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German Pages 83 [84] Year 1990
JOHANN BAPTIST MÜLLER
Deutschland und der Westen
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 55
Deutschland und der Westen Von
J ohann Baptist Müller
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Müller, Johann Baptist:
Deutschland und der Westen I von Johann Baptist Müller.Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 55) ISBN 3-428-06777-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union. GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-06777-0
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Deutschlands politische Entwicklung als illiberaler Irrweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Deutschlands Illiberalismus als legitime antiwestliche Ordnungsvorstellung und Politikpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 IV. Interferenz und Kongruenz zwischen dem deutschen und dem westlichen Politikprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 V. Die Bundesrepublik Deutschland als Erbin liberaler Politiktradition . . . . . . . . . . 68 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
I. Einleitung Das Konstruktionsmuster, das der Interpretation des Verhältnisses zwischen dem deutschen und dem westlichen 1 politischen Denken und der jeweiligen politischen Kultur zugrunde liegt, ist von verwirrender Vielfalt. Im Fokus der Aufmerksamkeit der mit dieser Problematik beschäftigten Historiker und Politologen steht die Frage, ob bei diesem Verhältnis die Gegensätze überwiegen oder die Gemeinsamkeiten stärker ins Gewicht fallen. Die Antworten fallen ausgesprochen vielfacettiert aus. Die einen betonen die Distanz zwischen den beiden politischen Kulturen und gehen im Anschluß an Helmuth Plessner davon aus, daß Deutschland als "verspätete Nation" 2 zu gelten habe. Es sei dem Einfluß der Aufklärung und dem Liberalismus nie so ausgesetzt gewesen, wie das bei den westlichen Nationen der Fall ist 3• Stattdessen habe die Begeisterung für ganzheitlich-konservative Politikideale alles Individualistische und Liberale im Keim erstickt. Für die Anhänger dieser Interpretationsrichtung waren die Deutschen "zugleich Staatsanbeter und Verächter der Politik" 4 • Die in Rede stehende Differenz zwischen der deutschen und der westlichen politischen Kultur wurde aber auch in einem positiven Lichte bewertet. Vor allem die Parteigänger des deutschen Antiliberalismus wiesen und weisen dankbar darauf hin, daß Deutschland das Schicksal erspart blieb, Opfer des westlichen Staatsdenkens und seiner Politikgestaltung zu werden. Eine dritte Interpretationsschule geht davon aus, daß der Gegensatz zwischen westlicher und deutscher politischer Kultur zu stark betont werde bzw. überhaupt nicht besteht. Bei Lichte besehen schrumpften diese so maßlos übertriebenen Divergenzen zu einer quantite negligeable zusammen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Überzeugung, daß der Gegensatz zwischen der deutschen und der westlichen Politischen Kultur in der Tat zu stark betont wurde und wird. Diese Abhandlung ist nicht zuletzt auf die Anstrengung ausgerichtet, Argumente und Gegenargumente minuziös nachzuzeichnen, um auf diese I Vgl. dazu Kurt Goldammer, Der Mythus von Ost und West. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Betrachtung. München/Basel 1962. 2 Helmuth Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes. Stuttgart 1959. 3 Ebd., S. 42 und passim. 4 Kar/ Buchheim, Die Staatsverdrossenheit der Deutschen. Rückblick und Ausblick, in: Zeitwende. Die neue Furche, 28 ( 1957), S. 368. Vgl. dazu auch Klaus Eder, Geschichte als Lemprozeß? Zur Pathogenese politischer Modernität in Deutschland. Frankfurt am Main 1985, S. 380.
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I. Einleitung
Weise selektiven Wahrnehmungen und auf ihnen basierenden verzerrten Wirklichkeitsdarstellungen auf die Spur zu kommen. Dadurch soll eine Position gewonnen werden, die parteiische Forschungsanstrengungen meidet und einer wirklichkeitsadäquaten Analyse das Wort redet. Dabei wird in dieser Abhandlung auch mit dem Bewußtsein zu Werke gegangen, daß die entscheidenden Determinanten des historischen und politischen Prozesses nur schwer zu ermitteln sind 5 • Die Geschichte eines Volkes spiegelt sich im Koordinatensystem unterschiedlichster Bestimmungsfaktoren und gehorcht einer so multikausalen Dynamik, daß eine eindimensionale Historiographie6 notwendigerweise Schiffbruch erleidet. Der Autor dieser Abhandlung hofft, daß aus solcher Bescheidung die Überzeugungskraft seines Essays fließt. Ihm geht es nicht zuletzt darum, die These von der strikt determinierten Unheilsentwicklung der deutschen Geschichte zurückzuweisen. Er sieht den Nationalsozialismus keineswegs als notwendiges Produkt der deutschen Geschichte an. Er teilt die Auffassung von George L. Mosse, daß das, "was in vielen Nationen, wie beispielsweise in Fankreich, latent war, ... schließlich in Deutschland an die Macht" kam 7 • Aus diesem Grunde weist der Verfasser dieses Essays auch die Behauptung Nahum Goldmanns keineswegs kategorisch zurück, ein "irrationales und einzigartiges Phänomen wie die Verbrechen Adolf Hitlers könne überall vorkommen" 8 • Daß ein skeptisches Interpretationsmuster dem dogmatischen Zugriff vorgezogen wird, schließt jedoch keineswegs das Eingeständnis historischer Schuld aus. Bei den Wertungsgrundsätzen dieser Abhandlung hat keineswegs der ethische Relativismus Pate gestanden. So läßt sich mit Friedrich Meinecke sagen: "Das Dritte Reich war nicht nur das größte Unglück, das dem deutschen Volke in seiner Geschichte widerfuhr, sondern auch seine größte Schande" 9 • Der Nationalsozialismus offenbarte sich als der Versuch, der abendländischen Tradition das s Vgl. dazu Johann Baptist Müller, Determinanten politischer Entscheidung. Berlin 1986 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Bd. 68). 6 Ausgesprochen dogmatisch-eindimensionalen Geist atmet die Bemerkung A. J. P. Taylors über die deutsche Geschichte: "Nothing is normal in Germany history except violent oscillations" (The Course of German History. A Survey of the Development of Germany since 1815. London 1946, S. 13). Dagegen existiert für Kar/ Thieme kein "ewiges Deutschland" (Das Schicksal der Deutschen. Ein Versuch seiner geschichtlichen Erklärung. Basel 1945, S. 9). 7 George L. Masse, Die lückenlose Geschichte. Ernst Noltes Antwort an seine Kritiker, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 15, 19. Januar 1988. s Nahum Goldmann, Mein Leben als deutscher Jude. Aus dem Amerikanischen. München/Wien 1980, S. 460. 9 Friedrich Meinecke: Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen. 2. Aufl., Wiesbaden 1946, S. 127. Vgl. dazu auch Max Pribilla, Deutsche Schicksalsfragen. Rückblick und Ausblick. Frankfurt am Main 1950, S. 79 und passim. Julius Ebbinghaus, Brief an einen Amerikaner über die Schuldfrage, in: Zu Deutschlands Schicksalswende. 2. Aufl., Frankfurt am Main 1947, S. 155 ff.
I. Einleitung
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biologische Politikprinzip entgegenzusetzen. Dabei gewann er seine Konturen im Spannungsfeld von Unmenschlichkeit 10 und Heilsgewißheit 11 •
10 Vgl. dazu Karl Barth, "Das heutige Deutschland . .. hat die Unmenschlichkeit zum Prinzip, zum System und zur Methode erhoben. Nationalsozialismus ist nicht nur verbunden, sondern identisch mit Unmenschlichkeit" (Die Deutschen und wir. 2. Aufl., Zollikon-Zürich 1945, S. 6). 11 Vgl. dazu Romano Guardini, Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik. Eine theologisch-politische Besinnung. Stuttgart 1946.
II. Deutschlands politische Entwicklung als illiberaler Irrweg Vor dem Beginn der Neuzeit war Deutschland zweifellos integraler Bestandteil des abendländischen Kulturuniversums 1• Es waren nicht zuletzt die Deutschen, die sich als "Schutzherren und Ordner des Abendlandes" fühlten 2 • Ernst Troeltsch zufolge war das "deutsche Mittelalter ... vom christlichen Naturrecht ebenso erfüllt wie das übrige Abendland" 3 • Für Troeltsch steht es auch außer Zweifel, daß noch Martin Luther das abendländische Naturrecht akzeptierte 4 • Auch im Zeitalter der Aufklärung war Deutschland Teil der abendländischen Wertegemeinschaft Es hat nach der Auffassung namhafter Wissenschaftler in dieser Zeit durchgängig an den Wertvorstellungen dieses Zeitalters partizipiert. Die deutsche Kultur der Aufklärung bezog also ihre intellektuelle Überzeugungskraft aus einer Gedankenwelt, die auch die westlichen Nationen dieser Zeit bestimmte. So schreibt Karl Buchheim: "Wenn man sich das Zeitalter der Aufklärung seit der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts vergegenwärtigt, so wird man zwischen Deutschland und Westeuropa kaum einen wesentlichen kulturell-politischen Gegensatz feststellen können. In allen großen Ländern ist damals 1 Vgl. dazu Christopher Dawson, Die Gestaltung des Abendlandes. Eine Einführung in die Geschichte der abendländischen Einheit. Aus dem Englischen. Leipzig 1935. 2 Hans Werner Hegemann, Die Deutschen in der Kultur des Abendlandes. München 1948, s. 34. 3 Ernst Troeltsch, Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik. Berlin 1923, S. 12. 4 Ebd. Allerdings sind auch viele Autoren der Auffassung, daß Luther am Anfang der deutschen Unheilsentwicklung steht. So schreibt etwa Wilhelm Röpke: "Ohne allen Zweifel hat das Luthertum die politische, geistige und soziale Geschichte Deutschlands in einer Weise beeinflußt, die man, alles wohl erwogen, nur als verhängnisvoll bezeichnen kann. Zweifellos wäre ein katholisches oder auch nur kalvinistisches Deutschland einen ganz anderen Weg gegangen, auf dem wir weder einem Friedrich II. und Bismarck noch einem Fichte, Hege!, Treitschke oder gar Hitler begegnen würden" (Die deutsche Frage. Erlenbach-Zürich 1945, S. 136 f.). Ablehnend fällt auch das Urteil Hugo Balls über Luther aus. "Es kann nicht laut genug ausgesprochen werden, daß die Nation bereits vor vierhundert Jahren den Raubbau des Feudalismus abzuschütteln gewillt war. Ein zwieträchtiger Mönch, ohne Sinn für die ganze Not seines Volkes, aufbrausend, tückisch und ein Despot, als die Zeit von ihm die Konsequenz seiner Lehre verlangte, er allein hat verhindert, daß Deutschland in jenem Jahrhunderte schon seine völkische Freiheit gewann" (Die Folgen der Reformation. München/Leipzig 1924, S. 23). A. J. P. Taylor wirft Luther vor allem eine antiwestliche Einstellung vor. "He tumed with repugnance from all the values of Western civilization" (The course of German History. A Survey of the Development of Germany since 1815. London 1946, S. 19). Vgl. dazu auch Johann Baptist Müller (Hrsg.), Die Deutschen und Luther. Texte zur Geschichte und Wirkung. Stuttgart 1983. Jean Edouard Spenle, Der deutsche Geist von Luther bis Nietzsche. Aus dem Französischen. Meisenheim am Glan 1949, S. 1 ff.
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die Aufklärung die geistige Großmacht, die die Prinzipien der Politik bestimmt" 5• Auch Richard Löwenthai ist der Auffassung, daß "Deutschland gegen Ende des 18. Jahrhunderts den vollen Anschluß an die europäische Gesamtentwicklung" 6 gefunden habe. Deutschland habe nicht zuletzt auch einflußreiche Vertreter der Aufklärung hervorgebracht. Aufklärer wie Lessing, Wieland und Lichtenberg beweisen augenfällig, in wie starkem Maße der deutsche Geist dieser Zeit der Aufklärung verpflichtet war 7 • Nach Christopher Dawson hat sich Deutschland "der Aufklärung ebenso rasch und rückhaltlos ... wie zweihundert Jahre vorher der Reformation" 8 in die Arme geworfen. Diese Behauptung wird von Clemens Theodor Perthes unter Beweis gestellt. Ihm zufolge hat der Geist der Aufklärung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts seinen Siegeszug in Deutschland angetreten. Die deutsche Öffentlichkeit sei vollständig unter seine Botmäßigkeit gekommen. ,,Sie war nicht ein Erzeugniß der Aufklärung, sondern war die Aufklärung selbst in deren Richtung auf das Politische" 9 • Allenthalben seien "aufgeklärte Regierungen ... und aufgeklärte Gesetzgebung" 10 verlangt worden. Perthes zufolge sollte "die Straßenbaupolizei ... aufgeklärt sein, so gut wie die Religion" 11 • Für nicht wenige Autoren war die deutsche Aufklärung jedoch nicht nur nicht wirkungslos, sie enthielt auch in sich illiberale Bestimmungsmomente, die in den Aufklärungsbewegungen der westlichen Länder kaum bzw. überhaupt nicht aufzuspüren sind. So beruht nach John Dewey die deutsche Aufklärung auf der Überlagerung eines durchaus liberalen Grundmusters durch ausgesprochen illiberale Momente. Daß diese Ideenrichtung in Deutschland so wenig befreiend gewirkt habe, sei die logische Konsequenz einer Politikansicht, die auf die wirkliche Emanzipation des Menschen aus seinen politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten glaubte verzichten zu können. Die deutsche Aufklärung lasse in vielen ihrer führenden Persönlichkeiten Wertungsgrundsätze erkennen, die einen grundlegenden Gegensatz zum aufgeklärten Denken des Westens markieren. So sei insbesondere die Kantsche Philosophie keineswegs durchgängig zum Standort einer Hoffnung geworden, die Menschen besseren, d. h. herr5 Kar/ Buchheim, Leidensgeschichte des zivilen Geistes oder die Demokratie in Deutschland. München 1951, S. 6. 6 Richard Löwentha/, Vom Weg der Deutschen- vorgestern, gestern und heute, in: David 0 . Calleo u. a., Geteiltes Land- halbes Land? Essays über Deutschland. Frankfurt am Main 1986, S. 11. 7 Ebd. 8 Christopher Dawson, Die Revolution der Weltgeschichte. Aus dem Englischen, München 1960, S. 63. 9 Clemens Theodor Perthes, Das deutsche Staatsleben vor der Revolution. Harnburg und Gotha 1845, S. 251. 10 Ebd. II Ebd. Vgl. dazu auch G. P. Gooch, Germany and the French Revolution. London 1920; ders., Germany's Debt to the French Revolution, in: Studies in German History. New York 1948, S. 190 ff.
