Deutsche Freikorps: Sozialgeschichte und Kontinuitäten (para)militärischer Gewalt zwischen Weltkrieg, Revolution und Nationalsozialismus [1 ed.] 9783666311468, 9783525311462


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German Pages [355] Year 2022

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Deutsche Freikorps: Sozialgeschichte und Kontinuitäten (para)militärischer Gewalt zwischen Weltkrieg, Revolution und Nationalsozialismus [1 ed.]
 9783666311468, 9783525311462

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Jan-Philipp Pomplun

Deutsche Freikorps Sozialgeschichte und Kontinuitäten (para)­militärischer Gewalt zwischen Weltkrieg, Revolution und Nationalsozialismus

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Christina Morina, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Kiran Klaus Patel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 244

Jan-Philipp Pomplun

Deutsche Freikorps Sozialgeschichte und Kontinuitäten (para)militärischer Gewalt zwischen Weltkrieg, Revolution und Nationalsozialismus

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, sowie der Stiftung Zeitlehren, Karlsruhe. Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., 2020.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Einzug der Württemberger in die Stadt nach dem militärischen Sieg über die Räterepublik. © bpk / Heinrich Hoffmann Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-31146-8

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Geschichte der Freikorps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Kriegsende und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Militärisch-politische Situation Ende 1918 . . . . . . . . . . . . . 42 3. Aufstellung der Freikorps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Einsätze der Freikorps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Auflösung der Freikorps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Soziale Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Offiziere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Arbeiterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4. »Neuer« und »alter« Mittelstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angestellte und Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerblicher Mittelstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauernschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Schüler, Kadetten, Lehrlinge und Praktikanten . . . . . . . . . . . 120 6. Regionale Prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7. Religion und konfessionelle Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Kirchen und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . Judentum und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfessionelle Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Altersstruktur und Generationenverteilung . . . . . . . . . . . . . Altersstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriegsjugendgeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frontgeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Generationenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Ehefrauen und Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Elternhaus und Vaterlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 10. Sozialprofil und soziale Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Gewalterfahrung und Gewalthandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Kriegserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Berlin und München 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4. Ruhrgebiet 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5. Baltikum 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 6. Deutsch-polnisches Grenzgebiet 1919–1921 . . . . . . . . . . . . . 205 7. Rechtshistorische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 IV. Kontinuitäten zum Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Sturmabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Schutzstaffel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 6

Einleitung In der Zeit zwischen dem »Großen Krieg« 1914 bis 1918, der in Europa eine neue Form technisierter Massengewalt hervorgebracht hatte, und dem nationalsozialistischen Staat, der ab 1939 einen weiteren, in seinen Dimensionen den vorausgegangenen weit übertreffenden Weltkrieg entfesselte, entstand die erste deutsche Demokratie in einer Phase der europäischen Geschichte, die weitestgehend durch soziale Verwerfungen, politische Gewalt und wirtschaftliche Krisen charakterisiert ist.1 Meist wird diese Epoche als »Zwischenkriegszeit« bezeichnet, was jedoch eine gewisse Tendenz zur Marginalisierung der darin stattgefundenen Gewaltkonflikte in sich trägt, war sie doch ebenfalls von Kriegen, Bürgerkriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen im Zentrum und an der Peripherie des Kontinents, von Irland und Finnland bis zum Osmanischen Reich, von Spanien bis zur Sowjetunion geprägt, die in den Jahren nach 1918 mehr als vier Millionen Opfer forderten.2 Speziell für die paramilitärische Erscheinungsform der Gewalt lässt sich in Europa eine virulente Periode von 1916 bis 1923 erkennen, die den Ersten Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit in Teilen umfasst.3 Aus europäischen Perspektiven wurden die Jahre von 1914 bis 1945 zusammenhängend als »Zeitalter der Weltkriege« (Volker Berghahn), als zweiter »Dreißigjähriger Krieg« (Hans-Ulrich Wehler) oder als »europäischer Bürgerkrieg« (Enzo Traverso) gedeutet. In universalhistorischer Interpretation begann 1914 das »Zeitalter der Extreme« (Eric Hobsbawm).4 Ausgehend von den Nationalgeschichten einzelner europäischer Staaten müssten andere Periodisierungen angelegt werden, welche die innerstaatlichen Entwicklungen stärker betonen wie die Zäsur des Systemwechsels vom 30. Januar 1933 für Deutschland oder den Beginn des Bürgerkriegs in Spanien 1936.5 Doch unabhängig vom jeweiligen Sehepunkt stellen die Jahre der Weimarer Republik in der deutschen Geschichte eine »Epoche eigener Art« dar.6 1 Bracher, Krise; Craig; Mazower; Wirsching, Weltkrieg; Barth, Europa. 2 Gerwarth, Die Besiegten, S. 19. 3 Gerwarth u. Horne, S. 14. Hier auch eine Zusammenstellung paramilitärischer Auseinandersetzungen, die sich zumeist in den Jahren bis 1923 abspielten und in Darstellungen für gewöhnlich einen deutlich geringeren Platz einnehmen als größere Konflikte wie etwa der Spanische Bürgerkrieg. Eine Zusammenstellung von Konflikten der Nachkriegszeit ebenfalls bei: Gatrell. 4 Berghahn, Europa; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1168; ders., Krieg. Kritisch zum »Zweiten Dreißigjährigen Krieg«: Echternkamp, Krieg. Traverso. Auch Ernst Nolte verwendete diesen eigentlich auf den Expressionisten Franz Marc zurückgehenden Begriff: Nolte. Vgl. zu Nolte auch H. Mommsen, Ressentiment. Hobsbawm, Zeitalter. 5 Bernecker, S. 13. Vgl. auch Tenfelde, Einheit. 6 Peukert, Krisenjahre, S. 10.

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Für das Deutsche Reich endeten mit dem Frieden von Brest-Litowsk und dem Waffenstillstand von Compiègne im März bzw. November 1918 die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges mit Russland bzw. der Entente, doch in zahlreichen Städten und Regionen innerhalb der Reichsgrenzen kam es infolge der Revolution von 1918/19 zu massiven Auseinandersetzungen mit einer Vielzahl von Opfern. Der Friede von Brest-Litowsk hatte die Entstehung mehrerer junger Staaten im Baltikum eingeleitet, die sogleich vom Sog des russischen Bürgerkrieges erfasst wurden, und gewalttätige Episoden begleiteten auch die Konflikte um die Grenzverläufe des nun wiederzugründenden polnischen Staates in den vom Versailler Vertrag festgelegten Abstimmungsgebieten – insbesondere in Oberschlesien. An allen diesen Kämpfen waren deutsche Freikorps beteiligt, sie spielten in der Innen- wie Außenpolitik der Weimarer Republik eine gewichtige Rolle. Die Freikorps entstanden als Produkte der umfassenden und tiefgreifenden Umbrüche, die der Erste Weltkrieg in allen Bereichen von Staat, Militär und Gesellschaft bewirkt hatte. Nur vor diesem Hintergrund ist das Aufkommen dieser paramilitärischen Einheiten zu verstehen. Ihre zahlreichen Einsätze führten dazu, dass sich dafür in der Literatur die Bezeichnungen »Nachkriegskämpfe« oder kürzer »Nachkrieg« durchgesetzt haben, und so begann – wie in fast allen Teilen Europas – auch in Deutschland die dem Wortlaut nach vermeintlich friedliche Zwischenkriegszeit mit zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen, die für die Republik zu einer äußerst belastenden Hypothek werden sollten, nicht zuletzt durch die Bereitschaft der Freikorps, gegen ihre Gegner nahezu unbeschränkte Gewalt einzusetzen. Diese Gewalt, die entweder offen in bewaffneten Kämpfen oder verdeckt durch Attentate in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg die Republik erschütterte, war eines der schwerwiegendsten Probleme bei der Konsolidierung der neuen staatlichen Ordnung.7 Dabei bediente sich zunächst die Weimarer Regierung selbst der Freikorps, bis sich einige von ihnen der ohnehin nur unzureichenden staatlichen Kontrolle entzogen, um eigene Pläne zu verfolgen oder ganz offen gegen die Regierung zu operieren. Die Freikorps gingen in dieser Zeit Bündnisse mit Akteuren und Gruppierungen verschiedener politischer Richtungen ein, sodass für sie eine allgemeine Zuordnung zu einem klar abgegrenzten Teil des politischen Spek­ trums schwierig ist. Sie müssen jedoch als eigenständige Akteure im Kampf um das zerfasernde Machtmonopol betrachtet werden und nicht nur als willfähriges Mittel der Regierung. Das Bild, das heute von den Freikorps der Zwischenkriegszeit existiert, wurde von 1918 bis zur Gegenwart durch verschiedene Faktoren beeinflusst, teils mit Intention, teils ohne. Die wohl wichtigste Rolle dabei spielten ehemalige Freikorpskämpfer, die zeitnah oder später als Schriftsteller erhebliche Bekanntheit erlangten. Genannt seien an dieser Stelle vor allem Ernst von Salomon, Ernst 7 Neuere Gesamtdarstellungen zur Weimarer Republik: H. Mommsen, Aufstieg und Untergang; Winkler, Weimar; Möller, Republik; Büttner. Mit Betonung der aktuellen Forschung: Kolb u. Schumann; Wirsching, Republik; Gessner.

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Jünger oder – mit deutlichem Abstand zu diesen beiden – Manfred von Killinger und Friedrich Wilhelm von Oertzen sowie zeitgenössische Autoren, die sich zwar nicht selbst als Freikorpskämpfer betätigt haben wie Edgar von SchmidtPauli oder Arnolt Bronnen, deren journalistisches oder literarisches Werk jedoch ganz ähnliche Vorstellungen transportierte.8 Ihre Schilderungen der Ereignisse geben den Einsätzen der Freikorps oder  – wie im Fall Jüngers  – der Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg den Anstrich von Abenteuern, die durch sogenannte soldatische Tugenden wie Kameradschaft und Pflichterfüllung bewältigt wurden. Über die extreme Betonung von Männlichkeitsidealen und die Verherrlichung des Frontsoldatentums hinaus erkannten diese Autoren in jenen gewalttätigen Jahren der frühen Weimarer Republik einen geschichts­ philosophischen Sinn, der sich aus der Gewalt des zwar beendeten, jedoch nicht »erschöpften« Krieges abzuleiten schien und die Freikorps zu Vollstreckern historischer Notwendigkeiten erhob. Deren Einsätze innerhalb wie außerhalb der Reichsgrenzen erfuhren auf diese Weise eine geradezu teleologische Legitimation durch die Geschichte selbst. Bei Ernst von Salomon, dem durch seinen schriftstellerischen Erfolg von den dreißiger Jahren bis weit in die Bundesrepublik hinein wohl wirkungsmächtigsten Autor für die Rezeptionsgeschichte der Freikorps, liest sich das folgendermaßen: Die Freikorps entstanden unter dem Zwang des Kampfes. Sie wurden aus unmittelbaren Notwendigkeiten geboren und verschwanden, als andere Notwendigkeiten am Zuge waren, zu wirken. So waren die Freikorps Kräfte einer bestimmten Zeit und vergingen mit ihr. So waren sie auch Ausdruck jener Zeit, der Jahre 1918 bis 1924 […] – ihre Entwicklung entsprach der kontinuierlichen Linie des historischen Prozesses dieser Jahre des deutschen Nachkrieges. Da der Kampf die Bestimmung der Freikorps war, ihr Element der Einsatz, erhielt die Zeit ihres Wirkens kriegerisches Gepräge. […] Der große Krieg hatte sich nicht erschöpft, er war zu einem Abschluß gekommen, nicht zu einer Erfüllung. Was zu tun blieb, taten die, welche der Zeit und ihrem geheimnisvollen Sinn am tiefsten verbunden waren. Als sie verschwanden, war der deutsche Nachkrieg zu Ende. Dies war die eine Aufgabe der Freikorpskämpfer: den Sinn des Krieges sich erschöpfen zu lassen bis zum Ende ihrer Kraft.9

Darüber hinaus war es vor allem die Heroisierung der Freikorpskämpfer, die insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus betrieben wurde und dort einer klaren politischen Agenda folgte, die die gegenwärtigen Vorstellungen maßgeblich bestimmen.10 Auch die überlieferten Bildzeugnisse wie die charakteristischen Darstellungen auf zeitgenössischen Werbeaufrufen, welche die Männ8 Salomon, Die Geächteten; ders., Geschichte; ders., Freikorpskämpfer; ders., Fragebogen; Jünger, In Stahlgewittern; ders., Erlebnis; ders., Reich (u. a. mit Beiträgen von Ernst von Salomon); Killinger, Putschleben; ders., Oberschlesien; ders., Klabautermann; Oertzen, Kamerad; ders., Freikorps; Schmidt-Pauli; Bronnen, O. S.; ders., Roßbach. 9 Salomon, Gestalt, S. 11. 10 Sprenger, passim.

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lichkeit und den Antibolschewismus der Kämpfer betonen, wirken in diesem Sinne fort. Im Wesentlichen haben sich bis heute zwei Ansichten durchgesetzt: einerseits der vom Krieg gezeichnete Soldat, der nach der Erfahrung im Schützengraben nicht in der Lage war, sich wieder in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren, und fortan sein Auskommen als Landsknecht suchte, andererseits der jugendliche Hasardeur, der für die Teilnahme am Weltkrieg zu jung war und in den Nachkriegswirren die Gelegenheit sah, sich doch noch im Kampf zu bewähren. Es gibt wenig Grund zu zweifeln, dass sich viele Paramilitärs genau diesen beiden Typen zuordnen ließen. Doch allzu oft folgte die Wissenschaft der Selbsthistorisierung einiger weniger Freikorpskämpfer bedenkenlos, übernahm Deutungen und betrieb mit Kategorien wie »Abenteuer«11 oder »Tragödie ohne Bösewichter«,12 Historiographie. Auf die Problematik der von »Freikorpsliteraten« vorgegebenen Interpretationen von Geschichte und ihre noch immer ungebrochene Dominanz in der Wissenschaft hat Matthias Sprenger in seiner Studie über »Genese und Wandel des Freikorpsmythos« hingewiesen.13 Insbesondere die oftmals unkritische Heranziehung von Erinnerungs- bzw. »Freikorpsliteratur«14 als grundlegende oder sogar ausschließliche Quellengattung führte dazu, dass sich so manche, zum Teil nur vermeintlich seriöse Werke von vornherein dem historischen Narrativ der jeweiligen Schriftsteller unterwarfen. Dabei begegnen dem Leser die einschlägigen Autoren oder anderweitig zu Bekanntheit gelangten Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Freikorps oftmals schon auf den ersten Seiten: in Form eines einleitenden Zitats Ernst von Salomons bei Robert G. L. Waite, »Statt eines Vorwortes: Ein Besuch bei Ernst von Salomon« bei Dominique Venner, als Widmung an Ernst Jünger bei Nigel Jones oder als Geleitwort des Freikorpsveteranen Fridolin von Spaun bei Robert Thoms und Stefan Pochanke.15

11 So etwa Sauer, Baltikumer, S.1. 12 Schulze, S. 326. 13 Sprenger, S. 17. 14 »Freikorpsliteratur« wird hier als Oberbegriff für Romane, Erzählungen, Erinnerungen und (Auto-)Biographien von ehemaligen bzw. über ehemalige Freikorpskämpfer verwendet, die sich mit der Zeit oder den Einsätzen der Freikorps befassen, »Freikorpsliteraten« dementsprechend als Oberbegriff für die Autoren dieser Werke. Vgl. dazu auch Sprenger, S. 18 ff. Ausgenommen sind wissenschaftliche Studien. Vgl. ebenfalls zur literarischen Verarbeitung der Freikorpskämpfe: Prümm, Literatur; Mizinski sowie Vollmer. 15 Waite ohne Paginierung; Venner, S. 11–17; N. Jones, Birth, ohne Paginierung; Thoms u. Pochanke, S. 5–9. Von Spaun ist weniger als Schriftsteller, sondern vielmehr als Funktionär der Kameradschaft Freikorps und Bund Oberland in Erscheinung getreten, in deren Namen er im Mai 1981 einen Nachruf im Münchner Merkur auf die gerade verstorbene Eleonore Baur, auch bekannt als Schwester Pia, ehemalige Krankenschwester des Freikorps Oberland, einzige Trägerin des Blutordens der NSDAP und Teilnehmerin an Kälteversuchen mit Häftlingen im Konzentrationslager Dachau, mit den Worten »Ihre Ehre hieß Treue – ihr Leben galt Deutschland« veröffentlichte: Holzhaider, S. 365 ff., S. 376; Anzeige im Münchner Merkur vom 23.05.1981.

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Über die Rolle der Freikorps in der Geschichte der Weimarer Republik sagt das zunächst wenig aus. Deren Beurteilung innerhalb der Literatur reicht von den Geburtshelfern bis zu den Totengräbern der jungen Demokratie. Es verdeutlicht jedoch die Tendenz der Wissenschaft, sich den interpretatorischen Vorgaben der Zeitzeugen bereitwillig unterzuordnen. Das betrifft sowohl die den Freikorps zugeneigten als auch die ihnen kritisch gegenüberstehenden Werke, welche die Informationen aus den Selbstdarstellungen der Freikorpskämpfer nicht selten zum Nennwert nehmen, sei es aus Mangel an anderen Quellen oder aus Sympathie für die historischen Akteure. Die Grundprobleme bei einer historiographischen Annäherung an die Freikorps sind schnell umrissen: Neben dem großen Einfluss von Freikorpsliteraten auf die Wissenschaft sind es vor allem die lückenhafte Quellenlage und die ungenaue oder unterschiedliche Verwendung des Begriffs »Freikorps« in der Literatur, welche die Rahmenbedingungen für eine Auseinandersetzung mit der Thematik bestimmen. Viel zu gut fügte sich das überlieferte Bild der Einheiten über lange Zeit in die stellenweise ideologisch determinierten Vorstellungen sowohl der Wissenschaft als auch der allgemeineren Freikorpsliteratur, als dass es zu einer grundlegenden Überprüfung herausgefordert hätte, zumal sich die Apologeten und die schärfsten Kritiker der Einheiten letztendlich in ihren inhaltlichen Ausführungen oftmals mehr ergänzen als widersprechen. Passte doch einerseits die Vorstellung vom aus dem Krieg zurückgekehrten preußischen Militaristen, der während der Revolution erst zum Arbeitermörder wurde und wenige Jahre später in den Reihen der SS marschierte, in die Dogmatik marxistisch-leninistischer Geschichtsschreibung, während andererseits eben dieser Offizier der alten Armee den Freikorpsapologeten und Verehrern als Verkörperung militärischer Tugenden und als standhafter Verteidiger gegen den Bolschewismus galt. Die ideologische Historiographie der DDR ist im wissenschaftlichen Diskurs über die Freikorps längst auf einen marginalen Status gefallen, doch solange weiterhin Bezug genommen wird auf Publikationen, welche die Einsätze der Freikorps mit dem Verweis auf eine vermeintliche kommunistische Gefahr im Frühjahr 1919 rechtfertigen, dürften die alten Grabenkämpfe auch zukünftig in der Auseinandersetzung über die Freikorps mitschwingen, und es wird sich wenig an dem überlieferten Bild der Einheiten ändern.16 Dabei war schon Anfang der 1980er Jahre Konsens in der Geschichtswissenschaft, dass die äußerste Linke in Deutschland, die eine Regierung nach sowjetrussischem Vorbild errichten wollte, nur über eine sehr geringe Zahl von Anhängern verfügte, und die sich bei Kriegsende bildenden deutschen Arbeiter- und Soldatenräte keine »rote Gefahr« oder gar einen verlängerten Arm russischer Bolschewisten darstellten.17 Erst die 16 So schildert etwa eine neuere Studie über bayerische Freikorps die Situation in München während der Räterepublik vor allem aus nationalsozialistischer oder nationalistischer Perspektive, obwohl zu diesem Teil der Geschichte mittlerweile vielfältige Forschungsarbeiten vorliegen: Korzetz, S. 25, Anm. 39. 17 Rürup, Revolution, S. 282, S. 288. Vgl. dazu auch: Kolb, Rahmenbedingungen.

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jüngste Forschung bemüht sich, eine kritische Distanz zu den Selbstzeugnissen aus den Reihen der Freikorps und ihrer Schriftsteller zu wahren.18 Die Fülle an Publikationen zur Ereignis- und Operationsgeschichte der Freikorps verdeckt, dass bis heute ganz elementare Fragen unbeantwortet geblieben sind. So basiert nahezu das ganze Wissen über die soziale Zusammensetzung der Einheiten auf einigen wenigen Schilderungen von Zeitzeugen oder tendenziösen Berichten von Literaten, die von der Wissenschaft übernommen und tradiert wurden. Ebenso ist das Verhältnis von Weltkriegsveteranen und Angehörigen der Kriegsjugendgeneration in den Freikorps und damit auch die mögliche Funktion der Einheiten als Träger einer Gewaltkontinuität von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs in die Anfangsjahre der Weimarer Republik oder als Auffangbecken für eine radikalisierte Jugend ungeklärt. Auch die Frage nach der Bedeutung der Freikorps für den Nationalsozialismus wird zumeist mit dem Verweis auf die Lebensläufe prominenter oder hochrangiger Nationalsozialisten als erledigt angesehen, bestenfalls wird zumindest ein kollektivbiographischer Ansatz bemüht.19 Die hier vorliegende Arbeit verfolgt daher mehrere Ziele: Nach einer Einführung in die Ereignisgeschichte der Freikorps sollen grundlegende Informationen zur sozialen Zusammensetzung dieser Einheiten erhoben werden. Wer waren die Freikorpskämpfer, die sich so manchen charismatischen Führern anschlossen und ganz entscheidend in die Nachkriegskämpfe eingriffen? Welche Berufsgruppen und gesellschaftlichen Schichten waren in den einzelnen Einheiten vertreten, und welchem sozialen Umfeld entstammten Offiziere und Mannschaften? Wie sahen die Familienverhältnisse der Freikorpskämpfer aus? Was lässt sich über das zahlenmäßige Verhältnis der verschiedenen Konfessionen in den Reihen der Freikorps aussagen? Welchen Generationen gehörten die Mitglieder der Einheiten an? Mit der Generationszugehörigkeit der Paramilitärs eng verbunden ist die Frage nach ihrer Kriegserfahrung. Diese zu überprüfen soll zeigen, ob die Einheiten hauptsächlich aus Kriegsveteranen oder kampf­ unerfahrenen jungen Männern bestanden, um einen möglichen Zusammenhang zwischen der Gewalt des vorausgegangenen Weltkriegs und derjenigen der Zwischenkriegszeit zu beleuchten. Damit könnte für die Freikorps geklärt werden, ob ihre Gewaltbereitschaft eher das Resultat einer im Weltkrieg erfolgten Brutalisierung oder – vor dem Hintergrund der Generationszugehörigkeit – Ausfluss einer Radikalisierung als Folge der verpassten Frontbewährung war. Den Bogen in die Zeit des »Dritten Reiches« und damit zur These Waites von den Freikorps als »Vanguard of Nazism«,20 die seit ihrer Publikation das Bild der Freikorps und die Diskussion über ihre Rolle in der deutschen Geschichte ganz maßgeblich geprägt hat, wird eine anschließende Untersuchung personeller Kontinuitäten zwischen Freikorps einerseits und den relevanten Herrschafts18 Sprenger; Keller. 19 Waite. 20 Ebd.

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organisationen des nationalsozialistischen Staates andererseits schlagen. Die Zusammenführung dieser Aspekte soll die das Bild noch immer dominierende Selbsthistorisierung der Freikorpskämpfer hinterfragen. Von der Forschung bisher nicht oder nur sehr begrenzt ausgewertete Quellen ermöglichen es rund ein Jahrhundert nach den Ereignissen, so manche Vorstellung über die Freikorps der deutschen Zwischenkriegszeit auf den Prüfstand zu stellen.21 Der gegenwärtige Stand der Forschung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Literatur zur Geschichte der Freikorps in der Weimarer Republik wirkt vom Umfang her, als seien diese Einheiten durch die Jahre hinweg Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung gewesen. Eine Bibliographie verzeichnet 271 Titel zu dem Thema, die zwischen 1918 und 1996 erschienen sind. Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass allein über 100 Monographien aus den Jahren 1919 bis 1945 Erinnerungen und Erlebnisberichte von ehemaligen Freikorpsangehörigen sind, ganz zu schweigen von den zahlreichen ideologisch geleiteten Publikationen aus der NS-Zeit oder der am dogmatischen Marxismus-Leninismus orientierten Forschung.22 Die unseriöse Literatur vom braunen Rand der gegenwärtigen Verlagslandschaft kommt mehr einer Heldenverehrung und mythischen Überhöhung von Akteuren und Ereignissen gleich, als dass sie sich luzide dem Thema widmen würde. Als Standardwerk zur Geschichte der Freikorps gilt Hagen Schulzes »Freikorps und Republik 1918–1920« von 1969.23 Einige Vorbehalte sind jedoch schon kurz nach seinem Erscheinen geäußert worden. So kritisierte Reinhard Rürup bereits 1970 in einer ersten Rezension, Schulze habe »die Legende von den Freikorps als den unentbehrlichen Geburtshelfern der Demokratie in Deutschland« in die Welt gesetzt, sodass »die Lektüre des Buches […] die Notwendigkeit einer wirklich kritischen Darstellung nur umso deutlicher erscheinen [lässt]«.24 In jüngerer Zeit wurde Schulzes Arbeit als »erstaunlich verständnisvoll«25 oder mit »zum Teil fragwürdigen Wertungen«26 beurteilt, was unter anderem daher kommen mag, dass er sich in seinen Ausführungen sehr stark an Ernst von Salomon orientiert, den er ebenso wie Hermann Ehrhardt, Führer der berüchtigten Marinebrigade gleichen Namens, für seine Arbeit noch persönlich befragen konnte.27 Neuere Ergebnisse aus der Weltkriegs- bzw. Weimar-Forschung sowie eine mittlerweile erweiterte Quellenlage werfen nicht nur neue Fragen auf, sondern machen die Arbeit an einigen Stellen auch revisionsbedürftig.

21 Einige kurze Textpassagen aus den Kapiteln I und III dieser Arbeit wurden bereits veröffentlicht: Pomplun, Entstehung. 22 Thoms; Sprenger, S. 18. 23 Schulze. 24 Rürup, Henker. 25 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 222, Anm. 3. 26 Büttner, S. 46, Anm. 40. 27 Schulze, S. XI.

