Despotie der Vernunft?: Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel 9783495996966, 3495480528, 9783495480526


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Einleitung
I. Repräsentation und Autorisierung
1. Ursprung als Legitimitätsquelle
2. Enteignende Ermächtigung
3. Common Representer, Common Power - Das Problem des Ausgangs aus dem Naturzustand
4. Absolutismus und Unwiderstehlichkeit der Souveränität
5. Der >gewollte< Absolutismus
II. Legitimität und Absolutismus
1. Die politik-ökonomischen Wurzeln der volonte generale
2. Interesse und communio - Der doppelte Grund der volonte generale
3. Bien commun oder volonte generale?
4. Die Herrschaft der Gesetze
5. Autonomie und Repräsentation
III. Moralität und Vernunft
1. Das Reich der Moralphilosophie
2. Die Pflicht zum Staat - Kant zwischen Hobbes und Hegel
3. Kants Verwindung der Vertragstheorie
4. Widerstandsunrecht
IV. Freiheit und Sittlichkeit
1. Leitmotive einer Erbschaft: Eigentum
2. Willkür und Sittlichkeit
3. Sokrates und der Bourgeois - Die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft
4. Die Durchdringung der Zwecke - Der Weg von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat
5. Sittlichkeit statt Kontraktualismus - Hegels Kampf gegen die Vertragstheorie
6. Sittlichkeit statt Verfassungsgebung
7. Idealistischer Realismus oder apokalyptischer Pragmatismus? Hegels Verteidigung der konstitutionellen Monarchie
Despotie der Vernunft? Für eine zweite Geschichte der Politischen Philosophie der Aufklärung
Literatur
Register
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Despotie der Vernunft?: Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel
 9783495996966, 3495480528, 9783495480526

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Armin Adam

Despotie der Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel

BAND 65 ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

A

PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

Zu diesem Buch: Die Politische Philosophie der Aufklärung hebt mit Thomas Hohhes' Versuch an, den Staat aus der Vernunft zu begründen. Die Crux aller neuzeitlichen Politischen Philosophie besteht darin, den Wider­ spruch von Freiheit und Unterwerfung aufzuhehen. Die Vertrags­ theorie dient dazu, diesen Widerspruch zu lösen, indem der Staat aus dem Konsens derer begründet wird, die ihm unterworfen sein werden. Die Begründung für die Unterwerfung unter zwingende In­ stitutionen liefert die Vernunft: Die Vernunft legt es nahe, Schran­ ken für die willkürliche Freiheit zu akzeptieren. Das bedeutet aber, wie die Entwicklung von Hobbes bis Hegel erweist, die politische Identifizierung von Freiheit und Vernunft. Die Philosophie der Auf­ klärung kann den Staat nur noch in der Freiheit begründen. Doch gerade die Begründung des Staates aus Freiheit und Vernunft führt zum Absolutismus des Staates. Dieser Aspekt der Politischen Phi­ losophie der Aufklärung wird hier prägnant porträtiert. About this book: The political philosophy of the enlightenment begins with Thomas Hobbes' attempt to justify the state based on reason. The crux of all modern political philosophy consists of the attempt to eliminate the contradiction between freedom and subjugation. The contract theory is to solve this contradiction by justifying the state based upon the consent of those that are to be subjugated to the state. The justification for this subjugation to coercive institutions is provided by rea­ son: Reason suggests that limits to arbitrary freedom should be accepted. This means, however, as the developments from Hobbes to Hegel have demonstrated, the political identification of freedom and reason. The philosophy of the enlightenment can only justify the state in freedom. But it is just the justification of the state based on freedom and reason that leads to the absolutism of the state. This aspect of the philosophy of enlightenment is succinctly portrayed here. Priv.-Doz. Dr. Armin Adam, geb. I960, ist Oberassistent am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München.

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

Armin Adam Despotie der Vernunft?

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

Alber- Reihe Praktische Philosophie Hnter Mitarbeit von Jan P. Beckmann, Dieter Birnbacher, Deiner Hastedt, Ekkehard Martens, Oswald Schwemmer, Ludwig Siep und Jean-Claude Wolf herausgegeben von Günther Bien, Karl-Heinz Musser und Annemarie Pieper Band 65

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

Armin Adam

Despotie der Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel

Verlag Karl Alber Freiburg/München

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CfP-Einheitsaufnahme

Adam, Armin: Despotie der Vernunft? : Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel / Armin Adam. - 2. Aufl., Studienausg. Freiburg (Breisgau) ; München : Alber, 1999,22002 (Alber-Reihe praktische Philosophie ; Bd. 65) Zugl.: München, Univ., Habil.-Schr., 1997 ISBN 3-495-48052-8

2. AUFLAGE, STUDIENAUSGABE

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte Vorbehalten - Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg/München 1999,22002 Einbandgestaltung: Eberle H Kaiser, Freiburg Einband gesetzt in derRotis SemiSerifvon Otl Aicher Satzherstellung: SatzWeise, Föhren Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg 2002 ISBN 3-495-48052-8

https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

Inhalt

Einleitung ..................................................................................

9

I. Repräsentation und Autorisierung...........................

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1. Ursprung als Legitimitätsquelle............................................ 2. Enteignende Ermächtigung.................................................. 3. Common Representer, Common Power - Das Problem des Ausgangs aus dem Naturzustand......................................... 4. Absolutismus und Unwiderstehlichkeit der Souveränität. . 5. Der >gewollte< Absolutismus ...............................................

25 33 42 55 69

II. Legitimität und Absolutismus...................................

78

1. Die politik-ökonomischen Wurzeln der volonte generale . . 2. Interesse und communio - Der doppelte Grund der volonte generale .................................................................................. 3. Bien commun oder volonte generale?................................... 4. Die Herrschaft der Gesetze.................................................. 5. Autonomie und Repräsentation ............................................

82 87 105 111 119

III. Moralität und Vernunft...............................................

141

1. 2. 3. 4.

141 159 165 190

Das Reich der Moralphilosophie ......................................... Die Pflicht zum Staat - Kant zwischen Hobbes und Hegel . Kants Verwindung der Vertragstheorie............................... Widerstandsunrecht ...............................................................

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Despotie der Vernunft? https://doi.org/10.5771/9783495996966 .

7

Inhalt

IV. Freiheit und Sittlichkeit..............................................

208

1. Leitmotive einer Erbschaft: Eigentum.................................. 2. Willkür und Sittlichkeit........................................................ 3. Sokrates und der Bourgeois - Die Grundlagen der bürger­ lichen Gesellschaft.................................................................. 4. Die Durchdringung der Zwecke - Der Weg von der bürger­ lichen Gesellschaft zum Staat............................................... 5. Sittlichkeit statt Kontraktualismus - Hegels Kampf gegen die Vertragstheorie............................................................... 6. Sittlichkeit statt Verfassungsgebung.................................. 7. Idealistischer Realismus oder apokalyptischer Pragmatis­ mus? Hegels Verteidigung der konstitutionellen Monarchie

208 220 233 241 251 262 267

Despotie der Vernunft? Für eine zweite Geschichte der Politischen Philosophie der Aufklärung............ 281

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Literatur.....................................................................................

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Register......................................................................................

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PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

Armin Adam

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Einleitung

Brüche machen Geschichte, denn sie verleihen einem Abschnitt im Strom der Ereignisse Gestalt. Doch die Existenz dieser Brüche ist höchst fragwürdig; sie sind nicht einfach da und warten darauf, vom Historiker wahrgenommen zu werden. Die Epochen der Geschichte, die Momente des Innehaltens der Ereignisse, die Wendepunkte des Geschehens sind allererst in der Wahrnehmung des Historikers, der aus dem Fluß der Wirklichkeit ein Bild gewinnen möchte. Die Wahr­ nehmung der >epoche< ruht jedoch nicht bloß im Willen des Histori­ kers, Geschichte zu machen. Tatsächlich ist die Wirklichkeit selbst epochal strukturiert, insofern sie von den Taten und Daten der Men­ schen geprägt ist. Das gilt nicht immer, aber es gilt immer da, wo eben diese Menschen den Gang der Wirklichkeit reflektieren. Der Mensch ist historisches Wesen, insofern er Geschichte macht. Er legt seine Taten nicht einfach im Raster der fortströmenden Zeit aus, son­ dern legt umgekehrt die Zeit nach dem Muster der Geschichte aus. Geschichte ist Selbstinterpretation - und zwar im und als Versuch, das Wesen eines Zeitabschnittes, seine Gestalt aus dem Gewimmel von Daten und Taten zu gewinnen. Die Subjektivität und die Selek­ tivität der historischen Wahrnehmung sind also keine Mängel, son­ dern die Bedingungen der >Geschichtedictamen rationis< formuliert, doch der Vernunft kommt keine Befehls­ gewalt zu, sie kann nur Ratschläge erteilen. Zwischen der kaum nor­ mativ, sondern allererst mechanisch zu deutenden Freiheit des Naturzustandes und der zwingenden Gewalt der Souveränität kann die Vernunft nur eine schwache argumentative Rolle spielen; sie ver­ wandelt die nackte Angst vor dem gewaltsamen Tod in ein ökono­ misches Argument und zeigt so den Ausweg aus der aporetischen Situation des Naturrechts. Die natürliche Freiheit des >Rechts auf alles< ist unvernünftig, weil unökonomisch. Vernünftig ist die Auf­ gabe des Rechts auf alles, vernünftig also ist die Aufgabe der natür­ lichen Freiheit, um dem sogenannten Krieg aller gegen alle, um also der konfliktträchtigen Struktur des Naturrechts zu entkommen. Hobbes' Betonung des absolutistischen Charakters der Souverä­ nität verleitet zu der Wahrnehmung, daß im souveränitätsbegrün­ 14

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Einleitung

denden Rechtsverzicht die Freiheit schlechthin begraben wird. Tat­ sächlich jedoch werden in diesem Rechtsverzicht nur jene Segmente des natürlichen Rechts auf alles, der als Recht bestimmten natür­ lichen Freiheit, aufgegeben, die das friedliche Zusammenleben der Menschen gefährden. Erst Hobbes' Erben werden jedoch eben diese - im Verhältnis zur natürlichen Freiheit beschränkte - Freiheit als die eigentliche Freiheit bestimmen können, indem sie den Begriff der Freiheit um die Dimension der Willkür beschneiden. Hobbes' Erben können von seiner Lösung des naturrechtlichen Freiheitsproblemes durch die Delegation des Rechts auf Selbstregierung an eine absolute Instanz nicht befriedigt werden. In ihren Augen ist die Begründung der Souveränität durch Autorisierung ein Taschenspielertrick, in dem gerade der wertvollste Aspekt der Freiheit eskamottiert wird: die politische Freiheit. Die Erhaltung der Freiheit als die Freiheit des Bourgeois - Geschäfte zu betreiben und im Inneren seines Herzens frei zu sein - kann nicht die Radikalität verschleiern, mit der die Subjekte des Leviathan ihrer politischen, also ihrer auf das Gemein­ wesen bezogenen Freiheit beraubt werden. Die Freiheit des Rechtes auf Selbstregierung in der Unterwerfung unter die absolute Souve­ ränität wiederzuerkennen, kann nur die mechanische Logik des Leviathan erlauben. Einer politischen Philosophie kann diese Be­ hauptung kaum standhalten. Das freiheitliche Pathos der Aufklärung steht vor einem schwer­ wiegenden Problem: einerseits soll an dem den status civilis erst be­ gründenden Freiheitsverzicht festgehalten werden; andererseits er­ scheint die Sicherung der Freiheit, anders als bei Hobbes, jetzt selbst als Staatszweck. Der Progreß der Rationalisierung treibt den ur­ sprünglichen Grund des Staates, Frieden und Sicherheit zu schaffen, immer mehr aus dem argumentativen Zusammenhang der Be­ gründung des Staates heraus. Rousseaus politisches Problem wird noch durch die - wenn auch allererst rhetorische - Gleichwertigkeit der Sicherung des Eigentums und der Freiheit bestimmt. Kants selt­ samer Republikanismus verdeckt die eindeutige und absolute - aus der Moralphilosophie abgeleitete - Priorität der Freiheit zum Teil durch die exotischen Blüten einer absolutistischen Argumentation. Hegel schließlich entlastet den Staat durch >Polizey< und >Korporation< zugunsten seiner vernunftgeschichtlichen Mission, die Freiheit als Sittlichkeit zu sichern und zu verkörpern. Hobbes' Weigerung, den Staat nach seiner Begründung als Staat der Freiheit zu denken, wird von Rousseau mit der Metamorphose ^

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Einleitung

der Freiheit beantwortet, die der mystische Gesellschaftsvertrag be­ wirkt. Die Überführung der natürlichen in die bürgerliche Freiheit wird zum Wendepunkt in der Geschichte der aufklärenden Politi­ schen Philosophie. Hobbes' blasse mechanische Bestimmung der Freiheit, die so wunderbar zum nüchternen Geist der zivilrechtlichen Argumentation paßt, und die Identifizierung der Freiheit mit der Willkür blockieren das Konzept der bürgerlichen Freiheit im Staate. Rousseau durchschlägt den Knoten dieser Argumentation, indem er Freiheit nicht mit Willkür, sondern normativ mit Vernunft identifi­ ziert. Die Ambivalenz der >volonte generalevolontes particulieres< gelöst. Kant löst das Problem nicht politisch, sondern moralisch durch die verschiedenen Versionen des kategorischen Imperatives. Sie verpflichten die Freiheit, das ein­ zige angeborene Recht, auf die Möglichkeit, mit der Freiheit jedes 16

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Einleitung

anderen nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen zu können. Kants Begriff der Freiheit nimmt die Bedingungen seiner politischen Geltung in sich selbst auf. Deshalb kann die Zwangsord­ nung des Staates nicht mehr als das Andere der Freiheit, sondern als ihre institutionelle Gestaltung selbst erscheinen. Hobbes' Gegenü­ berstellung von allumfassender natürlicher Freiheit und totaler Un­ terwerfung im status civilis ist fern gerückt; Rousseaus >Republikanisierung< der Freiheit hat den Weg geebnet für die doppelte Umdeutung des Staates als Staat der Freiheit und der Freiheit als Freiheit der Vernunft. Schon bei Rousseau deutete sich an, daß die Identifizierung von Freiheit und Vernunft zu einer neuen Bestim­ mung des Subjektes der Autonomie zwingt. Die Doppelbestimmung der volonte generale durch Wille und Vernunft wird einerseits unter dem Aspekt der politischen Willensbildung institutionell problema­ tisch als die Frage nach der Instanz, die die volonte generale artiku­ lieren könnte; diese Doppelbestimmung ist aber noch viel problema­ tischer im Hinblick auf das mögliche Subjekt dieses Willens. Daß die volonte generale der Wille des Volkes sei, ist eine allererst normative Behauptung, die vom empirischen Volk deutlich absieht. An seine Stelle tritt das Ideal eines aufgeklärten, durch die Vernunft be­ herrschten Volkes. Kant und Hegel greifen Rousseaus Tendenz auf, empirische Subjekte zugunsten idealer Subjekte ihrer willkürlichen Freiheit zu berauben. Rousseau betrieb die Rationalisierung der Herrschaft, die Identifizierung von Freiheit und Vernunft um der Möglichkeit wil­ len, die Souveränität des Volkes zu denken. Was bei Rousseau jedoch allererst als eine Antwort auf das Problem der Partikularinteressen erscheint, wird später - das ist bei Kant angelegt und bei Hegel aus­ geführt - als die Souveränität der Vernunft selbst inszeniert. An die Stelle vernünftiger Herrschaft tritt die Herrschaft der Vernunft. Da­ mit werden die technischen Probleme der >Volkssouveränität< um­ gangen und noch bestehende Legitimationslücken geschlossen. Kant hat die Mißachtung der empirischen Subjekte zum Programm seiner Philosophie erhoben; unter dem Titel einer >Metaphysik der Sitten< wird die Begründung des Politischen abgelegt. Der Titel trägt die zentrale Botschaft schon in sich; die Legitimationsprobleme des Staa­ tes werden auf metaphysische Weise gelöst. Auf den Kunstgriff der Begründung des Staates durch Vertrag muß Kant verzichten, weil er dem kritischen Gestus seiner Philosophie nicht standhält. Seine Um­ deutung der Vertragstradition verzichtet deshalb auf alle empiri^

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sehen und pseudo-empirischen Elemente - und das heißt eben auch: auf die Autonomie empirischer Individuen. Kant vollendet die Tradi­ tion der vertraglichen Begründung des Staates, indem er mit ihr bricht. Sein Versuch, den Kern des Vertragsparadigmas zu retten, weist zurück auf die zentralen methodischen und inhaltlichen Aporien dieser Lehre: auf die Unfähigkeit, den Ausgang aus dem Natur­ zustand als notwendig zu erklären, auf die Problematik eines tatsäch­ lichen Konsenses der vielen Einzelnen im Naturzustand, schließlich auf die Vermischung empirischer und normativer Elemente bei der Bestimmung der >VolkssouveränitätphilosophischeReinigkeit der Theoriepolitischen< Philosophie Hegels ist nicht die Freiheit des Menschen, sondern >die Entwickelung der Idee der FreiheitRechtsphilosophie< vom abstrakten Recht bis zur Sittlichkeit ver­ folgt, diese Hypostasierung ist nur vor dem Hintergrund eines Para­ digmenwechsels verständlich. Erst die idealistisch-geschichtsphiloso­ phische Perspektive erlaubt die Dezentrierung der Politischen Theorie. Nicht mehr der handelnde Mensch in der Gemeinschaft, sondern die Vernunft, die sich in und als Freiheit offenbart, steht ^

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jetzt im Zentrum der Politischen Theorie - wenn sie denn noch so genannt werden soll. Hegel ist der Vollstrecker der Aufklärung. Seine Wendung der Aufklärung hat ganz und gar polemischen Charakter; sein ver­ schmitzter Optimismus stellt der hesserwissenden Aufklärung ein Bein, die sich dank ihres in seinen Augen haltlosen kritischen Gestus üher die Wirklichkeit erhahen glauht. Auf die Wirklichkeit verpflich­ tet Hegel die Politische Philosophie der Aufklärung, die doch gerade aus der kritischen Distanz zur Wirklichkeit ihre Kraft hezog. Hegel vollendet die politik-philosophische Aufklärung, indem er den Blick von der vernünftigen Gestaltung des Politischen auf die politische Entfaltung der Vernunft wendet. Doch diese Wendung hedeutet die Erfüllung und das Ende der politik-philosophischen Aufklärung in einem; die Normativismen der Politischen Philosophie der Aufklä­ rung werden von Hegel jetzt als Elemente einer Phänomenologie des Geistes gedeutet. Damit verlieren sie - wenngleich allererst vor­ dergründig - ihren kritischen Charakter. Die Politische Theorie der Aufklärung hatte gerade auf der Differenz zwischen den Erscheinun­ gen der Wirklichkeit und den Ansprüchen der Vernunft heharrt; ja, diese Differenz war gerade der Gegenstand des politischen Denkens von Hohhes his Kant. Hegels politische Philosophie deutet die Wirk­ lichkeit allererst als Einlösung des Anspruches, der sich hinter dieser Differenz verharg - dafür steht der Begriff der Sittlichkeit. Der Begriff der Sittlichkeit hedeutet das Ende der Politischen Philosophie der Aufklärung. In dem Maße nämlich, in dem die Wirk­ lichkeit und ihre Institutionen als Erscheinung der Vernunft gedeutet werden, giht es keine Aufklärung mehr. Ihre Mission ist erfüllt. Ge­ rade dieser Versuch Hegels, die politische - und das heißt in diesem Falle auch: die gesellschaftliche - Wirklichkeit als sittlich zu hestimmen, hat die interpretatorischen Mißverständnisse hervorgerufen, die Hegel als preußischen Machiavelli ins Bild setzen. Nichts ist ahwegiger. Hegels Wirklichkeitswissenschaft deutet die Wirklichkeit als Erscheinung der Vernunft. Diese Deutung aher hedeutet keines­ wegs die Identifizierung des Tatsächlichen mit dem Vernünftigen; sie hedeutet vielmehr umgekehrt, daß nur das Vernünftige Wirklichkeit hat. Hegel heerht Platons Ideenlehre, ühersetzt sie jedoch in die Po­ lemik der Aufklärung: Was nicht vernünftig ist, hat keine Wirklich­ keit, sondern ist nur ein Gespenst, das verjagt werden sollte. Hegels doppelte Frontstellung - gegen die institutionenfeindliche und wirk­ lichkeitsfremde Entartung der Nach-Aufklärung einerseits, gegen die 20

PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

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Einleitung

politischen Alpträume des gegenrevolutionären Deutschlands ande­ rerseits - führt zu merkwürdigen Unklarheiten, wie das Denken He­ gels politisch positioniert ist. Doch diese Unklarheiten sind nur die Konsequenz eines Schwebezustandes der Theorie selbst. Hegels Viel­ deutigkeit ist also keine bloß politische, sondern umgekehrt ist die politische allererst eine theoretische Frage. Die Frage nach dem Ver­ hältnis von Philosophie und Wirklichkeit nämlich bestimmt Hegel mit und gegen die aufklärerische Tradition neu, indem er den grund­ sätzlichen Verdacht, daß die Wirklichkeit illegitim sei, durch den idealistischen Optimismus ersetzt, der die Wirklichkeit als entfaltete Vernunft bestimmt. Die Verstrickung der Politischen Philosophie der Aufklärung in ihre Gründungs- und Begründungsphantasien löst Hegel durch den einen neuen, idealistischen Rationalismus der Wirklichkeitswissen­ schaft. Sie verweigert sich ebenso den Versuchen, die Legitimation der Gegenwart aus der Fiktion eines Ursprungs abzuleiten, wie den Versuchen, die Vernunft, und das heißt den Diskurs der Philosophen, gegen die Wirklichkeit in Stellung zu bringen. Dabei muß sie die wesentlichen Konzepte der Aufklärungsphilosophie neu bestimmen, namentlich das Verhältnis von Vernunft und Freiheit. In der Abkehr von der kritisch-individualistischen Tradition - durchaus auch im Gefolge Rousseaus - wird keineswegs deren Vernichtung inszeniert, sondern, dem methodischen Kunstgriff der Dialektik gehorchend, deren Aufhebung. Daß in dieser Aufhebung nicht alle Elemente von These und Anti-These auf den ersten Blick erkennbar sind, braucht nicht zu verstören. Tatsächlich erhalten sie eine neue Wirklichkeit. Hegel bietet einen Ausweg aus den technischen und anthropolo­ gischen Aporien der Aufklärungsphilosophie und bleibt doch ein Philosoph der Aufklärung. Doch die technologische Hybris, die seit Hobbes diese Philosophie beherrscht, die läßt die >Rechtsphilosophie< hinter sich zugunsten einer idealistischen Phänomenologie, die die Intimität der Wirklichkeit mit der Vernunft nach dem Muster der Entfaltung der Idee bestimmt.

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I. Repräsentation und Autorisierung

Niemand hat die argumentative Abhängigkeit von Souveränität und Staatlichkeit so eindrucksvoll, so unwiderstehlich inszeniert wie Thomas Hobbes. Es ist die Voraussetzung dieser Inszenierung, daß das Zusammenleben der Menschen nicht von Natur gesichert ist, sondern sich einem Willensakt eben dieser Menschen selbst ver­ dankt. Weil das Common-wealth nicht von Natur existiert, ist Hobbes gezwungen, seine Entstehung zu denken. Das Common­ wealth ist das Ergebnis einer Schöpfung, die die göttliche Schöpfung nachahmt1: Wie diese die Welt und den Menschen, so schafft der Mensch selber eine Welt und einen Menschen. Einen künstlichen Menschern, den Leviathan oder Staat, Common-wealth oder civitas. Hobbes wendet Platons Metapher von der Polis als dem groß­ geschriebenen Menschen2 ins Buchstäbliche: Der Leviathan ist »nichts anderes [...] als ein künstlicher Mensch, wenn auch von größerer Gestalt und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde«.3 Wenn der platonischen Analogie das Vertrauen in die Struktur von Mensch und Polis zugrundeliegt4, dann muß Hobbes noch diese Korrespondenz als geschaffene erklä­ ren. Der Staat ist nicht von Natur der Makroanthropos; alles ist Kunst, wo es um das Zusammenleben der Menschen geht. Die Einleitung des >Leviathan< stellt den Staat als einen Auto­ 1 Hobbes' erster Satz des Leviathan schlägt eine Saite der Politischen Theologie an, eine merkwürdig pantheistische: »Die Natur (das ist die Kunst, mit der Gott die Welt ge­ macht hat und lenkt) wird durch die Kunst des Menschen wie in vielen anderen Dingen so auch darin nachgeahmt, daß sie ein künstliches Tier herstellen kann.« Die theologi­ schen und die philosophischen Implikationen dieser Behauptung sind vielfältig; ent­ scheidend ist die Leugnung eines Gegensatzes von Kunst und Natur. Natur ist nur der Name der Kunst Gottes; weil alle Schöpfung Kunst ist, haben die Schöpfungen des Menschen einen ähnlichen Status wie die Schöpfung Gottes. Das ist das Weltbild des >artifexartificerfiat< steht dafür, daß Gott und seine Schöpfung nicht identisch sind.5 Gott spricht von einem Punkt außerhalb der Schöpfung und begründet so die Welt. Aber wie ist die Schöpfung eines Common-wealth zu denken? Die Verträge und Bünde, die den Leviathan wie das göttliche >fiat< begründen, sind nur in totaler Im­ manenz zu denken. Menschen schaffen den künstlichen Menschen, dem sie >später< ihr Leben verdanken. Mehr noch, es sind eben die Menschen, die als Glieder Teil des künstlichen Menschen werden, die diesen großen, künstlichen Menschen begründen. »Pacts and Covenants«, Verträge und Bünde, ersetzen das göttliche >fiatWorthandlungenfiatmutuall CovenantsCommon Power< nennt.9 Mit der Figur des Souveräns, dem Sitz der Common Power, treibt Hobbes frühzeitig den politischen Immanentismus der Neuzeit auf die Spitze, insofern noch die mythisierte Instanz, welche die Existenz des Gemeinwesens verbürgt, sich menschlicher Kunst verdankt. Doch zugleich überschreitet Hobbes diesen Immanentis­ mus, insofern die menschliche Schöpfung des Common-wealth ihre eigene Transzendenz10 in der Figur des Souveräns hervortreibt. Wie Anti-Aristotelismus. Aristoteles hatte aus der Tatsache, daß der Mensch über Sprache verfügt, dessen gesellschaftlichen Charakter abgeleitet. Daß es ohne Sprache weder Staat noch Gesellschaft noch Frieden gäbe, könnte noch auf der aristotelischen Linie interpretiert werden. Der Hinweis darauf jedoch, daß es ohne Sprache auch keinen Ver­ trag (contract) geben würde, verschiebt die Argumentation: Staat, Gesellschaft, Frieden sind nur vertraglich begründet denkbar. Sprache ist die Bedingung von Verträgen - und ein solcher Vertrag ist die Bedingung von Staat, Gesellschaft und Frieden. Also be­ stimmt die Existenz der Sprache den Menschen nicht als zoon politikon, sondern als ein Wesen, das Gesellschaft eingehen kann, weil es durch die Sprache in die Lage ver­ setzt wird, Verträge zu schließen. 8 Vgl. J. N. Figgis, The divine right of kings; J. P. Sommerville, Richard Hooker, Hadrian Saravia, and the advent of the Divine Right of Kings; E. H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. 9 Leviathan XVII, S. 134. 10 M. Foucaults großes politik-kritisches Projekt unterscheidet in methodischer und po­ litischer Absicht zwei Diskurse über die Macht und den Staat: den aufs Recht fixierten Diskurs der Souveränität und den auf die Bedingungen und Effekte der Unterwerfung ausgerichteten Diskurs von Norm und Disziplin. Souveränität steht für die Möglichkeit, den politischen Raum auf eine externe Figur der Referenz zu beziehen, den König. Dis24

PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

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Ursprung als Legitimitätsquelle

die Welt als Schöpfung in Gott ruht, so der >Body Politique< im Sou­ verän. Doch während Gott als der unbewegte Beweger vorgestellt werden konnte, als der unverfügbare Andere, in dem dem Wortsinne nach alles ruhen konnte, ist der >lieutenant of GodBody Politique< sichtbar macht.

1. Ursprung als Legitimitätsquelle Das Kernstück der Hobbesschen Staatslehre bildet die Figur der Sou­ veränität: Non est potestas super terram quae comparetur ei. Weil Hobbes die paternalistischen Theorien zur Begründung der Mon­ archie11 ebenso haltlos erscheinen wie das divine right of kingship, auf das sich mit Verve James I. gestützt hatte, muß er ein neues Mo­ dell entwickeln, das das Faktum der Herrschaft erklären und recht­ fertigen kann. Ein solches Modell findet Hobbes in den schon histo­ rischen Modellen des Gesellschafts- und Herrschaftsvertrages.12 Die Verbindung von Souveränitäts- und Vertragslehre bildet einen radi­ kalen Einschnitt in die Geschichte der politischen Theorie, insofern ziplin und Norm steht für den Versuch, das tatsächliche Funktionieren des Staates als einen Effekt von Techniken zu bestimmen, die dem Staat in einem Maße immanent wären, daß der Staat als der status dieser Techniken erscheinen kann. (Governmentality; ders., Recht der Souveränität / Mechanismus der Disziplin. Vgl. zu den Bedingungen und Konsequenzen dieser methodischen Unterscheidung Adam / Stingelin, Übertra­ gung und Gesetz, S. 7ff.) Historisch gesehen hat die Figur der souveränen Externalität ihr Muster an den royalistischen Ideologien, die den König über die feudalistische und korporatistische Gewaltengemengelage setzen. Bei Hobbes ist die souveräne Externalität aus der merkwürdigen Ausgestaltung des staatsbegründenden Vertrages abzuleiten: Der Souverän steht außerhalb des durch mutuall covenants begründeten politischen Körpers, der doch nur durch ihn und in ihm existiert. Der pragmatische Hintergrund der Weigerung, den Souverän als ein Vertragssubjekt anzuerkennen, liegt auf der Hand. - Und tatsächlich wird man in der Folge fragen dürfen, ob nicht gerade diese pragmati­ schen Erwägungen die Rede vom Vertragstheoretiker Hobbes unangemessen erscheinen lassen. - Doch in der Struktur des Verhältnisses von Souveränität und Body Politique spiegelt sich auch ein Muster der Transzendenz. Das theologische Muster der Transzen­ denz Gottes gegenüber seiner Schöpfung erscheint säkularisiert in der Externalität des Souveräns gegenüber dem politischen Körper. Die Tatsache, daß der Souverän kein Ver­ tragspartner ist, befördert dessen Transzendenz. 11 Vgl. G. J. Schochet, Patriarchalism and Political Thought; J. P. Sommerville, Politics and Ideology in England, S. 27 ff. 12 Vgl. zum historischen Überblick, W. Kersting, Art. >Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertragreaktionärec, die gegenrevolutionäre Staatslehre deutlich erkannt: wer Souveränität sagt, meint die Ab­ schaffung der Monarchie - weil er immer die vertragliche Begründung der Herrschafts­ verhältnisse mitdenkt. Vgl. Carl Ludwig von Haller, Die Restauration der Staatswissen­ schaft. 15 »La souverainete est la puissance absolue et perpetuelle d'une Republique.« (Six Li­ vres, 1,8) David Parker sieht das Gemeinwesen bereits bei Bodin »not simply [defined] as a government characterized by the possession of sovereignty but as a >lawfulc govern­ ment.« (Law, society and the state, S. 258) 16 Zur Gegenüberstellung der mittelalterlichen politischen Struktur und des modernen Staates vgl. Otto Hintze, Wesen und Wandlung des modernen Staates, S. 470ff.; Otto Brunner, Land und Herrschaft. 17 Daß Bodins Entwurf der Republik noch in ganz anderer Weise als 80 Jahre später der 26

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Ursprung als Legitimitätsquelle

der Souveränität weitgehend unberücksichtigt. Denn in der Frage nach der Begründung der Souveränität wird das Legitimationspro­ blem der Monarchie wie jeder anderen Herrschaftsform virulent. Bodins Argumentation vermeidet die Klippen einer Legitimations­ argumentation; er kann das, so darf man sagen, weil seine historisch­ juridisch-pragmatische Argumentation auf das Prinzip der Evidenz angesichts der aktuellen Probleme Frankreichs setzen kann. Daß eine Instanz gefunden werden muß, die den konfessionellen Bürgerkieg beendet, ist entscheidend, nicht die Frage, wie die Verkörperung der Souveränität jeweils konkret begründet werden könnte.18 Bodins Nachlässigkeit gegenüber einer Begründung der Souve­ ränität ist für Hobbes in theoretischer Hinsicht inakzeptabel, weil Souveränität im Gegensatz zu bloßer potestas als Rechtsbegriff ohne Begründung nicht zu denken ist; und diese Nachlässigkeit ist in prak­ tischer Hinsicht inakzeptabel, weil die Legitimationsprobleme selber Gegenstand eines Dissenses werden können, der die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens gefährdet. Die Tatsache der Herrschaft selbst hat zwar nicht unbedingt jede Selbstverständlichkeit verloren, doch sie muß jetzt neu begründet werden. Hobbes' Konzept der Sou­ veränität bricht deshalb mit jeder gewohnheits- und naturrechtlichen Argumentation.19 Die Tatsächlichkeit der gewohnheitsrechtlich be­ >Leviathan< des Thomas Hobbes unter dem Eindruck der gewachsenen politischen Strukturen und der spezifisch französischen Macht- und Kompetenzverteilung steht, ist unabweisbar. Gerade die für Bodin ganz spezifische Mischung aus historischer, juri­ discher und pragmatischer Argumentation verhindert den letzten Schritt zur reinen Souveränität. Diese nämlich kann nur Gegenstand einer Konstruktion sein, die gerade die geschichtlichen Traditionsbestände außer acht läßt. Nur die wissenschaftsmethodo­ logischen Präliminarien und der erklärte Wille, die politische Philosophie als Theorie der Konstruktion zu entfalten, erlauben dem Engländer die freie Entfaltung des Kon­ zeptes der Souveränität. 18 Bei allem Bemühen, die Souveränität als unabhängig vom Konsens der Unterworfe­ nen zu begründen, ging es Bodin doch gleichzeitig um eine Begrenzung der königlichen Autorität (Parker, Law, society and the state, S. 275 f.) - ihm war es demnach eher um die Behebung von Mißständen innerhalb der bestehenden Ordnung zu tun, als um deren Legitimierung: »Bodin is seeking not just a renewal of royal authority, vital though that was, but a restoration of order in the widest sense; this requires that authority be moderated by justice, faith and virtue, thereby achieving that harmonious balance of contrary forces which could be seen in nature.« Siehe hierzu Jean Bodin, Les six livres de la republique, I, 8. 19 Vgl. Leviathan XXVI, S. 204f.: »Wenn lange Gewohnheit Gesetzeskraft erlangt, so kommt sie nicht durch die Länge der Zeit, sondern durch den Willen des Souveräns zustande, den er durch sein Schweigen zu erkennen gegeben hat [...], und sie ist nicht länger Gesetz, als der Souverän in dieser Frage schweigt.« Zur Bedeutung des Gewohn­ ^

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Repräsentation und Autorisierung

gründeten Institutionen versinkt im Sog der neuen Anforderungen. Auf die neuen Anforderungen antwortet eine Philosophie des Staa­ tes, die den Staat und seine Institutionen einzig aus den Prinzipien der Vernunft entwickelt.20 Das ist der Ursprung der politischen Auf­ klärung, die den Staat und seine Institutionen vor den Richterstuhl der Vernunft zieht, wo sich alle Herrschaft rechtfertigen muß.21 Vor diesem Richterstuhl aber gilt nur eine Rechtfertigung von Herr­ schaft: ihre vernünftige Begründung aus der Freiheit der vielen Ein­ zelnen. In der Begründung der Souveränität verschränken sich >explanativ-rekonstruktive und legitimationstheoretische Konzepten22 Die Begründung der Souveränität, ihre Entstehung und ihr Ursprung ist ihre Rechtfertigung - nicht ihre einzige, aber die juridisch entschei­ dende. Wie später Rousseau beharrt auch Hobbes auf der Differenz von Stärke und Recht und insofern auf der Differenz von >potestas< und Souveränität: Weil bloße Macht keinen Rechtstitel begründen kann, muß Hobbes, wie Rousseau, das Phänomen der Herrschaft sel­ ber aus einem Rechtsakt ableiten. Sowohl Hobbes als auch Rousseau begründen die Legitimität der Herrschaft, um die Pflicht zum Gehor­ sam zu begründen. Mit dem ihm eigenen polemischen Pathos ver­ weigert Rousseau der auf bloßer Macht gegründeten Herrschaft jede Legitimation: Macht begründet nie Recht, sondern immer nur wie­ der Machtverhältnisse.23 Den anti-traditionalistischen Affekt hat Rousseau von Hobbes geerbt: Aus der bloßen Tatsächlichkeit von Herrschaft kann nicht auf die Legitimität ihres Grundes geschlossen werden. Während Rousseaus Argumentation jedoch ganz und gar vom moralischen Pathos der Aufklärung getragen ist, beschwört Hobbes die juridische Form als den Ursprung legitimer Herrschaft. Doch diese Beschwörung ist kein Selbstzweck: legitime Macht, >just PowerVertragauctoritas non veritas facit legem< heißt nicht, daß die Gesetze als hloße Effekte jeder heliehigen Macht erscheinen könnten. Es ist die >just powerLeviathan< vornimmt, ist mehr als rätselhaft. Der Naturzustand war ja argumentativ durch die absolute Vorherrschaft der mechanistischen Anthropologie gekennzeichnet. Aus der Argu­ mentation des Naturzustandes und seiner Begründung ist die juri­ dische Argumentation jedenfalls schwer abzuleiten. Repräsentation und Autorisierung können ohne Zweifel kaum dem status naturalis zugeordnet werden; sie sind vielmehr selber schon Teil jener Künst­ lichkeit, die sie begründen. In den treibenden Rythmus der vorheri­ gen Argumentation ist dieses Kapitel nicht mehr eingebunden; die theatralisch-juridischen Präliminarien der Souveränitätslehre wer­ den jedoch noch in das erste Buch des Leviathan eingefügt, um die Elemente der legitimierenden Begründung des Staates noch in der Vorstaatlichkeit zu prägen. Vertreten werden kann nur aufgrund von Autorisierung; Autorisierung ist der Rechtsgrund der Vertretung.42 »Bei einigen künstli­ chen Personen verhält es sich so, daß ihre Worte und Handlungen denen eigen sind, die sie vertreten.«43 Hier hat eine Übertragung stattgefunden, die die künstliche Person als schauspielernden Vertre­ ter (Actor) auszeichnet, als Autor und Urheber jedoch denjenigen, dem deren Handlungen oder Worte eignen. In diesen Präliminarien zur Souveränität darf der Rechtstitel, den die Autorisierung be­ gründet, ebensowenig übersehen werden, wie die Verschiebung des Ortes der Autorität. Autorität ist das »Recht auf irgendeine Hand­ lung«.44 Die Autorität aber liegt nach dem Akt der Autorisierung 41 Zur Bedeutung des Begriffes »Person« siehe Tönnies, Thomas Hobbes, S. 239. 42 Vgl. Polin, L'obligation morale et politique, S. 142. 43 »Of Persons Artificiall, some have their words and actions Owned by those whom they represent.« (Leviathan XVI, ed. Macpherson, S. 218) Die Einschränkung ist kaum verständlich. Sollte es künstliche Personen geben, die nicht repräsentieren, die nicht durch Autorisierung zustandekommen? 44 Leviathan XVI, S. 124. ^

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Repräsentation und Autorisierung

nicht heim Autor, sondern heim Actor. Natürlich betont Hohhes die Urheberschaft des Autors - nicht zuletzt aus pragmatischen Grün­ den.45 Tatsächlich aber fungiert Autorisierung als ein Ermächti­ gungsgesetz, das das Verhältnis von Actor und Author ein für alle mal umdrehen wird: Denn der Vertretene hat sich zumindest des Rechtes auf bestimmte eigene Handlungen begehen, um die Hand­ lungen seines Actors als die eigenen anzuerkennen.46 Enteignende Ermächtigung: das mag als Kurzformel für den Vorgang der Autorisierung dienen, der die Legitimationsstruktur der Souveränität beschreibt.47 Das verblüffende Verhältnis von >Author< und >Actor< wird von Hohhes durch den Begriff der Reprä­ sentation erläutert und ergänzt. Die Person ist, wie oben zu sehen war, Repräsentant: >to personate is to act or represent himself or an otherEntmündigung< der Autoren durch den Akt der Autorisierung. 36

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sehen gibt (Dominion of Persons), und Götzen, zu deren Wesen es gehört, niehts zu sein, können nur dureh die Autorität des Staates vertreten werden. Im Normalfall der Repräsentation autorisiert der Repräsentierte den ihn Repräsentierenden. Hohhes aber zeigt nieht nur, daß, sondern aueh warum Ausnahmen denkbar sind; dann kommt ein Dritter ins Spiel, der die Reehtmäßigkeit der Repräsenta­ tion verbürgt, indem er für den oder das in die Bresehe springt, das nieht autorisieren kann.48 Auf den ersten Bliek mag es den Ansehein haben, als oh dieser Zweig der Argumentation in eine Saekgasse führte. Seine Bedeutung wird von Hobbes weder hier noeh später erläutert. Man wird aber später sehen können, daß die Mögliehkeit, Autorisierung und Repräsentation zu trennen, für den Charakter und den Bestand der Souveränität größte Bedeutung hat, weil sie eine Mögliehkeit bietet, den Reehtstitel der Souveränität - und zwar gegen die aufkläreriseh-legitimierende Argumentationsstrategie vom Vertragsparadigma und dem leitenden Gedanken der Autorisierung abzulösen. Autorisierung und Repräsentation sollen den künstliehen Men­ sehen, den »Body Politique« aus dem unstrukturierten Naturzustand heraus begründen. Dabei muß Hobbes ein diffiziles Problem lösen: Er muß die Repräsentation einer Menge so denken, daß aus der Men­ ge selbst eine Person wird.49 Die bisher vorgestellten Beispiele von Autorisierung und Repräsentation haben den Status des Repräsen­ tierten nieht verändert: Sie haben eine Person vorausgesetzt, die als Inhaber von Reehten ersehien, die sie übertragen konnte. Jetzt aber will Hobbes das staatsreehtliehe Wunder erklären: die Transformati­ on einer Menge in einen Körper, die Transformation einer Menge in eine Person. »Eine Menge von Mensehen wird zu einer Person gemaeht, wenn sie von einem Mensehen oder einer Person vertreten wird und 48 Einen etwas kniffligen Fall stellt die Vertretung des wahren Gottes dar: Gott ist ent­ weder von Moses, Jesus und dem Heiligen Geist (engl. Fassung) oder nur von Jesus und dem Heiligen Geist vertreten worden. Die Legitimität dieser Vertretung kann nun al­ lerdings nieht in juridisehen Termini formuliert werden, sie ist für die, denen gegenüber repräsentiert wird, eine Saehe des Glaubens. Hier sehweigt Hobbes. Man mag dieses Problem auf das Problem der Unmögliehkeit von Verträgen mit Gott zurüekbeziehen. (Leviathan XIV, S. 106) Für die Religionspolitik des >Leviathan< ist es jedenfalls entseheidend, daß weder Priester noeh der Papst als mögliehe Stellvertreter Gottes erwähnt werden. 49 Vgl. Tönnies, Thomas Hobbes, S. 239 f. ^

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sofern dies mit der besonderen Zustimmung jedes einzelnen dieser Menge geschieht. Denn es ist die Einheit (Unity) des Vertreters, nicht die Einheit der Vertretenen, die bewirkt, daß eine Person entsteht (that maketh the Person One). Und es ist der Vertreter, der die Per­ son, und zwar nur eine Person verkörpert - anders kann Einheit bei einer Menge nicht gedacht werden.«50 »Multitude naturally is not One, but Many.«51 Nun ist die Men­ ge, der Haufen, mit dem es nach Hegel der Begriff nie zu tun hat, kein Rechtsbegriff52; Menge ist der Plural physischer Körper - unver­ bunden, chaotisch, formlos. Menge ist also ein Zustand der Natur; es ist Hobbes' Ziel zu beschreiben, wie aus dieser Vielzahl natürlicher Körper ein künstlicher Körper geschaffen werden kann. Das ge­ schieht durch Repräsentation: Denn Einheit ist nicht aus der Menge heraus zu denken, sondern nur durch etwas, was dieser Menge tran­ szendent ist.53 Damit aus einer Menge eine Person werde, also aus einer Vielzahl natürlicher Körper ein juridischer Körper, muß diese Menge in einer anderen Person vertreten werden. Also entstehen zwei neue Rechtssubjekte: Repräsentant und Repräsentierter - poli­ tisch gesprochen Souverän und Common-wealth. Die Einheit des po­ litischen Körpers ist also nicht aus dem Willen seiner Mitglieder zur Einheit ableitbar, sondern nur aus der Tatsache, daß die vielen Ein­ zelnen einen einzigen Repräsentanten anerkennen, der dadurch ge­ meinsamer Repräsentant wird. Repräsentation ist also kein Modus von Darstellung, sondern ein privilegierter Modus der Herstellung.

50 Leviathan XVI, S. 125f. 51 Leviathan, ed. MacPherson, XVI, S. 220. 52 Grundlinien der Philosophie des Rechts, §273. 53 Die theologischen Vorbilder dieses Gedankens sind unübersehbar: Die Vereinigung der Christenheit in der Person Christi einerseits, die Existenz der katholischen Kirche in der Rechtsfigur des Papstes andererseits bieten ein Paradigma, von dem auch die Politi­ sche Theorie der Neuzeit lebt. (Zur Ausbildung und Gestaltung des theologischen Körperschaftsbegriffes, zur Transformation der mystischen in eine kirchenrechtliche Ar­ gumentation vgl. Henri de Lubac, Corpus Mysticum. Eucharistie und Kirche im Mittel­ alter; zum säkular-politischen Körperschaftsbegriffs und seinen theologischen Wurzeln vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs.) Hobbes' Versuch, den Gedan­ ken der transzendent verstandenen Legitimation durch das Autorisierungsargument abzulösen, muß an der Struktur der Repräsentation festhalten. Nur zu deutlich bedeutet die Figur der Souveränität die Wiederkehr der politischen Transzendenz, wenngleich diese - und das ist ein theoretisches Wunder - immanent begründet wird. Die Struktur der Legitimation und diejenige der Repräsentation klaffen argumentativ auseinander. 38

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Repräsentation ist der Modus der Herstellung künstlicher Körper und zwar allererst: des politischen Körpers.54 Vor der Tatsache der Repräsentation existiert das Repräsentierte nicht: Es verdankt sein Lehen nur der Repräsentation, der Verkörpe­ rung in einer anderen Person. Diese denkwürdige Wendung der Re­ präsentationslogik hildet das Herz der Souveränitätslehre, insofern sie die Autorisierungslogik spiegelt und ergänzt. Die Repräsentati­ onslogik übersetzt die Struktur der enteignenden Ermächtigung in eine andere Sprache. Sie erst erlaubt die einzigartige Umdeutung der politischen Vertragslehre. Die Tatsache der Repräsentation geht der Einheit des Repräsentierten voraus; dieses Modell ermöglicht die Abkehr vom klassischen Begründungsverhältnis der Vertragslehre, in der die Existenz des Gemeinwesens seiner Repräsentation voraus­ geht - und in der insofern die Existenz des Gemeinwesens auch un­ abhängig von der Tatsache seiner Repräsentation gedacht werden kann. Erst die Anwendung der Hobbesschen Repräsentations- und Autorisierungslogik auf die Begründung des Staates vor dem Hinter­ grund der Erzählung vom Naturzustand macht deutlich, daß Hobbes mit der Bestimmung des Verhältnisses von Repräsentation und Ein­ heit einerseits, mit der Bestimmung des Verhältnisses von Actor und Author andererseits eine Möglichkeit andeutet, das Konzept der Sou­ veränität zwar in aufklärerisch-legitimierender Absicht zu entwikkeln, es jedoch sodann von den normativen Altlasten zu befreien, die dem Konzept der Souveränität durch die vertragstheoretische Be­ gründung anhaften könnten. Weil die Einheit der Menge erst dann gedacht werden kann, wenn ihre Repräsentation vollzogen wird, kann diese Menge nicht das Subjekt der Autorisierung sein, die der Repräsentation zugrunde liegt. Autorisieren nämlich kann nur ein Rechtssubjekt, eine Person also: Zur Person aber gehört die Einheit als Bedingung. Deswegen kann Hobbes nur die natürlichen Subjekte der Menge als Autoren denken - diese nämlich sind Rechtssubjekte, schon bevor sie reprä­ sentiert werden. >Die vielen Einzelnen sind Autoren all dessen, was ihre gemeinsame Vertretung in ihrem Namen tut oder sagte Die in­ dividualisierende Perspektive der vertraglichen Begründung ist mit all ihren Voraussetzungen und Konsequenzen oft genug betont wor­ den. Unter den Bedingungen des revolutionär-individualistischen Naturrechts kann nur individuelle Autorisierung als der Grund legi­ 54 Zur Problematik vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 204ff. ^

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timer Herrschaft bestimmt werden; denn nur so kann dem auf­ klärerischen Gebot der natürlichen Autonomie Rechnung getragen werden. Doch die verheerenden Folgen dieser Konstruktion sind unübersehbar. Indem sie dem Einzelnen die Begründung des Staates auferlegt, setzt sie ihn zugleich völlig ungeschützt der souveränen Willkür aus. Die mittlere Instanz der societas, die in den traditionel­ len Mustern der Begründung von Herrschaft so entscheidend war, kann in Hobbes' Deutung der vertraglichen Begründung des Staates keinen Platz finden. Denn diese antwortet nicht bloß auf das Problem der Begründung von Herrschaft, sondern auf das Problem der Be­ gründung des Staates aus der Notwendigkeit, den Naturzustand zu verlassen. Hobbes' Begründung der Souveränität geschieht nicht vor dem Hintergrund einer schon strukturierten Welt, sondern als eine Schöpfung aus dem Chaos heraus. Auch aus diesem Grunde ist die individualistische Wendung des staatsbegründenden Vertrages un­ ausweichlich. Einheit in der Repräsentation: noch diese verführerische Formel unterschlägt den Kern des Problems. Das Geheimnis des Staates liegt in der Existenz eines >common Representerc Doch worin ist die Ge­ meinsamkeit des Repräsentanten begründet - und warum stiftet Re­ präsentation Einheit? Die Antwort auf diese Frage hat, was den Staat betrifft - und nur er ist hier interessant - mit dem Umfang der Auto­ risierung zu tun. »Every man giving their common Representer, Authority from himselfe in particular; and owning all the actions the Representer doth, in case they give him Authority without stint.«55 Der politische Körper, so wird man sagen können, zeichnet sich gegenüber allen anderen künstlichen Körpern dadurch aus, daß seine Mitglieder ihn mit »uneingeschränkter Vollmacht«56 aus­ gestattet haben. Uneingeschränkte Vollmacht bedeutet: Staat ist der­ jenige künstliche Körper, diejenige Person, deren sämtliche Handlun­ gen57 unter allen Umständen von seinen Mitgliedern als die ihren 55 Leviathan, ed. MacPherson, XVI, S. 221. 56 Leviathan XVI, S. 126. 57 Die Begründung des Staates geschieht dadurch, »... daß jedermann alles als eigen anerkennt (to owne and to acknowledge), was derjenige, der auf diese Weise (jeder­ manns) Person verkörpert, in Dingen des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Sicherheit tun und veranlassen wird, und sich selbst als Autor alles dessen bekennt, und dabei den eigenen Willen und das eigene Urteil seinem Willen und Urteil unter­ wirft.« (Leviathan XVII, S. 134) Es gehört zu Hobbes' eindeutiger Uneindeutigkeit, die­ ses Problem so zu formulieren, daß zwei Lösungen denkbar sind: Tatsächlich nämlich 40

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Enteignende Ermächtigung

anerkannt werden, weil sie alle Handlungen des den politischen Körper repräsentierenden Souveräns autorisiert haben.58 Nur weil sie ihren Repräsentanten mit unbegrenzter Autorität ausgestattet haben, wird aus den vielen Einzelnen ein >Body PolitiqueBody Politiqueabsoluter Reprä­

sind nicht alle Handlungen des Souveräns autorisiert, sondern nur jene, die dem Zweck des Friedens und der Sicherheit dienen. Allerdings erzwingt die meta-juristische Be­ gründung der Souveränität (common Representer als common Power, s.u.), daß das Urteil darüber, welche Handlungen autorisiert sind und welche nicht - welche sich also auf den Zweck des Staates, der hier mit Frieden und Sicherheit bezeichnet ist, beziehen und welche nicht -, daß dieses Urteil im Kompetenzbereich des Souveräns liegt. Über die Grenzen der Autorität bestimmt in diesem Falle nicht, wie das ja im 16. Kapitel durchaus noch gedacht war (Leviathan XVI, S. 126), der Autorisierende, sondern der Autorisierte. (Eben diesem Muster folgt Rousseaus Gestaltung des Vertrages durch die >alienation totalePrincipe< gehört. Die später immer wieder eingeklagte Herr­ schaft des Gesetzes hat eben diese Tendenz, die Fragen nach der Besetzung der Herr­ schaftsinstanzen zu ignorieren. An die Stelle der personalen Herrschaft tritt in diesen Gedankengebäuden die Herrschaft der Norm. Damit sollen zentrale Legitimationspro­ bleme des Politischen verdrängt werden. Der Topos von der Herrschaft der Gesetze ist allererst aus einem moralischen Skeptizismus geboren, der gegen die Launen der je und je konkreten Menschen die Konstanz des in der Vernunft begründeten allgemeinen Gesetzes stellt. Ob dieser Verdrängungsversuch auch nur erfolgreich sein kann, ist mehr als zweifelhaft. Das Recht muß als Gesetz formuliert, erlassen und angewandt werden; damit kehrt die Frage nach der Besetzung jener Positionen zurück, die diese Aufgaben übernehmen. Unter Engeln kann das Problem der Herrschaft selbst und seiner persona­ len Ausgestaltung ignoriert werden - denn zu ihrem Wesen gehört die zwanglos-ewige Übereinstimmung, die nicht zuletzt eine Folge ihrer Nicht-Individualität wäre. Von Menschen aber kann dieser Traum nur um den Preis der politischen Verblendung ge­ träumt werden. ^

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Repräsentation und Autorisierung

über sie herrschen soll. Autorität also ist ein Attribut des Herrschers, das er den Beherrschten verdankt. Autorität ist allererst ein Prinzip der Freiheit. Der Schatten, den das Bild des Leviathan über die Rezeption des Werkes geworfen hat, hat die Wahrnehmung dieses Prinzips immer wieder verdunkelt. Hobbes' Autorität ist ein - im Maßstab der europäischen Geistes­ und politischen Geschichte - neues Prinzip der Herrschaft. Ein durchaus zweischneidiges Schwert ist es allerdings, das Hobbes gegen die Tradition führt. An der Verdunkelung seines Freiheits-Prinzips hat Hobbes selbst maßgeblichen Anteil. Freiheit ist nur das Prinzip, das die Begründung der Herrschaft in legitimierender Absicht aus­ zeichnet - und nicht das politische Prinzip des Lebens des politischen Körpers. Dessen Prinzip nämlich heißt Souveränität als absolute Herrschaft entfaltet. Hobbes' Versuch, jede Herrschaft aus den als Freiheit bestimm­ ten natürlichen Rechten der Beherrschten abzuleiten, ist gerade we­ gen der intendierten Stärkung der >Staatsgewalt< nicht hoch genug einzuschätzen - daß dabei der Begriff der Freiheit eine nicht ganz unerhebliche Umdeutung erfahren muß, braucht nicht geleugnet zu werden.66 Allein, das Freiheitspathos des Hobbes verharrt in einer seltsamen Ambivalenz: stellt Rousseau die Freiheit als Zweck der Vergesellschaftung selbst in den Vordergrund, so erscheint Freiheit bei Hobbes allererst als bloße, allerdings notwendige Bedingung der Vergesellschaftung aus dem Naturzustand heraus. Freiheit ist eine natürliche Qualität des Menschen, die ihre >politischen< Wirkungen ungehemmt nur im Naturzustand entfaltet. Weil Gleichheit und Freiheit gleichermaßen zu den »natürlichen Bedingungen der Menschheit in Hinblick auf ihr Glück und Unglück«67 gehören, kann sich die staatliche - wie jede andere - Gehorsamszumutung nur der freien Unterwerfung eines jeden Einzelnen verdanken.68 66 Vgl. Villey, Le droit de l'individu. S. 195: »ces droits [des Individuums, A. A.] si forts, et si severement sanctionnes, ne le sont toutefois qu'en droit prive et envers les particuliers; non pas a l'encontre de l'etat. C'est le prix qu'il a fallu payer pour s'assurer les droits civils: laisser le prince omnipotent, le laisser titulaire de son droit universel de l'etat de nature, renoncer, vis a vis de lui, a toute espece de resistance. Alors le droit du citoyen, si solidement institue dans les rapports de droit prive, s'aneantit devant l'etat.« 67 Leviathan XIII, S. 94. 68 Leviathan XXI, S. 168: »Man kann nämlich nur durch eigenes Handeln verpflichtet werden, denn alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei.« Vgl. Raymond Polin, L'obligation morale et politique, S. 135 ff. 44

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Die Urszene des modernen Staates besteht in einem Verzichts­ oder Begünstigungsvertrag, einem Vertrag zugunsten eines Dritten. Die vielen Einzelnen schließen untereinander einen Vertrag oder besser eine Vielzahl von Verträgen, durch den einer durch diesen Vertrag konstituierten Kunstfigur das Recht auf die Regierung der jetzt nicht mehr bloß vielen Einzelnen übertragen wird. Der Inhalt dieser vielen identischen Verträge besteht in der umfassendsten Autorisierung einer Person, mit der kein Vertrag geschlossen wird. Die vorgebliche Rationalität der Hobbesschen Konstruktion des Staa­ tes ist durch eine Vielzahl von verdeckten Fallen gekennzeichnet. Tatsächlich ist diese Rationalität ein Leitmotiv des Thomas Hobbes. Nicht allerdings, um die Vernunft im Politischen zu retten, sondern weil die Vernunft unwiderstehlich ist. Deshalb motiviert Hobbes den Ausgang aus dem Naturzustand, die Verstaatlichung der Menschen doppelt, durch Leidenschaft - die Furcht - und Vernunft.69 Ange­ sichts der methodischen Vorgaben des Thomas Hobbes, den Staat quasi-mechanistisch zu entfalten, ist die Doppelmotivation des Aus­ gangs aus dem Naturzustand nicht unproblematisch. Tatsächlich be­ deutet schon die Formulierung der Naturgesetze einen gewissen Bruch mit dem Paradigma der mechanistischen Logik. Erst der späte­ re Versuch, die Identität der Forderungen der Vernunft mit den Wünschen der Leidenschaft hervorzuheben, heilt diesen Bruch.70 Daß diese Heilung jedoch gerade im entscheidenden Moment der Begründung des Staates geschieht, bedeutet eine erhebliche Überlast für die Theorie. Tatsächlich ist Hobbes gezwungen, den Begriff der Vernunft auf ebenjene ökonomische Rationalität zu reduzieren, die den Leidenschaften eine Kosten-Nutzen-Analyse ihrer getriebenen 69 Die Theorie des Naturzustands, so Jean Hampton, »is not meant as a historical ac­ count of how actual states were created; instead, it is meant, at least in part, as a rational reconstruction of the state's creation designed to expose the reasons why creating a state (of a certain sort) is justified.« (Hobbes and the social contract tradition, S. 273) Hobbes versucht nachzuweisen, daß »rational people (described by this conception) have a certain compelling reason (either self-interested or other-interested or a combination of both) for leaving the state of nature by creating government.« (ebd., S. 272) 70 »Natur und Vernunft der Menschen werden von Hobbes in einem komplex-ambiva­ lenten Verhältnis gefaßt«, so Münkler (Thomas Hobbes, S. 124): »Kalkülrationalität ohne Furcht ist zu antriebsschwach, um diesen Schritt [des Übergangs vom Natur- in den Gesellschaftszustand, A. A.] erzwingen zu können; Furcht ohne Rationalität ist po­ litisch blind undverstärkt nur das Chaos. Beide müssen durch artifizielle Leistungen der Menschen so zueinander in Beziehung gesetzt werden, daß sie sich wechselseitig als ordnungskonstitutiv stabilisieren.« ^

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Handlungen vorstellt. Daß jedoch umgekehrt das mechanische Para­ digma nicht ungebrochen herrscht, erklärt überhaupt erst jene Frei­ heit, mit der die vielen Einzelnen aus dem Naturzustand heraus den Staat begründen. Wenn Hobbes in der Folge auf der Vernünftigkeit der Verstaatlichung beharrt, dann ist damit, anders als bei Rousseau und Kant, nicht betont, daß zur Würde des Menschen die Vernünf­ tigkeit des Politischen gehörte; diese Vernünftigkeit - und nicht zu­ letzt ihr verdankt sich das Vertragsparadigma - zielt vielmehr darauf, die Unwiderstehlichkeit des Staates zu begründen.71 Der Staat verdankt seine theoretische Unwiderstehlichkeit (auctoritas) den Prinzipien seiner Gründung - seine tatsächliche Un­ widerstehlichkeit (potestas) jedoch der nackten Macht des Souveräns. Mit unbeschränkter Vollmacht ausgestattet, erhebt der Leviathan sein neues Gesicht einer unwiderstehlichen Gewalt. Der Apparat der Vertragstheorie, die Theorie der Autorisierung und Repräsentation dient weniger dem Versuch, die Repräsentativität des Souveräns zu erweisen, als seine unwiderstehliche Gewalt zu begründen. Diese wird argumentativ aus dem theoretischen Apparat von Autorisierung und Repräsentation legitimierend abgeleitet, ist jedoch existen­ ziell in keiner Weise mit diesem Apparat verbunden. Aus dem com­ mon Representer, der die Einheit der Vielen zu repräsentieren vermag, weil er von jedem Einzelnen unbegrenzt autorisiert worden ist, wird common Power. Die Errichtung einer solchen allgemeinen Zwangsgewalt erst beendet die Wirren des Naturzustandes. Nur sie vermag die konfligierenden Interessen der vielen Einzelnen so zu regulieren, daß die Gefahr des gewaltsamen Todes gebannt und die Hoffnung auf den Genuß der Dinge berechtigt erscheint, die zu einem angenehmen Leben notwendig sind.72 Die Monumentalität der Zwangsgewalt ist allererst die Antwort auf ein Problem des Überganges vom Naturzustand zum status civi­ lis.73 Hobbes' Versuch, die Entstehung des Staates more geometrico 71 Vgl. Polin, L'obligation morale et politique, S. 147: »Pour faire tout a fait confiance au grand rationalisme de Hobbes, il faudrait reconnaitre que, en vertu de sa toute puissance et de sa solitude, la satisfaction des desirs du souverain ne rencontre plus ni obstacle, ni limite: il est devenu >a mortal Gode.« 72 Vgl. Schocket, Hobbes and the voluntary basis, S. 66. 73 Daß die Zwangsgewalt in ihrer Monumentalität auch nach dem vollbrachten Aus­ gang aus dem Naturzustand fortbesteht, kann nur durch das Fortbestehen des Natur­ zustandes hinter der dünnen Folie der Staatlichkeit erklärt werden. Der Ausgang aus dem Naturzustand ist kein einmaliges Ereignis, sondern der Prozeß der Staatlichkeit 46

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Common Representer, Common Power

oder besser noch: nach der Art der Physik zu denken74, gleichzeitig jedoch ein juridisches Paradigma zu benutzen, erzwingt eine Stär­ kung eben dieses juridischen Paradigmas. Der Versuch, die Prinzipien des Staates im Naturzustand zu verankern, dabei jedoch den Zwang, der die Bewegung natürlicher Körper kennzeichnet, in die politische Mechanik zu überführen, lenkt Hobbes auf eine seltsame Straße. Gerade die epistemisch begründete Annahme des Naturzustandes führt zur verzerrenden Neudeutung des Vertragsparadigmas. Die Vertragsmodelle des 16. Jahrhunderts75 jedenfalls sind bei Hobbes kaum noch wieder zu erkennen. Was vom Vertragsdenken geblieben ist, ist jetzt in einem merkwürdigen Spiel von Selbstreflexivität und Transzendenz befangen, das die Tendenz der hergebrachten >Vertragstheorie< in ihr Gegenteil verkehrt. Durch Vertrag, so die Theorien des 16. Jahrhunderts, wird die normative Bindung des Herrschers gesichert. Diese Theorien ver­ suchen eine Antwort auf das Probem zu geben, rechte Regierung gegenüber den Betroffenen zu verbürgen. Hobbes' Problem liegt tie­ fer: Da der Mensch kein zoon politikon ist, muß überhaupt erst er­ klärt werden, wie die Sozialität zu denken ist. Die Vertragsentwürfe des 16. Jahrhunderts versuchten sich ex post an der normativen Bin­ dung des Herrschers einer schon konstituierten Gesellschaft. Hobbes dagegen muß erst klären, wie überhaupt Gesellschaft zustande kommt. Dieses Problem kennt das traditionelle Vertragsdenken nicht. Die Evidenz einer tatsächlich schon existierenden Gesellschaft einerseits, das nicht hinterfragte politische Wesen des Menschen an­ selbst. Deshalb können all jene Attribute, die der Souveränität um der monumentalen Aufgabe willen zugeschrieben werden, den Ausgang aus dem Naturzustand zu gewähr­ leisten, auch im status civilis weitergedacht werden. Der Staat des Thomas Hobbes ist der Staat des andauernden Ausnahmezustandes. Er betätigt sich als der Katechont, als der Niederhalter des ewig drohenden Naturzustandes. Die apokalyptische Option der Theorie ist unübersehbar: sie schließt jede geschichtsphilosophische Wendung des jetzt und immer Gleichen aus. 74 Politik oder Staatsphilosophie ist, darauf weist Hobbes in seiner Einteilung der Wis­ senschaften hin, das Pendant der Naturphilosophie. Diese hat es mit natürlichen Körpern, jene mit politischen, also künstlichen Körpern zu tun. (Leviathan IX, S. 65) Den Lehren der traditionellen Moralphilosophie tritt Hobbes mit einer neuen scientia civilis entgegen, die sich an der Methode der Geometrie orientiert: Da alle Störungen des Zusammenlebens sich nur falschen Vorstellungen von Recht und Unrecht verdan­ ken, kann die methodisch gesicherte wahre Philosophie selbst den ewigen Frieden ver­ sprechen. (Vom Bürger, Widmung S. 60 ff.; vgl. Bernd Ludwig, Scientia civilis more geometrico) 75 Vgl. Gierke, Althusius. ^

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Repräsentation und Autorisierung

dererseits, rücken die Notwendigkeit, Gesellschaft seihst zum Gegen­ stand der politik-philosophischen Erörterung zu machen, in den Hin­ tergrund. Der Verzicht auf historische und normative Evidenzen in der Hohhesschen Argumentation wird durch deren tahula-rasa-Gestus erzwungen. Doch in diesem Gestus spiegeln sich nicht nur wis­ senschaftstheoretische Erfordernisse. Die Argumentation des Leviat­ han ist vielmehr von Anheginn durch das Ziel gekennzeichnet, den Ahsolutismus der Souveränität zu hegründen. In diesem Sinne dürfen die Prämissen der Hohhesschen Theorie durchaus aus ihren Resultaten heraus gedeutet werden. Der umgekehrte Versuch jeden­ falls, den Begriff der Souveränität aus den Prämissen heraus ahzuleiten, imitiert naiv den konstruktiven Gestus des Engländers - ohne dessen Intentionen gerecht zu werden. Hohhes' Argumentation aher ist immer nur verständlich, wenn ihr heimlich teleologischer Cha­ rakter in Rechnung gestellt wird. Wenn der Ühergang von einem konfliktträchtigen status naturalis, der durch das Recht aller auf alles gekennzeichnet ist, zum sta­ tus civilis durch Vertrag hewerkstelligt werden soll, dann stellt sich noch vor aller inhaltlicher Bestimmung des Vertrages die ganz for­ male Frage nach der Geltung von Verträgen im Naturzustand. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages oder dieser Verträ­ ge ist von sekundärer Bedeutung gegenüher der Frage, oh und gegehenenfalls unter welchen Bedingungen Verträge im Naturzustand üherhaupt gelten - denn nur dort kann der Vertrag geschlossen wer­ den, der den Ausgang aus dem Naturzustand hesiegelt. »Wird ein Vertrag ahgeschlossen, hei dem keine der heiden Parteien sofort erfüllt, sondern nur im gegenseitigen Vertrauen, so ist er im reinen Naturzustand - im Zustand des Krieges eines jeden gegen jeden - hei jedem vernünftigen Verdacht unwirksam.«76 Die zivilrechtliche Ver­ tragslehre gilt uneingeschränkt nur unter den Bedingungen des sta­ tus civilis, in dem jeder Zweifel am guten Willen des Vertragspart­ ners durch die Herrschaft des Rechtssystems aufgefangen werden kann. Nun gilt jedoch die umfassende Entfaltung der Vertragslehre im 14. Kapitel nicht einem heliehigen Vertrag, sondern genau jenem, der einzig den Ausgang aus dem Naturzustand verspricht. Das zweite natürliche Gesetz, ein Diktat der Vernunft, legt den Weg nahe, auf dem das für jeden Einzelnen vordringliche Ziel der Selhsterhaltung erreicht werden kann: »Jedermann soll freiwillig, wenn andere ehen­ 76 Vgl. Leviathan XIV, S. 104f. 48

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falls dazu bereit sind, auf sein Recht auf alles verzichten.«77 Dieser Verzicht setzt eine gegenseitige »Erklärung oder Kundgebung durch ein oder mehrere willentliche und ausreichende Zeichen« voraus78; nur darum kann er Vertrag genannt werden. Allerdings bezieht sich der Inhalt dieser Erklärung auf eine ungewisse Zukunft. Damit ist das Problem der vertraglichen Begründung des status civilis aus dem Naturzustand heraus vor ein schier unüberwindbares Problem gestellt. Der Verzicht auf das Recht auf alles ist unsichtbar - außer der Erklärung dieses Verzichtes steht nichts dafür, daß diese Deklara­ tion Effekte in der Wirklichkeit des Naturzustandes zeitigt. Zweitens steht dieser Verzicht im Naturzustand unter dem unabweisbaren Vorbehalt des je und je eigenen Nützlichkeitsurteils. Der aufkläreri­ sche Versuch, in legitimierender Absicht den status civilis durch einen Rechtsakt zu gestalten, begründet in der natürlichen Freiheit der vielen Einzelnen, dieser Versuch hat angesichts der Bedingungen des Naturzustandes aporetische Struktur. Die tatsächliche Geltung der Verträge kann eben nicht aus den Willenserklärungen der vielen Einzelnen selbst abgeleitet werden; die Geltung von Verträgen hängt nicht von den Vertragschließenden ab, nicht von ihren Worten, son­ dern nur von »der Furcht vor einer üblen Folge des Wortbruchs«.79 Deshalb muß das Problem der Geltung dieser Verträge notwendig die Immanenz des Vertragsparadigmas sprengen.80 Die Pointe des Hobbesschen Vertragsdenkens liegt nun darin, daß die Bedingung der Geltung von Verträgen selbst zum einzigen Gegenstand der staatsbegründenden Verträge wird. Der Zweck der staatsbegründenden Verträge ist die Sicherung der Geltung von Ver­ 77 Leviathan XIV, S. 100. Vgl. Schochet, Hobbes and the voluntary basis, S. 60f. 78 Leviathan XIV, S. 101. 79 Leviathan XIV, S. 101. 80 Man kann diese Aporie natürlich als ein Problem Politischer Theologie deuten. Die in der Einleitung des >Leviathan< suggerierte Analogie zwischen dem göttlichen >fiat< und der vertraglichen Begründung des künstlichen Menschen ist natürlich eine sehr schiefe Analogie. Die von Hobbes betriebene Verzerrung der Vertragstheorie antwortet auf ein Problem der totalen Immanenz. Die hybride Erschaffung des Leviathan, die den Aus­ gang aus dem unerträglichen Naturzustand bedeutet, kann im bloßen Willen der Ver­ tragsparteien nicht begründet werden - das verbietet die Struktur des Naturzustandes; sie kann jedoch auch nicht in einem Dritten ihren Referenzpunkt finden - das verbietet einerseits das wissenschaftstheoretische Verdikt über alles, was nicht ins Muster der mechanistischen Argumentation paßt; und das verbietet der unbezwingbare aufkläreri­ sche Anspruch, daß Herrschaft nur in der Autonomie der ihr Unterworfenen begründet sein kann. ^

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trägen. Hobbes' drittes Naturgesetz hatte mit der Formel >pacta sunt servanda< die Norm der Geltung von Verträgen formuliert. Doch ge­ rade an der Unmöglichkeit, diese Norm zu garantieren, scheitert das System der Naturgesetze. Der zwiespältige Charakter dieses Systemes beruht in der Unmöglichkeit, die Diktate der Vernunft zu imple­ mentieren. Tatsächlich sind die dictamen rationis der Naturgesetze nur Ratschläge, keine Befehle.81 Auf die Bedingungen des Natur­ zustandes eingeschränkt, kann die natürliche Freiheit der Einzelnen, die Verträge unter der Maßgabe der ökonomischen Rationalität zu beurteilen, durch keinen Vertrag fest gebunden werden. Es ist nicht bloß die Skepsis, das Mißtrauen gegenüber dem guten Willen des anderen, welches das System der Naturrechte scheitern läßt - oder genauer: welches zu einer Erweiterung des Systemes der Naturgeset­ ze zwingt. Die Notwendigkeit, die Norm >pacta sunt servanda< in mehr als dem guten Willen der vielen Einzelnen zu begründen, zwingt dazu, dem System der Naturgesetze ein institutionelles Rückgrat einzuziehen. Damit wird eine Instanz geschaffen, die die Geltung von Verträgen sichert, indem sie für die üblen Folgen eines Vertragsbruches einsteht. >Coercive Powerpacta sunt servanda< zu sichern, kann nur existieren, weil es eine Instanz gibt, die die Geltung von Verträgen verbürgt. Doch eben diese Instanz wird erst durch die das Common-wealth begründenden Verträge be­ gründet. Der methodisch erzwungene absolute Immanentismus der Hobbesschen Argumentation stößt hier an seine Grenzen - und zu­ gleich beweist gerade die Lösung dieses Problemes zugleich Hobbes' philosophische Genialität und seinen politischen Pragmatismus. Wenn jeder Vertrag, der sich auf zukünftige Leistungen bezieht, bei jedem >vernünftigen Verdacht< unwirksam wird, muß ein Mittel gefunden werden, um diesen Verdacht zu verhindern. Nicht daß die Menschen sich umbringen und gegenseitig bestehlen, ist der grund­ legende Defekt des Naturzustandes: Der Naturzustand ist durch Ver­ mutungen und Möglichkeiten gekennzeichnet, der Naturzustand ist 81 Vgl. Leviathan XV, S. 122. 50

