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German Pages 136 [137] Year 2015
William Blades
Die Bücher feinde Über Feuer und Wasser, Gas und Hitze, Staub und Vernachlässigung, Ignoranz und Engstirnigkeit
Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Hektor Haarkötter
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72714-8 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72715-5 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-824-1 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-825-8(Buchhandel)
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Inhalt
Das Leben und Drucken des William Blades oder Die Feinde der Bücher sterben nicht aus 7
1. Kapitel: Feuer 29
2. Kapitel: Wasser 40
3. Kapitel: Gas und Hitze 48
4. Kapitel: Staub und Vernachlässigung 55
5. Kapitel: Ignoranz und Fanatismus 62
6. Kapitel: Der Bücherwurm 77
7. Kapitel: Andere Schädlinge 94
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8. Kapitel: Buchbinder 99
9. Kapitel: Sammler 108
10. Kapitel: Dienstboten und Kinder 118
Postskriptum 127 Fazit 131 Anmerkungen 133
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Das Leben und Drucken des William Blades oder Die Feinde der Bücher sterben nicht aus
1. Bibliomane und Bibliophage, Bibliopathen und Bibliotaphen, also Bücherbesessene, Bücherverschlinger, Bücherkranke und solche irrwitzigen Menschen, die Bücher nur besaßen, um sie vor der Welt zu verbergen, buchstäblich: zu beerdigen – solche Menschen waren das vornehmliche Forschungsgebiet von William Blades. Wer keinen Sinn für Bücher hatte, den traf sein volles Mitleid: Den Menschen beneide ich nicht, dem jedes Feingefühl fehlt, der das Andenken seiner Vorfahren nicht ehrt und dessen Blut nur in Wallung gerät, wenn er über Pferde oder den Hopfenpreis sprechen kann. Auf Blades’ Türschild stand zeitlebens nur die schlichte Berufsbezeichnung »Drucker«. Zu bescheiden, denn William Blades war viel mehr als das. Er hat die Bibliophilie, einem spleenigen Zeitvertreib gutbetuchter Büchernarren, in eine Wissenschaft verwandelt. Und das, indem er sich die theoretischen Ideale seiner Zeit zu eigen gemacht hat. Das waren insbesondere die der positivistischen Wissenschaftstheorie. 7
Deren Begründer, der französische Forscher Auguste Comte, hatte 1848 seinen Discours sur l’ensemble du positivisme veröffentlicht. »Positiv« war am Positivismus, dass sich wissenschaftliche Erkenntnis ausschließlich auf positive, sprich: empirische Befunde stützen sollte. Doch auch diese wissenschaftlichen Überlegungen fanden vorwiegend in Büchern statt. William Blades aber wollte nicht nur in Büchern, sondern am Buch selbst studieren. Er gehörte zu den ersten, die das wissenschaftliche Instrumentarium auf das Buch als Medium anwandten. Wie sein Biograph Talbot B. Reed festhielt, charakterisierte Blades selbst seine Methode folgendermaßen: Um die interne Evidenz, die jedes alte Buch enthält, zu verstehen und zu meistern, müssen die Besonderheiten der ihm eigenen Handwerkskunst studiert und klassifiziert werden, etwa so wie ein Botaniker Pflanzen behandelt oder ein Entomologe Insekten. Man nennt dies das naturwissenschaftliche System. Das Buch war nun nicht mehr Quell’ der Erkenntnis, sondern wurde selbst zum Forschungsobjekt, wurde analysiert, seziert und, ja auch das: obduziert. Damit zählt William Blades zu den Begründern der Bücherkunde als Medienwissenschaft. Wer war dieser ingeniöse Mann? 2. Druckersohn und Firmenerbe, Bücherwurm und Spätentwickler: William Blades wird am 5. Dezember 1824 in Clapham, einem südlichen Stadtteil Londons, geboren. Sein Vater, Joseph Blades, ist ein renommierter Buchdrucker. Nach einer vergleichsweise kurzen Schullaufbahn an der Clapham Grammar School tritt William Blades im Alter von 8
sechzehn Jahren in die Offizin seines Vaters ein. Hier erlernt er Seit’ an Seit’ mit den Angestellten seines Vaters von der Pike auf das Druckerhandwerk. Blades ist kein Akademiker, er ist Handwerker. Nach einer siebenjährigen Lehrlingszeit wird er erst Partner und später zusammen mit seinem Bruder Rowland Eigentümer der Druckerei Blades, East & Blades in der Londoner Abchurch Lane. Erst mit Mitte Dreißig beginnt sein Interesse für die Geschichte des Buchdrucks. Blades soll das Vorwort zur Neuauflage eines frühen Drucks von William Caxton, The Governayle of Health, schreiben. Caxton war Englands erster Buchdrucker und sein Wirken, wie das so vieler Frühdrucker, von Mythen umgeben. Blades geht mit enormem Forscherfleiß an die Sache. Er wollte keine Information aus zweiter Hand akzeptieren. Darum bereiste er Bibliotheken, Druckereien, Klöster und Universitäten quer durchs Land. Er inspizierte nicht weniger als 450 originale Caxton-Drucke. Das Geheimnis seiner speziellen Untersuchungsmethode lag darin, sich nicht mit den Inhalten der Druckwerke aufzuhalten und alle sonst bei Bibliophilen so beliebten Frontispize und Titelblätter, Impressa und Kolophone links liegen zu lassen. Blades interessierte sich ausschließlich für die Drucktypen selbst, die Lettern: Bücher haben genau wie Menschen einen Körper und eine Seele. Mit der Seele, also dem literarischen Inhalt, haben wir hier nichts zu schaffen. Aufgrund genauester Analyse konnte Blades nachweisen, in welcher Reihenfolge Caxton seine Typensätze gravierte und goss und welche Bücher er damit druckte und verlegte. Auf diese Weise ließ Blades, wie Talbot B. Reed schrieb, »die Arbeitsweise und die Methoden dieser ersten kleinen Druck9
werkstatt vor den Augen lebendig werden«. Die Frage nach der Reihenfolge, in der die Typensätze hergestellt worden waren, war deswegen von größter Bedeutung, weil Caxton die wenigsten seiner Drucke mit einem Titelblatt oder einem Druckdatum versehen hatte. Die Frucht dieser Untersuchungen bestand unter anderem darin, dass die 400-JahrGedenkfeierlichkeiten zu Ehren der Einführung der Schwarzen Kunst in Großbritannien auf Betreiben Blades’ von 1874 auf 1877 verlegt wurden. Denn das ursprünglich auf 1474 datierte erste in England gedruckte Buch war, wie Blades allein aufgrund typographischer Analysen nachweisen konnte, in Wahrheit im belgischen Brügge gedruckt worden. Seine Forschungsergebnisse veröffentlichte Blades von 1861 bis 1863 (im Zwischenjahr 1862 heiratete Blades endlich auch) in dem epochemachenden dreibändigen The Life and Typography of William Caxton. Beeindruckt war die Fachwelt nicht nur vom analytischen Scharfsinn, sondern auch von der typographischen Qualität des Opus. Denn es schien Blades wenig sinnvoll, sich über Typographie auszulassen, ohne die Typen auch zu zeigen. Allein, ein befriedigendes Verfahren zur Herstellung von Faksimiles war zu dieser Zeit noch nicht gefunden. Erst William Blades ersann eine Methode, um die Drucktypen seines großen Vorgängers Caxton täuschend echt nachzubilden. Mit einem Schlag war Blades eine Berühmtheit in der akademischen und vor allem der bibliophilen Welt. Fachzeitschriften und Almanache fragten um wissenschaftliche Beiträge bei ihm an. So kam es, dass Blades unter Beibehaltung seiner Methode sein Forschungsinteresse von Caxton auf die Wiegendrucke oder Inkunabeln allgemein wandte. Wiegendrucke werden alle Druckwerke genannt, die seit Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450 bis zum Jahr 1500, also an der »Wiege« dieser Kunst, 10
entstanden sind. Was Blades in diesem Bereich leistete, war nichts Geringeres als die Schaffung einer völlig neuen Forschungsrichtung: der Paläotypographie. Eine der zu jener Zeit heftig diskutierten Fragen war genau die, ob Gutenberg ernsthaft die Ehre der Erfindung zugesprochen werden konnte. Denn eine alternative Hypothese besagte, dass ein gewisser Laurens Janszoon Coster aus Haarlem in den Niederlanden schon dreißig Jahre vor Gutenberg mit beweglichen Lettern gedruckt haben sollte – eine These, die heute als widerlegt gilt. Man muss vermutlich nicht erwähnen, dass Anhänger der Coster-Theorie sich hauptsächlich in Holland fanden, während die Gutenberg-Verfechter aus Deutschland stammten. Der Brite Blades versuchte wiederum, ausschließlich aufgrund typographischer Analyse ein Urteil fällen zu können. In seinem Aufsatz Early Schools of Typography, der ausgerechnet in einem Fachmagazin mit dem sprechenden Titel The Bookworm veröffentlicht wurde, nahm er schließlich eine mittlere Position ein und machte sich für die These stark, dass es zwei voneinander unabhängige Erfindungen gegeben haben könnte. Signaturen und Wasserzeichen, Kettenbücher und Prägestempel: Das Feld der Forschung, in dem Blades Aufsätze und Bücher verfasste, weitete sich ständig. Sein Ansehen muss so enorm gewesen sein, dass er sich mit der Fachwelt sogar einen Scherz erlauben konnte: In einer kleinen Schrift mit dem Titel Shakespere and Typography stellte er die Behauptung auf, der große britische Dichter William Shakespeare müsse das Druckerhandwerk erlernt haben. Der Scherz bereitete ihm nur umso mehr Vergnügen, als einige Vertreter der Fachwelt die These umgehend ernst nahmen. Neben all diesen wissenschaftlichen Arbeiten führte er nach wie vor seine renommierte Druckerei weiter. Trotz 11
seiner offenkundig hohen Arbeitsbelastung wird William Blades von Zeitgenossen und Biographen als äußerst angenehmer, zurückhaltender und warmherziger Gesprächspartner und Gastgeber beschrieben. Und Gäste hatte er viele, vor allem deswegen, weil die Privatbibliothek, die sich über die Jahre angesammelt hatte, außerordentliche Maße angenommen hatte. Blades war eben doch nicht nur der trockene Buchwissenschaftler, sondern auch selbst im spleenigen Sinne des Wortes ein Bibliomane. Sein offenherziger Umgang mit Besuchern, die sich für seine Bibliothek interessierten, sollte wohl auch jenes bücherfeindliche Verhalten bestimmter engstirniger Büchersammler konterkarieren, die er selbst in seinem Buch The Enemies of Books portraitiert hatte. Eric Vickers schreibt: Seit seinen Lehrlingstagen sammelte er alles, was mit der Geschichte des Buchdrucks zusammenhing. Dieses Interesse dehnte sich sogar noch aus und schloss alle Werke ein, die in irgendeiner Weise mit der Buchdruckkunst, egal in welcher Sprache, zusammenhingen und derer er habhaft werden konnte. Er sammelte auch tagesaktuelles Druckwerk, wenn es irgendwie mit dem Buchdruck oder dem Buchhandel zu tun hatte. Außerdem war er der erste, der sein Augenmerk auf Typenmusterbücher lenkte. Er häufte eine wachsende Sammlung an Bildern, Drucken, Münzen, Medaillen und Jetons an, wenn sie etwas mit dem Druckerhandwerk zu tun hatten. Blades war Gründungsmitglied der britischen Bibliotheksvereinigung, Mitglied im angesehenen Candlewick Ward Club sowie im Vorstand der Pensionskasse der Druckereibetriebe. Für seine Verdienste sollte ihm anlässlich seines 12
fünfzigsten Dienstjubiläums eine Ehrenmedaille verliehen werden. William Blades starb jedoch vier Tage vor diesem Ehrentag plötzlich und unerwartet am 28. April 1890 im Alter von 65 Jahren. Sein letztes Buch, The Pentateuch of Printing, konnte er nicht mehr vollenden, es erschien posthum. Es sollte die Summe seiner Forschungen und Arbeiten sein, buchstäblich die Bibel der Druckkunst. Seine Bibliothek ging auf die St. Bride Foundation in der berühmten Fleetstreet über. Diese Einrichtung wurde auch im Andenken an William Blades 1895 als technische Bibliothek und als Schule des Druckerhandwerks gegründet. Die Schule ist heute im London College of Communication aufgegangen. Die gewaltige Büchersammlung Blades’ kann nach wie vor in der Fleet Street bewundert werden. 3. In seinem populärsten Buch, The Enemies of Books, zieht William Blades auf nicht nur scherzhafte Weise gegen die Todfeinde der Bücher zu Felde. Zehn Kapitel, zehn Fanale gegen den Missbrauch, die Vernachlässigung und letztlich die Zerstörung des höchsten menschlichen Kulturguts, des Buches: Feuer zerstörte die Bibliotheken von Alexandria und »ketzerische« Schriften im Mittelalter und in der Reformationszeit. Schiffsladungen mit Büchern gingen in den Wassern der Weltmeere unter. Die Einführung von Gaslampen hat Bibliotheken pulverisiert. Unter enormen Staubschichten versanken ganze Kollektionen. Ignoranz und Fanatismus vernichtete quer durch Religionen und Ideologien massenhaft Bücher. Bücherwürmer durchbohrten und zerfraßen die wertvollsten Schätze aus Pergament und Papier. Auch andere Schädlinge als die gefräßigen Insekten kosteten Bücher das Leben, ob Ratten, Mäuse oder auch der gemeine Kabeljau. Buchbinder ver13
kehrten oft die gute Absicht ins Gegenteil und zerlegten, was sie binden sollten. Sammler zerschnitten und zerfetzten Bücher auf der Jagd nach Frontispizen oder Kolophonen. Dienstboten und Kinder schließlich konnten mit ihrer Unachtsamkeit jeder Bibliothek gefährlich werden. Ein Gruselkabinett, ein kleiner Horrorladen für Freunde des Buches. Aber die identifizierten Bücherfeinde sind keine böse Fiktion, die mit galligem Humor ersonnen worden wäre, sondern bittere Realität, die Blades mit seiner ihm eigentümlichen wissenschaftlichen Methode detailgenau untersucht hat. Er stellt seine weitläufige Belesenheit zur Schau und zitiert die großen Klassiker von der Antike bis in seine Zeit ebenso wie abgelegene buchkundliche Quellen, auf die er mittels seiner eigenen umfangreichen Spezialbibliothek leicht zurückgreifen kann. Dennoch treten der philologische und hermeneutische Einsatz hinter die empirische Arbeitsweise zurück, mit der er auch den Bücherfeinden zu Leibe rückt. Blades’ Vorgehen ist beinahe detektivisch. Er arbeitet nach dem Motto: »Keine These ohne Beleg«. Zu diesem Zweck reist er durchs Land, besucht Sammler und Bibliothekare, Klosterbrüder und Landpfarrer. Er inspiziert geschundene Bücher und seziert die sterblichen Überreste niedergemetzelter Foliobände. Vor allem aber unterhält er eine ausgedehnte Korrespondenz quer durch Europa. Aus aller Herren Länder lässt er sich Beispiele und Anekdoten schreiben, listet Bibliozide und Biblioklasten, Büchermorde und Buchzerstörer, auf. Für den Buchliebhaber Blades selbst muss die Sammlung und Auflistung all dieser bibliomanen Schandtaten eine Qual gewesen sein. Erträglich wurde sie ihm nur, weil er eines im Überfluss besaß: Humor. In feinster englischer Ironie, zuweilen auch in derben Zoten überzieht Blades menschliche, nicht-menschliche und un14
menschliche Bücherfeinde mit seinem mal beißenden, mal hintersinnigen Spott. Etwa wenn er von einem besonders untalentierten Buchbinder berichtet: Dieser Mann klopfte kurz darauf an Petrus’ Pforte, und wir können nur hoffen, dass seine Arbeiten ihm nicht ins Jenseits folgten und dass seine Erfolge als guter Bürger und Ehrenmann nicht gegen seine Misserfolge als Buchbinder aufgewogen worden sind. Größten Eifer in Sachen empirischer Forschung legt Blades bei der Erforschung des Bücherwurms an den Tag. Ihm ist auch das umfänglichste Kapitel der Bücherfeinde gewidmet. Die Existenz dieses Tierchens war zuvor eher ein Mythos als eine Tatsache. Erst Blades versucht mit naturwissenschaftlicher Akribie und beinahe zoologischer Herangehensweise, den Übeltäter dingfest zu machen. Er vermisst fast auf den Millimeter genau die Löcher und Gänge, die dieser Schädling in Bibliotheksbestände gefressen hat, beschreibt Aussehen, Länge und Gestalt der Schadspuren und zieht daraus seine Schlüsse. Die Darstellung der Taten dieses Schädlings mutet dann – very british! – beinahe wie eine Sportreportage an: Im zitierten Buch kommt es einem vor, als habe ein Wettrennen stattgefunden. Auf den ersten zehn Seiten werden die Schwächlinge unter den Würmern zurückgelassen. Auf den nächsten zehn Seiten sind immer noch 48 Fresser unterwegs. Auf den folgenden zehn Seiten bleiben noch 31, dann noch 10. Auf Seite 51 halten sich noch sechs Würmer, bis zu Seite 61 haben weitere zwei aufgegeben. Bis Seite 71 ist 15
es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei entschlossenen Feinschmeckern, jeder von ihnen macht schöne große Löcher, wobei einer von beiden eher oval geformte produziert. Auf Seite 81 sind sie immer noch gleichauf. Auf Seite 87 muss der ovale Wurm endlich aufgeben. Der runde frisst sich noch durch drei weitere Seiten und endet auf der vierten. Der Buchblock bleibt dann unberührt bis zur neunundsechzigsten Seite von hinten, in der sich ein einziges Loch befindet. Von hier an nimmt die Zahl der Wurmlöcher zum Ende hin wieder kontinuierlich zu. Blades lässt sich Exemplare dieses Tierchens schicken und sammelt sie in freier Wildbahn, die in diesem Fall die Universitätsbibliothek von Oxford darstellt. Er versucht sogar, selbst Bücherwürmer zu züchten, um ihr Verhalten zu studieren, und vor allem, um herauszufinden, welches Tier nach der Verpuppung zum Vorschein kommt. Denn eines ist ihm klar: Bei den »Würmern« handelt es sich in Wirklichkeit um die Larven von Insekten. Er kann mehrere Arten identifizieren und kommt zu dem Schluss, dass es sich beim Bücher-»Wurm« in der Regel um Larven und Raupen bestimmter Nagekäfer- und Mottenarten handelt. Auf diesen bahnbrechenden Erkenntnissen bauten nachfolgende Bücherforscher auf, insbesondere John Francis O’Conor mit seiner wenige Jahre später erschienenen Studie Facts about Bookworms. Blades’ eigene Züchtungsversuche waren übrigens zum Scheitern verurteilt, weil es nahezu unmöglich war, die kleinen Tiere in Gefangenschaft zu halten – was sie ihm fast sympathisch machte: Ich habe ihn so gut wie möglich behandelt. Ich steckte ihn in eine kleine Schachtel, gab ihm eine Auswahl 16
drei verschiedener alter Papiere zur Speise und störte ihn nur selten. Er litt die Haftbedingungen trotzdem nicht, aß nur sehr wenig, rührte sich kaum und auch sein Aussehen blieb nahezu unverändert, auch im Tode. (…) Er gab sein Leben mit extremer Verzögerung auf und verstarb »inniglich betrauert« von seinem Halter, der sich sehr auf seine endgültige Entwicklung gefreut hatte. William Blades lässt trotz all der destruktiven Gewalt von Naturkräften und Tierarten keinen Zweifel daran, dass der schlimmste Feind der Bücher der Mensch selbst ist: Alles in allem haben die zweibeinigen Räuber, die es eigentlich besser wissen sollten, vermutlich ebenso viel Schaden in Bibliotheken angerichtet wie jeder andere Bücherfeind. Buchbinder und Sammler, Studenten und Mönche sowie Hausfrauen, Dienstboten und Kinder werden als Schädiger und Zerstörer von Büchern bloßgestellt. Hier holt der sonst so bescheidene Londoner Buchdrucker zum großen Schlag aus und drischt mit leidenschaftlicher rhetorischer Verve auf die Feinde der Bücher ein: Warum muss das Weibervolk (Gott vergib mir!) das Innerste der Bibliotheken seiner Männer behelligen, ob es da nun staubig sei oder nicht? Das Spielzimmer meiner Jungs, in dem es eine Hobelbank, eine Drehbank und endlosen anderen Kram gibt, wird nie aufgeräumt. (…) Aber mein Arbeitszimmer muss unbedingt jeden Tag abgestaubt werden, und das mit dem irreführenden Versprechen, dass jedes Buch und jedes 17
Blatt Papier anschließend wieder genau da sein wird, wo es hingehört. Der Schaden, der durch eine derartige Dauerbehandlung entsteht, ist unkalkulierbar. Nur eine Spezies hat Blades ausdrücklich von der Untersuchung ausgenommen: Die Buchdrucker selbst. Nicht, dass sie sich nicht schlimmer Attentate auf Bücher schuldig gemacht hätten. Aber, so räumt Blades mit großer Ehrlichkeit ein, er wolle kein Nestbeschmutzer sein und überlasse die nötigen Nachforschungen einem anderen. 4. Die Enemies of Books waren das erfolgreichste Buch von William Blades. Alleine zu seinen Lebzeiten erfuhren sie vier weitere Auflagen. Bis heute ist es im anglo-amerikanischen Raum in unzähligen verschiedenen Editionen erhältlich: ein Klassiker der Bücherkunde. Und doch ist es durch und durch Frucht des 19. Jahrhunderts. Denn spätestens mit der Einführung der Dampfpresse wurden Bücher zum bezahlbaren Massenartikel, während gleichzeitig der alte auratische Nimbus sie noch nicht verlassen hatte. Wenn überhaupt eines, dann stellte das 19. Jahrhundert das Zeitalter der Bücher bzw. die Galaxis Gutenbergs dar. Die Jahrhundertwende, die Blades nicht mehr erlebte, war mit der Erfindung von Grammophon, Film und Typewriter zugleich eine Epochenwende. Die Druckerpresse war nicht mehr allein selig machendes Medium zur Verbreitung das Wahren, Schönen, Guten. Und geißelte schon Blades Ignoranz und Vernachlässigung, so war im 20. Jahrhundert der Abstieg des Mediums Buch vom Träger ewiger Wahrheiten zum Dutzendartikel in einem Medienpotpourri nicht mehr aufzuhalten. Was Bücherfeinde angeht, hätte Blades alle Hände voll zu tun gehabt, um weitere 18
Kapitel an sein Lexikon der bibliophoben Scheußlichkeiten anzuhängen. Eines dieser fehlenden Kapitel beträfe Bibliothekare. Darauf wies schon in den 1930er Jahren Randolph G. Adams hin, Direktor der berühmten Clements Library in Michigan: Das erste Kapitel hätte eigentlich den Bibliothekaren gewidmet sein müssen, denn sie verschandeln Bücher durch Prägestempel und andere Werkzeuge, kritzeln auf die Titelseiten, schneiden stümperhaft Seiten heraus, schreiben mit weißer Tinte Signaturen auf die Rücken der Einbände und behandeln sie insgesamt so, wie es ein Bibliothekar ausdrückte: »Wir pflegen Bücher solange, bis sie für niemanden mehr irgend einen Nutzen haben«. Der amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker hat in jüngerer Zeit Partei für die Bücher und gegen die Bibliothekare ergriffen. In seiner Anklageschrift Der Eckenknick Oder Wie die Bibliotheken sich an den Büchern versündigen weist er nach, wie Bibliothekare Altbestände auf benutzerunfreundliche Mikrofilme kopiert hätten oder diese neuerdings digitalisierten. Der beschönigende Fachbegriff für diese Art der Buchvernichtung lautet »de-akzessionieren«. Die zuständigen Fachabteilungen nennen sich »Bestandskontrolle«. Dabei handelt es sich nicht nur um ein amerikanisches Problem. Dies belegt der Fall, der sich an der Katholischen Universität Eichstätt zugetragen hat. Im Jahr 2007 wurden hier 80 Tonnen alte Bücher aus den Beständen der bayerischen Kapuziner in den Müllcontainer entsorgt. Das waren 1400 Bücherkisten mit zum Teil mehr als 200 Jahre alten Werken! 19
Hans Magnus Enzensberger resümierte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Längst ist der Feind ins Innere der Bibliotheken vorgedrungen. Wozu, flüstert die fünfte Kolonne, wozu diese Regale, diese Zettelkästen, diese Magazine? Wozu die Mühe, die ein so tonnenschwerer Bestand, die diese Altlast aus Pergament, Hadern und Zellulose bereitet? (…) Schluss mit der sentimentalen Idee, als sei es die Aufgabe des Bibliothekars, etwas zu bewahren. Im Zentrum eines weiteren Kapitels über die Bücherfeinde müssten der Leser und die Leserin selbst stehen. Nicht nur im Fall der Leser sehr alter Handschriften und Bücher, in dem tatsächlich jeder Lektürevorgang eine physische Gefahr für das Medium darstellt und häufig nur mit den buchstäblichen Samthandschuhen (die zumeist aus Baumwolle sind) erfolgen darf. Auch die Benutzerordnungen unserer Bibliotheken sprechen eine deutliche Sprache, wenn sie sich vor den offensichtlich weit verbreiteten Unarten der Buchbenutzung schützen zu müssen glauben und damit zum Ausdruck bringen, wie die Bücherfeinde ins Allerheiligste der Buchkultur eingedrungen sind: (1) Bibliotheksgut ist sorgfältig zu behandeln. Hineinschreiben, An- und Unterstreichen, Markieren sowie Durchpausen sind nicht gestattet. Unter der groben Sachherrschaft der Besitzer läuft jedes Buch Gefahr, nicht nur durch Eselsohren und Kaffeeflecken, sondern auch durch Glossen und Randbemerkungen Schaden zu nehmen. Kurt Tucholsky ärgerte sich: 20
Wenn einer und er entleiht ein Buch von einer Bibliothek, sagen wir den Marx: Was will er dann lesen? Dann will er den Marx lesen. Wen aber will er mitnichten lesen? Den Herrn Posauke will er mitnichten lesen. Was aber hat der Herr Posauke getan? Der Herr Posauke hat das Buch vollgemalt. Pfui! Eine weitere Spezies von Bücherfeinden hat Blades selbst noch nicht ins Visier nehmen können, weil sie sich erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Es handelt um diejenigen, die meinen, am approximativen »Ende der Gutenberg-Galaxis« das Ende der Buchkultur insgesamt ausrufen zu müssen. Das Schlagwort stammt vom kanadischen Medienpionier Marshall McLuhan, der in den 1960er Jahren in seinem Buch The Gutenberg Galaxy als erster auf den grassierenden Medienwandel hingewiesen hat. Dass er dabei beständig missverstanden wurde, teilt er mit so vielen Propheten. Denn McLuhan war Philologe. Seine Dissertation schrieb er über einen englischen Dichter der frühen Neuzeit. McLuhan war in seinem Shakespeare zuhause und als konvertierter Katholik, der ausschließlich an katholischen Hochschulen lehrte, strenger Anhänger der Buchreligion. Noch mehr homme de lettre geht kaum. Ärgere Feinde des Buches sind da jene Adepten, die aus dem Medienwandel eine Medienbeerdigung machen und den Teufel mit dem Belzebub, sprich: das Buch mit dem Computer, auszutreiben versuchen. Ob Bill Gates sich auf einem baumhohen Stapel Bücher fotografieren lässt, um zu demonstrieren, dass all diese unnötigen Papiermassen auf eine einzige CD-Rom passen; ob Schulen ihre Schulbibliotheken abschaffen, um stattdessen einen Computerraum einzurichten; oder ob Kataloge und Telefonbücher, Register und Karteikästen abgeschafft werden, weil mit Google & Co. 21