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Einer weiteren Gesamtdarstellung von Hannsjoachim W. Koch28 wird von der modernen Geschichtsschreibung entweder als Fazit »ein unbefriedigendes Gefühl«29 bzw. eine »one-dimensional, fatalistic interpretation«30 attestiert oder das Werk als Ganzes zurückgewiesen, weil der Autor aus betont nationaler Per­ spektive und »unverhohlen apologetisch« agiere.31 In Abgrenzung zu europäisch-orientierten »NATO-Historikern«, denen Koch vorwirft, zur Relativierung der Katastrophen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert die »Flucht aus der nationalen Geschichte« anzutreten und damit – wenn auch unbeabsichtigt – die deutsche Teilung »geistig nachzuvollziehen und zu zementieren«, vertritt der Autor ein »Geschichtsbild, das auf der nationalen Einheit Deutschlands beharrt« und seinen Ausgang in der Bismarckschen Reichsgründung nimmt.32 Einen Überblick zur Entstehungsgeschichte der Freikorps geben ebenso der entsprechende Band des »Handbuchs zur deutschen Militärgeschichte« wie auch das Nachschlagewerk von Georg Tessin zur Organisation deutscher Militärverbände.33 Über kurze Abschnitte in Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Weimarer Republik hinaus finden die Freikorps zumeist in der militärgeschichtlichen Forschung Beachtung, wenn Transformationsprozesse auf dem Weg vom Heer des Kaiserreichs zur Reichswehr und der Wehrmacht untersucht oder die Auswirkungen der Kriegsniederlage von 1918 mentalitäts- und politikgeschichtlich in den Blick genommen werden.34 Zu einzelnen Einheiten wie der Brigade Ehrhardt,35 dem Freikorps Oberland und dessen Nachfolgeorganisation36 oder den von Paramilitärs praktizierten Fememorden37 liegen Studien vor. Grundlegend für ein Verständnis der militärpolitischen Situation unmittelbar nach Kriegsende ist die Arbeit Ulrich Kluges über Soldatenräte in der Revolution.38 Beim Versuch, Informationen über die soziale Zusammensetzung der Freikorps zu erlangen, muss man jedoch rasch erkennen, dass dieser wesentliche Aspekt in der Forschung bisher völlig unzureichend behandelt wurde. Zwar wird in vielen Arbeiten diese Frage angesprochen, sie bleibt jedoch als leitendes Erkenntnisinteresse bis heute Gegenstand eines einzigen Aufsatzes aus dem Jahr 1955. Auf diese Publikation von Günter Paulus, der in der »Zeitschrift für Ge28 H. W. Koch. 29 Schoeps, Wanderer. 30 Diehl, Rezension, S. 152. 31 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 222, Anm. 3. 32 H. W. Koch, S. 9 ff. 33 Wohlfeil; Tessin. 34 Verwiesen sei hier insbesondere auf Gordon, Reichswehr; Carsten; Voß; Barth, Dolchstoßlegenden sowie Keller. In Kellers Studie spielen die Freikorps durchgehend eine wichtige Rolle. Die Arbeit von Tapken gehört auch in diese Reihe, ist jedoch nach Erscheinen z. T. scharf kritisiert worden: Jahr. 35 G. Krüger. 36 Kuron. 37 Nagel. 38 Kluge, Soldatenräte.

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schichtswissenschaft« den Nachweis erbringen wollte, dass die soziale Struktur der Freikorps ihrem Charakter als Klassenkampfformationen der Bourgeoisie entspreche, müssen sich bis heute alle nachfolgenden Untersuchungen stützen.39 Eine relativ junge Arbeit mit ihrem Fokus auf einzelnen bayerischen Einheiten versucht zwar eine erste empirische Annäherung an Fragen nach vertretenen Berufsgruppen innerhalb ausgewählter Truppenteile und bietet eine nützliche Übersicht zur Ereignisgeschichte dieser Freikorps, ist jedoch letztendlich in ihrer Interpretation der Ereignisse fragwürdig unkritisch, was unter anderem daran liegen mag, dass sie ohne eine Rezeption neuerer Forschungsliteratur und Standardwerke zur Geschichte der Weimarer Republik auskommt und die Sprache der Quellen stellenweise unkommentiert übernimmt.40 Die These von den Freikorps als Vorläufer der Nationalsozialisten ist viel diskutiert, aber nie empirisch überprüft worden. Am deutlichsten formuliert wurde sie von Waite, der diese Einheiten aufgrund ihres »politischen Soldatentums« sowie der vormaligen Mitgliedschaft prominenter Funktionsträger des nationalsozialistischen Staates als »Vanguard of Nazism« bezeichnete.41 Eine weitere einschlägige Monographie aus dem angloamerikanischen Raum wiederholt die These Waites, liefert darüber hinaus jedoch keine diesbezüglich neuen Erkenntnisse.42 Waites Position wird auch in aktuellen Publikationen aufgegriffen und übernommen.43 Hans Fenske hingegen betont, wenigstens die frühen Freikorps seien »die ersten Soldaten der Republik« gewesen, und bereits Karl Dietrich Bracher und jüngst erneut Mary Fulbrook haben zumindest Zweifel an einer allzu simpel gezeichneten Kontinuitätslinie zwischen den Freikorps und dem nationalsozialistischen Staat geäußert.44 Insbesondere die Faschismusforschung bemängelt das Fehlen repräsentativer Daten über die (para)militärischen Vorerfahrungen von Mitgliedern faschistischer Gewaltgemeinschaften.45 Aufmerksamkeit erfahren gegenwärtig die lange Zeit wenig beachteten Freikorps in Untersuchungen zur politischen Gewalt der Zwischenkriegszeit oder in Arbeiten zum Militarismus der Weimarer Republik.46 Hervorzuheben ist die Studie von Matthias Sprenger zur Bildung von Mythen im Umfeld der Freikorps und deren politischer Instrumentalisierung im »Dritten Reich«.47 Das Feld der apologetischen Literatur ist umfangreich und beginnt bereits bei entsprechenden Erinnerungsberichten ehemaliger Freikorpskämpfer oder

39 Paulus. 40 Korzetz. 41 Waite. 42 N. Jones, Birth. 43 So etwa Lieb, S. 499 f. 44 Fenske, S. 57; Bracher, Machtergreifung, S. 25; Fulbrook, S. 78. 45 Reichardt, Kampfbünde, S. 343. 46 Wirsching, Weltkrieg; Schumann, Politische Gewalt; Schumann u. Wirsching; Bergien, Republik; M. Jones, Anfang. 47 Sprenger.

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ihnen zugeneigten Darstellungen, die in den allermeisten Fällen zur Zeit des »Dritten Reichs« publiziert wurden.48 Einer der wichtigsten »neueren« Autoren unter den Freikorpsapologeten war der bekennende französische Rechtsextremist Dominique Venner.49 Auch ein Werk, das weniger reißerisch ist als dasjenige Venners – der weitestgehend ohne Quellenbelege arbeitet – und außerdem im vermeintlich seriösen Gewand eines Handbuches daherkommt, stellt seine tendenziöse Haltung schon auf dem Titelcover heraus.50 Veröffentlichungen von Kameradschaften ehemaliger Freikorpskämpfer oder von Traditionsverbänden gehören naturgemäß ebenfalls in die Reihe der Apologien, da sie in der Regel völlig kritiklos auf die Vergangenheit der Einheiten schauen.51 Sowohl die Monographien von Schulze und Koch als auch die Studien zu Einzelaspekten haben weder die eingangs aufgeführten Schwerpunkte dieser Untersuchung behandelt, noch konnten sie dem Fehlen einer aktuellen, auf neuesten Erkenntnissen basierenden Gesamtdarstellung Rechnung tragen. Und so resümiert Andreas Wirsching in seinem Überblick zur aktuellen Weimar-Forschung: »Die für Geschichte und Verlauf so bedeutsamen Freikorps haben bislang keine wissenschaftlich gültige Darstellung erfahren.«52 Die Quellenlage zur Thematik ist sehr unübersichtlich und für viele Aspekte der Geschichte der Freikorps wohl als unzureichend zu bezeichnen. Als offizielle Dokumente der Einheiten bilden die Stammrollen, deren Existenz von der Forschung gelegentlich nicht bemerkt wird,53 die wichtigsten Quellen für diese Arbeit. Sie sind die Mitgliederlisten der Freikorps und enthalten zahlreiche grundlegende sozialhistorische Informationen wie Namen, Dienstgrade und Geburtsdaten der Freikorpskämpfer, deren Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit, ihren Familienstand und Angaben zu Kindern, zum Beruf, zum Stand der Eltern und zur eventuellen Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Die Stammrollen zeichnen sich vor allem durch die gleichbleibende Struktur der Einträge und die sich wiederholenden Muster in der äußeren Gestaltung aus und eignen sich somit besonders, sozialgeschichtliche Fragestellungen unter quantifizierenden Gesichtspunkten zu untersuchen.54 Zumeist aufgeteilt nach einzelnen Kompanien und auf offiziellen Vordrucken für militärische Einheiten niedergeschrieben, gehen sie unmittelbar zurück auf die vom Feld- und Ersatzheer im Weltkrieg verwendeten und in der Heerordnung von 1888 begründeten Verzeichnisse »derjenigen Militärpersonen, die während der Dauer des mobilen Zustandes […] zu einem Truppenteil gehören und gehört haben.«55 Den Verantwortlichen bo48 So etwa Oertzen, Kamerad; ders., Freikorps; Schmidt-Pauli. 49 Venner. 50 Thoms u. Pochanke. 51 Beispielhaft hierfür: Traditionsgemeinschaft, Bildchronik; dies., Edelweiß. 52 Wirsching, Republik, S. 55. 53 Barth, Freiwilligenverbände, S. 102. 54 Keitel u. Keyler, S. 9. 55 Hauptmann Schmidt, S. 7.

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ten sie nicht nur ein Verzeichnis ihrer Mannschaften, sie waren auch Grundlage für Soldzahlungen, Beförderungen, Entlassungen sowie spätere Versorgungs­ ansprüche der Kämpfer und wurden daher von den Freikorps ständig aktualisiert. Die Notwendigkeit einer sorgfältigen Führung dieser für die Organisation der Einheiten so wichtigen Dokumente kommt im Tagesbefehl des Freikorps von Diebitsch vom 26. April 1919 zum Ausdruck: Die Führung von Stammrollen ist in der jetzigen Zeit von besonderer Wichtigkeit. Überall da, wo als Unterlagen ordnungsmäßige Papiere fehlen ist ihre schleunige Beschaffung mit allen Mitteln anzustreben. […] Für diese Herbeischaffung selbst mitzusorgen liegt im Interesse jedes einzelnen anständigen Mannes. Ich empfehle, in den Stammrollen nur diejenigen Angaben, die durch Militärpapiere oder behördliche Mitteilungen bestätigt worden sind, in Tinte, dagegen alle diejenigen Angaben, die zunächst nur auf mündlicher Meldung des betreffenden Mannes fußen, vorläufig nur mit Tintenstift ausfüllen zu lassen. Die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner mündlichen Angaben hat jeder Mann, ganz gleich welchen Dienstgrades, durch Unterschrift ausdrücklich anzuerkennen. Nachweislich wider besseres Wissen gemachte Angaben sind strafbar und müssen sofortige Entlassung zur Folge haben. Auf die Dauer dürfen Persönlichkeiten, deren mündliche Angaben in absehbarer Zeit keine behördliche Bestätigung finden, nicht in der Truppe verbleiben […] selbst wenn sie an sich einen vertrauenswürdigen Eindruck machen. Ich verkenne durchaus nicht die großen Schwierigkeiten der ordnungsmäßigen Aufstellung der Stammrollen. […] Die Komp[anie] Führer haben ihre Feldwebel in der Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe dauernd zu unterstützen, sie selbst sind letzten Endes für die beschleunigte und peinliche Durchführung verantwortlich. Die Bataillons Führer bitte ich, sich nach regelmäßigen Zeitabschnitten die Stammrollen zur Nachprüfung vorlegen zu lassen.56

Allerdings kam nicht jede Einheit der geforderten Sorgfalt im Umgang mit den Stammrollen nach, denn nicht selten fehlen einzelne Angaben in den Akten. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Neben bewusstem Verschweigen persönlicher Daten durch die Freikorpsmitglieder selbst trotz der im zitierten Befehl angedrohten Sanktionen könnten auch die ohnehin problematischen organisatorischen Umstände von im Feld stehenden Einheiten oder schlicht ihr Improvisationscharakter für den unterschiedlichen Informationsgehalt der Stammrollen verantwortlich gewesen sein. Insgesamt ist mit dieser Art serieller Quellen jedoch ein enormer Informationspool für die Forschung überliefert, der an dieser Stelle erstmals systematisch ausgewertet wurde. Über die Stammrollen hinaus haben die Freikorps zahlreiche schriftliche Befehle hinterlassen, sei es als Teil eines größeren Verbandes, beispielsweise eingeteilt zum Grenzschutz Ost, oder als einzelne Einheit ohne übergeordnete Stellen. Daneben existiert umfangreiches Schriftgut verschiedenster Provenienz, seien es Kriegsgliederungen, Kriegstagebücher und Kassenbücher der Einheiten, Denkschriften oder Befehle höherer Stellen, Flugblätter, Plakate, Werbeaufrufe, 56 Tagesbefehl Nr. 3287 des Freikorps von Diebitsch vom 26.4.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 211, ohne Paginierung.

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Korrespondenzen, Versammlungsprotokolle, Liederbücher sowie Fotos und vor allem die zeitgenössische Publizistik, das jeweils in größerem oder kleinerem Umfang in diese Arbeit eingeflossen ist. Ein erster, relativ zeitnaher Versuch einer großen Gesamtschau der militärischen Vorgänge nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war die im Auftrag des Reichskriegsministeriums von der Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte herausgegebene und auf elf Bände angelegte Reihe »Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps«,57 von der die ersten neun zwischen 1936 und 1943 erschienen. Der zehnte und elfte Band werden als Typoskripte vom Bundesarchiv Freiburg verwahrt.58 Diese Reihe gewährt einen Einblick in das von staatlicher Seite mit großem Aufwand betriebene Unterfangen einer identitäts- und sinnstiftenden Historiographie, welche die Freikorps retrospektiv als Wegbereiter in die offizielle Geschichte des Nationalsozialismus einzureihen versuchte und sich dafür sowohl des institutionellen Apparates des Regimes als auch der Öffentlichkeit bediente. Um nach Möglichkeit alle relevanten Akten zusammenzutragen, wurden nicht nur die direkt unterstellten Zweigstellen des Heeresarchives mit Nachforschungen beauftragt, die Sammelwut der Forschungsanstalt führte schließlich auch zu zahlreichen – mitunter unerwünschten  – Anfragen bei Gestapostellen und Ministerien. So ließ der badische Innenminister Karl Pflaumer dem Heeresarchiv Stuttgart im Februar 1938 diesbezüglich mitteilen, man möge »von entbehrlichen Anfragen bei mir und der Geheimen Staatspolizei in Karlsruhe Abstand nehmen.«59 Zusätzlich sollte die Öffentlichkeit durch Zeitungsaufrufe zur Ablieferung entsprechender Dokumente und Erinnerungen aus der Freikorpszeit mobilisiert werden. Allerdings war dieser Absicht nur mäßiger Erfolg beschieden und die Bevölkerung in »Ernte- und Urlaubszeit« offenbar mehr mit lebenspraktischen Angelegenheiten befasst.60 Bei ihrem Vorhaben stieß die Forschungsanstalt auf ähnliche Hindernisse, mit denen auch die heutige Geschichtsschreibung konfrontiert ist, wenn sie sich mit den Freikorps befasst: Bei der Bearbeitung der Nachkriegskämpfe in Württemberg hat sich herausgestellt, daß die hierher gegebenen Akten […] ein eindeutiges Bild über die Entstehung und die Tätigkeit der württembergischen Sicherheitstruppen nicht ergeben.61

Zur Ursache der lückenhaften Überlieferung der Quellen hielt das Heeresarchiv Potsdam fest: 57 Forschungsanstalt. 58 BArch-MA RH 61/7 und RH 61/8. 59 Schreiben des badischen Innenministeriums an das Heeresarchiv Stuttgart vom 25.2.1938, HStAS M400/1 Bü. 555, Bl. 45. 60 Schreiben der Heeresarchivzweigstelle Stuttgart an das Deutsche Nachrichtenbüro, undatiert aus dem Jahr 1936, HStAS M400/1 Bü. 555, Bl. 2. 61 Schreiben Nr. V/50/1662 der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres an das Heeresarchiv Stuttgart vom 10.07.1937, HStAS M400/1 Bü. 555, Bl. 53.

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Viele Akten sind aber (z. B. im Baltikum) verloren, viele auf Anordnung höherer Stellen vernichtet worden (Oberpräsident Hörsing). Manche Freikopsstellen standen mit der damaligen Regierung auch nicht auf vertrautem Fuss und unterliessen es geflissentlich, ihre Akten abzuliefern.62

Und in der Tat finden sich in den überlieferten Schriftstücken noch Hinweise auf die Vernichtung von Dokumenten durch die Freikorps selbst. So ließ im Juni 1921 der Freikorpsführer Bernhard von Hülsen den Befehl seines Nachfolgers im Amt des militärischen Führers des Selbstschutz Oberschlesien (SSOS) bekannt geben, dass beim Abzug aus der umkämpften Provinz keine Unterlagen zurückbleiben und die nicht mehr benötigten verbrannt werden sollten.63 Neben der aktiven Vernichtung durch die Freikorps selbst oder durch offizielle Stellen spielt für die heutige Geschichtsschreibung vor allem die kriegsbedingte Zerstörung des Heeresarchivs in Potsdam im April 1945 eine entscheidende Rolle. Zwar bieten einige süddeutsche Archive durch ihre Bestände in Teilen Ersatzüberlieferungen für verlorengegangene amtliche Quellen, doch so manche große Lücke ist nicht mehr zu schließen. Daher bleiben die »Darstellungen«, deren Autoren zweifellos noch Zugang zu mittlerweile nicht mehr erhaltenem Schriftgut hatten, eine wichtige Sammlung spezifischer Informationen wie Aufstellungszeiten, Mannschaftsstärken und Einsätze einzelner Freikorps. Diese Reihe als ein »glücklicherweise […] rein sachliches Werk […] von einer wohltuenden Objektivität«64 zu kennzeichnen, wie Schulze es in seinem »Biblio­ graphischen Essai« unter Bezugnahme auf Ernst von Salomon formuliert, ist angesichts der darin enthaltenen Propaganda jedoch nur möglich, wenn man sich allein auf das positive Urteil des Schriftstellers und ehemaligen Freikorpskämpfers in seinem »Fragebogen« über jene »Darstellungen« verlässt und die darin enthaltene nationalsozialistische Ideologie ausblendet.65 Bereits das Geleitwort des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht im ersten Band der Reihe von 1936 verdeutlicht die Intention des Werkes, die erkennbar auf die Schaffung sinnstiftender Kontinuitäten zielte. Es war beabsichtigt, so Werner von Blomberg, dem deutschen Volke und seiner Wehrmacht die Leistungen der Männer näherzu­ bringen, die in schwerster Zeit, nach viereinhalb Jahren unerhörten Ringens und nach einem Zusammenbruch, der auch den Mutigsten erschüttern konnte, noch einmal zum Schwert griffen, um dem Vaterlande in seiner äußersten Not zu helfen.66 62 Heeresarchiv Potsdam, Vorbemerkung für die Aufstellung des Verzeichnisses der Freiwilligen Verbände in der Nachkriegszeit, HStAS M400/1 Bü. 555, Bl. 46. 63 Tagesbefehl der Gruppe Süd vom 26. Juni 1921, BArch-MA PH 26/20, Bl. 119. 64 Schulze, S. 353. 65 So heißt es im »Fragebogen«: »Hervorragende Bücher, in denen jede Truppengliederung und jede Uhrzeit stimmte und die beim Leser das Gefühl hinterließen, er habe sich nun über die Ereignisse informiert, die auf dem Monde geschehen waren.« Salomon, Fragebogen, S. 292. 66 Forschungsanstalt, Bd. 1, Geleitwort ohne Paginierung.

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Die Herausgeber wollten in den »Darstellungen« politische Fragen außer Acht lassen und militärische Operationen in den Mittelpunkt rücken, doch zahlreiche Textstellen demonstrieren, dass bei der Arbeit an dieser Reihe der Primat der Propaganda gegenüber der Wissenschaft galt.67 So werden nicht nur die »hohen kriegerischen Eigenschaften der deutschen Rasse«68 beschworen, auch Antisemitismus und Antimarxismus zeigen sich ganz offen bei der Benennung »jüdische[r] Elemente« als Verantwortliche für die Revolution in Deutschland, bei der Glorifizierung der Ermordung Kurt Eisners oder in Formulierungen wie denen von »roten Horden« oder »bolschewistischen Eiterherde[n]«.69 Die Liste der ideologischen Ausschweifungen ließe sich beliebig fortsetzen, und so erscheint es angesichts dieser »Radikalisierung der Sprache«70 nahezu grotesk, in Bezug auf die »Darstellungen« eine wie auch immer geartete Objektivität zu konstatieren. Die von Harold J. Gordon für seine Arbeit über die Reichswehr analysierten Reichstagsdebatten71 sowie zahlreiche Memoiren zeitgenössischer Entscheidungsträger aus Politik und Militär wie beispielsweise die Aufzeichnungen des Reichswehrministers Gustav Noske72 oder die des Grafen Rüdiger von der Goltz,73 der als Freikorpsführer im Baltikum in den lettischen Unabhängigkeitskrieg sowie anschließend in den Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch involviert war,74 bieten einen aufschlussreichen Einblick in die militärpolitischen Verhältnisse der ersten Nachkriegsjahre. Eine Vielzahl von gedruckten Erinnerungen ehemaliger Freikorpskämpfer wurde zum größten Teil in den ersten Jahren nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verfasst und weist in der Regel eine entsprechende ideologische Färbung auf. Zeitnahe persönliche Aufzeichnungen sind selten und wurden in der Regel nicht veröffentlicht. Sie vermitteln ein anderes, weniger ideologisch geglättetes Bild als die zuvor genannten Selbstzeugnisse, da die Autoren nicht versuchten, sich durch ihre Memoiren einer politischen Richtung anzudienen. Zwischen 1930 und 1944 existierte mit »Der Reiter gen Osten«75 eine illustrierte Freikorpszeitschrift unter der Ägide von Heinz Oskar Hauenstein und Ernst von Salomon. Dieses Format war ähnlich den »Darstellungen« derart tendenziös gehalten, dass es neben einigen Sachinformationen zur Operationsgeschichte der Einheiten in erster Linie als Quelle für die Rezeptionsgeschichte der Freikorps bzw. deren Mythenbildung in den letzten Jahren der Weimarer 67 Eine gründliche Analyse der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung anhand der Darstellungen findet sich bei Pöhlmann, S.220 ff. 68 Forschungsanstalt, Bd. 2, S. 83. 69 Zitiert nach Pöhlmann, S. 226. 70 Ebd. 71 Gordon, Reichswehr. 72 Noske, Geschichte. 73 Goltz. 74 Gerade die neuere Forschung betont die wichtige Rolle Ludendorffs – wenn auch hinter den Kulissen – bei dem Putsch. Siehe dazu: Könnemann u. Schulze; Wette, Militarismus, S. 141. 75 Ein Artikel aus dem Umfeld der Zeitschrift verortet deren Anfänge im Jahr 1924: Liemann.

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Republik und im Nationalsozialismus dienen kann. Ähnliches gilt für die zwischen 1942 und 1944 erschienenen »Feldpostbriefe für Freikorpskämpfer«, eine Beilage der Zeitschrift. Ein weiterer zentraler Quellenkorpus dieser Arbeit, der jedoch nicht direkt im Zusammenhang mit den Freikorps selbst entstanden ist, sind die im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde verwahrten Bestände des ehemaligen Berlin Document Centers. Die Mitgliederkartei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) sowie die Personalakten von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) ermöglichen eine Prüfung personeller Kontinuitäten zwischen den Freikorps und den zentralen Herrschaftsorganisationen des nationalsozialistischen Staates. Als Methode liegt dieser Studie die quantitative Analyse serieller Quellen zugrunde. Sie bleibt weiterhin die klassische Domäne der Sozialgeschichte, auch wenn mittlerweile deren Glanzzeit in Gestalt der Historischen Sozialwissenschaft vorüber ist und sie nach zahlreichen methodischen turns ihre hegemoniale Stellung in der Geschichtswissenschaft eingebüßt hat. Ihr ist in dieser Hinsicht unter anderem die Neue Kulturgeschichte zur Konkurrentin erwachsen, womit sich das Erkenntnisinteresse von gesellschaftlichen Strukturen und Erfahrungen lang- und mittelfristiger Dauer auf Wahrnehmungs- und Deutungsmuster einzelner historischer Akteure verlagert hat und in globalhistorischer Perspektive inzwischen ganz andere Fragen die großen Leitlinien der Geschichtswissenschaft bestimmen.76 Quantifizierende Ansätze sind in der Geschichtswissenschaft nichts Neues. Insbesondere mit dem Aufkommen der Sozialgeschichte in den siebziger Jahren, die sich methodisch an den Sozialwissenschaften orientierte, um historische Gesellschaftsstrukturen zu erforschen und zu beschreiben, wurde die Quantifizierung zum festen Bestandteil des methodischen Repertoires, wie entsprechende Publikationen bezeugen.77 Waren es damals vor allem Gründe der Praktikabilität, die so manchen Historiker vor dem Einsatz von »Lochkartensysteme[n] auf Handarbeitsbasis« oder gar »elektronisch arbeitende[n] Großrechenanlagen«78 zurückschrecken ließen, die mittlerweile durch die erweiterten Möglichkeiten der Digitalisierung überwunden sind, so sind gegenwärtig noch immer die Auswirkungen historiographischer Traditionen feststellbar, die quantitative Auswertungen vorhandener Quellen nicht gerade befördert haben. Institutionell verankert und vorangetrieben wurde eine solche Vorgehensweise vor allem mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Quantifizierung und Methoden in 76 Vgl. Langewiesche, Sozialgeschichte, S. 67–80 sowie ganz allgemein: Kocka, Sozialgeschichte. Der Rechtfertigungsdruck der Sozialgeschichte manifestierte sich 2012 in einer entsprechend betitelten Festschrift, in der die Gründerväter der Bielefelder Schule und andere Vertreter der Disziplin die Anschlussfähigkeit der Sozialgeschichte an neue thematische, methodische und theoretische Herausforderungen ausloten: Lüthi u. a. 77 So etwa allgemein: Best u. Mann; Jarausch u. a. oder an der tatsächlichen theoretischen Umsetzung orientiert: Thome. 78 Kocka, Quantifizierung, S. 4 f.

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der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung (QUANTUM e. V.) im Jahr 1975 und der Gründung der Zeitschrift »Historical Social Research« ein Jahr später. So selbstverständlich der Umgang mit diesen Methoden für die Sozial­ geschichte ist, so wenig verbreitet ist er in der Militärgeschichte. Vorzüge der Quantifizierung für dieses Forschungsfeld hatte Bernd Wegner bereits 1982 benannt und eine »Kliometrie des Krieges« angemahnt.79 Mit wenigen Ausnahmen im Bereich der militärischen Sozialgeschichte änderte sich jedoch auch bis zum Beginn des neuen Jahrtausends nur wenig an dieser methodischen Leerstelle, und das Plädoyer Wegners war weitestgehend wirkungslos verhallt.80 Erst die jüngere Militärgeschichte beginnt damit, verstärkt quantitative Verfahren für sozialhistorische Untersuchungen zu nutzen.81 Mittlerweile hat sie sich – nicht nur im deutschen Sprachraum – mit universitären Sonderforschungsbereichen und dem Arbeitskreis Militärgeschichte zu einem stark differenzierten Forschungsfeld geweitet.82 War sie insbesondere vor 1945 als »Kriegsgeschichte« Teil der militärischen Ausbildung, wurde sie mit den Gründungen des Instituts für Zeitgeschichte (1947/49) und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (1957/58) in Westdeutschland sowie mit dem Institut für Deutsche Militärgeschichte (1958) in Ostdeutschland als geschichtswissenschaftliche Subdisziplin institutionalisiert, die sich in erster Linie mit dem Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust befasste, wenngleich aus sichtlich unterschiedlichen Perspektiven. Es dauerte bis in die neunziger Jahre hinein, ehe die Militärgeschichte Theorien, Methoden und Themen der allgemeinen Geschichte aufgriff und sich zur »Militärgeschichte in der Erweiterung« wandelte. Obwohl der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit – bewaffnete Formationen, die nach militärischen Prinzipien organisiert waren und handelten – eine entsprechende Herangehensweise nahelegt, wird im Folgenden keine klassische Militärgeschichte betrieben. Stattdessen soll es darum gehen, unter Rückgriff auf militärhistorische Erkenntnisse sozialgeschichtliche Merkmale einer spezifischen Erscheinungsform paramilitärischer Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts – die der deutschen Freikorps – zu bestimmen und somit einen Beitrag zu einer Sozialgeschichte der Gewalt zu leisten.83 Die Erkundung der Entstehungssowie insbesondere der Wirkungsgeschichte der Freikorps macht es notwendig, nach weiterreichenden Kontinuitätslinien zu fragen. Eine Beschränkung auf den »Kernzeitraum« der Freikorps, der die Jahre ihrer Einsätze von 1918 über ihre offizielle Auflösung im Sommer 1920 hinaus bis zu den Kämpfen in Oberschlesien 1921 umfasst, würde zu kurz greifen. Ohne einen Blick auf den Ersten Weltkrieg und die Frage nach der Kriegserfahrung ihrer Mitglieder sind die Freikorps als historische Akteure in den Monaten der Revolution von 1918/19 79 Wegner, Kliometrie. 80 Funck, Militär, S. 169 f. 81 Exemplarisch sei hier nur genannt: Gahlen. 82 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Kühne u. Ziemann sowie Echternkamp, Wandel. 83 Vgl. dazu Schumann, Grenzüberschreitung sowie Weisbrod, Sozialgeschichte.

