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German Pages [460] Year 2016
Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments
In Verbindung mit der Stiftung „Bibel und Orient“ der Universität Fribourg/Schweiz herausgegeben von Martin Ebner (Bonn), Peter Lampe (Heidelberg), Stefan Schreiber (Augsburg) und Jürgen Zangenberg (Leiden) Advisory Board Helen K. Bond (Edinburgh), Raimo Hakola (Helsinki), Thomas Schumacher (Fribourg), John Barclay (Durham), Arman Puig i T rrech (Barcelona), Ronny Reich (Haifa), Edmondo F. Lupieri (Chicago), Stefan Münger (Bern) Band 110
Vandenhoeck & Ruprecht
Lorenzo Scornaienchi
Der umstrittene Jesus und seine Apologie – Die Streitgespräche im Markusevangelium
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1420-4592 ISBN 978-3-666-59368-0
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Alla memoria del mio caro padre, Mario Scornaienchi, che mi ha sempre incoraggiato e sostenuto negli studi teologici
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interpretationskonzepte der Streitgespräche . . 2.1 Die historische Interpretation . . . . . . . . 2.2 Die kontrovers-theologische Interpretation 2.3 Die biographisch-literarische Interpretation
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15 15 15 15 16 19
Forschungsgeschichte zu den markinischen Streitgesprächen . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streitgespräche und Formgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die formgeschichtliche Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 M. Dibelius: Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 M. Albertz: Entstehungsgeschichte der Streitgespräche . . . . 2.4 R. Bultmann: Streitgespräche und Apophthegmen . . . . . . . 2.5 V. Taylor: „Pronouncement-Stories“ . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Streitgespräche und die Redaktionsgeschichte . . . . . . . . . 3.1 Die Redaktionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 W. Thissen: Die Sammlung Mk 2,1–3,6 . . . . . . . . . . . . . 3.3 A.J. Hultgren: Jesus and His Adversaries . . . . . . . . . . . . 3.4 J. Kiilunen: Die Vollmacht im Widerstreit . . . . . . . . . . . 3.5 W. Weiß: Eine neue Lehre in Vollmacht . . . . . . . . . . . . 3.6 P. Rolin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 B. Repschinski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die neue formgeschichtliche Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die neue Formgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die erste Phase der SBL Pronouncement Stories Work Group. 4.3 J. Dewey: Rhetorical Criticism . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die zweite Phase der SBL Pronouncement Stories Work Group . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Genese der Streitgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Gattung und die literarische Relevanz der Streitgespräche 5.3 Der polemische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der „Sitz im Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 20 22 22 24 28 30 33 35 35 36 39 41 43 46 48 50 51 51 51 54 56 59 60 61 61 62
II. Die literarische Form der Streitgespräche . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung: Die Probleme der Formgeschichte . . . . . . . . . . .
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I.
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Inhalt
2. „Kleinliteratur“ und das Problem des Stils . . . . . . . . . . 2.1 Die Bedeutung von Kleinliteratur . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das genus humile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Markusevangelium als litt rature mineure . . . . . 3. Die Bezeichnung „Streitgespräche“ und das Gespräch . . . . 3.1 Dialog und Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Streitgespräch als !c½m kºcym . . . . . . . . . . . . 4. Die Streitgespräche im Rahmen der aphoristischen Formen . 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die kleinen Gattungen aus der Sicht der Rhetorik . . . . 4.3 !polmglºmeula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 wqe¸a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 !pºvhecla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Apophthegmen und Biographie . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Streitgespräche und Jesus-Überlieferung . . . . . . . . . 5. Die Texte der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 66 . 66 . 70 . 75 . 77 . 77 . 82 . 84 . 84 . 85 . 87 . 89 . 93 . 97 . 98 . 104
III. Polemik als Kontext der Streitgespräche . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition von Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Ursprung und Entwicklung des Begriffs „Polemik“ . . . . . 2.2 Sprach- und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zur Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Heuristik der Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Linguistische Forschung französischer Prägung . . . . . . . 2.5 Polemik in der Antike: Abwertung der Invektive . . . . . . 2.6 Polemik in der Antike als sprachliche Aggression . . . . . . 2.7 Normative Aspekte der Polemik . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Die ethisch-formale Normierung . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Die philosophisch-inhaltliche Normierung . . . . . . 2.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Polemik und markinische Streitgespräche . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Streitgespräche als Polemik des (historischen) Jesus . . 3.2 Die Streitgespräche als Polemik der christlichen Gemeinde . 3.3 Die Streitgespräche als literarische Antwort auf die Polemik gegen die Gestalt Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Der abstoßende Tod Jesu am Kreuz . . . . . . . . . . 3.3.2 Jesus als unschuldiger Angeklagter und Gekreuzigter . 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa . . . . 1. Einführung: Mk 2,1–3,6 und die Interpretation des Evangeliums 2. Die Frage nach der vormarkinischen Sammlung in Mk 2,1–3,6 . 3. Der Umgang mit Sünde und Sündern in Mk 2,1–12 und 2,13–17 3.1 Formale Analyse von Mk 2,1–12 . . . . . . . . . . . . . . .
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177 177 179 184 184
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Inhalt
4.
5.
6. 7.
8.
V.
3.2 Die Vergebung der Sünden als Streitthema . . . . . . . . . . . 3.3 Die Anklage der Blasphemie im Markusevangelium . . . . . . 3.4 Das Argument Jesu gegen die Anklage . . . . . . . . . . . . . 3.5 Formale Analyse von Mk 2,13–17 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Jesu Umgang mit den Sündern . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Die Mahlgemeinschaften Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Das Motiv des Arztes als Argument Jesu (Mk 2,17) . . . . . . Der Umgang mit dem Fasten Mk 2,18–22 . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Formale Analyse von Mk 2,18–22 . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Frage nach dem Fasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Hochzeit und ihr Ende 1m 1je¸m, t0 Bl´qô . . . . . . . . . 4.4 Das Bildwort vom Kleid und von den Schläuchen . . . . . . . Der Umgang mit dem Sabbat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Frage nach der Sabbatobservanz . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Historizität und Einbettung der Sabbatperikopen . . . . . . . 5.3 Der Text von Mk 2,23–28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der Text von Mk 3,1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Der ,Präzedenzfall‘ Davids Mk 2,24–25 . . . . . . . . . . . . . 5.6 Mensch und Verbote am Sabbat: die humanitas Jesu . . . . . 5.7 Die Frage nach dem 5nestim Mk 3,4 und Mk10,2 . . . . . . . 5.8 Die Herodianer in Mk 3,6. Die Gruppierungen der Gegner Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse aus Mk 2,1–3,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesus und das Dämonische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Einleitung: Der Hintergrund von Mk 3,22–30 und Mk 8,11–13 7.2 Der Text von Mk 3,22–30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Der Vorwurf der Zauberei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Die metaphorischen Antworten Jesu . . . . . . . . . . . . . . Jesus und die Reinheitsgesetze: Mk 7,1–23 . . . . . . . . . . . . . 8.1 Die Diskussion über die Reinheit . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Der Text von Mk 7,1–23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 1mtok¶ heoO versus paq²dosir !mhq¾pym . . . . . . . . . . . . 8.4 Die Authentizität von Mk 7,15 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Reinheit aus anthropologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . .
Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sammlung der Jerusalemer Streitgespräche . . . . . . . . 3. Die Frage nach der 1nous¸a Jesu (Mk 11,27–33) . . . . . . . . 3.1 Der Text von Mk 11,27–33 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Semantik des Wortes 1nous¸a im Griechischen . . . . 3.3 Die Bedeutung der 1nous¸a Jesu . . . . . . . . . . . . . . 3.4 1nous¸a als auctoritas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Gegenfrage und die Prophetie . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
4. Die Frage nach dem Zensus für den Kaiser: die Macht des Kaisers Mk 12,13–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Text von Mk 12,13–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das Problem der Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Lösung eines Dilemmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Auferstehung als Macht Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Text von Mk 12,18–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Auferstehung als Streitthema . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die auctoritas Jesu in der Gesetzesauslegung Mk 12,28–34 . . . . . 6.1 Der Text von Mk 12,28–34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Streitgespräch oder Schulgespräch? . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Einbettung und Funktion des Doppelgebotes . . . . . . . . . 7. Die königliche Vollmacht des Messias: Mk 12,35–38 . . . . . . . . 7.1 Der Text von Mk 12,35–37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Das Problem der Davidssohnschaft . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Der Syllogismus zum Psalm 110 . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
344 344 344 348 351 357 357 358 360 365 365 369 371 378 378 379 382 386
VI. Die Streitgespräche und das Markusevangelium . . . . . . . . . . . 1. Das Markusevangelium aus der Perspektive der Streitgespräche 1.1 Der historische Kontext: Der Jüdische Krieg . . . . . . . . . 1.2 Die theologischen Inhalte: Der Kreuzestod . . . . . . . . . . 1.3 Die Gattung: Eine Apologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der maßvolle Redestil Jesu im Markusevangelium . . . . . . . . 3. Reterritorialisierung der Christen in das römische Reich . . . .
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388 388 392 396 400 405 407
Literatur . . . . . . . . . 1. Primärquellen . . 2. Hilfsmittel . . . . 3. Sekundärliteratur
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409 409 416 417
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Moderne Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Vorwort Zuerst nun, ihr Athener, muss ich mich wohl verteidigen gegen das, dessen ich zuerst fälschlich angeklagt bin, und gegen meine ersten Ankläger, und hernach gegen der späteren Späteres. Denn viele Ankläger habe ich längst bei euch gehabt und schon vor vielen Jahren und die nichts Wahres sagten. (…) Wohl! Verteidigen muss ich mich also, ihr Athener, und den Versuch machen, eine verkehrte Meinung, die ihr seit langer Zeit bekommen habt, euch in so sehr kurzer Zeit zu benehmen. Ich wünschte nun zwar wohl, dass dieses so erfolgte, wenn es so besser ist für euch sowohl als für mich, und dass ich etwas gewönne durch meine Verteidigung. Ich glaube aber, dieses ist schwer, und keineswegs entgeht mir, wie es damit steht. Doch dieses gehe nun, wie es Gott genehm ist, mir gebührt, dem Gesetz zu gehorchen und mich zu verteidigen. Plato, Apologie 18a–b und 19a (übers. F. Schleiermacher)
Sokrates spricht am Anfang seiner Apologie von der Notwendigkeit, sich gegen alle falschen Vorwürfe zu verteidigen, die in Athen verbreitet worden sind und schließlich zu seinem Prozess geführt haben. Dieses Vorhaben ist nicht einfach, denn durch die jahrelange Opposition gegen seine Lehre ist sehr viel Material zusammen gekommen. Für Sokrates ist es beinahe wichtiger, seinen Ruf zu verteidigen als der drohenden Todesstrafe zu entgehen. Seine Apologie dient also vielmehr seinen Schülern: Sie können damit beweisen, dass sie einem weisen und aufrichtigen Mann gefolgt sind, der zu Unrecht verurteilt wurde. Dass eine Apologie des Sokrates wirklich stattgefunden hat, wird von den meisten Historikern angenommen. Es erhob sich allerdings bereits in der Antike immer wieder der Verdacht, dass Sokrates sich nicht verteidigt habe, dass die überlieferten Reden bei Platon literarische Fiktion seien.1 Dieser Verdacht ist spätestens seit der Spätantike dokumentiert, als Libanios in seinem Werk „De silentio Socratis“ die fiktive Verteidigungsrede einen Schüler und nicht mehr Sokrates selbst halten lässt.2. Das Thema der sokratischen Apologie, die es erlaubt, die Weisheit des Philosophen hervorzustreichen, wurde zum literarisch-exemplarischen Lehrstück für die Verteidigungsreden der antiken Rhetorik.
1 Die Diskussion über die Historizität der Apologie Platos ist bei W.K.C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, Bd. 4, 72–80, zu finden. 2 Vgl. Libani Opera (R. Förster Hg.) Bd. 5, Leipzig, Teubner 1909, 13–121. Die deutsche Übersetzung von O. Opelt, Libanius, Die Apologie des Sokrates, Leipzig 1922.
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Vorwort
In den Evangelien wird keine Verteidigungsrede Jesu erwähnt. Sogar das Johannesevangelium, das lange Abschiedsreden (Joh 14–16) und ein langes Schlussgebet (Joh 17) enthält, verzichtet auf eine Gerichtsrede Jesu. Während des Verhörs vor Pilatus, vor Herodes und vor dem Synedrium schweigt Jesus (Mk 15,5/Mt 27,14/Lk 23,9), oder er macht nur sehr kurze Aussagen. Die Evangelisten hätten Jesus eine solche Apologie in den Mund legen können, denn die Apostelgeschichte zeigt oft, wie die Apostel vor Gericht oder vor dem Tod (in Fall von Stephanus) eine lange Rede halten. Die synoptische Tradition enthält sogar ein Logion Jesu über die Beihilfe des heiligen Geistes im Fall eines Gerichtsverfahrens (vgl. Mt 10,19 f). Jesus hält aber beim Verhör keine Verteidigungsrede, obwohl die religiösen Autoritäten falsche Zeugen gegen ihn einsetzen. Der Grund für das Fehlen einer solchen Rede liegt vielleicht darin, dass sich zur Zeit der Verfassung der Evangelien die Tradition eines schweigenden Jesus bereits etabliert hatte. Sie wurde außerdem mit der alttestamentlichen Prophetie des leidenden Knechts bekräftigt, der wie ein schweigendes Lamm das Leiden entgegennimmt (Jes 53,7). Eine Apologie der Gestalt Jesu, eine Klärung, dass er kein Verbrecher war, wurde aber mit der Zeit als notwendig empfunden. Die Christen folgten zwar einem Gekreuzigten, der aber kein Verbrecher war, sondern das Opfer einer ungerechten Hinrichtung. Diese Untersuchung beschäftigt sich mit der Funktion und der Entstehung der Streitgespräche im Markusevangelium. Die Hauptthese ist, dass die Streitgespräche eine apologetische Rolle für die Gestalt Jesu spielen. In den Streitgesprächen werden die meisten Vorwürfe thematisiert, die noch lange Zeit gegen Jesus erhoben werden würden, vor allem seine blasphemische Haltung gegen die offizielle Religion und der Verdacht des politischen Widerstands gegen das römische Reich. Die Tatsache, dass er am Kreuz hingerichtet wurde, diente oft als Argument, um eine rebellische Aktivität Jesu zu postulieren. Die Streitgespräche ersetzen also die fehlende Apologie Jesu im Prozess. Sie wurden vermutlich vom Evangelisten verfasst, aber es ist Jesus selbst, der damit seine Apologie unternimmt, indem er alle Vorwürfe entschieden zurückweist. Die hier angenommene Funktion der Streitgespräche hilft, die Entstehung des ältesten Evangeliums zu erklären. Diese sind eine Art Wirbelsäule des Evangeliums, das damit auch insgesamt als eine apologetische Schrift der Gestalt Jesu zu betrachten ist. Diese Hypothese wird der etablierten Deutung der Streitgespräche durch die alte Formgeschichte gegenübergestellt. Nach der Formgeschichte sind diese Texte als kleine literarische Formen, die sich im Rahmen der Polemik der christlichen Gemeinde gegen das Judentum herausgebildet haben, zu sehen. Damit wollten sich die Christen rituell und theologisch abgrenzen. Die Auseinandersetzung mit den Thesen der Formgeschichte ist ein zentrales Anliegen dieser Studie. Im ersten Kapitel werden die verschiedenen Inter-
Vorwort
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pretationsmodelle dargestellt. Im zweiten Kapitel wird die Frage der literarischen Gattung der Streitgespräche behandelt. Da die Streitgespräche eine polemische Situation reproduzieren, wird im dritten Kapitel eine Definition des Begriffs Polemik geliefert. Im vierten und fünften Kapitel werden die Texte analysiert nach der üblichen Einteilung in „galiläische“ – und „Jerusalemer Streitgespräche“. Diese Klassifizierung richtet sich allein nach dem Ort, an dem die Debatten im Aufriss des Evangeliums stattgefunden haben, aber sie hat keine traditionsgeschichtliche Bedeutung. Im sechsten Kapitel werden Schlussfolgerungen gezogen, vor allem im Hinblick auf den Zusammenhang der Streitgespräche mit der Frage nach der Entstehung des Evangeliums. Die vorliegende Untersuchung ist eine leicht veränderte Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2013/14 am Fachbereich Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde. Die Niederschrift des Manuskripts erfolgte während meiner Forschungszeit an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Zürich, wo ich mich besonders mit dem Studium der Formgeschichte und der polemischen Rede einerseits sowie der Hermeneutik andererseits befasst habe. Ich möchte mich vor allem bei Frau Prof. em. Dr. Dr. h.c. Oda Wischmeyer, Vorsitzende des Fachmentorats, für Ihre Unterstützung und für die zahlreichen weiterführenden Diskussionen während meiner Assistenzzeit in Erlangen und auch danach bedanken. Ich bin ebenfalls Herrn Prof. Dr. em. Hans Weder zu Dank verpflichtet, bei dem ich die Reflexion zu Hermeneutik und Philosophie vertiefen konnte, sowie den Mitgliedern des Fachmentorats, Herrn Prof. Dr. Lukas Bormann (Marburg) und Frau Prof. Dr. Karla Pollmann (Glasgow), die mich bei der Verfassung der Arbeit kritisch unterstützt haben. Einige Bekannte und Freunde haben mir bei der Korrektur des Manuskripts geholfen: Herr Pfarrer i.R. Christian Kober (Stäfa, Zürich), Frau Dr. Hella Gloocke (Tübingen), Frau Prof. em. Dr. Dr. h.c. Oda Wischmeyer (Erlangen) und Herr Prof. Dr. Dr. mult. Gerd Theißen (Heidelberg). Ihnen allen sei hier ganz herzlich gedankt. Die Publikation dieses Buches wurde von der „Emil-Brunner-Stiftung“ der Zürcher Landeskirche unterstützt. Mein aufrichtiger Dank sei auch ihr gewiss. Zürich, im September 2015
Einleitung 1. Vorbemerkung In den synoptischen Evangelien beteiligt sich Jesus an verschiedenen Streitgesprächen mit Pharisäern, Schriftgelehrten, Sadduzäern und Herodianern. Dieser Sachverhalt erweckt den Anschein, dass Jesus dauernd an polemischen Auseinandersetzungen mit anderen Religionsparteien und jüdischen Autoritäten teilnahm. Dies ist auffällig, denn die Teilnahme an Streitgesprächen kann den Ruf eines Menschen nachhaltig prägen: Wer an einer Polemik beteiligt ist, kann siegreich daraus hervorgehen, einen Nutzen davon tragen und seine Stellung verbessern, oder aber seinen Ruf ruinieren und an Bedeutung und Einfluss verlieren. Die Neigung einer Person zu polemischem Verhalten kann auch als eine negative Eigenschaft empfunden werden. Die jeweilige Einschätzung und Bewertung des Phänomens der Polemik hängt von der grundsätzlichen Einstellung der jeweiligen Epoche und des individuellen Lesers ab. Ziel dieser Untersuchung ist es, die Streitgespräche Jesu im Kontext philosophischer und literarischer Parallelen aus der hellenistisch-römischen und jüdischen Antike aus diesem allgemeinen Blickwinkel der Polemik zu analysieren.
2. Interpretationskonzepte der Streitgespräche In der Forschungsgeschichte lassen sich im Wesentlichen drei Arten der Interpretation von Streitgesprächen unterscheiden: a) die historisch-dokumentarische, b) die kontrovers-theologische und c) die literarisch-biographische Interpretation. 2.1 Die historische Interpretation Gemäß der historischen Interpretation dokumentieren die Streitgespräche die Auseinandersetzung des historischen Jesus mit anderen religiösen Gruppen und mit den Gelehrten seiner Zeit, wobei Jesus sich als Vertreter einer neuen Lehre im religiösen Umfeld des palästinischen Judentums profiliert und dabei ein unkonventionelles Verhalten aufweist. Nach dieser Interpretation ist Jesus unvermeidlich mit verschiedenen jüdischen Gruppierungen seiner Zeit in Konflikt geraten. Er hat tatsächlich während seines Wirkens eine offene Dis-
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Einleitung
kussion mit den jüdischen Gelehrten geführt. Durch seine Lehren hat er eine neue, eigene Auffassung des Gesetzes propagieren wollen, die sich von der traditionellen Gesetzesauslegung unterschied. Jesus sei demnach ein Rabbi gewesen, der sich gegen die starre, wörtliche Auslegung der religiösen jüdischen Tradition wandte.1 Diese Interpretation wurde vor allem von der liberalen Exegese vertreten, die sich vornahm, mithilfe der Evangelien eine Geschichte des Lebens Jesu zu schreiben. Die Streitgespräche wurden allerdings nicht als biographisches Material verwertet, sondern sie galten allgemein als Beleg für eine grundsätzliche Opposition Jesu gegen die religiösen Autoritäten (z. B. Mt 23,13–36, die Wehklagen über die Schriftgelehrten und die Pharisäer). Im Mittelpunkt der historischen Interpretation steht einerseits die Feindschaft der Pharisäer, die sich gegen die Lehre und das Verhalten Jesu auflehnen, und andererseits die Emotionalität, mit der sich Jesus an die Pharisäer wendet. Gerade die Zornesausbrüche Jesu, die in manchen Situationen klar zum Ausdruck kommen, werden als ein Beweis für die Historizität des Konflikts gewertet. Manche Autoren stellen die Frage nach dem psychischen Profil der Person Jesu. Es ist bemerkenswert, dass A. Schweitzer die historische Jesusforschung deshalb in Frage stellte und die damit zusammenhängenden Arbeiten über das psychologische Profil Jesu scharf kritisierte.2
2.2 Die kontrovers-theologische Interpretation Die kontrovers-theologische Interpretation besagt, dass die Streitgespräche nicht primär historisch auszulegen sind, sondern dass sie im Sinne des ,mirror reading‘ die Debatten der christlichen Gemeinde mit dem Judentum widerspiegeln. Im Mittelpunkt steht nun nicht mehr der historische Jesus, sondern die christliche Gemeinde des ersten Jahrhunderts und ihre Etablierung als Trägerin einer neuen, autonomen Religion. Die Diskussionen kreisen vor allem um die Interpretation und die Anwendung des Gesetzes. Diese Perspektive ist im Rahmen der formgeschichtlichen Forschung formuliert worden. Die Streitgespräche gehören ihr zufolge zu den kleinen literarischen Formen, die die Grundlage der synoptischen Überlieferung darstellen. Sie sind keine historischen Dokumente, sondern vielmehr stilisierte Debatten oder exemplarische Szenen. Anstatt nach ihrem historischen Hintergrund zu fragen, sucht die Formgeschichte nach der typischen Situation, in der die Streitgespräche entstanden sind, nach dem „Sitz im Leben“. Dieser Interpretationsansatz ist in der Exegese nach wie vor sehr verbreitet. 1 Eine allgemeine Rekonstruktion dieses Charakters der Verkündigung Jesu findet sich z. B. bei W. Bousset, Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum. Ein religionsgeschichtlicher Vergleich, Göttingen 1892, der Jesu Predigt im Zusammenhang mit der prophetischen Tradition erklärt. 2 A. Schweitzer, Die psychiatrische Beurteilung Jesu. Darstellung und Kritik, Tübingen 1913.
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Bemerkenswert ist, dass auch neuere Studien über den historischen Jesus diesen Ansatz der Formgeschichte aufnehmen und somit auf eine Rekonstruktion Jesu als Polemiker verzichten. E.P. Sanders definiert die Konflikte über den Sabbat in Mk 2 als eine Rückprojektion von späteren Gemeindedebatten auf Jesus.3 Als Beispiel führt er Mk 2,23–28 an: Es sei, so Sanders, ganz unwahrscheinlich, dass die Pharisäer so genau auf das Verhalten der Jünger Jesu auf den Feldern achten, und für historisch noch unwahrscheinlicher hält er das Argument, das Jesus an dieser Stelle verwendet, nämlich das Beispiel Davids. Davids Verhalten habe mit dem Sabbat nichts zu tun; das Argument hätte also kaum überzeugt.4 Die strittigen Fragen betreffen hier vor allem die Interpretation des Gesetzes, die Frage nach der kultischen und rituellen Reinheit und die Anerkennung der Figur Jesu als Messias. In der Interpretation der Debatten wird immer nach dem „Sitz im Leben“ in der christlichen Gemeinde anstatt nach der historischen oder literarischen Bedeutung der Streitgespräche gefragt. Die später erfolgte Trennung der christlichen Gemeinde vom Judentum wird durch die Streitgespräche vorbereitet, die diese auf Jesu Verkündigung zurückprojizieren, während der historische Jesus in Wahrheit vollkommen integriert innerhalb seines jüdischen religiösen Umfeldes lebte. Diese kontrovers-theologische Interpretation ist mit einigen Problemen verbunden. Ich möchte zwei zentrale Einwände gegen die Hypothese von Sanders nennen: Zum ersten ist das Argument aus Mk 2,23 ff., wenn es historisch nicht plausibel ist, wie Sanders behauptet, auch für die Diskussionen innerhalb der Gemeinde unbrauchbar. Nicht nur Jesus braucht gute Argumente, sondern auch die Gemeinde. Im Matthäusevangelium, das eine genauere theologische Auseinandersetzung mit dem Judentum bietet, ist der Text erheblich geglättet. Es werden nicht nur Fehler korrigiert, wie der falsche Bezug auf Abiatar, sondern die Kontroverse erhält insgesamt eine ganz andere Bedeutung. Durch die Einfügung von Mt 12,5 wird das Beispiel Davids als eine nicht als Schuld qualifizierte Sabbat-Übertretung dargestellt.5 All dies deutet m. E. darauf hin, dass Mk 2,23 ff. seinen Ursprung nicht in einer Gemeindekontroverse hatte, vielmehr dürfte es sich um eine literarische Komposition handeln.
3 E.P. Sanders, The Historical Figure of Jesus, bes. Kapitel „Contention and Opposition in Galilee“ (205–237). 4 „Legally, Jesus would have needed a better analogy. Moreover, in the story of the grain field human life was not at stake“ (214). 5 Der Text von Matthäus eröffnet die Möglichkeit, den Sabbat zu brechen, ohne sich schuldig zu machen, was im Gesetz dokumentiert wird: C oqj !m´cmyte 1m t` mºl\ fti to?r s²bbasim oR Reqe?r 1m t` Req` t¹ s²bbatom bebgkoOsim ja· !ma¸tio¸ eQsim.
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Zum zweiten bekräftigt Sanders seine Hypothese mit einem Detail, das in manchen Erzählungen begegnet. Jesus wird nicht auf sein eigenes Verhalten angesprochen, sondern auf das Verhalten seiner Jünger. Dass Jesus für seine Jünger herhalten muss, findet Sanders seltsam. Es sei daher ein Hinweis darauf, dass zeitgenössische Streitfragen der Gemeinde auf Jesus rückprojiziert und von diesem als Autorität gelöst werden. Diese Erklärung verliert an Plausibilität, wenn man die Mentalität der Antike berücksichtigt. Eine bekannte Chrie über Diogenes, die in den verschiedensten Formen überliefert wurde, sagt: „Diogenes schlug, als er einen undisziplinierten Jungen sah, den Pädagogen“. Die gleiche Chrie wird an anderer Stelle auch folgendermaßen formuliert: „Diogenes schlug, als er einen undisziplinierten Jungen sah, den Pädagogen und sagte: Warum hast du ihm so etwas beigebracht?“6. Der Lehrer muss das Verhalten seiner Jünger bzw. Schüler verantworten. Die entsprechende Frage an Jesus ist daher ein Hinweis darauf, dass Jesus als Lehrer angesehen wird.7 Natürlich ist Jesus ein did²sjakor und nicht bloß ein paidacycºr. Ein ähnlicher Sachverhalt ergibt sich aus der Analyse der Debatte über die Reinheit in Mk 7. Das Thema der Reinheit wird in diesem Text nicht inhaltlich behandelt. Es genügt, die Pharisäer als diejenigen zu schildern, die sich in ihrem religiösen Denken auf Äußerlichkeiten konzentrieren. Die Opposition rein-unrein wird auf die Opposition innerlich-äußerlich, auf die anthropologische Opposition Herz-Lippen und schließlich auf die theologische Opposition Gottes Gebot-menschliche Tradition übertragen. Die Pharisäer werden als diejenigen dargestellt, die sich auf das Äußerlich-Menschliche konzentrieren und daher Jesus, der das Innerlich-Göttliche verkörpert, anklagen. Aus dem Herzen kommt die Blasphemie (Mk 7,22), und die Worte, die aus dem Mund kommen, machen den Menschen unrein. Interessant an diesem Beispiel ist, dass der terminus technicus joimºr, nach der rituellen Semantik „unrein“, geklärt werden muss, weil die Leser des Markusevangeliums sonst offensichtlich nur die gängige griechische Bedeutung von „gemeinsam“ verstehen könnten. In den Streitgesprächen ist nicht die Behandlung eines Themas und die Suche nach überzeugenden Argumenten innerhalb einer polemischen Auseinandersetzung das Hauptanliegen. Sie stellen vielmehr die frontale Konfrontation der Pharisäer mit Jesus dar und die Fähigkeit Jesu, den Fragen seiner Gegner den Boden zu entziehen. Sie konstruieren also die Gestalt Jesu. Jesus kann durch seine Weisheit die Argumente, die gegen ihn ins Feld geführt werden, ad absurdum führen. Das literarische Profil der Streitgespräche kann 6 Herm. Prog. 3: Dioc´mgr Qd½m leiq²jiom !tajtoOm t¹m paidacycºm 1t¼ptgse… Dioc´mgr Qd½m leiq²jiom !tajtoOm t¹m paidacycºm 1t¼ptgse k´cym t· c±q toiaOta 1pa¸deuer. 7 Dieses Thema behandelt D. Daube, Responsibilities of Master und Disciples in the Gospels, NTS 19 (1972) 1–15. Zu Mk 2,23ff schreibt er (S. 5): „Jesus is responsible for this infringement of the law, all the more since it goes on before his very eyes. There is no trace of any hesitation in approaching him about it or in his taking up the complaint.“
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zusätzlich durch ihre Funktion im Gesamtaufbau des Evangeliums betont werden, was schon Hermann von Soden in seinem Jesus-Buch bemerkte: Die Diskussionen [so nennt er die Streitgespräche L.S.] erinnern an die Dialoge Platons, in denen Platon in Form von Auseinandersetzungen seines Lehrers Sokrates mit dessen Gegnern den Sophisten, oder mit dessen Schülern seine Auffassung der Dinge allseitig zur Darlegung bringt. Die Architektur ist von tadelloser Harmonie, besonders im ersten Hauptteil, in welchem, gleich den beiden Säulen am Tempeleingang, zu jeder Auseinandersetzung je zwei Geschichten den Zugang, das Proszenium, bilden.8
Dieses Urteil von Sodens führt zum nächsten Interpretationsmodell, nach welchem die Streitgespräche in einem literarisch-biographischen Zusammenhang erklärt werden. 2.3 Die biographisch-literarische Interpretation Die biographisch-literarische Interpretation sieht den Zweck der Streitgespräche darin, ein bestimmtes Bild von Jesus zu vermitteln. Jesus ist durch Streitfragen gezwungen, zu bestimmten theologischen Themen Stellung zu nehmen. Das geschieht nach den Regeln der hellenistischen Dialektik. Diese Interpretation, die ich in meiner Untersuchung vertiefen möchte, schließt die beiden vorangehenden Modelle der historischen und der kontrovers-theologischen Interpretation nicht aus. Es ist historisch durchaus möglich, dass Jesus die Kritik der religiösen Autoritäten häufig auf sich zog und dass er mit diesen offen debattiert hat. Ebenso können viele Texte die Auseinandersetzungen der christlichen und der jüdischen Gemeinden zum Ausdruck bringen. Die Streitgespräche, wie sie im Markusevangelium vorliegen, lassen sich aber nicht vollkommen schlüssig in das historische oder in das kontroverstheologische Modell integrieren. Sie dienen vor allem dazu, ein Bild von Jesus als Lehrer zu modellieren, der sich im Dialog bewährt. Zwei Aspekte lassen mich für eine solche Interpretation plädieren: zum einen die Wahl einer besonderen literarischen Gattung durch den Evangelisten, nämlich die des Apophthegmas, das in der biographischen Schriftstellerei weit verbreitet ist, und zum anderen die konsequente Haltung Jesu in den Auseinandersetzungen, in denen er sich immer fair gegenüber den listigen Feinden verhält und auf aggressives Sprechen verzichtet. Durch beide Aspekte, den formalen und den inhaltlichen, formen die Apophthegmen eine Figur, die mit einem Propheten aus Palästina, der eher apodiktisch argumentiert, wenig gemeinsam hat.
8 H. von Soden, Die wichtigen Fragen im Leben Jesu, 8.
I. Forschungsgeschichte zu den markinischen Streitgesprächen 1. Einleitung Die Streitgespräche als zu untersuchende Texte sind ein besonderes Thema der Formgeschichte, die eine bahnbrechende Rolle bei der Erforschung der Jesus-Tradition spielte. Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten nehmen sich daher vor, die Thesen der Formgeschichte zu diskutieren und sie womöglich zu ergänzen oder ihnen zu widersprechen. Das führt jedoch notwendigerweise zu einer grundsätzlichen Übernahme der Thesen und der Terminologie, aber auch des Verständnishorizonts der formgeschichtlichen Methode. Die Bestimmung des „Sitzes im Leben“ in der christlichen Gemeinde und die Definition einer Form, die in der Praxis der ersten Gemeinde verwurzelt ist, gehören zum wissenschaftlichen Vorgehen dieser Untersuchungen. Die Redaktionsgeschichte hat versucht, die Formgeschichte an einem bestimmten Punkt zu korrigieren: bei der Betonung und der Bestimmung der redaktionellen Arbeit der Evangelisten an dem aus der Tradition übernommenen Stoff. Die redaktionsgeschichtliche Analyse der Texte setzt sich die Unterscheidung der Tradition (einer hypothetischen Vorform der Streitgespräche) von der Redaktion durch die Evangelisten zum Ziel. Diese Korrektur der Redaktionsgeschichte bot keine völlig neue Erklärung der Jesustradition, sondern wollte die spezifische literarische Dimension der Evangelien würdigen. Die Streitgespräche wurden daher entschieden vom neuen Horizont der Redaktion her verstanden. Das Verdienst der Formgeschichte wird in dieser Untersuchung gewürdigt, aber auch kritisch betrachtet. Die Auslegung der Streitgespräche steht immer im Zusammenhang mit der Jesus-Forschung. Die Formgeschichte selbst – das darf nicht vergessen werden – war ein theoretisches Konzept in der Debatte über den historischen Jesus und über die Natur der Jesusgeschichte der Evangelien. Aus einer erweiterten Perspektive kann man die Texte generell als Konfliktszenen innerhalb dieser Geschichte definieren. Der Zusammenhang der Streitgespräche (literarisch oder historisch) mit dem Gesamtbild von Jesus muss konsequent beachtet werden. Daher werde ich die Forschungsgeschichte parallel zu den Phasen der Jesusforschung darstellen. Vor der Formgeschichte wurden die Streitgespräche nicht ignoriert, aber sie wurden als Streitsituationen gedeutet, in die Jesus verwickelt war, ohne dass sie speziell literarisch oder gattungsgeschichtlich untersucht wurden. Das Interesse richtete sich auf die Person des streitenden Jesus und nicht auf eine
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Differenzierung der Formen des Konflikts. Es wurden natürlich Variationen der Konflikte bemerkt. Sie wurden aber als unterschiedliche Formen des Streites betrachtet, die aus verschiedenen Situationen heraus entstanden waren. Dieser Teil meiner Untersuchung verfolgt eine deskriptive Absicht. Hier sollen die interpretatorischen Modelle beschrieben und verstanden werden. An den diesen Interpretationen innewohnenden Problemen zeigt sich die Notwendigkeit einer neuen Untersuchung. Es wäre dann noch die lange Wirkungsgeschichte zu betrachten, die diese Texte in der Geschichte des Christentums hatten, die bereits mit der Aufnahme und der Umgestaltung durch Matthäus und Lukas beginnt. Eine neue Perspektive in der Forschung untersucht diese Texte als besondere Dokumente eines Konflikts der Kirche mit dem Judentum unter dem Gesichtspunkt des Antijudaismus.1 Ein weiterer Aspekt der Wirkungsgeschichte ist die Hinzuziehung dieser Texte für eine Rechtfertigung von Kontroverse und Streitkunst in der Theologie. Diese Texte dienten dabei als konkrete Beispiele dafür, dass es für Christen angemessen sei, mit anderen über theologische Themen in einer Weise zu streiten, die in Gegensatz zu einer radikal nicht-aggressiven Argumentationsweise steht. Man kann sogar sagen, dass der debattierende Jesus dazu beigetragen hat, dass sich eine Dialektik im theologischen Diskurs entwickelt hat. Es wurde legitim, um der Wahrheit willen zu streiten.2 Jesus selbst, der in diesen Texten agiert, wird zum Modell des theologischen Disputators. Auch dieser Aspekt kann hier nicht berücksichtigt werden. Es ist allerdings für diese Untersuchung von Interesse, dass der markinische Jesus durch seine Praktizierung des Streitens die theologische Dialektik stimuliert hat. Diese Arbeit berührt auch die Frage, ob dieses Streitprofil den histori-
1 Vor allem die Arbeit von M. Gielen, Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes im Spiegel der matthäischen Jesusgeschichte, PHILO 115, Bodenheim 1998. 2 Vor allem benutzt Augustin diese Texte in seinem Schreiben gegen Cresconius (Aug. Con. Cresc. 1,17,22), der die Dialektik und die Streitkunst als nicht angemessen für Christen erklärte. Die Textstelle wird in L. Scornaienchi, Jesus als Polemiker, 381–382, diskutiert. Augustin zieht die Streitgespräche Jesu als Beispiel dafür heran, dass Jesus auch um die Wahrheit gestritten habe, Paulus auf dem Areopag, und sogar Gott sagt: „venite, disputemus!“ Hier ist ein Blick auf den Exegeten Calvin von Interesse. Calvin vertritt eine vorsichtige Einstellung, obwohl auch er die Notwendigkeit des Disputs sieht. Im Fall des Paulus auf dem Areopag schreibt er als Kommentar zu 17,18 (in Acta Apostolorum, 345–346): „Nunc subiicit Lucas certamen ipse Paulo cum Philosophis: non quod data opera eos fuerit aggressus, quum sciret ad rixas tantum et cavillationes natos esse, quibus veritatem fortiter defendat, sed praeter animi sui consilium ad talem conflictum raptus fuit: sicuti pios dectores Paulus ipse armis spirtualibus instructos esse iubet, si quis se hostes contra opponunt (Tit 1,9). Neque enim semper in arbitrio nostro est, eligere quibuscum agamus, sed dominus saepe homines praefractos et importunos surgere patitur, qui nos exerceant, et ex quorum contradictione melius veritas eluceat“. Für Calvin ist nun die Polemik nicht eine Wahl des Paulus, sondern eine Situation, die er erleiden muss, damit die Wahrheit besser aufleuchten kann. Das gleiche gilt für Jesus, der dazu gezwungen wurde, sich durch eine Kontroverse zu rechtfertigen.
