 2004; Eddy, 1961; Ehling, 2008; C. Feyel und L. Graslin-Thomé (Hgg.), Le projet politique d’Antiochos IV, Nancy, 2014; Grajetzki, 2011; E. S. Gruen, Heritage and Hellenism: The Reinvention of Jewish Tradition, Berkeley, 1998; Hölbl, 1994; F. L. Holt, Thundering Zeus: The Making of Hellenistic Bactria, Berkeley, 1999; S. Honigman, Tales of High Priests and Taxes: The Books of the Maccabees and the Judean Rebellion against Antiochos IV, Berkeley, 2014; O. Hoover, „A Revised Chronology for the Late Seleucids at Antioch (121/0 – 64 BC)“, Historia, 56, 2007, 280–301; Hoyos (Hg.), 2013; A. Jördens und J. F. Quack (Hgg.), Ägypten zwischen innerem Zwist und äußerem Druck: Die Zeit Ptolemaios’ VI. bis VIII., Wiesbaden, 2011; KalletMarx, 1995; J. D. Lerner, The Impact of the Seleucid Decline on the Eastern Iranian Plateau: The Foundations of Arsacid Parthia and Graeco-Bactria, Stuttgart, 1999; Martinez-Sève, 2011; P. F. Mittag, Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Berlin, 2006; Schwartz, 2001 und 2014; Sher­ win-White, 1984; Sherwin-White und Kuhrt, 1993, 217–229; R. Stoneman, The Greek Experience of India: from Alexander to the Indo-Greeks, Prince­ ton, 2019; A.-E. Veisse, Les ‚révoltes égyptiennes‘: Recherches sur les trou­ bles intérieurs en Egypte du règne de Ptolémée III Evergète à la conquête romaine, Leuven, 2004. Erwähnte Quellen: Heliodoros im Tempel von Jerusalem: Makkabäer 2.3. Inschriftliche Erwähnungen Heliodoros’: SEG, LVII, 1838; LX, 1723; H. M. Cotton, A. Ecker und D. Gera, „Juxtaposing Literary and Documentary Ev500

Weiterführende Literatur und Quellen

idence: A New Copy of the So-Called Heliodoros Stele and the Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palaestinae (CIIP)“, Bulletin of the Institute of Classical Studies, 60, 2017, 1–15. Der „Tag von Eleusis“: Polybios, 29.27.1–10. Prozes­ sion Antiochos’ IV. in Daphne: Athenaios, V, 194c–195f. Inschrift mit dem Lobpreis König Euthydemos’: SEG, LIV, 1569. Inschrift aus Mathura: R. Salomon, „The Indo-Greek Era of 186/5 BC in a Buddhist Reliquary Inscription“, in O. Bopearachchi und M.-F. Boussac (Hgg.), Afghanistan, ancien carrefour entre l’est et l’ouest, Turnhout, 2005, 373. Inschrift aus Bahrain: P. Kosmin, „Rethinking the Hellenistic Gulf: The New Greek Inscription from Bahrain“, JHS, 133, 2013, 61–79. Der Rosetta-Stein: OGIS, 90. Scipio Aemilianus über die Reichtümer Ägyptens: Diodor, 33.28b. Das ptolemäische Amnestie-Dekret: Austin, 2006, Nr. 290.

10 Ehrgeiz und Gier: ein Schlachtfeld auswärtiger Ambitionen Weiterführende Literatur: S.-A. Ashton, Cleopatra and Egypt, Oxford, 2008; S. Benne, Marcus Antonius und Kleopatra VII.: Machtausbau, herrscherliche Repräsentation und politische Konzeption, Göttingen, 2001; Bernhard, 1985 und 1998; Börm, 2019, 131–162; Braund, 1984; Chauveau, 2000; De Souza, 1999; Ferrary, 2014; Gruen, 1984; Habicht, 1995; Hölbl, 1994; Kallet-Marx, 1995; Magie, 1950; A. Mayor, The Poison King: The Life and Legend of Mithradates, Rome’s Deadliest Enemy, Princeton, 2010 [dt. Ausgabe: Pon­ tisches Gift. Die Le­gende von Mithridates, Roms größtem Feind, Stuttgart, 2011]; B. C. McGing, The Foreign Policy of Mithridates VI Eupator King of Pontos, Leiden, 1986; A. Niebergall, „Die lokalen Eliten der griechischen Städte Kleinasiens und Mithridates VI Eupator zu Beginn des ersten römisch-pontischen Krieges“, Hermes, 139, 2011, 1–20; H. Pohl, Die rö­ mische Politik und die Piraterie im östlichen Mittelmeer vom 3. Jahrhundert bis zum 1. Jahrhundert v. Chr., Berlin und New York, 1993; D. W. Roller, Cleopatra: A Biography, Oxford, 2010; F. Santangelo, Sulla, the Elites and the Empire: A Study of Roman Policies in Italy and the Greek East, Leiden, 2007; Sherwin-White, 1984; R. D. Sullivan, Near Eastern Royalty and Rome: 100–30 BC, Toronto, 1990; Syme, 1939. Erwähnte Quellen: Athenions Rede in Athen: Poseidonios, Geschichte, Fragment 247 (ed. Theiler); FGrH, 87, F 36, 51; Athenaios, V, 212b–213c. Sulla in Athen: Plutarch, Sulla, 13. Mithridates’ Behandlung der Einwohner von Chios: ­Appian, Mithridatische Kriege 12.46–47. Cicero über Pompeius’ Krieg gegen die Piraten: Pro lege Manilia, 12.35. Veni, vidi, vici: Plutarch, 501

Weiterführende Literatur und Quellen

Caesar, 50.3; Sueton, Divus Iulius, 37.2. Kleopatras Show in Kilikien: Plutarch, Antonius, 26.

11 Der römische Osten: Regionalgeschichte(n) und ihr globaler Kontext Weiterführende Literatur: M. Adak und M. Wilson, „Das Vespasianmonu­ ment von Döseme und die Gründung der Doppelprovinz Lycia et Pam­ phylia“, Gephyra, 9, 2012, 1–40; Alcock, 1993; J. Bergemann, Die römische Kolonie von Butrint und die Romanisierung Griechenlands, München, 1998; Birley, 1997; Bowersock, 1965; Braund, 1984; C. Brélaz (ed.), L’ héritage grec des colonies romaines d’Orient: interactions culturelles dans les prov­ inces hellénophones de l’empire ­romain, Paris, 2017; Cartledge und Spaw­ forth, 2002; Champlin, 2003; Drexhage, 2007; Eck, 2014; Galinsky, 2012; Galinsky (Hg.), 2005; Goldsworthy, 2014; Halfmann, 1979; C. P. Jones, „The Panhellenion“, Chiron, 26, 1996, 29–56; T. Kaizer und M. Facella (Hgg.), Kingdoms and Principalities in the Roman Near East, Stuttgart, 2010; C. Katsari und S. Mitchell, „The Roman Colonies of Greece and Asia Minor: Questions of State and Civic Identity“, Athenaeum, 96, 2008, 221– 249; Levick, 1967 und 2010; Magie, 1950; F. G. B. Millar, „The Roman Co­ loniae of the Near East: A Study of Cultural Relations“, in H. Solin und M. Kajava (Hgg.), Roman Eastern Policy and Other Studies in Roman History, Helsinki, 1990, 7–58; T. Opper, Hadrian. Machtmensch und Mäzen, Darm­ stadt, 2009; Raaflaub und Toher (Hgg.), 1993; A. D. Rizakis, „Roman Colo­ nies in the Province of Achaia: Territories, Land and Population“, in Alcock (Hgg.), 1997, 15–36; D. Rousset, „The City and its Territory in the Province of Achaea and ‚Roman Greece‘“, Harvard Studies in Classical Philology, 104, 2008, 303–337; Syme, 1939; Veyne, 1999; S. Zoumbaki, „The Colo­ nists of the Roman East and Their Leading Groups: Some Notes on Their Entering the Equestrian and Senatorial Ranks in Comparison with the Na­ tive Elites“, Tyche, 23, 2008, 159–179. Erwähnte Quellen: Tacitus über Jesus: Annalen, 15.44. Plinius über die Christen: Briefe, 10.96. Imperium sine fine: Vergil, Aeneis, 1.279. Akklama­ tion für Rom in Ephesos: SEG, LIII, 1290. Rom in der Apokalypse: Offenba­ rung des Johannes, 17.4–18. Der Historiker Philipp: IG, IV2.1, 687; FGrH, 95, T 1. Feierlichkeiten in Messene für Gaius Caesar: SEG, XXIII, 206. Ehren für Gaius Caesar auf Kos: IG, XII.4, 105. Plutarch über politisches Leben: Mora­ lia, 805a. Die Reliefs im Sebasteion von Aphrodisias: R. R. R. Smith, Aphro­ disias VI. The Marble Reliefs from the Julio-Claudian Sebasteion, Darmstadt, 502

Weiterführende Literatur und Quellen

2013 Polybios über demographischen Niedergang: 36.17.5. Octavians Brief an Ephesos: Reynolds, 1982, Nr. 12. Neros Rede in Isthmia: IG, VII, 2713; Oliver, 1989, Nr. 296. Epameinondas von Akraiphia: IG, VII, 2713. Balbillas Ge­ dicht: SEG, VIII, 715. Hadrians Briefe über die Organisation von Festspielen: SEG, LVI, 1359. Hadrians Brief an Naryx: SEG LI, 641. Hadrians Ehrungen in Delphi: Syll.3, 835 A.

12 Kaiser, Städte und Provinzen: von Augustus bis Hadrian Weiterführende Literatur: Bekker-Nielsen, 2008; G. Boulvert, Domestique et fonctionnaire sous le Haute-Empire romaine: La condition de l’affranchi et de l’esclave du prince, Paris, 1974; Bowersock, 1965; B. Burrell, Neokoroi: Greek Cities and Roman Emperors, Leiden, 2004; Cartledge und Spawforth, 2002; M. Coudry und F. Kirbihler, „La lex Cornelia, une lex provinciae de Sylla pour l’Asie“, in N. Barrandon und F. Kirbihler (Hgg.), Administrer les provinces de la République romaine, Rennes, 2010, 133–169; Dmitriev, 2005; M. Dräger, Die Städte der Provinz Asia in der Flavierzeit, Frankfurt, 1993; Drexhage, 2007; F. K. Drogula, Commanders and Command in the Roman Republic and Early Empire, Chapel Hill, NC, 2015; W. Eck, „Admin­ istration and Jurisdiction in Rome and in the Provinces“, in M. van Ackern (Hg.), A Companion to Marcus Aurelius, Malden, MA, 2012, 185–199; B. Edelmann-Singer, Koina und Concilia: Genese, Organisation und sozio­ ökonomische Funktion der Provinziallandtage im römischen Reich, Stuttgart, 2015; Fernoux, 2004 und 2011; G. Frija, Les prêtres des empereurs: Le culte impérial civique dans la province romaine d’Asie, Rennes, 2012; T. Fujii, Imperial Cult and Imperial Representation in Roman Cyprus, Stuttgart, 2013; S. Gambetti, The Alexandrian Riots of 38 C. E. and the Persecution of the Jews: A Historical Reconstruction, Leiden, 2009; R. Haensch, Capita provinciarum: Statthaltersitz und Provinzialverwaltung in der römischen Kaiserzeit, Mainz, 1997; Halfmann, 1986; Hamon, 2007; A. Heller, ‚Les bêt­ ises des Grecs‘: Conflits et rivalités entre cités d’Asie et de Bithynie à l’époque romaine (129 a. C. – 235 p. C.), Bordeaux, 2006; Jones, 1971; Lin­ tott, 1993; B. Levick, „Some Augustan Oaths“, in S. Cagnazzi u. a. (Hgg.), Scritti di storia per Mario Pani, Bari, 2011, 245–256; Magie, 1950; O. Meyer-Zwiffelhoffer, Politikos archein. Zum Regierungsstil der sena­ torischen Statt­halter in den kaiserzeitlichen griechischen Provinzen, Stutt­ gart, 2002; Millar, 1992; S. Mitchell, „The Administration of Roman Asia from 133 BC to AD 250“, in Eck (Hg.), 1999, 17–46; A.-V. Pont, „L’empereur 503