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genauso wenig zu verstehen wie ihre Rolle als »Transmissionsriemen der Gewalt«84 (Mary Fulbrook) zwischen Weltkrieg, Republik und Nationalsozialismus ohne eine Untersuchung personeller Kontinuitäten in die Zeit nach 1933 hinein. »Paramilitarismus« und »paramilitärische Gewalt« werden in dieser Arbeit so verwendet, wie sie von Robert Gerwarth und John Horne unter Bezugnahme auf Sven Reichardt definiert wurden, nämlich als »militärische oder quasi-militärische Organisationen und Praktiken, welche die Aktivitäten konventioneller militärischer Verbände entweder ausweiten oder ersetzen.«85 Gewalt ist damit als physisches, nicht als strukturelles Phänomen im Sinne Johan Galtungs zu verstehen.86 Entgegen der innerhalb der Gewaltforschung wohl als klassisch zu bezeichnenden Forderung, sich über eine »dichte Beschreibung« (Clifford Geertz) den stattgefundenen Gewalthandlungen zu nähern, um allen Aspekten der Dynamik von Gewaltprozessen zwischen Akteuren, Opfern und Beobachtern Rechnung zu tragen,87 werden in dieser Arbeit sozialgeschichtliche Fragen auf den Bereich der Gewalt- und Militärgeschichte übertragen. Die quantifizierende Methode eignet sich dabei nicht nur zur Erfassung sozialhistorischer Strukturen, sie erlaubt darüber hinaus die systematische Überprüfung von Hypothesen.88 Beider Möglichkeiten wird sich diese Untersuchung bedienen: So werden erstmals quantifizierbare Merkmale wie Berufe, Konfessionen, Angaben zum Elternhaus sowie zur Generationszugehörigkeit und zur Kriegserfahrung der Freikorpskämpfer im Sinne einer sozialhistorischen Grundlagenforschung auf breiter Quellenbasis erhoben. Eine derartige Analyse ist sowohl eine logische Konsequenz der Forderung Wegners als auch die von den Quellen selbst nahegelegte Form der Untersuchung. Zweifelsohne sind die daraus erwachsenden Erkenntnisse limitiert, sodass eine weiterführende Untersuchung nicht allein bei der Erhebung von Daten stehen bleiben kann, die allerdings gerade im Fall der deutschen Freikorps in Form einer systematischen empirischen Grundlage völlig fehlt. Dementsprechend werden im Anschluss anhand der gewonnenen Daten Hypothesen zu Kontinuitäten und Brüchen von Gewalt zwischen dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik und dem nationalsozialistischen Staat sowie zur Vorreiterrolle der Freikorps bei der Genese des Nationalsozialismus überprüft. Auch wenn der methodische Ansatz dieser Arbeit in der Hauptsache ein quantitativer ist, werden – wo möglich – immer auch qualitative Quellen herangezogen, um die entsprechenden Untersuchungsergebnisse zu ergänzen oder mit abweichenden Befunden aus anderen Untersuchungen zu konfrontieren. 84 Fulbrook, S. 73. 85 Gerwarth u. Horne, S. 7 f. Beide Autoren beziehen sich bei ihrer Begriffsbestimmung auf Reichardt, Paramilitarism. Begriffsbestimmende Kriterien für paramilitärische Organisationen bei Williams. Ausführlich zum Paramilitarismus der Weimarer Republik: Mauch. 86 Lindenberger u. Lüdtke. Zur strukturellen Gewalt siehe: Galtung. 87 Trotha. 88 Das hat bereits betont: Aydelotte.

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Insbe­sondere der Bereich der Gewalt lässt sich ohne die Frage nach ihrer Qualität kaum beleuchten. Die Erfahrung von Gewalt im Weltkrieg durch die Freikorpsmitglieder, ihr Gewalthandeln in den Monaten und Jahren nach der Niederlage ist rein quantitativ gar nicht adäquat zu beschreiben.89 Die Untersuchung muss sich daher an diesen Stellen auf den erfahrungsgeschichtlichen Aspekt der Sozialgeschichte stützen und verstärkt Individuen und ihre Wahrnehmungen und Deutungen in die Betrachtung einbeziehen, ohne dabei jedoch die Handlungen der Akteure und ihre Handlungsbedingungen aus den Augen zu verlieren.90 Die Stammrollen und Kriegsranglisten der folgenden elf Freikorps wurden ausgewertet: Freikorps Bayreuth, Eiserne Schar Berthold (auch Fränkisches Bauerndetachement genannt), Badisches Sturmbataillon Kurland, Freikorps von Diebitsch, Württembergische Freiwilligenabteilung Haas, Freikorps ­Hübner, Bauabteilung Mauritius, Freikorps von Medem, Freikorps Oberland, Freikorps Passau sowie Freikorps Würzburg.91 Diese Einheiten stammten aus dem süd- und südwestdeutschen Raum – aus Bayern, Baden und Württemberg – und kamen mit der Ausnahme von Berlin und Bremen an allen wichtigen Schauplätzen – im Baltikum, in Oberschlesien, in München und im Ruhrgebiet – zum Einsatz. Stammrollen norddeutscher Einheiten konnten nicht ausfindig gemacht werden. Die genannten Freikorps wurden ausgewählt, weil von ihnen zahlreiche Stammrollen überliefert sind und diese in den allermeisten Fällen auch die relevanten Informationen enthalten. Einheiten, von denen nur vereinzelte Stammrollen ausfindig zu machen waren oder diese außer den Namen der Mitglieder keinerlei oder nur sehr wenige Informationen enthalten, wurden nicht berücksichtigt. Die methodische Umsetzung der Datenerhebung sowie die Auswertung erfolgte mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS von IBM.92 Mit dem Ziel der statistischen Repräsentativität der Ergebnisse wurde der Gesamtzahl der in den Stammrollen verzeichneten Freikorpskämpfer ein Sample mittels Zufallsstichproben auf der Ebene der einzelnen Einheiten entnommen.93 Auf diese Weise war es möglich, sozialgeschichtliche Spezifika einzelner Freikorps zu erfassen, was bei einer aggregierten Ziehung aus der Summe aller Einheiten nicht der Fall gewesen wäre. In einem ersten Schritt waren dafür die einzelnen Stichprobengrößen – bei einem angenommenen Stichprobenfehler von 5 % und einem Konfi­ 89 Vgl. auch Baberowski, S. 141 f. 90 Vgl. dazu: Kocka, Sozialgeschichte, insbesondere S. 170ff; Siedler, insbesondere S. 453 ff. 91 HStAS M 557 Bde. 2–23; HStAS M 560 Bd. 6; GLAK 456 C Nr. 6870–6877, 6881, 6885, 6887, 6894, 6896, 6899, 6901, 6903, 6905, 6906, 6913, 6918, 6920, 6921, 6929; GLAK 456 F 134/135 Nr. 242; BayHStA-KA Stammrollen 22580, 22585–22592, 22654–22657, 22675–22678, 22680, 22682–22689, 22739–22751. 92 IBM SPSS Statistics, Version 23, 2015 (ursprünglich: Statistical Package for the Social ­Sciences). 93 Das Verfahren der Zufallsstichprobe basiert darauf, dass alle in den Stammrollen einer Einheit verzeichneten Mitglieder mit der gleichen Wahrscheinlichkeit ausgewählt werden können, und wird angewendet, wenn über die Verteilung der zu untersuchenden Merkmale wenig bekannt ist. Vgl. dazu: Bortz, S. 86 f.

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denzkoeffizienten von 95 % – in Abhängigkeit der jeweiligen Grundgesamtheit der pro Einheit verzeichneten Mitglieder zu bestimmen (s. Tab. 1).94 Tabelle 1: Grundgesamtheit und Stichprobengröße der Freikorps Freikorps

Grundgesamtheit der Stammrolleneinträge

Größe der Stichprobe

Badisches Sturmbataillon

1.089

Freikorps von Diebitsch

3.505

347

659

243

Freikorps von Medem Abteilung Mauritius Abteilung Haas Freikorps Bayreuth Eiserne Schar Berthold

285

600

235

4.835

356

551

227

1.794

317

627

239

Freikorps Oberland

2.560

335

Freikorps Würzburg

2.647

336

823

263

19.688

3.183

Freikorps Hübner

Freikorps Passau Gesamt

Die über die Stichproben gezogenen Stammrolleneinträge fanden dann Eingang in eine Datenbank und konnten somit für die statistischen Analysen auf vielfältige Weise miteinander verknüpft werden. Das den Datenbestand dieser Arbeit bildende Sample umfasst 3.183 Freikorpskämpfer und ist repräsentativ für die untersuchten Einheiten, in deren Stammrollen insgesamt knapp 20.000 Mann verzeichnet sind, welche die Formationen in der Zeit ihres Bestehens durchlaufen haben. Die Daten können somit nicht auf einen bestimmten Stichtag bezogen werden, sie umfassen stattdessen die gesamte aktive Zeit der Verbände. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit sind alle aus den Stammrollen ermittelten Häufigkeitsangaben auf ganze Prozentwerte gerundet. Infolgedessen kann die Summe dieser Häufigkeiten – zum Beispiel zur Schicht-, Generations- und Religionszugehörigkeit oder zur Kriegserfahrung der Freikorpskämpfer – in einigen Fällen geringfügig von 100 % abweichen. Außerdem wird bei der Wiedergabe und Diskussion dieser Daten überwiegend darauf verzichtet, den Anteil nicht verfügbarer Angaben aus den Stammrollen ausdrücklich zu erwähnen. Er ergibt sich natürlicherweise aus der Differenz zwischen der Summe der jeweils benannten Anteile und 100 %. 94 Der Konfidenzkoeffizient bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit dem das von ihm festgelegte Vertrauensintervall den wahren Wert des zu schätzenden Merkmals enthält. Der Stichprobenfehler beziffert die Streuung der Stichprobenkennwertverteilung. Gemeinsam bestimmen beide Werte die Präzision der Stichprobe. Vgl. dazu: Bortz, S. 90–92, S. 100–102 sowie Rasch u. a., S. 35–41.

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Aufgrund der Quellenlage wäre ein süddeutscher Bias gerade bei der sozialhistorischen Analyse mit den entsprechenden Konsequenzen für die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf norddeutsche Einheiten nicht a priori auszuschließen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass es relevante Unterschiede zwischen badischen, württembergischen und bayerischen Freikorps einerseits und preußischen oder weiteren deutschen Formationen andererseits gab. Dem kann jedoch aufgrund von Plausibilitätsbetrachtungen und indirekten Vergleichen widersprochen werden. Selbst wenn man für die südwestdeutschen Länder Besonderheiten in der Bevölkerungsstruktur oder in den Wirtschaftssektoren Industrie und Landwirtschaft unterstellen würde, so kommt es – wie die Ergebnisse der hier vorliegenden Studie zeigen  – bereits durch die Hinzunahme diesbezüglich so unterschiedlicher bayerischer Regionen wie Franken und Niederbayern zu einem erheblich vielschichtigeren Gesamtbild der Sozialstruktur der hier untersuchten Freikorps. Beispielhaft seien hier nur einige Aspekte erwähnt: Das Sample umfasst Einheiten, die aus industrie- und handwerksnahen Gebieten kommen wie auch solche aus eher agrarisch geprägten. Es wird also ein breites Spektrum unterschiedlicher sozioökonomischer Bevölkerungsstrukturen abgebildet. Die Anteile der Arbeiterschaft – ein wesentliches Merkmal der Freikorps, wie sich im Verlauf dieser Untersuchung herausstellen sollte – unterschieden sich selbst innerhalb der jeweiligen Länder zum Teil beträchtlich, ebenso die regionale Bindung der Freikorpskämpfer, gemessen über die Entfernung von ihrem Geburtsort zum Aufstellungsort der Einheiten. Allein diese wenigen Befunde weisen schon darauf hin, wie differenziert die soziale Zusammensetzung der hier untersuchten Freikorps war. Dass bei einer detaillierten regionalen Betrachtung auch immer wieder einzelne Charakteristika sichtbar werden, sollte wenig überraschen, zum Beispiel die mit der im Südwesten des Reiches erhöhten Handwerkerdichte95 korrelierenden höheren Anteile von Handwerksgesellen in den Freikorps aus Baden und Württemberg gegenüber denen aus Bayern. Diese Singularitäten fallen aber nicht stark ins Gewicht, der durchschnittliche Anteil der Arbeiterschaft – zu der die Handwerksgesellen gezählt werden – würde sich in den Freikorps nur marginal verändern, ließe man dieses Spezifikum außer Betracht. Da somit schon die süd- und südwestdeutschen Einheiten kein homogenes Sample bilden, ist es durchaus schlüssig, eine ähnliche Heterogenität auch für preußische bzw. weitere deutsche Freikorps anzunehmen. Schließlich wurden sie unter den reichsweit gleichen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen des unmittelbaren Kriegsendes aufgestellt, sodass gravierende landesspezifische, das Gesamtbild verzerrende Unterschiede nicht anzunehmen und darüber hinaus Hinweise auf einen süddeutschen Bias nicht zu erkennen sind. Vielmehr deuten die in wenigen Fällen vorliegenden Vergleichsdaten aus anderen Ländern des Reiches eher auf Gemeinsamkeiten in den militärischen Strukturen zwischen preußischen, thüringischen und süddeutschen Freikorps hin wie etwa die zahlenmäßigen Relationen von Offizieren und Unteroffizieren 95 Lenger, S. 172.

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zur Gesamtstärke der jeweiligen Einheiten. Auch die sich gleichenden Reaktionen der Offiziere in Nord- und Süddeutschland auf ihre neue sozioökonomische Situation nach dem Weltkrieg fallen auf. Zu den relevanten Informationen, welche die Stammrollen über die Sozialgeschichte der Freikorpskämpfer verraten, zählen die jeweiligen Berufsangaben. »Beruf« ist nicht nur ein »Grundbegriff«96 historischer Forschung, er ist laut Jürgen Kocka auch der »beste einzelne Indikator für die gesamte Stellung eines Individuums im Schichtungssystem industrialisierter Gesellschaften.«97 Der Beruf hat nicht nur Auswirkungen auf die Position der Individuen innerhalb gesellschaftlicher Hierarchien, er kann auch deren Einstellungen und Verhaltensweisen prägen. In den Quellen selbst kommt die große gesellschaftliche Relevanz einer Tätigkeit schon dadurch zum Ausdruck, dass sie diese nicht schlicht als Berufstätigkeit bezeichnen, sondern als »Lebensstellung« der Freikorpskämpfer ausweisen und damit zugleich »soziale Distanzen zwischen Berufspositionen«98 markieren. Ein Rückgriff auf Berufsangaben als Kategorie sozialhistorischer Analyse bringt jedoch gewisse Probleme mit sich, die unter Umständen Untersuchungsergebnisse verzerren können. So bleibt der Beruf als alleiniger Indikator einer bestimmten sozioökonomischen Stellung von Individuen in der Gesellschaft notwendigerweise mit einer gewissen Unschärfe behaftet, wenn nicht zusätzliche Informationen wie Bildungsgrad und Einkommensverhältnisse hinzugenommen werden können. Diese sind in den Stammrollen der Freikorps jedoch nicht explizit vermerkt. Einzig über die entsprechenden Voraussetzungen zur Ausübung gewisser Berufe wie etwa die Hochschulbildung für Ärzte und Rechtsanwälte oder der angegebene Meistergrad bei Handwerkern lassen sich gewisse Rückschlüsse ziehen. Für möglichst exakte Angaben zum ökonomischen Status einzelner Haushalte müssten jedoch lokale Steuerlisten und am besten auch Register von Standesämtern herangezogen werden, was bei einer statistischen Auswertung serieller Quellen in dieser Größenordnung jedoch dazu führen würde, dass der Arbeitsaufwand und der Erkenntnisgewinn in keinem vertretbaren Verhältnis zueinander stünden. Diese Unschärfe mancher Berufsbezeichnungen führt dazu, dass nicht immer eindeutig erkennbar ist, ob ein Beruf in einer Fabrik, einem kleinen Handwerksbetrieb oder in Heimarbeit ausgeübt wurde. Das trifft insbesondere auf die große Gruppe der Handwerksgesellen zu, die – bedingt durch die langfristigen Auswirkungen von Industrialisierung und Urbanisierung – beispielsweise als Weber oder Schlosser um 1920 ihre Arbeit oftmals in Fabriken und weniger in kleinen Handwerksbetrieben verrichteten.99 Allerdings waren nach dem Weltkrieg noch mehr als ein Drittel der handwerklich Beschäftigten in Kleinbetrie96 Conze. 97 Kocka, Theorien, S. 41. 98 Grümer, S. 9. 99 Vgl. beispielsweise Büttner, S. 233.

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ben tätig, was vor allem für die »Massenhandwerker« der Schneider und Schuster galt.100 Letztendlich bleibt auch ungeklärt, ob die angegebenen Berufe bis zum Eintritt in ein Freikorps tatsächlich ausgeübt wurden.101 Darüber hinaus fällt das Aufkommen der Freikorps in eine Zeit, für die exakte statistische Erhebungen Mangelware sind. So gab es reichsweite Berufs- und Betriebszählungen 1907 und 1925, also einige Jahre vor bzw. nach dem Weltkrieg. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen werden diesbezüglich also nur über einen Zeitraum von knapp zwanzig Jahren sichtbar, die unmittelbaren Wirkungen des Krieges treten hinter längerfristigen Entwicklungslinien zurück. Um die Sozialstruktur der Freikorps anhand der Berufsangaben möglichst genau abbilden zu können, wird an dieser Stelle ein an die Studien Michael Grüttners zur deutschen Studentenschaft im »Dritten Reich« und zur Berliner Universität zwischen den Weltkriegen102 angelehntes Schema genutzt. Grüttners Untersuchungskategorien leicht modifizierend entsteht folgende, hier verwendete Einteilung zur sozialhistorischen Analyse: Bürgertum: Besitzbürgertum Freie Berufe mit Hochschulbildung Berufsoffiziere Leitende Angestellte Höhere Beamte Mittelstand: Freie Berufe ohne Hochschulbildung Berufsunteroffiziere Mittlere und gehobene Angestellte Mittlere und gehobene Beamte Gewerblicher Mittelstand Landwirte Studenten Unterschicht: Untere Angestellte Untere Beamte Handwerksgesellen Facharbeiter Ungelernte und angelernte Arbeiter Schüler, Lehrlinge, Praktikanten und Volontäre können wie Unteroffiziersschüler und Kadetten sowie diejenigen Freikorpskämpfer, die als Lebensstellung schlicht »Sohn« angegeben haben, genau genommen nur in die Schicht ihrer Eltern eingruppiert werden. In diesem Schema werden sie unter »Sonstige« geführt, da sie andernfalls in jeder der Hauptkategorien zusätzliche Unterkate100 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 271. 101 Kritisch zur Eignung von Berufsbezeichnungen für die historische Forschung: Schraut, S. 345 ff. 102 Grüttner, Studenten, S. 492; ders. u.a, S. 200.

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gorien bilden würden. Um jedoch stärker nach sozialen Schichten differenzierende Aussagen treffen, die gerade genannten Gruppen in eine entsprechende Betrachtung einbeziehen und die intergenerationelle soziale Mobilität der Freikorpskämpfer abbilden zu können, wird zusätzlich auf ein von Reinhard Schüren entworfenes Schichtenmodell zurückgegriffen, der in einer groß angelegten Studie die soziale Mobilität in Deutschland über einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren analysiert hat.103 Hier kann vor allem von seiner differenzierten Zuordnung einzelner Berufe zu sozialen Schichten profitiert werden.104 Weitere von Schüren verwendete Merkmale wie die Stellung im Beruf oder der Wirtschaftssektor bzw. das Arbeitsmilieu können aufgrund fehlender Quellen nicht erfasst werden. Schürens Schema wird daher entsprechend variiert und die Schüler, Kadetten und übrigen Auszubildenden entsprechend dem sozialen Status ihrer Eltern berücksichtigt. Studenten werden wegen ihrer prekären wirtschaftlichen Lage zu Beginn der Weimarer Republik der oberen Mittelschicht zugerechnet und nicht – wie von Schüren vorgeschlagen – der Oberschicht.105 Somit ergibt sich folgende Schichteinteilung: Oberschicht:

Gutsbesitzer, Großunternehmer, freie Berufe mit Hochschulbildung, leitende Angestellte und höhere Beamte, Berufsoffiziere

Obere Mittelschicht: Mittlere Unternehmer, Privatiers, Pensionäre, Großhandelskaufleute, gehobene Angestellte und Beamte, Ingenieure, freie Berufe ohne Hochschulbildung, Studenten Untere Mittelschicht: Landwirte, Kaufleute und Händler, selbstständige Handwerksmeister, Gastwirte, mittlere Angestellte und Beamte, Berufsunteroffiziere Obere Unterschicht: Facharbeiter, Handwerksgesellen, untere Angestellte und Beamte Untere Unterschicht: Ungelernte und angelernte Arbeiter, Tagelöhner 103 Schüren, insbesondere S. 31–40, S. 313 ff., S. 328–361. 104 Auf eine Dreiteilung der Unterschicht, wie sie sich in Schürens Studie findet, wird an dieser Stelle jedoch verzichtet. Die Kategorie »mittlere Unterschicht«, die nur die Gruppe der angelernten Arbeiter umfasst, wird aufgelöst, sie werden der unteren Unterschicht zugeordnet, da die für die Geschichte der deutschen Arbeiterschaft bedeutendere Unterscheidung zwischen den Facharbeitern einerseits und den ungelernten sowie angelernten Arbeitern andererseits verläuft. Vgl. dazu: Kocka, Stand, S. 149. Diese Trennungslinie resultiert aus den z. T. riesigen »Lebenschancenunterschieden« (Kocka), die sich nahezu notwendigerweise zwischen einem hochqualifizierten, aus der handwerklichen Tradition stammenden Mechaniker in einem großstädtischen Großunternehmen und einem ungelernten, aus unterbäuerlichen Verhältnissen kommenden Ziegeleiarbeiter in der ländlichen Provinz ergeben, ebd., S. 146, dort auch das Beispiel. 105 Grüttner u. a., S. 199 ff.; Die Zugehörigkeit der Studenten zur Mittelschicht betont auch: Mens, S. 19.

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Beide Schemata weichen leicht voneinander ab und gestatten unterschiedliche Aussagen. Das erste Modell liefert eine pointierte Darstellung der sozialen Zusammensetzung der Einheiten, das an Schüren orientierte Modell erlaubt ergänzend allgemeine Aussagen zu schichtspezifischen Differenzierungen und ermöglicht diesbezüglich eine Einbeziehung der Schüler, Kadetten etc. über die Angaben zu ihren Eltern. Die sich in der Forschung als »Vanguard of Nazism« manifestierte Annahme starker Kontinuitäten zwischen Freikorps und Nationalsozialismus wird wie der sozialhistorische Teil der Arbeit anhand des Datensamples untersucht. Über die in den Stammrollen enthaltenen Namen und Geburtsdaten der Freikorpskämpfer ist es möglich, mit Hilfe der Mitgliederkarteien der NSDAP und der Personalunterlagen der SA und der SS einen eventuellen späteren Eintritt der rund 3.200 Freikorpsmitglieder aus dem hier geschaffenen Datenpool in diese nationalsozialistischen Organisationen zu überprüfen. Dabei muss die Problematik der unvollständigen Überlieferung dieser Akten im ehemaligen BDC berücksichtigt werden. Insgesamt sind mit den beiden im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde vorhandenen Karteien (»Ortskartei / Blaue Kartei« und »Zentralkartei / Grüne Kartei«) nahezu 90 % aller jemals in die NSDAP eingetretenen Parteimitglieder dokumentiert (»BDC-Masterfile«).106 Für diese Untersuchung wurde die wesentlich größere Ortskartei verwendet, die laut Schätzung Michael H. Katers zu 80 % erhalten ist.107 Neueste Untersuchungen gehen von einem Überlieferungsgrad dieser Kartei von 76,7 % aus, wobei die Beschädigung der Kartei keinen systematischen Charakter aufweist.108 Ausgehend von einer annähernd statistischen Gleichverteilung der Einträge von Freikorpskämpfern innerhalb der Kartei, muss die Anzahl der tatsächlich gefundenen Übereinstimmungen in den überlieferten Unterlagen somit um die nicht zu erkennenden »Treffer« aus den fehlenden Beständen korrigiert werden. Auch bei der Überprüfung möglicher SA- und SS-Mitgliedschaften besteht das Problem, dass für den Zeitraum der »Kampfzeit« vor 1933 nur rudimentäre Mitgliederlisten erhalten sind.109 Im Fall der Sturmabteilung ist eine zentrale Mitgliederkartei niemals angelegt worden.110 Entscheidender Unterschied dieser Arbeit zu anderen Untersuchungen über das Verhältnis von Freikorps und Nationalsozialismus ist der hier vollzogene Perspektivwechsel. Autoren, die vor allem die Kontinuitäten betonen, müssen nahezu automatisch zu einem entsprechenden Ergebnis gelangen, weil sie ihren Untersuchungsgegenstand verzerrend einschränken, ohne die naheliegenden 106 Schneider-Haase, S. 117. 107 M. H. Kater, Überlegungen, S. 156, Anm. 4. Vgl. auch Schneider-Haase, S. 117. Die beiden Karteien waren ursprünglich inhaltlich kongruent und unterschieden sich lediglich in ihrer Systematik. Die unterschiedlichen Überlieferungszustände der beiden Karteien sind dem jeweiligen Grad ihrer Vernichtung vor der Entdeckung durch US-amerikanische Truppen geschuldet. 108 Khachatryan u. Meßner, S. 127, S. 144. 109 Vgl. Reichardt, Kampfbünde, S. 52 sowie Hein, Elite, S. 150 f. 110 Jamin, Konzeption, S. 84 f.