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schen Jesus charakterisiert oder zu der besonderen Darstellungsweise des Markus gehört.
2. Streitgespräche und Formgeschichte 2.1 Die formgeschichtliche Forschung Das eigentliche Interesse für die Streitgespräche als eigenständige Kompositionen in den Evangelien wurde zum ersten Mal durch die formgeschichtliche Forschung geweckt. Die Formgeschichte sollte die Antwort auf die Krise der historischen Rekonstruktion des Lebens Jesu sein.3 Die Evangelien konnten nicht mehr als historische Quellen benutzt werden, da sie sich als das Endergebnis der Tradition vieler kleiner Erzählungen erwiesen, die in einem Werk einfach gesammelt wurden. Die Distanz der Evangelien zu der Zeit Jesu kompromittiert deren Brauchbarkeit als historische Quellen. Der Schwerpunkt liegt dann gerade in der Überlieferung der Worte und Taten Jesu in der Zwischenzeit. Das Subjekt dieser Überlieferungsprozesse ist die christliche Kirche, die in der Predigt das Evangelium Jesu Christi verkündigt. Nach der Katastrophe des 1. Weltkrieges stellt die Dialektische Theologie auf der Basis einer kritischen Haltung gegenüber der positivistischen Einstellung des 19. Jhs. die prophetische Verkündigung des Evangeliums, die zur Buße ruft, in den Mittelpunkt. Das Kerygma gilt als wesentlich für das Christentum nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in frühchristlicher Zeit. Das koinzidiert mit dem Anliegen der Dialektischen Theologie. Die Entstehung der Evangelien wurde deshalb konsequent von der Verkündigung der Kirche her erklärt. Diese neue Forschungsrichtung stellt sich den Prozess der Überlieferung nach ähnlichen Gesetzen wie in der mündlichen Volksüberlieferung von Sagen vor, obwohl anders als bei Sagen die Zeitspanne dieser Überlieferung nur relativ kurz war. Der Anfang der synoptischen Tradition lag in der mündlichen Erzählung, wie K. L. Schmidt ausdrücklich sagt: „Die Erzählungen aus der Geschichte Jesu sind in der ersten Zeit von Mund zu Mund gegangen. Wenn die Christen zusammen waren, einer 3 Das Problem der Geschichte Jesu wird vor allem von K.L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu, Berlin 1919, behandelt. Dieses Buch geht von den Aporien der Forschung über den historischen Jesus aus. Im Vorwort (VIII) zitiert Schmidt die Schlussfolgerungen von A. Schweitzer über die historische Inkonsistenz der Geschichtsschreibung in den Evangelien: „Setzt man ihn der Kälte des kritischen Skeptizismus aus, so bekommt er Risse; erreicht das eschatologische Feuer einen gewissen Grad, so schmelzen die Lötungen“. Die Lösung von Schmidt ist, den literarischen Fragen einen Vorrang vor den historischen Rekonstruktionen zu verleihen. Man kann nur von einem narrativen Rahmen sprechen, im Mittelpunkt stehen die einzelnen Perikopen.
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den anderen ablösend, einer den anderen ergänzend.“4 Zum Schluss seiner formgeschichtlichen Untersuchung stellt Schmidt fest, das Markusevangelium sei kein fortlaufender Bericht, sondern eine Fülle von Einzelgeschichten, die im ganzen nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet sind. (…) Aber im ganzen gibt es kein Leben Jesu im Sinne einer sich entwickelnden Lebensgeschichte, keinen chronologischen Aufriß der Geschichte Jesu, sondern nur Einzelgeschichten, Perikopen, die in ein Rahmenwerk gestellt sind5.
Bemerkenswert ist bei der Untersuchung von Schmidt, dass er den Terminus „Streitgespräch“ für Mk 7,1–23 benutzt,6 nicht aber für Mk 2,1–3,6, wo er von Konflikt spricht. Die formgeschichtliche Methode hatte H. Gunkel bereits für das Alte Testament mit Erfolg angewandt, um die Entstehung des Pentateuchs zu erklären. Er sprach ausdrücklich vom Sitz im Volksleben.7 Die Formen gelten als Beispiele einer volkstümlichen Literatur und können nicht mit der hohen Literatur der Zeit verglichen werden.8 Die zweite Front, an der die formgeschichtliche Methode kämpft, ist die Frage nach der Gattung des Evangeliums und nach ihrem literaturgeschichtlichen Ursprung. Das Panorama der Meinungen am Anfang des 20. Jhs gibt viele Antworten auf diese Frage nach der Gattung, je nach dem kulturgeschichtlichen Bezug. G. Heinrici bezeichnete aufgrund seiner Kenntnisse der antiken Literatur die Biographien9 von Py4 5 6 7
K.L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu, 19. K.L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu, 317. K.L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu, 196 ff. Vgl. S. Byrskog, A Century with the ,Sitz im Leben‘, 3–4. Byrskog betont die Änderung dieses Begriffes durch die Aufnahme der Formgeschichte in die neutestamentlichen Forschung und die Anwendung auf die Jesus-Tradition. Als Hauptunterschiede gelten der Bezug auf das Leben des Volkes Israel (statt der Gemeinde), die Definition der Gattungen (als literarische Typen) und nicht als einzelne literarischen Formen, und die Tradenten, die für Gunkel Priester (für die Tora), Lehrer (Weisheit) und Sänger (Lieder) sind. 8 In dieser Hinsicht ist die Arbeit von K.L. Schmidt, Die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte, Göttingen 1923, wichtig. In der langen und komplexen Diskussion über die Beziehung der Evangelien zur antiken Literatur bezieht Schmidt eine klare Position: „Das Evangelium ist von Haus aus nicht Hochliteratur, sondern Kleinliteratur, nicht individuelle Schriftstellerleistung, sondern Volksbuch, nicht Biographie, sondern Kultlegende“ (S. 76). Als Beispiele werden das Volksbuch „Doktor Faust“ oder die Legenden über Franziskus von Assisi genannt. Vgl. auch G. Bornkamm, der eine der Hauptthesen der formgeschichtlichen Schule aufnimmt, Art. „Form und Gattung“ II, RGG3 (1958) 999. Die neutestamentlichen Schriften seien keine literarischen Schriften bis auf die lukanischen Texte: „Im übrigen gilt allgemein, daß die Ausrichtung der Heilsbotschaft und ihre Anwendung auf das Leben der Gemeinde die gestaltenden Faktoren der nt. Schriften sind“. 9 G. Heinrici, Die Bodenständigkeit der synoptischen Überlieferung von Werken Jesu, 5–6, nimmt als Material zu einem Vergleich mit den Evangelien „nicht in erster Linie Fabeleien, wie sie im Alexanderroman des Kallisthenes oder in den apokryphen Schriften des Urchristentum ent-
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thagoras, Porphyrios, Jamblichus, Apollonios von Tyana und von Philostratos als mögliche Parallelen zu den Evangelien. Die Besonderheit dieser Biographien besteht in der Darstellung ihrer Helden als Religionsstifter, so im Fall des Pythagoras, oder als Wundertäter, so im Fall des Apollonios, nicht nur als Gelehrter. Heinrici will die historische Besonderheit der Evangelien herausheben sowie ihren, im Gegensatz zu anderen biographischen Schriften aus ihrer Zeit, genauen Bezug zu Orten und Personen. Seine Thesen werden von K.L. Schmidt in einem Beitrag zur Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte in Frage gestellt. Im ersten Teil seines Aufsatzes widerspricht er der Vorstellung, die Evangelien seien Biographien oder Erinnerungen. Es gebe einige grundsätzliche „Mankos“, die einen Vergleich unmöglich machen: Das Fehlen eines Vorworts, in dem der Autor sich zu Wort meldet, der Mangel an Chronologie und das Fehlen eines psychologischen Interesses und einer Entwicklung des Helden. Die Evangelien seien außerdem Kleinliteratur, die nicht mit eigentlich literarischen Werken verglichen werden können: „Da steht Kleinliteratur gegen Hochliteratur“.10 Die Anonymität dieser Schriften lässt die christliche Gemeinde in den Mittelpunkt treten, die für Schmidt als Analogie zum „Volk“ in ethnologischen Studien fungiert. 2.2 M. Dibelius: Paradigmen Die erste maßgebende Arbeit, die die formgeschichtliche Methodik auf die synoptischen Evangelien anwendete, war das 1919 von M. Dibelius veröffentlichte Buch mit dem programmatischen Titel „Die Formgeschichte des Evangeliums“. Dibelius selbst definiert die Methodik seiner Untersuchung als „konstruktiv“. Ein analytisches Vorgehen würde aus den vielen Formen zu einer extremen Differenzierung von „Sitzen im Leben“ führen, in denen die Einzeltexte entstanden wären. ,Konstruktiv‘ heißt dem gegenüber eine einheitliche Entstehungssituation anzunehmen, aus der sich die Formen gebildet haben: „Zur Beantwortung genügt die analytische Methode nicht, die von den Texten aus rückwärts dringend Quellen und Einzelnüberlieferungen festzustellen sich bemüht. Es bedarf vielmehr der konstruktiven Methode, die versucht, Lebensbedingungen und Lebensfunktionen der ersten christlichen Gemeinde zu erschließen“.11 Das Milieu, in dem die synoptischen Formen entstanden sind, sei die halten sind, sondern die ernst gemeinten Biographien der Männer, die von dem Drange erfüllt waren, der Welt ewige Güter zu erarbeiten oder zu vermitteln“. 10 K.L. Schmidt, Die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte, 59. 11 M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 9. Dieser Ansatz, der keiner analytisch-deduktiven Methodik folgt, wurde daher sehr früh kritisiert, vgl. E. Fascher, Die formgeschichtliche Methode, ThLZ 50 (1925), 314. Er wird auf einer hypothetischen Annahme konstruiert, einer Art Postulat, das nicht nachgewiesen werden kann.
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missionarische Predigt. Dies begründet eine weitere These der Untersuchung von Dibelius, dass nämlich die Evangelien im Grunde als „Klein-Literatur“ oder Volksdichtung zu betrachten sind. An diesem Punkt kann Dibelius an die Thesen von F. Overbeck über den vorliterarischen Charakter der neutestamentlichen Schriften anknüpfen. Der Standpunkt von Dibelius wurzelt im soziologischen Verständnis der frühchristlichen Gemeinde und in deren Naherwartung des Eschatons: „In einer Gemeinde unliterarischer Menschen, die heute oder morgen das Weltende erwartet, hat man zur Produktion von Büchern weder Fähigkeit noch Neigung, und so werden wir den Christengemeinden der ersten zwei oder drei Jahrzehnte eine eigentlich schriftstellerische Tätigkeit nicht zutrauen dürfen“.12 Nach Dibelius führt die Missionspredigt die mündliche Tradition fort, wodurch die Erinnerungen der Augenzeugen Jesu weitergetragen wurden. Die Evangelisten sind daher keine Schriftsteller, sondern Sammler der verschiedenen überlieferten Traditionen. Die neutestamentliche Forschung konzentriert sich dementsprechend auf die grundsätzliche Frage der Entstehung der neutestamentlichen Literatur und nicht mehr auf die Evangelien als historische Quellen. Die Vorlesung der apostolischen Briefe in den Gemeinden und kurze kerygmatische Formeln wie in 1Kor 15,3–5 sowie die Reden der Apostel in der Apostelgeschichte sind Beispiele für diese Predigtarbeit. Die Verkündigung der frühchristlichen Kirche konzentriert sich hauptsächlich auf den Tod und die Auferstehung Jesu. Die synoptischen Texte, die Episoden aus dem Erdenleben Jesu erzählen, sind am Rande der Predigttätigkeit gewachsen, nämlich als Beispiele. Mit dieser konkreten Bedeutung von Beispielen für die Predigt und nicht im rhetorisch-technischen Sinne werden die sog. Paradigmen erklärt. Dibelius unterscheidet folgende Formen der synoptischen Evangelien: das Paradigma, die Novelle, die Wundergeschichten und Epiphanien umfasst, die Legende, die Analogien und schließlich die Paränese. Das Paradigma stammt direkt aus der Predigt, die Novelle, die Legende und die Analogien aus dem Erzählprozess und die Paränese aus der Katechetik innerhalb der Gemeinde. Die Paradigmen sind die ältesten Formen, die innerhalb der palästinischen Gemeinde gebildet wurden. Die Novellen, die historisch wenig zuverlässig sind, sind ein Produkt der hellenistischen Gemeinde. Ihre mythologischen Elemente stammen aus diesem Milieu. Die synoptischen Streitgespräche sind Paradigmen. Unter Paradigmen versteht Dibelius die ältesten Berichte über Jesus, Beispielgeschichten, die sich auf eine Aussage Jesu konzentrieren. Dibelius nennt acht typische Grundtexte als exemplarische Paradigmen, „um eine möglichst ungetrübte Vorstellung von dem Stil des Paradigmas zu geben“:13 1) die Heilung des Gelähmten (Mk 2,1–12) 12 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 9. 13 M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums (2. Auf.), 40. In der ersten Auflage fehlt die Salbung von Bethanien. (S. 21).
26 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
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die Fastenfrage (Mk 2,18ff) das Ährenraufen (Mk 2,23) die Heilung der verdorrten Hand (Mk 3,1–6) die Verwandten Jesu (Mk 3,31ff) die Segnung der Kinder (Mk 10,13ff) der Zinsgroschen (Mk 12, 13ff) die Salbung in Bethanien (Mk 14,3ff).
Dazu werden zehn weitere Paradigmen angeführt: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)
die Heilung in der Synagoge (Mk 1,23ff) die Berufung des Levi Mk (2,13ff) Jesus in seiner Vaterstadt (Mk 6,1ff) der Reiche (Mk 10,17ff) die Zebedaiden (Mk 10,35ff) der Blinde von Jericho (Mk 10,46ff) die Tempelreinigung (Mk 11,15ff) die Sadduzäerfrage (Mk 12,18ff) die ungastlichen Samariter (Lk 9,51ff) der Wassersüchtige (Lk 14,1ff).
Die Paradigmen, die in der Predigt verwendet wurden, seien als „isolierte“ Kompositionen entstanden. Der Isolierung wesentlichstes Kennzeichen muß äußere Rundung sein. Sie läßt erkennen, daß ursprünglich eine Anzahl von selbständigen, kleinen Einheiten vorhanden war und nicht eine zusammenhängende Biographie Jesu.14
Dibelius nennt einige Merkmale, die für Paradigmen typisch sind: 1) Charakteristisch sind ihre Kürze und die Einfachheit der Erzählung. Die Predigt zwinge dazu, dass nur kurze Stücke eingeführt werden können.15 Die Gestalten, die in den Geschichten begegnen, werden nicht genau beschrieben. Es fehlt ein Porträt: Es ist von einem Gelähmten, von einem Blinden, von einem Zöllner die Rede, ohne weitere Details. Eine Ausnahme bildet die Erzählung über den Reichen in Mk 10,17 ff. Während in der Legende explizit die Geschichte von besonderen Frommen erzählt wird, melden sich die Gestalten in den Paradigmen nur anonym oder im Chor zu Wort. Diese „kollektive Behandlung“ ist nicht das Produkt einer stilistischen Entscheidung, sondern „einer in der Volkerzählung gern geübten Art“, so auch in der Predigt. 2) Ein zweites Merkmal ist der erbauliche Stil der Paradigmen, d. h. die religiöse Färbung der Erzählung. Dazu gehören aus der biblischen Tradition 14 M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 42. 15 M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 51: „Diese konzentrierte Kürze der Paradigmen beruht auf einer Zucht, die den Stoff der Absicht des Predigers untertan macht, die Abirrung verhindert und Unwesentliches verschweigt“.
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stammende Sprachwendungen, wie z. B. Jesus „predigte das Wort“16 in Mk 2,2 oder war „betrübt über die Verstockung ihres Herzens“ Mk 3,5. 3) Das dritte Merkmal der Paradigmen ist die zentrale Rolle, die das Logion Jesu spielt, das in der Regel die Perikope abschließt und „allgemeine Bedeutung besitzt und als Regel für Glauben oder Leben der ganzen Geschichte eine unmittelbare Beziehung auf die Hörer verleiht.“.17 4) Das vierte Merkmal ist die Anwendbarkeit der Erzählungen für die Predigt und der „Ausklang“ der Erzählung in einen für die Predigt brauchbaren Gedanken, der auch aus dem Wort Jesu, aus der Handlung oder aus dem Chor der Anwesenden kommt. Dass einige Paradigmen das Gespräch im Mittelpunkt haben und wie im Fall von Mk 2,1–12 als Streitgespräche betrachtet werden sollten, bestreitet Dibelius: „Die Analyse der Geschichte vom Gelähmten zeigt auch, dass man derartige Stücke nicht als Streitgespräche bezeichnen kann“.18 In der Fußnote wendet sich Dibelius gegen die Klassifizierung von R. Bultmann und M. Albertz, schließt aber nicht aus, dass ein Redaktor oder Markus selbst diese Texte als Streitgespräche betrachtet oder gesammelt hätte. „Ich bestreite nicht, dass Markus oder ein älterer Sammler gewisse Paradigmen als Streitgespräche begriffen und dann – besonders in Mk 2 und Mk 12 – zusammengefügt hat“.19 Als Gegenbeispiel führt Dibelius die rabbinischen Streit- und Schulgespräche an, die sich jedoch tatsächlich auf echte Diskussionen beziehen und dem Dialog als solchem eine größere Rolle zuschreiben. Wenn das Gespräch für den Text nicht zentral ist und die Meinung der Gegner Jesu nicht ernst genommen werden kann, ist die Gesprächsform weder für die Gattungsbestimmung noch für die Entscheidung über den „Sitz im Leben“ primär. Hier wendet sich Dibelius gegen die Annahme Bultmanns, dass sich die Polemik in Mk 2,5b–10 auf den Anspruch der palästinischen Gemeinde auf Sündenvergebung aufgrund ihrer Wunderheilungen beziehe. Die Ablehnung der Annahme, dass manche Paradigmen Streitgespräche seien, eröffnet die Frage nach der literarischen Form dieser Texte erneut. Dibelius behandelt diese Frage in einem speziellen Kapitel seiner Monographie unter dem Titel „Analogien“. Im Fall der synoptischen Formen kann man nach Dibelius nicht von literarischen Texten sprechen, man kann aber analoge Texte in der Sammlung von Sprüchen und Anekdoten berühmter Menschen finden. Nach einer Beschreibung der verschiedenen Formen der Sprüche in der griechischen Literatur, Apophthegmen, Chrien und Erinnerungen, schließt Dibelius wie folgt:
16 17 18 19
Dieser Satz wird heute meistens als markinische Redaktion betrachtet. M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 54. M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 64. M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 64, Anm. 1.
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Forschungsgeschichte zu den markinischen Streitgesprächen
Es zeigt sich eine Ähnlichkeit des Ursprungs, ein starker Unterschied des Inhalts, der die Diktion beeinflusst, ein gewisser aber wesentlicher Unterschied des Aufbaus.20
2.3 M. Albertz: Entstehungsgeschichte der Streitgespräche Im Jahre 1921 erschienen fast gleichzeitig zwei weitere Untersuchungen zum Thema Formgeschichte der Evangelien, die die „Streitgespräche“ genauer untersuchen: Die Monographie von M. Albertz über die synoptischen Streitgespräche und die erste Auflage der Geschichte der synoptischen Tradition von R. Bultmann. Albertz’ Absicht entspricht methodisch dem Programm der formgeschichtlichen Schule. Die Streitgespräche werden als selbständige Kompositionen betrachtet, im Gegensatz zur Untersuchung von Dibelius, in der die Streitgespräche nicht als gesonderte Form behandelt wurden. Albertz unterscheidet zwei Grundtypen dieser Form: 1) die „versucherischen Streitgespräche“ und 2) die „nicht versucherischen Streitgespräche“. Zur ersten Gruppe gehören die zwei Hauptsammlungen im Markusevangelium, Mk 2,1–3,6, „die galiläischen Streitgespräche“, und in Mk 11,15–33; 12,13–40 „die jerusalemischen Streitgespräche“, der Streit über die rabbinische Überlieferung Mk 7,1–23 und die Versuchungsgeschichte in Q, Lk 3,1–12/ Mt 4,1–11. Zur zweiten Gruppe gehören der Beelzeebul-Streit in Mk und Q (Mk 3,22–30; Mt 9,32–34; 12,29–32; Lk 11,14–23), die Forderung nach einem Zeichen, das ebenfalls eine doppelte Tradition hat (Mk 8,11–13; Mt 16,1.2.4; 12, 38–42; Lk 11,16–29.32), die Erzählung vom reichen Mann (Mk 10,17–27; Mt 19,16–26; Lk 18,18–27) und die Frage des Täufers zur Person Jesu (Mt 11,2–10). Im zweiten Teil des Buches beschäftigt sich Albertz mit der Frage nach der Überlieferung der Streitgespräche. Das erste Stadium ist nach Albertz das Urgespräch. Er nimmt damit an, dass die Streitgespräche Dokumente wirklich gehaltener Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern und Schriftgelehrten sind. Ein Beweis für die Originalität der Gespräche ist für Albertz die Tatsache, dass sie aus Frage und Antwort in direkter Rede bestehen.21 Die Diskussion betrifft die Auslegung des Gesetzes, die in einem nicht vom Hellenismus beeinflussten Milieu erfolgt. Streitthema sind die Auslegung des jüdischen Gesetzes und die 20 M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 156. Die den Paradigmen am nächsten stehenden Formen sind die Chrien (S. 47). 21 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 59: „Wort und Gegenwort sind nicht nur Zielpunkt, sondern auch Grundlage der ganzen Überlieferung. Sie erwecken auch immer wieder den Eindruck, dass hier wirklich gehaltene Gespräche Jesu und seiner Zeitgenossen zugrunde liegen.“
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unendlichen spitzfindigen Unterscheidungen in einer Randkultur, die sich meistens mit der Frage des Heils in einem nicht vom Hellenismus beeinflussten Milieu beschäftigt. Die Existenz wirklicher Debatten zwischen Jesus und den Pharisäern und Schriftgelehrten bestätige sich dadurch, dass das Bild Jesu als Lehrer sich nicht aus dem Glauben der ersten Gemeinden an den erhöhten Herrn ableiten lässt. Daher erweise es sich als originale Tatsache.22 Jesus wird als Kämpfer beschrieben. Er benutzt verschiedene Kampfmittel in seiner Polemik, wie z. B. das Stellen von Gegenfragen oder das Aufstellen von Gegensätzen, die die Gegner zu einer unmöglichen Entscheidung zwingen. Albertz nimmt an, dass Jesus eine Argumentationsstrategie23 von der Art anwandte, wie die Rabbiner ihre Auseinandersetzungen führten, z. B. die argumentatio ad absurdum oder das Schlussverfahren a minori ad maius, feststellbar in der Gegenüberstellung der Sündenvergebung und der Heilung des Gelähmten in Mk 2,1–11. Ein weiteres Mittel ist der Schriftbeweis, der auch eine Gemeinsamkeit mit der rabbinischen Literatur darstellt. Ein zweites Stadium der Überlieferung sei die mündliche Tradition: „Darum tritt zwischen das wirklichen Gespräch und seine Aufzeichnung eine Periode, in der die Gespräche von Mund zu Mund gingen“24. Das ist ein Aspekt, der Albertz mit der formgeschichtlichen Schule verbindet. Die mündliche Tradition hat zur Folge, dass der ursprüngliche Bericht mit der Zeit gekürzt wird und die in ihm auftretenden Gestalten anonymer werden und ihre besonderen Konturen verlieren. Die von Dibelius beobachtete Anonymität der Personen und die Unbestimmtheit der Orte ist nach Albertz eben der Phase der Mündlichkeit zuzuschreiben. Den Worten Jesu bleibt allerdings der Erzähler aus Ehrfurcht treu und bringt konsequenterweise keine Fälschungen oder Hinzufügungen an. Eine weitere Umwandlung der Erzählung erfolgt mit seiner Übersetzung ins Griechische, „die das aramäische Urgespräch in das Gewand der hellenistischen Weltsprache kleidete“.25 Die mündlichen Erzählungen hatten die apologetische Funktion, über Jesus als Kyrios zu sprechen, sein Gebot, sein Tun und seinen Herrschaftsanspruch zur Sprache zu bringen. Das Thema des Kreuzes, das in der späteren Apologetik thematisiert wurde, bleibt in diesen polemischen Berichten unberührt. Es wurden keine Streitgespräche über den bevorstehenden Tod überliefert.26 Der Ort, an dem die Streitgespräche erzählt wurden, ist die Gemeindeversammlung. 22 Andere Merkmale für die Originalität der Gespräche sind in S. 63–64 aufgelistet: a) die objektive und nicht tendenziöse Darstellung der Gegner, die nicht karikiert werden, b) die Mannigfaltigkeit der Urteile über Jesus, c) der Anlass aus dem Alltagsleben (Ährenausraufen, Handwaschen). 23 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 69–70. 24 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 80. 25 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 91. 26 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 99: „Es ist zu beachten, dass der eigentliche Ausgangspunkt der urchristlichen Apologetik, das Kreuz, außen bleibt“. Das ist aber ein Punkt, dem in dieser Untersuchung widersprochen wird. Latent beziehen sich die Streitgespräche doch
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Das dritte Stadium der Tradition sei die Niederschrift der mündlichen Überlieferung, die dadurch ein viel breiteres Publikum erreichte. Die Verschriftlichung der mündlichen Überlieferung wurde durch die Missionspredigt motiviert, um die Tradition des Herrn festzuhalten. Damit verfolgte man immer apologetische Zwecke und wollte konkrete Antworten auf religiöse und sittliche Fragen (Ehe, Besitz und Kinder in Mk 10) anbieten. Am Schluss wirft Albertz die Frage nach der geringen Rolle, die die Streitgespräche in Q spielen, auf. Die Frage ist umso ernster, wenn man wie Albertz die Existenz von Urgesprächen annimmt. Sollten diese deswegen nicht in der Logienquelle besonders präsent sein, die die erste Sammlung der Jesus-Tradition enthält? Nach Albertz sind nur wenige Streitgespräche in Q enthalten, weil Q sich auf die Messianität Jesu konzentriert, die in den Streitgesprächen nicht zur Sprache kommt.27 Abschließend beschäftigt sich Albertz noch mit der Frage nach der Beziehung zu den anderen Gesprächen und zu den weiteren Streitworten in der synoptischen Tradition. Die Untersuchung von Albertz, der sich als Vertreter der formgeschichtlichen Forschung versteht, wird aber von Bultmann später als eine Abweichung von der Formgeschichte beurteilt, besonders weil Albertz durch die Annahme von Urgesprächen und durch die Behauptung der Echtheit der Streitgespräche auf eine historische Rekonstruktion hin zielt. Das wird von Bultmann als ein Rückschritt empfunden.28 Charakteristisch für die Arbeit von Albertz ist die weite Fragestellung, die sich in der Tat nicht auf eine Schule einschränken lässt. 2.4 R. Bultmann: Streitgespräche und Apophthegmen 1921 erschien die erste Auflage eines weiteren Werkes, das die Entwicklung der Jesus-Überlieferung beschreibt: „Die Geschichte der synoptischen Tradition“ von R. Bultmann. Anders als Dibelius schlägt Bultmann eine analytische Methode für die Untersuchung der Formen vor, die in der Überlieferung gebildet wurden.29 Seine grundlegende Auffassung ist, dass jede literarische Form auf eine Entstehungssituation zurückgeführt werden kann, den Sitz im gerade auf den Kreuzestod. Auffallend ist m. E. der unerwartete frühe Todesbeschluss am Ende der ersten Sammlung der galiläischen Streitgespräche in Mk 3,6. 27 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 112. 28 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 41, schreibt über das Buch von Albertz: „Dies Buch kann ich trotz mancher guten Beobachtungen nicht als eine echte formgeschichtliche Untersuchung anerkennen. Die formgeschichtliche Analysen sind viel zu sehr von psychologischen und allgemeingeschichtlichen Erwägungen belastet.“ 29 Bultmann verzichtet allerdings nicht auf eine konstruktive Methode bei der Einordnung der synoptischen Formen. Er spricht vielmehr von einer Wechselbeziehung von konstruktiver und analytischer Methode: „Nun darf man m. E. nicht einseitig konstruktiv verfahren und aus den – wenn auch vielleicht mit Recht – vorausgesetzten Gemeindebedürfnissen die Formen der Überlieferung einfach ableiten. Sondern Konstruktion und Analyse müssen in einer Wechselbeziehung stehen“ (Geschichte der synoptischen Tradition, 8).
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Leben in der Gemeinde. Bultmanns analytische Untersuchung führt zu einem genaueren Bild der synoptischen Tradition als diejenige von Dibelius, der den Sitz im Leben allgemein in der Missionspredigt der früheren Kirche lokalisiert. Mit Hilfe der Analysen der verschiedenen Formen rekonstruiert Bultmann die polemischen, apologetischen und erbaulichen Zusammenhänge im Leben der christlichen Gemeinde. Die Debatten Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten stammen aus der Tradition der Worte, nicht der Taten Jesu. Bultmann stellt fest, dass einige Streitgespräche als ganze tradiert wurden, während andere dadurch gebildet wurden, dass man ein Logion Jesu in einen dialogischen Zusammenhang eingegliedert hat. In beiden Fällen hat der Spruch Jesu die Priorität: „Jedenfalls (…) haben im allgemeinen die Worte eine Situation erzeugt, nicht umgekehrt“.30 Das ist eine grundsätzliche Entscheidung in der Interpretation der Streitgespräche, die im Laufe der Forschung oft zu einem Dilemma geführt hat. Dibelius neigt eher dazu, sie als Erzählungen zu betrachten. Der abschließende Spruch ist in eine Situation eingebettet, in der eine Frage gestellt wird. Die Antwort kann, wie es auch in der rabbinischen Literatur der Fall ist, durch eine Frage oder eine Gegenfrage formuliert werden. Von einem literarischen Geschichtspunkt aus betrachtet Bultmann diese Texte als Apophthegmen, eine sehr verbreitete Form der hellenistischen Literatur. Durch die Anwendung dieser literarischen Form rückt Bultmann in gewisser Weise von der Einstufung des Neuen Testaments als „Kleinliteratur“ (K.L. Schmidt, M. Dibelius) ab. Von Apophthegmen und Chrien hatten gerade die früheren liberalen Autoren gesprochen, die die neue Schule zu widerlegen suchte. Die Verwendung der Apophthegmen für die literarische Einkleidung von Worten Jesu erfolgt nach Bultmann allerdings durch den Einfluss der rabbinischen Art zu disputieren und nicht durch direkten Einfluss der hellenistischen Literatur, wobei die Beispiele, die Bultmann angibt, der tannaitischen Literatur entstammen. Bultmann steht hier in der Tradition der religionsgeschichtlichen Schule, indem er eine vermittelnde Rolle des Judentums für die Abfassung der christlichen Schriften und für die Bildung einer christlichen Theologie annimmt. Die Streitgespräche sind nach Bultmann ideale Szenen, die nicht „Berichte über geschichtliche Begebenheiten, sondern Konstruktionen sind, die eine Idee in einer konkreten Szene bildhaft zum Ausdruck bringen“.31 Im Gegensatz zu Albertz will Bultmann nicht den Ursprung der Streitgespräche bestimmen, sondern den Ursprung der literarischen Gattung durch die Frage nach dem „Sitz im Leben“. Der Sitz im Leben der Gemeinde ersetzt bei Bultmann die Frage nach der Situierung der Debatten im Leben Jesu. In diesem Punkt betont die Formgeschichte die Distanz der Erzählung der Evangelien zum historischen Jesus.32 Die vermittelnde Rolle 30 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 49. 31 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 40. 32 Bultmann erklärt dieses Verhältnis der Streitgespräche zum historischen Jesus mit diesen
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der Tradition in der christlichen Gemeinde wird in den Mittelpunkt der Auslegung der Evangelien gestellt. Der Sitz im Leben ist in der Apologetik und Polemik der palästinensischen Gemeinde zu suchen, die die Szenen in literarisch-idealistischer Weise auf Jesus zurückprojiziert hat. Die Streitgespräche wurden als narrative Erklärung um ein Logion Jesu gebildet, das isoliert tradiert wurde. Die Entwicklung von mündlicher zu schriftlicher Tradition scheint für Bultmann keine eigentliche Bedeutung gehabt zu haben.33 Die Gemeinde, die von den Gegnern in verschiedener Hinsicht thematisch angegriffen wird, bezieht sich bei der Suche nach einer Antwort auf Jesus zurück. Die Form des Apophthegmas dient in ihrer Kürze und Abgeschlossenheit als Erklärungsmodell zur Entwicklung der Tradition der Logien Jesu. Die Anzahl der betrachteten Texte ist viel größer als bei den vorherigen Autoren; er untersucht insgesamt 24 Beispiele. Bultmann verwendet das Apophthegma als Oberbegriff und unterscheidet Streit- und Schulgespräche und biographische Apophthegmen. Die Streit- und Schulgespräche werden zusammen betrachtet und thematisch nach folgenden Kategorien differenziert: a) Heilungen als Anlass (Mk 3,1–6: Heilung der verdorrten Hand am Sabbat; Lk 14,1–6: Heilung des Wassersüchtigen; Lk 13,10–17: Heilung der verkrümmten Frau; Mk 3,22–30 – Mt 12,22–37 – Lk 11,14–23: Streit wegen des Dämonenbannens und Mk 2,1–12: die Heilung der Gelähmten) b) Verhalten Jesu oder seiner Jünger (Mk 2,23–28 par.: das Ährenausraufen am Sabbat; Mk 7,1–23: Streit über Rein und Unrein; Mk 2,15–17: das Zöllnergastmahl; Mk 2,18–22: die Fastenfrage; Mk 11,27–33: die Vollmachtfrage; Lk 7,36–50: die Sünderin beim Mahl) c) Fragen an den Meister (Mk 10,17–31: die Frage des Reichen; Mk 12,28–34: das höchste Gebot; Lk 12,13–14: der Erbstreit; Lk 13,1–5: die Ermordung der Galiläer; Mt 11,2–6 – Lk 7,18–35: die Täuferfrage; Mk 10,35–45: die Zebedaidenfrage; Mk 9,38–40: der fremde Exorzist; Lk 17,20–21: das Kommen der Gottesherrschaft; Mk 11,20–25: der verdorrte Feigenbaum; Lk 9,51–56: die ungastlichen Samaritaner) d) Fragen von Gegnern (Mk 12,13–17: der Zensus; Mk 12,18–27: die Sadduzäerfrage; Mk 10,2–12: die Ehescheidung). Die zweite Gruppe von Apophthegmen wird Biographische Apophthegmen genannt und hat als besonderes Merkmal den Bezug auf eine bestimmte Person (Jesus selbst, die Witwe im Tempel, Martha und Maria, usw.), ähnlich wie die „Novelle“ bei Dibelius. Charakteristisch für diese Darstellung des Materials ist die Nichtberücksichtigung der markinischen Sammlungen (das Thema Heilung wird wichtiger als die textimmanente Sabbatfrage) sowie der Worten: „Wo hat die Erzählung der Streitgespräche innerhalb des geschichtlichen Jesus ihren festen Platz gehabt? Diese Frage ist vielmehr zuerst zu stellen; und die Antwort wird lauten: in der Apologetik und der Polemik der palästinensischen Gemeinde“ (Geschichte der synoptischen Tradition, 41). 33 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 50.