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schaftsfreien Zeiten entgegenzuführen. Die Brillanz seiner Gedankengänge sollten keineswegs zu dem Fehlschluß verführen, man habe es bei dem Königsherger Philosophen mit einem genuin aufgeklärten Denker zu tun. Er verberge bei Lichte besehen nur notdürftig sein tief eingewurzeltes Mißtrauen gegenüber einer wahrhaft liberalen Politikgestaltung. Vor allem aus Kants Pflichtenlehre blicke einen das uralte Antlitz illiberaler Politikgestaltung an. Recht eigentlich werde in ihr dem Freiheitsgedanken jegliches Heimatrecht verweigert. "Der Begriff der Pflicht ist . . . einseitig, indem er auf der einen Seite Befehl und auf der anderen Seite Gehorsam bedeutet, während die Rechte wenigstens auf Gegenseitigkeit beruhen" 12• Die Kantsche Philosophie liquidiere also die Voraussetzungen des westlichen Aufklärungsdenkens in dem Maße, in dem den Rechten des Menschen nur ein inferiorer Rang eingeräumt wird. Kant argumentiere aus einer Position heraus, die alles Repressive abzuweisen scheint, um sich dann um so deutlicher zum illiberalen Staat bekennen zu können. Letzten Endes repräsentiere Kant den Geist der überwundenen militärischen Ordnung. Im Gegensatz dazu sei die westliche Aufklärungsphilosophie den Ordnungsvorstellungen des handelstreibenden Bürgers verpflichtet. Während die utilitaristisch-egoistische Moral Englands "das Bild handelnder Kaufleute" 13 hervorrufe, evoziere "der kategorische Imperativ das Bild des Kasernenhof-Korporals". Dabei ist das Motiv für Deweys Ablehnung der Kantschen Pflichtenlehre in der Auffassung begründet, daß der westliche, ökonomisch begründete Utilitarismus weitaus humanere Züge aufweise als das Pflichtdenken Kants. "Die Kaufmannsethik, nach der jeder etwas aufgibt, dessen er bedarf, um dafür zu bekommen, dessen er noch mehr bedarf, ist nicht die vornehmste Art der Moral, aber sie ist schließlich bis zu einem gewissen Grade von sozialer Verantwortlichkeit" 14• Wie für den Amerikaner lohn Dewey, so ist auch für den Deutschen Ernst Niekisch die Philosophie Immanuel Kants mitverantwortlich für die militärisch geprägte politische Kultur Deutschlands. Um die fatale Wirkung dieser Philosophie zu ermessen, genüge es, einen Blick auf den sozialen Typus des preußischen Soldaten zu werfen. "Der kategorische Imperativ versetzt den preußischen Unteroffizier ins eigene Gewissen. Das menschliche Handeln geschieht nach der Schablone des militärischen Kommandos und des militärischen Gehorsams; das Kategorische des sittlichen Imperativs schaltet wie auf dem Kasernenhof jede Widerrede aus. Der Kantische Rigorismus, die Kantische Strenge . . . deuten an, daß sich hinter der praktischen Philosophie preußische Absichten verhüllen" 15• 12 lohn Dewey, Deutsche Philosophie und deutsche Politik. Aus dem Amerikanischen. Meisenheim am Glan 1954, S. 59. Diese Interpretation der deutschen Philosophie stieß in deutschen Emigrantenkreisen nicht gerade auf Wohlwollen. Vgl. dzu llja Srubar, Das Bild Deutschlands in den Werken der sozialwissenschaftliehen Emigration, in: Ilja Srubar (Hrsg.), Exil, Wissenschaft, Identität. Die Emigration deutscher Sozialwissenschaftler 1933 - 1945. Frankfurt am Main 1988, S. 295. 13 Ebd. 14 Ebd.
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Wenn der wichtigste Repräsentant der deutschen Aufklärung einer so illiberalen Politikordnung das Wort redete, dann überrascht es auch nicht, wenn diese Geistesrichtung in Deutschland so wirkungslos geblieben ist. Helmuth Plessner zufolge besteht die Verspätung Deutschlands darin, daß diesesLand im Gegensatz zu den westlichen Staaten niemals einer tiefgreifenden Beeinflussung durch diese Ideenströmung ausgesetzt gewesen sei. Die Fakten der deutschen Existenz seien im Kontrapunkt zum Westen ausgesprochen antiaufklärerisch geprägt und spielten deshalb ständig ins Antidemokratische und Illiberale hinüber. Deutschlands politische Kultur sei also aus dieser Verspätung heraus zu interpretieren; nur ihre Berücksichtigung liefere ein zureichendes Bild dieses Landes. Plessner ist der Auffassung, daß der Entfremdungsprozeß Deutschlands vom Westen sich am Ende der Neuzeit vollzieht. "Seit dem 17. Jahrhundert beginnt Deutschland sich dem Westen zu entfremden. Es hat kaum Anteil an der Ausbildung des neuzeitlichen, auf das natürliche Recht des Menschen gegründeten Staats- und Völkerrechts. Die Idee eines Staates, der die Freiheit der Bürger schützt und um des Schutzes der Freiheitwillen Rechtsstaat ist, hat wohl auch deutsche Vorkämpfer, findet aber in Deutschland nur begrenzte Aufnahme" 16• Die Entfremdung Deutschlands von der von der Aufklärung geprägten Kultur des Westens wird nicht zuletzt auch dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Regel angelastet. Alfred von Martin ist der Auffassung, daß die Abwendung Deutschlands von der europäisch-humanistischen Tradition vor allem Regel zuzuschreiben sei. Während sowohl Kant als auch Fichte noch eindeutig dem Gedanken des europäischen Humanismus verpflichtet seien, markiere Hegels Philosophie eindeutig jene Bruchstelle, an der sich das deutsche Denken vom europäischen trenne. "Seit Regel ... tritt im deutschen Denken der Gedanke der abendländischen Kulturgemeinschaft zunehmend zurück, und die Moral verschwindet immer mehr nicht nur aus der praktischen Politik, sondern auch aus dem politischen Urteil" 17 • Durch Hegels Einfluß sei der deutschen Politik ein ausgesprochen antiwestlicher Zug eingeprägt worden. In der Nachfolge Hegels 1s Ernst Niekisch, Deutsche Daseinsverfehlung. Berlin 1946, S. 41 f. Thomas Mann dagegen preist Kants Philosophie als revolutionäre Tat. "Als ob nicht ... die Kritik der reinen Vernunft ein weit radikalerer Umsturz gewesen wäre als die Proklamierung der ,Menschenrechte" (Friedrich und die große Koalition. Berlin 1916, S. 21). 16 Helmuth Plessner, Die verspätete Nation, S. 42. Auch Kar/ Heinz Bohrer ist der Auffassung, daß die deutsche Aufklärung keine tiefreichenden Spuren hinterlassen hat. "Deutschland hat trotz Kant, trotz Lessing, trotz Nicolai keine Aufklärung. Statt Aufklärung und bürgerlicher Revolution hatte es von Anfang an Kulturpessimismus" (Romantik als Metapher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 226, 30. September 1982). Dabei sei "Adorno ... der linke Erbe der pessimistischen Kulturkritik seit ihren frühromantischen Anfängen" (ebd.). 17 Alfred von Martin, Geistige Wegbereiter des deutschen Zusammenbruchs: Hege!, in: Hochland 39 (1946/47), S. 131 f. Von Martin zufolge hatte der "Glaube an eine höchste sittliche Seinsvernunft .. . von Augustin bis zu Kant, die großen Leitlinien auch der Politik begründet" (ebd., S. 131). Noch bei Fichte müsse sich die Nation "vor dem Gedanken des Menschen und der Menschheit" rechtfertigen (ebd.).
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haben sich von Martin zufolge Vorstellungssysteme entwickelt, deren antiwestlicher Impetus überdeutlich zutage trete. In seiner Tradition habe sich eine Kratologie entwickelt, die bar aller westeuropäisch beeinflußten sittlichen Qualität sei. "Nun wurde in der NachfolgeHegels der deutsche Geist immer preußischer, in immer hoffnungsloserem Maße uneuropäisch. Von Kantischer Weitbürgerlichkeit wandte er sich immer mehr ab" 18 • Eine Staatslehre, in der Macht und Recht dualistisch auseinandergerissen würden, bejahe selbstverständlich auch den chauvinistischen Expansionswillen des deutschen Staatswesens. Der politische Prozeß Deutschlands steheinfolge des unheilvollen Einfluß' Hegels und seiner Denktradition eindeutig im Zeichen einer sozialdarwinistischen Außenpolitik. "So züchten die (wo nicht von Hegels Philosophie, doch von der hegelianischen Atmosphäre beherrschten) borossiseben Historiker eine Weltanschauung des Annexionismus und Expansionismus" 19• Neben Alfred von Martin sieht auch Veit Valentin in Hege! denjenigen deutschen Philosophen, der sein Land auf einen Unheilsweg geführt hat. "Seit Hegel wurden die Deutschen sozusagen aufgehetzt gegen alles Rationalistische, NurVernünftige. Die Kultur der Deutschen wurde in Gegensatz gebracht zu der westlichen Zivilisation" 20 • Die Entfremdung vom Westen, der Rückgriff auf die autochtonen Werte Deutschlands, hat für viele Politikanalytiker ihre Ursache nicht zuletzt auch in der Unterwerfung Deutschlands durch Napoleon. Der franzöische Kaiser wurde zum Vehikel, auf dem der Protest gegen den Westen und seine angeblich deutschfeindlichen Werte transportiert wurde. So schreibt Karl Buchheim: "Im abgründigen Franzosenhaß unter der Fremdherrschaft wurzelt . .. das deutsche Antiwestlertum. Es steigerte sich bald bis zur Ablehnung dessen, was man in Westeuropa unter dem Namen ,Zivilisation' begreift" 21 • Die Sympathien der Deutschen für die Werte der Demokratie seien durch die napoleonische Fremdherrschaft auf den Nullpunkt reduziert worden. "Bald war es klar, daß die Heere des neuen Gewalthabers nach Deutschland nicht als Befreier, sondern als Unterdrücker kamen. Statt der Freiheit bekamen die Deutschen von den Trägem der Revolution den fremden Imperialismus beschert" 22 • 18 Ebd., S. 132 f. Jean Edouard Spenle zufo1ge repräsentiert der Staat bei Hegel die "Fleischwerdung Gottes auf Erden" (Der deutsche Geist von Luther bis Nietzsche, s. 106). 19 Ebd., S. 133. 20 Veit Valentin, Der deutsche Volkscharakter (1946), in: Perspektiven und Profile. Aus Schriften Veit Valentins, hrsg. vom Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde, ausgewählt und eingeleitet von Will Schaber. Frankfurt am Main 1965, S. 170. 21 Kar/ Buchheim, Leidensgeschichte des zivilen Geistes oder die Demokratie in Deutschland. München 1951, S. 10. Dieser Ansicht ist auch Erich Kahler. Die Prinzipien der Aufklärung seien durch Napoleon entscheidend delegitimiert worden. Ehe die Gedanken dieser Geistesströmung im deutschen Volk Wurzel schlagen konnten, "unterbrachen von Europa her die napoleonischen Kriege ... diese Entwicklung wieder" (Der deutsche Charakter in der Geschichte Europas. Zürich 1937, S. 6).
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In wie starkem Maße nun viele Deutsche dem Geist des Kosmopolitismus abschworen, wie sehr sie den Blick von Westeuropa wandten, darauf hat auch Gert Kalow hingewiesen. "Weltbürgerlicher Enthusiasmus schlug in mehr oder minder verbrämten Chauvinismus um. Beethoven strich die Widmung seiner Eroika an Napoleon, Görres resignierte, Fichte verwandelte sich aus einem Verfechter revolutionärer Gedanken in den ersten Künder des ,Deutschen Volksgeistes'. Der republikanische deutsche Frühling erfror" 23 • Zu den deutschen Geistesströmungen, die angeblich die Abkehr vom Westen propagierten und bewirkten, gehört auch die deutsche Romantik. Gerade auch sie habe sich im Dienste einer antiwestlichen Geisteshaltung gewußt. Ihre Offenheit für den Geist des Irrationalen, ihre Bereitschaft, sich mit dem Labyrinth seelischer Prozesse abzugeben, habe sie notwendigerweise in eine prinzipielle Opposition zum progressiv-rationalen Geist der westlichen Aufklärung gebracht. Wenn es Fritz Croner zufolge ein Leitmotiv gibt, das die Gedanken der Romantik zusammenhält, dann sei es die konsequente und kompromißlose Ablehnung des französischen Progressismus. "Sie war überall gegen die Aufklärung und gegen den Klassizismus, gegen den Rationalismus, gegen die Prinzipien der französischen Revolution, für das Nationale, für das Primitive" 24 • Croner zufolge hat der romantische Rekurs auf die deutsche Einzigartigkeit dann dasjenige geistige Klima geschaffen, das Deutschland langsam aber sicher vom Westen trennte. Die Besinnung darauf, wie einer deutschen politischen Kultur Tribut gezollt werden könne, führte notwendigerweise zur Zurückweisung aller westlichen, insbesondere französischen Einflüsse. "Nun entstand eine offene Entfremdung vom europäischen Westen, ein völlig unberechtigtes Überlegenheitsgefühl für alles Deutsche und gegen alles Französische, bald auch Westliche" 25 • Wie Fritz Croner, so ist auch Gordon Craig der Auffassung, daß es die Romantik war, die Deutschland entscheidend vom Westen trennte. Begriffen und akzeptiert sei von dieser zutiefst deutschen Geistesströmung nur das geworden, was auf ein nichtrationales Modell zu bringen war. "Die Romantiker zogen der mathematischen Ordnung der philosophes die Fülle und Ungeordnetheil des Lebens vor; sie kehrten der schmucken Eleganz des französischen Gartens den Rücken und wandten sich den verschlungenen Mysterien des deutschen Waldes zu"26.
zz Ebd., S. 9.
Gert Kalow, Hit!er. Das gesamtdeutsche Trauma. Zur Kritik des politischen Bewußtseins. München 1967, S. 40. 24 Fritz Croner, Die deutsche Tradition. Über die Schwierigkeiten, Demokratie zu leben. Opladen 1975, S. 144. 2s Ebd. 26 Gordon Craig, Über die Deutschen. Aus dem Amerikanischen. München 1982, S. 217. Ähnlich behauptet Ernst Troeltsch, daß sich die deutsche Romantik "gegen den ganzen westeuropäischen mathematisch-mechanischen Wissenschaftsgeist, den Utilitarismus und Moral verschmelzenden Begriff des Naturrechts und gegen die kahle Abstraktion einer allgemeinen und gleichen Menschheit" richte (Naturrecht und Humanität in 23
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Zu einem eher distanzierten Verhältnis zu den Ordnungsvorstellungen des Westens habe nicht zuletzt auch die Tatsache beigetragen, daß die Revolutionäre von 1848 ihre politischen und gesellschaftlichen Ziele nicht verwirklichen konnten. Einheitlich habe sich in allen Verlautbarungen dieser Revolutionäre das Bekenntnis zur westlichen Politikwelt artikuliert, ihr Hauptthema sei die Schaffung eines Staatswesens gewesen, das dem westlichen politischen Gemeinwesen weitgehend entsprochen habe. Was Wunder, wenn der Sieg der politischen Gegner dem Gesicht Deutschlands einen Ausdruck verliehen habe, der kaum mehr als westlich-liberal zu bezeichnen gewesen sei. Kar! Dietrich Bracher zufolge wurde "das Scheitern von 1848 ... entscheidend für das Schicksal der demokratischen Bewegung in Deutschland wie für das Verhältnis des deutschen Staatsbewußtseins zum Westen" 27 • Das dem westlichen Einfluß entzogene Deutschland habe auch einen Liberalismus hervorgebracht, dessen Kainsmerkmal sein genuin antiwestlicher Charakter war. Den deutschen Liberalen sei es zuvörderst darum gegangen, ihrer politischen und gesellschaftlichen Ordnungsvorstellung ein Höchstmaß an Machtverherrlichung abzugewinnen. Ihre einzelnen Topoi fügten sich zu einem Ideenpanorama, das letzten Endes den Einzelnen zugunsten staatlicher Herrschaftsansprüche opfere. Dieser Ansicht ist jedenfalls Edward N. Megay, wenn er den nationalliberalen Historiker und Politiker Heinrich von Treitschke zu den typischen Repräsentanten des deutschen Liberalismus rechnet. Treitschkes politische Ordnungsvorstellungen schließe Sinndimensionen auf, die im westlichen Liberalismus kaum vorhanden seien. "It allows us to understand the inherent ideological features of German moderate or national Liberalism which account for its failure as a Liberal political movement; and finally it is one of the important vulgarized, and therefore popular, forms in which Hegel's philosophy has dominated and continues to influence the political climate in Germany" 28 • der Weltpolitik. Berlin 1923, S. 12 f.). Für Ferdinand Lion stellt sich die Romantik in Deutschland als "verführte Verführerin" dar (Romantik als deutsches Schicksal. Stuttgart/ Harnburg 1947, S. 11 ). Diese "Verführerin zum allzu Gefahrvollen am Rande der Abgründe" müsse in der Zukunft zu einem "Schutz gegen Irrwege" werden (ebd., S. 12). 21 Kar/ Dietrich Bracher, Autoritarismus und Nationalismus in der deutschen Geschichte, in: Autoritarismus und Nationalismus- ein deutsches Problem? hrsg. von K. D. Hartmann. Frankfurt am Main 1963, S. 19 (Politische Psychologie, Bd. 2). zs Edward N . Megay, Treitschke Reconsidered: The Hegelian Tradition of German Liberalism, in: Midwest Journal of Political Science 2 (1958), S. 299. Megay ist allen Ernstes der Auffassung, daß auch der Neoliberalismus im ideologischen Schatten Treitschkes angesiedelt ist. "Especially the works of Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke, and Walter Eucken, the leading figures of German Ordo-Liberalism, are decidedly in the tradition of Treitschke' s Hegelian Liberalism. There are some important differences, of course, but the ultimate ideal is the powerful community-state as an ordering force above the conflicting interests of society and as representing the public good (the universal)" (ebd., S. 316 f.). Eine ähnlich negative Bewertung des deutschen Liberalismus findet sich bei Ludwig von Mises, Im Namen des Staates oder die Gefahren des Kollektivismus. Aus dem Amerikanischen. Stuttgart 1978, S. 28 ff.