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504

Weiterführende Literatur und Quellen

13 Sozioökonomische Gegebenheiten: von griechischen Städten zu einem „ökumenischen“ Netzwerk Weiterführende Literatur: Alföldy, 2011; Z. H. Archibald, J. Davies und V. Gabrielsen (Hgg.), The Economies of Hellenistic Societies, Oxford, 2011; Z. H. Archibald, J. Davies und V. Gabrielsen (Hgg.), Making, Moving, and Manag­ ing: The New World of Ancient Economies, 323–31 BC, Oxford, 2005; J. Bar­ tels, Städtische Eliten im römischen Makedonien, Berlin, 2008; BekkerNielsen, 2008; Biard, 2017; A. Bielman, Retour à la liberté: Libération et sauvetage des prisonniers en Grèce ancienne, Paris, 1994; Billows, 1995; Bowersock, 1965 und 1969; Brélaz, 2005; C. Brélaz, „Les ‚pauvres‘ comme composante du corps civique dans les poleis des époques hellénistiques et im­ périale“, Ktèma, 38, 2013, 67–87; Brun, 1996; P. Brun (Hg.), Économies et sociétés en Grèce classique et hellénistique, Toulouse, 2007; Cartledge und Spawforth, 1989; Chaniotis, 2005; A. Chaniotis, „What Difference did Rome Make? The Cretans and the Roman Empire“, in B. Forsén und G. Salmeri (Hgg.), The Province Strikes Back: Imperial Dynamics in the Eastern Me­ diterranean, Helsinki, 2008, 83–105; Chauveau, 2000; Cohen, 1978, 1995 und 2006; Couvenhes und Fernoux (Hgg.), 2004; De Souza, 1999; M. Do­ mingo Gygax, Benefaction and Rewards in the Ancient Greek City: The Ori­ gins of Euergetism, Cambridge, 2016; Fernoux, 2004; J. Fournier, Entre tu­ telle romaine et autonomie civique: L’administration judiciaire dans les provinces hellénophones de l’empire romain (129 av. J.-C. – 235 ap. J.-C.), Athen, 2010; Fraser, 1972; Fröhlich und Hamon (Hgg.), 2013; Gabrielsen, 1997; Gauthier, 1972 und 1985; Gray, 2015; T. Grünewald, Räuber, Rebellen, Rivalen, Rächer: Studien zu Latrones im römischen Reich, Stuttgart, 1999; M. Haake, Der Philosoph in der Stadt: Untersuchungen zur öffentlichen Rede über Philosophen und Philosophie in der hellenistischen Polis, München, 2007; Harris und Ruffini (Hgg.), 2004; Harding, 2015; J. Hatzfeld, Les trafi­ quants italiens dans l’Orient hellénique, Paris, 1919; Heitmann-Gordon, 2017, 85­–179; A. Heller und A.-V. Pont (Hgg.), Patrie d’origine et patries élec­ tives: Les citoyennetés multiples dans le monde grec d’époque romaine. Actes du colloque international de Tours, 6–7 novembre 2009, Bordeaux, 2012; Jones, 1978; Kuhn, 2012; Labarre, 1996; Launey, 1987; F. Lerouxel und A.-V. Pont (Hgg.), Propriétaires et citoyens dans l’Orient romain, Bordeaux, 2016; Lewis, 1986; Y. Le Bohec, The Imperial Roman Army, übers. von R. Bate, London, 1994; Ma, 2013; C. Müller und C. Hasenohr (Hgg.), Les Italiens dans le monde grec: IIe siècle av. J.-C. – Ier siècle ap. J.-C. Circulation, activités, 505

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Weiterführende Literatur und Quellen

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14 Gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen: Wohltäter, Vereinsgenossen, Epheben, Athleten, Frauen und Sklaven Weiterführende Literatur: Alföldy, 2011; S. Aneziri, Die Vereine der dionysi­ schen Techniten im Kontext der hellenistischen Gesellschaft: Untersuchungen zur Geschichte, Organisation und Wirkung der hellenistischen Technitenver­ eine, Stuttgart, 2003; R. S. Bagnall, Everyday Writing in the Graeco-Roman East, Berkeley, 2011, 54–74; Biard, 2017; Bowersock, 1965; Brun, 1996; E. Bauer, Gerusien in den Poleis Kleinasiens in hellenistischer Zeit und der römischen Kaiserzeit: Die Beispiele Ephesos, Pamphylien und Pisidien, Aphro­disias and Iasos, München, 2012; S. Bussi, Economia e demografia della schiavitù in Asia Minore ellenistico-romana, Mailand, 2001; Cartledge und Spawforth, 2002; Chaniotis, 2005 und 2011; R. Cribiore, Gymnastics of the Mind: Greek Education in Hellenistic and Roman Egypt, Princeton, 2001; I. Dittmann-Schöne, Die Berufsvereine in den Städten des kaiserzeit­ lichen Kleinasiens, Regensburg, 2001; J. C. Eule, Hellenistische Bürgerinnen aus Kleinasien: Weibliche Gewandstatuen in ihrem antiken Kontext, Istan­ bul, 2001; Fernoux, 2004; Forster, 2018; Fraser, 1972; Fröhlich und Hamon (Hgg.), 2013; V. Gabrielsen, „Brotherhoods of Faith and Provident Planning: The Non-Public Associations of the Greek World“, Mediterranean Historical Review, 22, 2, 2007, 176–203; Gauthier, 1985; P. Gauthier und M. B. Hat­ zopoulos, La loi gymnasiarchique de Beroia, Athen, 1993; L.-M. Günther, Bürgerinnen und ihre Familien im hellenistischen Milet: Untersuchungen zur Rolle von Frauen und Mädchen in der Polis-Öffentlichkeit, Wiesbaden, 2014; Hamon, 2007; Harris und Ruffini (Hgg.), 2004; Jones, 1978; D. Kah und P. Scholz (Hgg.), Das hellenistische Gymnasion, Berlin, 2004; Kuhn, 2012; B. Legras, Néotês: Recherches sur les jeunes grecs dans l’Égypte ptolémaique et romaine, Genf, 1999; Lewis, 1986; Ma, 2013; Chr. Mann, S. Remijsen und S. Scharff (Hgg.), Athletics in the Hellenistic World, Stuttgart, 2016; 507

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15 Von städtischen Kulten zu Megatheismus: Religionen in einer kosmopolitischen Welt Weiterführende Literatur: C. Bonnet und A. Motte (Hgg.), Les syncrétismes religieuses dans le monde méditerranéen antique, Rom, 1997; Bricault, 2005; P. Bruneau, Recherches sur les cultes de Délos à l’époque hellénistique et romaine, Paris, 1970; A. Busine, Paroles d’Apollon: Pratiques et traditions oraculaires dans l’Antiquité tardive (IIe–VIe siècles), Leiden, 2005; A. Cha­ niotis, „Ritual Performances of Divine Justice: The Epigraphy of Confession, Atonement, and Exaltation in Roman Asia Minor“, in Cotton u. a. (Hgg.), 2009, 115–153; A. Chaniotis, „Megatheism: The Search for the Almighty God and the Competition of Cults“, in S. Mitchell und P. van Nuffelen (Hgg.), One God: Pagan Monotheism in the Roman Empire, Cambridge, 2010, 112– 140; Chaniotis, 2011; A. Chaniotis, „Processions in Hellenistic Cities: Con­ temporary Discourses and Ritual Dynamics“, in R. Alston, O. M. van Nijf und C. G. Williamson (Hgg.), Cults, Creeds and Contests, Leuven, 2013, 21– 47; S. G. Cole, Theoi Megaloi: The Cult of the Great Gods at Samothrace, Leiden, 1984; N. Deshours, L’été indien de la religion civique, Bordeaux, 2011; H. Engelmann, The Delian Aretalogy of Sarapis, Leiden, 1975; Fraser, 1972; F. Graf, Roman Festivals in the Greek East: From the Early Empire to the Middle ­Byzantine Era, Cambridge, 2015; F. Graf und S. I. Johnston, Rit­ ual Texts for the Afterlife: Orpheus and the Bacchic Gold Tablets, London und New York, 2007; C. P. Jones, New Heroes in Antiquity: From Achilles to Antinoos, Cambridge, MA, 2010; Lane Fox, 1986; B. Legras, Les reclus grecs du Sarapieion de Memphis: Une enquête sur l’hellénisme égyptien, Leuven, 2010; J. Lieu, J. A. North und T. Rajak (Hgg.), The Jews among Pagans and Christians in the Roman Empire, London, 1992; MacMullen, 1981 und 1984; A. Mastrocinque, The Mysteries of Mithras: A Different Account, Tübingen, 509

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Weiterführende Literatur und Quellen

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16 Zwischen Identitätsbewahrung und Anpassung: die Griechen und die Oikoumene Weiterführende Literatur: C. Benjamin, Empires of Ancient Eurasia: The First Silk Roads Era, 100 BCE-250 CE, Cambridge, 2018, 119–273; J. Boardman, The Greeks in Asia, London, 2015; Bowersock, 1969; Goldhill (Hg.), 2001; J.-C. Couvenhes und B. Legras (Hgg.), Transferts culturels et politiques dans le monde hellénistique: Actes de la table ronde sur les identités collectives (Sorbonne, 7 février 2004), Paris, 2006; F. De Romanis und M. Maiuro (Hgg.), Across the Ocean: Nine Essays on Indo-Mediterranean Trade, Leiden, 2015; Jones, 1978; C. P. Jones, Kinship Diplomacy in the Ancient World, Cambridge, MA, 1999; Parker, 2017; M. Pitts und M. J. Versluys (Hgg.), Globalisation and the Roman World: World History, Connectivity, and Material Culture, New York, 2015; Puech, 2002; Veyne, 1999; Whitmarsh (Hg.), 2010. Erwähnte Quellen: Eudoxos von Kyzikos: Strabon, 2.3.4. Handel mit Ara­ bien: L. Casson, The Periplus Maris Erythraei: Text with Introduction, Trans­ lation, and Commentary, Princeton, 1989, Kap. 49. Sophytos: SEG, LIV, 1568; J. Lougovaya, „Greek Poetry in a Post-Greek Milieu: The Epigram of Sophytos from Kandahar Contextualized“, in P. Sänger (Hg.), Minderheiten und Migration in der griechisch-römischen Welt, Paderborn, 2016, 185–201. Die Grabschrift von Hyle: IG, XIV, 2566. Das Grab des Schweins: SEG, XXV, 711. Alexanders Weihung in der Oase von Bahariya: SEG, LIX, 1764. Die Pe­ tition des Herakleides: P.Enteux., 79. Das Archiv von Dryton: J. Mélèze-Modrzejewski, „Dryton le crétois et sa famille, ou Les mariages mixtes dans l’Égypte hellénistique“, in Aux origines de l’Hellénisme: La Crète et la Grèce. Hommage à Henri van Effenterre, Paris, 1984, 353–376. Das Gerichtswesen im taurischen Chersonesos: SEG, LV, 838; LXI, 607. Die Villa von Avitus in Tarraco: SEG, LXI, 832. Triphonon und enneaphonon: Petzl, 1994, Nr. 6 und 55; SEG, LVII, 1172 und 1222. Pallake und aniptopodes in Tralleis: I.Tralleis, 6–7. Rituale in Hypaipa: Pausanias, 5.27.5–6.

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Abbildungsnachweis

Abb. 1. Photo © Granger Historical Picture Archive / Alamy Stock Photo Abb. 2. Inv.-Nr. NM 1204. Photo © Numismatisches Museum Athen Abb. 3. (Vorder- und Rückseite) Inv.-Nr. NM Empedokles Collection 288. Photo © Numismatisches Museum Athen Abb. 4. Photo © PHAS / UIG / Getty Images Abb. 5. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund Abb. 6. Photo © De Agostini / G. Dagli Orti / Getty Images Abb. 7. Photo © CM Dixon / Print Collector / Getty Images Abb. 8. Inv.-Nr. NM 1850/1998. Photo © Numismatisches Museum Athen Abb. 9. Photo © B O’Kane / Alamy Stock Photo Abb. 10. Photo: P. Zanker, „Brüche im Bürgerbild? Zur bürgerlichen Selbstdarstellung in den hellenistischen Städten“, in M. Wörrle und P. Zanker (Hgg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus, München, 1995, 267, Abb. 5 Abb. 11. Inv.-Nr. 91.ΑΑ.14. Photo © J. Paul Getty Museum, Villa Collection, Ma­libu, California Abb. 12. Photo © World History Archive / Alamy Stock Photo Abb. 13. Inv.-Nr. NM Demetriou Collection 1636. Photo © Numismatisches Museum Athen Abb. 14. Photo © eFesenko / Alamy Stock Photo Abb. 15. Photo © Angelos Chaniotis Abb. 16. Photo © Aphrodisias Excavation (Guido Petruccioli). Mit freund­ licher Genehmigung von R. R. R. Smith Abb. 17. Inv.-Nr. ΜΘ 6932; IG X.2.1 Suppl. 1668. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund (O. Kourakis) Abb. 18. Photo © Mustafa Adak Abb. 19. Photo © Erin Babnik / Alamy Stock Photo Abb. 20. Photo © imageBriker / Alamy Stock Photos Abb. 21. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund 522

Abbildungsnachweis

Abb. 22. Inv.-Nr. 417. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund Abb. 23. Inv.-Nr. NM Zarifis Collection 203. Photo © Numismatisches Museum Athen Abb. 24. Photo © Angelos Chaniotis Abb. 25. Inv.-Nr. 1207. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund (K. von Eickstedt) Abb. 26. Photo © Dion Excavations. Mit freundlicher Genehmigung von Korina Vasteli Abb. 27. Photo © Délégation Archéologique Française en Afghanistan, 1975 Abb. 28. Photo © J. Roger, „Inscriptions de la région de Strymon“, Revue Ar­ chéologique 6 (1945), 47 Abb. 29. Photo © RAM Plovdiv Abb. 30. Photo © CNP Collection / Alamy Stock Photo Abb. 31. Inv.-Nr. 410. P. Christodoulou, „Les reliefs votifs du sanctuaire d’Isis à Dion“, in L. Bricault und R. Veymiers (Hgg.), Bibliotheca Isiaca II, Bordeaux, 2011, 11–16. Photo © Perikles Christodoulou Abb. 32. Inv.-Nr. 1254; IG X.2.1.58. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund (O. Kourakis) Abb. 33. Inv.-Nr. 1935.98. Photo © Yale University Art Gallery Abb. 34. Photo © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg / Maria Thrun Abb. 35. Inv.-Nr. ΜΘ 829. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Archaeological Receipts Fund (V. von Eickstedt) Abb. 36. Photo © DEA / G. Dagli Orti / Getty Images Abb. 37. Inv.-Nr. AKA 1674. Photo © Hellenic Ministry of Culture and Sports / Ephorate of Antiquities of Pella Abb. 38. Photo © Barney Burstein / Getty Images

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Register Kursive Zahlen beziehen sich auf die Karten.