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Common Representer, Common Power

ein System des kollektiven Verdachts. Jeder befürchtet, beraubt und getötet zu werden. Ob das nun geschieht oder nicht, spielt keine Rol­ le. Deshalb bestimmt Hobbes den Krieg aller gegen alle, der den Na­ turzustand kennzeichnet, ausdrücklich als bloß durch die allseits be­ kannte Bereitschaft zum Kampf gekennzeichnet.82 Der Übergang vom Naturzustand zum status civilis hat die Funktion, bestimmte Handlungsmöglichkeiten dadurch unwahrscheinlich zu machen, daß sie mit hohen Folgekosten belegt werden. Hobbes' Gestaltung des Übergangs vom Naturzustand zum status civilis muß allererst den Fundamental-Verdacht ausräumen: den Verdacht nämlich, daß nicht alle auf ihr Recht auf alles verzichten, wie es das zweite Gesetz der Natur nahelegt. Weil dieser Verdacht das große Hemmnis für ein friedliches Zusammenleben bedeutet, muß er vor allen anderen be­ seitigt werden.83 Ist aber dieser Verdacht ausgeräumt, so verliert jeder andere Verdacht seine Grundlage und damit seine a-soziale Potenz. Die Herrschaft des kollektiven Verdachts läßt sich nicht durch gegenseitiges Vertrauen beenden, »da das Band der Worte viel zu schwach ist, um den Ehrgeiz, die Habgier, den Zorn und die anderen menschlichen Leidenschaften [...] zu zügeln.«84 In Hobbes' Skepti­ zismus leuchtet nicht bloß das Mißtrauen des Menschenkenners, des Moralisten auf. Hobbes Souveränitätstheorie erhält ihr volles Profil nur, weil die vertragliche Begründung des status civilis sich auf mehr als bloß Worte berufen kann. Welche bindende Kraft sollte der >Ultra-NominalistCommon Power< ist der Name, den Hobbes jener allgemeinen und unwiderstehlichen Zwangsgewalt gibt. Da jedoch Hobbes' Be­ gründungsprogramm nur >just powerweiterhin< sowohl über das Recht auf alles als auch über die Mittel zu seiner Durchsetzung ver­ fügen kann. Der aufklärerische Versuch, die Begründung des status civilis durch eine Vielzahl von Verträgen zu entwickeln, in denen die natürliche Freiheit der vielen Einzelnen aufgehoben wäre, dieser Ver­ such also erst entfaltet gegen die natürliche Gleichheit die größte Ungleichheit, gegen die natürliche Freiheit die größte Unfreiheit. Gerade weil die Funktion der Herrschaft legitimierend begründet werden muß, um dem naturrechtlichen Prinzip der Freiheit gerecht zu werden, scheint für Hobbes nur eine Konstruktion des Common­ wealth denkbar, die durch den Terror einer Instanz verbürgt wird, die außerhalb dieses Common-wealth steht. Auf das Problem der natur­ rechtlich begründeten, in ihren Auswirkungen fundamental kon­ flikterzeugenden Freiheit antwortet Hobbes' Politische Theorie des status civilis als eine Theorie der Souveränität mit der Notwendigkeit der vorbehaltlosen Unterwerfung. Der konstruktive Gestus dieser Theorie ist unübersehbar. Er ist einerseits auf die wissenschaftstheoretischen Prämissen zurückzube­ ziehen, nach denen wir verläßliches Wissen nur von dem haben, was wir konstruieren können. Diese Prämissen entfalten ihre volle Be­ deutung jedoch erst in der politischen Wendung, die die Konstrukti­ on des status civilis als den einzigen Mechanismus der Legitimation erscheinen läßt. Die Analogie der Gesetze des Wissens und der Ge­ setze der Legitimation erzwingen bei Hobbes ein Regime vollständi­ ger Künstlichkeit, in dem der theoretische Status dessen problema­ tisch ist, was Hobbes Natur nennt. Das wissenschaftliche Programm des Thomas Hobbes beschließt vorneweg den Ausschluß aller Erfah­ rung und - für die Politische Theorie einzigartig - allen historischen Wissens. Das bedeutet aber nicht weniger als den Ausschluß aller Empirie. Natur wäre der Inbegriff aller Empirie. Hobbes' anthropolo­ gisches Programm entfaltet denn auch nicht die Natur des Menschen im Sinne seiner Empirie. Die anthropologische Bankrotterklärung, die man Hobbes vorwerfen kann, ist allererst die Konsequenz des 60

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Absolutismus und Unwiderstehlichkeit der Souveränität

exklusiven Wissenschaftsprogrammes; man würde Hohhes mißver­ stehen, wenn man das Bild des Menschen und des Naturzustandes, den der >Leviathan< zeichnet, als die ganze Wahrheit hegreifen würde. Tatsächlich entpuppt sich, was Hohhes als Natur hezeichnet, als eine Funktion im Dienste des übermächtigen Versuches, den sta­ tus civilis durch die Konstruktion einer unwiderstehlichen Macht zu garantieren. An der Frage nach der Herkunft und Begründung der common Power wird die Frage nach dem Status des Natürlichen und Historischen dann doch, gegen die hetonte Intention der Theorie, virulent. Die doppelte Begründung der Souveränität durch Rechts­ verzicht und durch Autorisierung läßt die Frage nach der Natur des­ sen offen, der den Staat tatsächlich verkörpert. Die vertragliche Erzeugung des Souveräns schreiht die Tatsache fest, daß Souveränität keine Eigenschaft ist, die dem, der in die Rolle des Souveräns schlüpft, von Natur her gegehen wäre. Selhstverständlich gilt Hohhes' Behauptung von der Gleichheit der Menschen im Naturzustand auch für jene Person oder für jene Gruppe von Per­ sonen, die die Souveränität verkörpern wird. Hohhes' Behauptung von der Gleichheit der Menschen im Naturzustand ist allererst eine argumentative Fiktion, die einerseits dazu dient, die Unausweichlichkeit des Konflikts der Menschen zu hetonen, und aus der andererseits später die Gleichheit der Untertanen entsprechend der Gleichheit der Vertragshedingungen ahgeleitet werden kann. Ohwohl Hohhes glauht, die Behauptung von der Gleichheit der Menschen empirisch durch das für alle gleiche Risiko des vorzeitigen Todes ahstützen zu müssen, ist doch auch dieses Argument keiner Beohachtung der Wirklichkeit entnommen, sondern stellt die fortgesetzte Konstruk­ tion des konstruierten Wesens des Menschen dar. Entscheidend aher ist, daß es keine Hierarchie von Natur giht, weil die konstruierte Natur des Menschen nur Gleichheit kennt - und eigentlich auch nur kennen kann. Die argumentative Entfaltung des Menschen als einer Maschine verhindert den Gedanken einer Ungleichheit der Men­ schen. Die Ungleichheit, die das Verhältnis von Untertan zu Souve­ rän kennzeichnet, kann deshalh keine Ungleichheit unter Menschen sein. Die hierarchische Position der Souveränität ist keine Eigen­ schaft, die einem Menschen zukäme, sondern eine reine Rechtsfik­ tion, das Attrihut einer Person also. Der Souverän ist kein Mensch, sondern das politische Phantas­ ma der Unterwerfung vieler Einzelner unter einen Einzigen. Seine Existenz, daran kann kein Zweifel hestehen, verdankt der Souverän ^

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Repräsentation und Autorisierung

dem mehrdeutigen Gestus der unterwerfenden Autorisierung. Und doch gelingt es Hohhes, die Nabelschnur zu kappen, die den Souverän an diejenigen hinden könnte, denen er seine Existenz verdankt. Ab­ solut ist der Souverän allererst gegenüber seinen Untertanen und ihren Ansprüchen. Die skandalöse Umdeutung der Vertragstheorie des >Leviathan< steht im Dienste einer konsequenten Attacke auf das Widerstandsrecht. Die Theorie der Souveränität steht als Theorie des Staates seit Bodin gegen den Versuch, ein kollektives oder individu­ elles Widerstandsrecht theoretisch zu begründen. Die vertragliche Begründung der Herrschaft kann als der stärkste Pfeiler in einer Theorie des Widerstandsrechtes erscheinen. Wo es einen Vertrag gibt, kann der Herrscher der Verletzung eben dieses Vertrages ange­ klagt werden. Also gibt Hobbes der Vertragstheorie einen neuen Dreh und verhindert so die scheinbar notwendige Koppelung von Herrschaftsvertrag und Widerstandsrecht. Die Souveränität wird, das ist die Pointe des Hobbesschen Vertragsdenkens, die Souveränität wird vertraglich begründet, doch sie wird nicht durch Vertrag verlie­ hen. Dabei kann ein systematisches von einem pragmatischen Argu­ ment unterschieden werden. Das systematische Argument führt die Repräsentations-und Autorisierungslogik ins Feld - Souveränität kann nicht durch eine Menge verliehen worden sein, da die Menge zur rechtsfähigen Person erst durch den sie repräsentierenden Sou­ verän wird.101 Pragmatisch ist das Argument zu nennen, welches die Unmöglichkeit des Vertragsschlusses der vielen Einzelnen mit dem Souverän durch ein Problem der Rechtssprechung begründet. Denn, so Hobbes' These, schlösse der spätere Souverän mit jedem Einzelnen einen Vertrag, so könnte jeder dieser Einzelnen bei jeder beliebigen Handlung des Souveräns einen Vertragsbruch reklamieren, eine Handlung wäre dann, sei es mit der Autorisierung eines anderen, der den ersten nichts angeht, oder mit niemandes Autorisierung ge­ schehen. Da für solche Streitfälle jedoch kein Richter bereitstehen kann, bedeutet dies den Rückfall in den Naturzustand; entschieden würde dann durch das Schwert, das jeder für sich führt.102 Sowohl das systematische als auch das pragmatische Argument also >beweisen< die Unmöglichkeit der Verleihung von Souveränität - und damit zu­ gleich die Unmöglichkeit jeder Abhängigkeit des Souveräns von de­ nen, über die zu herrschen er angetreten ist. 101 Vgl. Leviathan XVI, S. 126 und Leviathan XVIII, S. 137. 102 Vgl. Leviathan XVIII, S. 137. 62

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Absolutismus und Unwiderstehlichkeit der Souveränität

Wäre die Souveränität verliehen, dann hielte sie der Souverän ausdrücklich oder unausdrücklich nur >on condition< in Händen. Erst die im Autorisierungskapitel angedeutete Möglichkeit einer >Autorisierung ohne Vorhehalt< - die im Zivilrecht unbekannt sein dürfte erlaubt Hobbes die Umdeutung der Vertragstradition gegen die dro­ henden Ableitungs- und Begründungsversuche eines Widerstands­ rechtes. Das Prinzip der Autorisierung ohne Vorbehalt einerseits, andererseits die Konstruktion eines souveränitätsbegründenden Ver­ trages, der nur zwischen den zukünftigen Untertanen geschlossen wird, bewirken die rechtliche und normative Freisetzung der Souve­ ränität. Der Aufwand ist groß, den Hobbes' Theorie der Souveränität betreiben muß, um die Möglichkeit eines Widerstandes gegen den Souverän theoretisch und rechtlich wirksam zu verhindern. Die theoretischen und die politischen Kosten dieses Unternehmens sind gewaltig; sie haben Hobbes' schlechten Ruf begründet. Kant wird später seiner schroffen Zurückweisung des Wider­ standsrechtes eine ähnliche Form geben wie Hobbes - und doch ge­ rade den zentralen Topos der Hobbesschen Argumentation vernach­ lässigen können. Hobbes' zentrales systematisches Argument gegen die Möglichkeit eines Rechtes auf Widerstand ist der Autorisierungsgedanke. - Ja, man wird mit Blick auf die Entfaltung der Souveränität behaupten können, daß die Funktion des Autorisierungsgedankens allererst darin besteht, ein unwiderstehliches Argument gegen das Widerstandsrecht zu liefern. Und die ideengeschichtlich so wichtige Tendenz, Souveränität als gerechtfertigte Macht aus einem Akt der Autorisierung der ihr Unterworfenen abzuleiten, könnte sich nur als zur Diva geschminkte Magd des Versuches entpuppen, die Souverä­ nität als summa potestas zu inszenieren - um mit der Hilfe einer brillanten theoretischen Camouflage potestas als auctoritas auszuge­ ben. Kant wird ähnlich wie Hobbes die rechtliche Unmöglichkeit des Widerstandes hervorheben. Er wird das pragmatisch-apokalyptische Argument des Thomas Hobbes in den Vordergrund stellen: die Frage nach dem Richter zwischen Volk und Souverän, die Bedrohung des status civilis überhaupt. Doch das Autorisierungsargument kann und braucht für Kant keine Rolle zu spielen, da die Übertragung von Au­ tonomie in seiner Konstruktion des status civilis nicht vorkommt. Kant, so könnte man sagen, erkennt die Schwäche des Hobbesschen Systems nur zu deutlich und verzichtet nicht zuletzt aus diesem Grunde auf eine Deutung des Überganges vom Naturzustand zum ^

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Repräsentation und Autorisierung

Status civilis nach dem Muster der Vertragstradition. Die apriorische Bestimmung des Status civilis macht diesen Verzicht leicht, denn Kant kann das Problem der Begründung des Status civilis durch einen Willensakt der vielen Einzelnen umgehen und an seine Stelle den theoretischen Selbstvollzug der nackten Vernunft treten lassen. Doch für die Diskussion des Widerstandsrechtes macht das nur einen klei­ nen Unterschied. Hobbes' systematisches Argument klagt die recht­ liche Widerspruchslosigkeit ein - der Widerstand gegen von mir au­ torisierte Handlungen ist ein Widerspruch mit mir selbst; Kant dagegen schraubt das Widerspruchsniveau noch etwas höher. Inso­ fern der Staat nach den Gesetzen der Vernunft als Rechtsstaat entfal­ tet wird, muß der Widerstand gegen den Souverän »niemals anders als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche Verfassung zernichtend gedacht werden«.103 Insofern jedoch der Übergang in den rechtlichen Zustand ein Gebot der Vernunft selbst ist, kann der Widerstand ge­ gen den Souverän nur als widervernünftig bestimmt werden. Hobbes' Versuch, die Unmöglichkeit einer rechtlichen Begründung des Widerstandes nachzuweisen, deutete die logischen Argumente als pragmatische Argumente. Bei Kant gewinnen die Argumente umgekehrt ihre Bedeutung, indem die pragmatischen Argumente als logische Argumente gedeutet werden. Die pathetische Deutung der Vernunft und ihres Gebotes, einen rechtlichen Zustand mitein­ ander einzugehen, erscheint - gerade weil sie dann doch noch mit den pragmatisch-apokalyptischen Argumenten des Thomas Hobbes un­ terfüttert ist - wesentlich tauglicher, um ein Widerstandsverbot zu begründen, als Hobbes' gewundene Interpretation des Autorisierungsgedankens.104 103 Rechtslehre, S. 320. 104 Ganz ohne Zweifel sind die Intentionen des Thomas Hobbes und Kants kaum zu vergleichen. Die Theorie des Engländers zielt darauf, die Unwiderstehlichkeit der Sou­ veränität zu begründen - und bedient sich dazu scheinbar gegenläufiger Argumentatio­ nen, die durch einen denkwürdigen Kniff in die rechte Richtung gelenkt werden. Bei Kant erscheint die Abwehr des Widerstandsrechtes nicht als ein Zweck der Theorie, sondern als deren Konsequenz. Hobbes' Argumentation ist von Anbeginn durch den Wunsch geprägt, den Frieden durch einen unwiderstehlichen Souverän zu begründen. Im Dienste dieses Wunsches stehen die wissenschaftstheoretischen Optionen ebenso wie die mechanistische Anthropologie. Kants Argumentation aber deutet den Staat zwecklos als ein Gebot der Vernunft, die keine Zwecke kennt. Der Staat erscheint als eine Forderung der Vernunft, deshalb kann dem Souverän nicht widerstanden werden, ohne dem zu widerstehen, was den Menschen erst zum Menschen macht: der Vernunft. Während Hobbes Staat und Souverän vernünftig begründet, um ihn unwiderstehlich 64

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Hobbes' Versuch, Autorität aus Autorisierung abzuleiten, dient dem Versuch, die Unwiderstehlichkeit der Autorität unwiderstehlich zu inszenieren - und zwar mit den klassischen Mitteln, welche die Theorien des Widerstandes zu ihrer Rechtfertigung heranzogen. Diese Ableitung der Autorität des Souveräns aus der Autonomie der ihm Unterworfenen ist mehr als ambivalent. Tatsächlich dient die Begründung der Souveränität aus der Autonomie nur zur politischen Kastration der Autonomie. Die Ambivalenz des Begründungsver­ hältnisses wird in der Ambivalenz des Umgangs mit dem Ursprung der Souveränität deutlich. Kant wird später den Ursprung der ober­ sten Gewalt in praktischer Absicht für unerforschlich erklären.105 In praktischer Absicht, weil jedes Vernünfteln über den Ursprung der obersten Gewalt die Souveränität lädiert. Ungleich skeptischer als Hobbes, kann Kant das politische Verhängnis der Aufklärung beur­ teilen. Hobbes jedoch hofft gerade darauf, daß die Aufklärung über den Ursprung der obersten Gewalt die Untertanen zum Gehorsam verpflichte. Im Vergleich erscheint Kant in dieser Hinsicht als ein Apologet der arcana imperii, Hobbes als der wahre Gläubige der Auf­ klärung. Wenn man die traditionelle Bedeutung des Autorisierungsgedankens in Rechnung stellt, dann sollte man glauben, daß Hobbes' Souveränität ihren Ursprung vergessen machen müßte. Sie müßte ihn vergessen machen, damit die Möglichkeit einer Revokation der Autorisierung nicht in Frage käme. Doch tatsächlich hat Hobbes die­ ses Problem schon gelöst. Im 14. Kapitel hatte Hobbes ausführlich die Umstände diskutiert, unter denen ein Vertrag ungültig wird; ob­ wohl jedoch Autorisierung und Repräsentation im und als Vertrag gefaßt werden, wird im 16. Kapitel weder die willentliche Rücknah­ me der Autorisierung thematisiert noch ihr Erlöschen aufgrund ver­ tragswidriger Bedingungen. Zwar verbleibt Hobbes ganz im rationa­ listischen Paradigma, wenn er die Hinfälligkeit des Vertrages bei der Unfähigkeit des Souveräns feststellt, den Zweck des Vertrages zu verwirklichen106; da jedoch die Autorisierung als Vertrag gedacht wird, erscheinen zu lassen, begründet Kant den Staat vernünftig, weil die Theorie, wenn sie denn wahre Theorie sein will, nur diese Begründung erlaubt. Die Vernünftigkeit der Begründung hat ihren eigenen Wert; sie kann nicht, wie bei Hobbes, instrumentell gedeutet werden. 105 Vgl. Rechtslehre, S. 318. 106 »Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie aufgrund seiner Macht schützen kann, und nicht länger.« (Leviathan XXI, S. 171) Aus einer extensiven Deutung dieser Einschränkung leitet P. C. Mayer-Tasch ein Wider­ ^

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Repräsentation und Autorisierung

den die Autorisierenden untereinander schließen, kann die Rücknah­ me der Autorisierung aus dem Vertragsgedanken heraus nicht be­ gründet werden. Da der Souverän mit dem Moment des Vertrags­ schlusses der vielen Einzelnen das Schwert führt, das über die Einhaltung der Verträge wacht, gibt es keine faktische und keine rechtliche Handhabe mehr, um die Autorisierung zurückzunehmen. Die Erfüllung des Vertrages durch die vielen Anderen ist immer schon anzunehmen, da sie durch das Schwert des Souveräns verbürgt ist; nach dieser Vorleistung der Anderen ist aber jeder Einzelne recht­ lich gezwungen, seine Vertragsleistungen nun ebenfalls zu erbrin­ gen. Diese aber werden darüber hinaus faktisch durch das Schwert des Souveräns erzwungen. Erst dieses Zusammenspiel von Recht und Macht begründet die Unmöglichkeit einer Rücknahme der Auto­ risierung. Weil die Autorisierung außerdem >without stintLeviathansLeviathan< immer ausgesetzt -, dann nämlich wäre der Quell der Legitimität versiegt, der dem Konzept der Souveränität erst seine einzigartige Stärke verleiht. Man könnte also auch argumentieren, daß noch die argumentative Gewährung einer individuellen Gehorsamsverweigerung in einer recht­ lich sehr klar bestimmten Situation dazu dient, die theoretische Unwiderstehlichkeit des Konzeptes der Souveränität und damit die Unwiderstehlichkeit der Souveränität selbst zu garantieren. 66

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sagt.107 Doch weil, so darf ergänzt werden, Hohhes den Menschen durchaus zutraut, mit sich seihst in Widerspruch zu geraten, wenn sie denn darin ihren Vorteil erhlicken, wird die logische Argumenta­ tion durch den Terror des Souveräns gestützt. Rousseau wird dieses Argument später in die Figur des >Zwangs zur Freiheit pathetisch umdeuten - und Kant wird ehen diese Umdeutung aufgreifen. Wäh­ rend jedoch Hohhes' Argument heinahe augenzwinkernd das logi­ sche Prohlem des Selhstwiderspruchs ins Feld führt, kleiden Rous­ seau und Kant dieses Argument neu ein und vermummen die Gewaltsamkeit, die dieses Argument politisch hedeutet. Doch der hlaue Samt der Vernunft umhüllt nur jenes Schwert, das Hohhes aus der Scheide gezogen hatte, um seine Tauglichkeit zu prüfen. Hohhes reduziert die höchste Gewalt des Gemeinwesens auf hloße Zwangsgewalt - >coercive Power< -; er löst die allgemeine Zwangsgewalt von allen möglichen Bindungen und hält gleichwohl daran fest, daß Souveränität von den ihr Unterworfenen durch Autorisierung legitimiert wird - das ist das Neuartige an Hohhes' Kon­ struktion.108 Es ist, als würde Hohhes Elemente der klassischen Ver­ tragslehre, Bodins Souveränitätshegriff und Machiavellis - im >Principe< vorgestellte - Trennung von Politik und Moral zwar auf­ greifen; more geometrico werden diese Elemente jedoch die Elemen­ te einer neuen Theorie. Hohhes' Versuch zielt darauf, mit der Hilfe einer unwiderstehlichen Theorie eine unwiderstehliche Zwangs­ gewalt zu hegründen. Common Power - das ist das Zauherwort des Leviathan. Es macht den Kern der Souveränität ehenso deutlich, wie die Entnormativierung des Gemeinwesens namens Staat. Die Zen­ trierung der Hohhesschen Theorie auf das Prohlem der Macht ist kein Betriehsunfall - weder der Hohhesschen Theorie noch des mo­ dernen Staates. Diese Zentrierung stellt vielmehr die Konsequenz sowohl eines wissenschaftlichen als auch eines politischen Prohlemes dar - wohei die Priorität des einen oder anderen Prohlemes kaum zu unterscheiden ist. Sowohl wissenschaftlich als auch politisch drückt das Prohlem der Vergesellschaftung selhst seit den konfessionellen Wirren des 16. Jahrhunderts großen Teilen der Politischen Philoso­ 107 Leviathan XIV, S. 101. 108 »Hohhes was an unusual contractualist in two major respects«, so Sommerville (Thomas Hohhes, S. 58): »Firstly, he drew ahsolutist conclusions from consensual premises, and did this hy denying that the sovereign was a party to the original contract. Secondly, he held that the sovereign's right is identical with the right of the individual in the state of nature.« ^

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Repräsentation und Autorisierung

phie seinen Stempel auf. Bei der Lösung dieses Problemes setzt Hobbes auf wissenschaftliche Unwiderstehlichkeit - um der Norm politi­ scher Unwiderstehlichkeit ein verläßliches Fundament zu bieten. Daß gerade Macht die Lösung des Problemes bietet, kann nicht be­ sonders überraschen. Viel eher wird der theoretische Apparat über­ raschen, mit dem diese - an sich theoretisch eher anspruchslose Lösung begründet wird. Denn um diese Lösung im vollen Glanze präsentieren zu können, muß die Theorie erst ihr Problem verschär­ fen. Aber mehr noch: letztlich scheitert die von Hobbes als Theorie der Souveränität entfaltete Antwort auf die Frage nach der dauerhaf­ ten pax terrena an der unübersehbaren Inkompatibilität der Lösung mit ihrer Begründung. Der Versuch, die absolute Macht und ihre Begründung in einem zu denken, wagt viel - aber er gewinnt nur scheiternd alles. Langfristig nämlich sind der Absolutismus der Sou­ veränität und ihre Begründung unverträglich - nicht zuletzt um dieses Problem zu umgehen, verwandelt Hobbes das Konzept der Souveränität der bloßen Macht an. Rousseau wird Hobbes' Versuch wiederholen; er wird ihm eine andere Gestalt geben, doch die Trüm­ mer, die er aus den Ruinen des gescheiterten Versuches herausklaubt hat, sind unübersehbar. Und tatsächlich scheint vieles noch recht brauchbar - nur ein Teil des Fundamentes und die Statik des Leviat­ han, der Hobbes doch gerade so viel Aufmerksamkeit gewidmet hat­ te, müssen neu gedacht werden. Denn dem Druck von Freiheit und Vernunft, dem Druck des Legitimitätsprinzipes, dem Hobbes selbst den prominenten Platz in der Politischen Theorie eingeräumt hat, diesem Druck halten sie nicht mehr stand. Hobbes' skandalöse Theo­ rie der Souveränität wendet sich ideengeschichtlich gegen sich selbst, weil gerade die legitimierende Theorie der Souveränität den Begriff des Bürgers erzwingt.109 Darin macht sich das aufklärerische Moment der Hobbesschen Theorie gegen deren Intention geltend.

109 Die »konstituierende Urversammlung«, wie Tönnies die Menge der Vertragsschlie­ ßenden nennt, hat »ein bestimmtes und begrenztes Mandat: nämlich das, den Staat zu machen Sie ist nicht selbst der Staat. Sie hat keine souveräne Gewalt. Aber inner­ halb ihres Mandates binden ihre Beschlüsse die Menge, die ihr das Mandat verliehen hat.« (Thomas Hobbes, S. 240f.) Dieses Potential einer bürgerlichen Gesellschaft wird von Hobbes in keiner Weise weiterentwickelt. 68

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Der >gewollte< Absolutismus

5. Der >gewollte< Absolutismus Souveränität ist ein Begriff der politischen Aufklärung. Herrschaft, so die kurze Formel dieser Aufklärung, kann nur dann als gerecht­ fertigt gelten, wenn sie sich dem Willen der ihr Unterworfenen ver­ dankt. Jede Herrschaft, die sich nicht auf diesen Willen berufen kann, muß zwangsläufig als illegitim gelten. Dieses Prinzip der Legitimität scheint ganz und gar auf die politische Autonomie zu zielen, auf die Selbstbestimmung - sei es des Einzelnen, sei es des Volkes. Ihr Geg­ ner wäre also allererst politische Heteronomie, Fremdherrschaft. Als Fremdherrschaft kann jede Form der Macht gelten, die - ob zu ihrer Begründung, ob zu ihrer Ausübung - sich nicht auf den Willen des Volkes beruft oder berufen kann. Der Begriff der politischen Heteronomie ist dehnbar: Was ein Theoretiker als Autonomie deuten mag, kann dem anderen als Heteronomie erscheinen. Tatsächlich bilden politische Autonomie und Heteronomie nicht Tatsächlichkeiten ab, sondern Wertungen. Autonomie und Heteronomie sind Instrumente im Kampf um die politische Macht - und zwar nicht nur in der poli­ tischen Realität, sondern auch in der Politischen Theorie. Die liberalistische Gegenüberstellung von Gesellschaft und Staat überdeckt nur zu leicht, daß Souveränität in der Politischen Theorie ein Begriff der Autonomie ist. Spiegelt bei Bodin Souveräni­ tät allererst die Autonomie des weltlichen Gemeinwesens in der wenngleich noch nicht vollständigen - Autonomie des Souveräns, so reflektiert sie bei Hobbes die Autonomie des aller traditional-naturrechtlichen Bindungen entledigten Individuums und bei Rousseau die des Volkes. Souveränität bedeutet eben nicht bloß das >Zuhöchst-sein< einer Gewalt im Gemeinwesen, bzw. das >Zu-höchstsein< eben dieses Gemeinwesens selbst, sondern zugleich mit der neuenVorstellung einer höchsten Gewalt die Idee einer Begründung eben dieser Gewalt. Einer Begründung, die der Kritik der Vernunft standhalten kann. Souveränität und die Idee der Legitimität von Herrschaft sind gleichursprüngliche Konzepte. Souveränität ist ein absolutistisches Konzept, das die Lösung einer entscheidenden Instanz von allen Fesseln zu bedeuten scheint. Legitimität scheint dagegen das Prinzip einer normativen Bindung der höchsten Macht sei es an Prinzipien ihrer Ausübung, sei es an die Prinzipien ihrer Begründung zu bedeuten. Wie können die Prin­ zipien von Souveränität und Legitimität verbunden werden? Nichts ist unwahrscheinlicher als die Vorstellung einer höchsten, unwider­ ^

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stehlichen Macht, die eben diese Unwiderstehlichkeit allererst ihrer Legitimität verdankt. Dieses Problem aber wird durch eine normative Vorentscheidung noch komplizierter: Denn Legitimität bedeutet für die Theoretiker, von denen hier die Rede ist, nicht irgendeine Recht­ fertigung der Herrschaft, sondern eine vernünftige Rechtfertigung, die dem Prinzip der Autonomie der der Souveränität Unterworfenen gerecht wird. Die beiden großen Theoretiker der Souveränität, Hobbes und Rousseau, haben zwei sehr unterschiedliche Antworten auf diese Frage gegeben; wie unterschiedlich diese Antworten jedoch auch sein mögen - ihre Wurzeln ebenso wie ihre Konsequenzen sind mehr als ähnlich. Die anthropologisch-naturrechtlich begründete Autonomie der (vertragsschließenden) Individuen einerseits, die Un­ widerstehlichkeit der durch den Vertrag ins Leben gerufenen Macht andererseits, hierin besteht Übereinstimmung. Mehr als verschieden aber ist die Einschätzung der normativen Konsequenzen des Prinzips >Autonomie< für das konstituierte Gemeinwesen und seine Mit­ glieder.110 Die Differenz zwischen Hobbes' und Rousseaus Entwurf von Souveränität liegt weniger in der rechtlichen Ausgestaltung des Ver­ trages beschlossen, die so unterschiedlich nicht ist. Doch die Bedeu­ tung des den politischen Körper begründenden Vertrages wird von Rousseau mit Hobbes gegen Hobbes gedeutet, indem das einmalige Ereignis des Vertrages in die politische Gegenwart verlängert wird. Und so erfährt die Autonomie, das politische Prinzip der Legitimität, eine völlig neue Deutung. Hobbes' Theorie der Souveränität ver­ schweißt dieses Prinzip gleichsam als bloßes Schaustück im histo­ risch einmaligen Moment der Autorisierung und des Rechtsverzich­ tes. Autonomie wird von Hobbes nicht als Prinzip einer politischen Praxis verstanden, sondern als der in der politischen Erinnerung auf­ gehobene Ursprung der aktuellen Herrschaftsverfassung. Genau die­ se Verlagerung des politischen Legitimitätsprinzips in die Vor­ geschichte des politischen Körpers genügt Rousseau nicht. Deshalb wird er versuchen, das Prinzip der Autonomie wie Hobbes als das legitimierende Prinzip des Ursprungs des politischen Körpers dar­ zustellen; zugleich aber wird er es anstreben, die weitere Geltung eben dieses Prinzipes in der politischen Gegenwart zu sichern. Und zwar nicht bloß, wie Hobbes das getan hat, als die bloße Rechtsfik­ 110 Vgl. zum Komplex Peter-Cornelius Mayer-Tasch, Hobbes und Rousseau und Ho­ ward R. Cell / James I. MacAdam, Rousseau's response to Hobbes. 70

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tion, daß die Autonomie der Unterworfenen in den autorisierten Handlungen des Souveräns aufgehoben sei. Stattdessen wird Rous­ seau den pacte social so gestalten, daß das Prinzip der Autonomie, das die Begründung des politischen Körpers bestimmt, sodann als ein Effekt des Vertrages selbst die Politik des neuen Körpers bestimmt.111 Hobbes beschränkt den Vertragszweck existenziell auf die Sicherung des Überlebens. Hinter dieser durch die mechanische Logik der Ar­ gumentation verbürgten Bestimmung versteckt sich jedoch eine he­ donistische Präzisierung - die Sicherung der Dinge nämlich, die zu einem angenehmen Leben gehören, ist ebenfalls Bestandteil des Ver­ tragszweckes.112 Diese Erweiterung verrät den theatralischen Cha­ rakter von Hobbes' Argumentation und eröffnet die Möglichkeit einer Wendung der Theorie des gerade durch die Niederhaltung perpetuierten Ausnahmezustandes auf den liberal bestimmten Alltag. Angesichts dieses - von der merkwürdigen Ergänzung abgesehen knappen und existenziellen Vertragszweckes spielt das Problem der Autonomie keine große Rolle; es fungiert allererst als ein Mosaik­ stein im Versuch, die Unwiderstehlichkeit der Souveränität zu be­ gründen. Doch für Rousseau ist diese Beschränkung nicht akzeptabel, da sie mit der normativ gedeuteten anthropologischen Bestimmung des Menschen als eines freien Wesens unverträglich ist. Deshalb wird gegen Hobbes der Vertragszweck um die Sicherung der Freiheit er­ weitert; und aus diesem Grunde wird der Vertrag tendenziell in die politische Gegenwart verlängert. Die Genese von Gemeinwesen und Souveränität, in einem Ver­ trag verschweißt, verträgt bei Hobbes keine zeitliche Perspektive.113 In die Unvordenklichkeit verdrängt, zeitigt der Vertrag Effekte, die 111 Reinhard Brandt (Rousseaus Philosophie, S. 78f.) bringt die Forderung nach politi­ scher Autonomie mit Rousseaus Anthropologie in Verbindung: »Der Mensch ist nur Herr seiner selbst, wenn er sich nicht zu beherrschen braucht. Die sittliche Autonomie ist also abhängig von dem Zustand, in dem sich der Mensch befindet. [...]. Der Mensch steht jedoch unter dem Gebot, seine Sittlichkeit und die >moralite des actionsc zu erhal­ ten; er kann folglich nur einer Gesellschaft beitreten, in der er die Gesetze bestimmen kann, die den Zustand der Gesellschaft und damit die Möglichkeit seiner eigenen Sitt­ lichkeit und Handlungsmoralität determinieren. Die sittliche Autonomie also ist einzig realisierbar in einer Republik, in der der Mensch autonomer Bürger ist und nur den Bestimmungen unterliegt, die seinem eigenen Willen entspringen.« 112 Vgl. Leviathan XI, S. 76: »Das Verlangen nach angenehmem Leben und sinnlichem Vergnügen veranlaßt die Menschen, einer allgemeinen Gewalt zu gehorchen«. 113 Zur »legitimationstheoretischen Konstruktion« des Vertrages bei Hobbes siehe Münkler, Thomas Hobbes, S. 129 f. ^

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sich auf die Autonomie der Vertragschließenden nur noch rhetorisch beziehen. Autonomie beherrscht eigentlich nur den vor-politischen Status, den Naturzustand; in der >civil society< kann Autonomie nur noch durch eine retrospektive Deutung festgestellt werden, die die vollständige Unterwerfung unter die unwiderstehliche Souveränität auf ihren freiwilligen Ursprung zurückführt. Die Autorität der Sou­ veränität, so Hobbes' gewagte Konstruktion, ist nichts anderes als die Verkörperung der Autonomie jener, die eben dieser Autorität unwi­ derstehlich unterworfen sind. Hobbes' Problem, die absolute Macht eines eingesetzten Herrschers zu denken, ist so neu nicht. Deshalb kann er einer alterprobten Argumentation folgen, die er allerdings etwas verbiegt, um die radikale Immanenz seiner Theorie zu wah­ ren.114 Fern aller Ideologiekritik hatte die Kanonistik eine Lösung in der Abtrennung des Amtes und seiner Begründung von der Beset­ zung des Amtes gefunden. Die klassische Formel hat Cynus von Pistoia geprägt: »Imperator est a populo, sed imperium dicitur divi­ num a Deo.«115 Über die Besetzung des Amtes mag das Volk bestim­ men; die Gewalt des Amtes aber kommt dem Kaiser - und das gilt natürlich auch für den gewählten Papst - von Gott zu.116 114 In der Kontroverse zwischen dem Papsttum und dem Kaiser wurde dieses Problem von päpstlicher Seite herangezogen, um ein Widerstandsrecht der Untertanen gegen die weltliche Herrschaft zu begründen. Das Argument wurde erstmals von Manegold von Lautenbach polemisch entfaltet - und zwar unter Bezug auf ein vor-theoretisches Ver­ tragsparadigma. Vgl. Horst Fuhrmann, >Volkssouveränität< und >Herrschaftsvertrag< bei Manegold von Lautenbach und Bernhard Töpfer, Tendenzen der Entsakralisierung der Herrscherwürde in der Zeit des Investiturstreits. 115 Zitiert nach Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 301; vgl. ebenda S. 120f. 116 In genau diesem Sinne unterscheidet Hobbes die Ernennung des Souveräns von der Begründung seiner Gewalt (vgl. Leviathan XVIII, S. 137). Die denkwürdige Wendung des Vertragsparadigmas erlaubt es Hobbes, zu behaupten, daß der Souverän »seine Ge­ walt schlechthin dei gratia, das heißt, durch die Gnade keines geringeren als Gott« emp­ fängt. (Leviathan XXIII, S. 185) Kant wird dieses Argument aufgreifen, um es in der ihm eigenen Weise, beinahe verschmitzt, zu wenden. Dann bedeutet die Begründung der Obrigkeit a Deo eben keinen »Geschichtsgrund der bürgerlichen Verfassung, son­ dern eine Idee als praktisches Vernunftprinzip«, die Forderung nämlich, der gesetz­ gebenden Gewalt, d. h. der Souveränität, unbesehen ihres historischen Ursprungs zu gehorchen (Rechtslehre S. 319). Die Ablösung des Gehorsamszwanges vom Ursprung der Souveränität, das ist der Kern des Argumentes, den Kant von Hobbes übernimmt. Gegen das theoretisch-normativ so bedeutsame Prinzip der Autonomie wird also ein praktisches Erfordernis geltend gemacht. Hobbes' Argumentation droht immer, sich im double-bind von autonomistischer Legitimation und Absolutismus zu verstricken; daraus zieht Kant die Lehre, daß nur unter Verzicht auf jede Ursprungsreflexion der 72

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Die Abtrennung des Amtes und seiner Begründung von der Be­ setzung des Amtes war in der Ideologie der frühen Stuart-Zeit ortho­ doxe politische Meinung. Unterschieden wurde zwischen dem (Rechts-)Titel am Amt und der Autorität eben dieses Amtes. Thomas Morton, Bischof unter den beiden ersten Stuarts formuliert das Ver­ hältnis dieser beiden Elemente: »For the title unto an authority is not without the means of man, but the authority it selfe is immediately from God.«117 Oder anders ausgedrückt: »Deus ipse dat electo ius dominii.« Gott selbst gibt dem Gewählten das Recht zur Herr­ schaft.118 Das Volk mag den König bestimmen; allein es verfügt über keinerlei Rechte, die es ihm übertragen könnte. Das Herrschaftsrecht nämlich liegt bei Gott, der es dem Gewählten überträgt. Die Ideologie des >divine right of kings< stößt sich nicht am Problem der Besetzung des Amtes, weil es dessen Autorität zum Gegenstand hat. Dasselbe läßt sich von Hobbes sagen: das Kapitel über die Souveräne durch Einsetzung trennt die Rechte der Souveräne durch Einsetzung vom Modus der Einsetzung. Nun hat Hobbes ganz ohne Zweifel mit der designation-theory gebrochen, die die Besetzung des Amtes (desi­ gnation) von der Begründung ihrer Autorität trennte, indem er Autorität aus der Autorisierung ableitete. Und doch sind die Spuren der designation-theory unverkennbar, die ja nicht zuletzt gegen die Widerstandslehren des ausgehenden 16. Jahrhunderts steht. Die or­ thodoxen Lehren der frühen Stuart-Zeit versuchten jeden Rechts­ anspruch zu verdrängen, der aus der Einsetzung des Königs ableitbar wäre. Das gelingt jedoch nur, wenn die Einsetzung des Königs nicht nach dem Modell einer >translatio imperii< gedacht wird, in der das Volk sein ursprüngliches Herrschaftsrecht überträgt.119 Hobbes' Theorie der Souveränität in diesem Problemfeld zu si­ tuieren, fällt nicht ganz leicht. Denn einerseits ist deutlich, daß seine individualistische Vertragstheorie mit einer jeden Rede von den >diAbsolutismus der Souveränität zu haben ist - und daß deshalb die Rechtfertigung der Souveränität letztlich nicht auf das Vertragsmodell zurückgreifen kann. 117 Thomas Morton, A full satisfaction concerning a double Romish inquitie (1606) I, 29. Zitiert nach J. P. Summerville, Politics and Ideology in England, S. 23. 118 Anon., zitiert nach Summerville, Politics and Ideology, S. 23. 119 Als Muster einer solchen translatio imperii dient der europäischen Rechtsgeschichte die >lex regia< des römischen Rechts, die die Erinnerung an den Ursprung der kaiser­ lichen Herrschaft wachhält. (Inst. I,2,6) Allerdings hat die lex regia bei Justinian selbst­ verständlich nicht die Funktion, einen Rechtsanspruch des Volkes zu definieren, sondern die Gesetzgebungskompetenz des Kaisers zu erweisen. Vgl. Eugenio Dupre Theseider, L'idea imperiale di Roma. ^

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vine rights of kings< unvereinbar ist, daß die Konstituierung von Souveränität durch Autorisierung jeder bloßen designation-theory Hohn spricht. Die merkwürdige doppelte Begründung der Souverä­ nität jedoch, die Ablösung der Gewalt des Souveräns von seiner Ein­ setzung, verweist durchaus in die Richtung der designation-theory. Ja, die strategische Ausrichtung der Hobbesschen Theorie scheint den orthodoxen politischen Diskurs der frühen Stuart-Zeit noch zu über­ bieten. Hobbes' Versuch, den Inhaber der souveränen Gewalt von allen nur denkbaren Hemmungen frei zu sprechen, ist der Intention der Ideologie des >divine right of kingship< nur zu verwandt - wenn auch die theoretischen Scheidewände nicht vergessen werden sollen, die Hobbes den Unmut des Königshauses zugezogen haben. Hobbes' Konstruktion der unwiderstehlichen Souveränität nimmt unter der Hand Anleihen am Diskurs der designation-theory, verwirft jedoch deren theoretische Unzumutbarkeiten. Im aufklärerischen Gewande versucht sich Hobbes an einer unwiderstehlichen Formulierung der designation-theory. Der Versuch, ein konsistentes absolutistisches Gebäude unter aufklärerischen Bedingungen zu entwerfen, muß die Unterworfenen als Wurzel aller Herrschaft begreifen. Genau dieses Vorgehen hat das Unverständnis von Hobbes' dem Absolutismus verpflichteten Zeit­ genossen hervorgerufen, die das Recht des Königs unantastbar ma­ chen wollten, indem sie die Begründung und Genese der königlichen Gewalt jenseits des Volkes verlegten.120 Doch solche Lösungen sind für Hobbes nicht akzeptabel, weil sie dem kritischen Druck der Phi­ losophie nicht standhalten. Weder die Naturwüchsigkeit der paternalistischen Herrschaft noch die göttliche Gnade bilden ein verläßliches Fundament für die Gewalt eines Herrschers. Der politisch-philoso­ phische Kurzschluß des Hobbesschen Projektes erzwingt die Kon­ struktion der Souveränität, d.h. ihre Her-Stellung. Die Menschen instituieren im Moment der bürgerlichen Vereinigung den Souve­ rän, dem sie sich zu unterwerfen gegenseitig versprechen, indem sie alle seine Handlungen und Urteile autorisieren, also als die ihren anzuerkennen versprechen.121 Allein, in eben jener Formel ist auch 120 So z.B. Sir Robert Filmer, Observations concerning the original! of Government: »I consent with him about the rights of exercising government, but I cannot agree to his means of acquiring it [_] wishing he would consider whether his building would not stand firmer upon the principles of regnum patrimoniale.« (S. 184f.) 121 Leviathan, XVIII, S. 136. 74

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schon die Ablösung der souveränen Gewalt von den Willensäuße­ rungen der vielen Einzelnen gedacht. Hobbes' Theorie der Autorisierung >without stint< funktioniert ganz wie die designation-theory. Die Autorisierung einer jeden Handlung, eines jeden Urteils, bindet die Gewalt des Souveräns nur noch scheinbar, nur noch in der Ur­ sprungsrhetorik an den Willen der Einzelnen.122 Für die politische Gegenwart aber ist eine ungeheure Ermächtigung zu konstatieren, die alle Träume der divine-rights-of-kingship-Apologeten weit hin­ ter sich läßt. Die designation-Theorie hatte als Teil der Theorie von den >divine rights of kingship< die Funktion, das Königtum gegen alle Rechtsansprüche des Volkes zu sichern, die dieses aus einer Übertra­ gung der Macht ableiten könnte. Eben diese Verweigerung gelingt Hobbes, indem er die Übertragung betont - wenngleich mit erheb­ lichen theoretischen Spitzfindigkeiten. Denn die ausdrückliche und vorbehaltlose Autorisierung durch die Subjekte erst entgrenzt die souveräne Gewalt und löst sie von allen späteren Willensäußerungen oder Rechtsansprüchen ab. War die designation-theory gezwungen, die Macht des Königs aus einem tertium abzuleiten, das über Volk und König stehe, so schlägt Hobbes eine argumentative Volte: Die ganz besondere Gestaltung des Vertrages kappt ein für alle Mal das Problem der Benennung des Souveräns von der Möglichkeit, aus dem Akt der Benennung Rechtsansprüche ableiten zu können. Hobbes gelingt es, die Legitimierung der Souveränität durch die Unterworfenen und die vorbehaltlose Entgrenzung der Souveränität in einem zu denken. Früheren Theoretikern - und zwar Kritikern ebenso wie Apologeten - mag eine vertragliche Begründung der Herrschaft durch das Volk als die große Fessel erschienen sein, die das Königtum zähmen sollte. Hobbes spottet dieser Gefahr; mit größtem theoretischen Wagemut versucht er gerade den Beweis des Gegenteils zu führen. Nur vertraglich begründete Herrschaft ver­ dient den Namen der Souveränität - der höchsten Macht im und über dem Gemeinwesen nämlich. Dieser Versuch kann nur gelingen, weil Hobbes die klassischen naturrechtlichen Schranken durchbricht und 122 Von einer Bindung des Souveräns durch den Vertragszweck zu sprechen, ergibt an­ gesichts der Ausgestaltung der Vertragsszene keinen Sinn. Tatsächlich dient der Verweis auf den Vertragszweck nur dazu, die Ausnahme vom Gehorsamszwang zu begründen. Die Erinnerung an den Vertragszweck kann logischerweise nur dem Unterworfenen dienen - und zwar sowohl in bindender als auch in lösender Absicht. ^

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das Individuum im Begriffsgemälde des Naturzustandes völlig frei­ setzt. Der Absolutismus der Souveränität kann nur auf der Grund­ lage der unbegrenzten Freiheit des Individuums im status naturalis begründet werden. Denn nur unter der Bedingung, daß es - außer dem der Selbsterhaltung - kein Recht gibt, das das Individuum nicht abtreten kann, wird die rückhaltlose Autorisierung denkbar - und damit der >gewollte< Absolutismus, das skandalöse Kennzeichen des >LeviathanDe Cive< nur, um die Person als Rechtssubjekt bei der Konstituierung der Souveränität zu benennen.2 In seinem Ver­ hältnis zur einmal konstituierten Souveränität aber ist dieser Bürger Untertan >wie jede andere untergeordnete RechtspersonDe CiveLeviathan< bringt die Konsequenz der merkwürdigen Vertragsgestaltung auf den Begriff: »Of the Liberty of Subjects« ist es überschrieben. Besonders das Argument des Rechtsverzichtes, aber auch der Gedanke von der vorbehaltlosen Autorisierung verhin­ dert jede andere selbständige rechtlich-politische Position neben der des Souveräns. Im Begriff des Bürgers aber wäre genau dieser Topos eines mit politischen Rechten ausgestatteten Subjekts angesprochen. Entscheidend für Hobbes' absolutistische Theorie der Souveränität ist die Möglichkeit, die >politischen< Akte der vielen Einzelnen auf den Akt der Gründung des Common-wealth beschränken zu können. Die vielen Einzelnen, daran kann für Hobbes kein Zweifel bestehen, sind von Natur Herren ihrer selbst; daß sie sich dieser Qualität se­ henden Auges ohne Vorbehalt begeben, kann als der >magische Kniff< 1 'De cive< (5, 9) nennt den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft synonym mit dem des Staates. Also keineswegs als einen Begriff, der eine Sphäre eigener Realität benennt. Vgl. auch Weiß, Das philosophische System, S. 188: Die »im Souverän geschaffene Ein­ heit in der Repräsentation der Menge« sei nicht so zu verstehen, daß sie »zu einer gesellschaftlichen Einheit vor dem Staat oder neben dem Staat zusammenwächst, son­ dern immer nur als ein Aggregat zu betrachten ist, als >viele Menschen, von denen jeder seinen eigenen Willen und sein eigenes Urteil über alles hatpolitische< Situation des Naturzustandes überhaupt erst hervorgebracht haben, nur noch negativ thematisiert werden können - frei sind die Untertanen in all jenen Dingen, über die das Gesetz schweigt4 - ist jedoch fast nur noch ein schlechtes Zauberstück. Die Fixierung auf die absolute Souveränität als die vor­ geblich einzige Möglichkeit, den Frieden unter egoistischen Indivi­ duen zu stiften, zwingt Hobbes dazu, das Problem der Selbstbestim­ mung der vielen Einzelnen nach der Gründung des politischen Körpers durch ihre Reduktion auf das dezidiert Unpolitische zu lösen. Jede politische Dimension der Freiheit der Einzelnen muß geleugnet werden - gegen die politisch-theoretische Tradition. Der Staat mono­ polisiert den Begriff der Freiheit.5 Gerade gegen seine Nachfolger wird der ausgesprochen anti-normative Affekt der Hobbesschen Ar­ gumentation deutlich - und zwar nicht zuletzt anhand jener Begriffe, die traditionell normativen Charakter haben. Mit Blick auf Rousseau kann man sehen, in welchem Maße die Freiheit des Naturrechts bei Hobbes keinerlei normative Bedeutung hat. Deshalb kann es Hobbes unproblematisch erscheinen, daß sie zwar für die Begründung des Staates den Charakter einer für die Argumentation durchaus norma­ tiven Prämisse hat - insofern Verpflichtung nämlich nur durch Frei­ heit begründet werden kann6 -, der status civilis andererseits nur in der Aufgabe eben dieser Freiheit besteht. Die Legitimationsargu­ mentation auf die naturrechtliche Freiheit abzustellen, die Subjekte des status civilis jedoch nur als Untertanen zu bestimmen: diese Pa­ radoxie kann nur unter dem Deckmantel der mechanisch-juridischen Logik als Evidenz ausgegeben werden. Daß sich diese Position bei aller internen Stärke der Argumen­ tation nicht halten läßt, ist nur zu deutlich. Indem Hobbes Souverä­ nität aus Autorisierung ableitet, öffnet er das Tor für spätere Auto­ nomieansprüche im status civilis. Alle Macht des Souveräns aus Rechtsakten der späteren Untertanen abzuleiten, ohne diese später auch nur im geringsten an der Ausübung oder Kontrolle jener Macht zu beteiligen, ist ein Gedanke, der nur unter der Bedingung Sinn ergibt, daß die Menschen tatsächlich wie Apparate funktionieren. 4 Vgl. Leviathan XXI, S. 170. 5 »Die Freiheit ... ist nicht die Freiheit von Einzelmenschen, sondern die Freiheit von Staaten.« (Leviathan XXI, S. 166.) 6 Vgl. Leviathan XXI, S. 168. ^

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Nur unter dieser Bedingung kann der Skandal einer Autorisierung ohne Vorbehalt und eines Rechtsverzichtes kaschiert werden, dessen Umfang durch den durch diesen Rechtsverzicht Begünstigten be­ stimmt wird. Und nur unter dieser Bedingung können die juridischen Elemente der Argumentation, mehr oder weniger aus jedem norma­ tiven Rahmen gelöst, ihre mechanische Wirkung entfalten. Tatsäch­ lich aber sollte die Lehre von der Souveränität und ihrer Begründung durch die Autorisierung der späteren Untertanen gerade die zentrale Intention Hobbes' zunichte machen, eine absolute Instanz zu schaf­ fen, die den Frieden unter allen Umständen sichern würde.7 Das po­ litische Monopol eines monokratischen Souveräns ist gegen Hobbes' eigene Argumentation weder theoretisch noch historisch haltbar. Rousseau stellt Hobbes auf festen Boden, indem er das Moment des Vertragsschlusses in die politische Gegenwart verlängert. Zwar hat auch bei Rousseau der Vertrag durchaus Ereignischarakter, er ist ungeschichtlich einmalig. Doch das durch den Vertrag konstituierte Volk bleibt immer normativ auf seinen Ursprung bezogen. Aus einem Nullpunkt der politischen Existenz wird so deren Alltag. Zu­ gleich wird die anthropologisch-normative Prämisse der Autonomie in den status civilis hinein gerettet.8 Das ist das Geheimnis der Volks­ souveränität. Ein Volk, das sich selbst regiert: diese Vision hatte im­ mer schon den Unwillen der politischen Theoretiker erregt.9 Solange Regierung als Regierung des Gemeinwesens zum Besten des Ge­ meinwesens vorgestellt wird, müssen die partikularen Interessen aus dem Bereich der Regierung ferngehalten werden - und gerade 7 »Der größte Einwand (gegen den Begriff der Souveränität) ist der Einwand aus der Erfahrung: wenn man fragt, wo und wann solche Macht von den Untertanen anerkannt worden sei? Aber man kann die Gegenfrage stellen: wann und wo ein Reich lange frei gewesen sei von Aufruhr und Bürgerkrieg?« (Tönnies, Thomas Hobbes, S. 244). Mit dem Verweis auf den drohenden Bürgerkrieg wird jede Kritik an der absoluten Souve­ ränität zurückgewiesen. Hobbes gibt durchaus zu, daß dieses Konzept mit Unannehm­ lichkeiten verbunden sei. Verglichen mit den Unbillen eines Zustandes ohne Zwangs­ gewalt stelle die Unterwerfung unter den Souverän jedoch das kleinere Übel (vgl. Leviathan XVIII, S. 144) dar, und Hobbes scheint über die Einsichtigkeit dieser These keine Zweifel zu hegen. Offenbar geht er davon aus, daß die »Herstellung der Sicherheit der Bürger« erstrangiges Interesse aller Beteiligten ist - anders als Rousseau, der die Freiheit als Ausgangspunkt und Endzweck des Staates qualifiziert. (Vgl. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 92) 8 Vgl. Brandt, Rousseaus Philosophie, S. 76 ff. 9 Vgl. für die Antike Christian Meier, Die Entstehung des Begriffes >Demokratie< bei den Griechen. 80

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das ist in einer Demokratie scheinbar nur schwer vorstellbar, deren Begriff seit Aristoteles gerade als Herrschaft des Pöbels zugunsten des Pöbels vorgestellt wird10. Regierung zum gemeinen Wohl wird deshalb von fast allen Theoretikern als repräsentative Regierung vor­ gestellt; die Skepsis gegen die Fähigkeiten der vielen Einzelnen, von ihren egoistischen Zwecken zu abstrahieren, erzwingt die Repräsen­ tation des Volkes durch Auserwählte. Ausgehend von einer Diagnose der Gegenwart bricht Rousseau mit dieser Argumentation. Wie er in der >Economie Politique< darlegt, scheitert das französische König­ tum gerade an der Aufgabe, das >bien commun< zu repräsentieren, und befördert stattdessen nur sein partikulares Wohl.11 In der Folge wird Rousseau diese Beobachtung in eine fundamentale Argumenta­ tion verwandeln: Jede Regierung, die auf dem Prinzip der Repräsen­ tation beruht, verleugnet die ursprüngliche Freiheit des Einzelnen und des Volkes.12 Ausgelöst wird diese Argumentation durch die so­ ziologische Erkenntnis einer Divergenz zwischen der >Natur< des Menschen - »L'homme est ne libre« - und der gesellschaftlichen Realität - »et partout il est dans les fers«. Rousseaus politische Phi­ losophie versucht sich an einer Konstruktion der politischen Realität, die dieser anthropologischen Vorgabe gerecht würde. Das Pathos der Freiheit verdankt sich gerade der Unverrückbarkeit eines anthropolo­ gischen Prinzips, das normativ interpretiert wird.13 Rousseaus politische Philosophie versucht, eine Ordnung zu entwickeln und zu begründen, die dem anthropologischen Fun­ damentalismus der Freiheit gerecht werden könnte. Diesem Fun­ 10 Vgl. Aristoteles, Politik 1279b. 11 Vgl. Economie Politique, S. 253. Auch im historischen Rückblick verbindet Rousseau den Begriff der Repräsentation mit der Vorstellung eines partikularistisch organisierten Gemeinwesens: »L'idee des Representans est moderne: elle nous vient du Gouver­ nement feodal«. (Contrat Social III, 15; S. 430) 12 »a l'instant qu'un Peuple se donne des Representans, il n'est plus libre; il n'est plus.« (Contrat Social III, 15; S. 431) 13 Da Rousseau jedoch die Freiheit nicht einfach normativ als eine Idee am nach-humanistischen Himmel entfaltet, sondern sie, wie Locke, ganz instrumentell auf den Zweck des Überlebens bezieht - »mais la force et la liberte de chaque homme etant les premiers Instruments de sa conservation« (Contrat Social, I, 6, S. 360) -, gewinnt das Pathos der Freiheit eine theoretische Unwiderstehlichkeit, die sich an der Argumentation Hobbes' messen lassen kann. Durch den instrumentellen Rückbezug der Freiheit wird die nor­ mative Tendenz des Naturrechts der Autonomie gleichsam geerdet. Und erst diese Ver­ quickung normativer und existenzieller Elemente erlaubt es Rousseau, den Kampf mit Hobbes aufzunehmen. ^

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damentalismus aber kann die Repräsentations- und Autorisierungsargumentation eines Hobbes' nicht genügen. In dem Maße, in dem die Freiheit als anthropologisch-normatives Prinzip gedeutet wird, ist die politische Reduktion der Individuen auf den Status von Unterta­ nen nicht akzeptabel. Der >Bürger< wird deshalb zur zentralen In­ stanz einer politischen Ordnung der nicht bloß vorgestellten Auto­ nomie. Wie aber, so Rousseaus Frage, kann dem Fundamentalismus der Freiheit genügt werden, ohne daß Sicherheit und Frieden gefähr­ det würden? Rousseaus Antwort ist republikanisch geprägt. Sie setzt auf die politische Vernunft des Einzelnen ebenso wie auf seine Liebe zum Vaterland.14 Kurz, sie hofft auf die Möglichkeit, die >amour de soi< als politische Liebe identifizieren zu können. Diese republika­ nische Tradition setzt also auf Tugend ebenso wie auf Interesse. Sie verknüpft beides in der Hoffnung auf die Herrschaft der volonte generale und begründet so das pathetische Regime der Freiheit.

1. Die politik-ökonomischen Wurzeln der volonte generale In der volonte generale gewinnt die republikanische Gemeinschaft Wirklichkeit. Während Hobbes die Beendigung des Naturzustandes durch die Einrichtung des Dualismus von Souverän und Untertan verspricht, versucht sich Rousseau an einer Konstruktion, die den Schutz der Person mit ihren Gütern und der Freiheit sichert, indem sie die Souveränität als Eigenschaft der Unterworfenen selbst be­ stimmt. Souverän ist also nicht mehr der Andere, der dem Einzelnen politisch entgegentritt: Souveränität ist jetzt ein neues Bild, daß sich die vielen Einzelnen von sich machen, indem sie aus den vielen wi­ derstreitenden empirischen Ichs ein neues gemeinsames Ichmoi commun< bilden. Rousseaus ganzer Versuch zielt darauf, dem aufklärerischen Pathos der Freiheit gerecht zu werden, indem Souve­ ränität als Attribut der versammelten Mitglieder des politischen Körpers bestimmt wird. Die Vorstellung von der Souveränität des politischen Körpers würde Hobbes befremden; denn sein personalistischer Nominalismus kann »Unterwerfung, Befehl, Recht und Ge­

14 Vgl. Economie Politique, S. 251: »si vous voulez qu'on obeisse aux lois, faites qu'on les atme«; und S. 252: »le plus grand ressort de l'autorite publique est dans les coeurs des citoyens«. 82

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walt« nur Personen, nicht aber substanzlosen Metaphern zuordnen.15 Und als eine solche Metapher erscheint der politische Körper bei Hobbes. Eine Metapher, die ihre Wirklichkeit nur in der Person des Souveräns hat. Deshalb ist die Souveränität der Staaten eine Folge der Souveränität der den Common-wealth verkörpernden Person oder Gruppe. Rousseau mag nicht auf den Begriff der Souveränität verzichten, wohl aber auf die personalistische Gestaltung des Begrif­ fes bei Hobbes. Der Versuch jedoch, am Begriff der Souveränität fest­ zuhalten und diese höchste Macht ins Gemeinwesen selbst zurück­ zuführen, dieser Versuch kann sich nicht mehr der Repräsentations­ und Autorisierungslogik des Thomas Hobbes bedienen. Rousseau schreibt die absolutistische Tradition fort16, kehrt sie aber in ihr Gegenteil. Dazu bedient er sich einer Renaissance des Begriffes der volonte generale. Dieser Begriff hatte - genannt oder ungenannt - in den römisch-rechtlich geprägten absolutistischen Theorien dazu gedient, die Erhabenheit des Monarchen zu be­ gründen, indem sie ihn mit dem Ganzen des Staates identifizierte das ist der entscheidende Sinn der Formel >L'etat c'est moiStaat< eine greifbare Wirklichkeit. Um dieses Repräsentationsmonopol zu legitimieren, wird der König als Hüter des >bonum commune< bestimmt. In der Sprache der Apologeten des Königtums erscheint das >bonum commune< als >utilitas publicautilitas publica< wird die >ragione 15 Leviathan XXXXII, S. 439. 16 Von »restatements of hoary arguments in French absolutist thoughts« spricht Nannerl O. Keohane, »His political theory is steeped in absolutist arguments and images.« (Philosophy and the State in France, S. 442.) Tocqueville wird später die Übernahme der Strukturen und Ideen des Ancien Regime als ein Kennzeichen der französischen Revo­ lution beschreiben: »Ich war überzeugt, daß sie, ohne es zu wissen, großenteils die Ge­ sinnungen, Gewohnheiten, ja sogar die Ideen des alten Staates beibehalten hätten, mit deren Hilfe sie die Revolution, die ihn vernichtete, bewerkstelligten, und daß sie, ohne es zu wollen, sich seiner Trümmer bedient hätten, um das Gebäude der neuen Gesell­ schaft auszuführen«. (Alexis de Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, S. 9) 17 Zur Vorgeschichte dieser Identifikation vgl. Gaines Post, Status, id est Magistratus. Siehe auch Patrick Riley, The general will before Rousseau. 18 Vgl. Winfried Eberhard, Der Legitimationsbegriff des >Gemeinen Nutzensprofit commun< hütet, der ist natürlich zu Eingriffen in die ökono­ mische Ordnung berechtigt, zur Erhebung von Steuern, zur Vermeh­ rung des Staatsschatzes. Die Frage nach der tatsächlichen Existenz des Staates und nach seiner Repräsentation ist deshalb eine Frage der Politischen Ökono­ mie. Und so wird sie auch von Rousseau aufgenommen. Rousseaus erster Versuch einer Näherung an das Problem des Staates wird als politik-ökonomische Abhandlung gestaltet. Politische Ökonomie so Rousseau unter Bezug auf die aristotelische Definition und auf die Tradition der >utilitas publica< - ist die weise und legitime Regie­ rung des Staates zum Wohl des ganzen Staates (bien commun).20 Rousseau hält am tradierten Zusammenhang zwischen politischer Ökonomie und der Repräsentation des bonum commune fest. Das Problem der volonte generale, das für Rousseaus politische Philoso­ phie so wichtig ist, wird in einem ersten Stadium als die Frage nach der rechtmäßigen Verwaltung des Staatsschatzes - des fisc oder der domaine public - erörtert. Weil an der Frage nach dem Staatseigen­ tum so deutlich wird, in welchem Maße die französische Monarchie ihre Prärogative mißbraucht hat - die sie doch nur der Funktion ver­ danken konnte, als Hüterin der >utilitas publica< zu gelten - kann die Verkörperung des Staates durch die absolutistische Monarchie ver­ worfen werden. Denn diese hat - das ist der Tenor des ideologiekriti-

19 Winfried Eberhard, Herrscher und Stände, S. 477. 20 Economie Politique, S. 241. 84

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Die politik-ökonomischen Wurzeln der volonte generale

sehen Urteils Rousseaus - unter dem Deckmantel der volonte gene­ rale nur ihre Privatinteressen befördert.21 Politik-ökonomisch bedeutet das, daß die absolute Monarchie als Privateigentum betrachtet, was ihr doch als Staatsschatz anver­ traut worden ist. Am Staatsschatz aber gewinnt der Staat Wirklich­ keit. Deshalb ist die Frage nach dem >fiscus< und der >domaine public< so entscheidend. Wenn die Monarchie den Staatsschatz als ihr pri­ vates Eigentum betrachtet - das ihrem willkürlichem Zugriff unter­ worfen ist -, dann kann sie nicht als Verkörperung des Staates gel­ ten22. Wenn sich aber alles darum dreht, die Wirklichkeit des Allgemeinen, das hier Staat genannt wird, gegen die partikularen Interessen einer Person oder Dynastie zu bewahren, dann muß das ökonomische Fundament des Staates gegen Eingriffe geschützt wer­ den, die von partikularen Interessen geleitet werden. Erst durch die Abtrennung des Staatsschatzes von der Schatulle des Königs gewinnt der Staat eigenständige Wirklichkeit - über seine monarchische Re­ präsentation hinaus. Die Diskussion der politischen Formenlehre im >Contrat Social< 21 Tatsächlich ist das Problem der französischen Monarchie institutionell gesehen etwas komplizierter, als es in dieser Deutung Rousseaus erscheinen könnte. Als eine Mo­ narchie d'etats< ist der status des Königreiches immer schon als eine Organisation von Partikularinteressen bestimmt. Vgl. Dietrich Gerhard, Problems of representation and delegation in the eighteenth Century, S. 124: »Representative Bodies (Estates) in the eighteenth Century were operating within the traditional framework of the corporate institutions as inherited from the late Middle Ages: a privileged corporate clergy and a privileged corporate nobility as well as a privileged third estate of city magistrates to which in a few countries the representatives of a free peasantry have to be added.« Diese Institutionen waren außerdem durch ihre regionale Gliederung partikularistisch ver­ faßt, siehe ebd., S. 134. 22 Gerade der Rückbezug auf die Unveräußerlichkeit des öffentlichen Eigentums ver­ leiht Rousseaus Argumentation die revolutionäre Schärfe, denn der Bezug auf konkrete Fragen der Eigentumsverfassung verankert die politisch-theoretische Fragestellung in der Wirklichkeit. Vgl. Ellen Meiksins Wood, The State and Popular Sovereignity in French Political Thought. Die politico-theologische Dimension des Staatsschatzes de­ monstriert Ernst H. Kantorowicz, Christus - Fiscus. Der Staatsschatz ist so wenig ver­ äußerlich wie die Güter eines Klosters. An dieser Maxime hat sich jede Repräsentation eines Gemeinwesens zu bewähren; nur der vermag das Gemeinwesen als selbständige Entität tatsächlich zu repräsentieren, der die Unveräußerlichkeit des Staatsschatzes wahrt - das ist die Pointe der spät-mittelalterlichen Argumentation. Der Übergang vom >status< zum >Staat< vollzieht sich deshalb in einer Änderung der Eigentumsverfas­ sung. Erst wenn der Besitz der Krone als Besitz des Staates und nicht mehr als Besitz einer Dynastie betrachtet wird, kann vom >Staat< gesprochen werden. Vgl. auch Ernst H. Kantorowicz, Inalienability. ^

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nimmt das in der >Economie Politique< diagnostizierte Defizit der monarchischen Verfassung noch einmal auf. Während die >Economie Politique< allerdings das Versagen der französischen Monarchie bloß konstatiert hatte, gibt Rousseau jetzt eine theoretische Begründung dieses Versagens. Nur in der Monarchie ist die Regierung nicht bloß eine >moralische und kollektive PersonWährend in den anderen Regierungsformen ein kollektives Wesen ein Individuum repräsentiert, repräsentiert hier ein Individu­ um ein kollektives Wesen.lien social< garantieren soll.25 Aus diesem Grunde aber hat die volonte particu­ liere so viel Einfluß: eine einzige natürliche Person setzt mit ihrem Willen die gesamte öffentliche Macht in Gang. Und zwar leider - hier mag Rousseau nicht idealtypisch denken - nicht auf das Ziel der öffentlichen Glückseligkeit.26 Diese Attacke auf die französische Monarchie beantwortet die Legitimationsfrage mit der Hilfe einer politik-ökonomischen Argumentation. Erst der >Contrat Social< wird dieses sozial-technische Problem dann durch das Pathos der Freiheit zusätzlich aufladen, das in der >Economie Politique< noch keine große Rolle spielt. 23 Contrat Social III, 6, S. 408. 24 Das ist ein bloß technisches Argument, mit dem später im >Contrat Sociale auch das Formproblem der Regierung im spezifisch Rousseauschen Sinne behandelt wird. Daß an dieses Problem ein anderes Problem angelagert ist, wird deutlich, wenn die Praxis der Gesetzgebung ins Auge gefaßt wird. Die Ausübung der Volkssouveränität wird nämlich gegen alle republikanische Intuition vom Prozeß der Deliberation freigehalten. Hinter dieser Maßnahme, die Rousseaus Praxis der Volkssouveränität von allen Versuchen einer Wiederbelebung des Republikanismus trennt, versteckt sich das tiefe Mißtrauen in die alte politische Kunst der Rhetorik. Rousseau versucht, den eigentlich souveränen Akt so zu organisieren, daß weniger der versammelte politische Körper entscheidet, sondern allererst der radikal vereinzelte Bürger. Das Mißtrauen in die verführerische Kraft der Rhetorik zwingt Rousseau zu einer anti-republikanischen Deutung der Praxis von Volkssouveränität. 25 Contrat Social III, 6, S. 408. 26 Contrat Social III, 6, S. 410. 86

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2. Interesse und communio Der doppelte Grund der volonte generale Hobbes' Entwurf war fest in einer Logik der Interessen gegründet. Unerschütterlich ist der Staat, weil er ohne jeden Umweg aus den egoistischen Interessen der vielen Einzelnen ableitbar ist. Der Ver­ zicht auf jede normative Stütze macht die Stärke des Leviathans, des neuen Staates aus - und die innere Stärke der Argumentation. Ein erster Blick auf Rousseaus Entwurf dagegen scheint eine ganz andere Sicht nahezulegen: Der Gesellschaftsvertrag, so kann es erscheinen, begründet eine ganz und gar idealistische Welt. Das politische Sy­ stem wird durch die Vaterlandsliebe der Bürger gefestigt, die ihre kleinlichen ökonomischen Interessen hintanstellen zugunsten des großen Ganzen. Wörtlich wird dann Rousseaus Qualifizierung des politischen Körpers als eines >moralischen Körpers< genommen: Der Gesellschaftsvertrag, so mag es zuallerletzt scheinen, begründet ein politisches System, in dem der interesselose Konsens der Moralität regiert. Aber ganz so ist es nicht. Tatsächlich ist Rousseaus Argu­ mentation mehr als ambivalent; sie bedient sich zweier Paradigmen, die in kompliziertem Verhältnis zueinander stehen. Rousseau be­ gründet nämlich den Abschluß des Gesellschaftsvertrages nur nach dem Modell der Interessenslogik, die er von Hobbes erbt. Die Fort­ schreibung dieser Interessenslogik im status civilis ist jedoch nur möglich, weil der Gesellschaftsvertrag Konsequenzen zeitigt, die un­ ter dem Stichwort der >communio< subsumiert werden sollen. Das klassisch-nüchterne Interessens-Paradigma taugt zur Beschreibung der durch Vertrag begründeten Gesellschaft nur, wenn zugleich die Metamorphose, wenn die bemerkenswerte Veränderung< in Rech­ nung gestellt wird, die der Vertrag bewirkt.27 Die klassische Entgegensetzung von Hobbes und Rousseau taugt wenig; Rousseau macht schon in der Vorbemerkung zum er­ sten Buch des >Contrat Social< deutlich, daß auch seine Konstruktion einer realistischen, keiner normativen Basis aufruht. Die Suche nach einer »legitimen und sicheren Regel der Verwaltung«28 nimmt mit dem vorlieb, was der Philosoph vorfindet - den Menschen, wie sie sind. Während jedoch die anthropologische Vorgabe von allem reali­ tätsfremden Optimismus frei zu sein behauptet, wird der Begriff der 27 Contrat Social I, 8, S. 364. 28 Contrat Social 1,1, S. 351. ^