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Sobald man die deutsche Geistesentwicklung aus ihren antiwestlichen Antrieben heraus versteht, verwundert es auch nicht, wenn die deutsche Politik ganz im Zeichen einer antiwestlichen Einstellung steht. Für nicht wenige Autoren schließt sich etwa die antiwestliche Grundhaltung des von Bismarck gegründeten Reiches nur auf, wenn man sich der geistigen Tradition Deutschlands versichert. Erst aus ihren ethnozentrischen und antiuniversalistischen Topoi heraus lasse sich der wahre Geist des Bismarckreiches erschließen. So stellt sich die Reichsgründung als ein Handlungsgefüge dar, das a priori antiwestlich ausgerichtet gewesen sei. Für Heinrich Heffter repräsentierte sie die "obrigkeitliche und militaristische Tradition des Altpreußentums, die dem in Westeuropa herrschenden Geist als fremdes und feindliches Element entgegentrat" 29 • Auch der Engländer Ramsy Muir ist der Auffassung, daß Bismarcks politische Wertewelt der westlichen diametral widersprochen habe. Sowohl sein politisches Denken als auch seine Staatspraxis rückten ihn in die Reihe derjenigen Deutschen, die dem Westen feindlich gegenübergestanden haben. "He had no patience with the unPrussion vacillations and half-hearted advances towards Liberalism during the generation preceding his advent to power" 30• Bismarcks Antiliberalismus habe sich nicht zuletzt in seiner Ablehnung des Parlamentarismus manifestiert. "Like all the Junkers, he had no belief at all in parliamentary govemment, and, as he showed at the beginning of his period of office, he was perfectly ready to defy parliament" 31 • Bismarck habe sich auch als Feind einer staatsunabhängigen Diskussion der Probleme des politischen Gemeinwesens zu erkennen gegeben. "Bismarck bad as little sympathy as other Junkers with the demands of the Liberals for freedom of the press, free discussion, free criticism of the government" 32 • Die Regierungspraxis Bismarcks geriet auch in das kritische Visier deutscher Autoren. Schon Max Weber hatte sich an seinem Führungsstil gerieben. "Bismarcks politisches Erbe? Er hinterließ eine Nation ohne alle und jede politische Erziehung, tief unter dem Niveau, welches sie in dieser Hinsicht zwanzig Jahre vorher bereits erreicht hatte. Und vor allem eine Nation ohne allen und jeden politischen Willen, gewohnt, daß der große Staatsmann an ihrer Spitze für sie die Politik schon besorgen werde . .. Eine politische Tradition dagegen . .. hinterließ der große Staatsmann überhaupt nicht. Innerlich selbständige Köpfe und vollends Charaktere hatte er weder herangezogen noch auch nur ertragen ... 29 Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. Stuttgart 1950, S. 534. Jo Ramsay Muir, Britain's Case Against Germany. An Examination of the Historical Background oftheGerman Action in 1914. Manchester 1914, S. 103. 31 Ebd., S. 104. 32 Ebd., S. 108. Ähnlich heißt es bei Geoffrey Barraclough: "Die Verfassung von 1871 vernichtete alle Möglichkeiten einer vom Volke getragenen Selbstregierung, sie sicherte die Vormachtstellung sowohl der Junker in Preußen als auch Preußens im Reich" (Tatsachen der deutschen Geschichte. Aus dem Englischen. Übersetzt von Heinrich Mitteis. Berlin 1947, S. 160). Durch Bismarcks taktisches Geschick hätten die "volkstümlichen Kräfte eine Niederlage" erlitten (ebd., S. 204).
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Demgegenüber nun als ein rein negatives Ergebnis seines gewaltigen Prestiges: ein völlig machtloses Parlament" 33 • F. A. Kramer wirft Bismarck sogar vor, an einen Staatsstreich gedacht zu haben. In ihm begegne uns jene Variante des machiavellistischen Politikers, der keinerlei Respekt gegenüber einem Staatsgrundsatz empfinde. Seine abgrundtiefe Verachtung der Verfassung wurzele im autoritären Preußenturn seiner Herkunft. "Es war urpreußisches Gedankenerbe, wenn Bismarck einen Staatsstreich von oben als stets legal bezeichnete" 34• Hans-Ulrich Wehler geht sogar so weit, der Bismarckschen Herrschaftspraxis bonapartistische Züge zu imputieren. Sie habe einer Dynamik gehorcht, die an die Machtausübung der beiden Bonapartes Frankreichs erinnere. "Vor allem für eine vergleichende Herrschaftstypologie, der sich auch die Verfassungsrealität des deutschen Kaiserstaats einordnen läßt, empfiehlt sich wegen seines Erklärungswerts für die soziale Funktion der Herrschaft der Begriff des Bonapartismus mit seiner auch in Deutschland vorhandenen eigenartigen Mischung von charismatischen, plebiszitären und traditionalistischen Elementen" 35 • Im bonapartistisehen System Bismarcks sei die "Vorherrschaft traditioneller, aber auch industrieller Führungsschichten" 36 durch die "plebiszitäre Akklamation in Abstimmungen oder Wahlkämpfen" 37 gutgeheißen worden. Wie Bismarck, so wurde auch Kaiser Wilhelm II. angelastet, selbstherrlichautokratisch zu regieren. F. A. Kramer spricht vom "persönlichen Absolutismus Wilhelms 11." 38 • Der Kaiser habe ausschließlich in den Kategorien machtpolitischer Zuordnungen gedacht, seine Regierungspraxis allein dem Diktat persönlicher Machtfülle gehorcht. "Das Bewußtsein unbeschränkter Herrschergewalt sprach aus jedem Wort, aus jeder Geste. Der neue Monarch erklärte sich von der Ansicht durchdrungen, daß ,des Königs Wille das höchste Gesetz sei" 39• Will man den ganzen Abstand ermessen, der nach Helmuth Plessner zwischen der politischen Verfassung des Reiches und der der westlichen Demokratien besteht, so genüge es, ein Blick auf seine politische Philosophie zu werfen. Sie sei als kritischer Gegenentwurf zu all denjenigen Ordnungsvorstellungen anzusehen, die die Politik der westlichen Staaten bestimmten. Sie opferte den westlichen Universalismus zugunsten eines engstirnigen nationalen Parochialismus, setzte dem demokratischen Fortschritt die konservative Beharrung kontrapunktisch entgegen. "Das neue Reich appellierte nicht wie Frankreich und England an die 33 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: Gesammelte politische Schriften. München 1921, S. 138 f. 34 F. A. Kramer, Vor den Ruinen Deutschlands. Ein Aufruf zur geschichtlichen Besinnung. Koblenz 1945, S. 87. 35 Hans-Ulrich Weh/er, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918. Göttingen 1973, S. 64. 36 Ebd., S. 65. 37 Ebd. 38 F. A. Kramer, Vor den Ruinen Deutschlands, S. 90. 39 Ebd. Vgl. dazu auch Ludwig Quidde, Caligula. Schriften über Militarismus und Pazifismus, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt arn Main 1977, S. 61 ff.
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Phantasie der Völker, an ihre Zukunftserwartung, ihren Menschheitsglauben. Sie diente keinem werbenden Gedanken. Es stand für nichts, von dem es überragt wurde. Deutscher-Sein enthielt kein Bekenntnis wie Engländer- oder FranzoseSein; es besagte keinen Dienst an übernationalen Idealen, wie sie durch das christliche Königtum Frankreichs, dessen Humanismus, die große Revolution später in verwandelter Form übernimmt, und seit den Anfängen des Puritanismus die führenden Prinzipien der westlichen Welt geworden waren" 40 • In Deutschland sei es im Gegensatz zum Westen auch nicht zur Herausbildung eines universalistisch eingefärbten Nationalismus gekommen. Was das deutsche nationale Denken vom westlichen unterscheide, sei seine Radikalität, die grundsätzliche Zurückweisung aller Universalistischen Verpflichtungen. "Als eine Gründung des 19. Jahrhunderts ohne Staatsidee fiel die nur bedingt nationalstaatliehe Konsolidierung des deutschen Volkes in die Zeit einer bereits vorgeschrittenen Skepsis an dem Wertsystem des Humanismus ... Das im Zuge der Verweltlichung immer stärker werdende Nationalbewußtsein fand in Deutschland auch nach der Bismarckschen Reichsgründung keine Form und keinen Halt an einer Staatsidee, wie schon Jahrhunderte früher Frankreich, England und die Vereinigten Staaten ihn gefunden hatten. Als Ersatz dafür ... übernahm der romantische Begriff des Volkes die Rolle einer politischen Idee" 41 • Von einem grundlegenden Unterschied zwischen dem freiheitsorientierten westlichen politischen Denken und der autoritätszentrierten deutschen Staatsphilosophie des Kaiserreiches geht auch Thorstein Veblen aus. Für diesen amerikanischen Sozialwissenschaftler läßt sich bis ins Detail hinein die freiheitsfeindliche Orientierung des deutschen politischen Denkens dieser Zeit verfolgen. Will man den ganzen Abstand ermessen, den das angelsächsische und das deutsche politische Leben trenne, so müsse die grundlegend unterschiedliche Bestimmung des Freiheitsbegriffes in den beiden politischen Kulturkreisen in den Blick genommen werden. Im deutschen Freiheitsbegriff sei im Gegensatz zum englischen der Abschied vom individualistischen Ordnungsgedanken unübersehbar. Er verweise eindeutig auf eine pflichtorientierte Begründung seines Bedeutungshofes. Indem er sich einem liberalen Interpretationsmuster unter Hinweis auf die ganzheitliche Qualität der politischen Ordnung verweigere, gerate er in einen dichotomischen Gegensatz zum englischen Begriff von Freiheit. "Both German and Englishspeaking peoples make much of personal liberty, as is the fashion in modern Christendom, but it would seem that the in the German conception this Liberty is freedom to give orders and freely to follow orders, while in the English conception it is rather an exeption from orders a somewhat anarchistic habit of thought" 42 • Gesellschaft und Staat verweisen bei den Angelsachsen keineswegs Helmuth Plessner, Die verspätete Nation, S. 43. Ebd., S. 37. 42 Thorstein Veblen, Imperial Germany and the Industrial Revolution. Ann Arbor Mich. 1966, S. 172. 40
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auf überindividuelle Bedürfnisse, sondern repräsentieren Entitäten, die bewußt von den als atomistisch gedachten Bedürfnisträgern aus konzipiert werden. Der englische Staatsbegriff partizipiere keineswegs zufällig an den Ordnungsvorstellungen des ökonomischen Liberalismus, wonach jegliche Staatstätigkeit aus den bewußt kalkulierten Willensüberlegungen der Wirtschaftssubjekte emaniere. Aus diesem Grunde erinnere das Staatsbild der vom System der Bedürfnisse aus formulierenden englischen Philosophen an eine Aktiengesellschaft. "A community so constituted is not a State, it is more like a joint-stock company" 43 • In Deutschland dagegen liefere der Antiindividualismus den Stoff, aus dem die Staatsphilosophie gezimmert ist. Begriffen und akzeptiert werde in Deutschland nur das, was mit der Tradition und der Obrigkeit korrespondiere. Veblen spricht in diesem Zusammenhang zwischen dem "ideal of the dynastic State" 44 in Deutschland und der "preconception ofpopular autonomy" 45 auf der angelsächsischen Seite. John Dewey zufolge gehört es auch zu den Ausdrucksformen des in Rede stehenden antiwestlichen deutschen Denkens, daß in ihm dem Staat eine geradezu metaphysische Würde auf Kosten des Systems der Bedürfnisse verliehen werde. "In englischen und amerikanischen Schriften wird das Wort Staat fast immer nur benutzt, um die Gesellschaft in ihren organisierten Aspekten zu bezeichnen, oder er wird mit der Regierung identifiziert als einer besonderen Instanz, die für die gemeinsamen Interessen der Menschen in der Gesellschaft wirkt. Aber in der deutschen Literatur ist Gesellschaft ein Fachausdruck und bedeutet etwas Empirisches und sozusagen Äußerliches, während der Staat, wenn nicht eingestandenermaßen etwas Mystisches und Transzendentes, dann doch wenigstens eine moralische Wesenheit ist ... Die Funktion des Staates ist kulturell und erzieherisch" 46. Die staatsorientierte Ideologie der Deutschen, ihre Mystifizierung des Staates habe auch dazu geführt, daß das deutsche Gemeinwesen nie einer radikalen Liberalisierung unterzogen worden sei. Aus diesem Grunde sei der deutsche Staat auch allzu schnell bereit gewesen, in einem liberalismusfeindlichen und patriarchalischen Sinne Sozialpolitik zu betreiben 47 • Für einen überzeugten Liberalen war die soziale Fürsorge des Staates ein ausgesprochenes Danaergeschenk. Der sozialinterventionistische Eingriff in das System der Bedürfnisse müsse im Horizonte einer paternalistischen Politikkonzeption interpretiert werden, die grundsätzlich von der ökonomischen und der politischen Umündigkeit der "Untertanen" ausgehe. Der deutsche Sozialstaat war Dahrendorf zufolge seit seinen Ebd., S. 170. Ebd., S. 171. 45 Ebd. 46 lohn Dewey, Deutsche Philosophie und deutsche Politik, S. 63. 47 Vgl. dazu Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. 5. Aufl., München 1977, S. 54. 43
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Anfangen durch die "charakteristisch autoritäre Mischung von Strenge und Wohlwollen" bestimmt gewesen 48 • Dieser Interpretation der Bismarckschen Sozialpolitik schließt sich auch Ernst Niekisch an. Die sozialpolitischen Gesetze von 1883, 1884 und 1889 erhalten ihr reaktionäres und antiemanzipatorisches Gewicht aus dem Kontext einer Ordnungsvorstellung, in der dem deutschen Proletariat eine höchst unbedeutende Rolle zugewiesen war. Um den deutschen Arbeiter mit dieser von einer antimodernen Soziallehre entworfenen Gesellschaftskonzeption zu versöhnen, habe man versucht, ihn durch sozialpolitische Geschenke zu korrumpieren. Angesichts der Gravitationskraft der revolutionären Theorie sei man auf die Idee verfallen, den gesellschaftsumstürzenden Ideen die sozialkonservative Gesellschaftspolitik gegenüberzustellen. "Die deutsche Sozialgesetzgebung war ein Unternehmen großen Stils, der deutschen Arbeiterklasse die Unzufriedenheit, die oppositionelle Haltung, die revolutionäre Zielsetzung abzukaufen" 49 • Da die Arbeiterschaft des Kaiserreichs sich auch durch noch so großzügige sozialpolitische Geschenke keineswegs korrumpieren ließ, sei ihre Kampfkraft immer stärker angestiegen. Im Laufe der Zeit sei sie sogar zu einer ernsten Bedrohung der traditionellen Sozial- und Politikordnung geworden. Dabei habe die herrschende Schicht ihre Zuflucht zu repressiven Politikpraxen genommen, um auf diese Weise ihre Macht perpetuieren zu können. Insbesondere das Bürgertum sei dem Staate dankbar dafür gewesen, die revolutionäre Arbeiterschaft unterdrückt zu haben. Auf diese Weise sei der demokratische Fortschritt entscheidend gehemmt worden. In diesem Sinne schreibt Roy Pascal: "Mit dem raschen Anwachsen der Industrie entstand die organisierte Bewegung der Arbeiterklasse, die Sozialdemokratie, mit ihrer Kampfansage an Nationalismus, Kapitalismus und die bisherige Form der Demokratie . . . Das Bürgertum . . . fürchtete die Ausdehnung der Volksherrschaft auf die werktätigen Massen und klammerte sich daher zur Erhaltung seiner Vorrechte an eine starke autoritäre Führung und entwickelte niemals ein festes Vertrauen zur Demokratie und ihren Zielen" 50• 48 49
Ebd.