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Konsequenzen zu berücksichtigen. Da sie nämlich aus dem rechtsextremen Spektrum nach 1933 auf die Anfangsjahre der Weimarer Republik zurück­ blicken, indem sie in den Reihen prominenter oder hochrangiger Nationalsozialisten nach ehemaligen Freikorpskämpfern suchen – und in zahlreichen Fällen auch fündig werden –, wird für sie nicht nur eine politische Kontinuität innerhalb der extremen Rechten sichtbar – die zweifellos vorhanden war –, sondern vielmehr ein Gesamtbild, das außer dieser Kontinuität keine anderen Befunde zulässt. Von der Warte der »Machtergreifung« aus betrachtet, ist es nur folgerichtig, dass aus rechtsextremen oder konservativen Freikorpskämpfern Nationalsozialisten wurden, da – mit wenigen Ausnahmen – politisch anders eingestellte Freikorpskämpfer oder solche, die sich nach ihrer paramilitärischen Betätigung nicht weiter politisch engagiert haben, bisher kaum – und schon gar nicht in größerer Zahl – Beachtung fanden. Es ist für die Bewertung der Freikorps daher unbedingt notwendig, die Perspektive umzukehren und nicht ausschließlich die Vergangenheit prominenter Nationalsozialisten zu ergründen, sondern die Biographien der Paramilitärs vom Jahr 1919 ausgehend in die Zukunft zu verfolgen. Nur so lässt sich erkennen, ob tatsächlich eine Kontinuität von den Freikorps zu den Nationalsozialisten der Regelfall war, oder ob es nicht durchaus Freikorpsmitglieder in relevanter Zahl gegeben hat, die sich im späteren Verlauf ihres Lebens nicht dem Nationalsozialismus zugewandt haben. Aufgrund der großen Heterogenität und nicht zuletzt wegen des hohen Arbeiteranteils innerhalb der Freikorps111 ist es durchaus möglich, personelle Kontinuitäten der Paramilitärs auch in das politisch linke Spektrum der Weimarer Republik oder in den kommunistischen Widerstand während des »Dritten Reichs« nachzuverfolgen. Vermutlich träfe man ebenso in den Kampfverbänden der politischen Linken wie dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold oder dem Roten Frontkämpferbund auf ehemalige Freikorpskämpfer. Beide 1924 gegründeten Wehrverbände boten sich für diejenigen Freikorpsveteranen als potenzielles Betätigungsfeld an, die anfangs in den sozialdemokratisch geprägten Freiwilligenregimentern Liebe und Reichstag ihren Dienst taten. Allerdings würde eine vergleichbare statistische Untersuchung personeller Übergänge von Freikorps zu sozialdemokratischen und kommunistischen Formationen eine ähnlich breite Datenbasis erfordern, wie sie hier für die Übergänge zu NS-Organisationen vorgestellt wird. Aber weder das Reichsbanner noch der Rote Frontkämpferbund haben umfangreiche Mitgliederlisten hinterlassen.112 Die Ausrichtung der hier vorliegenden Untersuchung auf das nationalsozialistische Lager ist somit auch der Quellenlage geschuldet. Am Beginn der Untersuchungen muss eine Definition des Begriffs »Freikorps« stehen. Dazu sind einige grundsätzliche Überlegungen erforderlich, denn in der Literatur wird dieser Terminus nicht einheitlich verwendet, sondern erfährt in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen – sowohl von zeitge111 Siehe dazu Kapitel II.3. 112 Elsbach, S. 27 ff.

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nössischen als auch von gegenwärtigen Autoren, gleichgültig ob in Wissenschaft oder Publizistik. Semantische Unterschiede lassen sich auf verschiedenen Ebenen feststellen: So findet »Freikorps« in einer weiten Definition Verwendung als Oberbegriff für Freiwilligenformationen generell und ebenso in einer enger gefassten Definition zur Bezeichnung einer bestimmten Gruppe innerhalb dieser Freiwilligenverbände, der »eigentlichen« Freikorps. Zahlreiche Einheiten wie etwa das Freikorps Oberland oder das Freikorps Lichtschlag trugen die Bezeichnung »Freikorps« in ihrem Namen und brachten auf diese Weise auch zugleich konkrete Erwartungen und Haltungen wie Antibolschewismus, militärische Schlagkraft und besondere Vorstellungen von Männlichkeit und Soldatentum sowohl nach innen wie nach außen zum Ausdruck, die in der Regel schon über die Werbeaufrufe vermittelt wurden. Darüber hinaus gab es noch eine Vielzahl von Einheiten, die den Terminus »Freikorps« nicht im Namen trugen, aber dennoch als Freikorps anzusehen sind wie beispielsweise das Badische Sturmbataillon Kurland. Die Problematik einer begrifflichen Unschärfe beginnt also schon mit den Freikorps selbst und hält bis heute an. Vor allem die Verwendung als Sammelbegriff hat dazu geführt, dass die in der Literatur genannten Gesamtzahlen der nach dem Weltkrieg existierenden Einheiten sehr stark streuen mit bis zu 2.000 als Maximum.113 Bereits die zeitgenössischen Autoren Ernst von Salomon (mehr als 85 Freikorps) und Edgar von Schmidt-Pauli (mehr als 200) gehen von deutlich unterschiedlichen Zahlen aus, wobei in der 1936 erschienenen und dem Nationalsozialismus zugeneigten Darstellung Schmidt-Paulis der Autor darauf abhebt, dass von über 200 nachweisbaren Freikorps nur 68 von der Regierung offiziell als solche anerkannt wurden.114 Hier kommt also zusätzlich eine Unterscheidung zwischen offiziellen und inoffiziellen Freikorps zum Tragen, was zugleich bedeutet, dass die Entscheidung darüber, welche der Freiwilligeneinheiten letztendlich als Freikorps zu gelten hatten und welche nicht, weniger eine begriffsanalytische als vielmehr eine politische war. Die Frage danach, was ein Freikorps eigentlich ausmachte, lag hier also nicht mehr im Wesen der Einheiten selbst, sondern in einem definitorischen Akt der Regierung. Einen ersten Ansatz von Ordnung haben Harold J.  Gordon und Hagen Schulze geschaffen, indem sie hauptsächlich bedeutende und selbstständig agierende Verbände in ihre bis heute grundlegenden Untersuchungen aufgenommen haben, für die Ort und Zeitpunkt ihrer Aufstellung wenigstens annähernd bestimmt werden konnten. Während Gordon auf diese Weise von ursprünglich mehr als 400 von ihm ermittelten Freikorps, von denen einige unter mehreren Namen auftauchten, noch auf knapp 150 relevante Einheiten kommt,

113 Hartung, S. 3. Auch hier muss man nicht lange suchen, um auf eindeutige rechtsextreme Aussagen zu treffen, bereits im Vorwort begegnet dem Leser der »Holocaust gegen Deutschland 1939–1945«. 114 Salomon, Geschichte, S. 96; Schmidt-Pauli, S. 9, S. 353 ff.

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zählt Schulze zehn Jahre später noch 103.115 Gunther Mai (ungefähr 365) und Ulrich Kluge (zwischen 68 und 144) bieten zwar konkretere, aber nicht weniger divergierende Angaben.116 Die genaue Zahl der zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Anfang der 1920er Jahre existierenden Freikorps wird sich kaum noch ermitteln lassen. Dies liegt neben der Quellenlage vor allem in der Organisation der Verbände begründet, die im Hinblick auf die Art ihrer Aufstellung, die Existenzdauer und die taktischen Unterstellungsverhältnisse von Einheiten oder Teileinheiten häufigen Änderungen unterworfen sein konnte. Neugliederungen oder Zusammenlegungen von Freikorps waren in manchen Fällen mit einer Umbenennung verbunden, was eine zusätzliche Problematik bei der Zählung hervorbringt. Die verschiedenen Schätzungen zu den Mitgliederzahlen weichen zum Teil ebenfalls stark voneinander ab. Nach Ernst von Salomon betrug die Zahl der »wirklichen Freikorpskämpfer […] auch zur Zeit ihres Höchstbestandes nicht mehr als hundertfünfzigtausend Mann.«117 An anderer Stelle kommt er zum Schluss, die »Freikorps hatten insgesamt einen Mannschaftsbestand von höchstens 50–70.000 Mann«.118 Hauptmann Gustav Böhm, damals Adjutant im Preußischen Kriegsministerium, geht von über 200.000 Mann aus, die Ende März 1919 in den Freiwilligenverbänden und dem Grenzschutz Ost tätig waren.119 George Eliasberg schätzt die Zahl der Freikorpskämpfer in seinem Werk über den Ruhrkrieg auf 100.000 bis 200.000.120 Thoms und Pochanke nennen in ihrem »Handbuch« eine Zahl von ungefähr 100.000 Mann, die sie aufgrund der Anzahl der vom Kyffhäuserbund ausgestellten Urkunden für Freikorpskämpfer annehmen.121 Als Höchstwert findet sich sowohl bei Richard Bessel wie auch bei Gunther Mai, Boris Barth und Hagen Schulze die Angabe von 400.000 Mann.122 Schulze betont allerdings, dass diese Zahl irreführend sei, da auch aufgelöste Verbände des Weltkriegsheeres, Einwohnerwehren sowie alle Freiwilligen bei der Zählung berücksichtigt wurden, die zu irgendeinem Zeitpunkt während der gesamten Existenzdauer der Freikorps in den Einheiten Dienst taten. Gestützt auf eine Notiz Wilhelm Groeners, der Mitte März 1919 eine Schätzung der Stärke der gesamten deutschen Streitkräfte vornahm, kommt Schulze letztendlich auf eine Zahl von rund 250.000 Mann, die zu diesem Zeitpunkt in den para-

115 Gordon, Reichswehr, S. 67, S. 414 ff.; Schulze, S. 26. 116 Mai, Republik, S. 38, Kluge, Revolution, S. 153. 117 Salomon, Geschichte, S. 96. 118 Salomon, Haufe, S. 120. 119 Hürten u. Meyer, S. 143. 120 Eliasberg, S. 36 f. 121 Thoms u. Pochanke, S. 12, Anm. 6. Es ist allerdings fraglich, ob diese Urkunde tatsächlich nur an Freikorpskämpfer ausgegeben wurde. Vgl. dazu Keller, S. 82 f. und als neuere Publikation zum Kyffhäuserbund B. Schulte. 122 Bessel, Germany, S. 258; Mai, Republik, S. 38; Barth, Dolchstoßlegenden, S. 237; Schulze, S. 36.

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militärischen Einheiten aktiv waren, was seiner Auffassung nach zugleich dem Höchstwert der jemals gleichzeitig aktiven Freikorpskämpfer entspricht.123 Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ab April 1919 mehr Freiwillige entlassen als eingestellt wurden, die Gesamtzahl der Freikorpskämpfer ab diesem Zeitpunkt also rückläufig war,124 erscheinen Schulzes Annahmen plausibel, sodass für das Jahr 1919 größenordnungsmäßig von einer Zahl zwischen 200.000 und 250.000 ausgegangen werden kann.125 Die Einheiten unterschieden sich zum Teil ganz erheblich voneinander, was ihre Größe, ihre militärische Zusammensetzung sowie ihr Verhältnis der Regierung gegenüber betrifft. Diese Faktoren waren nicht statisch, sondern über die Dauer des Bestehens mitunter variabel. Neben die lückenhafte Quellenlage tritt also noch die unscharfe Begrifflichkeit sowie die große Heterogenität im Erscheinungsbild der Einheiten, und so steht am Anfang einer Arbeit über Freikorps zunächst das bisher nur unzureichend gelöste Problem einer Begriffsbestimmung. Einen entscheidenden Beitrag zur Formulierung einer geeigneten Definition liefert die Arbeit von Schulze, die aus der militärgeschichtlichen Tradition von Freikorps eine wissenschaftliche Beschreibung ableitet.126 Schulze verweist zunächst darauf, dass Freikorps nicht erst nach dem Ersten Weltkrieg auftauchten, sondern sich – wenn auch in anderer Form – bereits für das 18. Jahrhundert nachweisen lassen. Schon von Friedrich dem Großen wurde 1755 die Erfordernis beschrieben, ein Korps aufzustellen, das »in Freikompagnien einzuteilen sei.«127 Diese Einheiten, in denen sich nach Schulze entweder Landsleute zusammenschlossen, um gemeinsam gegen fremde Besatzungstruppen im eigenen Land zu kämpfen, oder sich Männer einfanden, die der gültigen Militärstatuten wegen nicht regulären Einheiten beitreten durften, operierten zumeist hinter den feindlichen Linien und waren zum Teil ohne direkte Anbindung an die eigentlichen Streitkräfte auf sich allein gestellt. Schulze schreibt dazu: Unter einem ›Freikorps‹ war also ursprünglich ›eine neben dem eigentlichen Heere errichtete Formation zu verstehen, deren Angehörige für eine bestimmte Idee fechten wollen und die Sache des ständigen Heeres auch zu ihrer eigenen gemacht haben unter Vorbehalt gewisser Reservatsrechte.‹128

Die Freikorps, die im 20. Jahrhundert nach Weltkrieg und Revolution so entscheidend für die Geschichte der Weimarer Republik wurden, definiert Schulze darauf aufbauend als

123 Ebd., S. 36 f. 124 Ebd., S. 37. 125 Vgl. auch Kluge, Soldatenräte, S. 289. 126 Zum Folgenden Schulze, S. 22 f. 127 Zitiert nach Ebd., S. 22. 128 Ebd., S. 22 f.

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mobile Formationen auf der Grundlage des Freiwilligensystems […], die, anders als die ›republikanischen‹ Einheiten, nach dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert waren und grundsätzlich die Unterstützung der Reichsregierung, Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern und Abwehr der Bedrohung von außen als ihre Aufgaben ansahen.129

Hans Fenske führt in seiner Untersuchung zu Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern eine besondere Unterscheidung zwischen »Freikorps« und »wirklichen Freikorps« ein, die sich für ihn aus dem organisatorischen Rückhalt der Einheiten durch offizielle militärische Strukturen ergibt. Demnach seien nur solche Einheiten als wirkliche Freikorps zu betrachten, die nicht auf den Organisationsapparat ehemaliger Heerestruppen zurückgreifen konnten und gänzlich auf Unterstützung bei der Bewaffnung und Ausrüstung durch Armeeangehörige verzichten mussten.130 Somit stünden Freiwilligenformationen, die sich bei Truppenteilen des alten Heeres bildeten, außerhalb der Definition von Freikorps, genau wie Einheiten, die sich aus ehemaligen Truppenteilen rekrutierten wie die Eiserne Schar Berthold. In der Grundidee ist Fenske bei einer solchen Unterscheidung zuzustimmen, weil sie eine wichtige und noch näher auszuführende Abgrenzung von den sogenannten Zeitfreiwilligenformationen bei den Heerestruppen vornimmt und darüber hinaus den Aspekt der (Selbst-) Mobilisierung von Freiwilligen andeutet, der später von der Forschung wieder aufgegriffen worden ist.131 Doch insbesondere der Dynamik in der Organisation der Freikorps wird eine solche strikte Trennung nicht gerecht. Zum einen waren die Freikorps selbst alles andere als hermetische Verbände, sondern einer hohen Fluktuation unter den Mitgliedern ausgesetzt, zum anderen unterhielten Freikorpsführer und Stabsoffiziere mitunter enge Beziehungen zu den regulären Truppen, in denen sie ihr militärisches Handwerk gelernt hatten, und in den meisten Fällen kam auch die Bewaffnung aus Beständen des alten Heeres. Besonders in Bayern ließen konservative und rechtsextreme Netzwerke aus öffentlicher Verwaltung, Militär und Freikorps eine völlige personelle Trennung zwischen offiziellen Stellen und paramilitärischen Verbänden gar nicht zu, die Querverbindungen waren nicht nur zahlreich, sondern entzogen sich auch der parlamentarischen Kontrolle.132 Matthias Sprenger greift die Definition Schulzes auf, ändert sie aber dahingehend, dass er dessen Annahme einer grundsätzlichen Unterstützung der Reichsregierung als Kriterium verwirft, da völlig unklar bleibe, ob sich Freikorpskämpfer im Allgemeinen der Weimarer Regierung gegenüber überhaupt verpflichtet fühlten:

129 Ebd., S. 35. 130 Fenske, S. 52. 131 Barth, Freiwilligenverbände, S. 95–115. 132 H. Mommsen, Militär, S. 265. Vgl. zum Fall Bayerns auch: Zuber, S. 148 f.

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Dementsprechend werden […] unter Freikorps, etwas modifiziert, diejenigen mobilen Freiwilligeneinheiten verstanden, die mit anfänglicher Unterstützung der Reichsregierung von ihr zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern und zur Abwehr der Bedrohung von außen angeworben wurden und die in starker Abhängigkeit von ihrem Führer nach dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert waren.133

Diese Beschreibung ist bisher die geeignetste, wenn man versucht, sich den Freikorps begrifflich zu nähern, zumal sie auch die besondere Rolle der Freikorpsführer betont. Allerdings sollte sie um mindestens einen nicht unwesentlichen Punkt erweitert werden. Ganz entscheidend ist nämlich die Tatsache, dass ein Freikorps während seiner gesamten Zeit des Bestehens unter Waffen stand und diese nicht – wie bei anderen paramilitärischen Formationen, etwa den Zeitfreiwilligenverbänden134 – nur im konkreten Alarmfall ausgegeben wurden. Diese Differenzierung mag vordergründig vielleicht spitzfindig erscheinen, hat jedoch für die Freikorps selbst erhebliche Konsequenzen. Mit der eigenständigen Kon­ trolle über die Waffenbestände verschafften sich die Freikorps einen Handlungsspielraum, über den andere paramilitärische Einheiten nicht verfügten. Letztendlich war dies einer der entscheidenden Faktoren dafür, dass die Freikorps eine Eigendynamik entwickeln und nach eigenen Plänen bzw. nach den Vorstellungen der Freikorpsführer handeln konnten. Dementsprechend liegt dieser Untersuchung folgende Begriffsbestimmung zugrunde: »Freikorps« bezeichnet diejenigen mobilen Freiwilligeneinheiten, die mit anfänglicher Unterstützung oder Duldung der Reichsregierung zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern und zur Abwehr der Bedrohung von außen angeworben wurden und in starker Abhängigkeit von ihrem Führer nach dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert waren sowie permanent unter Waffen standen oder auf ihre Waffenbestände zugreifen konnten.

133 Sprenger, S. 10. 134 Diehl, Politics, S. 31.

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I. Geschichte der Freikorps Die deutschen Freikorps, die Umstände ihres Auftauchens, ihre Beschaffenheit, ihr Handeln und ihre Rolle in der Geschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Weimarer Republik lassen sich ohne eine Betrachtung der militärischen und politischen Lage des Deutschen Reiches am Kriegsende und während der Revolution von 1918/19 nicht verstehen. Die unmittelbaren Folgen des verlorenen Krieges und der gleichzeitige Umsturz der bisherigen Machtstrukturen führten zu einschneidenden Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen.

1. Kriegsende und Revolution Im Osten Europas hatte der Herbst 1917 eine weltgeschichtliche Wendung gebracht: die Russische Oktoberrevolution. Nachdem die Monarchie in Russland bereits mit der Abdankung Zar Nikolaus’ II. und dem anschließenden Thronverzicht seines Bruders im März 1917 im Zuge der Februarrevolution endgültig abgeschafft worden war, stürzten die Bolschewisten um Lenin und Trotzki am 7. November 1917 die bürgerliche Regierung Alexander Kerenskis in Petrograd. Den kriegsmüden Massen hatte Lenin, der mit Unterstützung der deutschen Regierung im April 1917 aus seinem Schweizer Exil nach Russland zurückgekehrt war, unter anderem ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen versprochen, und der russische Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte veröffentlichte bereits einen Tag nach dem Umsturz einen Appell zur Aufnahme von Friedensgesprächen. Die darauf einsetzenden Verhandlungen zwischen Russland und den Mittelmächten mündeten trotz zwischenzeitlicher Wiederaufnahme der Kampfhandlungen im Februar 1918 am 3. März des Jahres schließlich im Frieden von Brest-Litowsk und dem Ausscheiden Russlands aus dem Weltkrieg und einer damit verbundenen großen Entlastung des deutschen Militärs.1 Im Westen begann das letzte Kriegsjahr für die deutschen Truppen mit den Vorbereitungen zu einer großen, gegen die englischen Truppen gerichteten Offen­sive an der Somme. Die Operation Michael – in der Werbung für die Zeichnung von Kriegsanleihen auch »letzter Hieb« genannt –, sollte die Entscheidung bringen und die Entente zu einem für das Deutsche Reich günstigen Frieden zwingen. Seit Ende August 1916 hatten Paul von Hindenburg als Chef des Generalstabes des Feldheeres und Erich Ludendorff als Erster Generalquartiermeister die Oberste Heeresleitung (OHL) übernommen und fortan mit diktatorischen 1 Zur Russischen Revolution: D. Geyer; Hildermeier, Revolution; ders., Geschichte; Altrichter.

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Befugnissen regiert.2 Unter ihrer Leitung hatte das Deutsche Reich im Februar 1917 erneut den uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen Großbritannien aufgenommen und den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im April des Jahres provoziert. Die massiven Versorgungsschwierigkeiten, die das Deutsche Reich seit der Seeblockade durch Großbritannien hinnehmen musste, führten jedoch zum Scheitern der Operation Michael im Frühjahr 1918, und auch kleinere Offensiven in den folgenden Wochen und Monaten blieben erfolglos. Zugleich stieg die Materialüberlegenheit und der Nachschub mit frischen Truppen aufseiten der Alliierten gegenüber dem Kaiserreich nach dem Kriegseintritt der USA stetig an. Noch Mitte August 1918 war die OHL nicht bereit, die Ausweglosigkeit der eigenen Lage einzuräumen, geschweige denn, die verantwortlichen politischen Stellen davon zu unterrichten. Es bedurfte noch des Seitenwechsels des mit den Mittelmächten verbündeten Bulgariens in das Lager der Alliierten Ende September, bevor die OHL die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen auf der Grundlage von Woodrow Wilsons »14 Punkten« durch die Reichsregierung forderte.3 Dem amerikanischen Präsidenten hatte bei der Vorstellung seines Friedensplanes am 8. Januar 1918 vor dem amerikanischen Kongress noch ein »Frieden ohne Sieg« vorgeschwebt, was die Mittelmächte damals jedoch ablehnten. Als sich die deutschen Militärs am 29. September 1918 letztlich dazu durchringen konnten, die eigene Niederlage einzugestehen, war die Möglichkeit einer gleichberechtigten Lösung des Konfliktes bereits Geschichte. Durch die militärische Übermacht der Alliierten war die Kapitulation des Deutschen Reiches nur noch eine Frage der Zeit, sodass Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten im Herbst 1918 nicht mehr bereit waren, dem Deutschen Reich bei Friedensverhandlungen auf Augenhöhe zu begegnen.4 Um sich der Verantwortung für die Niederlage zu entziehen, wurden auf Druck der OHL die Geschicke einer zivilen Regierung unter dem liberal anmutenden, jedoch streng monarchisch und antiparlamentarisch eingestellten Prinz Max von Baden übergeben, der am 3. Oktober seinem wenige Tage zuvor zurückgetretenen Vorgänger Georg Graf von Hertling im Amt des Reichskanzlers nachfolgte.5 Die Ankündigungen der neuen Regierung, aus dem Deutschen Reich eine parlamentarische Monarchie zu machen, waren angesichts der Forderungen des amerikanischen Präsidenten, der mittlerweile nichts geringeres erwartete als die Entmachtung des Kaisers sowie der in Politik und Militär für den Krieg verantwortlichen Persönlichkeiten, jedoch völlig unzureichende Zugeständnisse. Versuche der deutschen Seite, von der überkommenen staatlichen Ordnung zu retten, was noch zu retten war, scheiterten in dieser Situation an der Dynamik der innen- wie außen-

2 Zur Herrschaft der OHL und der Diskussion um Ludendorffs Militärdiktatur vgl. Nebelin; Pyta; Kitchen. 3 Hirschfeld u. Krumeich, S. 256. 4 Ebd., S. 259. 5 Vgl. zur Person und dem Wirken des Prinzen Max von Baden: Machtan.

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politischen Lage im Oktober 1918 sowie an der eher zögerlichen Haltung Max von Badens.6 Am 24. Oktober verlangten Hindenburg und Ludendorff sogar die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen, doch mittlerweile galt »der Primat der Politik, dem sich die OHL unterzuordnen« hatte.7 Zwei Tage später trat Erich Ludendorff zurück, sein Nachfolger im Amt des Ersten Generalquartiermeisters wurde Wilhelm Groener, der in den folgenden Wochen und Monaten zu einer Schlüsselfigur der deutschen Militärpolitik werden sollte. Nachdem am 31. Oktober ein Waffenstillstand zwischen dem Osmanischen Reich und den Alliierten unterzeichnet worden und am 4. November auch Österreich-Ungarn durch einen Waffenstillstand mit der Entente aus dem Krieg ausgeschieden war, kapitulierte das Deutsche Reich als letzter Kriegsgegner der Alliierten am 11. November 1918. Eine deutsche Delegation unter Führung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger unterzeichnete im Wald von Compiègne nordöstlich von Paris den Waffenstillstandsvertrag, der Erste Weltkrieg war nach mehr als vier Jahren beendet.8 Im Deutschen Reich hatten die vier Kriegsjahre in allen Bereichen von Politik, Militär, Gesellschaft und Wirtschaft zu erheblichen Spannungen geführt, sodass sich die Ereignisse seit den letzten Oktobertagen schließlich zu einer Revolution verdichten und bereits ab dem 7. November das Ende der Monarchien in Deutschland herbeiführen sollten. Der Kriegsausbruch hatte im Sommer 1914 die innenpolitischen Auseinandersetzungen des Kaiserreichs zunächst überdeckt und alle Parteien zu einer politischen Einheitsfront vereint, der sich auch die oppositionelle SPD anschloss und im August 1914 der Bewilligung von Kriegskrediten zustimmte.9 Die ökonomischen und sozialen Belastungen und Entbehrungen, denen die deutsche Bevölkerung durch den Krieg ausgesetzt war, ließen jedoch rasch Konflikte innerhalb der Gesellschaft aufbrechen, von denen die verordnete »Burgfriedenspolitik« nicht unbeeinflusst bleiben konnte, sodass bereits seit 1916 »Unruhe, Ressentiments und Protest eine ›explizit innenpolitische Dimension‹« hatten.10 Innerhalb der Sozialdemokratie war es nach einer erneuten Bewilligung von Kriegskrediten im Jahr 1916 zwischen dem linken und rechten Flügel zu großen Verwerfungen gekommen, aus der im April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) hervorging. Die für die folgenden Jahre so entscheidende Spaltung der Sozialdemokratie war damit auch organisatorisch vollzogen. Auf dem rechten Flügel des politischen Spektrums brachte der Krieg ebenfalls eine neue Partei hervor. Mit der Deutschen Vaterlandspartei (DVLP) schufen extrem nationalistische Anhänger einer möglichst weitreichenden Annexionspolitik unter dem Vorsitz des ehemaligen Staatssekretärs des Marineamtes und Spiritus Rector beim Aufbau der deut6 Neitzel, S. 151 f. 7 Ebd., S. 154. 8 Hirschfeld u. Krumeich, S. 262 f. 9 Ebd., S. 57 f. 10 Kluge, Revolution, S. 46.