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Gesetze - in dem das Moment der Herrschaft gerinnt - normativ aufgeladen. Die Menschen, so wie sie sind, und die Gesetze, so wie sie sein können, das ist der Grund von Rousseaus Sozialphilosophie. Rosseaus Projekt versucht, das vom Recht Erlaubte mit dem durch das Interesse Vorgeschriebenen, kurz, Gerechtigkeit und Nützlich­ keit zu identifizieren.29 Tatsächlich beharrt Rousseau immer auf der motivierenden Kraft des Interesses. Und zwar ebenso wie Hobbes auf der Grundlage der Identität von Vernunft und Interesse.30 Vernunft und Leiden­ schaft - und die Stimme der Leidenschaft ist die Stimme des nächsten Interesses - legen dem Menschen nach Hobbes den Übergang vom Naturzustand zum status civilis nahe, von der grenzenlosen, aber eben deshalb substanzlosen Freiheit zur bedingungslosen Unterwer­ fung. Die Identifizierung von Vernunft und Interesse macht den Hobbesschen Entwurf so unwiderstehlich; die Beendigung des Natur­ zustandes erscheint notwendig, unumgänglich, sie wäre von aller subjektiven Einsicht letztlich unabhängig. Weil aber die Aufforde­ rung, den Naturzustand zu verlassen, in der Sprache von Interesse und Vernunft ergeht, kann Hobbes den normativ-naturrechtlichen Aspekt der Vernunft unterschlagen. In dieser Linie wird dann später auch der Begriff der Gerechtigkeit selbst entnormativiert, in dem sich das normative Erbe des politischen Denkens angesammelt hat. Die Reduzierung der Gerechtigkeit auf das >pacta sunt servanda< macht deutlich, in welchem Maße der Begriff der Vernunft ökonomisch uminterpretiert worden ist: Vernunft ist nichts anderes als wohlver­ standenes Interesse, das die Zukunft in seine Berechnungen einbezo­ gen hat.31 Die argumentativ vorgeordnete Gleichheit der Menschen 29 Contrat Social I. 1. S. 351. 30 Diese Identifizierung von Vernunft und Interesse begründet denn auch den wahren Skandal der volonte generale, ihren anti-naturrechtlichen Charakter. In einem nicht für den Druck gewählten Kapitel des >Contrat Social< (De la societe generale du genre humain O.C., III, S. 281 ff.) polemisiert Rousseau gegen Diderots Vertrauen in die Evidenz des Naturrechts, das allein aus der Vernunft gewonnen werden kann, ebenso wie gegen dessen Universalität. Volonte generale begründet dagegen als Identität von Interesse und Recht immer - auf die Menschheit gesehen - partikulares Recht: das Recht eines bestimmten, je und je abgegrenzten politischen Körpers. Die Menschheit kann nie Sub­ jekt der volonte generale sein. Tatsächlich dient, so Rousseau ideologiekritisch, der Re­ kurs auf die Pflichten gegenüber der Menschheit nur der Verweigerung der Pflichten, die man denen gegenüber hätte, mit denen man lebt. (Vgl. Emile, S. 523) 31 Hobbes' Neudeutung des Naturrechts setzt nicht auf die normative, sondern auf die ökonomische Deutung der Vernunft. Die als das Wesen der Gerechtigkeit bestimmte 88

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begründet durch die mechanistische Anthropologie und durch die für alle gleiche Gefahr des gewaltsamen Todes, nicht durch ein normativ zu deutendes Naturrecht32 - ermöglicht den argumentativ problem­ losen Übergang vom >status naturalis< zum >status civilisbellum omnia contra omnes< stilisierten Konkurrenz - sondern ebenso deren institutionalisierte Zusammenkunft im großen Levia­ than. Denn die Vernunft erklärt den Menschen die Identität ihrer Interessen trotz aller Konkurrenz um knappe Güter - ja gerade we­ gen dieser Konkurrenz. Hobbes' Identifizierung von Vernunft und

Formel >pacta sunt servanda< kann als »Law of Nature« nur bezeichnet werden, weil sie eine Regel der Vernunft ist. Doch hier wird mehr als anderswo deutlich, in welchem Maße die Argumentation ökonomisch orientiert ist: Verträge zu halten, ist ein Natur­ gesetz nur, weil es uns durch eine Regel der Vernunft verboten ist, alles das zu tun, was unser Leben zerstören könnte. (Leviathan XV, S. 110 ff.) Der ständige Rückbezug auf das Überleben kann nicht verdecken, daß gerade die existenzielle Wendung der Argumen­ tation die ökonomische Deutung der Vernunft erzwingt. 32 Gegen Aristoteles beharrt Hobbes' Argumentation auf der Gleichheit der Menschen. Und zwar mit einer doppelten Begründung, einer quasi-anthropologischen und einer vertrags-pragmatischen Begründung. Die eine Begründung verweist darauf, daß für »die Frage, wer der bessere Mann sei, [...] im reinen Naturzustand, in dem, wie oben gezeigt, alle Menschen gleich sind, kein Raum« ist. Deshalb kann die gegenwärtige Ungleichheit, wie auch Rousseau später ausführen wird, nur »durch die bürgerlichen Gesetze eingeführt« worden sein. (Leviathan XV, S. 117) Das vertrags-pragmatische Argument aber begründet erst im eigentlichen Sinne das neunte Naturgesetz: »Jeder­ mann soll den anderen für seinesgleichen von Natur aus ansehen.« Nach diesem Argu­ ment ist die Gleichheit der Menschen von Natur nicht notwendigerweise eine Tatsache; sie kann auch eine Fiktion sein, unter der allein alle in den Friedenszustand einzutreten bereit wären. (Leviathan XV, S. 118) Unbesehen aller möglichen natürlichen Ungleich­ heiten erzwingt das Vertragsparadigma die Anerkennung der Gleichheit aller. Für die Praxis des Vertrages bedeutet das, was auch später Rousseau geltend machen wird, die Gleichheit der Bedingungen für den Ausgang aus dem status naturalis. - Dieses prag­ matische Argument wird John Rawls später im >Schleier des Nicht-Wissens< wieder normativ wenden. - Gleichheit ist bei Hobbes also einerseits eine Wirkung des Vertra­ ges, die aus dem allseitigen umfassenden Rechtsverzicht und der von allen gleicherma­ ßen geleisteten Autorisierung ohne Vorbehalt abgeleitet werden kann; umgekehrt aber reflektiert die Gleichheit der Untertanen vor dem Gesetz und das heißt vor dem Souve­ rän die Notwendigkeit einer fiktionalen Gleichheit als Bedingung der Gesellschaftlich­ keit. Aus diesem Grunde kann Hobbes Aristoteles denn auch vorwerfen, die Ungleich­ heit von Natur sei gegen jede Erfahrung und gegen die Vernunft. Gegen die pragmatische Vernunft nämlich, die die Bedingungen der Herstellung von Gesellschaft reflektiert. ^

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Interesse begründet den politischen Utilitarismus der Neuzeit, des­ sen Kennzeichen schwache Gerechtigkeit ist. Rousseau versucht, den Staat ebenso unerschütterlich zu grün­ den wie Hobbes. Allerdings verzichtet Rousseau auf die starre Insze­ nierung der Logik der Interessen, die Hobbes' >Leviathan< zu einem Angelpunkt in der Geschichte der Politischen Theorie macht. Dieser Verzicht macht die Wahrnehmung der Unerbittlichkeit des >Contrat Social< so schwierig. Rousseaus Versuch, Gerechtigkeit und Nützlich­ keit zu identifizieren, führt auf einen zugleich ähnlichen und doch ganz verschiedenen Weg. Da Rousseau an einem pathetischen Begriff der Gerechtigkeit festhält, ohne auf den argumentativen Vorrang des Interesses zu verzichten, steht er vor einem ganz anderen Problem als Hobbes. Konnte dieser die politische Vernunft aus dem Interesse an einer Regulierung des Konfliktes der Interessen ableiten, so muß Rousseau umgekehrt eine Definition des Interesses finden, die mit dem pathetischen Begriff der Gerechtigkeit selbst kompatibel wäre. Mit einer negativen Ableitung der Gerechtigkeit aus den Unbilden des Naturzustandes - wie Hobbes das versucht hatte - ist es dabei nicht getan. Die Aufgabe, Nützlichkeit und Gerechtigkeit zu identi­ fizieren, übernimmt jetzt der Begriff der volonte generale - und zwar ebensowohl in der als auch gegen die Tradition des Utilitarismus. Einer oberflächlichen Lektüre erscheinen volonte particuliere und volonte generale als Gegensätze, die eine durch den Egoismus des Interesses bestimmt, die andere durch das interesselose politische Wohlgefallen. Keineswegs jedoch beendet Rousseaus Gesellschafts­ vertrag das Regime des Interesses, er verschiebt lediglich dessen Ho­ rizont. Der Gesellschaftsvertrag versucht sich an der Konstruktion eines Allgemeininteresses, in dem die unter Umständen kurzfristig konfligierenden empirischen Einzelinteressen aufgehoben wären. Diese Alchemie aber kann nur gelingen, wenn die Existenz und das Wohlergehen des Einzelnen ganz und gar an die Existenz und das Wohlergehen des politischen Körpers gebunden wird. Schon die Konstruktion des politischen Körpers als einer all­ umfassenden Einheit, der die Einzelnen als Glieder angehören, dient dieser Bindung. Die körperliche Beschreibung versucht ein Bild für eine rechtliche Neuordnung des Lebens zu finden. Die organologische Metapher des politischen Körpers33 kann in der politischen Theorie zweierlei Verwendung finden: Zu unterscheiden wäre zwi33 Vgl. Gerhard Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, Organismus, Organisation; 90

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sehen der biologischen und der juridischen Deutung der Metapher. Die biologische Metapher beschwört den Zusammenhang der im po­ litischen Körper Vereinigten als einen vitalen Zusammenhang. In diesem Sinne wird das Immer-Schon, das Gewachsene des politischen Körpers beschworen. Die Mitglieder des politischen Körpers koope­ rieren wie die Organe eines jeden anderen Körpers. Entscheidend ist, daß diese Deutung der Metapher die Natürlichkeit des politischen Körpers hervorhebt. Diese Deutung der organologischen Metapher wird von der konservativen politischen Publizistik des 19. Jahrhun­ derts gerade gegen die Vertragstheorie beschworen, in der eine ganz andere Verwendung der Metapher vorherrscht.34 Die nämlich lehnt sich an eine Tradition an, die von der Kanonistik des 12. Jahrhunderts über das englische Staatsrecht des 16. Jahrhunderts bis in die späte Vertragstheorie eines Rousseaus reicht.35 Deren Reflexionen thema­ tisieren gerade das Problem nicht-natürlicher Körper. Hier wird nicht der Versuch unternommen, menschliche Assoziationen als natürlich auszugeben, indem sie mit dem Bild des politischen Körpers belegt werden; deshalb muß erklärt werden, in welchem Sinne diese Asso­ ziationen überhaupt Körper genannt werden. Diese Tradition entfal­ tet den Begriff des politischen Körpers als einen juridischen Begriff. Die >Körperschaftlichkeit< der zusammenfassenden Institutionen seien sie kirchlicher oder >weltlicher< Natur - erinnert an einen pri­ mordialen Rechtszusammenhang, an ein Ereignis, an eine Fiktion, der sich der Zusammenschluß der vielen Einzelnen verdankt. Von der Kanonistik in die Vertragstheorie reicht die Tendenz, den Ursprung, die Begründung des Gemeinwesens zu beschwören, um erklären zu können, in welchem Sinne die >res publica< als Körper gedeutet werden kann. Als Körper können diese Assoziationen erscheinen, weil sie mehr sind als Namen, unter die viele Einzelne subsumiert wären; diese - >anti-nominalistische< - Deutung der Körperschaftlichkeit thematisiert die selbständige Wirklichkeit der Assoziation über den Assoziierten. Insofern bringt die Interpretation von Assoziationen als Körperschaften gerade keine Metapher ins Spiel, sondern eine neue Wirklichkeit. Doch diese Wirklichkeit hat Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gerhard Dohrn-van Rossum, Art. Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper. 34 Vgl. u.a. Alexander Demandt, Metaphern für Geschichte, S. 81ff. 35 Vgl. Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht; Anton-Hermann Chroust, The Corporate Idea and the Body Politic in the Middle Ages. ^

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eben keinen biologischen Grund, sondern einen eucharistischen oder einen juridischen.36 Der politische Körper ist nicht natürlich, doch er hat höchste Realität. In dem Maße, in dem Institutionen als Körper bestimmt werden, treten ihre juridischen, gerade nicht traditionalen Momente hervor. Die vielen Einzelnen sind, das ist die politische Formulierung der Vertragstheorie, nicht durch naturwüchsige Ein­ heit verbunden, sondern durch einen Akt der Willkür. Gerade der aufklärerische Rationalismus, der die Legitimation der politischen Organisation aus ihrer Begründung ableitet, legt der Vertragstheorie die anti-natürliche, die mystische Wendung der Körper-Metapher nahe. Diese unglaubliche Verwandtschaft entsteht aus der erst bei Rousseau vollends plausiblen theoretischen Notwendigkeit, der poli­ tischen Assoziation eine eigenständige Realität zuzusprechen37, um das Volk als Subjekt der Souveränität bestimmen zu können.38 Rousseaus Einführung des politischen Körpers greift beide Deu­ tungsmöglichkeiten auf: der >corps politique< zeugt von einer ganz und gar juridischen Konstruktion, die jedoch ein quasi-natürliches System von Abhängigkeiten erzeugt. Die Bildung eines >moralischen Körpers< durch den Gesellschaftsvertrag zielt auf die Verschmelzung der Individualinteressen mit den Gemeininteressen - auf die Kon­ struktion einer neuen Natur. Bewerkstelligt wird diese Konstruktion durch einen Rechtsakt; der Gesellschaftsvertrag inszeniert die totale Entäußerung aller Rechte und Pflichten mit dem Ziel, die vielen Ein­ zelnen normativ und existenziell als Glied des neuen, politischen, 36 Den eucharistischen Hintergrund dieser für die Theorie des Staates so entscheiden­ den ekklesiologischen Diskussion betont Henri de Lubac, Corpus Mysticum. 37 Rousseau unterscheidet in dieser Hinsicht sehr genau zwischen >aggregation< und >associationassociation< hat politische Wirklichkeit, denn nur sie kennt ein >bien publiccorps politiqueAggregation< bezeichnet demgegenüber einen defizitären Status des Zusammenlebens der Menschen. Defizitär ist dieser Status aller­ erst durch die Illegitimität seiner Begründung. Die nur durch die eiserne Faust des Des­ poten oder Eroberers erzwungene Gesellschaft ist tatsächlich keine Gesellschaft, wie man nach dem Tod ihres Herrschers feststellen kann. Dann nämlich löst sie sich auf wie eine von Flammen verzehrte Eiche. (Vgl. Contrat Social I, 5, S. 359) 38 Bei Hobbes, so könnte man argumentieren, fehlt dem Problem die letzte theoretische Dringlichkeit. Denn die Selbständigkeit des Staates wird eigentlich weniger durch die Körperschaftlichkeit des >body politique< als vielmehr durch die unleugbare Körperlich­ keit des Souveräns gewährleistet. Hobbes' Anleihen bei der Zwei-Körper-des-KönigsIdeologie der Tudors haben wohl zugleich die Funktion, die Künstlichkeit des Staates herauszustellen und die Effekte des Prozesses der Repräsentation ins Bild zu setzen. Tatsächlich jedenfalls kann die Realität des >body politique< nur als die Realität des den Staat verkörpernden Souveräns gedeutet werden. 92

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Körpers deuten zu können. Diese Verschmelzung soll durch die Ein­ führung eines neuen Wesens gesichert werden; der Gesellschaftsver­ trag produziert »an der Stelle« der Einzelpersönlichkeit jedes Ver­ tragspartners einen moralischen Kollektivkörper.39 Aber was heißt dieses »au lieu«? Ersetzt, verdrängt der Kollektivkörper die Einzel­ persönlichkeit? Oder handelt es sich um eine bloße Analogie, in der der moralische Körper nach dem Bilde der Einzelpersönlichkeit gebil­ det wäre? Rousseaus Antwort ist nicht eindeutig. Ohne Zweifel ist der >Contrat Social< ein frühes Zeugnis der gesellschaftlichen Zer­ splitterung der Moderne; deshalb stellt er die Differenzen von Inter­ essen und deren Übereinstimmung als Grund der Gesellschaftlich­ keit in Rechnung.40 Man kann sich den Gesellschaftsvertrag als einen Filter vorstellen: Passieren die differentiell bestimmten Inter­ essen diesen Filter? Sind unter diesen Bedingungen Interessensdiffe­ renzen überhaupt noch denkbar, deren Wahrnehmung den soziologi­ schen Kern der modernen Politischen Theorie ausmachen? Sicher jedenfalls ist, daß die doppelte Deutung des politischen Körpers natürlich und künstlich - auf das theoretische und praktische Pro­ blem der Begründung eines Staates durch das Interesse antwortet. Hobbes hatte in der >authorization without stint< den Kern der Begründung des Leviathan ausgemacht. >Without stint< ist auch Rousseaus Sozialvertrag; die >alienation totale< spiegelt nur zu deut­ lich den Hobbesschen Versuch, den Absolutismus der Souveränität zu sichern.41 Aber gegen Hobbes' - wenngleich durch den Terror der 39 Contrat Social I, 6, S. 361. 40 Contrat Social II, 1, S. 368. 41 Im Versuch, »dem staatlichen Souverän eine absolute Rechtsposition zu verschaffen, ist Rousseau ganz der Perspektive seines großen Gegners (Hobbes, A. A.) verpflichtet«. (Karlfriedrich Herb, Naturgeschichte und Recht, S. 364) Rousseau beschränkt die totale Entäußerung durch zwei pragmatische Klauseln, deren Konsequenzen von Rousseau jedoch kaum bedacht werden: Erstens wird nur entäußert, was dem Zweck des Gesell­ schaftsvertrages dient; zweitens wird die Entäußerung so wenig bedrückend (onereuse) wie möglich sein: Da für alle die gleichen Bedingungen gelten, werden sie so erträglich wie möglich ausfallen. (Vgl. Contrat Social II, 4. S. 373 und Contrat Social I, 6, S. 361) Die erste Einschränkung hatte auch Hobbes geltend gemacht; und auch der Engländer hatte den problematischen Charakter dieser Einschränkung durch den Hinweis darauf abgemildert, daß der Souverän über den Umfang des Rechtsverzichtes bestimmte. Wie Hobbes zeigt Rousseau, in welchem Maße der Souverän, der seine Existenz doch erst dem Abschluß des Gesellschaftsvertrages verdankt, über das Maß der abzutretenden Rechte entscheidet - und damit nachträglich über die konkrete Gestaltung des Sozial­ vertrages. - Sowohl bei Hobbes als auch bei Rousseau jedoch bleibt die Möglichkeit im Dunkeln, wie die pragmatische Beschränkung der zu entäußernden Rechte durch den ^

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Souveränität verdunkelten - Liberalismus gliedert Rousseau, zumin­ dest in der Beschreibung des Gesellschaftsvertrages, den Einzelnen auf eine unerhörte Weise dem corps politique ein. Der Einzelne, der sich selbst mit seinen Rechten vollständig an die ganze Gemeinschaft veräußert hat, ist nichts mehr, was er nicht durch die Gemeinschaft wäre.42 Weil das Leben der Einzelnen nach dem Abschluß des Gesell­ schaftsvertrages nur als Leben im und durch den politischen Körper vorgestellt werden kann, muß die individuelle Sorge um die Selbst­ erhaltung der Einzelnen in die Sorge um die Selbsterhaltung des po­ litischen Körpers aufgehen. Das ist die Geburtsstunde der volonte generale. In diesem Begriff wird das Interesse des Einzelnen mit dem des Ganzen auf bemerkenswerte Weise kurzgeschlossen: Ein Verweis auf den Vertragszweck, die doch fundamentale Konsequenzen hätte, und der vollständige Rechtsverzicht zusammengedacht werden können. Hobbes ist in dieser Hinsicht sicher ambivalenter als sein Nachfolger; der staatsbegründende Verzicht auf das Recht auf alles kann sowohl umfassend als auch eingeschränkt interpretiert werden. Gegen die Deutung des umfassenden Rechtsverzichtes a la Rousseau kann immer schon - wie Kant das tun wird - der Verzicht auf das Recht auf alles als der Verzicht auf die Durchsetzung jener natürlicher Rechtstitel gedeutet werden, die mit dem Recht der anderen inkompatibel wären. Nicht zuletzt an der Frage nach der Deutung des Verzich­ tes auf das Recht auf alles entscheidet sich auch die Frage nach der Gesamteinschätzung Hobbes' als eines Vordenkers des liberalen Rechtsstaates oder als eines Verfechters des absoluten Staates. 42 Dennoch behauptet Rousseau, daß das Leben und die Freiheit der Privatpersonen, aus denen die öffentliche Person, der politische Körper also besteht, natürlich unabhängige vom politischen Körper sind. (Contrat Social II, 4; S. 373). Rousseau selbst weiß um den Widerspruch, in dem diese Anmerkung zur >alienation totalee des Gesellschaftsvertrages steht. Der Fortbestand natürlicher Rechte kann nur unter der Bedingung einer Ein­ schränkung der alienation totale gewährleistet werden. Die Einschränkung ist, in diesem Kontext gedeutet, tatsächlich nicht bloß pragmatischer Art. Pragmatisch wäre dann vielmehr die Bedingung der alienation totale selbst. Sie bedeutet tatsächlich nicht die faktisch-totale Entäußerung aller Rechte; gefragt wird nur nach der Zustimmung zur potentiellen Entäußerung eines jeden einzelnen natürlichen Rechtstitels. Die Klausel der >alienation totalee präjudiziert nicht weniger aber auch nicht mehr als die Verpflich­ tung, genau jene Rechte abzutreten, die der Souverän bezeichnen wird. Über das Maß der Entäußerung, und das ist der Sinn ihrer vorgeblichen Totalität, entscheidet der Sou­ verän. Die Zustimmung zur totalen Entäußerung geschieht also im festen Vertrauen darauf, und das ist entscheidend, daß der Souverän das Maß der Entäußerung pragma­ tisch nach den Erfordernissen der Gemeinschaft bestimmt. Da jedoch ein jeder Einzelne Teil des Souveräns ist, können sich tatsächlich alle darauf verlassen, daß das Maß des Rechtsverzichtes so wenig bedrückend wie möglich ausfällt. Die Interpretation eines >totalitärene Rousseaus, wie berechtigt sie auch sein mag, übersieht, daß Rousseau gera­ de mit der >demokratischene Deutung der Souveränität eine liberale Schranke des Ge­ sellschaftsvertrages installiert hat. 94

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quasi-religiöses Modell der communio und das individual-utilitari­ stische Modell der Interessenslogik gehen eine unerhörte Synthese ein. Sie überwindet das klassische Naturrechtsdenken ebenso wie das liberale Vertragsdenken. Rousseau versucht, die politischen Widersprüche der Moderne zu lösen, indem er den Begriff der volonte generale in das Zentrum seiner politischen Theorie erhebt. Dieser Versuch hält an der Mög­ lichkeit fest, die Widersprüche der Individualinteressen aufzuheben; während Hegel später Staat und Gesellschaft unterscheiden wird, beharrt Rousseau auf dem Einheitsbegriff des Volkes - und für dessen individuelle Realisierung steht der citoyen. Dessen Voraussetzung besteht in der der Wahrnehmung der Gegenseitigkeit und Gleichheit, die ihn mit seinen Mitbürgern verbindet. Eine Gegenseitigkeit, die sich der Tatsache verdankt, daß alle in der gleichen Weise an den politischen Körper gebunden sind. In dem Maße, in dem der mora­ lische, der politische Körper an die Stelle des natürlichen tritt, muß sich der Selbsterhaltungswille des Einzelnen auf die Erhaltung des politischen Körpers beziehen. Das ist das Geheimnis, welches inter­ essenslogisch die Herrschaft der volonte generale überhaupt erst ermöglicht. Denn in der volonte generale kristallisiert sich das ge­ meinsame Interesse< aller. Das gemeinsame Interesse< bildet jenen Punkt, in dem die vielen Partikularinteressen übereinstimmen und damit zugleich das Maß, nach dem die Gesellschaft regiert wer­ den muß.43 Volonte generale ist also nicht der feindliche Gegensatz zur volonte particuliere, sondern das universale Moment der vielen volontes particulieres, das allerdings erst nach dem Abschluß des Ge­ sellschaftsvertrages seine volle Kraft entfaltet. Da die Bindung des Einzelnen an den politischen Körper aus der Logik der Interessen an der Selbsterhaltung abgeleitet wird, kann die volonte generale ganz und gar unpathetisch konstruiert werden. Rousseaus Unterscheidung einer >volonte de tousvolonte generaleContrat Social< eine restitutio der natürlichen rechtlichen Gleichheit. Der >zweite Diskurs< hatte eine Sozialgeschichte der Ungleichheit geliefert, die durch den illegitimen Versuch einer Begründung der rechtlichen, der moralischen Ungleichheit aus der natürlichen faktischen Ungleichheit gekennzeichnet war. Im >Contrat Social< werden diese faktischen Ungleichheiten keine Rolle mehr spielen können; sie werden gleichsam durch die künstliche moralische Gleichheit absorbiert. In diesem Sinne kann denn auch das konkurrierende Interesse< der beiden Schriften betont werden. Deshalb plädiert Herb für eine »eigenständige prinzipien-theoretische Lektüre des Contrat Social«. (Na­ turgeschichte und Recht, S. 371) Der Verzicht auf empirisch-historische Erörterungen zur Vorgeschichte des status civilis im >Contrat Social< wird später von Kant fortgesetzt; auch dort mit dem Ziel, eine >Theorie< des Staates gegen alle empirischen Erwägungen zu begründen. 96

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Gerechtigkeit des Status civilis steuert nicht gegen die Partikularin­ teressen; strenger als Hohhes sich das hätte träumen lassen, leitet Rousseau die politische Gerechtigkeit - und das heißt formal gespro­ chen: die Rechtsgleichheit - aus der Natur des Menschen ah, die ganz wie hei Hohhes durch das je eigene Interesse hestimmt wird. Rous­ seau kann auf jede apriorische Rechtsidee verzichten, weil seine Ar­ gumentation auf der Einheit von Recht und Nützlichkeit heruht.45 Die Attrihuierung der Souveränität an das Volk selhst ermöglicht gegen Hohhes wieder eine normative Deutung der Gerechtigkeit, die jedoch, und das zeichnet Rousseaus Argumentation aus, fest in der Logik des Eigennutzens hegründet ist. Die politischen Entschei­ dungen werden immer gerecht sein, weil an ihnen alle heteiligt sind und weil von ihnen alle hetroffen sind. Der Bürger ist kein Engel; Rousseaus Konstruktion heruht umgekehrt gerade darauf, daß jeder Bürger hei jeder Entscheidung des politischen Gemeinwesens sein wohlverstandenes Interesse in Rechnung stellen wird.46 Deshalh ist die ohjektive Universalität der volonte generale deren wichtigstes Attrihut: Weil jeder von jeder politischen, d. h. souveränen Entschei­ dung hetroffen wird, ist ganz mechanisch sichergestellt, daß jeder Bürger in seinem Interesse entscheidet.47 Die Anerkennung der Gleichheit als Basis der Gerechtigkeit, die tatsächlich den Dreh- und Angelpunkt des Rousseauschen Modelles darstellt48, kommt zumin­ dest auf einer Ehene der Argumentation ohne jede normative Un­ 45 Vgl. Reinhard Brandt, Droit et interet dans le Contrat Social de Rousseau, S. 120f. 46 John Rawls wird später diese Denkfigur revitalisieren: Mit dem >Schleier des NichtWissensc wird Rousseaus Versuch reproduziert, Gerechtigkeit aus dem wohlverstande­ nen Nutzen eines jeden ahzuleiten. (Theorie der Gerechtigkeit, I, 3) 47 Wie Hohhes, so argumentiert auch Rousseau mit dem klassischen Rechtssatz >volenti non fit iniuriac. Allerdings hatte Hohhes, und das hat seine Argumentation nicht unerhehlich geschwächt, auf den Gedanken der Autorisierung zurückgreifen müssen, um zu erklären, weshalh der Souverän niemandem Unrecht tun kann. (Vgl. Leviathan XVIII, S. 139) - Ahgesehen von der nicht gerade vertrauenerweckenden Parallelhegründung, wonach der Souverän kein Unrecht gegen die Untertanen hegehen kann, weil er in keinem Rechtsverhältnis zu ihnen steht, da er keinen Vertrag mit ihnen geschlossen hat. - Darauf aher mag sich Rousseau aus pragmatischen Gründen und darauf kann er sich aus fundamentalen Gründen nicht verlassen. Pragmatische und fundamentale Erwä­ gungen hegründen die Unmöglichkeit, die Souveränität zu repräsentieren. Nur die tat­ sächliche Partizipation aller Bürger an der Gesetzgehung, so Rousseau, stellt sicher, daß der Souverän tatsächlich kein Unrecht hegehen kann. 48 Rohert Derathe macht im Begriff der Gleichheit >den Schlüssel zur Politik Rousseausc aus. (La place et Timportance de la notion d' egalite dans la doctrine politique de Jean­ Jacques Rousseau, S. 60) ^

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terfütterung aus. Die natürliche Gleichheit der Interessen ermöglicht erst die Konstruktion der volonte generale. Und eben diese Gleichheit erlaubt die Unterwerfung der vielen Einzelnen unter die volonte generale ohne jeden Freiheitsverlust. Das aber ist die Legitimitäts­ bedingung des Gesellschaftsvertrages selbst, des Gründungsaktes. Damit gelingt Rousseau, wie Hobbes, die Erfüllung des in den natürlichen Rechten konkretisierten Autonomieimperatives ohne den Rückgriff auf eine Argumentation, die anderes als das Eigen­ interesse ins Spiel brächte. Der Gesellschaftsvertrag stellt eine Antwort auf die Notwendig­ keit dar, das Handeln der Menschen ohne den Verlust von individu­ eller Freiheit zu orchestrieren. Damit wird das Legitimitätsproblem verschoben. Jetzt steht nicht mehr die Begründung der Herrschaft im Vordergrund - obwohl auch die noch ein entscheidendes Kriterium der Legitimität politischer Verfassung ist -, sondern deren Praxis. In der Begründung des politischen Körpers unterscheidet sich Rousseau kaum von Hobbes. Die Bewahrung der Güter und Rechte des Einzel­ nen als Aufgabe des Staates zu erklären und diesen Staat konventionalistisch zu begründen, heißt der von Hobbes eröffneten Tradition des neuzeitlichen Vertragsdenkens nur wenig hinzuzufügen. Darauf zu setzen, daß der Übergang zum >etat civil< eine beachtliche Veränderung< des Menschen herbeiführt49, heißt jedoch die Sachlichkeit des neuzeitlichen Vertragsdenkens vollständig zu unterlaufen. Tat­ sächlich - und das macht die Faszination des Rousseauschen Model­ les aus - argumentiert Rousseau zwiespältig: Er beschreibt den Ab­ schluß des Gesellschaftsvertrages interessenslogisch, dessen Effekte jedoch allererst nach dem religiösen Modell der >communioalienation totale< zu bestimmen, be­ deutet, auf eine Gleichheit zu bauen, die nicht umstandslos aus der Identität der natürlichen Interessen abgeleitet werden kann. Die Identität von Nützlichkeit und Gerechtigkeit kann politische Realität 49 Contrat Social I, 7, S. 364. 98

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nur unter der Bedingung werden, daß die Herrschaft der volonte generale gesichert ist. Das aber kann nur unter der Bedingung der Gleichheit der den politischen Körper bildenden Individuen gedacht werden. Der Ursprung dieser Gleichheit ist anti-natürlich; sie ver­ dankt sich einem Willensakt der vielen Einzelnen, die gerade von ihrer Natur abstrahieren, um den politischen Körper zu begründen. Die >totale Entäußerung< dient der Wiederherstellung der durch die Korruption des zweiten Naturzustandes verlorenen Gleichheit. Die Menschen, die sich ihrer Güter und Rechte begeben, werden als Gleiche Mitglieder einer Neuen Gemeinschaft.50 Diese Gleichheit kann die tatsächliche Interessensidentität erst begründen. Totale Ent­ äußerung bedeutet den Verzicht auf alle Ansprüche, die sich aus der alten Wirklichkeit des Naturzustandes ableiten ließen. Dagegen setzt Rousseau das paulinische Modell: das Abstreifen des alten Kleides, das Anlegen des Neuen Menschen.51 In diesem Sinne wäre Rousseaus Gesellschaftsvertrag der Neueste Bund - ein Bund jedoch, den die Menschen nicht mehr mit Gott, sondern mit sich selbst schließen. Jetzt hat Hobbes' gerne vergessenes Diktum >homo homi­ ni Deus< neue politische Realität gewonnen. Die bloße Ableitung des Rechts aus dem Interesse kann noch nicht die im Wortsinne >religiöse< Aufladung des corps politique er­ klären. Man mag Rousseau als einen Denker beschreiben, der sich mit einem kleinen Unterschied in der Nachfolge Hobbes bewegt: Rousseau ersetzt den primär konflikthaften Charakter der Interessen der vielen Einzelnen durch eine Modell der substanziellen Homoge­ nität der Interessen.52 Wird dieses Argument jedoch zu pointiert vor­ getragen, dann verzerrt es den >Contrat Social< erheblich. Ganz aus­ drücklich spricht Rousseau von der Übereinstimmung und dem Widerspruch der Interessen als der Grundlage der Gesellschaftlichkeit.53 Rousseau lädt den Gesellschaftsvertrag nach dem Modell der 50 Die gemeinschaftsbegründende totale Entäußerung hat ihr großes Vorbild an der Gütergemeinschaft der Jünger Christi (vgl. Apg. 2, 44ff. und 4, 32ff.) Die Jünger wer­ den nicht zuletzt deshalb ein Herz und eine Seele, weil sie sich ihrer Güter entäußert haben. Vgl. zur Umdeutung dieses Topos bei Augustinus Adam, Heilsgeschichtliche Soziologie, S. 159 f. 51 Vgl. Eph. 4, 22 ff. 52 Vgl. Brandt, Droit et interet; vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtl. Lage des Parlamen­ tarismus, S. 19. 53 »... car si l'opposition des interets particuliers a rendu necessaire l'etablissement des societes, c'est l'accord de ces memes interets qui forme le lien social.« (Contrat Social II, 1, S. 368) ^

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communio auf, um den Widerspruch der Interessen politisch zu ent­ schärfen. Der Akt, durch den ein Volk zum Volk wird, imitiert ganz ohne Zweifel religiöse Vorbilder. Klassisch ist die Herausbildung eines Volkes durch einen Vertrag. Das ist judeo-christliche Tradition: durch einen Vertrag mit Gott wird ein Volk >gemachtcorpus christicorps politique< ist die säkulare Version des >corpus christipacta sunt servandae. Hobbes' repräsentatives System der Souveränität bürdet dem Souverän die Aufgabe auf, die formale Identität der Einzelinteressen mit dem öffentlichen Interesse für jeden Einzelnen wahrnehmbar zu machen. Diese Delegation aber ist unter den aufklärerischen Prämis­ sen der Autonomie nicht denkbar. Deshalb muß die Wahrnehmung der volonte generale dem Einzelnen auf Dauer aufgebürdet werden.55 Der hohe Preis der Volkssouveränität besteht in der Selbstherrschaft. 55 Rousseaus skeptisches Argument gegen die Repräsentation der Souveränität stellt die Unwahrscheinlichkeit der dauerhaften Übereinstimmung (accord) einer volonte particuliere mit der volonte generale in Rechnung. Das Pathos der Freiheit verbietet jede repräsentative Bindung der Souveränität, die für Hobbes nicht bloß kein Problem war, sondern umgekehrt die Lösung eines Problemes. Zugleich aber wird die Bedeutung der Umdeutung des bonum commune in die volonte generale erkennbar. Die Bestimmung eines bonum commune nämlich kann durchaus repräsentativ gedacht werden; die lang­ fristige Willensübertragung jedoch stellt ein Problem für die politische Wendung einer Anthropologie der Freiheit dar. Deshalb ist ein Volk, das auf sein Recht verzichtet, die volonte generale zu artikulieren, sowenig ein Volk, wie ein Mensch, der auf seine Frei­ heit verzichtet, ein Mensch ist. (Contrat Social II, 1, S. 369; vgl. Contrat Social I, 4, S. 356) Durch die Bindung des >interet commune an die volonte generale stellt sich ein politisches Freiheitsproblem, das Hobbes verdrängt hatte. ^

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Der Einzelne selbst ist gezwungen, das >interet commun< zu be­ fördern, indem er die volonte generale erkennt und bestimmt. Das kann jedoch nur unter der Bedingung geleistet werden, daß das interet commun dem Partikularwillen nicht einfach entgegensteht. Rousseau scheint skeptisch, ob das bloße interessenslogische Argu­ ment stark genug ist, um diese Identifizierung zu gewährleisten. Deshalb muß das communio-Modell aktiviert werden. Der Gesell­ schaftsvertrag bewirkt eine mystische Metamorphose der vielen Ein­ zelnen, deren Existenz jetzt unlösbar mit der Existenz des politischen Körpers verbunden ist. Dadurch wird einerseits die Wiederaufnahme der nackten Interessenslogik ermöglicht; zugleich aber bewirkt diese Metamorphose eine Sozialisierung der Individuen, die ihnen die Transzendierung des Eigeninteresses ermöglicht. Unter dem Begriff des >lien social< hat Rousseau im Kapitel über die Zivilreligion dieses Problem thematisiert. Nicht die Identität, die Identifizierung von vo­ lonte generale und volonte particuliere entscheidet über die Herr­ schaft der volonte generale. Deshalb spielen die Inszenierungen der communio eine so große Rolle. Sie ergänzen die Kalkulation der In­ teressen durch Glaube, Liebe, Hoffnung. Zivilreligion und Patriotis­ mus verweisen auf die Dimension des Staates, die nicht in kalkulato­ rischer Vernunft aufgeht. Das Hobbessche Regime gibt sich mit Äußerlichkeiten, mit einer Logik des Als-Ob zufrieden. Die mechanisch erzwungene Ge­ setzeskonformität entlastet den Einzelnen von jeder weiteren Über­ legung, ob sein Handeln einem doch immer nur fiktiven bonum commune entspreche. Der Souverän steuert die Handlungen, nicht die Gesinnungen der Untertanen. Die politische Problematik dieser Konstruktion ist evident: Der Rechtspositivismus schluckt alle wei­ teren moralischen Überlegungen der Einzelnen. Die moralische Ent­ lastung, welche die Konstruktion der Souveränität verspricht, bedeu­ tet auf der anderen Seite eine grobe Behinderung des moralischen Urteils. Ein Urteil über das bonum commune steht dem Einzelnen nicht mehr zu. Daß der Einzelne im Innersten seines Herzens ein solches Urteil durchaus fällen könnte, ändert nichts an dieser grund­ sätzlichen Sperre. Denn entscheidend ist die verhinderte politische Wendung des moralischen Urteils in die Öffentlichkeit. Die public opinion wird durch den Souverän bestimmt, der mit dem politischen auch das moralische Monopol gewonnen hat.56 Gegen die politik­ 56 Das Beurteilungsmonopol des Souveräns erstreckt sich auf alle Fragen, gleicherma102

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pädagogische Dynamik der späteren Aufklärungsphilosophen ver­ sucht sich Hohhes an der ausdrücklichen Behinderung des mora­ lischen Urteils der vielen Einzelnen aus skeptischen Erwägungen her­ aus. Am selbständigen Urteil der vielen Einzelnen, das Kant später gerade für die Zurückweisung des politischen Paternalismus so wich­ tig sein wird57, liegt Hohhes nichts, aber auch gar nichts. Nie zielte Hohhes' Konstruktion des politischen Körpers auf die Verschmelzung der vielen einzelnen Interessen in ein honum com­ mune. Nicht der konflikthafte Charakter des Naturzustandes wird im >status civilis< aufgehohen, sondern dessen unerträgliche Effekte. Der Konflikt der Interessen, in dem sich die vielen Einzelnen als scheinhar unversöhnliche Konkurrenten entgegenstehen, wird entpoliti­ siert: Gewalt scheidet als Mittel der Interessensverfolgung aus. Der Leviathan macht aus Feinden Konkurrenten. Die Konfliktstruktur des Naturzustandes ragt in den status civilis - allerdings von ihrer agonalen Potenz gereinigt. Da die Einzelnen ohne institutionelle Stütze nicht dazu in der Lage sind, dauerhaft ihr ganz und gar egoi­ stisches Interesse an einer Beschränkung der Mittel zu erkennen, die ihnen zur Verfolgung ihrer divergierenden und konfligierenden In­ teressen zur Verfügung stehen sollten, hat Hohhes dieses Prohlem ausgelagert: Das ist der Kern der Souveränität. Doch genau diese

ßen auf die Frage nach der Bestimmung der Mittel zur Friedenssicherung (Leviathan XXIX), als auch auf die Frage nach der Anerkennung der Wunder. An diesem theologi­ schen Prohlem hat Hohhes das umfassende Beurteilungsmonopol des Souveräns am deutlichsten ausgeführt. »Da die Gedanken frei sind, hat ein Privatmann immer die Freiheit, die Taten, die für Wunder ausgegehen worden sind, in seinem Herzen zu glauhen oder nicht, je nachdem er erkennt, welcher Vorteil aus dem Glauhen der Leute denen erwachsen kann, die das Wunder hehaupten und sich dafür einsetzen, und er mag sich daraufhin üherlegen, oh sie Wunder oder Lügen sind. Gilt es aher diesen Glau­ hen zu hekennen, so muß sich die private Vernunft der öffentlichen Vernunft unter­ werfen, das heißt dem Statthalter Gottes.« (Leviathan XXXVI; S. 340) Nehen der skandalösen - Reduktion des Glauhensaktes auf eine Nutzenprüfung muß die Unter­ scheidung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Urteil hervorgehohen werden. Die öffentliche Bedeutungslosigkeit des privaten Urteils sichert den politischen Dualis­ mus des Thomas Hohhes, der zwischen den Einzelnen und dem Souverän kein Drittes, Gesellschaft, kennt. Die Bedingung des privaten Urteils, die mechanisch hegründete Gedankenfreiheit ist auch die Bedingung ihrer Bedeutungslosigkeit. Gedankenfreiheit nämlich giht es nur, weil der Souverän keinen Zutritt ins Innerste der Herzen hat; damit ist aher umgekehrt der Bereich, in dem die Freiheit der Gedanken statthat, als der Kerker der Gedanken hestimmt. 57 Vgl. Gemeinspruch, S. 291. ^

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Lösung ist für Rousseau strenge Deutung des Gesellschaftsvertrages unterm Leitstern der Freiheit unmöglich.

3. Bien commun oder volonte generale? Rousseaus politisches Regime beruht auf der Personalunion von Un­ tertan und Bürger als einem Glied des Souveräns. Deshalb treten die Motive der Handlungen in den Vordergrund, denn die Handlungen können nicht mehr durch den Terror einer dem Einzelnen gegenüber­ stehenden Instanz ganz äußerlich gewährleistet werden. Alles hängt davon ab, daß im politischen Prozeß die volonte generale die volonte particuliere verdrängt, nicht bloß überdeckt, sondern ersetzt. Dieser Akt der Verdrängung ist im Gesellschaftsvertrag angelegt, aber nicht ausgeführt. Wie jedem natürlichen Körper, so kommt auch dem mo­ ralischen Körper des Staates, der nur in der Einheit seiner Mitglieder besteht58, ein Wille zu, die volonte generale. Volonte generale ist der Wille des politischen Körpers, ein durch und durch selbstreflexiver Wille, der einzig und allein auf die Selbsterhaltung des politischen Körpers zielt - und damit indirekt auf die Selbsterhaltung seiner Glieder. In quasi-naturrechtlicher Tradition erklärt Rousseau die Souveränität als Ausübung der volonte generale - und bindet so zu­ gleich die Willkür der politischen Macht an die Vernunft und die Mechanismen ihrer Ausübung an die Existenz des Volkes. Der auf­ klärerische Imperativ der Selbstherrschaft verbietet jede Repräsenta­ tion des Vernünftigen, die immer nur Rückfall in Heteronomie, Fremdherrschaft bedeutete, denn repräsentiert wird eben - und das ist der entscheidende Schritt von der >Economie Politique< zum >Contrat Social< - nicht einfach ein selbständig Vernünftiges, sondern das Vernünftige als volonte generale. Weil das bonum commune durch den Allgemeinwillen bestimmt wird, ist es notwendig, die Herrschaft der volonte generale im Einzelnen zu verankern, wenn dem Primat der Autonomie tatsächlich Genüge getan werden soll. Zwischen der Anarchie eines verdorbenen Gesellschaftszustandes, wie ihn der 2. Diskurs schildert59, und der absoluten Autorität des Leviathan führt der enge Weg der politischen Autonomie, der durch die Unter­ werfung unter die volonte generale gekennzeichnet ist - und Freiheit 58 Contrat Social II, 4; S. 372. 59 Vgl. Rousseau, Discours sur l'origine de l'inegalite, O.C.III, S. 191. 104

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in der Selbstherrschaft gewährleistet. Nur das Prinzip der >volonte generale< vermag »die Übereinstimmung von Freiheit und Gehor­ sam« zu gewährleisten - als das Leitprinzip legitimer politischer Ordnung. Rousseaus politisch-institutionelles Problem besteht darin, das bien commun dem monarchischen Zugriff, dem monarchischen Artikulations- und Interpretationsmonopol zu entwinden. Rousseau entfaltet die Lehre vom bonum commune, in der ohne Zweifel auch ein aristotelisches Erbe enthalten ist, als Lehre von der >volonte generale< und macht damit die Frage nach der Artikulation des bo­ num commune drängend. Rousseau hat die Lehre von der volonte generale in zwei Fassungen vorgetragen, in der >Economie Politique< und im >Contrat Socialdie Erhaltung und das Wohlergehen des Ganzen und jedes Teiles zielt«60 Die >Economie Politique< unterschlägt jedoch den >Willensaspekt< der volonte generale. Obwohl Rousseau immer wieder die Verbindung von volonte generale und Gesetz betont, ist ihm doch nichts ferner als der voluntative Gestus, der in der unter Absolutisten so beliebten Maxime des römischen Rechts ihren Ausdruck findet: quod placuit principi, legis habet vigorem. Die >Economie Politique< ist ganz vom Gedanken der normativen Interpretation der volonte generale als bonum commune beherrscht - und zwar offenbar gänz­ lich unbeeindruckt vom voluntaristischen Gestus der Souveränitäts­ lehre. Die >Economie Politique< treibt die Identifizierung von >volonte generalebien du peuple< und >raison publique< so weit voran, daß kaum mehr einsichtig ist, warum die volonte generale überhaupt noch Wille sein sollte. Stattdessen wird die Vernünftigkeit der volonte generale betont: Wie die Gesetze ihre Macht nicht der Strenge der Magistrate verdanken, sondern ihrer eigenen Weisheit, so verdankt der öffentliche Wille sein Gewicht der Vernunft, die ihn diktiert hat.61 Die volonte generale, die - so die Argumentation der >Economie Politique< - der Verwaltung als Richtschnur und dem Gesetz als

60 Economie Politique, S. 245. 61 »La puissance des lois depend encore plus de leur propre sagesse que de la severite de leurs ministres, et la volonte publique tire son plus grand poids de la raison qui Ta dictee.« (Economie Politique, S. 249) ^

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Quelle und Supplement dient62, ist nicht der empirische freie Wille des Ganzen, sondern dessen idealer Wille, der nur vernünftig sein kann. Deshalb braucht die Regierung nur gerecht zu sein, um sicher­ zugehen, daß sie auf den Pfaden der volonte generale wandelt.63 Rousseau trennt in der >Economie Politique< die volonte generale vom Problem der Willensbildung und versucht so, jede verfälschende Aneignung der volonte generale zu verhindern. Deren Reinheit kann - so argumentiert die >Economie Politique< - nur gewährleistet wer­ den, solange die natürlichen Individuen von ihrer Artikulation fern­ gehalten werden, weil sie triebhaft von ihrer volonte particuliere be­ herrscht werden. Der Entwurf der >Economie Politique< ist deutlichst paternalistischen Gedankengängen verhaftet.64 Das Mißtrauen ge­ genüber der politischen Willensbildung durch das Volk65 legt es nahe, dem Volk verantwortliche Eliten als Hüter der volonte generale zu geben. Es ist nur zu deutlich, wie fern Rousseau hier noch den Pro­ blemen der modernen Politischen Theorie steht; die Deutung der vo­ lonte generale als bien commun versucht sich gerade umgekehrt an einer Revitalisierung des klassisch-normativen Diskurses der Politik - in durchaus polemischer Absicht gegenüber der politischen Gegen­ wart. Rousseau formuliert zwar die Probleme einer Politischen Phi­ losophie der Aufklärung; doch die normative Wendung und die alt­ hergebrachte Skepsis gegenüber den Selbstregierungsfähigkeiten des Volkes lassen den Enzyklopädie-Artikel als ein merkwürdiges Ge­ dankengebilde erscheinen, das auf halbem Wege stehen bleibt. Das >bien du peupleContrat Social< erst wird Rousseau den Willensaspekt der volonte generale entfalten - und so zugleich den Anschluß an die Souveränitätslehre einerseits, an das aufklärerische Paradigma der Autonomie anderer­ seits vollziehen. Nur der Rückgriff auf die normative Argumentation der >Economie Politique< erklärt jedoch die einzigartige Doppeldeu­ tung der volonte generale im >Contrat Social< als Wille und Vernunft. Weil der Begriff der volonte generale im >Contrat SocialEconomie Politique< normativ gefaßt wird, also in der Identifizierung mit dem Wohl des Volkes, kann Rousseau behaupten, daß die volonte generale nie irrt. Die volonte generale ist unzer­ störbar, auch wenn sie sich nicht immer Gehör verschaffen kann.67 Die volonte generale irrt nie, doch das Volk erkennt nicht immer das Rechte, denn seine Urteilskraft ist nicht immer aufgeklärt, »eclaire«.68 Die normative und voluntaristische Bestimmung der vo­ lonte generale führt jedoch geradewegs in ein Dilemma der politi­ schen Willensbildung, das die >Economie Politique< durch die bloß normative Wendung der volonte generale verdrängt hatte. Der polemische Aspekt der Argumentation, die um den Begriff der volonte generale kreist, bereitet keine theoretischen Schwierig­ keiten; es geht Rousseau nicht zuletzt darum, mit Blick auf die poli­ tische Gegenwart ein Kriterium für nicht-legitime Regierungen zu bestimmen. Doch Rousseau argumentiert nicht bloß als Kritiker, son­ dern auch als der Ingenieur einer neuen Ordnung. Wie kann die Ei­ nigkeit von Interesse und Wille sowohl innerhalb des Volkes als auch zwischen Volk und Regierung gedacht werden? Wie kommt diese Einigkeit zum Ausdruck, worin gründet sie? Die Artikulation der volonte generale bildet das praktische Hauptproblem von Rousseaus Entwurf. An diesem Problem wird sich das Doppelgesicht des aufklä­ rerischen Gestus erweisen: denn in Frage steht hier nicht weniger als die Deutung der Freiheit, als die Deutung der Autonomie. Die auf­ sehenerregenden Tendenzen des >Contrat SocialContrat Social< den politischen Skeptizismus fortschreibt, der schon die >Economie Politique< gekennzeichnet hat. Durch die Betonung des voluntativen Aspektes der volonte gene­ rale aber wird diese Skepsis zum wirklichen Problem für die Theorie. ^

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nomie verwindet - und die Selbstbestimmung der Individuen auf eine Weise vorstellt, daß dem Individuum hören, sehen und wählen vergeht. Diesen Zusammenhang hat schon die >Economie Politique< bezeichnet mit ihrer Betonung der Herrschaft des Gesetzes, in dem die volonte generale Wort wird.69 Das Gesetz erscheint als >göttliche StimmeEconomie Politique< löst das Problem der Auto­ nomie nur halbherzig; die normative Wendung der volonte generale taugt durchaus zu einer Polemik wider die politischen Institutionen der Gegenwart, doch sie stellt nur einen Brückenpfeiler für die Kon­ struktion einer neuen Ordnung dar. Den zweiten Pfeiler dieser Kon­ struktion entwirft erst der >Contrat SocialEconomie Politique< aufgrei­ fend - die volonte generale als den politischen Willen entfaltet und nicht bloß als das bonum commune. Das Dilemma der Freiheit steht im Zentrum des >Contrat Sociale Wie kann sichergestellt werden, daß jeder, indem oder ob­ wohl er sich mit allen vereinigt, doch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie er vorher, d. h. im Naturzustand war?71 Rousseaus Antwort auf diese Frage lehnt sich an Spinoza an: Der Mensch ist nur dann frei, wenn er der Vernunft gehorcht. Schon Bodins politische Philosophie hatte die natürliche Freiheit als Autonomie unter dem Befehl der Vernunft beschrieben.72 Freiheit heißt in diesem Sinne, nicht einem Menschen untertan zu sein, sondern der Vernunft oder Gott. Die friedenstiftende Unterwerfung unter einen als (natürliche) Person gedachten Souverän allein kann Rousseau also anders als Hobbes nicht mehr genügen. Dennoch wird am Begriff und an der Sache der Souveränität festgehalten; Souveränität wird jetzt als die

69 Vgl. Economie Politique, S. 248. 70 Diese Deutung der Gesetzesherrschaft wird für Kant später entscheidend. Allerdings ist die Problematik dieser normativen Deutung des Gesetzes - und damit zugleich der volonte generale - unübersehbar, die auch den >Contrat Sociale bestimmen wird. Das politische Wunder der Unterwerfung zur Freiheit durch das Gesetz ist von Anbeginn auf eine normative Deutung der Freiheit verwiesen, die den Willen unlösbar an die Vernunft fesselt. 71 Contrat Social I, 6, S. 360. 72 Sechs Bücher über den Staat, I, 3, S. 115. 108

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»Ausübung des Allgemeinwillens« bestimmt73 und damit von An­ beginn auf den normativen Rahmen vernünftiger Freiheit bezogen. Institutionell wird die Unterwerfung zur Freiheit durch das Gesetz eingelöst, das die volonte generale artikuliert.74 Die >Economie Politique< beschreibt Freiheit institutionell als die Abwesenheit der Herr­ schaft von Menschen über Menschen - und fordert deshalb mit allem möglichen Nachdruck die Herrschaft der Gesetze. Den Gesetzen un­ terworfen, ist der Einzelne immer nur sich selbst unterworfen, inso­ fern er nämlich Teil jenes politischen Körpers ist, dessen volonte generale das Gesetz gerade formuliert. Der >Contrat Social< nimmt diesen Gedankengang auf, treibt ihn jedoch institutionell fort. Die Argumentation der >Economie Politique< verharrte - das war der Preis der Identifizierung von volonte generale und bien commun einerseits, der Vernachlässigung des Willensaspektes der volonte generale andererseits - im repräsentativen Paradigma, das den Auto­ nomieansprüchen nicht mehr genügt, die den >Contrat Social< be­ herrschen. Der Versuch, die normative Wendung der Argumentation aus der >Economie Politique< aufzugreifen und den neu gedeuteten Ansprüchen der Autonomie gerecht zu werden, verführt Rousseau dazu, die absolutistische Souveräntitätslehre aufzugreifen und sie neu zu unterfüttern. Die Verbindung der normativ neutralen Souve­ ränitätslehre mit dem normativen Begriff des bien commun be­ stimmt den Begriff der volonte generale im >Contrat Socialauthorization without stint< die rückhalt­ lose Unterwerfung unter den Souverän, so bedeutet bei Rousseau die totale Entäußerung die rückhaltlose Unterwerfung unter die volonte generale. An die Stelle einer personal gedachten Autorität, die die Einheit des Staates verbürgt, tritt in der Entwicklung des Vertrags­ 73 Contrat Social II, 1, S. 369. 74 An der Notwendigkeit einer solchen Unterwerfung zweifelt Rousseau nie. Die Möglichkeit des Verzichtes auf politische Institutionen steht nie zur Debatte. Immer schon scheint festzustehen, daß die Güter, das Leben und die Freiheit der Einzelnen wirksam nur in der Gesellschaft geschützt werden können. Davon geht die >Economie Politique< ebenso wie der >Contrat Social< aus; nach dem historischen Entwurf des >Zweiten Diskurses< ist die Rückkehr zur Gerechtigkeit verbürgenden Gleichheit nur durch Institutionen möglich, die den Menschen mit Haut und Haar vergesellschaften. ^

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gedankens durch Rousseau der Gemeinwille. Das ist Rousseaus ent­ scheidende Leistung: Die >unvorstellhare Kunst, die Menschen zu unterwerfen, um sie zu hefreiem75, besteht darin, an die Stelle der unter aufklärerischen Voraussetzungen illegitimen Herrschaft von Menschen über Menschen die Herrschaft der volonte generale über das empirische Volk zu setzen - und das heißt nichts anderes, als die Herrschaft des idealen Volkes über das empirische Volk einzuklagen. Das ideale Volk herrscht durch das Gesetz, in dem der vernünftige Wille des Ganzen sich artikuliert. Gesetzesherrschaft ist die einzige Gestalt der Souveränität, die den aufklärerischen Ansprüchen ge­ nügt, denn sie verbindet unbedingte Unterwerfung mit vollständiger Autonomie. Diese Umdeutung des Souveränitätsgedankens wäre Hobbes mehr als unverständlich gewesen. Die politische Konzentration des Staates in eine Person hatte ja gerade die Funktion, jedes Raisonnement, jede deliberatio über das Beste des Staates auszuschließen denn an nichts entzündet sich der Bürgerkrieg so schnell wie am Streit über das Beste des Staates. Nun ist die volonte generale nur durch diese Beziehung auf das Beste des Ganzen bestimmt. Hatte Hobbes das politische Artikulationsproblem durch die repräsentati­ ven und machtakkumulierenden Konsequenzen des Autorisierungsgedankens gelöst, so stellt sich für Rousseau dieses Problem jetzt erst in aller Schärfe. Denn mit der bloßen Behauptung des Zusammen­ hanges von volonte generale und Souveränität - >die Souveränität ist nur die Ausübung der volonte generaleContrat Social< wie in der >Economie Politique< dient die volonte generale als Kriterium legitimer Regierung. Was vorher po­ puläre Regierung hieß, heißt jetzt Republik; sie wird bestimmt durch die Herrschaft der Gesetze, also der volonte generale; denn die Ge­ setze sind die Äußerungen der volonte generale.84 Der Übergang des Menschen vom Naturzustand zum etat civil, zum Gesellschaftsver­ trag, verwandelt die Ordnung der Dinge. Ersetzt werden namentlich die Motive des Handelns: An die Stelle des physischen Impulses tritt die Stimme der Pflicht, an die Stelle des Triebes die Gerechtigkeit.85 Die neue Ordnung des status civilis ist durch Moralität und Recht­ lichkeit gekennzeichnet.86 Moralische Freiheit aber heißt nichts an­ 82 »... ces mots de sujet et de souverain sont des correlations identiques dont l'idee se reunit sous le seul mot de Citoyen.« (Contrat Social III, 13, S. 427) 83 »A l'egard des associes, ils prennent collectivement le nom de peuple, et s'appellent en particuliers Citoyens comme participans a l'autorite souveraine, et Sujets comme soumis aus loix de l'Etat.« (Contrat Social I, 6, S. 362.) 84 Contrat Social II, 6, S. 379. 85 Contrat Social I, 8, S. 364. Die >Economie Politique< hatte gegen den politischen Pa­ ternalismus auf der Unterscheidung zwischen der Herrschaft des Familienvaters und der bürgerlichen Herrschaft bestanden. Die Herrschaft des Familienvaters habe an seinen natürlichen (Zu)neigungen< eine unfehlbare Richtschnur; solange diese nicht >depraviert< würden, brauche er nur auf sein Herz zu hören, um seine Familie richtig zu regieren. Würde der politische Herrscher der Stimme seines Herzens lauschen, so sei schon alles verloren; er dürfe nicht einmal seiner eigenen Vernunft trauen, nur die öffentliche Vernunft darf ihm als Gesetz dienen. (Economie Politique, S. 243) Der anti­ naturalistische Charakter der politischen Herrschaft, die sich im Gegensatz zur väterli­ chen Gewalt der Konvention verdankt (vgl. Derathe, Jean-Jacques Rousseau et la science politique, S. 182), ist die unhintergehbare Bedingung ihrer Legitimität. 86 Dennoch ist Rousseaus Republik kein »Tugendstaat«: »Tugend setzt - im Gegensatz zum amour de l'ordre oder zum amour de la patrie [...] einen Kontrast von allgemeiner, 112

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Die Herrschaft der Gesetze

deres als der Gehorsam gegenüber den Gesetzen, zu dem der Einzel­ ne sich verpflichtet hat.87 Gesetzlichkeit ist die politische Bedingung der Freiheit. Das Ge­ setz garantiert Autonomie durch Unterwerfung, denn die Herrschaft des Gesetzes bricht jene natürliche Ordnung, in der der Mensch als Sklave seiner Triebe und Gelüste erscheinen könnte, und eröffnet das Reich der Freiheit. Ein Reich vernünftiger Freiheit wohlgemerkt. Die Gesetze sind nicht bloß Willkürakte des Volkes, sondern Wirklichkeit gewordene Vernunft.88 Allerdings wird die Vernunft insofern unpa­ thetischer gefaßt, als sie nicht als das Andere des Interesses erscheint, sonden als dessen gereinigte Form. Weil die Gesetze vernünftig sind, so Rousseau schon in der >Economie PolitiqueEconomie Politique< aus­ führt, ohne doch schon die Theorie der Volkssouveränität zu entwikabstrakter Regel und momentaner, konkreter Neigung voraus; eben dieser Konflikt soll durch die Struktur der Gesellschaft vermieden werden.« Die »vollständige Metamor­ phose« beim Austritt aus dem Naturzustand schafft hierfür die Bedingung. (Brandt, Rousseaus Philosophie, S. 93 und 96) 87 Contrat Social I, 8, S. 365. 88 Rousseau stimmt nur scheinbar mit Hobbes überein, wenn er Recht und Unrecht an die Existenz des status civilis knüpft. (Discours sur l'inegalite, S. 270; vgl. Leviathan XIII, S. 98: »Wo keine allgemeine Gewalt ist, ist kein Gesetz, und wo kein Gesetz, keine Ungerechtigkeit.«) Tatsächlich ist Rousseau nichts ferner als der Rechtspositivismus, als dessen Urahn Hobbes erscheinen kann. Dieser hatte es sich geleistet, jede Diskussion über Gerechtigkeit durch den Hinweis auf das politische Monopol des Souveräns abzu­ brechen. Diese formale Argumentation, die sich problemlos mit der Vorstellung von Volkssouveränität vereinbaren ließe, genügt Rousseau nicht. Tatsächlich, so scheint es, stellt umgekehrt die normative Deutung der volonte generale und ihre Artikulation als Gesetz überhaupt erst die Bedingung der Möglichkeit einer Politischen Philosophie der Volkssouveränität dar, die als >Principes du Droit Politique< entfaltet wird, so der Unter­ titel des >Contrat SocialContrat Social< entwerfen wird. Oder, wie Rousseau in einem kleinen Satz sagt, der für die aufklärerische Deu­ tung der Autonomie entscheidend ist: das Gesetz lehrt den Bürger, nicht im Widerspruch mit sich seihst zu sein.90 Denn was dem Ein­ zelnen, geleitet von seiner volonte particuliere, als Freiheit er­ scheinen mag, könnte doch tatsächlich gegen sein Bestes gehen. Die Aufhehung dieses Widerspruches als eines Scheinwiderspruches zwi­ schen dem natürlichen Menschen und dem Bürger verspricht die Un­ terwerfung unter das Gesetz.91 Die Autonomie, die durch die Herr­ schaft des Gesetzes garantiert wird, verdankt sich in der >Economie Politique< nicht der Legitimationskette, die erst der >Contrat Social< in Anlehnung an das Argument von der Autorschaft der Unterwor­ fenen knüpfen wird. In der >Economie Politique< steht diese Aus­ gestaltung der Autonomie noch deutlich hinter der Identifizierung von Freiheit und Vernunft zurück. Vernünftiger Zwang, das ist die aufklärerische Formel der Freiheit, den die >Economie Politique< noch recht nackt von allen institutionellen Erwägungen entwirft. Nur wo die Gesetze herrschen, kann von Repuhlik im Wort­ sinne, von der Sache des Volkes die Rede sein: »car alors seulement l'interet puhlic gouverne et la chose puhlique est pour quelque chose.«92 Die Herrschaft der Gesetze hedeutet Repuhlik - und zwar unahhängig von jeder Regierungsform -, weil das Gesetz nichts an­ deres ist als die hindende Selhstreflexion des Volkes. Im und durch das Gesetz wird das Volk institutionell gesichert. Im Gesetz hestimmt das ganze Volk üher das ganze Volk - und wird so erst ein Ganzes.93 Der Gesellschaftsvertrag hat das Volk hegründet, doch gleichsam als eine Tafel, die, auch eine Konsequenz der >alienation totaleres-puhlica-Diskussioninteret generalec, sondern nur das partikulare Interesse einer Kaste zu vertreten beanspruchen - und gerät damit in einen Legitima­ tionsrückstand gegenüber dem Dritten Stand (ebd., S. 121). Dieser nämlich kann gerade wegen der durch den >ordre communc erzwungenen Gleichheit beanspruchen, die Na­ tion zu sein. Sieyes' Argumentation ist durch und durch politik-ökonomischen Charak­ ters. Der Bestand einer Nation hängt von der materielle Reproduktion und von der Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten ab; beide werden vom Dritten Stand be­ sorgt, der deshalb als die Nation selbst erscheinen kann (ebd., S. 121 Fußnote). Die Forderung nach fiskalischer Gleichbehandlung macht deutlich, in welchem Maße die Gleichheit eine Bedingung nationaler Einheit ist - und entfaltet diese Gleichheit als politik-ökonomische Gleichheit vor dem Recht (S. 145 ff.). Indem Sieyes die Nation darüber hinaus als juristisches Subjekt aus der Unterwer­ fung unter das gemeine Recht ableitet, bindet er das Substrat moderner Staatlichkeit an die Existenz einer Rechtsordnung, die keine Ausnahmen zuläßt. Ja, diese Ausnahms­ losigkeit wird zum Kennzeichen der Nation moderner Prägung selbst. Die Nation kann nur in dem Maße als Körper definiert werden, als die Glieder dieses Körpers juridisch und politisch gleichgestellt sind. Sieyes' Bestimung der Nation aus der gemeinschaftli­ chen Rechtsordnung und der gemeinschaftlichen Repräsentation (ebd., S. 123) stellt der politischen Ordnung des 18. Jahrhunderts den Totenschein aus. Man wird, mit gutem Recht, die Streitschrift des Abbe als einen Meilenstein auf dem Weg zur Durchsetzung des Rechtsstaates betrachten, der politische Partizipation und rechtliche Gleichstellung historisch wirksamst verknüpft. (Vgl. Rehm, Zum Einfluß der englischen politischen Theorie auf die französische Verfassungstheorie) Man wird aber auch die Kehrseite der Argumentation in Rechnung stellen müssen, den exklusiven Charakter der Nation. Die moderne Nation ist von Anbeginn ein durch und durch polemischer Begriff, der als Kriterium einer Freund-Feind-Unterscheidung dient - und zwar weniger im Spiel der Staaten untereinander als vielmehr innerhalb vorgegebener politischer Ordnungen. (Vgl. Seidl) Ob man Sieyes wegen dieses Exklusivismus als einen Vordenker der >Terreurc bezeichnen muß, wie das Talmon tut ( The origins of totalitarian democracy) ist mehr als fraglich. Zur Kritik Talmons siehe Murray Forsyth, Reason and revolution, S. 4. ^

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spinnt. Das System der Privilegien partikularisiert die Untertanen. Es kodifiziert die Ungleichheit, weil es >Recht< als Gahe bestimmt, deren Gewährung jeweils von der Gunst des Herrschers ahhängt. Der Kampf um die Gunst des Herrschers aber verhindert die wahre Vereinigung der Untertanen. Diese gewährt der Gesellschaftsvertrag, indem er die politische Gleichheit als Gegenseitigkeit wiederherstellt. Die subjektive und objektive Allgemeinheit96 des Gesetzes ga­ rantiert die Einheit des politischen Körpers und die Vernünftigkeit des Gesetzes. Ein Volk ist eine Assoziation derer, die gemeinsam als gleiche unter dem Gesetz der Vernunft leben. Das Gesetz ist die Rede des Souveräns; der aber kennt, weil er selber allgemein ist, nur den Körper der Nation, er kann die Individuen nicht wahrnehmen, aus denen dieser Körper sich zusammensetzt.97 Weil das Gesetz nichts Partikulares kennt, weil es die Individuen nicht zu unterscheiden weiß, ohne aufzuhören, Gesetz zu sein, garantiert die Herrschaft der Gesetze das durch den Gesellschaftsvertrag begründete Volk als ein Reich der Freiheit. Ohne Ansehen der Person: das ist das wichtig­ ste Attribut des Gesetzes. Die Blindheit des Gesetzes ist die Bedin­ gung seiner Gerechtigkeit. Vernünftig ist das Gesetz, weil es immer gerecht ist, gerecht aber ist es, weil es immer das Ganze, nie einen Teil des Ganzen visiert. So verbürgt die Gesetzesherrschaft erst die tatsächliche Existenz des Volkes oder des politischen Körpers, weil das Gesetz die Gegenseitigkeit der Verpflichtungen festschreibt, die den Einzelnen an den politischen Körper binden98, weil das Gesetz nur Gleiche kennt - und weil diese Gleichen durch die Unterwerfung unter das Gesetz zum Volk werden. Weil die Gesetzgebungskompetenz als unveräußerlicher Kern der Volkssouveränität beim Volk als Ganzem verbleibt, bindet im Gesetz jeder sich selbst - und niemand wird von einem anderen ge­ 96 »... que la volonte generale pour etre vraiment telle doit l'etre dans sons objet ainsi que dans son essence, qu'elle doit partir de tous pour s'appliquer a tous.« (Contrat Social II, 4, S. 373) Subjektiv allgemein ist das Gesetz durch das Verbot des Ausschlusses auch nur eines Bürgers aus seinem Artikulationsprozeß; objektiv allgemein ist das Gesetz, weil jeder durch das Gesetz im gleichen Maße betroffen ist. Politische Gleichheit der Bürger und rechtliche Gleichheit der Untertanen sind die Bedingungen der Objektivität des Gesetzes. 97 »Ainsi par la nature du pacte, tout acte de souverainete, c'est-a-dire tout acte authentique de la volonte generale, oblige ou favorise egalement tous les Citoyens, ensorte que le Souverain connoit seulement le corps de la nation et ne distingue aucun de ceux qui la composent.«(Contrat Social II, 4, S. 374) 98 Vgl. Contrat Social II, 4, S. 373. 116

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bunden. So verhindert die Universalität der Gesetzesherrschaft Heteronomie." Ihre Allgemeinheit und ihre Gerechtigkeit nämlich ver­ danken die Gesetze gerade der Tatsache, daß bei der Abstimmung über sie nur Betroffene zu Worte kommen.99 100 Da jeder bei der Ver­ abschiedung von Gesetzen sein Interesse zu befördern versuchen wird, wird das Interesse aller garantiert - wobei, wie oben bemerkt, die Unterscheidung zwischen volonte generale und volonte de tous ihre Evidenz verliert.101 Denn die volonte generale wird ja in diesem Fall gerade daraus abgeleitet, daß jeder Einzelne sein empirisches In­ teresse tatsächlich in Rechnung stellt. Unter der Bedingung, daß alle im gleichen Maße von einem Gesetz betroffen sind, kann Rousseau annehmen, daß ihre Äußerungen über dieses Gesetz tatsächlich die volonte generale wiedergeben. Das aber kann nur angenommen wer­ den, wenn Interessensidentität unter den vielen Einzelnen herrscht. Die Ableitung der Gerechtigkeit aus der Rechtsgleichheit wird also durch die Interessenslogik begründet; mit vollem Bewußtsein führt Rousseau die >Natur des Menschen, sich selbst zu bevorzugem als Argument für die Gerechtigkeit der Gesetzgebung ein - unter der Bedingung selbstverständlich ihrer objektiven und subjektiven All­ gemeinheit. Rousseaus Behauptung, niemand könne sein Glück befördern, ohne gleichzeitig am Glück aller anderen mitzuwirken, ist also durchaus nicht normativ zu verstehen. Das Glück des Einzel­ nen ist nicht in einer caritativen Weise an das Glück der Anderen gebunden; der Zusammenhang zwischen dem Glück des Einzelnen und dem Glück aller wird aus dem Argument des Interessenseinklan­ ges abgeleitet. Die Verbindung von normativer und interessenslogischer Deu­ tung der volonte generale schwächt den skandalösen Charakter des Zwanges zur Freiheit ab, den der politische Körper legitimerweise gegen jene ausüben darf, die die Unterwerfung unter die volonte 99 Akte der Souveränität sind eben keine Konventionen mehr, durch die ein Oberer einen Unteren bindet, sondern im Wortsinne Übereinkommen des politischen Körpers mit seinen Gliedern. Deshalb kann der Gehorsam gegenüber den Gesetzen als Freiheit gelten, denn: »Tant que les sujets ne sont soumis qu'a de telles conventions, ils n'obeissent a personne, mais seulement a leur propre volonte«. (Contrat Social II, 4, S. 375) 100 Vgl. Contrat social III, 12, S. 425: »Le Souverain n'ayant d'autre force que la puis­ sance legislative n'agit que par des loix, et les loix n'etant que des actes authentiques de la volonte generale, le Souverain ne sauroit agir que quand le peuple est assemble.« 101 »Pourquoi la volonte generale est elle toujours droite, et pourquoi tous veulent-ils le bonheur de chacun d'eux, si ce n'est parce qu'il n'y a personne qui ne s'approprie ce mot chacun, et qui ne songe a lui-meme en votant pour tous?« (Contrat Social II, 4, S. 373) ^

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generale verweigern. Denn diese Deutung der volonte generale bin­ det sie in jedem Sinne dergestalt an das Interesse des Einzelnen, daß der Widerspruch zwischen volonte particuliere und volonte generale letztlich als ein nur scheinbarer Widerspruch erscheinen muß. Die Distanzierung des Einzelnen vom politischen Körper nämlich ist nur möglich, weil der Einzelne das Wesen des politischen Körpers falsch beurteilt, wenn er glaubt, es nur mit einem Vernunftwesen zu tun zu haben.102 Tatsächlich aber ist der politische Körper ja sein ei­ gener Körper. Insofern kann die Unterwerfung unter die volonte generale - und der Versuch, ein Partikularinteresse gegen die volonte generale zu beschwören - nur mit der Verblendung über das eigene Interesse erklärt werden. Rousseau versucht, den skandalösen Cha­ rakter des Zwanges zur Freiheit argumentativ abzuschwächen, der ja eigentlich mit der Skepsis des Moralisten und gerade nicht mit dem Überschwang des Utopisten begründet wird. Der Zwang zur Freiheit bleibt dennoch das Paradox einer Politischen Philosophie der Aufklä­ rung, die, genannt oder ungenannt, in der Freiheit ihren Kern hat. Denn der Zwang zur Freiheit kann nur unter der Bedingung einer ganz spezifischen Entmündigung des Einzelnen gedacht werden. Rousseaus Versuch, die Fiktionalisierungen seines großen Vorgän­ gers in politische Realitäten zu verwandeln, stößt sich gerade am Problem der normativen Aufladung der volonte generale. Die Diffe­ renz, welche volonte de tous von volonte generale trennt, markiert das Problem einer Politischen Theorie, die sich nicht bloß, wie Hobbes das getan hatte, die Sicherung des Lebens und der Güter, sondern eben auch die Sicherung der Freiheit aufs Panier geschrieben hat. Tatsächlich kommt auch Rousseaus Theorie der Volkssouveräni­ tät ohne repräsentative und fiktionale Elemente nicht aus, wie gerade der paradoxe Zwang zur Freiheit beweist. Die Trennung der Freiheit von der Willkür wird mit der Identität von Vernunft und Freiheit begründet. So wird die Freiheit durch ein Kriterium ergänzt - und es kann zwischen rechter und falscher Freiheit unterschieden werden. Diese Deutung der Freiheit gegen das Konzept der Willkür wird durch den Gesellschaftsvertrag begründet, in dem die Korrelation von Recht und Pflicht verankert ist.