doch sowieso alles viel leichter und schneller gehe – all diese Maßnahmen von Technikeuphorikern und Nerds, Computerapologeten und Bücherfeinden verkennen, was ein anderer Altphilologe namens Wolfgang Riepl schon 1913 verkündet hat: Dass nämlich Medien sich nicht ablösen, sondern bestenfalls ergänzen, und dass es in der Weltgeschichte der Medien noch nie vorgekommen ist, dass durch die Einführung eines neuen Mediums ein altes restlos abgeschafft worden wäre. Dieses als »Riepl’sches Gesetz« bekannt gewordene Theorem ist vielleicht nicht hundertprozentig richtig, spricht aber eines deutlich aus, was Bücherfeinde nicht wahrhaben wollen: Dass Bücher auch nach dem Ende der Gutenberg-Galaxis noch eine Zukunft haben. Wie ihr einst konkurrenzloser Vorfahr, das »alte Medium« Buch, sind auch die Neuen Medien nicht frei von Anfeindungen. Zu unguter Letzt wäre darum auch ein Kapitel über deren Feinde ganz im Sinne von William Blades gewesen. Die von Bakunin beschworene »Lust der Zerstörung« wendet sich nämlich nicht nur gegen das gute alte Buch, das auch in diesem Punkt seinen sakrosankten Status verloren hat: Das gesamte Arsenal von Bücherfeinden hat sich innerhalb kurzer Zeit in Medienfeinde verwandelt und neue Jagdreviere für seine Zerstörungswut gefunden. Nicht nur menschliche Sorglosigkeit und Ignoranz, Aggression und Wahn machen auch vor den Neuen Medien, vor Fernsehgeräten und Computern, Radioempfängern und Handys, nicht halt. Auch tierische Schädlinge sind längst vom Buch in die Neuen Medien migriert und richten dort Unheil an. Das beginnt schon in den Zeiten von Alexander Graham Bell und einem der ersten »neuen Medien«, dem Telefon. So glaubte man, dass die störenden Knistergeräusche beim Telefonieren von Käfern herrührten, die in die Telefonleitungen eingedrungen seien. Gewittertierchen sind in der 22
Landwirtschaft schon länger als Schädlinge bekannt, jetzt aber haben sie sich auch in Computermonitoren eingenistet. Über 300 verschiedene Arten dieser Tierchen gibt es, die auch als Fransenflügler, Blasenfüße oder kurz als Thripse bezeichnet werden. Die Tiere sind so klein, dass sie kaum aktiv fliegen müssen, sondern eher in der Luft schwimmen, weswegen sie auch als »Luftplankton« bezeichnet werden. Bei Gewitter werden sie aufgrund ihrer Kleinheit besonders stark verdriftet, daher ihr volkstümlicher Name. Die Gewittertierchen sind offenbar so winzig, dass sie es schaffen, zwischen die Folie und den äußeren Teil des Displays von TFT-Monitoren zu gelangen. Dort machen sie den Eindruck beweglicher Pixelfehler, wenn sie aber zu viele werden, können sie zu erheblichen Bildstörungen führen. In Japan haben die Betreiber von Datennetzen noch mit einem anderen Schädling zu kämpfen. Zikaden der Art Cryptotympana facialis legen nicht nur ihre Eier unter die Ummantelung von Glasfaserkabeln, sondern damit auch die Datenübertragung lahm. Ingenieure der Telegraph and Telephone Corp. (NTT) haben schon mindestens tausend Störfälle auf die Attacken dieser Insekten zurückgeführt. Offenbar haben die bis zu sieben Zentimeter langen Tiere die Kabel mit Zweigen verwechselt, in die sie sonst ihre Eier ablegen, wie der Entomologe Hideharu Numata von der Osaka City University darlegt. Doch wie schon beim Buch gilt auch bei den Neuen Medien: Der schlimmste Schädling ist der Mensch. Die Soziologin Marleen Brinks legte im Jahr 2004 eine aufsehenerregende Studie vor, der zufolge zwei Drittel der Befragten, die mehr als 30 Stunden pro Woche am Computer arbeiten, angaben, dass sie gegenüber ihrem Rechner schon einmal laut geworden sind. Mehr als 30 Prozent haben nach der Computermaus geschlagen. Und immerhin fünf der Befrag23
ten gestanden, dass sie aus Aggression den Monitor oder den gesamten PC vom Tisch gestoßen haben. Besonderen Groll erregen offenbar die zeitgeistgemäßen Statussymbole des Informationszeitalters, sprich: Smartphones wie das »Iphone« der Firma Apple. Internet-Themenseiten und Video-Foren unter der Rubrik »Iphones zerstören« erfreuen sich, wie der Stern-Online-Kolumnist Carsten Scheibe herausgefunden hat, enormer Beliebtheit. Da wird das stylische Telefon mit einer Lupe zum Brennen gebracht, mit einer Beretta 9mm beschossen, im Aquarium ertränkt, mit einem Winkelschleifer traktiert oder mit allem, was der Werkzeugkasten hergibt, angebohrt, aufgesägt, zerhämmert oder auseinandergeflext. Der amerikanische Mixer-Hersteller Blendtec hat ein Gerät im Sortiment, das wirklich alles klein bekommen soll. Zum Beweis stopfen die Blendtec-Leute in ihrem Videopodcast alles in ihren Zertrümmerer, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Videos allerdings, in denen erst ein Iphone und dann sogar ein Ipad solange durchgemixt werden, bis nur noch grauer Staub übrig ist, sind die AbrufHits auf der Internetseite der Firma. Es bleibt festzustellen: Die Feinde der Bücher sterben zwar nicht aus; dies konnte auch die Aufklärungsarbeit von William Blades nicht verhindern. Aber während sich die traditionellen Bücherfeinde auf ein einziges Ziel konzentrierten, steht für die Zerstörungswut ihrer modernen Nachfahren eine breit gefächerte Angebotspalette bereit. Und so lassen sich denn auch die düsteren Prophezeiungen über das angeblich bevorstehende Ende der Bücher mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen. 5. Die hier veröffentlichte Übersetzung von William Blades Die Bücherfeinde basiert auf der 2., erweiterten Auflage seines 24
Buches The Enemies of Books (London 1888). Aus ihr sind auch die Abbildungen entnommen. William Blades schreibt ein geradliniges und elegantes Englisch. Dennoch müssen zur Übersetzung ein paar Anmerkungen gemacht werden. Die erste betrifft einen der am häufigsten vorkommenden Begriffe, nämlich »bibliography« bzw. »bibliographer«. Diese Wörter haben im Deutschen kein echtes Pendant, denn die Bibliographie ist bei uns merklich etwas anderes. Es wurde darum an den entsprechenden Stellen mit »Bücherkunde« oder »Buchwissenschaft« respektive den entsprechenden Berufsbezeichnungen wiedergegeben. Blades benutzt naturgemäß viele englische Fachbegriffe aus der Buchdrucker- und Buchbindersprache, die zum Teil heute veraltet sind. Der Übersetzer hat sich bemüht, diese so erklärend wie möglich zu übertragen, ohne den Ton des Originals zu sehr zu strapazieren, und hat an der einen oder anderen Stelle auch professionelle Hilfe erhalten. Schwierigkeiten bereiteten auch die zoologischen Fachbegriffe und Bezeichnungen, was unter anderem an der Fortentwicklung der biologischen Nomenklatur liegt: Viele lateinische Tierbezeichnungen des 19. Jahrhunderts gibt es heute schlicht nicht mehr, weil Tierarten differenzierter betrachtet werden, umklassifiziert werden mussten oder Zuschreibungen sich einfach als falsch erwiesen haben. Bis auf wenige Ausnahmen wurde darum die Blades’sche Terminologie beibehalten. Der Herausgeber und Übersetzer möchte der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Person von Andreas Auth und Dr. Jörn Laakmann danken, die es ermöglicht haben, dass dieses klassische Werk der Bücherkunde endlich auch auf Deutsch erscheinen kann. Kristina Machalke von der MHMK Medienhochschule für ihre Unterstützung bei allen Literaturrecherchen. Jasmine Stern und Elke Austermühl für Lektorat und Redaktion. Charles Heard für Überset25
zungshilfen an den kniffligsten Stellen. Und Almuth Corbach von der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel für ihre Tipps in Sachen Buchrestauration und Buchbinderei. Alle Fehler, die sich jetzt noch im Buch finden, gehen alleine aufs Konto des Herausgebers und Übersetzers, der um gnädige Aufnahme bittet. Köln und München im September 2011 Hektor Haarkötter
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Verwendete Literatur Adams, Randolph G.: Librarians as Enemies of Books. In: Library Quarterly (1937), H. 7, S. 317–331 Baker, Nicholson: Der Eckenknick oder Wie die Bibliotheken sich an den Büchern versündigen. Deutsch von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Reinbek 2005 Blades, William: Shakespere and Typography. Being an Attempt to Show Shakespere’s Personal Connection with, and Technical Knowledge of The Art of Printing. London 1872 Blades, William: The Biography and Typography of William Caxton, England’s First Printer. 2. Aufl., London 1882 Blades, William: The Enemies of Books. 2., vom Autor erw. Aufl., London 1888 (Alle in der Einleitung angeführten Blades-Zitate stammen, soweit nicht anders vermerkt, aus der hier vorgelegten Übersetzung von The Enemies of Books) Blades, William: The Pentateuch of Printing. London 1891 Blades, William: Books in Chains and Other Bibliographical Papers. London 1892 Blades, William: Some Account of the Typography of St. Alban’s in the Fifteenth Century. London 1976 Brinks, Marleen: Aggression gegen Computer. Eine wissenschaftliche Untersuchung eines alltäglichen Phänomens. Stuttgart 2005 Eier im Kabel. In: Der Spiegel 41/2007, S. 179 Enzensberger, Hans-Magnus: Der Benutzer. Über das Elend der Bibliothek. In: F.A.Z., 19. 10. 2002 McLuhan, Marshall: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Bonn u.a. 1995 (1. Aufl. London 1962) Nusch, Martin: Gewittertierchen. WDR 2-Hörfunkbeitrag vom 24. 05. 2007 (Manuskript) Reed, Talbot B.: A Memoir of the Author, and a List of his Works. In: William Blades: The Pentateuch of Printing. London 1891, S. IX–XXIV Riepl, Wolfgang: Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer. Leipzig: Teubner, 1913 Scheibe, Carsten: Iphones zerstören! Quelle: http://www.stern.de/digital /computer/scheibes-kolumne-iphones-zerstoeren-1579317.html (zuletzt gesehen: 26.10.2011) Tucholsky, Kurt: Kleine Bitte. In: Gesamtausgabe der Texte und Briefe. Bd. 14: Texte 1931. Hamburg 1998 Vickers, Eric: Introduction. In: William Blades: Some Account of the Typography of St. Alban’s in the Fifteenth Century. London 1976, o. P.
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1. Kapitel ..............................................................
Feuer Von Feuer zerstörte Bibliotheken Es gibt viele Kräfte der Natur, die es darauf angelegt haben, Bücher zu beschädigen. Aber keine ist jemals auch nur halb so zerstörerisch gewesen wie Feuer. Es wäre müßig, die zahlreichen Bibliotheken und Bücherschätze aufzuzählen, die auf die eine oder andere Weise dem Feuerteufel zum Opfer fielen. Zufällige Feuersbrünste, fanatisches Zündeln, gerichtlich angeordnete Verbrennungen oder auch der häusliche Herd haben von Zeit zu Zeit Schätze genauso wie den Müll vergangener Zeiten ausgedünnt, so dass heute nicht einmal mehr der tausendste Teil an Büchern existiert, die je geschrieben wurden. Dieses Zerstörungswerk kann allerdings nicht ausschließlich unter der Rubrik große Verluste eingeordnet werden. Denn hätten nicht »reinigende Feuer« Berge von Ramsch aus unserer Mitte entfernt, dann wäre schon aus Platzgründen die Lust der Zerstörung eine Notwendigkeit geworden. Wo sonst hätte man so viele Bände aufbewahren sollen? Vor der Erfindung des Buchdrucks waren Bücher vergleichsweise selten. Und da wir heute wissen, wie schwierig es selbst ein halbes Jahrhundert nach der Einführung der Dampfpresse ist, eine Sammlung von einer halben Million Büchern zusammenzubringen, müssen wir den Bemerkungen früherer Autoren über die Größe antiker Bibliotheken mit großer Skepsis begegnen. 29
Alexandria Der Historiker Gibbon, selbst auf vielen Gebieten ein großer Skeptiker, glaubte ohne weitere Nachfrage die Legenden, die über dieses Thema verbreitet wurden. Die Manuskriptsammlungen, die über Generationen hinweg von den Ptolemäern in Ägypten zusammengestellt worden sein sollen, entwickelten sich im Laufe der Zeit zu den größten einst bekannten Bibliotheken. Sie waren weltberühmt für die Kostbarkeit ihrer Ausstattung und den Rang ihres unschätzbaren Inhalts. Zwei dieser Sammlungen gab es in Alexandria. Die umfangreichere lag im Stadtteil Bruchium. Deren Bücher waren, wie damals allgemein üblich, auf Pergament geschrieben und mit einer hölzernen Rolle an jedem Ende versehen, so dass der Leser immer nur einen Abschnitt nach dem anderen entrollen musste. Als Cäsar 48 v. Chr. Alexandria eroberte, ging die größere Sammlung in Flammen auf. 640 n. Chr. wurde sie wiederum in Brand gesteckt, diesmal von den Sarazenen. Damit war ein unschätzbarer Verlust für die Menschheit verbunden. Wenn allerdings behauptet wird, dass bei dieser Gelegenheit 500 000 oder gar 700 000 Buchrollen vernichtet worden sein sollen, spüren wir instinktiv, dass hier maßlos übertrieben worden sein muss. Genauso skeptisch müssen wir sein, wenn wir lesen, dass einige Jahrhunderte später in Karthago eine halbe Million Bücher verbrannt seien, oder andere ähnliche Geschichten. Zerstörung von Manuskripten durch Paulus Zu den frühesten Berichten über Buchzerstörungen zählt jener des Evangelisten Lukas, demzufolge nach einer Pauluspredigt viele Epheser, »die da vorwitzige Kunst getrieben 30
hatten, die Bücher zusammenbrachten und sie öffentlich verbrannten und überrechneten, was sie wert waren, und fanden des Geldes fünfzigtausend Groschen« (Apostelgeschichte XIX, 19). Zweifellos sind solche Bücher heidnischen und alchemistischen Inhalts, über Zauberei und Hexenwerk, aus der Sicht derjenigen, die ihren Glauben in Gefahr sahen, zu Recht vernichtet worden. Und selbst wenn eines von diesen den Flammen entgangen wäre, hätte zweifellos keines bis in unsere Tage überlebt. Tatsächlich ist kein Manuskript aus dieser Zeit erhalten. Trotzdem muss ich zugeben, dass mich ein gerüttelt’ Maß an Nervosität und Unbehagen packt, wenn ich daran denke, dass Bücher im Wert von 50 000 Denaren oder, sagen wir, schätzungsweise 18 750 Pfund1 moderner Währung in Flammen aufgegangen sind. Welch bemerkenswerte Darstellungen frühen Heidentums, der Teufelsanbetung, der Schlangenverehrung, des Sonnenkults und anderer archaischer Formen von Religiosität! Welche Belege frühen astrologischen und chemischen Wissens, das auf die Ägypter, Perser, Griechen zurückgeht! Welch ein Überfluss an abergläubischen Bräuchen und dem, was heute als »Folklore« bezeichnet wird! Welch einen Reichtum enthielten all diese Bücher zudem für Philologen, und wie berühmt wäre heute diejenige Bibliothek, die auch nur einen kleinen Teil solcher Schriften ihr Eigen nennen könnte! Noch die Ruinen von Ephesus belegen eindrucksvoll, welch große Ausdehnung und welch großartige Bauwerke die Stadt besaß. Sie war eine der freien Städte, die weitgehende Selbstverwaltung besaßen. Sie trieb umfangreich Handel mit Grabbeigaben und Götterbildern, die in der ganzen bekannten Welt in Umlauf waren. Magische Praktiken waren dort bemerkenswert weit verbreitet, und auch wenn viele Leute früh zum Christentum konvertierten, wurde mit ma31
gischen Schriften bis ins 4. Jahrhundert ausgedehnter Handel getrieben. Diese Schriften dienten als Prophezeiungen, als Schutz gegen den »bösen Blick« oder als Zauber gegen jede Art von Übel. Die Leute trugen sie bei sich, so dass die Zuhörer des Apostels Paulus wahrscheinlich tausende von ihnen den Flammen übergaben, als dessen glühende Worte ihnen den Aberglauben austrieben. Man stelle sich eine freie Fläche vor dem Dianatempel vor, mit eleganten Gebäuden in der Nähe. Leicht erhöht vor seiner Gemeinde der Apostel, wie er mit all seiner Überzeugungskunst gegen den Aberglauben anpredigt und die ganze Versammlung in seinen Bann zieht. Um die Menge herum lodern schon die Feuer, in die nun Juden und Edelleute Bündel über Bündel von Schriftrollen werfen, während ein Asiarch2 mit seinen Schutzleuten dabei mit jener üblichen Gelassenheit zusieht, die Polizisten aller Nationen zu allen Zeiten eigen war. Das muss eine eindrucksvolle Szene gewesen sein, und es sind schon viele schlechtere Sujets in der Royal Academy ausgestellt worden. Heiden und Christen zerstören Bücher Gleichgültig ob rechtgläubig oder andersgläubig: Bücher führten in dieser frühen Zeit offenbar eine unsichere Existenz. Immer wenn wieder einmal eine Christenverfolgung ausbrach, verbrannten die Heiden alle christlichen Schriften, deren sie habhaft werden konnten. Hatten hingegen die Christen die Oberhand, machten sie sich mit großer Energie über die heidnischen Schriften her. Die muslimische Begründung für Bücherzerstörungen – »Wenn sie mit dem Koran im Einklang sind, sind sie überflüssig, andernfalls sind sie unmoralisch« – scheint in der Tat, mutatis mutandis, generell die Regel aller Zerstörer gewesen zu sein. 32
Die Erfindung des Buchdrucks machte die völlige Vernichtung aller Werke eines Autors deutlich schwieriger, da Bücher sich nun so schnell und so weitläufig in aller Herren Länder verbreiteten. Andererseits gingen, seit Bücher vervielfältigt wurden, Destruktion und Produktion Hand in Hand, und bald waren gedruckte Bücher dazu verdammt, die gleichen strafenden Feuer zu erleiden, in denen bislang nur Handschriften gelandet waren. Verbrennung von hebräischen und arabischen Büchern Im Cremona des Jahres 1569 wurden 12 000 Bücher, die in Hebräisch gedruckt waren, öffentlich als häretisch verbrannt, einfach aufgrund ihrer Sprache. Und Kardinal Ximenes behandelte bei der Einnahme Granadas 5000 Exemplare des Korans auf die nämliche Weise. Klosterbibliotheken Zur Zeit der Reformation fanden in England erhebliche Buchvernichtungen statt. Der Antiquar Bale teilt uns 1587 das beschämende Schicksal der Klosterbibliotheken mit: Eine stattliche Zahl derer, die jene abergläubischen Klöster erworben hatten, benutzten die Bücher aus deren Bibliotheken als Toilettenpapier, zum Anzünden von Kerzen oder zum Stiefelputzen. Einige verkauften sie an Großhändler oder Seifenhersteller und einige schickten sie – nicht in geringer Stückzahl, sondern zum Erstaunen der fremden Nationen manchmal in Form ganzer Schiffsladungen – zu Buchbindern nach Übersee. Es kommt noch schlimmer: Die Universitäten 33
des Landes sind ebenfalls in dieser abscheulichen Angelegenheit nicht unschuldig. Verflucht sei der Magen, der ständig mit diesem gottlosen Gewinnst genährt werden muss, und tiefe Scham über das Land seiner Geburt! Ich kenne einen Handelsmann, der im Augenblick anonym bleiben soll, der kaufte den Inhalt zweier nobler Bibliotheken zum Preis von 40 Schilling – es ist eine Schande, es auszusprechen. Er hat dieses Material mehr als zehn Jahre lang anstelle von Packpapier benutzt und hat immer noch genug Vorrat für viele weitere Jahre. Dies ist ein schlagendes Beispiel, und es sollte all jene abschrecken, die ihr Land lieben. Die Mönche haben die Bücher verstauben lassen, die faulen Priester wussten sie nicht wertzuschätzen, die nachfolgenden Besitzer haben sie schamlos missbraucht und die gierigen Händler haben sie gegen Geld an fremde Nationen verramscht. Die Vorstellungskraft versagt bei dem Gedanken daran, dass Caxtons Übersetzung der Ovid’schen Metamorphosen oder womöglich sein Lyf of therle of Oxenforde zusammen mit vielen anderen Wiegendrucken, von denen wir nicht mal mehr Fragmente besitzen, zum Kuchenbacken benutzt wurden. Beim großen Brand von London 1666 war die Zahl der verbrannten Bücher gigantisch. Nicht nur in Privathäusern, Firmen- und Kirchenbibliotheken verbrannten unbezahlbare Sammlungen wie Zunder, sondern ein riesiger Vorrat an Büchern, der aus Sicherheitsgründen von Buchhändlern aus der Paternoster Row3 entfernt worden war, wurde auch in den Katakomben der St. Paul’s Kathedrale in Asche verwandelt. 34
Die Cotton Bibliothek In neuerer Zeit konnten wir dankbar sein, dass die Cotton Bibliothek gerettet wurde.4 Die literarische Welt war bestürzt, als man 1731 vom Brand des Ashburnham Hauses, Westminster, hören musste. Dort waren die Cotton-Handschriften deponiert. Nur mit größten Anstrengungen konnte das Feuer unter Kontrolle gebracht werden, nachdem aber schon einige Manuskripte ziemlich zerstört und viele andere in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Einige Handwerkskunst wurde aufgeboten, um diese Bücher, die fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt waren, wenigstens teilweise zu restaurieren. Sorgfältig wurde Blatt von Blatt getrennt, in eine chemische Lösung getunkt und dann zwischen Bögen transparenten Papiers gepresst. Interessanterweise ist ein Haufen angesengter Blätter im Zustand vor dieser Behandlung in einer Glasvitrine in der Handschriftenabteilung des British Museum ausgestellt. Er sieht aus wie ein monströses Wespennest und zeigt an, was von vielen anderen Büchern übrig geblieben sein mag. Unruhen in Birmingham Vor gerade mal hundert Jahren verbrannte bei den Unruhen in Birmingham die wertvolle Bibliothek des Dr. Priestley, und beim Gordon Aufstand5 wurden sowohl die Büchersammlung als auch andere Schätze von Lord Mansfield verbrannt; es handelt sich um den berühmten Richter, der als erster den Mut zu dem Beschluss hatte, dass ein Sklave, der die englische Küste erreicht, fortan ein freier Mann sein solle. Der Verlust der letztgenannten Bibliothek veranlasste den Dichter Cowper zu zwei kleinen schwachen Gedichten. Der Poet bejammert zuerst die Vernichtung der wertvollen Druckwerke, 35
um dann den unwiederbringlichen historischen Verlust zu beklagen, der darin bestehe, dass auch zahlreiche persönliche Aufzeichnungen und zeitgenössische Dokumente seiner Lordschaft verbrannt sind. Seine Bücher zerfleddern, vergehen, verbrennen, Ein Verlust nur für den einen. Doch spät’re Jahrhunderte werden’s erkennen Und die Verbrennungen beweinen. Das zweite Gedicht beginnt mit folgenden holprigen Versen: Wenn Geist und Witz ganz sang- und klanglos in den Flammen sterben Erinnert’s an Roms Untergang Und uns ans eigene Verderben. Die deutlich besser sortierte und umfangreichere Büchersammlung des Dr. Priestley bleibt unerwähnt und erfährt kein Lamento durch den rechtgläubigen Poeten, der womöglich eine gewisse Genugtuung über die Zerstörung von andersgläubigen Büchern empfunden haben mag, denn ihr Besitzer war unitarischer Prediger. Die Bibliothek von Straßburg wird beschossen Die großartige Bibliothek von Straßburg verbrannte unter deutschem Granatenbeschuss im Krieg von 1870/71. Dabei wurden, neben anderen einzigartigen Dokumenten, auch die Gerichtsakten des legendären Prozesses für immer vernichtet, den Gutenberg, der erste Drucker, mit seinen Ge36
schäftspartnern führen musste. Die Frage nach dem Anteil Gutenbergs bei der Erfindung des Buchdrucks wird darum unbeantwortet bleiben. Die Flammen wüteten zwischen hohen steinernen Mauern und lärmten lauter als ein Hochofen. Selten wurde in der Tat Mars und Pluto ein solcher Leckerbissen auf ihren Altären geopfert. Unter all dem Schlachtenlärm und dem Getöse der grausamen Artillerie wurden die brennenden Blätter der ersten gedruckten Bibel und viele andere unbezahlbare Bände in den Himmel geblasen, die Asche wurde durch die erhitzte Luft meilenweit fortgetragen und überbrachte der staunenden Landbevölkerung die ersten Nachrichten von der Zerstörung ihrer Hauptstadt. Die Offor Collection verbrennt Als die Offor Collection6 bei den Herren Sotheby und Wilkinson, den berühmten Auktionshäusern in der Wellington Street, unter den Hammer kam und bereits drei Auktionstage vergangen waren, brach im Nachbarhaus ein Feuer aus und erfasste auch den Versteigerungsraum, wo einem echten Bunyan7 und anderen Raritäten ein jähes Ende bereitet wurde. Ich hatte die Gelegenheit, am nächsten Tag die Überreste zu inspizieren und mit Hilfe einer Leiter in den Auktionssaal zu klettern, in dem nur noch ein Teil des Fußbodens erhalten geblieben war. Es war ein schrecklicher Anblick, diese verkohlten Reihen von Büchern, die immer noch in den Regalen standen! Es war eigenartig, welchen Weg die Flammen genommen hatten: Erst verbrannten sie die Buchrücken, um dann um das Regal herumzuwandern und dort die Vorderseiten anzugreifen. Der Großteil der Bücher behielt ein von den Flammen völlig unberührtes ovales Mittelstück aus weißen Druckseiten, während das Drumherum 37
eine einzige schwarze Schlacke war. Die Überbleibsel wurden alle zusammen für eine kleine Summe verkauft. Der Käufer hatte einige Mühe mit dem Sortieren, Ausbessern und Binden, konnte aber immerhin im folgenden Jahr um die 1000 Bände bei den Herren Puttick und Simpson’s8 weiter veräußern. Die Bibliothek in der Dutch Church wird beschädigt Auch als die sehr alte Bibliothek, die sich in einer Galerie der Dutch Church in Austin Friars befand, beim Kirchenbrand von 1862 nahezu zerstört wurde, waren die Bücher, die man retten konnte, stark beschädigt. Noch kurz zuvor hatte ich selbst dort einige Stunden auf der Jagd nach englischen Büchern aus dem 15. Jahrhundert verbracht und werde niemals den Grad an Verschmutzung vergessen, den ich dort vorfand. Da es keinen Bibliothekar gab, waren die Bücher für Jahrzehnte unberührt geblieben, und eine zentimeterdicke Staubschicht hatte sich auf ihnen niedergelassen. Dann brach das Feuer aus, und vom Dach herab ergossen sich Sturzbäche von Löschwasser wie eine brodelnde Sintflut über sie. Wie durch ein Wunder verwandelte sich die Büchersammlung nicht in einen Matschklumpen. Nachdem das Unglück vorüber war, ging die ganze Kollektion, die niemals legal hätte veräußert werden dürfen, als Dauerleihgabe an die Stadt London. Verkohlt und durchweicht gelangten die Überreste in die Hände von Mr. Overall, dem unermüdlichen Bibliothekar. In einer angemieteten Dachstube hängte er die Bände, die eine solche Behandlung noch aushielten, zum Trocknen über Wäscheleinen. Über Wochen hinweg erhielten die besudelten und gequälten Bücher, die häufig keinen Einband mehr hatten und oft nur noch aus einzelnen 38
Blättern bestanden, eine Pflege- und Trockenbehandlung. Das Säubern, Beschneiden, Pressen und Binden tat Wunder: Niemand, der heute den (als »Bibliotheca Ecclesiae Londino-Belgiae« ausgewiesenen) attraktiven kleinen Alkoven in der Guildhall Bibliothek besucht und die Reihen mit den wunderschön beschrifteten Buchrücken sieht, kann sich vorstellen, dass vor nicht allzu langer Zeit der interessanteste Teil des städtischen Buchbestands in einem derartigen Zustand war, dass man schwerlich mehr als 5 Pfund für den gesamten Posten ausgegeben hätte.