Ernst Niekisch, Deutsche Daseinsverfehlung, S. 60. Vgl. dazu auch: "Die Arbeiter-
klasse sollte gegen Gnadengaben sich ebenso bereitwillig junkerlicher Führung unterwerfen, wie es das Bürgertum getan hatte" (ebd.). 5o Roy Pascal: Deutschland. Weg und Irrweg. Aus dem Englischen. Berlin 1947, S. 16 f. Mit einem derart auf illiberale Prinzipien eingeschworenen Deutschland konnte es Raymond James Sontag zufolge auch keine außenpolitische Zusammenarbeit geben. "Friendship was impossible between liberal England and Bismarckian Germany. To Gladstone, the Germans were foes of freedom" (Germany and England. Background of Conflict. 1848- 1894. New York 1964, S. 94). In wie starkem Maße auch die englische Literatur ein vorurteilsbehaftetes Bild der deutschen Gesellschaft und ihrer Politik vermittelte, stellte Holger M. Klein unter Beweis (Zerrspiegel.) Bilder von Preußen-Deutschland in englischer Prosa, 1890- 1914, in: Europa und das nationale Selbstverständnis. Imagologische Probleme in Literatur, Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Hugo Dyserinck/Karl Ulrich Syndram. Bonn 1988, S. 71 ff. (Aachener Beiträge zur Komparatistik, hrsg. von Hugo Dyserinck. Bd. 8).
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Daß sich das Kaiserreich durch die Überlagerung traditionaler Strukturen durch moderne ausgezeichnet habe und auf diese Weise einer stabilitätsgewährenden Ordnung entriet, dies ist auch die Ansicht Hans-Ulrich Thamers. Dieser Vertreter der jüngeren deutschen Historikerzunft schreibt: "Die verspätete Nation erlebte einen rasanten Durchbruch industrieller Lebensformen, ohne daß eine stabile liberal-demokratische politische Kultur und Verfassungsordnung die vielfachen Emanzipationsbestrebungen aufsteigender sozialer Gruppen auffangen konnte" 51 • Thamer zufolge hatte sich die politische Ordnung des Kaiserreichs trotz aller Reformversuche der progressiven Kräfte in ihrer Grundsubstanz kaum verändert. "Das Kaiserreich entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer im ganzen bürgerlichen und modernen Gesellschaft, ohne freilich den Charakter eines Obrigkeitsstaates aufzugeben. Denn der preußische Militär- und Beamtenstaat ... blieb eine mächtige Bastion der alten gesellschaftlichen Mächte und ein Hindernis auf dem Wege zu einer wirklichen Parlamentarisierung und Austarierung des Obrigkeitsstaates. In dieser zwiespältigen Verfassungsordnung des Bismarckreiches lag eine Ursache für die Spannungen und Verwerfungen des preußisch- deutschen Nationalstaates" 52• Auf der Suche nach einer prägnanten und genügend tiefenscharfen Bezeichnung der politischen Kultur des Kaiserreiches kommt Fritz Stern zu der Ansicht, daß man sie am besten als illiberal charakterisiert. Der politische Prozeß sei zu dieser Zeit in Deutschland so sehr im Zeichen einer antifreiheitlichen Ordnungsvorstellung gestanden, daß diese Bezeichnung mehr als gerechtfertigt sei. Dabei habe sich dieser Illiberalismus vor allem durch seine Absicht definiert, jeglicher Demokratisierung von Staat und Gesellschaft den Kampf anzusagen. ,,Zuerst einmal bildet Illiberalismus eine geistige und politische Bindung gegen jede weitere Konzession an die Demokratie, selbst um den Preis der eigenen politischen Unabhängigkeit" 53 • Im Gegensatz zu den Staaten der westlichen Welt habe der deutsche Illiberalismus eine ubiquitäre Qualität angenommen. Es habe keinen Bereich im Kaiserreich gegeben, der von dieser Einstellung unbeeinflußt geblieben wäre. "Die erstaunlichste Eigenschaft des deutschen Illiberalismus war seine Durchdringungskraft .. . In jedem Stadium seiner Karriere sollte ein Deutscher illiberales Verhalten lernen oder illiberale Vorbilder in Machtpersonen erleben: wenn überhaupt gab es nur wenige anerkannte Vorbilder für ... tolerantes Andersdenken" 54 • Letzten Endes habe dieser deutsche Illiberalismus "die Anerkennung einer Art bürgerlicher Unmündigkeit" 55 bedeutet. 51 Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933 - 1945. Berlin 1986, S. 43. 52 Ebd., S. 42. Eine ähnliche Interpretation findet sich bei Geoffrey Barraclough, Tatsachen der deutschen Geschichte, S. 200 f. 53 Fritz Stern, Das Scheitern illiberaler Politik. Studien zur politischen Kultur Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen. Frankfurt am Main/Berlin/ Wien 1974, S. 13. 54 Ebd., S. 14. 55 Ebd., S. 15.
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Angesichts der Gravitationskraft der illiberalen politischen Philosophie in Deutschland verwundere es auch nicht, daß in diesem Lande eine politische Bewegung ans Ruder kam, die der liberalen Demokratie kompromißlos den Kampf angesagt hatte. Hitlers erfolgreicher Versuch, Deutschland auf die Prinzipien des Illiberalismus zu verpflichten, habe nur deswegen gelingen können, weil die Deutschen im Gegensatz zu den westlichen Völkern zu wenig den Prinzipien einer freiheitlichen Politikordnung verpflichtet waren. Für viele Politikanalytiker ist der Nationalsozialismus tief in der deutschen Geschichte und in der deutschen Geisteshaltung verwurzelt. Hitlers politische Philosophie sei deswegen so sehr zum Zeichen einer großen Hoffnung geworden, weil er von vielen Deutschen als die Inkarnation ihres eigenen Wesens begriffen worden sei. Aus diesem Grunde ist sein Aufstieg keineswegs den Gesetzen des Zufalls zu verdanken, sondern tief in der deutschen Gechichte und im politischen Charakter ihrer Akteure an,gelegt. Dieser Ansicht jedenfalls ist Lord Vansittart, wenn er schreibt: "Hitler is no accident, but a deliberate and inevitable outcome"s6.
Auch John Dewey zufolge gründet Hitlers Gedankenwelt und sein steiler Aufstieg tief in der deutschen politischen und historischen Tradition. "Der außergewöhnliche, in kürzester Frist erweckte Widerhall dieses geistigen Appells muß als Maßstab dafür angesehen werden, wie sehr er der deutschen Mentalität entsprach" 57 • Für den amerikanischen Philosophen steht es außer Zweifel, daß es einen direkten Zusammenhang "zwischen dem Glaubensbekenntnis Hitlers und der klassischen philosophischen Tradition Deutschlands" 58 gibt. Neben der deutschen Philosophie wurde auch die deutsche Theologie für den Aufstieg Hitlers verantwortlich gemacht. Wolfram von Hanstein zufolge ist nicht zuletzt Martin Luther für den deutschen Katastrophenweg verantwortlich zu machen. Im Zentrum dessen, was dem Reformator die Feder führte, sei die Machtergreifung Hitlers unweigerlich beschlossen gewesen. Er habe ein illiberales Exerzitium hohen Ranges vorgeführt, das den deutschen Sonderweg geradezu naturnotwendig inaugurierte. "Historisch betrachtet führt eine gerade Linie von Luther über den Großen Kurfürsten, über Friedrich II. und seine Nachfolger, über Bismarck und die Ära wilhelminischer Zeit bis zu Hitler".s 9 • .56 Lord Vansittart, Introduction to: Thus Spake Germany, edited by W. W. Coole/ M. F. Potter. London 1941, S. XIV . .57 lohn Dewey, Deutsche Philosophie und deutsche Politik, S. 7 . .ss Ebd., S. 8. Vgl. dazu auch: "Der Tatsache, daß die Lehren der philosophischen Repräsentanten Deutschlands in die allgemeinen Gewohnheiten des Volkes eingesickert waren, ist es zuzuschreiben, daß ein untergründiger Zusammenhang zwischen ihnen und den machtvollen Elementen der Botschaft Hitlers bestand" (ebd., S. 9). 59 Wolfram von Hanstein, Von Luther bis Hitler. Ein wichtiger Abriß deutscher Geschichte. Meißen o. J., S. 7 (Republikanische Bibliothek). Vgl. dazu auch Friedrich von Hügel, The German Soul. London/Paris/Toronto 1916, S. 167. Carl Mayer, On the lntellectual Origins ofNational Socialism, in: Social Research 9 (1942), S. 225 ff., S. 228.
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Der Nationalsozialismus wurde auch bei Denkern präfiguriert gesehen, die sich einer staatssozialistischen Ordnung des Systems der Bedürfnisse verschrieben haben. Mit ihren planwirtschaftliehen Ideen hätten sie sich innerhalb eines Vorstellungssystems bewegt, das mit demjenigen von Hitler täuschende Ähnlichkeit besessen habe. An die Stelle der Rechte des Individuums wurden bei diesen Staatssozialisten die Ansprüche des Staates gesetzt. Insbesondere liberale Autoren gefielen und gefallen sich darin, dieses Schreckbild des deutschen Staatssozialismus zu zeichnen. Nicht zuletzt der berühmte Nationalökonom F. A. von Hayek zog alle Register seines an diesem Punkte doch sehr dogmatischen Verstandes, als er über die bekanntesten Vertreter dieser Ideenströmung den moralischpolitischen Stab brach und schrieb: "Sozialismus und Nationalsozialismus standen in Deutschland von Anfang an in enger Verbindung. Bezeichnenderweise sind die wichtigsten Vorläufer des Nationalsozialismus - Fichte, Rodbertus und Lassalle-gleichzeitig anerkannte Ahnen des Sozialisrnus" 60• Im Fokus der Aufmerksamkeit derjenigen, die nach Vorläufern des Nationalsozialismus Ausschau halten, stehen nicht nur führende Repräsentanten der deutschen Geistesgeschichte. Auch Staatsmännern wird angelastet, Schrittmacherdienste für den Nationalsozialismus geleistet zu haben. Für einige Geschichtsinterpreten ist die unheilvolle Wende zum Hitlerstaat schon in der Gedankenwelt und der Politik Friedrichs des Großen angelegt. Wolle man den ganzen Abstand ermessen, den Deutschland im Verlaufe seiner jüngeren Geschichte vorn Westen trennte, so müsse man auf Friedrich II. als HauptverursacheT des deutschen Katastrophenweges zurückgehen. In Adolf Hitler habe eine historische Entwicklung ihren Kulminationspunkt erreicht, die recht eigentlich vorn Preußenkönig inauguriert wurde. Für Friedrich Wilhelrn Foerster kann die Kritik des Hitlerstaates nur sinnvoll sein, wenn man sich ihre Ursprünge im Preußen Friedrichs li. ins Bewußtsein hebe. "Keine Ahnung von Weltgeschichte und Weltgericht ... hat derjenige, der sich vor der Tatsache verschließen wollte, daß alles, was zur Hitlerzeit geschehen ist, nur das letzte, reifste und durchaus logische Resultat der preußisch-deutschen Entwicklung und politischen Glaubensverwirrung seit Friedrich dem Großen ist" 61 • 60 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, hrsg. und eingeleitet von Wilhelm Röpke. Aus dem Englischen. 3. Auf!., Erlenbach/Zürich 1952, S. 211 f. Vgl. dazu auch Ludwig von Mises, Im Namen des Staates oder die Gefahren des Kollektivismus. Stuttgart 1978, S. 169 und passim. 61 Friedrich WilhelmFoerster, Erlebte Weltgeschichte, 1869- 1953, Memoiren. Nümberg 1953, S. 590. Neben dem Katholiken Foerster hat auch der Katholik Kar/ Thieme Friedrich den Großen äußerst kritisch beurteilt. Vgl. dazu seine Abhandlung: Friedrichs Revolution im Urteil der volkstümlichen deutschen Geschichtsschreibung, in: Das Schicksal der Deutschen, S. 82 ff. Max Pribilla kritisiert die nationalsozialistische Tendenz, die gesamte deutsche Geschichte für die eigene Ideologie zu beanspruchen. ,,Jeder hervorragende Deutsche (besonders Friedrich der Große und Bismarck) war zum mindesten Vorläufer und Wegbereiter des Nationalsozialismus". (Deutsche Schicksalsfragen. Rückblick und Ausblick. Frankfurt am Main 1950, S. 9).