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schen Hochseeflotte, Admiral Alfred von Tirpitz, im September 1917 eine erste »rechtsradikal-protofaschistische Massenpartei«.11 Neben der Politik radikalisierte sich der Protest gegen den Krieg auch im Mili­ tär. Die Moral der Truppen, denen die Aussichtslosigkeit der eigenen Vorstöße nach dem Scheitern der Frühjahrsoffensive 1918 sowie die ungleich schlechtere Versorgungslage gegenüber den Alliierten nicht verborgen blieben, litt derart, dass sich zahlreiche Einheiten ihren Befehlen widersetzten.12 Infolge der Weigerung der deutschen Soldaten, ihr Leben für eine hoffnungslose Sache zu opfern, kam es an der Westfront und im Hinterland seit dem April 1918 zu vermehrten Desertionen, die seit Juli des Jahres ein ungeheures Ausmaß annahmen und in der Forschung als »verdeckter Militärstreik« bezeichnet werden.13 Alexander Watson geht in seiner Studie von einer in den letzten Kriegsmonaten einsetzenden »Drückebergerei« bei 750.000 bis zu einer Million Soldaten aus.14 Auch Einheiten, die nach dem Frieden von Brest-Litowsk von der Ost- an die Westfront verlegt wurden, waren nicht mehr bereit, sich in einem immer aussichtsloser werdenden Krieg verheizen zu lassen, und mussten zum Teil bei ihrer Ankunft entwaffnet werden.15 Rund 10 % der Mannschaften dieser Truppen nutzten den Transport durch Deutschland zur Fahnenflucht.16 Zugleich wuchs in der Zivilbevölkerung die Sehnsucht nach Frieden und einem Ende der Entbehrungen, mit denen der Krieg die Heimatfront seit Jahren überzog. Bereits im Winter 1916/17 war es den Behörden nicht gelungen, für die Bevölkerung ausreichend Grundnahrungsmittel bereitzustellen. Die durch die Seeblockade ohnehin schon katastrophale Versorgungslage wurde durch erneute Rationalisierung der Lebensmittel extrem verschärft und verursachte einen weiteren Anstieg der Mortalität in der Zivilbevölkerung. Im Januar 1918 entlud sich der Protest nach einem Aufruf des Spartakusbundes in der bislang größten Streikwelle im Reich. Allein in Berlin brachten Tausende streikende Arbeiter, die für ein Ende des Krieges und eine bessere Nahrungsmittelversorgung auf die Straße gingen, das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Regierung löste die Demonstrationen gewaltsam auf und schickte streikende Arbeiter an die Front. Doch diese Disziplinierungsmaßnahme erwies sich als kontraproduktiv, konnten die Arbeiter doch auf diese Weise ihre Unzufriedenheit in die Armee hineintragen und die ohnehin schon gereizte Stimmung der Fronttruppen zusätzlich befeuern. Die Bevölkerung in der Heimat und die Truppen der Etappe äußerten ihren Unmut gegenüber der Regierung und dem Krieg als Erste. Dem allgemeinen Wunsch nach Frieden standen in ihren Augen jedoch der Kaiser und der »preußische Militarismus« im Weg.17 11 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 106 ff. 12 Hirschfeld u. Krumeich, S. 243 ff.; Neitzel, S. 147 f. 13 Deist. 14 Watson. 15 Gordon, Reichswehr, S. 16. 16 Bessel, Heimkehr, S. 225. 17 Winkler, Revolution, S. 31 f.

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Um einer »Revolution von unten« zuvorzukommen und dem amerikanischen Präsidenten günstigere Friedensbedingungen abzuringen, waren die Machthaber in Politik und Militär sowie die Entscheidungsträger in Industrie und Wirtschaft bereit, der politischen Linken gewisse Zugeständnisse zu machen. Die daraufhin ergangenen Oktoberreformen der Regierung unter Max von ­Baden bewirkten zwar entscheidende Verfassungsänderungen in Richtung einer Parlamentarisierung  – so war seit deren Inkrafttreten am 28. Oktober 1918 der Reichskanzler nicht länger dem Kaiser, sondern dem Reichstag und dem Bundesrat gegenüber verantwortlich, und über Krieg und Frieden konnte nicht mehr ohne die Zustimmung des Parlamentes entschieden werden – doch die Monarchie als solche wurde nicht in Frage gestellt – auch von der Sozialdemokratie nicht. Die Spitzen der deutschen Wirtschaft verhandelten seit Oktober mit den Gewerkschaften über die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft. Doch erst die Revolution selbst zwang sie, in der Zentralarbeitsgemeinschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern maßgebliche Forderungen der Gewerkschaften wie die Einführung des Achtstundentags und die Schaffung von Betriebsräten in Unternehmen mit mehr als fünfzig Angestellten zu erfüllen, um die bestehende Eigentumsordnung vor einem Umsturz zu retten.18 Zum Fanal der Revolution wurde der militärisch bedeutungslose, aber in den Augen der Marineführung prestigeträchtige Befehl der Seekriegsleitung vom 28. Oktober 1918, die Flotte gegen Großbritannien auslaufen zu lassen. Die Weigerung der Matrosen, in diesem letzten heroischen Akt sinnlos ihr Leben zu lassen, führte zum Aufstand der Schiffsmannschaften, der von Wilhelmshaven und Kiel aus wie ein Lauffeuer durch das Land ging und endgültig zur Revolution wurde, als demonstrierende Zivilisten und Soldaten in den Abendstunden des 7. November die wichtigsten Gebäude der Zivil- und Militärverwaltung in München übernahmen, und Kurt Eisner, der Vorsitzende der lokalen USPD, in Bayern die Republik proklamierte. Die Monarchie der Wittelsbacher war widerstandslos in kürzester Zeit zusammengebrochen. Zügig von der norddeutschen Küste über das ganze Reich ausbreiten konnte sich der Aufstand, weil lokale Militärbehörden keinen allzu großen Widerstand aufbrachten – die Passivität weiter Teile der Bevölkerung trug maßgeblich zum Erfolg der Revolution bei.19 Die revolutionäre Welle erreichte am 9. November die Hauptstadt. Getragen wurde sie jedoch weniger von einem politischen Programm als vielmehr von der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung und der Soldaten. So mussten die sozialistischen Parteien stets darauf achten, nicht den Anschluss an die Bewegung 18 Mai, Republik, S. 18. 19 Zur Ausbreitung der Aufstandsbewegung im Militär: Kluge, Soldatenräte, S. 32 ff. Es kam allerdings am 3. und 4. November in Kiel zu gewaltsamen Zusammenstößen der meuternden Matrosen mit regulären Truppen, bei denen mindestens 16 Menschen ums Leben kamen. Um den Aufstand zu entschärfen und lokal zu begrenzen, wurde der damalige Marine-Referent der SPD, Gustav Noske, nach Kiel entsandt. Er scheiterte jedoch in seinem Bemühen, eine Ausbreitung des Aufstands zu verhindern. Wette, Revolution; Hirschfeld u. Krumeich, S. 266f; Winkler, Revolution, S. 29.

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zu verlieren, als die Berliner Arbeiter – angetrieben von den Erfolgen der Revo­ lutionäre in München, Köln und anderen Großstädten des Reiches  – auf die Straße drängten, um ein sofortiges Kriegsende herbeizuführen. Die USPD und der Spartakusbund wollten eigentlich erst zwei Tage später mit einem Massenstreik den Umsturz herbeiführen, und die Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) entschied erst unter dem Druck der Ereignisse, sich an die Spitze der revolutionären Bewegung zu stellen, obwohl sie sich eigentlich dagegen sträubte.20 Ebenso wenig gab es im Militär eine revolutionäre Zentralinstanz, vielmehr bestimmten dort kleine Soldaten- oder Matrosengruppen den Ablauf der Geschehnisse.21

2. Militärisch-politische Situation Ende 1918 Die Aufstellung der ersten Freikorps ist nicht mehr exakt zu rekonstruieren, fest steht jedoch, dass die Idee einer militärischen Alternative zum Weltkriegsheer schon vor dem 9. November in der Welt war.22 Bereits im Oktober 1918 hatte Oberst Albrecht von Thaer, Chef des Stabes des Generalquartiermeisters II in der OHL, die Schaffung von Freiwilligeneinheiten zur Niederschlagung einer möglichen Revolution ins Spiel gebracht. Als dann am 7. November tatsächlich der erste deutsche Thron in München stürzte, und die Regentschaft der Wittelsbacher einer Republik weichen musste, plante Wilhelm Groener, seit Ende Oktober faktisch Chef der OHL, mit Freiwilligeneinheiten das Übergreifen der Revolution auf das Heer zu verhindern.23 Doch nur zwei Tage später setzte die Revolution auch der Hohenzollernmonarchie im Reich ein Ende. Friedrich Ebert übernahm von Prinz Max von Baden das Amt des Reichskanzlers, nachdem dieser zuvor eigenmächtig die Abdankung Wilhelms II. verkündet hatte, und am Nachmittag rief Philipp Scheidemann die deutsche Republik aus. Bisher hatte Ebert – mittlerweile Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten – keine Legitimation durch die revolutionäre Bewegung, die er jedoch brauchte, um sich an der Regierungsspitze halten zu können.24 Am 10. November fand im Berliner Circus Busch eine große Versammlung von Arbeiter- und Soldatenräten statt, die ihrem eigenen Anspruch nach oberstes Gremium der überall im Reich aufgekommenen Rätebewegung war. Sie bestätigte den Rat der Volksbeauftragten als provisorische Regierung, setzte jedoch zugleich nach hitziger Debatte einen aus Sozialdemokraten, Revolutionären Obleuten und Soldaten besetzten Vollzugsrat ein, der als »höchste politische Instanz der Deutschen Republik gelten 20 Ebd., S. 43 f.; Kluge, Revolution, S. 62. 21 Kluge, Soldatenräte, S. 69. 22 Kluge, Revolution, S. 152. 23 Schulze, S. 23–25. 24 Kluge, Soldatenräte, S. 93.

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sollte«25 und nach Vorstellung der linksradikalen Mitglieder für sich das Recht forderte, nicht nur als Legislative zu wirken, sondern auch die Reichs- und Landesregierungen zu kontrollieren.26 Nach dem Ausbruch der Revolution und dem militärischen Zusammenbruch – am darauffolgenden Tag wurde in Compiègne der Waffenstillstand unterzeichnet – bestimmten also zunächst drei miteinander konkurrierende Gruppierungen den Fortgang der innenpolitischen Entwicklung: die allerorts entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte mit dem Berliner Vollzugsrat an ihrer Spitze, die alten militärischen Eliten in Form der weiterhin bestehenden Obersten Heeresleitung sowie die jüngst von der Revolution ins Amt beförderte Reichsregierung um Friedrich Ebert und den Rat der Volksbeauftragten mit den einzelnen revolutionären Länderregierungen.27 Die neue Zivilregierung musste sich zahlreicher drängender Probleme annehmen, welche die Übernahme der Macht während der Beendigung des verheerenden Krieges mit sich brachte. Zum einen musste der Krieg in allen seinen organisatorischen, technischen, wirtschaftlichen und sozialen Belangen abgewickelt werden, während gleichzeitig im politischen Bereich die Machtfrage zwischen der neuen Regierung, den Arbeiter- und Soldatenräten sowie der OHL und den aus dem Weltkrieg stammenden Militärorganisationen zu klären war. Darüber hinaus musste als dramatischstes Problem in dieser Situation die Ernährung der Bevölkerung sichergestellt werden.28 Die Liquidierung des Krieges und die Versorgung der Bevölkerung führten auf breiter Basis zu einer engen Zusammenarbeit der neuen Regierung mit den alten militärischen Kräften. Denn schon die Tatsache, dass die während des Krieges begonnene britische Seeblockade trotz des Waffenstillstandes noch bis in den Sommer des darauffolgenden Jahres hinein fortgesetzt wurde und selbst Nahrungsmittellieferungen erst seit Mitte März 1919 wieder stattfinden durften,29 zwang die Regierung, auf funktionierende Strukturen der Mangelverwaltung – in diesem Fall die Arbeit der Kriegsernährungsverwaltung – zurückzugreifen. Und auch die Rückführung des außerhalb der Reichsgrenzen stehenden Heeres wäre ohne die Logistik der alten Armee ein unmögliches Unterfangen gewesen.30 Aus Sorge, die Revolution könnte sich wie 1917 in Russland weiter radikalisieren, in Deutschland gar der Bolschewismus an die Macht kommen – Karl Liebknecht hatte kurz nach der Proklamation Scheidemanns die sozialistische Republik ausgerufen, bei der Versammlung im Circus Busch beanspruchten auch die Revolutionären Obleute im Vollzugsrat die alleinige Macht für sich, und der Spartakusbund veröffentlichte ein Programm mit der Forderung der Beseitigung aller Parlamente sowie der gegenwärtigen Regierung31 –, einigten 25 Ebd., S. 94. 26 Kolb, Arbeiterräte, S. 107 ff. 27 Kluge, Soldatenräte, S. 126. 28 Kluge, Revolution, S. 65. 29 Büttner, S. 47. 30 Barth, Dolchstoßlegenden, S. 230 f. 31 Das Programm ist abgedruckt in: »Die Rote Fahne«, Nr. 2, 10. November 1918.

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sich die Spitzen von provisorischer Regierung und Militär auf eine Zusammenarbeit. »Um nicht aus dem politischen Kräftespiel manövriert zu werden«,32 gab Groener am Abend des 10. Novembers eine Loyalitätserklärung gegenüber der neuen Regierung ab, und als Gegenleistung für den militärischen Schutz garantierte Ebert dem wilhelminischen Offizierskorps die alleinige Befehlsgewalt über das Militär zur »Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin im Heer« sowie die »Bekämpfung des Bolschewismus«.33 Die Rolle der Soldatenräte wurde darauf beschränkt, die Offiziere bei der Disziplinierung der Truppen zu unterstützen.34 Doch tatsächlich spielten sie in den ersten Wochen der Revolution bei der Anwerbung einiger Freiwilligenverbände eine bedeutende Rolle. Die Entscheidung zur Aufstellung von Freiwilligenverbänden brachte dann der sich abzeichnende Zusammenbruch des von Deutschland im Baltikum errichteten Militärstaates Ober Ost35 und die damit verbundene Gefahr eines Machtvakuums unweit der Reichsgrenze, in das bolschewistische Truppen beim Rückzug der deutschen Armee vorzustoßen drohten. Nachdem der Oberbefehlshaber Ost, Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern, Regierung und OHL am 15. November über die desolate Lage seiner Truppen in Kenntnis gesetzt hatte, erteilte Groener am 16. November mit Billigung Eberts die Erlaubnis zur Bildung »freiwilliger Verbände, nicht nur für Deutschland«.36 Über die Form der Grenzschutzmaßnahmen war der Rat der Volksbeauftragten zerstritten. Während die USPD die Aufstellung eines Heimatschutzes mit Blick auf die zu erwartende Unruhe in den Gebieten mit polnischer Bevölkerung ablehnte, waren sich MSPD, OHL und preußisches Kriegsministerium – gegen den Willen Scheidemanns aber mit Zustimmung Eberts war der überzeugte Monarchist Generalmajor Heinrich Schëuch im Amt geblieben37  – über die Grundsätze einig. Auf Anordnung Schëuchs, dem nach eigener und von der Regierung nicht beanstandeter Auffassung die OHL, die stellvertretenden Generalkommandos und der Generalstab des Feldheeres zur Koordinierung der Demobilisierung unterstellt waren, wurde das Armeeoberkommando Heimatschutz Ost eingerichtet, um die Verteidigungsmaßnahmen zu organisieren. Ende November begann die Anwerbung von Freiwilligen – zunächst in den östlichen 32 Kluge, Soldatenräte, S. 206. 33 Barth, Dolchstoßlegenden, S. 230. Der Handlungsspielraum Eberts bei dieser Absprache ist von der Forschung über die Jahre unterschiedlich bewertet worden, Winkler etwa resümierte, dass die regierenden Sozialdemokraten nicht umhinkamen, eine »begrenzte Zusammenarbeit mit den Trägern des alten Regimes« einzugehen, wenn sie »kein Chaos heraufbeschwören wollten«, das Ausmaß der Zusammenarbeit letztendlich jedoch größer war, »als es die Situation erforderte«. Winkler, Kontinuität. Trotz mittlerweile erweiterter Quellenbasis noch immer grundlegend: W. Sauer. Einen Überblick über verschiedene Deutungen liefert Niess. Vgl. auch als neuere Interpretation der Zusammenarbeit: Keller, S. 33–47. 34 Schulze, S. 7. 35 Zu Ober Ost siehe Strazhas sowie Liulevicius. 36 Schulze, S. 23–25, das Zitat auf S. 25. 37 Kluge, Soldatenräte, S. 85.

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Wehrkreisen, seit Mitte Dezember im ganzen Reich. Da die OHL jedoch vorrangig mit der Demobilisierung des Westheeres beschäftigt war und die für den Osten angeordneten Maßnahmen nicht umgesetzt werden konnten, übernahmen dort die lokalen Soldatenräte die Koordinierung von Truppenrückführung und Grenzverteidigung.38 Viele Räte waren bestrebt, ein pragmatisches Krisenmanagement zu etablieren, das sich mehr an akuten Problemen als an ideologischen Fragen orientierte.39 Wenngleich sie andere Vorstellungen von den Freiwilligenverbänden hatten als die OHL, verantworteten sie dennoch die Bildung so mancher, letztendlich konterrevolutionärer Truppe.40 Die im November aufgestellten Freikorps sollten – mit Ausnahme der nach dem Matrosenaufstand in Kiel von Gustav Noske in seiner damaligen Funktion als Gouverneur der Stadt formierten 1. Marinebrigade – die Grenzen im Osten sichern.41 Auch in Berlin wurde bald nach dem Umsturz versucht, ein lokales Sicherheitssystem zu errichten. So erließ der Vollzugsrat auf Initiative des Revolutionären Obmanns Ernst Däumig am 22. November einen Appell zur Bildung einer Roten Garde, um sich vor der Gegenrevolution zu schützen. Weil man jedoch der Berliner Garnison nicht so offensichtlich das Misstrauen aussprechen wollte, verschwand der Aufruf schon am folgenden Tag wieder. Der USPD schwebte die Schaffung einer Volkswehr aus den Reihen der klassenbewussten Arbeiterschaft vor, während die MSPD eigentlich ein von allen Bevölkerungsschichten getragenes freiwilliges Volksheer favorisierte. Der Berliner Stadtkommandant Otto Wels stellte schließlich eine Republikanische Soldatenwehr aus Anhängern von MSPD und USPD auf, um die Ordnung in der Hauptstadt aufrecht zu halten, doch die Truppe erwies sich als unzuverlässig und wurde im Frühjahr 1919 wieder aufgelöst. Ebenso blieb ein Großteil der im Januar 1919 von mehrheitssozialistischen Arbeitern formierten Republikanischen Schutztruppe aufgrund der Zerstrittenheit in der Führungsebene »ohne besonderen militärischen Wert«, und die anfänglich zum Schutz der Reichskanzlei aufgestellte Volksmarine­ division entwickelte sich durch den Zustrom hauptsächlich radikaler Matrosen mehr und mehr zur Gefahr für die Regierung.42 Die Berliner Weihnachtskämpfe43 offenbarten die Schwäche der noch verbliebenen regulären Truppen. Zwar konnte die von Ebert gegen die mittlerweile aufständische Volksmarinedivision zur Hilfe gerufene OHL militärisch in der Hauptstadt intervenieren, doch die entsandten Gardetruppen, die noch im Novem­ber bei ihrer Rückkehr von den Schlachtfeldern des Weltkriegs von Ebert selbst mit den Worten »Kein Feind hat Euch überwunden« empfangen worden waren, versagten im Kampf um Stadtschloss und Marstall gegen die Matrosen. 38 Nakata, S. 21 ff. 39 Kluge, Revolution, S. 63. 40 Nakata, S. 22; Schulze, S. 27. 41 Schulze, S. 28. 42 Ebd., S. 13–19, das Zitat auf S. 19. Ausführlich zur Entstehung des neuen Sicherheitssystems aus verschiedenen Truppen in Berlin, Preußen und im Reich: Kluge, Soldatenräte, S. 167–197. 43 Vgl. zu den Weihnachtskämpfen M. Jones, Anfang, S. 117 ff.

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Nach dieser Erfahrung forderte die OHL, Freikorps für den Kampf innerhalb des Reiches aufzustellen, um wieder verlässliche Formationen zur Verfügung zu haben. Die Weihnachtskämpfe waren zudem der Anlass für eine Macht­ verschiebung innerhalb der Regierung. Aus Protest gegen das harte Vorgehen des Militärs in der Hauptstadt verließen mit Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth die Unabhängigen am 29. Dezember den Rat der Volksbeauftragten und erweiterten damit den Handlungsspielraum Eberts. Kurz darauf wurden Gustav Noske und Rudolf Wissell neue Kabinettsmitglieder in der jetzt nur noch aus Mehrheitssozialdemokraten bestehenden Regierung. Gemeinsam besuchten Ebert und Noske Anfang Januar 1919 das Freiwillige Landesjägerkorps des Generals Maercker in Zossen und waren von der – auch nachträglich durch die Wissenschaft44 – für ihre besondere Disziplin gerühmte Truppe so beeindruckt, dass sie nun selbst begannen, die Aufstellung von Freikorps zu forcieren.45 Am 6. Januar übernahm Noske nach eigenem Bekunden die berühmte Rolle des »Bluthundes« und wurde zum Oberbefehlshaber der Truppen in und um Berlin ernannt. Am 9. Januar erging der von allen Mitgliedern der Regierung unterzeichnete Aufruf »Freiwillig vor!«, mit dem sich die provisorische Regierung endgültig zum Freikorpssystem bekannte und von weiteren »Experimenten mit republikanischen Volkswehren« Abstand nahm. Von nun an entstanden Freikorps – noch mit Ausnahme Bayerns, wo erst die Furcht vor der Münchner Räterepublik im April 1919 zur Aufstellung zahlreicher Einheiten führte – in allen Teilen des Reiches.46 Tatsächlich war das erste nachweisbare Freikorps bereits am 11. November ohne Wissen der OHL in Lüneburg aufgestellt worden,47 also fünf Tage bevor der entsprechende Erlass hierzu ergangen war. In der nachträglichen Akzeptanz dieses Vorgangs durch die OHL und die Regierung zeigt sich bereits ein Grundproblem, das in den ersten Monaten und Jahren nach dem Weltkrieg zu einer großen Belastung für die junge Republik werden sollte und über die offizielle Auflösung der paramilitärischen Einheiten hinaus bestehen blieb: die unzureichende Kontrolle staatlicher Stellen über die bewaffnete Macht. Allein die Tatsache, dass OHL und Regierung im Frühjahr 1919 nur über grobe Schätzungen der Gesamtzahl der unter Waffen stehenden Freiwilligen verfügten,48 lässt erkennen, wie weit sich einige Freikorps ihrem Zugriff entziehen konnten. 44 So u. a. bei Schulze, S. 88. 45 Ein ungewohnt selbstkritischer Bericht des Ersten Generalstabsoffiziers offenbart jedoch, dass selbst in den Reihen dieses Freikorps, dem später der Schutz der in Weimar tagenden Nationalversammlung anvertraut wurde, Disziplinlosigkeit herrschte und auch diese Einheit zu Gewalttätigkeiten gegen die Zivilbevölkerung neigte. Aufzeichnung des Ersten Generalstabsoffiziers im Freiwilligen Landesjägerkorps, Hauptmann Jacobsen, über Erfahrungen beim Einsatz in mitteldeutschen Städten, abgedruckt in Matthias u. Meier-Welcker, Bd. 2, S. 71–78, hier S. 77 f. 46 Schulze, S. 13, dort das Zitat, S. 30 f. 47 Ebd., S. 28. 48 Ebd., S. 36 f.

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3. Aufstellung der Freikorps Die Aufstellung der Freikorps konnte je nach Einheit und Region ganz unterschiedlich geregelt sein. Einige gingen zurück auf alte Formationen des gerade im Weltkrieg eingesetzten deutschen Heeres.49 Ein solcher Vorgang war jedoch immer mit personellen Fluktuationen verbunden und bedeutete keine vollständige Transformation der Truppen von einer Kategorie in die andere. In diesen Fällen bildeten zumeist Teile der ehemaligen Weltkriegsformationen den Stamm des Freikorps, dessen Reihen dann mit neuen Freiwilligen aufgefüllt wurden. Es herrschte Konsens zwischen Republikanern und nationalem Lager bezüg­ lich der Notwendigkeit einer »Wehrhaftmachung« der jungen Republik, auf dessen Grundlage die Mobilisierung stattfinden konnte.50 So erfuhr die Freiwilligenwerbung nicht nur durch rechtskonservative Kräfte breite Unterstützung, auch die Sozialdemokratie und Arbeiterorganisationen beteiligten sich daran.51 Bei der Rekrutierung der Freikorpskämpfer wie auch bei der damit einhergehenden antirevolutionären Propaganda wirkte die durch das HindenburgProgramm von 1916 initiierte totale Mobilmachung bis in die Nachkriegszeit hinein fort.52 Und in der Tat bezogen sich die Werbeaufrufe einiger Freikorps dezidiert auf eine angenommene Kontinuität, ausgehend von den Kämpfen seit 1914 bis hin zu den Nachkriegskonflikten, wie es im Appell des Generalmajors Otto Haas, Führer des nach ihm benannten württembergischen Freikorps, zum Ausdruck kommt: Kameraden, der Krieg ist nicht zu Ende! […] Und darum richte ich die Aufforderung an euch alle ihr schwäbischen Kämpfer, besonders aber meine treuen Kriegsgefährten, an die Hunderte und Tausende Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die unter meinem Kommando im Weltkrieg ihr Bestes gaben, vertraut euch meiner Führung an zur Bildung eines schwäbischen Freikorps […] und meldet euch zum Eintritt.53

Für die Freikorps gab es aufgrund ihres Improvisationscharakters und der »halben Illegalität« (Schulze), in der sie entstanden waren und bleiben sollten, keine zentrale Organisationsstelle.54 Neben den aus Truppenteilen des alten Weltkriegsheeres hervorgegangen Einheiten – wie dem Freikorps Caspari, dem Freikorps Hacketau oder dem Freikorps Potsdam55 – formierten sich andere auf Initiative einzelner Offiziere, die ihren bekannten Namen oder ihren im Weltkrieg erworbenen Ruf zur Mobilisierung von Freiwilligen nutzten. Nicht selten 49 Eine Liste mit entsprechenden Formationen findet sich bei Gordon, Reichswehr, S. 416 f. 50 Bergien, Republik, S. 80. 51 Siehe dazu auch Kapitel II.3. 52 Weisbrod, Gewalt, S. 394. 53 Aufruf zur Bildung einer württembergischen Freiwilligen-Abteilung zum Schutz der Ostgrenzen vom Februar 1919, HstAS M 660/099 Bü. 3, Bl. 5 f. 54 Schulze, S. 25. 55 Gordon, Reichswehr, S. 416 f.