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2. Kapitel ..............................................................
Wasser
Heer Huddes Bibliothek versinkt im Meer In der Liste der größten Buchzerstörer nimmt gleich nach dem Feuer das Wasser den zweiten Platz ein, und zwar in seinen beiden Zustandsformen als Flüssigkeit und als Dampf. Tausende Bücher wurden tatsächlich im Meer ertränkt, und die letzten Nachrichten von ihnen erhielt man von den Seeleuten, denen man sie anvertraut hatte. D’Israeli erzählt, dass um das Jahr 1700 Heer Hudde, der korpulente Bürgermeister von Middleburgh, als Mandarin verkleidet 30 Jahre lang durch das Reich der Mitte reiste. Wo er auch hinkam, sammelte er Bücher. Seine reichhaltigen literarischen Schätze sollten sicher Richtung Europa verschifft werden, aber während sie ihre ursprüngliche Heimat unwiderruflich verloren, erreichten sie doch nie ihr Ziel, da das Schiff bei einem Sturm auf Grund lief. Die Pinelli-Bibliothek wird von Seeräubern gestohlen 1785 starb der berühmte Maffei Pinelli, dessen Bibliothek in der gesamten Welt gefeiert wurde. Die Sammlung wurde über Generationen von der Familie Pinelli angelegt und enthielt eine außergewöhnlich große Anzahl griechischer, lateinischer und italienischer Werke, darunter viele wunderschön 40
Wasser
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illustrierte Erstausgaben sowie zahlreiche Handschriften aus dem 11. bis 16. Jahrhundert. Die gesamte Bibliothek wurde von den Testamentsvollstreckern an den Buchhändler Mr. Edwards aus der Pall Mall verkauft, der die Bücher in drei Schiffe verlud und sie von Venedig nach London transportieren lassen wollte. Eines der Schiffe wurde von Seeräubern geentert, aber der Piratenkapitän war so enttäuscht darüber, dass er keine Schätze fand, dass er alle Bücher ins Meer werfen ließ. Die anderen beiden Schiffe konnten entkommen und ihre Fracht sicher abliefern. Um das Jahr 1789/90 wurden die Bücher, die ihrer Zerstörung nur knapp entronnen waren, im großen Saal in der Conduit Street für mehr als 9000 Pfund verkauft. Mohammed II. zerstört Manuskripte Diese Piraten waren eher entschuldbar als das Verhalten Mohammeds II. bei der Einnahme Konstantinopels im 15. Jahrhundert. Nachdem er die eroberte Stadt seinen Soldaten zur Plünderung überlassen hatte, ordnete er an, die Bücher aus allen Kirchen wie auch aus der großen Bibliothek des Kaisers Konstantin, die 120 000 Manuskripte enthielt, ins Meer zu werfen. Bücher, die vom Regen beschädigt werden In Form von Regen hat Wasser irreparablen Schaden angerichtet. Erfreulicherweise kommt Regen nur äußerst selten in Bibliotheken vor, aber wenn doch, kann er sehr zerstörerisch sein. Wenn man Bücher zu lange dem Regen aussetzt, erliegt die Papiersubstanz dem ungesunden Einfluss und verrottet immer mehr, bis die Fasern sich vollständig auflösen und 42
das Papier auf eine weiße Masse reduziert wird, die zu Puder zerfällt, wenn man sie berührt. Nur noch wenige Bibliotheken in England werden heute so vernachlässigt, wie das vor 30 Jahren der Fall war. Der Zustand vieler Schul- und Kirchenbibliotheken war damals einfach erschreckend. Ich könnte viele Beispiele anführen, besonders eines, wo über einen langen Zeitraum eine geborstene Fensterscheibe nicht repariert wurde: Der Efeu war hereingewachsen und hatte sich über eine Reihe von Büchern hergemacht, von denen jedes Hunderte von Pfund wert war. Bei Regenwetter lief das Wasser wie durch eine Rinne über die Bücher hinweg und durchnässte sie. In einer anderen, kleineren Sammlung drang der Regen geradewegs durch ein Oberlicht ins Bücherregal und ließ kontinuierlich den obersten Regalboden volllaufen, wo einige Caxtons und andere englische Frühdrucke standen. Eines dieser ruinierten Bücher wurde kurz darauf mit Erlaubnis des Wohltätigkeitskomitees für 200 Pfund verkauft. Wolfenbüttel Auch Deutschland, Geburtsort der Buchdruckerkunst, lässt ähnliches Zerstörungswerk ungehindert zu, wenn wir dem folgenden Brief, der im vergangenen Jahr (1879) in der Zeitschrift Academy erschienen ist, Glauben schenken können: Vor einiger Zeit war der Zustand der Bibliothek von Wolfenbüttel ziemlich erbärmlich. Das Gebäude war so heruntergekommen, dass Teile der Wände und Decken einstürzten. Die vielen Schätze an Büchern und Manuskripten waren Feuchtigkeit und Verfall ausgesetzt. Ein Spendenaufruf wurde veröffentlicht, damit diese wertvolle Sammlung nicht aus Mangel an 43
Geldmitteln untergehe und vollständig nach Braunschweig umziehen könne, da Wolfenbüttel als intellektuelles Zentrum ohnehin nichts mehr zu bieten habe. Falsche Sentimentalität im Gedenken an die früheren Bibliothekare Leibniz und Lessing solle dieses Projekt nicht hindern. Lessing sei schließlich selbst der erste gewesen, der die Bibliothek und ihre Nutzung über alles andere gestellt hätte. Die Büchersammlung in Wolfenbüttel ist schlichtweg großartig, und ich kann nur hoffen, dass die obige Schilderung übertrieben ist. Würden diese Bücher beschädigt, nur weil die Dachdeckerrechnung nicht bezahlt werden kann, wäre das eine bleibend Schande für Deutschland. Es gibt so viele aufrichtige Buchliebhaber in diesem Land, dass ein solches Verbrechen unglaublich erscheint. Die Buchgeschichte jedoch wimmelt von ähnlichen Schandtaten.9 Dampf und Schimmel Wasser in Gasform ist ein großer Bücherfeind, denn Dampf greift Bücher sowohl von außen als auch im Innern an. Außen lässt er einen weißen Schimmelpilz wachsen, der Buchblock und Einband überwuchert. Man kann ihn zwar leicht wegwischen, aber nur um den Preis bleibender Spuren, nämlich Schimmelflecken. Unter dem Mikroskop sieht so ein Schimmelbefall aus wie ein Miniaturwald mit lieblichen Bäumchen, die wunderschönes weißes Blattwerk tragen; es handelt sich allerdings um Giftbäumchen, deren Wurzeln sich ins Leder eingraben und dessen Gewebe zerstören.
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Stockflecken Im Buchinnern fördert Dampf das Wachstum jener hässlichen braunen Flecken, die so häufig Drucke und »livres de luxe« entstellen. Besonders gerne bemächtigen sie sich der Bücher, die Anfang dieses Jahrhunderts gedruckt wurden, als Papierhersteller herausfanden, wie man Papier bleichen kann, und blütenweißes dünnes Papier in Mode kam. Minderwertiges Papier neutralisierte den Bleichprozess wieder und trug darum die Saat des Verfalls schon in sich. Denn sobald es Feuchtigkeit ausgesetzt war, setzte es diese braunen Flecken an. Die extravaganten buchwissenschaftlichen Arbeiten Dr. Dibdins sind größtenteils auf diese Weise beschädigt worden. Obwohl die buchkundlichen Ansichten dieses Doktors größtenteils falsch sind und einem seine versponnenen Nichtigkeiten und angestrengte Affektiertheit oft auf die Nerven gehen, sind seine Schriften doch so wunderschön illustriert und so voll von persönlichen Anekdoten und netten Plaudereien, dass einem das Herz blutet, wenn man seine herrlichsten Bücher von Stockflecken verunstaltet sieht. In einer vollkommen trockenen und geheizten Bibliothek würde man solche Flecken womöglich nie entdecken. Viele öffentliche wie auch private Bibliotheken werden jedoch nicht täglich besucht und kommen häufig durch die irrige Annahme zu Schaden, ein harter Frost und eine längere Kälteperiode könnten einer Bibliothek nichts anhaben, solange es trocken ist. Tatsache ist, dass man Bücher niemals wirklich kalt werden lassen darf. Denn wenn Tauwetter kommt und das Wetter wieder freundlicher wird, dringt die feuchte Luft in die innersten Bereiche vor und findet ihren Weg durch Bücher und sogar durch die Blätter, um sich auf den kalten Oberflächen niederzulassen. Der beste Schutz 45
dagegen ist eine warme Atmosphäre während des Frosts; plötzliches Heizen im Anschluss an die Kälteperiode bringt dagegen gar nichts. Heiße Wasserrohre Unsere schlimmsten Feinde sind manchmal unsere echten Freunde. Der vielleicht beste Weg, Feuchtigkeit aus Bibliotheken vollständig fern zu halten, ist, heißes Wasser in Rohren unter dem Fußboden durchzuführen. Die Einrichtungen, mit denen man heute eine solche Fußbodenheizung von außen betreiben kann, sind so vielfältig, die Kosten vergleichsweise so gering und der direkte Nutzen, Feuchtigkeit zu verhindern, so deutlich, dass es dort, wo man sie mit wenig Aufwand realisieren kann, auf jeden Fall die Sache wert ist. Asbest-Feuer Gleichzeitig gibt es kein besseres Heizsystem als einen offenen Kamin: Da er auch für die Belüftung des Raumes sorgt, ist er für die Gesundheit der Bücher ebenso nützlich wie für die Gesundheit der Leser. Kohle als Heizmittel ist aber aus verschiedenen Gründen abzulehnen. Sie ist gefährlich, schmutzig und staubig. Ein Asbestfeuer dagegen, bei dem das Feuermittel klug eingesetzt wird, schafft die Wärme und Belüftung eines gewöhnlichen Feuers, ohne dessen Unannehmlichkeiten mit sich zu bringen. Und für alle, die unabhängig von Dienstboten sein und sicher gehen wollen, dass das Feuer »wach« bleibt, egal wie tief sie über ihren Büchern schlafen, ist ein Asbestofen von unschätzbarem Wert.
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Glastüren an Bücherschränken Ebenso ist es ein Irrglauben, dass die besten gebundenen Bücher in Regale mit Glastüren gehörten. Feuchte Luft gelangt auch da hinein, und fehlende Belüftung fördert die Schimmelbildung, so dass die Bücher schlimmer dran sind, als wenn sie in offenen Regalen gestanden hätten. Bei Sicherheitsbedenken kann man das Glas durch dekoratives Messing-Rankwerk ersetzen. Wie die Autoren alter Kochbücher, die unter besonders gelungene Rezepte ein Zeugnis ihrer persönlichen Erfahrung setzten, kann ich sagen: »Probatum est.«
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3. Kapitel ..............................................................
Gas und Hitze
Was für ein wertvoller Diener ist Gas, und wie schrecklich müssten wir aufschreien, wenn es aus unseren Häusern verbannt würde. Und doch, wer seine Bücher liebt, sollte nicht den geringsten Gasstrahl in seiner Bibliothek zulassen, es sei denn, er kann sich eine »Tageslichtlampe« leisten. Diese Form wird bereits in einigen öffentlichen Bibliotheken eingesetzt, wo die gesamten Abgase sofort an die frische Luft befördert werden. Die Wirkung von Gas auf Leder Unglücklicherweise spreche ich aus Erfahrung, was die furchtbare Wirkung von Gas in einem engen Raum angeht. Vor einigen Jahren platzierte ich Regale in einem kleinen Zimmer, das ich, beschönigend gesagt, meine Bibliothek nenne. Dort richtete ich zwei selbsttätige Ventilatoren ein, die an der Zimmerdecke hingen und direkte Verbindung zur Außenluft hatten. Aus Platzgründen wie aus Laune (denn Lampen aller Art sind eine schlimme Versuchung) hatte ich eine Gaslampe mit drei Lichtern über dem Tisch. Was dabei herauskam, war große Hitze in den oberen Regionen, und im Laufe von ein oder zwei Jahren waren die Ledervolants vor den Fenstern wie auch der Besatz, der als Staubschutz einen halben Zoll von den Regalen herunterhing, trocken 48
wie Zunder und fielen teilweise durch ihr Eigengewicht auf den Boden. Insbesondere wurden aber die Buchrücken auf den oberen Regalböden verdorben, und bei bloßer Berührung zerkrümelten sie, als wären sie schottischer Schnupftabak. Das lag am Schwefel in den Abgasen, der Juchtenleder am schnellsten angreift, während Kalbsleder und Maroquin nicht ganz so schlimm unter ihm leiden. Ich erinnere mich noch an ein Buch, das vom obersten Regalboden in der Bibliothek der London Institution10 stammte, wo ebenfalls Gas in Gebrauch war. Der gesamte Einband zerfiel zwischen meinen Fingern, und das, obwohl das Buch in anderer Hinsicht ziemlich unbeschädigt wirkte. Tausende andere waren in einer ähnlichen Notlage. Neu-Bindungen werden nötig Da das Papier solcher Bände unbeschädigt blieb, kann festgehalten werden, dass Gas weniger ein Bücherfeind als ein Feind von Bucheinbänden ist. Das erneute Binden macht indes Bücher immer etwas dünner und geht gerne auf Kosten von Seiten am Anfang oder Ende, die der Buchbinder in seiner weisen Sachkenntnis für unwichtig hält. Ach, was habe ich für Verwüstungen gesehen, die Buchbinder angerichtet haben! Du magst ihnen die eindrucksvollsten Anweisungen geben; du magst deine Instruktionen niederschreiben, als wäre es dein Letzter Wille und dein Testament; du magst schwören, dass du nicht zahlen wirst, wenn deinen Büchern ein Haar gekrümmt wird – es ist alles vergeblich! Das Glaubensbekenntnis eines Buchbinders ist äußerst kurz und besteht aus einem einzigen Paragraphen, und dieser Paragraph besteht aus nur einem einzigen abscheulichen Wort, nämlich »beschneiden«. Aber ich will jetzt nicht mit diesem trübseligen Thema fortfahren. Buchbinder 49
als Bücherfeinde haben ein eigenes Kapitel verdient und sollen es erhalten. Elektrisches Licht Es ist viel einfacher, sich über Gas zu beschweren, als ein Gegenmittel zu finden. Tageslichtlampen erfordern besondere Arrangements und sind ziemlich teuer, was ihren Gasverbrauch angeht. Die Bibliotheksbeleuchtung der Zukunft verspricht das elektrische Licht zu werden. Wenn es erst einmal dauerhaft funktioniert und erschwinglich ist, wird es ein großer Segen für öffentliche Bibliotheken sein. Vielleicht ist der Tag nicht mehr fern, da es das Gaslicht sogar in Privathäusern ersetzen wird. Das wird jedenfalls ein Jubeltag für alle Literaten sein. Der Schaden, den Gas angerichtet hat, wird von den Leitern unserer Nationalbibliotheken so allgemein anerkannt, dass sie es aus ihrem Wirkungsbereich strikt verbannt haben, obwohl schon die Gefahr von Feuer und Explosionen, selbst wenn die Spätfolgen der Gasverbrennung harmlos wären, für ein Verbot ausgereicht hätten. Das British Museum Elektrisches Licht wird schon seit einigen Monaten im Lesesaal des British Museum eingesetzt, und die Leser wissen es zu schätzen. Die Beleuchtung ist noch nicht ganz so ausgewogen, und man muss ganz bestimmte Plätze wählen, wenn man zufriedenstellend arbeiten will. Es gibt einen schwerwiegenden Einwand gegen Elektrizität: sie verursacht eine Art summendes Zischen. Ein noch größerer Einwand ist, dass kleine heiße Kalkstückchen auf deinen kahlen Kopf fallen können, eine Unannehmlichkeit, die 50
dazu führte, dass man Auffangbehälter unter jedem Brenner angebracht hat. Außerdem muss man sich erst lange an den Weißegrad des Lichts gewöhnen. Aber trotz all dieser Einschränkungen ist es ein Segen für Studenten. Nicht nur, dass man im Winter drei Stunden länger arbeiten kann. Nein, auch an nebligen und dunklen Tagen, an denen früher Bücherarbeit schlicht unmöglich war, ist das jetzt machbar.11 Bücherbehandlung Hitze ist schon allein, ohne jeden schädlichen Rauch, langfristig sehr schädlich für Bücher. Auch ohne Gas können Einbände durch Austrocknung völlig zerstört werden. Das Leder verliert, wenn es lange Zeit großer Hitze ausgesetzt wird, seine natürliche Elastizität. Es ist darum sehr bedauerlich, wenn Bücher weit oben im Raum platziert werden, wohin jede Hitze aufsteigt. Selbst wenn die Wärme für die Leser unten angenehm ist, wirkt sie sich auf die Einbände oben bereits ungünstig aus. Der sicherste Weg, den guten Zustand der Bücher zu bewahren, ist, sie wie die eigenen Kinder zu behandeln. Die würden schließlich auch krank, wenn man sie einem extremen – zu heißen, zu kalten, zu feuchten oder zu trockenen – Klima aussetzte. Mit den Abkömmlingen der Literatur verhält es sich genauso. Die Legende von den Mönchen und ihren Büchern Wenn man Mönchslegenden irgendeinen Glauben schenken möchte, sind in dieser Welt Bücher manchmal gerettet worden, um dann im Jenseits doch nur das Schicksal des 51
Mönche mit Büchern
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Austrocknens zu erleiden. Wahrscheinlich ist die Geschichte auch nur die Erfindung eines Bücherfeinds, um die Fähigkeiten und die Bildung der Betbrüder in Misskredit zu bringen. Es geht hier um einen Orden, der dauernd im Zwist lag mit anderen Geistlichen außerhalb der Klosterwelt, die des Lesens nicht kundig waren. Die Geschichte geht so: Im Jahr 1439 starben zwei Minoritenbrüder, die ihr Leben lang Bücher gesammelt hatten. Wie die volkstümliche Überlieferung sagt, seien sie vor das himmlische Gericht geführt worden, um dessen Urteil entgegen zu nehmen; sie führten zwei Esel mit sich, die mit Büchern beladen waren. An der Himmelspforte fragte der Pförtner: »Woher stammt ihr?« Die Minoriten antworteten: »Vom Kloster des Heiligen Franziskus«. Da entgegnete der Pförtner: »Dann soll der Heilige Franziskus auch euer Richter sein!« Also wurde der Heilige gerufen, und als er die Mönche mit ihrem Gepäck sah, fragte er, wer sie seien und warum sie so viele Bücher mitgebracht hätten. »Wir sind Minoriten«, antworteten sie ergeben, »und wir brachten die Bücher mit als Trost im Himmlischen Jerusalem«. »Und als ihr noch auf Erden weiltet, habt ihr all das Gute vollführt, das sie euch lehrten?«, fragte streng der Heilige, der sie sofort durchschaut hatte. Statt zu antworteten, stotterten sie nur. Das reichte dem gesegneten Heiligen, um das folgende Urteil zu fällen: »Aus närrischer Eitelkeit habt ihr gegen das Armutsgelübde verstoßen und eine Masse Bücher angehäuft. Dadurch habt ihr gegen eure Pflichten verstoßen und die Regeln eures Ordens gebrochen. Ihr werdet dazu verurteilt, eure Bücher für immer 53
und ewig in den Feuern der Hölle zu lesen!« Urplötzlich war die Luft mit brüllendem Lärm angefüllt, und ein brennender Schlund tat sich auf, von dem die Mönche mitsamt ihren Eseln und Büchern sofort verschlungen wurden.
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4. Kapitel ..............................................................