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Diese Art von deterministischer Geschichts- und Politikanalyse scheut auch nicht davor zurück, Otto von Bismarck als Vorläufer von Hitler zu begreifen. Harold Nicolson zufolge richtete der deutsche Kanzler "die ganze Kraft seines Genius" 62 darauf, den Unterschied zwischen "zivilisierten und unzivilisierten Elementen in Deutschland" 63 zum Verschwinden zu bringen. Es sei dann Hitler vorbehalten gewesen, das unheilvolle Bismarcksche Werk zu vollenden und die deutsche Kultur gänzlich der Barbarei auszuliefern 64 • In einer ähnlichen Weise war Alexander Rüstow zufolge "Bismarck ein Vorgänger Hitlers und ein Erzieher des deutschen Volkes auf Hitler" 65 • Der Nationalsozialismus ist für Deutschland also keineswegs der Reflex höchst marginaler Denkpositionen und Bewegungen, sondern augenfällige Manifestation eines politischen Denk- und Aktionskomplexes, dem primäre Bedeutung für den gesamten Geschichtsverlauf zukommt. Deutschlands Geschichte partizipiere durchgängig an jener illiberalen Ideologie, deren Kulminationspunkt der Nationalsozialismus darstellt. Kein Geringerer als Wilhelm Röpke war der Auffassung, daß in der gesamten deutschen Geschichte der Abschied vom westlichen Liberalismus unübersehbar sei, der deutsche Geschichtsverlauf in allen seinen Phasen auf die illiberale Begründung des politischen Prozesses verweise. Der bedeutende Nationalökonom schreibt: "Wir dürfen gar keinen Zweifel daran lassen, daß der Nationalsozialismus, weit davon entfernt, ein bloßer Zwischenfall der deutschen Geschichte zu sein, aus Bedingungen entstanden ist, die nur Deutschland eigentümlich sind" 66 • Von dieser Perspektive aus erscheint der Nationalsozialismus als eine politische Wirkkraft, deren Wurzeln allein in Deutschland aufzuspüren sind. "Wir müssen also mit dem stärksten Nachdruck betonen, daß das Dritte Reich tief verwurzelt ist in der deutschen Geschichte" 67 • Dabei verkennt Röpke keineswegs, daß der Aufstieg Hitlers von Faktoren begleitet war, die kaum dem deutschen Geschichtsverlauf allein zu imputieren sind. Sie hätten den Sieg des 62 Harald Nicolson, Die deutsche Seele, in: Am Rande vermerkt. Aus dem Englischen. Bonn o. J., S. 10. 63 Ebd. 64 Ebd., S. 11. 65 Alexander Rüstow, Ortsbestimmung der Gegenwart. Eine universalgeschichtliche Kulturkritik. 3. Bd., Herrschaft oder Freiheit. Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1957, S. 692. Gegen eine derartige Geschichtsinterpretation hat sich nicht zuletzt Alfred Heuß leidenschaftlich gewandt. "Während der letzten Jahrzehnte hat nicht nur im Ausland eine gewisse Neigung oder eine Art von Versuchung bestanden, die deutsche Geschichte seit der Gründung des zweiten deutschen Reiches als determiniert zu betrachten und ihren katastrophalen Ausgang ihr von Anfang an als vorbestimmt zuzurechnen. Bismarck und Hitler also mit einem großen Bogen zu verbinden. Die Ursache ist ein Denkfehler im Gebrauch der historischen "Logik" und besteht kurzerhand darin, daß aus einem post hoc ein propter hoc gemacht wird" (Versagen und Verhängnis. Vom Ruin deutscher Geschichte und ihres Verständnisses. Berlin 1984, S. 112). 66 Wilhelm Röpke, Die deutsche Frage. Erlenbach-Zürich 1945, S. 108. 67 Ebd., S. 109.
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Nationalsozialismus jedoch keineswegs entscheidend beeinflußt. Es führe also keine Erkenntnis um die Tatsache herum, daß der Nationalsozialismus als genuin deutsches Phänomen anzusehen sei. "Es wäre unmöglich gewesen, wenn zu den bloßen Zufalligkeiten, die wir nicht bestreiten wollen, nicht ein Milieu hinzugetreten wäre, das das Produkt der gesamten deutschen Geschichte ist" 68 • Eine politische Gestalt wie Hitler konnte nur in Deutschland die Staatsspitze erreichen, nur in diesem Lande seine unheilvolle Tätigkeit entfalten. Hitler habe sich innerhalb eines ideologischen Vorstellungssystems bewegt, das nur in Deutschland die Chance hatte, als offizielle Staatsideologie inthronisiert zu werden. "Hitlers gibt es überall und zu allen Zeiten, aber es ist die Schande Deutschlands, daß eine solche elende Figur zu seinem Führer werden konnte. Damit sich der Samen entfalten konnte, mußte er ein ihm zusagendes Erdreich finden: das deutsche Reich und die Deutschen, so wie sie in ihrer politischen, geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Geschichte geworden sind" 69 • Der Nationalsozialismus und seine Ideologie seien also nichts anderes als die Inkarnation alles dessen, was die Deutschen immer schon gefühlt und gedacht haben. Als die Deutschen sich dem Nationalsozialismus öffneten, haben sie also keineswegs mit ihrer politischen und ideologischen Tradition gebrochen. Für Ludwig von Mises bereitet es überhaupt keine Schwierigkeiten, den Nationalsozialismus als eine Politikvorstellung zu entschlüsseln, die dem vornationalsozialistischen politischen Denken weitgehend entsprach. "In den Schriften und Reden von Hitler, Goering, Goebbels, Rosenberg, Feder .. . und aller übrigen Nationalsozialisten ist nicht eine Spur von Neuern zu entdecken. Alles hatten schon Langbehn, Lagarde, Treitschke, Schmoller, Rohrbach, Hasse, Class, Naumann, Bernardi und viele andere weit besser, klarer und vollständiger dargelegt. Der Nationalsozialismus stand schon vor dem Ersten Weltkrieg fertig da .. . Er hat das deutsche Volk in den Weltkrieg geführt und hat im Kriege seine Politik bestimmt" 70 •
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Ebd., S. 108.
Ebd., S. 108 f. Gegen diese deterministische Geschichtsinterpretation hat sich Jo-
hannes Grass gewandt: "Der Nationalsozialismus mitsamt seinen Verbrechen ist sowenig
auf eine den Deutschen als Charakteristikum innewohnende Dummheit und Bösartigkeit zurückzuführen, wie die Nichtwiederkehr des Nazismus auf deutschem Boden an der Besserung, der Läuterung der Deutschen, an ihrer nun größeren Klugheit hängt" (Notizbuch. Neue Folge, 77. Fortsetzung, in: Frankfurter Allgemeines Magazin, 39. Woche, Heft 448, 30. September 1988). Sebastian Haffner zufolge ist Hitler keineswegs in der deutschen Geschichte angelegt. Er sei "mit seiner rassistischen Weltherrschaftsvision sehr schnell aus jeder deutschen Tradition" herausgewachsen (Die Geschichte des Dritten Reiches ist die Hitlers, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 208, 8. September 1980). A/fred Heuß zufolge war Hitler "der schlimmste Feind, den die Deutschen jemals gehabt haben" (Versagen und Verhängnis. Vom Ruin deutscher Geschichte und ihres Verständnisses, S. 122). 10 Ludwig von Mises, Im Namen des Staates oder Die Gefahren des Kollektivismus, s. 166.
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Von der Auffassung, daß die gesamte jüngere deutsche Geschichte als Unheilsentwicklung zu interpretieren ist, ist nur ein kurzer Weg zu dem Urteil, der Illiberalismus sei letzten Endes unweigerlich mit der Natur der Deutschen gegeben. Mögen auch einige Farben der deutschen politischen Kultur aus der Palette des Liberalismus stammen, letzten Endes tendierten die Deutschen unaufhaltsam zu autoritär-repressiven System und Denkweisen. Was sieb in ihrer politischen Kultur ausdrücke, verweise keineswegs auf einen wie immer gearteten Liberalismus, sondern rücke ihre Disposition zu illiberalen Denkweisen und Politikpraxen in ein besonderes Licht. In dieser Perspektive jedenfalls hat Ralph Barton Perry die deutsche Geschichte gesehen, wenn er schreibt: "Durch menschliche Findigkeit und das Zusammentreffen rassischer Merkmale mit historischen Begleitumständen haben sich Disziplin, Leidenschaftlichkeit, soziale Solidarität und eine Meisterschaft in allen technischen Kunstfertigkeiten in einer Nation vereinigt. Das deutsche Volk taugt mehr zum Gehorsam, als ihm individuelles Selbstvertrauen eignet, und es gewinnt seine Selbstachtung aus der Teilnahme an kollektivem Handeln" 71 • Dieser Auffassung über die Deutschen schließt sich auch Kurt Lewin an: "Daß deutsche Bürger es nie verstanden haben, ihre Häupter zu kritisieren, ist häufig beobachtet worden. In der deutschen Kultur wird ,Loyalität' in typischer Weise mit ,Gehorsam' identifiziert. Die Deutschen sehen gegenüber einer auf Gehorsam aufgebauten wirkungsvollen Gruppenorganisation als Alternative nur eine auf individuelle Freiheit zurückgehende Atmosphäre des laissez faire" 72 •
11 Ralph Barton Perry, Soll nicht vergehn von dieser Welt. Aus dem Amerikanischen. Nürnberg 1949, S. 147. n Kurt Lewin, Die Lösung sozialer Konflikte. Ausgewählte Abhandlungen über Gruppendynamik. Aus dem Amerikanischen. 3. Aufl., Bad Nauheim 1968, S. 85.
111. Deutschlands Illiberalismus als legitime antiwestliche Ordnungsvorstellung und Politikpraxis Der Gegensatz zwischen der deutschen und der westlichen politischen Kultur wurde nicht nur in einem negativen Lichte beurteilt, er wurde auch Reflexionsgegenstand von Historikern und Politologen, die ihn lauthals priesen. Für viele von ihnen schließt sich die überlegene Qualität der deutschen Kultur nur auf, wenn man sich ihrer Differenzen gegenüber dem Westen vergewissert und erkennt, daß die deutsche Andersartigkeit als historische Chance und politische Vorzugsstellung begriffen werden müsse. Bezugspunkt ihres Denkens ist die Auffassung, daß der in Rede stehende Gegensatz Veranlassung bieten sollte, sich gegen alle westlichen Kultureinflüsse zu wehren, um auf diese Weise den deutschen Politikwerten Treue bewahren zu können. Schon Ernst Moritz Arndt erschien von der Warte eines vermeintlich objektivnationalen Standpunktes aus das französische 1 Denken als widernatürlich. Wie in einem Brennglas bündele sich in der französischen Kultur das breite Spektrum von Denkweisen, die der vernünftigen Ordnung diametral widersprechen. Arndt schreibt: "Man weiß, was Voltaire und alle französischen Philosophen in Philosophie und Theologie nicht bloß gepfuscht, sondern wie sie in den höchsten und heiligsten Dingen gesündigt haben. Weil diese zu groß sind, in das enge und logische Maß des Verstandes sich einschnüren zu lassen, so wurden sie von diesen Halbköpfen als Gespenster einer kindischen und barbarischen Vorzeit weggespöttelt" 2• 1 Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, die die gesamte westliche Kultur ablehnten, richtet sich die Feindschaft Arndts allein gegen die Franzosen. Dagegen hegt er gegenüber den Engländern die größte Hochachtung. Er schreibt: "Still, fest, ernst, trotzig und stolz ist der Engländer als Mensch; still, fest, ernst, trotzig und stolz macht die kühne und männliche Freiheit; der Mensch hat die Gesetze geboren" (Über das Verhältnis Englands und Frankreichs zu Europa. Leipzig o. J., S. 47). In England sei die "Richtung des Gemütes auf das Große und Allgemeine" ausgerichtet (ebd.). 2 Ernst Moritz Arndt, Letztes Wort an die Deutschen, in: Geist der Zeit, hrsg. von Heinrich Meisner. 2. Teil, Leipzig o. J., S. 141. Vgl. dazu auch: "Darum laßt uns die Franzosen nur recht frisch hassen, laßt uns unsre Franzosen, dieEntehrerund Verwüster unserer Kraft und Unschuld, nur noch frischer hassen, wo wir fühlen, daß sie unsre Tugend und Stärke verweichlichen und entnerven. Als Deutsche, als Volk bedürfen wir dieses Gegensatzes". (Über deutsche Art und über das Welschturn bei uns, in: Geist der Zeit. 4. Teil, S. 158 f.) Klaus von See ist der Auffassung, daß Arndt trotzseines "antifranzösischen patriotischen Engagements mit den aufklärerisch-unversalistischen Denkmodellen" arbeitet, die ihm das 18. Jahrhundert bereitgestellt hat. (Die Idee von 1789 und die Ideen von 1914. Völkisches Denken in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg. Frankfurt am Main 1975, S. 14).
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Auch nach der deutschen Erhebung gegen Napoleon wurde in deutschbewußen Kreisen dezidiert Distanz zum westlichen Kulturkreis gehalten. Die westliche Lebensart ist für so manchen Vertreter des Deutschtums ein zu äußerster Evidenz gebrachtes Symbol für eine Weltauffassung, die aller genuin deutschen Bestimmungsmerkmale enträt. Die gesamte westliche Welt erscheint unter dem Aspekt der Deutschfeindlichkeit Es war nicht zuletzt Friedrich Engels, der in einem Aufsatz über Ernst Moritz Amdt aus dem Jahre 1841 die westliche Welt in dieser xenophoben Perspektive gesehen hat. Engels ist weit davon entfernt, seine sozialistische Stimme zum Sprachrohr einer kosmopolitischen Gesinnung zu machen; in seiner Abhandlung ist ihm der Anschluß an eine Denkweise gelungen, die dem antiwestlichen Geiste Amdts durchaus entspricht. Engels schreibt: "Aber dennoch hat die deutschtümliche Negation ihre Aufgabe noch immer nicht ganz vollbracht: es ist noch genug über die Alpen, den Rhein und die Weichsel heimzuschicken. Den Russen wollen wir die Pentarchie lassen; den Italienern ihren Papismus und was daran klebt, ihren Bellini, Donizetti und selbst Rossini, wenn sie mit diesem großtun wollen gegen Mozart und Beethoven; den Franzosen ihre arroganten Urteile über uns, ihre Vaudevilles und Opern, ihren Scribe und Adam. Wir wollen heimjagen, woher sie gekommen sind alle die verrückten ausländischen Gebräuche und Moden, alle die überflüssigen Fremdwörter; wir wollen aufhören, die Narren der Fremden zu sein und zusammenhalten zu einem einigen, unteilbaren, starken- und so Gott will,freien deutschen Volk" 3• Auch der Ausgangspunkt von Paul de Lagardes politischen Überzeugungen ist die von ihm nie aufgegebene Auffassung, daß die westliche Kultur der deutschen diametral entgegengesetzt sei. Paul de Lagarde schreibt: "Oder meint man, die Deutschen müßten ... durch eine aus Belgien, Norwegen, aus Montesquieu und J. J. Rousseau und Gott weiß woher zusammengestoppelte Verfassung, oder sie müßten durch die Götter Griechenlands und von Herrn Posa für die Deutschheil erzogen werden?" 4 • Vor allem die englische Politikpraxis könne kaum als Vorbild für Deutschland betrachtet werden. Keine Orientierung führe so grundsätzlich in die Irre wie der Versuch, englische politische Vorbilder nachzuahmen. Vor allem das englische revolutionäre Verhalten sei keineswegs so beispielhaft, daß es in Deutschland nachgeäfft werden sollte. Um die fatale Wirkkraft der Revolution von 1688 zu ermessen, genüge ein Blick auf deren antiegalitäre und antisoziale Tendenzen. Letzten Endes bleibe das besitzbürgerliche Denken die ideologische Richtschnur dieser Revolution. Das englische Volk sei durch dieses politische Ereignis um seine Mitwirkungsrechte gebracht worden. Im Horizonte einer nüchternen 3 Friedrich Engels (Pseudonym F. Oswald), Ernst Moritz Amdt, in: Friedrich Engels. Werke und Schriften bis Anfang 1844. Nebst Briefen und Dokumenten, in: Kar! Marx/ Friedrich Engels Historisch-Kritische Gesamtausgabe. Werke/Schriften/Briefe. 1. Abt., Bd. 2. Berlin 1930, S. 108. 4 Paul de Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, in: Deutsche Schriften, hrsg. von Wilhelm Rössle. Jena 1944, S. 70.