Abdera 211 Abonou Teichos 256, 417, 435, 442, 483 Abydos 192, 194, 475, 482 Achäa, Achaea 153, 156, 210, 215, 288– 291, 315, 351, 456, 474, 478 Achäischer Bund 85, 87–90, 96 f., 147, 153, 155, 160, 172, 186, 188–190, 195 f., 203 f., 210, 213–215, 352, 465 f., 469 Achämeniden 20 f., 24, 28, 31, 38, 40, 69, 104–106, 112, 184; siehe auch Perserreich Achaios 111, 126, 192, 467 Achilles 27, 34, 36, 130, 297, 342 f. Actium, Seeschlacht von 267, 270, 272, 285, 287, 310, 317, 341, 346, 374, 389 Adel 23, 39, 43 f., 181, 249, 313 Adonis 395 f., 398, 407 f. Adria 15, 65, 88, 177, 180, 185–187, 194, 198, 203, 210, 214, 288, 444 Adulis 98 Aediles 323 Ägäische Inseln 68, 83, 87, 97, 118, 136, 247, 315, 353, 411, 439 Ägina 86, 221 Ägypten, Aegyptus 11, 13 f., 16, 25, 27– 30, 36, 38, 40 f., 45 f., 49–51, 62, 64, 68, 82, 85 f., 89, 92–101, 103–106, 109, 112, 115–120, 129 f., 136 f., 139, 149, 152, 170, 176, 183, 191 f., 200 f., 206, 225–228, 231, 234, 237–239, 257 f., 260 f., 264–267, 270 f., 293, 296 f., 301, 305, 308, 316 f., 322, 352–355, 362, 372, 381, 384, 389, 396, 410, 427, 441, 444, 446, 448, 453–456, 463, 465–472, 478, 484, 487, 489; siehe auch Alexandria, Ptolemaios Ägyptische Götter 408, 410, 412, 433

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Aelius Aristides 147, 321, 362 Ältere Bürger 252 f., 365, 373 Ätolien 78, 153, 183, 188, 201, 215, 251, 287, 353, 474, 478 Ätolischer Bund (Koinon) 59, 86, 88, 90, 153–155, 188, 192, 465–467 Afghanistan 14 f., 32, 111, 129, 148, 192, 230 f., 379, 444, 463 Agathokles, König von Sizilien 54, 63 f., 66, 69, 73, 103 f., 170, 351, 463 f. Agathokles, ptolemäischer Höfling 191, 199 Agathokles, Sohn des Lysimachos 61 f., 109, 465 Agelaos aus Ätolien 183 f., 190, 212 agema 40 agon 312, 373 f., 376, 402; siehe auch Athletik, Festspiele agon Capitolinus 374 agonothetes 163, 310 f., 369 agoranomos 143, 326 Agrippa 263, 267 Aigai, in Kleinasien 132 Aigai, in Makedonien 20 f., 23, 25 f., 51, 67, 114, 474 Ainos 96 Akarnanien 90, 153, 196, 215, 287, 474 Akklamation 43, 51, 53, 104, 127, 165, 270, 277, 328–330, 396, 399, 408, 418 akroasis 449 Akrokorinth 81, 86 f., 96, 122, 197 Aktia 374, 457 Alexander III., der Große 9–15, 19, 22, 25–41, 43–56, 58–60, 62, 64 f., 68, 74, 82 f., 91, 96 f., 99, 103–106, 110, 112 f., 126, 130 f., 136, 139 f., 146, 148–150, 153, 158, 169, 171, 184, 192, 235, 241, 257, 268, 273, 297, 316, 335,

Register

337 f., 347, 350 f., 353 f., 356, 359, 370, 373, 383, 389, 395–398, 407 f., 410, 423 f., 443–445, 447 f., 451, 453, 463, 476 f.; Abb. 2 Alexander IV. 44 f., 51, 463 Alexander Balas 229, 234, 237, 469 Alexander oder der Lügenprophet (Lukian) 435 f. Alexander von Abonou Teichos 409, 435 f., 438, 442 Alexandria 11, 13, 16, 19, 29 f., 41, 45, 50, 71 f., 91, 96, 99, 104, 109, 114–116, 120, 129, 136, 149, 152, 199, 226, 239, 258–261, 264, 266–268, 274, 291, 317, 329, 331 f., 339 f., 357, 374, 379, 387, 395 f., 403, 439, 446, 463, 471, 476, 478, 484, 487, 489 Alexandria Arachosia (Kandahar) 149, 233, 448, 479, 485 Alexandria Troas 286, 319, 456, 475 Alexandrinische Märtyrerakten 333 Alketas 170 Ältestenrat 325, 332, 387 Amastris 243, 256, 483 amicitia 202 Amisos 256, 286, 483 Ammon, Amun 28 f., 408, 410, 453; Abb. 2 Amnestieerlass, ptolemäischer 119, 239 Amphiktyonie 206 Amphipolis 210, 381, 393, 474; Abb. 28 Amyntas 20, 22, 26, 43 Anahita 398 Andania 403, 428 Andragoras 98, 231 Andriskos 212 f., 351, 469 Andros, Seeschlacht von 96, 466, 474 Antigoniden 69 f., 77 f., 81, 88, 97, 111, 118, 122 f., 137, 175, 191, 196, 203, 205, 209, 212, 354; siehe auch Makedonien Antigonos Doson 87–90, 97, 100, 122, 191, 466 f. Antigonos Monophthalmos (der Einäugige) 46, 50 f., 69, 80, 89, 131, 150, 156, 170, 463 f. Antikythera, Mechanismus von 18

Antinoopolis 297, 322 Antinoos 294–297, 322, 472; Abb. 22 Antiochia, Antiochien am Kydnos 402 Antiochia, am Pyramos 402 Antiochia, in Pisidien 287, 323, 482 Antiochia, in Syrien, am Orontes 16, 96, 114, 150, 152, 227, 316 f., 441, 478, 483, 487 Antiochia Arabis 150 Antiochos, seleukidische Könige: Antiochos I. 62, 68, 107 f., 110, 132, 137, 150, 340, 465 Antiochos II. 94–96, 150, 465 f. Antiochos III., der Große 56, 68, 84, 90, 100 f., 107, 111, 126, 132–134, 137, 152, 191–194, 199–203, 205, 225, 227, 230 f., 236, 273, 353, 466–468 Antiochos IV. 104 f., 115, 129, 139, 143, 226–229, 231, 233 f., 237, 347, 469 Antiochos V. 229, 234 Antiochos XIII. 255 Antiochos Hierax 96, 110, 466 Antiochos I. von Kommagene 432 Antipatros, Regent 46–48, 50, 109, 463 Antipatros I. 57, 75, 464 Antipatros II. Etesias 75 Antipatros von Sidon 216 Antonia Tryphaina 343 Anubis 410, 412, 414; Abb. 32 Aornos 32, 131, 445 Apameia am Orontes (Syrien) 114, 150, 478 Apameia Kibotos (Phrygien) 475, 482 ; siehe Frieden von Apameia Apameia Myrleia (Bithynien) 287, 482 Aphrodisias 152, 278–280, 284 f., 307, 331, 348, 357, 370, 377, 482; Abb. 15, 16, 24 Aphrodite 58, 93, 99 f., 134 f., 265, 284, 310, 407, 415 Apollon 80, 130, 208, 310, 373 f., 391, 401, 405–408, 410, 417 f., 433 f. Apollonia (Illyrien) 178, 185 f., 220, 453, 474 Apollonios von Tyana 434 f. Appuleius, Sextus 319

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Register

Arabien, Arabia Felix, Petraia Arabia 36, 92, 278, 316, 362 f., 446 f., 472, 478 Arachosia, Alexandria Arachosia 149, 231–233, 448, 479, 485 Aratos 83–87, 89 f., 93, 96 f., 122, 149, 153 f., 171 f., 185–187, 189, 465–467 Archelaos 20 f. Archimedes 10, 71, 127, 187, 340 Archippe von Kyme 386 Areus 83 Argeaden 20, 44 f., 50–52, 103 f., 464 Argos 20, 67, 84, 86, 124, 143 f., 196, 213, 465, 474 Ariarathes I. 48 Ariarathes II. 48, 69, 464 Ariarathes IV. 200 Ariarathes V. 217 Ariarathes VI. 243 Ariarathes IX. 243 Aristarchos 71, 333 Aristokratie 38, 40, 46, 65, 161, 164 f., 181, 207, 249, 292, 301 f. Aristonikos 110, 120, 218–221, 242, 351, 470 Aristoteles 19, 23, 40 f., 349, 445 Arkadien 153, 474 Armenien Armenia 137, 192, 235, 243 f., 249, 251, 254–256, 266, 273, 292–294, 343, 470, 478, 483, 484 Armut 349, 355 Arrian 22, 33, 347, 359 Arsakes II. 231 Arsinoë II. Philadelphos 57, 60–62, 68, 74, 81 f., 92, 94, 106 f., 109, 134, 136, 150, 236, 260, 273, 427, 464 f.; Abb. 7 Arsinoë III. 191 Arsinoë IV. 259 Arsinoë, Hafen in Ägypten 150 Artemidoros von Perge 421, 433 Artemis 260, 284, 333, 374, 387, 398, 405, 407, 409 f., 415, 418, 433 f., 458 Arzt 71, 107 f., 162, 303, 336 f., 340, 343, 347 f., 357, 361, 377, 420; siehe auch Medizin Ashoka 72, 432

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Asia, Provinz, Asiarches 221–223, 242, 244 f., 251, 265, 269, 310 f., 314–317, 319, 345, 348, 470, 486, 488 f. Asylia 251, 337, 396, 405 Athen 11–13, 16, 20 f., 23 f., 26, 41, 47– 49, 52, 57 f., 78, 80–83, 86–88, 121 f., 126, 130 f., 134, 141, 145 f., 148, 152, 158–160, 162 f., 170–173, 193–195, 202, 211, 215, 246 f., 262, 293–297, 307, 329, 344, 347, 349 f., 357 f., 363, 370, 372, 374, 376, 381, 390, 398, 401, 410, 424, 427, 436, 442, 444, 450, 463–466, 468, 472, 474, 478, 487, 488; Abb. 20 Athenaios 91, 458 Athenion 173, 245 f. Athenodoros von Tarsos 330 f. Athletik, Athleten 78, 84, 104, 125, 130 f., 133, 162 f., 197, 228, 298, 311, 332, 336, 338 f., 347, 365, 369, 373, 375–377, 379, 381, 386, 398, 401–403, 433, 449, 451, 454, 457; siehe auch agon, Wettkampf Attaleia 316, 475, 482 Attaliden 69, 78, 111, 114, 118, 120, 122, 137, 216 f., 221 Attalos I. 69, 78, 98, 103, 143 f., 188 f., 192–194, 196 f., 201, 207, 466, 468 Attalos II. 110, 216 f., 353, 401, 469 f. Attalos III. 110, 218–220, 470 Aufstand 18, 34, 62, 67, 81, 84, 126, 152, 191 f., 199, 204, 212, 216, 220, 225– 227, 229, 234 f., 237 f., 244, 247 f., 250, 254, 256–258, 260, 281, 288, 290, 293 f., 298, 313, 316, 320, 330–333, 397, 449, 463, 469, 471 f.; siehe auch Revolte augur 323 Augustus 11, 173, 256, 263, 270–277, 281, 285–288, 290, 301–303, 306–308, 310–314, 322, 325, 330–332, 343 f., 346, 348, 359, 370, 374, 382, 397, 458, 471, 486 f.; Abb. 14, 19; siehe auch Octavian, Res Gestae Divi Augusti Autonomie 35, 37, 48, 51, 63, 73, 80 f., 118, 120–122, 125, 142 f., 148 f., 153,