Staub und Vernachlässigung Staub auf Büchern, egal in welchem Ausmaß, deutet auf Vernachlässigung hin, und Vernachlässigung bedeutet mehr oder weniger langsamen Verfall. Bücher sollten Goldschnitt haben Ein Goldschnitt am Buchkopf ist der beste Schutz gegen Beschädigungen durch Staub; haben Bücher dagegen einen rauen Kopfschnitt, kann man sichergehen, dass Flecken und hässliche Ränder entstehen, wenn man sie nicht schützt. Alte Bibliotheken wurden vernachlässigt In alten Zeiten, als nur wenige Menschen private Büchersammlungen besaßen, waren Gemeinde- und Institutsbibliotheken von großem Nutzen für Studenten. Die Bibliothekare hatten alle Hände voll zu tun, und es gab für den Staub kaum eine Chance, ein Ruheplätzchen zu finden. Das 19. Jahrhundert und die Dampfpresse leiteten eine neue Ära ein. Allmählich galten Bibliotheken, die nicht gut ausgestattet waren, als nicht mehr zeitgemäß und wurden infolgedessen vernachlässigt. Neue Werke fanden ihren Weg nicht mehr dorthin, die veralteten Bücher wurden nicht 55
mehr konsultiert und erst recht nicht mehr gepflegt. Ich habe eine Menge alte Bibliotheken gesehen, deren Pforten vom einen Wochenende zum nächsten verschlossen blieben; in denen man mit jedem Atemzug den Staub verrottenden Papiers inhalierte und kein Buch hochheben konnte, ohne nießen zu müssen; in denen alte Schachteln voll mit älterer Literatur als Reservat für Bücherwürmer dienten, ohne dass jemand einmal zur herbstlichen Treibjagd geblasen hätte, um diese Brut auszudünnen. Mitunter (ich meine: vor dreißig Jahren) wurden diese Bibliotheken zu abscheulichen Zwecken genutzt, die jeder Idee von Anstand Hohn gesprochen hätten, wenn unsere Ahnen ihr Schicksal hätten voraussehen können. Das Beispiel einer College-Bibliothek Ich erinnere noch lebhaft einen schönen Sommermorgen vor vielen Jahren, als ich, auf der Suche nach Werken des Frühdruckers Caxton, den Innenhof eines wohlhabenden Colleges an einer unserer gelehrtesten Universitäten besuchte. Die Gebäude in all ihren Grautönen und schattigen Winkel waren bezaubernd. Sie hatten auch eine noble Vergangenheit, und ihre gelehrten Söhne waren (und sind) keine unwürdigen Nachfolger ihrer angesehenen Vorgänger. Die Sonne schien freundlich, und die meisten Fenster standen offen. Aus einem kräuselte sich ein Hauch von Tabak, aus einem anderen drang das Gemurmel eines Gesprächs, aus einem dritten Klaviergeklimper. Eine Gruppe von Studenten schlenderte Arm in Arm auf der Schattenseite; ihre zerbeulten Mützen und verschlissenen Kleider waren stolze Insignien des letzten Schuljahrs. Die grauen Steinmauern waren überwuchert von Efeu, außer an der Stelle, an der ein altes Ziffernblatt mit einer antiquierten lateinischen Inschrift 56
den Stand der Sonne anzeigte. Die Kapelle auf der einen Seite, die sich von normalen Räumlichkeiten nur durch die Form ihrer Fenster unterschied, schien die moralische Oberaufsicht über die Einrichtung zu haben. Wie auch der Speisesaal gegenüber, aus dem ein weiß-beschürzter Koch heraustrat, das weltliche Wohlleben bezeugte. Wenn man das obere Stockwerk betrat, kam man an komfortablen – nein, luxuriösen – Apartments vorbei, mit Spitzengardinen vor den Fenstern, Polsterschonern auf den Sesseln, silbernen Gebäckdosen und feingliedrigen Weingläsern, die die Mühen des Wissenschaftsbetriebs mildern sollten. Vergoldete Buchrücken auf golden schimmernden Regalen und Tischen erheischten Aufmerksamkeit, und wenn man seinen Blick schweifen ließ über den bestens geschorenen Rasen im Innenhof mit seinem klassizistischen Brunnen, der im Sonnenlicht ebenfalls gülden glänzte, sah man vor seinem geistigen Auge über dem Ganzen den Schriftzug »Die Vereinigung von Luxus und Bildung«. Sicher würde hier, dachte ich, wenn überhaupt irgendwo, die Literatur der alten Welt wertgeschätzt und liebevoll gepflegt. Mit dem angenehmen Gefühl allseits stimmiger Verhältnisse erkundigte ich mich nach dem Büro des Bibliothekars. Jedoch schien niemand auch nur seinen Namen zu erinnern oder zu wissen, auf wen die Bibliothekarsrobe übergegangen war. Sein Posten, so schien’s, war nur noch ein Ehrenamt, das regelmäßig dem jüngsten Studienanfänger auferlegt wurde. Das Amt kümmerte niemanden, und folgerichtig passte der Büroschlüssel kaum ins Schloss. Endlich hatte ich doch noch Erfolg, und der Bibliothekar führte mich höflich, wenn auch wortlos, in sein Königreich aus Staub und Schweigen. Die finsteren Portraits früherer Wohltäter starrten aus ihren staubigen alten Bilderrahmen mit trübem Erstaunen auf uns Vorübergehende, offensichtlich 57
verwundert darüber, dass wir hier wirklich »arbeiten« wollten. Buchmoder – dieses besondere Aroma, das man in bestimmten Bibliotheken findet – lag schwer in der Luft, der Boden war voller Staub, und seine Partikel, durch uns aufgewirbelt, machten die Sonnenstrahlen sichtbar. Die Regale waren staubig, die Ständer in der Mitte waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und auch der alte Ledertisch im Erker sowie die Stühle an jeder Seite waren sehr staubig. Auf meine Frage hin vermutete mein Führer, dass es irgendwo ein Handschriften-Verzeichnis gebe; er vermutete aber auch, dass es schwierig würde, damit irgendwelche Bücher zu finden, und wusste in diesem Moment nicht, wo er zuerst Hand anlegen sollte. Die Bibliothek, erzählte er, würde heutzutage nur noch wenig genutzt. Die Studenten hätten ihre eigenen Bücher und benötigten nur äußerst selten Ausgaben aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Neue Bücher seien aber schon seit langem nicht mehr angeschafft worden. Wir stiegen ein paar Schritte hinunter in einen inneren Bereich der Bibliothek. Berge von alten Folianten siechten hier auf dem Fußboden dahin. Unter einem alten Ebenholztisch waren zwei große, mit Schnitzereien verzierte Eichentruhen. Von einer öffnete ich den Deckel. Obenauf lag ein ehemals weißes Chorhemd, und darunter eine Masse von Traktaten – ungebundene Commonwealth-Quartbände –: eine leichte Beute für Würmer und Verfall. Überall herrschte Vernachlässigung. Die Außentür dieses Raums, die offen stand, lag etwa auf einer Höhe mit dem Innenhof. Mäntel, Hosen und Stiefel lagen auf dem Ebenholztisch, und ein Universitätsdiener putzte sie mitten in der Tür – bei feuchtem Wetter tat er dies auch mitten in der Bibliothek. Dass dies kein passender Standort war, empfand er ebenso wenig wie mein Führer. Oh! Richard de Bury,12 seufzte ich, wie gerne hätte ich einen scharfen Stein aus Eurer Schleuder, um mit 58
Staub
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meinem empörten Sarkasmus die geistige Rüstung dieser Universitäts-Dummköpfe zu durchbohren! Glücklicherweise haben die Verhältnisse sich heute geändert, und die Schande solcher Vernachlässigung schwebt nicht mehr über der Universität. Wollen wir hoffen, dass in unseren Tagen, in denen der Respekt vor Altertümern wieder auflebt, keine andere Universitätsbibliothek in eine ähnliche Notlage gerät. Missbrauch in französischen Bibliotheken Nicht nur Engländer machen sich einer so lieblosen Behandlung ihrer Bücherschätze schuldig. Der folgende Abschnitt ist die Übersetzung eines interessanten Werks, das gerade in Paris veröffentlicht wurde und das zeigt, dass Bücher sogar heutzutage und selbst im literarischen Zentrum Frankreichs ein schlimmes Schicksal finden.13 M. Derome schreibt: Betreten wir eine kommunale Bibliothek in einer größeren Provinzstadt. Der Innenraum ist in einem beklagenswerten Zustand. Staub und Unordnung haben ihn zu ihrem Zuhause gemacht. Es gibt zwar einen Bibliothekar, jedoch besitzt er das Selbstverständnis eines Pförtners und höchstens einmal die Woche sieht er nach, wie es den Büchern in seiner Obhut geht. Sie sind in einem schlimmen Zustand, zu Haufen gestapelt und aus mangelnder Aufmerksamkeit und fehlender Bindung dem Untergang geweiht. Zum jetzigen Zeitpunkt (1879) kann man davon ausgehen, dass mehr als eine Pariser Bibliothek jedes Jahr tausende von Büchern erhält, die aber alle innerhalb von ungefähr 50 Jahren verschwunden sind, weil sie nie 60
gebunden wurden.14 Es gibt seltene, nicht ersetzbare Bücher, die auseinanderbröseln, weil man sich schlicht nicht um sie gekümmert hat, d. h. man hat sie nicht binden lassen und überließ sie Staub und Würmern zur Beute. Bei Berührung fallen sie in Stücke. Boccaccios Geschichte von der Bibliothek in Monte Cassino Die Geschichte zeigt, dass diese Vernachlässigung nicht an ein bestimmtes Zeitalter oder an eine bestimmte Nation gebunden ist. Ich entnehme die folgende Anekdote Edmond Werdets Geschichte des Buches:15 Der Dichter Boccaccio reiste einmal nach Apulien und wollte gerne das berühmte Kloster Monte Cassino besuchen, vor allem um die Bibliothek zu sehen, die von sich reden gemacht hatte. Einen der Mönche, dessen Gesichtsausdruck aufgeschlossen wirkte, sprach er äußerst höflich an. Er fragte ihn, ob er die Freundlichkeit besitze, ihm die Bibliothek zu zeigen. Der gab brüsk zurück: »Sieh sie dir selbst an«, und zeigte gleichzeitig mit dem Finger auf eine altersschwache Steintreppe. In Erwartung höchster Bücherfreuden stieg Boccaccio schleunigst hinauf. Bald erreichte er den Raum, für den man keinen Schlüssel brauchte, ja, dessen Schätze nicht einmal durch eine Tür geschützt waren. Und wie erstaunt war er zu sehen, dass auf den Fensterbänken Gras wuchs, das bereits den Raum verdunkelte, und alle Bücher zentimeterdick mit Staub bedeckt waren. Bass erstaunt hob er ein Buch nach dem anderen auf. Es handelte sich um lauter uralte Manuskripte, aber alle waren auf furchterregende 61
Art verfallen. Einigen fehlten ganze Teile, die gewaltsam entfernt worden waren, und in vielen waren die unbeschrifteten Ränder des Pergaments weggeschnitten. Die Verstümmelung war wirklich gründlich. Boccaccio war erschüttert, feststellen zu müssen, dass die Werke und die Weisheit so vieler berühmter Männer in die Hände unwürdiger Kustoden gefallen waren. Mit Tränen in den Augen kam er wieder herunter. Im Kloster traf er einen anderen Mönch und erkundigte sich, wie die Handschriften so verstümmelt werden konnten. »Wissen Sie«, antwortete der, »wir sind angehalten, ein paar Sous für unseren Lebensunterhalt zu verdienen, also schneiden wir die freien Flächen aus dem Pergament heraus, um neues Schreibmaterial zu haben, und machen daraus kleine Devotionalienbücher, die wir an Frauen und Kinder verkaufen«. Postskriptum zu dieser Anekdote: Ein Mr. Timmins aus Birmingham hat mich darauf hingewiesen, dass die Schätze der Bibliothek von Monte Cassino heute besser behandelt werden als zu Boccaccios Zeiten. Der geschätzte Prior ist stolz auf seine wertvollen Handschriften und nur zu bereit, sie auch zu zeigen. Es wird viele Leser interessieren, dass sich heute in einem großen Raum des Klosters eine brandneue Druckerei befindet, die sich nicht nur auf Drucksatz, sondern auch auf Lithographie versteht; kürzlich hat sie schon die wunderschöne Handschrift Dantes im Druck neu aufgelegt und bereitet auch andere Faksimile-Drucke vor.
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5. Kapitel ..............................................................
Ignoranz und Fanatismus Buchzerstörung während der Reformation Ignoranz spielt vielleicht nicht dieselbe Rolle wie Feuer und Wasser, ist aber dennoch ein großer Buchzerstörer. Während der Reformation war die Feindseligkeit der Menschen gegen alles, was mit der Bilderverehrung der katholischen Kirche zu tun hatte, so groß, dass sie tausende weltliche und geistliche Bücher vernichteten, sobald sie nur irgendwelche bildlichen Darstellungen enthielten. Da das Volk des Lesens unkundig war, sah es keinen Unterschied zwischen dem Psalter und einem Roman, zwischen König David und König Artus. Also wanderten die Bücher aus Papier mit all ihren kunstfertigen Verzierungen zum Bäcker, der damit seinen Ofen anheizen durfte, während die Handschriften auf Pergament, wie herrlich sie auch illuminiert waren, zu den Buchbindern und Schuhmachern kamen. Die Mazarine-Bibliothek Es gibt noch eine andere Art der Ignoranz, die sehr zerstörerisch wirkte, wie uns folgende Anekdote zeigt. Sie ist einem Brief entnommen, den 1862 M. Philarête Chasles an einen Mr. B. Beedham aus Kimbolton schrieb:
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Vor zehn Jahren entfernten wir einen alten Schrank aus der Bibliothèque Mazarine, deren Bibliothekar ich war.16 Dabei entdeckte ich auf dem Boden unter Lumpen und Müll ein großes Buch. Es hatte keinen Einband und keine Titelseite und war von den früheren Bibliothekaren zum Anschüren benutzt worden. Das zeigt, wie groß die Nachlässigkeit gegenüber unserem literarischen Erbe vor der Revolution war. Das verstoßene Buch, das vor 60 Jahren aus dem Invalidendom gekommen war und sicherlich zur ursprünglichen Sammlung Mazarine gehörte, entpuppte sich als echter Caxton. Ich sah das nämliche Buch in der Bibliothèque Mazarine im April 1880. Es handelt sich um die prächtige Ausgabe der ersten Auflage der Legenda Aurea von 1483, aber selbstverständlich ziemlich unvollständig.17 Die Bibliothek der French Protestant Church in St. Martin’s-le-Grand Millionen von Geschehnissen ereignen sich in der Welt und kreuzen sich, wobei es zu bemerkenswerten Zusammentreffen kommen kann. Ein Fall, der dem in der Bibliothèque Mazarine äußerst ähnelte, ereignete sich ungefähr zur selben Zeit in London in der French Protestant Church in St. Martin’s-le-Grand. Vor vielen Jahren entdeckte ich dort in einem schmutzigen Taubenschlag in der Nähe der Sakristei ein mit Holzschnitten versehenes, aber fürchterlich verstümmeltes Exemplar von Caxtons Edition der Canterbury Tales.18 Wie das Buch in Paris war auch dieses, in völliger Unkenntnis seines Werts, über einen langen Zeitraum hinweg 64
Blatt für Blatt zum Anfeuern des Kamins in der Sakristei missbraucht worden. Ursprünglich wäre es 800 Pfund wert gewesen, jetzt aber nicht einmal mehr die Hälfte. Natürlich lenkte ich die Aufmerksamkeit des Küsters energisch sowohl auf diesen als auch auf einen anderen großen Folio-Band aus der Werkstatt von Rood & Hunte von 1480.19 Einige Jahre vergingen, bis Kirchenbeamte die Angelegenheiten der Stiftung in die Hand nahmen, aber als endlich Treuhänder bestimmt waren und die wertvolle Bibliothek neu geordnet und katalogisiert werden konnte, waren der »Caxton« sowie eine hübsche Ausgabe des »Latterbury« aus der ersten Oxforder Druckerei verschwunden.20 Meinetwegen kann man für die Verstümmelung Ignoranz verantwortlich zu machen; in Bezug auf das Verschwinden wäre ein ganz anderes Wort angemessen. Gestohlene Bücher Die folgende Anekdote passt so gut hierher, dass ich der Versuchung nicht widerstehen kann, sie hier erneut abzudrucken, wiewohl sie erst kürzlich im ersten Heft der Zeitschrift The Antiquary erschienen ist. Möge sie den Erben alter Bibliotheken eine Warnung sein! Der Bericht basiert auf einem Brief, den Reverend C. F. Newmarsh, der Rektor von Pelham, an Reverend S. R. Maitland, den Bibliothekar des Erzbischofs von Canterbury, geschrieben hatte. Er lautete folgendermaßen: Im Juni 1844 klopfte ein Hausierer an einem kleinen Haus in Blyton an und fragte eine alte Witwe namens Naylor, ob sie irgendwelche Lumpen zu verkaufen habe. Sie verneinte, bot ihm aber ein paar alte Papiere an und nahm das Boke of St. Albans21 sowie einige 65
andere vom Regal. Sie wogen neun Pfund, und die Dame erhielt dafür neun Pennies. Mit einer Schnur zusammengebunden trug der Hausierer sie quer durch Gainsborough und kam bei einem Apotheker vorbei. Der kaufte gewöhnlich Altpapier, um seine Arzneimittel darin einzuwickeln, rief also den Hausierer herein, war beeindruckt vom Anblick des Boke und zahlte für den ganzen Posten drei Schilling. Da er nicht in der Lage war, den Kolophon zu lesen, trug er das Buch zu einem ebenso ungebildeten Schreibwarenhändler und bot es ihm für eine Guinea anbot. Dieser lehnte ab, schlug aber vor, das Buch in seinem Schaufenster auszustellen, um womöglich zusätzliche Informationen zu ergattern. So geschah es, und ein Zettel wurde hinzugefügt: »Sehr altes bemerkenswertes Buch«. Ein Buchsammler kam vorbei und bot eine halbe Krone. Das machte den Verkäufer misstrauisch. Kurz darauf kam Mr. Bird, der Vikar von Gainsborough, des Wegs und erkundigte sich nach dem Preis. Er wünschte sich nämlich schon lange, ein sehr frühes Beispiel des Buchdrucks zu besitzen. Vom Wert des Buches hatte aber auch er keine Ahnung. Während er es unter die Lupe nahm, kam Mr. Stark, ein sehr cleverer Buchhändler, herein, und Mr. Bird räumte ihm unverzüglich das Vorkaufsrecht ein. Mr. Stark allerdings konnte seine Nervosität nicht verbergen, so dass der Verkäufer, der Schreibwarenhändler Mr. Smith, es ablehnte, einen Kaufpreis zu nennen. Hierauf erschien Sir C. Anderson aus Lea, der Autor von Ancient Models22, und nahm das Buch mit, um es einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Schon am nächsten Morgen brachte er es aber wieder zurück. Da in der Mitte Seiten fehlten, bot er fünf Pfund. Sir Charles 66
kannte kein Nachschlagewerk, das ihm bei der Preisgestaltung hätte helfen können. Zwischenzeitlich hatte Mr. Stark einen Freund, der für ihn als Strohmann fungieren sollte, engagiert und ihm aufgetragen, die Angebote von Sir Charles immer leicht zu überbieten. Mr. Smith hatte letztendlich einen Preis von fünf Pfund für angemessen befunden. Er ging zum Apotheker, zahlte ihm zwei Guineas und verkaufte das Buch anschließend für sieben Guineas an Mr. Starks Zwischenhändler. Stark brachte das Buch nach London und veräußerte es umgehend für siebzig Pfund an den Sehr Ehrenwerten Thos. Grenville. Ich muss kurz erklären, wie ein Buch, das so extrem alt ist und nicht einmal einen Einband besitzt, überhaupt erhalten werden konnte. Ungefähr fünfzig Jahre später wurde die Bibliothek von Thonock Hall in der Gemeinde von Gainsborough, dem Sitz der Familie Hickman, umfangreich instand gesetzt. Die Obhut über die Bücher lag allerdings bei einer höchst ungebildeten Person, deren Anstellung wohl nur aufgrund ihrer Kleidung erfolgt sein konnte. Alle Bücher ohne Einband landeten auf einem großen Haufen und waren zu jenem Schicksal verdammt, das Leland mit Blick auf die Plünderungen beklagte, die Klosterbibliotheken durch ihre Besucher erfahren.23 Aber sie fanden Gnade in den Augen eines literaturliebenden Gärtners, der mit nach Hause nahm, was ihm gefiel. Auf diese Weise sammelte er eine große Zahl von Reden, die vor dem Unterhaus gehalten worden waren, lokale Broschüren, Traktate aus der Zeit von 1680 bis 1710, Opernbücher etc. Er fertigte ein Verzeichnis an, das ich später in seinem Häuschen fand. No. 43 in der Liste war Cotarmouris oder das Boke of St. Albans. 67
Der alte Knabe war ein Heraldiker und zeichnete in die Bücher, was er für sein Wappen hielt. Nach seinem Tod landete all das, was in einen großen Korb passte, auf dem Dachboden. Aber ein paar Liebhaberstücke, unter anderem das Boke, verblieben Jahre lang auf dem Küchenregal, bis es die Witwe seines Sohns leid war, sie abzustauben, und sie beschloss, sie zu verkaufen. Wäre sie sehr arm gewesen, hätte ich dem Käufer, Mr. Smith, dringend geraten, ihr eine kleine Summe von seinem großen Gewinn abzugeben. Die Rekollektenmönche aus Antwerpen Solche Gelegenheiten bieten sich dem Menschen nicht zweimal. Aber Edmond Werdet hat eine ganz ähnliche Geschichte zu erzählen, in der die süßen Früchte einem Londoner Händler einfach in den Schoß fielen. Im Jahr 1775 beschlossen die Rekollektenmönche aus Antwerpen24 eine Reform und sichteten deshalb ihre Bibliothek. Ungefähr 1500 Bücher wollten sie loswerden, sowohl Handschriften als auch Druckwerke, und alle betrachteten sie als alten Müll ohne jeden Wert. Anfangs wurden die Bücher ins Gartenhäuschen geworfen. Aber nach einigen Monaten beschlossen die Mönche in all ihrer Weisheit, den gesamten Abfall dem Gärtner – in Anerkennung seiner treuen Dienste – zu vermachen. Dieser Mann erwies sich als ein klügerer Zeitgenosse als die einfältigen Patres und trug den ganzen Stapel zu M. Vanderberg, einem zivilisierten Menschen und Buchliebhaber. M. Vanderberg warf einen kurzen Blick darauf und bot dann an, die gesamte Fuhre nach Gewicht zu kaufen, für sechs Pence pro Pfund. Das Geschäft wurde abgeschlossen und M. Vanderberg der neue Besitzer der Bücher. 68
Kurz darauf hielt ein wohlbekannter Londoner Buchhändler, nämlich unser Mr. Smith, sich in Antwerpen auf und bekam von M. Vanderberg die Bücher gezeigt. Er bot sofort 14 000 Francs dafür. M. Vanderberg akzeptierte. Man stelle sich Überraschung und Verärgerung der armen Mönchlein vor, als sie davon hörten! Sie konnten nichts unternehmen und waren so sprachlos über ihre eigene Unkenntnis, dass sie in aller Bescheidenheit bei Vanderberg anfragten, ob er nicht ihr Gewissen erleichtern könnte, indem er einen Teil seines Gewinns ihnen abgebe. Er gab ihnen 1200 Francs. Shakespeare-»Fund« Die großartigen Shakespeariana und andere Entdeckungen, die Mr. Edmonds 1867 auf dem Dachboden der Lamport Hall machte, sind so bekannt, dass sie nicht näher beschrieben werden müssen.25 In diesem Fall scheint reiner Zufall zur Rettung wichtiger Werke geführt zu haben, deren bloße Existenz alle Shakespeare-Liebhaber in freudige Erregung versetzt. Bücher in Frakturschrift werden als Toilettenpapier benutzt Im Sommer 1877 nahm ein Gentleman, mit dem ich persönlich bekannt bin, Logis in der Preston Street in Brighton. Am Morgen nach seiner Ankunft fand er im WC einige Bögen eines in Fraktur gedruckten Buchs. Er erhielt die Erlaubnis, den Klofund zu retten, und stellte Untersuchungen an, ob da, wo dieser herrührte, noch mehr zu finden sei. Er fand noch zwei oder drei Fragmente, und die Gastgeberin gab an, dass ihr Vater ganz vernarrt in Antiquitäten gewesen sei und einmal eine ganze Truhe voller alter Frakturbücher besessen habe. Nach seinem Ableben habe sie die Bücher 69
noch eine Zeitlang aufgehoben, aber irgendwann sei sie ihres Anblicks müde geworden und habe sie, da sie sie für wertlos erachtete, als Abfall verwendet. Zweieinhalb Jahre lang mussten sie für verschiedene Haushaltszwecke herhalten, bis die Vorräte erschöpft waren. Die geretteten Fragmente, die sich jetzt in meinem Besitz befinden, sind Teil eines der seltensten Bücher aus der Druckerei von Wynkyn de Worde, dem Nachfolger Caxtons. Das Titelblatt ist ein eigenartiger Holzschnitt mit der Aufschrift »Gesta Romanorum« in seltsam geformten Frakturtypen. Auch im Innern finden sich zahlreiche grobe Holzschnitte. Aus diesem Werk soll Shakespeare das Motiv der Kästchenwahl im Kaufmann von Venedig entnommen haben, ein wesentliches Element der Handlung. Man bedenke, mit was für herrlichen Bücherschätzen unser Abwassersystem jeden Tag versorgt wird! Die Lansdowne Collection In der Lansdowne Collection im British Museum gibt es einen Sammelband mit drei handschriftlichen Dramen aus der elisabethanischen Epoche, und auf einem Vorsatzblatt steht eine Liste mit 58 weiteren Stücken, die folgende Fußnote in der Handschrift des bekannten Antiquars Warburton trägt: Nachdem ich jahrelang die Manuskripte von Theaterstücken gesammelt habe, sind sie unglücklicherweise durch meine eigene Unachtsamkeit und die Ignoranz meines Angestellten verbrannt oder unter die Erde gekommen. Einige dieser Stücke wurden gerettet, indem sie gedruckt wurden, aber andere sind ziemlich unbekannt und für immer untergegangen. 70
Geschäftsleute und seltene Bücher Mr. W. B. Rye, der inzwischen verstorbene Bewahrer der Druckwerke in unserer großartigen Nationalbibliothek, teilt mit: Was das Thema Ignoranz angeht, sollten sie eines Tages, wenn Sie mal wieder im British Museum sind, einen Blick in Lydgates Boccaccio-Bearbeitung The Fall of Princess werfen, das 1494 von Pynson gedruckt wurde. Es ist ein »liber rarissmus«, ein Buch von größtem Seltenheitswert. Als diese Ausgabe noch vollständig war, muss sie sehr schön gewesen sein. An einem milden Sommerabend des Jahres 1874 hat mir ein Geschäftsmann aus Lamberhurst das Buch gebracht. Viele Seiten waren in Quadrate zerschnitten worden. Gerettet hatte man es aus einem Tabakgeschäft, wo die Schnipsel zum Einpacken von Tabak und Schnupftabak benutzt worden waren. Der Tabakhändler wollte seiner Gemahlin ein neues Seidenkleid kaufen und war sehr erfreut über die drei Guineas, die er dafür bekam. Sie werden bemerken, was für eine fantastische Arbeit der Buchbinder des British Museum geleistet hat, als er die einzelnen Blätter trotz aller Schäden wieder zu einem schönen Buch zusammenfasste. Kirchenbücher Über die Sorglosigkeit einiger Verwalter von Kirchenbüchern schreibt uns Mr. Noble, der auf diesem Gebiet viele Erfahrungen gesammelt hat: Vor einigen Monaten recherchierte ich über das Zeitalter Charles I. in einem der interessantesten Kirchen71
register einer englischen Großstadt, deren Namen ich hier nicht nennen will. Ich schrieb dem Verwalter und bat ihn höflich, für mich auf die Suche zu gehen. Falls er die Namen nicht entziffern konnte, sollte er eine Person zu Hilfe holen, die sich mit den Handschriften jener Zeit auskannte, um die Namen für mich zu entziffern. Vierzehn Tage wartete ich auf Antwort, aber eines Morgens brachte der Briefträger mir ein sehr großes Buchpaket, in dem sich das Original des Kirchenbuches befand! Eine kleine Notiz war beigefügt, dass es wohl das Beste sei, mir das Dokument als solches zur Ansicht zu schicken, und dass ich es nach Gebrauch doch bitte zurücksenden möge. Offensichtlich wollte er mir nur einen Gefallen tun, aber sein mangelndes Verantwortungsbewusstsein stellte seine Gutmütigkeit in den Schatten. Schon deswegen möchte ich seinen Namen nicht nennen. Aber ich kann versichern, wie froh ich war, als er mir später in einem Brief mitteilte, dass die wertvollen Dokumente wieder in der Gemeindebibliothek unter Verschluss seien. So einer wie dieser darf doch bestimmt für einen »Bücherfeind« gelten, meinen Sie nicht? Eine Geschichte über Fanatismus von Herrn Muller Auch Fanatismus ist für viele Sünden verantwortlich. Der verstorbene Herr Muller aus Amsterdam, ein in ganz Europa berühmter Buchhändler, schrieb mir das Folgende einige Wochen vor seinem Tod: Selbstverständlich haben wir auch in Holland Bücherfeinde. Und hätte ich Ihren Witz und Ihren Stil, würde ich den Folgeband zum Ihrigen verfassen. 72
Das Beste, was ich für Sie tun kann, ist, Ihnen einige meiner Erfahrungen mitzuteilen. Sie behaupten, die Erfindung des Buchdrucks habe die Zerstörung von Büchern schwieriger gemacht. Ich dagegen muss feststellen, dass die Inquisition ziemlich erfolgreich darin war, andersgläubige Bücher zu verbrennen und zahlreiche Bände, deren Inhalt von hohem Wert war, zu zerstören. Ich muss Ihnen die verblüffende Tatsache vermelden, dass es hier in Holland eine ultramontane Gesellschaft gibt, die sich »Altpapier« nennt, im ganzen Königreich verbreitet ist und unter der Knute von sechs katholischen Bischöfen steht. Das öffentlich erklärte Ziel dieser Gesellschaft ist es, Zeitungen, Broschüren und Bücher protestantischen und liberalen katholischen Inhalts aufzukaufen und zu zerstören, um Altpapier daraus zu machen. Der erzielte Preis wird dem Papst als »Petruspfennig« gespendet. Unter Protestanten ist die Gesellschaft ziemlich unbekannt, manche verneinen sogar ihre Existenz. Ich allerdings hatte das Glück, ein gedrucktes Zirkular einsehen zu können, das einer der Bischöfe herausgegeben hat und das Statistiken über die erstaunlichen Papiermassen enthielt, die auf diese Weise gesammelt wurden. In einem einzigen Distrikt kam in drei Monaten eine Summe von 1200 Pfund zustande. Ich kann bestätigen, dass der katholische Klerus diese Untaten kräftig unterstützt hat. Sie haben keine Vorstellung, welche Schwierigkeiten wir haben, bestimmte Bücher mit zeitgeschichtlich aktuellem Inhalt wieder aufzutreiben, die vor 30, 40, 50 Jahren hergestellt worden sind. Historische und theologische Schriften sind ziemlich rar. Romane und Dichtung aus dieser Zeit können überhaupt nicht mehr beschafft werden. Medizinische 73
und juristische Bücher sind etwas verbreiteter. Ich muss leider zugeben, dass in keinem Land mehr Bücher gedruckt und mehr Bücher zerstört worden sind als in Holland. Gez. W. Muller. Ich muss zugeben, die Politik, alle anstößigen Bücher aufzukaufen, scheint mir recht kurzsichtig. In den meisten Fällen führt dies höchstens zu vermehrten Neuauflagen; in diesen Breiten tat sie das bestimmt. Geistliche zerstören Bücher Es ist kein großer Schritt von der Kirche von Rom zur Kirche von England. Mr. Smith, der Buchhändler aus Brighton, stellt das unter Beweis: Der Klerus der letzten zwei Jahrhunderte sollte unbedingt in Ihre Liste der Buchzerstörer mit aufgenommen werden. Ich habe da wirklich schmerzliche Erfahrungen machen müssen. In zahlreichen Büchern aus kirchlichen Bibliotheken fehlen einige Seiten, aus vielen anderen wurden ganze Kapitel herausgerissen. Vermutlich ist dies ist auf den Wunsch der Geistlichen zurückzuführen, sich die Weisheit großer Männer einzuverleiben und dabei so ökonomisch wie möglich vorzugehen, also nur die Kapitel herauszureißen, die ihnen nötig erschienen. Die Schwierigkeit für den Buchhandel ist: Diese Bücher wurden im Vertrauen auf ihren einwandfreien Zustand eingekauft. Aber wenn sie in beschädigtem Zustand wieder verkauft werden, verlangt der Käufer Schadenersatz, während es für den Verkäufer keine Wiedergutmachung gibt. 74
Zu den sorglosen Buchzerstörern müssen auch Regierungsbeamte gezählt werden. Wagenladungen voll interessantester Dokumente, gebunden und ungebunden, sind zu verschiedenen Zeiten als Altpapier verkauft worden, nur weil die moderne Bürokratie sie für unbrauchbar hielt.26 Manches konnte gerettet und zu hohen Preisen verkauft werden, aber anderes ging für immer verloren. Das Patentamt verkauft Bücher als Abfall Im Jahr 1854 startete das Patentamt eine hochinteressante Almanach-Reihe, finanziert natürlich aus der Staatskasse. Von 1617 an wurden die Einzelheiten aller wichtigen Patente mit den Original-Spezifikationen nachgedruckt und, wenn es für das Textverständnis nötig war, sogar Faksimiles der zugehörigen Skizzen hinzugefügt. Der Preis war sehr moderat und deckte gerade die Produktionskosten. Eine größere Öffentlichkeit interessierte sich allerdings verständlicherweise wenig für solche Literatur. Aber wer sich für die Entstehung und Entwicklung einer bestimmten technischen Richtung interessierte, dem bedeutete sie sehr viel. Viele Patentreihen wurden an Forscher verkauft. Aber das Gros der Bestände blieb unverkäuflich, und als das Patentamt 1879 in andere Räumlichkeiten umziehen sollte, kam die Frage auf, wie damit zu verfahren sei. Die Almanache, die den Steuerzahler viele tausend Pfund gekostet hatten, wurden als Altpapier an Papiermühlen verkauft. Annähernd 100 Tonnen Gewicht wurden weggeschafft, zu drei Pfund pro Tonne. Es ist kaum zu glauben, aber wirklich wahr, dass ein solcher Akt des schlimmsten Vandalismus überhaupt verübt werden konnte – und das von einer Regierungsstelle! Zugegeben, es gab keine Nachfrage nach den Büchern. Zugegeben werden muss aber auch, dass in vielen Fällen, besonders was die 75
frühen Spezifikationen der Dampfmaschine oder der Druckmaschinen angeht, ihr Mangel große Enttäuschung ausgelöst hat. Um die Geschichte auf die Spitze zu treiben, sei noch erwähnt, dass viele der »eingestampften« Patentschriften seit ihrer Zerstörung mehrfach nachgedruckt werden mussten.