102 Vgl. Contrat Social I, 7, S. 363. 118

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5. Autonomie und Repräsentation Rousseaus Abwehr des Natur- und Vernunftrechtes markiert eine deutliche Opposition gegen die aufklärerische Herrschaft der Ver­ nunft - obwohl dieser Gedanke als das normative Unterpfand der Gesetzesherrschaft überhaupt erscheint.103 Rousseau erkennt in der Konvention, im Übereinkommen und nicht im Naturrecht das Herz der Rechtsordnung, und sichert so die Autonomie der Menschen.104 Nur die gewollte Ordnung ist legitim, das ist der normative Kern des Gesellschaftsvertrages. Um das paternalistische Paradigma der natürlichen Legitimität endgültig zu brechen - das unter der Hand noch die >Economie Politique< bestimmt hat -, muß Rousseau die Herrschaft der volonte generale als das positiv-rechtliche Regime des Gesetzes bestimmen, in dem das Volk über das Volk entscheidet.105 Der Fundamentalismus der Freiheit gebietet, daß jene, die den Gesetzen unterworfen sind, deren Autoren sind.106 Hobbes hatte ähnlich und doch ganz anders argumentiert: Auch dort erschien jeder Einzelne als Autor der Handlungen des Souveräns. Allerdings konnte diese Autorschaft nur noch vermittelt geltend gemacht werden; tat­ sächlich nämlich war sie in die ungeschichtlichen Tiefen des Ver­ tragsabschlusses versenkt. Rousseau dagegen denkt die Autorschaft des Einzelnen unvermittelt und präsentisch. Der Einzelne gilt nicht bloß als Autorisierender der Gesetze, denen er unterworfen ist, er ist der Autor dieser Gesetze. Hobbes' Lösung des Legitimationsproble103 Rousseaus Position ist mehr als ambivalent. Einerseits wird das interet commun als volonte generale für die Theorie bedeutsam - und damit die gesamte Tradition beschwo­ ren, welche Willen und Freiheit zusammen denkt. Andererseits kann die normative Deutung der Freiheit nur um den Preis des Verzichtes auf das Moment der Willkür ihre Funktion erfüllen. Der Rekurs auf die interessens-ökonomische Argumentation ver­ schleiert diesen Widerspruch nur scheinbar. 104 Diese Autonomie beruht auf der Prämisse der natürlichen Gleichheit, die die Zu­ stimmung aller zum Gesellschaftsvertrag nötig macht. Die Konvention, so Derathe, sei daher »le lien qui unit la theorie contractuelle de l'Etat au principe de l'egalite na­ turelle«. (Jean-Jacques Rousseau et la science politique de son temps, S. 180) 105 Die paternalistische Theorie, so Derathe, stellt die ureigene Grundlage der Vertrags­ theorie in Frage. Für Derathe (Jean-Jacques Rousseau et la science politique de son temps, S. 182) ist Rousseaus Abneigung gegen den Paternalismus einleuchtend: »Car si le pouvoir royal est issu du pouvoir paternel et si l'autorite paternelle est fondee sur la nature, il est clair que les conventions ne sont plus le seul, ni meme le principal fonde­ ment de l'autorite legitime parmi les hommes.« 106 Contrat Social II, 6, S. 380. ^

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Autonomie und Repräsentation

mes durch die Fiktion der Autorisierung kommt für Rousseau nicht in Frage. An die Stelle der Fiktion muß die Realität treten, an die Stelle der Autorisierung Autorschaft. Nur unter der Bedingung, daß das Volk tatsächlich Autor des Gesetzes ist, ist das Gesetz vernünftig und gerecht. Souveränität kann nicht zuletzt deshalb nicht repräsentiert werden, weil unter den Bedingungen der Repräsentation von Souveränität die subjektive volonte generale nicht gewährleistet wäre. Damit aber würde ein zentrales Argument für die Sicherheit nichtig, auf das sich die Iden­ tifizierung von Gesetz und Gerechtigkeit stützt. Die entscheidende Wendung Rousseaus besteht darin, die Vernünftigkeit und die Ge­ rechtigkeit des Gesetzes nicht aus einer woran auch immer zu mes­ senden inhaltlichen Richtigkeit des Gesetzes abzuleiten, sondern aus der Prozedur der Gesetzgebung.107 Weil er das bonum commune als Allgemeinwillen bestimmt, können Vernünftigkeit und Gerechtig­ keit von Gesetzen nur aus dem richtigen Wollen abgeleitet werden. Richtiges Wollen ist aber gerade nicht die recta ratio des Naturrechts. In der spätklassischen Naturrechtslehre hätte sich der Wille des Vol­ kes an der recta ratio einer präexistenten Vernunft ausweisen müs­ sen. Rousseau, den Hobbesschen Bruch mit der Naturrechtslehre aufnehmend und verwindend, setzt umgekehrt auf die gerechtig­ keitskonstituierende Funktion des Prozesses der Gesetzgebung und zwar nicht nur auf eine positivistische Schrumpfform der Ge­ rechtigkeit a la Hobbes. Während dieser die nominelle Identifizie­ rung von Gesetz und Gerechtigkeit mit dem Ziel beschreibt, substan­ tielle Fragen der Gerechtigkeit aus der Gesetzgebung auszuschließen, setzt Rousseau auf die >prozedural< verbürgte Einheit von Interesse und Vernunft. Das kennzeichnet Rousseaus Zwitterstellung in der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit: Zwar beharrt er auf dem Bruch mit der naturrechtlichen Tradition, wenn er das positiv-rechtliche Moment des Gesetzes als entscheidend hervor­ hebt. Zugleich aber lädt er den Begriff der Gerechtigkeit durch die Einführung der volonte generale neu auf. In dem Maße, in dem Rousseau Autorisierung durch Autor­ schaft ersetzt, wird die Frage nach dem empirischen politischen Sub­ jekt drängend, denn jetzt können die den politischen Körper ange­ henden Fragen nicht mehr repräsentativ gelöst, sondern müssen von den betroffenen Subjekten selbst entschieden werden. Hobbes' anti­ 107 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 135. 120

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demokratische Tendenz ruhte auf dem doppelten Grund der Reprä­ sentationslogik und dem apokalyptischen Motiv, die politische Ent­ scheidungsinstanz zu monopolisieren. Beide Motive entfalten hei Rousseau keine Kraft. Mit dem Primat der Freiheit kann das Legiti­ mationsmodell vermittelter Autonomie nicht mehr akzeptiert wer­ den. Während Hohhes die Legitimitätsquelle in das vorgeschichtliche Dunkel hannt, müssen hei Rousseau alle politischen Akte unvermit­ telt legitimiert sein. Das können sie nur unter der Bedingung sein, daß alle Glieder des politischen Körpers tatsächlich an allen Entschei­ dungen üher den politischen Körper heteiligt sind.108 Das ist der Kern der Volkssouveränität, die die allumfassende Verfügungsgewalt des politischen Körpers üher sich selhst hedeutet. Eine Delegation der Souveränität kommt aus pragmatischen und fundamentalen Erwä­ gungen heraus nicht mehr in Frage. Souveränität heißt Gesetzgehung, denn nur in Gesetzen äußert sich die volonte generale.109 Rousseau steht damit vor dem Prohlem, das Volk selhst zum Gesetz­ geher üher sich zu herufen. Der Entwurf des >Contrat Social< erweist Autonomievermutung als ungenügend. Die Politische Theorie kennt zwei Inszenierungen dieser Vermutung: die rationalistische und die repräsentative. Die repräsentative Inszenierung deutet politische Autonomie vermittelt 108 Contrat social III, 12, S. 425: »Le Souverain n'ayant d'autre force que la puissance legislative n'agit que par des loix, et les loix n'etant que des actes authentiques de la volonte generale, le Souverain ne sauroit agir que quand le peuple est assemhle.« 109 Vgl. Contrat social II, 6, S. 379. Institutionell ist diese >Beschränkung< nicht ganz unhedeutend. Denn sie entzieht dem Souverän all jene Aufgahen, in denen Partikulares zur Dehatte steht. Mit der >höchsten Verwaltung< heauftragt der Souverän eine Regie­ rung als den >Agenten< eines Geschäftes, einer >commissioncorps intermediaire< zwischen Sou­ verän und Staat macht deutlich, auf welche neuartigen Prohleme Rousseaus Theorie der Volkssouveränität stößt, wenn sie institutionell konkretisiert wird. (Contrat Social III,1, S.395f.) ^

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und letztlich durch die freiwillige Übertragung des Rechtes auf Selhstregierung begründet. Die rationalistische Autonomievermu­ tung kann auf dieses translatio-Argument verzichten, weil sie die Autonomie des Menschen normativ unterfüttert. Die rationalistische Autonomievermutung ist deshalb unabhängig von jedem tatsäch­ lichen Konsens. Ihr gilt die Vernünftigkeit einer politischen Entschei­ dung selbst als Legitimitätsquelle. Wären die Menschen vollendet vernünftig, so würden sie in ihrer Gesamtheit die richtigen Entschei­ dungen treffen. Die rationalistische Autonomievermutung bezieht sich also auf politische Subjekte, wie sie sein sollten, auf ideale, nicht­ empirische Subjekte. Ganz ohne Zweifel erklärt sich Rousseaus Pathos der Gesetzes­ herrschaft nicht durch die bloße Tatsache, daß das Volk selbst Autor des Gesetzes ist. Da sich das Volk im Gesetz nur selbst bindet, mag die Autonomieforderung als erfüllt gelten. Denn die Gesetzesherr­ schaft löst das »probleme fondamentale«110, das der Gesellschaftsver­ trag lösen muß: die Freiheit zu bewahren, die doch nur noch durch eine vollkommene Vereinigung zu sichern ist. Das vom Volk erlasse­ ne Gesetz ist die Institution, die die Unterwerfung, welche den poli­ tischen Körper konstituiert, als Unterwerfung unter den eigenen Willen erscheinen lassen kann.111 Doch erst die erweiterte Deutung des Gesetzes als einer vernünftigen Selbstbindung erklärt das Pathos, mit dem die Herrschaft der Gesetze beschworen wird. Allein, wie können diese normative Deutung des Gesetzes und das Konzept der Volkssouveränität, also die unvermittelte Autorschaft des Volkes, miteinander vereinbart werden? Tatsächlich scheint das Konzept der volonte generale - wie die Vorgeschichte in der >Economie Politique< suggeriert - eine Verdrängung des Autorschafts-Argumentes zu favorisieren. Die Abwehr der Autonomievermutung im >Contrat Social< aber verbietet jede Lösung, in der das Volk nicht tatsächlich die Gesetze verabschieden würde. Deshalb besteht Rousseaus großes Problem darin, dem empirischen Mangel an Vernunft Rechnung zu tragen, den die Politische Theorie dem Volke seit Platon beständig unterstellt.112 Die Lösung dieses Problemes findet Rousseau in zwei 110 Contrat Social I,6, S. 360. 111 »»... l'obeissance a la loi qu'on s'est prescrite est liberte«. (Contrat Social I, 8, S. 365) 112 Vgl. Contrat Social II, 6, S. 380: »De lui-meme le peuple veut toujours le bien, mais de lui-meme il ne le voit pas toujours. La volonte generale est toujours droite, mais le jugement qui la guide n'est pas toujours eclaire.« 122

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Institutionen: Erstens wird mit dem Legislateur eine Figur ein­ geführt, die die Artikulation und die Vernünftigkeit der Gesetze si­ cherstellt, zweitens wird mit dem Bürger eine Figur konstruiert, die den klassischen Vernunftmangel des von seinen Begierden getriebe­ nen Volkes behebt. Die normative Bestimmung der volonte generale belastet Rousseaus Theorie ganz erheblich, weil sie das Problem der politischen Willensbildung radikalisiert. Ein zeitgenössischer Kritiker bemerkt dazu: Nicht genug, daß die volonte particuliere nicht immer mit der volonte generale in Einklang sein werde, könne selbst der tugendhaf­ teste Mensch einmal das Rechte verfehlen; von diesen Verfehlungen sei auch das Kollektivwesen nicht frei; »aber wenn Sie den Gemein­ willen nur in abstrakter und metaphysischer Weise berücksichtigen, dann wird aus diesem Kollektivwesen ein Vernunftwesen, das zwar gut handeln kann, aber das niemals handeln wird«.113 Kann der >Contrat Social< überhaupt als praktische Philosophie gelesen werden? Oder wird Rousseau durch den aufklärerischen Versuch der Identifi­ zierung von Autonomie und Vernunft so gefesselt, daß Politik als Handeln nicht mehr vorgestellt werden kann? Rousseaus Versuch, Volkssouveränität ohne Repräsentation zu denken und gleichzeitig den Willen des Volkes als Vernunft zu bestimmen, wird mit hohem Einsatz gespielt. Nicht weniger als die Einheit von Autonomie und Vernunft gilt es zu erweisen - um so die klassischen Argumente ge­ gen das Volk als politisches Subjekt abzuwehren.114 Die republika­ nische Argumentation muß den Nachweis der nicht bloß potentiel­ len, sondern tatsächlichen Vernünftigkeit des politischen Subjektes 113 P.-L. Bauclair, Anti-Contrat social, S. 49. 114 Rousseau selbst steht in der klassischen Tradition, wenn er demokratische Regierung verwirft. Doch die von Rousseau vorgeschlagene Gewaltenteilung, die Einsetzung ei­ ner- (wahl)-aristokratisch oder (wahl-)monarchisch geprägten - Regierung, die das Partikulare verwaltet, bezieht sich nur auf eine sub-souveräne Ebene, und gerade nicht auf eine para-souveräne. Tatsächlich dient Rousseaus Abwehr demokratischer Regie­ rung ganz und gar der Aufgabe, die Reinheit des gesetzgebenden Volkes zu bewahren. Das Volk darf nicht regieren, damit seine Aufmerksamkeit aufs Allgemeine gerichtet bleibt, Regierung aber hat es immer mit dem Partikularen zu tun. (Contrat Social III,1, 395 f.) Das Volk von der Regierung fern zu halten ist also, so paradox das klingen mag, für Rousseau ein Gebot republikanischer Tugend. Denn das Volk kann als Souverän nur Gesetze erlassen, in denen das Ganze über sich selbst entscheidet. In dem Moment, da das Volk selbst sich an der Regierung versuchen würde, fiele es der Korruption, dem Verfall anheim. Dann nämlich bestimmten die privaten Interessen die öffentlichen An­ gelegenheiten. (Contrat Social III,4, 404) Das aber wäre das Ende der res publica. ^

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erbringen. Und die republikanische Argumentation muß zugleich er­ klären können, wie unter diesen Bedingungen politisches Handeln und das heißt für Rousseau: Gesetzgebung - überhaupt gedacht wer­ den kann. Mit der Hilfe des citoyen überwindet Rousseau die Grenzen von Hobbes' Vertragstheorie: Diese nämlich hatte die Identität eines In­ dividuums annehmen müssen, dessen Natur den Naturzustand be­ stimmt, das - angetrieben durch Vernunft und Furcht - in einem großangelegten Rechtsakt den Naturzustand verläßt und die soziale und politische Welt herstellt - und das schließlich als Untertan im weltlichen Common-wealth lebt. Immer wird dieses Individuum durch die Mechanik seines Eigeninteresses angetrieben - und nicht zuletzt deshalb ist die Konstruktion der Souveränität so demokratie­ unfreundlich. Rousseau allerdings verläßt die Bahnen dieses juri­ dischen Rationalismus. Bestimmt Hobbes die Souveränität durch die >höchste Gewalt< - die durch Rechtsverzicht oder Rechtsübertragung begründet wird -, so steht bei Rousseau im Begriff der Souveränität die Willenseinheit der vergesellschafteten Individuen im Vorder­ grund. Und diese wird nicht mehr repräsentativ begründet und durch den Terror des Souveräns verbürgt115, sondern identitär gedeutet.116 Identitär kann die Willenseinheit des politischen Körpers be­ stimmt werden, weil Rousseau den politischen Körper duch seine Glieder und nicht durch die Verkörperung in einer mehr oder weni­ ger transzendenten Instanz Wirklichkeit werden läßt. In der durch den Gesellschaftsvertrag begründeten neuen Ordnung der Dinge er­ fahren die existenziellen Bindungen eine neue, moralische Deutung. Der Gesellschaftsvertrag inszeniert eine kollektive Metamorphose; der Übergang vom Naturzustand zum status civilis wird von Rous­ seau wörtlich genommen. Benennt er in der Tradition der Vertrags­ theorie nur den Übergang von einem vor-politischen, naturrechtlich 115 Hobbes' Erklärung der Willenseinheit des Staates ist ganz pragmatisch. Die Men­ schen übertragen ihre Macht oder Stärke einem Menschen oder einer Versammmlung (Souverän); dieser oder diese reduziert repräsentierend die Vielfalt der Einzelwillen auf einen einzigen Willen. (Leviathan XVII, S. 134) Durch das mechanische Prinzip der allumfassenden Autorisierung kann retrospektiv der Wille des Souveräns als der Wille aller ausgegeben werden. Allerdings wird dieses Prinzip der Willenseinheit nur aus pragmatischen Gründen hervorgehoben - um den dezisionistischen Anforderungen der apokalyptisch gedeuteten politischen Wirklichkeit Rechnung zu tragen, und um durch den Hinweis auf die vermittelte Autonomie den Gehorsamszwang aus dem Prin­ zip der Selbstbindung abzuleiten. 116 Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre S. 205 ff. 124

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bestimmten Status in den politischen, positiv-rechtlichen Status, der Rechtssicherheit durch ein Gewaltmonopol gewährleistet, so sind für Rousseaus Argumentation die Veränderungen des Menschen ent­ scheidend, die den politischen status überhaupt erst ermöglichen. »Ce passage de l'etat de nature a l'etat civil produit dans l'homme un changement tres remarquable, en substituant dans sa conduite la justice a l'instinct, et donnant a ses actions la moralite qui leur manquait auparavant.«117 Der Übergang vom Naturzustand zum status civilis ergreift die Natur des Menschen selbst: Seine wesentlichen Eigenschaften entpuppen sich jetzt als artifiziell. Die Struktur des Gesellschaftsvertrages, die Bestimmung der >alienation totale< ist als die Entkleidung des alten Menschen zu deuten.118 Der Mensch ver­ zichtet auf seine Natur - und bekleidet sich mit einer neuen Freiheit. Der neue Adam heißt Bürger. Bürger ist der Name eines Wesens, das seine Freiheit in der vollkommenen Vereinigung, im politischen Körper erfährt - während der alte Adam, wenn man Rousseaus Ar­ gumentation mit Kant deuten wollte, als der Spielball seiner Begier­ den erscheint, deren Partikularität gerade nicht auf Autonomie, son­ dern auf Heteronomie verweist. Die durch und mit dem Gesellschaftsvertrag bewirkte Überwin­ dung der Natur hat weitreichende Konsequenzen; deren wichtigste ist der Bezug des Einzelnen auf ein neues Ich, auf das »moi commun« des politischen Körpers. Wie jeder Körper, so ist nun auch der politi­ sche Körper willensbegabt; im Verhältnis zum partikularen Willen des Einzelnen muß dieser Wille in dem Maße allgemein erscheinen, wie er alle Einzelnen als Subjekte und Objekte umgreift. Der politi­ sche Körper, das wird nicht zuletzt durch die Betonung seines eigenen Willens deutlich, ist ein Wesen von eigener Realität, keine Abstrak­ tion einer Summe, keine Hypostasierung. Der politische Körper ist so wirklich, daß gegen die Tradition der Vertragstheorie das Leben des Einzelnen aus der Existenz des politischen Körpers abgeleitet wird. Der Einzelne hat sein Leben nicht von Natur, er erhält es als eine >bedingte Gabe des StaatesContrat Sociale durchaus um eine politische Pragma­ tik ergänzt werden, weil die politische Wirklichkeit durch den realistischen Primat der Vielfalt, nicht durch den normativen Primat der Einheit bestimmt wird. 132 Vgl. Lucien Jaume, Citoyennete et souverainete, S. 517. 133 Die Perspektiventrias von natürlichem Menschen, dem an der Souveränität teil­ habenden citoyen und dem den Gesetzen unterworfenem sujet schließt den Begriff des bourgeois aus. Die radikale begriffliche Klarstellung Rousseaus auf der Grundlage des Konzeptes vom Gesellschaftsvertrag kann im bourgeois nur eine theoretisch belanglose Figur erkennen, die ihren Wert wohl nur in einem soziologischen Kontext entfaltet. Die polemische Unterscheidung von citoyen und bourgeois zielt schon auf den Ausschluß des ökonomischen Elementes aus der politischen Argumentation. Rousseaus Politische Theorie muß von den empirischen ökonomischen Differenzen der Individuen absehen, wenn sie dem geometrischen Gestus des Gesellschaftsvertrages gerecht werden will. Insofern der Gesellschaftsvertrag gerade auf die (Wieder-)Herstellung der Gleichheit zielt, ist er gezwungen, die soziologischen Ungleichheiten, wenn nicht zu vernichten, so doch zu ignorieren. Bourgeois ist kein Begriff, der auf das Problem der politischen Legitimität verweist; deshalb kann und muß eine politische Theorie der Gesellschaft ihn ignorieren. In ideologiekritischer Absicht ist die Unterscheidung in doppelter Hinsicht wichtig: Sie macht einerseits klar, daß in politischer Hinsicht die Teilhabe an politischen ^

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je eigene Wille eines jeden Bürgers erscheinen kann, ist das Geheim­ nis der Republik. Denn nur so kann die vorbehaltlose Unterwerfung unter die volonte generale als die Teilhabe an der souveränen Auto­ rität selbst erklärt werden und der Primat der Autonomie politisch eingelöst werden. Während Hobbes' Politische Philosophie den Begriff der Souve­ ränität als einen Begriff der (unwiderstehlichen) Macht entwickelt, entwirft Rousseau eine Theorie der Souveränität auf der Basis einer mehr oder weniger originellen Willenslehre.134 Rousseaus Entwurf zielt darauf, daß der Bürger den Willen der Republik, die volonte generale, als das dem politischen Körper Zuträgliche erkennt. Er zielt damit unter der Hand auf die Identität des Willens des Bürgers mit dem Willen der Republik. Communio und Interessenslogik verbür­ gen die Möglichkeit dieser Identifikation. Nun ist der Wille der Re­ publik selber ein Kunstprodukt, das dem pacte social entspringt.135 Die Einführung der volonte generale erlaubt es Rousseau, - auf al­ lerdings mehr als problematische Weise - an Hobbes' Begriff der Souveränität festzuhalten, ohne das republikanische Ideal aus den Augen zu verlieren. Souveränität nämlich wird mit der Ausübung der volonte generale identifiziert136, als deren Subjekt aber nur das Volk in Frage kommt. Volkssouveränität wird durch die Bestimmung der Souveränität als Ausübung der volonte generale begründet.137 Indem die volonte generale als Wille bestimmt wird, wird die Unveräußerlichkeit, die Nicht-Repräsentierbarkeit der Souveränität gegen Hobbes begrün­ det. Im >Contrat social< bringt Rousseau beide Seiten der volonte generale ins Spiel, den normativen Aspekt des bonum commune, Rechten entscheidend ist - und nicht die bloße Teilhabe am gesellschaftlichen Verkehr; sie macht andererseits klar, daß der bloße gesellschaftliche Verkehr noch nicht das We­ sen der >citemeilleurs< rapports qui unissent les citoyens de l'Etat, afin qu'ils soient conformes a la nature de l'homme, a sa liberte. Mais, comme il s'agit d'une institution artificielle et volontaire, cette analyse d'essence, d'esprit [...] aboutit a la definition des principes d'une teleologie legitime: une justice en rapport avec une utilite, une legitimite en rapport avec une efficacite.« Vgl. auch Lucien Jaume, Citoyennete et souverainete, S. 517. 136 Contrat Social II, 1, S. 368. 137 Vgl. Contrat Social II, 1, S. 368f. 130

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den die >Economie politique< betont hatte, und den früher vernach­ lässigten Willensaspekt. Da er jetzt ausdrücklich am früher vernach­ lässigten Willensaspekt der volonte generale festhält, kann und muß er Souveränität als Volkssouveränität denken. Nach der klassischen Lehre drehte sich alles um die Repräsentation des bonum commune; doch Rousseaus aufklärerische Verknüpfung von Freiheit und Wille -»comme pour vouloir il faut etre libre«138 - verbietet jede Repräsen­ tation des bien du peuple. Das ist das Fundament für das politische Pathos der Freiheit, das institutionell durch die Figur des Bürgers gesichert wird. Denn der Bürger ist der Mund der volonte generale. Da der politische Körper, anders als ein natürlicher Körper, nicht sprechen kann, müssen seine Glieder für ihn sprechen. Den politischen Körper über seine Angelegenheiten entscheiden zu lassen, wie es das politisch gewendete Primat der Autonomie un­ ter Absehung jeder Technik der Repräsentation gebietet, stellt den Entwurf Rousseaus auf den institutionellen Prüfstand. Die Attacken auf das Prinzip der Volksherrschaft haben seit den griechischen Klas­ sikern ein normatives, ein moralistisches Bedenken geltend gemacht: die - mit Rousseau gesprochen - Verdrängung der volonte generale. Volksherrschaft hieße die Herrschaft des Plebs zum Vorteil des Plebs - und damit die Mißachtung des gemeinsamen Besten. Das Volk, getrieben von Begierden und Lüsten, sei nicht in der Lage, seine ei­ gene Perspektive zu transzendieren, um das bonum commune zu er­ kennen; beherrscht von der Suche nach dem eigenen Vorteil richte es die polis zugrunde. Dieses moralistische Bedenken prägt Rousseaus Regierungslehre im engsten Sinne.139 Doch tatsächlich begründet Rousseau eine neue Form der Demokratie jenseits dieser Regierungs­ lehre. Durch diese Verschiebung wird die Figur des Bürgers nicht überstrapaziert, in der die politische Autonomie Wirklichkeit wird. Denn das politische Subjekt wird von der Aufgabe der Regierung entlastet - und die politisch gewendete Autonomie findet in der Wahrnehmung der volonte generale ihre Bestimmung. Ja, der Bürger wird noch von der in pragmatischer Hinsicht die Konstruktion der Volkssouveränität bedrohenden Artikulation der volonte generale 138 Economie Politique, S. 248. 139 In seiner Ablehnung der Demokratie greift Rousseau die klassischen Topoi dieser Tradition auf, um zu schließen: »S'il y avoit un peuple de Dieux, il se gouverneroit Democratiquement. Un Gouvernement si parfait ne convient pas a des hommes.« Tat­ sächlich nämlich hätte ein solches Volk gar keine Regierung nötig. (Contrat Social III, 4, S. 406) ^

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entlastet. Denn wie wäre der kollektive Körper des Volkes dazu in der Lage, Gesetze zu formulieren?140 Diese Frage hat einen pragmati­ schen und einen politik-pädagogischen Hintergrund. Pragmatisch stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Fähigkeit des Volkes, zu sprechen, da es doch kein natürlicher Körper ist.141 Politik-pädago­ gisch lautet die Frage, oh das Volk schon reif genug ist, die Gesetze zu formulieren, während es doch durch die Gesetze erst zur Höhe seiner moralischen Existenz geführt werden soll. Beide Argumente zwingen Rousseau zur Institution des Gesetzgehers, der die tatsäch­ liche politische Einlösung des Primats der Autonomie gewährleistet. Ergänzt wird die Figur des Bürgers um die irreführend >Legislateur< genannte Instanz, die mit der Artikulation der volonte generale, mit der Formulierung von Gesetzen heauftragt ist. Erst die Einfüh­ rung dieser Figur erlauht es Rousseau, die Souveränität nicht hloß in legitimatorischer Ahsicht vom Volke ahzuleiten, um ihre Ausühung dann (einem) Repräsentanten zu üherlassen, sondern die höchste Ge­ walt des Gemeinwesens heim Volke selhst als ein unveräußerliches und unteilbares Eigentum zu helassen. Genauer gesagt: Rousseau hestimmt Souveränität nicht als Eigentum, sondern als die Qualität eines Volkes. Deshalh kann er hehaupten, daß ein Gehorsam verspre­ chendes Volk kein Volk mehr ist.142 Die Gesetzgehung, in der die 140 Die Kritik an einer tatsächlichen Ausühung der Volkssouveränität üher den Akt der Wahl hinaus wird his in die Gegenwart von diesem Argument geleitet. Das Prohlem einer Gesetzgehung durch das Volk - Volkshegehren und Volksentscheid - wird durch eine technokratische Argumentationen hestimmt und durch eine moralistische Argu­ mentation, die, radikal formuliert, die Grenzen der Volkssouveränität als die Grenzen des Volkes selhst hestimmt. Die technokratische Argumentation spricht dem Volk die Sachkenntnis ah, üher komplexe Verhältnisse der Industriegesellschaft zu entscheiden; die moralistische Argumentation heschwört in demokratiekritischer Tradition die Verführharkeit des Volkes einerseits, andererseits die Gefahr, daß die vielen Einzelnen, aus denen das Volk sich zusammensetzt, das allgemeine Beste zugunsten ihres persönlichen Nutzens vernachlässigen würden. Radikal formuliert droht die moralistische Argumen­ tation mit der Politisierung des Volkes - und stellt damit die Frage nach den politischen Fähigkeiten des Volkes üherhaupt. Aus der Tatsache, daß auch ein Volkshegehren nicht vom ganzen Volk, sondern nur von einem kleinen Teil des Volkes formuliert wird, wird die fundamentale Prohlematik der direkten Demokratie dergestalt ahgeleitet, daß auch direkte Demokratie eine verschleierte und deshalh unkontrollierhare und nicht legitime Form der Repräsentation darstellt. Wann immer das Volk anders als durch seine verfas­ sungsmäßig hestimmten Repräsentanten zu sprechen anheht, ist es kein Volk mehr. (Paradigmatisch Carl Schmitt, Volksentscheid und Volkshegehren.) 141 »Le corps politique a-t-il un organe pour enoncer ces volontes?« (Contrat Social II,6, S. 380) 142 Contrat Social II,1, S. 369. 132

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Souveränität aufgeht, kann das Volk also unter keinen Umständen aufgehen, ohne aufzuhören, Volk zu sein. Das durch das Pathos der Freiheit erzwungene Repräsentationsverhot der Gesetzgehungskompetenz wird ergänzt um eine Bestimmung des Gesetzes, die nur die Autorschaft des Volkes anerkennt.143 Doch Autorschaft hedeutet nichts anderes als die Ratifizierung des Gesetzes, in der die Identität des Gesetzes mit der volonte generale anerkannt wird. Die Formulie­ rung des Gesetzes selhst wird dem >Legislateur< ühertragen, da die Gesetzesformulierung durch das Volk selhst nur durch einen unter Menschen unwahrscheinlichen »accord commun«, durch »inspira­ tion suhite« vorgestellt werden könnte.144 Diese enigmatische Figur hezeichnet den Gipfel der institutionellen Prohleme, die die Theorie der Volkssouveränität helasten. Rousseaus Philosophie der politischen Aufklärungen trägt dem empirischen Zustand des aktuellen Volkes Rechnung und läßt sich nicht vom Traum eines moralisch vollkommenen Volkes hlenden. Damit wird der normative Charakter des >Contrat Social< erst ganz deutlich: Der Gesellschaftsvertrag heschreiht keine Tatsache, sondern ein Projekt. Der politische Körper namens Volk wird zwar mit dem Moment des Gesellschaftsvertrages hegründet; doch damit sind die empirischen sozialen Prohleme nicht einfach gelöst. Der Gesell­ schaftsvertrag ist die Stunde Null eines politik-pädagogischen Pro­ jektes der Bildung eines Volkes, dessen Hauptrolle der Legislateur spielt. Er formuliert die Gesetze, üher die das Volk ahstimmt. Als ein Deus ex machina erscheint diese Figur hei Rousseau, der sich ihres prohlematischen Charakters durchaus hewußt ist. Mit dieser Figur wird sowohl das pragmatische als auch das politik-pädagogi­ sche Prohlem der Volkssouveränität gelöst. Der >Legislateur< darf nicht als Repräsentant erscheinen; er ist der große Fremde des >Contrat Sociah.145 Es giht keine irgendwie geartete Verhindung zwischen ihm und dem Volk, dessen Gesetze er formuliert - und das heißt: seine Position ist außerhalh des Legitimitätsgefüges des Gesell143 »Toute loi que le Peuple en personne n'a pas ratifiee est nulle; ce n'est point une loi.« (Contrat Social 111,15, S. 430) 144 Vgl. Contrat Social Social II,6; 380. 145 Reinhard Brandt hewertet den Gesetzgeher als »Fremdling« im Contrat Social. (Rousseaus Philosophie, S. 117) Raymond Polin wendet sich gegen die Interpretation des >Legislateur< als »une sorte de surhomme, d'homme transcendant«: »Rousseau croit a l'existence historique d'un Lycurgue, d'un Solon, d'un Numa.« (La politique de la solitude, S. 226 f.) ^

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Schaftsvertrages. Der >Legislateur< macht seine Vorschläge auf der Grundlage einer Autorität anderer Ordnung. Da ihm wegen der feh­ lenden Legitimation keine Macht zur Verfügung steht, um einem Volk im Bildungsprozeß eine Verfassung aufzuzwingen, er jedoch auch nicht auf den Verstand des Volkes hauen kann, das umgekehrt erst durch die Gesetze vernünftig wird, muß der >Legislateur< mit himmlischer Autorität sprechen: Denn himmlisch ist die Autorität, die ohne Gewalt zu zwingen vermag und ohne zu üherzeugen zu üherreden vermag.146 Die große Aufgahe des >Legislateur< hesteht also nicht einfach in der Formulierung von Gesetzen; der >Legislateur< hegründet, errich­ tet üherhaupt erst ein Volk.147 Die Figur des Gesetzesformulierers löst also nicht hloß ein pragmatisches Prohlem der Volkssouveräni­ tät; sie wird zugleich dazu eingesetzt, die Begründungslücke des Ge­ sellschaftsvertrages zu schließen. Das Prohlem einer jeden Vertrags­ theorie soll durch die Figur des Gesetzgehers gelöst werden, der mit himmlischer Autorität zu sprechen scheint: Der Gesellschaftsvertrag setzt voraus, was er doch erst hewirkt, die concordia der vielen Ein­ zelnen. Die Selhsthegründung des Volkes durch den Gesellschaftsver­ trag hat eine aporetische Struktur, die durch den technischen Kniff einer Gesetze formulierenden Instanz weniger aufgelöst als vielmehr erst offenhar wird. Politische Maieutik, das ist die Aufgahe des >Legislateuresprit social ist das Werk der Institutionen^ nicht umge­ kehrt.148 Der Gesellschaftsvertrag, so scheint es, kann ohne die In­ stanz eines Dritten nicht geschlossen werden, der den vielen Einzel­ nen den >Vertragstext< vorlegt. Damit aher kehrt in verwandelter Gestalt die Struktur der Hohhesschen Repräsentationslehre wieder, die die Einheit des politischen Körpers aus der Einheit ihres Reprä­ sentanten ahgeleitet hatte. Nicht unter dem Namen der Repräsenta­ tion wohlgemerkt; doch die Theatralik der Figur des >Legislateur< macht erst deutlich, in welchem prekären Verhältnis sowohl der Akt 146 »Ainsi donc le Legislateur ne pouvant employer ni la force ni le raisonnement, c'est une necessite qu'il recoure a une autorite d'un autre ordre, qui puisse entrainer sans violence et persuader sans convaincre.« (Contrat Social 11,7, S. 383) 147 »»... instituer un peuple« ist das wahre Werk des Legislateur. (Contrat Social II, 7, S. 381) »Das Volk ist der Stoff,« so Reinhard Brandt (Rousseaus Philosophie, S. 126), »den der Demiurg, der göttliche Gesetzgeher formt«. 148 Contrat Social II,7, S. 383. 134

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des Gesellschaftsvertrages seihst als auch die späteren Akte der Sou­ veränität zum Primat der Autonomie stehen. Tatsächlich heschränkt die Politische Theorie der Volkssouveränität, die sich ihrer institutio­ neilen und politik-pädagogischen Prohlematik hewußt ist, die politi­ schen Handlungen des Citoyen, der eine neue Epoche der Politischen Theorie zu verkörpern scheint, auf einen fast als acclamatio erschei­ nenden Akt: die Ahstimmung üher die Identität von Gesetzentwür­ fen mit der volonte generale, der keine Diskussion vorausgehen darf.149 Damit verzichtet Rousseau auf den pädagogischen Effekt der deliheratio; das kann er sich jedoch nur leisten, weil er an die metamorphische Kraft der Institutionen glauht.150 Souveränität ist - wie der Staatsschatz - unveräußerlich: Denn sie ist das Wesen des Staates selhst, in dem die natürliche Freiheit des Einzelnen in hürgerlicher Freiheit aufgehohen ist. Während der Ge­ sellschaftsvertrag eine totale Ent- oder Veräußerung inszeniert nämlich die der vielen Einzelnen mit allen ihren Rechten -, hegründet er andererseits die totale Unveräußerlichkeit des durch den Gesellschaftsvertrag hegründeten Willen des politischen Körpers. Rousseaus Begründung der Unveräußerlichkeit der Souveränität muß auf die Willensmetaphysik zurückgreifen: Souveränität ist nichts anderes als die Ausühung der volonte generale. Ein Wille aher kann nicht repräsentiert werden. Rousseau schieht ein scheinhar 149 Nichts wäre ahwegiger, als Rousseaus Modell nach dem - tatsächlich liheral-demokratischen Modell - der Diskussion zu heschreihen. Die gegenwärtigen Versuche, Politik als Diskurs zu hestimmen, sind fern von Rousseaus Mißtrauen, der gerade wegen der Verführharkeit des Volkes die deliheratio als politisches Instrument unterhinden wollte. Gerade die öffentliche deliheratio hildet das Einfallstor der Partikularwillen, die die Stelle der volonte generale zu hesetzen drohen. (Vgl. z.B. Contrat Social IV, 2, S. 441). Bernard Manin meint, hei Rousseau werde »deliheration« auf »decision« reduziert: »la hase de la legitimite pour Rousseau est ainsi non pas l'individu lihre capahle de se determiner en pesant des raisons, mais l'individu ayant une volonte deja completement determinee, l'individu ayant arrete son choix.« (Volonte generale ou deliheration?, S. 78 und 80) Der repuhlikanische Optimismus der gegenwärtigen Diskussion setzt dagegen dar­ auf, daß gerade die öffentliche Diskussion als das Feuer erscheint, in dem die privaten Interessen verglimmen, so daß nur noch das dann für alle sichthare Allgemeinwohl leuchte. (Vgl. statt anderer Benjamin Barher, Starke Demokratie) 150 »Les honnes institutions sociales sont celles qui savent le mieux denaturer l'homme ... en sorte que chaque particulier ne se croie plus un, mais partie de l'unite et ne soit plus sensihle que dans le tout.« So Rousseau im 1. Buch des Emile. Erziehung durch Institutionen steht im >Contrat Sociale sehr deutlich gegen die andere repuhlikanische Tradition der Selhsterziehung - und läßt den Primat der Autonomie im seltsamen Zwie­ licht erscheinen. ^

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pragmatisches Argument vor: die Unwahrscheinlichkeit nämlich, daß zwei Willen auf Dauer übereinstimmend51 Natürlich ist Willens­ identität ein Zufallsprodukt, das keine Kontinuität verspricht. Allein, dieses Argument ist eben nicht nur pragmatisch, sondern es betrifft die Existenz des politischen Körpers in seiner Substanz. Und es the­ matisiert den moralischen Status des Citoyen. Rousseau lehnt die Repräsentation der Souveränität ab, weil die Repräsentation sich als eine Fessel des politischen Körpers entpuppen würde, die den präkontraktualen Zustand wiederherstellen würde. Der Gesellschafts­ vertrag, dem der politische Körper sein Leben verdankt, wurde durch das Versprechen begründet, die Freiheit wiederherzustellen, die ge­ genwärtigen Fesseln zu sprengen. Repräsentation aber bedeutet die (erneute) Unterwerfung der Repräsentierten unter den oder die Repräsentierenden. Repräsentation bedeutet eine illegitime Gehor­ samsverpflichtung, die durch nichts gerechtfertigt werden kann.152 Die Souveränität ist die Seele des politischen Körpers; Repräsenta­ tion hieße, daß dem politischen Körper das Prinzip des Lebens ent­ rissen würde. Weil also Souveränität als Ausübung des Allgemein­ willens bestimmt wird, hängt die Existenz des politischen Körpers an einem seidenen Faden: an der beharrlichen Weigerung der Bürger nämlich, die volonte generale repräsentieren zu lassen. Damit ist die moralische Herausforderung bezeichnet, die die Unveräußerlichkeit der Souveränität darstellt.153 Tatsächlich ist nie gewiß, ob die Menschen nicht auf die Ausübung der Souveränität verzichten wollen. Denn die politische Freiheit hat ihren Preis, sie nötigt zur Zurückdrängung des ökonomischen Systems. Das ökono­ mische System selbst bedroht in Rousseaus Augen die politische Ein­ heit. Die bürgerliche Gesellschaft ist nicht der Grund, sondern der Abgrund des politischen Körpers. Denn das ökonomische System, in dem sich die Einzelnen als Konkurrenten begegnen, verhindert nicht bloß durch diese Entgegensetzung das Gefühl der Einheit. Der Staat, gedacht als die personale Einheit seiner Bürger, wird durch die Ty-151 152

151 Contrat Social 11,1, S. 373. 152 Vgl. Pasquale Pasquino, Citoyennete, S. 151 f.: »En fait, la representation dissout le peuple car, en faisant apparaitre des >maitresapriorischen< Legitimitätsvorsprung gegenüber dem natürlichen Individuum geltend machen. Erst Rousseaus intensive Deutung des politischen Körpers erlaubt die Aufhebung des individuellen natürlichen Rechtes auf Selbsterhaltung zugunsten des Selbsterhaltungs­ gebotes des künstlichen Körpers des Staates. ^

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Republik bildet. Denn Republik ist nicht einfach jeder Staat, in dem die Gesetze herrschen. Republik ist erst jener Rechtsstaat, in dem das Volk Autor der Gesetze ist.156 Die Identifizierung von Republik und Rechtsstaat ergibt nur solange Sinn, als die Gesetze vom Volk selbst erlassen werden, also nur solange sich das Volk den Ansprüchen der Souveränität gewachsen zeigt - das ist der moralische Kern des Be­ griffes der Legitimität. Volkssouveränität bedeutet die entscheidende Herausforderung an das Volk, das sich seine Freiheit verdienen muß. Das Problem der politischen Repräsentation stellt sich also dop­ pelt: als theoretisches Problem der Souveränität und als politik-päd­ agogisches Problem des Republikanismus. Die Souveränitätslogik überdeckt dabei nur zu leicht die pädagogischen Erwägungen; es scheint, als ob mit der theoretischen Begründung der Unveräußer­ lichkeit von Souveränität durch die Willensmetaphysik alles gesagt sei. Rousseau selbst deutet den politico-pädagogischen Effekt der Er­ ziehung zur Republik durch unmittelbare Teilnahme am Prozeß der politischen Willensbildung nur an. Daß der Staat allerdings durch Repräsentation dem Ruin entgegengetrieben wird, stellt ex negativo einen Beweis dieser pädagogischen Funktion dar. Sowohl durch die Repräsentation der Souveränität als auch durch den Freikauf von mi­ litärischen Pflichten wird ein Freiraum geschaffen, in dem sich die Partikularwillen entfalten können. Der Bezug auf das Gemeinwesen verfällt, der politische Körper wird entseelt. Die Individuen gestatten ihren partikularen Leidenschaften genau die Entfaltung, die ihnen vor dem Abschluß des Gesellschaftsvertrages zustand. Der Bourgeois entmachtet den Citoyen. »Ce mot de finance est un mot d'esclave«.157 Rousseaus Angriffe auf das ökonomische System tragen einem Dilemma der Moderne Rechnung. Sie zielen auf die Spannung zwischen den Ansprüchen der Republik und den ökonomischen Notwendigkeiten der Repro­ 156 Contrat Social II,6, S. 379. 157 Contrat Social 111,15, S. 429. Rousseaus vielzitierte Verdammung des ökonomischen Systemes geht Hand in Hand mit einer ambivalenten Beschwörung des griechischen Sklavenwesens. Der zentrale Stellenwert, der den öffentlichen Angelegenheiten im Le­ ben der Bürger zukommt, verdankt sich einer vollständigen Abkoppelung des ökono­ mischen Systems. Die Freiheit der griechischen Bürger beruhte auf der vollständigen Unfreiheit der Sklaven, die die materielle Reproduktion des Gemeinwesens besorgen. Erst die durch die Sklaven gewährleistete Entlastung der Bürger von den ökonomischen Aufgaben eröffnet jenen Raum der politischen Freiheit, der das Denken Rousseaus so sehr bestimmt. Doch unter den Bedingungen einer universalen Anthropologie der Frei­ heit ist die griechische Lösung inakzeptabel. Bleibt nur die Trauer über die Gegenwart. 138

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duktion. Die doppelte Entfaltung der Autonomie in wirtschaftliche und politische Freiheit ist nicht einfach komplementär; tatsächlich bedroht die Entfaltung des ökonomischen Systemes die auf politische Freiheit gegründete Republik.158 Der Weg zu den Bedingungen der antiken polis ist ein für alle Mal versperrt. Weil die Freiheit nicht bloß ein Attribut der Bürger ist, sondern zur Qualität eines jeden Menschen gehört, weil also die Autonomie universal gedacht werden muß, kann niemand von den Aufgaben der materiellen Reproduktion entlastet werden. Da jedoch die Republik ihre Bürger mit Haut und Haaren, >sans reserve< anfordert, müssen die Erfordernisse des öko­ nomischen Systemes als Gefährdung erscheinen. Sie rauben dem politischen Körper die Aufmerksamkeit, die ihn erst zum Leben er­ weckt - und am Leben hält. Rousseaus Angriffe auf das ökonomische System und seine Betonung der direkten politischen Partizipation kündigen also keinen Rückfall in die Prä-Moderne an, sondern die politische Trauer über die Widersprüche der Moderne. Die Abwehr des ökonomischen Systems zur Rettung des politischen Systems ist ein genuin moderner Gestus. Tatsächlich, so Rousseaus Intuition, aus der sich viele Seltsamkeiten der Theorie erklären lassen, ist die Re­ publik unter den Bedingungen der Moderne kaum zu erhoffen. Die Aufmerksamkeit, die das Leben des politischen Körpers beansprucht, wird von der durchgehenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche konterkariert. Gegen diese Ökonomisierung aber hilft nur eine Er­ ziehung, die das Herz des Einzelnen an das Gemeinwesen fesselt. Rousseaus Politische Philosophie entfaltet die institutionellen und die theoretischen Bedingungen der Autonomie. Das Ergebnis dieses Versuches ist mehr als ambivalent; die Selbstbehauptung des politischen Körpers, begründet durch die doppelte Logik von Inter­ esse und communio, kann nur auf der Grundlage der Identifizierung 158 »Certes, la democratie directe [...] n'est practicable que dans une cite restreinte ou les citoyens disposent, en outre, du temps libre pour se consacrer aux affaires publiques« (Baczko, Le contrat social des Fran^ais, S. 507). Bei Rousseau hängt die Freiheit des citoyen von dieser unmittelbaren Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten ab, Sieyes hingegen definiert diese Freiheit entgegengesetzt: Sie wird bestimmt »par le degre d'independance acquis par l'individu pour realiser ses aspirations.« (ebd., S. 509) Seine Unabhängigkeit vom politischen Tagesgeschäft, das er den gewählten Repräsen­ tanten überläßt, kann der Bürger dann für die Beförderung des ökonomischen Fort­ schritts nutzen. Die Politik ist also eine »activite specialisee« (ebd., S. 509), die im Rah­ men einer kollektiven Arbeitsteilung den fähigsten Bürgern übertragen wird. Für Rousseau bringt eine solche »division de travail« neue Partikularismen mit sich, die die bürgerliche Gleichheit gefährden. ^

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von Freiheit und Vernunft gesichert werden. Der Versuch jedoch, die Strukturen der Herrschaft nicht bloß in legitimatorischer Absicht aus Freiheit zu begründen, wie Hobbes das getan hatte, sondern darüber hinaus diese Strukturen als Strukturen der Freiheit selbst bestimmen zu wollen, fordert einen hohen Preis: die tendenzielle Verdrängung des natürlichen Subjektes, die in der Vertragsklausel der >totalen Enteignung< auf den Begriff gebracht wird. Die Deutung der vollendeten Freiheit als vorbehaltloser Unterwerfung erscheint als das Marken­ zeichen einer Politischen Philosophie der Aufklärung, die ihr phi­ losophisches Spiel mit hohem Einsatz spielt. Die Identifizierung von Freiheit und Vernunft im Begriff der volonte generale bedeutet eine Absage an die Willkür - und erlaubt nur noch eine Deutung der Freiheit, die die Ansprüche des Allgemeinen in ihr Herz aufgenom­ men hat. Rousseaus Pathos der Freiheit stellt den entscheidenden Meilenstein im Progreß der Rationalität dar und macht zugleich den problematischen Charakter dieses Fortschrittes deutlich. Die Identi­ fizierung von Freiheit und Vernunft bildet die normative Basis poli­ tischer Autonomie - aus diesem Grund kann und muß die vorbehalt­ lose Unterwerfung unter die volonte generale als verwirklichte Freiheit gedeutet werden. Die umstandslose Identifizierung der kol­ lektiven Freiheit mit der Freiheit des Individuums im Begriff des Citoyen kann nicht nur auf der rechtlichen, sondern muß auf der umfassendsten Gleichheit aller begründet werden. Insofern bedeutet die normativ aufgeladene Deutung der politischen Autonomie nicht nur die Sicherung der Freiheit, sondern zugleich deren wirksamste Bedrohung. Denn sie ist tendenziell darauf angewiesen, die individu­ ellen Differenzen zu tilgen.159

159 Vgl. Alexis de Tocqueville, Die Demokratie in Amerika, II, S. 338. Siehe dazu Mor­ ton J. Horwitz, Tocqueville and the tyranny of majority. 140

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III. Moralität und Vernunft

1. Das Reich der Moralphilosophie Kants politische Theorie hat ihr eigentliches Profil als Rechtslehre gefunden. Mit dieser Option ist, im Rückblick auf die Tradition, ein doppelter Ausschluß verbunden: ausgeschlossen wird einerseits die eudämonistische Perspektive der Politischen Theorie, ausgeschlossen werden andererseits all die Fragen der politischen Klugheit, die von Aristoteles bis zur Lehre von der Staatsräson die Politische Theorie als praktische Philosophie beherrscht haben. Der fundamentalisti­ sche Gestus verdankt sich einem ausdrücklichen Wunsch nach Rein­ heit der Theorie. Rein ist die Theorie, insofern sie ihre Begriffe und Argumentationen rein und unvermischt gestaltet. Für Kant bedeutet das die Absehung von aller Empirie.Tatsächlich bedeutet die Abwen­ dung von Empirie und Erfahrung, der metaphysische Gestus, viel mehr als eine nur methodische Maßgabe; denn durch diese Maßgabe werden die möglichen Inhalte der politischen Theorie ebenso aus­ gewählt wie bestimmte Aussagen der praktischen Philosophie deren Fundament die Metaphysik darstellt - präjudiziert. Zwar er­ scheint auch Kants >Metaphysik der Sittern als praktische Philoso­ phie, als »philosophia practica universalis«1. Doch der Versuch, diese Theorie aus der Rechtslehre metaphysisch zu gestalten, das heißt als »ein System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen«2, macht diese Einordnung problematisch. Der Wunsch nach »Reinigkeit« der Theorie3 steht gerade gegen die methodischen Zugeständnisse, die das Konzept der praktischen Philosophie seit Aristoteles bestimmen.4 Der praktischen Philosophie ein metaphysisches Fundament ge­ ben zu wollen, nötigt zum Auschluß aller materiellen Erwägungen; deshalb wird Kants Moralphilosophie, die eben dieses metaphysische 1 2 3 4

Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 221. Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 216. Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 216. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1094b. ^

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Fundament in concreto bildet, als ein großartiger Versuch gestaltet, von allen materiellen Bedingungen der Gerechtigkeit so sehr abzuse­ hen, daß der reine Formalismus eines Rechtes zum Stern der Gerech­ tigkeit wird, das sich selbst Zweck ist. Kant wird die Frage nach der Gerechtigkeit, die klassische Frage der praktischen Philosophie, ganz und gar in die Frage nach dem Recht aufgehen lassen. Doch neuzeit­ lich gesehen bedeutet die Identität von Recht und Gerechtigkeit eben nicht die naturrechtliche Intuition, daß das Recht einem materiellen Begriff der Gerechtigkeit entspricht. Neuzeitlich bedeutet diese Iden­ tität die Aufhebung der Frage nach der Gerechtigkeit im Rechtsposi­ tivismus der Souveränitätslehren. Die Herrschaft des geltenden Rechts schluckt gleichsam das Problem der Gerechtigkeit. Kants Be­ tonung des Rechts nimmt zwar die Abkehr von der materiellen Be­ stimmung der Gerechtigkeit durch den neuzeitlichen Rechtspositi­ vismus auf; allein, sie macht in der Bestimmung des Rechts als des Substrates der Gerechtigkeit nicht einfach die Tatsächlichkeit des sta­ tus quo geltend, sondern erhebt umgekehrt eine pathetische Idee des Rechts zur Richtschnur der Gerechtigkeit. Daß die Idee des Rechts selbst als Gerechtigkeit bestimmt werden kann, macht die Univer­ salität der Theorie aus. Die von Kant für seine Rechtslehre bean­ spruchte Universalität ist nicht einfach ein Attribut dieser Lehre ne­ ben anderen, sondern ihr Wesen. Abstraktion von Bedingungen der Ausführung und Allgemeinheit der Prinzipien kennzeichnen eine Theorie als »Inbegriff selbst von praktischen Regeln«5; die Abwen­ dung von aller Empirie als Bedingung der Universalität ihrer Aus­ sagen bestimmen eine Theorie erst als Theorie. Für die >Metaphysik der Sittern bedeutet diese Vorgabe allererst den Verzicht auf ein anthropologisches Fundament der Rechtslehre.6 Dieser Verzicht trennt Kant aufs deutlichste von seinen Vorgängern. Seitdem Aristoteles seine praktische Philosophie - in der >Nikomachischen Ethik< - durch eine als Handlungs- und Güterlehre formu­ lierte Anthropologie hat beginnen lassen, gehört die Lehre vom Menschen zum Fundament einer jeden praktischen Philosophie. Und das gilt noch mehr für die spezifisch neuzeitlichen Versuche, das Wesen des Politischen, den Begriff und die Struktur des Zusam­ menlebens aus der Natur des Menschen abzuleiten. Doch unter der Hand kann auch Kant auf eine anthropologische Fundierung seiner 5 Gemeinspruch, S. 273. 6 Vgl. Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 217. 142

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politischen Philosophie nicht verzichten; deshalb gibt er eine Bestim­ mung des Menschen, die allerdings - und das trennt Kant in seinen Augen von der Anthropologie - von aller Erfahrung, von aller Empi­ rie frei ist. Die Idee der Freiheit bestimmt das Wesen des Menschen und dieser Idee entspricht tatsächlich keine Erfahrung, denn sie ist eine Idee der Vernunft. Der >Rechtslehre< einen Begriff der Freiheit zugrundelegen, dem kein empirisches Korrelat entspricht, ist nur möglich, insofern die Rechtslehre selbst als Ausgestaltung einer a priorischen Sittlichkeitslehre erscheint. Nur dann nämlich kann die Theorie von jeder Empirie abstrahieren, nur dann brauchen ihren Begriffen keine Erfahrungen zu entsprechen. Diese scharfe Trennung macht es umgekehrt aber geradezu not­ wendig, die Moralphilosophie als Rechtslehre zu gestalten - und eben nicht als Lehre von der Erlangung der Glückseligkeit.7 Die klas­ sische Verbindung der Moralphilosophie mit der antik gesprochen: eudaimonia bricht Kant auf, um der Gefahr auszuweichen, daß die Kategorie des Nutzens sich über diesen Umweg in die Sittenlehre einschleicht.8 Die Zwecke der Einzelnen werden nicht verachtet, aber 7 Die Behandlung der Glückseligkeit macht deutlich, in welchem Maße Kants prakti­ sche Philosophie in der >Einleitung in die Metaphysik der Sitten,< ebenso wie im >Gemeinspruch< mit der Tradition ringt. Der Versuch einer ganz und gar neuzeitlichen Neubegründung der Sittenlehre bricht mit den zentralen Topoi der klassischen Politi­ schen Theorie, ohne die er doch nicht auskommen kann. Die Möglichkeit, die Glückse­ ligkeit neuzeitlich unter die Kategorie des >Nutzen< zu subsumieren, treibt Kant zu der theoretischen Verzweiflungstat, die Glückseligkeit in der Sittenlehre zu ignorieren. Daß er sich ihres Gespenstes nicht erwehren kann, steht außer Frage: dann wird die Idee der Pflichterfüllung an die Vorstellung gebunden, sich der Glückseligkeit würdig zu erwei­ sen. (Vgl. Gemeinspruch, S. 279 f.) »(N)ie anders als bloß bedingterweise, sofern man ihrer würdig ist, (wird die Glückseligkeit) von der Vernunft als Gut anerkannt«. (Ge­ meinspruch, S. 283) 8 Kants Gebrauch des Begriffes Glückseligkeit spiegelt schon die neuzeitliche utilitari­ stische Einengung des Begriffes. Beförderung der Glückseligkeit heißt allererst die Beförderung des eigenen Nutzens. Man könnte mit gutem Recht zwischen einer uti­ litaristischen und einer eudämonistischen Argumentation unterscheiden, insofern der aristotelische Begriff der Glückseligkeit etwas ganz anderes bezeichnet als den eigenen Nutzen. Kants Beschreibung des kategorischen Imperativs als die Bestimmung jener Handlung, deren Triebfeder nicht »die Vorstellung eines Zweckes, der durch die Hand­ lung erreicht werden könnte, sondern ... die bloße Vorstellung dieser Handlung« ist (Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 222), folgt bis ins Detail Aristoteles Bestim­ mung des höchsten Gutes. Doch die neuzeitliche, die individualisierte, am Nutzen ausgerichtetet Vorstellung der Glückseligkeit verbietet Kant die eudämonistische Wendung der Moralphilosophie: hinter die Vorstellung der individuellen Zwecke führt keine Ar­ gumentation mehr zurück. Deshalb versucht Kants Moralphilosophie sich an einer Be­ ^

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sie finden keinerlei Beachtung im System der praktischen Regeln. Und zwar einerseits, weil die empirischen Zwecke der vielen Einzel­ nen nicht universalisierhar sind und deshalb für eine Theorie im en­ gen Sinne keine Rolle spielen können. Andererseits, weil aus den empirischen Zwecken der vielen Einzelnen keine Pflicht abgeleitet werden kann. Deshalb wird die Moralphilosophie einen Begriff der Sittlichkeit entwerfen, der ganz und gar durchs Recht als bloßes Ge­ bot der Vernunft bestimmt wird - und von jedem Nutzen absieht. Der Versuch, eine Sittenlehre zu begründen, in der das Interesse kei­ ne Rolle spielt, ist nicht revolutionär - sondern, unter diesem Blick­ winkel, eine säkulare Neugestaltung der christlichen Ethik, in der die Tugend nicht auf den Lohn schaut. Doch dieser Topos wird formali­ siert; er erscheint in der Gestalt der reinen Idee der Vernunft und das heißt allererst: seines materialen Substrates entledigt. Kants forma­ listischer Zwang in Gerechtigkeitsdingen kann insofern aus dem Ver­ zicht auf den Inhalt der christlichen Ethik zugunsten ihrer Form ab­ geleitet werden.9 Dann bleibt die Idee einer Verpflichtung, die nicht in der Rationalität des Nutzens gründet, sondern nur aus der Idee einer inneren Gesetzgebung abgeleitet werden kann. Der Mensch, das freiheitliche Wesen, wird durch die Idee der Vernunft unbedingt verpflichtet; gegen diese Verpflichtung ist kein Widerspruch möglich. Da diese Verpflichtung eine Idee der Vernunft ist, ist sie ebenso unwiderstehlich wie universal. Ihre Formulierung findet die­ stimmung des Handelns vor allen Zwecken; um die universal-handlungsmotivierende Funktion von Zweck und Nutzen zu umgehen, dreht sich die moralphilosophische Ar­ gumentation allererst um die Frage nach der Möglichkeit einer Handlung, die durch eine innere Triebfeder bestimmt wäre. 9 Die Notwendigkeit des Glaubens »an einen moralischen Weltherrscher und an ein künftiges Leben in praktischer Absicht« (Gemeinspruch, S. 279; vgl. Kritik der prakti­ schen Vernunft V, 114) macht das Defizitäre der Kantschen Ethik wider Willen deutlich. Diese Notwendigkeit rührt, so Kant, nicht daher, daß der Pflichtbegriff seiner Ethik über keine ausreichende Triebfeder verfüge; diese Notwendigkeit rührt vielmehr daher, daß dem allgemeinen Pflichtbegriff kein Objekt entspreche. Doch Kants Argumentation ist merkwürdig: tatsächlich dient sie der Einführung eines höchsten Gutes, das kein beson­ derer Zweck, sondern ein allgemeiner Zweck ist. Dieses höchste Gut wird nicht be­ schworen, um die eigene Glückseligkeit zu befördern, sondern um sich der Glückselig­ keit als würdig zu erweisen. Das Problem also besteht darin, unter den Bedingungen der Säkularisierung einen Zweck zu denken, dessen Verfolgung ganz und gar uneigennützig wäre. - Später wird Kant dieses höchste Ziel, in Analogie zu Augustinus, als ewigen Frieden bezeichnen. Aus der Außenperspektive des Schöpfers erscheint es jedoch als die »Vereinigung und Zusammenstimmung« der >Moralität des Menschenc und seiner >Glückseligkeitc. (Gemeinspruch, S. 279) 144

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se Pflicht im ganz und gar formalen, also von jeder materialen Be­ stimmung freien, kategorischen Imperativ. Der kategorische Imperativ ist der Kern der Kantschen Moral­ philosophie; er beschreibt die Möglichkeit einer Pflicht vor allen Zwecken - und damit die Möglichkeit von Moralphilosophie über­ haupt. Angesichts des verschärften Individualismus einerseits, der Unmöglichkeit andererseits, von einem ontologischen Horizont Ant­ worten auf moralische Fragen abzulesen, besteht das Problem der Moralphilosophie in der Möglichkeit, die unbedingte Verbindlichkeit freier Handlungen zu denken. Kants Versuch, die Meta-Regel der Moralphilosophie, das praktische Gesetz aller praktischen Gesetze zu bestimmen, das notwendig universal ist, muß alle empirischen, muß die Pluralität der Zwecke von Handlungen ausschließen. Das geschieht, indem der kategorische Imperativ als ein Imperativ10 be­ stimmt wird, der eine Handlung »durch die bloße Vorstellung dieser Handlung selbst (ihrer Form), also unmittelbar als objektiv-notwen­ dig denkt und notwendig macht«.11 Kategorisch ist also jener Impe­ rativ, dessen Vorstellung »subjektiv-zufällige Handlungen notwen­ dig macht«, ohne Rücksicht auf die Vorstellung von Zwecken, die diesen Handlungen äußerlich wären. Der methodisch erzwungene Ausschluß der empirischen Zwecke - subsumiert unter den Verzicht auf alle Glückseligkeitserwägungen - nähert sich sprachlich der ari­ stotelischen Lehre von der Glückseligkeit auf stupende Weise an. Die >Nikomachische Ethik< hatte ja Glückseligkeit allein in Handlungen versprochen, die ihr Ziel in sich tragen und so auf keinen Zweck ver­ weisen, der außer dieser Handlungen zu suchen wäre.12 Der Forma­ lismus der Kantschen Moralphilosophie spiegelt auf denkwürdigste Weise die aristotelische Glückseligkeitslehre, zu der ihr doch jeder Weg versperrt ist, weil die ontologisch-anthropologische Selbst­ sicherheit der aristotelischen Lehre weder der historischen Erfahrung noch den methodischen Standards der Moderne gerecht zu werden scheint. Kants Versuch einer Wiederbelebung der Ethik wird deshalb allererst als Moralphilosophie gestaltet. Die >Metaphysik der Sitten< knüpft zwar an Aristoteles' Programm der praktischen Philosophie an; da ihr jedoch gerade die Sittlichkeit der Sitten fragwürdig ist, 10 »Der Imperativ ist eine praktische Regel, wodurch eine an sich zufällige Handlung notwendig gemacht wird.« (Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 221) 11 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 222. 12 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1176b. ^

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muß sie vom Ethos ahsehen - und damit von allen materialen Be­ stimmungen des höchsten Gutes. An deren Stelle tritt die Universali­ tät eines nur durch die Vernunft hegründeten moralischen Prinzips, des kategorischen Imperatives. Kants definitorischer Versuch der >Vorhegriffe zur Metaphysik der Sittern hestimmt das Prohlem der unhedingten Verhindlichkeit freier Handlungen als ein Prohlem der universalen praktischen Phi­ losophie, wie der lateinische Untertitel der Schrift in der Sprache der Tradition präzisiert. Der kategorische Imperativ giht die Lösung die­ ses Prohlemes. Er antwortet auf die Frage, wie universale Verhindlichkeit gedacht werden kann, ohne auf die Bestimmung des Menschen als eines freien Wesens zu verzichten, indem er die Universalisierharkeit der Prinzipien des Handelns selhst als einzige universale Verhindlichkeit hestimmt. »Handle nach einer Maxime, welche zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann.«13 Dieser unscheinhare Satz erzwingt die potentielle Identifizierung der Hand­ lungsmotive mit einer Gesetzgehung, die die gesamte Menschheit hände. Moralische Introspektion und universalistische Gesetzgehung sind nur zwei Seiten einer Medaille. Eine solche Moralphilosophie, die die Grundlage der >Rechtslehre< hildet, nötigt das Suhjekt zur Ohjektivität durch die normative Vorgahe, die suhjektiven Bedingun­ gen seiner Handlung zu universalisieren.14 Die >GültigkeitGesellschaftsvertrag< hatte eine andere Abfolge der Diskurse insze­ niert, indem er die Moralität als Effekt des Politischen bestimmt hat­ te. Die Ersetzung der Natur des Menschen durch seine Moralität ist eine Tendenz des Gesellschaftsvertrages; Moralität ist nur im politischen Körper denkbar. Das Muster dieser Argumentation hatte Hobbes entworfen, der Gerechtigkeit nur unter der Maßgabe einer Rechtlichkeit denken wollte, die das Wesen des Politischen, die Struktur des status civilis selbst kennzeichnet. Hobbes' Rechtspositi­ vismus schluckt die moralische Frage, die Frage nach der inneren Ver­ bindlichkeit von Pflichten. An ihre Stelle tritt der Schrecken der Sou­ veränität, die die Legalität von Handlungen durch Terror erzwingt. Rousseaus Beschwörung der volonte generale versucht, die mora­ lische Frage durch den Hinweis auf die mystischen Effekte des Ge­ sellschaftsvertrages auszublenden. Die Spur der moralischen Proble­ matik findet sich in der Tendenz des >Gesellschaftsvertragesmetaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre< mit dem Ziel, der praktischen Philosophie ein uner­ schütterliches Fundament zu geben. Das Problem und die Lösung des Problemes dieser praktischen Philosophie ist die Identität der theoretischen Prämissen mit den praktischen Prinzipien. Erst diese Identität, die im kategorischen Imperativ Gestalt annimmt, macht die Unerschütterlichkeit der Rechtslehre insgesamt aus. Kants Vor­ stellung einer inneren Gesetzgebung, die in der als Idee der Vernunft bezeichneten Idee der Freiheit gründet, konkretisiert die Identität von Theorie und Praxis als Identität der formalen Bestimmung mit dem materialen Gehalt der Moralphilosophie. Denn die innere Ge­ setzgebung und ihr Inhalt gehen letztlich in eben jener Universalisierbarkeit auf, die die Theorie von aller Moralphilosophie gefordert hat. Die Abstraktion der Theorie von aller Empirie - der >sinnlichen Bestimmungsgründe< des Handelns ebenso wie der vorgesetzten em­ pirischen Zwecke16 - wird als Universalisierbarkeit der Maximen durch den kategorischen Imperativ ins Praktische überführt. Tatsäch­ lich ist diese Abstraktion aber schon vorausgesetzt im Begriff der Freiheit, als dem Objekt und der Voraussetzung der Sittlichkeitsleh­ re. Kant bestimmt die Freiheit als Freiheit, »durch keine sinnlichen Bestimmungsgründe zum Handeln genötigt zu werden«.17 Jetzt ver­ steht man auch Kants kryptische Behauptung, es sei die Pflicht eines jeden, eine Metaphysik der Sitten zu haben.18 Die Möglichkeit einer inneren Gesetzgebung, die Möglichkeit also, subjektiv Maximen des Handelns zu bestimmen, verdankt sich eben dieser Fähigkeit des 16 Michael Sandel hat in seiner Kritik einer Grundlegung des Liberalismus - wie sie von John Rawls als zuweilen doch recht gewalttätige Kant-Deutung vollzogen worden ist Kants (angeblichen) Teleologieverzicht als ausgesprochenen Anti-Aristotelismus be­ stimmt, durch den Kants Metaphysik der Sitten sich von einer tatsächlichen praktischen Philosophie entfernt habe. »As the right is prior to the good, so the subject is prior to its ends.« (Liberalism and the Limits of Justice, S. 7.) Zu fragen wäre, ob diese harsche deontologische Deutung Kants tatsächlich Kant trifft und nicht vielmehr Rawls Ver­ such, Kants Metaphysik der Sitten in den Dienst einer Neubegründung des Liberalis­ mus zu stellen. 17 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 226. 18 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 216. 148

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Subjekts, von aller Empirie zu abstrahieren, der die sinnlichen Bestimmungsgründe< angehören. Ein denkwürdiger Zirkel, mit dessen Hilfe das nicht-juridische Fundament der Rechtslehre gelegt wird, die ethische Gesetzgebung.19 Die ethische Gesetzgebung identifiziert die Pflicht selbst mit der Triebfeder, die zur Befolgung der Pflicht nötigt. Geht die juridische Gesetzgebung von einer Trennung von Pflicht und Triebfeder aus garantiert also die Befolgung einer Pflicht durch den der Pflicht selbst äußerlichen Zwang oder Nutzen -, so dient der ethischen und das heißt der inneren Gesetzgebung die Idee der Pflicht selbst als Trieb­ feder. Die Idee der Pflicht kann nur durch innere Gesetzgebung zum verbindlichen Bestimmungsgrund von Handlungen gemacht wer­ den; denn die äußere Gesetzgebung kann nur Handlungen verbind­ lich machen, nicht aber deren Prinzipien. »Tugendpflichten« nennt Kant jene Pflichten, die nur der inneren Gesetzgebung zugänglich sind, weil ihr Zweck selbst Pflicht ist. Zwecksetzung aber ist »ein innerer Akt des Gemüts« - und solche Akte sind der äußeren Gesetz­ gebung natürlich unzugänglich.20 Hierin folgt Kant ganz und gar rechtsphilosophischen Erwägungen, die Hobbes formuliert hat. Hobbes hatte aus der Unzugänglichkeit des Herzens für die Gesetz­ gebung das >in secret free< gefolgert - und so den Absolutismus der Souveränitätslehre durch die Gewissensfreiheit des Einzelnen er­ gänzt.21 Kant aber präzisiert: da die Akte des Gemüts der äußeren Gesetzgebung unzugänglich sind, erscheint es umso notwendiger, sie einer inneren Gesetzgebung zu unterwerfen. Um diese jedoch nicht als die bloße Tautologie der Willkür erscheinen zu lassen, wird die innere Gesetzgebung dem Gesetz der Universalisierbarkeit unter­ worfen. Unter dieser Bedingung können die Pflichten, von denen die Moralphilosophie handelt, als Pflichten eines Rechts erscheinen ohne 19 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 219. 20 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 239. 21 Darin einen Hinweis darauf zu lesen, daß Hobbes ein Einfallstor für den Liberalismus eröffnet, weil im >in secret free< ein individualistischer Vorbehalt angelegt wäre, ver­ dreht Hobbes ganz gehörig. (So Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 84ff.) Dieser hatte die Gewissens- und Glaubensfreiheit ja gerade nicht normativ begründet, sondern aus den mechanistischen Prämissen des >Leviathan< abgeleitet. Hobbes versucht, die Unerschütterlichkeit seiner Politischen Philosophie durch eine Reduktion der philosophischen Spekulation zu gewährleisten. Die Politische Philosophie wird zur politischen Mechanik; ihr einziger Gegenstand sind bewegte Körper. Wegen dieser Beschränkung kann die politische Macht nicht auf die Herzen, aufs Gewissen und den Glauben zugreifen. ^

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Rechtspflichten zu sein. Auf diese Weise gelingt Kant der Anschluß an die Tradition der Tugend - ohne auf jene Verbindlichkeit verzich­ ten zu müssen, die die Neuzeit nur noch unter dem Namen des Rechts kennt. Kant betont die Unterscheidung zwischen Legalität und Morali­ tät22; er weist so auf einen Riß hin und versucht zugleich diesen Riß zu überwinden. Dieser Riß ist die Erbschaft des Verzichts auf eine Konzeption der Gerechtigkeit, die sowohl das positive Recht als auch die ungeschriebenen Gesetze der Natur umfassen könnte. Die Lega­ lität einer Handlung besteht, so Kant, in ihrer Übereinstimmung mit dem Gesetz ohne Rücksicht auf die Triebfeder dieser Handlung. Mo­ ralisch oder sittlich ist dagegen eine Handlung, »in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist.«23 Mit dieser Unterscheidung schafft Kant die Möglichkeit, die ewige Krise des Naturrechts neu zu bestimmen. Die Diskussion über die Moralität wird auf die Bestimmung der Triebfeder des Handelns zurückgeführt. Die starke Betonung der Moralphilosophie macht die rechtspositivistischen Anstrengungen nicht einfach zunichte, die Ge­ rechtigkeit auf die Befolgung von Gesetzen reduziert haben; doch die Moralphilosophie als das metaphysische Fundament der Sittenlehre und damit indirekt der Rechtslehre zu bestimmen, verändert die Be­ stimmung und Bedeutung des Rechts. Der vollendete Rechtspositivismus eines Hobbes hat die Diskus­ sion über die Motive und Triebfedern des Handelns abgeschnitten durch den Verweis auf die sanktionierende Gewalt des Souveräns. Die Furcht vor dem strafenden Souverän überdeckt alle anderen viel­ leicht sogar im Moment wirksamen Triebfedern. Die Begründung des Handelns ist bedeutungslos angesichts seiner Legalität, die mecha­ nisch durch die Furcht verbürgt wird. Hobbes' Argumentation kann Kants Autonomieansprüchen nicht genügen. Der freie, mit prakti­ scher Vernunft begabte Mensch findet in sich selbst eine Quelle der Verbindlichkeit, der gegenüber jeder äußere Zwang minderwertig er­ scheinen muß. Keine empirische Macht, sondern »die Vernunft ge­ bietet, wie gehandelt werden soll«.24 Das ist die Bedingung der Mo­ 22 Diese Unterscheidung wird von Kant facettenreich ausgefaltet; festgehalten werden darf, daß sie die Unterscheidung von Recht und Moral auf der Ebene der >Bestimmungsgründec des Handelns spiegelt. Vgl. Kaulbach, Der Herrschaftsanspruch der Vernunft, S. 55. 23 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 219. 24 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 216. 150