Register

157, 180 f., 188, 197 f., 200, 215 f., 219, 227, 235, 248, 316, 319, 468 Axioma 275, 327 Babylon 31, 36, 38, 44, 46, 105, 131, 464, 476, 478, 484 Babylonien 49–51, 98, 105, 137, 227, 231, 293, 353, 478 Bahrain 235 Baktrien 32, 41, 98 f., 127, 192, 231, 379, 444, 479, 485; Abb. 8; siehe auch Griechisch-Baktrische Königreiche Balbilla 297, 347 Bankett 114 f., 339, 365; siehe auch Symposion Bankwesen 242, 388, 392 Bar Kochba, Simeon 298, 472 Barygaza 447 f. basileia 103 basileus 52, 103, 125, 347; siehe auch König basilikos grammateus 115 Beamter 23, 37, 43 f., 81, 87, 113 f., 116– 120, 122, 126, 150, 154, 156–158, 223, 239, 246, 253, 274, 295, 310, 313, 318, 325, 329, 333, 344, 373, 401–403, 411, 428, 458; siehe auch summa honora­ ria Begräbnis 16, 45, 51, 77, 267, 329, 332, 341, 359, 369, 373, 386 „Beichtinschriften“ 420 Belagerung 27 f., 54, 57, 83, 101, 116 f., 126 f., 187, 283, 291, 340, 464 Bendis 398, 408 Berenike, am Roten Meer 120, 362, 478 Berenike, Gattin Antiochos’ II. 95 f. Berenike I., Gattin Ptolemaios’ I. 109, 136, 150 Berenike II., Gattin Ptolemaios’ III. 93, 99 f. Berenike III., Gattin Ptolemaios’ X. Alexander und Ptolemaios’ XI. 107, 257, 258 Berenike IV. Gattin Seleukos’ VII. 258 Beute 138 f., 170, 188, 208, 251 f., 264, 284, 355, 359

Bibliothek 11, 20, 71, 114 f., 260, 340, 345 Bithynien, Bithynia 49, 54, 69, 77, 122, 137, 139, 188 f., 192, 202, 206, 211, 216 f., 220, 238, 243–245, 249, 255, 265, 269, 294 f., 302, 316 f., 319, 324 f., 440, 464, 469 f., 475, 478, 482, 487, 489 Blossius 220 Böotien; Böotischer Bund 88, 146, 153– 155, 196, 207, 213, 215, 247, 283, 289, 352 Boëthos von Tarsos 330, 342 f., 345 Bosporanisches Reich 122, 254–256, 281, 343, 417, 439; siehe auch Pontos boule 155, 158, 325 f. Bouthroton 286 Brief, Kaiser-, Königs- 40, 121, 123 f., 284, 298 f., 302, 306, 318 Briefwechsel, Plinius der Jüngere – Trajan 302, 318, 320, 324, 326 Brutus 262–264 Buddhismus 72, 232, 432, 454 Bürgerkrieg 34, 63 f., 66, 85, 98, 102, 119, 152, 159, 161, 166, 173, 230, 234, 236–239, 242, 244, 248, 255, 257, 259 f., 262, 267, 275, 279, 291, 337, 344–346, 350, 352 f., 449, 467, 469 f., 472; siehe auch römische Bürgerkriege Bürgerrecht 121, 123 f., 133, 147, 150, 153, 156, 158 f., 205, 214, 219 f., 244, 287, 292, 320, 323, 325, 335, 337–339, 341 f., 345–347, 355 f., 360, 362 f., 369, 383 f., 389–392 „Bundesgenossenkrieg“, in Griechenland 89 f. 101, 182, 185, 467 Caesar, Gaius Iulius 157, 253, 255–257, 259–267, 274, 277, 284, 286, 308, 310, 319, 322, 345, 470 f. Caligula 332, 471 Cappadocia, Kappadokien 48, 69, 122, 137, 200, 217, 220, 234, 242–245, 252, 256, 279, 291 f., 316, 347, 435, 464, 471, 483, 489 Cassius 262–264

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Register

Cato der Ältere 450 Cato der Jüngere 257 Chairemon von Nysa 172 Chaironeia, Schlacht von (338 v. Chr.) 24, 121, 196, 474; Schlacht von (86 v. Chr.) 247 Chalkedon 192, 341, 475, 482 Chalkis, Stadt auf Euböa 81, 122, 197 f., 474 Chalkis, Königreich in Syrien 265 Chandragupta 56 Charakene 235 Chersonesos, taurisches 243, 281, 351, 358, 456, 478 Chersonesos, thrakisches 193, 199, 221 chiliarchos 40, 44, 46 China 15, 72, 232, 444, 451 Chios 248, 475 Chremonideïscher Krieg 80 f., 87, 93 f., 176, 465 Chremonides 81 f. Christen, Christentum 18, 269, 333, 397, 407, 410, 417 f., 435 f., 438–442, 471 Christus siehe Jesus Christus Cicero 195, 223 f., 254, 257 Cinna, Lucius Cornelius 247 f. Claudius 278, 280, 283, 287, 303, 305, 308, 331 f., 343, 348, 379, 471; Abb. 16 cliens 181 conventus 317, 338 Crassus, Marcus Licinius 250, 256 f., 348 Dakien, Dacia 293, 301, 315, 472, 487, 488 Dardaner 74, 466 f. Dardanos, Friede von 248 f., 470 Dareios I. 38 Dareios III. 9, 26 f., 30–32, 38, 44, 112, 463 Darlehen, öffentliches 162 f., 367; siehe auch Kredit decurio 323 dekaprotoi 325 Delos 152, 211, 245, 252, 358, 360, 371, 389 f., 400, 412, 456, 469, 475

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Delphi 59, 75, 77 f., 80, 206–208, 295, 298, 302, 307, 357, 373–375, 387, 391, 400, 449 f., 465, 474 Demagoge, Demagogie 66, 166, 169–171, 173, 330, 332, 341 f., 351 f. Demetrias 58, 81, 114, 131, 150, 197, 201, 474 Demetrios, Sohn Philipps V. von Makedonien 110, 197 Demetrios I., griechisch-baktrischer König 231 f. Demetrios I. Poliorketes, makedonischer König 46, 50–60, 65, 67, 69 f., 73, 76, 83, 125 f., 131, 134 f., 140 f., 150, 171, 197, 206, 340, 464; Abb. 3 Demetrios I. Soter, seleukidischer König 212, 226, 229, 234 Demetrios II., makedonischer König 87 f., 466 Demetrios II. Nikator, seleukidischer König 230, 235, 237, 469 Demetrios von Phaleron 169 f., 381 Demetrios von Pharos 177 f., 182 f., 186, 467 Demokratie 17 f. 41, 63, 86, 121, 123, 158–162, 164, 166, 262, 324, 329, 340, 405 demos 162, 164, 329 f., 368, 406 Diadem 29, 53, 91, 104 f., 124, 127, 140, 143, 261, 267; Abb. 2, 8 Diadochen, Nachfolger Alexanders des Großen 37, 43, 46–55, 57 f., 60, 62– 65, 68, 74, 92, 99, 103 f., 110, 140, 149, 170, 176, 200, 242, 463 f. diagramma 40, 123 Diaspora, jüdische 371, 397, 439, 449 Dichterin 297, 378, 385 f. Diodoros Pasparos 172 f. Diodotos Tryphon 229 f., 469 dioikesis, epi tes dioikeseos 158 dioiketes 115 Dion von Prusa 330, 332, 450 Dionysos 32 f., 58, 91, 130–132, 134, 162, 372, 401, 405–407, 425, 427 f., 430, 440, 453; Abb. 35; siehe auch Künstler des Dionysos; Neuer Dionysos

Register

Dioskuren 235, 406, 409 Diskriminierung 161, 333, 336 Dorf 116, 119, 150, 287, 354, 396, 443, 447 duoviri 323 Dura-Europos 362, 416, 478; Abb. 33 Dyme 85, 286 Dynamis 343 Dynastischer Konflikt 22, 57, 59 f., 109 f., 119 f., 139, 225–227, 229–231, 233–235, 237, 239, 257–259, 281, 464, 469 Dyrrhachion 214, 286, 451, 453, 474; siehe auch Epidamnos Egnatius, Gnaeus 214; siehe auch Via Egnatia Ehe, Misch-; Geschwister- 41, 200, 284, 337, 383–285, 456 Ehren, göttliche 83, 106, 125, 130 f., 134, 198, 204, 217, 308, 398 eikosaprotoi 325 Einheimische Bevölkerung, siehe Indigene Bevölkerung Eintracht, Kult für 82, 304, 339, 402, 433, 449; siehe auch Homonoia eirenarches 326 ekklesia 158, 327 ekklesiastai 327 ekklesiastikon 158 Elefant, Kriegs- 56, 66, 93, 98, 100, 192, 201 f. Eleier 85 Eleusinische Mysterien 58, 134, 295, 427, 430, 436 Eleusis, „Tag von“ 226 f., 427, 436 Eleutheria, Fest 146, 197, 375 eleutheria 48, 289; siehe auch Freiheit Elis 90, 189, 474 Elite 18 f., 25, 50, 87, 105, 125, 138, 164– 166, 169, 171 f., 194, 207, 213, 227 f., 278, 305, 321, 325–332, 340 f., 369, 371, 373, 378, 381 f., 392, 397, 399 f.; siehe auch Aristokratie, Adel Emesa 255, 279 enargeia 404 enktesis 355

epekoos 399, 408, 419, 424 f.; Abb. 35 Epheben 133, 173, 297, 308, 329, 365, 375, 381 f., 402 f.; siehe auch Jugend epi tes dioikeseos 158 epi tes poleos 122 epi ton pragmaton 117, 138 epi ton prosodon 117 Epidamnos 178, 185 f., 214, 282; Abb 17; siehe auch Dyrrhachion Epidauros 86, 419, 424, 426, 474 Epiktet 347 Epikteta von Thera 385 f. Epikur, Epikureer 389, 423, 436 Epiphanes, epiphanestatos 127, 143, 306, 419 Epiphanie 135, 419, 426, 433, 436; siehe auch Gott, Wunder Epirus 24, 59, 61, 64 f., 69, 74, 83, 88, 90, 110, 151, 189, 211, 247, 260, 286 f., 301, 315, 464 f., 474, 478; Abb. 5 epistates 122, 346 Erasistratos 71, 107 f., 340 Eratosthenes 71 Eretria 81, 474 Eros 284, 312 Erziehung 84, 90, 126, 133, 233, 330, 359, 371, 378; siehe auch Gymnasium ethnarches 120, 255 Ethnischer Konflikt 39, 333, 455 ethnos 153 Euböa 81, 87, 111, 213, 215, 353, 474 Eudoxos von Kyzikos 446 f. Euergetismus 366–369 Euklid 10 Eukratides von Baktrien 127, 232; Abb. 8 Eumenes, Sekretär Alexanders des Großen 45 f., 50 Eumenes I. 188, 463 Eumenes II. 104 f., 118, 152, 201 f., 207 f., 211, 216, 219, 379, 401, 468 f. Eunuch 105, 259 f., 388, 451 Eurykleides von Athen 163, 172 Eurykles von Sparta 346 Euthydemos von Baktrien 192, 231, 468 Euthydemos von Mylasa 173, 341 f.