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Einschluss von Materialien aus dem lukanischen Sondergut in die Streit- und Schulgespräche, und schließlich die Zusammenschau von Streit- und Schulgesprächen, die sonst bei Albertz unterschieden wurden. Das Bild Jesu wird auf diese Weise von dem eines apokalyptischen Propheten in das eines weisen Rabbi verwandelt. Bultmann bemerkt auch die besondere Lage von Q bezüglich der Streitgespräche: „Q hat überhaupt kein Streitgespräch Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten berichtet“.34 Eine Erklärung dafür gibt Bultmann nicht. Es gibt in den Streit- und Schulgesprächen andere Fragen, die Debatten innerhalb der Gemeinde widerspiegeln, wie die Frage des Fastens, der Reinheit und der Unreinheit und die Ehescheidung. Die Schulgespräche unterscheiden sich von den Streitgesprächen, weil ihr Ausgangspunkt nicht in einer Handlung Jesu liegt, sondern in einer Frage, die an den Meister gestellt wird. Die Schulgespräche entstanden wie die Streitgespräche aus einer zentralen Aussage Jesu, die aber nicht von Jesus stammt, sondern vielmehr in der Gemeinde formuliert wurde. Beide, Streitund Schulgespräche, wurden unter dem Einfluss der rabbinischen Gespräche in der palästinischen Gemeinde verfasst. Bultmann zitiert mehrere Beispiele rabbinischer Streit- und Schulgespräche, die als Vorlage für die synoptischen Streitgespräche anzusehen seien. 2.5 V. Taylor: „Pronouncement-Stories“ Eine für die englischsprachige Fachliteratur wichtige formgeschichtliche Untersuchung ist das 1933 veröffentlichte Buch von V. Taylor „The Formation of the Gospel Tradition“, das acht Vorlesungen über das Thema der Überlieferung der Evangelien enthält. Taylors Buch dokumentiert die Rezeption der Formgeschichte in der englischsprachigen Welt, aber auch einen kritischen Umgang mit dieser Methode. Die Aufgabe der neuen Forschung ist die Klassifikation der Formen und die Suche nach ihrer soziologischen Entstehungssituation. Interessant ist die Kritik an den Termini „Paradigmen“ und „Apophthegmen“, wie sie jeweils von Dibelius und Bultmann benutzt werden. „Paradigma“ sei zu allgemein und zu sehr abhängig von der Grundauffassung, dass die Texte aus der Verkündigung stammten. „Apophthegma“ sei literarisch, was nicht für die ungebildeten frühen Christen passe, und berücksichtige zu wenig den Erzählstoff der Texte. Als Alternative schlägt Taylor einen Terminus vor, der weiterhin in der englischen Fachsprache benutzt wird, nämlich „pronouncement-stories“.35 In diesem Wort schließt er die beiden Komponenten der synoptischen 34 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 54. 35 V. Taylor, The Formation of Gospel Tradition, 30. Taylor führt diesen Terminus mit der direkten rhetorischen Frage ein: „Why not call these narratives Pronouncement Stories? The advantages of the name are that it leaves the possibilities of origin open; it easily covers the various types;
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Texte, die Erzählung und die zentrale Aussage Jesu, aber auch die Dualität zwischen Streit- und Schulgesprächen ein, die in den vorherigen Untersuchungen immer beachtet wurden, sowie die Unterscheidung zwischen einem polemischen und einem katechetischen Zusammenhang. Wenn die prägnante Aussage Jesu fehlt, wie im Fall der Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand in Mk 3,1–5 und par., ist sie nach Taylor durch eine Handlung ersetzt, wie hier das Ausstrecken der Hand. Diese Handlung hat aber nur eine narrative Funktion und keine allgemeine Gültigkeit, wie sie die Aussagen Jesu zumeist besitzen. Wenn ein Wunder berichtet wird, ist die literarische Einheit dennoch nicht als Wundergeschichte zu betrachten, weil die Heilung an sich nicht im Mittelpunkt steht, sondern als Anlass für einen Vorwurf gegen Jesus dient. In der Aufzählung der Texte, die als „Geschichten mit einer Aussage“ gelten, folgt Taylor der längeren Fassung von Bultmann, lässt aber von den acht Perikopen diejenige vom verdorrten Feigenbaum weg, weil ihre ursprüngliche Bedeutung dunkel ist.36 Die Perikope der ungastlichen Samariter Lk 9,52–56 könnte nur als pronouncement story aufgefasst werden, wenn man die Varianten in D und Q als Teil des Schlusses betrachtet. Auch Lk 7,36–50 sei eigentlich in der aktuellen Fassung nicht als pronouncement story zu betrachten, sondern sie war es nur im Stadium ihrer mündlichen Tradition.37 Der allgemeine Sachbezug des Begriffs pronouncement story ermöglicht es Taylor, das Schema von Bultmann zu revidieren und die zweite Gruppe von 20 Apophthegmata, d. h. die „biographischen Apophthegmata“, auch in diese Gruppe einzuschließen. Die Schwierigkeit bei dieser Gruppe ist die Bewertung der Erzählung. Fascher schlägt vor, diese Texte als Anekdoten zu betrachten.38 Die Kritik Taylors an der Formgeschichte betrifft auch den Terminus „Legende“, der zu unbestimmt sei (nach der Kritik von Fascher „kautschukartig“)39. Nach Taylor sind noch zwei Punkte kritisch zu hinterfragen, nämlich die Rolle des Evangelisten als eines bloßen Sammlers fragmentarischer Traditionen und die Ablehnung jeder Kontinuität mit dem Leben des historischen Jesus durch Augenzeugen. In Bezug auf den ersten Punkt sagt Taylor die Wiederkunft einer wichtigen Rolle der Evangelisten in der Strukturierung der Erzählung vorher.
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and it emphasizes the main element – a pronouncement, or word of Jesus, bearing on some aspects of life, belief, or conduct.“ V. Taylor, The Formation of the Gospel Tradition, 69. V. Taylor, The Formation of the Gospel Tradition, 71: „I suggest that neither the Woman in the City nor the Samaritan Village is a Pronouncement-Story as it stands, but that each seems to have been preceded by such a story in oral period“. Vgl. Taylor, The Formation of the Gospel Tradition, 71. Taylor zitiert Faschers Ausdruck auf Deutsch und in englischer Übersetzung, The Formation of the Gospel Tradition, S. 32.
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But there can be little doubt that this is a passing phase, and that a sounder criticism will return to the earlier view, with the recognition, however, that the outline is less complete than had supposed.40
Die Isolierung der christlichen Gemeinde von Jesus selbst in Folge der Ablehnung der Bedeutung der Augenzeugen durch Bultmann wird von Taylor mit der Situation von Defoes Robinson Crusoe verglichen, der sich alles so erschaffen muss, wie er es kann.41
3. Die Streitgespräche und die Redaktionsgeschichte 3.1 Die Redaktionsgeschichte Nach dem zweiten Weltkrieg genügte die Betrachtung der synoptischen Evangelien als Zusammenstellung kleiner Formen durch die formgeschichtliche Forschung nicht mehr. Die literarische Funktion der Evangelisten, die als Sammler des Evangelienstoffs definiert worden waren, war zu gering veranschlagt worden. Vor allem die angelsächsischen Exegeten behielten eine gewisse Distanz zum radikalen Ansatz der Formgeschichte.42 Die Forschung betonte daher die theologische Intention des Evangelisten, die dem Evangelium eine einheitliche Struktur verleiht. Die Beobachtungen von W. Wrede zum Messiasgeheimnis und von E. Lohmeyer zur geographischen Einteilung des Markusevangeliums hatten die redaktionsgeschichtliche Forschung vorbereitet. Die wichtigen Arbeiten, die die neue Fragestellung einführten, waren neben der Auslegung der matthäischen Sturmstillungsperikope durch G. Bornkamm43 vor allem die Monographien von W. Marxsen zum Markusevangelium44 und von H. Conzelmann zum Lukasevangelium.45 Conzelmann spricht in Bezug auf die Forschung der Formgeschichte von der Notwendigkeit 40 Taylor, The Formation of the Gospel Tradition, 41. 41 Taylor, The Formation of the Gospel Tradition, 41: „As Bultmann sees it, the primitive community exists in vacuo, cut off from its founders by the walls of an inexplicable ignorance. Like Robinson Crusoe it must do the best it can. Unable to turn to any one for information, it must invent situations for the words of Jesus, and put into His lips sayings which personal memory cannot check. All this is absurd; but there is a reason for this unwillingness to take into account the existence of leaders and eyewitnesses.“ 42 Ein Beispiel ist Robert H. Lightfoot, der die Thesen der Formgeschichte in England vertritt. D.E. Nineham betont diesen Punkt in seinem Gedenken an Lightfoot in dem Sammelband für den englischen Exegeten (Robert Henry Lightfoot 1883–1953, S. XII). 43 G. Bornkamm, Die Sturmstillung im Matthäusevangelium, in: G. Bornkamm/G. Barth/H.J. Held (Hg.), Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen-Vluyn 7 1975, 48–53. 44 W. Marxsen, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, FRLANT 67, Tübingen 1956. 45 H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh 17, Tübingen 1950.
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einer Präzisierung der Definition des Kerygmas bei den einzelnen Evangelien. Nach seiner Meinung kann man zwei Phasen in der Jesus-Überlieferung unterscheiden: Eine erste Phase ist die Sammlung des Überlieferungsstoffes bis zu Redaktion des Markusevangeliums und der Logienquelle. Diese wurde von der Formgeschichte beschrieben. Dazu kommt eine zweite Phase, in welcher das Kerygma neu reflektiert wird.46 Die Untersuchung dieser theologischen Reflexion ist die besondere Aufgabe der Redaktionsgeschichte. Conzelmann betont vor allem die Entwicklung der Heilgeschichte und der Christologie, die im dritten Evangelium festzustellen ist. Das Markusevangelium ist nach Conzelmann noch von der alten Tradition des Kerygmas geprägt. In der Monographie von Marxsen wird aber auch die theologische Leistung des zweiten Evangeliums hervorgehoben. Er betont die Bedeutung der markinischen Redaktion. Seit der Entwicklung der Redaktionsgeschichte ist die Analyse der Streitgespräche durch diesen neuen Ansatz geprägt. Eine maßgebliche Bedeutung für die allgemeine Frage nach älteren Sammlungen gewann die Studie von Heinz-Wolfgang Kuhn „Ältere Sammlungen im Markusevangelium“, die den Übergang von der formgeschichtlichen zur redaktionsgeschichtlichen Methode dokumentiert.47 Insbesondere wird die Frage nach der Leistung des ältesten Evangelisten bei der Sammlung und Formulierung der Streitgespräche gestellt. Die meisten Untersuchungen bis zur Gegenwart besonders in der deutschsprachigen Fachliteratur verfolgen diese Fragestellung.
3.2 W. Thissen: Die Sammlung Mk 2,1–3,6 Werner Thissen konzentriert sich in seiner 1976 veröffentlichten Dissertation auf die Sammlung der galiläischen Streitgespräche in Mk 2,1–3,6, um ihre Genese detailliert zu rekonstruieren. Er geht von der Theorie von Albertz aus, dass diese Perikopen vor der Abfassung des Markusevangeliums eine Sammlung bildeten, die leicht redaktionell bearbeitet wurde. Der Werdegang dieser Sammlung wird von Thissen mit der Basilika von S. Clemente in Rom verglichen,48 bei der die Vergangenheit verschiedene Schichten im gesamten Gebäude hinterlassen hat. Aufgabe der Exegese sei es deshalb diese Schichten auszugraben und die Phasen des Baus zu beschreiben. Die Entstehung einer Sammlung impliziert für Thissen einen neuen Sachverhalt, der nicht notwendig mit der Entstehung einer einzelnen Perikope koinzidiert. Meistens wurde in der Forschung vermutet, dass die Sammlung 46 H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit, 4: „Nun ist davon eine zweite Phase abzuheben, in welcher das Kerygma nicht einfach übergeben – übernommen wird, sondern selbst zum Gegenstand der Reflexion wird“. 47 H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (SUNT 8), Göttingen 1971. 48 W. Thissen, Erzählung der Befreiung, 46.
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mit der gleichen Motivation zusammengestellt wurde, die zur Abfassung der einzelnen Perikopen geführt hatte.49 Eine Sammlung ist aber ein Novum, dessen Bedeutung sich nicht aus der Analyse einzelner Komponenten herleiten lässt: „Die Sammlung ist mehr als die Summe aller in ihr enthaltenen Einzelstücke zusammen“.50 Sie impliziert zum Beispiel einen anderen Sitz im Leben als die einzelnen Stücke. Die Sammlung weist von einem inhaltlichen Gesichtspunkt her drei besondere Merkmale auf: den polemischen Charakter, die christologische Argumentation und den eschatologischen Ton51. Die christologische Argumentation betrifft vor allem die Bezeichnung „Menschensohn“ in Mk 2,10 und Mk 2,28, die sich sowohl auf den irdischen Jesus als auch auf den gestorbenen und auferstandenen Herrn und den kommenden Menschensohn bezieht52. Die christologische Argumentation betrifft auch den Bezug auf den Tod Jesu in 2,25 und in 3,6. Nach Thissen ist deshalb Mk 3,6 nicht von der markinischen Redaktion hinzugefügt, sondern Teil der vormarkinischen Sammlung. Die Sammlung in Mk 2,1–3,6 weist eine auffallende symmetrische Struktur auf, die auf folgende Weise erklärt wird: In der Mitte der Sammlung steht die Perikope über das Fasten (Mk 2,18–22), umrahmt von zwei parallelen Perikopen (Mk 2,1–12; 2,15–17 und 2,23–28; 3,1–6), die thematisch und formal symmetrisch zu einander stehen. Mk 2,15–17 und 2,23–28 behandeln das Verhalten der Jünger und nicht dasjenige von Jesus. Beide Perikopen haben als Thema das Essen. Mk 2,1–12 und Mk 3,1–6 sind ebenfalls symmetrisch konzipiert, indem sie ein Wunder Jesu als Argument beinhalten und zwei einander entgegengesetzte Reaktionen der Anwesenden betonen: den Glauben (p¸stir) der Träger des Gelähmten und den Unglauben (p¾qysir) der Gegner Jesu. Die formale Mittelposition von Mk 2,18–22 ist nach Thissen der Beweis, dass dieser Text der Kern der Sammlung ist, der Punkt, um den herum sich die Sammlung gebildet hat. Die Mittelachse über das Fasten gibt das Thema der Sammlung an: die Ankunft des absolut Neuen in Christus.53 Dieses Neue zeigt sich praktisch in der Befreiung von dem Gesetz (Sabbat) und von der Sünde, denn „in Jesus ist die Neue Zeit, die Endzeit, die Zeit Gottes, die Zeit der Freiheit des Menschen angebrochen“54. Die Sammlung sollte nach Thissen 49 Besonders kritisch äußert sich Thissen zu einer Annahme von K.L. Schmidt, nach der die christliche Gemeinde diese Texte verfasste und eine Sammlung bildete (Erzählung der Befreiung, S. 107). Man kann nach dieser Vorstellung immer nur die einzelnen Stücke betrachten und nicht das Ganze. 50 W. Thissen, Erzählung der Befreiung, 108. 51 Die eschatologische Bedeutung ist nach Thissen in der Symbolik, die in der Sammlung benutzt wird, zu finden: Mahl, Hochzeit, Mantel, Wein. Ein weiteres Motiv ist das des Gelähmten, der wieder gehen kann (S. 148). 52 W. Thissen, Erzählung der Befreiung, 121. 53 Thissen, Erzählung der Befreiung, 175: „Das in Jesus gekommene Neue ist nicht nur relativ neu zu dem, was vorher galt, sondern absolut neu: Wo der basike¸a Gottes ein Weg gebahnt wird, da ist alles Alte überholt“. 54 Thissen, Erzählung der Befreiung, 183.
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einen Platz in den Theologien des Neuen Testaments zum Thema Freiheit erhalten, obwohl das Wort nicht direkt in den Perikopen benutzt wird. Thissen ist sich dessen bewusst, dass seine Bestimmung von Mk 2,18–22 als Kernstück und Thema der Sammlung nicht dem Konsens in der Exegese entspricht. Nach den meisten Exegeten enthält die Perikope eine Polemik über das Fasten zwischen Juden und Christen. Es scheint aber Thissen unklar und deshalb fragwürdig zu sein, warum ein polemisches Jesus-Logion über das Fasten zitiert wird.55 Für die Entstehung der Sammlung unterscheidet Thissen drei Hauptphasen: die Arbeit von zwei verschiedenen Redaktoren und schließlich die Einordnung durch den Evangelisten Markus in sein Werk. Der erste Redaktor (Thissen nennt ihn „Zwischenredaktor) setzte die drei mittleren Stücke zusammen. Er nimmt die Fastenperikope auf, die als Thema das Neue der Lehre Jesu im Vergleich mit Johannes beinhaltet56, und macht sie zur polemischen Episode gegen die jüdische Obrigkeit. Die gleichen Gegner Jesu im Zöllnermahl werden in der Perikope über das Fasten neben die Johannes-Jünger gestellt. Das Thema dieses ersten Kerns der Sammlung ist der Gegensatz zwischen Alt und Neu aus einer polemischen Sicht gegenüber dem Judentum. Das wird vom Zwischenredaktor durch die Einfügung von Mk 2,21–22, den Bildreden über die Diastase zwischen Alt und Neu, in den Text betont. Die gleichen Gedanken über das Neue werden in der ersten Sabbatperikope vertreten. In dieser ersten Fassung fehlt noch das Beispiel von David 2,25–26, und das Logion vom Menschensohn in 2,28. 2,27 stellt die Antwort dar. Ein Sammlungsredaktor erweitert diesen Kern der ersten Sammlung durch die zwei Flügelperikopen 2,1–12 und 3,1–6. Das Anliegen dieses Redaktors ist eine stärkere christologische Akzentuierung der bestehenden Texte. Das Mittelstück wird von 2,19c–20, der christologischen Anbindung des Fastens, und Mk 2,17c, der Zuwendung Jesu zu den Sündern gebildet. Die Hinzufügung des Substantivs "laqtyko¸ gibt der Stelle nach Thissen eine neue Bedeutung: „Die Zöllner werden jetzt als Beispiel für diejenigen, die nach jüdischer Vorstellung von Gott und den Frommen getrennt waren, zu einem Teil des Oberbegriffs Sünder“.57 In der Sammlung werden noch die zwei Flügelperikopen ergänzt: die Heilungsgeschichte in 2,1–4.5a–11 wird durch eine Debatte über die Vergebung der Sünden modifiziert. Dies entspricht dem Thema von 2,15–17. Auch 3,1–6 war ursprünglich eine Wundererzählung, die durch 3,4.5.6 christologisch modifiziert wurde.58 Das Thema der so angereicherten 55 Klar ist der Urteil von Thissen über den polemischen Charakter dieses Textes: „Die Perikope der Fastenfrage bildet nun das einzige Stück der Sammlung, in dem die Ursprünglichkeit einer Auseinandersetzung mit der jüdischen Obrigkeit bestritten werden muss“. 56 Thissen, Erzählung der Befreiung, 203. 57 Thissen, Erzählung der Befreiung, 211. 58 Thissen versucht den genauen Text der Heilungsgeschichte auf S. 217 zu rekonstruieren.
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Sammlung ist nun die Person Jesu, die das Neue hervorbringt. Der Sitz der Sammlung im Leben ist daher die Verkündigung an Judenchristen. Die markinische Redaktion wird durch den Vergleich mit dem Stoff des gesamten Evangeliums festgestellt. Die redaktionellen Eingriffe betreffen hauptsächlich das Motiv der Nachfolge durch die Einfügung von Mk 2,13–14 und die Verkündigung des Evangeliums in 2,2 durch den Ausdruck 1k²kei t¹m kºcom. Markus will mit seiner Redaktion Thissen zufolge klarmachen, dass er kein Biograph ist, der nur vom irdischen Jesus spricht, sondern von Christus, dem Auferstanden.59
3.3 A.J. Hultgren: Jesus and His Adversaries Die Untersuchung von A.J. Hultgren ist nach V. Taylor die die erste Monographie in der englischsprachigen Welt, die sich mit dem Thema der Streitgespräche befasst. Seine Argumentation ist daher ein Versuch, die Thesen der Formgeschichte weiterzuführen und sie teilweise zu revidieren. Seine neuen Erkenntnisse konzentrieren sich hauptsächlich auf drei Bereiche: die Definition der Gattung, die Klassifikation der Streitgespräche und die Bestimmung ihres Sitzes im Leben. Anders als Bultmann und Dibelius betont Hultgren den Unterschied der Streitgespräche zu jeder anderen hellenistischen Form. Exemplarisch diskutiert er die Chrien, die von Dibelius als mögliche literarische Parallele betrachtet werden. Nach Hultgren unterscheiden sich die Chrien von den synoptischen Erzählungen dadurch, dass bei den Chrien die Aphorismen in direkter Rede und die Erzählung fehlen können.60 Hultgren unterstreicht auch die Unterschiede zu den rabbinischen Debatten, die viel länger und komplexer als die synoptischen Texte sind. Die Bestimmung von Analogien zu den Formen aus dem Umfeld muss aber nach Hultgren sehr vorsichtig erfolgen und darf zu keinem schnellen Schluss führen, wie etwa zur Annahme, dass die Streitgespräche aufgrund der Ähnlichkeit mit den rabbinischen Streitgesprächen eine Debatte über das Gesetz seien. Die synoptischen Debatten bestehen aus drei Teilen: einer Situierung, einem Dialog und einer Schlussbemerkung. Wegen der wichtigen Rolle der Erzählung werden sie von Hultgren nicht Dialoge genannt, sondern „conflict stories“,61 weil sie im Grunde Erzählungen sind, die einen Dialog enthalten („narratives containing dialogue“). Die neue Differenzierung der Texte in der Untersuchung unterscheidet zwei Gruppen: die einheitlichen und die nicht59 Thissen, Erzählung der Befreiung, 331. 60 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 35. 61 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 52. Die weitere mögliche Benennung (z. B. bei Taylor) „controversy stories“ wird nicht gewählt, weil das Wort „controversy“ eine längere Zeit des Streitens voraussetzt, während „conflict“ eine punktuelle Bedeutung hat.
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einheitlichen Konflikterzählungen. Die einheitlichen Konflikterzählungen sind diejenigen, deren zentrales Logion zusammen mit der Erzählung tradiert wurde. In diesem Fall ist es schwierig, an eine selbständige Tradierung des zentralen Spruches zu denken. Nur diese sind daher die Erzählungen, die aus der Erinnerung an die Konflikte Jesu stammen könnten.62 Dieser Gruppe gehören folgende Texte an: 1) die Frage nach der Vollmacht (Mk 11,27–33 par); 2) die Frage nach dem Tribut (Mk 12,13–17 par); 3) die Frage nach dem Fasten (Mk 2,18–20 par); 4) die Heilung am Sabbat (Mk 3,1–5) und 5) die sündige Frau bei dem Pharisäer (Lk 7,36–50). Die nicht-einheitlichen Konflikterzählungen enthalten Jesu Worte, die unabhängig von der Erzählung tradiert wurden. Zu dieser Gruppe gehören: 1) die Beelzebul-Kontroverse (Mk 3,22–30; Mt 12,22–32; Lk 11,14–15; 17–23); die doppelte Tradition von Markus und Q wird von Hultgren durch die Annahme eines aramäischen Originaltexts, der in verschiedene griechische Fassungen übersetzt wurde, erklärt;63 2) die Heilung des Gelähmten (Mk 2,1–12 par); 3) Speisen mit den Sündern (Mk 2,15–17); 4) das Ährenraufen am Sabbat (Mk 2,23–28 par); 5) die Tradition der Alten (Mk 7,1–8; Mt 15,1–9); 6) die Ehescheidung (Mk10,2–9 par.) und 7) die Auferstehung (Mk 12,18–27 par.). Die Bestimmung des Sitzes im Leben stellt bei Hultgren einen weiteren Unterschied zur Formgeschichte dar. Hultgren sieht bei den einheitlichen Erzählungen als Grund der Tradierung die direkte Erinnerung an den historischen Jesus, obwohl ein genauer Grund unbekannt bleibt.64 Für die nichteinheitlichen Erzählungen nimmt Hultgren nach der Vorstellung der Formgeschichte eine aktive Rolle der Gemeinde an. Allerdings unterscheidet er verschiedene Sitze im Leben: a) Mk 2,1–12, Mk 2,15–17 par und Mk 2,23–28 par gehören zu den Erzählungen, die eine Antwort auf jüdische Kritik geben wollen; b) Mk 7,1–8 ist auch als eine Antwort auf jüdische Kritik verfasst, gehört allerdings anders als die erste Gruppe zu einem hellenistischen Milieu; c) die Perikopen über die Ehescheidung Mk 10,2–9 und über die Auferstehung (Mk 12,18–27) sind in den hellenistischen Gemeinden Unterweisungen für Konvertiten über zwei zentrale Themen; d) Mk 3,22–30 ist in der palästinischen Gemeinde entstanden und Teil der Debatte über die Aufnahme der Christen in die Gemeinschaft, die während der Wirksamkeit Jesu eine feindliche Position hatten.65 Die Streitgespräche werden dann nach ihrer Form der palästinischen und der hellenistischen Gemeinde zugeordnet. Die Streitgespräche der palästini62 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 67: „Therefore it is the unitary conflict stories only which could possibly come from the earliest stage of the tradition intact and preserve the memory of a conflict between Jesus and an adversary“. 63 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 104. 64 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 87: „These conflict stories are not to be considered stenographic accounts of such conflicts for their own sake. They have been formulated and preserved by early Christian traditions for purposes which we can scarcely determine“. 65 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 132–133.
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schen Gemeinde sind durch eine gewisse Kürze gekennzeichnet (Mk 2,1–12; 2,15–17; 2,18–20; 2,23–28; 3,1–5; Mk 3,22–30; Q 11,14–15; 17–23), mit Ausnahme der Beelzebul-Kontroverse Lk 7,36–50. Der Zweck dieser Streitgespräche ist apologetisch. Man will dadurch das Verhalten der Urgemeinde verteidigen: Hence their use in Palestinian situation was that of an apologetic response to Jewish criticism against the church for its belief and conduct.66
Die Sammlung Mk 2,1–3,6 entstand in der galiläischen Gemeinde der 50er Jahre. Man wollte damit zeigen, dass die Gegner Jesu auch die Gegner der Gemeinde seien. Die hellenistischen Gemeinden verfassten drei weitere Streitgespräche über die Tradition (7,1–8); die Ehescheidung (10,2–9) und die Auferstehung (12,18–27). Diese sind längere und komplexere Texte im Vergleich zu den palästinischen Streitgesprächen. Sie sind nicht einheitlich, sie enthalten Zitate aus dem AT, betreffen das Leben in der Gemeinde und dienen als katechetische Texte für die neuen Anhänger. 3.4 J. Kiilunen: Die Vollmacht im Widerstreit J. Kiilunen untersucht in seinem Buch ebenfalls die Sammlung von Streitgesprächen in Mk 2,1–3,6. Er versteht diesen Abschnitt als exemplarische Texteinheit, an der die formgeschichtliche und die redaktionsgeschichtliche Methodik erprobt werden können und die Entstehung des Evangeliums besser erklärt werden kann. Die Absicht von Kiilunen ist es, durch die kritische Analyse der Erkenntnisse der neuen Studien zum Thema durch Thissen, Hultgren, Dewey und Kuhn zu einer innovativen Betrachtung der Texteinheit zu kommen. Die rhetorische Untersuchung von J. Dewey67 wird als besonders produktiv für eine formale Strukturierung der Sektion 2,1–3,6 gewürdigt.68 Kiilunen stellt die gleiche konzentrische Struktur der fünf Streitgespräche wie Dewey fest und sieht im Weiteren eine konzentrische Disposition der Konfliktszenerie im Evangelium als Ganzen: Der Sammlung in 2,1–3,6 entspricht die Sammlung in 11,12–12,44; der Debatte in 3,22–30 entspricht diejenige in 10,2–8. 8,11–16 hat keine Entsprechung außer der „sinngemäßen“ durch die Erzählung in 6,1–6.69 Nach diesem Schema steht die Debatte über die Reinheit in 7,1–23 im Mittelpunkt der Konflikte. Anders als bei Dewey werden diese formalen Bemerkungen historisch-exegetisch vertieft. Die Untersuchung von 66 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 176. 67 J. Dewey, Markan Public Debate. Literary Technique, Concentric Structure, and Theology in Mark 2:1–3:6, SBLDS 48, Chico 1980. Dieses Werk wird später zusammengefasst. 68 Kiilunen über J. Dewey: „Die Untersuchung von Dewey, die die Pionierarbeit geleistet hat, ist im ganzen als anregender Beitrag zur rhetorischen Analyse des Mk-Ev anzusehen“. (S. 72). 69 Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 22.
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Dewey – so betont Kiilunen – geht daher das Risiko des Formalismus ein, bei dem im Endeffekt der Exeget Sachverhalte betont, die dem Autor selbst nicht bewusst sind. Die oft wiederkehrende Frage, die auch Kiilunen in Bezug auf Mk 2,1–3,6 diskutiert, ist die Existenz einer vormarkinischen Sammlung der Streitgespräche. Die Hauptargumente für die Annahme einer vormarkinischen Sammlung, die dann von Markus in sein Evangelium eingegliedert worden wäre, sind der zu frühe Hinweis auf den Kreuzestod in 2,20 und 3,6 und die ebenfalls frühe Erwähnung des Terminus „Menschensohn“ in 2,10 und 2,28, der doch erst ab Mk 8,31 regelmäßig benutzt wird. Kiilunen betont dagegen mit K.A. Koch, dass der Bezug auf das Kreuz in Mk 1,1–8,26 kein isolierter Fall ist. Die Hinweise auf die Passion finden sich in 1,14 durch den Gebrauch des gleichen Verbs paqadidºmai für die Festnahme des Johannes und auch durch die Bemerkung in 3,19b, dass Judas derjenige sei, der Jesus verraten werde. Die Opposition, die Jesus seitens seiner Familie und in der religiösen Umgebung erfährt, bestätigt, dass die Feindschaft gegen Jesus auch im ersten Teil des Evangeliums präsent ist. Der Beschluss, Pläne für Jesu Hinrichtung zu machen (3,6), hat Parallelen in 11,18; 12,12 und 14,1.70 In der Exegese hat man wohl die zentrale Rolle von Mk 8,31 bemerkt, wo das Leiden des Menschensohnes der Belehrung seiner Jünger dient, aber „man hat nicht gesehen, dass sich die Passionsthematik durch das ganze Evangelium hindurchzieht, dass sie jedoch an verschiedenen Stellen eine unterschiedliche Funktion haben kann.“71 Die Gründe, die zur Annahme einer vormarkinischen Sammlung geführt haben, sind daher für Kiilunen nicht stichhaltig. Ein weiteres Argument gegen die Sammlung sind Stil und Syntax des Abschnittes, die Merkmale der markinischen Sprache aufweisen, wie die Anakoluthe und die Asyndeta, wie sie V. Taylor bereits in seinem Kommentar nachgewiesen hatte. In der Analyse der Texte stellt Kiilunen die traditionelle Frage nach der Unterscheidung von Tradition und Redaktion und dem Sitz der einzelnen Texte im Leben. In Mk 2,1–12 ist eine vormarkinische Fassung dieser Episode nicht zu erkennen; man kann nicht von einer Wundergeschichte sprechen, die dann in ein Streitgespräch umgearbeitet wurde, denn der vorliegende Text läuft einheitlich auf die Vollmacht des Menschensohnes hinaus.72 Die Rolle der christlichen Gemeinde und des Evangelisten ist wesentlich für die Abfassung der Texte. Die Frage nach dem Sitz im Leben der einzelnen Texte wird aber differenziert gesehen. In Mk 2,1–12 bildet nicht die Debatte der Sündenvergebung in der christlichen Gemeinde im Gegensatz zum Judentum den Fokus, wie Bultmann und Kuhn sagen. Der Mittelpunkt ist vielmehr christologisch. Jesus begründet durch das Wunder seine Vollmacht als Menschensohn, der Glauben fordert. 70 Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 40–44. 71 Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 45. 72 Kiilunen, Die Vollmacht in Widerstreit, 93.
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In Bezug auf die Perikope 2,13–17 findet Kiilunen ebenfalls einen anderen Sitz im Leben als bisher vermutet. Die Pointe ist nämlich nicht die Tischgemeinschaft zwischen Judenchristen oder Heidenchristen wie in Gal 2,11ff, denn die Zöllner waren keine Heiden, sondern Juden. In der Debatte wird vielmehr das Verhalten Jesu kritisiert, weil er Umgang mit den Sündern und Zöllnern hat.73 Die Perikope über das Fasten wird nicht als Polemik gegen das Judentum interpretiert, sondern als Vermittlung zwischen zwei internen, gegensätzlichen Positionen gegen und für das Fasten im Christentum selbst. Die Debatten über den Sabbat hingegen sind in der Polemik gegen die Pharisäer entstanden. Mk 3,1–6 geht nach Kiilunen allerdings auf eine echte Episode im Leben Jesu zurück.74
3.5 W. Weiß: Eine neue Lehre in Vollmacht Das Buch von W. Weiß, „Eine neue Lehre in Vollmacht“. Die Streit- und Schulgespräche des Markus Evangeliums (1989), ist m. E. das beste Beispiel einer redaktionsgeschichtlichen Untersuchung zu den Streitgesprächen. Die Methodik der Arbeit folgt der Intention (die schon Marxsen und Conzelmann geäußert hatten), die Erkenntnisse der Formgeschichte beizubehalten und sie durch die Betonung der individuellen Leistung des Evangelisten zu ergänzen. Der Kontrast zwischen einem autorzentrierten Modell (im Mittelpunkt steht der Evangelist) und einem kollektiven Modell (im Mittelpunkt steht die Gemeinde) für die Genese der Evangelien wird durch einen integrativen Versuch gelöst. Weiß übernimmt die Kategorien von Bultmann von Streit- und Schulgesprächen und unterscheidet noch Streitgespräche zu Fragen christlicher Lebenspraxis und Streitgespräche zum Wirken Jesu. Zur ersten Gruppe der Streitgespräche gehören die Konflikte über den Sabbat (Mk 2,23–28 und Mk 3,1–6), die Debatte über das Fasten (Mk 2,18–22), über die Überlieferung der Alten (Mk 7,1–28) und über die Tischgemeinschaften (Mk 2,15–17). Zur zweiten Gruppe gehören die Heilung des Gelähmten (Mk 2,1–12), die Frage nach der Vollmacht Jesu (Mk 11,27–33) und der Streit über die Exorzismen (Mk 3,22–30). Die Schulgespräche umfassen die Frage nach der Ehescheidung (Mk 10,2–11), die Censusfrage (Mk 12,13–17), die Frage nach der Auferstehung (Mk 12,18–27) und die Frage nach dem höchsten Gebot (Mk 12,28–34). Weiß bestreitet die Existenz einer vormarkinischen Sammlung der Streitgespräche in Mk 2,1–3,6. Die markinischen Streitgespräche wurden als ein73 Kiilunen, Die Vollmacht in Widerstreit, 150–152. 74 Kiilunen, Die Vollmacht in Widerstreit, 246: „ Es ist deshalb eher anzunehmen, dass Mk 3,1–6 eine konkrete Konfliktszene in der Wirksamkeit des historischen Jesus widerspiegelt, d. h. dass in erster Linie historische Reminiszenz die Aufbewahrung und Gestaltung des Stücks bewirkt hat“.