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ralphilosophie und die Lösung ihres Problems. Kants Versuch, die starke Triebfeder des Nutzens für die Sittenlehre zu ignorieren, zwingt ihn dazu, die Vernunft selbst als Triebfeder zu bestimmen. Gerade aus dem Zweifel an der handlungsmotivierenden Potenz der Vernunft ist jedoch die moderne Souveränitätslehre und ihr Pendant, der Rechtspositivismus geboren. Die Faktizität des äußeren Zwangs einerseits, die schwache Interpretation der Vernunft als eines Kosten­ Nutzen-Kalküls andererseits, lösen dort das Problem der Natur­ rechtslehre, in der Ethik das Fundament des Politischen bestimmen zu müssen. In dem Maße, in dem ein universaler, ein konsensfähiger materialer Horizont der Vernunftdeutung entfällt, sieht sich die Theorie gezwungen, die empirischen Zwecke und die Tatsächlichkeit der Macht selbst zum Gegenstand der Theorie zu erheben. Hobbes' Versuch einer Begründung des status civilis ruht deshalb in der An­ erkennung der Leidenschaften, die die handlungsmotivierende Kraft der empirischen Zwecke versammeln. Die Notwendigkeit einer Universalisierung dieser empirischen Zwecke als Grund des Staates je­ doch zwingt dazu, die empirische Vielfalt der Leidenschaften durch einen Kunstgriff zu reduzieren; dazu dient das Konstrukt der Furcht vor dem frühen gewaltsamen Tode. In der Furcht vor dem Tode findet Hobbes eine universale Triebfeder, die doch zugleich empirischer Art ist - und das heißt für ihn: die unbestreitbar das Handeln eines jeden Einzelnen bestimmt.25 Dieser Kunstgriff, die Vielfalt der möglichen Triebfedern zu reduzieren, kehrt auf der Ebene des status civilis in der Furcht vor dem Souverän wieder. Doch genau diese Lösung kann Kant nicht befriedigen; wegen ihrer empirischen Anteile bleibt sie kontingent und damit nicht universalisierbar. Sittengesetze, so Kant, können anders als Naturgeset­ ze gerade nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden; Sittengesetze können >Gesetze< nur genannt werden, »sofern sie a priori gegründet und notwendig eingesehen werden können«.26 Deshalb ist die Möglichkeit solcher Gesetze auf die Bestimmung des freien, mit praktischer Vernunft begabten Menschen verwiesen. Diese Bestim­ mung wiederum ist keine von der Erfahrung nahegelegte Bestim­ mung. Diese Bestimmung selbst ist auch »für die theoretische Phi­ losophie transzendent«27; als »reiner Vernunftbegriff« ist der Begriff 25 Vgl. Diesselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag, S. 20. 26 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 215. 27 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 221. ^

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der Freiheit, der das Wesen des Menschen bestimmt, keiner Erfah­ rung zugänglich. Seine Wirklichen aber beweist dieser Begriff der Freiheit durch die Existenz von Gesetzen, die den Menschen jenseits aller Empirie zwingen, durch das Moralgesetz.28 Der Begriff der Frei­ heit wird ja als >das Vermögen einer eigenen Kausalität von eigen­ tümlicher Gesetzlichkeit gegen die heteronome Gesetzlichkeit der Natur bestimmt. >Sich selbst Grund seinKritik der reinen Vernunft< können nicht eingelöst werden. Die >Kritik der praktischen VernunftEinleitung zur Metaphysik der Sitten< gestehen dieses Scheitern ein, wenn sie die Existenz des Moralgesetzes als »das einzige Faktum der reinen Vernunft« bezeichnen. (Kritik der praktischen Vernunft, V,31) An der Unmöglichkeit, das Moralgesetz zu deduzieren, scheitert auch der Versuch, die Wirklichkeit der Freiheit, also den Grund der praktischen Philosophie, anders als durch den Rekurs auf dieses >a priorische< Faktum sichtbar zu machen: »Etwas ganz anders aber und ganz Widersinnisches tritt an die Stelle dieser vergeblichen Deduktion des moralischen Prinzips, nämlich daß es umgekehrt selbst zum Prinzip der Deduktion eines unerforschlichen Vermögens dient, ... der Freiheit, von der das moralische Gesetz, welches selber keiner rechtfertigenden Gründe bedarf, nicht bloß die Möglichkeit, son­ dern die Wirklichkeit an Wesen beweiset, die dieses Gesetz als für sie verbindend erkennnen.« (Kritik der praktischen Vernunft, V,47; vgl. Gerhard Prauss, Kant über Auto­ nomie als Freiheit, S. 62 ff.) Die Grundlegung der praktischen Philosophie, das macht dieses Zitat deutlich, ist mehr als prekär: Kant entwindet sich dem Begründungsstrudel seiner Transzendentalphilosophie mit Kniffen, die das methodische Niveau deutlich un­ terschreiten, das er selbst bestimmt hat. Die >Einleitung in die Metaphysik der Sitten< verzichtet auf jede Begründung des moralphilosophischen Gesetzes und führt stattdessen die Evidenz des moralischen Gesetzes als eines factum brutum ins Feld, die niemand leugnen kann - und die deshalb auch nicht bewiesen werden braucht. Doch den Gipfel des Scheiterns stellt der Versuch dar, dieses Faktum als Beweis für die Wirklichkeit der Freiheit zu nutzen. Kants Versuch, gegen Aristoteles eine neue praktische Philosophie zu begründen, eröffnet alle Abgründe der Aufklärung - und demonstriert deutlichst die Vermessenheit des Versuches, die Einheit von theoretischer und praktischer Philosophie zu behaupten. Gerade der Kern der praktischen Philosophie ist der theoretischen Phi­ losophie unzugänglich. Der Versuch, die Identität von Vernunft und Freiheit als Binde­ glied der theoretischen und praktischen Philosophie zu erweisen, sollte das Problem der Freiheit lösen, das Vermögen der Vernunft nämlich, für sich selbst praktisch zu sein. Doch gerade diese Anstrengung, >Kausalitäten der reinen Vernunftreiner Wille< herrscht, »in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben«.30 Die Existenz dieses reinen Willens ist kei­ nem philosophischen Beweis zugänglich; sie gehört zum a priorischen Rüstzeug der Moralphilosophie. Doch die Existenz des Sitten­ gesetzes, an der nicht gezweifelt werden kann, da der Mensch, obwohl ein Sinnenwesen, die Möglichkeit hat, gegen die >sinnlichen Bestimmungsgründe< zu handeln, die Existenz des Sittengesetzes al­ so liefert einen empirischen Hinweis auf die Wirkungen des reinen Willens - und insofern auf dessen Existenz - und das heißt nicht weniger als die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit. An der Exi­ stenz des reinen Willens entscheidet sich die Möglichkeit eines Ge­ setzes, das seine Triebfeder in sich trägt. Denn nur der reine Wille kann Handlungen begründen, die keiner äußeren Triebfeder be­ dürfen. Unrein wäre jener Wille zu nennen, der Elemente in sich birgt, deren Herkunft uns äußerlich ist. Der reine Wille begründet das Paradigma der Autonomie, indem er die Möglichkeit eigener Kausalität vorstellt und so die Möglichkeit von Handlungen ohne oder unter Absehung äußerer Triebfedern verbürgt. Das Geheimnis der Autonomie wird in der Moralphilosophie als die Möglichkeit mo­ ralischen Handelns versteckt. Der fortgesetzte Hinweis auf die innere Gesetzgebung ist nichts anderes als die wörtliche Übersetzung der Autonomie: Selbstgesetz. Autonomie ist also für Kant kein politi­ sches, sondern allererst ein moralphilosophisches Problem. Die Möglichkeit der Freiheit beruht auf der Fähigkeit nach Kausalitäten zu handeln, die nicht heterogen sind. Insofern jedoch jede Handlung durch Kausalitäten bestimmt wird, kommt alles darauf an, eine Kau­ salität zu bestimmen, die dem handelnden Subjekt intern wäre; ge­ nau das leisten die Moralgesetze als Gesetze der Freiheit.31 Moral­ philosophisch wird die Möglichkeit der Autonomie in der Idee der Pflicht als Triebfeder konkret. Doch die Idee der Pflicht wird hand­ lungsmotivierend nur als eine Idee der Vernunft mit imperativi­ schem Charakter; Freiheit bedeutet »die Qualität eines Menschen, als eines durch seine eigene Vernunft gewissen Pflichten unterwor­ fenen Wesens«.32 Freiheit als das Vermögen eigener Kausalität wird

30 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 221. 31 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 214. 32 Gemeinspruch, S. 231. ^

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wirklich erst in der Möglichkeit der radikalen Selhsthindung durch die Idee der Pflicht. Die moralische Begründung der Autonomie zielt von Anbeginn nicht auf die Autonomie egoistischer Individuen, sondern auf die Möglichkeit der Selbstherrschaft unter den Bedingungen der Kom­ patibilität mit der Selbstherrschaft der Anderen. Insofern zielt der Kern der Moralphilosophie auf die Bedingungen des Politischen. Da die Autonomie in der Freiheit als einer Idee der reinen Vernunft gründet, ist sie universal; sie gilt für alle Menschen im gleichen Ma­ ße. Und da die innere Gesetzgebung nur den Bedingungen der Ver­ nunft gehorcht, kann von der Identität der inneren Gesetzgebung der vielen Einzelnen ausgegangen werden. Damit wird der universali­ stisch-naturrechtliche Horizont unter individualistischen Bedingun­ gen restituiert, die universelle Geltung eines Gesetzes vor aller Ge­ setzgebung, das jeden Einzelnen und alle gemeinsam bindet. Die moralphilosophischen Prinzipien, die sich letzlich auf den katego­ rischen Imperativ reduzieren lassen, erhalten als dictamen rationis Gesetzeskraft - sind also mehr als die von Hobbes beschriebenen Diktate der Vernunft, die Naturgesetze, die allesamt doch nur die Bedeutung von Ratschlägen haben. Kants >Naturgesetz< ist ein ethisches Gesetz, kein juridisches. Damit ist jedoch - und das zeichnet Kants Rechtslehre aus - weder die Verbindlichkeit noch der Geltungsgrund des Gesetzes angespro­ chen, sondern allererst die Art und Weise dieses Gesetzes, zum Handlungsgrund der Individuen zu werden. Alle Gesetzgebung ver­ pflichtet zu Handlungen; doch ethische Gesetzgebung verpflichtet, indem sie die Idee der Pflicht selbst zur Triebfeder macht, während juridische Gesetzgebung andere Triebfedern erlaubt.33 Ethische Ge­ setze also präsentieren den einzigartigen Fall der >reinen KausalitätRechtslehre< zielt mehr oder weniger offensichtlich, inso­ fern sie ein Teil der Metaphysik der Sitten ist, auf die unausgespro­ chene Ersetzung der Rechtsphilosophie durch Moralphilosophie. Denn das aufklärerische, über alle Grenzen treibende Bewußtsein der Freiheit erlaubt unter der Hand nur moralische Gesetzgebung; insofern diese die Idee der Pflicht selbst zur Triebfeder der Handlun­ gen macht, schließt sie jede Heteronomie aus.35 Nur unter der Be­ dingung, daß auch die juridischen Gesetze um der Idee der Pflicht willen befolgt werden, kann das positive Recht den autonomistischen Vorgaben der neuen praktischen Philosophie der Aufklärung ge­ nügen.36 34 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 216. 35 Vgl. Cohen: Kants Begründung, S. 400: »Wir wissen, daß die Moralität allein der reinen Sittlichkeit gerecht wird, weil sie allein die autonome Sittlichkeit bedeutet. Für die Legalität dagegen bleibt das Sittengesetz ein gegebenes; es ist ihr nicht ein selbst­ gegebenes. Von dieser Höhe aus würde nun auf die ganze positive Rechtsgesetzgebung der Schatten einer gebrochenen Sittlichkeit fallen. Und wenn anders es erstrebenswert sein muß, daß aus der lebendigen Sittlichkeit der Menschen dieser Unterschied ver­ schwinden könne, so muß die Tendenz des Rechts, theoretisch wie praktisch, darauf gerichtet sein, und auf dieses Ziel unverrückbar geheftet werden: daß auch in Recht und Staat die Legalität in Moralität allmählich sich verwandle.« 36 Die >Metaphysik der Sitten< unterläßt es, einen politico-pädagogischen Hintergrund dieser Erwägungen zu formulieren. Ganz offensichtlich jedoch schließt die juridische Gesetzgebung die Realitätslücke der moralischen Gesetzgebung - und stellt zugleich ein pädagogisches Instrument dar, das bei einer bestimmten Stufe der Menschheitsent­ wicklung beiseite gestoßen werden könnte. Obwohl die unbedingte Geltung des mora­ lischen Gesetzes außer Frage steht, ist sie doch nichts weniger als gesichert - deshalb kann die Welt, wie sie ist, nicht ohne juridische Gesetzgebung gedacht werden. Die Möglichkeit, daß Rechtspflichten als ethische Pflichten wahrgenommen werden kön­ nen, bildet den elastischen Kern des Rechtsdenkens, insofern es aus der Moralphiloso­ phie abgeleitet wird - und verbürgt die Möglichkeit des moralischen Fortschrittes als eines Fortschrittes zur Selbstbestimmung. - In der Schrift zum ewigen Frieden wird Kant das politico-pädagogische Problem in ungleich fundamentalerer Perspektive auf­ ^

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Die Moralphilosophie schließt die Legitimationslücke des Rechts. Zwar wird das Funktionieren des Rechtssystems durch äuße­ re Triebfedern verbürgt, doch es ist keiner eigenständigen Legitima­ tion fähig. Die Begründung des Rechtssystemes ist dem Rechts­ system prinzipiell heterogen. Der universalistische Vorsprung der Moralität, die in der Freiheit als einer reinen Idee der Vernunft gründet, kann allein die autonomistischen Vorgaben des aufkläreri­ schen Rechtsdenkens garantieren. Einzig das Gedankengebäude der Moralität erlaubt den Gedanken eines Gesetzes, in dem nichts Frem­ des herrscht. Dadurch wird das Autorisierungsargument nach dem Muster des Thomas Hobbes obsolet, der versucht hatte, die Geltung des Rechtes aus einem Willkürakt der vielen Einzelnen abzuleiten und in dieser Gestalt die aufklärerische Prämisse der Autonomie und den Zwangscharakter des Rechts unauflöslich verknüpft hatte. Indem Kant jedoch das Rechtssystem aus der Moralphilosophie ableitet, kann er einerseits auf die empirische Einlösung des aufklärerischen Autonomieimperatives durch das Autorisierungsargument verzich­ ten und andererseits die Auflösung des argumentativen Zusammen­ hanges von Souveränität und Recht vollziehen, der die Politische Theorie seit Hobbes so sehr kennzeichnet. Der kategorische Impera­ tiv, so zu handeln, daß die Maximen der Handlung jederzeit zum allgemeinen Gesetz taugen könnten, ist die Formel eines neuen Na­ turrechts, das >die unwandelbaren Prinzipien zu aller positiven Ge­ setzgebung hergeben mußa-priorische< Qualität eines Rechts, das jenseits aller Erfahrung begründet ist, den Versuch einer quasi-empirischen Begründung des Rechtes aufzugeben. Die Fixie­ rung des (neuzeitlichen) Staates auf das Recht ist allererst eine Fixie­ rung auf den Versuch, die Strukturen des Zusammenlebens durch verbindliche, allgemeine Äußerungen des Souveräns zu verbürgen. Die Begründung der Rechtssetzungskompetenz des Souveräns leistet das Modell eines Vertrages vor allen Verträgen. Das Rechtssystem gründet so allererst in einem Ereignis, das selber aber nur zum Schein rechtlichen Charakter hat. Das a priorische Prinzip des neuen Naturrechts nun - nichts anderes als der kategorische Imperativ der Moralphilosophie - entfaltet die Bedingungen der Legitimität des Rechtssystemes - ohne auf jenen ursprünglichen Akt zurückgreifen zu müssen, den Kants Vorgänger bemüht haben. Der kategorische Imperativ ersetzt diesen ursprünglichen Akt, dem sich alle Zwangs­ befugnis verdankt. Der >ursprüngliche Vertrag< verliert so jede Qua­ lität eines Aktes und wird auf der staatlichen Ebene zu einer Formu­ lierung des kategorischen Imperatives, indem er als Kriterium der gerechten Gesetzgebung erscheint. Diese Wiederkehr der moralphi­ losophischen Formel in der Begründungsszene des öffentlichen Rechtes macht nicht bloß den systematisch-kontinuierlichen Cha­ rakter des Kantschen Rechtsdenkens deutlich; sie macht zugleich deutlich, in welchem Maße die Moralphilosophie die Rechtsphiloso­ phie präjudiziert. Die Moralphilosophie - und damit zugleich das Naturrecht läßt sich auf das formale Prinzip der Gerechtigkeit reduzieren, auf die Tauglichkeit der Maximen des Handelns für eine mögliche all­ gemeine Gesetzgebung. Dieser Formalismus, dem alle materialen Bestimmungen entsprechen müssen, bestimmt zugleich die Legi­ timität der subjektiven Grundsätze der Handlungen, die Maximen und den Begriff des Rechts selbst. Kant definiert das Recht als den »Inbegriff der Bedingungen«, »unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.«39 Diese Bestimmung 38 Rechtslehre, S. 237. 39 Rechtslehre, S. 230. ^

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Moralität und Vernunft

wiederholt mehr oder weniger wörtlich die moralphilosophische Be­ stimmung der einzigen a priorischen Pflicht, die als der kategorische Imperativ formuliert wurde. Diese Wiederholung ist deshalb so un­ problematisch, weil das moralphilosophische Prinzip selbst schon in der Sprache und in der Form des Rechts formuliert worden ist. Recht und Moralphilosophie sind also kaum durch ein tatsächliches Be­ gründungsverhältnis miteinander verbunden; am ehesten wird man sagen können, daß es sich um zwei Gestaltungen des Versuches han­ delt, Freiheit und Allgemeinheit ineins zu denken. Gegenüber der Moralphilosophie, so scheint es, kann die Rechtsphilosophie keine eigene Realität beanspruchen; ihre Prinzipien sind durch und durch moralphilosophischer Art. Das gilt noch, wie Kant zeigen wird, für das System des öffentlichen Rechtst Daß die Prinzipien des Rechts und die Prinzipien der Sittlichkeit als Pflicht und eben nicht als Recht formuliert werden, kann nicht übersehen werden. Kant begründet die Unmöglichkeit, die Sittenleh­ re als Lehre von Rechten zu formulieren, mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, deren Grund, die eigene Freiheit anders, denn durch den >pflichtgebietenden Satz< des kategorischen Imperatives zu er­ fahren.40 Die Bestimmung des Menschen durch die Freiheit kann nicht direkt erfahren werden; sie ist als reine Idee der Vernunft nur einer indirekten Erfahrung zugänglich. Der positive Begriff der Frei­ heit ist »das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein.«41 Die Unterwerfung der Maximen meines Handelns unter die Bedingung, zu einer allgemeinen Gesetzgebung zu taugen, ist die bloße Bedingung einer Form. Die »Form der Tauglichkeit der Maxi­ me der Willkür zum allgemeinen Gesetze selbst, zum obersten Ge­ setze und Bestimmungsgrund der Willkür (zu) machen,«42 bedeutet nichts anderes als die Pflicht, die Freiheit als Unterwerfung zu be­ stimmen. Der Versuch, die Freiheit als reine Kausalität zu bestim­ men, zwingt Kant zur Bestimmung der Freiheit durch die Vernunft als die Unmöglichkeit, mit sich selbst im Widerspruch zu handeln. Noch im positiven Begriff der Freiheit wird deren negativer Charak­ ter deutlich; deshalb erscheinen bei Kant Rechte allererst als Pflich­ ten. Die Pflicht, das >du sollst< ist zugleich Ausdruck einer Freiheit, die dem Menschen als einzigen Lebewesen zukommt. Die bloße Exi­ 40 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 239. 41 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 214. 42 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 214. 158

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stenz des >du sollst< hebt den Menschen über alle Geschöpfe hinaus, indem sie die Freiheit zum Kern der Bestimmung des Menschen er­ klärt. Der Mensch ist ein freiheitliches Wesen, weil seine Willkür »durch Antriebe zwar affiziert, aber nicht bestimmt wird«.43 Die Freiheit des Menschen besteht in und geht hervor aus der Abstand­ nahme gegenüber der äußeren Welt; diese Möglichkeit verbürgt den Spielraum, in dem der kategorische Imperativ seine Macht entfaltet und so zum wichtigsten, ja zum einzigen Zeugen der Freiheit wird. Nur in der Unterwerfung unter den kategorischen Imperativ, nur in der Einschränkung meiner Willkür auf die Zusammenstimmung mit der Willkür aller anderen, kann Freiheit erfahren werden. Pflichten begründen das System des Rechts als ein System der Freiheit. Des­ halb kann der Eintritt in ein System des Rechts als Pflicht gedeutet werden.

2. Die Pflicht zum Staat - Kant zwischen Hobbes und Hegel Hegel formuliert >die Pflicht zum StaatContrat Social< zwar noch nicht entfaltet, aber schon angedeutet hat. Rous­ seau nämlich hat noch an der liberal-individualistischen Tendenz des Vertragsdenkens teil; seine Deutung jedoch verkehrt dieses Denken in sein Gegenteil. Carl Schmitt hat darauf hingewiesen, daß Rousseaus Denken nur der Fassade nach liberal sei.45 Rousseau greift das 43 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 213. 44 Vgl. Rechtsphilosophie §258. 45 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 19. ^

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Moralität und Vernunft

individualistische Modell der Staatshegründung aus dem Vertrag nur auf, um ehen diesen Individualismus zu verahschieden. Denn die Ef­ fekte des Vertrages können nicht mehr nach dem liheralen Muster der strukturellen Priorität des Individuums heschriehen werden.46 Andererseits setzt Rousseaus Vertrag die Homogenität der Individu­ en voraus, die er doch erst zu hewirken verspricht. Die liheralen Elemente von Rousseaus Vertragsdenken hestimmen nur die einmalig notwendige Legitimation des Staates; doch schon die >alienation totale< verweist auf die Distanz zum liheralen Staatsdenken, welches nur die Aufgahe jener Rechte zum Gegen­ stand des Vertrages macht, die nötig sind, damit die Aufgahen des ganz und gar funktional gedeuteten Staates erfüllt werden können. Das Einverständnis zur Aufgahe aller Rechte ist aus verschiedenen Gründen für Rousseaus Argumentation von größter Bedeutung: ei­ nerseits stellt es die Bedingung für die Unmöglichkeit der Wieder­ kehr des Naturzustandes dar, die solange drohte, als einzelne noch üher hestimmte Rechte verfügten; andererseits ist die >alienation totale< die Bedingung einer konsequenten Neuhestimmung des Ver­ hältnisses der Individuen zum politischen Körper, als dessen Glieder sie erscheinen. Auch Rousseau formuliert eine Pflicht zum Staat, die allerdings durch das liheral-individualistische Legitimationsmuster des Vertrages verdeckt wird. Die Pflicht zum Staat kann hei Rousseau erst nach dem Ahschluß des Vertrages gedacht werden, der seine liheral-individualistischen Voraussetzungen auslöscht. Dann steht der immer wieder hervorgehohene Zwang zur Freiheit für ehen diese Pflicht. Und genau diese Wendung wird sowohl von Kant als auch von Hegel aufgenommen, um die Pflicht zum Staat zu hegründen (Hegel) oder die Pflicht, den Naturzustand zu verlassen (Kant). Tat­ sächlich erscheint diese Pflicht nicht als ein staatlicher Anspruch auf Gehorsam, sondern als die Verpflichtung durch die Vernunft zu (wi­ derspruchsfreier) Freiheit. In der Diskussion üher totalitäre Tendenzen des rousseauschen Entwurfes wird der >Zwang zur Freiheit< immer wieder hervorgehohen und auf den revolutionären Terror der Tugend hezogen. Tatsäch­ lich kommt im Zwang zur Freiheit allererst Rousseaus Ahkehr von einem Individualismus zum Ausdruck, der auf einem mehr oder we­ niger entleerten Begriff der Willkür heruht. Rousseaus volonte generale hesorgt die Epiphanie der Identifizierung von Freiheit und Vgl. Adam, Souveränität und Sittlichkeit, S. 399. 160

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Vernunft. Der Versuch eben dieser Identifizierung und ihrer Institu­ tionalisierung führt zur denkwürdigen Neueinschätzung des Ver­ hältnisses von Staat und Individuum. Den Zwang zur Freiheit kann Rousseau denken, weil der Staat, besser: der politische Körper die Garantie der Freiheit verkörpert. Der Staat sichert nicht bloß die Freiheit, wie das liberale Modell behauptet, er ist die Freiheit. Des­ halb bedeutet jede Abweichung eines empirischen Subjektes von der volonte generale einen Selbstwiderspruch; wenn sich das empirische Subjekt gegen den Staat stellt, dann steht es tatsächlich auf der Seite der Unwissenheit. Der Zwang zur Freiheit bedeutet die Legitimität eines Korrektivs, mit dessen Hilfe das empirische Subjekt den nor­ mativen Vorgaben des Gesellschaftsvertrages - und damit den Vor­ gaben des idealen Subjekts - angepaßt wird. Tatsächlich kann dieser Zwang nicht als Heteronomie erscheinen. Und dies nicht bloß, weil sich die vertragschließenden Individuen zur Unterwerfung unter die Gesetze verpflichtet haben, sondern allererst, weil eben diese Gesetze Freiheit selbst sind - und nicht deren Einschränkung bedeuten. Hegel begründet die >Pflicht zum StaatRechtsphilosophie< ist kaum vorzustellen. Un­ angemessen ist diese Deutung allererst, weil sie die Verschiebung nicht bemerkt, die Hegel dem Begriff des Staates angedeihen läßt. Erst das politische Denken des späteren 19. Jahrhunderts hat den pa­ thetischen Staatsbegriff Hegels ohne Umstände mit dem aller Inhalte beraubten Machtstaat der sogenannten Realpolitik ineins gesetzt und damit die Leere eben dieser Politik zu bemänteln versucht. Tat­ sächlich ist Hegels >Staat< kaum Staat zu nennen; denn dem klassi­ schen Begriff des Staates, der ja im Zusammenspiel mit dem Begriff der Souveränität einer gewissen normativen Entleerung ausgesetzt war, setzt Hegel einen Begriff des Staates entgegen, der mit diesem auf Friedenssicherung ausgerichteten Institutionengefüge nur wenig zu tun hat. Tatsächlich sind nicht wenige Elemente des klassischen Staatsdenkens im Begriff der bürgerlichen Gesellschaft versammelt, 47 Rechtsphilosophie §257. ^

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Moralität und Vernunft

die ja ganz ausdrücklich als >Not- und Verstandesstaat< bezeichnet wird.48 Doch auch im reinen Begriff des Staates, der im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft als der Staat der Vernunft bezeichnet werden müßte, sind pragmatische Elemente des klassischen Staats­ begriffes angesammelt. Allerdings werden eben diese Elemente in ganz wesentlichem Maße gerade nicht pragmatisch, sondern ver­ nunfthistorisch ausgelegt, das heißt als Entfaltungsmomente der Vernunft.49 Die Pflicht zum Staate wird bei Hegel also nicht durch den Ver­ stand begründet, der die Vorteile des Staates zu bedenken gäbe. Die Pflicht zum Staat ist in der Notwendigkeit begründet, die Freiheit zu entfalten. Indem Hegel den Staat als »die Wirklichkeit der konkreten Freiheit« bestimmt50, greift er liberales Gedankengut auf; doch die Deutung der konkreten Freiheit im Rahmen der Idee der Sittlichkeit erweitert den Horizont dieser liberalen Vorstellung ganz erheblich. Weil der Staat die Wirklichkeit der konkreten Freiheit ist, wissen die Individuen ihre individuellen Zwecke im Staat aufgehoben. Der Staat kann so nach dem klassischen Muster als die Instanz erscheinen, die die »persönliche Einzelnheit und deren besondere Interessen«51 ga­ rantiert. Doch das ist nicht die vollständige Argumentation. Vollstän­ dig nämlich wird sie erst, wenn zugleich die umgekehrte Perspektive eingenommen wird: dann erscheint der Staat als das Prinzip, das den Übergang des Individuellen ins Allgemeinen sichert, und die Tätig­ keit für das allgemeine Interesse als »Endzweck« vorstellen läßt.52 Den Staat als die »Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen« zu erkennen53, erweitert nicht bloß die liberale Perspektive. Indem Hegel den Staat als Zweck und nicht als Mittel bestimmt, gibt er die wesentlichen Intuitionen des liberalen Staatsdenkens auf. Die Pflicht zum Staat wird denn auch 48 Rechtsphilosophie §183. 49 Das läßt sich ganz besonders am Begriff des Souveränität zeigen. Die Notwendigkeit einer höchsten und letzten Entscheidungsinstanz wird eben nicht nach dem Muster des apokalyptischen Pragmatismus begründet - vor dem Hintergrund des zeitlichen Hori­ zontes menschlicher Existenz müssen Entscheidungen getroffen werden -, den die Sou­ veränitätslehre aus dem katholischen Kirchenrecht übernommen hat, sondern eine sol­ che letzte Entscheidungsinstanz wird als Entfaltungsmoment der Vernunft auf die Freiheit des Willens und ihre Repräsentation in der sichtbaren Welt bezogen. 50 Rechtsphilosophie §260. 51 Rechtsphilosophie §260. 52 Rechtsphilosophie §260. 53 Rechtsphilosophie §261. 162

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nicht mit den Vorteilen begründet, die er der individuellen Inter­ essensverfolgung gewährt - tatsächlich können Vorteile nie eine Pflicht begründen. Die Pflicht zum Staat wird nur im Rahmen der sittlichen Idee verständlich. In diesem Rahmen erscheinen die staat­ lichen Institutionen allererst als Entfaltungsmomente einer Freiheit, die nicht am Spiel der Willkür ihren Ausgang nimmt, sondern an der Möglichkeit der Identität des Individuellen mit dem Allgemeinen. Daß die staatlichen Institutionen zugleich Instrumente zur Siche­ rung der Willkür der Einzelnen sind, braucht und darf nicht in Ab­ rede gestellt werden: doch erst die Möglichkeit der Entfaltung der Subjektivität und deren Rückführung »in die substantielle Einheit« begründen Hegels Pathos des Staates. Das liberale politische Denken kann, so scheint es, eine Pflicht zum Staat nicht begründen. Weder die das liberale Denken bestim­ mende ökonomische Rationaliät noch das neuzeitliche Naturrecht können eine solche Pflicht begründen. Sie können zwar die Vorteile des Übergangs in den status civilis hervorheben; da dem liberalen Denken jedoch die Idee einer Verbindlichkeit vor allem positiven Recht fremd ist, kann der Ausgang aus dem Naturzustand nicht als Pflicht erklärt werden. Der Übertritt in den status civilis kann nicht als Rechtspflicht erscheinen, weil es Rechtspflichten erst nach der Errichtung des Staates gibt. Wenn man die narrative Struktur des >Contrat Social< betrachtet, dann wird man bemerken, daß auch Rousseau in dieser Hinsicht nicht über Hobbes hinausgeht. Erst die pathetische Deutung des Gesellschaftsvertrages erlaubt Rousseau die Deutung einer Pflicht zum allerdings schon konstituierten Staat - die bei Hobbes nur im Gewand von Nützlichkeitserwägungen erschei­ nen konnte. Der Glanz des Terrors überdeckt im >Leviathan< das ar­ gumentative Problem der Garantie des status civilis durch ökono­ mische Rationalität.54 54 Das Problem einer Pflicht zum Staat ist für Hobbes letztlich nicht bloß für den Übergang vom Naturzustand in den status civilis unlösbar, sondern noch für den schon bestehenden Staat. Dieses Problem ist nicht einfach als ein spätes Problem der vertrags­ theoretischen Reflexion zu verstehen, das erst von Kant, auf den Schultern des Thomas Hobbes und Rousseaus stehend, klar gesehen werden konnte. Für den Übergang in den status civilis, so mag man argumentieren, spielt es vorher tatsächlich keine Rolle. Die Hobbes selbst wohl stark erscheinende Motivierung durch Vernunft und Leidenschaft kann keinesfalls als das bloße Surrogat einer solchen Pflicht zum Staat erscheinen, die dann im aristotelischen Gewande des zoon-politikon-Topois immer schon die Diskussi­ on bestimmt hätte. Doch an eine Pflicht zum einmal konstituierten Staate möchte auch Hobbes denken. Allein: die iuridische Argumentation erweist sich als bloße Maskerade. ^

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Moralität und Vernunft

Erst Kant versucht sich an einer Begründung der Pflicht zum Staat vor dem Staat. Diese Pflicht wird aus der Idee der Freiheit her­ aus begründet - und das sind auch die Wurzeln von Hegels Pflicht zum Staat. Hier erweist sich die wahre Stärke des Kantschen Ver­ suches, den Staat als den rechtlichen Zustand ohne die Hilfe jeder Empirie zu begründen. Gerade der Verzicht auf die pseudo-empiri­ sche Deutung des Naturzustandes erlaubt es Kant, den status civilis nicht als Gegenstand einer ökonomischen oder utilitaristischen Re­ flexion zu deuten, sondern den Staat als begriffliche Entfaltung ein­ zig und allein aus dem angeborenen Recht der Freiheit abzuleiten. Die philosophische Evidenz dieser Ableitung deckt sich mit der mora­ lischen Pflicht zum Staat, insofern der Staat nichts anderes als die Institutionalisierung des kategorischen Imperatives bedeutet. Nur die moralphilosophische Erstbegründung des Staates erlaubt es, eine Pflicht zum Staat zu behaupten. Dabei ist der Versuch entscheidend, das Wesen der Freiheit und das Wesen dieser Pflicht so zu formulie­ Natürlich beschwört auch Hobbes' Rhetorik eine Pflicht zum Staate, die aus der vertrag­ lichen Begründung des Leviathan abgeleitet wird; doch tatsächlich ist die rechtliche Begründung der Pflicht zum Staat bei Hobbes völlig bedeutungslos. Hobbes setzt ganz und gar auf den Terror des Souveräns, der die Konformität der individuellen Handlun­ gen erzwingt - ohne Rücksicht auf eine wie auch immer geartete moralische Deutung des Verhälnisses Individuum - Staat. Tatsächlich kann das Verhältnis des Individuums zum Staat niemals anders als nach den schon im Naturzustand vorhandenen Kriterien Leidenschaft und (ökonomische) Vernunft bestimmt werden. Die Verrechtlichung die­ ses Verhältnisses durch die Zwangsinstitutionen, über die der Souverän verfügt, wird tatsächlich nur durch die Dimension des Zwangs, nicht aber durch die rechtliche Kom­ ponente wirksam. In diesem Sinne gibt es keine Pflicht, sondern nur einen Zwang zum einmal konstituierten Staat. Weil das Verhältnis Individuum - Staat jedoch nach dem Muster des Zwangs und nicht nach dem ethischen oder rechtlichen Muster der Pflicht gedeutet werden kann, steht es immer unter dem Vorbehalt individueller Nutzenerwä­ gungen - die schon die Handlungen im Naturzustand bestimmt haben. Die argumenta­ tive Bedeutungslosigkeit seiner vertraglichen Begründung für den schon konstituierten Staat erweist sich so als Last und Erleichterung zugleich: als Erleichterung, weil die politische Klugheit nur ein einziges Prinzip in Rechnung stellen muß, um die Stabilität des Staates zu garantieren, den Nutzen nämlich; als Last, weil das Prinzip der ökono­ mischen Rationalität nie den individuellen Vorbehalt tilgen kann - und so den Gehor­ sam gegen das Recht nie vollständig garantieren kann. Hobbes verläßt sich darauf, daß die Berechenbarkeit der Kosten eines widerrechtlichen Verhaltens die Stabilität des sta­ tus civilis sicherstellt - die sanktionierende Kraft des Schwertes tilgt die Unberechen­ barkeit der Kosten eines die Naturgesetze verletzenden Verhaltens, die den Natur­ zustand gekennzeichnet hatte. Tatsächlich aber treibt die Errichtung einer Instanz, die über die Einhaltung von Verträgen wacht, nur den Preis für bestimmte Handlungen in die Höhe - ohne jemals im vollen Umfange dafür einstehen zu können, daß dieser Preis tatsächlich eingefordert wird. 164

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Kants Verwindung der Vertragstheorie

ren, als ob sie nicht kollidieren würden. Auch dafür ist die Ableitung aus dem kategorischen Imperativ von großer Bedeutung, denn er stellt gerade keine Pflicht dar, die einer vorgängig grenzenlosen Frei­ heit Schranken auferlegen würde. Der kategorische Imperativ for­ muliert umgekehrt die moralischen Bedingungen der Verwirk­ lichung wahrer Freiheit. Eine Einschränkung der natürlichen Freiheit sei es durch den kategorischen Imperativ, sei es durch die bürgerliche Gesellschaft - nach der reinen Idee der Vernunft - kann nur behaupten, wer die Freiheit, wie Hobbes das getan hatte, zugleich entsubstantialisiert und singularisiert. Singularisierte Freiheit be­ deutet eine Deutung der Freiheit als einer Qualität oder eines Attri­ butes aller Menschen, insofern dieses >alle Menschern nicht mehr als den Plural je singulärer Existenzen bedeutet. Das ist die Freiheit des neuen Naturrechts, das keine vorgesellschaftliche Orientierung der Freiheit an mehr als der Existenz des Einzelnen erklären kann. Kant aber deutet von Anbeginn die Freiheit aller Menschen als die Frei­ heit, die nicht bloß jedem Einzelnen, sondern zugleich allen Men­ schen gemeinsam zukommt - und in diesem Sinne stellt, was als >Einschränkung< der Freiheit erscheinen mag55, tatsächlich nur eine Formulierung ihrer Bedingung dar. Für Hobbes mußte gerade die natürliche Freiheit zum Problem werden, weil das Naturrecht para­ doxerweise als ein Recht erscheinen mußte, das auf den Konflikt an­ gelegt war. Die angeborene Freiheit der Individuen wird als Recht auf Alles zum potentiellen Kriegsgrund jener Individuen, die dieses Recht wahrnehmen. Eben dieses Problem hat Kant jedoch durch den kategorischen Imperativ gelöst, der als ein Gesetz der Freiheit selbst erscheinen kann. Nicht zuletzt aus diesem Grunde kann er die Ver­ einigung zum status civilis als Pflicht deuten, ohne ein Gemälde des Naturzustandes zu geben.

3. Kants Verwindung der Vertragstheorie Die neuzeitliche Vertragstheorie kommt ohne die Fiktion eines Na­ turzustandes nicht aus. Das Konzept des Naturzustandes hat bei aller Verschiedenheit der Ausgestaltung immer die Funktion, als die dunkle Folie für den status civilis zu dienen. Je dunkler der Natur­ zustand gezeichnet wird, umso heller kann das Heilsversprechen 55 Gemeinspruch, S. 289. ^

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scheinen, dessen Erfüllung der Ausgang aus dem Status naturalis ver­ spricht. Der Naturzustand dient der Begründung und so der Legiti­ mation des status civilis - und das heißt: der Naturzustand begründet die Notwendigkeit von freiheitsbeschränkenden Institutionen der Herrschaft. Die neuzeitliche Vertragstheorie hat diesen Sachverhalt von Anbeginn als Paradox formuliert; sie hat einerseits die freiheits­ beschränkenden Institutionen als System des Rechts gedeutet, sie hat andererseits die Aufgabe natürlicher Freiheit als einen Akt der Auto­ nomie beschrieben. Der status naturalis, auf die eine oder andere Weise aus der Natur des Menschen abgeleitet, beschreibt einen Zu­ stand der scheinbaren Abwesenheit von Recht. Dies allerdings in einem ganz besonderen Sinne, denn tatsächlich bedeutet die Abwe­ senheit von Recht die Unmöglichkeit, den status naturalis als einen Zustand zu bestimmen, in dem die Wechselseitigkeit des Rechtes, die Anerkennung meines Rechtes und des Rechtes anderer gesichert wä­ re. Der status naturalis ist ein Zustand von Rechtsunordnung; un­ term Blickwinkel des Rechts ist der Naturzustand also weniger durch ein Zuwenig, eher durch ein Zuviel an Rechten bestimmt. Hobbes' Definition des Naturrechts als des Rechtes auf alles ist in dieser Hin­ sicht paradigmatisch; das natürliche Recht auf Alles erzeugt einen Zustand der Unordnung, weil die Rechte der vielen Einzelnen nicht miteinander vereinbar sind. Der methodische Individualismus56 be­ gründet die Zwangs,- Verhältnis- und Rücksichtslosigkeit der Rechte der vielen Einzelnen als das neue Naturrecht. Die methodische Prio­ rität des Individuums führt gegen das klassische Naturrecht in einen Kampf aller gegen alle, in dem das Begehren nach Macht die Gestalt der Rechtsverwirklichung annehmen kann - das ist die perverse Struktur des Naturzustandes. Der Sprung aus dem Naturzustand be­ deutet deshalb allererst, die Reziprozität des Rechtes zu sichern, die Korrespondenz von Recht und Pflicht. Diese Sicherung ist eine insti­ tutionelle Leistung, die im Gegensatz zur prinzipiellen Unbe­ schränktheit des Naturzustandes als Beschränkung der Freiheit er­ scheinen muß. Allein, die Funktion des Naturzustandsargumentes besteht gerade darin, die juridische Unbeschränktheit des Natur­ zustandes als eine leere, als eine sinnlose Freiheit zu bestimmen, als ein System des Nicht-Rechts, das im Zuviel von Freiheit - und das heißt: im Übermaß der Rechte gründet. Durch den Ausgang aus dem Naturzustand wird der Dschungel 56 Vgl. Chwaszcza, Methodischer Individualismus. 166

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der Rechte gestutzt. Das Recht kann jetzt nicht mehr als Bedrohung der Anderen erscheinen, es wird zur Insignie des status civilis, es begründet das Zusammenleben. Die Vertragstheorien sind durch und durch Theorien des Rechts: sie beschreiben den Naturzustand als Rechtsunsicherheit durch ein Zuviel an Recht; sie beschreiben den Ausgang aus dem Naturzustand nach dem privatrechtlichen Mo­ dell des Vertrags; und sie formulieren schließlich den status civilis als den Zustand, in dem das Recht als Ordnung herrscht. Das alles natürlich in verschiedenen Ausgestaltungen, doch der Kern bleibt: status civilis heißt Rechtsstaat.57 Die Stimme der Vernunft legt dem Menschen den Ausgang aus dem Naturzustand nahe, doch sie führt von Hobbes bis Rousseau nur einen Grund für diese weitreichende Entscheidung an, den individuellen Nutzen. Der Naturzustand rech­ net sich nicht: zu unsicher sind die Vorteile, die in ihm zu erlangen wären, zu hoch ist der Preis, der für die Chance dieser Vorteile zu zahlen ist.58 Die Beförderung der Glückseligkeit, um Kants aristote­ lische Terminologie aufzunehmen, wird im Naturzustand behindert. Die Verfolgung der selbstsüchtigen Zwecke führt auf der Grundlage eines (Natur-)Rechtes auf alles zu einem potentiellen Kriegszustand; die Abwesenheit unparteiischer Richter bedroht den Naturzustand durch Strafexzesse; kurz und allgemein: die der Erhaltung der Men­ schen feindlichen Hindernisse sind stärker als die Kräfte eines jeden Einzelnen, sich in diesem Zustand zu erhalten.59 In diesem Sinne wird der Ausgang aus dem Naturzustand quasi-empirisch durch die - wenn auch nur hypothetische - Erfahrung der Unsicherheit des Naturzustandes begründet. Doch tatsächlich ist der utilitaristische Kern der Argumentation von Anbeginn ebenso fraglich wie ihr for­ maler Status. Die ökonomisch-analytische Deutung der Vertragstheorien60 hat die Notwendigkeit, den Naturzustand zu verlassen, als eine ökonomische Notwendigkeit gedeutet - und so einen Teil des Hobbesschen Argumentes stärker gemacht, als er ist. Auf den Matrizes der Entscheidungstheorie werden die entscheidenden Pro­ bleme, auf die die Vertragstheorie eines Thomas Hobbes antwortet, nach dem Muster ökonomischer Rationalität gelöst. Doch wenn diese 57 Vgl. Mayer-Tasch, Politische Theorie des Verfassungsstaates, S. 44ff. 58 Vgl. Hampton, Hobbes and the social contract tradition, S. 132 ff. 59 »Je suppose les hommes parvenus a ce point ou les obstacles qui nuisent a leur con­ servation dans l'etat de nature, l'emportent par leur resistance sur les forces que chacque individu peut employer pour se maintenir dans cet etat.« (Contrat Social I, 6, S. 360) 60 Vgl. David Gauthier, The hunting of Leviathan. ^

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Probleme so eindeutig gelöst werden können - weil nämlich lang­ fristig der Nutzen der Kooperation höher sei als die Vorteile, die aus der Verweigerung der Kooperation entspringen -, wenn das prisoners dilemma und das free-rider-Problem so eindeutig auf eine Lösung zustreben, dann heißt das nicht, daß dieses Muster tatsächlich die Probleme löst, auf die die Vertragstheorie antwortet. Deren Entwick­ lung von Hobbes bis Kant weist umgekehrt gerade darauf hin, daß mit dem Modell ökonomischer Rationalität, das die Theorie des Tho­ mas Hobbes angeblich beherrscht, daß mit diesem Modell nur ein kleiner Teil der Probleme gelöst ist. Kant stellt das vertragstheoretische Argument nicht in den Dienst einer utilitaristischen Argumentation; die Erbschaft Rousseaus - das Pathos der Freiheit - antretend, dient das Vertragsmodell jetzt dem Versuch, den politischen Raum nach dem Muster der Mo­ ralphilosophie zu ordnen. Die scharfe Trennung von Nutzen und Pflicht in der Kantschen Moralphilosophie erzwingt auch für den Bereich des Staatsrechts die Trennung von justice und interet, an deren Vernküpfung noch Rousseau festgehalten hatte. Doch Kants Argumentation ist nicht so eindeutig, wie es scheinen mag; die Not­ wendigkeit, den status naturalis zu verlassen, erscheint zwar im Gewande einer Tugendpflicht, doch die Argumentation ist durchzogen von Nützlichkeitserwägungen. Kants Deutung des Naturzustandes ist methodisch durchaus ambivalent; sie darf auch nachlässig genannt werden und verbindet a priorische Elemente mit Erfahrungswissen. Der begrifflichen Deduktion des status naturalis als eines Zustandes der Rechtlosigkeit (status iustitia vacuus)Leviathan< die politische Struktur einer Kirche. Eine starke Institution verwaltet die Heilsgüter, derer der Einzelne nur im Kon­ text und durch die Vermittlung dieser Institution hahhaft werden kann. Die Be­ gründung dieser Institution aus der Gehrechlichkeit des Menschen, dem zwar die Ver­ nunft den Weg zum Heil nahelegt - in den Naturgesetzen nämlich -, der jedoch an seiner Schwäche scheitert, das als richtig erkannte zu tun, weil ihn die kurzsichtigen Leidenschaften ühermannen, diese Begründung des Leviathan erinnert an die Begründungsprohleme der christlichen Kirche, wie sie namentlich in der Auseinanderset­ zung mit den gnostischen Strömungen des zweiten und dritten Jahrhunderts artikuliert wurden. Eine solche Deutung des Politischen wird die Notwendigkeit von Institutionen hetonen, die das Heil des Einzelnen - das säkular auf die Selhsterhaltung heschränkt wird - ehenso wie das Heil aller garantieren. Cyprians >nulla salus extra ecclesiam< kann wie ein Kommentar zur neuzeitlichen Theorie des Staates und seines Anderen, des Naturzustandes erscheinen. 85 Daß er ihm gleichwohl Rechnung trägt, wenngleich weder im Kontext der >Metaphysik der Sitten< noch in dem des >Gemeinspruchsewigen Frieden< formuliert diesen Einwand in fundamentaler Weise, als »das Prohlem der Staatserrichtung« nämlich. Nachdem die repuhlikanische Verfassung als die einzig friedensgarantierende Verfassung hestimmt worden ist, greift Kant den Einwand auf, daß repuhlikanisch doch wohl nur die Verfassung eines Staates von Engeln sein könne, »weil Menschen mit ihren selhstsüchtigen Neigungen einer Verfassungvon so suhlimer Form nicht fähig wären.« (366) Tatsächlich aher wäre das »Prohlem der Staatserrichtung ..., so hart wie es auch klingt, selhst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand hahen) auflöshar«. Dieses Prohlem - und seine Lösung - hesteht nicht in der mora­ lischen Besserung der Menschen, sondern darin, den »Mechanism der Natur« aufzufin­ den, durch den der »Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesinnungen in einem Volk so zu richten (wären), daß sie sich unter Zwangsgesetze zu hegehen einander selhst nötigen und so den Friedenszustand, in welchem Gesetze Kraft hahen, herheiführen müssen.« (366) >Private vices, puhlic virtuesMechanism der Natur< zu sein, durch den »selhstsüchtige Neigungen, die natürlicherweise einander auch äußerlich entgegenwirken, von der Vernunft zu einem Mittel gehraucht werden, dieser ihrem eigenen Zweck, der rechtlichen Vorschrift, Raum zu machen«. (366f.) 182

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überbrückt werden, die der Verzicht auf die Vertragstheatralik reißt. Das ist die politik-philosophische Bedeutung des kategorischen Im­ peratives, der unter der Hand die Legitimität des zwingenden Rechts verbürgt - und zwar unabhängig von jedem begründenden Konsens, den die Vertragsmodelle inszenieren. Ohne einen Blick auf die Probleme der Institutionalisierung zu verschwenden - denn diese wären wohl allererst empirischer Art -, leitet Kant das System des öffenlichen Rechtes umstandslos aus dem moralphilosophischen kategorischen Imperativ ab - und deutet den »Übergang von dem Mein und Dein im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande überhaupt« - so der Titel der Einleitung zum >Öffentlichen Recht< - selbst als kategorischen Imperativ. Damit ver­ zichtet Kant auf den Versuch, die Legitimität eines Systemes von Zwangsrechten nach dem Vertragsmodell aus seiner Entstehung ab­ zuleiten. Recht und Gerechtigkeit, sowie die Institutionen, die Recht und Gerechtigkeit garantieren, verdanken sich nicht dem Vertrag, den viele Einzelne miteinander schließen, sondern einem Diktat der Vernunft. Die Wirksamkeit dieses Gebotes steht für die Metaphysik der Sitten nicht zuletzt deshalb außer Frage, weil sie kein Gegenstand einer Theorie werden kann. So schlägt Kant die hier als Rechtslehre formulierte, aus der Moralphilosophie begründete Politische Philoso­ phie mit selbstgewählter Blindheit.86 Der Ausschluß der kontingen­ 86 Aus diesem Grunde ist es mehr als fragwürdig, in welchem Sinne hier tatsächlich von praktischer Philosophie die Rede sein kann. - Patrick Riley hat in antiquarischer, die Herkunft verfolgenden Absicht, die platonischen, aristotelischen und augustinischen Elemente von Kants praktischer Philosophie entschlüsselt. Auf die Frage jedoch, in wel­ chem Sinne die in der >Grundlegung der Metaphysik der Sitten< geleistete Philosophie tatsächlich praktische Philosophie genannt werden kann, bleibt er eine Antwort schul­ dig. (The Elements of Kant's Practical Philosophy) - Kants umstandslose Identifizierung von >Metaphysik der Sitten< und >philosophia practica universalis< gewinnt ihre Plausi­ bilität allererst aus der Betonung ihres universellen Charakters. Kants Beharrlichkeit, die Geltungsbedingungen seiner moralischen Gesetze oder praktischen Regeln nicht zu thematisieren, läßt den Anspruch dieser Philosophie als einer praktischen Philosophie in einem merkwürdigen Licht erscheinen. Der lateinische Titel ist eher irreführend als hilfreich. Er suggeriert die Aufnahme einer Tradition, während Kant mit dem lateini­ schen Titel allererst den systematischen Ort der Abhandlung andeutet. Tatsächlich wäre eine traditionelle praktische Philosophie doch wohl diesseits, nicht jenseits der Physik einzuordnen. Die Paradoxie des Versuches, eine praktische Philosophie als Metaphysik geben zu wollen, kann nur durch den universalen Anspruch der Kantschen praktischen Philosophie erklärt werden. Gerade dieser Anspruch läßt es notwendig erscheinen, die praktische Philosophie als Metaphysik zu präsentieren. Denn Universalität, so Kant, kann nur gedacht werden, wenn die Empirie ignoriert wird. ^

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ten Empirie aus der Politischen Philosophie bedeutet vielleicht me­ thodisch einen Rationalisierungsprogreß. Doch dieser theoretische Vernunftfortschritt verdankt sich allererst der Aushlendung der gro­ ßen Probleme des Vertragsmodelles. Insofern ist dieser Fortschritt teuer erkauft. Kant versucht, die Institutionen des Zwangs als philosophische Tatsache aus der Existenz des Rechtes selbst ahzuleiten - und auch dies, ohne den Rahmen der reinen Vernunft, und das heißt den Rah­ men der Entwicklung aus Begriffen zu verlassen. Diese Methode ist platonisch; ihr Name Dialektik. Die Begründung der Notwendigkeit, den Naturzstand zu verlassen, »analytisch aus dem Begriff des Rechts« zu entwickeln87, die Ableitung des status civilis aus der hloßen Vernunft konterkariert recht eigentlich die traditionelle Idee des Naturzustandes: denn diese Vorstellung ist gerade das theoretische Abstraktum einer Erfahrung. Bei Hohhes, hei Locke, aber auch hei Rousseau erscheint der Naturzustand - auch wenn an seiner Realität gezweifelt wird - als ein erfahrungsgesättigter Begriff. Erst Kant ver­ dunkelt den Erfahrungshorizont der klassischen Vertragstheorie. Die Erfahrung des Naturzustandes spielt in seiner Theorie keine Rolle; der Naturzustand kann nur als theoretische Konstruktion, d. h. be­ grifflich aus dem rechtlichen Zustand selbst abgeleitet werden. Der natürliche Zustand wird nur als »der nicht-rechtliche, d.i. derjenige, in dem keine austeilende Gerechtigkeit ist«, bestimmt.88 Der Naturzustand hei Kant ist weder Tatsache noch Fiktion. Er erscheint nur noch als eine Schwundstufe des Naturzustandes der klassischen vertragstheoretischen Argumentation. Doch Kants Ab­ leitung des öffentlichen Rechtes - d. h. jenes Rechtes, in dem die in­ stitutionellen Bedingungen des rechtlichen Zustandes niedergelegt sind - aus dem Privatrecht des natürlichen Zustandes ist fragwürdig. Der Naturzustand wird durch provisorische Rechtstitel eines >Mein und Dein< bestimmt, deren Existenz und Geltung aus dem kategori­ schen Imperativ der Moralphilosophie entfaltet werden. Die Existenz provisorischer Rechtstitel im natürlichen Zustand ist für die Argu­ mentation Kants von größter Bedeutung; sie entsprechen in der Systematik der Argumentation in etwa der Bedrohung durch den gewaltsamen, vorzeitigen Tod hei Hohhes. Denn nur aus der Existenz eines provisorischen Mein und Dein kann die Notwendigkeit des 87 Rechtslehre §42, S. 307. 88 Rechtslehre §41, S. 306. 184

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Status civilis abgeleitet werden, der in der Sicherung der provisori­ schen Rechtstitel seinen einzigen Zweck hat. Warum die provisori­ schen Rechtstitel allerdings überhaupt gesichert werden müssen, dar­ auf kann die >Metaphysik der Sittern keine Antwort geben. Denn es fehlt ihr das Fundament einer empirischen Anthropologie, die die Bedrohung der provisorischen Rechtstitel plausibel erscheinen ließe. Die Verbindung der Einzelnen zum Status civilis kann als >Gebot< nur erscheinen, weil der Status civilis den Status naturalis spiegelnd er­ hält. Der bürgerliche Zustand des Immanuel Kant ist >rechtlicher ZustandRechtslehreRechtslehre< mit dem kategorischen Imperativ selbst schließen. Das ist die an­ ti-institutionelle Tendenz der kantschen Rechtslehre, ihr, wenn man 89 »Der rechtliche Zustand ist dasjenige Verhältnis der Menschen untereinander, wel­ ches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts teilhaftig werden kann«. (Rechtslehre §41, S. 305) 90 Gemeinspruch, S. 289. 91 Gemeinspruch, S. 289. ^

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so will, gnostischer Kern. Gegen diesen gnostischen Kern fällt die Begründung der rechtssichernden Institutionen seltsam schwach aus: die Erfahrung darf zur Begründung nicht herangezogen werden, also kann die Notwendigkeit des rechtlichen Zustandes nur a priorisch aus der Vernunftidee des nicht-rechtlichen Zustandes abgeleitet wer­ den.92 Doch diese Ableitung ist nicht so stark, wie Kant vorgibt. Des­ halb stützt er selbst sie durch einen Hinweis auf »die Neigung der Menschen überhaupt, über andere den Meister zu spielen«, welche den status naturalis zum potentiellen Kriegszustand werden läßt.93 Doch tatsächlich ist diese Intuition mit der Vernunftidee des status naturalis nicht kompatibel. Die Ableitung der Institutionen des Rechts aus der Moralphilosophie soll theoretisch stringent erschei­ nen; tatsächlich aber werden diese Institutionen notwendig nur, weil Kant die Intuitionen einer empirischen Anthropologie einfließen läßt. Notwendig werden die (Zwangs-)Institutionen des rechtlichen Zustandes nur, weil die provisorischen Rechtstitel des Naturzustan­ des dem Wesen des Menschen nicht standhalten. Kant traut es offensichtlich seiner Ableitung des status civilis aus den Begriffen des Privatrechtes nicht zu, die gesamte Last zu bewältigen, die die traditionellen Vertragstheorien auf verschiedene Argumentations­ säulen verteilen konnten. Da der status civilis als eine Idee der Vernunft begründet wird, kann Kant auf das klassische, Autonomie verbürgende, Vertrags­ argument verzichten. Der ursprüngliche Vertrag ist deshalb so wenig ein >FaktumRechtlos< ist der status naturalis, weil er keinen kompetenten Richter kennt, der über streitiges Recht urteilen könnte. (Rechtslehre §43; 312) Das ist ein klassisches Argument der Natur­ zustandslehren, das in der Form, in der Kant es aufgreift, von Locke formuliert worden ist. (Zweite Abhandlung, II, 17 ff.) 93 Rechtslehre §42, S. 307. 94 Gemeinspruch, S. 297. 186

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Kants geht auf Prinzipien; deshalb können, ganz platonisch, ihre Be­ griffe nur aus Begriffen entwickelt werden und deshalb steht ihr nur die Vernunft zur Verfügung, um diese Begriffe miteinander zu ver­ ketten. Die Absehung von aller Empirie, von aller Erfahrung bricht mit der Tradition der praktischen Philosophie, insofern diese immer Wissen verschiedenen Status' miteinander verband. Doch zugleich scheint gerade dieser Bruch mit der Tradition die Möglichkeit prakti­ scher Philosophie in die Neuzeit zu retten. Kants prekäres Verhältnis zur Tradition kann auf allen Ebenen des Werkes beobachtet werden. Ob Naturrecht, Vertragstheorie oder praktische Philosophie - Kants Bruch mit den tradierten Argumentationsmustern dient gerade dazu, deren rationalen Kern zu retten. Vom empirischen Ballast befreit, offenbaren die klassischen Argumentationen erst ihre ganze Ver­ nünftigkeit. Da die empirische Unmöglichkeit eines gesellschafts­ begründenden Vertrages außer Frage steht95, kann der Topos des ur­ sprünglichen Vertrages< nur noch als Idee der Vernunft verstanden werden. Unabhängig vom tatsächlichen Willen der Einzelnen ver­ dankt die Idee des Vertrages ihre Geltung einer Übersetzung des ka­ tegorischen Imperatives ins Öffentliche. Es war die Funktion des kategorischen Imperatives, subjektiv­ zufällige Handlungen notwendig zu machendu sollst den natürli­ chen Zustand verlassen und dich mit anderen in einem Zustand des Rechts, einer bürgerlichen Gesellschaft vereinigem ist nichts anderes als der kategorische Imperativ, der die Schlüsselstelle der Politischen Theorie besetzt, insofern sie sich an der Begründung des Staates in legitimatorischer Absicht versucht. Die moralphilosophische For­ derung des kategorischen Imperatives nach der möglichen Über­ einstimmung der Maximen meines Handelns mit einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung wird als die Pflicht gedeutet, den Natur­ zustand zu verlassen. Der Ausgang aus dem Naturzustand erscheint nicht bloß als Idee der Vernunft; sondern, weil er eine Idee der Ver­ nunft ist, kann er zugleich als Gebot erscheinen. Nicht bloß als Norm, sondern als Imperativ. Weil der Ausgang aus dem Natur­ zustand nach dem Muster des kategorischen Imperatives entwickelt wird, verliert er alle Kontingenz. Er ist von den empirischen Zwecken der vielen Einzelnen unabhängig, deshalb kann Kant auf die utilita­ 98 Gemeinspruch, S. 297. 188

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ristische Argumentationsstütze verzichten, die für die Vertragstheo­ rien so wichtig war, daß seihst Rousseau sie nicht entbehren wollte. Damit entfernt sich die Argumentation vom klasischen Muster der Vertragstheorie. Auf eine empirische Begründung der Notwendig­ keit, den Naturzustand zu verlassen, kann Kant verzichten." Damit verzichtet er jedoch zugleich auf jede Begründung der Unterwerfung unter Institutionen des Zwangs durch die Unterworfenen - und da­ mit auf das Modell des Vertrags selhst. Das Problem der klassischen Vertragstheorie besteht in der Pa­ radoxie einer freiwilligen Unterwerfung. Da der Naturzustand durch mehr oder weniger unbeschränkte Freiheit gekennzeichnet ist, muß der status civilis als Beschränkung dieser Freiheit erscheinen. Auf den Gedanken einer Einschränkung der Freiheit durch die bürgerli­ che Gesellschaft verzichtet Kant; während seine Vorgänger ein We­ niger an Freiheit durch Nützlichkeitserwägungen begründeten und durch die Freiwilligkeit des Rechtsverzichtes rechtfertigten, erschei­ nen genau jene Beschränkungen der Willkür dem Begriff der Freiheit selbst schon immanent. Hobbes' Version des Naturrechtes als eines Rechtes auf alles läßt sich mit Kant nicht denken; die moralphiloso­ phische Entfaltung des Begriffes der Freiheit offenbart die Gegen­ überstellung von natürlicher unbeschränkter Freiheit und nachträg­ licher Beschränkung dieser Freiheit mit dem Ziel, das friedvolle Zusammenleben zu sichern, als bloßen Schein. Schon Kants Entwick­ lung der moralischen Gesetze aus der Freiheit hatte die klassische Gegenüberstellung von Autonomie und Heteronomie gestört. Die Vorstellung der inneren Gesetzgebung erweist umgekehrt gerade die Unterwerfung unters Recht als Realisierung der Freiheit: denn in ihr erweist sich die Macht der sinnlichen Antrieben das Kantsche Paradigma der Heteronomie, als gebrochen.99 100 Deswegen darf auch am Ausgang aus dem Naturzustand nicht die Aufgabe, die Beschrän­ kung natürlicher Rechte hervorgehoben werden. Das wäre schlech­ 99 Vgl. Herb/Ludwig, Kant und das »Ideal des hobbes«, S. 284: »Nicht die Hohhessche exeundum-Version mit ihrem Verweis auf die Rechtsunsicherheit des Naturzustands liefert dort die theoretischen Motive für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Zu­ stands: Es ist vielmehr die Forderung nach Realisierung des äußeren Mein und Dein, die Kants Argumentation zugunsten notwendiger Positivität von Recht und Staat nun vor­ antreibt. Mit dieser Argumentation erhält seine Forderung nach Staat einen gleichsam apriorischen Status, sie löst sich vom Hobbesschen >Ideah und dessen Begründungs­ modell: dem Modell des Naturzustandes.« 100 Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 213. ^

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terdings unmöglich, da die Gesetze über das Dein und Mein im Na­ turzustand und in der bürgerlichen Gesellschaft den selben Inhalt haben.101 Hervorgehoben wird stattdessen die Garantie der Rechte: der status civilis ist rechtlicher Zustand, der Idee nach nichts anderes als die Verwirklichung jener Rechte, die im Naturzustand auch schon gegolten hätten - allerdings dort unterm - man weiß nicht warum blassen Stern der Unsicherheit.