529

Register

Exil 59, 84, 130, 171, 238 f., 243, 257 f., 330, 343, 346, 349, 351, 353, 450, 463

Frieden von Apameia 152, 201–203, 225, 468

Familie 45, 65, 84, 90, 103, 106–108, 111, 113 f., 134, 136, 144, 149, 159, 161–166, 172, 180, 277, 307 f., 310– 312, 314, 326–329, 335, 346, 350, 356, 359 f., 365, 368 f., 371, 374, 377 f., 382 f., 385 f., 389, 392 f., 401 f., 431 f., 455, 458 Fest, Festspiele 24, 76, 78, 91, 131, 136, 145 f., 154, 304, 310 f., 328, 356, 359, 371–377, 386 f., 396 f., 400–406, 433, 438, 449, 456 fides 181, 195, 207 Fimbria, Gaius Flavius 247 f. Finanzen, öffentliche 157 f., 162, 164, 166, 172, 221, 291, 302, 315, 319, 348, 352, 372 Findelkind 348, 359, 388, 392 Flamininus, Titus Quinctius 196–199, 215, 289, 308, 468 Flavische Dynastie 292, 311, 472 Frauen 15 f., 25, 29, 39, 44, 46, 60, 91, 109 f., 121, 159, 176 f., 216, 233, 262, 308, 320, 335 f., 357, 361 f., 365 f., 369, 372, 376, 378, 382–390, 392, 395 f., 398, 400, 404, 407, 413, 424, 431 f., 455; siehe auch Dichterin, Königinnen, Musikerin, Prostituierte, Sklavin, Tänzerin, Wohltäterin Freigelassener 140, 286, 323, 335, 337, 347–349, 360 f., 369, 372, 379, 390– 393, 416, 428, 457 Freiheit, politische 24, 26, 41, 48, 51, 71, 73, 77 f., 80–83, 85, 87, 91, 120–122, 125, 132, 134, 163, 185, 196–200, 206, 215, 218 f., 221, 239, 241, 245, 288– 290, 306, 310, 330, 333, 335, 345, 405, 450, 464, 468; siehe auch Eleutheria Freilassung 74, 277, 338, 390–392; siehe auch Freigelassener Fremde 120 f., 312, 338, 351, 355, 358, 369–372, 400, 459 „Freunde“, hellenistischer Könige 113 f., 125 f., 138, 337, 344; siehe auch philoi

Gaius Caesar 273, 308 Galater 74, 76–78, 80, 188, 465; siehe auch Kelten, Gallier Galatien, Galatia 77, 243, 270, 279, 287, 292, 310, 316, 471, 478, 482 f., 484, 487 Gallier 70, 73 f., 77–80, 103, 118, 153, 217, 339, 353, 374, 405, 444, 449, 465 f; Abb. 6; siehe auch Kelten, Galater Gandhara 231 f., 454, 485 Garnison 49, 51 f., 78, 80, 84–86, 88, 93, 95, 122 f., 125, 136, 151 f., 159–161, 192, 196–198, 202, 206, 227, 353, 362, 370, 383, 405, 446, 465 Gaugamela 30, 112, 235, 463, 476 Gaza 28, 100 f., 476, 478 Gerichtshof, des Bundes 133, 157, 246, 338 gerousia 325, 373 Geten 74 Getreide 23, 57, 83, 125, 146, 163, 222, 252, 258 f., 283, 285, 317, 325, 330– 332, 359, 362, 366 Gladiator 331, 373, 389, 392 Glaukon 82 „Globalisierung“ 14, 443 f., 448; siehe auch Konnektivität, oikoumene Glykon, Neuer Asklepios 410, 417, 435– 438, 442; Abb. 36 Goldmine 389 Gordion 27, 476, 482 Gortyn 101 f., 156, 287, 316 f., 467, 474 Gott, christlicher 36, 304, 397, 418, 422, 439 f., 442 Gott, jüdischer, Jahwe 228, 417 f. Götter 20, 26, 33, 35 f., 58, 80, 125, 130 f., 133–136, 138, 142, 159, 163, 172, 186, 217, 269, 287, 289, 297, 311, 321, 323, 374, 395–399, 401, 403, 406–410, 412, 417–419, 421–428, 430, 433, 435, 441 f., 450, 458; siehe auch Epiphanie, Religion

530

Register

Gracchus, Gaius Sempronius 219, 221– 223, 470 Gracchus, Tiberius Sempronius 219 f., 222 Granikos, Schlacht am 12, 27, 463, 476 Griechisch-Baktrische Königreiche 98, 111, 231–233, 432, 454, 468, 484 Griechische Sprache, als Lingua franca 9, 15 f., 20, 41, 232, 235, 316, 338, 348, 353, 362, 408, 454, 456, 458 f. Große Götter 403, 427 f., 433, 442 Grundbesitz 87, 89, 151, 181, 219, 335– 338, 344, 346, 350–352, 354 f., 358, 360, 363, 369, 371, 387, 391 f. gymnasiarchos 326, 366, 369, 378 f. Gymnasium 146, 152, 173, 228, 326, 331 f., 342, 365 f., 368, 377–380, 385, 389, 401 f., 455; Abb. 27; siehe auch Erziehung gynaikonomos 388 Gytheion 367 Hadrian 12–14, 148 f., 271, 274, 287 f., 293–299, 301–303, 307, 310–312, 315, 322, 347, 349, 358–360, 362 f., 370, 374, 389, 423, 435, 443 f., 457, 472, 488 f.; Abb. 21 Handel 95, 116, 118, 182, 207, 211, 222, 242, 287 f., 317, 319, 335 f., 357 f., 361, 371, 385, 388, 447 f., 451 Handwerk 92, 242, 252, 287, 335 f., 350, 357 f., 360, 388, 390, 392 Hannibal 68, 175, 182 f., 185–189, 195, 200–202, 467 f. Harpalos 34, 47 Hasmonäerdynastie 230, 255 Hauptstadt 27, 31 f., 54, 62, 96, 104, 108, 111, 114, 117, 136, 138, 150–152, 197, 210, 227, 231, 233, 237 f., 250, 261, 266, 286, 290, 310, 315–317, 343, 362, 400, 410, 444, 447, 450, 469 Heer 25, 31, 33, 37, 39, 41, 43 f., 50 f., 58, 103 f., 108, 117, 126, 139, 142, 155, 190, 251, 274, 276, 292, 314, 344, 354, 360, 463 Heeresversammlung, Ausrufung des Königs 43, 51, 58, 104, 108, 143

hegemon des Achäischen Bundes 96 f. hegemon des Hellenenbundes/Korinthischen Bundes 25 f., 35, 40, 55 Heilige Männer 397, 432 Heilpflanze, Handel mit 361 f. Hekate 409, 415, 433 helepolis 54, 126, 340; siehe auch Technologie Heliodoros 226, 468 Hellenarch 458 Hellenenbund 12, 25 f., 30 f., 35, 37, 40, 44, 54, 89 f., 97, 197, 464, 466 f. Hellenisierung 15 f., 229, 243, 296, 317 Hellenisten 9, 228, 379 Hellenistisches Zeitalter 9–12, 14, 16, 18, 146, 151, 168, 322, 336, 357, 366, 397, 423 f., 428, 451, 458 Hellespont 77, 98, 192 f., 199 Henotheismus 399, 418 Hephaistion 36, 39, 131, 297, 463 Herakleides, Reisender 145 f., 401, 455 Herakles 80, 173, 379, 407, 409 Herakles, Sohn Alexanders des Großen 44, 51, 110 Herakles, Stammvater der makedonischen Könige 20, 29, 32 f., 130 f., 445 Herakles, Stammvater der Ptolemäer 130 Hermes 80, 372, 379, 398, 407, 409, 456 Herodes Agrippa 332, 471 Herodes Atticus 293 f., 329, 370; Abb. 20 Heroisierung von Sterblichen 431 Herophilos 340 Herrscherkult 132, 134 f., 137, 140, 432 Hestia 407 hetairoi 40 hierodoulos 392 Hieron II. 69, 127, 340 hieronikai 375 Historiographie 449, 458 Hohepriester 28, 117, 137, 227–230, 234, 255, 307; Abb. 24; siehe auch Priester Homonoia 82, 402; siehe auch Eintracht Horaz 215 Hybreas von Mylasa 173, 341 f., 345 hydraulis 10, 71, 357

531

Register

Hymnen, hymnodoi 269, 304, 308, 311, 398, 412, 434, 440 Identität 13, 16, 156 f., 271, 292, 298, 304, 312, 321, 332, 338, 358, 371 f., 378, 382, 396, 434, 443, 453, 458 Idumäa 230 Illyrien, Illyrer 22, 74–77, 89, 176–178, 182 f., 185–187, 189, 210, 214, 248, 251, 286, 474, 478 Illyrische Kriege 178, 181–183, 466 f. Imperialismus 179, 193, 205 imperium 246, 253, 313 imperium maius 253, 314 imperium proconsulare maius 276, 301 incolae 323 Indien 14 f., 32 f., 36, 56, 62, 72, 91, 98, 131, 192, 231 f., 362 f., 432, 434, 444, 446–448, 454, 463, 471 Indigene Bevölkerung 118 f., 316, 353, 408, 455, 457 Indischer Ozean 446–449, 463 Initiation 17, 371, 403 f., 415 f., 426– 428, 430 f., 436 Inkubation 419, 423 f. Ionien 91, 98, 193, 211, 219, 221, 482 Ipsos, Schlacht bei 56 f., 464, 475 Iran, Iraner 13, 30–33, 35, 38–41, 56, 62, 69, 111 f., 118, 129, 225, 229–231, 235 f., 284, 353, 384, 415, 432, 463, 468 Iranische Götter 396, 415, 421, 432 Isokrates 23 isopoliteia 356 isotheoi timai 134 Issos, Schlacht bei 27, 30, 463, 476 Isthmia (Wettspiele) 197, 199 Isyllos 426 Italici 211, 242 Italien 14–16, 62–67, 175–177, 179–184, 186 f., 194, 199 f., 205 f., 210 f., 214 f., 243 f., 248, 250, 252–254, 260, 263, 286, 288, 295, 302, 323 f., 338, 360 f., 382, 390, 406, 444, 451, 457, 465, 480 f., 486, 488 italische Gottheiten 408, 456 f. Italiker 242, 245, 286, 288, 456 f.

532

Jerusalem 226–230, 287, 291, 296, 298, 347, 379, 455, 469, 472, 478, 484, 487 Jesus Christus 269, 304, 422, 434, 439, 440 Juden 10, 13, 116, 118–120, 227–229, 278, 288, 290 f., 293, 296, 298, 321, 330, 332 f., 353, 363, 371, 379, 417 f., 439, 441 f., 449, 455, 469, 472 Jugend, Jugendliche 52, 84, 171, 352, 378, 381, 405; siehe auch Epheben Kaisareia 312, 316 Kaisarion 261, 264, 266 f., 274, 471 Kaiser, römischer 17, 270 f., 278, 301, 304, 328, 343 f., 398, 409, 447, 453 Kaiserkult 274, 303 f., 307 f., 310–312, 392, 397, 400; Abb. 24 Kalindoia 354, 404 Kallimachos 100, 299, 339, 429 Kallisthenes 19, 39, 328 Kallixeinos von Rhodos 91 Kambyses 28, 99 Karien 88, 98, 152, 191, 193, 202, 211, 221, 248, 387, 466, 475, 482 Karneades 450 Karthago, Karthager 15, 63 f., 66 f., 72, 90, 175, 182, 184, 189, 193, 195, 213 f., 246, 312, 444, 465, 480, 488 Kassander 45 f., 49–53, 57, 75, 104, 131, 150, 170, 354, 463 f. Kassandreia 150, 474 Kaunos 120, 475, 482 Kavafis, Konstantinos 41, 144, 234, 267, 458 Kelten 67, 73–78; siehe auch Galater, Gallier Kibyra 307, 482 Kilikien, Cilicia 60, 98, 193, 221, 235, 245, 250–255, 258, 265 f., 279, 286 f., 292, 316, 359, 402, 478, 483, 487, 489 Kineas 65 f. Kios 192, 242, 482 Kleinasien 12–14, 17, 20, 24–27, 37, 45 f., 48–50, 54, 56–62, 68 f., 74 f., 77 f., 80, 84, 88, 93–100, 110 f., 116–118, 120– 122, 125 f., 131 f., 136 f., 148, 150, 152–154, 158 f., 165, 176, 188 f., 191–

Register

203, 211 f., 217, 221, 235, 241–245, 247–249, 252, 257, 263 f., 270 f., 278 f., 283 f., 286–288, 290, 292–294, 296 f., 301, 303, 316, 322 f., 338 f., 341, 349, 351–353, 355, 359–361, 363, 365, 371 f., 384, 388, 401, 408, 411, 417 f., 420, 423, 427, 434 f., 439–441, 444, 449, 451, 456 f., 464–470, 472, 474 f., 482 f. Kleitos 39 Kleonymos, König von Sparta 67 Kleopatra, Gattin Philipps II. 25 Kleopatra, Tochter Philipps II. 25, 44 Kleopatra I. Syra 201, 226, 236 f. Kleopatra II. 106 f., 110, 237–239, 469 Kleopatra III. 107, 237–239, 446, 469 Kleopatra VI. Tryphaina 258 Kleopatra VII. 9, 11, 60, 107, 110, 144, 176, 236 f., 258–261, 264–267, 273, 346, 471; Abb. 13 Kleopatra Thea 234, 237 Klientelkönig 139, 264–266, 270 f., 278 f., 281, 290 f., 314, 347, 471 Knossos 101 f., 156, 253, 286 f., 467, 474 König 21, 53, 60, 71, 81, 97 f., 104, 109 f., 112–114, 117, 119, 122 f., 125 f., 132–134, 138–140, 142, 150 f., 173, 200, 233, 236, 344, 351, 405; siehe auch Klientelkönig Königinnen 110, 131, 134, 137, 176, 235, 237, 385 Königtum 21, 30, 41, 51, 53, 65, 88, 103 f., 106, 111, 115, 120, 125 f., 129, 138, 140–142, 180, 184, 267, 400, 450; siehe auch Monarchie Koilesyrien 57, 68, 93–95, 97, 100 f., 126, 193, 199, 226 f., 236, 465, 478 koine 16, 457 koinon 81, 85, 90, 153–156, 299, 310, 371 Kolchis 243, 254 f., 343, 471 Kolonie, römische 13, 17, 286 f., 317, 321–324, 360 f., 392, 445, 456; Abb. 26 Koloss von Rhodos 10 f., 54 f.; Abb. 4 Kommandant 104, 142, 171, 186 Konnektivität 445, 449; siehe auch Globalisierung