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trugen diese die Namen ihrer Kommandeure wie das Freikorps Roßbach, die Brigade Ehrhardt oder das Freikorps Epp. Einige Formationen hoben ihren lokalen Bezug im Namen hervor wie das Freikorps Würzburg, das Freikorps Passau, das Fränkische Bauerndetachement (Eiserne Schar Berthold) oder das Freikorps Werdenfels.56 Beide Arten der Namensgebung sagen etwas über das Selbstverständnis der Einheiten aus. Während die nach Städten oder Regionen benannten Freikorps eindeutig ihre Herkunft als identitätsstiftend herausstellten und manche auch durch regionaltypische Kleidung zum Ausdruck brachten,57 demonstrierte die Benennung nach ihren Führern die in diesen Fällen besonders wichtige Bedeutung dieser Persönlichkeiten, denen letztendlich die Loyalität ihrer Untergebenen galt – unabhängig davon, ob die Absichten der Freikorpsführer mit denen der Regierungsstellen im Einklang standen. Für die Rekrutierung von Freiwilligen richteten die Einheiten vielfach Werbestellen ein, die sich teilweise gegenseitig Konkurrenz machten. Innerhalb des Deutschen Reiches galten dabei unterschiedliche landesspezifische Vorgaben, welche die Aushebung von Kämpfern durch Freikorps aus anderen deutschen Ländern untersagen konnten. So war es beispielsweise preußischen Formationen verboten, Freiwillige in Bayern anzuwerben. Ebenso gab es Beschwerden darüber, dass sich Freiwillige an einem Ort zum Dienst verpflichteten, nur um nach Auszahlung eines ersten Handgelds oder Aushändigung von Ausrüstung das Weite zu suchen und es andernorts bei einer anderen Einheit erneut zu versuchen. Offizielle Werbebüros waren nur mit Zustimmung oder auf Geheiß von Regierungsstellen einzurichten, die Aufstellung dieser Freiwilligenverbände somit von der deutschen Regierung gefördert. Werbestellen wurden in zahlreichen Städten eingerichtet, in denen Offiziere die Meldungen der Freiwilligen entgegennahmen. Die innere Organisation der Freikorps konnte von Einheit zu Einheit stark variieren, war doch nach dem Eindruck General Maerckers »jede[m] Führer, der sich berufen fühlte, eine freiwillige Truppe zu bilden, […] alles Weitere überlassen.«58 So bildeten sich überaus heterogene Verbände von nur wenigen Hundert Mann ohne schwere Waffen bis hin zu Großverbänden, die sogar über Artillerie und Flugzeuge verfügten.59 Was die Beschaffung von Waffen und Ausrüstung anging, profitierten die Paramilitärs von den chaotischen Umständen der letzten Kriegstage. Mitte November 1918 waren in Deutschland circa eine Million versprengte Soldaten unterwegs, die – sollte die Not zu groß werden – ihre mitgeführten Waffen, ihre Ausrüstung und selbst ihre Fahrzeuge für Nahrungsmittel verkauften. Auf diese Weise kamen bereits kurz nach dem Waffenstillstand von Compiègne 1,9 Mil56 Schulze, S. 37 f. 57 So wurde etwa das Freikorps Werdenfels zu Propagandazwecken in einer Bilderserie mit bayerischen Trachten fotografisch in Szene gesetzt. Herz u. Halfbrodt, S. 214 f. 58 Maercker, S. 41. 59 Schulze, S. 35 ff.

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lionen Gewehre, fast 8.500 Maschinengewehre und 400 leichte Mörser unkon­ trolliert in den Umlauf.60 Das Verschwinden einer solchen ungeheuren Zahl von Kriegswaffen musste die Regierung vor erhebliche Probleme stellen, wenn sie ihr Gewaltmonopol behaupten wollte. Diese Zustände boten den Freikorps einen wahren Nährboden. Waffen und Ausrüstung konnten ohne größere Probleme besorgt werden, gelegentlich mussten sich die Einheiten einfach nur nehmen, was andere zurückgelassen hatten.61 Aus Berichten von Freikorpskämpfern geht hervor, dass es der neuen Regierung in den Wochen und Monaten nach der militärischen Niederlage und der Revolution nicht gelang, Waffen und Ausrüstung der sich zum Teil selbst demobilisierenden Truppen unter Kontrolle zu bringen: In der dritten Woche begann das Zusammensuchen von Geschützen und Wagen nebst der dazu gehörenden Ausrüstung. Das ging recht schnell vor sich, denn solches Material stand auf manchen Plätzen in großer Zahl umher, zusammengefahren von jenen Einheiten, die inzwischen abgerüstet hatten.62

Dem neunzehnjährigen, von der Westfront kommenden Kriegsheimkehrer und späteren Freikorpskämpfer Kurt Joseph bot sich am Bahnhof von Köln eine ähnliche Szene: On the platforms of the Cologne railway station I found a most impressive picture. Thousands of soldiers had thrown away anything they had carried with them. In large heaps I saw weapons of all kinds lying about – rifles, revolvers, bayonets and ammunition of all types.63

4. Einsätze der Freikorps Die Einsätze der Freikorps in den Jahren 1918 bis 1921 lassen sich drei großen Schauplätzen zuordnen: dem Landesinneren des Reiches, den deutsch-polnischen Grenz- bzw. Abstimmungsgebieten und dem Baltikum. Sie sind in der wissenschaftlichen Literatur ausführlich beschrieben und werden in dieser Arbeit im Kapitel zur Gewalt thematisiert. An dieser Stelle werden sie daher nur knapp abgehandelt. Während die ersten Freikorps noch den Rückzug deutscher Truppen vom östlichen Kriegsschauplatz in die Heimat decken und das Vordringen feindlicher Einheiten in Richtung deutscher Grenzen verhindern sollten, dauerte es 60 Hirschfeld u. Krumeich, Deutschland, S. 271. 61 Detachement Lierau. Nachkriegskämpfe gegen die Polen. Ausarbeitungen von Oberstleutnant a. D. Lierau, Barch-MA, PH 26/12, Bl. 3. 62 Alfred Pudelko, Erinnerungen Freikorps Schlesien, Barch-MA MSG 2/2351, Bl. 6. 63 Kurt Joseph, No Homesickness, LBI ME 339, S. 17.

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nicht lange, bis die Regierung sie auch im Inneren des Reiches einsetzte wie im Januar 1919 in Berlin gegen streikende Arbeiter sowie gegen Anhänger der USPD und des Spartakusbundes. Im Zuge der Niederschlagung des Januaraufstands wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Angehörigen der Garde­Kavallerie-Schützen-Division ermordet. Über die Verantwortung der mehrheits­ sozialdemokratischen Regierung am Tod der kommunistischen Führer wird seither gestritten.64 Die Kämpfe in Berlin erreichten im März desselben Jahres ihren Höhepunkt, als Anhänger der KPD einen erneuten Generalstreik in der Hauptstadt zu einem bewaffneten Aufstand ausweiteten. Einrückende Reichswehreinheiten und Freikorps schlugen diesen innerhalb weniger Tage rigoros nieder, was zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung kostete.65 Seit Anfang 1919 bekämpften Freikorps somit in verschiedenen Teilen des Landes zwischen der Nordsee und den Alpen Räterepubliken wie in München und Bremen oder andere zur Reichsregierung in Konkurrenz stehende Bewegungen. Im März 1920 schlossen sich einige Freikorps – unter ihnen die Brigade Ehrhardt, die zuvor schon maßgeblich am Einsatz gegen die bayerische Landeshauptstadt beteiligt war  – dem Staatsstreich der Kapp-Lüttwitz-LudendorffGruppe an und wandten sich offen gegen die Reichsregierung. Auslöser des Umsturzversuches war die von der Regierung geplante – nach den Abrüstungsvorgaben des Versailler Vertrages erforderliche – Auflösung der Brigade um Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt. Weil sich die Regierung zunächst nicht zu einem entschiedenen, das heißt gewalttätigen Widerstand durchringen konnte, besetzten die Putschisten Berlin und zwangen die Reichsregierung zur Flucht aus der Hauptstadt.66 Gerettet wurde die Republik durch einen reichsweiten Generalstreik, den auch die KPD unterstützte, obwohl sie die Regierung EbertScheidemann ebenfalls ablehnte. Der Putsch brach schließlich nach wenigen Tagen zusammen, die Hauptakteure tauchten im In- und Ausland unter. Aus den Abwehrreaktionen der USPD und KPD gegen den Staatsstreich bildete sich im Ruhrgebiet aus bewaffneten Arbeiterformationen die Rote Ruhrarmee, die nun ihrerseits die Initiative ergriff und versuchte, die revolutionäre Entwicklung des Winters 1918/19 wieder anzuschieben, um ein Rätesystem zu errichten. Für den Feldzug gegen die Rote Ruhrarmee und zur Besetzung des Ruhrgebiets griff die Reichsregierung unter anderem auf jene Einheiten zurück, die sich noch wenige Wochen zuvor unter dem Kommando des Generals Walther von Lüttwitz am Militärputsch beteiligt hatten. Wie schon die Kämpfe in Berlin, forderte der Bürgerkrieg im Ruhrgebiet ebenfalls einen hohen Blutzoll unter den

64 Ausführlich dazu: Gietinger, Leiche; vgl. auch M. Jones, Anfang, S. 212–236 und zu den unterschiedlichen Sichtweisen Niess, passim. 65 Siehe dazu Kapitel III.3. 66 Vgl. dazu vor allem die neueren Arbeiten von Keller, S. 218–271, Gietinger, Kapp-Putsch und Pöppinghege.

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Aufständischen und der Zivilbevölkerung, Reichswehrtruppen und Freikorps erlitten wesentlich geringere Verluste.67 Bei den Einsätzen innerhalb der Reichsgrenzen wurden die Freikorps von den Militärbehörden angewiesen, mit entsprechender Härte gegen ihre Gegner vorzugehen. So erging etwa beim Vormarsch gegen die Räterepublik Bremen Ende Januar 1919 der Befehl: »Bewaffneter Widerstand ist vom Freikorps Gerstenberg rücksichtslos zu brechen.«68 Kurz vor dem Angriff auf die Hansestadt veröffentlichte der »Vorwärts« die Ankündigung Noskes, mit »rücksichtsloser Entschlossenheit« durchzugreifen, sollte sich Widerstand formieren, was zu einem Aufschrei unter der gesamten norddeutschen Arbeiterschaft führte.69 Nach dem Einmarsch der Regierungstruppen wurde der Belagerungszustand über die Stadt verhängt, um jeden Widerstand sofort unterdrücken zu können. In den Wochen nach der Eroberung kam es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Paramilitärs und der Zivilbevölkerung.70 Bremen ist nur ein Beispiel für die von höchsten Stellen angeordnete Gewalt gegen politische Gegner der Regierung in verschiedenen Teilen des Reiches. Obwohl sich die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des Konflikts abzeichnete – die Räterepublik stand kurz vor dem Ende, und die Arbeiterschaft war zur Abgabe der Waffen bereit – bestand Noske aus Prestigegründen auf der von ihm befohlenen Strafaktion gegen die Stadt.71 Deutsche Freikorps kämpften außerdem in den Abstimmungsgebieten Oberschlesiens gegen polnische Verbände, um eine Abtretung der Gebiete an den neuen polnischen Nationalstaat zu verhindern. Insbesondere die Gefechte am Annaberg im Mai 1921 während des dritten polnischen Aufstands in Oberschlesien spielen in der Rezeptionsgeschichte deutscher Freikorps eine große Rolle.72 Außerhalb der Reichsgrenzen ist vor allem das Baltikum wichtigster Schauplatz von Freikorpseinsätzen gewesen.73 Die vielschichtigen Konflikte aus Unabhängigkeitskämpfen der baltischen Staaten, Russischem Bürgerkrieg und Interventionen weiterer Mächte bildeten den Hintergrund, vor dem deutsche Freikorps seit dem Frühjahr 1919 im Baltikum operierten – teils im Auftrag der Alliierten, teils auf eigene Faust. Ein Aspekt bedarf in diesem Zusammenhang einer näheren Betrachtung, weil er immer wieder für die Enttäuschung der im Baltikum kämpfenden Freikorpsmitglieder und ihre Verbitterung gegenüber der deutschen Regierung verantwortlich gemacht wird und als wichtiges Motiv für 67 Siehe dazu Kapitel III.4. 68 Korpsbefehl Ia Nr. 166 des Generalkommandos der Abteilung Lüttwitz vom 26.01.1919, Barch-MA RM 6/241, Bl. 104. 69 Wette, Noske, S. 404. 70 Sommer, S. 13 f. 71 Kuckuck, S. 221 ff.; Wette, Noske, S. 405 f.; Mommsen, Aufstieg, S. 60. 72 Bjork u. Gerwarth. 73 Einen guten Überblick mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Freikorps bieten: Liulevicius, S. 278–300; Barth, Dolchstoßlegenden, S. 255–273; B. Sauer, Mythos. Siehe dazu Kapitel III.5.

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eine radikale Ablehnung der Republik gilt: die Siedlungsfrage.74 In den letzten Dezembertagen des Jahres 1918 hatten die lettische und die deutsche Regierung ein Abkommen geschlossen, das jedem Freiwilligen auf Antrag die lettische Staatsbürgerschaft zuerkannt werden sollte, der eine gewisse Zeit in Lettland gegen bolschewistische Truppen kämpft. Eigenmächtig und ohne Zustimmung der lettischen Staatsführung versprachen deutsche Werbestellen den Kämpfern darüber hinaus auch noch Siedlungsland am Ort. Im Sommer 1919 forderten die Alliierten jedoch den vollständigen Rückzug deutscher Truppen aus dem Baltikum und drohten mit einer erneuten Blockade des Reiches, sollte die deutsche Regierung dem nicht nachkommen. Als aus Berlin nun entsprechende Befehle an die deutschen Truppen im Baltikum ergingen, sahen sich die Freikorpskämpfer von der eigenen Regierung um das ihnen gegebene Siedlungsversprechen betrogen. Sie widersetzten sich dem Befehl zum Rückzug und unterstellten sich eigenmächtig als Deutsche Legion dem Befehl des Fürsten Bermondt-Awaloff, der als Führer der Westrussischen Armee im Baltikum gegen bolschewistische Truppen kämpfte. Doch die Situation der deutsch-russischen Truppen verschlechterte sich bis zum Herbst 1919 derart, dass ein endgültiger Rückzug der Freikorps unumgänglich wurde.75

5. Auflösung der Freikorps Der Großteil der innerdeutschen Freiwilligenverbände wurde zur Jahresmitte 1919 aufgelöst oder in die Vorläufige Reichswehr überführt. Die Demobilisierung von Freikorps erwies sich – wie das Beispiel der Brigade Ehrhardt zeigt – nicht selten als schwieriges Unterfangen, gärte es doch zumeist schon in den Einheiten, weil sich die Freiwilligen erneut einer ungewissen Zukunft gegenübersahen und nicht nur die Frage der Besoldung für Unzufriedenheit sorgte. Selbst nach dem Putsch der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Gruppe wehrten sich einige Freikorps mit Gewalt gegen ihre Auflösung und konnten nur durch überlegene Reichswehreinheiten entwaffnet werden.76 Freikorpsführer und Regierung versuchten – zwar aus unterschiedlichen Beweggründen – die Versorgung der Freikorpskämpfer nach ihrer Entlassung zu sichern. Politik und Militär bereiteten die von der Entente mit massivem Druck geforderte Rückkehr der Baltikumkämpfer so vor, dass diesen nicht nur ein Übergang ins Zivilleben, sondern auch eine Versöhnung mit der ungeliebten Republik ermöglicht werden sollte. Mit Zustimmung der Reichsregierung verfügte Noske

74 Über das Ausmaß der tatsächlich von der Aussicht auf Siedlungsland angelockten Freiwilligen besteht allerdings keine Klarheit: Rimscha, S. 290–295. 75 Schulze, S. 188, S. 194. 76 Ebd., S. 202, S. 320.

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bereits am 10. November 1919, dass »den in die Dienste der westrussischen Regierung eingetretenen Mannschaften und Offiziere, falls sie sich nicht direkt strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben, Pardon erteilt wird, wenn sie nunmehr sofort nach Deutschland zurückkehren und sich demobilisieren an den ihnen zugewiesenen Orten.«77 Anfang Dezember 1919 wurde die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der Freikorpskämpfer zurückgenommen und der Anklagepunkt der Fahnenflucht fallen gelassen.78 General Walther Reinhardt, Chef der Heeresleitung, erklärte am 21. Januar 1920, es sei erwiesen, dass viele Baltikumer die Absichten der Regierung gar nicht kannten, dass eigentlicher Ungehorsam also bei ihnen nicht vorliegt, es ist auch anerkannt, dass andere, darunter viele Führer aus durchaus ehrenvollen Beweggründen trotz Kenntnis des Regierungswillens diesem zuwiderhandelten namentlich in der irrtümlichen Ansicht, die Regierung, die unter Feindzwang handeln musste, meine es mit ihren Befehlen nicht ernst. Diese Leute verdienen Nachsicht.79

Im selben Monat entschied das Kabinett, die deutschen Baltikumkämpfer sollten rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Rückkehr unter deutschen Befehl bis zu ihrer Entlassung die Besoldung der Reichswehr einschließlich der Reichswehrund Kampfzulage erhalten und dann so schnell wie möglich, doch spätestens bis zum 15. März 1920 aus dem Dienst entlassen werden.80 Außerdem kursierte unter diesen Paramilitärs die Information, dass bis zu 30 % der Mannschaften in die Reichswehr übernommen werden würden und die Regierung die Gültigkeit ihrer Versorgungsansprüche in Deutschland garantiere.81 Doch der Groll gegen die Reichsregierung ließ sich nicht so einfach besänftigen, wie das Nachwort im Kriegstagebuch des Badischen Sturmbataillons Kurland offenbart: Im Vorstehenden ist in kurzer Darstellung die Geschichte des Badischen Sturm-Bataillons Kurland niedergelegt. Es konnten nur die äusseren Kämpfe geschildert werden. Gänzlich unerwähnt blieb, was jeder Einzelne an Enttäuschungen im Baltikum erlebte. Wie freigiebig war die Regierung in ihren Versprechungen, als es sich darum handelte, Freiwillige zum Schutz der Heimat gegen die Schrecken des Bolschewismus zu werben. Jeder, der ausserhalb der Landesgrenzen sein Leben einsetzte, damit Deutschland von dem Schicksal Russlands bewahrt blieb, sollte dafür Siedlungsland in den befreiten Baltischen Provinzen erhalten. So bot sich jedem die Möglichkeit,

77 Verfügung des Reichswehrministers vom 10.11.1919, Abschrift, GLAK 456 F 134/135 Nr. 206 Bl. 115. 78 Verfügung des Reichswehrministers vom 06.12.1919, Abschrift, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 79 Reichswehrministerium, Chef der Heeresleitung, 21.01.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 80 Verfügung des Reichswehrministeriums betreffend Baltikumtruppen vom 05.03.1920, Abschrift, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 81 Kriegstagebuch des Badischen Sturmbataillon Kurland, Anlage 31, GLAK 456 F 134/135 Nr. 276 Bl. 20.

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sich eine Existenz zu gründen, wenn der Bolschewismus völlig niedergekämpft sein würde. […] Aber wir kamen um unseren mit dem Blut unserer gefallenen Kameraden und unserem eigenen Blute so heiß verdienten Lohn. Die lettische Regierung erklärte den Vertrag für ungültig, und die deutsche Regierung, die uns vorher ihre Unterstützung zugesagt hatte, damit wir zu unserem Rechte kämen, unsere eigene Heimat liess uns im Stich. Geächtet, von aller Welt verfolgt, von der Heimat, für deren Interessen wir kämpften, für vogelfrei erklärt, mussten wir der durch englische Artillerie noch verstärkten zehn- und mehrfachen Übermacht der Letten weichen, mussten Lettland und Litauen räumen und uns auf deutschen Boden retten. Dort ging die Hetze erst recht los. Jeder sah in uns die schlimmsten Räuber und Verbrecher, für alle politischen Ereignisse wurden wir verantwortlich gemacht. Man behandelte uns wie Aussätzige, mied jeden Verkehr mit uns. Erst jetzt allmählich kommt man zu der Einsicht, dass die einzelnen Baltikumkämpfer auch Menschen sind und ein Recht darauf haben, wie Menschen behandelt zu werden.82

Zu groß war anscheinend die Verbitterung über die Maßnahmen der Regierung und die den Baltikumtruppen nach ihrer Rückkehr entgegenbrachte Verachtung, als dass sich der Konflikt hätte versöhnlich lösen lassen. Anhand einiger badischer Freikorps, die aus dem Baltikum zurückkehrten, kann die Auflösung der Einheiten nachvollzogen werden. Auf dem Truppenübungsplatz Heuberg im Landkreis Sigmaringen entstand nach dem Ersten Weltkrieg ein Durchgangslager für heimkehrende Fronttruppen, in dem bis zum Sommer 1920 eine Abwicklungsstelle für badische Einheiten tätig war. Die Freikorps von Medem, Mauritius und Badisches Sturmbataillon Kurland wurden nach einem Aufenthalt im Durchgangslager bei dem in Stuttgart ansässigen Wehrkreiskommando V bzw. der Reichswehrbrigade 13 aufgelöst.83 In Baden rechnete man damit, dass die Truppen in stark verwahrlostem Zustand eintreffen würden.84 Welcher Ruf ihnen vorausging, lässt sich an der Reaktion der Garnisonsverwaltung auf die geplante Zwischennutzung als Unterkunft für die Freikorpskämpfer ablesen. In einem Schreiben an die Reichsvermögens­ verwaltung Karlsruhe heißt es: Bei der Belegung des Lagers mit Grenzschutztruppen würden die Gebäude und Geräte wieder total verschmutzt, Geräte und Wäsche verschleppt und entwendet werden. Es würde auch der Verwaltung unmöglich sein, bis zum Eintreffen der Gefangenen alles in Ordnung zu bringen und das Lager wieder belegungsfähig herzurichten. […]85 82 Kriegstagebuch des Badischen Sturmbataillon Kurland, GLAK 456 F 134/135 Nr. 276 Bl. 27 f., gesperrt im Original. 83 Auszugsweise Übersicht über die Verbände der freiwilligen Westarmee (russische Formation) einschl. der reichsdeutschen Baltikumtruppen, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 84 Telegramm aus dem Schriftwechsel zwischen dem Badischen Sturmbataillon Kurland und der Intendantur vom 24.11.1919, Abschrift, GLAK 456 F 134/135 Nr. 273, ohne Paginierung. 85 Schreiben der Garnisonsverwaltung des Truppenübungsplatzes Heuberg an die Reichsvermögensverwaltung Karlsruhe vom 12.08.1919, GLAK 456 F 5 Nr. 463, ohne Paginierung.

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Auf dem Heuberg selbst kam es dann während der Demobilisierung zu unterschiedlichen Konflikten zwischen den Mitgliedern der Einheiten und dem Personal der Abwicklungsstelle. Über die Abteilung Mauritius liegt ein Bericht vor: Die Schwierigkeiten, die sich bei der Abwicklung dieser Abteilung ergaben, sind zum grossen Teil in der Zusammensetzung begründet. Da die Abteilung hauptsächlich für wirtschaftliche Zwecke aufgestellt war, stellte sie Leute aus Deutschland, Polen und Kurland ein. Da bei dem raschen Anwachsen der Abteilung eine genaue Prüfung des Vorlebens und der Papiere der eingestellten Leute nicht möglich gewesen sein soll, fanden sich viele Leute ein, die zu Disziplinarvergehen neigten. […] Die Abw.-Stelle hatte während ihrer ganzen Tätigkeit mit einem mehr oder minder offenen Widerstand zu kämpfen, besonders von Seiten der Bau-Abteilung. Es lag dies bei der Verschiedenheit der Dienstauffassungen, auch fühlten sich die einzelnen Formationen durch die Unterstellung unter eine Reichswehrbefehlsstelle zurückgesetzt. Dies fand seinen Höhepunkt in der Anfangs Januar beantragten Absetzung des Führers der Abwicklungsstelle. Beim Gericht der Abwicklungsstelle wurden 90 Fälle bearbeitet […] 5 davon wurden durch Kriegsgerichtliches Verfahren erledigt.86

Zur Empörung unter den Freikorpskämpfern trug ein für die Bekleidung zuständiger Zahlmeister des Durchgangslagers bei, der sich aus politischen Gründen weigerte, ihnen neue Kleidung auszuhändigen.87 Andererseits erhielten sie noch am Ort ihrer Demobilisierung Bescheinigungen über Siedlungsland im Baltikum. Wer einen Monat dort gewesen war, hatte laut den Besitzzeugnissen Anspruch auf 80 Morgen Siedlungsland, bei einer Dienstzeit von sechs Monaten stieg die Größe auf 100 und bei zwölf Monaten auf 130 Morgen.88 Auf diese Weise wurde der Konflikt mit der Reichsregierung, die den Freikorpskämpfern als Verursacher ihrer geplatzten Siedlungsträume galt, in der Heimat erneut angefacht. Zwar hatte das Oberkommando des Grenzschutz Nord im Juli 1919 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einheiten »mit Sicherheit nur auf die Baltenzulage rechnen können, nicht aber auf einen sicheren Verbleib im Lande als Ansiedler.«89 Doch das Wort des Generalleutnants von der Goltz, der zuvor mit dem Hinweis geworben hatte, es verstehe sich von selbst, dass »die Erwerbung von Grund und Boden in diesem Staate […] gewährleistet ist«, wog offenbar schwerer.90 Das Regiment Baden, der Zusammenschluss des Badischen Sturm86 Bericht über die Abwicklungstätigkeit der Abwicklungsstelle Heuberg vom 25.02.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 87 Schreiben des stellvertretenden Führers Krauße-d’Avis des Freikorps von Medem an das Reichswehr-Schützenregiment 28 in Donaueschingen vom 26.04.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 88 Regimentsbefehl des Regiment Baden vom 08.03.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 210, ohne Paginierung. 89 Armee-Tagesbefehl Nr. 118 des Oberkommando Grenzschutz Nord vom 10.07.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 181, ohne Paginierung. 90 Armee-Tagesbefehl Nr. 83 des Oberkommando Grenzschutz Nord vom 26.05.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 273, ohne Paginierung.

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bataillons Kurland und des Freikorps von Medem im Verband der Deutschen Legion, wurde schließlich auf Befehl der Reichswehrbehörden am 17. Februar 1920 aufgelöst.91 Einige Freikorpsführer ergriffen Maßnahmen, um den Mitgliedern ihrer aufzulösenden Einheiten ein Auskommen zu verschaffen und sicherten sich so deren Loyalität über die Existenzdauer der Freikorps hinaus. Andere ließen Adresslisten anlegen, um die Männer ihrer Einheiten nach der Demobilisierung erreichen zu können. So bot Walter von Medem seinen Gefolgsleuten Unterstützung bei der Aufnahme eines Zivilberufes an und ließ zu diesem Zweck seine private Adresse an die Freikorpsangehörigen ausgeben.92 Generalleutnant Rüdiger Graf von der Goltz startete eine Hilfsaktion zur künftigen Versorgung ehemaliger Baltikumkämpfer.93 Walter Caspari hatte im Anschluss an die Niederschlagung der Räterepublik in Bremen die Leitung der Sicherheits- und Schutzpolizei in der Hansestadt übernommen. Er ließ dem Freikorps von Diebitsch im November 1919 die Annahmebestimmungen für die Sicherheitspolizei Bremens zukommen und bat darum, im Freikorps die Werbetrommel für eine neue Verwendung bei der Polizei zu rühren.94 Einstellungsangebote der Sicherheitspolizei in Halle, Erfurt und Naumburg ergingen an die Deutsche Legion im Baltikum.95 Der letzte Kommandeur der Legion, Major von Loewenfeld, Bruder des Freikorpsführers Wilhelm von Loewenfeld,96 ließ kurz vor der Auflösung der Einheit eine Sammelstelle für Adressen der Freikorpsangehörigen einrichten, um »einen Zusammenhalt aller Angehörigen der Deutschen Legion zu ermöglichen«.97 Nicht selten fanden Gruppen von Freikorpskämpfern oder ganze Einheiten eine neue Beschäftigung in der Landwirtschaft oder dem Bergbau. So entschied sich im März 1920 eine Abteilung des Freiwilligen Bataillon Baden in Stärke von 75 Mann unter Führung eines Offiziers, eine Arbeitsgenossenschaft zu bilden, um entweder im Ruhrgebiet oder in Schlesien eine Beschäftigung im Kohlebergbau zu suchen.98 Bereits Mitte September 1919 hatte Noske über die Generalkommandos mitgeteilt, dass im »rheinisch-westfälischen Kohlengebiet« rund 14.000 ungelernte Arbeiter für den Kohlebergbau benötigt würden.99 91 Regimentsbefehl des Regiment Baden vom 01.11.1919 und Regimentsbefehl des Regiment Baden vom 18.02.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 210, ohne Paginierung. 92 Abteilungsbefehl Nr. 4 der Freiwilligenabteilung von Medem vom 24.10.1919, GLAK 456 F 135/135 Nr. 214 Bl. 159. 93 Legionsbefehl Deutsche Legion vom 04.12.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 206 Bl. 123. 94 Telegramm Casparis an Freikorps von Diebitsch vom 18.11.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 213, ohne Paginierung. 95 Legionsbefehl Deutsche Legion vom 18.12.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 206 Bl. 147. 96 Zobel, S. 94. 97 Schreiben Loewenfelds an den Stab der II. Brigade vom 20.02.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 206 Bl. 182. 98 Schreiben an die Intendantur des Wehrkreiskommandos V in Stuttgart vom 02.03.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 368, ohne Paginierung. 99 Schreiben des Oberkommandos Nord vom 25.09.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 213, ohne Paginierung.