4. Widerstandsunrecht Kants status civilis stabilisiert das Rechtsgefüge des Naturzustandes, indem er die Rechtsordnung als Zwangsordnung einrichtet. Daß das Recht erst durch eine Instanz des Zwangs tatsächlich Recht, das heißt verläßlicher Rechtstitel wird, ist nicht neu. Die Umdeutung des Na­ turrechts durch die Vertragstheoretiker hatte diese Intuition - in je verschiedener Weise - zum Kern ihres politischen Programms ge­ macht. Die Begründung der zwingenden Institutionen unter dem Namen des Souveräns sollte zugleich dem autonomistischen Primat des Naturrechts gerecht werden und die zentrifugalen Tendenzen der egoistischen Autonomie brechen. Kants Antwort auf dieses Problem weist auf Hegels Identität des Vernünftigen mit dem Wirklichen und des Wirklichen mit dem Vernünftigen hin. Die Begründung der zwingenden Institutionen aus der bloßen Vernunft löst die konstruk­ tive Paradoxie des Vertragsdenkens auf und gibt eine neuartige Lösung des Legitimationsproblems für die politische Gegenwart. Die Tradition der Vertragstheorie hatte die Legitimation der zwin­ genden Institutionen aus dem freiwilligen Verzicht auf Autonomie abgleitet. Nicht so Kant: da die Beschränkung der Willkür schon im kategorischen Imperativ festgelegt und so als Gesetz eine moralische 101 Das den status civilis prägende öffentliche Recht »enthält nicht mehr oder andere Pflichten der Menschen unter sich, als in jenem (dem den Naturzustand prägenden Privatrecht, A. A.) gedacht werden können«. (Rechtslehre §41, S. 306) Dies gilt nur mit einer Einschränkung: die Identität der natürlichen mit den bürgerlichen Gesetzen gilt nur, insofern der bürgerlichen Zustand »bloß nach reinen Vernunftbegriffen ge­ dacht wird.« (Rechtslehre §44, S. 313) Empirisch kann diese Identität kaum als Ver­ mutung gesichert werden; doch als Idee der Vernunft gedacht, besteht die bürgerliche Gesellschaft ja nur als die Sicherung der provisorischen Rechtstitel des natürlichen Zu­ standes, welche wiederum dem Universalisierungsgebot der Moralphilosophie unter­ worfen sind. Und über anderes kann und will die >Rechtslehre< keine Aussagen treffen. 190

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Tatsache ist, kann von einer Aufgabe von Rechten nicht die Rede sein, insofern Recht nie etwas anderes ist als »der Inbegriff der Be­ dingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.«102 Die Legitimation der zwingenden Institu­ tionen kann also schon deshalb auf den Vertragsgedanken verzichten, weil nicht Rechtsverzicht, sondern Rechtsverwirklichung den status civilis bestimmt. Die Begründung der zwingenden Institutionen durch die Ver­ nunft ist zwar empirisch schwach; dafür ist ihre normative Kraft we­ sentlich stärker als die jener Versuche, die Existenz und Begründung von Herrschaft aus der autonomen Entscheidung empirischer Einzel­ ner abzuleiten. Tatsächlich war deren Versuch, die Handlungen der zwingenden Macht als Handlungen der vielen Einzelnen zu deuten dafür steht der Begriff der Autorisierung - immer schon prekär. Aus der Fiktion eines Rechtsverzichtes, die durch kein historisches Datum gestützt wird, die Handlungen der mir fremd entgegentretenden Macht als meine Handlungen abzuleiten, ist mehr als fragwürdig. Tatsächlich hat gerade Hobbes, der diesem Gedanken im Übergang vom Naturzustand zum status civilis so viel Gewicht beimaß, daß er ihm ein eigenes Kapitel widmete103, diesem Gedanken kaum prakti­ sche, sondern allererst theoretische Bedeutung zugemessen. Die Theorie der Autorisierung wird durch die Praxis des Terrors ersetzt. Ja, die vorgebliche theoretische Stärke des Autorisierungsargumentes erweist sich umgekehrt gerade als praktische Schwäche: denn durch den Mechanismus der Autorisierung wäre der Souverän auf eine Weise an die Untertanen gebunden, die seine Position als legibus solutus schwächen muß.104 Erstaunlicherweise folgt Kant an dieser 102 Rechtslehre S. 230. 103 Vgl. Leviathan XVI. 104 Auch der Rückgriff auf die doppelte Legitimation der Souveränität bei Hobbes durch Rechtsverzicht und durch Autorisierung - ändert an diesem fundamentalen Pro­ blem nichts. Entscheidend bleibt hier allemal der durch keine Rhetorik zu tilgende Rechtsvorbehalt, derjederWendung des Vertragsdenkens inhärent ist. Hobbes Versuch, die vertragliche Begründung des Staates so zu inszenieren, daß der Souverän nicht als Vertragspartner erscheint, kann bei aller formaler Eleganz nur verzweifelt genannt wer­ den. In der Konsequenz bewirkt dieser Versuch eine Aufhebung des Vertragsgedankens selbst. Das politik-juridische Propädeutikum der Kapitel XIV und XVI des Leviathan, in dem Hobbes mit jesuitischer Finesse den Gedanken des Vertrages und der Autorisierung entwickelt, ist für die Existenz des Leviathan letztlich bedeutungslos. Tatsächlich macht es die Stärke des Hobbesschen Konzeptes der Souveränität aus, daß es über Legitimitäts­ ^

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Stelle Hobbes Argumentation. Kants Versuch, die zwingenden Rechts-Institutionen aus der reinen Idee der Vernunft abzuleiten und auf die Fiktion eines historischen Vertrages zu verzichten, geht noch über das hinaus, was Hobbes zu denken gewagt hatte. Ob der Versuch einer Begründung des Staates im Rahmen der >Metaphysik der Sittern im Dienste des Versuches steht, die Unwiderstehlichkeit der öffentlichen Gewalt zu erweisen, mag dahingestellt bleiben; daß jedoch die Unmöglichkeit eines jeden Widerstandsrechtes die Kon­ sequenz dieser Argumentation ist, steht außer Zweifel. Die vertragstheoretische Begründung des Staates entstammt, historisch betrachtet, dem Umfeld der Widerstandstheorien. Ja, die Vertragstheorie selbst liefert eine zuverlässige Begründung des Wi­ derstandsrechtes, wenn weder die Berufung auf das Naturrecht noch die auf das gute alte Recht sich als theoretisch stark genug erweisen, um ein Widerstandsrecht zu legitimieren.105 Es war Hobbes gelun­ gen, die vertragstheoretische Lehre von der Souveränität aus diesem Umfeld zu lösen und stattdessen gerade die vertragliche Begründung der zwingenden Gewalt als Argument für die Unmöglichkeit eines politischen Widerstandes anzuführen.106 Doch als Erbschaft der vererwägungen erhaben ist. Als eine »reine Philosophie der Macht« deutet Henning Ottmann die politische Philosophie Hobbes'. Ihm gilt die »vertragstheoretische Absurdität« des Modelles, welches die Begründung des Staates leisten soll, als Hinweis auf die Be­ deutungslosigkeit eben dieser Begründung. Ganz ohne Zweifel sind die Elemente der Hobbesschen Theorie der Souveränität kaum kompatibel. Doch vielleicht weist gerade die Heterogenität dieser Elemente daraufhin, daß der >Leviatan< verschiedene Probleme zu lösen versucht - und aus diesem Grunde die Argumentation immer wieder abbricht. 105 Das ist die Situation des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Vgl. Schnur, Die französi­ schen Juristen; Stricker, Das politische Denken der Monarchomachen. 106 Über die Möglichkeiten eines individuellen Widerstandsrechtes bei Hobbes besteht kein Streit; die Begründung des Rechtsverzichtes aus dem Überlebenswillen erlaubt ein individuelles Widerstandsrecht in dem Moment, da der Souverän den Zweck des Ver­ trages, das nackte Überleben nicht garantieren kann. Allerdings wird dieser Widerstand mit dem Preis des Rückfalls in den Naturzustand bezahlt. Ob man ein solches >Recht< tatsächlich als Widerstandsrecht bezeichnen möchte, und das heißt, es in die Tradition der naturrechtlichen, der religiösen oder der vertraglichen Widerstandslehre einordnen kann, ist mehr als fraglich. Ganz sicher lag eine extensive Deutung dieses Notrechtes nicht im Sinne des Thomas Hobbes, der einen Ausgang aus den Wahrheitskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts suchte. Gerade der Hinweis auf die Kompetenz des Souveräns, die Mittel zu bestimmen, die die Erfüllung des Vertragszweckes versprechen, legt eine solche Deutung nicht nahe. Die Ableitung dieses >Widerstandsrechtes< aus der Unmög­ lichkeit, das Recht aufs eigene Leben abzutreten, kann aus dem Hobbesschen Kontext heraus kaum politisch, sondern muß allererst vorpolitisch interpretiert werden. (Vgl. Mayer-Tasch, Thomas Hobbes und das Widerstandsrecht) 192

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tragstheoretischen Argumentation sollte sich die Verbindung von vertraglicher Begründung der Souveränität und Widerstandsrecht allemal erweisen. John Lockes >repräsentatives< Widerstandsrecht spricht in diesem Kontext die deutlichste Sprache: insofern politische Herrschaft auf einem trust-Verhältnis beruht, also nur auf Treu und Glauben verliehen wird, kann eben dieser Herrschaft Widerstand ge­ leistet werden, wenn sie gegen Treu und Glauben verstößt. Die Prag­ matik des Widerstandsrechtes zielt in die Richtung einer aristokrati­ schen, in diesem Sinne also repräsentativen Beschlußfassung über die Notwendigkeit des Widerstandes. Dieses Widerstandsrecht mag mit Fug und Recht politisch genannt werden, da es nicht indivi­ dualisiert wird.107 Hobbes' scharfe Ablehnung eines jeden Wider­ standsrechtes, das diesen Namen verdient, wird durch Rousseaus Bemerkungen zum Thema noch übertroffen. Selbst Hobbes' reduktionistische Interpretation eines kaum Widerstandsrecht zu nennen­ den Rechtes auf Selbstverteidigung wird von Rousseau aufgegeben; die vollständige Entäußerung eines jeden mit all seinen Rechten an die durch eben diese Entäußerung begründete Gemeinschaft läßt kei­ nen Spielraum mehr für einen auch nur existenziellen Vorbehalt. Rousseaus mystische Interpretation des Vertragsgedankens erst er­ laubt ein Argument noch gegen dieses minimale Selbstverteidi­ gungsrecht. Gegen Hobbes argumentiert Rousseau mit dem Ver­ tragszweck der Selbsterhaltung, fährt aber fort: wer den Zweck erreichen möchte, muß auch die Mittel in Kauf nehmen. Die mysti­ sche Interpretation des Gesellschaftsvertrages tilgt den existenziell­ individuellen Vorbehalt, den Hobbes gelten läßt, zugunsten des kol­ lektiv gedeuteten Vertragszweckes. Hobbes hatte versucht, die evozierte Ableitung eines Widerstandsrechtes aus der vertraglichen Begründung des Staates zu verhindern; doch erst Rousseau ist dieser Versuch vollständig gelungen.108 Nicht zuletzt unter dem Eindruck der französischen Revolution trennt Kant den Vertragsgedanken vom Widerstandsrecht.109 Den 107 Locke, Zweite Abhandlung, 18,202. 108 Die Pflicht, für den Staat zu sterben, ist die extremste Ausprägung dieser Argumen­ tation, die jedoch schon den skandalösen >Zwang zur Freiheit; bestimmt. In beiden Fäl­ len gilt, daß der Einzelne im politischen Körper nur noch vermittelt Herr seiner selbst ist - nur unter der Bedingung der Übereinstimmung mit der volonte generale nämlich. - Die mittelalterlichen Wurzeln dieser Form des Patriotismus entfaltet Kantorowicz, Pro Patria Mori. 109 Vgl. Ingeborg Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, S. 43 ff. Ingeborg Maus ^

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Ausschluß eines jeden Widerstandsrechtes praktiziert der große Vor­ fahre des Rechtsstaates rigoroser als es jeder Ahsolutist vermocht hätte. Gerade weil der Staat nur unterm Blick des Rechts erscheint, kann die Möglichkeit des Widerstandes so rigoros ausgeschaltet wer­ den: denn gegen das Recht ist jeder Widerstand Unrecht. Da das Mo­ tiv der Glückseligkeit für die Begründung des Staates keine Rolle spielt, darf die Glückseligkeit und das heißt: dürfen die Zwecke der Einzelnen keine Rolle hei der Begründung eines Widerstandsrechtes spielen. Tatsächlich, so Kant, richtet das Prinzip der Glückseligkeit nur Böses an, wenn es ins Staatsrecht getragen wird: es läßt Mon­ archen als Despoten erscheinen und (ver-)führt das Volk zur Rehellion.110 Der Streit üher die Zwecke und die zur Erreichung der Zwecke notwendigen Mittel sprengt notwendigerweise jede staatliche Ein­ heit, hedroht den rechtlichen Zustand. Die unterm Begriff der Glückseligkeit suhsumierten Zwecke der Einzelnen werden aus den staatsrechtlichen wie aus den moralphilosophischen Erwägungen ausgeklammert; stattdessen wird in der Gestalt des Rechts eine Basis des Zusammenlehens hestimmt, die jeglicher Diskussion entzogen ist. Die Ahleitung des Rechts aus dem kategorischen Imperativ, das heißt die formalistische Bestimmung dessen, was rechtens ist, ent­

versucht sich an einer recht tendenziösen Interpretation Kants; sie deutet Kants Ahwehr des Widerstandsrechtes allererst als eine Verteidigungshaltung gegen die Juridifizierung der Politik. Nicht die Legitimität des Widerstands würde von Kant prinzipiell geleugnet, sondern dessen rechtlicher Charakter. Dieser nämlich erwiese sich als Erhschaft eines feudalistischen Herrschaftsverständnisses, die unter den von Kant vorausgesetzten Be­ dingungen der Volkssouveränität keinen Sinn macht. Dieser Einwand ist gegen eine vorschnelle Kritik an Kants Behandlung des Widerstandsrechtes sicherlich herechtigt; oh jedoch diese Deutung, die den außerrechtlichen Aspekt der Volkssouveränität ehenso wie den außerrechtlichen Charakter des Widerstandes gegen die Staatsgewalt hetont, oh diese Deutung nicht vielleicht die interpretatorisch und politisch unangenehmen Hete­ rogenitäten des Kantschen Werkes unterschlägt, muß gefragt werden. Daß Kant am Ende nicht hloß als der große Apologet der Volkssouveränität erscheint, sondern gerade durch die Betonung ihres außerrechtlichen Charakters gegen die Norm der Rechtlich­ keit des Staates ein Dependenzverhältnis ganz neuer Art ins Spiel gehracht wird, hedeutet tatsächlich eine kaum glauhwürdige Deutung der Kantschen politischen Reflexion in der sich doch nur der Kampf zwischen Hahermas und Luhmann spiegelt. 110 Vgl. Gemeinspruch, S. 261. Das erinnert an Hohhes' Weigerung, die komplette an­ tike Lehre der Verfassungsformen zu ühernehmen. Die normative Unterscheidung zwi­ schen guten und verderhten Verfassungen, so Hohhes, hat nur die polemische Funktion, den Souverän in Mißkredit zu hringen. Für die Theorie genügt die Trias der drei guten Verfassungen, die den Träger der Souveränität hestimmen. (Vgl. Leviathan XIX, S. 145) 194

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zieht jeder inhaltlichen, jeder materialen Unterfütterung eines Wi­ derstandsrechts den Boden. Doch Kants Ausschluß des Widerstandsrechtes ist umso rigoro­ ser, als er sich auf eine zweite Argumentation stützen kann. Die Deu­ tung des Sozialkontraktes als einer bloßen Idee der Vernunft verbie­ tet es, einen Widerstand gegen die Staatsgewalt aus der Tatsache des Vertrages abzuleiten. Wird der Sozialkontrakt historisch gedeutet, d. h. als Fiktion der Tatsächlichkeit, so können sowohl die Möglich­ keit eines Vertragsbruchs durch die Staatsgewalt als auch die daraus folgende Begründung eines Widerstandsrechtes gedacht werden. In dem Maße jedoch, in dem der Gesellschaftsvertrag nicht als >GeschichtsurkundeProhiersteinRechtslehre< als auch im >Gemeinspruch< allererst deuten, gegen den Staat der reinen Vernunft kann es nicht bloß kein Widerstandsrecht geben; gegen den Staat der Vernunft ist legitimer Widerstand überhaupt nicht denkbar. Widerstand gegen den Staat der Vernunft hat die Struktur eines Selbstwiderspruchs, der aber, wie Kant immer wieder betont, mit dem Gebot der Autonomie nicht kompatibel ist. Die Unmöglichkeit eines Widerstandsrechtes wird aus der Untadeligkeit129 der Gesetzgebung abgeleitet, die die Unwiderstehlich­ keit jener »Macht im Staate (begründet), die dem Gesetze Effekt gibt«.130 Die Unmöglichkeit eines Widerstandes gegen den Staat die­ ser Gesetzgebung wird mit einer kunstvollen Argumentation bewie­ sen, in der der kategorische Imperativ, die Idee des ursprünglichen Kontraktes und die Ansiedelung der gesetzgebenden Gewalt beim vereinigten Willen des Volkes< miteinander verwoben sind. Der Rousseauistische Kern dieser Argumentation ist unübersehbar: ge­ gen die volonte generale ist kein Widerstand denkbar.131 Kant greift ein Argument auf, das Rousseau schon von Hobbes übernommen 128 Vgl. Gemeinspruch, S. 300. Daß schon der Begriff eines solchen Rechtes widersinnig ist, erläutert die >RechtslehreNot hat kein Gebot< (necessitas non habet legem), und gleichwohl kann es keine Not geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte.« (236) 129 »(D)er Wille des Gesetzgebers (legislatoris) in Ansehnung dessen, was das äußere Dein und Mein betrifft, ist untadelig (irreprehensibel)«. (Rechtslehre §46, S. 316) 130 Gemeinspruch, S. 299. 131 Vgl. Spaemann, Kants Kritik, S. 348: »Kants These ist nun die, daß, wo einmal ein rechtlicher Zustand besteht, der rechtmäßige Zustand nur auf rechtliche Weise herbei­ geführt werden darf. Das heißt also, Kant bestreitet jedes Recht auf aktiven Widerstand. Der Grund ist der folgende: Durch den rechtlichen Zustand ist allererst ein kollektives Subjekt eines möglichen gemeinsamen Wollens konstituiert, der >Naturzustand< verlas­ sen.« 200

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hat: volenti non fit iniuria. Schon Hohhes hatte mit diesem Argu­ ment die Unmöglichkeit eines Widerstandes gegen vorgehlich un­ rechtliche Handlungen des Souveräns erklärt, die ja allesamt durch die Untertane autorisiert wären. Rousseau konnte dieses Argument ohne die Vermittlung durch das Autorisierungsargument einsetzen: die suhjektive und ohjektive Allgemeinheit der gesetzgehenden vo­ lonte generale verhürgt, daß niemandem Unrecht geschieht. Dieses Argument wiederholt Kant: Die gesetzgehende Gewalt kann »nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen«.132 Eine solche Gesetzgehung aher kann kein Unrecht hegehen, »sofern ein jeder üher Alle und Alle üher einen jeden ehendasselhe heschließen«.133 Die Untadeligkeit der Gesetzgehung in concreto zu erweisen, dient sodann der ursprüngliche Vertrag, »das staatsrechtliche Gegenstück zum ka­ tegorischen Imperativ. Wie dieser als Moralprinzip die Gesetzmäßig­ keit der Maximen zu heurteilen gestattet, so vermag jenes als Prinzip der öffentlichen Gerechtigkeit die Rechtmäßigkeit positiver Gesetze zu hestimmen«.134 Als Recht und als rechtens hat jede Gesetzgehung zu gelten, der alle als freie und gleiche hätten zustimmen können. Die Idee des Urvertrages ist nichts anderes als die Formulierung des kategorischen Imperatives in der Sprache der avanciertesten Politischen Philosophie.135 Es ist deutlich zu sehen, in welchem Maße die Verankerung der Gesetzgehung im vereinigten Willen des Volkes die institutionel­ le Bedingung eines Rechtes darstellt, das unter allen Umständen auf seinen moralphilosophischen Ursprung hezogen hleiht. Daß dem Ge­ setzgeher das Meßinstrument des Urvertrages an die Hand gegehen wird, weist darauf hin, daß zwischen der Begründung der Gesetzgehung im vereinigten Willen des Volkes und der Ausühung der Gesetzgehung ganz offensichtlich eine Differenz gedacht wird, Reprä­ 132 Rechtslehre §47, S. 313. 133 Tatsächlich verwendet Kant dieses Argument sogar umgekehrt: »Denn da von ihr (der gesetzgehenden Gewalt, A. A.) alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können.« Deshalh kann »die gesetzgehen­ de Gewalt ... nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen.« (Rechtslehre §47, S. 313) 134 Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 352. 135 »Von jeglicher Ursprungsmetaphorik hefreit«, so Herh/Ludwig (Kants kritisches Staatsrecht, S. 454), »hesitzt der Vertrag ausschließlich Kriterien- und Normfunktion [...]. Indem Kant den Vertrag so als verpflichtendes Handlungsprinzip vorstellt, giht er zugleich die spezifischen Normierungshezüge zwischen Vertragsnorm und Normadres­ saten an«. ^

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sentation. Das wird besonders im >Gemeinspruch< deutlich. Die Idee des ursprünglichen Vertrages zielt also nicht zuletzt auf die Identifi­ kation des Willens des empirischen Gesetzgebers mit dem vereinig­ ten Willen des Volkes. Die Möglichkeit eines politischen Urteils über diese Identifikation ist dem Volk allerdings entzogen. Sie kehrt abge­ schwächt, individualisiert, in der Meinungs- und Pressefreiheit wie­ der. An die Stelle des Widerstandes läßt der Königsberger Professor ein Beschwerderecht treten. Der rechtsstaatliche Universalismus er­ greift so auch die Bedingungen des Rechtsstaates selbst: der Rechts­ staat urteilt über seine Grundlagen nach dem Maße des Rechtsstaa­ tes. Und das heißt ganz und gar immanent. Zu behaupten, daß dem >Volk kein zu Recht beständiges Urteil< über die Verwaltung der bürgerlichen Verfassung zukomme136, heißt die Kompetenz eines sol­ chen Urteils gerade bei jenen Instanzen zu verankern, über deren Praxis geurteilt wird.137 Die Gesetze der praktischen Vernunft begründen denselben Ab­ solutismus wie der von Furcht getriebene ökonomische Rationalis­ mus eines Thomas Hobbes; deshalb wiederholt Kant Hobbes' Be­ hauptung, »der Herrscher im Staat hat gegen den Untertan lauter Rechte und keine (Zwangs-)Pflichten.«138 Hatte jedoch bei Hobbes der Glanz der Macht den iuridischen Untergrund dieser Behauptung abgeblendet, so tritt bei Kant gerade diese Folie hervor. Auf subtilere Weise noch als Hobbes gelingt Kant die Verneinung eines jeden Wi­ derstandsrechtes, weil er die logisch-rechtliche Argumentation so stark macht, daß die Machtfrage, obwohl ständig präsent, doch im­ 136 Gemeinspruch, S. 300. 137 Kerstings Behauptung, die Bürger besäßen im Prinzip des ursprünglichen Vertrages »ein allgemeingültiges Kriterium zur Beurteilung der über sie ausgeübten Herrschaft« (Wohlgeordnete Freiheit, S. 352), übersieht, wem Kant dieses Kriterium zur Hand gibt: dem Gesetzgeber nämlich. (Vgl. Gemeinspruch, S. 299) In diesem Sinne erfüllt der ur­ sprüngliche Vertrag als >Probirstein der Vernunft< seine Aufgabe in der Hand des Ge­ setzgebers. Und mag auch die gesetzgebende Gewalt, wie die Rechtslehre formuliert, »nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen«, so ist doch die Differenz zwischen der Innehaltung und der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt unübersehbar. Die Idee des ursprünglichen Vertrages dient dem Urteil des Gesetzgebers - und gerade nicht denen, über die die Herrschaft ausgeübt wird. Denn diesen steht, wie Kant eindeutig formuliert, »kein zu Recht beständiges Urteil« über die Rechtmäßigkeit der Verwaltung der bürgerlichen Verfassung zu. (Gemeinspruch, S. 299 f.) Man mag es drehen und wen­ den wie man will: Kants Lehre vom ursprünglichen Vertrag erscheint als eine Lehre ad usum delphini. 138 Rechtslehre, S. 319. 202

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mer verdunkelt nur erscheint. Im >Gemeinspruch< macht Kant deut­ lich, daß die Untertanen selbstverständlich über Rechte gegenüber dem Staatsoberhaupte verfügen; allerdings sind diese unverlierbaren Rechte keine Zwangsrechte.139 Denn Zwangsrechte kann es nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen Gesetzgebung geben. Über die unverlierbaren Rechte darf jedes betroffene Individuum selbst urtei­ len; allerdings kann dieses Urteil nicht zur Begründung eines Wider­ standsrechtes, sondern wiederum nur zur Begründung eines Be­ schwerderechtes herangezogen werden. Die Norm der untadeligen Gesetzgebung wirkt so stark, daß ein Unrecht des Gesetzgebers nur aus der fehlenden Information des Gesetzgeber erklärt werden kann. Die Macht der praktischen Ver­ nunft kann auch in der Empirie der Gesetzgebung nicht angezweifelt werden; deshalb kann gesetzgeberisches Unrecht »nach jener Vor­ aussetzung nur aus Irrtum oder Unkunde gewisser Folgen aus Geset­ zen der obersten Macht« geschehen.140 Unrecht kann die oberste Staatsgewalt nicht begehen wollen - aber sie kann es durch Un­ wissenheit begehen. Empirisch könnte also eine, mit Fontane ge­ sprochen: Gebrechlichkeit des normativ untadeligen Gesetzgebers angenommen werden. Da jedoch an der Norm des untadeligen Ge­ setzgebers um des metaphysischen Projektes willen festgehalten wer­ den muß, kann das Widerstandsrecht nur als >Freiheit der Feder< kon­ kretisiert werden - mit dem Ziel nämlich, den Gesetzgeber über die ungewollten Folgen seines Tuns aufzuklären. Das Recht der Meinungs- und Pressefreiheit hat die Funktion einer Appelation a rege male informato ad regem melius informato. Der Souveränität ge­ genüber kann kein Recht in Anspruch genommen werden - außer dem Recht, den Souverän zu informieren. Daß hinter dieser Argu­ mentation die Intuition einer Differenz zwischen dem Gesetzgeber der Theorie und dem empirischen Gesetzgeber steht, kann nicht ge­ leugnet werden. Also scheint es für Kant doch eine, wie schwach auch immer geartete Möglichkeit zu geben, die empirischen Abweichun­ gen zum Gegenstand der Theorie zu machen. Jetzt wird deutlich, daß es gerade der rechtliche Charakter des Widerstandes ist, auf den Kants Kritik zielt - und daß nicht nur die umstandslose Identifizie­ rung von empirischem und theoretischem Gesetzgeber die Unmög­ lichkeit eines Widerstandsrechtes begründet. 139 Gemeinspruch, S. 303. 140 Gemeinspruch, S. 304. ^

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Das Instrument der Meinungs- und Pressefreiheit, das >einzige Palladium der Volksrechteohersten Befehlshaber darstellt, braucht nicht zu verwundern; schon eher, daß dieses Recht letztlich durch den Versuch begründet wird, den empirischen Oberherrn mit dem normativen zu identifizieren. Denn einzig die Presse- und Mei­ nungsfreiheit schützt den empirischen Oberherrn davor, durch Un­ kenntnis Unrecht zu tun - und so gegen seinen eigenen Willen zu verstoßen.142 Nicht der Hinweis auf die angeborenen Rechte also trägt die Behauptung der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern die Notwendigkeit, den empirischen Souverän den normativen An­ sprüchen seines Amtes anzupassen.143 Der Widerstand gegen das Widerstandsrecht rückt Kant in die Reihe eines staatlichen Absolutismus, die mit Hobbes' Lehre von der Souveränität beginnt und über Rousseaus pathetische Deutung des Gesellschaftsvertrages zu Hegels Mythos des Staates führt. Dieser Absolutismus wird je und je verschieden begründet und je und je verschieden gestaltet. Kants Absolutismus ist wohl der erstaunlich­ ste - und vielleicht jener, der unserer politischen Wirklichkeit der nächste ist. Erst der vollendete Rechtsstaat, dessen Gesetzgebungs­ kompetenz im vereinigten Willen des Volkes gründet, ist absoluter 141 Gemeinspruch, S. 304. 142 Vgl. Gemeinspruch, S. 304. Die >Rechtslehre< verzichtet auf diese Entfaltung der Meinungsfreiheit. An einer Stelle ist vom alten Institut der gravamina die Rede, welche die Stelle eines klassischen Widerstandsrechtes eingenommen hätten. Diese Verschie­ bung der Begriffe vom >Gemeinspruch< zur >Rechtslehre< ist nicht uninteressant, denn sie bedeutet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel von der westeuropäischen Auf­ klärung zum alten deutschen Reichsrecht. Vermutlich kannte man auch diesen Paradig­ menwechsel mit den französischen Ereignissen in Verbindung bringen. Die Meinungs­ und Pressefreiheit erscheint als typisch englisches und französisches Individualrecht, während die Nennung der gravamina schon so etwas wie die Sittlichkeit Hegels be­ schwören, ein Recht nämlich, das ganz und gar auf die Institutionen des Reichs und seine Erhaltung bezogen ist. Wird die Meinungs- und Pressefreiheit gegen die Staats­ gewalt geltend gemacht, so dienen umgekehrt die gravamina in der Argumentation Kants, der die Tradition des Reichsrechtes aufgreift, so dienen also die gravamina gerade dem Anspruch der Staatsgewalt, gute Regierung zu sein. Die Verbindung dieses Rechts­ institutes mit einem ernstzunehmenden Begriff des Republikanismus ist jedenfalls ter­ minologisch höchst problematisch. 143 Vgl. Habermas, Publizität als Prinzip der Vermittlung, S. 175 ff. 204

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Staat: weil er nach einem alten Muster alles ins Unrecht setzt, was außer dem Staat ist. Die Konstruktion des Staatsrechts nach der blo­ ßen Idee der Vernunft führt nicht nur dazu, den Staat, und das ist der Name des institutionalisierten rechtlichen Zustandes, hermetisch ge­ gen alle Empirie ahzuriegeln; die Konstruktion des Staatsrechtes nach der bloßen Idee der Vernunft bestimmt den Staat als ein ehernes Gehäuse, aus dem keine Flucht möglich ist. Kants kühle Deutung des Staates aus der Idee der Freiheit selbst erlaubt es ihm, auf jede Schil­ derung des rechtlosen Zustandes zu verzichten, aus der seit Hobbes der status civilis indirekt konstruiert wird. Umso erstaunlicher wirkt Kants Attacke auf jede Form des Widerstandes. Die Behauptung, das Volk müsse »selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch dennoch ... ertragen«, weil »sein Widerstand wider die höchste Ge­ setzgebung niemals anders als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzli­ che Verfassung zernichtend gedacht werden muß«144, diese Behaup­ tung macht den hermetischen Charakter des Rechtsstaates deutlich. Kants Begründung der Ablehnung eines Widerstandsrechtes über­ schreitet Hobbes' pragmatisch-utilitaristische Begründung der Not­ wendigkeit, eventuelle Unbilden im status civilis auf sich zu nehmen. Tatsächlich ist Kants Verweigerung eines Widerstandsrecht in der Tatsache begründet, daß der Widerstand gegen die oberste Staats­ gewalt, die die Herrschaft des Rechts verbürgt, selbst niemals Recht sein kann. Diese Aussage ist sowohl pragmatisch motiviert - durch den Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Gewalt über der obersten Gewalt145 - als auch durch den Begriff des Rechts selbst. Da der Über­ gang aus dem Naturzustand in den status civilis nicht nach dem Modell der Aufgabe von Rechten vorgestellt wird, sondern als Ver­ wirklichung des Systems der Rechte, kann sich der Widerstand im Rechtsstaat weder auf einen angeblichen Vertragszweck noch auf ein zurückbehaltenes Recht berufen. Denn der Staat Kants hat unter allen Umständen die Rechtsvermutung für sich, insofern er als die verwirklichte Idee der Vernunft gedeutet wird. Dieser Rechtsstaat umfaßt alle möglichen Positionen des Rechts, deshalb kann es gegen ihn kein Widerstandsrecht geben. In seiner Ablehnung des Widerstandsrechtes verliert Kant jedes Maß - und das allererst, weil die Theorie die Abweichung der Rechts­ wirklichkeit vom Staatsrecht nicht denken kann. Hier fordert die Ab­ 144 Rechtslehre, S. 320. 145 Vgl. Rechtslehre, S. 320; Gemeinspruch, S. 300. ^

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kehr von aller Empirie einen hohen Preis; die Theorie ist blind für die Praxis.146 Tatsächlich macht gerade der >Gemeinspruch< deutlich, in welchem Maße das Verhältnis von Theorie und Praxis als Einbahn­ straße konzipiert wird. Die ganz in der Vernunft gründende Theorie macht ihren normativen Anspruch gegenüber der Praxis geltend ohne jedoch die Empirie zum Gegenstand würdiger Reflexion erhe­ ben zu können. Was als Praxis in der Philosophie Kants erscheint, ist gerade Abstraktion von der Empirie. Der Anspruch der Theorie ge­ genüber der Praxis bedeutet die umstandslose Herrschaft der Ver­ nunft - und zwar allererst ohne jede Rücksicht auf die doch immer kontingente Empirie. Gerade die Absehung von den Machtverhältnissen läßt Kants Ablehnung des Widerstandsrechtes so unwiderstehlich erscheinen; begründet in der iuridischen Logik zeichnet Kant das Bild eines un­ fehlbaren Staates, dem der Einzelne nicht widerstehen kann, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Tatsächlich ist Kants schar­ fe Attacke auf das Widerstandsrecht nur vor dem Hintergrund der Identifizierung der Gesetzgebung mit dem allgemeinen Willen ver­ ständlich. Hobbes' Ablehnung eines Widerstandsrechts war gerade deshalb so skandalös, weil sie ganz offensichtlich die iuridische Argu­ mentation nur als Vorwand benutzte und tatsächlich von reinen Macht- und Nützlichkeitserwägungen getragen wurde. Oder umge­ kehrt: gerade die Ablehnung des Widerstandsrechtes durch Hobbes macht deutlich, daß die vertragliche Begründung der Souveränität allererst ein ein argumentatives, ein narratives Bindeglied darstellt; daß Hobbes Theorie der Souveränität tatsächlich eine reine Theorie der Macht ist.147 Da Kant auf die vertragliche Begründung des Staates vollends verzichtet, braucht er das schwache Autorisierungsargument nicht zu bemühen, um nachzuweisen, weshalb Widerstand ge­ gen die Staatsgewalt einen Selbstwiderspruch darstellt. Stattdessen kombiniert Kant in dieser Hinsicht den Gedanken eines reinen Rechtsstaats einerseits, in dem das Recht jedoch andererseits nicht bloß in der Vernunft, sondern zugleich im Willen des Volkes gründet. Damit wiederholt Kant Rousseaus argumentativen salto 146 Hella Mandt hat Kants Attacken auf ein mögliches Widerstandsrecht als die Kon­ sequenz der - das Projekt der Metaphysik der Sitten bestimmenden - Abwehr aller Empirie gedeutet. Kants starrsinnige Verweigerung eines jeden Widerstandsrechtes wä­ re nur zu erklären, weil ein Problem der praktischen Wissenschaften auf ein Problem der Theorie reduziert würde. (Tyrannislehre und Widerstandsrecht, S. 126) 147 Vgl. Ottmann, Thomas Hobbes, S. 83. 206

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mortale, mit dem die Doppelbestimmung der volonte generale durch Vernunft und als Wille des Volkes versucht wurde. Daß der allgemei­ ne Wille unvernünftig sein könnte, mag diese Theorie nicht denken; sie opfert deshalb die problematische Wirklichkeit auf dem Altar des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch. Doch während Rousseaus >Contrat social< noch den empirischen Widerspruch aufnehmen kann, muß Kants als Metaphysik konzipierte Rechtslehre vor dieser Möglichkeit sehenden Auges kapitulieren. Kants Ablehnung des Wi­ derstandsrecht ist zugleich Selbstverständlichkeit und Skandal. Sie ist selbstverständlich, nicht weil es gegen das Recht keine Möglich­ keit, sondern weil es gegen das Recht keine Notwendigkeit eines Wi­ derspruchs gibt; sie ist jedoch skandalös, weil sie - obwohl vorgeblich im Rahmen einer praktischen Philosophie entwickelt - nur logische und iuridische Argumente anführen kann, und die Unzweideutigkeit der Wirklichkeit in keiner Weise in Rechnung stellen kann und will. Das ist der Preis, der für die Universalisierung der praktischen Phi­ losophie zu entrichten ist. Das Projekt einer kritischen praktischen Philosophie, wie es sich in der Einleitung zur Metaphysik der Sitten< und in der >Rechtslehre< äußert, verhindert tatsächlich eine jede Politische Philosophie. Die verwindende Aufnahme der traditionel­ len Bestände Politischer Philosophie mag deren rationalen Kern ret­ ten - doch sie kann sie nicht mehr in eine Politische Philosophie ein­ gliedern, die tatsächlich praktische Philosophie wäre. Der kalte Wind der Vernunft und das scharfe Messer der Logik entleiben die politi­ sche, die praktische Philosophie. Mit ihren Knochen spielt eine Me­ taphysik der Sitten, die den Tod der Praxis verwaltet.

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IV Freiheit und Sittlichkeit

1. Leitmotive einer Erbschaft: Eigentum Hobbes' Begründung des common-wealth, des gemeinsamen Guten aus den - in der Erscheinung konfligierenden, im Wesen jedoch kon­ gruenten - Individualinteressen bildet das Modell der bürgerlichen Gesellschaft nach dem Modell des Marktes. Es ist dies, mit Hegel gesprochen, das Modell einer Vereinigung, die nicht bloß die Beson­ derheit ihrer Mitglieder zum Ausgangspunkt hat - im individualisti­ schen Vertragsmodell nämlich - sondern die zugleich gerade die Er­ haltung der Besonderheit ihrer Mitglieder zum Zweck hat: und zwar als das Interesse am physischen Überleben und am Genuß des Eigen­ tums. Dieses allen gemeinsame Interesse vermag jedoch keine andere Gemeinsamkeit zu stiften als die einer gemeinsamen Unterwerfung. Der von Hobbes konstruierte body politique ist nur metaphorisch ein Körper; und nur durch den Terror des repräsentierenden Souveräns wird die Einheit der vielen Einzelnen verbürgt. Das gemeinsame Interesse am Ausgang aus dem Naturzustand verwirklicht sich in der Institution des Leviathan. Und die Zweideu­ tigkeit, mit der dieser Name behaftet ist - die Frage also, ob er das Ganze des common-wealth oder aber nur die Position des Repräsen­ tationsmonopols bezeichnet -, läßt schnell den Mangel erkennen, der Hegel dazu führt, zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat zu unterscheiden. Hobbes' individualistische Gründung und Begrün­ dung des Staates erlaubt eine Ableitung des personalen Charakters des Volkes nur aus dem unerhörten Gemisch von Repräsentation und Terror. Durch den Abschluß des Vertrages wird das kleine Quantum an Gemeinsamkeit nach außen verlagert, das die vielen Einzelnen beseelt: Es geht ganz in der Realisierung des Leviathan auf. Gerade die allmächtige Institutionalisierung des Terrors verhindert jede an­ dere Realisierung von Gemeinschaft. Die bürgerliche Gesellschaft des Thomas Hobbes gründet umgekehrt darin, daß das gesellschafts­ 208

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relevante Handeln des Einzelnen auf einen Punkt bezogen wird, der dieser Gesellschaft extern ist; gesellschaftskonformes Handeln ver­ dankt sich nicht dem direkten Bezug auf die vielen anderen, mit de­ nen zusammen er Gesellschaft bildete, sondern dem Bezug auf die im Souverän angesammelte Macht, Gesetze zu erlassen und Gesetzes­ verstöße zu sanktionieren. Gesellschaftlichkeit, so könnte man sagen, besteht bei Hobbes nicht zwischen einer Vielzahl von Individuen; Gesellschaftlichkeit ist eine durch einen Dritten, den Souverän ver­ mittelte Beziehung zwischen einem Individuum und einer Vielzahl anderer. Aber nicht nur in diesem Sinne kann Hobbes' Staat äußerlich genannt werden: Hegel nennt ihn äußerlich, weil er seinen Zweck nicht in sich hat, sondern im »Interesse der Einzelnen«.1 Die neuzeit­ lichen Vertragstheorien der Staatsgründung stehen ganz im Dienste des Einzelnen; der Schutz seiner Interessen ist die Aufgabe und das Wesen des Staates. Aus der Erfüllung dieser Aufgabe leitet sich die Legitimität und damit die Wirklichkeit des Staates ab. Denn nur weil die vielen Einzelnen sich von der Errichtung des Staates den Schutz erhoffen, dessen sie in der Fiktion des Naturzustandes entbehren, einigen sie sich auf die Abtretung von Rechten, auf die Unterwerfung unter die Macht des positiven Gesetzes, auf die Einschränkung ihrer natürlichen Autonomie. Der Staat ist also auch den Zwecken der vie­ len Einzelnen äußerlich. Diese Zwecke nämlich waren und bleiben selbstsüchtig. Und der Staat ist nur das Mittel, die Verfolgung dieser selbstsüchtigen ZweckeContrat Social< zur Auslöschung der Besonderheiten. Das ist die Sackgasse der Rousseauschen Theo­ rie; sie geht vom neuzeitlichen Individualismus aus, begründet den Staat zum Schutz des Individuums, muß dann aber, wegen und mit ihrer mystischen Wendung, alle Besonderheiten, alle Differenzen zum Verschwinden bringen. Rousseaus politischer Individualismus ist also ein Individualismus unter Vorbehalt.7 Rousseaus Gesellschaft, die res publica ist ständig potentiell durch die Partikularinteressen bedroht; konkret wird diese Bedro­ hung im ökonomischen System. Deshalb versucht sich Rousseau an einer unzeitgemäßen Verdrängung des ökonomischen Systems dafür steht das Schlagwort »ce mot de finance est un mot d'esclaves«. Diese Verdrängung aber macht es notwendig, den Begriff der Freiheit zu verschieben, der in der klassischen Vertragstheorie nicht gerade unwesentlich an den Erwerb und Genuß des Eigentums geknüpft war. Erscheint die klassische Vertragstheorie in der historisch-sozio­ logischen Perspektive als die dem besitzenden Bürgertum angemes­ sene Deutung des Politischen8, so versucht sich Rousseau - das deu­ 6 Rechtsphilosophie §184. 7 Vgl. Kelly, Idealism, politics and history, S. 53ff. 8 Das ist besonders von C. B. MacPherson in der politischen Theorie des Besitzindividualismus< betont worden. ^

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tet der Hinweis auf die Unterscheidung von bourgeois und citoyen an - an einer Interpretation des Politischen, die sich nicht auf das Bürgertum als Subjekt, sondern auf ein ganz neues und zugleich altes Subjekt namens Volk bezieht. Ist das Bürgertum durch die identitäts­ bestimmende Funktion des Eigentumes ausgezeichnet, so entlarvt Rousseaus Ideologiekritik dessen gemeinschaftshinderliche Tenden­ zen. Deshalb wird ein politisches Subjekt konstruiert, für das der Besitz keinerlei identitätsbestimmende Funktion hat. Das Volk als die eigentlich politische Größe kann gegen die besitzende Klasse des Bürgertums ins Spiel gebracht werden, weil das Volk durch Identitä­ ten, die durch das Bürgertum bestimmte Gesellschaft jedoch durch ein System der Differenzen bestimmt wird, die in der ungleichen Verteilung des Eigentums ihren Grund und ihre unübersehbare Ver­ körperung hat.9 Rousseaus Politische Philosophie problematisiert die Bedeutung des Eigentums für den Bestand eines politischen Körpers. Darin ist sie sowohl die Erbin einer alten Tradition, die in der Gütergemein­ schaft der Wächter bei Platon ihren ersten Ausdruck findet10, als auch radikal neu gegenüber dem politik-ökonomischen Optimismus der neuzeitlichen Vertragstheorie. Locke hatte diesen Optimismus am entschiedensten verkörpert, allerdings mit weitreichenden Kon­ sequenzen für den Begriff der Gesellschaft selbst. Hervorgegangen aus dem Bestreben, das Eigentum - und das heißt Leben, Freiheit und Besitz11 - zu schützen, hat Locke unter der Hand eine Gesell­ schaft der Eigentümer konstruiert. Lockes relativ schwache Kon­ struktion des Staates, das heißt der Verfassung des Zusammenschlus­ ses, hat mit dem begrenzten Zweck dieser Institution zu tun, dem Schutz des Eigentums. Insofern nimmt Locke eine Zwischenstellung ein; die apokalyptischen Deutungen der Gegenwart und ihre terrori­ stischen Effekte auf die Konstruktion des Staates eines Hobbes sind 9 Volk ist also gerade keine soziologische Kategorie, sondern eine verklärend-philosophische, die von aller Empirie mit durchaus normativer Intention absieht. Eine roman­ tische Lektüre Rousseaus unterschreitet deshalb deutlich das Reflexionsniveau Rous­ seaus, wenn sie den Begriff des Volkes mit den einfachen Leuten gleichsetzt. Gerade die Herleitung der Existenz des Volkes aus dem Gesellschaftsvertrag macht deutlich, in welchem Maße dieser Begriff ein philosophischer Begriff ist. Die Gegenüberstellung von citoyen und bourgeois ist nicht die Gegenüberstellung zweier soziologischer Per­ spektiven, sondern die Gegenüberstellung der politik-theoretischen und der soziologi­ schen Perspektive. 10 Politeia 416c ff. 11 John Locke, Zweite Abhandlung VII,87. 212

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ihm ebenso fern wie Rousseaus Hoffnung auf die Verwirklichung der Sittlichkeit durch die Identität eines neuen, kollektiven Ich. Im >Diskurs über die Entstehung der Ungleichheit thematisiert Rousseau die politisch verheerenden Effekte des Eigentums für die Entstehung und für den Bestand der Gesellschaft. Die Einführung des Eigentums in die friedliche Welt des Naturzustandes bedeutet nicht weniger als den Sündenfall der Menschheit, den Beginn eines Regimes der Ungerechtigkeit; eines Regimes, das sich selbst in einer >Karikatur des wahren GesellschaftsvertragesZweiten Diskurs< ist nicht hoch genug einzuschätzen: nicht nur, weil sie von einer tiefen Diffe­ renz gegenüber der klassisch-neuzeitlichen Theorie kündet, sondern weil sie zugleich die bürgerliche Gesellschaft selbst unter Ideologie­ verdacht stellt. Die bürgerliche Gesellschaft erscheint als die Feindin der wahren Gesellschaft. Die durch den Gesellschaftsvertrag des >Zweiten Diskurses< begründete Gesellschaft ist tatsächlich eine Ge­ sellschaft des vollendeten Egoismus. Und folgerichtig endet sie denn auch in der Anarchie eines zweiten, verdorbenen Naturzustandes. Rousseaus geschichtsphilosophisch gesättigte und ideologiekri­ tisch gerichtete Karikatur der Vertragstheorie des >Zweiten Diskurses< setzt sich - unter umgekehrten Vorzeichen - auch im >Contrat Social< fort. Auch hier sind die verheerenden Effekte der Eigentums­ struktur immer Gegenstand der Sorge des politischen Philosophen. Die ökonomische Sphäre, als der Kern dessen, was gemeinhin bürger­ liche Gemeinschaft genannt wird, wird durch ein Regime der Par­ tikularismen gekennzeichnet. Hemmungslose Subjektivität bricht sich im wirtschaftlichen Egoismus Bahn. Das macht die Lage nun allerdings kompliziert. Bei Hobbes und Locke bezeichnete dieser wirtschaftliche Egoismus gerade den Rationalitätskern der bürger­ lichen Gesellschaft und damit, auf welche vertrackte Weise auch im­ mer, die interne Garantie des >status civilisvernünftig< auf die volonte generale zu beziehen, um die Existenz des politischen Körpers zu sichern, läßt diesen Fortschritt in einem seltsamen Zwie­ licht erscheinen. Die normative Deutung der Freiheit als Ausdruck sozialer Vernunft kappt den liberalen Theoriestrang. Nicht mehr der Einzelne, das Volk wird zum Subjekt der Freiheit. Der Preis dieser Deutung ist oft genug - zum Teil allerdings das Werk Rousseaus beinahe karikierend - vorgerechnet worden.16 Niemand aber hat die Kalkulation Rousseaus besser verstanden, niemand hat den Grund für die Ungeheuerlichkeit der Theorie deutlicher gesehen als Hegel. Das verwobene Verhältnis von Freiheit und Vernunft führt bei Rousseau in eine dilemmatische Struktur des Politischen und Sozia­ len, die für despotisch-terroristische Interpretationen offen steht. Hegel versucht dieses Problem aufzuheben, indem er gegen Rousseaus monistisches Modell zwei Gestaltungen und Deutungsmö­ glichkeiten der sozialen Welt ausmacht, bürgerliche Gesellschaft und Staat. Durch diese Entfaltung des Sozialen wird der Druck gerin­ ger, dem diese Gestaltungen ausgesetzt sind, denn jetzt kann sich die philosophische Reflexion einen neuen Pluralismus erlauben. Die Scheidung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat soll sich zwar im weiteren Verlauf der Geistesgeschichte als problematisches Erbe er­ weisen; mit Blick auf die Traditionsbestände der politischen Theorie jedoch stellt diese Scheidung die Bedingung der Möglichkeit dar, ei­ nerseits die Theorie auf die Höhe der Zeit zu heben, und andererseits die Absonderlichkeiten jener Vertragstheorien abzuschütteln, die auf den Begriff der Souveränität fixiert waren. Rousseaus Attacken auf die bürgerliche Gesellschaft waren nicht aus Unverständnis, sondern aus der Reflexion auf ihre Gesetze, Strukturen und Effekte geboren. Hegel allerdings gelingt trotz verwandter Zielsetzung eine ganz an­ 15 Man könnte an Tocquevilles Interpretation der Vereinigten Staaten erinnert werden, in der die individualitätsfeindlichen Effekte der Demokratisierung eine so entscheidende Rolle spielen. 16 Vgl. Talmon, The origins of totalitarian democracy; Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. ^

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Freiheit und Sittlichkeit

dere Einschätzung der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Einschätzung, die eigentlich quer zur vorgeblichen Liberalismus-Feindlichkeit He­ gels steht. Diese neue Einschätzung der bürgerlichen Gesellschaft verdankt sich einer neuen, geschichtsphilosophisch gegründeten In­ terpretation der Freiheit. Gegen das westliche Prinzip der Aufklärung bringt Hegel das nordische Prinzip der Subjektivität in Anschlag und versucht so beides: Freiheit und Vernunft in der (sozialen) Welt zu retten. Daß die Erfahrung der französischen Revolution dabei eine zentrale Rolle spielt, ist ebenso oft betont worden17 wie die Bedeu­ tung der schottischen Nationalökonomie.18 Tatsächlich verfolgt Hegels politische Philosophie der Einheit von Freiheit und Vernunft ganz verschiedenartige Spuren: die Spur der historischen Diskontinuität, den Bruch der französischen Revo­ lution also mit jedem Herkommen als einen Versuch, die Herrschaft des Geistes zu verwirklichen; die Spur der angelsächsischen bürger­ lichen Tradition, die das ökonomische Moment der politischen Frei­ heit hervorgehoben hat; und schließlich die Kantische Spur des Ver­ suches, im Begriff der Moralität die subjektiven Bedingungen der Sozialität zu denken. Die Einseitigkeit dieser drei Tendenzen, je für sich allein genommen, macht für Hegel deren historisch-philosophi­ sches Verhängnis aus. Erst Hegels Anstrengung, diese drei Komplexe miteinander zu verknüpfen, soll die Skizze der entfalteten Vernunft entwerfen. Hegel entwickelt den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft im Rahmen einer Rechtsphilosophie. Wenn man sich diese Positionie­ rung vor Augen hält, dann verliert die später manchmal beschworene Opposition von bürgerlicher Gesellschaft und Staat ebenso wie die Kritik an dieser Gegenüberstellung ihre Berechtigung. Hegel entwikkelt den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft ebenso wie den der Familie und den des Staates im Rahmen der sittlichen Entfaltung der Vernunft. Die bürgerliche Gesellschaft kann also nicht als ein Verfallsphänomen gedeutet werden und nicht im Gegensatz zum Konzept der Sittlichkeit, sondern nur aus diesem heraus. Wird die Deutung der >Rechtsphilosophie< auf den Gipfel ihrer Argumenta­ tion nur bezogen, auf den Staat also, dann tritt der individualistische Charakter der bürgerlichen Gesellschaft in unangemessener Weise 17 Von niemandem so systematisch wie von Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution. 18 Vgl. z. B. Manfred Riedel, Die Rezeption der Nationalökonomie. 216

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als Mangel hervor. Tatsächlich aber ist Hegel nichts ferner als die nostalgische Kritik an der Entfaltung des Individuums, die um einer ursprünglichen Einheit willen geführt wird. Tatsächlich macht der Gang der Argumentation, den die >Rechtsphilosophie< beschreitet, sehr schnell klar, in welchem Sinne für Hegel gerade die Freisetzung des Individuums aus den Verstrickungen des natürlichen und histo­ rischen Herkommens von Bedeutung ist. Die Sphäre der bürger­ lichen Gesellschaft gründet in den ökonomischen Aktivitäten ihrer Mitglieder, im Erwerb und Tausch von Eigentum. Und diese Aktivi­ täten als Entfaltung der Freiheit zu deuten, trennt Hegel auf immer von Rousseaus Entwurf einer Gesellschaft, der der Individualismus ihrer Mitglieder immer suspekt sein muß. Hegels Attacke auf die römisch-rechtliche Trennung von Per­ sonen- und Sachenrecht19 überdeckt, in welchem Maße er die indivi­ dualistischen Tendenzen des römischen Rechtsdenkens fortsetzt. Und zwar auch und gerade dort, wo - in der Sphäre des abstrakten oder formellen Rechts - der Begriff der Person als Eigentümer ent­ wickelt wird. Recht bedeutet nicht weniger als das »Dasein des freien Willens«.20 Wirklichkeit aber gewinnt der freie Wille des Einzelnen im Eigentum; indem er nämlich seinen Willen in eine äußere Sache legt. Das Eigentum ist, mit den Worten der Enzyklopädie, »das Da­ sein, welches (die Person) ihrer Freiheit gibt«.21 Im Eigentum verhält sich die freie Person zu sich selbst. Sie gehorcht durch die Besitznah­ me dem aufklärerischen Imperativ, daß der freie Wille sich »in der äußerlich objektiven Welt zu realisieren (hat), daß sie als eine durch jenen bestimmte Welt sei, so daß er in ihr bei sich selbst, mit sich selbst zusammengeschlossen« sei.22 Besitznahme ist der Weg zur Vergeistigung der Welt; indem er Besitz nimmt, durchdringt der Mensch die Welt mit der Idee der sich selbst realisierenden Freiheit. Hegel treibt das aufklärerische Freiheitspathos auf die Spitze, indem er darauf beharrt, daß es vollendete Freiheit nur in dieser Welt gibt, als die Vergeistigung der Welt nämlich. Indem diese >Vergeistigung< jedoch durchaus konkret vorgestellt wird, kann die Philosophie des Geistes als politische Philosophie vorgestellt werden. Daß sie dabei den >Umweg< über eine Philosophie des Rechts nimmt, kann nicht 19 20 21 22

Rechtsphilosophie §40. Rechtsphilosophie §29. Enzyklopädie, S. 487. Enzyklopädie, S. 484. ^

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Freiheit und Sittlichkeit

erstaunen, denn mit bloßen Tatsächlichkeiten kann es die Philoso­ phie des Geistes kaum zu tun haben, sondern nur mit dem Bewußt­ sein und dem Selbstbewußtsein, das die Welt und ihre Strukturen beseelt. Hegels Bestimmung des Eigentums als eines ersten Zweckes, nicht als eines Mittels zur Bedürfnisbefriedigung, setzt das Eigentum als »das erste Dasein« der Freiheit und bricht so mit jeder naturalisti­ schen Tradition, die das Eigentum als ein Instrument im Dienste des (Über-)Lebens bestimmt.23 Und macht damit von Anbeginn deutlich, daß die Verfassung und der Schutz des Eigentums selber zu den zen­ tralen Motiven einer Philosophie der Freiheit gehören.24 Rousseau hatte, obwohl der Schutz des Eigentums als Vertragszweck genannt war, die Bedeutung des Eigentumsrechtes kaum gewürdigt.25 Locke hatte das Eigentumsrecht als das zentrale Freiheitsrecht beschrieben, in dem die Autonomie verwirklicht wird. Die Begründung des Eigen­ tumsrechtes war dabei jedoch allererst aus natürlichen Notwendig­ keiten abgeleitet. Gott hat dem Menschen das Eigentum an seinem Körper gegeben; nur das Eigentum garantiert, daß dieser Körper er­ halten werden kann.26 Die Eigentumsordnung, die im deutlichen Ge­ gensatz zu Hobbes schon im Naturzustand eingerichtet wird, er­ scheint so als unmittelbarer Ausfluß der natürlichen Bedingtheit des Menschen. Und in dieser Tradition hat die liberale politik-ökono­ mische Tradition die Bedeutung einer Verfassung des Eigentums für die freiheitliche Gesellschaft beschrieben. Fern jeder liberalistischen Apologie des Marktes jedoch versucht sich Hegel gegen Rousseau die Nationalökonomie ebenso im Gepäck wie eine ausgebildete idea­ listische Philosophie des Willens - am Nachweis, daß erst die Eigen­ 23 »Eigentum zu haben, scheint mir in Rücksicht auf das Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel; die wahrhafte Stellung aber ist, daß vom Standpunkte der Freiheit aus das Eigentum als das erste Dasein derselben wesentlicher Zweck für sich ist.« (Rechtsphilosophie §45) 24 Vgl. Rosenfield, Politique et liberte, S. 82 f. 25 Rousseau hat lediglich versucht - dem Gedanken der alienation totale Rechnung tragend -, den Besitz als Eigentum durch den Abschluß des Gesellschaftsvertrages neu zu bestimmen. Damit aber ist nur die Rechtsqualität der Besitz- und Eigentumsverhält­ nisse angesprochen. Schon Hobbes' >Leviathan< hatte ja die ungesicherten Besitzver­ hältnisse des Naturzustandes in im Souverän garantierte Eigentumsverhältnisse umge­ wandelt. Auch Rousseau denkt den Souverän als Obereigentümer, den Einzelnen sodann, auf die >Economie Politique< verweisend, als »depositaire du bien public«. (Contrat Social I, 9, S. 367) 26 Vgl. Locke, Zweite Abhandlung V,25 f. 218

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Leitmotive einer Erbschaft: Eigentum

tumsbildung die Welt vergeistigt. Hegels Idealismus beharrt auf der Notwendigkeit, die Welt mit Vernunft zu durchdringen, damit sie dem Menschen nichts Fremdes bleibt. Dazu dient die Theorie des Eigentums. Hegels Wendung der Eigentumstheorie hält an dem von der liberalen Theorie vorgegebenen Zusammenhang von Freiheit und Eigentum fest, löst den Komplex jedoch aus den bloßen Mittel­ Zweck-Erwägungen. Die Behauptung, daß das Eigentum erster Zweck sei, also kein Mittel zur Befriedigung eines (natürlichen) Bedürfnisses, hebt sich deutlich von den anthropologischen Fundie­ rungen der traditionellen Eigentumstheorie ab - und entwirft eine aus der Theorie des Willens hervorgehende soziologische Argumen­ tation. Im Eigentum >hebt sich die bloße Subjektivität der Persönlich­ keit aufallgemeine WilleBoden< der »Beziehung von Willen auf Willen« Da­ sein hat, wird die zivilrechtliche Figur des Tausches zur entscheiden­ den Etappe der Entfaltung der Freiheit. Indem er die Anerkennung, den Grund der Sozialität, an die äußere Entfaltung des Willens im Eigentum bindet, weist Hegel gleich zu Beginn der >RechtsphilosophieSein für anderes Sein< auch für die bürgerliche Gesellschaft bestimmend. Hier aber spielt der Vertrag keine große Rolle mehr.36 Für die bürgerliche Gesellschaft übernimmt die Arbeit die argumentative Funktion, die der Vertrag auf der Ebene des ab­ strakten Rechtes erfüllt: den Ausgang aus der beschränkten Sphäre der subjektiven Willkür, die Einführung der Anerkennung, die Eröff­ nung des >Sein für andereStaat< ermöglicht diese doppelte Kri­ tik. Mag das Aufkommen der Vertragstheorien auch als Kritik an der Naturrechtstheorie verstanden werden: Hegels Kritik visiert beide Modelle des politischen Denkens. Dabei greift er entscheidende Mo­ mente beider Modelle auf, wendet sie jedoch gegen die Tradition. Die naturhafte Sozialität, die Priorität des Ganzen vor den Teilen, das Pathos der Freiheit und des Selbstbewußtseins: all diese Elemente bestimmen auch Hegels soziale und politische Lehre. Da er jedoch Gesellschaft und Staat aus dem Prozeß der Selbstoffenbarung des Geistes heraus deutet, gewinnt sowohl das - scheinbar traditionale Moment der Sittlichkeit als auch das neuzeitlich-moderne Moment der Autonomie neue Bedeutung. Vertragstheorien sind Theorien der Legitimation. Die Legitimi­ tät einer Ordnung wird von ihrer realen, fiktionalen oder hypotheti­ schen Entstehung abgeleitet. Die Revolutionierung des Naturrechtes in der Politischen Theorie der Neuzeit wird durch die Suche nach einer neuen Wurzel des sozialen Zusammenhanges bewirkt. Allen diesen Versuchen gemeinsam ist ein mehr oder weniger individuali­ stischer Hintergrund. Der soziale Raum wird durch die vielen Einzel­ nen begründet, die sich in ihm die Verwirklichung ihrer Interessen erhoffen. Dadurch wird die ethische Fragestellung des klassischen Naturrechts in den Hintergrund gedrängt, die aristotelisch-thomistisch das Nachdenken über die civitas bestimmt hatte. Die aristote­ lische politische Teleologie, die den Vorrang des Ganzen vor den Teilen betont hatte, ist dem neuzeitlichen Vertragsdenken unverständlich.38 Das Ganze muß nach der Interessenslogik jetzt allererst als ein Effekt der Willensvereinigung von mehr oder weniger egoi­ stischen Individuen erscheinen. Diese Legitimitätsformel nun, das beklagt Hegel, macht aus dem Staat eine private Veranstaltung, nicht mehr und nicht weniger als einen Wurmfortsatz der bürgerlichen Gesellschaft, eine beliebige Veranstaltung, der Willkür der vielen Einzelnen unterworfen.39 38 Das gilt noch für Rousseau, dort allerdings in etwas modifizierter Form. Rousseau betont, was die Fiktion des Gesellschaftsvertrages betrifft, die genetische Priorität des Individuums. Die Bedingungen jedoch des Gesellschaftsvertrages und seine Effekte zie­ len umgekehrt auf die moralische Priorität des Ganzen vor den Teilen. (Vgl. Adam, Der Mythos des Staates) 39 »Wenn der Staat mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt und seine Bestim­ mung in die Sicherheit und den Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit 222

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Willkür und Sittlichkeit

Das klassische Pathos des Sozialen zu verstärken, kann Hegel nur gelingen, wenn er den neuzeitlichen Gedanken der Freiheit in ein Konzept der Sittlichkeit einhindet, das die moderne Gegenüber­ stellung der Freiheit des Individuums und des Zwanges der Institu­ tionen aufheht.40 Dahei erweist sich die Bestimmung der Freiheit selbst als das entscheidende Problem. Die individualistische Revolu­ tion der neuzeitlichen Politischen Philosophie hestimmte die Freiheit des Einzelnen, Quell aller Legitimität, allererst als Willkür, das heißt als prinzipiell unbeschränkte Willensfreiheit. Der freie und unbe­ stimmte Einzelne tritt einer Welt von Möglichkeiten gegenüber. Und aus diesen Möglichkeiten, die mit seinem Wesen nichts zu tun haben, wählt er nach seinem Interesse. Systematisch gefaßt wurde diese Position in den Lehren des Naturzustandes; die Willkür wird zur anthropologischen Konstante, die den Menschen als Wesen zur Freiheit bestimmt. Diese Betonung der Willkür aber ist nur möglich, weil keine vorgängige Ordnung - der Gerechtigkeit, des Sozialen mehr glaubwürdig ist. Der methodische Rückgriff auf das aller Bin­ dungen und Prägungen entledigte Individuum muß die Freiheit als Willkür bestimmen. Hegels Rechtsphilosophie stößt sich an dieser Interpretation der Freiheit. Anders als der zeitgenössischen und späteren gegenrevolu­ tionären Tendenz jedoch gelingt es Hegel, Besonderheit und Willkür nicht als bloße Hindernisse der Sittlichkeit, sondern vielmehr als Be­ dingungen einer modernen Welt der Freiheit zu deuten, die wieder­ um selber im Licht der Sittlichkeit zu interpretieren ist. Hegel steht gesetzt wird, so ist das Interesse des Einzelnen als solcher der letzte Zweck, zu welchem sie vereinigt sind, und es folgt hieraus ebenso, daß es etwas Beliebiges ist, Mitglied des Staates zu sein.« (Rechtsphilosophie §258 Zus.) - Unter der Hand schreibt Joachim Ritters weichgezeichnete Hegel-Interpretation (Hegel und die französische Revolution) diese Tendenz fort - und verwischt bei dem Versuch, Hegel für den liberalen Westen der Nachkriegsära zu retten, gerade die konstitutive Differenz von bürgerlicher Gesellschaft und Staat. Daß die Betonung dieser Differenz zugleich das Skandalon der Hegelschen Rechtsphilosophie ausmacht, braucht nicht besonders betont werden, stellt diese Beto­ nung doch den schärfsten Einspruch gegen eine liberale Theorie des Staates dar. Wohl­ gemerkt: des Staates. Die bürgerliche Gesellschaft deutet Hegel selber im avanciertesten liberalen Paradigma. Der Staat aber ist mit dessen Begriffen nicht zu fassen, insofern er das Problem der sozialen Freiheit als Problem der Selbstergreifung des Geistes deutet. 40 Hegel, so Taylor (Hegel, S. 565), definiert die Sittlichkeit als »substantielle Freiheit«. »Sie ist das verwirklichte Gute. Die Menschen identifizieren sich mit ihr. Sie wird ihre >zweite Nature, und sie sind aufgrund der durch sie verkörperten Subjektivität die wirk­ liche und gültige Realisation der Sittlichkeit. Sittlich ist ein Gemeinwesen, in dem das Gute in einem öffentlichen oder gemeinsamen Leben verwirklicht wird.« ^

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nicht gegen die Moderne. Hegels Politische Philosophie stellt sich vielmehr als Kritik an der neuzeitlichen Politischen Philosophie dar, insofern diese ihren Horizont durch die individualistische Gleich­ setzung von Freiheit, Willkür und Besonderheit vorschnell abge­ schlossen hat. Hegel entwickelt das Konzept der Sittlichkeit, um dem ethischen Defizit der neuzeitlichen und modernen Politischen Philosophie abzuhelfen - und dies durchaus im Rahmen der neuzeit­ lichen Politischen Philosophie. Hier erweist sich Hegel als Schüler Rousseaus: Die Entwicklung des Konzeptes der Sittlichkeit erlaubt es Hegel, am aufklärerischen Prinzip der Freiheit festzuhalten, ohne die Grundlagen der Gemein­ schaft zu gefährden. Denn das Konzept der Sittlichkeit verspricht die »Identität des allgemeinen und besonderen Willens«41; das wäre nicht weniger als die Lösung des Rätsels, um das sich die Politische Theorie der Moderne bemüht, seitdem sie die Kosten des Verzichts auf ihr aristotelisches Erbe berechnen muß. Wenn die bürgerliche Freiheit allererst als Freiheit von Einzelnen gedeutet wird, dann wird das Konzept des öffentlichen Wohls, der materialen >ragione di stato< problematisch. Darauf antwortet Rousseau mit der Konzeption eines neuen Gesellschaftsvertrages, auf dieses Problem antwortet Mandeville mit der Gleichung >private vices, public benefitssalus publica< setzt, mit einem, an Rousseau erin­ nernden, und doch ganz von der Theorie des Gesellschaftsvertrages sich entfernenden Versuch, die Identität des Allgemeinen und des Besonderen als bewußte Identität zu denken - und das bedeutet die Wiederbelebung des normativen Elementes der Politischen Theorie. Diese Verbindung gelingt Hegel mit der Entwicklung des einzigarti­ gen Konzeptes der Sittlichkeit, in dem sich der Anspruch auf >Selbstbestimmungethische PflichtenlehreAkzidenz< der >sittlichen Mächte< beschreibt.47 Diese objek­ tivistische Wendung macht aus der Rechtsphilosophie eine Politische Philosophie - und zuletzt tatsächlich eine Staatsphilosophie. Die Wendung zur Sittlichkeit rückt die Institutionen, die Einrichtungen des Lebens in den Vordergrund. Mit dieser Wendung versucht Hegel der vorgängigen Wirklichkeit - gegen das subjektivistische Pathos der deutschen Innerlichkeit - Rechnung zu tragen, weil die Wirklich­ keit selber vernünftig ist.48 In den Randbemerkungen zum Paragraphen 142 heißt es: »Was ist Sittlichkeit? Daß mein Wille als dem Begriff gemäß gesetzt sei seine Subjektivität aufgehoben sei.« Den Willen bestimmt Hegel gleich zu Beginn der >Rechtsphilosophie > als den >Ausgangspunkt< 45 Philosophie als die >vernünftige Einsicht< gewährt die >Versöhnung mit der Wirklich­ keit^ indem sie die >Erhaltung der subjektiven Freiheit im substantiellem ebenso fordert wie die Verortung der subjektiven Freiheit »nicht in einem Besonderen und Zufälligen, sondern in dem, was an und für sich ist«. (Rechtsphilosophie, Vorrede S. 16.) 46 Rechtsphilosophie §148 Zus. 47 Rechtsphilosophie §145. Diese Wendung spielt später eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, eine Pflicht zum Staat zu begründen, die keine verstandesmäßige Begründung des Staates - wie sie die Vertragstheorien leisten - rechtfertigen kann. Dann erscheinen die Individuen als Akzidenzien des Staates; »indem er (der Staat, A. A.) objektiver Geist ist, so hat das Individuum selbst nur Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es ein Glied desselben ist.« (Rechtsphilosophie §258) Vgl. Heimsoeth, Politik und Moral in Hegels Geschichtsphilosophie. 48 Bruaire deutet diese Wendung als gegen Fichte gerichtet: »L'hypocrisie, l'idolatrie de soi, le probabilisme, signent une conduise d'excuse et d'impuissance paree des senti­ ments de la belle äme_Il s'agit d'un nihilisme multiforme qui recuse toute verite pour exalter des sentiments et passions sous forme d'utopie.« (Philosophie de droit, S. 96 f.) ^

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des Rechts. Allein, alles dreht sich um die Frage, wie die Freiheit des Willens zu bestimmen wäre. Der Übergang zum Standpunkt der Sitt­ lichkeit ist zugleich der Übergang zu einer neuen Bestimmung der Freiheit des Willens, der gegenüber die vorherigen defizient erschei­ nen müssen. Das gilt nicht nur für das System des abstrakten Rechts, das gilt besonders für die Moralität. Hier scheinen die Subjektivität des Gewissens und die Abstraktion des Guten zwei getrennte Sphä­ ren zu konstituieren, deren unmögliche Vermittlung dem überfor­ derten Subjekt auferlegt ist. Unmöglich ist diese Vermittlung - und das ist Hegels entscheidender Einwand gegen das Kantsche System praktischen Philosophie - weil das Gute als bloß abstrakt und all­ gemein dem Gewissen, das nur Gewißheit eines Subjektes ist, immer fremd gegenüberstehen muß. Erst der Standpunkt der Sittlichkeit erlaubt es, die Subjektivität des Gewissens als identisch mit dem Gu­ ten zu deuten.49 Die Bestimmung des abstrakten Guten und die Be­ stimmung des ganz in der Subjektivität des Willens begründeten Ge­ wissens bilden das Problem, das vom Standpunkt der Moralität aus nicht mehr gelöst werden kann. Denn das Pathos der Selbstbestim­ mung^ das für diesen Standpunkt so bedeutend ist, scheint jede ob­ jektivierende Bestimmung des Inhaltes des Gewissens zu verbieten. Mit dem Übergang zum Standpunkt der Sittlichkeit rückt die normative Bedeutung der äußeren Welt in den Vordergrund. Der Standpunkt der Moralität hatte in Hegels Augen eine Legitimitäts­ falle begründet: Indem er auf der Subjektivität beharrte, rückte er die ethische Durchdringung der Sozialität in weite Ferne. Das Gewissen wird zum Richter der Welt, aber es gibt keine Instanz, die dieses Gewissen mit einem anderen vermitteln könnte, die dieses Subjekt mit einem anderen vermitteln könnte.50 Gerade weil der Inhalt des Gewissens als das abstrakte Gute erscheint, gibt es keine Vermittlung der Subjekte. Vom Standpunkt der Moralität aus wäre - so Hegels scharfe Kant-Deutung - die soziale Welt, wären Gesellschaft und Staat nicht zu denken. Deshalb entwickelt Hegel die Idee des leben­ digen Gutem51: das Sittliche ist die Vermittlung von Subjektivität und Objektivität. 49 Vgl. Rechtsphilosophie §141. 50 Daß dem Gewissen ein Kriterium des Rechten in der Form des kategorischen Impe­ ratives an die Hand gegeben wird, ändert an dieser Überforderung des Individuums nichts, sondern macht sie nur umso deutlicher. 51 Rechtsphilosophie §142. 226

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Bedingung dieser Vermittlung ist die Annahme von der Ver­ nünftigkeit der Welt. Wenn Hegel Sittlichkeit als die Aufhebung der Subjektivität des Willens bestimmt52, dann ist damit nicht das Verschwinden der Subjektivität gemeint; diese gewinnt vielmehr einen neuen, einen festen Boden. Der Standpunkt der Moralität, so Hegel, hatte sich zuletzt als schwindelerregender Abgrund erwiesen. Die solipsistische Subjektivität droht paradoxerweise genau dort je­ den Halt zu verlieren, wo sie sich als »Meister über das Gesetz und die Sache« wähnt.53 Die »sich als das Letzte erfassende Subjektivi­ tät«54, diese Mißgeburt des deutschen Idealismus, der Romantik, geht an ihrer eigenen Meisterschaft zugrunde. Denn in dem Maße, in dem die Objektivität als bloßes Objekt eines spielenden Subjektes er­ scheint, droht, mit Hegels Worten, auch die >edlere Subjektivität zu verglimmen. Das absolute Subjekt wird zuletzt von der Auflösungs­ bewegung erfaßt, die allererst der äußeren Welt gilt. Hegels Attacke wider die Institutionenphobie - von der schon die Vorrede zur Rechtsphilosophie Zeugnis ablegt - geht davon aus, daß die >sittlichen Mächtecivitas Dei< und >civitas terrena< erklärt. (L'Augustinisme Politique) Das Mittelalter sei durch eine instrumentelle Deutung der politischen Strukturen dieser Welt gekennzeich­ net, in der die >civitas Dei< einen treuen Diener gefunden habe. Luther greift diese tendenziöse Deutung seines Meisters Augustinus auf. Die Entwicklung des Protestan­ tismus aber konnte auch zu einer totalen Entwertung des institutionellen Denkens führen, die sich auf die negative politische Theologie des Augustinus hätte berufen können. (Vgl. Adam, Heilsgeschichtliche Soziologie) Der Religion des Herzens können die sozialen Strukturen im besten Falle als diesseitige Versteinerungen der Liebesstruktur erscheinen, im schlechtesten Falle kristallisiert sich in ihnen die Herrschaft des Anti­ Christ. ^

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den Vordergrund, daß die politische Ausgestaltung der Sittlichkeit, daß die >Gesetze und Gewaltendemokratische< De­ fizit der politischen Institutionen erweist sich als legitimatorisches Defizit. Die sittlichen Mächte können para-gnostisch als fremde Mächte gedeutet werden, weil sich in ihnen nicht die vernünftige Autonomie des Volkes, sondern das politische Kalkül einer bestimm­ ten Klasse offenbart. Gegen diese Institutionenfeindschaft führt Hegel das vernunft­ geschichtliche Argument an, das schon die >Vorrede< kennzeichnet: das Sittliche ist »der als eine Welt lebendige und vorhandene Geist«.57 Diese johanneische Wendung - die Fleischwerdung des lo­ gos - bricht die fundamentalistische Spitze der institutionenkriti­ schen Argumentation. Wohlgemerkt: nur die fundamentalistische Spitze. Tatsächlich ist Hegels Argument im Kern normativ. Von Sitt­ lichkeit kann nur gesprochen werden, solange der Rahmen der Hand­ lungen der Menschen, solange das Ethos und seine Verkörperungen tatsächlich vernünftig sind. Allerdings kehrt Hegel die Beweislast gegenüber dem prinzipiell institutionenkritischen Standpunkt um. Jetzt gilt allererst die Annahme, daß die Institutionen vernünftig sind. Da das >Leben der Individuen< das Medium der Erscheinung der sittlichen Mächte ist58, ist das Bedingungsverhältnis von Subjek­ tivität und Objektivität ungleich intrikater, als es vom Standpunkt des Moralischen einerseits, vom Standpunkt einer prinzipiellen In­ stitutionenkritik andererseits angenommen werden konnte. Waren auf dem Standpunkt der Moralität Subjektivität und Ob­ jektivität nicht zu vermitteln, standen sich das abstrakte Gute und die in sich kreisende Subjektivität fremd gegenüber, so ermöglicht der Standpunkt der Sittlichkeit diese Vermittlung. Hegel macht den sub­ jektiven Faktor der Welt ebenso sichtbar wie die Objektivität der in­ dividuellen Existenz. Der pietistische Gegensatz von Gesetz und Ge­ wissen ist aufgehoben. Das Gesetz als Verkörperung der Sittlichkeit hat zwar einerseits absolutes Sein für die Individuen59, andererseits jedoch erscheint es als deren eigenes Wesen.60 Hegel löst das Rätsel 56 Rechtsphilosophie §146. 57 Rechtsphilosophie §151. 58 Rechtsphilosophie §145. 59 Rechtsphilosophie §146. 60 »Andererseits sind sie (die Gesetze und Gewalten der sittlichen Substanz, A. A.) dem Subjekte nicht ein Fremdes, sondern es gibt das Zeugnis des Geistes von ihnen als von 228

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der neuzeitlichen Politischen Philosophie - wie nämlich Autorität und Autonomie zu vereinbaren seien - auf eine ganz spezielle Weise: Autorität haben die Gesetze, weil sie »die Vernünftigkeit darstellen«; diese Autorität aber beeinträchtigt keineswegs die Autonomie des Menschen, sie befreit ihn im Gegenteil erst »zur substantiellen Frei­ heit«.61 Das Konzept der Sittlichkeit erlaubt die philosophische Iden­ tifizierung von Freiheit und Vernunft, die Rousseau noch recht ge­ waltsam hatte sichern müssen. Daß Hegel diese Identifizierung allerdings erst auf den Schultern Rousseaus gelingt, ist nicht zu über­ sehen. Die Objektivität des Sittlichen erlöst das Individuum von den Abgründen der Besonderheit, die der moralische Standpunkt offen­ bart hatte.62 Dabei läßt Hegel keinen Zweifel daran, daß der Gegen­ satz von Sittlichkeit und Besonderheit ein künstlicher Gegensatz ist. Tatsächlich, so Hegel sehr deutlich, ist die Besonderheit »die äußer­ lich erscheinende Weise, in welcher das Sittliche existiert«.63 Das Sittliche als Idee der Freiheit steht also keineswegs gegen die mo­ dern-liberalen Interpretationen der persönlichen Freiheit; allerdings steht es gegen den Versuch, das Wesen der persönlichen Freiheit al­ lein durch den Begriff der Willkür zu bestimmen.64 Sittlichkeit be­ deutet demgegenüber die Aufhebung der Subjektivität des Willens: »daß Ich denkend - d. i. als Allgemeines - das Allgemeine will - und dieses Wollen des Allgemeinen bin«.65 Das Wollen des Allgemeinen sein: das ist die Kurzformel der gereinigten Subjektivität.66 Die Zweideutigkeit dieser Formel ist seinem eigenen Wesen, in welchem es sein Selbstgefühl hat, und darin als seinem von sich ununterschiedenen Elemente lebt.« (Rechtsphilosophie § 147) Das Konzept der Sitt­ lichkeit liefert erst die Möglichkeit, soziale Institutionen unabhängig von ihrer empiri­ schen Begründung mit der Freiheit des Individuums zu versöhnen. Heteronom können diese >Gesetze und Gewaltenc nur denen erscheinen, die durch eine >halbe Philosophiec (vgl. Rechtsphilosophie, Vorrede S. 17) von der Wahrheit der Welt fern gehalten wer­ den. 61 Rechtsphilosophie §149. 62 Hegel spricht von der »Gedrücktheit, in der es (das Individuum, A. A.) als subjektive Besonderheit in den moralischen Reflexionen des Sollens und Mögens ist.« (Rechtsphi­ losophie § 149) 63 Rechtsphilosophie §154. 64 Eben diese Figur bestimmt später auch die Deutung des Staates; in ihr ist die liberale Begründung des Staates nicht einfach weggewischt, sondern aufgehoben. 65 Rechtsphilosophie § 142, Randbem. 66 Vgl. Rosenfield, Politique et liberte, S. 123f. ^

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unübersehbar; in der Zweideutigkeit des Genitivs spiegelt sich das Programm der Philosophie der Sittlichkeit. Hegels Versuch einer Wiederbelebung der Politischen Philosophie trägt nicht nur aus aka­ demischen Gründen einen unentschiedenen Untertitel; er kom­ biniert tatsächlich Rechtsphilosophie, Naturrecht und Staatsrecht auf eine für die politische Moderne unerhörte Weise. Denn er formu­ liert das Recht der Subjektivität als das Recht der Institutionen - weil die Wahrheit auf der Seite der Allgemeinheit steht. Und zugleich bindet er die sittlichen Mächte - auf eine für die politische Reaktion unerträgliche Weise - an die Entfaltung der Besonderheit, in der sie ihre Erscheinung haben. Hegels politische Option ist eine philosophi­ sche Option. Hegel verfolgt kein politisches Programm; die sozialen und politischen Phänomene werden umgekehrt auf der Grundlage eines philosophischen Programmes gedeutet: in der Weltgeschichte »die Auslegung und Verwirklichung des allgemeinen Geistes« zu le­ sen. Hegels Rechtsphilosophie begründet einen neuen Typus politi­ scher Philosophie durch ihre radikale Exzentrizität gegen die Tradi­ tion - und steht doch ganz in den Überlieferungen des politischen Denkens.67 Hegels politische Philosophie ist im wörtlichsten Sinne Geistesgeschichte. Die Rechtsphilosophie endet nicht bloß in Ge­ schichtsphilosophie; sie ist von Anbeginn als Geschichtsphilosophie konzipiert. Hegels Politische Philosophie, wie sie in den >Grundlinien des Rechts< sich darstellt, hat pneumazentrischen Charakter: Ihr Ge­ genstand ist der Geist, der sich zum Gegenstande seines Bewußtseins macht, der sich auslegend selbst erfaßt.68 Die Rechtsphilosophie ver­ folgt die Stufen der Selbstauslegung des Geistes im und als Recht. Damit ist sie, das betont Hegel, immer schon mehr als bloße Juris­ prudenz. Diese Philosophie des Geistes ist Rechtsphilosophie, weil »das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht als eine zweite Natur ist.«69 Die Geschichte der Selbstentfaltung des Geistes wird im Medi­ um des Rechtes verfolgt, weil das Geistige »der Boden des Rechts« ist.70 Der Geist macht sich im Recht wirklich.71 Als »Welt des Geistes 67 68 69 70 71 230

Vgl. Riedel, Zwischen Tradition und Revolution, S. 170ff. Vgl. Rechtsphilosophie §343. Rechtsphilosophie §4. Rechtsphilosophie §4. Rechtsphilosophie §29, Randbem.