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Politikanalyse sei diese Revolution als der geglückte Versuch der englischen Oberschicht zu betrachten, ihre Privilegien langfristig zu sichern und zu legitimieren. Es sei dem Besitzbürgertum gelungen, die egalitären Kräfte auf diese Weise wirksam zu inhibieren. Aus diesem Grunde würde die Nachahmung dieser Revolution durch die Deutschen dieselben oligarchisch-besitzbürgerliehen Verhältnisse schaffen. "Macht ein Stand die Revolution wie 1688 in England, so wird er zur Kaste, zur Oligarchie nach venetianer Muster" 5 • Auch das französische Revolutionsereignis von 1789 sei keineswegs dazu geeignet, in Deutschland Nachahmer zu finden. Paul de Lagarde begreift die Grande Revolution als das konsequente Ergebnis einer individualistischen Denkweise, die zur Zersetzung und Zerstörung eines jeden politischen Gemeinwesens führen müsse. In ihr begegne uns jene Variante eines politischen Ereignisses, in dem fundamental gegen die ganzheitlichen Gesetze der Politik zugunsten des illegitimen individualistischen Prinzips verstoßen werde. "Macht das sogenannte Volk die Revolution, wie 1789 in Frankreich, so zerstiebt die Nation in Individuen, das heißt, sie hört auf, ein Organismus zu sein" 6• Dabei appelliert Lagarde an die Deutschen, statt einer Revolution nach westlichem Vorbild eine "innere Revolution" 7 zu vollziehen. Allein sie biete die Gewähr einer gedeihlichen Entwicklung des deutschen politischen Gemeinwesens. "Das wäre noch besser, wenn der liebe Gott zuließe, daß ein .. . durch Dummheit und Bösheit nötig gemachter Gewaltakt dasselbe erreichen könne, was stille, beharrliche, entsagende Arbeit die Verheißung hat" 8 • Wer allerdings der Auffassung sei, daß gegen die Gesetze der stetigen Entwicklung eines Gemeinwesens leichtfertig vergangen werden könne, dem bleibe letzten Endes das unheilbringende Ereignis der sogenannten "äußeren Revolution" 9 kaum erspart. Wie Paul de Lagarde, so war es auch Julius Langbehn darum zu tun, die deutsche Politikkonzeption in einen dichotomischen Gegensatz zur westlichen zu stellen. Was der deutschen Politik ihr Signum gebe, sei mit Hilfe westlicher Kategorien kaum aufzuschließen, verweigere sich dem am westlichen Rationalismus und Individualismus orientierten Blick. Es wäre deshalb ein gravierender politischer Fehler, diese grundlegenden Differenzen zu übersehen und den Deutschen die Nachahmung westlicher politischer Vorbilder zu empfehlen. Die westliehe Demokratie zeichne sich zuvörderst durch ihre abgrundtiefe Unwahrhaftigkeit und Unmoral aus. "Paris ist die Stadt der Demimonde und der zügellosen Demokratie; hier gesellt sich dem sittlichen der politische Krankheitsverfall hinzu. Gerade diese beiden Faktoren aber sind dem deutschen Volke in seiner ionersten Seele verhaßt, trotzdem, daß es gelegentlich mit ihnen kokettierte und s Ebd., S. 93. 6 Ebd. 7 Ebd. s Ebd. 9 Ebd.
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kokettiert; sie sind beide als "französische Krankheit" nach Deutschland eingedrungen" 10• Vor dem Hintergrund der Einsicht, daß sowohl die Syphilis als auch die Demokratie das deutsche Volksleben bedrohen, ruft Langbehn zu einem unerbittlichen Feldzug gegen die westlichen Verfassungsideale auf. Die Auffassung, daß sich die westliche Demokratiekonzeption von der deutschen grundlegend unterscheidet, wurde nicht zuletzt auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vertreten. So steht für Ernst Troeltsch die westliche Demokratieauffassung unter einem genuin individualistischen Vorzeichen, während die deutsche ungleich gemeinschaftsbezogener ausgerichtet sei. Der renommierte Sozialhistoriker schreibt: "Die Freiheit, sofern sie gestaltende Mitwirkung an der Bildung des Staatswillens ist, ist uns nicht die Hervorbringung des Regierungswillens aus der Summierung der Einzelwillen und nicht die Kontrolle der Geschäftsführer durch den Auftraggeber, sondern die freie, bewußte, pflichtgemäße Hingabe an das durch Geschichte, Staat und Nation schon bestehende Ganze" 11 • Im deutschen Demokratiebegriff würden die Pflichten stärker betont als die Rechte, das Ganze niemals den willkürlichen und letzten Endes illegitimen Ansprüchen des Einzelnen geopfert. "Diese Freiheit besteht mehr in Pflichten als in Rechten ... Die Individuen ·setzen nicht das Ganze zusammen, sondern identifizieren sich mit ihm. Die Freiheit ist nicht Gleichheit, sondern Dienst des Einzelnen an seinem Ort in der ihm zukommenden Organstellung" 12• Es ist Ernst Troeltsch zufolge beileibe kein Zufall, daß auch die deutsche Arbeiterbewegung von diesem ganzheitlichen Ton beeinflußt gewesen ist. Gerade die Wortführer der deutschen Arbeiterschaft seien immer schon dem staatlichen Ganzen verpflichtet gewesen. "Die großen Theoretiker der Arbeiterbewegung führen sich mit vollem Bewußtsein auf Fichte und Hege! zurück" 13 • Wenn man überhaupt nach ideologischen Ahnherren der deutschen Staatsphilosophie Ausschau halte, so falle einem augenfallig auf, daß die ganzheitlich ausgerichteten Klassiker einen ungleich stärkeren Einfluß ausgeübt haben als die individualistisch orientierten. "Die Staatsidee hing immer mehr mit Plato, Luther und Hege! zusammen als mit dem englischen oder französischen Ideal von Staat und Gesellschaft" 14• Die Reflexion über die Wurzeln des deutschen Staatsdenkens führt Ernst Troeltsch zufolge auch unweigerlich zu der Einsicht, daß der Organologiegedanke eine entscheidende Rolle bei der deutschen Politikkonzeption ge10
Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig 1922,
s. 96.
11 Ernst Troeltsch, Die deutsche Idee von der Freiheit (1916), in: Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, hrsg. von Hans Baron. Tübingen 1925, S. 94. 12 Ebd. 13 Ernst Troeltsch, Der metaphysische und religiöse Geist der deutschen Kultur (1916), in: Deutscher Geist und Westeuropa, S. 63. 14 Ebd.
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spielt hat. Troeltsch schreibt: "Dagegen beruht das deutsche politisch- historischethische Denken auf den Ideen der romantischen Gegenrevolution, die ... das westeuropäische Denken abzutragen versuchten und in Staat und Gesellschaft das ,organische' Ideal eines von sehr antibürgerlichem Idealismus erfüllten ästhetisch religiösen Gemeingeistes aufzurichten unternahm" 15 • Zu den Autoren, die in der in Rede stehenden Zeit sich gegen den individualistischen Geist des Westens richteten, gehörte nicht zuletzt auch Alfred Weber. Ihm ging es vor allem darum, das Bismarcksche Verfassungswerk aus einer genuin antiwestlichen Ordnungsvorstellung heraus zu interpretieren. Weber zufolge hat die Bismarcksche Verfassung ihre politische Überzeugungs- und Stoßkraft aus ihrem antiwestlichen Impetus heraus bezogyn. Ihren Schöpfern gebühre das Verdienst, die Skala der Verfassungsmöglichkeiten entscheidend nuanciert und dadurch demonstriert zu haben, daß die Leitbegriffe des westlichen konstitutionellen Denkens keineswegs Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen können. Alfred Weber schreibt in diesem Sinne: "Durch Bismarck haben wir die alte Aufklärungsphilosophie mit ihren vulgären demokratisch-liberalen Idealen, von denen die Mittelklasse der ganzen übrigen Welt heute noch lebt, überwunden. Wir sind das einzige Volk der Welt, das sie überwunden hat, uns daher in seiner Mittelklasse nicht mehr für Freiheit und Gleichheit in der vorbismarckschen Art schwärmen kann" 16• Ohne Ausnahme sind alle diese antiwestlich eingestellten Autoren der Auffassung, daß die deutsche Geschichte und das deutsche politische Denken anderen Strukturprinzipien verpflichtet sind als der Westen. Dankbar konstatieren sie, daß es einen tiefen Gegensatz zwischen der westlichen und der deutschen politischen Kultur gibt. In diesem Sinne weisen sie in voller Übereinstimmung mit Rudolf Stadelmann darauf hin, daß sich die deutsche Geschichte als der geglückte Versuch offenbare, dem Überkommenen möglichst lange treu zu bleiben und alles daran zu setzen, sich dem westlichen "Fortschritt" zu verweigern. Aus diesem Grunde teilen sie auch Stadelmanns unverhohlene Freude darüber, daß Deutschlands Geschichtsentwicklung einen gänzlich anderen Verlauf nahm als die westliche. "Deutschland hat den Dreischritt nicht mitgemacht, den England, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert . .. vollzogen haben: den Schritt vom absoluten Staat zur demokratischen Repräsentativverfassung, den rechtzeitigen Übergang vom Feudalismus zur Gesellschaftsordnung der Gleichheit, die Entwicklung vom obrigkeitlichen zum staatsbürgerlichen Denken" 17 • Die deutsche politische Entwicklung unterscheidet sich von der westlichen vor allem auch durch die gänzlich verschiedene Qualität ihrer politischen Festtage. "Es fehlt dem Deutschen an dem strahlenden Erinnerungsbild einer Glorious Revolution, einer Grande Journee, einer Declaration of 15 16 17
Ernst Troeltsch, Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik, S. 6 f. Alfred Weber, Gedanken zur deutschen Sendung. Berlin 1915, S. 21. Rudolf Stadelmann, Deutschland und Westeuropa. Laupheim 1948, S. 14.
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Independance" 18 • Die Deutschen erinnerten sich an ihren Festtagen keineswegs an den Sieg über ihre Herrscher, sondern feierten die Siege auf dem Felde der Ehre. "Die Höhepunkte unserer nationalen Vergangenheit sind nicht Siege über die Monarchie, sondern Siege der Monarchie, militärische Ruhmestaten und staatsmäimische Leistungen, Friedrich der Große und Bismarck" 19• Die panegyrische Verherrlichung des angeblich fundamentalen Gegensatzes zwischen Deutschland und dem Westen bezieht sich nicht nur auf die politischen Differenzen zwischen den beiden Kulturkreisen, sie zielt auch auf das Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik und das der Gesellschaftsordnung ab. Auch auf diesem Gebiete sollten die grundlegenden Unterschiede zwischen Deutschland und dem Westen erkannt sein, auch die Gestaltung des Soziallebens müsse in den Blick genommen werden, um den in Rede stehenden fundamentalen Gegensatz verstehen zu können. Werner Sombart blieb es vorbehalten, den angeblichen Gegensatz zwischen dem deutschen und dem englischen Sozialleben auf die dichotomische Unterscheidung zwischen dem Helden und dem Händler zu reduzieren. Nach Sombart erreicht in der englischen Kultur das Prinzip des vulgären händlerischen Geistes seinen Kulminationspunkt. Wolle man den ganzen Abstand ermessen, den die deutsche Kultur von der englischen trennt, so müsse erkannt sein, daß dem Engländer im Gegensatz zum Deutschen jeglicher Sinn für das Höhere abgeht. Der Engländer verweigere sichalldenjenigen Werten und Ordnungsvorstellungen, die das Prinzip des Mammonismus transzendieren. Auf diese Weise habe sich England mit Haut und Haaren dem "Krämergeist" 20 verschrieben. Dieser Ungeist teilte sich insbesondere der englischen Politik- und Sozialkonzeption mit. Jegliches Nachdenken über Wirtschaft und Gesellschaft habe sich in England dem Geiste des ökonomischen Kalküls zu fügen. "Platt und hausbacken fürwahr ist alle echt englische Ethik, platt und hausbacken alles, was Engländer über den Staat geschrieben haben. Und jeder Gedanke aus händlerischem Geiste geboren" 21 • Gegen diese krämerische Politiklehre des englischen Handelsvolkes hebe sich die deutsche vorteilhaft ab. Das Motiv für die deutschen Denker ist in ihrer Auffassung begründet, daß der kommerzielle Geist jeder humanen Politik recht eigentlich widerspricht. Aus diesem Grunde seien es nicht zuletzt die deutschen Sozialisten gewesen, die der englischen Manchesterschule den Kampf angesagt haben. Sowohl Lassalle als auch Rodbertus hätten den kapitalistischen Geist des englischen Manchestertums frühzeitig erkannt und im Namen einer weitaus sozialeren deutschen Staatsatheorie abgelehnt 22 • Völlig zu Recht würde die englische "Manchestertheorie heute von Theoretikern und Praktikern in 1s Ebd., S. 17.