Konsul 214, 276 f.; siehe auch Suffektkonsul Korea 93, 451 Korinth 16, 24, 83–87, 89, 91, 96, 110 f., 151, 197, 213–216, 286, 288, 315, 317, 361, 373, 441, 465 f., 469, 474, 478, 487 Korinthischer Bund 24 f. Korkyra 64, 177 f., 185 f. Korruption 34, 223, 313, 319 Kos 83, 94, 159, 162, 172, 273, 303, 343, 345, 357 f., 374, 384, 401, 405, 419, 467, 475, 482 Kosmopolitismus 9, 13 f., 336, 372 f., 395, 458 Kouroupedion, Schlacht bei 62, 68 f., 109, 132, 465 Krateros, Bruder des Antigonos Gonatas 84 Krateros, General Alexanders des Großen 35, 39, 44, 50, 463 Kredit 367, 448; siehe auch Darlehen Kreta 101, 122, 151, 153 f., 156, 191 f., 251–253, 265, 286–288, 316, 350–355, 357, 359–362, 381, 390, 408, 419, 430, 434, 439, 441, 445, 467, 470, 474, 475 Kretischer Bund 192, 252 Kretische Kriege 191 f., 253, 467 Kriegsführung 65, 116 Kritolaos 213 f., 351 Ktesibios 10, 71 ktistes 30, 243 Kult 131 f., 134, 136 f., 159, 228, 308, 310 f., 397 f., 400, 407, 410, 412, 415– 417, 427 f., 432 f., 435 f., 441 Kultgründer 432 f., 435 Künstler des Dionysos 132, 372 Kybele 398, 408 Kykladen 81, 92, 96, 98, 156, 193 Kynoskephalai, Schlacht von 196, 468 Kyrenaika 14, 68, 237–239, 257, 265 f., 270, 293, 316, 397, 441, 470, 472 Kyrene 64, 93, 110, 239, 384, 456, 478 Kyzikos 80, 143, 286, 331, 343, 446, 475, 482 Labienus 263, 284, 342 f.

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Lagiden 68 Lamischer Krieg 48, 463 Landwirtschaft 16, 115, 134, 193, 206, 223, 242, 252, 254, 319, 350, 357 f., 361, 388, 390, 392 f., 415, 427 Laodike, Gattin Antiochos’ II. 95 f., 99 Ladodike, Gattin Antiochos’ III. 107, 132 f., 137 Laodike, Gattin Antiochos’ IV. 200, 226 Laodike, Gattin von Mithridates V. Euergetes 243 Laodike-Krieg 95–99, 110, 176, 466 Laodikeia, in Phrygien 132, 172, 343, 475, 478, 482, 484 laoi 119, 338 Larisa 123 f., 355, 474 Lateinische Sprache, als Lingua franca 16, 177, 179, 287, 304, 323 f., 348, 362, 456 Leben nach dem Tod 398, 412, 428–431, 438 Lebena 419 legatus 315 f. legatus Augusti pro praetore 253, 314 Leibwächter 25, 38 f., 46, 113 f., 141, 245 Lemnos 197, 474 Lepidus, Marcus Aemilius 262 f., 471 lex de portorii Asiae 223; siehe auch Zollgebühren Lissos 178, 182, 187 Liturgie 163, 165, 325–327, 366, 368, 370, 378, 385 Lucullus, Lucius Licinius 249–251, 254, 470 Lukian 435 f. Lydien 221, 321, 433, 457 f., 475, 482 Lykien, Lycia 98, 152, 156 f., 170, 193, 202, 211, 223, 282 f., 291 f., 316, 325, 327, 359, 471 f., 475, 478, 482, 489; Abb. 18 Lykischer Bund 156, 281, 310 Lykurgos von Athen 171 Lysias, seleukidischer Reichsverweser 229, 234 Lysias von Tarsos 173 Lysimacheia 29, 62, 77, 192, 199, 465, 475, 478, 484; Abb. 2

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Lysimachos 29, 46, 49–51, 53, 55–57, 59–62, 65, 67, 74 f., 81 f., 94, 109 f., 200, 354, 434, 464 f.; Abb. 2 Lyttos 102, 467, 475 Magas 93, 109 f. Magnesia am Mäander 159, 374, 387, 405, 475, 482 Magnesia am Sipylos 201, 468, 475, 482 Makedonien, Macedonia 12, 19, 22 f., 31, 34, 36 f., 40, 44, 46, 49, 51, 54, 57, 59 f., 62, 64–69, 73–78, 81–83, 85, 88–90, 94, 100 f., 103 f., 109 f., 114, 118, 130, 137, 148, 175, 182, 187, 194– 197, 201, 206 f., 209 f., 212–215, 221, 245 f., 263, 284, 286, 288, 308, 315, 317, 324, 345, 351, 353 f., 360 f., 381, 387, 394, 412 f., 430, 443, 452 f., 456, 463–469, 474, 478, 487, 488; Abb. 26, 31, 37; siehe auch Antigoniden Makedonisches Koinon 299, 310 Makedonischer Krieg, Erster 185–191, 241, 467 Makedonischer Krieg, Zweiter 193–197, 199, 201, 207, 241, 468 Makedonischer Krieg, Dritter 208, 226, 241, 469 Makkabäer 9 f., 229, 469 Manetho 455 Marcus Antonius 172, 219 f., 250, 252, 257, 259, 261 f., 264 f., 279, 284, 342 f., 346, 471 Marmorhandel 292, 361 Maroneia 306, 426 Masada 291, 472 Mathura 232, 454; Abb. 38 Mauryareich 15, 231, 444 Medizin 218, 340, 357, 385; siehe auch Arzt Megara 86, 215, 474 megas theos 418 Megasthenes 56 Megatheismus 395, 399, 419 Melankomas 347, 376 meris 210, 229 Mes 418, 421 f., 433

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Mesopotamien 36, 49, 56, 68, 96, 98 f., 231, 250, 293 f., 303, 353, 362, 466, 470, 472, 478, 483 Messene 189, 203 f., 273, 403, 428, 474 Messenien 153 Metellus Creticus, Quintus Caecilius, Eroberer Kretas 253 Metellus Macedonicus, Quintus Caecilius, Eroberer Makedoniens 213 f. Metöken 338, 370 Metropolis (Ionien) 219, 365 f., 389 Migration 74 f., 172, 232, 286, 335, 353– 356, 371, 383, 444, 449 Mikion von Athen 163, 172 Milet 94, 150, 159, 170, 354 f., 374, 424, 475, 482 Militärtaktik, militärisches Training 117, 126 f., 142, 196, 228, 379, 381 f., 402; siehe auch Belagerung Militärsiedler 137 Mimentänzer 115, 143, 377, 392; siehe Tänzer Mithras 398, 415 f.; Abb. 33 Mithridates I. König von Parthien 231 Mithridates I. Ktistes, König von Pontos 243 Mithridates V., König von Pontos 242 f. Mithridates VI., König von Pontos 173, 242–252, 254–256, 341, 345, 470 Mithridates Chrestos 243 Mobilität 14, 16, 356–358, 371 f., 377, 386 f., 397, 400, 410 f., 422, 445, 451; siehe auch Migration Moesia Inferior 288, 315, 488 Molon 100, 111, 126, 467 Molosser 59 Monarchie 18, 39–41, 43, 73, 84, 103, 106 f., 113 f., 129, 136, 140, 148, 172, 205, 210, 212, 251, 259, 262, 381, 400, 469; siehe auch Kaiser, König Mouseion von Alexandria 10 f., 20, 114 f., 238, 296, 340 Multikulturalismus 16 Mummius, Lucius 214 Musik, -wettbewerb 80, 115, 267 f., 376– 378, 403, 407

Musiker, Musikerinnen 80, 336, 349, 356 f., 376 f., 385 f., 392 Mylasa 173, 341 f., 345, 475, 482 Mysterienkult 373, 397 f., 403, 406, 410, 415, 426–428, 430 f., 435 f., 442 Nabatäer 265, 293, 472 Nabis 190, 196, 213, 468 Nakone 350 Naupaktos, Konferenz von 183, 212, 467, 474 Neapolis (Neapel) 347, 374, 382 Nearchos 33, 447, 463 negotiatores 242, 360 Nemea (Wettspiele) 373 Nemeseis 408 neokoros 304, 310 Nero 223, 278, 288–290, 294, 303, 305, 308, 315, 329, 343, 348, 374, 441, 447, 450, 471 f. Nerva 292, 472 Nesiotenbund 81, 156 Neuer Dionysos 245, 258, 267, 310 Nikanor, Gaius Iulius 344 Nikias von Kos 172, 345 Nikomedeia 316, 347, 475, 482, 484 Nikomedes I. 77 Nikomedes II. 217 Nikomedes IV. 243 f., 249 Nikopolis 254, 256, 287 f., 374, 483 Nil, Nilflut 30, 68, 92, 105, 115, 117, 297, 446, 476, 478, 484, 487, 489 Nomaden, Nomadenüberfälle 98, 129, 230, 232, 444, 447 nomos 115 f. Nysa 172, 326, 349, 477, 482 Oberpriester des Kaisers 307, 310, 312 Octavian 262 f., 266 f., 269 f., 274 f., 277, 279, 284–286, 310, 317, 330, 342, 345 f., 374, 471; siehe auch Augustus Offenbarung 270, 413 oikonomos 115 f., 361, 392 oikoumene 14, 19, 270, 272, 285, 293, 303, 305, 321, 358, 363, 443–445, 451, 453 Oinoanda 327, 374, 482

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Olbia, am Schwarzen Meer 164, 281, 284, 327, 478 Olbia (Kilikien) 279 Oligarchie 17, 48 f., 63, 130, 158–161, 164–166, 207, 210, 215, 324, 345, 349 Olivenöl, Handel 125, 242, 287, 342, 361, 368, 379 Olympia, Olympische Spiele 190, 298, 373, 449, 474 Olympias 26, 44, 50, 110, 463 Ophellas 64 Opis, Meuterei in 35, 463 Opramoas 358 f. Optimaten 244, 257 Orakel 28, 30, 246, 302, 390, 398, 406 f., 417 f., 421, 423 f., 434 f. Orchomenos 156, 247 Oreioi, Koinon ton Oreion 156 Orophernes 217 Orpheus, Orphiker 429 f. Osiris 297, 406, 410, 412 Palästina 57, 93, 116, 200, 298, 441 Palmyra 362 Panathenaia 405 Panhellenion 12 f., 297 f., 374, 472 Panhellenisches Bündnis 184; siehe auch Hellenenbund Pantikapaion 255, 281, 478 Paphlagonien 220, 243, 256, 279, 286, 292, 471, 483 paradoxon 399 paramone 390 Parion 286, 482 Parmenion 39 Parner 73, 98, 231 paroikoi 119, 323, 338 f. Paropamisaden 232 Parther 12, 98, 129, 230–232, 234 f., 251, 254–257, 261–263, 265 f., 273, 279, 291, 293 f., 314, 316, 342 f., 465 Patara 282 f., 475, 482; Abb. 18 Patrai 85, 286, 288, 296, 361, 456, 474; Abb. 22 patronus 140, 181, 313 Paullus, Lucius Aemilius 182 f., 209 f., 469

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Paulus, hl. 333, 417, 441 f. Pella 13, 114, 210, 286, 452, 474, 476, 478; Abb. 37 Peloponnes 24, 67, 78, 81, 83–87, 89 f., 93, 130, 147, 153 f., 171, 182, 188–190, 212 f., 215, 284, 286, 288, 315, 352, 430, 466 Perdikkas III., König von Makedonien 20, 22, 26, 43 Perdikkas, General Alexanders des Großen 44, 46, 50, 463 Pergamon, -altar 16, 62, 69, 78, 98, 103, 105, 114, 122, 150, 159, 172, 188 f., 192–197, 199, 201 f., 205, 207, 216– 221, 223, 238, 260, 272, 299, 310 f., 351, 377, 466, 468–470, 475, 478, 482, 484; Abb. 12 periodonikai 376 periodos 373 peripeteia 18, 50 Periplous Maris Erythraei 447 Persephone 134, 427, 430 Persepolis 31, 463, 477, 479, 485 Perserkriege 23, 30, 75, 80, 82, 197, 247, 298 Perserreich 12, 23, 25, 31, 40, 45, 117, 444, 448, 453; siehe auch Achämeniden Perseus 139, 206–212, 216, 351, 468 f. Persische Religion, siehe Zoroastrismus Pessinous 77, 216 f., 478, 482 Phanagoreia 256, 281 Pharao 28, 30, 91, 101, 105 f., 115, 136 f., 191, 236, 297, 453, 467 Pharao, Alexander als 28–30, 38, 40, 103 f., 130, 453 Pharisäer 224, 438 Pharos von Alexandria 11 Pharsalos, Schlacht von 260, 471, 474 Philadelpheia 426, 431, 482 Philetairos 62, 69, 188 Philipp II. 9, 12, 19–26, 29, 37, 43 f., 46, 82, 97, 121, 130 f., 184, 197, 273, 354, 463; Abb. 1 Philipp III. Arrhidaios 44 f., 50, 110, 120, 463 Philipp IV. 57, 464