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zelne Erzählungen überliefert und erst durch Markus in seinem Werk zu größeren Einheiten zusammengefügt. Die Pointe der Untersuchung liegt darin, die redaktionelle Arbeit des Evangelisten neben den von der Gemeinde geschaffenen Gesprächen zu betonen. Weiß übernimmt die Struktur der einzelnen Gespräche nach der Analyse von Bultmann, die „Anlass“, „Exposition“, „Vorwurf“ und „Dialog“ unterscheidet. Die Streitgespräche haben daher eine Grundform, die bereits von der Frage und der Antwort her strukturiert wird. Die Frage ist ein Vorwurf, der in einer Spannung zur Antwort steht. Im Vorwurf wird in der Regel ein Verhalten der Gemeinde thematisiert, das nach jüdischer Sicht zu kritisieren ist. Damit bestätigt Weiß die Annahme Bultmanns, nach der die Grundform der Streitgespräche der Polemik der Gemeinde entspricht.75 Die Antworten Jesu sind im Grunde Weisheitsworte Jesu, die isoliert tradierbar sind (Mk 2,17.19a. 27; 3,4; 7,15). Es liegt deshalb nahe, sie als Sprichworte oder Weisheitsworte zu verstehen, die dann von der Gemeinde in Streitgespräche integriert wurden. Die Vorwürfe in den Streitgesprächen richten sich an die Jünger, dadurch wird eine Analogie der Jünger zur zeitgenössischen Gemeinde hergestellt.76 Sie betreffen Themen der Praxis wie Sabbat, Tischgemeinschaft, Fasten und Überlieferung der Alten. Die Tischgemeinschaft mit den Sündern findet im Haus (1m t0 oQj¸ô) statt, was nach Weiß ein Merkmal für die christlichen Hausgemeinden ist.77 Weiß bemerkt allerdings, dass die Vorwürfe gegen die Jünger Jesu ziemlich allgemein sind, während eine polemische Auseinandersetzung eher genauere Argumente auf genaue Vorwürfe bedingt. In den Texten begegnen nur allgemeine Formulierungen wie oqj 5nestim (2,16) für die Sabbatübertretungen oder oq peqipate?m jat± tµm paq²dosim t_m pqesbut´qym (7,5). Die Antwort von Weiß auf dieses Problem ist die Annahme, dass die Streitgespräche eine Art interner Klärung der Gemeinde aufgrund der allgemein dargestellten Vorwürfe der jüdischen Gemeinde sind.78 Die Themen, über die gestritten wird, werden nur pauschal angesprochen, weil sie noch sehr präsent waren. Schon in der vormarkinischen Überlieferung wird die Polemik und der polemische Inhalt dieser Texte verstärkt. Das geschieht durch die Hinzufügung weiterer Teile wie 2,17c; 2,19b–20 und Mk 7,9–13 und durch die Nachzeichnung der Rahmenszene: „Den Rahmenszenen gemein ist ihre Tendenz, das Gespräch in einer konkreten Situation des Wirkens Jesus zu verankern“.79 Diese Hypothese einer 75 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 272: „Insofern trifft in bezug auf die Grundform Bultmann das Richtige, wenn er den Sitz im Leben für die Streitgespräche mit Apologetik (d.i. Selbstbehauptung) und Polemik (d. h. in offensiver Funktion) bezeichnet“. 76 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 291. Weiß schließt aus, dass die Vorwürfe auf Jesus zurückzuführen sind. Der Bezug auf die Gemeinde ist nach seiner Meinung klar. 77 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 296. 78 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 280: „Die Streitgespräche sind also aus einem apologetischen Interesse im Sinne einer Selbstklärung gegenüber jüdischen Vorwürfen entstanden beziehungsweise gebildet worden“. 79 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 270.
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späteren Entstehung der Rahmenszenen wird dadurch unterstützt, dass man eine gewisse Spannung zwischen der Rahmenszene und dem im Streitgespräch vorliegenden Vorwurf feststellen kann.80 Die geschilderte Situation z. B. in Mk 2,23ff entspricht keiner typischen Handlung der Gemeinde, da diese ja nicht am Sabbat in den Feldern Ähren raufen geht. Die Szene soll vielmehr eine Kritik des Sabbatgebotes einführen, die nicht im Logion enthalten ist. Die Ergänzungen in 2,17c, 2,19b–20 und 7,9–13 sind nicht aus einer gemeinsamen Intention erklärbar. 2,19b–20 ist eine Korrektur einer enthusiastischen Deutung der ersten Antwort, 2,17c ist eine christologische Erläuterung mit einem Gkhom-Wort, 7,9–13 ist eine polemische und gesetzeskritische Tradition. Die Trägerschaft der Überlieferung wird von Weiß in Syrien lokalisiert und in Verbindung zur Gruppe um Stephanus gesetzt, dem eine kritische Haltung gegen die Tradition des Mose (Apg 6,14) vorgeworfen wird. Markus hat weitere Traditionen hinzugefügt (Mk 2,25; 7,6 f; 2,28; 3,1–5) und die Streitgespräche seinerseits in sein Evangelium integriert. Die Streitgespräche, die Jesu Wirken betreffen, sind nach dem Ansatz von Weiß nur ein „Sonderfall“.81 Sie betreffen keine besonderen Probleme, sondern sie stellen eine Verteidigung Jesu durch die Gemeinde dar. Der Unterschied zur anderen Gruppe von Streitgesprächen setzte daher einen anderen Sitz im Leben (Apologetik und christologische Reflexion)82 und einen anderen Trägerkreis, die judenchristliche Gemeinde, voraus. Die Schulgespräche seien ein Produkt des hellenistischen Judenchristentums. Die Fragen gleichen den Debatten, die auch Paulus führte. Ein letzter Punkt in der Untersuchung von Weiß ist die Gattungsfrage. Weiß distanziert sich von der These Bultmanns, bei der Entstehung dieser Texte sei ein rabbinischer Einfluss anzunehmen, und ist der Meinung, dass „die gleichen Entstehungsbedingungen“ für Streit- und Schulgespräche einerseits und rabbinische Debatten andererseits anzunehmen sind.83 Eine weitere Kritik betrifft Bultmanns Annahme eines identischen Sitzes im Leben für die Streitund Schulgespräche. Weiß vertritt im Gegenteil eine differenzierte Entstehung der beiden Formen. Die Schlussfolgerungen von Weiß in diesem Punkt sind sehr vorsichtig. Die Basis der Diskussion bietet die Kontroverse zwischen Dibelius und Bultmann darüber, ob die Texte als Chrien oder als Apophthegmen zu betrachten sind. Dies wird von Weiß durch eine dynamische 80 Das ist nach Weiß ein Punkt, den Bultmann in seiner Analyse übersehen hat: „Ebenfalls ohne Bedeutung für Bultmann ist die Frage, wie weit sich Rahmenszene und Vorwurf direkt entsprechen“ (S. 269) 81 Weiß. Eine neue Lehre in Vollmacht, 307 f. 82 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 309–310: „Zwischen diesen beiden Polen von Apologetik und christologischer Reflexion kann der Sitz im Leben, also die Funktion der Form der Streitgespräche zum Wirken Jesu bestimmt werden“. Da zeigt sich m. E. die Grenze des formgeschichtlichen Formalismus. Im Grunde ist die christologische Frage auch in den anderen Streitgesprächen zu finden. 83 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 316.
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Betrachtung der Überlieferung korrigiert: Am Anfang stehen die Sentenzen Jesu, die später in Form eines Apophthegmas tradiert werden (d. h. eines knappen Dialogs von Frage und Antwort) und dann schließlich durch den Einschub einer Erzählung zur Chrie weiterentwickelt werden. Weiß hält grundsätzlich die These von Bultmann, dass die Texte Apophthegmen sind, aufrecht, und für einige erweiterte Beispiele verwendet er die Bezeichnung Chrie. Diese hellenistischen Gattungen hält er allerdings für nicht ganz passend: „Dennoch meine ich, ist weder die Form des Streitgesprächs noch die des Schulgesprächs mit der Gattung von Apophthegma und Chrie identisch.“84 Ein relevanter Unterschied zwischen Markus und den sonstigen hellenistischen Autoren liegt darin, dass Markus mit mündlichen Überlieferungen und nicht mit schriftlichen Quellen arbeitet.85 Diese Bemerkung steht in Kontinuität mit der Formgeschichte, die ebenfalls den unliterarischen Charakter des Markusevangeliums betont.
3.6 P. Rolin Die Dissertation von Rolin86 ist die einzige monographische Arbeit zu diesem Thema in französischer Sprache. Rolin will die Intention des Markus und den historischen Kontext der Abfassung des Evangeliums hervorheben. Rolin übernimmt methodisch die Unterscheidung R. Bultmanns zwischen Streitund Schulgesprächen (controverse und dialogue didactique), findet aber mit Chr. Senft diese Unterscheidung nur für den Ursprung der Tradition und den Sitz im Leben wesentlich, nicht aber für die redaktionelle Arbeit des Markus.87 Markus scheint diese Formen nicht streng voneinander zu unterscheiden, sondern kombiniert sie sogar einander (Mk 2,1–12: Wundergeschichte und Streitgespräch; 10,1–12: Streitgespräch und Schulgespräch; 2,13–17: Berufungsgeschichte und Streitgespräch). Rolin verwendet für seine Analyse die zwei Hauptsammlungen von Streitgesprächen in Mk 2,1–3,6 und 11,27–12,44. Aus seiner Analyse von Mk 3,22–30; 3,31–35; 7,1–13 und Mk 10,1–12 geht hervor, dass Mk 7,1–23 zu lang ist, um ein Streitgespräch zu sein.88 Rolin hebt die Entsprechungen in den beiden Blöcken am Anfang und am Ende des Evangeliums hervor: a) Die Anfänge von Mk 2,1 und Mk 11,27 ähneln einander: ja· eQsekh½m p²kim eQr Javaqmao»l (Mk 2,1) und ja· 5qwomtai p²kim eQr gIeqosºkula. (11,27a). b) Das Thema der 1nous¸a begegnet 84 Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 325. 85 S. 322: „Das Markus-Evangelium steht darin näher an der mündlichen Überlieferung als beispielsweise ein Diogenes Laertius. Markus schöpft nachweislich aus mündlichen Quellen.“ Dies aber ist für die Verwendung der Gattung kein grundlegendesr Unterschied. Xenophon benutzt diese Gattung auch auf Basis von Erinnerungen und mündlichen Quellen im Falle des Sokrates. 86 P. Rolin, Les controverses dans L’ vangile de Marc, EtB 43, Paris 2001. 87 P. Rolin, Les controverses dans L’ vangile de Marc, 15. 88 P. Rolin, Les controverses dans L’ vangile de Marc, 21.
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sowohl im ersten als auch im zweiten Block. c) Die Synagoge in Mk 3,1–6 entspricht dem Tempel als Ort der Kontroverse in den Jerusalemer Streitgesprächen.89 Marc agence donc (et transforme parfois) les diff rentes formes qu’il reÅoit pour les mettre au service de sa strat gie narrative.90
Die Fragen und Antworten geben den Evangelien eine sehr lebendige Form und regen zum Gespräch über religiöse Themen an. Rolin schließt aber jede polemische Intention des Markusevangeliums aus. Es gehe vielmehr um das literarische Geschick des Evangelisten. Vor allem nennt er drei Elemente: 1) Perspektivenwechsel (recadrage): „le recadrage a pour but de modifier l’image de la r alit “.91 Sie geschieht immer dann, wenn Jesus seinen Gegnern eine Gegenfrage stellt (z. B. Mk 3,1–6 und Mk 12,44). Der Begriff „recadrage“ kommt aus der Psychotherapie. In Mk 2,1–3,6 werden Fragen wie die Vergebung der Sünden in der Gemeinde, die Nachfolge aus der Sicht des Wanderradikalismus oder das Fasten behandelt. Eine weitere Technik 2) ist die Anwendung von Ironie. Als Beispiel lassen sich der Schluss der Allegorie in Mk 12,1–12 und der gute Schriftgelehrte anführen, von dem Jesus sagt, er sei nicht weit vom Reich Gottes entfernt. Die dritte Technik 3) ist der Gebrauch unbestimmter Pronomina, um eine Identifikation des Lesers mit den nicht näher bestimmten Figuren der Erzählung zu erreichen: t¸r; fr %m, pokko¸, b ewkor, die lahgta¸. Die Menschen, die sich gegen Jesus wenden, sind negative Gestalten, mit denen Markus die Neuheit der Verkündigung Jesu zu beschreiben versucht und damit das Erstaunen der Zuhörer erregt. Besonders hervorgehoben wird die Thematik der Vollmacht, die hier nicht zum Zweck der christologischen Rechtfertigung von außen betrachtet, sondern einfach in den Kontroversen thematisiert wird: „Le lecteur n’est plus spectateur, mais il est vraiment mis en pr sence de l’autorit de Jesus“.92 Zwar führen die Kontroversen zum Tode Jesu, aber Markus will vor allem zeigen, dass die Präsenz Jesu an sich Fragen aufwirft. Dies bestätigt, was der Autor bereits zu Beginn des Buches postuliert hat, nämlich eine nicht-polemische Betrachtung der Streitgespräche: „Du point de vue de la m thode, il n’est pas acceptable de postuler une intention pol mique dans l’œuvre de Marc“.93
89 90 91 92 93
P. Rolin, Les controverses dans L’ P. Rolin, Les controverses dans L’ P. Rolin, Les controverses dans L’ P. Rolin, Les controverses dans L’ P. Rolin, Les controverses dans L’
vangile de Marc, 330. vangile de Marc, 332. vangile de Marc, 333. vangile de Marc, 339. vangile de Marc, 5.
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3.7 B. Repschinski Die Untersuchung von B. Repschinski behandelt speziell die matthäische Redaktion der Streitgespräche und insbesondere deren Relevanz für die Bestimmung des Verhältnisses des Evangelisten und seiner Gemeinde zum Judentum. Die Arbeit ist gemäß seiner Fragestellung in die redaktionsgeschichtliche Forschung eingebettet. In diesem Bereich wurde gerade die Frage nach der Identität des Evangelisten und nach seinem kulturellen Ursprung aufgeworfen. Allerdings weichen die Hypothesen erheblich voneinander ab: Nach G. Bornkamm ist Matthäus ein Judenchrist, der mit dem Judentum eine Debatte intra muros führt, dagegen betrachtet G. Strecker Matthäus als Heidenchristen, der das Judentum von außen heftig angreift. Die Hypothesen in der Forschung zum Matthäusevangelium positionierten sich nach diesen extremen Stellungsnahmen. Repschinski hält gerade die Polemik des Evangeliums gegen das Judentum für ein wichtiges Element, um das Profil der Gemeinde des Matthäus zu bestimmen. Insbesondere die Redaktion der Streitgespräche ist dafür geeignet, weil diese Texte einen ursprünglichen Konflikt Jesu mit dem Judentum dokumentieren: The acrimonious debates between Jesus and the Jewish leaders in the gospel bear witness to the conflictual nature of this relationship.94
Matthäus lässt Jesus tatsächlich sehr stark gegen die Pharisäer und die Schriftgelehrten polemisieren, wie aus den Gleichnissen in Mt 21 und 22 und aus der Anwendung der Invektiven aus der Logienquelle in Mt 2395 hervorgeht. Nach Repschinski reichen diese polemischen Attacken nicht aus, um eine Distanz des Matthäus zum Judentum zu dokumentieren, im Gegenteil bestätigen sie methodisch, dass die matthäische Gemeinde sich als eine jüdische Sekte verstanden hat, die sich gegen die offizielle Religion wandte und deren Untreue anfocht.96 Repschinski analysiert die inhaltliche und stilistische Be-
94 B. Repschinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, 61. 95 Repschinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, 44: „This chapter contains one of the most vitriolic attacks against Pharisees and scribes of the whole gospel and suggests many problems concerning its compositional tradition“. Eine besondere Richtung, die aber in diesem Kapitel nur am Rande berücksichtigt werden kann, ist die Debatte über die antijüdische Valenz der Konflikte Jesu mit dem Judentum. Hier ist eine neue Sensibilität entstanden, die sich besonders als Reflexion nach dem Holocaust innerhalb der neutestamentlichen Exegese entwickelt hat. Zwei Untersuchungen sind bemerkenswert: die schon erwähnte Untersuchung von M. Gielen, Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes, und das Buch von M. Dietzenbach, Der Konflikt Jesu mit den Juden. 96 Diese methodische Bemerkung wird von Repschinski in S. 53 so formuliert: „Rather than an indication of historical distance, polemics is a sign of the ideological proximity of two groups at odds with one another over the same issues. The more acrimonious the debate the closer the two
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arbeitung der markinischen Streitgespräche bei Matthäus. Matthäus verbessert die dialogische Form der Texte (z. B. in Mt 12,10 wird eine Frage der Gegner eingefügt, die bei Markus fehlt), ihre Struktur (z. B. in Mt 15,1–20) und Sprache. In Mt 12,1–8 z. B. wird die falsche Erwähnung des Hohenpriesters Abiatar weggelassen und das Argument des Dialogs korrigiert, denn das Beispiel von David hat nichts mit dem Sabbat zu tun und ist ein Fall für die Fragestellung der Haggadah, aber nicht der Tora.97 Die Pointe liegt dabei in dem von Matthäus eingefügten Zitat von Hos 6,6. Das Gebot des Sabbats wird nicht in Frage gestellt, es wird vielmehr der Treue gegenüber Gott untergeordnet.98 Das Gleiche gilt in Bezug auf das Gesetz über die Reinheit und die Speisen in Mt 15. Matthäus streicht die Aussage über die Reinheit aller Speise, und in seinem Schluss bezieht er alles wieder nur auf das Händewaschen (15,20). Dabei zeigt sich nach Repschinski eine wichtige Erkenntnis für die Tradition der Streitgespräche. Matthäus geht auf das urmarkinische Stadium der Überlieferung zurück: Matthew’s redaction actually seems to bring the story closer to what might have been its pre-Markan state. Matthew also levels out the inconsistencies of Mark.99
Matthäus will zeigen, dass im Grunde genommen nicht Jesus, sondern seine Gegner gegen das Gesetz sind. Die Jerusalemer Streitgespräche werden ebenfalls durch die Einschaltung von zwei weiteren Gleichnissen (Mt 21,28–32 und Mt 22,1–14) in die Konflikttexte erweitert. Der allgemeine Ton der Redaktion ist polemisch. Die Debatte über das größte Gebot (Mt 22,34–40), die in der markinischen Fassung (Mk 12,32–34) freundlich endet, wird in Matthäus ebenfalls ein „Streit“-Gespräch. Die gesetzestreue Haltung und die Polemik gegen die religiösen Autoritäten sind Ausdruck der Position des Evangelisten und seiner Gemeinde. Repschinski beschäftigt sich weiter mit der Frage nach der Gattung der Streitgespräche. Er diskutiert die Versuche, diese Gattung zu bestimmen: den Vergleich mit den Apophthegmen und mit den Chrien. Er stellt eine gewisse Nähe der synoptischen Texte zu der Form der Chrien fest und rezipiert die Studien der SBL Forschungsgruppe zu dieser Gattung. Er sieht aber gleichzeitig wesentliche Unterschiede zu dieser Form; vor allem hat die Feindseligkeit, die in den Streitgesprächen zum Wort kommt, keine Parallelen in den groups are.“ Das kann aber m. E. nicht als allgemeine Regel gelten, denn als Zweck der Polemik ist, wie gezeigt wird, die Eliminierung des oder der Rufmord am Gegner beabsichtigt. 97 Repschinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, 98. 98 Repschinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, 10, Matthäus hat dadurch eine offenere Position gegenüber dem Sabbat, was vielleicht für die Sabbatobservanz in seiner Gemeinde sprechen würde. 99 Repschinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, 164. Eine ähnliche Meinung betrifft die Redaktion von Mt 12,1–8. Matthäus’ Redaktion hilft auch zur Erkenntnis der markinischen Version. Sie kann nicht zeigen, ob die Geschichte wahr oder erfunden ist, „But Matthew shows that creative treatment of sources was possible“ (S. 105).
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Chrien. Das Auftreten der Gegner in den Chrien ist eher zufällig.100 Aus diesem Grund schlägt Repschinski eine weitere Gattung vor: nämlich das Wortgefecht (!c½m kºcym). Dieser formgeschichtliche Vorschlag wird im Detail kritisch diskutiert. Die Grundvorstellung Repschinskis ist, dass Jesus durch diesen Kampf zum moralischen Beispiel für die Gemeinde wird. Bei diesem Punkt kann sich Repschinski wieder einfach an sein Leitthema anschließen, die matthäische Gemeinde.101 Durch die Darstellung eines debattierenden (und schließlich siegenden) Jesus will Matthäus seiner Gemeinde ein moralisches Beispiel anbieten. Bei dieser Interpretation müsste aber m. E. erklärt werden, inwiefern ein Streit als moralisches Beispiel dienen kann. Es ist deshalb notwendig, das Phänomen der Polemik und die normativen Fragen näher anzusehen. 3.8 Ausblick Die Diskussion um die Streitgespräche geht nach der Monographie von B. Repschinski weiter. So hat E.-M. Becker einen Beitrag zum Thema „Die markinischen Streitgespräche im Plan des Evangeliums“102 vorgelegt. Becker zeichnet den Übergang von der formgeschichtlichen „Typologisierung der synoptischen ,Streit- und Schulgespräche‘“103 zur redaktionsgeschichtlichen Fragestellung, d. h. zu den „redaktionellen Interessen“104 des Markusevangelisten nach. Becker weist darauf hin, dass „die ,Streitgespräche‘ im Markusevangelium vorläufig ihren literarischen und theologischen Höhepunkt“ erreichen.105 Daran muss die weitere exegetische Diskussion anknüpfen.
100 Repschinski, The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, 283: „But the label of hostility found in the controversy stories of the gospels, and intensified in the gospel of Matthew, cannot be sustained by mere chreia collections.“ 101 The Controversy Stories in the Gospel of Matthew, S. 291: „By showing Jesus consistently as representing the way of life of the community, Matthew uses the controversy stories to make an ethical and moral appeal to his audience to follow the way of Jesus.“ 102 E.-M. Becker, Die markinischen ,Streitgespräche‘ im Plan des Evangeliums. Eine kritische relecture der formgeschichtliche Methode, in: O. Wischmeyer/L. Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte, BZNW 170, Berlin/New York 2011, 433–463. 103 E.-M. Becker, Die markinischen Streitgespräche, 444. 104 E.-M. Becker, Die markinischen Streitgespräche, 455. 105 E.-M. Becker, Die markinischen Streitgespräche, 459.
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4. Die neue formgeschichtliche Forschung 4.1 Die neue Formgeschichte Ein Aspekt, den man in der Forschung als Reaktion auf die Formgeschichte revidieren wollte, war die Bestimmung der literarischen Merkmale der synoptischen Streitgespräche. Die Formgeschichte wollte eigentlich eine direkte komparative Untersuchung mit vergleichbaren Materialien aus der hellenistischen Literatur vermeiden, denn dies hätte vermutlich der Grundvorstellung widersprochen, dass die Evangelien als Produkte der Volksliteratur zu betrachten seien. Während in der deutschen Fachliteratur die Untersuchungen zu diesem Thema im Rahmen der klassischen Formgeschichte bleiben,106 entwickelte sich vor allem in der US-amerikanischen Exegese eine neue Fragestellung. Der Kontext, in dem sich diese Untersuchungen entwickeln, sind die erste und die zweite „SBL Group for the pronouncement stories“, die ihre Ergebnisse in zwei Heften der Zeitschrift Semeia veröffentlichten. Diese Forschung verbindet sich ebenfalls mit einer weiteren Richtung in der amerikanischen Exegese, dem rhetorical criticism. 4.2 Die erste Phase der SBL Pronouncement Stories Work Group Die erste Gruppe der Exegeten, die die pronouncement stories neu untersuchten, stand unter der Leitung von R. Tannehill, der zur Gattungskritik im amerikanischen Kontext Entscheidendes beigetragen hat. Er schrieb einen Beitrag für ANRW 25.2,107 der bereits die Grundelemente der Forschung der ersten Gruppe enthält, und vor allem hatte er in seiner Dissertation das Thema der Entstehung der Jesus-Überlieferung behandelt.108 Der Unterschied zur 106 Die zwei Hauptentwürfe sind die Einleitung in das Neue Testament von Ph. Vielhauer, die das Konzept einer Literaturgeschichte des Neuen Testaments vertritt (Geschichte der Urchristlichen Literatur, Berlin/New York 1975) und vor allem die Formgeschichte von K. Berger (Formen und Gattungen im Neuen Testament, UTB 2532, Tübingen u. a. 2005). In diesem Buch werden die Streitgespräche allgemein als Chrien klassifiziert (S. 140–152), aber ohne eine nähere Bestimmung. 107 Tannehill, Types and Functions of Apophthegms in Synoptic Gospels. Es ist interessant festzustellen, dass Tannehill in diesem Beitrag konsequent von Apophthegmen spricht. Das wird später durch die Bezeichnung „pronouncement stories“ ersetzt. Die Erzählung wird hier als ein Bestandteil des Apophthegmas erklärt: „An apophthegm is a complete narrative scene which is meaningful in itself, and the climatic utterance is significant apart from events which may been caused by it“ (S. 1794). 108 In der Dissertation (The Sword of His Mouth. Forceful and Imaginative Language in Synoptic Saying, SBL Semeia 1, Philadelphia/Missoula 1975) kritisiert Tannehill vor allem das Desinteresse der Formgeschichte an ästhetischen Elementen in der synoptischen Tradition. Bultmann unterschied konstitutive und schmuckhafte Elemente bei der formalen Einordnung eines
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klassischen Formgeschichte betraf nicht nur den Verzicht der neuen Formgeschichte darauf, einen Vergleich mit der griechischen Literatur zu unternehmen. Die neue Forschung verzichtete vielmehr auf jede konstruktive Theorie über die Entwicklung der synoptischen Tradition. Sie arbeitete nur analytisch auf die einzelne Gattung bezogen, ohne historische und kulturelle Szenarien zu entwerfen. Diese verschiedenen Formen werden vor allem der Sammlung der Apophthegmen bei Plutarch entnommen. Die pronouncement stories werden als kurze Erzählungen definiert,109 die in einer pointierten Aussage gipfeln. Die Aussage, die ein Jesus-Logion enthält, ist deshalb das wichtige Element dieser Texte, von dem her verschiedene Varianten dieser Form unterschieden werden. Tannehill unterscheidet grundsätzlich sechs Varianten in der hellenistischen Sammlung von Apophthegmen: a) objection stories, b) correction stories, c) commandation stories, d) quest stories, e) inquiry stories und f) description stories. Die erste Variante, die objection stories, enthält eine Antwort, die sich auf einen Vorwurf bezieht und den zu entkräften versucht. In den correction stories enthält die Antwort eine verbessernde Korrektur der Meinung der Gesprächspartner, aber in der Frage wird kein Vorwurf ausgedrückt (z. B. in Lk 11,27–28). Die commendation stories sind durch das Merkmal charakterisiert, dass eine Person oder eine Gruppe für ihr Verhalten gelobt und als beispielhaft präsentiert wird. In den quest stories erhalten einige Menschen, die sonst eine Ablehnung erfahren hätten (als Sünder oder Heiden), das, wonach sie gefragt haben (z. B. im synoptischen Text Mk 7,24–30). Die inquiry stories enthalten eine Frage nach einer einfachen Auskunft. Die Antwort stellt keine Korrektur dar, sondern sie bezieht sich direkt auf die Frage. Tannehill erkennt noch eine Untergruppe dieser Variante, die von einer versucherischen Intention bewegt ist, und nennt sie „testing inquiries“.110 In der letzten Variante, der description stories, enthält die Antwort eine beschreibende Digression. Sie kann witzig oder tragisch sein. Diese Form von Erzählung begegnet nicht in der synoptischen Tradition. Der wissenschaftliche Ertrag dieser ersten SBL-Forschungsgruppe besteht in der Heranziehung von Erzählungen der hellenistischen Literatur. J.E. Alsup findet in den Moralia von Plutarch die gleichen Verhältnisse von Frage und
Textes. Metapher, Parodox, Hyperbole, Parallelismus gehören für ihn zum Schmuck. „This shows Bultmann’s limited interest in form. While form may be important to trace the history of tradition, there is little awareness that form is an integral aspect of a text which must be considered, if its full significance is to be understood“. (aaO, 8). Statt der ästhetischen Elemente untersucht Bultmann die soziologische Funktion der Texte. ,Schmuck‘ ist allerdings die Übersetzung von ,ornatus‘ und damit Bestandteil der antiken Rhetorik und Literaturtheorie. 109 R. Tannehill, Introduction: The Pronouncement Story, 1: „a pronouncement story is a brief narrative, which relates how someone responded to something said or observed on a particular occasion. The response is a pronouncement (…) and this pronouncement is the climatic element in the story.“ 110 Tannehill, Introduction: the Pronouncement Story, 10.
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Antwort. Die pronouncement stories haben nach Alsup kein Interesse daran, die beteiligte Person zu loben, und verfolgen kein biographisches Ziel.111 V.R. Robbins erklärt die Bedeutung des Terminus pronouncement story, der schon von Taylor geprägt wurde. Diese Bezeichnung hat nach Robbins eine übergreifende Valenz, die über die sonstige Unterscheidung zwischen !povh´cla, wqe¸a und paq²deicla hinausgeht und Elemente dieser drei Formen enthält. Die Idee eines übergreifenden Begriffs für die ganze aphoristische Literatur rechtfertigt Robbins dadurch, dass diese griechischen Bezeichnungen oft verwechselt werden können.112 Robbins beschränkt sich allerdings nicht auf die Bestätigung der Varianten der pronouncement stories in den biographischen Werken Plutarchs, die von Tannehill unterschieden werden. Er versucht vielmehr dieses Bild zu ergänzen, indem er die Varianten von Tannehill unter drei Grundformen der pronouncement stories subsummiert: a) aphoristic, b) adversative und c) affirmative pronouncement stories. Als aphoristische Erzählungen bezeichnet Robbins alle Texte, die eine bloß beschreibende Absicht haben und keine Kritik oder Provokation enthalten. Dazu gehören die description und die inquiry nach dem Schema von Tannehill. Adversative Erzählungen nennt er alle Formen von Erzählungen, in denen eine Spannung zur Sprache kommt: Meistens wird eine Korrektur vorgenommen und oder ein Einwand gemacht.113 Die dritte Gruppe umfasst alle Erzählungen, die eine Bestätigung in verschiedenen Formen enthalten, wie Lob, Selbstlob oder Empfehlung einer Person. Robbins verhält sich kritisch-distanziert gegenüber der Klassifizierung von Tannehill. Robbins versucht ein einfacheres Schema vorzuschlagen. Dieser Versuch spielt sicher in der zweiten Phase der Forschungsgruppe eine Rolle, die von Robbins selbst geleitet wurde.114 Das Ziel der Forschungsgruppe war die Suche nach einem klassifizierenden System, nicht eine historische Rekonstruktion des Tradierungsprozesses. Tannehill distanziert sich sogar von einer historischen Betrachtung der Erzählungen. Er schreibt: 111 Alsup, Plutarch’s Moralia, 25: „Biographical interest, in fact, seems to be somewhat relative since Plutarch does not always honour this“. 112 V.R. Robbins, Classifying Pronouncement Stories, 31. 113 Robbins, Classifying Pronouncement Stories, 35. Die adversative Variante der pronouncement stories wird in zwei Arten unterteilt: correction und dissent. Die letztere Form lässt sich in weitere zwei Formen untergliedern: objection und rebuff. Eine wichtige Bemerkung von Robbins betrifft einige Erzählungen, bei denen eine Selbstkorrektur vorgenommen wird. 114 Robbins selbst sagt am Ende des Aufsatzes, er habe die zwei Versuche von Aune und Tannehill zu verbessern und ergänzen versucht. Aune hat in der Analyse von Plutarchs Septem sapientium convivium zwei Arten von Erzählungen identifiziert, die gnomische und die agonistische Erzählung. Aune’s System ist für Robbins zu weit, und das von Tannehill ist funktional für die synoptischen Texte. „The variety within the two hundred stories selected for this study suggests that Aune’s categories are too broad to offer a satisfying system for comparing various bodies of literature within the Mediterranean world. Also, it calls for finer tuning than that which exists in Tannehill’s system, which was developed on the basis of pronouncement stories in the Gospels“ (S. 48).
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I do not assume that each of the texts I discuss is a pre-Gospel unit of oral tradition. It is quite possible that the formation of pronouncement stories continued into the late redactional stages of the Gospel tradition (…) No attempt will be made to separate material of early and late origin.115
Die Anwendung dieser Systematik auf die synoptischen Erzählungen führt dazu, dass eine beachtliche Zahl von synoptischen Erzählungen unter diese Form eingeordnet wird. Das Lukasevangelium enthält eine relevante Anzahl von correction stories (z. B. Lk 3,15–17; 11,27–28; 23,27–31 und vielleicht auch 9,52–56). Die Streitgespräche sind in die Kategorie der objection stories eingeordnet.116 Allerdings gehören zu dieser Gruppe Texte, die sonst nicht als solche betrachtet werden, wie Mt 3,13–15; 9,9–13 und Lk 2,41–51. Mk 6,1–6 ist kein biographisches Apophthegma wie nach der Definition von Bultmann, sondern auch eine objection story, ebenso wie Lk 2,41–51, ein Text, der nach Dibelius eine Legende ist. Description stories sind in den Evangelien nicht enthalten mit der Ausnahme vielleicht von Lk 14,15–24. Die einzige Frage, die die Genese der pronouncement stories betrifft, ist die Widerlegung der Annahme Bultmanns, die Streitgespräche seien unter dem Einfluss der rabbinischen Literatur verfasst worden, durch Gary Porton. Porton erhebt gegen Bultmanns These zwei schwerwiegende Einwände: zum einen dass Bultmann nicht mit den Originaltexten gearbeitet habe, zum anderen, dass er nicht zwischen frühen und späten rabbinischen Quellen unterscheide. Die tannaitische Literatur ist in der Tat später als die synoptischen Texte. Porton folgert daher, dass die tannaitischen Beispiele keine historische Quelle der synoptischen Texte gewesen seien. Vielmehr nimmt er eine Abhängigkeit von der griechischen Literatur an: It becomes clear that the Greek source provide better parallels for the Gospel’s pronouncement stories than the rabbinic sources.117
4.3 J. Dewey: Rhetorical Criticism Joanna Dewey’s Dissertation über Mk 2,1–3,6 stellt die Anwendung einer konsequent synchronen Untersuchung der Streitgespräche dar. Der rhetorical criticism beabsichtigt nämlich, die formalen Elemente im Text zu untersuchen und die Texte nur auf der Basis des Endtextes auszulegen. Dadurch will der rhetorical criticism als alternative Methode zur Fragestellung der historischen Exegese gelten. Das Ziel ist nicht mehr die Rekonstruktion der Überlieferung des Textes, die zu beliebigen Szenarien führen kann, sondern die Analyse 115 Tannehill, Varieties of Synoptic Pronouncement Stories, 102. 116 Tannehill, Varieties of Pronouncement Stories, 107: „Although the other types being used in this essay are different from those used by Bultmann, objection stories correspond fairly closed with Bultmann’s controversy dialogues.“ 117 G. Porton, The Pronouncement Stories in Tannaitic Literature, 97.
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seiner endgültigen Form im Evangelium. Dieser methodische Ansatz wird von Dewey mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht: Rhetorical analysis as a methodology does not claim to answer all exegetical questions. Since its concern is with the final text, it is not designed to answer historical questions of tradition and redaction, although upon occasion it may offer additional arguments.118
Die rhetorische Untersuchung will im Text einige stilistische Kunstgriffe entdecken, die eine besondere rhetorische Funktion haben, wie die Wiederholung von Schlüsselworten, den Gebrauch von hook words, die Anwendung der Ringkomposition (nach dem Schema a-b-a), Chiasmus und konzentrische Struktur. Eine konzentrische Struktur dient dazu, das Element in der Mitte hervorheben und entgegengesetzte Vorstellungen in einen Zusammenhang zu bringen. In Mk 2,1–12 erklärt Dewey deshalb stilistische Unbeholfenheit (clumsiness), wie die Wiederholung des Satzes k´cei t` paqakutij` in 2,5 und 2,10, als eine rhetorische Wahl des Evangelisten mit dem Ziel, eine größere Kohärenz zu erzeugen.119 Die rhetorische Analyse kann daher Störungen im Text als ursprünglich erklären, die sonst in der Exegese als Zeichen für Interpolationen interpretiert wurden. Die rhetorische Analyse ermöglicht es Dewey auch, kritische Thesen zum Thema „Menschensohn“ in 2,10 und 2,28 aufzustellen. Danach ist der Titel nicht so zentral für Markus wie etwa „Sohn Gottes“. Die rhetorische Analyse zeigt nach Dewey, dass Markus sich, auch wenn er nicht literarisch schreibt, durch großes rhetorisches Geschick auszeichnet. Aus dieser rhetorischen Perspektive lässt sich auch ausschließen, dass Mk 2,1–12 durch die Kombination einer Wundergeschichte mit einem Streitgespräch entstanden ist. In ihrem „second reading“ betrachtet J. Dewey Mk 3,1–6 als eine Einheit, wobei einige Elemente hervorgehoben werden. a) In der Anordnung der fünf Perikopen lässt sich eine Steigerung bis zur letzten Perikope feststellen. b) Die ersten beiden Perikopen behandeln das Verhältnis zu den Sündern, die letzten zwei behandeln den Sabbat; in der mittleren Perikope geht es um das Fasten. Es gibt keine hook words, die diese Perikopen mit den anderen verbinden. So ist eine dreigliedrige Struktur erkennbar: A. 2,1–12 B. 2,13–17 C. 2,18–22 B1 2,23–27 A1 3,1–6
Heilung des Gelähmten Berufung Levis und Essen mit den Sündern Fasten Ähren raufen am Sabbat Heilung am Sabbat
Die Parallelen zwischen A und A1 sind offensichtlich, sowohl hinsichtlich des Ausdrucks, k´cei t` paqakutijy (Mk 2,5.10); k´cei t` !mhq¾py (Mk 3,3.5); ja· 118 J. Dewey, Markan Public Debates, 75. 119 J. Dewey, Markan Public Debates, 75.