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aus ihm seihst hervorgehracht« kann das Rechtssystem jedoch nur scheinen, weil Hegel die Freiheit im Zentrum des Rechts erkennt, die Freiheit, die die Seihstentfaltung des Geistes kennzeichnet. Das Recht seihst ist die Behauptung des »Dasein(s) des freien Willens«.72 Nur wo es Recht giht, löst sich das Dasein aus den natürlichen Ver­ strickungen und erheht sich zur Freiheit. Das macht die Bedeutung des Rechtssystems für die Entfaltung des Geistes aus. Recht ist »die Freiheit als Idee«.73 Diese Bestimmung greift die Bestimmung des Rechtes durch Kant auf; wie Kant definiert Hegel das Recht nicht als Beschränkung der Willkür74, sondern durch die Vernünftigkeit des Willens. In dem Maße aher, in dem der Wille seinem Wesen ent­ spricht, in dem Maße also, in dem der Wille vernünftig ist, kann das Recht nicht als Beschränkung der Freiheit erscheinen, sondern als »das Reich der verwirklichten Freiheit«.75 Hegels Kritik am neuzeitlichen politischen Denken zielt auf des­ sen Grundlagen, allererst auf den Individualismus der Besonderheit und auf die Bestimmung der Freiheit als Willkür. Wer Willkür sagt, so Hegel, der meint nur »die ahstrakte Gewißheit des Willens von seiner Freiheit, noch nicht die Wahrheit derselben«.76 In der Willkür nämlich fallen die ohjektive und die suhjektive Seite des Willens aus­ einander: Zum Inhalt des Willens verhält sich das Suhjekt hloß zufäl­ lig. In der Wahrheit steht der Wille erst dann, wenn er sich seinem Wesen gemäß hestimmt. Seinem Wesen gemäß aher hestimmt er sich, wenn er sich selhst zum Inhalt hat: das ist der Ühergang des Willens zur Idee. Als Idee erweist sich der Wille als »sich selhst hestimmende Allgemeinheit«.77 Den Willen als Idee hestimmen heißt, im Wollen das Denken hervorzuhehen. Die Identität des Willens mit der Freiheit hedeutet dessen denkende und gedachte Allgemeinheit, 72 Rechtsphilosophie §29. 73 Rechtsphilosophie §29. 74 Die Deutung des Rechtes im Rahmen der Sittlichkeit heht hervor, daß die Pflichten, welche die Sittlichkeit auferlegt, gerade nicht als Beschränkung, sondern als Befreiung zu deuten sind. Ehen diese Deutung war Kant mit der Ahleitung des Rechts aus dem kategorischen Imperativ gelungen: auch dort konnte die Pflicht als Signum der Freiheit gedeutet werden. Mit einer merkwürdig tendenziösen Deutung verschleiert Hegel, in welchem Maße seine Rede vom Recht als der Idee der Freiheit in der Schuld der Kantschen Rechtslehre - und in ahgeschwächterem Maße: der Rousseauschen Willensphi­ losophie - steht. (Vgl. Rechtsphilosophie §29) 75 Rechtsphilosophie §4. 76 Rechtsphilosophie §15. 77 Rechtsphilosophie §21. ^

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Freiheit und Sittlichkeit

weil in der Allgemeinheit die natürliche Unmittelbarkeit ebenso auf­ gehoben ist wie die subjektive Besonderheit. Eben diese >Reinigung und Erhebung< nennt Hegel die Leistung des Denkens. Die Einlei­ tung der Rechtsphilosophie ist von entscheidender Bedeutung, um das Konzept der Sittlichkeit zu verstehen; und sie ist von entschei­ dender Bedeutung, wenn man nicht vorschnell dem vorgeblich skan­ dalösen Charakter der Hegelschen Rechtsphilosophie aufsitzen will. Wenn Hegel immer wieder den Zusammenhang zwischen Freiheit und Allgemeinheit betont, dann hat das allererst mit seiner Bestim­ mung des Willens zu tun, die der Tendenz nach nicht neu ist. Tat­ sächlich ist Hegel am voluntaristischen Element sowenig interessiert wie Rousseau; anders als Rousseau aber versucht Hegel die Vernünf­ tigkeit des Willens nicht mehr aus der Übereinstimmung mit einem >bonum communeragione di statu< abzuleiten. »Das im Willen sich durchsetzende Denken«78 macht den Willen vernünftig. Denn das Denken - und hier ist ein platonisches Erbe zu spüren - bedeutet »das Aufheben ... und Erheben ins Allgemeine«.79 Aber nicht auf die Gemeinschaft - wie bei Rousseau - verweist das Allgemeine, sondern auf die »Idee des Selbstbewußtseins«. Den frei­ en Willen bestimmt Hegel nicht durch die Möglichkeit der Wahl; der Wille ist frei, weil er sich selbst bestimmt: »der Begriff des freien Willens als das über seinen Gegenstand übergreifende, durch seine Bestimmung hindurchgehende Allgemeine«.80 Die Identität des >an und für sich seienden Allgemeinem mit dem Vernünftigen81 zu be­ haupten, heißt auf das Konzept des Allgemeinen als des Gemein­ schaftlichen zu verzichten, das besonders Rousseau geltend gemacht hatte - und damit die Politische Philosophie in ein neues Fahrwasser zu lenken. Die Ablösung der Allgemeinheit von einer mehr oder we­ niger empirischen Gemeinschaft bestimmt die Politische Philosophie Hegels als - im eminenten Sinne - eine Philosophie des Geistes. Mit dieser Bestimmung des freien Willens bleibt Hegel der neuzeitlichen Politischen Philosophie treu - und verändert doch radikal die Per­ spektive des Blicks auf die Institutionen des Zusammenlebens. Denn diese erscheinen jetzt nicht mehr als die Frucht eines Zusammen78 79 80 81 232

Rechtsphilosophie Rechtsphilosophie Rechtsphilosophie Rechtsphilosophie

§21. §21. §24. §24.

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Sokrates und der Bourgeois

Schlusses der Willen der vielen Einzelnen. Diese Perspektive, für die die neuzeitlichen Vertragstheorien stehen, ist untauglich, um die Le­ gitimität von Institutionen zu erweisen. Deren Legitimität erweist sich vielmehr aus ihrer Funktion, Stufen der Selhstentfaltung des Geistes zu bilden. Dafür steht das Konzept der Sittlichkeit.

3. Sokrates und der Bourgeois Die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft In Hegels Entwurf der Sittlichkeit stellt die bürgerliche Gesellschaft weniger einen historischen Übergang dar als vielmehr ein Extrem des dialektischen Prozesses der Entfaltung der Freiheit. Hält man sich den dialektischen Prozeß vor Augen, dann wird klar, daß die bürger­ liche Gesellschaft nicht, wie das vom konservativen gesellschaftskri­ tischen Denken des 20. Jahrhunderts vorgegeben wird, die Antithese des Staates ist, sondern dialektisch allererst auf die Überwindung der Familie bezogen wird. Hegel selbst allerdings schickt seine Interpre­ ten auf einen Holzweg, wenn er gleich zu Beginn des Abschnitts über die bürgerliche Gesellschaft den Untergang Athens und Roms aus der »selbständige(n) Entwickelung der Besonderheit« ableitet.82 Eben diese >Entwickelung der Besonderheit aber, nichts anderes als die Entfaltung des Begriffs der Freiheit, bildet ein zentrales Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft - wenn auch, wie man vorausschicken darf, nicht das einzige. Also könnte die bürgerliche Gesellschaft tat­ sächlich - ganz in der rousseauistischen Tradition - als ein Verfalls­ phänomen erscheinen. Dafür könnte auch sprechen, daß der Prozeß des Auseinandertretens der Familie sich als »Verlust der Sittlichkeit« darstellt.83 Tatsächlich aber erscheint die bürgerliche Gesellschaft als ein Verfallsphänomen nur dem, der die Identität der >alten Staatem mit dem von Hegel gesetzten Begriff des Staates der >Rechtsphilosophie< annimmt - und demjenigen, der Hegels Rede vom >Verlust der Sittlichkeit nicht in den Stufengang der Entfaltung der Freiheit ein­ bezieht. Die >selbständige Entwickelung der BesonderheitSittenverderben< sich zeigen.84 Der Philosoph jedoch, der in der Weltgeschich­ te dem vernünftigen Prozeß, der dialektischen Entfaltung der Idee der Freiheit nachspürt, dieser Philosoph wird im Verlust der ein­ fachen Sittlichkeit den Gewinn der Freiheit deuten. Hegels Deutung der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Prin­ zips der >selbständigen Entwickelung der Besonderheit< hat in der welthistorischen Figur des Sokrates ihr Vorbild - und in der Deutung der Platonischen Politischen Philosophie als eines Versuches, die >griechische Sittlichkeit< durch das Prinzip eines >nur substantiellen Staatesinneren Tribunals«94 Die Gesetze gelten jetzt weder selbstverständlich noch unvermittelt, ihre Legitimität unterliegt einer Überprüfung in der Innerlichkeit des Subjekts. Die Handlungen leiten sich nicht mehr - Prinzip der einfachen Sittlich­ keit - unmittelbar aus der Sitte ab; sie entspringen jetzt der Einsicht, der Überzeugung, protestantisch formuliert, dem Gewissen.95 Indem Sokrates »die Freiheit des Gedankens« verwirklicht, begründet er die Sphäre der Moralität, die Sphäre, in der nicht bloß recht gehandelt wird, sondern in der der handelnde Mensch »das Bewußtsein seines Tuns hat«.96 Das ist die Bedeutung der welthistorischen Figur Sokra­ tes: alles Handeln zuvor den Filter der Vernunft passieren zu lassen. Das ist das neue Gesetz, an dem Athen zugrundegehen wird - denn mit der Selbstverständlichkeit der Sitte ist es ein für alle Male vorbei. »Das Recht der subjektiven Freiheit macht den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und der modernen Zeit.«97 Die Legitimität der subjektiven Freiheit anzuerkennen, das ist die Revolution der Freiheit, die eine welthistorische Zäsur setzt. Hinter diesen Schnitt kann nicht mehr zurückgegangen werden. Für diesen Schnitt steht allererst das Christentum und nicht die isolierte Tat des Sokrates. Das Christentum wird als die Religion gedeutet, die den »Zweck der ewigen Seligkeit des Individuums« zum »allgemei­ nen Prinzip einer neuen Form der Welt« erhoben hat.98 Die Probleme dieser Revolution allerdings sind unübersehbar: »die subjektive Be­ friedigung des Individuums« wird zum Rechtsanspruch, der jeder vorgängigen Ordnung des Sozialen entgegensteht. Das Christentum muß als Kampferklärung an die antike Welt erscheinen, weil es ein neues Legitimitätsprinzip auf den Schild hebt. Und dieses Legiti­ mitätsprinzip bestimmt noch die politische Aufklärung des 18. Jahr­ hunderts. Die Bedeutung des Sokrates darf und soll also nicht unter­ schätzt werden. Hegel widmet dem Phänomen Sokrates - der Vernunft, die gegen die geistlos gewordene Wirklichkeit gestellt wird - eindringliche Seiten. Dennoch wird die bürgerliche Gesellschaft 93 94 95 96 97 98 236

Philosophie der Weltgeschichte, S. 645. Philosophie der Weltgeschichte, S. 644. Vgl. Philosophie der Weltgeschichte, S. 644f. Philosophie der Weltgeschichte, S. 644. Rechtsphilosophie §124. Rechtsphilosophie §124.

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Sokrates und der Bourgeois

natürlich weder durch den griechischen Philosophen begründet noch gedeutet. Sokrates' Tat steht für die Befreiung des Individuums von der starren Sittlichkeit durch die Macht des Denkens. In der dialekti­ schen Entfaltung der Idee der Freiheit aber bedeutet dieser >Bruch mit der Wirklichkeit" eine Antithese, deren Synthese noch lange auf sich warten läßt. Die Versöhnung der moralisch geprägten Inner­ lichkeit mit der konkreten Wirklichkeit wartet nach Sokrates' Tat, so Hegel, in weiter Ferne. Das Modell der bürgerlichen Gesellschaft aber birgt in sich neben dem Prinzip der Entfaltung der Subjektivität von Anbeginn jenes Prinzip, das die Synthese ermöglicht, das Prinzip der unbewußten Allgemeinheit nämlich. Diese Vorstellung ist für Hegel nur vor dem Hintergrund der politik-ökonomischen Entwick­ lung der Neuzeit verständlich. Die bürgerliche Gesellschaft hat mit der ungeheuerlichen Tat des Sokrates' das Prinzip der Subjektivität gemein; aber erst der politik-ökonomische Horizont ermöglicht die Bestimmung dessen, was bürgerliche Gesellschaft heißt. Deshalb ist bürgerliche Gesellschaft ein begriffliches compositum mixtum aus Philosophie und Soziologie, ein typisches Phänomen der Wirklich­ keitswissenschaft, die mit den Worten der Vorrede versucht, zu be­ greifen was ist, weil, was ist, vernünftig ist. Hegel deutet die bürgerliche Gesellschaft durchaus ambivalent als »Erscheinungswelt des Sittlichen«99 100; in ihr wird das Sittliche sichtbar, aber zugleich verspricht die bürgerliche Gesellschaft eben nur den Schein der Sittlichkeit. Als »Erscheinungswelt des Sitt­ lichen« kann die bürgerliche Gesellschaft interpretiert werden, weil sie auf zwei Prinzipien beruht: auf dem der >selbständigen Entwikkelung der Besonderheit und auf einem allerdings unbewußten Re­ gime der Allgemeinheit. Daß die Allgemeinheit den Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft als Mittel zur Erreichung ihrer selbst­ süchtigen Zwecke erscheint, nicht jedoch als Zweck, erweist die bürgerliche Gesellschaft gegenüber dem Staate als eine, was die Ent­ faltung der Vernunft, was das Selbstbewußtsein des Geistes betrifft, defizitäre Institution. Weil das Prinzip der Besonderheit und das der Allgemeinheit selbständig erscheinen, kann die bürgerliche Gesell­ schaft nicht als die >societas perfecta< gelten, die diese beiden Prinzi­ pien in sich zusammenzuhalten hätte. Allein, der bloße Hinweis auf die zentrale Funktion des selbstsüchtigen Zweckes genügt eben nicht 99 Philosophie der Weltgeschichte S. 644. 100 Rechtsphilosophie §181. ^

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zur Verurteilung der bürgerlichen Gesellschaft, wie das eine gesell­ schaftskritische Deutung so gerne vorspiegelt. Die bürgerliche Ge­ sellschaft erscheint umgekehrt gerade wegen der Rolle, die das Inter­ esse der Einzelnen spielt, als die Verfassung, die die Freisetzung der Subjektivität und damit die Entfaltung des Prinzips der Freiheit er­ laubt. Mit dem für die bürgerliche Gesellschaft konstitutiven Begriff des Bedürfnisses führt Hegel den Begriff des Menschen ein, genauer gesagt »das Konkretum der Vorstellung, die man Mensch nennt«.101 Der Mensch ist Subjekt des natürlichen Willens: eines zwar freien Willens, der aber >einen unmittelbar vorhandenen Inhalt< hat.102 Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind allererst ökonomische Subjekte. Hegels Entwurf der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt die Gesellschaftlichkeit selbst aus den im weitesten Sinne ökono­ mischen Aktivitäten der Bürger. Die Mitglieder der bürgerlichen Ge­ sellschaft sind bourgeois, keine citoyens.103 Die ökonomischen Akti­ vitäten, welche die bürgerliche Gesellschaft bestimmen, stehen im Dienste der Bedürfnisbefriedigung. Mit dem Bedürfnis zieht Hegel in das System der Rechtsphilosophie eine neue Ebene ein. Die Ein­ führung der Perspektive >Mensch< in dem Abschnitt über die bürger­ liche Gesellschaft trägt nun weniger der Entfaltung der Besonderheit Rechnung, sondern versucht, den Zwangscharakter des Interesses zu begründen, das sich hinter dem ökonomischen Begriff des Interesses, des Bedürfnisses versteckt. Es zeichnet Hegels Argumentation in die­ sem Abschnitt aus, daß die Entfaltung der Besonderheit in einer po­ litik-ökonomischen Argumentation entwickelt wird, die mit der phi­ losophisch-subjektivitätsgeschichtlichen Perspektive vermengt wird. Die Einführung des Bedürfnisses dient dazu, die Abstraktion des Rechtes zu verlassen, welchem der Einzelne nur als Person, und das heißt eben nicht als Besonderer, nicht als Konkreter erscheinen kann. Die Rechtssubjekte haben monadischen Charakter. Erst die Ein­ 101 Rechtsphilosophie §190. 102 Rechtsphilosophie §11. 103 »Die Individuen sind als Bürger dieses Staates (des äußeren, Not- oder Verstandes­ staates, A. A.) Privatpersonen, welche ihr eigenes Interesse zu ihrem Zwecke haben.« (Rechtsphilosophie §187) In der bürgerlichen Gesellschaft ist der »Gegenstand« »der Bürger (als bourgeois)«. (Rechtsphilosophie §190) Der Begriff des bourgeois vermittelt den die Sphäre des abstrakten Rechts bestimmenden Begriff der Person mit einem qua­ si-naturalistischen Begriff vom Menschen, der das dem Begriff der bürgerlichen Gesell­ schaft unterliegende >System der Bedürfnisse< kennzeichnet. 238

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Sokrates und der Bourgeois

führung von Lebewesen mit Bedürfnissen läßt Gesellschaftlichkeit tatsächlich denkbar werden. Damit aber stellt sich Hegel auf merk­ würdige Weise - wenn auch gegen seinen Willen - wieder in die Tradition einer naturalistischen Sozialphilosophie. Dieser Naturalis­ mus ist der Preis des philosophischen Übergangs von der Konstruk­ tion des abstrakten Rechts zu einer soziologischen Beschreibung der Wirklichkeit, die der >empirischen Psychologie^04 Rechnung trägt. Zwar hatte schon das abstrakte Recht ein Verhältnis der Eigentümer zueinander vorgestellt - und zwar mit beinahe Kantischen Worten als Pflicht, als Notwendigkeit der Vernunft.104 105 Dieses Verhältnis wur­ de aus dem Vertrag abgeleitet, das heißt aus der Rechtsform, die den Übergang des Eigentums beschreibt. Allein für den Übergang des Eigentums war keine tatsächliche Notwendigkeit zu erkennen. Hegel mußte deshalb die Vernunft selbst bemühen, um die Einzelnen zum Tausche zu bewegen, denn nur im Tausch, der dem Besitz Rechts­ form verleiht, konnte er das Prinzip der Anerkennung Wirklichkeit werden lassen.106 Dieses Prinzip aber ist das Prinzip der Sozialität selbst. Erst die Einführung des Bedürfnisses macht die Beziehung der vielen Einzelnen im Bewußtsein der Subjekte notwendig. Des­ halb ist die bürgerliche Gesellschaft, die Hegel in ihrer vollendeten Modernität beschreibt, der Dreh- und Angelpunkt einer Rechtsphi­ losophie als Sozialphilosophie. Die Besonderheit der vielen Einzelnen konkretisiert sich in ihren selbstsüchtigen Zwecken^ Die selbstsüchtigen Zwecke der vie­ len Einzelnen, der eine Grund der bürgerlichen Gesellschaft, werden naturalisiert. Indem diese als Bedürfnisse vorgestellt werden107, müssen sie befriedigt werden. So wird die Gesellschaftlichkeit der vielen Einzelnen erzwungen, die nicht in der Lage sind, alle ihre Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen. Sie sind deshalb auf die bürgerliche Gesellschaft als die Sphäre universaler Vermittlung ver­ wiesen, um ihre Zwecke zu verfolgen. Menschen, nicht Personen er­ 104 Rechtsphilosophie §11. 105 »Es ist durch die Vernunft ebenso notwendig, daß die Menschen in Vertrags-Ver­ hältnisse eingehen - schenken, tauschen, handeln usf., als daß sie Eigentum besitzen«. (Rechtsphilosophie §71) 106 »Der Vertrag setzt voraus, daß die darin Tretenden sich als Personen anerkennen; da er ein Verhältnis des objektiven Geistes ist, so ist das Moment der Anerkennung schon in ihm enthalten und vorausgesetzt«. (Rechtsphilosophie § 71) 107 »Die Besonderheit zunächst als das gegen das Allgemeine des Willens überhaupt bestimmte (§60) ist subjektives Bedürfnis«. (Rechtsphilosophie §189) ^

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zwingen die bürgerliche Gesellschaft. Hegels präzisere Formulie­ rung, daß die Subjekte des Systemes der Bedürfnisse »das Konkre­ tum der Vorstellung, das man Mensch nennt« sind108, erweist die >Rechtsphilosophie< einmal mehr als ein Kompendium der Wirklich­ keitswissenschaft. Tatsächlich nämlich wird die mehr oder weniger natürliche Erzwingung des Gesellschaftszusammenhanges nicht als Gründungs-, sondern als Begründungszusammenhang dargestellt. Es ist nicht einfach die - nicht zuletzt normativ zu interpretierende Entfaltung der Vernunft, die die Gründung der bürgerlichen Gesell­ schaft erzwingt. Umgekehrt wird Hegel mit der Hilfe der National­ ökonomie nachzuweisen versuchen, daß noch die sowohl naturhaft als auch willkürlich erscheinende Struktur von Bedürfnis und Befrie­ digung den >Schein der Vernünftigkeit< bietet.109 Während Hegel die bürgerliche Gesellschaft systematisch aus der philosophischen Not­ wendigkeit der Entfaltung von Subjektivität im Progreß der Idee der Freiheit ableitet, als die Bedingung des Übergangs von der einfachen Sittlichkeit der Familie zum Selbstbewußtsein des Staates, leitet er sie konkret aus der Bedürfnisstruktur ab, die der Besonderheit unter­ liegt. Deshalb ergänzen sich die ökonomische und die subjektivitäts­ geschichtliche Argumentation so perfekt.110 Die bürgerliche Gesellschaft ist ein System der Reziprozität, eine Struktur, in der die Befriedigung der handlungsleitenden Be­ dürfnisse an die Befriedigung der Bedürfnisse der Anderen geknüpft ist. Der Vervielfältigung der Bedürfnisse nämlich entspricht eine Vervielfältigung der Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Insofern nun aber die Fähigkeiten des Einzelnen begrenzt sind, ist er zur Befriedi­ gung seiner Bedürfnisse darauf verwiesen, daß ein Anderer die Mit­ tel der Bedürfnisbefriedigung bereitstellt. Zum Mittel der Bedürfnis­ befriedigung aber wird dieser Andere nur, insofern er sich umgekehrt die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse davon versprechen kann, daß er die Bedürfnisse eines Anderen befriedigt. In dieser 108 Rechtsphilosophie §190. 109 Rechtsphilosophie §189. 110 Hier wird besonders deutlich, in welchem Maße Hegel sich gegen Rousseau wendet: die Rechtsphilosophie als Beschreibung der progressiven Entfaltung der Freiheit folgt dem Sternenbanner der Subjektivität. - Daß Hegel immer wieder eine leere Subjektivi­ tät attackiert, für die die vor-kantische Religion des Herzens ebenso steht wie die ro­ mantische Opposition gegen alles Institutionelle, lenkt zu leicht davon ab, daß Hegel der Subjektivität eine zentrale Rolle noch für die Sittlichkeit der neueren Zeit zugesteht. (Vgl. Rechtsphilosophie §§152f.) 240

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Struktur der Reziprozität erkennt Hegel das Signum der bürger­ lichen Gesellschaft. Allerdings ist diese Struktur für ihn nur insofern von Interesse, als sie sich vergeistigt darstellt. Tatsächlich ist das Sy­ stem der Bedürfnisse denn auch nicht einfach wegen des quasi-me­ chanischen Räderspieles der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung für die >Rechtsphilosophie< von Belang, sondern wegen des Momentes der Freiheit, welches in der Vervielfältigung und der Partikularisierung der Bedürfnisse erscheint, wegen des Prinzips der Gleichheit, das die Struktur der Reziprozität sozial erzwingt, wegen des Prinzips der Anerkennung, in dem sich Wille auf Wille bezieht - und so den >Boden< für das >Dasein der Freiheit< bereitet - und wegen der Ver­ mittlung des Besonderen mit dem Allgemeinen.

4. Die Durchdringung der Zwecke Der Weg von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat Hegels theoretischer Kampf besteht in dem Versuch, das individuali­ stische Erbe der Reformation, die philosophisch gedeutete Wirklich­ keit der bürgerlichen Gesellschaft und das Freiheitspathos der Auf­ klärung so in die Logik der Entfaltung des Geistes zu integrieren, daß sie nicht als Verfallserscheinungen einer ursprünglichen Allgemein­ heit gedeutet werden. Eine kritische Lektüre Hegels wird deshalb dem Verhältnis von besonderem und allgemeinem Willen, von besonderem und allgemeinem Zwecke höchste Aufmerksamkeit schenken. Die philosophie-historischen und die politisch-histori­ schen Erfahrungen haben Hegel eine kritische Reflexion auf die phi­ losophischen Grundlagen der Moderne nahegelegt. Namentlich die Identität von Freiheit und Vernunft, spätestens seit Rousseau ein zentraler Topos der kontinentalen politischen Philosophie, gewinnt ihre ursprüngliche Fragwürdigkeit zurück. Unter dem Druck des auf­ klärerischen Autonomiepathos wurde die Identität von Freiheit und Vernunft zur Zauberformel des politischen Denkens; mit ihrer Hilfe konnten die anarchischen Tendenzen des politischen Individualismus in die geordneten Bahnen eines Gemeinwesens gelenkt werden; so brauchte Herrschaft nicht als Unterdrückung dieser vorgängigen Freiheit erscheinen, sondern als deren Verwirklichung. Als der Widerspruch von besonderem und allgemeinem Zweck wird das Rousseausche Erbe bei Hegel virulent. Von der Aufnahme der angelsächsisch-liberalen Deutung dieses Problems legt jedoch die ^

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Freiheit und Sittlichkeit

>Rechtsphilosophie< im Abschnitt über die bürgerliche Gesellschaft Zeugnis ab. Der Primat der individuellen Zwecke wird in eine schwa­ che Theorie des Allgemeinwohls eingebettet; die >allseitige Abhän­ gigkeit der ihre Zwecke verfolgenden Individuen erlaubt den Schein eines allgemeinen Zweckes. Im Verhältnis zu den traditionellen Dis­ kursen über das >bonum commune< kann hier nur vom »Scheinen der Vernünftigkeit« gesprochen werden.111 Die Allgemeinheit, die die nationalökonomische Argumentation entdeckt, ist allererst die Extrapolierung eines gemeinen Guten aus der zwar philosophisch not­ wendigen, tatsächlich jedoch empirisch bloß zufälligen Konvergenz und Ergänzung der vielen besonderen Zwecke. Eingebaut in die Stu­ fenfolge der Selbstoffenbarung des Geistes entpuppt sich diese Theo­ rie des allgemeinen Guten als defizient. Problematisch ist nicht bloß die Kontingenz der Gemeinsamkeit, gegen die die philosophische Notwendigkeit der Allgemeinheit betont wird. Problematisch ist vor allem die Abwesenheit eines Bewußtseins der Allgemeinheit. Das allgemeine Gute ist nicht der gewollte Zweck der Bürger, sondern allererst eine Folge ihrer egoistischen Interessen. Hegels Politische Theorie als Theorie der Vernunft kann sich nicht mit der bloßen Exi­ stenz, ja nicht einmal mit der fiktiven Garantie eines solchen >bonum commune< zufrieden geben. Die Theorie erfordert vielmehr das Be­ wußtsein vom allgemeinen Zweck - und damit die Institutionalisie­ rung des allgemeinen Zweckes. Denn erst die Institutionalisierung bedeutet die vernünftige Verwirklichung der Idee. Rousseaus Kampf gegen die Ökonomie zeugt vom Versuch, die partikularen Willen nur noch als formal, aber nicht mehr als inhalt­ lich partikular - das heißt in Hegels Sprache auf besondere Zwecke gerichtet - zu bestimmen. Damit aber erweist sich die Vorgabe des Werkes, die Identität von Gerechtigkeit und Interesse, als ein politi­ scher Taschenspielertrick. Alles kommt darauf an, die Einzelnen so zu formen, daß ihre partikularen Willen mit dem allgemeinen Willen identisch werden. Für die Möglichkeit dieses Projektes steht die poli­ tisch aufgeladene Pädagogik. Eine solche Lösung des modernen Problemes steht für Hegel nicht zur Debatte. Der Versuch, die Sphären der Sittlichkeit als Stufen im Entfaltungsprozeß der Freiheit zu deu­ ten, kann die partikularistischen Tendenzen der bürgerlichen Gesell­ schaft nicht einfach durch den Verweis auf die sittliche Priorität des allgemeinen Zweckes leugnen. Deshalb kann es nicht die Aufgabe des 111 Rechtsphilosophie §189. 242

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Staates sein, diese Entwicklung in einer politisch-historischen Re­ gression verschwinden zu machen - und den die bürgerliche Gesell­ schaft bestimmenden Individualismus zurückzudrängen.112 Das dia­ lektische Schema, dem die Entwicklung des Begriffs - und damit die Verwirklichung der Idee - gehorcht, verlangt vielmehr nach einer Aufhebung der partikularistischen Freiheit. Und genau dieses Ver­ hältnis zur - individuellen - Freiheit kennzeichnet den modernen Staat. Der moderne Staat zeichnet sich dadurch aus, daß er es >dem Prinzip der Subjektivität erlaubt, »sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit« zu vollenden; allein, der Staat ist erst Staat, weil es ihm zugleich gelingt, dieses Prinzip »in die substantiel­ le Einheit zurückzuführen«.113 Von Ferne erinnert diese Beschreibung des modernen Staates durch Hegel an die bürgerliche Gesellschaft; die Entwicklung des subjektivistischen Prinzips und die Rückführung in die substantielle Einheit ist tatsächlich dem Strukturprinzip der bürgerlichen Gesell­ schaft verwandt. Dort allerdings, im »System der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit«114 konnte die Einheit nur als bewußtlose Notwendigkeit vorgestellt werden, »als Notwendigkeit, daß das Be­ sondere sich zur Form der Allgemeinheit erhebe, in dieser Form sein Bestehen suche und habe.«115 Erst im Staat wird diese Einheit als Einheit der Freiheit gedacht. Das System der Bedürfnisse dagegen kennt die Einheit nur als mehr oder weniger unbewußten Zusam­ menhang der Bedürfnisbefriedigung. Unter diesen Umständen kann das Allgemeine immer nur Mittel, nie Zweck sein. Die Subjekte der bürgerlichen Gesellschaft werden allerdings - das ist die Funktion der Bildung - zur Freiheit und zur Allgemeinheit erzogen. Damit ist der - subjektive - Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat bezeichnet. Bildung erscheint als »Durchgangspunkt« zwischen der »Natureinfalt« und der »zur Gestalt der Allgemeinheit erhobe­ nen unendlichen subjektiven Substantialität der Sittlichkeit«.116 Die Arbeit der Bildung besteht in der Schleifung der Unmittelbarkeit und Einzelnheit, in der Schleifung der Partikularität; ihr Ziel ist das Ob­ 112 »Das besondere Interesse soll wahrhaft nicht beiseite gesetzt oder gar unterdrückt, sondern mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung gesetzt werden, wodurch es selbst und das Allgemeine erhalten wird.« (Rechtsphilosophie §261, Anm.) 113 Rechtsphilosophie §260. 114 Rechtsphilosophie § 184. 115 Rechtsphilosophie §186. 116 Rechtsphilosophie §187. ^

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jektivwerden der Subjektivität. Das erreicht die bürgerliche Gesell­ schaft doppelt: bewußtlos durch die marktförmigen Verschränkun­ gen, in denen die Subjekte im System der Bedürfnisse leben, bewußt durch den institutionalisierten Komplex der Menschenerziehung. Die Arbeit der Bildung wird von Hegel allererst negativ be­ schrieben; sie ist ein Kriegszug »gegen die bloße Subjektivität des Benehmens, gegen die Unmittelbarkeit der Begierde sowie gegen die subjektive Eitelkeit der Empfindung und die Willkür des Belie­ bens.«117 Die Feindschaftserklärung der Vorrede zur >Rechtsphilosophie< gegen die subjektivistischen Tendenzen der Aufklärung, die als Empfindsamkeit und Romantik Epoche geworden sind, hinterläßt in der Rechtsphilosophie allenthalben Spuren. Hegel hebt den Begriff der Bildung als einen zentralen Begriff der bürgerlichen Gesellschaft hervor, um die Grenzen des Subjektivismus zu verdeutlichen. Hier geht es nicht um die Autonomieansprüche des Subjektes gegen eine starre Objektivität, die als Heteronomie erfahren würde. Hegel ver­ sucht, die Bildung des Subjekts als Etappe der Verwirklichung der Idee zu deuten. Dadurch verliert die Bildung zwar nicht ihren Schrecken und ihre Gewaltsamkeit, aber sie gewinnt eine philosophi­ sche Dignität, der gegenüber diese Schrecken kaum zählen können. Die Aufgabe der Bildung besteht nicht in der Auslöschung der Subjektivität, sondern darin, die Subjektivität objektiv zu machen. Der Prozeß der Bildung zielt auf >verständige< Subjektivität.118 Das >Prinzip der modernen Staaten< besteht - anders als das der antiken Staaten - nicht bloß in der >Rückführung< des Prinzips der Subjekti­ vität »in die substantielle Einheit«, sondern allererst in der >Vollendung< des Prinzips der Subjektivität als selbständiges Extrem der persönlichen Besonderheit«119 Hegel wird später das Prinzip der Sub­ jektivität in der staatsrechtlichen Institution des Monarchen ver­ wirklicht sehen wollen. Die Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft aber legt es nahe, dieser merkwürdigen Deutung nicht zuviel Ge­ wicht beizumessen. Mit ihrer Hilfe, so scheint es, versucht Hegel sein liberales Erbe zu vertuschen. Den Staat als »die Wirklichkeit der kon­ kreten Freiheit« zu deuten, heißt dagegen allererst, die >persönliche Freiheit und das besondere Interesse< der Einzelnen anzuerkennen und damit das Prinzip der Subjektivität auf alle Bürger anzuwenden, 117 Rechtsphilosophie §187. 118 Rechtsphilosophie §187. 119 Rechtsphilosophie §260. 244

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ohne es allein in der grundlosen, also souveränen Entscheidung des Monarchen verwirklicht zu sehen. Wer diese Parteinahme Hegels übersieht, dem muß der Staat, »die Wirklichkeit der sittlichen Idee« als bloßer Mythos erscheinen.120 Mag das Besondere am Sittlichen seine Wirklichkeit haben: Das Sittliche existiert nur im Schein des Besonderen.121 Da Hegel die Freiheit zur Leitkategorie seiner modernen politischen Philosophie der Sittlichkeit erhoben hat, ist von Anbeginn eine Parteinahme auch für die subjektive Dimension des politischen Lebens getroffen. Nur in der Subjektivität, im subjektiven Willen kann die Idee der Freiheit tatsächlich existieren.122 Nichts ist unangemessener als der Versuch, Hegel kurzerhand als anti-modernen Denker zu deuten, der die Ent­ faltung der Individualität unters Joch des Allgemeinen beugen woll­ te.123 Tatsächlich wird der Staat Hegels die Garantie der Besonderheit zu einem Zwecke des Allgemeinen erheben. So wird Hegels Rechts­ philosophie als politische Philosophie gegen jede restaurative Vereinnahmung immunisiert. Im Staat muß das individualistische Erbe der Willensphilosophie um der Freiheit willen behütet werden, ohne den institutionenfeindlichen Tendenzen des Partikularismus Raum zu gewähren, die die Existenz des Staates bedrohen würden. Ob Hegel dieses Projekt gelingt, mag dahingestellt sein. Man hat gegen die marxistische Hegelnahme versucht, Hegel als Stern des Liberalismus zu deuten.124 Doch diese Interpretation bewertet den Stellenwert der liberalen Elemente in Hegels Theorie unangemessen. Erst die Einordnung der liberalen Elemente in das Konzept der Sittlichkeit eröffnet den Weg zu einer angemessenen Deutung; die liberalen Elemente sind die Ergebnisse des historisch­ logischen Prozesses, in dessen Verlauf die Vernunft sich offenbart. Die epistemologische und moralische Priorität des Individuums ist 120 Rechtsphilosophie §257. 121 Rechtsphilosophie §154. 122 Rechtsphilosophie §106. 123 Wenn Düsing unter Verweis auf § 144 der >Rechtsphilosophie< behauptet, daß Hegel keine eigenständige Geltung des Prinzips von Individualität und Subjektivität anerken­ ne, dann ist das nur insofern richtig, als Hegels Konzept der Sittlichkeit immer das Ineinander von Subjektivität und Objektivität denkt. Doch gerade die Deutung der bürgerlichen Gesellschaft belegt, in welchem Maße Hegel - gegen Rousseau - das Prin­ zip der Individualität als ein Moment der Sittlichkeit deutet, dem insofern durchaus eigenständige Geltung zukommt. (Politische Ethik bei Plato und Hegel, S. 144ff.) 124 Vgl. zu dieser Tendenz und ihrer Kritik Ottmann, Individuum und Gemeinschaft, S. 261 ff., besonders S. 299ff. zu Joachim Ritters schulprägender Deutung. ^

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Hegels Theorie so fremd wie die Gegenüberstellung von Einzelnem und Staat, die die liberale Diskussion kennzeichnet. Diese Gegen­ überstellung kann nur gedacht werden, solange der vorstaatliche Ur­ sprung der individuellen Rechte einerseits behauptet wird und solan­ ge die Verselbständigung der politischen Institutionen als das Monster der Heteronomie gefürchtet wird. Wenn man den Aufbau der >Rechtsphilosophie< betrachtet, dann könnte es scheinen, als ob auch Hegel die Existenz vorstaatlicher Rechte in Betracht ziehe. Doch Hegel benutzt die Elemente und die Struktur der neuzeitlichen Poli­ tischen Philosophie nur, um sie neu zu interpretieren. Das System des abstrakten Rechts ist allererst als eine begriffliche Entfaltung der Idee des Rechts zu verstehen - und ganz sicherlich nicht als ein Bericht über den vorstaatlichen Ursprung des Rechts. Erst der Auf­ bau des Abschnittes über die Sittlichkeit stellt die völlige Abkehr vom Naturrecht in seiner liberalen Deutung vollends heraus. Der Verzicht auf jede Reflexion über den Naturzustand einerseits, das dialektische Verhältnis von bürgerlicher Gesellschaft und Staat an­ dererseits verhindert jede liberale juridische Interpretation des Staates.125 Hegel bestimmt die bürgerliche Gesellschaft als »Not- und Ver­ standesstaat«126 und macht damit deutlich, daß die bürgerliche Ge­ sellschaft zwar als >status< bezeichnet werden könnte, aber nie als Staat. Dieser Begriff sollte in seiner Fülle einem anderen Phänomen vorbehalten bleiben. Die bürgerliche Gesellschaft, bestimmt durch die Entfaltung der besonderen Zwecke und deren unbewußte Rezi­ prozität, kann ihre eigenen Grundlagen nicht garantieren. Deshalb zielt die Verwirklichung der Vernunft in der bürgerlichen Gesell­ schaft logisch auf den Staat als auf ihren Zweck und ihre Substanz.127 125 Erstaunlicherweise interpretiert die Rechtsphilosophie Hegels das Verhältnis von Einzelnem, bürgerlicher Gesellschaft und Staat gerade nicht nach dem Modell des Rechts, sondern nach einem Modell des Interesses. Hegel stellt das Moment des Zwekkes heraus. Nicht die Rechte des Einzelnen werden im Staat geltend gemacht, sondern seinen Zwecke, seine Interessen. Es scheint, als ob Hegel selbst in der >Rechtsphilosophie< dem liberalen Pathos des Rechts mißtraute und an seiner Stelle der Nützlichkeits­ erwägung des Interesses und der Handlungslogik des Zweckes vertraut. 126 Rechtsphilosophie §183. 127 »Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerli­ chen Gesellschaft ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze, sowie ihre Interessen untergeordnet und davon ab­ hängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Allgemeinheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Indivi­ 246

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Bei aller begrifflich-logischen Selbständigkeit des Staates: Hegel hat immer auch jenes Moment im Auge, da der Staat als Garant der besonderen Zwecke der vielen Einzelnen erscheint. Gegen die theo­ retischen Aufregungen, die seit der französischen Besetzung die deutsche politische Philosophie heimsuchen, macht Hegel denn auch als Patriotismus >das Zutrauen, das Bewußtseim aus, »daß mein sub­ stantielles und besonderes Interesse im Interesse eines Anderen (hier des Staats) als im Verhältnis zu mir als Einzelnem bewahrt und ent­ halten ist«.128 Dieses liberale Motiv also fehlt auch in Hegels Philoso­ phie des Staates nicht.129 Der gegen Hegel gerichtete Vorwurf der Vergottung des Staates übersieht, daß auch der Staat >Not- und Verstandesstaat< ist. Aber eben nicht nur; darüber hinaus ist er die Per­ spektive bewußter Entfaltung der Idee der Freiheit. Der Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat ent­ behrt jeglichen quasi-historischen Charakters. »Der wissenschaft­ liche Beweis des Begriffs des Staats« behauptet die Priorität des Staa­ tes vor den Institutionen der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit, Familie und bürgerliche Gesellschaft. Der Staat ist »das Erste«, »in­ nerhalb dessen sich erst die Familie zur bürgerlichen Gesellschaft ausbildet, und es ist die Idee des Staates selbst, welche sich in diese beiden Momente dirimiert.«130 Den Staat als »Grund« von bürger­ licher Gesellschaft und Familie zu behaupten, ersetzt die Evidenz einer pseudo-empirischen Argumentation - an der schon Kant An­ stoß genommen hatte - durch die Entwicklung des Begriffes aus der Idee der Freiheit. Der Weg von »der unmittelbaren Sittlichkeit der Familie durch die Entzweiung der bürgerlichen Gesellschaft hindurch duen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben.«(Rechtsphilosophie §261) 128 Rechtsphilosophie §268. Hegel versucht in der Rechtsphilosophie durchweg, die ra­ tionalitätshistorische Argumentation - der Staat ist die verwirklichte Idee von Vernunft und Freiheit - durch eine utilitaristische Argumentation zu stützen. Doch diese Nützlichkeitserwägungen sind nicht bloß die Knechte einer glanzvollen Herrin, der Idee der Vernunft. Hegels Parteinahme für die Moderne deutet ja gerade das Hervortreten der selbstsüchtigen Zwecke< (Rechtsphilosophie §183) als einen Aspekt der Verwirk­ lichung der Idee der Freiheit. Deshalb können die Nützlichkeitserwägungen, deshalb kann die utilitaristische Argumentation in die rationalitätshistorische geborgen werden. 129 Ottmanns, gegen eine exzessiv-liberale Deutung Hegels gerichtete Behauptung, He­ gel könne nicht liberal genannt werden, weil der Staat »nicht mehr die Protektion des Einzelnen und seiner Sicherheit zum Zweck hat«, bürstet Hegels Argumentation inso­ fern recht grob. (Individuum und Gemeinschaft, S. 315) 130 Rechtsphilosophie §256, Anm. ^

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Freiheit und Sittlichkeit

zum Staate«, erweist, so Hegels Mystik, den Staat als das Resultat, das »wahrhafter Grund« ist.131 Die Spuren der aristotelischen politi­ schen Teleologie sind unübersehbar: die Priorität der polis sowohl vor den anderen Gestaltungen der Gemeinschaft als auch vor den Indivi­ duen, die Ursprünglichkeit des Ganzen vor seinen Teilen132, das sind die Topoi des klassischen Naturrechts. Hegel greift den Gedanken der Ursprünglichkeit des Staates in logischer und politischer Hinsicht auf; so kann der Staat als das die Verwirklichung der Idee der Freiheit bestimmende Telos ebenso wie als die Grundlage der empirischen politischen Phänomene gelten. Diese Doppelung macht das politisch­ philosophische Konzept des Staates unverwundbar. Nicht bloß stellt der Staat die empirischen Grundlagen sicher, auf denen sich die persönliche Freiheit und die besonderen Zwecke der vielen Einzelnen in der bürgerlichen Gesellschaft entwickeln können; zugleich geht er, als vollendete Verwirklichung der Idee, den Institutionen der zer­ splitterten Sittlichkeit voraus. Diese Verbindung aus dialektischer Logik, politischer Teleologie und quasi-liberaler Staatszwecklehre ist einzigartig. Sie ist besonders einzigartig, weil sie es ermöglicht, den Staat als philosophischen Zweck zu denken und ihn zugleich empirisch - als Mittel erscheinen zu lassen. So kann einerseits dem liberal-utilitaristischen Staatsdenken die philosophische Dignität verwehrt werden, andererseits kann das philosophisch-dialektische Argument durch die liberal-utilitaristische Unterfütterung gestärkt werden. Der zentrale Mangel der bürgerlichen Gesellschaft ist ihre Be­ schränkung auf die Gemeinsamkeit der besonderen Zwecke. Die wahre Allgemeinheit ist der bürgerlichen Gesellschaft versperrt; des­ halb ist der Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat notwendig. Die höhere Wirklichkeit des Staates gegenüber der bür­ gerlichen Gesellschaft ist in der Differenz ihrer Zwecke gegründet. Die bürgerliche Gesellschaft bleibt noch in ihren Bemühungen, das Allgemeine zu verwirklichen und zu erhalten - durch Polizey und Korporation - auf das empirisch Allgemeine beschränkt. Sowohl Polizey als auch Korporation können nur der empirischen Seite des Allgemeinen gerecht werden. Zwar stellen diese Institutionen ge­ genüber dem Markt der bürgerlichen Gesellschaft den Versuch dar, das Allgemeine »zum Zweck und Gegenstand ihres Willens und ihrer 131 Rechtsphilosophie §256, Anm. 132 Vgl. Aristoteles, Politik 1253a. 248

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Die Durchdringung der Zwecke

Tätigkeit« zu machen.133 Allein, diese Bewußtwerdung kann eben nicht als die Verwirklichung der wahren Idee gedeutet werden, weil ihr die wahre Allgemeinheit fehlt.134 Den Staat als »die Wirklichkeit des substantiellen Willens«135 zu bestimmen, bedeutet gegenüber dem Begriff der bürgerlichen Ge­ sellschaft einen Sprung. Der Mythos des Staates wird durch diesen Sprung begründet136 - und ist doch prekärer Natur. Hegels Staat er­ scheint als ein Zwitterwesen: empirisch die Sicherung der Zwecke der Vielen nicht aus den Augen verlierend, idealistisch als die Verwirk­ lichung der Idee der Freiheit gedeutet, changiert die Argumentation Hegels. Daß die empirische Wirklichkeit der besonderen Zwecke sel­ ber im Paradigma der Sittlichkeit gedeutet werden muß, macht Hegel deutlich, wenn er das Wesen des modernen Staates gegen das des antiken hervorhebt. Im modernen Staat nämlich erweist sich die >Vernünftigkeit< »in der durchdringenden Einheit der Allgemeinheit und der Einzelnheit und hier konkret dem Inhalte nach in der Einheit der objektiven Freiheit, d. i. des allgemeinen substantiellen Willens und der subjektiven Freiheit als des individuellen Wissens und seines besondere Zwecke suchenden Willens«.137 Diese »durchdringende Einheit« ist zugleich Maßstab und Garantie der Vernünftigkeit des Staates: erst der Staat eröffnet die Perspektive dieser Durchdringung, indem er die in der bürgerlichen Gesellschaft auseinandergefallenen Elemente der Sittlichkeit versöhnt. Jede positivistische Interpretation des Staates verfehlt die rechtsphilosophische Bestimmung des Staa­ tes durch Hegel. Der Staat wird durch einen sittlichen und philoso­ phischen Mehrwert gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft be­ stimmt. Dieser Mehrwert verdankt sich der Versöhnung der in ihre Extreme zerfallenen Sittlichkeit, die die Institutionen der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft kennzeichnet. Die »sich durchdringende Einheit der Allgemeinheit und Ein133 Rechtsphilosophie §249. 134 Als ein Moment der bürgerlichen Gesellschaft besorgt die Korporation die »Vorsorge gegen die in jenen Systemen (gemeint sind das System der Bedürfnisse und die Rechts­ pflege, A. A.) zurückbleibende Zufälligkeit und die Besorgung des besonderen Inter­ esses als eines Gemeinsamen«. (Rechtsphilosophie §188). Henning Ottmann hat die reflexionslogischen Merkwürdigkeiten des Überganges von der bürgerlichen Gesell­ schaft zum Staat und die besondere Rolle der Korporation analysiert. (Hegelsche Logik und Rechtsphilosophie, S. 387ff.) 135 Rechtsphilosophie §258. 136 Ernst Cassirer, Der Mythus des Staates; vgl. Adam, Souveränität und Sittlichkeit. 137 Rechtsphilosophie §258. ^

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zelnheit« als Bestimmung des Vernünftigen ist keine politische, son­ dern allererst eine philosophische Bestimmung - und zwar die Be­ stimmung der Verwirklichung der Idee. Die politische - für Hegel: die rechtliche - Seite dieser Verwirklichung bestimmt die Einheit von Allgemeinem und Einzelnem als Einheit des substantiellen und be­ sonderen Willens. Die Vernünftigkeit ist nichts anderes als die ent­ wickelte Idee der Freiheit. Wenn die Einheit von Allgemeinheit und Einzelnheit als >sich durchdringend< vorgestellt wird, dann ist damit die Opposition von Allgemeinheit und Einzelnheit aufgehoben; das Allgemeine enthält, um allgemein zu sein, Einzelnheit in sich. Im Allgemeinen macht sich das Recht der Besonderheit geltend. Das ist das Ergebnis von Hegels Versuch, das Konzept der Sittlichkeit gegen­ wartstauglich zu machen. Die Einheit von objektiver und subjektiver Freiheit, das ist die willensphilosophische Bestimmung der Sittlich­ keit selbst. In der rechtsphilosophischen Argumentation des Über­ ganges von bürgerlicher Gesellschaft zum Staat wiederholt sich die Figur des Überganges von der Moralität zur Sittlichkeit; das Un­ genügen an der ganz und gar im Subjekt versenkten Objektivität erfordert die philosophische Argumentation der Selbstbewußtwerdung des Allgemeinen. Doch dieses Allgemeine enthält das Subjekti­ ve selber in sich: nur so kann es auf die Freiheit bezogen gedacht bleiben.138 Weil Hegel die Entwicklung der Idee dialektisch denkt, bleibt kein Raum für eine kulturpessimistische Einschätzung der her­ vortretenden Besonderheit. Deshalb kann die wahre Allgemeinheit sich nicht gegen die Subjektivität geltend machen - sondern nur mit und als Subjektivität. Rousseaus politische Philosophie konnte die Bewunderung der Antike nur schwer mit dem soziologischen Erbe der Gegenwart vermitteln. Er versuchte deshalb, den modernen Indi­ vidualismus selbst - das Produkt einer verfehlten Gesellschaft, wie der >Zweite Diskurs< nahelegt - durch den gesellschaftsbegründen­ den Topos der >alienation totale< zu konterkarieren. Die alienation totale soll den Sprung aus der Moderne in die, mit Hegel zu sprechen, einfache Sittlichkeit der Antike ermöglichen. Barbarisch kann dieser Versuch genannt werden, insofern er gerade kein Versuch der Auf­ hebung ist, sondern einer der Verdrängung. Nach Hegel gelesen, er­ scheint der >Contrat Social< als das Symptom der Moderne, die ihr eigenes Wesen als politisches Trauma erfährt. Die gesellschaftskorro­ dierenden Tendenzen des Individualismus müssen gehemmt werden: 138 Vgl. Petersen, Subjektivität und Politik, S. 96. 250

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das ist eine Bedeutung des Gesellschaftsvertrages und seiner Bedin­ gung, der >alienation totalem

5. Sittlichkeit statt Kontraktualismus Hegels Kampf gegen die Vertragstheorie Die neuzeitliche Politische Theorie kreist um das Problem der Recht­ fertigung des Staates, das heißt um das Problem der Institutionalisie­ rung von Herrschaft. Natürlich war diese Frage nie ganz unbekannt; daß sie immer dann in den Vodergrund drängte, wenn eine bestimm­ te Herrschaftsordnung historisch problematisch wurde, versteht sich von selbst. Dafür stehen die platonischen Erwägungen über die Phi­ losophenherrschaft ebenso wie die Bestimmung zweier Gewalten durch Gelasius, von den mehr oder weniger polemischen Positions­ bestimmungen des Investiturstreites ganz abgesehen. Dem Legiti­ mationsproblem der neuzeitlichen Politischen Philosophie verwandt ist im klassischen Naturrecht die Frage nach der rechten Regierung. Die Revolution der Politischen Theorie beginnt damit, daß die Frage nach der rechten Herrschaft durch die Frage nach deren Begründung ersetzt wird. Man sieht das am deutlichsten bei Thomas Hobbes, des­ sen Theorie der Souveränität die Frage nach der rechten Regierung abwehrt, wie an der eingeschränkten Behandlung der Staatsformen­ lehre deutlich wird.139 Das Problem der rechten Herrschaft wird durch die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Herrschaft ersetzt. Da­ mit aber ist eine Abkehr vom normativen Horizont vollzogen, vor dem einzig die Frage nach der rechten Regierung Sinn ergab. Die Lösung des Legitimationsproblemes durch die Vertrags­ theorien hat für die neuzeitliche Politische Theorie kanonischen Stel­ lenwert erreicht.140 Doch die Lösung des Problemes hat auch neue Probleme erst eröffnet. Auf mehrere dieser Probleme weist Hegel hin. Mit der Figur des Vertrages hat die Politische Theorie eine pri­ vatrechtliche Antwort für ein Problem gefunden, das gerade nicht 139 Vgl. Leviathan XIX, S. 145. 140 Es sollte nicht vergessen werden, daß diese Kanonisierung recht späten Datums ist. Namentlich die deutsche Politische Wissenschaft hat gegenüber den theoretischen Entwürfen eine große Distanz gezeigt - und stattdessen einen empirischen Zugang zum Staat zu pflegen versucht. Vgl. Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Ver­ waltungswissenschaft; Mohammed Rassem, Justin Stagl, Geschichte der Staatsbeschrei­ bung; Petra Gehring, Staatswissenschaftliche Situierungsgesten. ^

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privatrechtlicher Art ist. Tatsächlich bedeutet das Vertragsdenken für die Politische Philosophie einen entscheidenden Umschwung: das Gemeinwesen kann und muß nur dann als durch einen Vertrag be­ gründet gedeutet werden, wenn die Rechte der Einzelnen zum archi­ medischen Punkt des politischen Denkens geworden sind. Wenn der Privatmann - und dafür steht die Fiktion des Naturzustandes - das Erste des politischen Denkens ist, dann muß die Existenz des Ge­ meinwesens gerechtfertigt werden, weil und insofern es dem Einzel­ nen Freiheitsbeschränkungen auferlegt. Eine solche Rechtfertigung ist im Rahmen des klassischen Naturrechts sinnlos, weil - aristote­ lisch gesprochen - das Gemeinwesen überhaupt erst der Ort ist, in und an dem sich das Wesen des Einzelnen entfalten kann. In gewisser Weise greift Hegel also eine Position des klassischen Naturrechts auf, wenn er gegen die angebliche Negativität des Kantschen Rechts­ begriffes - die Beschränkung der Freiheit -141 das Recht als Realisie­ rung der Idee der Freiheit deutet. Diese pathetische Fassung des Rechts greift im Grunde genommen eine aufklärerische Position auf: diejenige nämlich, daß der Mensch sich seine Welt so gestalte, daß ihm in ihr das Bild seiner Freiheit begegne. Hegels Rechtsphilosophie bildet als entwickelte Philosophie der Freiheit ganz ohne Zweifel den Gipfel einer Politischen Philosophie der Aufklärung. Das Recht als die entwickelte Idee der Freiheit zu bestimmen, heißt jedoch vom fundamentalistisch-kritischen Gestus der Aufklärung ebenso Abschied zu nehmen wie vom naturrechtlich begründeten individualistischen Vorbehalt der liberalen Theorien des Staates. An die Stelle des ersteren tritt das Vertrauen in die Wirklichwerdung des Vernünftigen142; an die Stelle des zweiten tritt eine Umkehrung der Rangordnung, die sich letztlich in der Pflicht zum Staat artikuliert.143 Der individualistische Vorbehalt ist ein zentraler Topos der Politischen Theorie der Neuzeit; er bildet den Schutzman­ 141 Vgl. Rechtsphilosophie §29. 142 Dieses Vertrauen kann ganz sicher nicht als die reaktionäre Zustimmung zum status quo gedeutet werden. Allein die Bedingungen der Kritik an den Sitten und Gebräuchen werden verschärft. Der Wert des Konzeptes der Sittlichkeit beruht insofern nicht zuletzt darin, die liberalistisch begründete politische Anspruchstruktur umzukehren. Daß das Epigramm der Vorrede allerdings auch im Sinne eines kritischen Prinzipes gelesen wer­ den kann und muß, steht außer Zweifel. 143 »Diese substantielle Einheit (des Staates) ist absoluter unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, sowie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staats zu sein.« (Rechtsphilosophie §258) 252

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tel der Subjektivität. Man mag diesen Vorbehalt moralisch aus­ führen, man mag ihn aus der Struktur der Rechte und Interessen ableiten, immer kündet er vom prinzipiellen Vorrang des Einzelnen gegenüber dem Gemeinwesen. Dieser Vorrang wird in der Theorie von der vertraglichen Begründung des Gemeinwesens auf den Be­ griff gebracht. Der Staat ist nichts anderes als eine Veranstaltung von Einzelwillen, eine mehr oder weniger zufällige dazu. Die ontolo­ gische Fundierung des Gemeinwesens der aristotelisch-thomistischen Tradition verliert ihre Glaubwürdigkeit und ihre legitimatorische Kompetenz. Gegen den von Aristoteles beschworenen Primat des Ganzen vor den Teilen setzt das neue Naturrecht die individuali­ stische Anarchie des Naturzustandes. Das Erste, das Prinzip aller po­ litischer Gestaltung ist nicht eine immer schon vorherrschende Ord­ nung, die alle umfaßt. Der Einzelne und seine naturalistische Interessensstruktur sind das Erste des neuen Naturrechts. Noch für Rousseaus Entwurf des Gesellschaftsvertrages - für Hegel die entscheidende Herausforderung im Traditionsbestand der Politischen Theorie - bildet das Interesse des Einzelnen das einzig verläßliche Fundament einer jeden (Be-)Gründung des Staates. Diese individualistische Begründung des Staates, die aus den Prämissen des Naturrechts abgeleitet wird, setzt die selbstverständliche Legitimität des Interesses voraus. Daß aus dem Interesse des Einzelnen ein Rechtsanspruch abgeleitet werden kann, stellt die wahre Revolutionierung des Naturrechts dar. Die Rede vom Gesellschaftsvertrag - als eines Modelles zur Begründung des Staates - bündelt den metho­ dischen Individualismus, d. h. den erkenntnistheoretisch begründe­ ten Atomismus mit einer interessenslogischen Argumentation. Das macht die entscheidende Stärke des modernen vertragstheoretischen Argumentes aus. Aber auch, wie Hegel - im Gefolge Kants, wenn­ gleich auf anderem Wege - zeigen wird, seine Schwäche. Denn unter den Bedingungen einer individualistisch-utilitaristischen Begrün­ dung des Staates wird der Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und Staatlichkeit, zwischen Ethos und Polis gekappt. Die Effekte dieses Schnittes machen sich im institutionenfremden Moralismus ebenso geltend wie in der Amoralität des Politischen. Hegels ganze Anstren­ gung gilt dagegen in der Rechtsphilosophie dem Versuch, nach die­ sem epochalen Bruch den Staat als »die Wirklichkeit der sittlichen Idee« zu deuten.144 Und zwar weder als Wieder-holung einer einsti­ 144 Rechtsphilosophie §257. ^

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gen einfachen Identität des Sittlichen, die die antike Polis gekenn­ zeichnet hat, noch in der Form einer modernen moralischen Durch­ dringung des Staates. Hegels politische Theorie der Freiheit schließt an Elemente der modernen Vertragstheorie an; zugleich aber behauptet Hegel, daß die kanonischen Deutungen dieser Elemente eine Theorie des Staates gar nicht erlauben. Die klassische Vertragstheorie deutet den Staat als eine Veranstaltung vieler Einzelner, die aus freiem Willen darin über­ einkommen, sich zusammenzuschließen, um einem Interesse gerecht zu werden, das sie anders nicht befriedigen könnten. Da die Vertrags­ theorien den Staat als aus der Freiheit geboren beschreiben, stehen sie an der Spitze des philosophischen Fortschritts. Allerdings, so He­ gel, handelt es sich kaum um philosophische Theorien des Staates, denn die Genese des Staates wird auf Gedeih und Verderb an die Willkür der Einzelnen gebunden. Eine philosophische Theorie des Staates aber muß dessen Existenz aus der Idee der Freiheit ableiten.145 Die Idee der Freiheit hat in der Willkür nur eine defizitäre Verwirk­ lichung. Den Staat aus der Idee der Freiheit entwickeln, heißt für Hegel demgegenüber eine aus dem Begriff der Sache notwendige Entfaltung. Rousseau, Hegels Gewährsmann für die Vertragstheorien, kommt nach Hegel das Verdienst zu, den Willen als das Prinzip des politischen Zusammenschlusses thematisiert zu haben.146 Und zwar sowohl für dessen Entstehung als auch für dessen Fortbestand. Doch gerade das Prinzip >volonte< hindere Rousseau an einer philosophi­ schen Entwicklung des Staates. Wer den Willen des Einzelnen zum Ausgangspunkt des Staatsdenkens macht, der trägt zwar dem Gedan­ ken der Freiheit Rechnung. Allerdings bleibt dieses Denken im Netz der Kontingenz gefangen. Der Staat bleibt so ein Resultat des Zufalls; selbst die Theorie des Naturzustandes kann nur in einer philosophi­ schen Schwundform die Notwendigkeit des Staates behaupten. Nun könnte man für Rousseau geltend machen, daß die Konstruktion des Gesellschaftsvertrages sich a posteriori in einem philosophischeren Sinne geltend macht, denn die Intention dieser Konstruktion zielt ganz ohne Zweifel allererst auf den Progreß der Freiheit. Weil Hegel 145 Das Kantsche Erbe ist unübersehbar; Hegel greift die wesentlichen Elemente von Kants Kritik an der Verwendung des Vertragsmodelles zur Begründung des Staates auf und folgt ihm auf dem Weg zu einer Begründung des Staates aus der Idee der Vernunft. 146 Rechtsphilosophie §258. 254

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jedoch Rousseau in der Tradition einer individualistischen Deutung der Freiheit stehen sieht - die ihre Wurzeln hei Hohhes und Locke hat kann der >Contrat Social< nicht als das Vorhild einer philosophi­ schen Theorie des Staates gelten. Die politische Theorie des Vertrages taugt für Hegel wie für Kant kaum als Fahel. Die Idee des Staates aus der Fiktion seines hi­ storischen Ursprunges zu deuten, ist ein groteskes Mißverständnis, denn: »Die philosophische Betrachtung hat es nur mit dem Inwendi­ gen von Allem diesem, dem gedachten Begriffe zu tun.«147 Die Reden üher den Ursprung des Staates sind weder philosophisch ergiehig, noch sind sie für einen wirklichen Staat von Bedeutung. Denn dessen Autorität legitimiert sich nicht aus der Rede üher seinen Ursprung, wie die Vertragstheorie vorgiht, sondern »aus den Formen des in ihm gültigen Rechts«.148 Diese Wendung ist hedeutsam genug: gegen die vertragstheoretische Legitimierung des Rechts aus der Fiktion von der Entstehung des Staates setzt sie die scheinhar selhstreferentielle Legitimierungsleistung des Rechts. Das Recht wird nicht aus der Au­ torität ahgeleitet: die Autorität legitimiert sich umgekehrt am Recht, »insofern sie sich auf Gründe einläßt«.149 Diese Wendung suggeriert, daß kein Staat Rechenschaft üher die Gründe seiner Autorität ahle­ gen muß, denn es giht keine Instanz, vor der sich ein Staat rechtfer­ tigen müßte. Indem Hegel den Begriff des Staates im Paradigma der Sittlichkeit entwickelt, werden die Fragen nach Gründung und Be­ gründung staatlicher Autorität, also die Fragen nach der Legitimität im klassisch-modernen Sinne ohsolet. Dem Druck der philosophi­ schen Reflexion, so Hegels Lehre, hält die neuzeitliche Legitimitäts­ diskussion nicht stand. Hegels Angriff auf die vertragstheoretische Erklärung des Staa­ tes anerkennt durchaus deren freiheitlichen Gestus; aher er macht mehr noch deren hegründungstheoretische Defizite geltend. Die in­ dividualistische Tradition der Vertragstheorien erheht eine Vielzahl individueller Willensakte zum Urheher des Staates. Hegels Kritik der Vertragsdenkens - ohwohl das Prohlem der Kontingenz ihr Fun­ dament hildet - äußert sich als das Prohlem, die Identität des All­ gemeinen mit dem Gemeinschaftlichen zu denken. Schon im Para­ graphen 75 der >Rechtsphilosophie< wurde dieses Prohlem angeführt. 147 Rechtsphilosophie §258. 148 Rechtsphilosophie §258. 149 Rechtsphilosophie §258. ^

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Der Vertrag, dieses zentrale privatrechtliche Paradigma des Tausches, taugt nicht zur Übertragung auf nicht-privatrechtliche Verhältnisse. Der Vertrag ist eine Willensäußerung (zweier) einzelner Personen, deshalb ist »der identische Wille, der durch den Vertrag ins Dasein tritt, ein durch sie gesetzter, somit nur ein gemeinsamer, nicht an und für sich allgemeiner«.150 Aus der vertraglichen Begründung des Staa­ tes läßt sich wahre Allgemeinheit nie erweisen. Solange der Staat vertraglich begründet vorgestellt wird, bleibt er eine Vereinigung wie jede andere. Die Durchdringung von Besonderheit und All­ gemeinheit, die das Wesen des neuzeitlichen Staates nach Hegel kennzeichnet, kann nicht aus der Gemeinsamkeit verschiedener zu­ fälliger Willenserklärungen abgeleitet werden. Der >Contrat Sociab, so Hegel, setzt vergebens darauf, die vernünftige Allgemeinheit des Staates aus einer an der privatrechtlichen Figur des Vertrages orien­ tierten Urszene ableiten zu können. Das Paradigma des Vertrages taugt zur Beschreibung der Übertragung von Eigentum, doch darum handelt es sich beim Staate nicht. Die Differenz zwischen dem gemeinschaftlichen Willen und dem allgemeinen Willen, zwischen Gemeinsamkeit und Allgemein­ heit, betont Hegel, um die Vernünftigkeit des Staates gegen die Willkür der Einzelnen zu behaupten. Denn die im Vertrag themati­ sierte Gemeinsamkeit ist nichts anderes als die Gemeinsamkeit selbstsüchtiger Zwecke. Wenn Rousseau den Staat auf einen Vertrag gründet, dann heißt das mit Hegels Worten nichts anderes als eine bewußte Begründung der bürgerlichen Gesellschaft. Der Rousseau Hegels scheitert also am zentralen Moment seiner Politischen Theo­ rie; genau dort, wo er gegen Locke und Hobbes eine pathetische Vernünftigkeit des Staates geltend machen möchte. Da Hegels Be­ griff des Allgemeinen für die Verwirklichung des Vernünftigen steht, muß Hegel, wie schon Kant, von den empirischen Zwecken der Ein­ zelnen absehen, die das Fundament einer jeden vertraglichen Be­ gründung des Staates bilden. Noch Rousseaus >Contrat Sociab ver­ suchte, die Identität von Interesse und Gerechtigkeit im und durch den Vertragsschluß zu behaupten. Der flimmernde Begriff der >vo150 Rechtsphilosophie §75. Mit dieser Bemerkung wird Rousseaus Versuch, eine meta­ empirische >volonte generalec des politischen Körpers gegen die in der >volonte de tousc summierten empirischen Einzelinteressen zu bestimmen, in die Traditionslinie zurück­ verwiesen, die bei Hobbes ihren Ausgang nimmt. Hegel deutet Rousseau ganz nach der Logik der Interessen; den argumentativen Überschuß des >Contrat Socialc gegenüber dieser Tradition, den Kant deutlich gesehen hat, ignoriert Hegel beharrlich. 256

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lonte generale< spielt eine zentrale Rolle, weil sich in ihm die klassi­ sche vertragstheoretische Logik des Interesses mit dem Glauben an die Identität des Gemeinschaftlichen mit dem Allgemeinen vereinigt. Gerade dieser Glaube jedoch an die Vernünftigkeit des Gemein­ schaftlichen ist für Hegel durch nichts zu begründen, da er auf die Identität der empirischen Zwecke der vielen Einzelnen mit der Ver­ nunft setzen muß. Diese Hoffnung wäre nun solange nicht proble­ matisch, wie der Begriff der Vernunft selbst an der Logik der Inter­ essen nur ausgerichtet wäre, wie das die klassische Vertragstheorie eines Hobbes und Locke zeigt. In dem Moment jedoch, da der Begriff der Vernunft mehr meint als das bloß kalkulierbar Vernünftige der Lebensinteressen, wird die Ableitung des Vernünftigen aus den em­ pirischen Zwecken der vielen Einzelnen problematisch. Hegels Kritik an dieser Ableitung beharrt denn auch umgekehrt gerade auf der Differenz zwischen der Verwirklichung der Vernunft und der, mit Rousseau zu sprechen: >Aggregation< der empirischen Zwecke im staatsgründenden Vertrag. Das Vertrauen in die Wirkung der unsichtbaren Hand, obwohl dieses Konzept im Hintergrund des argumentativen Zusammenhan­ ges der bürgerlichen Gesellschaft mitgedacht wird, kann für die Be­ gründung des Staates nicht geltend gemacht werden. Denn hier kommt es gerade auf die selbstbewußte Verwirklichung des Geistes an. Insofern wäre eine vertragstheoretische Lösung des Begründungsproblemes des Staates auch nicht ganz abwegig. Doch dabei stößt sich Hegel an der Kontingenz der empirischen Zwecke. Ein Ver­ trag, so Hegel, hat eben die »Willkür, Meinung und beliebige, aus­ drückliche Einwilligung zur Grundlage«.151 Wer auf dieses Fun­ dament den Staat gründen möchte, der baut auf Sand; er verfällt dem Schein der Freiheit, den die Vertragstheorien ausstrahlen. Es ist jedoch, auch wenn Hegels starke Formulierung das suggerieren könnte, weniger das Problem der >Zerstörung des an und für sich seienden Göttlichen und dessen Autorität und MajestätRechtsphilosophie< zu markieren - für das philosophische Argument spielt dieser Hinweis keine große Rolle. Denn tatsächlich schränkt 151 Rechtsphilosophie §258. 152 Rechtsphilosophie §258. ^

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Hegel diese auf die französische Revolution gemünzte Kritik sofort ein: daß eine Verfassung auf den Gedanken gestellt werde, entspricht ohne Zweifel Hegels Argumentation; die französische Revolution hat allerdings leider nur die Schwundform der Vernunft zur Basis des Staates gemacht, »das vermeinte Vernünftige«, »ideenlose Ab­ straktionen«.153 Die Vernunft zur Grundlage des Staates machen, heißt von den empirischen Zwecken der vielen Einzelnen ebenso Abstand zu neh­ men wie von konstruktivistischen Gedankenspielen, die eher von der Hybris des Menschen als von seiner Vernunft Zeugnis ablegen. He­ gel wird nicht müde, die Ambivalenz des vertragstheoretischen Ar­ gumentes anzuprangern. Indem das Vertragsmodell vom naturrecht­ lichen Gedanken eines Sozialitätstriebes Abschied genommen hat, hat es den Staat auf die Basis des Gedankens und der Freiheit gestellt. Von Rousseau wird gesagt, er habe »so überhaupt den Grund gelegt, daß über den Staat gedacht worden ist.«154 Rousseau hat die Tür zu einer Deutung des Staates aus der Vernunft geöffnet und diese Tür doch sogleich wieder verschlossen. Denn der Wille des Einzelnen ent­ behrt »in seiner Punktualisierung«155 ebenjener allumfassenden Ver­ nunft, die doch die wahre Grundlage des Staates ist. Weil der einzel­ ne Wille »die substantielle Grundlage und das Erste« sein soll156, reißt das vertragstheoretische Argument eine unsinnige Kluft zwi­ schen der Subjektivität der empirischen Zwecke und der Objektivität der im und als Staat sich verwirklichenden Vernunft auf. Den Willen zur Grundlage des Staates zu erheben, findet Hegels vollste Zustimmung; die individualistisch-willkürliche Interpreta­ tion des Willens allerdings läßt das vertragstheoretische Argument nicht bloß im Hinblick auf eine philosophische Begründung schei­ tern, sondern - wie Hegel mit Blick auf die Ereignisse der französi­ schen Revolution immer wieder betont - zugleich »in der Wirklich­ keit Erscheinungen (hervorbringen), deren Fürchterlichkeit nur an der Seichtigkeit der Gedanken, auf die sie sich gründeten, eine Par­ allele hat.«157 Die individualistisch-willkürliche Begründung des Staates entzieht dem Staat in genau dem Maße jede Grundlage, in 153 154 155 156 157 258

Rechtsphilosophie §258. Hegel, Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 212f. Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 213 Rechtsphilosophie §29, Anm. Rechtsphilosophie §29, Anm.