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Philipp V. 88–90, 97, 100–102, 110, 123 f., 143, 183, 185–197, 199, 201, 206, 207, 273, 355, 467 f. Philippi 29, 130, 263, 286, 324, 342, 441, 456, 474 Philippopolis 29, 315, 409; Abb. 29 Philodemos 345 philoi 113 f., 125, 138; siehe auch Freunde Philopappos 347 Philopoimen 154, 172, 189 f., 203 f., 380 Philosoph, „Gesandtschaft der Philosophen“ 41, 65, 115, 145 f., 166, 170, 173, 220, 245 f., 267, 273, 330, 336, 340 f., 343–345, 347, 357, 378 f., 389, 397 f., 401, 434, 442, 449 f. Philosophie 11, 19, 23, 262, 293, 336, 347, 357, 389, 434, 449 Philotas 39 Phönizien 27, 60, 92, 98, 226 f., 236 Phoinike, Frieden von 189, 191, 194 f., 467, 474 Phokion 120 f. Phrygien 46, 56, 62, 117 f., 150, 152, 216, 221, 243, 353, 379, 387, 433, 441, 475, 478, 482 Piratenwesen 59, 72, 125, 162, 177, 181, 221, 245, 250–254, 256, 359 f., 367, 388, 390, 470 Plataiai 24, 82, 146, 375 Plinius der Jüngere 179, 269, 302, 306, 318, 320, 324, 326, 440 Plutarch 37, 52, 59 f., 120, 122, 140 f., 247, 273 f., 302, 346, 406 Pluto 411, 427, 429 Polemon von Ilion 450 Polemon I. von Pontos 343 polis 17 f., 41, 73, 123, 145–148, 150– 152, 157 f., 202, 256, 299, 321 f., 339, 354, 369, 372, 376, 378–380, 404, 407 politarches 120 politeuma 120 Politik 14, 30, 40, 58, 63, 65, 78, 80 f., 83, 87 f., 92 f., 95, 97, 99, 108, 111, 114, 122, 138 f., 154, 157, 163, 166, 179–182, 184, 190, 194, 200, 202 f., 206, 209, 211, 213, 220, 225 f., 242–

244, 249, 254, 256, 290, 293, 342; siehe auch Aristokratie, Bürgerrecht, Demagoge, Demokratie, demos, Elite, Oligarchie, Städtebund, Teilhabe, Volksversammlung, Polybios 15, 86 f., 100–102, 143, 147, 154, 160, 175–177, 179, 183–186, 204, 210, 214, 241, 283, 345, 348, 352 Polyperchon 50 f., 463 Pompeiopolis 254, 256 Pompeius Magnus, Gnaeus 152, 236, 250 f., 253–257, 259 f., 263, 265 f., 270, 286, 317, 322, 345, 359, 470 f. Pompeius, Sextus 263 Pontius Pilatus 269 Pontos 69, 137, 172, 217, 220, 242 f., 248 f., 251, 255, 269, 279, 286, 290, 343, 415, 440, 470 f., 483, 484 Popularen 244, 256 f. Poros 33, 38, 463 Poseidon 24, 33, 48, 53, 58, 133, 135, 197, 373, 401, 405, 433; Abb. 3 Poseidonios von Apameia 345, 445–447 pothos 32, 169 praefectus 314 Präfekt von Ägypten 317, 443 f. Prätor 312–314 praetorium 317, 321, 421 pragmata, epi ton pragmaton 117, 138 pragmateutai 392 Priene 159, 163, 475, 482 Priester, Priesteramt 28, 99, 105 f., 112, 116–118, 120, 131–133, 136 f., 144, 158 f., 162, 173, 217, 225–230, 234, 236, 239, 255, 279, 307, 310–312, 321, 327, 365 f., 383, 402 f., 407, 412–414, 421 f., 424, 436, 441, 455, 458; Abb. 24, 32; siehe auch Hohepriester, Oberpriester princeps 268, 275, 277, 286 Prinzipat 11, 268, 274 f., 313 f., 319, 330, 339, 343 f., 346, 348, 358 f., 374, 391 f., 397, 399 probouleusis 158 Prokurator 269, 314–316, 319, 345 proskynesis 38, 104 Prostituierte 31, 392

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Protogenes von Olbia 164 provincia 222, 312 f., 317 f., 325 Provinzen, Provinzialverwaltung 12, 15, 32, 38, 46, 49, 51, 84, 98 f., 115– 118, 148 f., 181, 192, 205, 212, 215, 221–225, 227, 235, 237, 249, 253, 255, 260, 263, 265 f., 270–272, 274, 276, 278, 291 f., 298, 301–303, 307, 312– 317, 319, 322, 360–362, 374, 392, 397, 416, 451, 457, 467, 470; siehe auch Achäa, Asia, Statthalter, Makedonien proxenos 336 Prozession 26, 91 f., 129–131, 134, 143, 268, 304, 308, 311, 329, 375, 386 f., 398, 401–404, 428, 434, 451, 453 Prusias I. 188, 192, 202 Prusias II. 139 f., 206, 211, 217, 469 Ptolemaia, Ptolemäen 91, 136, 374, 387, 396, 403 Ptolemaios I. Soter 10, 19, 45 f., 49–55, 57, 59–61, 64, 68, 109, 115, 136, 150, 170, 340, 374, 384, 400, 410, 463–465 Ptolemaios II. Philadelphos 62, 68, 71, 81–83, 91–95, 107, 109 f., 126, 129, 136, 236, 266, 273, 339, 400, 427, 446, 455, 465 f. Ptolemaios III. Euergetes 94–100, 466 f. Ptolemaios IV. 100 f., 106 f., 191, 236, 467 f. Ptolemaios V. 191, 199, 201, 236, 468 Ptolemaios VI. 107, 110, 226, 234, 236– 238, 468 f. Ptolemaios VII. 107, 237 f. Ptolemaios VIII. Physkon 110, 226, 238 f., 469 Ptolemaios IX. Lathyros 239, 257 f. Ptolemaios X. Alexandros 257 f. Ptolemaios XI. 258 Ptolemaios XII. Auletes 115, 258 f., 470 Ptolemaios XIII. 107, 237, 259 f. Ptolemaios XIV. 237, 260, 264 Ptolemaios XV. (Kaisarion) 261, 264 Ptolemaios Apion 239, 470 Ptolemaios Epigonos 82, 94 Ptolemaios Eupator 237 Ptolemaios Keraunos 61 f., 70, 74 f., 81, 465

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Ptolemaios Memphites 239 publicani 215, 222–224, 242, 249, 251, 319 Punischer Krieg, Erster 72, 175, 180, 465 Punischer Krieg, Zweiter 175, 179, 187, 467 f. Punischer Krieg, Dritter 213 Punjab 32 f., 232, 463 Pydna, Schlacht von 209, 469, 474 Pythagoreer 430 Pytheas von Massalia 32, 445 Pythodoris 172, 343 Pythodoros 172 Quästor 315, 319 Räuberwesen 119, 146, 359, 410 Raphia, Schlacht bei 100 f., 117, 183, 192, 467 Raubzug 74, 77 f., 170, 177, 251 f., 281, 339, 355 f., 389 Recht, römisches 15, 441, 456; siehe auch Schiedsgericht, Schlichtung, Richter, Gerichtshof Rechtsprechung 113, 116, 119, 317 f., 321, 394 Redekunst 173 Redner 16, 168 f., 308, 336, 340 f., 343, 345, 347, 404, 448–450 Reformen 18, 88 f., 165, 207, 213, 219– 221, 223 f., 228, 244, 246, 249, 261, 292, 313, 351 f., 380, 417, 432 f., 470 Reichsverweser 229, 234; siehe auch Wesir Reichtum 49, 92 f., 161, 172 f., 227, 239, 274, 284, 313, 325, 327, 335 f., 341 f., 347, 349, 358, 378, 385 f., 394, 426, 448 Reinheit 407, 426 f., 430 f., 438 f. Religion 11 f., 14, 229, 232, 291, 318, 383, 397–400, 423; siehe auch Epiphanie, Fest, Gott, Kult, Mysterienkult, Priester, Wunder Res Gestae Divi Augusti 275 f.; Abb. 14 Revolte 84, 94, 111, 120, 199, 203, 220, 229, 235, 250 f., 262, 293, 298, 314, 316, 333, 363, 439, 467

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Rhodos 10, 54 f., 57, 91, 94, 126, 151 f., 156, 159, 164, 191, 193–195, 199, 202, 205, 211, 245, 248, 252, 286, 291, 303, 315, 331, 342, 357 f., 390, 444, 464 f., 467–469, 475, 482, 484, 487; Abb. 4 Rhoimetalkes II. 343 Richter, fremde 154, 157, 352, 456 Ritterstand 207, 222, 251, 314 f., 317, 321, 345, 347 f., 361, 433 Rom 10 f., 64 f., 68, 71–74, 88, 90, 102, 110 f., 120, 138 f., 147, 152, 157, 172 f., 175–191, 193–203, 205–224, 226, 229, 234, 237 f., 241–252, 255–261, 263, 265–267, 269–271, 273, 276 f., 283 f., 286, 290 f., 293, 297 f., 302, 305, 308, 310 f., 313, 316 f., 320–323, 329 f., 338, 342 f., 343, 345, 349, 362 f., 374, 392, 411 f., 419, 427, 434, 441, 444, 449–451, 457, 465, 467–472, 480, 486, 488; Abb. 23, 30; siehe auch ro­ salia, Senat, Senator Romanisierung 15 römische Bürgerkriege 152, 244, 259, 267, 345 rosalia 457 Rosetta-Stein 236 Roxane 38, 44 f. Sabina 293, 297, 310 Salamis (Zypern) 52 f., 464; Abb. 3 Salamis (Attika) 24, 52 Sallust 179 Samos 71, 122, 159, 291, 355, 475, 478, 482 Samothrake 209, 427, 433, 475 Sandrokottos 56 Sardinien, Sardinia 312, 486, 488 Sardis 27, 392, 475, 482, 484 Satrap 31, 38, 46–48, 50, 98, 105, 118, 129, 230, 234 f. Satrapie 31, 98, 108, 111 f., 117, 126, 129, 200, 225, 230 f., 234, 242, 463 f. Scaevola, Quintus Mucius 319 Schiedsgericht 25, 194; siehe auch Schlichtung Schlichtung 154, 317 f., 350

Schulden 34, 63, 89, 146, 166, 207 f., 212 f., 220, 248, 262, 286, 350–352, 367, 388 Schwarzes Meer 14, 62, 69, 74, 93, 164, 190, 192, 242 f., 245, 254, 270, 281, 286, 315 f., 327, 337, 396, 435, 444; siehe auch Bosporanisches Reich, Pontos Scipio Aemilianus, Publius Cornelius 239 Scipio Africanus, Publius Cornelius 68, 201 Scipio Asiaticus, Lucius Cornelius 201 Sebasta (Wettspiele) 347, 374 Seleukeia am Tigris 96, 114, 150, 231, 478, 484 Seleukeia Pieria 97 Seleukidenreich 84, 96, 110 f., 114, 117– 119, 188, 200 f., 229 f., 233, 235, 250, 255, 453, 465 f., 468–470, 484 Seleukos I. 46, 49–51, 53, 55–57, 59–62, 68, 107–109, 130, 132, 150, 193, 200, 340, 464 f. Seleukos II. 96–100, 110, 466 Seleukos III. 466 Seleukos IV. 200, 206, 225 f., 234, 468 Sellasia, Schlacht von 89, 189, 352, 466 Senat, römischer 65, 118, 139 f., 152, 172, 177 f., 180, 182 f., 193, 203, 207 f., 211–215, 218 f., 226, 234, 242 f., 246, 249, 251–253, 255–257, 259, 262 f. 267, 275 f., 290, 292 f., 301, 306, 308, 310, 312 f., 321, 326, 345, 347, 405, 434 Senator 111, 140, 198, 205, 207, 213 f., 221, 260, 262, 264, 273, 276 f., 292, 301 f., 313–315, 317, 319–321, 344, 361, 392 Serapis 398, 400, 410–412, 417 f., 424 f., 432, 441; Abb. 30, 35 seviri 323 Sicarii 291 Sidon 56, 60, 81, 120, 216, 478 Sikyon 83–85, 149, 170, 357, 465, 474 Sinope 243, 256, 286, 358, 478, 483 Siwa, Oase 28, 30, 476, 478