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eQsekh½m p²kim eQr Javaqmao»l (Mk 2,1) ja· eQs/khem p²kim eQr tµm sumacyc¶m (Mk 3,1), als auch inhaltlich: Haus-Synagoge, Tod-Auferstehungs-Symbolik (d. h. den Gebrauch des Verb 1ce¸qeim gegenüber den Gelähmten). B und B1 weisen Gemeinsamkeiten mit C auf und unterscheiden sich deutlich von A1: Sie beinhalten Vorwürfe und Handlung, aber keine Heilung. C weist einige Unterschiede auf, da der Text kein Setting und keine genaue Benennung der Gegner enthält.120 Das Essen wird nicht thematisiert, aber das Wort „Fasten“ wird insgesamt sechs Mal verwendet. Dewey behandelt nur kurz die formgeschichtliche Frage nach der Charakteristik eines „controversy apophthegma“,121 das drei Elemente beinhaltet: a) den Konflikt mit dem Gegner, b) das Thema des Streites, c) den Sieg des Helden durch die Durchsetzung oder die Vermeidung des eigentlichen Themas. Innerhalb dieser symmetrischen Struktur beobachtet Dewey, dass der Titel „Menschensohn“ nicht in dieses Schema passt: Rhetorically, the double use of the Son of Man title stands outside of the symmetrical pattern of 2,1–3,6. Mark 2,10 occurs in the interposition in A, 2,28 at the end of B1..122
Nach Dewey ist dieses asymmetrische Element kein Grund, um die Symmetrie der Einheit in Frage zu stellen: „A single asymmetrical stressed element would not appear to undermine the existence of a balanced concentric structure such as 2,1–3,6“.123 Bedeutsam ist die Rolle der Jünger Jesu nach Dewey vor allem in B, C und BI. Die Jünger sind keine zufälligen Beteiligten der Streitgespräche, sondern sie zeichnen sich durch ein ähnliches Verhalten wie Jesus aus, ein Verhalten, das charakteristisch für das Reich Gottes ist. „They eat with outcasts, they do not fast, they ignore the Sabbat requirement“.124 Das ist nach Dewey ein wichtiges Element der Erzählung: „The picture of the disciples in 2,13–23 does not show any hint or motive of misunderstanding or blindness found later in the gospels“.125 Abschließend erkennt Dewey im ganzen Markus-Evangelium eine konzentrische Struktur. 4.4 Die zweite Phase der SBL Pronouncement Stories Work Group Die zweite Phase der SBL Forschungsgruppe wurde von Vernon K. Robbins geleitet, der auch an der ersten Phase teilgenommen hatte. Die Entwicklung in der zweiten Phase ist durch die Übernahme der Erkenntnisse über die Chrien gekennzeichnet, die eine weitere Gruppe von Wissenschaftlern am Claremont 120 121 122 123 124 125
J. Dewey, Markan Public Debates, 115. J. Dewey, Markan Public Debates, 117. J. Dewey, Markan Public Debates, 123. J. Dewey, Markan Public Debates, 123. J. Dewey, Markan Public Debates, 127. J. Dewey, Markan Public Debates, 127.
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Institute for Antiquity and Christianity untersucht hatte. Die Forschung zu diesen Gattungen wurde von Edward N. O’Neil, Burton L. Mack und Ronald F. Hock durchgeführt und bestand in der Übersetzung und der Kommentierung der Progymnasmata. Die pronouncement stories wurden in der neuen Phase der Forschung deshalb konsequent als Chrien behandelt, während, wie wir sahen, die erste Phase diesen Punkt offen ließ und in mancher Hinsicht noch mit den Apophthegmen arbeitete. Die Wende kann man schon 1983 in einer Ausgabe von Semeia feststellen, in der die Hauptartikel von Robbins und Crossan die synoptischen Erzählungen nach diesem neuen Ansatz analysieren.126 Die Bestimmung und die Zuteilung der Chrien geschieht nicht mehr aufgrund ihrer formalen Beschaffenheit, wie Tannehill vorgeschlagen hatte, sondern mit Hilfe der antiken Theoriebildung selbst, wie sie sich in den Progymnasmata von Theon findet. Chrien zu verfassen war eine Grundbeschäftigung der Rhetorik-Schulen. Die Schüler sollten immer neue Texte mit einer Variation der Deklination oder der Personen in einer knappen oder ausgedehnten Form formulieren. Sie sollten die Chrie bestätigen oder ihr widersprechen. Das war alles Stoff der Handbücher, der Progymnasmata. Es wurden drei Arten von Chrien unterschieden: eine Wort-Chrie (kocijµ wqe¸a), eine Tat-Chrie (pqajtijµ wqe¸a) und eine gemischte Form (lijtµ wqe¸a). Nach Robbins hat das Interesse der Forschung für die Chrien, die in der Vergangenheit nur am Rande von Dibelius und Hultgren behandelt worden waren, grundsätzlich drei Vorteile: Die Chrien können nach den Progymnasmata in kurzer Form oder in erweiterter Form verfasst sein. Die ausgedehnten Chrien werden im Grunde zu Erzählungen. Dies schlägt eine Brücke zwischen Logion und Erzählung in den Evangelien, die von der alten Formgeschichte getrennt wurden: The procedures for expanding the chreia bridge the gap between the chreiai and the stories with pointed sayings and actions in the gospels called ,pronouncement stories’ in recent research, and previously called paradigms or apophthegms.127
Diese Entwicklung war im Grund schon in der Entscheidung, mit Taylor von pronouncement stories und nicht nur von Aussagen oder Apophthegmen zu sprechen, enthalten. Weiterhin wird der Vorrang der Logien Jesu vor den Erzählungen, die selbst Bultmann nicht konsequent begründen konnte, in Frage gestellt. Bultmann musste bei den einheitlichen Apophthegmen von einer simultanen Entstehung von Worten und Taten sprechen. Die Darstellung einer Handlung ist bei der Verfassung einer Chrie genauso wichtig wie ein Logion. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, mit der rhetorischen Analyse der Chrien auch die johanne126 Robbins gesteht seine Abhängigkeit von der Forschungsgruppe aus Clermont in demselben Aufsatz, Pronouncement Stories and Jesus Blessing of the Children, 45, Anm 2, ein. 127 V.K. Robbins, Pronouncement Stories and Jesus Blessing of the Children, 51.
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ischen Texte zu untersuchen. Die Anweisungen zur Verfassung einer Chrie analysiert Robbins an zwei Texten. Mk 10,13–16, Jesu Segnung der Kinder, findet sich bei den Synoptikern in Form einer leicht erweiterten Chrie. Man kann nach der Regel der Rhetorik als Basis für diese Texte eine reine WortChrie annehmen.128 Die Evangelisten verfassen daher eine leicht erweiterte Chrie, aber nur Lukas konzipiert sie als Wort-Chrie, während Matthäus und Markus die Handlung der Handauflegung einschließen.129 Mk 9,34–37, eine weitere Perikope zum Thema „Jesus und die Kinder“, stammt dagegen aus einer Handlungs-Chrie, bei der Jesus auf die Frage, wer unter den Jüngern der Größte sei, ein Kind zu sich nimmt. Daraufhin wurde ein Kommentar hinzugefügt. In der gleichen Ausgabe von Semeia wird eine weitere Klassifikation der synoptischen Perikopen durch J.D. Crossan vorgeschlagen. Crossan bezieht eine kritische Position gegenüber Aune, Tannehill und Robbins.130 Nach Crossan ist die Systematik dieser Autoren von der Unterscheidung zwischen Logien und Erzählungen von R. Bultmann abhängig und damit von der Priorität der Logien, die aber nicht nachgewiesen werden kann. Bultmann musste nach Crossan eine weitere Unterscheidung zwischen einheitlichen und nicht einheitlichen Apophthegmen vornehmen und nur bei den nicht einheitlichen konnte er den Vorrang des Logions ausweisen, während bei den einheitlichen Apophthegmen eine fast gleichzeitige Entstehung von Erzählung und Logion angenommen werden muss.131 Crossan schlägt eine alternative Systematik vor, die jenseits dieser Unterscheidung von Erzählung und Logion steht. Drei Begriffe sind für ihn grundlegend für die Aufteilung der synoptischen Perikopen in Gleichnis, Aphorismus und Dialog. Der Aphorismus stellt eine einfache Aussage dar, wohingegen der Dialog eine Diskussion ist. Darüber hinaus nimmt für Crossan die wichtige Unterscheidung zwischen der aphoristischen und der dialektische Tradition eines Textes vor. Man kann es daher mit einer aphoristischen Erzählung oder mit einer dialektischen Er-
128 Der Wortlaut dieser theoretischen Chrie findet sich auf S. 51–52: YgsoOr, Qd½m to»r lahgt±r 1pitil_mtar timar to»r pqosv´qomtar paid¸a aqt` Vma aqt_m ûxgtai, eWpem aqto?r, %vete t± paid¸a 5qweshai pq¹r le ja· lµ jyk¼ete aqt±7 t_m c±q toio¼tym 1st·m B basike¸a toO heoO. Es ist nicht klar, ob diese Formulierung der Chrie eine reine theoretische Möglichkeit für die Verfasser war, oder ob sie als Text wirklich vorlag und in den Evangelien variiert wurde. Jedenfalls ist in der neuen Formgeschichte die Rolle der Evangelisten wesentlich wichtiger. 129 Robbins, Pronouncement Stories and Jesus Blessing of the Children, 52: „Instead of writing the chreia in a condensed form, all of the authors of the gospels compose a moderately expanded chreia by means of paratactic sequence“. 130 Eine sehr klare Tabelle dieser Entwürfe zeichnet Crossan, Kingdom and Children: A Study in the Aphoristic Tradition, 82. 131 Crossan, Kingdom and Children: A Study in the Aphoristic Tradition, 81: „but surely the unitary apophthegms would have situation and saying quite simultaneous so that dialectic rather than sequence is the heart of the composition“.
Zusammenfassung und Ausblick
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zählung zu tun haben und entweder einen aphoristischen Dialog oder einen dialektischen Dialog führen.132
5. Zusammenfassung und Ausblick Die lange und komplexe Geschichte der Erforschung der Streitgespräche hat zu den verschiedensten Theorien über die Entstehung und die Interpretation dieser Texte geführt. Sie wurden als Berichte der Auseinandersetzungen Jesu betrachtet oder seit der Formgeschichte als Produkt der Gemeinde, die in diesen Texten ihre eigenen Debatten mit dem Judentum zusammengefasst hat. Die Redaktionsgeschichte hat die Rolle des Evangelisten wieder betont, die für die Formgeschichte zurückgetreten war. Die Redaktion wurde aber grundsätzlich als eine Eingliederung von fertigen Texten in den Makrotext des Evangeliums und nicht als die Bearbeitung eines Autors verstanden. Die Funktion des Evangelisten Markus bleibt deswegen bei Autoren wie Thissen, Kiilunen oder W. Weiß minimal. Die Streitgespräche und ihre dialogische Form sind Ergebnis einer diachronischen Entwicklung. Die neue Formgeschichte mit dem Akzent auf einer synchronen Analyse konzentriert sich auf die Frage des literarischen Vergleichs und der Systematisierung der verschiedenen Formen, ohne die historischen Bedingungen der Entstehung der Texte zu erforschen. Die Frage der Autorschaft des Markus wird vorausgesetzt. Wenn es sich im Markusevangelium um ausgeformte Chrien oder Apophthegmen handelt, muss man allerdings auch auf einen literarisch produktiven Autor schließen. Die rhetorischen und stilistischen Elemente, die aus der Analyse von Dewey resultieren, setzen die Fähigkeit des Evangelisten voraus, seinem Werk eine bestimmte formale Struktur zu geben. Selbst wenn Dewey überinterpretiert haben sollte, kann man sich aber nicht mehr mit der Überzeugung zufrieden geben, das zweite Evangelium sei ein Produkt der Volksliteratur. Man muss mindestens zugeben, dass der Stoff des Evangeliums in eine sehr präzise Form eingearbeitet wurde. Diese Konsequenz kann allerdings durch eine radikal synchrone Analyse, wie sie die neue Formgeschichte anwenden will, nicht gezogen werden. Meine eigene Untersuchung will hier anknüpfen und versucht, die Texte aus einer literaturgeschichtlichen Perspektive zu betrachten, die die literarische Gattung und die Leistung des Autors in den Mittelpunkt stellt und die Formbestimmung der alten Formgeschichte kritisch sieht. Im Folgenden benenne ich einige wichtige Gesichtspunkte der Methodik dieser Untersuchung. 132 S. 84: „My proposed terms are, the aphoristic dialogues and aphoristic stories, or dialectical dialogue and dialectical stories“.
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5.1 Die Genese der Streitgespräche Es ist Konsens, die Streitgespräche als ein Produkt der christlichen Gemeinde zu betrachten, das wenig mit dem historischen Jesus zu tun hat. Dem entspricht die Phase der Forschung über den historischen Jesus, bei der die Verkündigung der Gemeinde und die historischen Fakten des Lebens und Wirkens Jesu von Nazareth in Gegensatz zueinander gestellt wurden. Die Evangelien wurden als Produkt der Verkündigung der frühen Kirche angesehen und nicht mehr als historischer Bericht von Jesu Leben. Die Wiederaufnahme der Jesusforschung seit den 50er Jahren hat das Paradigma der Entstehung der Evangelien nicht stark beeinflusst. Man hat es allerdings wieder gewagt, den Evangelien historische Informationen über Jesus und seine Verkündigung zu entnehmen. In dem besonderen Fall der Streitgespräche hat allerdings die Jesusforschung in „the third quest for the historical Jesus“ betont, Jesus habe den religiösen Vorschriften seiner Zeit auf keinen Fall widersprochen. Dieses Argument kann man auch schon bei Bultmann finden, dort allerdings mit der klaren Intention, die historische Ebene und die Ebene der Evangelien zu differenzieren. Der third quest hat aber das Ziel, Jesus im religiösen und sozialen Kontext Palästinas zu rekonstruieren. Die Polemik gegen das Judentum, die in den Streitgesprächen enthalten ist, bildete sich nach dieser Theorie zunehmend erst zu einem späteren Zeitpunkt, als Synagoge und Kirche sich voneinander trennten. Andererseits kann man eine weitere Tendenz in der Jesus-Forschung feststellen, die einen anderen Ansatz verfolgt. Die Streitgespräche werden untersucht, um die Position des historischen Jesus zum Gesetz zu bestimmen. Die meisten Untersuchungen, die sich mit der Frage nach der Einstellung Jesu zum jüdischen Gesetz beschäftigen, analysieren die Streitgespräche. Das Verhältnis der Streitgespräche zum historischen Jesus muss deshalb erneut thematisiert werden. Ohne die einzelnen Perikopen notwendigerweise als Berichte historischer Ereignisse aufzufassen, scheint es mir wichtig zu betonen, dass sie im Endeffekt auf Situationen und Begebenheiten im Leben des historischen Jesus zurückzuführen sind. Es ist z. B. aus der Fülle von Belegen der Jesus-Überlieferung deutlich, dass Jesus Kontakte mit Menschen hatte, die nach den jüdischen religiösen Vorschriften strikt zu meiden waren. Die Bemerkung der zeitgenössischen jüdischen religiösen Autoritäten, die von Q überliefert wird, dass Jesus ein %mhqypor v²cor ja· oQmopºtgr, tekym_m v¸kor ja· "laqtyk_m (Mt 11,19//Lk 7,34) sei, lässt sich als historischer Hintergrund für die Streitgespräche über den Umgang mit Sündern und vielleicht auch für die allgemeine Frage der Reinheits- und der Speisegebote verstehen. Die in den Streitgesprächen abgebildeten Streitsituationen mit den religiösen Autoritäten sind wahrscheinlich ebenfalls Motive, die auf das Leben Jesu zurückgehen und nicht eine spätere literarische Bildung der christlichen Gemeinde sind. Ich versuche zu zeigen, dass Jesu Verkündigung einen gewissen polemischen Charakter hatte.
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Statt der unbestimmten Größe der christlichen Gemeinde, die in der Formgeschichte unter dem Einfluss ethnologischer Ansätze als literarisch aktiv und sogar kreativ gedacht wird, werden in dieser Untersuchungen zwei andere Pole betont: die Person des historischen Jesus und die literarische Tätigkeit des Evangelisten Markus. Die Beachtung der Vermittlung zwischen diesen beiden Polen durch einzelne Überlieferungen bleibt jedoch auf jeden Fall unerlässlich. 5.2 Die Gattung und die literarische Relevanz der Streitgespräche In den letzten Jahrzehnten hat die neue Formgeschichte versucht, den literarischen Aspekt der Streitgespräche zu würdigen. Damit wollte sie das Urteil der Formgeschichte, die die Texte grundsätzlich als vorliterarische Formen verstand, korrigieren. Die These Bultmanns, die Streitgespräche seien als Apophthegmen zu betrachten, ist die Basis dieser literarischen Debatte, obwohl Bultmann im Grunde keine direkte Abhängigkeit von der hellenistischen Literatur, sondern von den rabbinischen Schriften vermutet hatte. Selbst wenn man diesen literarischen Charakter annimmt, bleibt noch die Frage umstritten, ob diese Texte eher unter die Sprüche Jesu (Apophthegmen) oder vielmehr unter seine Taten, nämlich als Erzählungen (Chrien), einzuordnen sind. Die neue formgeschichtliche Forschung neigt dazu, diese Texte als Erzählungen zu betrachten. Der Evangelist Markus muss ferner in seiner Funktion als Autor bestimmt werden. Die Redaktionsgeschichte hat in diesem Punkt die Formgeschichte korrigiert. Allerdings wird die theologische und redaktionelle Leistung des Evangelisten in der Ordnung des Materials und nicht in der Verfassung der Texte oder in der Anwendung einer bestimmten literarischen Form gesehen. In dieser Untersuchung wird gerade dieser Aspekt der literarischen Leistung des Markus besonders betont. Er hat um das Jahr 70 eine neue Gattung in die christliche Literatur eingeführt: das Evangelium, auch wenn wir das erste im Rückblick erkennen können. 5.3 Der polemische Kontext Seit Bultmann wird die Entstehung der Streitgespräche im Rahmen der Apologetik und Polemik zwischen der ersten Gemeinde und dem Judentum erklärt. Die Streitgespräche beziehen sich nicht auf den historischen Jesus, sondern auf das Leben der palästinischen Gemeinde, die sich theologisch und rituell in einem Ablösungsprozess vom Judentum befindet. Diese Polemik selbst wurde im Laufe der Forschung nicht genauer untersucht. Jede Perikope, die sich mit einem Thema oder einem Aspekt der jüdischen Religion befasst, wurde im Rahmen der Formgeschichte als Ausdruck der Polemik der Gemeinde gegen das Judentum betrachtet, ohne dass die Frage nach der sach-
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lichen Plausibilität der Polemik gestellt worden wäre. Bei polemischen Texten muss man aber die Frage stellen, ob die angeführten Argumente in einer Kontroverse haltbar sind. In einer polemischen Auseinandersetzung muss man nicht unbedingt argumentieren; man kann auch einfach disqualifizieren. Die Streitgespräche wählen aber eine argumentative Form der Kontroverse und benötigen eine klare und schlüssige Argumentation. Diese wird in der Kürze der gewählten Gattung des Apophthegmas nur umso stringenter. Bei einer genauen Betrachtung kann beispielsweise der Bezug von Mk 2,25–26 auf David nicht als Argument in einer Kontroverse über den Sabbat gelten, denn diese Episode hat wenig mit dem Sabbat zu tun und wäre von den Gegnern nicht berücksichtigt worden. In der Forschung des third quest hat sich die Annahme der Formgeschichte verstärkt, dass der historische Jesus keine Polemik gegenüber der offiziellen Religion gebraucht habe, sondern im Gegenteil in keinem Punkt mit den damaligen jüdischen Autoritäten in Konflikt geraten sei. Im Gegensatz dazu wird die folgende Untersuchung das allgemeine Phänomen der Polemik genauer untersuchen. Bisher stand Polemik nicht im Mittelpunkt der Untersuchungen. So spricht W. Weiß von einer Polemik der Gemeinde gegen das Judentum, um die judenchristlichen Mitglieder zu überzeugen. Das wäre natürlich nicht mehr in einem palästinensischen Kontext erklärbar, bei dem die Unterscheidung zwischen Judenchristen und Heidenchristen noch nicht aktuell war. W. Thissen spricht von einem zunehmenden polemischen Gebrauch dieser Texte, die ursprünglich nicht direkt polemisch sein wollten. Die Zugehörigkeit der Streitgespräche zur Sprachund Argumentationsform der Polemik scheint mir ein unerlässlicher Punkt in der Auslegung der Streitgespräche zu sein. Hier zu einer präziseren Beschreibung zu kommen, ist ein Anliegen meiner Untersuchung.
5.4 Der „Sitz im Leben“ Die Bestimmung des Sitzes im Leben einer bestimmten Form gehört zu den Hauptanliegen der Formgeschichte. Dieser Begriff ist aus der ethnologischen Vorstellung erwachsen, dass bestimmte Sagen oder Erzählzyklen im Leben einer bestimmten Gemeinschaft und nicht durch die Tätigkeit eines individuellen Autors kreiert wurden. Ursprünglich sprach Gunkel von einem „Sitz im Volksleben“. Die Evangelien als anonyme Schriften wurden als Ganze den Formen von Volksliteratur zugeordnet, aber auch die Einzeltexte, insbesondere in den Synoptikern, wurden in der gleichen Weise erklärt. Das Leben der christlichen Gemeinde ist nach Bultmann und Dibelius der Ort, in dem die kleinen Formen als Bausteine des Evangeliums entstanden. Für Dibelius ist allerdings der Schmelztiegel der Überlieferung die Verkündigung, während für Bultmann die verschiedenen Formen durch die Apologetik, die Polemik und die Katechetik der frühen Kirche überliefert worden sind. Die Annahme,
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die grundlegend für die Formgeschichte war, ist eine Korrelation zwischen einem bestimmten Sitz im Leben und einer bestimmten Gattung. Dieser Ansatz ist vor allem von E. Güttgemanns in Frage gestellt worden. Er bemerkt mit Recht in seiner kritischen Betrachtung der formgeschichtlichen Methode, dass ein Sitz im Leben (z. B. der Kultus) verschiedene Formen schaffen konnte, wie Hymnus (Phil 2,6–11) oder Bekenntnis (Röm 3,25 f) oder andere Formen. Es gibt daher nach Güttgemanns keine zwingende Beziehung der Reziprozität zwischen dem Sitz im Leben und einer bestimmten Gattung.133 Güttgemanns stellt eine weitere Frage, die besonders in der Untersuchung von Thissen aufgenommen wurde: Die Entstehung einer Sammlung kleiner Formen kann nicht einfach durch den ursprünglichen Sitz im Leben der einzelnen Formen erklärt werden. Es muss vielmehr einen weiteren Sitz im Leben gegeben haben, durch den die Sammlung zusammengeführt wurde.134 Der Begriff ,Sitz im Leben‘ wird in der weiteren Forschung nicht mehr in dem soziologischen und ethnologischen Rahmen verwendet, in dem er in der alten Formgeschichte gebraucht wurde. Seine Bedeutung ist im Laufe der Entwicklung der Exegese immer weiter verändert worden135, bis zur allgemeinen Definition der Entstehungssituation oder des historischen Ortes für die Entstehung einer literarischen Form.136 G. Salyer aktualisiert den Begriff ,Sitz im Leben‘ durch die Instanzen der rhetorischen Analyse und will ihn als „rhetorische Situation“ neu verstehen: „The rhetorical situation may be said to be roughly comparable to the Sitz im Leben of form and redaction criticism“.137 Damit ist ein Zusammenhang von Personen, Sachen und Umständen gemeint, der durch die Sprache definiert und modifiziert werden kann. Entscheidend ist die Dimension der Anforderungen (exigence), die nach diesem Modell als psychosozialer Druck auf eine bestimmte Person wirken, die zum Sprechen kommt und diesen Druck zu vermindern oder gar aufzuheben versucht. Nach Salyer soll die Exegese die rhetorische Situation dadurch identifizieren, dass nun definiert wird, wie der Redner die Umstände modifiziert, um den Druck zu überwinden.138 Diese rhetorische und psychologische 133 E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, 85. 134 E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, 86: „Werden diese Stücke durch ihre Adoption dem ,Sitz im Leben‘ des neuen Gebildes unterworfen oder modifizieren sie auch eben durch ihre Annahme diesen Sitz im Leben.“ 135 S. Byrskog sieht zu Recht als Veränderung und Anpassung des Begriffs ,Sitz im Leben‘, dass Dibelius und Bultmann in ihren Theorien Gunkels Vorstellung eines Sitzes im Volksleben (in Bezug auf Israel) als Sitz im Leben der christlichen Gemeinde verstanden. (A Century with the Sitz im Leben, 7). Die Änderung ist tatsächlich relevant: Die neutestamentliche Formgeschichte wendete damit einen ethnologischen Begriff auf eine Randgruppe des römischen Reiches an. (A Century with the Sitz im Leben, 7). 136 Das ist die Position z. B. von J. Jeremias, siehe S. Byrskog, A Century with the Sitz im Leben, 8. Die Kritik an dieser Position ist klar formuliert: „Jeremias’ use of the notion of the Sitz im Leben illustrates how easly it becomes blurred“ (S.8). 137 Salyer, Rhetoric, Purity, and Play, 155. 138 Salyer, ebenda: „The goal in constructing the rhetorical situation is to identify audience ex-
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Definition ist weit von der soziologischen Bedeutung des Sitzes im Leben in der christlichen Gemeinde entfernt. Byrskog versucht den Begriff neu zu verstehen, indem er ihn in enge Beziehung zu Gedächtnis und Oralität setzt. Das Ereignis des historischen Jesus habe einen narrativen Charakter, der die Tradition aktiviert und durch Erinnerung und Mündlichkeit zu einem kohärenten Bild führt.139 Die kleinen Gattungen seien keine isolierten Logien, sondern nach Byrskog grundsätzlich kleine Erzählungen und Chrien, die dann zu Erinnerung und schließlich zum Bios werden. Diese Erklärung gibt zwar eine erneuerte Vorstellung von der Entwicklung der Jesus-Tradition, löst aber nicht die Frage nach einer neuen Auffassung des Begriffs „Sitz im Leben“. Die hier genannten Aspekte der Forschungsgeschichte werden im Laufe der Untersuchung als Hauptthemen wieder aufgenommen werden.
pectations and presuppositions and to observe how the speaker manipulates these factors to reverse the pressure put on him and to move toward the particular goal“. 139 Byrskog, A Century with the Sitz im Leben, 25.
II. Die literarische Form der Streitgespräche 1. Einleitung: Die Probleme der Formgeschichte Die Diskussion über die Einordnung der Streitgespräche in einen literarischen Kontext, die in der neutestamentlichen Wissenschaft wieder an Aktualität gewinnt, führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, wie die Kernbegriffe „Gattung“ und „Literatur“ verstanden werden. Die formgeschichtliche Untersuchung verfolgt an sich das Ziel, durch komparative Studien die literarischen Formen im Neuen Testament zu erkennen und zu definieren. Die alte Formgeschichte war weniger an der deskriptiv-analytischen Arbeit als vielmehr an der Rekonstruktion des Überlieferungsprozesses interessiert. Die neue formgeschichtliche Forschung hingegen konzentriert sich ausschließlich auf die synchrone Darstellung und Klassifizierung des literarischen Materials und schenkt der diachronen Darstellung wenig Aufmerksamkeit.1 In der vorliegenden Untersuchung werden die Streitgespräche nicht als isoliert entstandene und nachträglich zusammengestellte Texte, sondern als wichtige Bestandteile der damals in Entstehung begriffenen Gattung „Evangelium“ betrachtet, einer Form, die zum ersten Mal von Markus in das literarische Panorama des Frühchristentums eingeführt wurde. Weiterhin stellt sie die Frage nach der Überlieferung dieser Texte und nach ihrer Existenz als eigenständiger literarischer Form vor der Abfassung des Evangeliums. Diese Fragen lassen sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Es stellt sich allerdings auch die Frage, ob es im Fall dieser relativ kurzen Evangelientexte überhaupt angemessen ist, von einer Gattung zu sprechen. Solche Fragen sollen im nächsten Abschnitt behandelt werden. Die formale Frage nach der Angemessenheit, solche kurzen Texte unter eine „Gattung“ zu subsumieren, stellt auch M.C. Moeser. Die Bezeichnung „Gattung“ wird von der Literaturgeschichte eher im Rahmen der aristotelischen Einteilung in Lyrik, Epik und Drama verwendtet. Moeser plädiert daher für die Unterscheidung zwischen kleinerer Gattung (small unit of genre) und größerer Gattung (larger host genre).2 Dieselbe Differenzierung wird von M. Reiser vorgenommen, der von „Großformen“ und „Kleinformen“ spricht.3 1 Die komparative Bemühung wird von D. Aune in der Einleitung des Sammelbandes „GraecoRoman Literatur and the New Testament“ als eine notwendige Aufgabe für die Interpretation der neutestamentlichen Texte bezeichnet: „The purpose of this collection of essays is to demonstrate both the relevance and importance of various styles, forms and genres of ancient Mediterranean literature for the understanding and the interpretation of the New Testament.“ S. 1. 2 M.C. Moeser, The Anecdotes in Mark, the Classical World and the Rabbis, 15–19. Eine weitere
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2. „Kleinliteratur“ und das Problem des Stils 2.1 Die Bedeutung von Kleinliteratur Die Klassifizierung der neutestamentlichen Schriften als „Kleinliteratur“ hielt die literaturgeschichtliche Erforschung des Neuen Testaments bisher davon ab, diesen Texten literarische Bedeutung beizumessen. Die alte Formgeschichte differenzierte zwar zwischen verschiedenen Formen, billigte den Texten aber keinen literarischen Wert zu. Nach ihr fehlt zur Literarizität der Evangelien die Gestalt eines Verfassers, der sich namentlich zu Wort meldet. Sie seien eher ein Produkt der christlichen Gemeinde, in der sich die JesusÜberlieferung herauskristallisiert habe. Das eigentliche Subjekt der Überlieferung ist demnach die Gemeinde, die keine ästhetisch-literarischen, sondern religiöse, kerygmatische und gemeindebildende Interessen verfolgte. Die Bezeichnung „Kleinliteratur“ zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte gegenwärtige Forschung.4 Ihr werden zwei Bedeutungen zugeschrieben: zum einen eine abwertende Konnotation des „Unliterarischen“,5 das keinerlei ästhetische und literarische Zwecke verfolgt; zum anderen der Aspekt der Volksoder Urliteratur. Der postulierte ,unliterarische‘ Charakter der Evangelien wird so begründet: Die fehlende Präsenz des Verfassers im Text führt dazu, dass das End-
Differenzierung ist die Unterscheidung von „Form“ und „Gattung“. Diese kann man bei K. Berger, Formen und Gattungen im Neuen Testament, 1 finden: „,Form‘ ist die Summe der sprachlichen Merkmale eines Textes. (…) ,Gattung‘ nennt man eine Gruppe von Texten mit zusammengehörigen Merkmalen. Diese Merkmale stehen oft in einem Hierarchieverhältnis zueinander“. Problematisch an dieser Einteilung ist, dass „Evangelium“ und „Streitgespräche“ zur gleichen Kategorie gezählt werden. 3 M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments, 96, stellt fest, dass in der Antike nur wenige Gattungen definiert wurden: „Die Antike hat nur wenige Gattungsbegriffe entwickelt. Weder für die Gattung des Romans noch für andere Erzählgattungen, die wir heute unterscheiden (z. B. Märchen, Mythos, Sage, Legende, Novelle) hatte die Antike einen eigenen Terminus.“ Daher kommt Reiser zum Schluss, dass von literarischen Formen zu sprechen sei: S. 97 „Darum rede ich auch lieber von literarischen Formen als von Gattungen. Im folgenden (sic!) unterscheide ich grob zwischen Großformen und Kleinformen.“ D. Dormeyer, Art. Formen/ Gattungen 190 unterscheidet zwischen „Wortformen“ und „Wortgattungen“ für die jesuanischen Logien; 192 „Erzählformen“ und „Erzählgattungen“ für die narrativen Bestandteile der großen Schriften und 194 von „Gattungen“ oder „Großgattungen“ für die Evangelien, Apostelgeschichte, Briefe und Apokalypse. Die Apophthegmen und Chrien werden als Erzählgattungen betrachtet. 4 Vgl. G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, 33: „Die urchristlichen Schriften waren gewiss Kleinliteratur. Das haben die Formgeschichtler richtig erkannt.“ 5 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 2, gibt folgende Definition aus der Sicht der Literatur: „Was auf den nachfolgenden Blättern behandelt wird, ist vorliterarisch, unhellenisch, Volksüberlieferung, von den Vorurteilen der gebildeten antiken Zeitgenossen aus betrachtet: barbarisch“.
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produkt keinen Anspruch auf Literarizität erheben kann.6 Das zeugt von einer neo-romantischen Definition von Literatur, die sich an spezifisch ästhetischen und stilistischen Kanones messen lassen muss und die unbedingt die künstlerische Absicht des Autors voraussetzt. Die neutestamentlichen Schriften unterscheiden sich in dieser Erklärungsmodell von der eigentlichen Literatur (genannten „Hochliteratur“) und können nicht mit dieser verglichen werden. M. Reiser drückt diesen Gedanken mit folgenden Worten aus: Kein Literaturkenner der Antike hätte irgendeine Schrift des Neuen Testaments als seriöse Literatur gelten lassen. (…) Man hat die Schriften des Neuen Testaments, vor allem die Evangelien, darum als Kleinliteratur oder Volksliteratur charakterisiert, um sie so von der Hochliteratur zu unterscheiden.7
Diese immer noch sehr einflussreiche Unterscheidung ist allerdings durch eine Vereinfachung des komplexen literarischen Panoramas der frühen Kaiserzeit entstanden, welches viel breiter war, als es in solchen Rekonstruktionen erscheint, und nicht nach den Regeln der aristotelischen Systematisierung beurteilt werden kann. Selbst wenn die Evangelien tatsächlich als Volksdichtung angesehen werden sollten, ist es dennoch möglich, sie mit der etablierten Literatur zu vergleichen. Bekanntlich richtet sich selbst die Volksdichtung nach anerkannten literarischen Modellen, teilweise sogar mit einer klaren Absicht der Nachahmung. Für die Definition der Evangelien als Volksdichtung sind zwei Elemente ausschlaggebend: die sprachliche und stilistische Qualität der Schriften (Literatur von geringem Niveau) und die soziale Herkunft der Verfasser und der Adressaten (Literatur einfacher Leute). In der frühen Kaiserzeit kann aber nicht einfach vom Beruf des Literaten die Rede sein, weil die Produktion literarischer Texte meistens eine Nebenbeschäftigung war. Die verbreitete Einschätzung der ersten Christen als Ungebildete darf außerdem nicht ohne weiteres als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Sicherlich hatten in der Antike vor allem Angehörige der höheren gesellschaftlichen Schichten Zugang zu Kultur und Bildung. Wir haben aber keine Informationen über die soziale Herkunft und Bildung der Evangelisten. Es ist außerdem anzunehmen, dass die Zahl der Gebildeten und der Wohlhabenden in der christlichen Gemeinde im Laufe der Zeit angestiegen sei. Das Vorhaben des Markus, die Traditionen über Jesus in einem einheitlichen narrativen Werk zu 6 Dieser Aspekt wird von K.L. Schmidt, Die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte, 66–68, besonders betont. An die Stelle eines individuellen Autors tritt in den Evangelien die Gemeinde. Sie erfüllt dieselbe Funktion wie das Volk in der Legende. Vgl. S. 100: „Die Evangelien sind in demselben Sinne Kultlegenden. Hier wie dort beobachten wir einmal das Volk als den Schöpfer und Träger der Überlieferung und dann den Hagiographen oder Heiligenbiographen und Legendenschreiber, der erst später sein Werk beginnt. Das Volk als der namenlose Urheber ist ein geheimnisvolles und kollektives Agens, das vieles formt, vieles umformt, vieles weiterbildet, dabei nicht fähig ist, das Geformte in einem bestimmten Zusammenhang durch die Schrift festzuhalten“. 7 M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments, 93.