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6. Kapitel ..............................................................
Der Bücher wurm
Der Lyriker Doraston über Bücherwürmer Es gibt da einen biss’gen Wurm, Der gegen jedes Buch läuft Sturm, Es auffrisst und durchlöchert; Jedes Blatt macht er zu Brei, Was drin steht, ist ihm einerlei, Wenn er drin bohrt und stöchert. Sein Zahn macht ihn zum Idiot, Ob Heil’ger, Weiser, Patriot, Er liest nicht, nein, er isst nur. Er hat dafür auch einen Grund, Doch nennt er ihn nicht, dieser Hund: Ein Opfer seiner Bissspur. Ob Pfeffer, Drogen, Wanddekor, Nicht jedes Ding kommt ins Labor, Da kann die Wissenschaft nur lachen. Warum erforschen dieses Wesen? Um hinfort jedes Buch zu lesen, Muss man dem Wurm den Garaus machen. J. Doraston
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Nicht so zerstörerisch wie früher Ein überaus garstiger Bücherfeind war der Bücherwurm. Ich sage »war«, denn glücklicherweise konnte sein schändliches Treiben in zivilisierten Ländern in den vergangenen fünfzig Jahren weidlich zurückgedrängt werden. Das liegt einerseits am zunehmenden Wissen über den Wert unserer alten Schätze, das sich allerorten entwickelt hat; andererseits an einem Gefühl von Habgier, das die Eigentümer veranlasst hat, mit Büchern, die Jahr für Jahr wertvoller werden, pfleglicher umzugehen. Schließlich ist auch die Produktion essbarer Bücher in erheblichem Maße zurückgegangen. Würmer fressen kein Pergament Die Mönche, die während der langen Periode, die wir »dunkles Mittelalter« nennen, Haupthersteller und Bewahrer der Bücher waren, verspürten keinerlei Angst vor dem Bücherwurm vor ihren Augen. Denn so heißhungrig er auch ist und war: Pergament schätzt er nicht, und zu dieser Zeit gab es kein Papier. Ob er in einem früheren Zeitalter sich über Papyrus, das Papier der Ägypter, hermachte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich tat er es, da es aus rein pflanzlichem Material bestand. Und wenn dem so war, so ist es durchaus möglich, dass der heutige Wurm, der einen so schlechten Ruf bei uns besitzt, ein direkter Nachkomme der ausgehungerten Vorfahren ist, die schon die ehrwürdigen Priester von On zu Zeiten von Josephs Pharao plagten, indem sie deren Eigentumsurkunden und wissenschaftlichen Schriften auffraßen. Seltene und kostbare Gegenstände wie die Handschriften vor Erfindung des Buchdrucks werden wohl bewahrt. Aber als die Druckerpresse erfunden wurde und Bücher aus 78
Papier um die Welt gingen, als Bibliotheken entstanden und die Lesefähigkeit zunahm, da nährte der vertraute Umgang auch die Verachtung. Bücher wurden an abgelegene Orte geräumt und vergessen, und der oft zitierte, wenn auch selten gesichtete Bücherwurm wurde ein anerkannter Untermieter der Bibliotheken und der Todfeind der Bücherfreunde. Pierre Petits Gedicht Flüche in nahezu allen europäischen Sprachen, ob lebendige oder tote, wurden dieser Pest entgegengeschleudert, und klassische Gelehrte vergangener Jahrhunderte haben ihm ihre Spondäen und Daktylen an den Kopf geworfen. Pierre Petit verfasste 1683 ein langes lateinisches Gedicht zu seinen Un-Ehren, und Parnells reizende Ode ist wohlbekannt.27 Hier beschwert sich der Poet: Fast hast du mir den Spatz Catulls genommen, Fast hast du mir Lesbia geraubt. Und dann: Was soll ich über die unzähligen Gelehrten sagen, Deren Werke du und Denkmäler Mit deinem üblen Magen verschlungen hast. Petit indes war offensichtlich von starken persönlichen Gefühlen bewegt, was das »invisum pecus« (verhasste Tier) angeht, und bezeichnet seinen kleinen Feind als »bestia audax« (wilde Bestie) und »pestis chartarum« (Papierpest). Wie ein Portrait gewöhnlich einer Biographie vorangeht, so mag der neugierige Leser nun aber auch erfahren wollen, 79
was es mit dieser »bestia audax«, die selbst die größten Intellektuellen aus der Fassung bringt, eigentlich auf sich hat. Doch damit fangen die Probleme schon an. Denn der Bücherwurm ist wie ein Chamäleon, und es existieren so viele Betrachtungen über seine Größe und Gestalt wie Betrachter. Sylvester beschreibt ihn in seiner Verslehre, die aus mehr Wörtern als Weisheiten besteht, als »mikroskopisch kleine Kreatur, die in gelehrten Schriften herumzappelt und sich, wenn man sie einmal entdeckt hat, zu einem Dreckfaden versteift«.28 Hookes Darstellung und Abbildung Die früheste Erwähnung findet der Bücherwurm in Robert Hookes Micrographia (London 1665). Dieses Werk, das im Auftrag der Royal Academy gedruckt wurde, ist eine wahllose Sammlung von Gegenständen, die der Autor unter dem Mikroskop untersucht hat. Höchst interessant ist die Genauigkeit, durch die sich die Beobachtungen des Autors häufig auszeichnen; und höchst amüsant sind seine ebenso häufigen Schnitzer. Hookes langatmige und minutiöse Ausführungen über den Bücherwurm wimmeln von absurden Fehlern. Er bezeichnet ihn als kleine weiße, silbrig glänzende Motte, die ich häufig zwischen Büchern und Papieren fand und die im Verdacht steht, Gänge und Löcher durch die Seiten und Einbände zu graben. Ihr Kopf ist groß und flach, und ihr Körper verjüngt sich mehr und mehr zur Taille hin, etwa wie die Form einer Möhre … Sie hat zwei lange, gerade Fühler, die sich zur Spitze hin verjüngen und auffällig geringelt oder genoppt sind und 80
einer Sumpfpflanze namens »Pferdeschwanz« ähneln. Der hintere Körperteil besteht aus drei Segmenten, die in jeder Hinsicht den Fühlern ähneln, die aus dem Kopf wachsen. Die Beine sind behaart. Das Tier ernährt sich wahrscheinlich von Papier und Buchdeckeln und durchzieht diese mit etlichen runden, kleinen Löchern. Angemessene Verpflegung stellen womöglich die Hülsen von Hanf und Flachs dar, die bei all dem Kämmen, Waschen, Glätten und Trocknen während der Papierherstellung früher übrig blieben. Und wenn ich bedenke, welche Mengen an Sägemehl oder Spänen diese kleine Kreatur (die man zum Zahn der Zeit zählen darf) durch ihre Innereien befördert, kann ich nur bewundernd daran erinnern, welch exzellente Erfindung die Natur hervorgebracht hat, indem sie Lebewesen mit einem solchen Feuer ausstattet, das fortwährend vom Inhalt seines Magens und seiner Lungen genährt und beliefert wird. Das Bild, das diese Beschreibung begleitet, ist eine wunderbare Arbeit. Mit Sicherheit ist R. Hooke, Mitglied der Royal Society, bei der Zeichnung auch seiner Einbildungskraft gefolgt. Offensichtlich hat er sich sowohl bei der Darstellung als auch bei der Beschreibung auf sein inneres Auge verlassen.29 Seine Naturgeschichte wird vernachlässigt Auch Insektenforscher haben der Naturgeschichte des »Wurms« nicht gerade größte Aufmerksamkeit geschenkt. Kirby zum Beispiel schreibt: »Die Larve von Crambus pinguinalis spinnt ein Kleid, das sie mit ihren eigenen Ex81
Nr. 1: Die Abbildung des Bücherwurms in »Micrographia« von R. Hooke, Mitglied der Royal Society. Folio. London 1665. Nr. 2: Anobium, natürliche Größe. Nr. 3: Anobium, vergrößert.
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krementen einschmiert, und richtet ziemlichen Schaden an«. Und: »Ich habe häufig die Raupe einer kleinen Motte beobachtet, die in feuchten alten Büchern Einkehr hält und dort große Verwüstungen anrichtet. Manche FrakturRarität, die in der heutigen bibliomanischen Zeit in Gold aufgewogen würde, wurde von diesen Vandalen hingerichtet« etc. etc. Wie schon im Eingangszitat ersichtlich, ist Dorastons Beschreibung reichlich vage. In einem Vers spricht er von einem »bissigen Wurm« und in einem anderen von einem »mickrigen nagenden Reptil«. Hannett nennt in seinem Buch über die Buchbinderei30 als wahren Namen »Aglossa pinguinalis«, und Mrs. Gattley31 tauft ihn in ihren Parabeln »Hypothenemus cruditus«. Reverend F. T. Havergal, der vor einigen Jahren großen Ärger mit Bücherwürmern in der Bibliothek der Kathedrale von Hereford hatte, behauptet, es handle sich um eine Art der als Totenuhr bekannten Käfer, die »dunkelbraun« sind und eine »harte äußere Schale« besitzen. Eine andere Art habe »weiße Körper mit braunen Punkten auf dem Kopf«. Mr. Holme schreibt in Notes and Quotes (1870), »Anobium paniceum« habe in arabischen Handschriften, die Burckhardt aus Kairo mitgebracht hat und sich heute in der Universitätsbibliothek von Oxford befinden, reichlich Unheil angerichtet. Andere Autoren gehen davon aus, dass »Acarus eruditus« oder »Anobium pertinax« die richtigen wissenschaftlichen Bezeichnungen sind. Ich persönlich bin nur wenigen Exemplaren leibhaftig begegnet. Nichtsdestoweniger halte ich nach den Berichten von Bibliothekaren sowie einigen Analogieschlüssen Folgendes für die Wahrheit.
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Verschiedene Arten Es gibt verschiedene Arten von Raupen und Larven, die sich in Bücher hineinfressen. Die mit Beinen sind die Larven von Motten. Die ohne Beine oder nur mit Ansätzen von Beinen sind Raupen von Käfern. Es ist nicht bewiesen, ob irgendeine Spezies von Raupen oder Larven über Generationen hinweg sich ausschließlich von Büchern ernährt. Aber verschiedene Arten von Holzwürmern und anderen Insekten, die von pflanzlicher Kost leben, machen sich über Papier her. Sie werden in erster Linie von den Holzdeckeln angezogen, die früher als Bucheinband üblich waren. Deshalb verbieten einige Bibliothekare vom Lande, die Bibliotheksfenster zu öffnen, damit der Feind nicht aus den benachbarten Bäumen hereinfliegen und hier seine Wurmbrut großziehen kann. Wer schon einmal die Löcher im Haselnussbaum oder ein Stück Holz, das vom Hausschwamm durchsetzt war, gesehen hat, wird die Ähnlichkeit mit jenen Kanälen wiedererkennen, die diese feindlichen Insekten hinterlassen. Zu den papierfressenden Arten zählen: 1. »Anobium«
Es gibt verschiedene Formen dieses Käfers: »A. pertinax«, »A. eruditus« und »A. paniceum«. Im Larvenstadium handelt es sich um Würmer ähnlich jenen, die man in Nüssen findet; in diesem Zustand sehen sie sich so ähnlich, dass man sie kaum unterscheiden kann. Sie ernähren sich von altem, trockenem Holz und befallen häufig Büchertruhen und Regale. Sie fressen die hölzernen Deckel alter Bücher und gelangen auf diese Weise ins Papier, wo sie tiefe, fast runde Löcher hinterlassen. Manchmal arbeiten sie sich aber auch schräg vor, dann erscheinen Löcher in länglicher Form. Die 84
Würmer können auf diese Weise mehrere Bücher hintereinander durchbohren. Der bekannte Bücherkundler Peignot hat einmal einen Wurmkanal gefunden, der in gerader Linie durch 27 Bände verlief. Ein Wunder an Völlerei, dessen Schilderung ich persönlich jedoch mit Vorsicht genießen würde. Nach einer gewissen Zeit verpuppt sich die Larve und ein kleiner brauner Käfer kommt zum Vorschein. 2. »Oecophora«
Diese Larve hat in etwa die gleiche Größe wie die des Anobium, aber man kann sie sofort von dieser unterscheiden, da sie Beine hat. Es handelt sich um eine Raupe; sechs Beine befinden sich am Thorax und acht saugnapfartige Ausstülpungen am Körper – wie bei der Seidenraupe. Nachdem sie sich verpuppt hat, nimmt sie die Gestalt einer kleinen braunen Motte an. Die Art, die Bücher angreift, heißt Oecophora pseudospretella. Sie mag es feucht und warm und verzehrt jedes faserige Material. Die Raupe unterscheidet sich erheblich von den Arten, die man im Garten finden kann, und sieht, abgesehen von den Beinen, dem Anobium recht ähnlich. Sie ist gut anderthalb Zentimeter lang, hat einen schwieligen Kopf und starke Kauwerkzeuge. Gegen Druckerschwärze oder Schreibtinte scheint sie keine Abneigung zu hegen, obwohl ich mir vorstellen kann, dass erstere ihrer Gesundheit nicht sehr bekömmlich ist – es sei denn, die Raupe ist sehr robust. In den durchlöcherten Büchern ist die Mehrzahl der Wurmlöcher, die ich gesehen habe, zu klein, um für die Entwicklung der Raupe genügend Nahrung zur Verfügung zu stellen. Doch obwohl die Tinte ungesund sein könnte, überleben viele Raupen und erfüllen in tage- und nächtelanger Fresserei ihre Bestimmung, indem sie je nach Verfassung längere oder kürzere Tunnel in den Büchern hinterlassen. 85
Versuche, den Wurm zu züchten Im Dezember 1879 schickte mir Mr. Birdsall, ein bekannter Buchbinder aus Northampton, freundlicherweise per Post einen fetten kleinen Wurm, den einer seiner Mitarbeiter während des Bindens in einem alten Schinken gefunden hatte. Der Wurm hatte die Reise gut überstanden und kam quicklebendig aus dem Päckchen heraus. Ich steckte ihn in eine Schachtel, wo er es ruhig und warm hatte, und gab ihm ein paar Boethius-Fragmente32, die von Caxton selbst gedruckt worden waren, sowie ein Blatt aus einem Buch aus dem 17. Jahrhundert. Er fraß einen Blattschnipsel, aber entweder durch die frische Luft, durch die ungewohnte Freiheit oder durch die Nahrungsumstellung wurde er schwächer und schwächer, und etwa drei Wochen später starb er. Ich bedauerte sehr, ihn verloren zu haben, denn ich hätte seine Art gerne in ausgewachsenem Stadium bestimmt. Mr. Waterhouse von der Abteilung für Insektenkunde des British Museum untersuchte ihn freundlicherweise vor seinem Dahinscheiden und hielt ihn für ein Exemplar von Oecophora pseudospretella. Der »griechische« Wurm Im Juli 1885 übergab mir Dr. Garnett vom British Museum zwei Würmer, die in einem alten hebräischen Kommentar aus Athen eingetroffen waren. Zweifellos sind sie auf der Reise gut durchgeschüttelt worden. Einer war schon dem Tode geweiht, als sie bei mir eintrafen, und schon nach wenigen Tagen feierten wir die Beerdigung. Der andere war kerniger und lebte achtzehn Monate bei mir. Ich habe ihn so gut wie möglich behandelt. Ich steckte ihn in eine kleine Schachtel, gab ihm eine Auswahl drei verschiedener alter 86
Papiere zur Speise und störte ihn nur selten. Er litt die Haftbedingungen trotzdem nicht, aß nur sehr wenig, rührte sich kaum, und auch sein Aussehen blieb nahezu unverändert, selbst im Tode. Dieser mit jüdischer Überlieferung vollgestopfte griechische Wurm unterschied sich in verschiedener Hinsicht von allen, die ich gesehen habe. Er war länger, dünner und sah zierlicher aus als alle seine englischen Verwandten. Er war transparent wie dünnes Elfenbein, und eine dunkle Linie, die ich für den Verdauungskanal hielt, verlief durch seinen Körper. Er gab sein Leben mit extremer Verzögerung auf und verstarb »inniglich betrauert« von seinem Halter, der sich sehr auf seine endgültige Entwicklung gefreut hatte. Die Schwierigkeit bei der Aufzucht von Bücherwürmern besteht vermutlich in ihrem Körperbau. In der Natur arbeiten sie sich mittels Ausdehnen und Zusammenziehen ihres Körpers durch ihre Kanäle und drücken ihre hornigen Kauwerkzeuge gegen die entgegenkommenden Papiermassen. Sind sie von diesem lebenswichtigen Druck befreit, können sie sich auch dann, wenn sie von Nahrung umgeben sind, nicht mehr ernähren, weil sie keine Beine haben und der natürliche Widerstand fehlt. Wenn man bedenkt, wie viele alte Bücher im British Museum stehen, grenzt es an ein Wunder, dass die Bibliothek wurmfrei ist. Mr. Rye, der inzwischen verstorbene Bibliothekar, schreibt mir: »Zwei oder drei wurden in meiner Amtszeit entdeckt, aber es handelte sich um schwächliche Kreaturen. Eine wurde, soweit ich mich erinnere, der Abteilung für Naturgeschichte übergeben und kam in die Obhut von Mr. Adam White, der sie als Anobium pertinax identifizierte. Ich habe später nie mehr etwas von ihnen gehört«.
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Verwüstungen durch Würmer Der Leser, der noch nie in einer alten Bibliothek war, ahnt nicht, welche Verwüstung diese Seuche anrichten kann. Vor mir liegt gerade ein schöner Folio-Band, gedruckt 1477 auf sehr gutem, ungebleichtem Papier, so dick wie Karton, von Peter Schöffer aus Mainz. Nachdem das Buch lange Zeit vernachlässigt worden war und sehr unter dem »Wurm« zu leiden hatte, wurde vor gut 50 Jahren beschlossen, es neu binden zu lassen. Daraufhin hatte es wieder zu leiden, diesmal unter dem Buchbinder. Der Originalzustand des Einbands ist deshalb unbekannt, aber der Schaden an den Seiten kann sehr genau beschrieben werden. Die »Würmer« haben das Buch von beiden Enden her attackiert. Die erste Seite weist 212 verschiedene Löcher auf, die in ihren Ausmaßen variieren von stecknadelgroß bis zu der Größe, die dem Einstich einer dickeren Stricknadel entspricht, sagen wir von 1/10 bis 1/15 Zentimeter. Die Gänge verlaufen mehr oder weniger lotrecht zum Einband, einige wenige gehen aber auch längs des Papiers und erwischen dafür nur drei oder vier Seiten. Die unterschiedliche Energie dieser kleinen Nervensägen kann in folgender Tabelle dargestellt werden: Auf Seite 1 finden sich 212 Löcher. Auf Seite 61 sind es noch 4.
Seite
Löcher
Seite
Löcher
1
212
61
4
11
57
71
2
21
48
81
2
31
31
87
1
41
18
90
0
51
6
88
Diese 90 Seiten sind recht dick, ungefähr 2,5 Zentimeter. Der Band hat 250 Seiten, und vom Ende her gesehen finden wir auf der letzten Seite 81 Löcher, die von einer offensichtlich nicht ganz so gefräßigen Wurmbrut stammen.