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Mitglieder der Deutschen Legion, die in der Landwirtschaft Ostpreußens oder Pommerns arbeiten wollten, konnten sich Ende 1919 landwirtschaftlichen Orga­ nisationen anschließen.100 Die Eiserne Division plante sogar, sich geschlossen in Ostpreußen niederzulassen.101 Im Oktober 1919 wandte sich Freiherr Karl Heinrich von Diebitsch an sein Freikorps und verkündete: Ich werde dann Zeit finden, das ›Freikorps der Arbeit‹ so vorzubereiten, dass alle Arbeitslustigen eine glueckliche Zukunft finden und allen, die zu mir halten, die Not ferne bleibt. Ich warne Euch vor den Hetzereien derjenigen in der Heimat, deren Beruf Unfrieden ist, lasst Euch nicht irre machen. Lasst Euch nicht in den Parteihader zerren. Schließt Euch nur dichter zusammen. Wir wollen zusammenhalten in deutscher Treue zum Schutze Deutschlands und zum Schutze unserer Arbeit, unseres ›Freikorps der Arbeit‹.102

Und Anfang November 1919 ließ von Diebitsch mitteilen: Wir wollen fest zusammenhalten, denn Einigkeit allein macht uns stark. Ich werde alles daran setzen, für Euch zu sorgen, zuerst Eure Bekleidung und Ausrüstung zu ergänzen und sodann Eure Zukunft sicher zu stellen. […] Über die Fortschritte des ›Freikorps der Arbeit‹ werde ich Euch auf dem Laufenden halten. Dem hier zurückbleibenden Teil des Freikorps rufe ich ein herzliches Lebewohl und so Gott will ›auf Wiedersehen‹ zu. Ich werde dauernd Verbindung mit Euch halten.103

Diese Freikorps der Arbeit waren Versuche, der Perspektivlosigkeit heimkehrender Soldaten durch Arbeitsprojekte zur Bodenkultivierung oder zur Errichtung von Siedlerstellen etwas entgegenzusetzen.104 Die Reichswehroffiziere Detlev Schmude und Josef Aumann entwickelten seit Mai bzw. September 1919 Arbeitsdienst- und Siedlungspläne zur geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Erziehung entlassener Soldaten105 und bildeten damit den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Arbeitsdienstes.106 Die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht verfing jedoch nicht nur in militaristischen Kreisen wie beim Stahlhelm, der sich seit 1920 ebenfalls mit derartigen Forderungen hervortat, auch Matthias Erzberger entwarf um 1919/20 die Idee eines nationalen, 18 Monate dauernden Arbeitsdienstes für junge Männer zwischen 18 und 25 Jahre.107 Das Freikorps von Gerhard Roßbach wurde offiziell am 28. Januar 1920 aufgelöst. Doch anstatt auseinanderzugehen, diente Roßbach seine Mitglieder den 100 Legionsbefehl Deutsche Legion vom 21.12.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 206 Bl. 161. 101 Legionsbefehl Deutsche Legion vom 04.12.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 206 Bl. 125. 102 Oberstleutnant Freiherr von Diebitsch, An mein Freikorps, Oktober 1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 213, ohne Paginierung. 103 Oberstleutnant Freiherr von Diebitsch, An mein Freikorps, 01.11.1919, GLAK 456 F 134/135 Nr. 213, ohne Paginierung. 104 Seifert, S. 24 ff. 105 Dudek, S. 61. 106 Patel, S. 35. 107 Benz, Arbeitsdienst, S. 317 f.

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Großgrundbesitzern in Pommern, Mecklenburg und Schlesien als Erntehelfer, Streikbrecher und Landschutz an.108 Eindeutig lassen sich auch Absichten zur Aufrechterhaltung einer paramilitärischen Struktur erkennen. Beispielsweise notierte ein Unterführer der Schwarzen Schar Bergerhoff, Oberleutnant Friedrich Wilhelm Plodowski, nach der Auflösung des Freikorps: Es wurde aber die Arbeitsgemeinschaft Bergerhoff gebildet, bei der viele Angehörige der ›Schwarzen Schar‹ blieben. Diese Arbeitsgemeinschaft wurde in Gruppen eingeteilt, die auf den großen Gütern der Landkreise Neisse, Habelschwerd, Kamenz, Reichenbach und Schweidnitz untergebracht wurden. Die Waffen wurden sicher gelagert und später der ›Schwarzen Reichswehr‹ übergeben, in die die meisten aus der Arbeitsgemeinschaft Bergerhoff eintraten.109

Durch die geheime Lagerung von Waffen und die Einbindung der Freikorpsmitglieder in Arbeitsgemeinschaften hielten die Freikorpsführer ihre Einheiten im Verborgenen einsatzbereit und schufen somit ein persistierendes Gewaltpotential, das die junge Republik bedrohte. Wie gut die verdeckte Organisation der Verbände funktionierte, verdeutlicht die Tatsache, dass die offiziell aufgelösten Freikorps im Mai 1921 beim Ausbruch des dritten polnischen Aufstandes kurzerhand bereitstanden, um in Oberschlesien zu kämpfen. Zahlreiche Freikorps gingen – wenn auch nicht immer komplett, sondern nur in Teilen – in der Reichswehr auf und bildeten dort Kader neuer Regimenter oder Brigaden.110 Allein von der Brigade Loewenfeld traten 2.500 Mann der Marine, 60 dem Heer und 70 der Sicherheitspolizei bei.111 Im Fall der aus dem Baltikum zurückkehrenden Freikorps wurde ein Übertritt ganzer Formationen durch die Regierung abgelehnt, offensichtlich in der Absicht, künftigen Unruheherden den organisatorischen Boden zu entziehen.112 Die Übernahme paramilitärischer Formationen in die offiziellen Streitkräfte der Weimarer Republik muss insgesamt als Teil eines größeren Transformationsprozesses gesehen werden, der aus dem Weltkriegsheer des untergegangenen Kaiserreichs eine den Vorgaben des Versailler Vertrages genügende Armee der neuen Republik schuf.113 Neben den mehr oder weniger verdeckt weiterbestehenden Freikorps in Form von Arbeits- oder Siedlungsgemeinschaften beschritten einige Einheiten organisatorisch neue Wege, um ihren Fortbestand über die offizielle Auflösung hin­ aus zu sichern. So ging das Freikorps Oberland in der Nachfolgeorganisation Bund Oberland auf oder die Brigade Ehrhardt nach der Gründung der Terror108 B. Sauer, Roßbach, S. 7 ff. 109 Nachlass Plodowski, Barch-MA N445/2 Bl. 15. 110 Gordon, Reichswehr, S. 418 f. 111 Schulz, Freikorps, S. 321. 112 Verfügung des Reichswehrministeriums vom 06.12.1919, Abschrift, GLAK 456 F 134/135 Nr. 369, ohne Paginierung. 113 Keller, S. 282 ff.

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organisation Organisation Consul (O. C.) im Bund Wiking.114 Aus der Brigade Reinhard formierte sich der als Sportclub getarnte Verein Olympia.115 Wie bei allen Prozessen organisatorischer Neustrukturierungen kam es auch bei den Transformationen von Freikorps hin zu Bünden zu personellen Fluktuationen. Vor allem aber wurde das nach außen wirksame Bild des waffenstarrenden Kampfverbandes ausgetauscht gegen das einer Vereinigung von Veteranen und damit das Gewaltpotential der ehemaligen Freikorps nicht mehr offen zur Schau gestellt. Dass sie ihre Ziele aber durchaus mit Gewalt verfolgten und Putsch­ absichten hegten, bewiesen Bund Oberland und Bund Wiking durch ihre Unterstützung Adolf Hitlers im November 1923 bzw. durch die Attentate der O. C. auf republikanische Politiker wie Walther Rathenau oder Matthias Erzberger.116

114 Kuron, S. 131 ff.; G. Krüger, S. 98. 115 Kruppa, S. 42. 116 Vgl. zur Organisation Consul Sabrow, S. 27 ff. und Stern.

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II. Soziale Zusammensetzung Für das Verständnis und die Charakterisierung der deutschen Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg war und ist der sozialhistorische Aspekt in der Forschung stets von zentraler Bedeutung. Keine Darstellung der jüngeren oder älteren Historiographie kommt ohne entsprechende Hinweise auf die soziale Zusammensetzung der Einheiten aus, gibt sie doch – neben dem Verhältnis der Freikorps zum Nationalsozialismus – maßgeblich den Bezugsrahmen für die Gesamtinterpretation der Freikorps als historische Akteure vor. Dabei hat sich in der Wissenschaft – ganz im Gegensatz zur Freikorpsliteratur – vor allem das Motiv der Furcht vor dem drohenden bzw. die Erfahrung des tatsächlichen sozioökonomischen Abstiegs als das nachhaltigste durchgesetzt, um das Aufkommen der Verbände und die Beweggründe der Kämpfer zu erklären. Waren es 1955 für Günter Paulus noch Klassenkampfformationen der von der Revolution bedrohten Bourgeoisie, zeichnen sich auch mittlerweile mehr als sechzig Jahre danach die paramilitärischen Einheiten laut Forschung durch die soziale Abwärtsmobilität ihrer Mitglieder aus – wenngleich ohne eine gemeinsame Schichtzugehörigkeit aller Kämpfer, so doch mit einem »überproportionalen Anteil von Ex-Offizieren und Aristokraten« in ihren Reihen.1 Trotz solcher weitreichenden Interpretationen stört sich erkennbar niemand daran, dass bisher so gut wie keine profunden sozialhistorischen Untersuchungen vorliegen, und sich die wenigen diesbezüglichen Publikationen entweder nur auf eine sehr dünne Quellenbasis oder einfach unkritisch auf einschlägig bekannte Zeitzeugen literarischer Provenienz berufen. Den Mangel derart grundlegender Informationen über deutsche Freikorpskämpfer hatte bereits der Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten – das Office of Strategic Services – im Oktober 1944 bemerkt,2 und bis heute hat sich – abgesehen von einigen Ausnahmen – wenig daran geändert. Stattdessen werden in der Regel jahrzehntealte Überlieferungen weitergetragen, welche die überproportionale Beteiligung von Studenten und Offizieren sowie die Verweigerung seitens der Arbeiterschaft betonen. 1 Paulus, S. 687; Gerwarth u. Horne, S. 18; Mauch, S. 39. 2 Donovan Nuremberg trials collection, Free Corps, S. 5, Anm. 1. Kurz vor der Kapitulation Deutschlands im Zweiten Weltkrieg versuchten die Alliierten, die Möglichkeit eines erneuten Aufkommens von Freikorps in der unmittelbaren Nachkriegszeit auszuloten, und befragten den ehemaligen Reichskanzler und Freikorpskämpfer Franz von Papen, der eine derartige Entwicklung jedoch für unwahrscheinlich hielt: Donovan Nuremberg trials collection, Interrogation, S.4. Von Papen hatte sich im Frühjahr 1919 kurzfristig dem Freikorps Faupel in München angeschlossen: Papen, S. 122.

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Ernst von Salomon hat frühzeitig ein Urteil über den möglichen Erkenntnisgewinn einer sozialhistorischen Betrachtung gefällt und mit seiner Feststellung, dass es  – »mit den Maßen der Zivilisation«  – unsinnig sei, »die Männer des Nachkrieges etwa als soziologisch erfaßbare Schicht zu begreifen«, eine Art wissenschaftliche Leerstelle verordnet. Schließlich sei es »für diesen neuen Typus Freikorpskämpfer […] vollkommen belanglos, aus welchem gesellschaftlichen Lager er stammte.«3 Es wäre müßig, an dieser Stelle Spekulationen darüber anzustellen, inwieweit der Einfluss des Freikorpsliteraten nun dazu führte, derartige Untersuchungen zu unterlassen, entsprechende Ansätze sind jedenfalls bis heute in der Forschung kaum zu finden. Im Folgenden soll deshalb anhand der Kriterien Beruf, Generationszugehörigkeit, Religion bzw. Konfession, familiäres Umfeld (Familienstand, Kinder, Elternhaus) sowie soziale Mobilität ein detailliertes Bild der Freikorps aus die­ ser bislang vernachlässigten sozialhistorischen Perspektive gezeichnet werden.

1. Studenten Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die deutsche Studentenschaft auf eine lange Tradition akademischer Kriegsbegeisterung zurückblicken.4 Von den antinapoleonischen Befreiungskriegen in der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 bis zum Ersten Weltkrieg: Deutsche Studenten zogen oft als Kriegsfreiwillige in die Schlacht und meist einem identitätsstiftenden nationalen Ideal verpflichtet, wie das Beispiel der Lützower Jäger im Jahr 1813 oder die Mythologisierung der Kämpfe bei Langemarck im Herbst 1914 zeigen.5 Die nationale Begeisterung, befeuert von den »Ideen von 1914«, sorgte für einen nicht endenden Zustrom studentischer Freiwilliger, wenngleich nicht vergessen werden darf, dass die allgemeine Kriegs­euphorie des Sommers 1914 weit weniger real war als die Bilder jubelnder Soldaten der Öffentlichkeit vermittelten. Studenten waren überproportional häufig unter den Kriegsfreiwilligen vertreten, und selbst im letzten Jahr des Weltkrieges, als der Glaube an einen raschen Sieg längst der Realität eines industrialisierten Massensterbens gewichen war, tauschten über zwei Drittel einer ganzen Studentengeneration ihre Lehrbücher mit Feldgesangbüchern und zahlten einen höheren

3 Salomon, Geschichte, S. 18. 4 Jarausch, Studenten, S. 106. 5 Eine derartige Wirkung des Langemarck-Mythos lässt sich auch bei Ernst von Salomon feststellen: »Die Studenten, mit denen ich mich in jener Kompanie zusammenfand, waren alle bei Langemarck dabei gewesen, wenn nicht tatsächlich, so doch sicherlich sozusagen symbolisch.« Salomon, Fragebogen, S. 154. Zu Langemarck siehe insbesondere auch Krumeich, Langemarck.

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Blutzoll als jede andere Bevölkerungsgruppe.6 Für die allermeisten Studenten wurde der Krieg auch zur Gesinnungsprobe. Besonders in den Korporationen gingen Studium, nationale Gesinnung und Männlichkeitsvorstellungen eine enge Verbindung ein, »Deutsch sein« war weit mehr als eine staatliche Zugehörigkeit, es schloss zugleich einen moralischen Anspruch und eine besondere Lebensweise ein, die im Verbindungsleben ihr ideales Abbild gefunden zu haben schien. Diese studentischen Gemeinschaften übten auf ihre Mitglieder einen starken sozialen Druck aus, der es den angehenden Akademikern offensichtlich unmöglich machte, sich im Kreise der Kommilitonen dem freiwilligen Kriegsdienst offen zu entziehen.7 Ein Ausscheren aus der Gemeinschaft hätte in diesem Fall die soziale Ausgrenzung bedeutet, was für viele eine größere Schmach war als der mögliche Verlust des eigenen Lebens. Bei Kriegsende wurden die zumeist nationalistisch eingestellten Studenten durch die verordnete Abdankung des letzten deutschen Kaisers ihrer politischen Identifikationsfigur aus dem Hause Hohenzollern beraubt. Konfrontiert mit der sozialen und politischen Realität der Revolution nahmen weite Teile der Studentenschaft die Ausrufung der Republik mit Argwohn und Ablehnung auf, wobei betont werden muss, dass im Herbst 1918 in den Reihen der Studenten ein durchaus demokratisches Potential vorhanden war,8 »schwankend zwischen konservativer und neuer (demokratischer) Haltung auf der Suche nach einem sicheren Stand.«9 Auf dem linken Flügel der Studentenschaft fanden sich dem Sozialismus zugewandte freistudentische Kriegsgegner zusammen, darunter Hans Reichenbach und Ernst Toller, die beide im Weltkrieg gekämpft hatten, und gründeten in Berlin und München die Sozialistische Studentenpartei bzw. die Gruppe sozialistischer Akademiker. Diese Gruppierungen verbanden mit dem politischen Umsturz diverse Hoffnungen auf eine Reform des Hochschulwesens und konnten sich – in sozialistischen Studentenräten organisiert – problemlos mit den lokalen Arbeiter- und Soldatenräten arrangieren, blieben zahlenmäßig jedoch eher eine Randerscheinung.10 Wesentlich stärker waren dagegen rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Studentenschaft. Aus diesem Umfeld stammten die vehementesten Gegner der Revolution. Vor allem in Berlin waren solche Strömungen schon unmittelbar nach Kriegsende unter den Studenten sehr verbreitet.11 Bis zum Kapp-Putsch verschärfte sich das politische Klima an der dortigen Universität derart, dass die Schriftstellerin Cläre Meyer-Lugau 1920 bilanzierte:

6 Jarausch, Studenten, S. 109. 7 Levsen, Elite, S. 137 ff., S. 171 ff. 8 Titze, S. 212. 9 Schwarz, S. 188. 10 Grüttner u. a., S. 11 f.; Jarausch, Studenten, S. 118 f.; ausführlich zu sozialistischen Studentengruppierungen in der Revolution: Linse. 11 Kruppa, S. 76.

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Der Geist der Universität Berlin ist eine Schande für das Reich. Rassenhaß, Klassenhaß, chauvinistischer Hurrapatriotismus, Antisemitismus, Anrempelung kultiviertester Professoren wie [Georg Friedrich] Nicolai und die Existenz eines [Gustav] Roethe, der eine Vorlesung beginnen darf mit den Worten: ›Wir, die wir regiert werden von Juden und Proleten…‹: das sieht die Regierung mit ohnmächtiger Toleranz an. Schutzhaft gibts nur für Edelkommunisten und andre links stehende Männer, standrechtlich werden nur sie erschossen: was rechts steht, erfreut sich einer Freiheit, wie sie im wilhelminischen Zeitalter schwerlich denkbar gewesen wäre.12

Es war aber nicht nur die extreme Rechte in der Studentenschaft, die der Republik ablehnend gegenüberstand. Die große Mehrheit der Studenten war durch ihre korporative Tradition und ihre wilhelminische Sozialisation, zu der nun noch die Angst vor sozialem Abstieg kam, für eine antidemokratische Politik »prädisponiert«.13 Unabhängig von einer Zuordnung zum linken oder rechten Flügel war die Studentenschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit insgesamt stark politisiert, was erst mit der nächsten und damit jüngeren Studentengeneration und deren größerem Abstand zu Krieg und Revolution wieder nachlassen sollte.14 Die 1919 bekanntgewordenen Bestimmungen des Versailler Vertrages riefen – wie in vielen Teilen der Gesellschaft – unter den Studenten eine heftige Empörung über die Behandlung durch die Siegermächte hervor und stärkten die vorhandenen nationalistischen Strömungen. In der folgenden Zeit entwickelte sich die völkische Bewegung zum wichtigsten Einfluss auf die politische Einstellung der Studenten.15 So ist es kaum verwunderlich, dass viele von ihnen in die nationalistischen und rechten paramilitärischen Freiwilligenverbände der Nachkriegszeit eintraten, um an allen Schauplätzen der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Ruhr, Düna und Annaberg gegen Revolution, Bolschewismus und die drohende Abtretung von Reichsgebieten zu kämpfen. Die Studenten fanden aber nicht allein aus eigener Motivation den Weg in solche Einheiten, auch die von der Revolution ins Amt gesetzte Regierung rief die angehenden Akademiker zu den Waffen. Der Sozialdemokrat Konrad Haenisch, Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, erließ am 13. März 1919 einen »Aufruf an die akademische Jugend Preußens« und forderte sie zum Waffengang gegen »die Flut des Bolschewismus« im Osten und die »Hydra der Anarchie und des Bürgerkrieges« im Innern auf.16 Im darauffolgenden Monat wandte sich Gustav Noske in einer auch als Flugblatt veröffentlichten Ansprache an die Studenten und betonte ihre besondere Verantwortung für die Sicherheit der Nation: 12 Meyer-Lugau, S. 229. Zu Georg Friedrich Nicolai und Gustav Roethe an der Berliner Universität vgl. Grüttner u. a., S. 43 ff., S. 103, S. 150. 13 Jarausch, Studenten, S. 119. 14 Schwarz, S. 284 f. 15 Ebd., S. 188, S. 203. 16 Noske, Geschichte, S. 119. Haenisch selbst zählte später zu den Gründungsmitgliedern des »Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold«.

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Ich appelliere an die Studentenschaft umso nachdrücklicher, weil ich mir des Mangels unseres Werbesystems durchaus bewußt bin. […] Bei den Auseinandersetzungen, die wir gehabt haben, ist manches vorgekommen, was auf Rohheit, Unwissenheit und Unbildung zurückzuführen ist. Der Gebildetste und Disziplinierteste ist der Berufenste, unser Land wieder zur Ordnung gelangen zu lassen.17

Obwohl das Gros der Studentenschaft der Republik eher verhalten gegenüberstand, folgten die Hochschüler dem Ruf der neuen Regierung und strömten in die Büros der Werbeoffiziere, die sich mittlerweile an den Hochschulen eingerichtet hatten. Schließlich galt es nun, ein weiteres Vordringen linker Kräfte zu verhindern. Pointiert findet sich eine entsprechende Einstellung im Tübinger Studentenbataillon, das mit der Parole »Wir kämpfen nicht für die Regierung, sondern gegen den Bolschewismus«18 angetreten war. Das Gesicht der Hochschulen wandelte sich durch die erneute Militarisierung der Studentenschaft unübersehbar, was Kurt Tucholsky im Mai 1919 in einem Artikel über die Zustände an der Technischen Hochschule zu Berlin prägnant auf den Punkt brachte: »Die Hochschule war früher ein wissenschaftliches Institut: sie scheint heute so eine Art Soldatenmarkt zu sein«.19 Die Feststellung, die Revolution von 1918/19 sei im Vergleich zu 1848 eine »Revolution ohne Studenten«20 gewesen, muss zumindest in einem Punkt korrigiert werden: Im Gegensatz zu 1848 stellten die Studenten in der Frühphase der Weimarer Republik zwar in erster Linie kein progressives, sondern ein konservatives Element dar, doch sie waren Teil der Revolution, wenngleich aufseiten derer, die ein Fortschreiten der politischen Umwälzung verhindern wollten. Und so fährt Tucholsky fort: Wir resümieren: Die deutschen Hochschulen stellen sich in ihrer Gesamtheit den Freiwilligen-Formationen zur Verfügung. Die Minderheit, die sich dieser Bewegung nicht anschließt, soll durch Einführung einer neuen, den Reichsgesetzen widersprechenden Dienstpflicht geknebelt werden. […] Was uns fehlt, ist eine Revolution. Die Gegenrevolution haben wir.21

Victor Klemperer, der als außerordentlicher Professor an der Universität München und Korrespondent der »Leipziger Neuesten Nachrichten« die Räterepu­blik 17 Ansprache Noskes vor der Vertretersitzung der deutschen Senate und Studentenausschüsse am 29.04.1919 in Berlin, zitiert nach: Zorn, S. 244 f. 18 Kohlhaas, Studentenbataillon, S. 10, zitiert nach: P. Weber, S. 379; An anderer Stelle heißt es bei Kohlhaas leicht abgewandelt: »Gewiß, wir haben für den damaligen Staat die Waffen getragen, aber, das ist die tife (sic) Bedeutung der damaligen Opposition, wir haben uns diesem Weimar nie weltanschaulich unterworfen, wir griffen zum Gewehr um des deutschen Vaterlandes willen, und vom ersten bis zum letzten Tag haben jene Regierungen gewußt, daß wir’s nicht ihretwegen getan haben!«, Kohlhaas, Vortrag, S. 53. Vgl. auch M. H. Kater, Studentenschaft, S. 96. 19 Wrobel, S. 533. 20 Zorn, S. 229. 21 Wrobel., S. 534, S. 536.

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in der bayerischen Landeshauptstadt und ihre Niederschlagung beobachtete, notierte: »Hauptstätte aller Werbungen, die sicherste Elemente, die Kerntruppen gewährleistet, ist die Universität.«22 Nationales Hochgefühl und Antibolschewismus waren politische Motive, welche die Studenten in die Reihen der bewaffneten Formationen führten. Ein zusätzlicher und entscheidender Grund für ihren Kampf gegen ein weiteres Fortschreiten der politischen Umwälzung war die damit verbundene Angst vor einem Statusverlust in einer neuen Gesellschaft. Während bei Kriegsende Studenten in großer Zahl von den Schlachtfeldern in die Hörsäle zurückkehrten, erleichterten gleichzeitig Reformen des Schulsystems nun auch Angehörigen weniger privilegierter Schichten den Zugang zum Studium. De facto bereinigten die bildungspolitischen Maßnahmen der Regierung die bestehende Chancenungleichheit zwischen privilegierten und nicht-privilegierten Schichten jedoch nur geringfügig, sodass nach 1918 die Mehrheit der Studenten noch immer der Mittel- oder Oberschicht entstammte und die Universitäten somit weiterhin Orte der Privilegierten blieben.23 Vor allem durch die heimkehrenden Kriegsteilnehmer wuchsen die Studentenzahlen in den Jahren 1919 bis 1921 sprunghaft um 44 % an, was von den bereits immatrikulierten Hochschülern als regelrechte Überfüllungskrise der Universitäten wahrgenommen wurde.24 Darüber hinaus waren seit 1909 an allen Universitäten und Technischen Hochschulen im Kaiserreich Frauen zur Immatrikulation zugelassen, was ihre statusbewussten männlichen Kommilitonen jedoch eher als Bedrohung denn als Bereicherung des akademischen Umfeldes ansahen, weil sie nun deren Konkurrenz im späteren Arbeitsleben befürchteten. Sogar der Kriegseinsatz der Studentinnen als Krankenschwestern oder Arbeiterinnen konnte die auf Patriotismus sonst so großen Wert legenden Studenten darin nicht umstimmen.25 Wenn also Tausende Studenten in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder zur Waffe griffen, um kommunistische Aufstände niederzuschlagen  – wobei sie weniger als leidenschaftliche Verteidiger der Republik auftraten, sondern vielmehr jegliches Erstarken linker Kräfte gewaltsam zu unterbinden versuchten –, so mussten sie doch zugleich das Studium fortsetzen, um ihre künftige bürgerliche Existenz nicht zu gefährden. Dabei waren sie gezwungen, sich in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation mit katastrophalen Verhältnissen auseinanderzusetzen: Die Wohnungsknappheit nahm mit der steigenden Studentenzahl in Großstädten derart zu, dass manche Studenten die Nächte in Wartesälen, improvisierten Behausungen oder unter freiem Himmel verbringen mussten. Vor allem die Aufrechterhaltung der alliierten Blockade über den Waffenstillstand vom November 1918 hinaus hatte – wie für die gesamte Zivilbevölkerung – verheerende Folgen. Rund ein Drittel bis die Hälfte der Studen22 Klemperer, S. 180. 23 Mens, Not, S. 26 f. 24 Jarausch, Studenten, S. 129. 25 Maurer, Kommilitoninnen, S. 78, S. 92.