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sammeln, setzt auf jeden Fall eine gewisse Bildung und eine Vertrautheit mit dem Schreiben voraus. Die Abwertung der Evangelien als unliterarischer Werke reicht bis zu den paganen Autoren zurück, die damit die kulturelle Relevanz des Christentums in der antiken Welt in Frage stellen wollten.8 Die Antwort des Origenes auf die Bemerkungen des Kelsos,9 der die Schriften der Christen wegen ihrer einfachen Ausdrucksweise kulturell irrelevant fand, bestand darin, dass diese Schriften für ein breites Publikum gedacht seien und nicht nur für einen kleinen Kreis von Gebildeten. Als Beleg führt Origenes den Unterschied zwischen zwei griechischen Philosophen, nämlich Platon und Epiktet, an. So wie die Schriften des Epiktet seien auch die neutestamentlichen Schriften an die Allgemeinheit gerichtet und nicht nur an einen engen Kreis von Philosophen.10 Dormeyer wagt es, in den Aussagen des Papias über die Entstehung des Markusevangeliums11 einen Versuch zu sehen, sich mit der Frage der mangelhaften Form der neutestamentlichen Schriften auseinanderzusetzen. „Markus wird gegen den Vorwurf einer fehlerhaften Geschichtsschreibung in Schutz genommen, zugleich aber wird die rhetorische Mangelhaftigkeit seiner Gliederung anerkannt.“12 Origenes allerdings setzt voraus, dass die Evangelien auf die Apostel zurückgehen, die nach der Apostelgeschichte ungebildet, aber doch in der Lage waren, sich gegen politische und religiöse Autoritäten zu behaupten (Apg 4,13). Er sieht im sozialen Status der Apostel und im einfachen Charakter ihrer Schriften ein wichtiges Potential, das die christliche Verkündigung universal verständlich macht und daher die Verbreitung des Christentums in der römischen Welt ermöglichte. Der Konsens in der gegenwärtigen Exegese, nach dem die Evangelien nicht 8 E. Auerbach, Sermo humilis, 38: „Die Mehrzahl der gebildeten Heiden empfand das urchristliche Schrifttum in seinen griechischen und vor allem in seinen früheren lateinischen Formen als lächerlich, verworren und abstoßend. Nicht nur der Inhalt wirkte auf sie als kindischer und absurder Aberglaube, sondern auch die Form war eine Beleidigung ihres Geschmacks: Wortwahl und Syntax waren ungeschickt, auf niedrig gewöhnliche Weise volkstümlich und dazu vielfach mit Hebraismen durchsetzt, manches schien geradezu possenhaft und grotesk.“ 9 Das Thema wird besonders bei Origenes in C.C. 6,1–2 behandelt. Die Position des Kelsos, vielleicht ein Zitat, wird in 6, 1 klar: „Alle diese Dinge werden bei den Griechen besser gesagt und ‚ ohne Androhungen und Verheißungen Gottes oder des Sohnes Gottes“. b´ktiom aqt± paq 6kkgsim eQq/shai ja· wyq·r !mat²seyr ja· 1paccek¸ar t/r ¢r !p¹ heoO C uRoO heoO. Die stilistische Überlegenheit der griechischen Kultur dient als Beweis einer Überlegenheit des Inhalts. 10 Or. C.C. 6,2: Diºpeq oR Qdi_tai ¢r pq¹r vikosov¸am 2kkgmijµm lahgta· toO YgsoO 1jpeqi/khom pokk±7 5hmg t/r oQjoul´mgr, diatih´mter, ¢r b kºcor 1bo¼keto jat’ !n¸am 1j²stom t_m !jouºmtym oT ja· !m²kocom t/ Nop0 toO aqtenous¸ou aqt_m pq¹r !podowµm toO jakoO pokk` bekt¸our 1c´momto. „Deshalb sind die Jünger Jesu, ungebildete Männer im Hinblick auf die griechische Philosophie, bei vielen Völkern der Erdkreises umhergezogen, indem sie, wie der Logos es wollte, jeden der Hörer entsprechend seiner Würdigkeit beeinflussten; diese wurden dann auch in dem Maß, wie ihr freier Wille zur Annahme des sittlich Guten hinneigte, zu weitaus besseren Menschen“ (Übers. von C. Bartold, Contra Celsum/Gegen Celsus, S. 1007.1009). 11 Eus. h.e. 3,39,15. 12 D. Dormeyer, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte, 43.
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von den Aposteln oder anderen Augenzeugen geschrieben wurden, eröffnet einen gewissen historischen Spielraum, um sich eine literarische Bearbeitung der Jesus-Tradition vorzustellen. Die literarische Leistung des Markus besteht gerade in seinem neuartigen Versuch, die Geschichte Jesu zu schreiben, der wegen der Art seines Todes und aufgrund seiner Herkunft aus einem Randgebiet des römischen Reiches eher geringes Ansehen genießt. Die zweite Deutung, die von dem postulierten nichtliterarischen Charakter der neutestamentlichen Schriften ausgeht, kommt im Begriff „Urliteratur“ zum Ausdruck. Dieser Ansatz geht auf F. Overbeck in seinem Aufsatz über die Anfänge der patristischen Literatur zurück. Christliche Literatur beginnt nach Overbecks Definition nicht mit den Schriften des Neuen Testaments, sondern erst mit den Werken der Kirchenväter. Das Neue Testament kann deshalb nicht in literarische Kategorien eingeordnet werden. Der Begriff Urliteratur wird aus der Perspektive der Kanonbildung entworfen. Die christliche Kirche stellt mit dem Kanon fest, dass eine Art des Schreibens innerhalb der Kirche aufgehört hat und in einer Sammlung entsprechender Schriften exemplarisch zum Abschluss kam. Der Kanon setzt damit die Grenze zwischen der Urliteratur und den Anfängen der christlichen Literatur in der Patristik. Ein Beweis für diese Unterscheidung findet sich nach Overbeck in der Tatsache, dass die Gattung der Evangelien und der anderen Schriften in der patristischen Literatur nicht weiter verwendet wird.13 In die Gruppe der Urliteratur, die ansonsten über keine Zugehörigkeit verfügt, ordnet Overbeck auch die apostolischen Väter ein, obwohl diese nicht in den Kanon aufgenommen wurden. Die Definition von Urliteratur, wie Overbeck sie gibt, betont die Isolierung der Gemeinde von jeglichen literarischen und kulturellen Einflüssen und ihre Selbständigkeit abseits vom literarischen Diskurs: Es ist eine Literatur, welche sich das Christentum so zu sagen aus eigenen Mitteln schafft, sofern sie ausschließlich auf dem Boden und den eigenen Interessen der christlichen Gemeinde noch vor ihrer Vermischung mit der sie umgebenden Welt gewachsen ist.14
Die Distanz zu jeglichen externen Faktoren scheint hier ein Idealbild, das einen Zustand der Unschuld voraussetzt, bevor das Christentum von der hellenistischen Welt gleichsam kontaminiert wurde. Demgegenüber möchte 13 F. Overbeck, Über die Anfänge der patristischen Literatur, 52: „Denn wenn oben festgestellt wurde, daß gewisse literarische Formen des Neuen Testaments keine bleibenden Formen der christlichen Literatur sind, so ist dies mitnichten dahin zu verstehen, daß die vier Evangelien, die Apostelgeschichte und die Apokalypse unseres Kanons die einzigen Schriften ihrer Art von jeher gewesen seien und seit ihrer Entstehung die für spätere Zeiten konstatierte Unmöglichkeit dieser Formen bestanden habe“. Dabei wird vielleicht nicht genug bedacht, dass Evangelien, Apokalypsen wie auch Apostelakten auch als außerkanonische Schriften verfasst wurden. Overbeck begnügt sich jedenfalls mit der Tatsache, dass diese Schriften als Apokryphen empfunden wurden. 14 F. Overbeck, Über die Anfänge der patristischen Literatur, 58.
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ich in meiner Untersuchung zeigen, dass apologetische Bemühungen gegenüber der griechisch-römischen Welt bereits in den Evangelien begannen. Man kann deshalb literarisch keine substantielle Grenzlinie zwischen Neuem Testament und Patristik ziehen. Im Gegenteil kann eine gewisse Kontinuität festgestellt werden. Bei Overbeck, wie auch später in der Formgeschichte, erkennt man das romantische Ideal eines volkstümlichen Ursprungs der Literatur. Der Kanon gewinnt damit eine einmalige und exemplarische Stellung, wodurch für die weitere Geschichte des Christentums diese Ursprünglichkeit weiter beibehalten wird. Es ist wahr, dass durch die Kanonisierungsprozesse einer bestimmten Sammlung von Schriften ein spezieller Status verliehen wurde. Es wäre aber methodisch nicht korrekt, diese spätere Perspektive aufzunehmen, um eine wesentliche Diskontinuität zur folgenden Literatur zu behaupten. Ein kaum bedachtes Element in dieser Diskussion, das im Zusammenhang mit den oben genannten stilistischen Vorwürfen eine entscheidende Rolle spielt, ist die Tatsache, dass die neutestamentlichen Schriften auf eine eigene Textkultur zurückgehen, die in der römischen Gesellschaft keine Anerkennung fand. Das Werk des Markus basiert in der Hauptsache auf der Sprache und der Autorität der Septuaginta und nicht auf dem literarischen Kanon der griechischen und römischen Gesellschaft. Aus stilistischer Sicht genügte diese Tatsache, um diese Schrift in den Augen der römischen Leser als fremd und zweitrangig zu qualifizieren. Diese kulturelle Verwurzelung in einem der griechisch-römischen Tradition fremden literarischen und kulturellen Kanon ist für unsere Frage entscheidend.15 Markus versucht jedoch, einige Elemente aus der zeitgenössischen hellenistischen Literatur zu übernehmen, wie beispielsweise einige literarischen Gattungen und eine besondere Art des Argumentierens, welche in den Streitgesprächen deutlich zu Tage tritt.16
2.2 Das genus humile Der nicht elegante literarische Stil des Markusevangeliums gilt als eines der Hauptargumente, um seinen volkstümlichen Ursprung und urliterarischen Charakter zu postulieren. Diese Vorstellung setzt jedoch voraus, dass man als literarisch nur diejenigen Kompositionen qualifiziert, die in einer eleganten 15 Das zeigt m. E. die geringe Rezeption der jüdischen Schriften, die teilweise versuchen, die pagane Welt in einem philosophischen und theologischen Diskurs miteinzubeziehen, wie zum Beispiel die Schriften von Philo, aber auch die Historiographie des Josephus. 16 D. Dormeyer, Das Markusevangelium, 47–48, bestreitet die Differenzierung von K.L. Schmidt zwischen der unbewussten Textproduktion eines Volksbuches und der bewussten Anwendung einer biographischen Gattung. Die Redaktionsarbeit des Markus setzt immerhin eine klare literarische Intention voraus: „ Es wird dann unmöglich, eine theologische Redaktionsleistung festzustellen und aufgrund der literarisch arbeitenden Traditionsgeschichte eine Theologiegeschichte zu entwickeln“ (S. 48).
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Ausdrucksweise verfasst sind. Die antike Literatur konnte aber unter dem Einfluss der Rhetorik17 unterschiedliche Stilarten differenzieren, die zu einem bestimmten Subjekt oder zu einer bestimmten Situation am besten passt. Die Kirchenväter lösen die Frage einer literarischen Einordnung der neutestamentlichen Schriften, indem sie sie unter die schlichte Stilart, das genus humile18, einordnen. Sie beabsichtigen damit, diesen Texten eine gewisse literarische Würde zu verleihen, unter gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer einfachen Ausdrucksweise. Nach dem Traktakt De elocutione des Demetrios von Phaleron19 muss der Stil dem Thema angemessen sein. Man muss ein großartiges Ereignis mit einem adäquaten Stil und analog alltägliche Ereignisse mit einer schlichten und alltäglichen Sprache beschreiben.20 Man könne z. B. nicht von einem kleinen Fluss sprechen, als ob er der Nil oder die Donau wäre, weil dies als Übertreibung empfunden und im Endeffekt lächerlich wirken würde.21 Im 17 Die erste Kodifizierung der Stilarten stammt von Theophrast, dem Nachfolger des Aristoteles in der Führung der Akademie. Er hatte zu diesem Thema ein nicht mehr erhaltenes Werk mit dem Titel peq· k´neyr geschrieben. Nach G. Morpurgo-Tagliabue, Demetrio dello stile, 30–35, ist die Unterscheidung von vier !qeta¸ in der Diktion, aus denen die Unterscheidung der Stilarten erfolgte, eher ein Missverständnis der rhetorischen Erkenntnisse des Aristoteles. In den vier !qeta¸ – nämlich 2kkgmislºr (die lexikalische Reinheit), sav¶meia (die Klarheit), pq´pom (Angemessenheit) und jejosl¶lemom (das Ornat oder der Schmuck) – bringt Theophrast axiologische Kategorien und sprachliche Qualitäten durcheinander: „In tal caso, Teofrasto non mescolava fatti e valori, classi e norme? E se invece attribuiva a tutti e quattro i fattori il carattere classificatorio ristretto che abbiamo veduto, dove era pi l’aristotelismo di Aristotele?“ Aristoteles hatte keine Stilarten unterschieden, sondern Gattungen, und in der Rhetorik drei Arten von Reden sowie die linguistischen Elemente der Elokution, 2kkgmislor, Nuhlºr, s¼mhgsir, !ste?a, die von der Angemessenheit pq´pom geregelt werden sollten. 18 Die semantischen Implikationen des Adjektivs „humilis“ werden von E. Auerbach, Sermo humilis, 34 f, erklärt. Dieses Wort hat auch eine christologische Bedeutung, die Auerbach aus der Erniedrigung Jesu in Phil 2,7–8 (humiliavit seipsum) heraus versteht. In Jesus geschieht die Begegnung des Erhabenen (Gottes) mit der Niedrigkeit (dem Menschen). Dazu vgl. G. Strecker, Literaturgeschichte des Neuen Testaments, 13–15. 19 Der griechische Titel peq· 2qlgme¸ar wurde mit de elocutione ins Lateinische übersetzt. G. Morpurgo-Tagliabue, Demetrio dello stile, 42, bemerkt zu Recht, dass das Wort 2qlgme¸a im Griechischen mehrdeutig ist: „ il termine 2qlgme¸a uno dei pi usuali e anche dei pi polisensi della terminologia culturale greca.“ Das Werk der Aristoteles mit dem gleichen Titel wird im Lateinischen mit de interpretatione übersetzt. Die Datierung der Schrift ist umstritten. Einige lexikalische Elemente und vor allem die Diskussion über den asianischen und attischen Stil weisen auf die erste Hälfte des 1. Jhs vor Chr. hin. Vgl. die Diskussion in A. Dihle, Zur Datierung der Schrift des Demetrios „Über den Stil“, RhM 150 (2007) 298–313. 20 de eloc. 120: t¹ d³ pq´pom 1m pamt· pq²clati vukajt´om, toOtû 5stim pqosvºqyr 2qlgmeuteºm, t± l³m lijq± lijq_r, t± lec²ka d³ lec²kyr. „Man muss in jeder Sache auf die Angemessenheit achten, d. h. was den Stil angeht, nämlich die kleinen Dingen auf geringe Weise und die großartigen Dingen auf großartige Weise zu beschreiben“. 21 Die Angemessenheit des Gebrauchs eines bestimmten Stils wird von Demetrios besonders durch das Beispiel eines unbekannten Autors, der einen kleinen Fluss mit einem erhabenen Stil beschreibt, „wie man die Katerakte des Nils oder die Ausmündung der Donau beschreiben würde“ (jah²peq t¹m me?kom 2qlgle¼ym jatajqglmifºlemom C t¹m Ustqom 1jb²kkomta). (§ 121).
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Traktat werden vier Stilarten oder Charaktere (waqajt/qer) unterschieden: ein erhabener Stil (lecakopqepµr waqajt¶q), ein schlichter Stil (Qswm¹r w.), ein eleganter Stil (ckavuq¹r w.) und ein heftiger Stil (deim¹r w.). Der erhabene Stil soll für großartige Ereignisse der Geschichte benutzt werden, um Bewunderung zu erwecken. Als Beispiel werden die historiographischen Werke von Thukydides und Xenophon angeführt. Der schlichte Stil soll hingegen für Themen geringer Bedeutung verwendet werden.22 Die Sprache und die Ausdrucksweise müssen dem üblichen Gebrauch folgen, und man muss Worte vermeiden, die eine erhabene Wirkung haben könnten. Der wichtige Zweck dieses Stils ist die Klarheit,23 und daher muss man im Text Asyndeta vermeiden, die die Klarheit verschleiern. Der elegante Stil wirkt angenehm und erfreulich24 und ist gekennzeichnet durch poetische Erfindungen und scherzhafte Ausdrucksweise. Der heftige Stil hat mit den anderen Stilarten Elemente gemeinsam. Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er Ehrfurcht und Scham erwecken soll.25 Eine oft gestellte Frage betrifft das Verhältnis dieser Einteilung in vier Stilarten bei Demetrios zu der ansonsten verbreiteten Einteilung in drei Stilarten: zwei extreme Stile und einen mittleren Stil. Man kann mit Morpurgo-Tagliabue vermuten, dass der heftige und der elegante Stil diesem mittleren Stil entsprechen.26 Da aber diese Theorie der drei Stilarten, die von Aristoteles’ Vorstellung der lesºtgr hergeleitet wurde, in dem Traktat des Demetrios nicht erwähnt wird, sei es wahrscheinlicher, dass diese Theorie später formuliert wurde.27 Die lateinischen rhetorischen Werke sprechen von den tria genera dicendi. Cicero scheint mit der Zahl Drei besonders zu spielen, wenn er die drei genera dicendi, das „genus grande“, das „medium“ und das „tenue“,28 mit den drei Aufgaben der Redner, probare, delectare, flectere, in Zusammenhang bringt:29
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Als Gegenbeispiel wird die angemessen schlichte Beschreibung des Flüsschens Teleboa durch Xenophon erwähnt. de eloc. 190: 1p· d³ toO QswmoO waqajt/qor 5woilem ûm ja· pq²clata Usyr tim± l¸jqa. de eloc 191: l²kista d³ sav/ wqµ tµm k´nim eWmai. de eloc 128, wobei die zwei Adjektive waqiemtislºr und Rkaqºr verwendet werden. G. Morpurgo-Tagliabue, Demetrio dello stile, 117, beschreibt sehr eindrucksvoll die Charakteristik dieses Stils: „Non si tratta qui di un discorso animoso e potente, ma soprattutto laconico e provocatorio, aggressivo, talvolta, perfido; allusioni ellittiche, immagini livide, reticenze minacciose, preterizioni impressionanti, o acri ribalderie, e grottesche ferocie e irrisioni oltraggiose. Quello che vuole ispirare proprio timore e vergogna“. G. Morpurgo-Tagliabue, Demetrio dello stile, 78. Diese Hypothese ist aber nicht schlüssig. Man könnte aber genauso gut den heftigen und den erhabenen Stil mit dem großen Stil der Dreiersystematik identifizieren. G. Morpurgo-Tagliabue, Demetrio dello stile, 78. Dieses Element sei gemäß des Autors für die Datierung des Traktats wichtig. Dieses Argument ist aber nicht zwingend. Nach W.R. Roberts, Demetrius on the Style, Introduction, S. 24, übernimmt Cicero die Dreiteilung direkt von Theophrast. Damit entwickelt Roberts eine ganz andere Hypothese über die Entstehungsgeschichte der Stilistik, als sie Morpurgo-Tagliabue voraussetzt: „It is probably to Theophast that Cicero owes his threefold division of style (into grand, plain and intermediate) which he recognize in the Orator and elsewhere.“
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quot sunt officia oratoris, tot sunt genera dicendi: subtile in probando, modicum in delectando, vehemens in flectendo.30
Die drei Stilarten31 werden deshalb in der rhetorischen Darstellung Ciceros nicht als drei verschiedene Stilebenen verstanden, die mit unterschiedlichen Autoren zu identifizieren sind, sondern als modulierbare Stufen des Ausdrucks, die ein Redner je nach der Situation gemäß dem pq´pom auswählen muss.32 Der Literat bzw. der Redner muss in der Lage sein, den der Sache angemessenen Stil anzuwenden; nur dann ist er redegewandt: is est eloquens, qui et humilia subtiliter et alta graviter et mediocria temperate potest dicere.33
Die Rhetorik ad Herennium enthält die gleiche Einteilung von drei genera, die vom Autor auch „figurae“ genannt werden.34 Die Unterscheidung basiert hauptsächlich auf der Wahl der Worte (von einem eleganten bis zu einem alltäglichen Wortschatz) und auf der syntaktischen Einheit der Rede (oder des Textes). Schließlich ist diese Unterscheidung von drei Stilarten auch bei Quintilian bezeugt, subtile, grande aut robustum und medium aut floridum.35 Inwiefern diese Diskussion über den Stil auch das Werk des Markus betreffen kann, ist nicht einfach zu bestimmen. Es ist möglich, dass Markus einen schlichten Stil für sein Werk anwendete, weil er einen angemessenen Stil für sein Thema nach den Regeln der Stilistik benutzen wollte. Die Person Jesu und das palästinische Umfeld hätten aus der Perspektive nichtchristlicher Leser nicht als ein großartiges Subjekt der damaligen Geschichte beschrieben werden können, sondern man hätte es unter den lijq² einordnen müssen.36 29 A. Dihle, Zur Datierung der Schrift des Demetrios „Über den Stil“, 302. 30 Cic. orat. 21,69: „Wie viele die Aufgaben der Redner sind, so viele sind die Gattungen des Sprechens: schlicht im Beweisen, mäßig im Unterhalten, heftig im Umstimmen“. Vgl. R. Müller, Sprachbewusstsein und Sprachvariationen, 93–97. 31 Cic. de or. 3,177: „itaque tum graves sumus, tum subtiles, tum medium quiddam tenemus: sic institutame nostra sententiam sequitur orationis genus idque ad omnem aurium voluptatem et animorum motum mutatur et vertitur“. 32 Cicero beschreibt die drei Stilarten in einer langen und genauen Ausführung mit Beispielen aus seinen Reden und aus der rhetorischen Tradition: orat. 23,75–32,113. 33 Cic. orat. 29,101. Cicero gibt zu, dass die hier theorisierte Gewandtheit eher ein Idealbild ist. Die Formel dafür wiederholt er kurz darauf: „is erit igitur eloquens, ut idem illud iteremus, qui poterit parva summisse, modica temperate, magna graviter dicere“. 34 Her. 4,8,11: „Sunt igitur tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumitur. Una gravem, alteram mediocrem tertiam extenuatam vocamus. Gravis est, quae constat ex verborum gravium levi et ornata constructione. Mediocris est, quae constat ex humiliore neque tamen ex infuma et pervulgatissima verborum dignitate. Attenuata est, quae demissa est usque ad usitatissima puri consuetudinem sermonis“. 35 Quint. inst. or. 12,10,58. 36 E. Auerbach, Sermo humilis, 33, betont die Notwendigkeit, Gegenstand und Ausdruck in Übereinstimmung zu bringen. Man kann für ein niedriges Thema keinen erhabenen Stil anwenden: „Wesentlich ist überall der Gedanke der Übereinstimmung von Gegenstand und Ausdruck. Es ist lächerlich und monströs (kakozelia, tapeinosis, indecorum), große und er-
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Nur mit dem schlichten Stil hätte Markus eine sonst anstößige Geschichte über einen Gekreuzigten auf akzeptable Weise erzählen können, obwohl er dabei eine hinter dem Alltäglichen und Rustikalen verborgene Größe ans Licht bringen wollte.37 Die aramäischen Zitate bei Markus könnten die Vorstellung unterstützen, dass Markus seinem Evangelium eine gewisse ursprüngliche Färbung verleihen wollte, obwohl die Sätze in dieser Fremdsprache von der griechischsprachigen Leserschaft nicht mehr verstanden wurden, was Ausdruck einer präzisen literarischen Intention sein könnte.38 Eine andere Möglichkeit ist die Annahme, dass der Autor des zweiten Evangeliums sein Werk in keiner besseren Ausdrucksweise habe verfassen können39 und seine Materialien aus der Tradition so zusammengestellt habe, wie es seinen wenig ausgebildeten literarischen Fähigkeiten entsprach. Die Bemerkungen über den Stil zeigen allerdings, dass ein Werk wie das Markusevangelium in einem alltäglichen und schlichten Stil geschrieben werden musste.40
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habene Gegenstände mit alltäglichen, niederen, realistischen Worten, alltägliche Dinge in erhabenem Ausdruck zu behandeln“. Daher ist es nach Auerbach verständlich, dass die Evangelien einen schlichten Stil anwenden. Vgl. S. 43: „Die Geburt im Stalle zu Bethlehem, das Leben zwischen Fischern und Zöllnern und anderen beliebigen Personen des alltäglichen Getriebes, die Passion mit all ihren realistischen und würdelosen Vorgängen paßte weder zum Stil der erhabenen Beredsamkeit noch zu dem der Tragödie oder des großen Epos. Nach der Vorstellung der augusteischen Ästhetik paßten solch ein Hintergrund und solch eine Umgebung höchstens in eine der niederen Literaturgattungen“. Wenn Markus den erhabenen Stil benutzt hätte, hätte er sich für die paganen Leser lächerlich gemacht. Die Charakteristik der lächerlichen Gattung besteht gerade in der Übertreibung. Die jajofgk¸a, von der Auerbach spricht, wird von Demetrios (de eloc. 186ff) als eine schlechte Form des eleganten Stils beschrieben. Quintilian spricht darüber in Bezug auf die Hyperbole, mit deren Anwendung man nicht übertreiben muss (inst. or. 8,6,73, „Quamvis enim est omnis hyperbole ultra fidem, non tamen esse debet ultra modum, nec alia via magis in kakozelia itur.“). Dieses Thema kommt bei Augustin oft vor; z. B. Serm. 122,4: „Hic qui in praesepi humilis iacet, lumine novi sideris coruscat e coelo. Hic qui vagitus reddit infantiae, angelici exercitus vocibus collaudatur. Hic qui femineo lacte nutritur, multa hominum milia parvissimo pane satiavit“. Die Vorstellung von den Aposteln als Ungebildete findet sich noch in Hier. Brev in Ps. 81 (PL 26, 1066b): „Misisti Petrum piscatorem, qui dimiserat rete, qui ab opere callosam habebat manum. Non misisti oratorem, non misisti philosophum: Misisti hominem rusticanum, hominem piscatorem. Iste piscator, iste rusticanus de Jerosolyma perrexit Romam, et rusticanus cepit Romam quam eloquentes capere non potuerunt.“ Augustin, de doct. chr. 4, geht auf Ciceros drei Stilarten ein und betont, dass das christliche Thema immer erhaben ist, aber dennoch die drei Stile für bestimmte Effekte verwendet werden dürfen. D. Lührmann, Das Markusevangelium, 105, betont zu Mk 5,41, dass die Übersetzung des aramäischen Befehls Jesu an die Tochter des Synagogenvorstehers ein Grund sei, dieses Zitat nicht als eine magische Formel zu verstehen: „Jesus hat nichts anderes gesagt, als in seiner Sprache dem Mädchen dem Befehl gegeben aufzustehen“. Mir scheint es jedoch bemerkenswert zu sein, dass Markus offensichtlich der Geschichte diese ursprüngliche Färbung verleihen will. Cicero selbst sagt, dass der schlichte Stil unerfahrenen Menschen einfach zu imitieren scheint, obwohl dies nicht der Fall ist (orat. 23,77). Eine gründliche Untersuchung zur Sprache des Markusevangeliums legt G. Lüderitz, Rhetorik, Poetik, Kompositionstechnik im Markusevangelium, 165–203, vor. Der Ausdruck des Markus
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2.3 Das Markusevangelium als litt rature mineure Die grundsätzliche Frage bei der literarischen Beurteilung des Markusevangeliums heißt: Was wird unter Literatur verstanden? Jede Epoche verzeichnet sowohl eine offiziell anerkannte literarische Produktion als auch eine Fülle von literarischen Randerscheinungen, die nicht in den Kanon der Hochliteratur aufgenommen wurden, aber dennoch große Wirkung entfalten konnten. Es ist offensichtlich, dass die Evangelien nicht als Beweis von Gelehrsamkeit in einem brillianten Stil geschrieben wurden, sondern in ihrer konkreten Funktion die Geschichte von Jesus erzählen wollen. Interessant ist in dieser Hinsicht die Definition von „kleiner Literatur“ (litt rature mineure) bei G. Deleuze und F. Guattari mit Bezug auf die Schriften von F. Kafka. Eine kleine oder mindere Literatur ist nicht die Literatur einer kleinen Sprache, sondern diejenige einer Minderheit, die sich einer großen Sprache bedient. Ihr erstes Merkmal ist daher ein starker Deterritorialisierungskoeffizient, der ihre Sprache erfasst.41
Damit wird die Position der Prager Juden definiert, die sich in Prag als Fremde empfanden und als elitäre Minderheit das ,Pragerdeutsch‘ benutzten und somit eine deterritorialisierte Sprache pflegten. Ein weiteres Merkmal kleiner Literatur ist die Verbindung individueller Angelegenheiten mit der Politik. Themen, die in der Hochliteratur in der ungeschriebenen Sphäre des individuellen Lebens bleiben würden, werden in dieser Form der kleinen Literatur zum Anlass, um über politische Verhältnisse zu sprechen.42 Ein drittes Merkmal ist die Bedeutung des kollektiven Wertes: „Es gibt kein Subjekt, es gibt nur kollektive Aussageverkettung.“43 Gerade die sprachliche und kulturelle Besonderheit einer Minderheit, wie die der Prager Juden, kann nach Deleuze und Guattari zweierlei Konsequenzen haben: zum einen die Bereicherung des ,papierenen Deutschs‘, beispielsweise durch den Symbolismus wird mit folgenden Worten definiert: „Das Markusevangelium hat kurze, einfache Sätze; die Parataxe herrscht vor. Der Wortschatz ist im allgemeinen wenig differenziert, aber an Wörtern, die Dinge des täglichen Lebens bezeichnen, wie Kleidung, Geräte, Landwirtschaft, ist das Evangelium reich. Markus verwendet volkstümliche, unliterarische Ausdrücke, die der gesprochenen Sprache entnommen sind; einige finden sich noch im Neugriechischen“ (S. 165). Die Untersuchung erfasst sogar die Rhythmik der markinischen Kola. Lüderitz stellt fest, dass Markus einige metrische Kolaenden wie Anapäste benutzt, und auch Enden des jambischen Trimeters und des Hexameters, die allerdings in den Rhetorenschulen als verboten galten (S. 169). Markus verbessert hingegen die Rhythmik einiger Septuaginta-Zitate (wie z. B. Mk 7,6; Zitat von Jes 29,13), und sein Text enthält zahlreiche rhetorische Figuren. 41 G. Deleuze/F. Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 24. Kafka selbst definiert diese Situation als einen Zustand zwischen „der Unmöglichkeit, nicht zu schreiben, der Unmöglichkeit, deutsch zu schreiben und der Unmöglichkeit, anders zu schreiben“ (ebenda). 42 G. Deleuze/F. Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 25. 43 G. Deleuze/F. Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 26.
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und die esoterische Sinngebung der Prager Schule bei Gustav Meyrink und Max Brod („ein verzweifeltes Bemühen um symbolische Territorialisierung“), und zum anderen die Entstehung einer kleinen Literatur. Der besondere Charakter dieser Literatur besteht im Gebrauch des Pragerdeutschs mit seiner kargen und konkreten Ausdruckweise.44 Der Deterritorialisierung der Sprache entspricht in diesen Sinn eine Reterritorialisierung. Diese Reterritorialisierung erfolgt bei Kafka gerade nicht durch die Aufnahme des Volkstümlichen (wie dem Gebrauch des Tschechischen) oder durch eine Betonung des Visionären oder des Symbolischen, sondern durch „die neue Nüchternheit, eine neue unerhört korrekte, eine rücksichtslose Berichtigung, ein Aufrichten des Kopfes“.45 Diese Beschreibung der kleinen Literatur Kafkas kann m. E. hilfreich sein, um die Art der Literatur des Markus zu verstehen. Wir sind nicht sicher, wie weit Markus das Griechische sprachlich beherrscht hat. Seine Sprache ist elementar und weist sowohl Aramäismen als auch Latinismen auf. Man kann jedenfalls jenseits des Stils und der Qualität der Sprache eine Position der Deterritorialisierung bei Markus als Mitglied der frühchristlichen Minderheit im römischen Reich feststellen. Seine einfache und fehlerfreie Sprache ist ein Zeichen dafür. Sein Werk, ein Ausdruck „kleiner Literatur“, ist der Versuch, durch ein apologetisches Schreiben über den Gründer einer Randgruppe eine Reterritorialisierung des frühen Christentums im großen Kontext des römischen Reiches zu erreichen.46 Durch die konkrete Sprache des Markus erfolgt die Reterritorialisierung entlang zwei entgegengesetzten Linien. Zum einen findet sich eine mythisierende Linie, die Jesus als den Sohn Gottes darstellt, und zum anderen kristallisiert sich eine kulturelle Linie heraus, die zeigt, wie Jesus, der Sohn Gottes, der im Stil eines griechischen Philosophen gehandelt hat, trotz seines korrekten Handelns zum Tode verurteilt wurde. Durch eine Reposi44 Deleuze/Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 28 „Pragerdeutsch nehmen, wie es ist, mit all seiner Armut; die Deterritorialisierung weiter vorantreiben, in aller Nüchternheit; den ausgetrockneten Wortschatz in der Intensität vibrieren lassen; dem symbolischen oder bedeutungsschwangeren oder bloß signifikanten Gebrauch der Sprache einen rein intensiven Sprachgebrauch entgegenstellen; zu einem perfekten und nicht geformten, intensiv-materialen Ausdruck gelangen.“ 45 G. Deleuze/F. Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 37. 46 In diesem Sinne scheint mir das Urteil von G. Theißen über die urchristliche Literatur insgesamt berechtigt und wird durch diese literaturgeschichtlichen Beobachtungen bekräftigt. Theißen widerspricht den zwei Hauptdefinitionen der neutestamentlichen Literatur als Kleinliteratur oder Urliteratur in einem substantiellen Punkt. Die neutestamentlichen Schriften wurden nie zu einer Literatur der Unterschichten oder der Oberschichten und bleiben auch nicht im aseptischen Zustand von Urliteratur. G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, 35: „Die urchristliche Literatur besteht weder ausschließlich in kreativer Urliteratur noch abhängiger Traditionsliteratur, weder in einer Bindung an unliterarische Unterschichten noch literarische Oberschichten, weder in ihrer jüdischen noch ihrer nicht-jüdischen Prägung. Charakteristisch ist vielmehr, dass sie Grenzen überschreitet.“ Dieser grenzüberschreitende Charakter lässt sich als eine neue Reterritorialisierung des Christentums im Werk des Markus gut interpretieren.
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tionierung der Person Jesu in den kulturellen Kontext des damaligen Reiches erhofft sich Markus, wie in den nächsten Kapiteln gezeigt wird, eine Repositionierung des Christentums. Im Folgenden unternehme ich es daher, die Streitgespräche im Lichte dieser Reterritorialisierungsbemühungen des Markus zu interpretieren.