Ebd. Werner Sombart, Händler und Helden. Patriotische Besinnungen. München/Leipzig 1915, s. 143. 21 Ebd., S. 18 f. 22 Ebd., S. 75. 19
20
3 J. B. Müller
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Deutschland als gänzlich verfehlt und unbrauchbar mit Verachtung beiseite geschoben" 23 • Daß das deutsche politische System einen ungleich sozialeren Geist atmet als das englische und das französische, dessen ist sich auch Friedrich Meinecke sicher. Der Parlamentarismus der westlichen Nationen steht bei ihm so sehr im Zeichen von Klassenherrschaft und kapitalistischer Ausbeutung, daß eine radikale deutsche Gegnerschaft gegenüber diesem antisozialen System mehr als gerechtfertigt erscheint. Während in Deutschland Meinecke zufolge der soziale Ausgleich die politische Richtschnur der politischen Ordnung darstelle, präsentierten sich die westlichen Staaten in unverhüllter Weise als dichotomisch konstruierte Klassenstaaten. Dabei dienen die Parteien im westlichen System als Transmissionsriemen der jeweiligen Klasseninteressen. "Das parlamentarische System soll den Volkswillen zur alleinigen Geltung im Staate bringen. Es bringt immer und immer nur die Parteien und innerhalb dieser wieder nur ganz kleine Schichten und Gruppen ans Ruder, die dann als Drahtzieher der herrschenden Partei eine wunderbare Gelegenheit erhalten, den Staat für sich auszubeuten" 24 • Kurz und bündig dekretiert Friedrich Meinecke, daß es sich beim westlichen Parlamentarismus um die "Verfassung des bürgerlich-kapitalistischen Klassenstaates" 25 handelt. Dabei sei es gerade das zutiefst antikapitalistische und auf sozialen Ausgleich bedachte Denken der Deutschen, das diesen klassenzentrierten Parlamentarismus vehement zurückweisen läßt. "Der soziale Gemeingeist, der in unserem Staate lebendig werden und unser aller Freiheit sichern soll, verlangt eine andere Regierungsform als die des bürgerlichen Klassenstaates" 26 • Meinecke transferiert diese Einsicht in die Forderung, dem Verfassungstypus der "sozialen Monarchie" 27 Geltung zu verschaffen. Will man eine den Deutschen gemäße politische Form finden, so ist darauf zu achten, daß der Monarchie eine sozial ausgleichende Funktion zuerkannt wird. Nur wenn die Kategorien des sozialen Ausgleichs und des monarchischen Prinzips zusammengedacht werden, gelange man zu einer politischen Ordnung, die beispielhaft genannt zu werden verdient. "Ein soziales Königtum, befreit von den Resten des alten Stände- und Privilegienstaates, auf Fühlung und Harmonie mit der Volksvertretung angewiesen, aber zugleich frei und stark genug, um ausgleichend und vermittelnd zwischen Mehrheiten und Minderheiten einzugreifen und so die Synthese des tieferen Volkswillens zu finden, ... das ist die Siegfriedstellung unserer politischen Macht und Freiheit" 28 • Ebd. Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: Die deutsche Freiheit. 5 Vorträge. Gotha 1917, S. 35. 25 Ebd. 26 Ebd., S. 36. 21 Ebd. 28 Ebd., S. 36 f. Ernst Troeltsch zufolge kommt dem deutschen Freiheitsbegriff eine ungleich höhere Dignität zu als dem w.estlichen. Was sich im deutschen Freiheitsbegriff 23
24
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Daß insbesondere England sich als ein ausgeprägter Klassenstaat darstellt, das war auch die Auffassung Eduard Meyers. Man mißverstehe dieses Land gründlich, wenn man von seinem liberalen Freiheitsideal auf menschenwürdige soziale Verhältnisse schließe. In diesem Lande sei der Geist der Ausbeutung am Werke, der Sinn für soziale Gerechtigkeit nahezu verschwunden. "Das Ideal der individuellen schrankenlosen Bewegungsfreiheit, das das gesamte englische Leben beherrscht und an das der für England schwärmende Liberalismus so lange geglaubt hat, bedeutet tatsächlich die Herrschaft des Kapitalismus und der materiellen Interessen der besitzenden Klassen. Eben darum ist der Begriff der sozialen Fürsorge, der Verpflichtung der Besitzenden gegen die Gesamtheit und gegen die ärmeren und abhängigen Elemente dem Engländer so fremdartig" 29 • Auch nach Max Sering gehört es zur Physiognomie der englischen Soziallandschaft, daß wenigen Reichen eine ungeheure Zahl von Armen gegenübersteht. Dabei sei es für jeden objektiven Beobachter der englischen Politikszene überaus einsichtig, daß die Oberschicht diesen sozialen Mißstand zu verantworten hat. Es sei einer ihrer bedeutendsten Charakterzüge, daß ihr jegliches soziale Verantwortungsgefühl abgehe. "Die regierende Aristokratie und Plutokratie hat jene furchtbare Verelendung der britischen Industriearbeiterschaft zu verantworten, aus der sich wohl eine obere Schicht aus eigener Kraft durch Gewerkschaft und Genossenschaft aufarbeiten konnte ... die aber noch bis jetzt mit einem nach Millionen zählenden Bodensatz andauert .. . Der Staat hat lange nichts anderes für die Arbeiterschaft zu tun gewußt, als daß er seit 1833 einen Schutz gegen die Überarbeitung von Frauen und Kindem einführte" 30 • Die soziale Verelendung ausdrücke, verweise keineswegs auf illegitime Handlungsspielräume des einzelnen, sondern rücke seine Verantwortung gegenüber dem Ganzen in ein besonderes Licht. "Wir sind freier als der englische Geist, der sich gegenüber dem materiellen Geschäftsinteresse nur im engsten Kreise produktiv regen kann" (Die deutsche Idee von der Freiheit, S. 87). 29 Eduard Meyer, England. Seine staatliche und politische Enwicklung und der Krieg gegen Deutschland, Stuttgart/Berlin 1915, S. 45. Die fehlende Hilfe für die sozial Schwachen und Armen werde keineswegs als skandalös empfunden. Dazu trage nicht zuletzt ein typisch englisches Verhalten bei, das ein Höchstmaß an Heuchelei darstelle. Diese bestehe darin, daß man sich weigere, wirklichkeitswidrige Behauptungen der Herrschenden überhaupt nachzuprüfen. Der Engländer nehme "die Sätze willig und ungeprüft hin, wie sie ihm geboten werden" (ebd., S. 47). Dieses Verhalten biete den "ungeheuren Vorteil, daß Gewissensskrupel nicht auftauchen können" (ebd., S. 48). Für dieses "salbungsvolle Deklamieren hoher moralischer Phrasen, wenn man es ganz anders meint", habe der Engländer "den unübersetzbaren Ausdruck ,cant' geschaffen" (ebd.). Auch Ferdinand Toennies ließ es sich nicht nehmen, sich über die englische Heuchelei zu entrüsten. "Diese sonderbare Mischung von Schamhaftigkeit und Heuchelei ist kaum einem Individuum, sicherlich keinem Volke gänzlich fremd. Aber es ist eine merkwürdige Tatsache, daß gerade in der englischen Nation ... eine ausgesprochene Neigung und eine offenbare Begabung dafür sich findet" (Englische Weltpolitik in englischer Beleuchtung. Berlin 1915, S. 5). Vgl. dazu auch Max Sehe/er, Zur Phychologie des englischen Ethos und des cant. Anhang zu: Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg. Leipzig 1915, s. 385 ff. 30 Max Sering, Staat und Gesellschaftsverfassung bei den Westmächten und in Deutschland, in: Die deutsche Freiheit. Gotha 1917, S. 68 f. Auch nach Troeltsch zeichnet 3•
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gehe nicht zuletzt auf die Lehren derjenigen Nationalökonomen zurück, die dem Sozialdarwinismus das Wort redeten. Ihr abgezirkeltes Denken habe den Markt deifiziert, jegliche Verantwortung für die Armen und Schwachen von sich geschoben. Im Gegensatz zu Deutschland wurde nicht nur England, sondern die gesamten westlichen Staaten "zur Heimat des ökonomischen Individualismus, der, eine Lehre der Starken und Aufstrebenden, die Schwachen und Armen zur Verkrüppelung verurteilte" 31 • Während des Zweiten Weltkrieges ging es denjenigen Historikern und Politologen, die von der Höherwertigkeit des deutschen Kulturbereichs zutiefst überzeugt waren, nicht zuletzt auch darum, den Sieg der deutschen Waffen zu wünschen. Nach ihrem Politikverständnis gebührt eindeutig der deutschen Kriegsseite der Sieg. Schließlich sei sie es, die über Kultur- und Wirtschaftsprinzipien verfügt, die der westlichen Welt eindeutig überlegen sind. Ihre Überlegenheit trete in allen Zügen ihrer Physiognomie hervor. Aus diesem Grunde müßte ein Sieg des Westens als ein eindeutiger kulturell-politischer Rückschritt bewertet werden. Der Erste Weltkrieg bietet Max Scheler zufolge die einmalige Gelegenheit, "in ganz Europa das Zeitalter gründlich zu bestatten, das man nicht mit Unrecht das ,bürgerlich-kapitalistische' genannt hat'm. Der Sieg der deutschen Waffen bedeute den Triumph des "deutschen monarchischen Staatsethos" 33 über den westlichen Republikanismus, die Niederlage des individualistischen Staatsdenkens durch den "Korporationsgedanken" 34 . Ganz auf dieser Linie der Argumentation geht es auch Alfred Weber darum, den Sieg der deutschen Waffen zu wünschen. "Wieder hat einmal die Zeit unserer Weltmission geschlagen, wie schon einmal zur Zeit Luthers.- Und wir werden uns diesmal an der Neugeburt der Welt zu Wahrhaftigkeit und Mut nicht verbluten, sondern um eine Weltwende kämpfen, in der wir führen werden" 35 • Alfred Weber zufolge bietet der Waffengang des Ersten Weltkrieges vor allem die Gelegenheit, "dem widerlichen Geschäftsinstinkt der Anglo-Amerikaner Paroli zu bieten" 36• Thomas Mann ist sogar der Ansicht, daß die militärische Niederlage Deutschlands die Kulturhöhe Europas entscheidend gefährden würde. Eine deutsche Niederlage würde "uns und Europa in der Gesittung" zurückwerfen 37 • Nur sich die westliche Demokratie durch die Herrschaft der Reichen aus. So kenne Frankreich vor allem "die Herrschaft von Plutokraten und Advokaten" (Der metaphysische und religiöse Geist der deutschen Kultur [1916], in: Deutscher Geist und Westeuropa, S. 76). 31 Ebd., S. 70. Dagegen vermochte die liberale Nationalökonomie in Deutschland "niemals ganz heimisch zu werden" (ebd.). In Deutschland sei "der vertiefte Freiheitsbegriff des deutschen Idealismus" geschichtsmächtig geworden (ebd.). 32 Max Sehe/er, Die Ursachen des Deutschenhasses. Eine nationalpädagogische Erörterung. Leipzig 1917, S.41. 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Alfred Weber, Gedanken zur deutschen Sendung, S. 30. 36 Ebd., S. 29. 37 Thomas Mann, Friedrich und die große Koalition. Berlin 1916, S. 29.
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ein irregeleitetes Westlerturn könne meinen, daß der Sieg Deutschlands der westeuropäischen Kultur zum Schaden gereichte. Die Hoffnung auf einen militärischen Sieg der Westmächte lasse sich als Partikel eines Bewußtseins erkennen, das den wahren Interessen der europäischen Kultur zuwiderlaufe. "Wer da wünscht, daß deutsche Art zugunsten von humanite und raison oder gar von cant von der Erde verschwinde, der frevelt" 38 • Derlei Hoffnungen nähren sich Thomas Mann zufolge aus einer politischen Ordnungsvorstellung, die die wahrhaft europäische Ausrichtung und Mission des deutschen Geistes gründlich verkenne. Aus diesem Grunde müsse ein Sieg des Westens unter allen Umständen verhindert werden. Die Niederlage der westlichen Heere gerate "nicht nur um der deutschen, sondern um der europäischen Zukunft willen" 39 zum heißersehnten und legitimen Desideratum. Auch im Fokus der Aufmerksamkeit Johann Plenges steht die weltanschauliche Bedeutung des Weltkrieges. Auch er denkt in den Kategorien des englischdeutschen Gegensatzes, der sich ihm als der Widerspruch zwischen dem illegitimen liberal-kapitalistischen und dem legitimen sozialistischen Prinzip entschlüsselt. Dabei gehöre zu den Erwartungshaltungen seiner Epoche die überaus berechtigte Hoffnung, daß der Weltkrieg den Sieg der kollektiven über die individualistische Ordnung bringen wird. "Die Weltgeschichte erlebt gegenwärtig das ungeheuere Schauspiel, daß bei uns ein neues großes Lebensideal zum endgültigen Siege durchdringt, und daß gleichzeitig in England ein weltgeschichtliches Prinzip endgültig zusammenbricht ... Die Seele der englischen Freiheit stirbt, weil dieser allzu individualistische Freiheitsgedanke den Staat nicht zu erhalten vermag. Wenn England gesund werden will, muß es am deutschen Geist und an deutscher Organisation gesund werden" 40 • Die individualistische Idee von 1789 wird durch die kollektivistische von 1914 überwunden werden. "In dem Reich der Ideen war Deutschland der überzeugteste Träger aller sozialistischen Träume" 41 • Wenn es einen primären Zweck des Weltkrieges gibt, dann liegt er in der Aufgabe beschlossen, dem historisch fortschrittlicheren Prinzip zum weltgeschichtlichen Siege zu verhelfen. Plenge zu folge wird "die Zahl der deutschen Siege erst durch den Sieg der ,Ideen von 1914' vollständig werden" 42 • Auf diese Weise werde es den Deutschen gelingen, "das geistige Haupt von Europa" 43 zu werden. 38 Ebd., S. 30. Von einem demokratiebejahenden Standpunkt aus ging Thomas Mann noch nach dem Zweiten Weltkrieg davon aus, daß sich die westliche Politikkonzeption entscheidend von der deutschen unterscheidet. "Die deutsche Freiheitsidee ist völkischantieuropäisch, dem Barbarischen immer sehr nahe, wenn sie nicht geradezu in offene und erklärte Barbarei ausbricht wie in unseren Tagen" (Rede über Deutschland und die Deutschen. Berlin 1947, S. 19). 39 Ebd., S . 130. 40 JohannPlenge, 1789 und 1914. Die symbolischen Jahre in derdeutschen Geschichte des politischen Geistes. Berlin 1916, S. 20. 41 Ebd. 42 Ebd., S. 21. 43 Ebd., S. 15.