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Register

Sizilien 14, 54, 62–67, 69, 103, 170, 177, 181, 184, 220 f., 245, 263, 312, 340, 350 f., 372, 396, 427, 451, 463–465, 480, 486 Sklave 16, 121, 175, 206, 211, 214, 220, 223, 242, 248, 250, 252, 283, 302, 306, 312, 315, 335, 337 f., 347–350, 359, 361, 365, 369, 372, 378 f., 385, 388– 394, 402, 428, 435, 449, 451; Abb. 28 Sklavenaufstand 220, 250, 256 Sklaverei 211, 214, 348, 388–394, 450 Sklavin 392, 421 Skythen 164, 232, 243, 444 Smyrna 167, 311, 348, 408, 429, 475, 482; Abb. 10 Söldner 34, 38, 47, 49, 64, 67, 77, 101, 117–120, 122, 139, 159, 162, 170 f., 190, 202, 235, 243, 252, 255, 336, 350, 352–356, 360 f., 367, 370, 384, 387 f., 448, 455 Soldat 16, 22 f., 28, 33, 35, 38, 40 f., 44, 52 f., 59, 65, 72, 113, 117, 129, 136, 138 f., 142, 151 f., 181, 201, 209, 222 f., 239, 247–249, 258, 264–266, 277, 290, 302, 337, 340, 344, 353–356, 360, 381 f., 384, 400, 409, 411, 416, 432 f., 446, 448; siehe auch Militärsiedler, Veteranen Soloi 254, 256, 483 somatophylax 39, 114 Sophist, Sophistik 320, 349, 450 soter 127, 234, 399, 408 Soteria 78, 374, 405 Soteriologie 399 Spanien 175, 183, 195, 205, 250, 253, 256, 263, 278, 293, 347, 445 f., 457, 467 Sparta, Spartaner 12, 20 f., 24, 65, 67, 81–83, 86, 88–90, 130, 148, 189 f., 196, 202, 213–215, 295, 325, 346, 350– 352, 367, 380, 426, 444, 465 f., 468, 474 Spartakus 250, 256 Spartokiden 69 Spende 125, 162, 359, 365–370, 385, 389; siehe auch Wohltäter Sport 365, 373, 375; siehe auch Athletik

540

Städtebund 10, 17, 20, 24, 31, 48, 72 f., 75, 78, 81, 85, 88 f., 97, 117, 122, 145, 148 f., 151, 153–155, 157, 189 f., 197, 207, 213, 215, 241, 287, 310, 318, 374 f., 400, 405, 444 Statthalter, römischer Provinz- 73, 111, 114, 117, 122 f., 150, 152, 192, 215, 222, 253, 264, 273, 276 f., 290, 301 f., 308, 313–321, 324 f., 341, 344–346, 348, 374 Statue 10, 45, 54, 58, 91, 128 f., 131–133, 167, 171, 173, 217, 245, 272, 283 f., 297, 307 f., 312, 328, 332, 344, 349, 369 f., 377, 385–387, 411 f., 428, 434 f., 438; Abb. 9, 10, 30 stephanephoros 158, 326, 369, 385 Steuern 132, 220, 222 f., 239, 264, 281, 290 f., 312, 317, 319, 321, 325, 338, 366, 409; siehe auch Tribut Steuerfreiheit 125, 159, 223, 236, 289, 297, 302, 319, 332 Steuerpächter 116, 215, 221–224, 319; siehe auch publicani Steuerverwaltung 115–117, 222; siehe auch Steuern Stiftung 331, 369, 385 f., 401, 433 f. Stoiker 10, 341 Strabon 164, 330, 341 f., 401, 446 f. Straße 118, 145 f., 151, 158, 205, 214, 222, 278, 282 f., 292, 319, 321, 323 f., 361, 367, 373; Abb. 18; siehe auch Via strategos, strategos autokrator 63, 85 f., 115, 117, 154, 307 Stratonike 107 f. Stratonikeia 220 f., 294, 387, 475, 482 Subskription, öffentliche 162, 367–369 Suffektkonsul 277, 293, 347 Sulla 244, 246–249, 258, 266, 277, 313, 317, 348, 387, 446, 470 summa honoraria 326 Susa 31, 33, 38 f., 105, 112, 476 f., 478 f., 484 symploke 15, 102, 175 f. sympoliteia 150 Symposion 114, 372; siehe auch Bankett

Register

syngeneis 40, 114 synhedrion 24, 155; siehe auch Rat Synkretismus 16, 232 Syrakus 16, 63, 66, 69, 71, 84, 103, 127, 186 f., 340, 395, 463 f., 467, 480 Syrien, Syria 14, 41, 49, 57, 68 f., 92 f., 96–98, 193, 200, 220, 234–237, 250, 255, 257–259, 262 f., 265 f., 270, 279, 287, 291–293, 296–298, 314, 316, 344, 353, 360, 362, 416, 427, 434, 466, 472, 478, 483, 487, 489; siehe auch Koilesyrien Syrische Kriege 57, 94 f, 226, 237, 465– 469 Tacitus 269 Tänzer, Tänzerinnen, Mimen- 115, 143, 357, 377, 392 tamias 154 Tanagra 146, 156, 382 Tanais 458 Taras 65, 401, 481 Tarsos 173, 264, 302, 316 f., 330, 342 f., 345, 402, 478, 483, 484 Technologie 11, 14, 18, 187, 339; siehe auch helepolis Teilhabe, politische 17 f., 160 f., 165, 338, 383 Tenos 405, 475 Teos 132, 150, 159, 211, 372, 405, 475, 482 Termessos 120, 170, 482 Testament, von Herrschern zugunsten Roms 218 f., 221, 249, 258 Teuta 88, 176–178, 182, 466 Textilmanufaktur 357 Thailand 451 Thargelia 406 Theater 25 f., 53, 121, 141, 144–146, 148, 166, 246, 264, 293, 323, 328, 333, 356, 369, 372, 376, 380, 402, 404, 407, 434, 438, 443, 449, 454 Theatralisches Verhalten 18, 108, 123 f., 140 f., 143, 167, 169, 399 Thebais (Ägypten) 116, 152 Theben (Ägypten) 297, 478, 484 Theben (Böotien) 20, 22, 26, 135, 146, 148, 150, 156, 444, 463, 474

Theokrit 16, 92 f., 126, 339, 353, 395 Theopompos von Knidos 345 theoriai 427 Theos Hypsistos 410, 417, 421; Abb. 34 theosebeis 417, 441 Thera 94, 122, 385, 433, 474 f. Thespiai 156, 312 Thessalien, Thessalischer Bund 23, 37, 44, 48 f., 58, 69, 81, 118, 123, 137, 150, 153, 196 f., 212 f., 215, 245, 260, 307, 315, 331, 350, 355, 430, 474 Thessalonike, Schwester Alexanders des Großen 44 f., 51, 150 Thessalonike, Stadt 16, 150, 210, 214, 309, 315, 317, 412, 414, 425, 440 f., 451, 474; Abb. 25, 32, 35 Thrakien, Thracia 30, 46, 49 f., 60, 62, 70, 74–77, 94, 96–98, 125, 192–194, 196 f., 199 f., 211, 246, 263, 270, 281, 301, 315, 322, 343, 360, 394, 408, 426, 464, 468, 471, 475, 478, 482, 487, 488 Thrakischer Reiter 408 f.; Abb. 29 threptos 392 Tiberius 269, 303, 308, 310, 330 f., 348, 406, 471 Tigranes II. 225, 235 f., 244, 249–251, 254 f., 470 Timarchos, Satrap von Medien 129, 234 Timarchos, Tyrann von Milet 94, 170 Titus 291 f., 347, 376, 472 topos 116 Thora 228, 400, 438 Trajan 12, 269, 292 f., 302 f., 307, 309, 315 f., 318–320, 322, 324, 326, 347, 389, 434, 450, 472, 488 f.; Abb. 25 Tralleis 172, 343, 457, 482 Transport 185, 242, 291, 319, 403 Trapezous 243, 483, 484 Traum 80, 268, 419, 421, 424, 429, 433 tribunicia potestas 276, 301 Tribut 34, 38, 49, 74, 80, 112 f., 115–117, 119, 122, 132, 152, 178, 203, 210 f., 215, 217–219, 221 f., 224 f., 228, 242, 255, 265, 283, 313, 323, 338, 363, 453, 470 Triparadeisos, Abkommen von 50, 463 Troizen 86 Troja 25–27, 297

541

Register

trophimos 392 tyche 169, 433 Tyrannei, Tyrann 41, 49, 63, 67, 84–87, 93 f., 103, 123, 159, 166, 169–171, 173, 274, 281, 295, 345, 350, 413, 434 Tyriaion 152, 379, 482 Tyros 27 f., 51, 56, 60, 476, 478, 484 Überfall 74, 83, 90, 177, 191, 212, 250– 252, 302, 335, 339, 359, 361, 405, 444, 465 f.; siehe auch Raubzug Umverteilung von Land 89, 352 Urbanisierung 40, 148, 286 f., 317, 322 f. Usurpation 43, 104, 110, 117, 129, 227, 231, 305, 469 Vereinigung, freiwillige 338, 358, 365, 370–373, 387 Vermögensanforderung 159, 165 Verwaltung 17, 23, 34, 38 f., 44, 80, 99, 105, 112–120, 126, 139, 149, 171, 203, 209 f., 212, 215, 222, 235, 238, 246, 249, 265, 274, 278, 281, 291, 301, 312– 315, 317, 319–321, 323 f., 341, 344, 347 f., 361 f., 388, 397, 411, 454 f., 469; siehe auch Beamter Verwandter, höfischer Titel 40, 114 Verwandtschaft zwischen Gemeinwesen 449 f. Vespasian 276, 287, 291 f., 301–303, 306, 308, 316, 348, 450, 472 Veteranen 35, 112, 248 f., 256 f., 286 f., 297, 323 Via Egnatia 214, 282; Abb. 17 Via Flaminia 205, 214 Volk 48, 83, 93, 121, 125, 132, 143, 145, 148, 165, 177, 218, 230, 239, 246, 248, 275, 327–330, 332 f., 349, 352, 358, 367, 370, 434; siehe auch demos Volksversammlung 17, 48, 63, 81, 121, 123, 132, 147, 158–160, 162, 165 f., 168, 194 f., 246, 276, 326–333, 340, 342, 349, 351, 368, 386 f., 399; siehe auch Politik Vorlesung, öffentliche 115, 377, 379 Vulso, Gnaeus Manlius 203

542

Wein, Herstellung und Handel 66 f., 119, 242, 287 f., 302, 321, 358, 361, 386, 394, 440, 447 f. Wesir 40, 44, 117, 138; siehe auch Reichsverweser Wettkampf 46, 78, 131, 133, 162–164, 166, 181, 274, 288, 297 f., 302–304, 308, 310–312, 328, 332, 336, 369, 373– 377, 379, 381 f., 386 f., 398, 401–403, 433, 446, 449, 454, 457, 459 Wirtschaft 101, 283, 285, 335, 357, 361, 383; siehe auch, Bankwesen, Handel, Handwerk, Landwirtschaft, Olivenöl, Schulden, Wein Wissenschaft 11, 19, 23, 71, 110, 126, 238, 339 f., 343, 445, 448 Wohltäter 17, 99, 133, 162, 164 f., 172 f., 219, 303, 328 f., 332, 336 f., 339, 347, 358, 365, 367–370, 374, 385 f., 398, 400 f., 404 f., 431–433; siehe auch Spende Wohltäterin 336, 385 f. Wunder 49, 75, 77, 205, 412, 419 f., 425, 434; siehe auch Epiphanie Xanthos 325, 475, 482 Xenophon, Gaius Stertinius 303, 343, 347 Yuezhi 232, 444 Zeloten 290, 438 Zenon von Kition 341, 343, 389 Zensor 222 f., 320 Zeus, Eleutherios 20, 23, 29, 75, 78, 82, 91 f., 131, 146, 155, 171, 228, 256, 290, 295, 308, 310 f., 373, 375, 390, 398, 401, 405–411, 417 f., 421 f., 426, 429, 433; Abb. 34 Zipoites 49, 54, 69, 77, 464 Zoilos von Aphrodisias 348 Zollgebühren 211, 222 f., 319, 338, 366, 467 Zoroastrismus 432 Zypern, Cyprus 52, 56, 68, 97 f., 116, 122, 136, 193, 226, 237–239, 257 f., 265, 316, 372, 388, 464, 470, 484, 487, 489