3. Die Bezeichnung „Streitgespräche“ und das Gespräch Seit der Untersuchung von M. Albertz ist es in der deutschsprachigen Fachliteratur üblich geworden, die in dieser Studie untersuchten Texte als „Streitgespräche“ zu bezeichnen. Früher wurde kein einheitlicher Terminus verwendet, sondern eine Vielfalt von unterschiedlichen Bezeichnungen wie etwa „Debatten“, „Kollisionen“ oder „Konflikte“. Die Prägung des Begriffs „Streitgespräch“ hat seine Ursache vermutlich in der Annahme von Albertz, dass diese Texte auf wirkliche Streitsituationen zwischen Jesus und den Repräsentanten religiöser Gruppierungen seiner Zeit zurückzuführen sind. Selbst wenn sie formal keine richtigen Streitgespräche sind, sei es plausibel, sie so zu benennen, weil sie in einer Kontinuität zu wirklichen Streitgesprächen Jesu stehen. Dieser Terminus schien passend, weil einige der in den Evangelien geschilderten Konfliktsituationen eher dem Alltagsleben als einer theoretischen oder philosophischen Auseinandersetzung entstammen. Albertz war eher an der Entwicklung der Texte aus dem Blickwinkel tatsächlicher Auseinandersetzungen interessiert als an einer genauen literarischen Definition. Das definitorische Problem bleibt in seiner Untersuchung letztlich ungeklärt. Für die literarische Einordnung der Texte kommen deshalb zwei methodische Richtungen in Frage: die eine betont das Dialogische (dazu passt die Bezeichnung Streitgespräche sehr gut), die andere fokussiert auf das Aphoristische oder das Anekdotische (hier ist die Aussage Jesu zentral und die Benennung Apophthegma oder Chrie scheint am zutreffendsten). In dieser zweiten Richtung werden die Texte entweder unter Erzähl- oder Wortüberlieferung subsumiert. 3.1 Dialog und Streit Die Bezeichnung „Streitgespräch“ fand in der neutestamentlichen Fachterminologie große Verbreitung. Sie ersetzte alle anderen Termini und etablierte sich als einheitlicher Ausdruck in der deutschsprachigen exegetischen Literatur. Sie wird auch in dieser Untersuchung verwendet, weil sie den Vorteil hat, den Sachverhalt ohne weitere Erklärung zu benennen, während jede andere Bezeichnung eine zusätzliche Erklärung verlangen würde. Das Wort „Streitgespräch“ hat aber eine allgemeine Bedeutung und kann seinerseits mehrere Formen des mitmenschlichen Konflikts bezeichnen. Der
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allgemeine Charakter lässt der Interpretation einen gewissen Spielraum für eine genauere semantische und literarische Bestimmung. Die Autoren vor der formgeschichtlichen Forschung haben verschiedene Bezeichnungen für diese Texte verwendet, die in unterschiedlicher Weise einen historischen Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen Jesu voraussetzten. Zugleich haben die literarischen Bezeichnungen der Formgeschichte auch dazu beigetragen, dass die einzelnen Texte als isolierte Kompositionen losgelöst von einer historischen Dimension betrachtet wurden. Bei der Wahl der Terminologie steht man immer wieder vor der gleichen Entscheidung: Werden die Bezeichnungen „Debatte“ oder „Kontroverse“ benutzt, erinnert das an eine Form der Auseinandersetzung zwischen Gelehrten. Die englische Fachliteratur verwendet die Begriffe „controversy stories“ oder „pronouncement stories“, die die literarischen Aspekte der Erzählung betonen. Weitere Bezeichnungen wie „Kollisionen“ oder „Konflikte“ konzentrieren sich auf den religiösen Konflikt mit oder innerhalb der jüdischen Religion und greifen damit zu kurz. Der Begriff „Streitgespräch“ ist im eigentlichen Sinne sachlich gesehen eher inadäquat in Bezug auf die markinischen Texte. Im Folgenden wird deshalb eine allgemeine Einführung in das Phänomen des ,Streitens mit Worten‘ gegeben, um den Begriff des Streitgespräches in einen größeren Rahmen zu stellen. Mit „Streitgespräch“ wird in der Regel in der Sprachwissenschaft47 ein misslungenes Gespräch, das meistens in einem Streit endet, bezeichnet. Während eine Unterhaltung gewöhnlich nach dem Prinzip der Kooperation der Akteure erfolgt, ist ein Streitgespräch durch ein unkooperatives Verhalten gekennzeichnet, wodurch Streit entstehen kann. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht der Streit. Man kann ihn nicht steuern und auch nicht voraussehen, wohin er führt.48 Das Interesse der Sprachwissenschaftler ist jedoch auf die genaue Abfolge des konfligierenden Wortaustauschs gerichtet, um die Faktoren zu bestimmen, die zum Streit führen. A. Fill unterscheidet drei Elemente, die zum Streit führen können: die Verletzung a) des koopera47 Eine wichtige Untersuchung zu diesem Thema ist die Dissertation von E. Apeltauer, Elemente und Verlaufsformen von Streitgesprächen. Eine Analyse von Texten und Tonbandprotokollen unter sprechhandlungstheoretischen Gesichtspunkten, Diss. Universität Münster 1978. 48 Interessant ist die Definition von Streit, die Apeltauer gibt: „,Streit‘ ist kein Begriff, der wie z. B. ,Unterricht‘, aufgrund institutioneller Voraussetzungen, klar abgrenzbar wäre. Es handelt sich hier vielmehr um einen schillernden, alltagssprachlichen Begriff mit fließenden Rändern.“ (S. 19) Nach Apeltauer ist Konflikt ein Oberbegriff für den Streit. In diesem Sinne ist ein Streit eine manifeste Form von interpersonalem Konflikt, der sich um ein konkretes Objekt oder auch um kein konkretes Objekt entwickeln kann (Streit um Lappalien). Ein Konflikt kann auch intrapersonal und latent sein. (siehe S. 26–27). Die gleiche Unterscheidung ist bei A. Fill, Sprache und Streit: Pragmalinguistische Perspektiven, 207–208, zu finden. Der Konflikt ist eine bestehende Kollision von Interessen, der Streit ist die „sprachliche Manifestation der Konfliktursachen (…) als ein sprachlicher Vorgang, in der Aggression, Ärger etc. zum Ausdruck kommen oder erzeugt werden, wodurch sich ein schwebender Konflikt zu einem Brand ausweiten kann“.
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tiven Prinzips, b) des Höflichkeitsprinzips (politeness principle) oder c) des Ironie-Prinzips. In einem Gespräch kann eine Aussage störend wirken, wenn eine direkte oder eine indirekte Abwertung stattfindet. Durch genaues Protokollieren können die Wissenschaftler die verschiedenen Phasen bestimmen, die sich in einem Streitgespräch entfalten: Der Streit entbrennt erst aufgrund einer verbalen und emotionalen Eskalation.49 Um zum Normalzustand zurück zu finden, muss eine Form von Deeskalation stattfinden. Die konkrete Definition von Streitgespräch in der Literaturwissenschaft umfasst jede Form von Wortstreit, die im Alltag auftreten kann. Neben dieser alltäglichen Form des Streits und der Streitgespräche gibt es eine literarische Darstellung, die für die Suche nach Analogien zu den markinischen Streitgesprächen noch interessanter zu sein scheint. Ein Beispiel, das zwischen dem Protokoll und der literarischen Darstellung eines Streitgesprächs liegt, ist die Debatte zwischen Luther und Karlstadt,50 die vermutlich wörtlich aufgezeichnet wurde und uns so erhalten ist. Diese Debatte wird von den Literaturwissenschaftlern als wichtiges Beispiel eines religiösen Streitgespräches gewertet. Das Protokoll enthält nicht nur die Argumente der beiden Kontrahenten, sondern auch nichtsprachliche Handlungen wie Pausen, Händeschütteln, Sich-zutrinken und das Geben und Annehmen eines Golddukatens, der für die Druckkosten von Luthers Schriften angeboten wurde. Die unterschiedlich langen Sätze sprechen für eine reale Aufnahme des Gesprochenen. Das Gespräch durchläuft unterschiedliche Phasen, die Schwitalla so zusammenfasst: „Person A greift Person B in ihrem Image an; Person B geht auf diesen Angriff ein, Person B setzt ihrerseits Person A einer Kritik aus.“51 Dieser Verlauf entwickelt sich zyklisch durch das ganze Gespräch mit einigen Momenten, in denen kritische Pausen eingelegt werden. Die Zeit der Reformation kennt eine große Verbreitung des literarischen und realen Gespräches als Mittel für die Verbreitung religiöser Auffassungen. Die literarische Anwendung des Dialogs hat in der Literatur eine enorme Verbreitung gefunden. Das Streitgespräch im engeren Sinne ist eine besondere Form des Dialogs,52 bei dem der Fokus auf den Wettkampf zweier Teilnehmer gerichtet ist, wobei es nicht um freundlichen oder gutgesinnten Wortaustausch von zwei kooperierenden Personen geht.53 Daher zeigt der Streit das49 Die Phasen der Eskalation eines Konflikts werden von F. Glasl, Konflikt-Management. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, 215–286, in neun Stufen beobachtet. Jede Stufe wird analysiert, vor allem werden die Einstellungen, die Perzeption des Konflikts und die Interaktionen zwischen den Kontrahenten beschrieben. 50 „Ein mündliches Streitgespräch zwischen Martin Luther und Andreas Karlstadt, welches am 22. August 1524 in Jena stattfand“ (WA 15,335–340). Dieser Text wird von J. Schwitalla in einem Aufsatz analysiert: Martin Luthers Polemik: mündlich und schriftlich, 42–46. 51 Schwitalla, Martin Luthers Polemik: mündlich und schriftlich, 43. 52 Zum Thema Dialog und zur breiten Anwendung dieser Form in der antiken Literatur kann man sich bei J. Andrieu, Le dialogue antique. Structure et pr sentation, collection d’ tudes latines 29, Paris 1954, informieren. 53 Ein interessantes Beispiel ist das Streitgespräch eines Zivilisierten (Baron de La Hontan) und
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selbe Muster wie ein Wettkampf, an dessen Ende ein Sieger steht. In der griechischen Literatur begegnet eine für diese Untersuchung interessante Form von Streitgesprächen: der !c½m kºcym. Beispiele für diese Form des Wortwettkampfes finden sich zahlreich, angefangen bei der Komödie bis hin zu den Fabeln und Mythen. Alle möglichen Personen oder Tiere, sogar Götter und personifizierte Begriffe stehen miteinander in einem offenen Kampf darum, am Schluss Recht zu behalten. Dieser Vorgang erfolgt in verschiedenen Formen, beispielsweise anhand von Dialogen in Tragödie und Komödie oder im philosophischen Dialog. Die Meinung der beiden Charaktere wird referiert, und aus der Konfrontation geht am Ende ein Sieger hervor. Ein interessantes Beispiel ist der Wortwettkampf zwischen dem guten und dem schlechten Logos, Personifizierungen zweier Formen des Argumentierens in der Komödie „Die Wolken“ von Aristophanes.54 Hier werden zwei Arten des Argumentierens einander gegenübergestellt, die sophistische Art55 und die philosophisch-dialektische. Der Chor hat eine richtende Funktion, er teilt die Phasen des langen Gespräches ein, erlässt die Regeln des Dialogs und proklamiert schließlich den Sieger des Kampfes. Die zwei Arten des Logos streiten sich vor einem Jungen, der eine Ausbildung in Philosophie bekommen will. Die Besonderheit und die ethischen Implikationen der zwei Reden werden in einem direkten Kampf dargestellt; dabei soll eine Fülle von Schimpfworten die Zuschauer zum Lachen bringen, was typisch für die attische Komödie ist.56 Am Ende besticht die Kühnheit der schlechten Rede, welche die gute Rede überzeugt und sie auf ihre Seite bringt. In Anlehnung daran findet T. Gelzer eine feste Ordnung, wie der epirrhematische Agon abläuft: a) die Entstehung des Streites, b) die Abmachung über ein Schiedsgericht, c) die Verhandlung
eines Wilden (eines Huronen namens Adario) bei L.-A. de La Hontan, Nouveaux Voyages de Mr. le Baron de Lahontan dans l’Am rique Septentrionale, La Haye 1703. Eine literaturgeschichtliche Darstellung dieses Streitgespräch wird von H. Kugler, Das Streitgespräch zwischen ,Zivilisierten‘ und ,Wilden‘. Argumentationsweisen vor und nach der Entdeckung der Neuen Welt, 63–72, präsentiert. Das Gespräch, das literarisch in der Tradition des Dialogs von Alexander mit den Gymnosophisten verwurzelt ist, hat keinen dokumentarischen Zweck. Kugler sagt nämlich zu Recht: „Das Zusammentreffen von Europäern und Eingeborenen war in der Regel nicht von der Art, dass sich für seine Darstellung die Form des Dialogs nahegelegt hätte.“ (S. 64). Der Zweck eines solchen Gespräches ist vermutlich die Relativierung der eigenen Vorstellung von Kultur. 54 Aristoph. nub. 888–1104. T. Gelzer, Der epirrhematische Agon bei Aristophanes, 11–36, erklärt alle Bespiele von Agon in den Komödien des Aristophanes. 55 Das Motto der schlechten Rede ist, „die schlechte Rede zu wählen und zu siegen“ aRqo¼lemom to»r Fttomar kºcour 5peita mij÷m (nub. 1042). 56 Vgl. die Analyse dieses Agon bei B. Wallochny, Streitszenen in der griechischen und römischen Komödie, 16. Aristoteles spricht allerdings von einem Paradigmenwechsel in der Komödie, die alte Komödie basiert auf dem Gebrauch der Beschimpfung (B aQswqokoc¸a), während die neue Komödie sich der Anspielungen und Andeutungen bediene (B rpºmoia), was kein kleiner Unterschied für den Anstand ist: diav´qei dû oq lijq¹m taOta pq¹r eqswglos¼mg, (Arist. E.N. 1128a, 22–25).
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und d) das Urteil.57 Dieses Beispiel des Wortduells ist durch die agonistische Intention geprägt, zu zeigen, wer der Bessere im Kampf ist. Deshalb ist es nicht das Ziel des Duells, den Gegner zu beschimpfen oder gar zu beleidigen, sondern den Agon gegen ihn zu gewinnen.58 Der Agon unterscheidet sich in der Regel vom philosophischen Dialog, welcher eine gemeinsame Suche nach der Wahrheit anstrebt. Beim Agon jedoch steht der Sieg im Zentrum des Interesses.59 Der !c½m kºcym verkörpert den Geist der Griechen, die gerne jede Gelegenheit nutzen, einen Wettkampf zu veranstalten. Trotz ihrer breiten Anwendung folgt die literarische Darstellung dieses Wortwettkampfes (es können sich alle Arten von Personen, Tieren, Pflanzen, Dingen oder Göttern beteiligen) einigen festgesetzten Regeln, die jeweils charakteristisch sind. In der Regel ist der vermeintlich schwächere Akteur derjenige, der den Kampf gewinnt.60 Das Ergebnis des Agons erzeugt immer eine große Spannung und eine gewisse Überraschung, welche die Erwartungen der Leser bzw. Zuschauer durchkreuzt.61 Der Stärkere beginnt das Duell mit großer Sicherheit und scheint beinahe zu gewinnen, das Gefecht entscheidet sich jedoch dann durch einen schlauen und unerwarteten Zug des Schwächeren.62 Zu solchen Agonen gehört immer eine externe Instanz, die den Sieg des einen Teils proklamiert.63 57 T. Gelzer, Der epirrhematische Agon bei Aristophanes, 48. Diese Ordnung wird von Gelzer in allen Agonen in den Komödien von Aristophanes festgestellt, mit einigen Variationen (S. 48–52). 58 Grundlegend bleibt zu dieser Form des Wettkampfes die Untersuchung von W.J. Froleyks, Der ACYM KOCYM in der antiken Literatur, Diss. Universität Bonn 1973. Froleyks gibt auf S. 14 folgende Definition: „Im Gegensatz zu den Wortwechseln und Schimpfszenen, die sich von Schmähungen und Spott nähren und nur die Beleidigung des anderen zum Ziel haben, wird im Agon um etwas Bestimmtes gestritten. Es geht um die einfache und fundamentale Frage im menschlichen Leben: wer ist – auf welchem Gebiet auch immer – der Bessere?“ 59 W.J. Froleyks, Der ACYM KOCYM in der antiken Literatur, 16. 60 W.J. Froleyks, Der ACYM KOCYM in der antiken Literatur, 267–268, sieht mit Recht in den Agonen die Intention des Autors eines solchen Wortkampfes, das Programm des Protagoras zu realisieren, die schwächere Rede stärker zu machen (vgl. Arist. rhet. 1402a 23). Die literarischen Wort-Agone verfolgen tatsächlich die Intention, die relative Geltung einiger anerkannten Wahrheiten zu zeigen. 61 B. Wallochny, Streitszenen in den griechischen und römischen Komödie, 19, spricht von einer Regel, die allen Varianten von Wortduellen gemeinsam ist: „Einer der Beteiligten schlägt ein beliebiges Thema an, das der andere aufgreifen muss, indem er es weiterspinnt, variiert oder einen Gegensatz dazu anbringt. Es ist dasselbe die Beiträge paarweise aneinanderreihende Prinzip wie in den aristophanischen Schimpfgefechten.“ 62 W.J. Froleyks, Der ACYM KOCYM in der antiken Literatur, 34, stellt die Struktur des Agons dar. Dieser besteht in Rede und Gegenrede: „Dabei lassen die Autoren einem natürlichen Gesetz der Steigerung folgend den zukünftigen Verlierer an erster Stelle reden, seinen Gegner an zweiter, damit der Sieger buchstäblich das letzte Wort hat“. 63 Nach W.J. Froleyks, Der ACYM KOCYM in der antiken Literatur, 266, kann die Position des Schiedsrichters die Agone von den Streitgesprächen unterscheiden. In den Streitgesprächen sei der Richter keine externe Instanz, sondern er sei am Streit beteiligt. Froleyks will aber nicht streng zwischen Streitgespräch und Agon unterscheiden. Anm 2: „In unserer Arbeit spielt die Unterscheidung von agonistischen Reden und Streitgesprächen keine Rolle. Für den !c½m kºcym, wie ich ihn definiert habe, ist es wichtig, dass zwei (oder selten mehr) Personen oder
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Eine besondere Kategorie sind die !c_mer sov¸ar, bei denen eine schwierige Frage gestellt oder ein Rätsel aufgegeben wird. In diesem Fall entsteht kein Duell, sondern es ist nur eine Person aus der Menge in der Lage, die richtige und oft unerwartete Antwort zu geben.
3.2 Das Streitgespräch als !c½m kºcym Ein Modell, welches diese Dimension des Streitgespräches spezifisch würdigt, ist das von B. Repschinski, der versucht, die Streitgespräche als Wortstreit, !c½m kºcym, aufzufassen. B. Repschinski stellt auf der Basis der Untersuchung R. Bultmanns vier formale Merkmale zusammen, welche für ein Streitgespräch charakteristisch sind: a) ein Anlass im Verhalten Jesu oder seiner Jünger; b) die Präsenz von Gegnern; b) ein Angriff oder eine Frage an Jesus oder an seine Jünger; c) die Antwort auf den Angriff (manchmal ebenfalls als Frage formuliert).64 Repschinski wirft Bultmann vor, die unpassende Bezeichnung „Streitgespräch“ benutzt zu haben und zudem die Streitgespräche durch die aphoristische Form des Apophthegmas zu bestimmen. Der Terminus „Streitgespräch“ setzt hingegen voraus, dass es sich um einen Dialog handelt und dass der narrative Rahmen eine sekundäre Funktion hat,65 was bei den vorliegenden Texten nicht der Fall ist. Repschinski schlägt daher vor, die Form des Wortstreits als Basis anzunehmen, um die Gattungsfrage zu lösen. Die Struktur des !c½m kºcym passe vor allem für die matthäische Redaktion sehr gut, weil Matthäus die markinischen Streitgespräche erweitere und noch griffiger darstelle. Die Analogie zwischen dem !c½m kºcym und der Kontroverse der Evangelien kann nach Repschinski in folgenden Punkten festgestellt werden:66 a) in beiden findet ein Wortkampf statt, dessen Ergebnis schon von Anfang an klar ist; b) die Analogie besteht in der tiefen und realen Feindschaft der Gegner Jesu, die nicht durch eine milde Ausdrucksweise wie bei einer Chrie dargestellt werden kann; c) bei Matthäus passt diese Form am besten, weil er die Antworten Jesu mit größerer Argumentationskraft und durch Erweiterungen revidiert (Mt 12,1–8; 12, 9–13); d) die Streitgespräche bei Matthäus folgen der Tendenz, die Gegner Jesu unter einem einzigen feindlichen andere Parteien entgegengesetzte Reden halten unabhängig davon, ob eine außerhalb stehende Instanz ein Urteil fällt oder nicht“. 64 B. Repschinski, The Controversy Stories, 62, Anm. 2. Er betont, dass Bultmann dieses Schema nicht konsequent anwendet. So definiert Bultmann Mt 21,41–46 als Streitgespräch, obwohl der Angriff in diesem Fall von Jesus selbst kommt. 65 Siehe hierzu die berechtigte Kritik von B. Repschinski an Bultmanns Methodik: The Controversy Stories, 63, Anm. 2: „Bultmann called the stories ,controversy dialogues‘ and dealt with them in the context of apophthegms. This reflects his view that the origin of these stories is the dominical saying, while the development into a story is secondary, and, in case of controversy dialogue, even the product of an increasing tendency in the church“. 66 B. Repschinski, The Controversy Stories, die Punkte werden auf S. 290 genannt.
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Muster zu subsumieren, während bei Markus noch die verschiedenen Gruppierungen genannt werden: In Markan controversy stories, various groups of Jewish leaders are presented as opposing Jesus. Matthew focuses more clearly on the Pharisees as the main opposition.67
Aus diesem Grund ist nach Repschinski die antagonistische Form am klarsten in der Redaktion des Matthäus umgesetzt. Diese Hypothese, die der Bedeutung des Wortes ,Streitgespräch‘ am besten gerecht wird, enthält jedoch einige Probleme, die zu bedenken sind. In den Debatten der Evangelien kommen, im Unterschied zu den !c_mer kºcym, die Meinungen der Gegner Jesu gar nicht ausführlich zum Ausdruck. Jesus ist der einzige, der konstant die Szene dominiert. Im Wortduell sollten jedoch beide Akteure ebenbürtig repräsentiert sein und ihre Positionen genau beschrieben werden. Die Gegner Jesu sind sehr allgemein dargestellt und haben keine Möglichkeit, ihre Argumente zu verteidigen oder eine Replik auf die Aussage Jesu zu geben. Ein zweiter wichtiger Unterschied liegt darin, dass die Streitthemen nicht direkt und ausführlich behandelt werden. Die markinischen Debatten stellen keine echte antagonistische Konfrontation dar. Die Antworten Jesu beziehen sich oftmals nur indirekt auf die gestellten Fragen der Gegner. Diese wollen mit ihren Herausforderungen Jesus meistens eine Falle stellen. Die Geschicklichkeit Jesu besteht, anders als bei einem Agon, im Finden von indirekten Antworten oder von Gegenfragen, die die ursprünglichen Fragen in ein unlösbares Dilemma verwandeln. Auf jeden Fall geht die Antwort Jesu nicht auf die Frage ein. In einem Agon sind dagegen Direktheit und Kühnheit gefragt, die notwendig der szenischen Spannung dienen. Die Kürze der markinischen Streitgespräche unterscheidet sich von den meisten Beispielen des !c½m kºcym, allenfalls mit Ausnahme derjenigen Agone, in denen beide Parteien keine langen Reden halten, sowie derjenigen, die in Fabeln begegnen. Ein dritter Unterschied besteht darin, dass bei den Streitgesprächen die Figur eines Schiedsrichters fehlt, welcher die Regeln des Streites setzt und zum Schluss den Sieger bekannt gibt. Dennoch beabsichtigt Markus, durch seine redaktionellen Eingriffe die Leser zu einem gewissen Urteil zu führen. In manchen Situationen wird die Menge zur beurteilenden Instanz gemacht, und durch sie wird das Ergebnis der Debatte signalisiert. In Mk 2,12 steht die Menge jedoch eher mit der Wundergeschichte in Zusammenhang als mit dem damit zusammenhängenden Streitgespräch. Eine richtende Instanz ist nicht gegeben. Im Allgemeinen geht es in den Debatten Jesu nicht um einen Sieg wie bei einem Agon, es geht vielmehr um die Feststellung einer grundsätzlichen Feindschaft, die Jesus zum Verhängnis werden wird. Das relative Desinteresse an den Gegnern, der indirekte Charakter der Antworten Jesu und das Fehlen 67 B. Repschinski, The Controversy Stories, 290–291.
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jeder rein agonistischen Intention sind deshalb Argumente, die gegen eine Erklärung der Debatten in Markus als !c_mer kºcym sprechen. Sie sind nicht als „Streitgespräche“ im eigentlichen Sinne zu verstehen. Diese Beobachtungen führen uns in der Frage der Bestimmung der literarischen Form der Streitgespräche eher zur aphoristischen Literatur.
4. Die Streitgespräche im Rahmen der aphoristischen Formen 4.1 Einleitung Die aphoristischen Formen als Vergleichsmaterial zu benutzen bedeutet nicht, wie man meinen könnte, die Rolle des Evangelisten bei der Gestaltung der Streitgespräche zu mindern und für eine spontane Bildung dieser Texte in der Jesus-Überlieferung zu plädieren. Für die Formgeschichte war die Fokussierung auf die kleinen Formen ein Argument gegen eine literarische Analyse der Evangelien. Die aphoristischen Formen (so nenne ich die Formen, die um einen Aphorismus gebildet werden) können aber nicht bloß als Elemente der Volksliteratur betrachtet werden. Vielmehr lassen sich die aphoristischen Formen den rhetorischen Traktaten zuordnen und können als Elemente der Rede angesehen werden. Man kann daher auch in der Rhetorik nach Kriterien suchen, welche die Unterscheidung der verschiedenen Formen ermöglichen, um damit dann eine vergleichbare Gattung für die markinischen Streitgespräche zu bestimmen. Den Mittelpunkt eines markinischen Streitgespräches bildet in der Regel eine pointierte Aussage Jesu, die gerade in ihrer Prägnanz eine wirksame Antwort auf die Frage oder auf den Vorwurf der Gegner bietet. Diese Aussage kann in manchen Fällen durch eine Gegenfrage ersetzt werden (Mk 2,19; 3,4; 3,23; 11,30), die ihrerseits ein unlösbares Dilemma formuliert oder den impliziten Argumentationsgang der Gegner ad absurdum führt. Die Grundstruktur der Streitgespräche lässt sich in drei Teile gliedern: a) eine Situation, die sehr knapp dargestellt wird (Exposition); b) die Frage oder der Vorwurf der Gegner, meistens in versuchender Absicht; c) die Antwort Jesu, die eine Aussage oder eine Gegenfrage enthält. Weitere Sprüche können noch hinzugefügt werden wie in Mk 2,20–22 oder 7,9–23. In Mk 2,1–12 und 3,1–6 wird die Debatte in eine Wundergeschichte eingebettet. Die Heilung ist daher ein Teil der Erzählung selbst und dient als Beweis, um die Position Jesu zu stärken. Dieses Schema begegnet in verschiedenen Varianten, was für eine kreative literarische Arbeit spricht und nicht für das Fehlen eines Konzepts. In Mk 12,33 wird die Frage von Jesus selbst gestellt, der die Meinung der Schriftgelehrten referiert und dann widerlegt. Manche Fragen werden direkt an Jesus gerichtet, andere aber an die Jünger Jesu. Auch die Fragen an die Jünger
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richten sich aber letzen Endes an Jesus selbst. Er ist als Meister für das Verhalten der Jünger verantwortlich. Die kurze Exposition wird von manchen Exegeten als ein Argument gewertet, die Streitgespräche eher als kurze Erzählungen oder Sprüche ohne geschichtlichen Bezug zu klassifizieren anstatt grundsätzlich als Dialoge. Besonders die englischsprachige Forschung betont diesen Charakter der Texte als „stories“. Diesen wichtigen Gesichtspunkt hat schon die alte Formgeschichte betont, basierend auf Bultmanns Klassifizierung als „Apophthegmen“ und Dibelius’ Entscheidung für „Paradigmen“. M.C. Moeser will beide Aspekte, Erzählung und Spruch, berücksichtigen, indem sie von Anekdoten spricht. Sie muss aber zugeben, dass es sich bei diesem Begriff nicht um einen antiken Terminus handelt. Der Begriff ,Anekdote‘ lässt sich nicht auf markinische Texte anwenden.68
4.2 Die kleinen Gattungen aus der Sicht der Rhetorik Der forschungsgeschichtliche Bericht hat den Versuch gezeigt, die Rhetorik als Basis für eine Klassifizierung der kleinen neutestamentlichen Formen heranzuziehen. Formale Kriterien zu finden, um Formen wie Gnomen69 und Aphorismen, Chrien oder Apophthegmata, Erinnerungen oder Paradigmen definitorisch zu unterscheiden, scheint schwierig zu sein, zumal solche Gattungen mit einer gewissen Freiheit verwendet wurden. Allerdings kann es nützlich sein, sich bei jeder definitorischen Bemühung auf die rhetorischen Werke zu beziehen, weil das Thema cm¾lg bei ihnen eine relevante Rolle spielt. Aristoteles erörtert die Funktion der Gnomen in der Rede in jenem Teil seiner Rhetorik, in dem er die Argumente behandelt. Ihre Anwendung in Reden (cmylokoc¸a) als Beweismittel erfordert genaue Überlegung und Technik. Die cm¾lg ist eine allgemein gültige Aussage „über Gegenstände des Handelns und was dafür zu erstreben und was zu meiden ist“.70 Nach dieser Definition sind Gnomen Aussage, die nicht bewiesen werden müssen und die für das Leben nützlich sein können. Sie sind allgemein und werden nicht einer 68 M.C. Moeser, The Anecdotes in Mark, the Classical World and the Rabbis, 20: „This is a later usage, which I use as an ,umbrella‘ term with which to name the various manifestations of the genre ,brief story‘ in a cultural world of antiquity“. Auffallend ist die Betonung der kleinen Erzählung, wie sie für die englischsprachige Forschung charakteristisch ist. 69 Vgl. H.A. Gärtner, Art. Gnome, DNP 4, 1108–1115. 70 Arist. rhet. 1394a: 5sti dµ cm¾lg !pºvamsir, oq l´mtoi oute peq· t_m jah’ 6jastom (…) !kk± peq· fsym aR pq²neir eQs¸, ja· $ aRqet± C veujt² 1sti pq¹r t¹ pq²tteim. K. Berger, Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, ANRW 25/3 (1984), 1093, definiert basierend auf der Definition von Theon, Progymnasmata 3, die Gnome (in Vergleich zu einer Chrie) wie folgt: „Die Gnome weist nicht auf bestimmte Personen, sie ist nur Ausspruch, nie Handlung, nur auf das praktisch Nützliche gerichtet und von allgemeiner Natur. Die Chrie dagegen kann auch Handlung sein, hat auch scherzhafte Züge und ist immer auf konkrete historische Figuren bezogen“. Die Diskussion über Chrien wird hier nachfolgend behandelt.
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bestimmten Person zugeschrieben. Die lateinische Bezeichnung „sententia“ hat bei Quintilian auch die Bedeutung eines Ausspruchs, der einer Person zugeschrieben wird, und nicht nur die Bedeutung einer allgemeinen Aussage, die als universal akzeptiert gilt.71 Die Verwendung von Gnomen und Sprichwörtern ist nach Aristoteles besonders der Unkenntnis der Zuhörer wegen nützlich, weil diese durch die Zitate den Eindruck bekommen, das Thema der Rede bereits zu kennen.72 Die Argumente (p¸steir) einer Rede können zwei Arten zugeordnet werden: zum einen dem Paradigma (paq²deicla) und zum anderen dem Enthymem (1mh¼lgla).73 Dies sind im Grunde keine Gattungen, sondern eher zwei logische Vorgehensweisen. Das Enthymem entspricht dem Syllogismus und das Paradigma der Induktion. Aristoteles nennt das Paradigma rhetorische Induktion, Ngtoqijµ 1pacyc¶. Es ist wichtig, diesen Zusammenhang zwischen Rhetorik und Dialektik zu beachten.74 Das Enthymem75 ist somit eine Art Syllogismus, der in der Rede von drei Elementen auf zwei reduziert werden muss. Es besteht konkret aus einer Gnome und einer zusätzlichen Erklärung.76 Das Paradigma (paq²deicla) hat die Funktion, konkrete Beispiele zu erwähnen, die wie die Induktion eine allgemeine Bedeutung entwickeln sollen. Sie werden von Aristoteles in zwei Gruppen geteilt, Beispiele aus wirklichen Geschichten und erfundene Beispiele.77 Zur zweiten Gruppe gehören die paqabok¶78 und die kºcoi aQs¾peioi ja· kibujo¸. Im Grunde genommen kann unter dieser Bezeichnung jede Form der Erzählung verstanden werden. An71 Quintil. inst. or. 8,5,2. Moeser, The Anecdotes in Mark, 62–63, spricht auch in diesem Zusammenhang von zwei weiteren Termini, die für Sprüche benutzt werden: paqoil¸a und !voqislºr. Der erste Terminus bezeichnet den Spruch und wird in der Septuaginta benutzt, um das hebräische lv'm' zu übersetzen. Die Sprüche werden allerdings Salomon zugeschrieben. Der zweite Terminus ist als Wort ziemlich selten. Man kennt nur die Aphorismen des Hippokrates. 72 Arist. rhet. 1395b. Der weitere Vorteil der Gnomen ist es, der Rede eine ethische Akzentuierung zu geben. Wer ein Sprichwort oder eine Gnome verwendet, erweckt den Eindruck einer moralischen Diskussion. 73 Arist. rhet. 1393a. 74 Arist rhet. 1356a–b, betont den Zusammenhang zwischen Rhetorik und Dialektik und kommt dann zu diesem Schluss: jah²peq ja· 1m to?r diakejtijo?r t¹ l³m 1pacyc¶ 1stim, t¹ d³ sukkocislºr, t¹ d³ vaimol´mor sukkocislºr, ja· 1mtaOha blo¸yr7 5stim c±q t¹ l³m paq²deicla 1pacyc¶, t¹ dû 1mh¼lgla sukkocislºr, t¹ d³ vaimºlemom 1mh¼lgla vaimºlemor sukkocislºr. jak_ dû 1mh¼lgla l³m Ngtoqijom sukkocislºm, paq²deicla d³ 1pacycµm Ngtoqij¶m. „Wie es nun aber in der Dialektik hinsichtlich des Beweises und Scheinbeweises Induktionsbeweis, Syllogismus und Scheinsyllogismus gibt, so ist es auch in der Rhetorik: Das Bespiel ist ein Induktionsbeweis, das Enthymen ein Syllogismus, und das scheinbare Enthymen ein scheinbarer Syllogismus. Denn ich bezeichne das Enthymen als rhetorischen Syllogismus, ein Beispiel als rhetorischen Induktionsbeweis“. (Übers. G. Krapinger, Aristoteles Rhetorik, S. 13). 75 Grundlegend zu diesem Thema ist die Untersuchung von F. Piazza, Il corpo della persuasione. L’entimema nella retorica greca, Palermo 2000. 76 Arist. rhet. 1394a 26–b 26. Am Schluss des zweiten Buches der Rhetorik erklärt Aristoteles die verschiedenen Topoi der Enthymeme, mit denen sich im Grunde die Argumentation bilden soll. 77 Arist rhet. 1393a–b. 78 Aristoteles zitiert als Beispiel für den Vergleich t± syjqatij± paqabok¶.
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dersen und Robbins bemerken mit Recht, dass das Paradigma anders als die Chrie keine Form ist, sondern eine Funktion in der Rede erfüllt.79 Für die Gerichtsrede schlägt Aristoteles vor, Paradigmen aus der Wirklichkeit zu nehmen und sie nicht selbst zu erfinden, weil sie so eine größere Überzeugungskraft besitzen. Der Autor der Rhetorik ad Herennium, der dem exemplum eine schmückende und eine argumentative Funktion zuschreibt, unterscheidet zwischen der beweisenden Rolle des Beispiels und der bestätigenden Rolle des Zeugnisses.80 Die Suche nach Beispielen ist für den Autor eine Notwendigkeit in jeder wirksamen Rede. Seine Worte sind in dieser Hinsicht sehr deutlich: Unerfahrene, die nicht zu einem jeden Sachverhalt Beispiele früherer Ereignisse heranziehen können, werden sehr leicht und, ehe sie sich dessen versehen, hinters Licht geführt. Wer aber weiß, was anderen geschieht, kann leicht aus fremden Geschehnissen für eigene Argumente Vorsorge treffen.81
Die These von Dibelius, der die Streitgespräche als Paradigmen für die Predigt interpretierte, kann daher nicht akzeptiert werden, weil im Grunde die Beispiele immer aus einem sachfremden Bereich genommen werden müssen. Wenn man wie Dibelius der Meinung ist, dass das Kerygma das Thema der Predigt war, kann man die kurzen Erzählungen über Jesus nicht als sachfremde Beispiele betrachten. Die Streitgespräche haben aber einen paradigmatischen Charakter, wenn man ,Paradigma‘ wörtlich als Muster, Beispiel auffasst, weil sie auf der Basis von exemplarischen Texten von bekannten Philosophen und Herrschern gebildet werden. Jesus wird durch diese Texte implizit in eine Form des Argumentierens einbezogen, die eindeutig griechischer Prägung ist. Die Bemühung des Markus geht dahin, die ,Sache Jesu‘ in Analogie zu den kleinen Formen der antiken Tradition darzustellen.
4.3 !polmglºmeula Eine genaue Unterscheidung zwischen !polmglºmeula, wqe¸a und !pºvhecla kann kaum vorgenommen werden, denn diese Bezeichnungen werden als 79 Ø. Andersen/V.K. Robbins, Paradigms in Homer, Pindar, the Tragedians, and the New Testament, Semeia 64 (1993), 20: „Confusion between paradigms and chreiai can easily exist, since a speaker can also use chreiai in a speech. The difference is that a chreiai is a form, albeit a rhetorical form, while a paradigm is a function.“ Das einzige Paradigma in den Streitgesprächen ist das Beispiel Davids in Mk 2,25–26. 80 Her. 4,5: Primum omnium exempla ponuntur nec confirmandi neque testificandi causa, sed demonstrandi. (…). Hoc interest igitur inter testimonium et exemplum: exemplo demonstratur id, quod dicimus, cuiusmodi sit; testimonio, esse illud ita, ut nos dicimus, confirmatur. 81 Her. 4,13: Nam rerum inperiti, qui unius cuiusque rei de rebus ante gestis exempla petere non possunt, i per inprudentiam facillime deducuntur in fraudem: at ii, qui sciunt, quid aliis acciderit, facile ex aliis eventis suis rationibus possunt providere.