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ten litten an Unterernährung. Damit einher ging ein dramatisches Ansteigen der Tuberkuloseerkrankungen, ungefähr 4 % von ihnen waren betroffen. Trotz staatlicher und akademischer Hilfsmaßnahmen wurde die Not für ein Drittel durch Wirtschaftskrise, Inflation und »Große Depression« bis in die letzten Jahre der Republik hinein chronisch.26 Die Kluft zwischen dem sozialen Status eines Akademikers im Kaiserreich und der sozioökonomischen Realität in der Nachkriegszeit konnte kaum größer sein.27 Ein Abbruch des Studiums angesichts des drohenden Bürgerkriegs hätte die ohnehin prekäre Lage noch weiter verschärft. Da sich Grenzschutzaufgaben im Osten und Feldzüge gegen Kommunisten und Arbeiter im Innern mit den Anforderungen studentischer Curricula jedoch nur schwer vereinbaren ließen, waren militärische Befehlsstellen und Hochschulen zur Zusammenarbeit genötigt, um die jeweiligen Bedürfnisse nach Möglichkeit in Einklang zu bringen. Während der Kämpfe gegen aufständische Arbeiter, die sich 1920 als Reaktion auf den Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch im Ruhrgebiet erhoben hatten, forderte das zuständige Reichswehr-Gruppenkommando II in Kassel vom Reichswehrministerium »im Interesse der Sicherstellung der Berufsinteressen der Zeitfreiwilligen […] die Schließung der Hochschulen für die Zeit der Einberufung«.28 Durch den Schluss der Vorlesungen am Ende des Semesters erübrigte sich dieses Ersuchen jedoch noch vor einem Einlenken des Ministeriums. Dass sich das Gruppenkommando bei seiner Forderung aber berechtigte Hoffnungen machen konnte, zeigen die Ereignisse in Berlin im Jahr zuvor: Während der Märzkämpfe 1919 hatte sich die Regierung per Telegramm an die Studenten der Universität und der Technischen Hochschule gewandt: »Die Reichsregierung bedarf der akademischen Jugend dringend im Kampfe gegen die drohende Anarchie und baut auf ihre Treue und Hingabe. Sicherheit der für das Studium verloren gehenden Zeit wird durch besondere Verfügungen gewährleistet werden.«29 Um eine größtmögliche Zahl von Studenten zum Eintritt in die Freiwilligenformationen zu bewegen, hatte Noske kurzerhand die Schließung der Berliner Universität für die Zeit vom 7. bis zum 17. März verfügt.30 Die Lehranstalten wiederum stellten sich – je nach ihrer Entfernung zu den einzelnen Konfliktherden – entweder bereitwillig dem Militär zur Verfügung oder versuchten, die Einflussnahme der Militärbefehlshaber der Wehrkreise und Gruppenkommandos auf ihre Angelegenheiten möglichst gering zu halten. Ihr Widerstand ging so weit, dass einige Universitäten und Hochschulen den 26 Jarausch, Studenten, S. 141 f. Ausführlich dazu auch: M. H. Kater, Studentenschaft, S. 11, S. 43–56. 27 Lambrecht, S. 215; M. H. Kater, Studentenschaft, S. 95. 28 Schreiben des Reichswehr-Gruppenkommandos II an das Reichswehrministerium vom 02.04.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 373, ohne Paginierung. 29 Aufgebot der Studentenschaft für den freiwilligen Heeresdienst, in: Vossische Zeitung, Nr. 128, 11.03.1919. 30 Grüttner u. a., S. 18.

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Wehrkreiskommandos die Termine für den Beginn der Vorlesungen mitteilten und eine rechtzeitige Entlassung der Studenten aus den Einheiten forderten. So lehnte beispielsweise die Universität Tübingen eine Verschiebung der Vorlesungen für das Sommersemester 1920 ab und erwartete die pünktliche Rückkehr der Studenten in die Hörsäle. Ebenso pochte die Universität Freiburg auf die Einhaltung der Termine, sicherte den Studenten jedoch die Möglichkeit einer späteren Immatrikulation zu. An der Universität Halle hingegen waren die Verantwortlichen zu Zugeständnissen bereit und verlegten den Beginn der Vorlesungen auf den 3. Mai 1920, da »die dortigen Studierenden durch die Kämpfe in Halle festgehalten sind«.31 In Würzburg reichte dem Rektorat der Universität im Sommer 1919 eine schriftliche Bestätigung durch das lokale Freikorps über die Dienstzeiten der Studenten, um ihnen einen Studienplatz an den gewünschten Instituten der Universität freizuhalten.32 Offenbar gab es für ganz Bayern die Überlegung, die Universitäten zu schließen, um die Studenten zum Dienst an der Waffe bewegen zu können. In München wurde Studenten, die sich den Freiwilligeneinheiten anschließen wollten und kriegsbedingt kein Abitur hatten ablegen können, die nachträgliche Reifeprüfung erlassen.33 In der Universität Königsberg wiederum beschlossen Studenten und Dozenten im Januar 1919 gemeinsam die Unterbrechung der Vorlesungen auf unbestimmte Zeit, um ein geschlossenes Eintreten der Studentenschaft in den Heimatschutz Ostpreußen zu ermöglichen. An der Universität Breslau fanden umfangreiche Werbeaktionen für Freiwilligenverbände des Grenzschutzes statt.34 Den Hochschulen und den Verantwortlichen in Bildungs- und Militärbehörden war an einer pragmatischen Lösung der Probleme gelegen.35 Studenten, die in Freiwilligenverbänden im Grenzschutz oder zur Niederwerfung kommunistischer Aufstände im Landesinneren kämpften, konnten an Zwischensemestern teilnehmen, die zuvor für die Kriegsstudenten aus dem Weltkrieg eingeführt worden waren. Diese Möglichkeit, die verlorenen Vorlesungen nachzuholen, stieß jedoch unter angehenden und etablierten Akademikern nicht immer auf Begeisterung. In Tübingen verweigerten Universität und Studentenschaft die Einlegung eines Zwischensemesters nach den Vorlesungen im Sommer 1919 und taten dies »einerseits aus praktischen Gründen, andererseits um Professoren und Studenten die notwendige Erholung u. Zeit zur Fortsetzung wissenschaftlicher Arbeiten u. zur Verarbeitung des im laufenden Semester aufgenommenen Stoffes

31 Schreiben des Wehrkreiskommandos VI zu Vorlesungen an Universitäten und Technischen Hochschulen vom 16.04.1920, GLAK 456 F 134/135 Nr. 379, ohne Paginierung. 32 Schreiben des Rektorats der Universität Würzburg an das Freikorps Würzburg vom 02.06.1919, BayHStA-KA Freikorps 3, ohne Paginierung. 33 Klemperer, S. 69, S. 173. 34 Schattkowsky, Beziehungen, S. 39, Anm. 127; Schwarz, S. 215. 35 So berichtet beispielsweise Victor Klemperer aus München: »Die Universität schloß mit Epp einen förmlichen Bund. Man würde das Sommersemester so einrichten, daß die Studenten ein paar Tage Dienst tun und ein paar Tage studieren könnten […]« Klemperer, S. 186.

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zu gewähren.«36 Eine solche Ablehnung bedeutete jedoch nicht, dass sich Studenten und Universität nicht gemeinsam an der (Selbst-)Mobilisierung beteiligten. Ähnlich wie an der Technischen Hochschule in Breslau, an der nur weiterstudieren durfte, wer für den Heimatschutz nachweislich untauglich war,37 hatte sich die Studentenschaft in Tübingen vor der generellen Ablehnung eines Zwischensemesters zunächst dafür ausgesprochen, nur diejenigen Kommilitonen zu Zwischensemestern zuzulassen, die durch lange Kriegsdienstzeit oder Dienst in den Sicherheitskompanien in ihrem Studium benachteiligt worden waren. Diesem zögerlichen Schwanken setzte ein halbes Jahr später der Senat der Universität ein Ende, indem er per Beschluss »für die künftige Meldung zum Staatsexamen die Angabe der Teilnahme an der Einwohnerwehr vorschr[ieb]«.38 Letztendlich wahrte das Militär jedoch sein Primat gegenüber den höheren Lehranstalten und setzte ihn bei Bedarf per Dekret aus dem Reichswehrministerium durch, wie die Schließung der Universität in Berlin verdeutlicht. In der Reichshauptstadt ließ sich jedoch auch ein eindrückliches Beispiel akademischer Selbstmobilisierung beobachten. Der an den Reichsausschuss der akademischen Berufsstände angegliederte Akademische Heimatschutz, genannt Akademischer Heimatdienst, dessen Aufgabe es vor allem war, Propagandaarbeit gegen den Bolschewismus zu machen und Studenten zum Eintritt in Freiwilligenverbände zu bewegen,39 appellierte in einem Flugblatt an das elitäre Selbstverständnis der Studentenschaft. Mit drastischen Worten zeichnete er darin die von den nahenden »Vorhuten der östlichen Arbeiterheere« ausgehende Gefahr für die Kultur, der sich die deutschen Studenten entsprechend ihrem Anspruch auf intellektuelle sowie tatsächliche Führerschaft in der Gesellschaft entgegenstellen müssten: Die Stunde drängt. […] Um es kurz zu sagen, die Kultur […] wird zerstört werden, wenn sie sich nicht wehrt. Mit furchtbarer Schnelligkeit wird diese Zerstörung kommen, wenn nicht noch schneller der Damm aufgeworfen wird, der sie hemmt. […] Euer Platz ist da, wo eure Gefallenen gestanden haben. Auch sie haben mit Zweifeln und blutendem Herzen gekämpft. […] Ehrenvoll kämpften jene im Heere der Monarchie bei Arras und Verdun gegen Westeuropa. Nicht minder ehrenvoll werdet ihr in den freiwilligen Korps gegen das östliche Europa kämpfen. Als Studenten-Offiziere, das heißt als Führer in Wirklichkeit oder im Geiste. […] Trotzki hält Heerschau über seine Millionen Hunnen. Die Völkerwanderung beginnt. Seid auf eurem Posten, deutsche Studenten-Offiziere. Die Stunde drängt.40

36 Schreiben des Bezirksstab der Reserve-Sicherheitstruppen in Tübingen an das Württembergische Kriegsministerium vom 13.07.1919, StAL E 186 Bü 56 Nr. 1. 37 Schwarz, S. 215. 38 Ebd., S. 219, Anm. 53. 39 Zorn, S. 239 ff. 40 Antibolschewistische Flugschrift mit Aufruf an Studenten zum Eintritt in Freikorps, DHM, Sammlung Flugblätter, Do 77/158.

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Fragwürdige historische Analogien und die Warnung vor der Kulturfeindlichkeit des Bolschewismus sollten die Studenten mobilisieren. Ein weiteres Flugblatt aus dem akademischen Bereich mit der Aufforderung zum Eintritt in das Garde-Kavallerie-Schützen-Korps appellierte nachdrücklich an die Vorstellung einer künftigen Führungsfunktion der Studenten: »Man sagt Euch, daß ihr dereinst die Aufgabe, Führer und Lehrer Eures Volkes zu sein, übernehmen sollt. Zeigt, daß Ihr begriffen habt, daß das ›Führer werden‹ vor allem zwingt, früh schon ein Beispiel zu sein.«41 Neben ideologischer Selbstgewissheit bot der Dienst an der Waffe den Studenten vor allem eine gewisse soziale Sicherheit in Zeiten schlimmster sozioökonomischer Verhältnisse. Einrichtungen wie der Akademische Hilfsbund e. V. und der Reichsausschuss der Akademischen Berufsstände setzten sich für die Belange der Studenten ein und erwirkten als Gegenleistung für deren Eintritt in die bewaffneten Formationen Sicherheitsleistungen im universitären und finanziellen Bereich. So konnten die Studenten neben den Zwischensemestern nicht nur mit der Anerkennung des erneuten Kriegsdienstes für ihr Studium und Vergünstigungen bei Prüfungen rechnen. Die Einrichtung eines Hilfswerks für kriegsbeschädigte Kommilitonen sollte den Studenten eine ergänzende Fürsorge neben den üblichen Renten bieten, und ein Fonds des Akademischen Hilfsbundes zur Unterstützung in Not geratener ehemaliger Freiwilliger wurde zur Zahlung von Stipendien geplant. Die soziale Absicherung erstreckte sich auch auf Angehörige der Studenten, die im Bedarfsfall mit einer Familienunterstützung rechnen konnten. Sogar eine eigene Sparkasse sollte eingerichtet werden, deren geforderte Sicherheitsleistung zur Kontoeröffnung den Studenten vorgestreckt werden konnte.42 Ob nun begeisterte Selbstmobilisierung, sozialer Druck gegenüber kriegsmüden Kommilitonen, die Universitätsbürokratie oder schiere soziale Not die entscheidenden Faktoren waren: Deutsche Studenten fanden sich in Massen zum Dienst an der Waffe in den paramilitärischen Einheiten der unmittelbaren Nachkriegszeit ein. Die Forschung geht dabei von bis zu 50.000 für das Frühjahr 1920 aus,43 was ziemlich genau einem Drittel der damaligen Studentenschaft sämtlicher deutscher Hochschulen entsprach.44 Jedoch verrichteten die Studenten ihren Dienst weniger in Freikorps als vielmehr in Zeitfreiwilligen­ 41 Propagandaflugblatt mit einem Aufruf an deutsche Studenten zum Eintritt in den Freiwilligen-Verband »Eiserne Eskadron«, Garde-Kavallerie-Schützen-Korps Berlin, DHM, Sammlung Flugblätter, Do 77/150. Zum studentischen Anspruch auf eine künftige gesellschaftliche Führungsrolle vgl. Levsen, Führer, S. 106 ff. 42 Propagandaflugblatt mit einem Aufruf an deutsche Studenten zum Eintritt in den Freiwilligen-Verband »Eiserne Eskadron«, Garde-Kavallerie-Schützen-Korps Berlin, DHM, Sammlung Flugblätter, Do 77/150. 43 Titze, S. 213. 44 Gesamtzahl der Studenten aller deutschen Hochschulen: ca. 120.000 (Sommersemester 1919), ca. 150.000 (Sommersemester 1920), ca. 120.000 (Sommersemester 1921), Zahlen nach: Schwarz, S. 411.

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formationen lokaler Sicherheitstruppen. Wie im Weltkrieg neigten besonders die korporierten Studenten dazu, die studentische Gemeinschaft auch innerhalb der militärischen Einheit aufrecht zu halten und entweder als geschlossene Gruppen bestehenden Formationen beizutreten oder eigene, reine Studentenformationen zu bilden.45 Diese Studentenformationen unterschieden sich hinsichtlich Organisation und Autonomie auffällig von den Freikorps und sollten nicht mit ihnen gleichgesetzt werden, wie sich leicht am Beispiel des Tübinger Studentenbataillons zeigen lässt. Im Juni 1919 beschloss die studentische Vollversammlung der Eberhard Karls Universität: Die Studierenden der 3  württemb[ergischen] Hochschulen Stuttgart, Hohenheim und Tübingen sind in ihrer überwiegenden Mehrheit bereit, sich wie bisher in Reserve-Sicherheitskompagnien zu organisieren und im Falle dringender Not dem Württemberger-Land zur Verfügung zu stellen. […] Die Bildung von geschlossenen Studenten-Kompagnien mit selbst gewählten Kompagnie- und Zugführern […] muss gewährleistet sein46

Bereits die Forderung der Tübinger Studentenschaft nach selbstgewählten Führern steht in völligem Gegensatz zum Führerprinzip der Freikorps.47 Ebenso wenig wie vom  – den Studenten aus universitären Gremien wie der Vollversammlung geläufigen  – Recht der organisatorischen Mitbestimmung waren Freikorps von einem Ereignis betroffen, das im Fall der Studentenformationen regelmäßig die Auflösung des Kampfverbandes und eine Schwächung des lokalen militärischen Potentials zur Folge hatte  – den Semesterferien. Wie ein Oberleutnant im Bezirksstab  VI der Reserve-Sicherheitstruppen in Tübingen bemerkte, haben »die Sommerferien […] die Auflösung des Studentenbataillons zur Folge. Dies bedeutet eine außerordentliche Schwächung der Reserve-Sicherheitstruppen.« Aber nicht nur das, darüber hinaus mussten alle in die Ferien Entlassenen »ihre Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke, Waffen und Munition vor ihrer Abreise aus Tübingen auf der Regimentskammer abgeben.«48 Freikorpskämpfer hingegen ließen sich weder in die Ferien schicken, noch gaben sie die Kontrolle über ihre Waffen ab. Gerade der letzte Punkt spielte eine große Rolle für ihr eigenständiges und gegebenenfalls auch gegen Regierungsinteressen gerichtetes Handeln. Die strukturellen Unterschiede zwischen Freikorps und Studentenformationen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztere den Freikorps 45 Den Standesdünkel der angehenden Akademiker und ihre eigene Abgrenzung von nichtstudentischen Mitgliedern in paramilitärischen Einheiten betont auch: Nußer, S. 126. 46 Entschluss der Vollversammlung der Studierenden der Universität Tübingen vom 04.06.1919, StAL E 186 Bü 56 Nr. 1. 47 Zur Kritik an der Rolle der Freikorpsführer vgl. Keller, S. 115 f. Auch Ernst von Salomon weist auf die Wahl von Führern in der studentischen Freiwilligeneinheit hin, der er in Oberschlesien angehörte. Salomon, Fragebogen, S. 157. 48 Bezirksstab VI der Reserve-Sicherheitstruppen in Tübingen vom 30.07.1919, StAL E 186 Bü 56 Nr. 1.

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in ihrer Gewaltbereitschaft nur wenig nachstanden. So spielten Studenten aus Zeitfreiwilligeneinheiten beispielsweise bei der Ermordung und Misshandlung von Arbeitern während der Kämpfe zwischen Arbeiterschaft und Regierungstruppen im März 1920 in Halle eine entscheidende Rolle.49 Der bekannteste Exzess studentischer Paramilitärs ereignete sich am 25. März 1920 bei Mechterstädt in Thüringen. Das im Herbst 1919 auf Initiative der Reichswehrbrigade in Kassel gegründete und später vom Marineoffizier Bogislav von Selchow50 geführte Studentenkorps Marburg ermordete dort 15 Arbeiter, die am Tag zuvor festgenommen worden waren und nach Gotha überstellt werden sollten. Obwohl Gerichtsmediziner später feststellten, dass fast alle Opfer aus nächster Nähe erschossen worden waren, sprach das die Vorkommnisse untersuchende Gericht alle beteiligten Studenten vom Mordvorwurf frei und bestätigte deren Version von »auf der Flucht erschossenen« Straftätern.51 Ihre Einsätze gegen Landsleute als eine stets »mit Widerstreben übernommene Pflicht ohne Kampfbegier und Abenteuerlust, von der man sich erleichtert zum Studium zurückwandte«, gar als eine »dira necessitas«52 zu bezeichnen, kann angesichts der tatsächlichen Gewalttaten wohl nur als rückblickende Apologie eines Beteiligten verstanden werden. Vor allem die corpsstudentische Historiographie zeichnet sich diesbezüglich bis heute durch eine einseitige Darstellung der Ereignisse – teilweise in Form von Erlebnisberichten ehemaliger Kämpfer –, ein kritikloses Festhalten an alten Rechtfertigungen für die Gewalt, der Übernahme zeitgenössischer Propagandasprache sowie dem beharrlichen Ignorieren neuerer Forschungserkenntnisse aus.53 Trotz der großen Zahl von Studenten in paramilitärischen Einheiten der Nachkriegszeit offenbart die vorliegende Untersuchung, dass diese Gesellschafts­ gruppe in den Freikorps eher in geringem Ausmaß vertreten war. Gerade einmal 4 % Studenten lassen sich ausmachen, was ein starkes Indiz für ihren Einsatz als Zeitfreiwillige in geschlossenen Studentenformationen ist und gegen die verschiedentlich geäußerte Annahme spricht, Studenten seien einer der zahlenmäßig wesentlichen Faktoren in den Freikorps gewesen.54 Darüber hinaus weist dieser Befund auf die Notwendigkeit einer stärkeren Differenzierung 49 Schumann, Politische Gewalt, S. 92, Anm. 185. 50 Werner Heinrich Bogislav von Selchow (1877–1943): Als Sohn eines Rittergutsbesitzers und Offiziers geboren, 1900 Beförderung zum Leutnant zur See, 1916 als I. Offizier auf dem Linienschiff Hannover bei der Skagerrakschlacht, 1917 Kapitän zur See im Admiralstab der Marine, seit 1918 publizistische Tätigkeit, 1919 Ausscheiden aus der Marine und Studium der Geschichte in Marburg, 1920 Sympathisant des Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsches und im Nachgang Führer des Marburger Studentenkorps, 1920–1922 Führer der Organisation Escherich in Westdeutschland. Zum Lebenslauf: Epkenhans. 51 Zu den Vorfällen bei Mechterstädt ausführlich: Heither u. Schulze. Vgl. auch Hannover u. Hannover-Drück, S. 98–104. 52 Kohlhaas, Studentenbataillone, S. 62. 53 So etwa: S. Becker; H. Kater; Mölzer; Michatsch. 54 Schulze, S. 50; Diehl, Politics, S. 29. Als »aktivste[s] Element in den Freikorps« bezeichnet auch Bernd A. Rusinek die Studenten: Rusinek, S. 137.

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der bewaffneten Nachkriegsformationen hin, die allzu oft als homogene Gruppe wahrgenommen werden. Selbstverständlich gab es Verbindungen zwischen Studentenformationen und Freikorps. So stellte beispielsweise das Freiwillige Landesjägerkorps unter General Maercker eine eigene Studentenkompanie auf, und bei der Brigade Reinhard in Berlin bildete die Tierärztliche Hochschule ein eigenes Bataillon.55 Doch eine Gleichsetzung dieser beiden Typen paramilitärischer Truppen wäre im Sinne einer differenzierten Erforschung des paramilitärischen Spektrums der Nachkriegszeit kontraproduktiv. Aufgeschlüsselt nach deutschen Herkunftsländern oder Einsatzgebieten fallen nur in bayerischen Freikorps Studenten überhaupt als relevante Gruppe auf mit 9 % bis 14 % in den Freikorps Passau, Oberland und Würzburg. Im Fall des Freikorps Oberland musste sich die Forschung bislang auf die mittlerweile sechzig Jahre alte Untersuchung von Hans Jürgen Kuron stützen, der die Studenten als quantitativ wichtigste Gruppe neben Offizieren und Handarbeitern anführt,56 was sich angesichts der tatsächlichen Zahlen nicht bestätigen lässt. Bei allen anderen untersuchten Freikorps kamen jeweils weniger als 3 % der Kämpfer aus den Reihen der Studenten. Die drei genannten Freikorps fanden unterschiedliche Verwendung. Während das Freikorps Passau vornehmlich Sicherungsaufgaben erfüllte, kämpften die Freikorps Würzburg und Oberland gegen die Räterepublik in der bayerischen Landeshauptstadt und im Fall von Oberland später auch in Oberschlesien gegen polnische Truppen.57 Ohnehin waren die deutsch-polnischen Konflikte in Oberschlesien für die national gesinnten Studenten bedeutungsvoller als die bewaffneten Auseinandersetzungen der Freikorps fernab der Heimat im Baltikum. Während der drohende Verlust deutscher Gebiete in Schlesien Studenten in die Freiwilligenformationen zog, spielten sie im Baltikum mit weniger als 1 % bis knapp 3 % in den Freikorps von Diebitsch, von Medem, Mauritius sowie im Badischen Sturmbataillon Kurland zahlenmäßig eine eher unbedeutende Rolle. Sowohl die größere Entfernung zum Baltikum, das insbesondere nach der Schließung der Grenzen nicht kurzfristig zwischen den Vorlesungszeiten erreicht werden konnte, als auch die weniger klaren politischen Verhältnisse und die vom nationalen Gesichtspunkt aus schwerer zu vermittelnden Ziele der dortigen Auseinandersetzungen mögen mit ursächlich für den geringen Anteil von Studenten in diesen Freikorps gewesen sein. Andererseits deuten die Chroniken der deutschen Korporationen im Baltikum an, dass sich eine Vielzahl von Studenten der dortigen Hochschulen in den lokalen paramilitärischen Freiwilligenformationen engagierten.58 Als Ausnahme unter den Freikorps, die 55 Schulze, S. 51. Zorn, S. 239. 56 Kuron, S. 20. 57 Ebd., S. 22 ff., S. 72ff; Korzetz, S. 71, S. 91, S. 95 f. 58 So waren etwa von der Livonia Dorpati 63 Studenten im Baltenregiment und 87 in der Baltischen Landeswehr aktiv. Philisterverein, S. 169 f.; Die Concordia Rigensis berichtet über die Kämpfe der Baltischen Landeswehr gegen russische Truppen: »die gesamte Aktivitas ging unter die Fahne«, Schultz-Feegen, S. 130, und auch Mitglieder der Rubonia engagierten sich in der Baltischen Landeswehr: Helb.

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sich im Reichsgebiet bildeten, kann das bayerische Freikorps Epp gelten, in dem sich ebenfalls zahlreiche Studenten einfanden, sodass bei dieser Einheit sogar ein eigener Studentenausschuss und eigene Studentenkompanien gebildet wurden.59 Die in allen Freikorps des Samples kämpfenden Studenten stammten zu 42 % aus der Mittelschicht und zu 16 % aus der Oberschicht, nur wenige aus Familien der Unterschicht (6 %), 6 % gaben an, dass ihr Vater tot sei. Ein detaillierteres Bild ergibt sich, sofern der Beruf des Vaters als Kriterium zugrunde gelegt wird: Der größte Teil der Studenten (20 %) kam aus Familien des klassischen Kleinbürgertums (gewerblicher Mittelstand, Landwirte); dem »neuen Mittelstand« waren 15 % zuzuordnen (9 % »mittlere und gehobene Beamte« sowie 6 % mittlere und gehobene Angestellte).60 Die Oberschicht war vor allem durch Familien höherer Beamte (9 %) und solchen aus dem Besitzbürgertum (4 %) vertreten, Offiziers- oder Akademikerfamilien nur in geringem Maße (jeweils 2 %). Die Studienfächer (s. Tab. 2) deuten bei einer großen Zahl ohne konkrete Angaben auf Schwerpunkte bei den klassischen Fachrichtungen Theologie, Jura und Medizin sowie Geisteswissenschaften allgemein hin. Tabelle 2: Fachrichtungen der studentischen Freikorpskämpfer Fachrichtung im Sample

Anzahl

Anteil (%)

Katholische Theologie

9

7

Agrarwissenschaften

3

2

Chemie

3

2

Ingenieurswissenschaften

5

4

Mathematik

1