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Den Sieg der deutschen Waffen haben nicht nur "bürgerliche" Autoren herbeigesehnt, auch Repräsentanten des sozialistischen Lagers waren der Auffassung, daß eine militärische Niederlage des Deutschen Reiches unter allen Umständen verhindert werden müsse. Paul Lensch zufolge würde der militärische Sieg der Westmächte einen Triumph des kapitalistischen Ausbeutungsprinzips über das Ideal des sozialen Ausgleichs und der gesellschaftlichen Gerechtigkeit bedeuten. Lensch ist der Ansicht, daß die sozial "rückständige individualistische Staatsverfassung der ,demokratischen' Weltmächte" 44 kaum das Ideal sein könne, dem das sozial ungleich ausgewogenere Deutschland nachzustreben habe. Die Zukunft gehöre eindeutig einem Deutschland, das sich noch stärker als bisher den Prinzipien des Sozialismus verschreibe. Es bedürfe sowohl der sozialen als auch der nationalen Besinnung, um die moribunde Qualität des westlichen Kapitalismus mit allen ihren Konsequenzen erschließen zu können. Allein Deutschland halte den Schlüssel für eine sozialere Zukunft der Welt in den Händen. "So steht das individualistische Gesellschaftssystem an den Marken seiner Tage. Eine neue Zeit und mit ihr ein neues Ideal zieht herauf: die sozialisierte Gesellschaft. Ihr Degen ist Deutschland" 45 • Der militärische Sieg Deutschlands würde nicht nur die kapitalistisch-imperialistischen Engländer aus ihrer dominierenden Weltherrschaftsposition verdrängen, er bedeutete auch den endgültigen Tod des zaristischen Systems. Deutschland sei also nicht nur berufen, den Sieg über den englischen Weltkapitalismus zu erringen, sondern auch den nicht minder reaktionären Zarismus zu zerstören 46 • Europa müsse den deutschen Soldaten dankbar dafür sein, von dieser schon von Marx kritisierten "Doppelsklaverei" 47 befreit zu werden. Dagegen war Moeller van den Bruck der Auffassung, daß der Weltkrieg die einmalige Chance biete, den "Aufbruch nach Osten" 48 zu wagen. "So kürzt der Krieg die Zeit. So öffnet er den Raum. So stellt er die Geschichte auf ihren nächsten Schauplatz und betätigt eine Schwerpunktverlagerung im Völkerleben, die der veränderten Lagerung der Kräfte entspricht und hier deutlich in der Richtung vom Westen nach Osten zeigt" 49 • Das dramatische Völkerringen biete nicht zuletzt auch den Deutschen die Möglichkeit, die "Abkehr vom Westen" 5° Paul Lensch, Drei Jahre Weltrevolution. Berlin 1917. S. 218. Paul Lensch, Die Sozialdemokratie. Du Ende und ihr Glück. Leipzig 1916, S. 175. Dabei ist Lensch der Auffassung, daß Deutschland schon während des Weltkrieges über ausgesprochen fortschrittliche Bestimmungsmerkmale verfügt. "Die falsche Fassade der preußischen Autokratie verdeckt den starken demokratischen Bau, der für Deutschlands inneres Leben kennzeichnend ist. Was nötig ist, das ist der Abbruch dieser Fassade" (Drei Jahre Weltrevolution, S. 218 f.) Entscheidend sei nicht zuletzt die Schaffung eines allgemeinen Wahlrechtes (ebd., S. 219). 46 Paul Lensch, Drei Jahre Weltrevolution, S. 220. 47 Ebd. 48 Moeller van den Bruck, Die Abkehr vom Westen, in: Der politische Mensch, hrsg. von Hans Schwarz. Breslau 1933, S. 153. 49 Ebd. 44 45
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zu vollziehen. Gerade die Deutschen sollten sich nicht länger zum Sprachrohr lebensfremder Westprinzipien gebrauchen lassen, sondern endlich begreifen, daß das politische Heil auch für ihre Nation eher aus dem Osten als aus dem Westen kommt. "Im Westen gehen die Völker zugrunde und im Osten erholen sie sich. Der Krieg wurde zu der großen Auseinandersetzung zwischen dem Westen, der gelebt hat, und dem Osten, der erst leben will" 51 • Gerade den Deutschen sollte ins Bewußtsein gehoben werden, wie lebensfremd und widernatürlich sich die entscheidenden politischen Prinzipien des Westens bei Lichte besehen ausnehmen. "Westen und Westlichkeit ist ein Schicksal, das sich einmal an jedem Volkstum erfüllt. In ihm rächen sich die Spiegelfechtereien der Aufklärung: einer Vernunft, die den Menschen aus seinen natürlichen Zusammenhängen löste und in die utilistischen stellte, die doch nur egoistische sind: einer Gesellschaftsordnung, die nur der Materie lebt und in Materialismen sich entlohnen läßt: einer Demokratie ohne Volklichkeit und eines merkantilen und industriellen Massenraubbaus, die den Menschen betrügen oder ihn abnutzen" 52 • Dagegen stelle sich der Osten als die Gegenordnung zum Westen dar. Die Menschen des Ostens seien im Gegensatz zu denen des Westens der Gefahr entgangen, sich im Labyrinth des Rationalismus und des Mammonismus zu verlieren und einer lebensfremden Ordnung anheimzufallen. "Der Osten ist wichtig für das Leben: über die Stunde hinaus hängt von ihm das Wachstum der Nation ab ... Schon deshalb können wir nichts Politischeres tun, in dem gewaltigen Sinne des Wortes, der den Haushalt der Natur in dem Haushalt des Staates wiederholt, als in einem Ausmaße, das nicht groß genug gedacht werden kann, unseren Anteil am Osten zu nehmen" 53 • Von Rußland können wir lernen, wie man sich gegen die aufklärerischen Handlungsanweisungen erfolgreich wehrt, sich den lebensfremden Denkstrukturen des Westens widersetzt. Die Weltanschauung des Ostens, ihre so stark gegen den Westen gerichteten Prinzipien, werden deshalb in Deutschland zum Zeichen einer großen politischen Hoffnung. Sie gibt nicht nur über das Seinsprinzip des Ostens Auskunft, sondern zeigt auch die philosophische und politische Bestimmung Deutschlands an. "Und in der extensiven Geistigkeit, die auf Mythe oder Mystik oder Metaphysik und nicht auf Skepsis beruht, auf seelischem Schauen, wie die große menschliche Dichtung des Ostens, und nicht auf wissenschaftlicher Beobachtung, wie die bürgerliche Kunst des Westens, sind wir Rußland nach wie vor durch den Himmelstrich verbunden" 54 • Zwei Völker, bei denen das antiwestliche Politikprinzip so dominant geworden ist, sollten auch außenpolitisch möglichst eng zusammenarbeiten. Dabei sollte das Konstruktionsmuster, das der deutsch-russischen Zusammenarbeit zugrunde liegen sollte, von einer 5o 5t
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Ebd., S. 154. Ebd. Ebd. Ebd., S. 155. Ebd., S. 158.
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genuin antiwestlichen Haltung bestimmt sein. Die Koordinaten dieses Bündnisses sollten sich in allen ihren Einzelheiten gegen den Westen wenden. Die von Moeller van den Bruck geforderte "Sozialisierung der Außenpolitik" 55 bedeutete eine Kampfansage gegenjegliche Bündnispolitik mit dem Westen und die Aufforderung, sich möglichst eng an Rußland anzuschließen 56•
55 Moeller van den Bruck, Das Recht der jungen Völker. Eine Sammlung politischer Aufsätze, hrsg. von Hans Schwarz. Berlin 1932, S. 112. 56 Vgl. Dazu auch Moeller van den Bruck, Das Recht der jungen Völker. München 1919.
IV. Interferenz und Kongruenz zwischen dem deutschen und dem westlichen Politikprozeß Die mit viel Forschungsaufwand dokumentierte und Bekennermut vertretene Annahme, daß es zwischen der deutschen und der westlichen politischen Kultur einen dichotomischen Gegensatz gibt, wurde und wird zu Recht auch in Zweifel gezogen. Ins Gesichtsfeld dieser Interpretation wird die kaum zu leugnende Tatsache gerückt, daß die in Rede stehende Kulturanalyse die Fakten des politischen und sozialen Lebens eher verzerrt als erhellt. Wenn auch eine Phalanx von Autoren unterschiedlichster nationaler und politischer Couleur nicht müde wurde und wird, den Gegensatz zwischen westlicher und deutscher Kultur zu betonen, so sollte dies kein Grund sein, in guter wissenschaftlicher Manier die Frage zu stellen, ob denn diese Differenz einer Wirklichkeitsüberprüfung überhaupt stand hält. Es ist in der Tat zu begrüßen, daß es nicht wenige Gelehrte gibt, die sich beharrlich weigern, dem herkömmlichen Interpretationsmuster Reverenz zu erweisen. Ihnen offenbart sich der Aufweis eines grundlegenden Gegensatzes zwischen Deutschland und dem Westen als das beklagenswerte Ergebnis einer selektiven Wahrnehmung politischer und sozialer Sachverhalte. Diese Politikanalytiker weisen zunächst darauf hin, daß auch die westliche politische Kultur keineswegs bar all jener Bestimmungsmomente sei, die nicht wenige nur in der deutschen aufzufinden in der Lage waren und sind. Auch die westliche Kultur definiere sich im Spannungsfeld von individuellen und ganzheitlichen Strukturmomenten, auch die westlichen Staaten kennten antiliberale Ideologien und Bewegungen. Man mißverstehe die französische und angelsächsische Welt gründlich, wenn man sie nur von einem atomistisch-nominalistischen Geiste bestimmt wähne. In Wirklichkeit stelle diese Welt einen Knüpfteppich von verwirrender ideologischer Vielfalt dar, in dem nicht zuletzt auch das ganzheitlich-etatistische Denken seinen legitimen Platz beanspruchen kann. Diese Behauptung enthält ihr Gewicht besonders dann, wenn man auf diejenigen Repräsentanten des englischen Geisteslebens zu sprechen kommt, die unter gar keinen Umständen über einen individualistischen Leisten geschlagen werden können. Es ist nicht zuletzt das Verdienst des amerikanischen Politologen David P. Calleo, auf diesen etwas in Vergessenheit geratenen Tatbestand nachdrücklich aufmerksam gemacht zu haben. Calleo zufolge sind es die unterschiedlichsten Denker, die bei der Bestimmung des ideologischen Gesichts Englands entscheidend mitgewirkt haben. Aus diesem Grunde sei es mehr als fragwürdig, bei der Analyse der englischen politischen Kultur allein den Liberalismus zu berücksichtigen. "In der Neuzeit erstreckt sich eine britische idealistische Tradition von Hooker
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über Burke 1 und Coleridge 2, beeinflußte mehrere viktorianische Persönlichkeiten wie John Stuart Mill, Disraeli 3, Glad~tone und erfährt ihre umfassendste philosophische Aussage bei den britischen ,Neo-Hegelianern' des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts" 4 • In diesem Zuammenhang macht Calleo auf Denker aufmerksam, die im deutschen Kulturbereich zu erwähnen kaum jemand für nötig findet. "Diese ehrwürdigen, klugen Männer - Green, Bradley und Bosanquet - ... beherrschten die offizielle britische Philosophie, bis ihr Einfluß ... allmählich von dem logischen Positivismus von Russen, Wittgenstein, Popper und Ayer verdrängt wurde" 5 • Dabei weist Emest Barker darauf hin, daß die idealistische Staats- und Gesellschaftsphilosophie Englands nicht zuletzt von der deutschen Philosophie beeinflußt wurde. Neben Kant sei es vor allem Hege!, der einen tiefen Einfluß auf die englische Philosophie ausgeübt habe. Barker schreibt: "The philosophical theory of the State, of which Green and Bosanquet are the chief representatives, is a commentary and exposition, and expansion and modification, of the political philosophy first expounded in Germany at the end of the eighteenth and the beginning of the nineteenth century" 6• Nicht zuletzt im englischen Linksliberalismus sei eine ganzheitliche Denkweise aufzuspüren, die ihre entscheidenden Anregungen Hege! verdanke.
I Edmund Burke definiert den Staat ganz im Sinne der deutschen Romantik als eine Gemeinschaft von Lebenden und Toten, Raumgenossen und Zeitgenossen. "The State ought not to be considered as nothing better than a partnership agreement in a trade of pepper and coffee, calico or tobacco, or other such low concem, to be taken up for a little temporary interest, and to be dissolved by the fancy ofthe parties. It is to be looked on with other reverence; because it is a partnership in things subservient only to the gross animal existence of a temporary and perishable nature. lt is a partnership in all science; a partnership in all art; a partnership in every virtue, and in all perfection. As the ends of such partnership cannot be obtained in many generations, it becomes a partnership not only between those who are living, but between those who are living, those who are dead, and those who are to be bome" (Reflections on the Revolution in France, edited by A. J. Grieve. London 1967, S. 93). Vgl. dazu auch Johann Baptist Müller, Liberalismus. Konkurrenzwirtschaft und Parlamentsdiskussion als Voraussetzungen ökonomischer und politischer Freiheit, in: Anton Pelinka, Ideologien im Bezugsfeld von Geschichte und Gesellschaft. Innsbruck 1981, S. 179. 2 Vgl. dazu Crane Brinton, The Politica1 ldeas of the English Romanticists. Ann Arbor Mich. 1966, S. 65 ff. 3 Vgl. dazu Benjamin Disraeli, Whigsand Whiggism. Political Writings, edited, with an Introduction, by William Hutcheon. Port Washington, N.Y./London 1971. Die konservative Kritik an der liberalen Tauschgesellschaft kommt vor allem in Disraelis Roman "Sybil or the Two Nations" zum Ausdruck. Vgl. dazu Johann Baptist Müller, Liberalismus. Konkurrenzwirtschaft und Parlamentsdiskussion als Voraussetzungen ökonomischer und politischer Freiheit, S. 179. 4 David P. Calleo, Legende und Wirklichkeit der deutschen Gefahr. Neue Aspekte zur Rolle Deutschlands in der Weltgeschichte von Bismarck bis heute. Aus dem Amerikanischen. Bonn 1981, S. 219 f. s Ebd., S. 220. 6 Ernest Barker, Political Thought in England 1848- 1914. 2. Edition, London 1959, s. 17.
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Der italienische Historiker Guido Ruggiero hat nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß der dem Hegelianismus zutiefst verpflichtete Oxforder Sozialphilosoph Green entscheidend auf den englischen Linksliberalismus eingewirkt hat. Dieser "Denker der Schule Hegels" 7 habe seinen ganzen Einfluß geltend gemacht, um den englischen Liberalismus "in ein Programm staatlicher Einmischung" 8 umzuwandeln. Die Sozialphilosophie des zutiefst von der ganzheitlichen Sozialphilosophie Hegels beeinflußten englischen Linksliberalismus war logischerweise weit davon entfernt, atomistisch-nominalistische Bestimmungsmerkmale aufzuweisen. Sie war vielmehr strukturiert vom uralten Grundmuster organologischer Gesellschafts- und Staatsauffassung. Diese Behauptung trifft insbesondere auf die beiden führenden intellektuellen Repräsentanten dieses ldeenkreises, J. A. Hobson und L. T. Hobnouse, zu. Was J. A. Hobsan anlangt, so stellt dieser unmißverständlich fest: "A political society must be regarded as ,organic"' 9 • Es sei die Aufgabe einer verantwortungsvollen politischen Führung, die Triebe und Bedürfnisse in eine politische Richtung zu lenken, in der sie dem sozialen und staatlichen Ganzen dienstbar gemacht werden können. "The individual's feeling, his will, bis ends, and interests . . . are directed primarily to secure the survival and psychical progress of the community regarded as a spiritual whole" 10• Wie Hobson, so definiert auch L. T. Hobhause den Staat und die Gesellschaft in einem antiatomistischen, zutiefst ganzheitlichen Bedeutungshorizont "The organic view of society ... means that, while the life of society is nothing but the life of individuals as they act one upon another, the life of the individual in turn would be something utterly different if he could be separated from society. A great deal of him would notexistat all" 11 • Diese prinzipielle Zurückweisung der nominalistischen Sozialphilosophie kann kaum prinzipieller und rigoroser formuliert werden. Daß sie von einem englischen Linksliberalen stammt, macht sie kaum weniger atomismusfeindlich. Der ganzheitlich-organologische Geist hat nicht nur die englischen Sozialliberalen entscheidend beeinflußt, er hat seine Spuren auch im Denken der "Fabian Society" hinterlassen. Die Philosophie dieser sozialistischen Gruppe gibt sich als der Versuch zu erkennen, die Ordnungsvorstellung des politischen Liberalismus mit dem sozialistischen Moment egalitärer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik zu verbinden. Auch dieses Ordnungskonzept ist wie das sozialliberale ent7 Guido de Ruggiero, Geschichte des Liberalismus in Europa. Aus dem Italienischen. München 1930. Neudruck Aalen 1964, S. 139. 8 Ebd., S. 141. 9 J. A. Hobson, The Crisis of Liberalism. New Issues of Democracy. London 1909, S. 76. Vgl. dazu auch Johann Baptist Müller, Liberalismus und Demokratie. Studien zum Verhältnis von Politik und Wirtschaft im Liberalismus. Stuttgart 1978, S. 205 und passim. w Ebd. 11 L. T. Hobhouse, Liberalism. London o. J., S. 125.
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scheidend vom Geiste Hegels geprägt. Diese Auffassung jedenfalls vertritt A. M. McBriar. Er schreibt völlig zu Recht: "At the outset, it seems necessary to say that there is no difficulty in discovering passages in Fabian Iiterature which show the influence of Hegelian ... philosophy" 12 • Wenn das ganzheitliche Denken als gesamteuropäisches Phänomen analysiert wird, wird man also kaum um die Einsicht herumkommen, daß neben Deutschland nicht zuletzt auch England entscheidenden Anteil an der Ausformulierung und Propagierung dieses sozialphilosophischen Topos hat. Wie die individualistischen, so dienen in England auch die antiindividualistischen Koordinaten zur politischen Ortsbestimmung, wird das politische Universum nicht nur von atomistischen Kategorien, sondern auch von ganzheitlichen erschlossen. Völlig zu Recht hat der Chatham Report 13 nachdrücklich darauf hingewiesen, daß diese sozial- und staatsphilosophische Denkhaltung keineswegs den Deutschen allein gehört. In diesem Bericht wird ohne Einschränkung die Auffassung vertreten, daß insbesondere auch Franzosen und Engländer dieser antiindividualistischen Einstellung Tribut gezollt haben. Namen wie Auguste Comte und Edmund Burke stellen augenf