Vom Ende her gesehen
Vom Ende her gesehen
Seite
Löcher
Seite
Löcher
1
81
66
1
11
40
69
0
Bemerkenswert ist, dass die Löcher sich anfangs sehr schnell und dann immer langsamer verjüngen. Wenn man einen Gang Seite für Seite verfolgt, verringert sich dessen Größe schlagartig auf einer bestimmten Seite und hat nur noch den halben Durchmesser. Eine genaue Untersuchung des folgenden Blattes ergibt eine kleine Abschürfung gerade an jener Stelle, an der eigentlich das Wurmloch weitergehen würde. Im zitierten Buch kommt es einem vor, als habe ein Wettrennen stattgefunden. Auf den ersten zehn Seiten werden die Schwächlinge unter den Würmern zurückgelassen. Auf den nächsten zehn Seiten sind immer noch 48 Fresser unterwegs. Auf den folgenden zehn Seiten bleiben noch 31, dann noch 10. Auf Seite 51 halten sich noch sechs Würmer, bis zu Seite 61 haben weitere zwei aufgegeben. Bis Seite 71 ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei entschlossenen Feinschmeckern, jeder von ihnen macht schöne große Löcher, wobei einer von beiden eher oval geformte produziert. Auf Seite 81 sind sie immer noch gleichauf. Auf Seite 87 muss der ovale Wurm endlich aufgeben. Der runde frisst sich noch durch drei weitere Seiten und endet auf der vierten. Der Buchblock bleibt dann unberührt bis zur 69. Seite von hinten, in der sich ein einziges Loch befindet. Von hier 89
an nimmt die Zahl der Wurmlöcher zum Ende hin wieder kontinuierlich zu. Ich habe dieses Beispiel angeführt, weil es gerade zur Hand war. Aber viele Würmer fressen deutlich tiefere Löcher als die in diesem Buch. Ich habe einige geradewegs durch mehrere dicke Bände verlaufen gesehen, mit Einband und allem. In dem »Schöffer« stammen die Löcher womöglich von Anobium pertinax, weil die Mitte ausgespart ist und dafür von beiden Enden her gebohrt wurde. Ursprünglich waren die Buchdeckel aus echtem Holz, und zweifelsohne hat der Angriff hier begonnen und wurde dann vom Einband aus ins Buch hinein getragen. Ich erinnere noch sehr gut meinen ersten Besuch in der Bibliotheca Bodleiana33 im Jahr 1858. Dr. Bandinel war damals der Bibliothekar. Er war sehr entgegenkommend und erleichterte mir, wo es nur ging, meine Untersuchungen der erlesenen Sammlung von »Caxtons«, derentwegen ich mich auf die Reise gemacht hatte. Während ich mir über einen Packen von Fragmenten in Fraktur, die lange Zeit in einer Schublade gelagert waren, einen Überblick verschaffte, fiel mir ein kleiner Wurm in die Hände, den ich gedankenlos auf den Fußboden warf und mit dem Fuß zertrat. Kurz darauf fand ich einen weiteren, einen fetten speckigen Gesellen, der ungefähr so lang war –-. Ich verwahrte ihn vorsichtig in einer Papierschachtel, um sein Verhalten und seine Entwicklung zu studieren. Als Dr. Bandinel sich näherte, bat ich ihn, sich meine Errungenschaft anzusehen. Kaum hatte ich jedoch das zappelnde kleine Opfer auf den lederbesetzten Tisch gekippt, da machte sich auch schon des Doktors großer Daumennagel über das Tier her und beerdigte all meine Hoffnungen unter einer zentimeterlangen Schmierspur. Der große Bibliothekar wischte sich seinen Daumen am Mantelärmel ab und zog dann mit der Bemerkung weiter: »Oh 90
ja, manchmal haben sie schwarze Köpfe«. Das war’s, was ich wissen wollte, ein neues Faktum für den Insektenkundler. Denn mein kleiner Gentleman hatte einen harten, glänzenden, weißen Kopf, und ich hatte zuvor noch nie von einem Bücherwurm mit schwarzem Kopf gehört. Vielleicht ist der Überfluss an Druckerschwärze in der Bodleiana für diese Abart verantwortlich. Jedenfalls handelte sich um ein Anobium. Ich war regelrecht besessen von der absurden Idee, einen papierfressenden Wurm in einer Papierschachtel gefangen halten zu können. Oh, diese Kritiker! Dein Bücherwurm ist ein scheues, faules Biest, das ein oder zwei Tage nach der Gefangennahme braucht, um seinen Appetit wiederzufinden. Außerdem ist es gegen seine Würde, das bedruckte, glänzende oder vollgekritzelte Schmierpapier zu fressen, in das er eingekerkert wurde. »Dermestes« Im Falle des bereits erwähnten Lyf of oure ladye von Caxton gab es nicht nur zahlreiche kleine Löcher, sondern auch einige sehr große Kanäle am Rande des Buchblocks. Das ist sehr ungewöhnlich und vermutlich das Werk der Larve von »Dermestes vulpinus«, einem Gartenkäfer, der sehr gefräßig ist und jede Form trockenen hölzernen Abfalls verzehrt. Würmer fressen kein modernes Papier Dass essbare Bücher heute rar sind, wurde bereits erwähnt. Da modernes Papier nicht mehr unverfälscht hergestellt wird, geht der Wurm nicht mehr dran. Sein Instinkt verbietet ihm, Chinaerde, Bleichmittel, Pariser Kleister und Bariumsulfat zu verzehren, die heute unter die Fasern gemischt 91
werden. Die vor Weisheit strotzenden Seiten der alten Literatur sind dem modernen Müll im Wettlauf gegen die Zeit hoffnungslos unterlegen. Aufgrund des allgemeinen Interesses, das alte Bücher heutzutage wieder finden, sind für den Bücherwurm harte Zeiten angebrochen; allerdings ergibt sich daraus auch die kleine Chance, dass er übersehen wird und deshalb überleben kann. Umso wichtiger ist es, dass sich ein geduldiger Insektenkundler findet, der das Verhalten dieser Kreatur näher untersucht, solange sich noch die Möglichkeit bietet, wie Sir John Lubbock es mit den Ameisen getan hat.34 Vor mir liegen gerade einige Buchseiten, die Abfall waren und die von unserem sparsamen ersten Drucker Caxton zur Herstellung von Buchdeckeln genutzt wurden, indem er sie zusammenklebte. Ob der alte Kleber besonders attraktiv war oder ob es andere Gründe gab, jedenfalls hat sich der Bücherwurm, als er sich darüber hermachte, nicht geradewegs mitten in das Buch hineingefressen, sondern sich längs entlanggearbeitet und tiefe Furchen hinterlassen, ohne den Einband je zu verlassen. Das Papier ist so durchfurcht, dass man es kaum noch anfassen kann, ohne dass es zerbröselt. Das ist schlimm genug, aber wir sollten sehr dankbar sein, dass wir in unserer gemäßigten Klimazone nicht solche Bücherfeinde haben, wie sie in sehr heißen Ländern vorkommen. Ganze Bibliotheken samt Büchern, Regalen, Tischen, Stühlen und allem anderen werden da in einer einzigen Nacht von einer riesigen Armee von Termiten zerstört. Amerika verhältnismäßig wurmfrei Unsere Cousins in den Vereinigten Staaten, die für so vieles ein glückliches Händchen haben, haben auch hierin Glück gehabt: Ihre Bücher sind nicht vom Bücherwurm befallen, 92
behaupten amerikanische Autoren. Tatsache ist, dass all die alten, in Fraktur gedruckten Bücher aus Europa kommen, und da sie sehr kostspielig waren, wird sorgsam auf sie achtgegeben. Aber sie haben da drüben tausende von Büchern aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die in den Staaten selbst auf natürlichem Papier in Antiqua gedruckt sind, und der Wurm ist nicht so wählerisch, dass er sich um die Schriftart kümmern würde, solange das Papier wohlschmeckend ist. Ein Wurmloch in Philadelphia Die Hüter der alten amerikanischen Bibliotheken könnten wahrscheinlich eine ganz andere Geschichte erzählen, und darum wirkt es ziemlich amüsant, wenn man in der von Ringwalt herausgegebenen und in Philadelphia gedruckten Encyclopaedia of Printing liest,35 dass nicht nur der Bücherwurm dort ein Fremder sei (wo er sich doch den wenigsten von uns persönlich vorgestellt hat), sondern dass seine unbedeutenden Schäden auch als kurios und selten gelten. Nachdem er Dibdin zitiert und noch ein paar eigene Phantasieflüge hinzugefügt hat, behauptet Ringwalt, »papierfressende Motten sind in England durch in Schweinsleder gebundene Bücher aus Holland importiert worden«. Er schließt mit einer Bemerkung, die in ihrer simplen Naivität jeden, der einmal die Verwüstungen des Wurms in hunderten von Büchern gesehen hat, zum Schmunzeln bringt. »Es gibt heute«, schreibt er, als handele es sich um eine Kuriosität, »in einer Privatbibliothek in Philadelphia ein Buch, dass von diesem Insekt durchlöchert wurde«. Oh glückliche Einwohner von Philadelphia! Ihr könnt euch mit der ältesten Bibliothek der Vereinigten Staaten brüsten, müsst aber einen privaten Sammler um Erlaubnis fragen, wenn ihr das einzige Wurmloch der ganzen Stadt sehen wollt! 93
7. Kapitel ..............................................................
Andere Schädlinge Neben dem Bücherwurm gibt es meiner Meinung nach kein Insekt, das ernsthaft als Bücherfeind bezeichnet werden dürfte. Die Hausschabe oder Küchenschabe ist erst in so junger Zeit in unser Land eingewandert, dass sie noch keinen großen Schaden anrichten konnte, obwohl auch sie manchmal am Einband von Büchern knabbert, besonders wenn sie auf dem Fußboden liegen. Küchenschaben in amerikanischen Bibliotheken Nicht so viel Glück haben unsere amerikanischen Cousins. Im Library Journal vom September 1879 schreibt Mr. Weston Flint, dass ein furchtbarer kleiner Schädling großen Schaden an den Leineneinbänden der New Yorker Bibliotheken verübt hat. Es handelt sich um eine kleine Schabe, die Wissenschaftler auch »Blatta germanica« (deutsche Schabe) und andere »Croton-Käfer« nennen. Diese missgestaltete niedere Art ist halb so groß wie ein mittelgroßes englisches Exemplar. Anders als unser Haushaltsschädling, der in der Küche beheimatet ist und als scheues Wesen Heimlichkeit und dunkle Stunden bevorzugt, hat diese Art an Unverschämtheit gewonnen, was sie an Größe einbüßen musste. Sie fürchtet weder Licht noch Lärm, weder Mensch noch Tier. In der englischen Übersetzung der Bibel von 1551 heißt 94
es in Psalm 91,5: »Du sollst dich nicht fürchten vor irgendeinem Käfer bei Nacht«.36 Dieser Vers verhallt ungehört in den Ohren westlicher Bibliothekare, die ihre Käfer sowohl tags als auch nachts fürchten, denn sie krabbeln in hellstem Sonnenlicht über alles und infizieren jede Ecke und Ritze der Bücherregale, die sie als ihre neue Heimat auserkoren haben. Es gibt ein Gegenmittel in Form eines Puders, das Insektizid heißt, auf Büchern und Regalen allerdings sehr unangenehm ist. Nichtsdestoweniger hat es auf diese Schädlinge verheerende Auswirkungen. Außerdem sei zur Beruhigung gesagt, dass das Insekt, sobald es irgendwelche Anzeichen von Krankheit an den Tag legt, von seinen unersättlichen Mitbrüdern mit demselben Genuss verzehrt wird wie frischer Kuchenteig. Lepisma Ferner gibt es ein kleines, silbrig schimmerndes Insekt, genannt Lepisma (das Silberfischchen), das ich häufig in den Buchrücken vernachlässigter Werke aufgefunden habe. Aber seine Schadwirkung ist nicht erwähnenswert. Kabeljau Auch den Kabeljau sollten wir nicht für eine ernsthafte Bedrohung unserer Literatur halten. Außer er ist katholischen Glaubens wie jener wundersame Ichthiobibliophage, der Fischbücherfresser (entschuldigen Sie, Professor Owen37), der im Jahr 1626 drei puritanische Abhandlungen von John Frith, dem protestantischen Märtyrer, verschluckt hat. Es ist nicht verwunderlich, dass er nach einem solchen Mahl bald gefangen wurde und einen Platz in der Literaturgeschichte fand. Folgender Buchtitel geht auf diese Begebenheit zurück: 95
Vox Piscis oder Der Bücherfisch, bestehend aus drei Abhandlungen, die im Magen eines Kabeljaus auf dem Markt von Cambridge in der Mitsommernacht anno 1626 gefunden wurden. Lowndes schreibt (siehe unter »Tracey«), dass »in Cambridge die Bestürzung über diese Publikation groß« gewesen sei.38 Rattenskelette in der Bibliothek von Westminster Abbey Ratten und Mäuse können gelegentlich sehr zerstörerisch wirken, wie folgende Anekdote belegt: Vor zweihundert Jahren war die Bibliothek des Dekans und des Kapitels von Westminster im Kapitelsaal untergebracht. Allerdings waren Reparaturen in dem Gebäude nötig geworden. Ein Baugerüst wurde aufgestellt, die Bücher aber in den Regalen gelassen. Eines der Löcher, die für die Gerüststangen in die Mauer gebohrt worden waren, hatte ein Rattenpärchen sich als Familiensitz auserkoren. Sie richteten sich hier ein Nest für ihre Jungen ein, indem sie die Bibliotheksregale hinunterkletterten und Seiten aus den Büchern herausbissen. Der kleine Haushalt war gemütlich und komfortabel, bis eines Tages, als die Bauarbeiter fertig waren, die Stangen entfernt wurden und – schlecht für die Ratten! – das Loch mit Steinen und Zement verschlossen wurde. Lebendig begraben, fanden Vater und Mutter zusammen mit fünf oder sechs ihrer Nachkommen einen schnellen Tod. Erst vor einigen Jahren, als erneut Renovierungen anstanden, wurde das Rattengrab wiederum wegen einer Gerüststange geöffnet, und man entdeckte die sterblichen Überreste in ihrem Nest. Die Gebeine und die Papierfragmente können heute in einer Vitrine im Kapitelsaal bewundert werden. Es wird sogar behauptet, dass einige dieser Fragmente aus Büchern der Druckerei Caxtons stammen. Das stimmt zwar nicht, aber manche Stücke gehen tatsächlich auf sehr frühe Frakturdruckwerke zurück, zum 96
Schädling
Beispiel kleine Bissen aus dem berühmten Gebetbuch von Queen Elizabeth mit Holzschnitten aus dem Jahr 1568. Ein Freund schrieb mir von folgendem Vorfall: Vor ein paar Jahren bauten sich Ratten ihre Nester in den Bäumen um mein Haus herum. Von dort sprangen sie auf einen Dachvorsprung und fanden einen Weg durch den Kamin in ein Zimmer, in dem ich Bücher aufbewahrte. Eine ganze Reihe von ihnen, die Pergamentrücken hatten, zerstörten sie vollständig. Ein halbes Dutzend Bücher, die komplett in Pergament gebunden waren, vielen ihnen auch zum Opfer. Niptus hololeucos – Tomicus Typographus Ein anderer Freund informiert mich, dass im Naturkundemuseum der Devon and Exeter Institution ein Exemplar eines »anderen kleinen Schädlings« gefunden wurde, »der 97
eine Vorliebe für Einbände aus Schafs- und Kalbsleder hat. Sein wissenschaftlicher Name ist Niptus hololeucos (Messingkäfer). Er fügt an: »Wusstest du eigentlich, dass es da noch eine schreckliche Kreatur gibt, die mit dieser verwandt ist? Sie heißt Tomicus typographus (Fichtenborkenkäfer) und hat in Deutschland im 17. Jahrhundert traurige Verwüstungen angerichtet. In alten liturgischen Schriften dieses Landes wird er auch unter seinem Vulgärnamen erwähnt, nämlich ›der Türke‹ (siehe Kirby und Spencer, siebte Auflage, 1858, S. 123).«39 Das ist eigenartig, und ich habe noch nie davon gehört, obwohl ich diesen Fichtenborkenkäfer gut kenne; er wird auch »Buchdrucker« genannt und gilt als schlimmer Feind (guter) Bücher. Auf diesen Themenaspekt kann ich allerdings nicht eingehen. Stubenfliegen beschädigen Bücher Ein W. J. Westbrook, Doktor der Musikwissenschaft aus Cambridge, berichtet von Schadensfällen, die mir bislang nicht untergekommen waren: Lieber Blades, ich schicke Ihnen ein Beispiel für die Ani(mal)-mosität einer ordinären Stubenfliege. Sie versteckte sich hinter Papier, verschüttete dort eine ätzende Flüssigkeit und schied dann aus dem Leben. Ich habe sie häufiger in solchen Löchern gefunden. 30. 12. 83. Das Schadbild ist ein längliches Loch, umgeben von einer flaumigen Glasur (von Pilzen?), das nur schwerlich in einem Holzschnitt wiedergegeben werden kann.
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8. Kapitel ..............................................................
Buchbinder
Im ersten Kapitel habe ich bereits die Buchbinder unter die Bücherfeinde gezählt. Ich zittere, wenn ich daran denke, welche spitzen Repliken ich wohl von zornigen Buchliebhabern ernte, wenn ich die Sprache auf die Drucker bringe und sie in dieselbe Kategorie einreihe. Was die Sünden der Drucker und deren unnatürliche Nachlässigkeit angeht, derentwegen das Leben ihrer typographischen Abkömmlinge oft verkürzt wird, ist es nicht an mir, sie hier auszuwalzen. Es gibt da das alte Sprichwort: »Nur ein kranker Vogel beschmutzt das eigene Nest«. Ein aufschlussreiches Kapitel, das die vielen zeitgenössischen Beispiele aufführt, müsste nichtsdestoweniger verfasst werden. Jedoch nicht von mir. Ich konzentriere mich darauf, die Grausamkeiten in Erinnerung zu rufen, die Buchbinder aus Ignoranz oder Fahrlässigkeit an Büchern verübt haben. Eine gute Bindung bereitet Freude Bücher haben genau wie Menschen einen Körper und eine Seele. Mit der Seele, also dem literarischen Inhalt, haben wir hier nichts zu schaffen. Der Körper, der aus dem äußeren Rahmen oder dem Bezug besteht und ohne den das Innere nicht zu gebrauchen wäre, ist das spezielle Werk des Buchbinders. Er erschafft ihn, er ist für Form und Ausstattung 99
verantwortlich, er heilt ihn bei Krankheit und Verfall, und gar nicht so selten obduziert er ihn nach dem Tod. Wir finden hier wie überall in der Natur Gut und Böse Seit’ an Seit’. Welch Freude bereitet es, ein gut gebundenes Buch anzufassen! Die Seiten liegen offen vor dir, als ob sie dich in Versuchung führen wollten weiterzulesen. Du blätterst sie um ohne jede Angst, dass sie sich vom Rücken abtrennen könnten. Auch die Bearbeitungsweise zu betrachten, ist ein Vergnügen, denn sorgfältige Planung verbunden mit handwerklicher Kunst wird überall sichtbar. Du öffnest den Einband und findest innen die gleiche liebevolle Sorgfalt wie außen. Die gesamte handwerkliche Ausführung ist von großer Gründlichkeit und Genauigkeit. In der Tat geht die schützende Wirkung einer guten Bindung so weit, dass manches wertlose Buch nur aus Rücksicht auf sein wertvolles Äußeres ein gesegnetes Alter erreichte. Manch echter Schatz dagegen fand einen erniedrigenden und verfrühten Tod einfach wegen seines unansehnlichen Äußeren und dem irreparablen Schaden, der ihm durch die Bindung zugefügt wurde. Tödliche Wirkungen des »Hobels«, den die Buchbinder benutzen Die Waffe, mit der die Buchbinder ihren tödlichen Schlag gegen Bücher führen, heißt Beschneidehobel. Damit werden Ränder weggeschnitten, was dazu führen kann, dass der Buchblock in Relation zu Rücken und Kopf in eine falschen Position gerät und manchmal sogar Teile des Textes verloren gehen. Diese Beschneidung reduziert nicht selten einen stattlichen Folio-Band auf ein Quartformat und macht aus einem Quartband ein Oktavbändchen. Mit dem alten Handbeschneidehobel musste der Buchbinder vorsichtiger arbeiten, um gerade Ränder zu erzeugen, 100
als mit den neuen Schneidemaschinen. Wenn ein sorgloser Handwerker fand, dass die Ränder sich nicht wirklich rechtwinklig zum Text verhielten, packte er das Buch wieder in die Presse und besorgte eine zweite »Rasur«, manchmal sogar eine dritte. Dante lässt im Inferno die verlorenen Seelen verschiedene Qualen leiden, die auf dramatische Weise mit den früheren Verbrechen der Delinquenten in Verbindung stehen. Ich habe wertvolle Bücher gesehen, deren unberührte, jungfräuliche Seiten kriminellen Buchbindern anvertraut wurden und durch barbarische Behandlung ihre Würde, Schönheit und ihren Wert verloren. Wenn ich ein Urteil über die kriminellen Buchbinder fällen müsste, die dies zu verantworten haben, so würde ich die Papierreste nehmen, die sie so unbarmherzig abgeschoren haben, und die Übeltäter darüber auf kleiner Flamme rösten. In vergangenen Zeiten, als die Menschheit den Wert gedruckter Werke noch nicht zu schätzen wusste, konnte man die Sünden eines Buchbinders, der aus Unkenntnis Fehler machte, noch in gewisser Weise entschuldigen, denn das war üblich. Heutzutage jedoch, da der historische wie auch der antiquarische Wert alter Bücher allgemein anerkannt sind, sollte kein Buch einem nachlässigen Bösewicht überantwortet werden. Nicht auf vergangene Zeiten beschränkt Bei der allgemeinen Informationslage sollte man davon ausgehen, dass eine echte Gefahr durch Unkenntnis der Vergangenheit angehört. Dem ist jedoch nicht so, lieber Leser, das ist bisher nur ein frommer Wunsch. Lassen Sie mich eine wahre Begebenheit aus dem bücherkundlichen Alltag zum besten geben: Im Jahr 1877 versprach ein Lord, der sich eine schöne Sammlung alter Bücher, darunter auch einige 101
Caxtons, zusammengestellt hatte, die wertvollsten Stücke für eine Ausstellung in South Kensington zur Verfügung zu stellen. Da er ihr äußeres Erscheinungsbild für zu schäbig hielt und keine Gefahr witterte, wollte er sie in der Nachbarstadt neu binden lassen. Schnell wurden die Bücher in strahlender neuer Optik und, wie erzählt wird, zur vollsten Zufriedenheit seiner Lordschaft zurückgebracht. Seine Freude wurde allerdings stark getrübt, als ein Freund ihm erklärte, dass die verfärbten Ränder komplett beschnitten und die altersfleckigen Leerseiten mit den inliegenden Autographen aus dem 15. Jahrhundert durch blütenweiße, saubere Vorsatzblätter ersetzt wurden; dass dies zu einem vorsichtig geschätzten Verlust von mindestens 500 Pfund des Marktwerts führe und dass mit giftigen Kommentare bei der öffentlichen Ausstellung zu rechnen sei. Diese armen, beschädigten Bücher wurden niemals ausgestellt. Beispiele für Schäden Vor einigen Jahren ist eines der seltensten Bücher des Druckers Machlinia entdeckt worden.40 Es handelte sich um einen dünnen Folioband, der von einem Buchbinder vom Lande in Schafsleder gebunden worden war und dabei auf die Größe eines Quartbands heruntergeschnitten wurde. Aber wir sollten nicht Buchbinder, nur weil sie vom Lande kommen, für die einzigen Übeltäter halten. Es ist nicht lange her, da wurde in einer der größten Bibliotheken Londons ein einzigartiger Caxton entdeckt. Er steckte zwischen zwei Holzdeckeln, wie ihn der Buchbinder im 15. Jahrhundert ausgeliefert hatte, und über diesen Schatzfund kam es, völlig angemessen, zu gewaltigem Wirbel. Selbstverständlich, ruft der Leser, hat man das Buch in seiner ursprünglichen Hülle bewahrt und all die interessanten Verbindungen seines 102
frühen Zustands unberührt gelassen? Nichts da! Anstatt eine passende Kiste herzustellen, in der das Buch so, wie es war, hätte aufgehoben werden können, hat man es einem sehr bekannten Londoner Buchbinder überantwortet, und zwar mit der Anweisung: »Das Ganze braucht einen Samteinband«. Er tat sein Bestes, heute glänzt der Band luxuriös mit seinen goldenen Ecken und seinem unangemessenen Einband, und – oh weh! – mit Rändern, die rundherum um mehr als einen Zentimeter beschnitten wurden. Woher ich das weiß? Weil der kluge Buchbinder, der einige handschriftliche Bemerkungen auf den Rändern fand, diese Seite umklappte, um ihren Beschnitt zu vermeiden, und dieser Kronzeuge wird dem aufmerksamen Leser auf ewig die ursprüngliche Größe des Buches bescheinigen. Der gleiche Buchbinder steckte bei einer anderen Gelegenheit einen einzigartigen Ablassbrief aus dem 15. Jahrhundert in warmes Wasser, um ihn von dem Einband zu lösen, in den er geklebt war. Nach der Trocknung war er so verzerrt, dass er nicht mehr zu gebrauchen war. Dieser Mann klopfte kurz darauf an Petrus’ Pforte, und wir können nur hoffen, dass seine Arbeiten ihm nicht ins Jenseits folgten und seine Verdienste als guter Bürger und Ehrenmann nicht gegen seine Misserfolge als Buchbinder aufgewogen worden sind. Ähnliche Beispiele werden viele Leser in Erinnerung haben. Zweifellos wird dasselbe Vergehen von Zeit zu Zeit auch von anderen Buchbindern begangen, die eine tiefverwurzelte Abneigung gegen rauen Schnitt und breite Seitenränder zu haben scheinen. Ihrer Meinung nach sind diese wohl von Mutter Natur nur geschaffen worden, um als Nahrung für den Rasierer zu dienen.