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dem sie ihn zu begründen vorgibt. Hegels Argumentation steht auf den Schultern des vertragstheoretischen Argumentes; und doch läßt er seinem Gewährsmann Rousseau kaum Gerechtigkeit widerfahren. Denn gerade Rousseau hat die Problematik der willentlichen Be­ gründung des Staates deutlich gesehen - und damit auch die Proble­ matik des vertragstheoretischen Argumentes insgesamt. Deutlich genug ist die Wendung des >Contrat Social< gegen die individuali­ stisch-utilitaristische Tradition des Vertragsdenkens - auch wenn Rousseau nicht auf die Evidenz der Argumente dieser Tradition für eine Legitimation des Staates verzichtet. Rousseaus Argumentation visiert, wie unvollkommen auch immer, umgekehrt gerade die Auf­ hebung der subjektiven Zwecke in der volonte generale - und bildet so jene Argumentation vor, die Hegel später gegen ihn ausführen wird. Hegel betreibt eine Aufklärung der Aufklärung, indem er das Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen mit seinen Worten phi­ losophisch zu bestimmen sucht. Will er den Staat, ganz in der auf­ klärerischen Tradition, in der Freiheit gründen, so muß Hegel jetzt die Freiheit neu bestimmen. Das aufklärerische politische Denken hatte die Gleichheit als Allgemeinheit zum Probierstein der Recht­ mäßigkeit politischer Ordnung erhoben - ob nun in Rousseaus Be­ stimmung der volonte generale oder in Kants Bestimmung des Urvertrages. Hegel hält an diesem Projekt fest, verschiebt jedoch den Begriff der Allgemeinheit und seine Funktion. Allgemeinheit ist jetzt nicht mehr die bloße Abstraktion von den Besonderheiten. All­ gemein heißt jetzt der freie Wille, der sich selbst »zu seinem Inhalte, Gegenstand und Zweck hat«.158 In dieser Bestimmung wird der freie Wille zur >wahrhaften IdeeSubstanz, der immanenten Gattung oder immanenten Idee des SelbstbewußtseinsAtomistik< abgelegt, ist nach einem notierten Zusatz »geistlos«.163 Dem Sittlichen und dessen Objektivierungen, d.h. dessen Institutionen, kann es nie ge­ recht werden, denn diese sind nicht bloße »Zusammensetzungen«, sondern die »Einheit des Einzelnen und Allgemeinen«.164 Eben diese Einheit aber läßt sich nicht aus der Willkür der Einzelnen begründen, sondern nur aus der notwendigen Entwicklung des Begriffes und sei­ ner Verwirklichung. Das Konzept der Sittlichkeit vollzieht die Ab­ kehr von der konstruktivistischen und der individualistischen Per­ spektive zugunsten einer idealistischen, vernunftgeschichtlichen Perspektive. Hegels Sicht auf die klassische Vertragstheorie vernachläßigt die immer schon betonte Vernünftigkeit der Staatsgründung und betont stattdessen deren Willkür und die Abhängigkeit von den empirischen Zwecken der vielen Einzelnen. Statt auf die argumentativ unzuver­ lässige Willkür der Einzelnen setzt Hegel ganz auf die Selbstentfal­ tung der Vernunft: »Der an und für sich seiende, vernünftige Wille ist es, was im Staat zu seiner Realität kommt. Dieser ist gar nicht in der Willkür begründet, sondern diese ist es gerade, die darin unter­ gehen soll. Die Staaten sind vielmehr als durch die Gewalt der Ver­ nunft entstanden zu betrachten.«165 Der Versuch der Vertragstheo­ rien, um einer sicheren Begründung staatlicher Autorität willen einerseits, um der Befolgung des aufklärerischen Autonomieimpera­ tives willen andererseits, eine Urszene des Staates zu erzählen, wird der Idee des Staates nicht gerecht, insofern dieser als Einheit von 162 163 164 165

Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 82. Rechtsphilosophie §156. Rechtsphilosophie §156, Zus. Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 82. ^

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Besonderheit und Allgemeinheit gedacht wird. Im Begriff der Sitt­ lichkeit ist die Kritik dieses rational-konstruktiven Theaters aus­ geführt: es gibt keine Stunde Null von Ethos und Institutionen. Doch Hegels aufklärerischer Geist wehrt sich zugleich gegen jede Legiti­ mation der sozialen Ordnung durch den Hinweis auf das »Immer­ Schon«. Dieser Legitimationsversuch wäre, wie Hegels heißende Kritik an Haller helegt, noch geistloser als die Atomistik des ver­ tragstheoretischen Arguments. Hegel schlägt einen anderen Weg ein; gegen das konstruktiv-begründende Projekt der Vertragstheorie setzt er den explikativ-hermeneutischen Versuch, die soziale Wirklichkeit als Entfaltung des Geistes zu deuten. Dann müssen nicht mehr die vielen Einzelnen als Subjekte ihrer Geschichte phantasiert werden, dann regiert die Vernunft selher diese Geschichte.

6. Sittlichkeit statt Verfassungsgebung Die Abwehr des vertragstheoretischen Arguments kehrt in der Pole­ mik gegen die Verfassungsgebung wieder. Verfassung ist, mit einem Wort Hegels, »die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit« des Staates.166 Diese idealistische Bestimmung des Begriffs der Verfas­ sung wird von Hegel mit Elementen der älteren deutschen Staats­ lehre ergänzt. Verfassung ist bei Hegel die soziale Entfaltung der Vernunft und der status rei publicae im Sinne der empirisch orien­ tierten älteren deutschen Staatslehre. Insofern greift Hegel einerseits die seit Kant und der französischen Revolution geltende Idee einer grundlegenden Identität der Verfassung des Staates mit der Ordnung der Vernunft und zugleich die historisch-beschreibende Lehre der politischen Geographie< auf. Während jedoch die >französische< Be­ deutungsvariante gegen die Idee einer präexistenten Verfassung ge­ rade die Setzung als Kern des Begriffes ausmacht167 - aus dem Kampf gegen das alte Recht der monarchischen und ständischen Verfas­ sung - spielt dieses Problem bei der Deutung der Verfassung als sta­ tus keine Rolle. Hegel verbindet diese beiden Varianten auf eigen­ tümlichste Weise; er greift aus der >französischen< Bedeutung die 166 Rechtsphilosophie §265. 167 In dieser Tradition steht noch der Verfassungsbegriff Carl Schmitts, wenn Verfas­ sung als Entscheidung über die politische Existenz bestimmt wird. (Verfassungslehre, S. 20 ff.) 262

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Sittlichkeit statt Verfassungsgebung

Verbindung zur Vernunft auf, verwirft jedoch sowohl deren Distanz zur bestehenden Wirklichkeit als auch die Betonung des Aktes der Verfassungsgebung; er übernimmt von der Staatsbeschreibungslehre den Zugriff auf die Wirklichkeit auf, verwirft jedoch deren Theorie­ ferne. »Überhaupt aber ist es wesentlich, daß die Verfassung, obgleich in der Zeit hervorgegangen, nicht als ein Gemachtes angesehen wer­ de; denn sie ist vielmehr das schlechthin an und für sich Seiende, das darum als das Göttliche und Beharrende und als über der Sphäre dessen, was gemacht wird, zu betrachten ist.«168 Nach den Karlsbader Beschlüssen hat sich Hegels Distanz - jedenfalls im gedruckten Wort - zu den westlich-liberalen politischen Vorstellungen vertieft. Allerdings ist deutlich zu sehen, daß diese Distanz nicht einfach dem kalten politischen Klima zuzuschreiben ist, sondern im Konzept der Sittlichkeit selbst schon angelegt ist. Denn Hegels Verdikt über das >Machen< einer Verfassung wird doppelt begründet: einerseits greift auch hier das Bedenken gegen einen politischen Atomismus, anderer­ seits aber wird eine Art Tabu über die Frage nach dem Ursprung der Verfassung verhängt. Deutlich greift Hegel die Frage nach dem >pouvoir constituant< auf: wer mit der Fiktion eines präkonstitutionellen Zustandes argumentiert, der glaubt, daß »ein bloßer atomistischer Haufen von Individuen«169 zu einer Verfassung kommen könne. Eine unverfaßte Menge aber hat für die philosophische Betrachtung Hegels keine Bedeutung; die Frage nach der Existenz eines >pouvoir constituant< vor aller Ordnung ist bedeutungslos, »denn mit einem Haufen hat es der Begriff nicht zu tun.«170 Der methodisch-kritische Individualismus der politischen Aufklärung ist also auch in Bezug auf das Problem der Verfassung ein philosophischer Irrweg - daß er ein politischer Irrweg ist, hat Hegel ja gleich zu Beginn der Rechts­ philosophie deutlich gemacht.171 Gegen den individualistisch-politi­ schen Konstruktivismus beharrt Hegel deshalb auf einer >wahrhaft< philosophischen Betrachtung des Problemes der Verfassung - und eine solche Betrachtung wird in Rechnung stellen müssen, daß Ver­ fassung mehr ist als eine bloße Regelung des Rahmens, in dem sich das Zusammenleben ordnet. Hegel erhebt kurzerhand die Verfassung 168 169 170 171

Rechtsphilosophie §273. Rechtsphilosophie §273. Rechtsphilosophie §273. Vgl. Rechtsphilosophie §5. ^

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selbst in den Rang des >Göttlichen und Beharrendem - und entzieht das Problem so jedem dezidiert politischen Zugriff: Philosophie statt Politik, so lautet Hegels Resümee. Eine denkwürdige Stellungnahme, die auch mit dem Hinweis auf das restaurative Klima nicht erklärt werden kann. In dieser Stellungnahme wird vielmehr Hegels ambi­ valente Haltung zu den aktuellen politischen Problemen deutlich. Verfassung ist weder als das gute alte Recht >göttlich und beharrendfranzösische< Begriff der Verfassung keinen Sinn; die Betonung des Sittlichen setzt an die Stelle der politischen Hybris eine nur schein­ bar historische Argumentation. Obwohl Hegels Denken ganz ohne Zweifel die Verfassung als status deutet, so ist sie doch mehr als der bloße status quo. Wenn Hegel von Napoleons gescheitertem Versuch berichtet, den Spaniern eine Verfassung zu geben, dann schließt er das mit dem Wort ab: »Jedes Volk hat deswegen die Verfassung, die ihm angemessen ist und für dasselbe gehört.«173 Gegen die Phanta­ sien der politischen Geometrie - die universelle Verbreitung gesatzter Verfassung - macht Hegel zwei Bedenken geltend: den Zweifel an der Möglichkeit, Verfassungen überhaupt zu setzen einerseits, den Zweifel an der Universalität der politischen Formen andererseits. Die positive Wendung dieser beiden Bedenken heißt Sittlichkeit; da »die Idee der Freiheit«174 nur im Geist eines Volkes wirklich wird, gibt es keine universale Sittlichkeit, die von Raum und Zeit abzulö­ sen wäre. Diese - und damit auch die Frage der Verfassung - hängt vielmehr »von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseins« eines Volkes ab.175 Hegel beharrt also auf der Notwendigkeit, die partiku­ laren Bedingungen von Verfassungen wahrzunehmen. Damit sind allerdings nicht einfach empirisch-historische >Daten< gemeint; diese historischen Gegebenheiten werden vielmehr - und damit über­ 172 173 174 175 264

Rechtsphilosophie §274. Rechtsphilosophie §274. Rechtsphilosophie §142. Rechtsphilosophie §274.

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Sittlichkeit statt Verfassungsgebung

schreitet Hegel die >Staatsheschreihung< - nur relevant, weil sie sel­ ber im Progreß der Verwirklichung der Idee der Freiheit gedeutet werden. Der normative Kern des Konzeptes der Sittlichkeit ist so unüber­ sehbar wie seine polemische Funktion. Das Konzept der Sittlichkeit ist nicht bloß Hegels Antwort auf den tendenziell institutionenfeind­ lichen, das Subjekt als Gesetzgeber behauptenden Diskurs der Mora­ lität; das Konzept der Sittlichkeit ist zugleich Hegels Antwort auf die politischen Allmachtsphantasien eines modernen Konstitutionalismus, der - sei es more geometrico, sei es nach dem Willen des Volkes - Verfassungen zu erlassen können glaubt - um so das politische Leben zu konstruieren. Auch hier könnte - wie bei Rousseau - gel­ tend gemacht werden, daß der Versuch, das politische Leben auf den Gedanken zu stellen - und nicht bloß auf die Verhältnisse, wie sie sind, zu verweisen -, selber einen Progreß der Idee der Freiheit be­ deutet. Eine positive Wertung des modernen Konstitutionalismus verbietet sich Hegel aber mit Blick auf die französische Revolution. Hegel hat beinahe zeitgleich mit der >Rechtsphilosophie< den Beginn der französischen Revolution gedeutet als den >Kampf des vernünf­ tigen Staatsrechtes mit der Masse des positiven Rechts und der Pri­ vilegien, wodurch jenes unterdrückt worden warRestauration der Staatswissenschaftem vorschlägt. Im Konzept der Sittlichkeit ist die Vernunft der Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Vernunft als Geschichte des Begriffes der Freiheit gefaßt. Dieses geschichtsphilosophische Vertrauen, das in Hegels Lehre von der Wirklichkeit der Idee gründet180, bedeutet für die politische Philoso­ phie die Abkehr vom politischen Anthropozentrismus. Die Ausfälle Hegels gegen die Hybris des modernen politischen Denkens, gegen die politische Selbstermächtigung der Aufklärung sind nur die polemische Kehrseite einer philosophischen Wendung, die Hegel vollzieht. Hegel nimmt die Fortschrittshoffnungen des auf­ klärerischen Projektes so ernst, daß er darüber zu einer Hypostasie­ rung des Geistes geführt wird. An die Stelle des Menschengeschlech­ tes als des Subjekts und Nutznießers des fortschreitenden Ganges der Weltgeschichte tritt jetzt die Selbstoffenbarung des Geistes. Diese Wendung hat mit einer Bestimmung der Philosophie selbst zu tun, deren Aufgabe es wäre, >den Staat, das sittliche Universum zu erkennenex-nihilo-Perspektive< der Souveränität, gegen den im Begriff hervortretenden Dezisionismus, den Verweis auf das Ethos, auf die Institutionen, auf das Seiende. Sodann ist im Begriff der Sittlichkeit ein normatives Erbe enthalten: die Wirklichkeit, das historisch-Seiende, verkörpert Sittlichkeit nur, insofern es vernünf­ tig ist. Souveränität jedoch, so könnte man sagen, ist gerade das Kon­ ^

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zept, mit dem sich die Theorie des Staates von Normativität und Traditionalität ahwendet. Gegen die gewachsene Machtverteilung ei­ nerseits, gegen die normativen Präjudizien des klassischen Natur­ rechts und des guten alten Rechts, des Gewohnheitsrechtes anderer­ seits, bringt das Konzept der Souveränität den politischen homo faher ins Spiel, der sich die sozialen Institutionen zimmert. >Auctoritas, non veritas facit legem.< Man mag einwenden, daß Hohhes' Entwurf der Souveränität nicht charakteristisch ist für die Theorie der Sou­ veränität; daß dieser Entwurf vielmehr selber einen Sonderfall in­ nerhalb der neuzeitlichen Diskussion über das Wesen des Staates darstellt. Dann hliehe immer noch der heuristische Wert der Hohhesschen Theorie der Souveränität. Der konstruiert-konstruktive Cha­ rakter der einen und höchsten Gewalt im Gemeinwesen, mit Bodin zu sprechen, ist ehenso unühersehhar wie der Versuch, diese höchste Gewalt von allen erdenklichen Fesseln zu hefreien. Ja, es scheint, als oh >der Staat< üherhaupt nur gedacht werden kann, wenn und weil die normativ-traditionalen Präjudizien einer Rechtsordnung ahgeschüttelt werden, die der politischen Gegenwart immer schon voraus­ gehen. Diese radikale Hemmungs- und Grundlosigkeit von Souverä­ nität scheint jedenfalls auf den ersten Blick mit Hegels Konzept der Sittlichkeit kaum vereinhar. Hegels Theorie der Souveränität deutet Rousseaus Theorie der Souveränität und versucht, die Theorie des Staates als Entfaltung der Idee ins Konzept der Sittlichkeit zu integrieren. Nur auf den ersten Blick stellt die Grundlosigkeit der Souveränität deshalh ein Prohlem für Hegels Entwurf dar. Tatsächlich hatte ja schon Rousseaus Politi­ sche Philosophie - hierin ganz Philosophie der Aufklärung - ver­ sucht, den Willenscharakter der Souveränität herauszustellen, ohne die Gewalt des Staates als Willkür erscheinen zu lassen. Das könnte allerdings nur unter der Bedingung gelingen, daß die Allgemeinheit der >volonte generale< mehr als hloße Gemeinsamkeit wäre, wenn sie also vernünftige Allgemeinheit wäre. Auf den Spuren dieser Hoff­ nung Rousseaus hewegt sich auch Hegels Argumentation. Da die >Rechtsphilosophie< auf dem Begriff des Willens gründet und der Staat nichts anderes als eine Entfaltung des Begriffes darstellt, kann Hegel versuchen, den voluntaristischen Charakter der Souveränität in den idealistischen Entwurf seiner Theorie des Staates zu integrie­ ren. Allerdings wird Hegel gegen Rousseau die Frage nach dem Suhjekt des Willens heantworten - und sich damit, ganz im Sinne einer >Wirklichkeitswissenschaftdas Gegenwärtige und Wirkliche zu erfassen^ das heißt das Wirkliche als das Vernünftige zu begreifen, saugt die Politische Theorie, die doch gerade dem Be­ gründungsstrudel der Vertragstheorien sich entrissen hat, in einen neuen Strudel, der die Philosophie als Magd der Wirklichkeit erschei­ nen läßt. Man mag Hegels Plädoyer für die konstitutionelle Monarchie unter Ideologieverdacht stellen. Aber damit ist nicht viel gewonnen. Tatsächlich versucht Hegels Entwurf der Souveränität die Philo­ sophie der Freiheit als Staatslehre zu entwickeln. Weil aber dieser Versuch Wirklichkeitswissenschaft ist, steht er vor dem Problem, die normativen Mystifikationen der Souveränitätslehre Rousseaus preisgeben zu müssen, ohne dabei das Moment der Freiheit aus den Augen zu verlieren. Rousseau hatte in der Volkssouveränität die Lösung des Dilemmas gesehen, den aufklärerischen Imperativ der Autonomie mit der Notwendigkeit von Herrschaft verbinden zu müssen. Hegels Problem besteht nicht in der Rechtfertigung der Herrschaft; Hegel sieht sich vor dem Problem, eine politische Ord­ nung zu philosophieren, in der das Objektive so herrscht, daß das Individuelle darin aufgehoben wäre. Hegel versucht, das Moment der Subjektivität in die Politik zu retten, ohne den staatsfernen Ten­ denzen der lutherisch-romantischen Subjektivitätsideologie zu ver­ fallen. Die Philosophie der Freiheit Hegels ist eine Politische Philo­ sophie der Subjektivität - und genau aus diesem Grunde ist der Topos der Souveränität für Hegel überhaupt interessant. Denn nur die Po­ sition der Souveränität gewährleistet Subjektivität, ohne daß die Exi­ stenz des Staates bedroht wäre. Die Freiheit der Selbstbestimmung, das Kennzeichen der Moderne, drohte den sittlichen Zusammenhang des Staates zu zerstören, stünde sie tatsächlich den vielen Einzelnen zu. Hegel hat eine merkwürdig institutionelle Lösung dieses Problemes gefunden. In der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, in der der Einzelne in seiner Besonderheit sich selber Zweck ist, stellt sich die­ ses Problem natürlich nicht; erst im Staat, in dem das Allgemeine zum Zweck erhoben ist, wird die Betonung der Subjektivität als Ver­ wirklichung der Freiheit problematisch. Hegels Lösung besteht nun darin, den Staat selbst zum Subjekt der Freiheit zu erheben. In einer,

183 Rechtsphilosophie, Vorrede S. 16. ^

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an Hobbes erinnernden184 metaphernkritischen Argumentation heißt es jedoch: »Die Subjektivität aber ist in ihrer Wahrheit nur als Sub­ jekt«.185 Subjektivität ist im Staat nur verwirklicht, insofern es ein Subjekt gibt, das in der Lage ist, als der Staat selbst zu sprechen. Hegels Apologie der konstitutionellen Monarchie, wie kritisch sie auch gedeutet werden mag, baut auf der Ideologie des Absolutismus auf. Das ist der Preis, den Hegel für die Ideologiekritik an der meta­ phernreichen Staatslehre der Volkssouveränität zahlt - auch hierin Hobbes verwandt. Hegel greift die Figur der Souveränität also aus einem doppelten Grund auf: da der Staat in einer Person wirklich wird, können die Gegensätze der Besonderheiten aufgehoben werden - nur so kann der Staat als Einheit, nicht bloß als Gemeinsamkeit gedacht werden; und da der Staat in einer Person wirklich wird, kann das Prinzip des freien Willens und das romantisch-aufklärerische Pathos der Subjek­ tivität im Politischen gedacht werden. Ja, die Wirklichkeit des Staates selbst hängt davon ab, daß es eine Person gibt, die repräsentierend­ entscheidend sagen kann: L'Etat, c'est moi.186 Rousseau hatte ver­ sucht, den Souverän als die Alleinheit der Bürger zu beschreiben und dafür den altehrwürdigen Terminus der >personne publique< und des >corps moral< ins Spiel gebracht.187 Rousseaus Text spiegelt sehr deutlich das Problem der Volkssouveränität: bezeichnet Souve­ ränität allererst eine Entscheidungsinstanz, so fällt es schwer, sich das Volk als Subjekt dieser Entscheidung vorzustellen. Als Subjekt einer Entscheidung, als Subjekt eines Willens, in dem die Entscheidung gründet, kann immer nur eine Person gedacht werden. Als >personne publique< wird eine Einheit vorgestellt, die eigentlich nur metapho­ risch Person genannt werden kann. In einer Art translatio werden dem Staat, dem durch den Gesellschaftsvertrag begründeten >politischen Körper< Attribute zugedacht, die eigentlich nur natürlichen 184 »Denn Unterwerfung, Befehl, Recht und Gewalt sind nicht Akzidenzien von Gewal­ ten, sondern von Personen.« (Leviathan XXXXII; S. 439) 185 Rechtsphilosophie §279. 186 Die Herkunft dieser Formel des französischen Absolutismus aus dem hohen Mittel­ alter ist unstrittig. Michael Wilks leitet sie aus dem Repräsentationsmonopol des Pap­ stes ab. (The idea of the church) Der Begriff des >status< als Staat jedenfalls entsteht erst in dem Moment, da eine Person als eben dieser Staat handelt. Die juridische und theo­ logische Mystik der päpstlichen Person begründet die Mystik der Souveränität, die in diesem Sinne - und das tritt in Hegels merkwürdiger Deutung besonders hervor - kaum eine säkulare Institution genannt werden kann. 187 Contrat Social I, 6, S. 361. 270

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Personen zukommen können. Rousseau war gezwungen, die theo­ logisch-juridische Metapher der moralischen Person ernstzunehmen, weil der Entwurf der unveräußerlichen und unübertragbaren Volks­ souveränität ihm die Repräsentation des Volkswillens verbot. Rous­ seau steht also durchaus in der metaphorischen Tradition, eine >personne publiquecorps moral< ist nichts als ein »etre de raison«, das sich nur der Konvention verdankt - auch wenn das eines der praktischen Probleme des Rousseauschen Entwurfes darstellt. Hegels Wirklichkeitswissenschaft kann sich mit einer metapho­ rischen Deutung des Staates nicht zufriedengeben. Da Hegels Au­ genmerk der Idee als dem verwirklichten Begriff gilt, mißtraut er allen Metaphern. Mit der Hilfe des Monarchen kann Hegel den Staat als Person interpretieren, ohne der verschleierten Unwirklichkeit einer metaphorischen Deutung der Souveränität zu verfallen. »Die Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der Monarch, wirk­ lich.«188 Hegels Argumentation kämpft aber nicht nur gegen die me­ taphorischen Irrungen der Lehre von der Volkssouveränität. Auch gegen die restaurative Staatswissenschaft hält Hegel am Begriff der Souveränität fest - und zwar an der Souveränität des Staates. Die Staatsgewalt ist kein Privateigentum; sie ist Gewalt des Staates im Sinne eines Genitivus subjectivus.189 Die Monarchie als die konkrete Organisation der Souveränität ist vor diesem Hintergrund nicht bloß eine politische Form unter anderen, für die Hegel aus Gründen der Opportunität votiert. Die Monarchie hat vielmehr gerade im Zusam­ menhang der Argumentation der Rechtsphilosophie eine entschei­ dende Funktion: Sie verbürgt die Möglichkeit, daß die Idee der Ver­ nunft politische Wirklichkeit wird. Politische Wirklichkeit heißt die Entfaltung der Idee zur Institu­ tion. Die monarchische Souveränität vollbringt eine einzigartige Lei­ stung, indem sie den objektiven Charakter einer Institution mit der Subjektivität eines Individuums verbindet und so Sittlichkeit als die Versöhnung von Besonderem und Allgemeinem gewährleistet. Tat­ sächlich deutet Hegel die Monarchie durchaus dezisionistisch: der Monarch ist die Instanz letzter Entscheidung, einer Entscheidung, die zwar in Objektivitäten gründet, die aber letztlich grundlos ist. Auf Gedeih und Verderb sind der Gedanke der Souveränität und die Institution der Monarchie aufeinander verwiesen. Der Intention Bo188 Rechtsphilosophie §279. 189 Vgl. Rechtsphilosophie §277. ^

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dins und Hobbes' folgend, erläutert Hegel die Souveränität »als die abstrake, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in wel­ cher das Letzte der Entscheidung liegt.«190 Souveränität bedeutet das Abbrechen der Diskussion ebenso wie im Letzten den Verzicht auf die normative Begründung politischer Entscheidung.191 Wohl­ gemerkt: im Letzten; Hegels Lehre von der Souveränität ist als Staatslehre auf eine Lehre vom Ausnahmezustand einbezogen. Sou­ veränität bedeutet in diesem Sinne das Hervortreten der substantiel­ len Einheit< des Staates in Zeiten der Not192, also den Bezug auf den irreduziblen Realitätskern der Politik. Der Staat, und auch das ist eine Leistung der Unterscheidung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat, ist im Normalfall geradezu unsichtbar. Den Einzelnen, die ihre selbstsüchtigen Zwecke betrei­ ben, kann seine Existenz solange unbewußt bleiben, wie ihre Ge­ schäfte den ruhigen Gang der Welt gehen. Im Zustand der Not je­ doch, im casus necessitatis, tritt die Existenz des Staates erst recht eigentlich hervor - und zwar als Souveränität. Die >Idealität der Ein­ heit macht sich erst dann geltend, wenn sie bedroht ist. Das Hervor­ treten der Souveränität bedeutet dann, daß die Besonderheiten des Organismus in den einfachen Begriff der Souveränität zusammen­ gehen. Der reduktionistische Charakter der Souveränität wird gel­ tend gemacht, um den Staat zu retten. Denn in und durch die Reduk­ tion erst wird deutlich, daß die besonderen Zwecke und Geschäfte, also das, was unter dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft subsummiert wird, nicht selbständig und unabhängig ist, sondern daß sie vom »Zwecke des Ganzen«, daß die bürgerliche Gesellschaft vom >Wohl des Staates bestimmt und abhängig< ist. Der Notfall hat bei Hegel, wie später bei Carl Schmitt, durchaus eine heuristische Funk­ tion.193 Er demonstriert, was im Normalfall unsichtbar bleibt: daß die Entfaltung der Besonderheiten, daß die Verfolgung der selbstsüchti­ 190 Rechtsphilosophie §279. 191 »... dieses Letzte, was alle Besonderheiten in dem einfachen Selbst aufhebt, das Ab­ wägen der Gründe und Gegengründe, zwischen denen sich immer herüber und hinüber schwanken läßt, abbricht, und sie durch das: Ich will, beschließt und alle Handlung und Wirklichkeit anfängt.« (Rechtsphilosophie §279) 192 ». im Zustande der Not aber, es sei innerer oder äußerlicher, ist es die Souveränetät, in deren einfachen Begriff der dort in seiner Besonderheiten bestehende Organismus zusammengeht und welcher die Rettung des Staats mit Aufopferung dieses sonst Be­ rechtigten anvertraut ist, wo denn jener Idealismus zu seiner eigentümlichen Wirklich­ keit kommt«. (Rechtsphilosophie §278, Anm.) 193 Vgl. Schmitt, Politische Theologie, S. 22. 272

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gen Zwecke nur gewährleistet ist, weil und insofern sie die Momente eines Ganzen sind. Insofern die besonderen Zwecke, also die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, vom Zweck des Ganzen bestimmt und abhängig< sind, wird die »Aufopferung dieses sonst Berechtigten« zum Behufe der Rettung des Ganzen, nämlich des Staates, nicht bloß denkbar, sondern Pflicht. Der Staat ist so gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft auf den Ausnahmezustand bezogen. Die Durchdringung der idealistischen Argumentation mit Ele­ menten einer apokalyptischen Argumentation ist nicht ganz un­ problematisch, denn sie setzt voraus, daß der Staat nicht bloß die Erscheinung der Idee der Freiheit ist. In der apokalyptischen Argu­ mentation wird das ideenlogische Geflecht der Sittlichkeit einer pragmatischen Probe unterzogen. Damit wird auch deutlich, daß Hegels Unterscheidung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat im­ mer auf die Dialektik der Zwecke und ihrer Gewährleistung bezogen werden muß. Die besonderen Zwecke, die die Sphäre der bürgerli­ chen Gesellschaft bestimmen, sind im Staat aufgehoben. Der Staat ist kein Zweck, der den die bürgerliche Gesellschaft konstituierenden besonderen Zwecken fremd gegenüberstünde, wie die rechtshegelia­ nische deutsche Staatslehre, besonders der Weimarer Republik, glau­ ben machen will. Wer übersieht, daß Staat und bürgerliche Gesell­ schaft Organisationsformen der Sittlichkeit sind, der hat Hegels Staatslehre gründlich mißverstanden. Wie verschieden auch immer Staat und bürgerliche Gesellschaft von Hegel gedeutet werden: an eine Opposition denkt er niemals. Weil die besonderen Zwecke im Staat aufgehoben sind, kann der Staat als Garant eben dieser beson­ deren Zwecke erscheinen. Daß der Staat jedoch weder mit der bürger­ lichen Gesellschaft identisch ist, noch in der Aufgabe aufgeht, die besonderen Zwecke zu gewährleisten, steht außer Zweifel. Hegels Anmerkungen über »das sittliche Moment des Krieges«194 machen deutlich, wie gerade der Ausnahmezustand die Erhabenheit des Staa­ tes vor Augen führt. Zwar gilt als die Bedingung des Patriotismus, daß der Einzelne seine besonderen Zwecke im Staate aufgehoben weiß.195 Doch gleichzeitig markiert der Ausnahmezustand die Nicht194 Rechtsphilosophie §324, Anm. 195 »Diese Gesinnung (der Patriotismus) ist überhaupt das Zutrauen (das zu mehr oder weniger gebildeter Einsicht übergehen kann), - das Bewußtsein, daß mein substantielles und besonderes Interesse im Interesse und Zwecke eines anderen (hier des Staates) als im Verhältnis zu mir als Einzelnem bewahrt und enthalten ist, - womit eben dieser kein anderer für mich ist und Ich in diesem Bewußtsein frei bin.« (Rechtsphilosophie §268; ^

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Identität der besonderen Zwecke mit dem Zweck des Allgemeinen. An den Einzelnen ergeht dann die Forderung, seine besonderen Zwecke zu opfern, um den wahrhaft absoluten Endzweck, die Sou­ veränität des Staatesprobleme fondamental< der aufklärerischen Politischen Philosophie zu lösen. (Vgl. Contrat Social I, 6, S. 360) Insofern jedoch diese Lösung die konstitutive Differenz von bürgerlicher Gesellschaft und Staat verwischt, ist sie mehr als problematisch. 196 Rechtsphilosophie §328. 197 Rechtsphilosophie §279, Anm. 198 Vgl. Lubac, Corpus Mysticum; Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. 199 Rechtsphilosophie § 279, Anm. 274

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Sokrates ins Spiel, um die Bedeutung der Monarchie für das Konzept des modernen Staates zu begründen. Sokrates erscheint als zentrales Moment in der Geschichte der Selbstentfaltung der Idee der Freiheit, insofern er für die Verinnerlichung der Freiheit steht. Die welthisto­ rische Dimension des Sokrates besteht darin, daß der Wille »sich in sich selbst verlegte und sich innerhalb seiner erkannte - der Anfang der sich wissenden und damit wahrhaften Freiheit«.200 Diese Ver­ innerlichung des Willens bedeutet Autonomie. Für Hegel ist diese neue Verortung des Willens so wichtig, weil sie das Moment des Selbstbewußtseins ermöglicht. Denn erst in dem Maße, in dem die Instanz des Willens im handelnden Subjekt selbst angesiedelt wird, kann dieses handelnde Subjekt die Idee der Freiheit tatsächlich ver­ körpern, weil es selbstbewußt wird. Die Instanz des Willens und das Subjekt des Handelns fallen so ineins. Die Heraushebung des selbst­ bewußten und das heißt des fürsichseienden Subjekts gegenüber der ansichseienden Ordnung des Bestehenden, das ist die welthistorische Bedeutung des Sokrates. Für die Apologie der Monarchie wird diese Tat insofern bedeutsam, als Hegels Monarch das Selbstbewußtsein des Staates verkörpert und ist. Hegels Apologie der konstitutionellen Monarchie erkennt in der Selbstbestimmung des Begriffs den Grund der Staatsorganisation.201 Die Selbstbestimmung des Begriffes aber zielt auf die Entfaltung der Momente der Idee zu ihrer Selbständig­ keit. Selbständigkeit im emphatischen Sinne aber kann nur einem Monarchen zukommen; die Lehre von der Volkssouveränität schei­ tert nicht zuletzt daran, daß sie die Persönlichkeit des Staates nur metaphorisch denken kann.202 Der Monarch ist der selbstbewußt Wollende, der für sich stehend, der abgesondert ist und so »über alle Besonderung und Bedingung erhaben«.203 Hegels Anstrengung bei der Legitimation der Monarchie aus der Idee der Freiheit ist deutlich zu spüren. Sie gipfelt in einer Logik 200 Rechtsphilosophie §279, Anm. 201 Vgl. Rechtsphilosophie §272. 202 Der Gedanke der Volkssouveränität wird von Hegel mit dem Hobbesschen Reprä­ sentationsargument zurückgewiesen: Ohne seinen Monarchen ist das Volk nur eine »formlose Masse». Die idealistische Argumentation weist die Idee der Volkssouveränität zurück, weil Hegel an der Notwendigkeit festhält, daß die Idee der Freiheit konkret wird; und konkret wird die Idee der Freiheit im Individuum. In einem realen, nicht in einem fiktiven, moralischen oder iuridischen Individuum. Gegen Hobbes' apokalyptisierende Deutung stellt Hegel also die Notwendigkeit der Selbstoffenbarung des Geistes in einer wirklichen Person aus Fleisch und Blut - und beendet so die Staatsformendiskussion. 203 Rechtsphilosophie §279, Anm. ^

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der Repräsentation, die die Deutung der politischen Freiheit gegen den liberalen Geist spiegelt. Daß der moderne Staat Hegels ein Staat der Freiheit ist, verdankt er nicht der liberalen Freiheitlichkeit seiner Verfassung, sondern der Freiheit seiner Spitze. Der Monarch garan­ tiert die Freiheit des Staates. Und dies nun nicht im Sinne der Freiheit seiner Bürger. Deren politische Freiheit mit der Freiheit des Staates zu identifizieren, bedeutet für Hegel ein verhängnisvolles Mißver­ ständnis, das durch die französische Revolution in Umlauf gebracht worden ist. Freiheit ist vielmehr die ideelle Grundlage und erst in zweiter Linie die Struktur des Staates. Frei ist der Staat, der durch die Existenz der fürstlichen Gewalt den Ansprüchen moderner Sitt­ lichkeit gerecht wird. Dem Staat neuerer Zeit erscheint Subjektivität nicht mehr als feindliches Element, sondern als ein Moment der Sitt­ lichkeit selbst. Die politische Konsequenz dieses Denkens wäre, so könnte man denken, liberale Demokratie. Diese erscheint Hegel je­ doch als die flachste aller Staatsformen, da sie die Vielen, die Masse selbst, und das heißt zuletzt, den Pöbel zum Subjekt des Staates macht. Deshalb muß Hegel eine andere Lösung für die Verkörperung der Freiheit finden. In einer geschickten Wendung verschiebt er die Bedeutung des >Prinzips Sokratesich will< des Monarchen geborgen.205 Daß der Monarch in diesem Sinne als das hervorgehobene Sub­ jekt der Freiheit erscheint, ist eine idealistische Erblast der Hegelschen Rechtsphilosophie. »Die fürstliche Gewalt wird hier zuerst be­ trachtet, weil in ihr die Existenz des Begriffs als solcher, als Subjektivität, ihren Sitz hat.«206 Um wirklich zu sein, muß der Staat 204 Vgl. Rechtsphilosophie §320. 205 Insofern darüber hinaus die bürgerliche Gesellschaft durch die selbständige Entwikkelung der Besonderheit charakterisiert wird, hat die Freiheit des Einzelnen in ihr ihre eigentliche Sphäre der Wirksamkeit, nicht jedoch im Staate. Die philosophische Schei­ dung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat erlaubt es Hegel also, auf der Höhe der Zeit eine Politische Philosophie der Freiheit zu entwerfen, ohne den Staat mit dem Pro­ blem des Individualismus zu belasten. 206 Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 238. 276

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Subjekt sein. Die Lehre von der Souveränität ist bei Hegel nichts anderes als die Lehre von der Subjektivität des Staates. Als organi­ sche Totalität enthält er alle Momente seiner Existenz in sich; das ist der philosophische Kern der Unterscheidung der Staatsgewalten. Die fürstliche Gewalt steht im besonderen Maße für die Existenz des Staates selbst ein. Die Apologie der konstitutionellen Monarchie be­ schreibt den Monarchen als die Garantie der organischen Totalität des Staates. Die konstitutionelle Verfassung ist die Verfassung der Vernünftigkeit: nur in dem Maße, in dem der Staat monarchisch ver­ faßt ist, ist seine Existenz, ist die >Erscheinung< der Idee gewährlei­ stet. Der Monarch steht für die Existenz des Staates ein, weil die Person des Monarchen die Persönlichkeit des Staates verwirklicht. Der Begriff ist zu seiner Verwirklichung auf eine Person angewiesen: das ist Hegels idealistischer Realismus. Die philosophische Wirklich­ keitswissenschaft ist zwingend idealistisch: ihr Gegenstand ist die Entfaltung des Begriffes, die Verkörperung der Idee. Hegels Souveränitätsrealismus steht nur scheinbar in der Nach­ folge der Hobbesschen Argumentation, die doch recht pragmatische Gründe für monarchische Souveränität anzuführen wußte. Hegel muß vielmehr »das Mystische im Begriff des Monarchen« eingeste­ hen.207 Der spekulative Charakter seiner Argumentation soll jedoch nicht als Mangel erscheinen, sondern als Bollwerk gegen das politi­ sche Räsonnement: »Der Verstand kann so die Majestät nicht begrei­ fen, und man kann so mit Recht sagen, der Monarch soll nicht be­ griffen werden, d.h. nicht mit dem Verstande.«208 Die Monarchie ist, wie bei Kant der Ursprung des Staates, mit einem Tabu belegt; dieses Tabu hat mit dem Wesen der Monarchie, mit ihrer >grundlosen Unmittelbarkeit< zu tun.209 Da das Wesen der Monarchie nur spekulativ erfaßt werden kann, »darf auch nur die Philosophie die Majestät den­ kend betrachten, denn jede andere Weise der Untersuchung als die spekulative der unendlichen, in sich selbst begründeten Idee hebt an und für sich die Natur der Majestät auf.«210 Diese Kriegserklärung der spekulativen Philosophie an jedes andere politische Denken stellt den Hegelschen Versuch der Machtergreifung im Reich der Gedan­ ken dar. Die spekulative Philosophie des Rechts soll sich der konsti­ 207 208 209 210

Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 243. Philosophie des Rechts (ed. Henrich), S. 243. Rechtsphilosophie §281, Anm. Rechtsphilosophie §281, Anm. ^

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tutionellen Monarchie als unverzichtbar erweisen, denn nur diese Philosophie kann die Legitimität der Monarchie begreifen. Indem Hegel jede andere als die spekulative Begründung der Monarchie ausschließt, verhängt er einen Bann über jede andere Form des poli­ tischen Diskurses. Mit der Begründung des Staates aus der Selbstver­ wirklichung des Begriffs, mit der Begründung der Monarchie aus der >Idee des Staates< schottet die >Rechtsphilosophie< sich gegen den auf­ klärerischen Legitimitätsdiskurs ab. Die Bestimmung der Majestät als >grundloser Unmittelbarkeit< bricht die Begründungskette des aufklärerischen politischen Denkens ab. Hegel führt den Begriff der Majestät, die Qualität der Souveräni­ tät also, recht unvermittelt ein. Der Sinn dieses Begriffes ist es, eine Unantastbarkeit der Monarchie gegen die aufklärerischen Legitima­ tionserwägungen ins Spiel zu bringen. Die Grundlosigkeit der sou­ veränen Entscheidung spiegelt die >grundlose Unmittelbarkeit< des Monarchen wider. Die Verbindung der >letzten Entscheidung im Staate mit der unmittelbaren Natürlichkeit^11 in der Monarchie stellt also nicht bloß eine Option für eine bestimmte Verkörperung der fürstlichen Gewalt dar, sondern zugleich eine argumentative List, mit der die spekulative Philosophie des Rechts sich in ein besonderes Verhältnis zur Monarchie setzt und gleichzeitig die politisch-phi­ losophische Konkurrenz ausschaltet.211 212 Daß Hegel bis zur argumen­ tativen Wiederbelebung des Gottesgnadentums geht, verwundert nicht weiter. Nicht der Rekurs auf den Willen Gottes als des großen Legitimators ist für Hegel von Bedeutung, sondern der Abbruch der Begründungskette. Gottesgnadentum heißt nicht die Legitimation der Herrschaft im Willen Gottes, sondern die Unmöglichkeit, den Gründen der Legitimation durch den Verstand beizukommen.213 He­ gels Lehre von der Souveränität als Lehre von der Monarchie mar­ kiert das Ende der Aufklärung, indem sie die Aufklärung über sich 211 Rechtsphilosophie §280, Anm. 212 Der Vorwurf der Majestätsbeleidigung, den Hegel jedem anderen Versuch macht, der das Wesen und die Gestaltung des Politischen zu begreifen versucht, ist natürlich höchst unappetitlich - und rückt Hegel - über den Vorwurf des Opportunismus hinaus in die Position eines philosophischen Denunzianten. 213 »Am nächsten trifft daher hiermit die Vorstellung zu, das Recht des Monarchen als auf göttliche Autorität gegründet zu betrachten, denn darin ist das Unbedingte dersel­ ben enthalten.« Unbedingt ist das Recht der Monarchie, insofern es aus nichts abgeleitet werden kann, sondern vielmehr »das schlechthin aus sich Anfangende« ist. (Rechtsphi­ losophie, §279, Anm.) 278

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Idealistischer Realismus oder apokalyptischer Pragmatismus?

selbst aufklärt. Die ruppige Abwehr des kritischen Gestus im Politi­ schen erklärt sich durch die Einsicht in die Unmöglichkeit politik­ philosophischer Letztbegründungen. Der spekulative Aufwand je­ doch, den die Begründung der konstitutionellen Monarchie betreibt, steht im seltsamen Mißverhältnis zum Begründeten. Die argumen­ tative Volte Hegels, die Monarchie theoretisch und praktisch der Diskussion zu entziehen, weil gerade die Grundlosigkeit ihr Wesen ausmachte, gehört zu den merkwürdigsten Argumenten, der an Ab­ sonderlichkeiten sicher nicht armen Geschichte der Souveränitäts­ lehre. Hegels Erörterung der fürstlichen Gewalt und ihrer Verkörpe­ rung im Monarchen ist in einem solchen Maße von einer Nähe zur Wirklichkeit geprägt, daß die Philosophie als Magd der Politik er­ scheinen kann. Dieser Eindruck ist unausweichlich, das Lob der kon­ stitutionellen Monarchie ist extrem eigenwillig. Gegen die klassi­ sche, empirisch geprägte Lehre von den Staatsformen führt Hegel die Notwendigkeit ins Spiel, die Wirklichkeit zu begreifen. Die Wirk­ lichkeit aber kann nur spekulativ begriffen werden. Denn nur so gibt sie sich als vernünftig, und das heißt als Entfaltung des Begriffs zu erkennen. Hegels Lehre von der Souveränität greift die klassischen Momente der Souveränitätslehre auf, wendet sie aber in eine Phi­ losophie der politischen Institutionen, die ganz durch die Spekulation bestimmt ist. Die spekulative Politische Philosophie entziffert die vernünftige Wirklichkeit, indem sie die Wirklichkeit als Entfaltung des Begriffs deutet. So können alle Elemente der klassischen Souve­ ränitätslehre wiederkehren; ihr Sinn aber wird durch die spekulative Philosophie neu bestimmt. Doch eben dieser Zugriff erscheint gekünstelt: als >Wirklichkeitswissenschaft< steht die Philosophie des Rechtes in einem seltsamen Zwielicht. Gerade die Behauptung der normativen Identität von Wirklichkeit und Sollen, die die >Vorrede< beschwört, wird in dem Abschnitt über die innere Souveränität auf die Probe gestellt. Denn hier nähert sich Hegel den gegenwärtigen Institutionen des Politischen selbst an. Das Problem einer idealisti­ schen Philosophie der politischen Wirklichkeit besteht in der Not­ wendigkeit, die Scharniere zwischen dem Begriff und seiner Existenz im Subjekt zu benennen. Als Wirklichkeitswissenschaft ist die Phi­ losophie sowohl im Reich des Begriffes heimisch als auch in dieser Welt. Diese Welt zu begreifen, diese Welt als vernünftig zu deuten, heißt jedoch im entscheidenden Moment auf das Modell der Ver­ mittlung und der Begründung zu verzichten - und stattdessen den ^

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Freiheit und Sittlichkeit

Sprung zu behaupten, durch den diese Welt als Entfaltung des Be­ griffes, als Idee erscheint. Mit Hegel schließt sich der Kreis einer politischen Philosophie der Aufklärung: der kritische Gestus und die Proskynese sind ihr in gleichem Maße eigen.

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Despotie der Vernunft? Für eine zweite Geschichte der Politischen Philosophie der Aufklärung

Das Paradox der Begründung von Unterwerfung durch Freiheit be­ schäftigt die Politische Philosophie seit Hobbes. Das neue, individua­ listisch gewendete Naturrecht macht es notwendig, den Staat, weil er eine Beschränkung der natürlichen Freiheit bedeutet, aus dem Willen der vielen Einzelnen zu begründen. Mit den Worten Hobbes': »Man kann nämlich nur durch eigenes Handeln verpflichtet werden, denn alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei.«1 Die norma­ tive Vorgabe des neuen Naturrechts zwingt dazu, die Begründung des Staates als den Plan seiner Konstruktion zu liefern. Das ist die Leistung des Vertragsmodelles, mit dem Hobbes den waghalsigen Versuch unternimmt, das Konzept der Souveränität mit den Legi­ timitätsbedingungen des Staates zu verschmelzen. Die Begründung des Staates wird theatralisiert; in der Urszene des Vertrages findet die politische Gegenwart den Quell ihrer Legitimität. Die philosophischen und politischen Probleme des Vertrags­ modelles sind unübersehbar: allererst die Frage nach der Wirklichkeit des Vertrages, dann die Frage nach den Bedingungen seiner Möglich­ keit, ferner die Frage nach dem Verhältnis von Kontingenz und Not­ wendigkeit, schließlich die Frage nach der Bedeutung der dem Staat vorausgehenden Rechte des Individuums im Staat. Die fortschreiten­ de Identifizierung der Freiheit mit der Vernunft im Prozeß der Poli­ tischen Philosophie von Hobbes bis Hegel erscheint als eine Antwort auf diese Probleme. Sie erlaubt die Versöhnung von Autonomie und Absolutismus, indem sie Freiheit nicht als die Willkür des Einzelnen deutet, sondern als eine Idee. Rousseau hat mit dem Begriff der vo­ lonte generale das Modell einer solchen Deutung geliefert, das auf je verschiedene Weise für Kant und Hegel entscheidend geworden ist. Hobbes glaubte, dem Primat der Freiheit Genüge zu tun, wenn er den Staat aus der Freiheit der vielen Einzelnen begründet. Der im Glanz der Repräsentation erstrahlende Souverän absorbiert die natürliche Freiheit der vielen Einzelnen, die in einem Rechtsakt des Verzichts 1 Leviathan XXI, S. 168. ^

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sich ihres natürlichen Rechtes auf alles begehen. Diese Lösung des politischen Freiheitsprohlemes ist für Rousseau völlig unbefriedi­ gend; nur zu deutlich ist Hohhes' Versuch, den naturrechtlichen Pri­ mat der Freiheit nur für die Legitimationslogik der Souveränität zu instrumentalisieren. Als Subjekt der die natürliche Freiheit der vie­ len Einzelnen absorbierenden höchsten Gewalt im Gemeinwesen kommt für Rousseau deshalh nur die res puhlica selhst in Frage. Das aufklärerische Pathos der Autonomie, das Hobbes um der Legitima­ tion des Staates willen gestärkt hatte, macht sich jetzt gegen Hobbes' Versuch geltend, die Souveränität als Repräsentation zu denken. Die pragmatisch-politischen Probleme, die sich mit der Verweigerung des repräsentativen Modelles ergeben, versucht Rousseau mit dem Kon­ zept der volonte generale zu lösen, in dem die Freiheit des Einzelnen mit Hegels Worten aufgehoben ist. Erst Rousseau kann es sich erlauben, den Zwang, den die staat­ lichen Institutionen ausüben, als >Zwang zur Freiheit zu deuten. Hobbes hatte sich noch damit beschieden, eben diesen Zwang als un­ ter - im Prinzip - allen Umständen rechtmäßig zu deuten, insofern er durch die von den vielen Einzelnen ausgesprochene »authorization without stint«, durch die ^vorbehaltlose Autorisierung< des Souve­ räns gedeckt ist. Doch Rousseau geht weiter, indem er den Gesell­ schaftsvertrag ungleich intensiver als Hobbes deutet und dabei das zivilrechtliche Paradigma weit hinter sich läßt. >Die vollständige En­ täußerung eines jeden Mitglieds mit allen seinen Rechten an die gan­ ze Gemeinschaft blendet die empirischen Individuen zugunsten idealer politischer Wesen aus, die mit dem Begriff des >citoyen< und des >corps politique< bezeichnet werden.2 Der Abschluß des Gesell­ schaftsvertrages erlaubt eine normative Deutung der Freiheit, die nicht mehr an der Willkür des Einzelnen ihren Halt finden muß. Im >Zwang zur Freiheit< macht sich der Legitimationsvorsprung des idealen politischen Subjektes, das mit dem Gesellschaftsvertrag ent­ steht, gegen das natürlich-empirische Subjekt geltend. Der Zwang, den die staatlichen Institutionen den empirischen Individuen zufü­ gen, ist das politische Instrument der Aufklärung selbst, die um der Verwirklichung der als Idee begriffenen Freiheit willen den empiri­ schen Individuen heimleuchten muß. Weder Hobbes noch Rousseau, so Kants und Hegels Kritik am vertragstheoretischen Modell, können die Notwendigkeit des Staates 2 Contrat Social I, 6, S. 360. 282

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philosophisch begründen. Beide können nur pragmatische Gründe geltend machen, um die Beschränkung einer naturrechtlich unbe­ schränkten Freiheit geltend zu machen. Doch schon diese Gegenüber­ stellung einer natürlichen Freiheit mit dem Rechtsverzicht, den der Staat für die Existenz des Einzelnen bedeutet, ist für Kant und Hegel unsinnig. Sie begründen eine >Pflicht zum Staatvolenti non fit iniuria< verläßt, da die gesetzgebende Gewalt des Staates dem »vereinigten Willen des Volkes« zukommt. Er kann sie aber vor allem nicht den­ ken, weil nur der »Staat in der Idee ..., wie er nach reinen Rechts­ prinzipien sein soll«, Gegenstand einer als >Metaphysik der Sitten< angelegten Theorie des Staates sein kann.10 Eine solche Philosophie kann kaum Politische Philosophie genannt werden, da sie sich jeden Zugang zur Wirklichkeit durch die Forderung nach der >Reinigkeit< der Theorie verbaut. Die Herrschsucht der Vernunft macht sich zu­ erst im Methodischen geltend, dann aber auch in den Konkreta der Staatsbegründungs- und der Institutionenlehre. Kants Attacken auf das Widerstandsrecht - gleichermaßen eine Antwort auf die Exzesse der französischen Revolution wie eine Konsequenz der normativen Befangenheit der Rechtslehre, die von ihren methodischen Vorgaben herrührt - sind nur der Gipfel einer Mißachtung der Empirie - und der Mißachtung der empirischen Individuen, die durch den Verweis auf die meta-empirischen Bedingungen ihrer Freiheit gerechtfertigt werden soll. Auf den Schultern der hier von Hobbes bis Kant gedeuteten Tradition wirft Hegels System der Sittlichkeit ein Licht in die politik­ philosophische Zukunft. Die Ableitung des Staates aus der Entfal­ tung der Idee beerbt ganz ohne Zweifel Kant, dem allerdings der ideenpolitische Realismus - oder Optimismus - Hegels noch sehr fremd erschienen wäre. Dem aufklärerisch-kritischen Gestus versagt sich Hegel, weil er mit dem Konzept der Sittlichkeit einen Rahmen entwickelt hat, in dem die Vernünftigkeit des Wirklichen als Behaup­ tung und als Norm gleichermaßen aufgefangen ist. Das ist der Sinn des berühmt-berüchtigten Epigrammes aus der Vorrede zur >Rechts­ 9 Rechtsphilosophie §257. 10 Rechtslehre §45; S. 313. 284

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philosophier Hegels Theorie des Staates ist denn auch durchaus dop­ peldeutig in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit. Wer Hegels Staat deutet, ohne den Rahmen der Sittlichkeit zu verstehen, in dem der Staat entfaltet wird, dem wird immer nur der >Mythus des Staates< erscheinen, dem wird immer nur Hegels Abkehr von der westeuro­ päischen Tradition der Aufklärung ins Auge springen. Tatsächlich ist gerade die Entfaltung des Staates innerhalb der Sittlichkeit mehr als ambivalent. Die Erweiterung des philosophischen Blickes um die Wahrneh­ mung der soziologischen Realitäten hat es Hegel erlaubt, schon die bürgerliche Gesellschaft im Rahmen der Sittlichkeit zu deuten wenngleich nur als eines ihrer Momente. Und eben diese Wahrneh­ mung hat Hegel dazu geführt, den modernitätsfeindlichen politi­ schen Monismus eines Rousseau weit hinter sich zu lassen - und zugleich den Staat in einer modernen und das heißt eben auch: mo­ dernitätskritischen Weise über die bürgerliche Gesellschaft zu stel­ len. Der philosophische Überschuß des Staates ist unübersehbar; ebenso unübersehbar ist jedoch auch das intrikate Gewebe, das ihn mit den anderen Phänomenen der Sittlichkeit, allererst der bürgerli­ chen Gesellschaft, verbindet. Den Staat im Rahmen der Sittlichkeit zu entwickeln, sprengt den Rahmen dessen, was neuzeitlich Staat genannt wird. Doch gerade in dieser Sprengung erweist sich Hegel zugleich als der Erbe und Überwinder der Politischen Philosophie der Aufklärung; als der Vollstrecker ihrer liberalen ebenso wie ihrer ab­ solutistischen Tendenzen, die in dem neuen Rahmen der Sittlichkeit aufgehoben werden. X-

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Die Politische Philosophie der Aufklärung hat viele Gesichter. Eines nur sollte hier porträtiert werden. Kräftige Striche sollten diesem Porträt Prägnanz verleihen. Daß eine Philosophie der Vernunft die Freiheit selbst bedroht, weil der Versuch einer konsequenten Be­ gründung der politischen Institutionen aus Freiheit und Vernunft deren Absolutismus begünstigt: das war die These, die die Lektüre eines Ausschnittes der aufklärerischen Politischen Philosophie gelei­ tet hat. Anlaß dieser Lektüre war die Wahrnehmung einer seltsamen Ambivalenz: Neben Hobbes' individualistischer Revolution des Na­ turrechts steht der Souverän, der sich zum Herrn über diejenigen aufschwingt, denen er seine Existenz verdankt; neben Rousseaus ^

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Ideal der Volkssouveränität steht die eiserne Mystik der volonte generale; neben Kants Verrechtlichung des Politischen stehen die At­ tacken auf das Widerstandsrecht; neben Hegels Pathos der Freiheit steht der Mythos des Staates. Eine doppelte Buchhaltung der Aufklä­ rung sollte die Kosten des Versuches aufrechnen, den Staat vor die Schranken der Vernunft zu zitieren, seiner Verteidung jedoch nur eine Waffe zuzugestehen: die Berufung auf die Freiheit nämlich. Der Preis dieses Versuches wäre eine Umdeutung des Begriffs der Freiheit. Natürlich läßt sich eine ganz andere Geschichte der Politischen Philosophie der Aufklärung schreiben. Eine Geschichte, die den Kampf um die politische Autonomie anders bewertet; eine Geschich­ te, die den Prozeß der Politischen Philosophie der Aufklärung an ihrer befreienden Leistung mißt. Eine solche Geschichte würde mehr Namen ins Spiel bringen als die des hier ins Zentrum gestellten Quartetts und den zeitlichen Rahmen ausweiten: John Locke, Mon­ tesquieu und die Federalists, der Abbe Sieyes, Tocqueville und Mill wären wichtige Figuren einer solchen Geschichte. Eine solche Ge­ schichte würde eine andere Deutung des Progresses der Politischen Philosophie vorschlagen: die Geschichte einer Idee der Freiheit, die gerade den Wünschen und Bedürfnissen, die der Würde der empiri­ schen Einzelnen Anerkennung zollt; eine Geschichte, die gerade die Hemmung der Institutionen der Herrschaft empfiehlt, um den Spiel­ raum der Freiheit des Individuums zu wahren; eine Geschichte, die den Abstand gegenüber dem Anspruch der Ideen zugunsten der un­ eindeutigen Wirklichkeit wahrt. Eine solche Geschichte könnte durchaus das Quartett Hobbes-Rousseau-Kant-Hegel berücksichti­ gen. Denn deren Beitrag zu einer klassisch-liberal gedeuteten Ge­ schichte der Freiheit ist unübersehbar. Eine solche Geschichte würde das autonomieverbürgende Po­ tential der Vertragstheorie hervorheben und in der progressiven Identifizierung von Freiheit und Vernunft die Hoffnung auf den frei­ en Menschen ausmachen. Sie würde in Hobbes den Begründer eines Legitimationsmodells sehen, das es verbietet, Herrschaft anders denn aus dem Willen der ihr unterworfenen zu begründen; sie würde Rousseau als einen Verfechter des Gemeinwohls und als einen Kämpfer gegen die monarchische und aristokratische Usurpation des Gemeinwesens deuten; sie würde in Kant den deutschen Vorden­ ker des Rechtsstaates und der Volkssouveränität erblicken und in Hegel - gegen die restaurativen Tendenzen des frühen 19. Jahrhun­ 286

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derts - einen unbeugsamen Partisanen der Freiheit. Eine solche Ge­ schichte hat viel für sich - und sie ist ohne Zweifel eine wahre Ge­ schichte. Von Hobbes haben wir die Vertragstheorie, von Rousseau die Idee der Volkssouveränität, von Kant Ideen des Weltfriedens und der Toleranz und von Hegel schließlich die Synthese all dessen im Modell der Sittlichkeit, die Allgemeines und Individuelles versöhnt. Doch all diese schönen Ideen haben ihre Kehrseiten. Und diese dunk­ len Seiten sollten hier erforscht werden. Daß diese dunklen Seiten nicht alles sind, versteht sich von selbst. Doch nicht alles ist schön und gut, was im hellen Licht der Aufklärung erstrahlt. Wird einmal die Frage nach der Despotie der Vernunft gestellt, so geraten selbst die wichtigsten Begriffe und Ideen in ein Zwielicht, das zu einer dif­ ferenzierten Bewertung der aufklärerischen Politischen Philosophie auffordert. Die Fluchtlinien der Interpretation entscheiden über die Deu­ tung eines Werkes. Oft genug sind Hobbes als Verfechter des ab­ soluten Staates, Rousseau als Vordenker des Totalitarismus und Hegel als geistiger Wegbegleiter der preussischen Reaktion gedeu­ tet worden. Und ebenso oft Hobbes als Vater des Liberalismus, Rousseau als Vordenker der Volkssouveränität, Kant als der tiefe Begründer des Rechtsstaates und Hegel als der Philosoph der bürgerlichen Gesellschaft. Wer mag da urteilen über richtige und falsche Interpretationen? Als Väter des modernen Verfassungsstaa­ tes können die Vier präsentiert werden, doch auch als die Schimä­ ren des politischen 20. Jahrhunderts. Im Rückblick, die Erfahrun­ gen des ausgehenden Jahrhunderts vor Augen, ist es möglich und nötig, neben der fortschrittsoptimistischen eine zweite Geschichte der Politischen Philosophie der Aufklärung zu schreiben. Eine sol­ che Geschichte hat schon eine facettenreiche Tradition. Erinnert sei an Cassirers >Mythus des StaatesDialektik der AufklärungPostmoderne< in ihren vielfältigen Schattierungen der tradier­ ten großen philosophischen Begrifflichkeit entgegenbringt. All die­ sen Versuchen ist der Abstand gegenüber der traditionell wohlwollenden Deutung der Aufklärung gemein. Aus unterschied­ licher Motivation, mit unterschiedlicher Methode und mit unter­ schiedlicher Zielsetzung versuchen diese skeptischen Deutungen der Aufklärung die despotischen und vermessenen Aspekte der ^

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Aufklärung ans Licht zu zerren - und so die Aufklärung über sich seihst aufzuklären. Die Hohhes-Rousseau-Kant-Hegel-Deutung ist an der Leitfrage nach der Despotie der Vernunft orientiert. Sie versucht die innerphi­ losophische Konstruktion eines ideengeschichtlichen Zusammen­ hanges der dunklen Seite der Aufklärung. Zu diesem Zwecke werden die Ideen und Begriffe auf ein Extrem hin gedeutet, das ihnen inne­ liegt. Hohhes unbegrenzte Souveränität, Rousseaus Zwang zur Frei­ heit, Kants Verwerfung des Widerstandsrechtes und Hegels Pflicht zum Staat gehören zum Kern der Werke. Diese Ideen sind nicht der Popanz einer aufklärungsfeindlichen Deutung dieser Werke, sondern die Konsequenz einer Aufklärung, die sich durch die Kraft und Selhstläufigkeit des Gedankens selhst an die Grenze treiht. Hohhes, Rousseau, Kant und Hegel zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie vor der Radikalität des Gedankens nicht zurückweichen. Der >Leviathan< und der >Contrat Sociah, die >Metaphysik der Sittern und die >Grundlinien der Philosophie des Rechts< sind ganz und gar philoso­ phische Werke. Und die hier vorgelegte Deutung verfolgt gerade den philosophischen Charakter dieses Denkens. Denn die Radikalität des Gedankens ist philosophischer, nicht politischer Natur. Die genannte Tradition der Skepsis eines Poppers, Cassirers oder Adorno/Horkheimers, diese Tradition schreiht eine Geschichte der Aufklärung als die Vorgeschichte der Totalitarismuserfahrungen des 20. Jahrhunderts. Diese Sichtweise ignoriert in gewisser Weise den philosophischen Charakter der Politischen Philosophie: von Platon his Hitler, so lautet die Kurzfassung dieser Geschichten. Hier wird dagegen eine Kritik der philosophischen Aufklärung aus dem Inneren der philosophi­ schen Arheit vorgeschlagen. In diesem Sinne stellt die zweite Ge­ schichte der Politischen Philosophie keine ideologiekritische Anklage dar, die die Philosophie kurzschlüssig auf eine wie auch immer hestimmte Wirklichkeit hezieht. Stattdessen wird die Frage nach den philosophischen Konsequenzen der Politischen Philosophie der Auf­ klärung gestellt. Diese Frage heantworten Hohhes, Rousseau, Kant und Hegel als Philosophen selhst in aller Deutlichkeit. Die zweite Geschichte der Politischen Philosophie der Aufklärung soll die Auf­ klärung aufklären üher die philosophischen Konsequenzen ihrer phi­ losophischen Radikalität. Tatsächlich ist es diese Radikalität selhst, die die Politische Philosophie von Hohhes, Rousseau, Kant und Hegel auch prohlematisch werden läßt. In unterschiedlichem Maße, doch in der Tendenz gilt für alle 288

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Vier: Radikal philosophisch wird das Politische allein in der Hoff­ nung auf die Kraft der Vernunft konstruiert - ohne sich weder an die historische Erfahrung anzulehnen noch durch das Gewebe tra­ dierter Normen verpflichten zu lassen. Radikal, nämlich radikal phi­ losophisch ist der von Hobbes bis Hegel beobachtbare Versuch einer Neubegründung des Politischen, insofern er - auf ganz spezifische Weise und mit je unterschiedlichen Motiven - der Wirklichkeit den Rücken kehrt. Daß gerade dieser Wagemut das befreiende Moment der Politischen Philosophie der Aufklärung überhaupt erst ermög­ licht, steht und stand immer außer Frage. In Frage aber steht hier die Qualität dieser Freiheit. Politische Philosophie der Aufklärung ist vom Ersten bis zum Letzten Politische Philosophie der Freiheit. Allein: sie ist immer Philosophie, sie lebt und atmet den Versuch einer konsequenten Begründung des Politischen aus der Vernunft. Die umstandslose Identifizierung von Freiheit und Vernunft im Pro­ zeß der Politischen Philosophie der Aufklärung aber ist problema­ tisch. Despotie der Vernunft heißt in diesem Sinne, daß der Versuch, das Politische auf Freiheit und Vernunft zu begründen, von einer einzigartigen Identifizierung von Freiheit und Vernunft ausgeht. Despotie der Vernunft heißt in diesem Sinne, daß das philosophische Gebot der Vernunft zu einer ganz engen Definition der Freiheit zwingt. Nur unter der Voraussetzung ihrer Vernünftigkeit kann Freiheit im Politischen Geltung beanspruchen. Damit aber wird die Vielfalt und die Uneindeutigkeit der menschlichen Existenz einge­ ebnet zugunsten ihrer Einpassung in ein philosophisches System der Letztbegründung politischer Institutionen. Die Frage nach der Despotie der Vernunft, gestellt an das Quar­ tett Hobbes-Rousseau-Kant-Hegel, beförderte hier einen Blick auf die maßlose Seite der Aufklärung, die die vielen Individuen mit ihren Wünschen, Interessen und Ansprüchen ausblendet zugunsten der vollendeten Herrschaft der Vernunft. Die Politische Philosophie der Aufklärung folgt dem Stern der Freiheit, indem sie das Wesen des Menschen durch Freiheit bestimmt. Doch die Radikalität der philoso­ phischen Konstruktion führt zur Ausblendung der Erfahrung und Mäßigung zugunsten der Alleinherrschaft der Vernunft. Die Ver­ nunft ist jedoch nicht nur befreiend. Sie kann den Menschen fesseln, wenn sie seine Gebrechlichkeit, wenn sie die Uneindeutigkeit seines Wesens und die Uneindeutigkeit der Welt ignoriert. In diesem und nur in diesem Sinne ist hier von der Despotie der Vernunft gespro­ chen werden. Das ist nicht die ganze politische Philosophie der Auf­ ^

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klärung - und es ist nicht der ganze Hohhes, der ganze Rousseau, der ganze Kant, der ganze Hegel, von denen hier die Rede ist. Maßlos wird die Politische Philosophie - und nicht nur die der Epoche der Aufklärung - immer dann, wenn sie den Menschen aus den Augen verliert. Maßlos wird die Politische Philosophie, wenn sie um der Ordnung der Ideen halher deren Konsequenzen aus den Augen ver­ liert. Maßlos wird die politische Philosophie, wenn sie das Maß des Menschen aus den Augen verliert. Der Reinheit der Idee entspricht das Wesen des Menschen nicht. Der Mensch ist vernünftig und un­ vernünftig, er ist eigennützig und uneigennützig, er ist sozial und asozial, er ist von seinen Interessen hestimmt und er kann diese In­ teressen ühersteigen, er ist Körper und Geist, er ist triehgeleitet und hört die Stimme der Vernunft. Das Wesen des Mensche ist uneindeu­ tig. Erstaunlich ist ehen dieses: die politische Philosophie der Aufklä­ rung geht vom amhivalenten Wesen des Menschen aus, doch ihr Fortschritt zwingt sie zu einer Aushlendung der empirischen Suhjekte zugunsten der idealen Wirklichkeit des Staates. So wird die politi­ sche Philosophie der Aufklärung prohlematisch: die Radikalität ihrer Gedanken läßt sie den Menschen vergessen. Den Respekt vor der Uneindeutigkeit des Menschen und der Uneindeutigkeit der Welt verliert die Politische Philosophie nur zu oft. Seit Platon die Philosophie durch die Aufgahe hestimmt hat, nach voraussetzungslosen Prinzipien denkend die Ordnung der Begriffe als Ordnung der Ideen zu zeichnen - und die >Realisierung< dieser Ideenordnung in der Politeia als Heilsversprechen formuliert hat-, ist die Politische Philosophie der Versuchung ausgesetzt, den Men­ schen der Idee zu unterwerfen. Ein Kapitel aus der Geschichte dieser Versuchung sollte hier erzählt werden. Nicht zuletzt, um die Politi­ sche Philosophie daran zu erinnern, daß es - will sie wirklich politi­ sche Philosophie sein - zu ihren vornehmsten Aufgahen gehört, die Gehrechlichkeit des Menschen im Auge zu hehalten. Nur eine Politi­ sche Philosophie, die diese Aufgahe ernst nimmt, ist auch mensch­ liche Philosophie. Sie hegnügt sich - um an Aristoteles Einspruch gegen Platons Wissenschaftsstrenge zu erinnern - mit der hinrei­ chenden Erklärung des >DaßDarum< nur um den Preis der Üherwältigung des Menschen zu hahen wäre.

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Armin Adam

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Register

Absolutismus 55££., 69££. alienation totale 93, 98£. Anthropologie, 43,126,142, 175, 185, 289£. Ausnahme£all 272£. Autorisierung 33-42, 65£., 73££., 119£., 176, 191 Autorität 33££., 43£., 65, 255

Macht 28£., 46,50,67, 191£. Mehrheitsprinzip 170£. Mystik 98££., 112,126£., 277 Naturrecht 31£., 76, 154££., 221£. Naturzustand, Ausgang aus dem, 42 ££., 159££., 165-190, 240, 282 Naturzustand, Funktion des 165£., 263 Nutzen 167 £.

Bürger 78£., 112, 123££., 213, 238 Demokratie 81 Dezisionismus 105, 271£. divine right o£ kings 73£. Erfahrung 60,148££., 184££. Französische Revolution 115, 193£., 257£., 262, 264££. Gemeinwille 82££., 94££., 104££., 130££., 255££. Gerechtigkeit 90, 97, 116£. 120, 142 Gesetzesherrscha£t 43, 108 ££. Gewaltenteilung 121 Gleichheit 88 £., 96 ££. Glückseligkeit 143££., 174, 194 Gottesgnadentum 278 Institutionen£eindlichkeit 186, 227£. Interesse 87££., 117£., 169, 211, 238££., 241££. Kategorischer Imperativ 145 ££., 183 ££. Legislateur 123,132££. Legitimität, Legitimation 25-42, 77, 83 ££., 111££., 119£., 176,179,190££., 236, 269 Liberalismus 159£., 162£., 229, 245££. 300

Pädagogik, politische 102£., 132, 137£., 243 £. Pluralismus 215 Politischer Körper, 37, 40£., 90££., 100, 104,115,125 £., 137 Praktische Philosophie 141 £., 148, 152, 183, 207 Rationalität, ökonomische, 45£., 50, 53£., 88£., 163,167£., 172£., 198, 213£. Reaktion 210, 252 Rechtspositivismus, 102, 150 Rechtsstaat 167, 204£. Rechtsverzicht 45 ££., 59 ££., 171 £., 191 Repräsentation, 34££., 42££., 84££., 101, 119££., 196£., 276 Sittlichkeit 158, 220££. Sozialität, 47, 223 Subjektivität 234££., 269££. Terror 55, 60, 115,129, 163 Theatralität, 55, 70£., 181££., 283£. Theologie, politische 58, 72£., 85,100, 111, 162, 182, 228, 270 Totalitarismusvorwur£ 107,160£. Universalität 146, 264

PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

Armin Adam

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Register

Vertragstheorie, Kritik an der 179, 220ff., 251-267, 281 Volk 106,110,114 ff., 122, 133, 212 Volkssouveränität 80 f., 102,106,111,121

Widerstand, Widerstandsrecht, 62 ff., 190-207 Willkür 105, 118,129f., 140,178, 220ff., 257 Wirklichkeitswissenschaft 279

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Petra Kolmer und Harald Korten (Hg.)

Recht - Staat - Gesellschaft Facetten der politischen Philosophie Hans Michael Baumgartner gewidmet 1999.176 Seiten. ISBN 3-495-47948-1 Vor dem Hintergrund des 50jährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutsch­ land thematisieren renommierte Autoren aus Philosophie, Rechtswissen­ schaft, Geschichtswissenschaft, Deutscher Literaturwissenschaft und Realpo­ litik Facetten und Probleme des Politischen einst und jetzt - von Staat und Recht ebenso wie von Gesellschaft, die seit dem 19. Jahrhundert zunehmend als Gegeüber des Staates begriffen wird. Aus dem Inhalt: • Petra Kolmer/Harald Korten, Einführung • Josef Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates - Statio­ nen in einem laufenden Prozeß • Reinhard Brandt, Institution - Institution in Antike und Neuzeit - Insti­ tution bei Kant. Eine Skizze • Wolfgang Kersting, Verteilungsgerechtigkeit oder politische Solidarität? Über die Schwierigkeiten einer philosophischen Sozialstaatsbegründung • Wolfgang Kluxen, Über ethische Grundlagen der Demokratie • Dieter Wellershoff, Die Pflicht zu führen • Helmut Berding, Die provisorische Reichszentralgewalt in der deutschen Revolution von 1848/49 • Wolfgang Frühwald, Erinnerung und Gedächtnis. Anmerkungen zur hi­ storischen Vernunft • Volker Gerhardt, Animal rationale. Das Tier, das seine Gründe hat • Hans Michael Baumgartner, Europa als Thema und Herausforderung der Philosophie • Klaus Konhardt, Die »Conditio humana« und der Staat • Auswahlbibliographie von Hans Michael Baumgartner Personenverzeichnis

Verlag Karl Alber Freiburg / München

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Tassilo Eichberger

Kants Architektur der Vernunft Zur methodenleitenden Metaphorik der Kritik der reinen Vernunft 1999. 228 Seiten. Reihe Fermenta philosophica. ISBN 3-495-47916-3 Die Kritik der reinen Vernunft wird als philosophischer Systembau rekon­ struiert. Ausgangspunkt ist die methodenleitende Metaphorik des Textes. In der Analyse zentraler Stellen der Kritik sowie mit Hilfe der Metaphern der Architektonik und der perspektivischen Zeichnung werden der Sinn der Me­ thodenlehre Kants und sein Begriff des philosophischen Systems erhellt. Da­ bei spannt sich der Bogen zu den Methodentraktaten der Renaissance in Ma­ lerei und Architektur. So wird der bisher kaum beachtete kulturhistorische Kontext der Kantischen Philosophie aufgezeigt. In einem großangelegtem Reflexionsgang wird die Rolle der Einbildungskraft bei der Genese einer phi­ losophischen Systematik dargestellt. Aus dem Inhalt: • Metaphorologische Vorüberlegungen • Die Idee einer Transzendentalphilosophie als Wissenschaft - Kants Beschreibung des kritischen Vorhabens unter dem Leitbild der Architektur • Systembegriff und Theoriegestalt • Der Ort der Einbildungskraft, 1. Teil: Die Rolle der Einbildungskraft in den Transzendentalen Deduktionen • Der Ort der Einbildungskraft, 2. Teil: Der Schematismus als verdeckter Traktat der symbolischen Einbildungskraft • Der Ort der Einbildungskraft, 3. Teil: Die Ideenlehre als Perspektive der Vernunft • Literaturverzeichnis und Personen- und Sachregister

Verlag Karl Alber Freiburg / München

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