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»Verschnippelte« Bücher De Rome, ein gefeierter Buchbinder des 18. Jahrhunderts, hat von Dibdin sogar den Spitznamen »der große Schnitter« verliehen bekommen. Obwohl im Privatleben ein schätzenswerter Mensch, war er dem Laster verfallen, die Ränder aller Bücher, die man ihm zum Binden schickte, zu verkleinern. Er schreckte nicht einmal davor zurück, ein schönes Exemplar von Froissarts Chronicles41 auf Pergament, in dem sich außerdem ein Autograph des weltberühmten Buchliebhabers De Thou befand, höchst grausam zu beschneiden. Was Seitenränder angeht, haben auch Buchbesitzer gelegentlich krankhafte Vorstellungen. Ein Freund schreibt mir: Deine amüsanten Anekdoten haben mir mehrere Büchervernichter aus meinem Bekanntenkreis in Erinnerung gerufen. Einer beschnitt die Seitenränder seiner Bücher mit einem Messer und setzte es dabei wie eine Heckenschere oder eine Grabenfräse ein. Seine Spezialität waren dicke Bücher, da sie mehr Papier ergaben. Die Schnipsel, die dabei rauskamen, benutzte er als Einlegeblättchen. Ein anderer, der einen unnatürlichen Ordnungswahn besaß, verkleinerte all seine Folio- und Quartbände auf eine Größe, weil sie im Bücherregal ebenmäßig aussehen sollten. Letzterer muss zweifellos ein Verwandter desjenigen sein, der seine Bücher allesamt ganz nah am Textblock beschnitt, weil es ihn störte, dass Leser dort Randbemerkungen notiert hatten. 104
Schlechte Beschriftungen Welche Demütigungen mussten Bücher außerdem durch ihre Beschriftung erleiden! Man stelle sich vor, ein Buch aus dem 15. Jahrhundert über die Ritterwürde trägt das Etikett »Abhandlungen« oder eine Übersetzung des Vergil wird »Predigten« genannt! Die Geschichte Trojas, die Caxton gedruckt hat, existiert immer noch mit der Aufschrift »Herakles« auf dem Buchrücken, weil der Name in den ersten Kapiteln ein paar Mal vorkommt und der Buchbinder zu stolz war, um sich Rat einzuholen. Die Worte »Miszellaneen« oder »Alte Werke« wurden manchmal benutzt, wenn den Buchbindern nichts Besseres einfiel. Man könnte noch viele andere Beispiele erwähnen. Schätze in Buchumschlägen Die rasche Verbreitung des Buchdrucks quer durch Europa in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war die Ursache für einen starken Wertverlust nicht-illuminierter Handschriften. Die unmittelbare Folge war, dass zahlreiche Handschriften auf Pergament zerstört wurden, die die Buchbinder benutzten, um die Buchrücken der frisch gedruckten Rivalen zu verstärken. Diese Pergamentschnipsel finden sich in alten Büchern recht häufig. Manchmal sind ganze Bögen als Vorsatzblätter benutzt worden, die häufig die Existenz sehr wertvoller unbekannter Werke aufdecken und zudem belegen, welch geringer Wert diesen früher beigemessen wurde. Viele Bücherkundler, die alte Bücher untersuchen, stoßen bei ihren Puzzlespielen auf Pergamentstreifen, die praktisch immer aus alten Handschriften stammen und wie Wächter mitten aus den Seiten hervorstechen. Auf den ersten Blick glaubt man es mit Unvollkommenheiten oder Schäden des 105
jeweiligen Buchs zu tun zu haben. Aber wenn man es sich genauer ansieht, stellt man fest, dass sie sich immer in der Mitte eines Heftes befinden. Der praktische Grund für ihr Vorhandensein ist derselbe, mit dem sich auch das gelegentliche Vorkommen zweier Pergamentseiten in einem Papierbuch erklären lässt: Verstärkung. Verstärkung nämlich, um dem Zug entgegenzuwirken, der immer auf die Mitte eines Heftes wirkt. Diese Streifen weisen auf alte zerstörte Bücher hin, und wie die oben erwähnten Schnipsel sollten sie stets mit größter Sorgfalt untersucht werden. Bücher werden gewaschen, geleimt und geflickt Wenn wertvolle Bücher übel behandelt oder von schmutzigen Händen besudelt wurden, wenn sie Wasserflecken aufweisen oder Schleimspuren sie verschandeln: Nichts verwundert den Uneingeweihten mehr als die Verwandlung, die die Hände eines begabten Restaurators hervorbringen können. Zuerst wird vorsichtig der Einband zerlegt. Der Bearbeiter behält jedes Fragment einer alten Handschrift oder eines frühen Druckwerks, das vom ursprünglichen Buchbinder benutzt worden sein könnte, im Auge. Auf Einzelteile, die aneinander haften, sollte kein Druck ausgeübt werden. Ein bisschen warmes Wasser und Sorgfalt reichen aus, um diese Schwierigkeit zu bewältigen. Wenn alle Teile voneinander gelöst sind, werden die einzelnen Blätter gesondert in ein kaltes Wasserbad gelegt und verbleiben darin, bis der gesamte Schmutz aufgeweicht ist. Reicht die Reinigung nicht aus, kann etwas Salzsäure, Oxalsäure oder Kalilauge ins Wasser getan werden, je nachdem, ob die Flecken von Schmiere oder von Tinte herrühren. An diesem Punkt wird ein ungeübter Buchbinder das Buch wahrscheinlich auf Lebenszeit 106
verschandeln. Wenn die Chemikalien zu stark sind, die Blätter zu lange in dem Bad bleiben oder nicht vollständig von der Bleiche gesäubert werden, bevor sie wieder verleimt werden, wird die Saat des Verfalls ins Papier gesät. Und obwohl die Seiten für eine Weile strahlend aussehen und zwischen den Fingern knistern wie das intakteste Papier, wird nach ein paar Jahren der Feind auftauchen, die Fasern werden sich zersetzen und das Buch wird verfallen wie Zunder. Alles, was das Interesse an Büchern verringert, ist der natürliche Feind ihrer Erhaltung. Darum will ich hier noch ein paar Worte über die Zerstörung alter Bindungen verlieren. Futterale sind oft besser als eine Neu-Bindung Ich erinnere mich noch, wie ich vor ein paar Jahren in einem Buchladen in der Vorstadt ein perfektes Exemplar von Moxons Mechanic Exercises erwerben konnte, heute ein Werk mit Seltenheitswert.42 Die Bände waren unbeschnitten und hatten marmorierte Einbände. In ihrem altmodischen Aufzug sahen sie so attraktiv aus, dass ich umgehend beschloss, ihren Zustand zu konservieren. Mein Buchbinder fertigte eine passende Holzschachtel in Form der Bücher und mit einem passend beschrifteten Maroquinrücken an, und ich vertraue darauf, dass die Bücher für viele Jahre vor Staub und Schaden geschützt sind. Alte Buchdeckel, egal ob aus Holz oder Papier, sollten stets erhalten werden, wenn es irgend möglich ist. Ein Futteral, das man auf beliebige Weise verschönern kann, sieht in jedem Regal gut aus und gibt jeder Bindung noch mehr Schutz. Außerdem hat es einen weiteren Vorteil: Es nimmt den Nachkommen nicht die Gelegenheit zu erfahren, in welcher Gestalt die Bücherkäufer vor vier Jahrhunderten ihre Bücher in Empfang nahmen. 107
9. Kapitel ..............................................................
Sammler
Bagford, der Biblioklast Alles in allem haben die zweibeinigen Räuber, die es eigentlich besser wissen sollten, vermutlich ebenso viel Schaden in Bibliotheken angerichtet wie jeder andere Bücherfeind. Ich meine damit nicht die Diebe, die zwar den Eigentümern Schaden zufügen, aber die Bücher selbst nicht beschädigen, sondern sie nur vom einen Bücherregal in ein anderes transferieren. Ebenso wenig meine ich gewisse Leser, die öffentliche Büchereien besuchen und, um sich die Mühe des Kopierens zu ersparen, ganze Artikel aus Magazinen oder Enzyklopädien herausschneiden. Solche Verwüstungen sind nicht häufig und passieren nur Büchern, die leicht zu ersetzen sind. Darum erwähne ich es hier nur nebenbei. Aber eine ernste Sache ist es, wenn die Natur einen so bösen alten Biblioklasten hervorbringt wie John Bagford. Er war einer der Gründer der Gesellschaft der Antiquare, der am Anfang des vergangenen Jahrhunderts quer durchs Land von Bibliothek zu Bibliothek reiste und Titelblätter aus seltenen Büchern jeglichen Formats herausriss. Diese Trophäen sortierte er nach Nationalitäten und Druckorten und besaß am Ende eine Vielzahl von handschriftlichen Notizen, Manuskripten und vermischten Sammlerstücken aller Art. Sie füllen hundert Folio-Bände, die heute im British Museum aufbewahrt werden. Man kann nicht bestreiten, dass sie als Mate108
rial für eine allgemeine Geschichte des Buchdrucks nützlich sind. Aber das Ergebnis war die Zerstörung einer Menge sehr seltener Bücher, und das überwiegt jeden Nutzen, den Bücherforscher jemals daraus ziehen können. Wenn du an der einen oder anderen Stelle dieser Bände auf die Titel von Büchern stößt, die heute entweder vollständig verschollen oder doch von größter Seltenheit sind; oder wenn du den Kolophon vom Buchende oder das »insigne typographi« von der ersten Seite eines Wiegendruckes findest, zusammengeklebt mit dutzenden anderen, die sich in ihrem Wert stark unterscheiden, dann kann das Andenken an den antiquarischen Schuster John Bagford nicht in ehrenvoller Erinnerung bleiben. Das halbseitige Portrait, das Howard von ihm malte, wurde zuerst von Vertue und dann noch einmal für das Bibliographical Decameron43 graviert. Ein schlechtes Beispiel findet oft Nachahmer, und in jeder Saison tauchen ein oder zwei ähnliche Sammlungen bei öffentlichen Versteigerungen auf. Zusammengestellt wurden sie von Bibliomanen, die sich zwar selbst Bibliophile nennen, in Wahrheit aber zu den schlimmsten Bücherfeinden zählen. Illustrationen, die aus Manuskripten herausgerissen wurden Folgendes Zitat entstammt einem Auktionskatalog, der von April 1880 datiert und eine Vorstellung davon vermittelt, wie weit diese herzlosen Zerstörer zu gehen bereit sind: Illuminierte Messbücher
50 verschiedene Initialen auf Pergament; alle reich verziert und farbig. Einige sind bis zu 6 Zentimeter groß: Die Blumendekorationen sind von großer 109
Schönheit und reichen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert. Aufgezogen auf dickem Karton. Gut erhalten, 6 Pfund 6 Schilling. Diese wunderschönen Initialen sind aus verschiedenen Handschriften ausgeschnitten worden, jedes Exemplar dieser alten Kunst ist extrem wertvoll, einige würden einzeln 15 Schilling kosten. Titelblätter, die aus Büchern herausgerissen wurden Mr. Proëme ist bei Londonern Antiquaren stadtbekannt. Er ist wohlhabend und kümmert sich nicht darum, was ihn sein Bücherwahn, das Sammeln von Titelblättern, kostet. Ruchlos entfernt er sie und lässt häufig den Kadaver der enthaupteten Bücher zurück, da er dafür keine Verwendung hat. Anders als der Zerstörer Bagford hat er kein nützliches Ziel im Blick, sondern verfolgt einfach nur eine sinnlose Art des Klassifizierens. Ein Beispiel: Eine Buchreihe enthält ausschließlich Kupferstich-Titelblätter, und wehe den großen alten holländischen Folianten des 17. Jahrhunderts, wenn sie seinen Weg kreuzen. Ein anderer Band versammelt derbe, urige Titelblätter, die nur zeigen, wie idiotisch und eitel manche Autoren sein können. Dazu zählt etwa Dr. Sibs Boewls opened in Divers Sermons (1650), der sich eng anlehnt an eine Schrift mit dem Titel Die and be damned, die fälschlicherweise dem Calvinisten Huntington zugeschrieben wird. Das ist alles zu ungehobelt, um Aufhebens davon zu machen. Die seltsamen Titelblätter, die Taylor44, der »Wasser-Poet«, für seine Gedichte adaptiert hat, beleben weitere Seiten und machen einem den Mund wässrig für den Text selbst. Ein dritter Band enthält nur solche Titelblätter, die mit Druckerwerkzeugen zu tun haben. Wenn man hinsichtlich des 110
Schadens, den solche Sammler angerichtet haben, ein Auge zudrückt, kann man in gewissem Maße durchaus Genuss aus solchen Sammlungen ziehen. Denn einige Titelblätter sind wirklich gar zu schön. Ein solches Vorgehen ist aber weder nützlich noch verdienstvoll. Am Ende merkt man, dass hier mehr zerstreut als gesammelt wurde, und die Bücher, die eigentlich 200 Pfund kosten müssten, gehen für 10 Pfund an einen Händler und verschwinden schließlich in der Bibliothek von South Kensington oder in einem öffentlichen Museum, wo sie als bibliophile Kuriosität ausgestellt werden. Folgendes ist kürzlich (im Juli 1880) bei Sotheby, Wilkinson & Hodge als Teil der Dunn-Gardinier Collection (Posten 1592) versteigert worden: Titelblätter und Frontispize
Eine Sammlung von mehr als 800 gravierten Titelblättern und Frontispizen, englisch und ausländisch (einige sehr hübsch und bemerkenswert), aus alten Büchern entnommen und sauber auf Karton gezogen in 3 Bänden, zur Hälfte in Maroquin mit Goldschnitt, Folio. Rubens und seine Titelgravuren Die einzige Sammlung mit Titelblättern, die mir durch und durch Freude bereitet hat, ist ein schöner Foliant, der von den Direktoren des Plantin Museums in Antwerpen 1877 kurz nach dem Erwerb dieser wundervollen typographischen Fundgrube veröffentlicht wurde. Es heißt Titels en Portretten gesneden naar P. P. Rubens voor de Plantijnsche Drukkerij und enthält 35 große Titelblätter. Es handelt sich um Nachdrucke von originalen Druckplatten aus dem 17. Jahrhundert, die 111
Rubens persönlich zwischen 1612 und 1640 gestaltete und die für verschiedene Veröffentlichungen der berühmten Plantin-Offizin genutzt wurden.45 Im selben Museum ist auch der Betrag handschriftlich dokumentiert, den Rubens für jeden einzelnen Entwurf erhielt, da er ihn jeweils am unteren Rand quittierte. Kolophone, die aus Büchern herausgerissen wurden Vor mir liegt gerade eine schöne Ausgabe von Côclusiones siue decisiones antique dñor’ de Rota, die Gutenbergs Mitarbeiter Schöffer im Jahr 1477 gedruckt hat. Die Ausgabe ist vollständig bis auf seinen wichtigsten Teil, den Kolophon. Er wurde von einem barbarischen Sammler herausgeschnitten und sollte so lauten: »Pridie nonis Januarii Mcccclxxvij, in Civitate Moguntina, impressorie Petrus Schoyffer de Gernsheym«, gefolgt von seiner bekannten Druckermarke, den zwei Schilden. Lincoln Cathedral Eine ähnliche Manie kam Anfang des Jahrhunderts auf, als illuminierte Initialen aus Handschriften herausgetrennt und in alphabetischer Reihenfolge in leere Bücher eingeklebt wurden. Einige Dombibliotheken mussten unter solchen Verwüstungen ernsthaft leiden. In Lincoln pflegten Anfang des Jahrhunderts die Chorknaben ihre Roben in der Bibliothek anzuziehen, da sie nahe beim Chor lag. Sie enthielt zahlreiche Handschriften und acht oder zehn seltene Caxtons. Während die Jungs auf das Zeichen zum Auftritt warteten, vertrieben sie sich die Zeit, indem sie mit ihren Taschenmessern die illuminierten Initialen und Vignetten aus den 112
Büchern ausschnitten und diese dann im Chor von einem zum anderen weiterreichten. Der Dekan und das Domkapitel jener Zeit war keinen Deut besser, denn sie überließen Dr. Dibdin all ihre Caxtons zur »Betrachtung«. Er fertigte von ihnen einen kleinen Katalog an, den er das »Lincoln Gebinde« nannte. Eventuell sind die Caxtons dann in die Sammlung in Althorp übergegangen. Theuerdanck Der verstorbene Mr. Caspari war ein Buchzerstörer. Seine erlesene Sammlung früher Holzschnitte, die 1877 bei den Caxton-Feierlichkeiten ausgestellt wurde, wurde durch den Erwerb illustrierter Bücher vielfach erweitert. Ihre Bildtafeln trennte er heraus und klebte sie auf Zeichenkarton, um seine Sammlung zu bereichern. Er zeigte mir einst die Überbleibsel einer schönen Ausgabe des Theuerdanck, der entsprechend behandelt worden war. Jetzt liegen einige der Blätter, die er mir damals gab, vor mir; aufgrund ihrer schönen Gravuren und der raffinierten Typographie übertreffen sie jede typographische Arbeit, die ich kenne. Die besagte Ausgabe wurde von Johann Schönsperger für Kaiser Maximilian in Nürnberg gedruckt.46 Um das Werk einzigartig zu machen, wurden alle Punzen extra geschnitten, und von jeder Type gab es sieben oder acht Varianten. Da auch die Blumenornamente auf so kunstfertige Weise über und unter den Zeilen ausgeführt waren, bezweifelten selbst erfahrene Drucker, dass es sich bei dem Buch um ein Druckwerk handelte. Tatsächlich ist es aber ausschließlich aus Gusstypen hergestellt. Eine Ausgabe in gutem Zustand kostet mindestens 50 Pfund.
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Manuskript-Fragmente Vor vielen Jahren erwarb ich bei Sotheby’s einen größeren Posten Handschriftenblätter auf Pergament. Ein paar waren zusammengehörige Kapitel aus einem Buch, die meisten jedoch einzelne Blätter. Einige waren dadurch, dass man die Initialen herausgeschnitten hatte, so verstümmelt, dass sie nahezu wertlos waren. Aber die Seiten, die armselige oder gar keine Initialen vorzuweisen hatten, waren in gutem Zustand. Als ich so beim Sortieren war, fand ich heraus, dass ich große Teile von nahezu zwanzig verschiedenen Manuskripten besaß, zumeist Stundenbücher, die zwölf erschiedene Formen von Handschrift im 15. Jahrhundert in Latein, Französisch, Holländisch und Deutsch enthielten. Jede Sorte ließ ich separat binden, und heute bilden sie eine interessante Sammlung. Portraitsammler haben viele Bücher zerstört, indem sie das Frontispiz heraustrennten und ihrer Schatzkammer hinzufügten. Ist ein Buch erst einmal unvollständig, ist der Weg in die völlige Vernichtung vorgezeichnet. Aus diesem Grund sind Bücher wie Atkyns’ Origin and Growth of Printing von 1664 nicht mehr zu bekommen. Bei seiner Veröffentlichung hatte Atkyns’ Pamphlet ein schönes Frontispiz, das von Logan47 stammt. Es zeigt ein Portrait von König Charles II. im Verein mit Erzbischof Sheldon, dem Duke of Albermarle, und dem Earl of Clarendon. Da Portraits solcher Berühmtheiten (mit Ausnahme natürlich des Königs) extrem selten sind, haben Sammler alle Ausgaben des Atkyns aufgekauft, sobald sie angeboten wurden, und die Frontispize herausgeschnitten, um damit ihre Sammlungen zu zieren. Darum findet man, wann immer man einen Auktionskatalog alter Bücher in die Hand bekommt, in den Be114
schreibungen Formulierungen wie »Titel fehlt«, »zwei Bildtafeln fehlen« oder »es fehlt die letzte Seite«. Es ist durchaus gebräuchlich, dass in alten Handschriften gerade des 15. Jahrhunderts, ob Pergament oder Papier, die leeren Ränder weggeschnitten wurden, und zwar vom Seitenrand oder vom Fußbereich her. Mich hat das jahrelang vor Rätsel gestellt. Es rührte von der Papierknappheit in früheren Zeiten her: Wenn eine Nachricht übermittelt werden sollte, die größerer Genauigkeit bedurfte, als das ärmliche Gedächtnis des Hausboten bewerkstelligen konnte, ging der Hausherr, da er kein Papier zur Hand hatte, in die Bibliothek und schnitt von den breiten Rändern einen oder mehrere Schnipsel herunter, um den bestehenden Bedarf zu decken. Manche Bibliotheken sind fast nicht mehr zu gebrauchen Ich bin geneigt, auch solche Bibliomanen und übervorsichtigen Eigentümer zu den Bücherfeinden zu zählen, die, da sie ihre Schätze nicht mit ins Jenseits nehmen können, alles tun, um ihnen auch im Diesseits jeden Gebrauchswert zu nehmen. Wie schwierig ist es, in die ausgefallene Bibliothek des berühmten Tagebuchschreibers Samuel Pepys48 zu gelangen! Sie befindet sich im Magdalene College in Cambridge exakt in den Bücherschränken, die Pepys selbst für seine Bücher vorgesehen hat. Doch niemand erhält Zugang, außer in Begleitung zweier Mitglieder des Colleges, und wenn ein einziges Buch abhandenkommt, geht die gesamte Bibliothek auf ein benachbartes College über. Wie sehr man sich auch bemüht, entgegenkommend zu sein: offensichtlich kann niemand diese Bibliothek benutzen, weil es die Zeit der beiden Begleiter oder ihre Stimmung 115
nicht zulässt. Ähnliche Einschränkungen gibt es im Teylers Museum in Haarlem, über dessen reichhaltige Schätze lebenslange Haft verhängt wurde. Vor ein paar hundert Jahren ging eine wertvolle Büchersammlung als Schenkung an die Guildford Edowed Grammar School. Der Schulleiter wurde persönlich für die Sicherheit jedes einzelnen Bands verantwortlich gemacht; sollte eines verloren gehen, musste er es auf eigene Kosten ersetzen. Wie mir berichtet wurde, griff ein Schulleiter, um sein persönliches Risiko zu minimieren, zu folgender barbarischen Maßnahme: Sobald er in Amt und Würden war, ließ er die Fußbodendielen herausreißen und verstaute alle Bücher zwischen die Stützbalken. Dann ließ er die Dielen wieder festnageln. Was er nicht in Betracht gezogen hatte, war, dass viele Ratten und Mäuse dort ihre Nester aufschlugen. Für jedes einzelne Buch wurde er eines Tages zur Rechenschaft gezogen und konnte seiner Inhaftierung nicht entgehen. Sir Thomas Phillipps Der verstorbene Sir Thomas Phillipps aus Middle Hill war ein bemerkenswertes Beispiel eines Bibliotaphen. Er kaufte Bücherschätze einzig, um sie zu beerdigen. Sein Haus war vollgestopft mit Büchern. Er kaufte ganze Bibliotheken, ohne auch nur ein einziges Mal einen Blick darauf zu werfen. Zu seinen Erwerbungen gehörte das erste jemals in englischer Sprache gedruckte Buch, The Recuyell of the Histories of Troye, übersetzt und gedruckt von William Caxton für die Gräfin von Burgund, Schwester von Edward IV. Auch wenn es unglaublich klingt, so ist es doch wahr, dass Sir
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Thomas dieses Buch nicht mehr wiederfand, obwohl es sich zweifellos immer noch in seiner Sammlung befindet. Wen wundert das auch, wenn Kisten voller Bücher, die er zwanzig Jahre vor seinem Tod gekauft hatte, nie geöffnet wurden und die einzige Kenntnis, die er von ihrem Inhalt hatte, in einem Verkaufskatalog oder der Buchhändler-Rechnung stand.
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10. Kapitel ..............................................................
Dienstboten und Kinder Leser, bist du verheiratet? Hast du Nachwuchs, ich meine vor allem Jungs, sagen wir zwischen sechs und zwölf Jahren? Hast du außerdem zuhause eine kleine Bibliothek, in der du deine Mußestunden verbringst? Vielleicht mit einer Auswahl an Büchern, einigen nützlichen und einigen zur Zierde? Und gibt es – ah, das ist der springende Punkt! – in deinem Haushalt eine Putzfrau, deren besondere Pflicht es ist, deine Höhle abzustauben und in Ordnung zu halten? Bekennst du dich in allen Punkten für schuldig? Dann bin ich sicher, einen verständnisvollen Leidensgenossen gefunden zu haben. Eine Bibliothek wird zum Staubwischen überfallen Staub, das ist doch nur ein Wahn. Es ist nicht der Staub, der Frauen so begierig macht, in die hintersten Winkel deines Heiligtums einzudringen – es ist die tief verwurzelte Neugier. Und diese weibliche Schwäche, die von Eva herrührt, ist in den Erzählungen unserer ältesten Dichtungen und der Volksliteratur ein weit verbreitetes Motiv. Was ließ Fatima so sehr darauf brennen, den Inhalt des Raums kennenzulernen, den Blaubart ihr verboten hatte? Er ging sie absolut nichts an, und sein Inhalt erregte bei niemandem auch nur das geringste Ärgernis. Diese Geschichte hat eine traurige Moral, 118
und es wäre in verschiedenen Hinsichten befriedigender gewesen, wenn die Heldin gleich ihren Platz in der blutigen Kammer neben ihren sündigen Vorgängerinnen eingenommen hätte. Warum muss das Weibervolk (Gott vergib mir!) das Innerste der Bibliotheken seiner Männer behelligen, ob es da nun staubig sei oder nicht? Das Spielzimmer meiner Jungs, in dem es eine Hobelbank, eine Drehbank und endlosen anderen Kram gibt, wird nie aufgeräumt – vielleicht ist das schlicht unmöglich oder ihr jugendlicher Elan lässt es nicht zu. Aber mein Arbeitszimmer muss unbedingt jeden Tag abgestaubt werden, und zwar mit dem irreführenden Versprechen, dass jedes Buch und jedes Blatt Papier anschließend wieder genau da sein wird, wo es hingehört. Der Schaden, der durch eine derartige Dauerbehandlung entsteht, ist unkalkulierbar. Zu bestimmten Zeiten werden diese Riten strenger eingehalten als zu anderen. Besonders sollte der Buchliebhaber, ob verheiratet oder ledig, sich vor den Iden des März in Acht nehmen. Sobald der Februar vorbei ist, ergreift ein Gefühl von Unruhe die Seele der Hausfrau. Es nimmt von Tag zu Tag zu und erreicht seinen Höhepunkt um die Mitte des Monats. Zu diesem Zeitpunkt bekommst du die ersten Winke zu hören, ob du nicht vielleicht für ein oder zwei Tage das Haus verlassen möchtest. Gott behüte! Das Fieber mit dem Namen »Frühjahrsputz« ist wieder ausgebrochen, und wenn du nicht widerstehst, wirst du es bereuen. Geh weg, wenn es denn die Schicksalsgöttinnen wollen, aber nimm den Haustürschlüssel mit! Wie man Staub los wird Ich bitte, mich nicht misszuverstehen. Nicht einen Moment will ich den Advocatus Diaboli für Staub und Schmutz geben. Sie bleiben Feinde und gehören verbannt. Aber die notwen119
dige Verbannung sollte in deiner Anwesenheit geschehen. Weise darauf hin, wo Sorgfalt walten muss und in welchen Fällen Vorsicht die wichtigste Tugend ist. Und wenn es gelingt, nur eine Eva in der Familie zur Ehrfurcht vor Büchern zu erziehen, bist du ein glücklicher Mann. Ihr Wert übersteigt den von Rubinen, und sie wird dein Leben verlängern. Zum Reinigen müssen Bücher hin und wieder aus den Regalen genommen werden, aber man sollte sie liebevoll und mit Sachverstand behandeln. Wenn das Abstauben außerhalb des Zimmers geschehen kann, umso besser. Sind die Bücher ausgeräumt, sollten die Regalböden aus ihren Halterungen gehoben, gesäubert und abgewischt werden. Anschließend sollte man jedes Buch einzeln hernehmen, um den Rücken und die Seiten mit einem weichen Lappen vorsichtig abzureiben. Beim Zurückstellen der Bücher an ihren Platz sollte auf die Bindung geachtet werden. Besonders, wenn die Bücher komplett in Kalbsleder oder Maroquin gebunden sind, ist darauf zu achten, dass sie nicht aneinander reiben. Die besten gebundenen Bücher werden am schnellsten beschädigt und verderben schnell in schlechter Gesellschaft. Bestimmte Bücher haben einfach einen schlechten Charakter und zerkratzen die Gesichter all ihrer Nachbarn, die ihnen zu nahe kommen. So verhält es sich mit Büchern, die Metallverschlüsse und Nieten an den Rändern haben. Und ebenso verhält es sich mit den scheußlichen alten Gaunern, die vorwiegend im 15. Jahrhundert das Licht der Welt erblickten, stolz auf ihre echten Deckel mit messingbeschlagenen Ecken sind und ihr Leben mit fürchterlichen Knöpfen und Metallbeschlägen zubringen, meistens fünf an der Zahl, die fest an einer der Seiten angebracht sind. Wenn die Neigungen solcher Gauner nicht im Zaun gehalten werden, richten sie in ihrer sanftmütigen Nachbarschaft so viel Schaden an wie ein schottischer Schäferhund, der ein Schaf 120
erschreckt. Solche üblen Resultate lassen sich minimieren, indem man ein Stück Pappe zwischen den Täter und seine Opfer platziert. Ich habe wirklich schöne Einbände gesehen, die von solch unheimlichen Nachbarn übel zugerichtet wurden. Wie man abstauben sollte Wenn deine Bücher verstaubt sind, vertraue nicht auf den gesunden Menschenverstand deiner Helfer. Gehe davon aus, dass sie keine Ahnung haben, und erkläre ihnen, dass sie niemals ein Buch an seinem Einband hochheben dürfen. Dieses Vorgehen strapaziert mit Sicherheit den Buchrücken, man schätzt in diesem Augenblick so gut wie immer das Gewicht falsch ein, und das Buch fällt unweigerlich herunter. Deine weibliche »Hilfe« mag es sicher sehr, wenn sie einen schönen hohen Bücherstapel abarbeiten kann. Allerdings ist ihre Vorstellung vom Schwerpunkt in der Regel nicht sonderlich genau, was häufig zu einem vollständigen Zusammensturz und zur Beschädigung vieler Buchecken führt. Nochmals: ohne Anleitung und Überwachung bringt sie es fertig, den Staub ins Buch hinein zu kehren statt hinaus. Jedes Buch sollte gut festgehalten werden, um das Auseinanderklaffen der Seiten zu verhindern. Dann sollte man von der Rück- zur Vorderseite wischen. Wenn viel Staub anfällt, ist ein weicher Handbesen hilfreich. Die gesamte Außenseite sollte mit einem weichen Tuch abgerieben werden. Hierauf sollte man das Buch öffnen und die Scharnierstellen der Bindung untersuchen, denn Mehltau kann sich hartnäckig sowohl innen als auch außen am Buch festsetzen. Es gibt da unerklärliche Vorlieben und Abneigungen. Einige Bindungen ziehen Feuchtigkeit magisch an, und der Mehltau schlägt zu, obwohl kein anderes Buch im Regal befallen wird. Wird 121
Mehltau entdeckt, muss er vorsichtig weggewischt werden. Dann lässt man das Buch ein paar Tage offen liegen, und zwar am trockensten und luftigsten Ort, den man finden kann. Größte Vorsicht muss man walten lassen, damit kein Sand von einer staubigen Straße durchs offene Fenster gerade auf dem Staubwedel landet, denn sonst gibt es auf dem glatten Kalbsleder wahrscheinlich feine Kratzer, die aussehen wie eine Landkarte von Europa und nicht nur das Buch, sondern auch Auge und Herz verwunden. »Helfer« sind auch imstande, die Regale zu voll zu packen, so dass man Gewalt gebrauchen muss, um ein Buch herauszuziehen, und damit die Kapitalbänder beschädigt. Diesen Fehler sollte man vermeiden. Er kommt häufig vor, wenn man nicht darauf achtet, an jedem Ende eines Regalbodens in der Nähe der verstellbaren Regalträger ein niedriges Buch zu postieren. Damit lässt sich nicht nur Platz sparen, sondern es hilft auch zu vermeiden, dass regalhohe Bücher beschädigt werden, wenn ungleicher Druck ausgeübt wird. Der beste Ratgeber in dieser Hinsicht ist und bleibt der »gesunde Menschenverstand«. Das ist eine Charaktereigenschaft, die in früheren Zeiten deutlich verbreiteter gewesen sein muss als heutzutage, sonst wäre der Begriff ja nicht sprichwörtlich geworden. Kinder beschädigen häufig Bücher In all ihrer Unschuld machen Kinder sich häufig des Büchermords schuldig. Ich muss zugeben, dass ich einst Humphrey’s History of Writing mit seinen vielen herrlich kolorierten Seiten hergenommen habe, um eine kranke Tochter aufzuheitern. Das Ziel habe ich zwar erreicht, aber die Auswirkungen waren katastrophal. Diese Ausgabe (die ich glücklicherweise ersetzen konnte) wurde, obwohl ich sehr achtgegeben habe, 122
beschmutzt und verschlissen und starb am Ende im Kinderzimmer den Märtyrertod. Kann ich es verschmerzen? Wohl kaum. Obwohl, wer will das Vergnügen, das die Betrachtung der wunderschönen Farbtafeln bei der kleinen Patientin auslöste, gegen die Schmerzen aufwiegen, die durch die Buchversündigung bereitet wurden? Beispiele Einer meiner Nachbarn litt vor ein paar Jahren ernsthaft an der unwiderstehlichen Neigung einer seiner Töchter, die Bücher in seiner Bibliothek zu zerfetzen. Sie war sechs Jahre alt, schlich sich still und heimlich ans Bücherregal und zog ein oder zwei Bücher heraus. Sie riss ungefähr ein Dutzend Seiten mitten heraus und stellte die Bücher samt den Fragmenten dann wieder an ihren Platz. Der Schaden blieb auf diese Weise unentdeckt, bis die Bücher das nächste Mal gebraucht wurden. Vorhaltungen, Rügen und selbst Bestrafung waren vergeblich. Eine Tracht Prügel verschaffte dann aber Abhilfe. Jungs sind allerdings deutlich zerstörerischer als Mädchen und haben keinerlei Achtung vor dem Alter, weder bei Menschen noch bei Büchern. Wer fürchtet sich nicht vor Schulbuben, die ihr erstes Taschenmesser bekommen? Wie Wordsworth nicht gedichtet hat: Du spürst ihn oftmals durch die Narben auf, Welche sein Wirken hinterlassen hat In unsern Büchern und unsern Regalen. Der, der mit seinem Taschenmesser schneidet In unglückliche Seiten großer Werke ’nen Zettel hier, ein Bändchen da, entwendet.49
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Große Freude bereiten sie uns auch, wenn sie, den Mund mit Süßigkeiten vollgestopft und die Finger klebrig, die Bücher aus den unteren Regalböden herauszerren. Was wissen sie schon von dem Schaden und dem Schmerz, den sie damit anrichten? Der ein oder andere möchte wohl sein Weh hinausweinen und als Entschuldigung fürs falsche Maß Horaz zitieren: Großer Ekel schlägt auf den Magen, wenn ein Knabe Bücher mit fettigen Händen begrapscht.50 Eine Geschichte von Jungs in einer Landhaus-Bibliothek Was Jungs anrichten können, kann man aus folgender wahrer Geschichte erfahren, die mir ein Briefpartner als unmittelbar Leidtragender mitgeteilt hat: Eines schönen Sommertags traf er in der Stadt einen Bekannten, der vor Jahren ins Ausland gegangen war. Da dessen Appetit auf alte Bücher sich nicht verringert hatte, lud er ihn ein. Als Vorspeise sollte es geistige Nahrung in Gestalt einiger Leckerbissen aus dem 15. Jahrhundert geben, bevor man zu trivialeren Genüssen übergehen wollte. Er wohnte in den Londoner Außenbezirken in einem alten Haus, dessen Architektur bereits den Eindruck von Frakturschrift und Ledereinbänden erweckte. Es regnete heftig, und als sie sich dem Haus näherten, drang lautes Gelächter an ihre Ohren. Die Kinder feierten mit ihren Freunden Kindergeburtstag. Der Regen machte das Spielen im Freien unmöglich, und da sie vielleicht zu sehr sich selbst überlassen waren, drangen sie in die Bibliothek vor. Die Schlacht von Balaclawa war gerade vorbei, und der Heldenmut der Soldaten in dem hartumkämpften Gefecht war in aller Munde.51 124
Kinder
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Also teilten die bösen kleinen Teufel sich in zwei Gruppen ein, in Briten und Russen. Die russische Division lag hinter der Tür und verschanzte sich hinter alten Folianten und Quartbänden, die sie den unteren Regalböden entnommen und zu einer Barrikade von über einem Meter aufgetürmt hatte. Der Schutzwall bestand aus Kirchenvätern, Chroniken aus dem 15. Jahrhundert, Regionalgeschichte, Chaucer, Lydgate und Ähnlichem. Ein paar Meter weiter lagen die britischen Einheiten, die sich mit einem Haufen schmaler Bücher bewaffnet hatten, um sie als Geschosse zu nutzen und den Feind mit ihnen unter Trommelfeuer zu nehmen. Man stelle sich die Szenerie vor! Zwei gesetzte Gentlemen treten ein, und der Paterfamilias bekommt als erstes völlig unerwartet eine Erstausgabe von Paradise Lost in die Magengrube geschossen. Sein Freund wiederum entgeht nur knapp einer näheren persönlichen Bekanntschaft mit einem HamletQuarto, als er sie jemals zuvor gemacht hat. Das Finale: ein großer Wutanfall, schneller Rückzug der kämpfenden Truppen und viele Verletzte (Bücher), die auf dem Schlachtfeld zurückblieben.
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Postskriptum
Anekdote über einen Bücherkauf in Derbyshire Obwohl die folgende Anekdote genau genommen keinen echten Fall von Bücherschädigung illustriert, ist sie doch so anschaulich und in den Tagen extravaganter Versteigerungen so verlockend, dass ich den Weg der reinen Lehre hier mal verlassen muss, um sie hier in Erinnerung zu rufen. Mitgeteilt hat sie mir als persönlichen Erfahrungsbericht mein Freund Mr. George Clulow, ein sehr bekannter Bücherfreund. Sie datiert aus dem Jahr 1881. Er schreibt: In Bezug auf den Gainsborough-Fund, von dem du in den »Bücherfeinden« erzählst, will ich dir von einer eigenen Erfahrung berichten, die zwanzig Jahre zurückliegt: Eines schönen Abends bekam ich im Haus meines Vaters einen Versteigerungskatalog zu Gesicht, in dem Möbel, landwirtschaftliches Gerät und Bücher zum Kauf angeboten wurden. Die Versteigerung war für den nächsten Morgen im Gemeindesaal von Derbyshire angekündigt, etwa sechs Kilometer von der nächsten Bahnstation entfernt. Es war Sommer, die schönste Zeit auf dem Lande, und in Erwartung eines alten Buches beschloss ich, 127
mir einen Tag frei zu nehmen. Am nächsten Tag um acht Uhr morgens bestieg ich den Zug nach C… Meine Pläne änderten sich dann aber, denn ich war fünf Kilometer nach Westen gelaufen, bevor ich feststellte, dass mein Ziel fünf Kilometer östlich der Bahnstation lag. Ich kam gegen Mittag am Gemeindesaal an. Dort hielten sich schon dreißig oder vierzig Landwirte aus der Nachbarschaft auf, außerdem ihre Ehefrauen, Knechte und Mägde, die sich alle offenbar eher darauf eingestellt hatten, den Tag zu verbummeln als Geschäfte zu machen. Die Versteigerung war für Mittag angekündigt, aber der Auktionator ließ sich erst eine Stunde später blicken. Die erste Maßnahme, die er durchführte und zu der er mich als Assistenten einlud, war ein herzhaftes Mahl aus Brot, Käse und Bier im Gemeindesaal. Anschließend begann der geschäftliche Teil mit einem bunten Sortiment aus Töpfen, Pfannen und Kesseln, gefolgt von Bettzeug usw., das der Öffentlichkeit zum Kauf angeboten wurde. Der Katalog hatte die Bücher als ersten Teil der Auktion angeführt. Als es drei Uhr wurde, war meine Geduld am Ende, und ich protestierte, weil der Auktionator die Versteigerung nicht so durchführte wie angekündigt. Er antwortete, es stünde nicht genug Zeit zur Verfügung und die Bücher kämen erst am folgenden Tag dran. Das war zu viel für mich. Ich warf ihm vor, dass er das Vertrauen seiner Kunden verspielt und mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach C… gelockt habe. Das tat aber offensichtlich seiner guten Laune keinen Abbruch und betrübte ihn nicht. Statt mir zu antworten, rief er »Bill«, der als Pförtner fungierte, und wies ihn an, dem Gentleman den Schlüssel zum »Bücher128
raum« zu geben und jedes Buch, das ich aussuchen würde, herunter zu schaffen; dann würde er es versteigern. Ich folgte »Bill« und fand mich in einer gemütlichen Ecke einer Bibliothek wieder, die vollgestopft mit alten Büchern war, hauptsächlich solche geistlichen Inhalts, aber auch eine große Zahl vermischter Literatur aus dem 16. Jahrhundert, englisch und fremdsprachig. Ein kurzer Blick über die Regale brachte etwa dreißig Bücher in Frakturschrift zum Vorschein, drei oder vier illuminierte Messbücher und einige Buchraritäten jüngeren Datums. »Bill« trug sie die Treppe runter, und ich staunte, was nun geschah. Buch für Buch, in Stapeln von zwei oder drei, kam meine Auswahl in rascher Folge unter den Hammer, zu Preisen zwischen 1,60 Schilling und 3,60 Schilling. Die letztere Zahl schien das äußerste Limit für den Spekulationsdrang meiner Mitbieter zu sein. Der Leckerbissen des ganzen Postens wurde vom Auktionator zurückgehalten, weil es sich um ein »schönes Buch« handle. Langsam bekam ich Respekt vor seinem literarischen Urteil, denn das »schöne Buch« war eine großformatige Ausgabe von Dibdins Bibliographical Decameron in drei Bänden mit dem Originaleinband. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass ich, einschließlich dieses reizenden Buches, nicht mehr als 13 Pfund ausgegeben und dafür eine schöne Wagenladung voller Bücher erhalten habe. Das überstieg bei weitem meine Erwartungen! Zuhause habe ich sie »aussortiert«, und dieses »Aussortieren« ergab, dass meine Neuerwerbungen das Vierfache der gezahlten Summe wert waren. Es waren einige echte Bücherschätze darunter. Einige Wochen später erfuhr ich, dass die Überbleib129
sel der Bücher buchstäblich wie überflüssiger Müll behandelt wurden. Man hatte sie in die Nachbarstadt geschafft, wo sie im Ladenlokal eines Flickschusters zu sechs Pence das Stück verschleudert werden sollten. Die Neuigkeit drang an das Ohr eines alten Buchhändlers aus einer größeren Stadt, und ich vermute, er hat den ganzen Posten abgeräumt. Ein so eigenartiges Beispiel völliger Ignoranz aufseiten der Verkäufer ebenso wie auf Seiten der möglichen Käufer ist, meine ich, der Erwähnung wert. Wie wird der geneigte Leser wohl im Jahr der Gnade 1887 eine solche Erfahrung aufnehmen?
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Fazit
Welche Pflege Bücher verdient hätten Es ist eine Schande, dass so viele ausgesprochene Feinde am Werk sind, Literatur zu vernichten, und dass sie ihr Werk so oft zu einem traurigen Ende bringen können. Wenn man es recht besieht, ist der Besitz alter Bücher eine heilige Verpflichtung, und ein gewissenhafter Eigentümer oder Wächter wird sie ebenso wenig vernachlässigen wie Eltern ihre Kinder. Ein altes Buch ist, ungeachtet seines Themas oder seiner inneren Werte, ein Stück nationaler Geschichte. Wir können es vielleicht imitieren und als Faksimile drucken, aber wir können es nie exakt reproduzieren. Als historisches Dokument muss es sorgfältig konserviert werden. Das Vergnügen, das sie bereiten Den Menschen beneide ich nicht, dem jedes Feingefühl fehlt, der das Andenken seiner Vorfahren nicht ehrt und dessen Blut nur in Wallung gerät, wenn er über Pferde oder den Hopfenpreis sprechen kann. Einem solchen Menschen bedeutet Einsamkeit Langeweile, und er wird die Gesellschaft jedes Dahergelaufenen der eigenen vorziehen. Was solche Menschen an stillem Genuss und geistiger Erholung versäumen! Selbst ein Millionär lindert seine Leiden, verlängert sein Leben und vermehrt sein tägliches Vergnügen um hun131
dert Prozent, wenn er Bücherliebhaber wird. Denn was bedeutet es gerade für einen Geschäftsmann, der im täglichen Lebenskampf mit all seinen Verwerfungen und Ängsten steht, einen Sinn für Bücher zu haben! Was für eine gesegnete Zeit vergnüglicher Erholung bricht für ihn an, wenn er sein Heiligtum betritt, in dem jeder Aufsatz ihn willkommen heißt und jedes Buch ein persönlicher Freund ist!
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Anmerkungen
1 Blades begründet hier in einer ausführlichen Fußnote seine Umrechnung von 50 000 Groschen in 50 000 römische Denare bzw. 18 750 Pfund. (Anm. d. Übers.) 2 Der Asiarch (griech. »Herrscher von Asien«) war der Bevollmächtigte der römischen Provinz Asia. Er stand dem Provinzlandtag vor und veranstaltete die öffentlichen Spiele zu Ehren der Götter. (Anm. d. Übers.) 3 Die Londoner Paternoster Row war das Zentrum des Verlagswesens und der Buchhändler. Durchaus passend zum Thema: Die Straße wurde durch deutsche Luftangriffe während des 2. Weltkriegs zerstört und nach dem Krieg durch den Paternoster Square ersetzt. (Anm. d. Übers.) 4 Die Cotton Bibliothek war eine private Sammlung von Sir Robert Bruce Cotton (1571–1631), die die Basis der British Library bildete. Zu Zeiten ihrer Gründung wurde sie von den führenden Köpfen des Landes aufgesucht, wie z. B. Francis Bacon, Walter Raleigh oder James Ussher. (Anm. d. Übers.) 5 Antikatholische Proteste, die nach ihrem Anführer, dem Politiker Lord George Gordon (1751–1793) benannt sind. (Anm. d. Übers.) 6 Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Sammlung von George Offor (1767–1864) gemeint. (Anm. d. Übers.) 7 John Bunyan (1628–1688) war englischer Baptistenprediger und Schriftsteller. (Anm. d. Übers.) 8 Puttick & Simpson’s war ein bekanntes Londoner Auktionshaus (Anm. d. Übers.) 9 Dies wurde 1879 geschrieben; in der Zwischenzeit ist ein neues Gebäude errichtet worden. 10 Die London Institution ist eine Bildungseinrichtung, die als Vorläuferin der University of London gilt. (Anm. d. Übers.) 11 1887. Noch ist das ,Siemens-System‘ in Gebrauch, aber aufgrund langjähriger Erfahrung und Verbesserungen weist es die oben erwähnten Schwächen nicht mehr auf. 12 Richard de Bury (1287–1345), war Bischof von Durham und ein im Mittelalter berühmter Büchersammler. Sein Philobiblon ist das erste Buch über Bücherliebhaberei. (Anm. d. Übers.) 13 Léopold Derome: Le luxe des Livres. Paris 1879.
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14 Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war es üblich, Bücher als »Loseblatt-Sammlungen« zu kaufen und selbst zum Buchbinder zu bringen und mit einem Einband eigener Wahl versehen zu lassen, was aber offenbar nicht immer geschah. (Anm. des Übers.) 15 Edmond Werdet: Histoire du Livres en France. Paris 1851. 16 Die Bibliothèque Mazarine ist die älteste öffentliche Bibliothek Frankreichs, benannt nach ihrem Stifter, dem italienischstämmigen Kardinal Jules Mazarine (1602−1661), und gehört heute zur Bibliothèque nationale de France. (Anm. d. Übers.) 17 Die Legenda aurea ist eine Sammlung von Lebensbeschreibungen der Heiligen, die im Mittelalter eine Art »bestseller« war. (Anm. d. Übers.) 18 Die Canterbury Tales sind eine mittelalterliche Novellensammlung, die zu den ältesten Sprachschätzen der englischen Volkssprache zählen. (Anm. d. Übers.) 19 Rood und Hunte waren im 15. Jahrhundert die ersten Drucker Oxfords. (Anm. d. Übers.) 20 Vermutlich ist Johannes Latterburys Liber moralium super threnis Jeremiae gemeint, das bei Theodoric Rood 1482 in Oxford in Druck ging. (Anm. d. Übers.) 21 Populäre Essay-Sammlung über Jagd und Heraldik, die 1486 in der St. Albans Press in England gedruckt worden war. (Anm. d. Übers.) 22 Hier handelt es sich wohl um Sir Charles Henry John Anderson: Ancient models, or, Hints on church-building. London 1841. (Anm. d. Übers.) 23 John Leland, lat. Johannes Lelandus (1506–1552), war britischer Geistlicher und der Bibliothekar von König Heinrich VIII. Sein Hauptwerk History and Antiquities, das sich unter anderem mit dem richtigen Umgang mit Büchern beschäftigt, konnte er nicht vollenden, weil er zuvor dem Wahnsinn verfallen war. (Anm. d. Übers.) 24 Die Ordensgemeinschaft der Rekollekten wurde 1480 von Jean de Puebla in Spanien gegründet und war ein reformierter Zweig des Franziskanerordens. (Anm. d. Übers.) 25 Der Antiquar Sir Charles Edmonds fand in einer Dachkammer der Lamport Hall in Northampton unter anderem verschollen geglaubte Editionen von Shakespeare-Gedichten und Dramen von Christopher Marlowe. (Anm. d. Übers.) 26 Nell Gwyns privates Haushaltsbuch zählte dazu. Es enthielt einige kuriose Einzelheiten zu dem Thema, was eine fürstliche Hofhaltung zu Zeiten Charles’ I. benötigte. Glücklicherweise zählte es zu den geretteten Werken und ist heute Teil einer Privatbibliothek. 27 Thomas Parnells (1679–1717) war irischer Theologe, dessen lateinische Poems posthum von Pope herausgegeben wurden. Im zitierten Gedicht spielt er auf die Liebesgedichte (Carmina) des römischen Dichters Catull an (dessen Carmen III er fast wörtlich zitiert). Lesbia ist der Name der Frau, die Catull in seinen Gedichten besingt. Es handelt sich um die 94 v. Chr. geborene Claudia, eine der drei Schwestern des Publius Clodius Pulcher. (Anm. d. Übers.)
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28 James Joseph Sylvester: The laws of verse: or principles of versification exemplified in metrical translations (…). London 1870, S. 113 Fußnote. (Anm. d. Übers.) 29 Nicht ganz! Diverse Briefpartner haben meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass Hooke offensichtlich ein Silberfischchen gezeichnet hat. Die sind zwar keine echten Buchschädlinge, werden aber häufig an warmen Orten im Haus gefunden, besonders wenn es ein bisschen feucht ist. Hooke hielt das Fischchen versehentlich für einen Bücherwurm. 30 John Hannett: Bibliopegia, or, The art of bookbinding in all its branches. London 1848. (Anm. d. Übers.) 31 Gemeint ist vermutlich die englische Schriftstellerin Margaret Gatty (1809–1873). Bei ihren Parables from Nature (1855–71) handelt es sich um Geschichten für Kinder. (Anm. d. Übers.) 32 Anicius Manlius Severinus Boethius (480/85–524/26), spätantiker römischer Philosoph. Sein berühmtestes Werk ist die Consolatio philosophiae (Der Trost der Philosophie), ein Werk über praktische Lebensethik. Unter dem Gotenkönig Theoderich des Hochverrats angeklagt, verurteilt und hingerichtet. (Anm. d. Übers.) 33 Die Hauptbibliothek der Universität Oxford. (Anm. d. Übers.) 34 Sir John Lubbock, Baron von Avebury (1834–1913), war sowohl Anthropologe als auch Insektenkundler und darum auch nacheinander Präsident der Ethnologischen wie der Entomologischen Gesellschaft. (Anm. d. Übers.) 35 Luther Ringwalt: American Encyclopaedia of Printing. 8vo. Philadelphia 1871. 36 Hier wurde das lateinische »timore nocturni« (vor nächtlichem Schrecken) mit »bugges by night« (vor nächtlichen Geistern, Gespenstern) übersetzt und somit eine Nähe zu »bugs« (Wanzen, Käfer) hergestellt. (Anm. d. Übers.) 37 Robert Owen, englischer Naturforscher (1804-1892), der stark zur zoologischen Nomenklatur beigetragen hat. Unter anderem stammt von ihm die Bezeichnung »Dinosaurier«. (Anm. d. Übers.) 38 William Thomas Lowndes: The Bibliographer’s Manual of English Literature. London 1834, S. 1833; laut Lowndes ist nicht besagter John Frith, sondern eben der Theologe Richard Tracie Autor des genannten Werks. (Anm. d. Übers.) 39 William Kirby/William Spencer: An Introduction to Entomology (Eine Einführung in die Insektenkunde). London 1922–26. (Anm. d. Übers.) 40 Wilhelm von Mecheln, aus Belgien stammend, ist einer der englischen Frühdrucker des 15. Jahrhunderts. (Anm. d. Übers.) 41 Jean Froissart (ca. 1337–ca. 1405) beschreibt in seinen Chronicles die Anfänge des Hundertjährigen Kriegs. (Anm. d. Übers.) 42 Joseph Moxon (1627–1691), ein Drucker zu Zeiten König Charles II., war berühmt für seine mathematischen Bücher, Karten, Globen und mechanische Werkzeuge. (Anm. d. Übers.) 43 Das Bibliographical Decameron (Ten days pleasant discourse upon illuminated manuscripts, and subjects connected with early engraving, typography, and bibliography) ist eine 3-bändige Sammlung zur Bibliophilie, die der englische Philologe Thomas Frognal Dibdin 1817 herausgegeben hat. Dibdin wird weiter
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oben von Blades schon gescholten, weil sein Wissen oft eher vom Hörensagen herstammt. (Anm. d. Übers.) John Taylor, ein Dichter der Shakespearezeit (1578–1653), arbeitete eine Zeit lang als Fährmann auf der Themse und nannte sich darum selbst den »WasserPoeten«. Christoffel Plantijn (1520–1589) war einer der einflussreichsten Buchdrucker und Verleger des 16. Jahrhunderts. Das Plantin-Moretus-Museum in Antwerpen geht auf seine Druckerei zurück und ist die einzig erhaltene Buchdruckerei der Renaissance und des Barock, weswegen sie im Jahr 2005 von der UNESCO als erstes Museum in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden ist. (Anm. d. Übers.) Tatsächlich wurde der Theuerdanck in Augsburg gedruckt. Er gilt als das schönste bibliophile Buch der Welt. (Anm. d. Übers.) Berühmter Kupferstecher, der für seine Portraits gekrönter Häupter berühmt war. (Anm. d. Übers.) Samuel Pepys (1633–1703) war eine hochgestellte Persönlichkeit im England des Königs Karl II. Berühmt geworden ist er durch seine Tagebücher, in denen er neben politischen Ereignissen vor allem auch persönliche und erotische Erfahrungen mitteilte. Seine gesamte Bibliothek mitsamt den 3100 Seiten schweren Tagebüchern vermachte Pepys der Universitätsbibliothek von Cambridge, wo die in einer Geheimschrift notierten Aufzeichnungen erst 1818 gefunden und entschlüsselt wurden. (Anm. d. Übers.) Blades parodiert hier das Großpoem Excursion des britischen Romantikers William Wordsworth (1770–1850). Die Vorlage findet sich in Buch 3, Vers 174–180 (Blades gibt irrtümlich Buch 3, Vers 83 ff. an). (Anm. d. Übers.) Parodie auf Horaz’ Satiren (Buch II, Sat. 4, Vers 78 f.). (Anm. d. Übers.) Eine Schlacht im Krimkrieg während der Belagerung Sewastopols im Jahr 1854. (Anm. d. Übers.)
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