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Synonyme benutzt. Plutarch verwendet !pºvhecla und !polmglºmeula für den gleichen Sachverhalt.82 Nach Hermogenes ist die wqe¸a eine Art von !polmglºmeula.83 Man kann aber dennoch versuchen, die Besonderheiten dieser Bezeichnungen zu definieren und daraus einige Kriterien für die literarische Einordnung der Streitgespräche zu entnehmen. ûApolmglome¼lata ist die besondere Bezeichnung des Werkes von Xenophon, geschrieben für seinen Lehrer Sokrates. Eine Erinnerung ist eine kurze Erzählung, die vermutlich einen persönlichen Charakter beansprucht. Der Autor will durch die Wahl dieser Gattung signalisieren, dass er sich persönlich an die Ereignisse und an die Worte erinnert, die er referiert. Xenophon will in seinem Werk die Begründung des Urteils gegen Sokrates durch ein persönliches Zeugnis widerlegen. Ein weiteres, vollständig erhaltenes Werk dieser Art könnte „Das Leben des Demonax“ von Lukian sein, denn der Autor betont ausdrücklich am Ende des Werkes seine Erinnerung: taOta ak¸ca p²mu 1j pokk_m !pelmglºmeusa.84 Beide Werke sind als eine Art Biographie auf der Basis von persönlichen Erinnerungen von zwei Jüngern verfasst worden. Einen ähnlichen Charakter muss auch das nicht erhaltene Werk von Zenon von Kition !polmglome¼lata Jq²tgtor gehabt haben, weil Zenon als Schüler von Krates das Werk aufgrund seiner persönlichen Erinnerung verfasst haben kann.85 In den Philosophenleben werden die Denkwürdigkeit des Favorin86 und des Serenos genannt.87 Die „Denkwürdigkeiten des Favorin“ werden reichlich von Diogenes Laertius in seinen Vitae zitiert, sodass es möglich ist, auf dieser Basis eine Edition der Fragmente herzustellen. Das zitierte Material des Diogenes zeigt, dass dieses Werk sehr unterschiedliche Formen enthielt, wie z. B. Apophthegmen (D.L. 6,89), historische Notizen wie die Datierung des Todes Platons (D.L. 3,40), die Frage, ob Polykrates beim Prozess eine Rede gegen Sokrates gehalten habe (D.L. 2,29), oder auch einige Gnomen, wie die unklare Maxime von Aristoteles è v¸koi, oqde·r v¸kor88(D.L. 5,21). Die gleiche literarische Mannigfaltigkeit ist bei den !polmglome¼lata des Serenos zu finden: Sie enthält Gnomen (2,2,17), kurze Erzählungen (4,6,20), Apophthegmen (2,2,18; 3,13,48–49) und sogar Witze (3,29,96). Um das breite Spektrum der Form der Denkwürdigkeit zu beschreiben, gilt es noch die ceko?a !polmglome¼lata des Aristedomos zu benennen, die fragmentarisch bei Athenaios erhalten sind (fr. 7–9). Plutarch spricht von einem kleinem Buch 82 83 84 85 86 87
CatM 7; Them 18. Herm. Prog. 3: wqe¸a 1st·m !polmglºmeula kºcou timºr. Luc. Dem. 67. D.L. 7,4. D.L. 6,89. Dieses Werk wird vor allem im Anthologium von Stobaeus zitiert und ist dadurch nur fragmentarisch erhalten. 88 Der Sinn dieser Maxime ist unklar. O. Apelt, Leben und Meinungen berühmter Philosophen I, 234, übersetzt: „Viele Freunde, kein Freund“. Die Stelle wird nach dem Sinne von EE 1245b 21 gedeutet.
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der Erinnerungen (ti bibk¸diom lijq¹m !polmglomeul²tym), das von Byblos über Brutus verfasst wurde.89 Nach diesem kurzen Blick in die Anwendung der Gattung „Denkwürdigkeiten“ versteht man den Grund besser, weshalb Justin die Evangelien mehrmals mit dieser Bezeichnung in Verbindung bringt.90 Es handelt sich um eine Gattung, die biographische Notizen, Aussprüche und Anekdoten enthält und vielleicht aus der Sicht Justins von einem direkten Schüler verfasst wurde.91 Manche Exegeten betonen im Rahmen dieser Bezeichnung besonders den Vorgang der Erinnerung. Das ist aber kein wesentliches Element dieser Form, wie man in verschiedenen Fällen bei Plutarch sehen kann.92 4.4 wqe¸a Die gegenwärtige deutsche Forschung bezeichnet die Streitgespräche entweder als Chrien (K. Berger93) oder als Apophthegmen (Theißen94), oder auch gleichzeitig als Chrien und Apophthegmen (D. Dormeyer)95. Die Bestimmung der Gattung Chrie in Bezug auf die bekannten Beispiele der zeitgenössischen Literatur ist sehr umstritten. Die angelsächsische Forschung versucht sich von dieser Entscheidung für Chrie oder Apophthegma zu distanzieren, indem sie die englische Bezeichnung „pronouncement story“ benutzt96. Diese wurde 1930 von Vincent Taylor als Übersetzung von „Apophthegma“ geprägt und war als Anwendung und Erweiterung der Analyse Bultmanns gedacht. Die neue Formgeschichte mit V.K. Robbins definiert diese Texte konsequent als Chrien in Anlehnung an die rhetorische Forschung zu den Progymnasmata. Allerdings war die erste Phase der neuen Formgeschichte unter Tannehill eher der Meinung, dass die Streitgespräche als Apophthegmen verstanden werden sollten. Die Entscheidung für die eine oder die andere Form scheint ein Dilemma zu sein, das kaum gelöst werden kann. 89 Plut. Brut. 13,3. 90 Just. apol. I,66,3; 67,3; dial. 100,4, 101,3; 102,5; 103,6.8; 104,1; 105,1.5–6. Auch Papias bei Eus h.e. III,39,15. 91 Just. apol. I,66,3: oR c±q !pºstokoi 1m to?r cemol´moir rpû !qt_m !polmele¼lasim û jake?tai eqacc´kia, ovtyr paq´dyjam 1mtet²khai aqto?r. Nach Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 36–37, ist diese Benennung ein apologetischer Versuch Justins, die Evangelien „der großen Literatur“ zuzuordnen, was eigentlich nicht möglich ist. 92 In Cat.M. 9, steht bei einer kurzen Erzählung, die man sonst als Apophthegma einordenen würde, die Bemerkung: t¹ l³m owm t_m !polmglomeul²tym c´mor toioOtºm 1stim. 93 K. Berger, Formen und Gattungen im NT, 140–152; M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments, 132–136. 94 G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, NTOA 8, Göttingen/Fribourg 1989, 163. 95 D. Dormeyer, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung, Darmstadt 1993, 159–166. 96 Vgl. z. B. J.L. Baley/L.D. Van der Broek/Lyle D., Literary Forms in the New Testament. A Handbook, Louisville Ky. 1992, 114–116.
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K. Berger bezeichnet das Apophthegma als eine Untergattung der Chrie97, die ausschließlich aus Frage und Antwort besteht.98 Dormeyer plädiert für eine undifferenzierte Betrachtung der beiden Gattungen: „Man darf den Unterschied zwischen diesen Kleingattungen nicht unnötig formalisieren“. Er meint, dass die gleiche Gattung bei Plutarch Apophthegma und bei Diogenes Laertius Chrie heißt (vgl. die Sammlung von Hekaton über den Kyniker Metrokles).99 Eine Chrie (aus wqe¸a „Gebrauch“, „Anwendung“) ist eine besondere Form, deren Gebrauch seit dem 1. oder 2. Jh. n. Chr. in den rhetorischen Schulen belegt werden kann. Sie ist vor allem Teil der rhetorischen Handbücher und der Stilübungen, die als Progymnasmata bekannt waren.100 Die Schüler konnten durch Chrien zunächst einmal die Regeln der Grammatik und vor allem die Deklinationen (es gibt Deklinationschrien)101 erlernen und sich später durch die Abfassung von Chrien Geschicklichkeit im Schreiben zu erwerben suchen. Seneca kritisiert in einem Brief die Gelehrten, die viele Zitate anführen, ohne eine eigene Auffassung zu entwickeln, und erinnert daran, dass die Sentenzen (oder Chrien) für die Kinder in der Schule gedacht seien.102 Quintilian bezeugt ebenfalls diese Verbindung der Chrien mit der Schulausbildung. Der Knabe muss zuerst in der Lage sein, äsopische Fabeln zu erzählen, und nachher muss er selbst Sentenzen (Gnomen), Ethologien und Chrien verfassen können.103 Quintilian unterscheidet drei Formen von Chrien: Eine Form, die der Sentenz ähnlich ist, in welcher eine Aussage einer Person zugeschrieben wird; eine andere Form, die eine Antwort auf eine Frage ist, und die dritte Form der Chrie, die eine Aussage oder eine Handlung berichtet: 97 K. Berger, Hellenistische Gattungen in NT, 1093, definiert die !polmglome¼lata als eine übergeordnete Gattung der Chrien auf der Basis von Hermogenes’ Progymnasmata 3, wqe¸a 5stim !polmglºmeula kºcou timor C pq²neyr C sumalvot´qou. 98 „Die kürzeste Form nach dem Schema „x (Name) wurde gefragt y (Gegenstand) und sagte z (Sentenz oder Gnome)“ nennt man Apoftegma“, 142. 99 D.L. VI, 95. 100 Die wichtigsten Texte zum Gebrauch der Chrien in der Schulunterricht sind in R.F. Hock/E.N. O’Neil, The Chreia and Ancient Rhetoric. Classroom Exercises, SBL WGRW 2, Atlanta 2002, gesammelt und kommentiert. 101 Vgl. M.L. Clarke, Rhetoric at Rome. A Historical Survey, 15–16. Das Beispiel ist die Deklination des Satzes „M. Porcius Cato dixit litterarum radices amaras esse fructus iucundiores“. Er wird im Genitiv „M. Porci Catonis dictum fertur litterarum radices amaras esse fructus iucundiores“. Das Beispiel wird ausführlich in allen Fällen in Diomedes, Ars grammatica, 1,310,1–29, dekliniert cf. R.F. Hock/E.N. O’Neil, The Chreia and Ancient Rhetoric, 67–73; ein griechisches Beispiel über Pythagoras ist im gleichen Buch S. 62–66 zu finden. Auch Quintil. inst rhet I,9,5: „In his omnibus et declinatio per eosdem ducitur casus et tam factorum quam dictorum ratio est.“ 102 Sen. ep. mor. 33, 7: „Ideo pueris et sententias ediscendas damus et has Graeci chrias vocant, quia complecti illas puerilis animus potest, qui plus adhuc non capit.“ 103 Quintil. inst. or., 2,4,2–17. Diese Übungen werden vor dem grammaticus gemacht und sollen als erste Elemente für die rhetorische Ausbildung dienen (primordia dicendi).
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Chriarum plura genera traduntur: una simile sententiae, quod est positum in voce simplici ‘dixit ille‘ aut ‘dicere solebat‘: alterum, quod est in respondendo ‘interrogatus ille‘, vel ‘cum hoc ei dictum esset, respondit‘: tertium huic non dissimile’cum quis dixisset aliquid vel fecisset‘104
Die Unterteilung von Quintilian zeigt m. E. noch die Unselbständigkeit einer Form, die zwischen Sentenz, Apophthegma und kleiner Erzählung ihren Ort einzunehmen sucht. Die Aufteilung in den Progymasmata ist systematischer und grenzt diese Form von den verwandten Formen der ,Gnome‘ und der ,Denkwürdigkeit‘ ab.105 Dabei werden drei Arten von Chrien unterschieden: eine Wort-Chrie (wqe¸a kocij²), eine Tat-Chrie (wqe¸a pqajtij²) und eine gemischte Chrie, die Worte und Taten enthält (wqei² lijt²).106 Die Wort-Chrie enthält ganz einfach einen Ausspruch einer bekannten Persönlichkeit, z. B. Dioc´mgr b vikºsovor 1qytghe·r rpº timor, p_r #m 5mdonor c´moito, !pejq¸mato, fti Fjista dºngr vqomt¸fym.107 Theon unterscheidet zwei Arten von Wort-Chrien, eine assertorische (!povamtijºm) und eine respondierende (!pojqitijºm).108 Die Tat-Chrie wird ebenfalls in zwei Untergruppen aufgeteilt: a) aktiv (1meqcetij¶) und b) passiv (pahgtij¶). Sie referiert eine kurze Handlung ohne einen Ausspruch, wie z. B. Dioc´mgr b jumij¹r vikºsovor Qd½m axov²com pa?da t¹m paidacyc¹m t0 bajtgq¸ô 5paise.109 Die gemischte Chrie enthält beides gleichzeitig, eine Handlung und einen Ausspruch110, z. B. Dioc´mgr Qd½m leiq²jiom !tajtoOm t¹m paidacyc¹m 1t¼ptgse k´cym7 t¸ c±q toiaOta 1pa¸deuer.111 104 Quintil. inst. or. I,9,3–4. K. Berger, Hellenistische Gattungen in NT, 1094, zitiert die Stelle aus der Rhetorik des Quintilian, ohne diese wichtige Verbindung mit der Schulausbildung zu berücksichtigen. Auch Seneca bezeugt die Funktion der Chrien in der Schule. 105 Theon, prog. 96,25–97,3, unterscheidet die Chrie von den Gnomen in vier Punkten: a) die Chrie ist immer auf eine Person bezogen, die Gnome nicht immer; b) die Chrie bezieht sich auf das Allgemeine und auf das Besondere, die Gnome immer nur auf das Allgemeine; c) die Chrie hat keine moralische Bedeutung, die Gnome hat immer eine moralische Bedeutung; d) die Chrie ist eine Handlung und ein Wort, die Gnome nur ein Wort. Der Unterschied zu der Denkwürdigkeit liegt in zwei Punkten: a) die Chrie ist knapp, die Denkwürdigkeit lang; b) die Chrie ist auf eine Person bezogen, die Denkwürdigkeit kann auch für sich stehen (t¹ d³ !polmglºmeula ja· jah’ 2aut¹ lmglome¼etai. 97,5–6). 106 Theon, prog. 97,13. 107 Theon, prog. 97,14–16: Diogenes der Philosoph, als er gefragt wurde, wie man berühmt werden kann, antwortete: „indem man wenig an den Ruhm denkt“. Ein weiteres Beispiel bei Aphth. prog. 23,16: Isojq²tgr t/r paide¸ar tµm l³m N¸nam 5vg pijq²m, ckuje?r d³ to»r jaqpo¼r (Isokrates sagte, dass die Wurzel der Bildung bitter ist, die Früchte aber süß sind.) 108 Die respondierende Chrie wird noch in vier Gruppen auftgeteilt: a) auf die Frage, b) auf die Untersuchung (pusma); die interrogative, b) die percontative, c) die interrogative raison. 109 Theon, prog. 98,34–99,1: „Als Diogenes, der kynische Philosoph, ein Kind sah, das gierig aß, schlug er den Lehrer mit seinem Stab“. 110 Herm, prog. 3: aR lijta· d³ aR l?nim 5wousai kºcou ja· pq²neyr. 111 Herm. prog 3,10–11: „Als Diogenes ein Kind sah, das sich unständig benahm, schlug er den
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Bei der Definition der Chrie in den Übungsbüchern wird immer wieder die Frage gestellt, welche Besonderheit dieser Form zukommt. Die Forschung über solche Handbücher, deren Verbreitung nach der neutestamentlichen Zeit zu datieren ist,112 hat die neue Formgeschichte dazu geführt, die Chrien als grundlegende Form zu betrachten, in der die Streitgespräche abgefasst wurden. In Oxyrhynchus 85 kann man folgende Definition von Chrie lesen: Was ist die Chrie? Eine knappe Erinnerung an eine berühmte Gestalt. Warum ist die Chrie ,Erinnerung‘? Weil sie im Gedächtnis haften muss, um ausgesagt werden zu können. Warum knapp? Weil sie oft durch eine Erweiterung zu einer Erzählung (di¶cgsir) oder zu etwas anderem wird. Warum mit einer Person verbunden? Weil sie oft ohne eine Gestalt eine knappe Erinnerung (!polmglºmeula) oder ein Spruch (cm¾lg) ist oder sonst noch etwas. Warum wird sie Chrie genannt? Weil sie nützlich ist, nicht weil die anderen diese (Qualität) nicht haben, sondern weil ihr Name nach ihrer Besonderheit außergewöhnlich ist.113
Diese Unterscheidung der Chrie von verschiedenen verwandten Gattungen ist von Interesse. Die Chrie wird hier mit ähnlichen Formen verglichen. „Erinnerung“ ist hier in der doppelten Bedeutung einer längeren Erzählung und dann als ein Text, den man auswendig lernen muss, verstanden. Allerdings basiert die Antwort auf der Frage, warum eine Chrie eine Erinnerung genannt wird, nicht auf der literarischen Definition dieser Form, sondern auf ihrer Etymologie. Es ist möglich, dass die Chrien auswendig gelernt werden mussten, aber das reichte nicht, um sie mit dem Terminus !polmglºmeula zu bezeichnen. G. Wartenleben fasst die drei Elemente zusammen, die die Definition der Chrie ausmachen: 1) die Knappheit der Form, 2) ihre Zuschreibung zu einer bestimmen Person, 3) die Nützlichkeit der Tat oder des Ausspruchs, der überliefert wird.114 Von dieser Nützlichkeit kommt der Name wqe¸a, obwohl es unsicher ist, dass diese Ableitung wirklich etwas mit dem Ursprung der Bezeichnung zu tun hat. V. Robbins betont die schwierige definitorische Aufgabe für die Form:
Lehrer und sagte: Warum lehrst du solche Dinge“. Das Beispiel von Theon ist nicht so eindeutig, weil man es als Tat-Chrie einordnen würde. Theon, prog. 99,10. K²jym 1qol´mou tim¹r aqt¹m poO to»r fqour t/r c/r 5wousi Kajedailºmioi, 5deine t¹ dºqu. „Ein Spartaner, als jemand ihn fragte, wo die Grenzen der Landes seien, das die Lakedemonier haben, zeigte den Speer“. 112 Zur Datierung der Handbücher vgl. K.M. Thaniel, Quintilian and the Progymnasmata, 27–32. 113 Text 18 PSI I,85 aus Hock/O’Neil, The Chreia and Ancient Rhetoric, 96: t¸ 1stim B wqe¸a; !polmglºmeula s¼mtolom 1p· pqºsypou tim¹r 1pemejtºm. di± t¸ !polmglºmeula B wqe¸a; fti !polmglome¼etai, Vma kewh0. di± t¸ s¼mtolom; fti pokk²jir 1jtah³m C di¶cgsir c¸metai C %kko ti. di± t¸ 1p· pqos¾pou; fti pokk²jir %meu pqos¾pou s¼mtolom !polmglºmeula C cm¾lg 1st·m C %kko ti. di±7 t¸ eUqgtai wqe¸a; di± t¹ wqei¾dgr eWmai, oqw ¢r oq ja· t_m %kkym toOto 1wºmtym, !kk± jat’enow¶m Udiom 1st· pq¹ joimoO emola. 114 G. Wartensleben, Der Begriff Chreia und die Beiträge ihrer Form, 125–128.
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The chreia is so interesting, because it continually escapes attempts to capture it through analysis.115
Er betont die kommunikative Funktion dieser Form, die ein Mittel ist, um Wahrheiten über das Leben weiterzugeben: The people featured in chreia became authoritative media of positive and negative truths about life. These ,authorities‘ transmit social, cultural, religious and philosophical heritage in later historical epochs.116
Die Nützlichkeit der Chrien war aber vielleicht nur für die kynischen Philosophen aktuell, die dadurch die Anekdoten, d. h. die provozierenden Worte und Taten der Gründer der Schule, für Propagandazwecke publizieren konnten. Diese Form verlieh nämlich den provozierenden Taten die gleiche Bedeutung wie den Maximen. Die Funktion der Chrie in den rhetorischen Büchern ist m. E. noch eine andere. Die Chrie ist eine knappe Erzählung, die Maximen oder Taten enthält und die wegen ihrer Knappheit in mehreren Übungen entwickelt werden kann. Wichtig ist dann nicht die Form als solche, sondern die zahlreichen grammatischen und logischen Varianten, die daraus entstehen können. Aus dieser Sicht der Funktion der Chrien im Unterricht geht es bei dieser Form nicht um eine genaue inhaltliche Zuschreibung von Taten und Aussprüchen an eine bestimmte Person, sondern um die Formulierung von bestimmten Arten von Reden oder Erzählungen, die die Schüler auf der Basis der Chrien verfassen sollten. Die Chrien haben in den Übungen die gleiche Funktion wie der Titel eines Aufsatzes. Er kann den Aufsatz nicht ersetzen, sondern muss von den Schülern weiter entwickelt und bearbeitet werden. Durch die Chrien lernt man Erzählungen zu verfassen, aber auch logische und dialektische Prinzipien in die kurzen Dialoge einzufügen. Aus diesen Gründen bevorzuge ich, trotz der Angleichung der Bedeutung von Chrie und Apophthegma im Fall der Streitgespräche von Apophthegmen zu sprechen. 4.5 !pºvhecla Diese Bemerkungen bekräftigen die Hypothese von R. Bultmann117, nach der die Streitgespräche als Apophthegmen zu betrachten sind.118 Diese Hypothese 115 V.K. Robbins, The Chreia, 4. 116 V.K. Robbins, The Chreia, 4. 117 Bultmann erachtet die Annahme von Dibelius, nach der die Predigt der Anfang der synoptischen Tradition ist, als eine „starke Übertreibung“; vgl. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 64. Bultmann unterscheidet drei Arten von Apophthegmen in der synoptischen Tradition: die Streitgespräche, die Schulgespräche und die biographischen Apophthegmen. Mit biographischen Apophthegmen bezeichnet Bultmann jene Apophthegmen, deren Sinn auf eine bestimmte Situation im Lebens Jesu beschränkt bleibt, Geschichte der synoptischen Tradition, 58–59. 118 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 8: „Ich nenne sie mit einem in der
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wird vor allem in der englischen Fachliteratur vertreten. Charakteristisch für die Apophthegmen ist ihre Knappheit, ihre ideale, stilisierte Form sowie ihre Konzentration auf eine herausragende Persönlichkeit. In den Streitgesprächen ist die Frage der Gegner Jesu teils explizit formuliert, teils ist die Frage von Jesus selbst abgeleitet, oder es werden durch seine Kraft die Gedanken seiner Gesprächspartner gelesen. Während die Chrien eine rein stilistische Übung darstellen, haben die Apophthegmen die Funktion, Elemente der Lehre oder der Weisheit einer Gestalt in klarer, scharfer Form wiederzugeben.119 Wie das Wort selbst sagt,120 ist ein Apophthegma eine Form, durch die eine charakteristische Maxime referiert wird. Dies geschieht in der Regel im Rahmen eines kurz stilisierten Dialogs. Besonderes Merkmal des Apophthegmas ist seine Knappheit, seine ideale, stilisierte Form, sowie ihr Bezug auf eine herausragende Persönlichkeit. Eine klare Definition gibt W. Gemoll: Zum Apophthegma gehören also gewöhnlich zwei Personen, eine, die fragt, und eine, die antwortet, eine, die reizt, und eine, die gereizt erwidert. Doch kann die erste auch im Namen und Beisein vieler sprechen, die zweite einen Monolog halten, wobei man sich den abwesenden Gegner lebhaft vorstellt.121
griechischen Literaturgeschichte gebräuchlichen und möglichst neutralen Terminus ,Apophthegmata‘.“ Diese Bezeichnung wurde schon von P. Wendland, Die urchristlichen Literaturformen, 261, verwendet. Bultmann aber vertiefte den hellenistischen Charakter der synoptischen Apophthegmen nicht, im Gegenteil sieht er ihren Ursprung in der protorabbinischen Literatur. „Diese Art zu disputieren ist die typisch rabbinische; der Sitz im Leben ist für die Streitgespräche also in den Diskussionen der Gemeinde über Gesetzesfragen zu suchen, die mit den Gegnern, aber gewiss auch in der eigenen Mitte geführt wurden. (…) Ein Blick in die rabbinischen Quellen zeigt, dass hier stilistische Untersuchungen von großem Wert sein würden“, Geschichte der synoptischen Tradition, 42. Eine kritische Meinung zu einer rabbinischen Herkunft der Streitgespräche wird von G. Porton vertreten. Die Funktion der rabbinischen Dialoge ist eher exegetisch, die Szene spielt sich zwischen Rabbinen ab, die auf der gleichen Stufe stehen. Es fehlt die klimaktische Struktur der Apophthegmen, die auf der überragenden Rolle Jesu beruht. G. Porton sagt: „It is a discussion between rabbis of equal stature which focuses upon exegetical techniques and a point of halakhah. It is not the presentation of the impressive wisdom of a unique individual“; G.G. Porton, The Pronouncement Story in Tannaitic Literature: A Review of Bultmann Theory, Semeia 20(1981) 81–99, 97. 119 G. Theißen, Lokalkolorit, 119 Anm. 122, erklärt auf diese Weise den Unterschied zwischen Apophthegmen und Chrien in der Jesus-Überlieferung. Man kann von „Apophthegma“ sprechen, wenn die kurze Erzählung sich auf die Person Jesu bezieht, und von „Chrie“, wenn sie eine paränetische Funktion hat. Seine Schlussfolgerung ist aber, den Begriff „Apophthegma“ vorzuziehen, weil er sich in der Exegese etabliert hat: „Da „Apophthegma“ den zusätzlichen Vorzug hat, ein in der Exegese eingebürgerter Begriff zu sein, habe ich mich für ihn entschieden“. 120 Die Bedeutung von !pºvhecla ist vermutlich bei Aristoteles im engeren Sinne ,Ausspruch‘ und nicht ,Ausspruch in einem narrativen Zusammenhang‘, daher ist sie näher an der Etymologie des Wortes. Vgl. die Definition von W. Gemoll, Apophthegma, 1: „!povh´ccolai bedeutet also „jemandem ordentlich, gehörig Bescheid sagen“ und !pºvhecla „Ausspruch, Bescheid, Streitrede“. 121 W. Gemoll, Apophthegma. Literarhistorische Studien, 2.
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Anders als die Chrie hat das Apophthegma einen betonten Anspruch auf Authentizität. Die Apophthegmen konzentrieren in einem einprägsamen Ausspruch die Weisheit und die Gelehrsamkeit einer Person, die unter Umständen eine Antwort in einer schwierigen Situation geben muss. H.A. Gärtner definiert das Apophthegma wie folgt: Der in einer bestimmten, oft schwierigen Situation treffend, meist kurz, manchmal rätselhaft formulierte Ausspruch (…), der Anspruch auf Authentizität erhebt. Dadurch unterscheidet sich das A. von den verwandten Formen der Chrie, des Aphorismus und der (begrifflich weiten) Gnome.122
Die Unterscheidung der Arten von Apophthegmen geht auf die Rhetorik des Aristoteles zurück. Er spricht von Apophthegmen im Zusammenhang mit Gnomen, weil die Gnome das Herz des Apophthegmas ist. Es ist deswegen nicht korrekt, ein Apophthegma als eine Erzählung zu betrachten, weil die Rahmenszene keine wesentliche Bedeutung hat. Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Apophthegmen, die !povh´clata kajymij²123 (die lakonischen bzw. ernsten Apophthegmen), die !povh´clata t± aQmiclat¾dg124 bzw. t± !ste?a125 (die enigmatischen bzw. feinsinnigen Apophthegmen). Die erste Form wird nach der sprichwörtlichen Wortkargheit der Spartaner so genannt. Diese ist in der Antike oft erwähnt worden.126 Die enigmatischen und feinen Apophthegmen werden an zwei verschiedenen Textstellen der Rhetorik erwähnt,127 aber Aristoteles gibt nur ein Beispiel für beide, nämlich das Drohwort des Stesichoros an die Lokrer: „Die Zikaden werden auf dem Boden zirpen“.128 Dieser Ausspruch ist nicht wörtlich zu nehmen, sondern die Feinheit besteht eben in seinem übertragenen Sinn. Er konkretisiert die Drohung, dass er, wenn die Lokrer ihm nicht gehorchen, die Wälder abholzen werde. Eine weitere Art von Apophthegmen wurde von den Kynikern eingeführt, die kynischen Apophthegmen, die in der Verbindung von Ernst und Witz bestehen und daher als spoudoc´koia bezeichnet werden.129 Die Kyniker übten mit ihrer provokativen Haltung eine neue Art des Argumentierens, das spoudoc´koiom. 122 H.A. Gärtner, Art. Apophthegma, DNP 1, 894. 123 Arist. or. 1395b. Die Spartaner waren bekannt für ihren Ernst und ihre Knappheit im Sprechen. Quintilian (inst. rhet. VI,3,109) referiert die Erstellung der ersten Gattungen von Marsus: honorificum, contumeliosum und eine mittlere Gattung, das „apophthegmatikon“. 124 Arist. rhet. 1394b. 125 Arist. rhet. 1411b. 126 Plut. Lyk. 19. Lykurg wird hier als bqawukºcor tir eUoje cem´shai ja· !povheclatijºr. Gerade die Knappheit der Formulierung verleiht der Aussage eine besondere Autorität. 127 Rhet. 1394b 34 und 1412 a 21. 128 Rhet. 1412a 24: fti oR t´tticer 2auto?r walºhem Åsomtai. 129 W. Gemoll, Apophthegma, 3. Gemolls Definition von Apophthegma (S. 6.) enthält alle diese Aspekte: „Das Apophthegma ist eine kurze, ernste oder witzige, auf jeden Fall treffende Streitrede. Eine entsprechende Tat kann sie begleiten oder zum Ausdruck bringen.“
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Sie kombinierten die bekannten Ausdrucksformen dieser Gattung (die ernste und die witzige Form) und schufen eine innovative Form, bekannt als jumij¹r tqºpor. Das hatte eine entscheidende Auswirkung auf die hellenistische Literatur, indem die Kyniker einige literarische Gattungen (Briefliteratur, Tragödien und den rhetorischen Gebrauch der Aussagen von bekannten Persönlichkeiten) vereinfachten und ihnen eine populäre Form gaben.130 Die Aussagen fanden ihren Ort in einer neuen Form der Belehrung, der Diatribe.131 Sie ist eine Form von Rede, die den philosophischen Dialog mit einem fiktiven Gesprächspartner aufnimmt132. Die Aussagen erwiesen sich als wirksame Mittel der philosophischen Propaganda auch unter dem Volk, sowie für die Kritik an der Moral und an den Sitten und für die moralische Belehrung. Eine genaue Unterscheidung der verschiedenen Formen der Aussagen fehlt bei den Kynikern, die von Apophthegmen, Chrien und Erinnerungen undifferenziert sprechen. Die Chrien wurden teilweise in Versen verfasst, um auswendig gelernt zu werden, und wurden besonders mit der Figur des Diogenes in Verbindung gebracht. Die populäre Verbreitung vieler Gattungen durch die Kyniker erzeugte eine gewisse Verwirrung in der Unterscheidung zwischen Apophthegmen und Chrien. Das erklärt, warum Diogenes Laertius im dritten Jh. n. Chr. in den Philosophenbiographien weniger von Apophthegmen als viel mehr von Chrien spricht. Die Streitgespräche können auf alle Fälle nicht mit den kynischen Chrien verglichen werden, die für die philosophische Propaganda und oft mit kritischer Absicht verfasst wurden. Die Identifikation mit der Person des Diogenes ist oft nur eine unbedeutende Floskel. Zusammenfassend kann man folgende Punkte festhalten: 1. Das Apophthegma enthält den Ausspruch einer bekannten Persönlichkeit und erhebt einen Anspruch auf Authentizität. 2. Die Chrie wurde in den Rhetorik-Schulen verwendet, um Grammatik und Stil zu üben. Chrien enthalten eine Aussage, die teilweise willkürlich mit einer bekannten Persönlichkeit verbunden wird. 130 D.R. Dudley, A History of Cynism. From Diogenes to the 6th Century A.D., London 1937, 113: „The great quantity of moralizing verse which characterizes the Hellenistic age cannot all be put down to the account on the Cynic, though it is safe to say that Cynic influence gave the first impetus to that literature“. 131 D.R. Dudley, A History of Cynism, 112: „Though the wqe¸a was not a Cynic invention, it was one of the favourite forms, being introduced into diatribe and even verse with a great frequency“. 132 Diese Form der Moralpredigt wurde vermutlich von Bion (335–245 v. Chr.) erfunden. Der Name „Diatribe“ bedeutet so viel wie: „Beschäftigung“, „Zeitvertreib“. Sie bestand aus einer Mischung von verschiedenen bekannten Gattungen. Grundsätzlich war sie ein philosophischer Traktat und Dialog, geziert mit Aussprüchen, Zitaten von bekannten Personen, rhetorischen Fragen und Einwürfen fiktiver Gesprächspartner. „Das Ergebnis war ein eigenartiges Gemisch, ein Mittelding zwischen gesprochener und geschriebener Rede“ (K. Döring, Die Kyniker, 4–45). Eratosthenes von Kyrene sagt von Bion, er habe „als Erster die Philosophie mit einem bunten Gewand bekleidet“.
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3. Die Kyniker benutzen alle Formen von Aussagen, um ihre Philosophie zu propagieren. Die kynischen Chrien haben eine kritische und populärphilosophische Funktion.
4.6 Apophthegmen und Biographie Der Zusammenhang der Apophthegmen mit der antiken Biographie ist ein weiterer Punkt, den es, bei der Bestimmung der Streitgespräche (und der übrigen Logien Jesu) im Plan des Evangeliums besonders zu beachten gilt. Das Apophthegma hat den Vorzug, den Gedanken einer berühmten Person in wenigen Worten zu charakterisieren und als grundlegender Baustein einer Biographie zu dienen. Das Zitat in direkter Rede verstärkt die Authentizität des berichteten Inhalts besser als eine einfache Erzählung. Die befreiende Rolle der Philosophie kann mit einem Ausspruch von Aristipp erhellt werden: Als ein Mann ihn fragte, was er für den Unterricht seines Sohnes verlange, antwortete er: „Tausend Drachmen.“. Dieser erwiderte: „Um Gottes willen! Welch teurer Preis! Für Tausend kann ich einen Sklaven kaufen.“ Aristipp sagte zu ihm: „Gut so, du wirst dann zwei Sklaven haben, deinen Sohn und denjenigen, den du kaufst.“133
Man kann dasselbe Anliegen in Plutarchs biographischen Vitae parallelae feststellen, in seinen beiden Sammlungen von Apophthegmen, nämlich den Apophthegmata laconica und Regum et imperatorum apophthegmata, sowie in Lukians Demonax, in Philostrats Vita des Apollonios von Thyana und in den Philosophen-Vitae des Diogenes Laertius. In solchen Biographien haben nach der Definition von Plutarch auch unbedeutende Episoden oder Anekdoten eine wichtige Funktion.134 Was im Endeffekt für die Apophthegmen wichtig ist, ist der grundsätzliche Zusammenhang, in dem sie begegnen. Die synoptischen Apophthegmen sind entweder in einer frontalen Auseinandersetzung oder in einer belehrenden Szene situiert. Diese Situierung wird von der Identität und von der Intention der Gesprächspartner Jesu bestimmt und redaktionell klar herausgestellt. Es hat wenig Bedeutung, in welcher Form der Streit endet, ob durch eine Frage oder durch einen Einwand. Neben diesen klar definierten Arten von Apophthegmen tritt ein allgemeines Modell, das weder in einer belehrenden noch in einer polemischen Situation begegnet und nicht als„biographisch“ bezeichnet werden kann. Hier ist der Gesprächspartner weder ein Schüler noch ein Feind Jesu, sondern eine Person, der keine eindeutige Rolle zukommt. Ein Beispiel ist Lk 11,27–28, wo eine Frau die Mutter Jesu lobt. Jesus lobt in seiner Antwort im Gegenzug diejenigen, die auf das Wort Gottes hören. 133 Plut. De liberis educandis I, 4f–5a. 134 Plut. Alex. 1.
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4.7 Streitgespräche und Jesus-Überlieferung Es ist Konsens, die Bildung der Streitgespräche im Überlieferungsprozess der Worte und Taten Jesu innerhalb der christlichen Gemeinde zu lokalisieren. Bereits für die alte Formgeschichte sind diese kurzen Einheiten ein Novum, das kaum eine Kontinuität mit dem historischen Jesus aufweist. Der Gemeinde wird dabei eine schöpferische Funktion zugeschrieben, die mit volkskundlichen Beispielen dokumentiert wird. Dibelius und Bultmann sprechen allerdings nicht von einer spontanen Bildung dieser Form wie im Fall vieler Anekdoten der Volksdichtung, sondern von einer gezielten Anwendung dieser Formen in der Predigt oder in der Apologie der ersten Gemeinde. Theißen betont, dass die Streitgespräche anders als die Wundergeschichten keine Volksdichtung sein können, weil in ihnen die Konfrontation zwischen „Gelehrten“ dargestellt wird. Die Autorschaft soll deshalb auf wenige Spezialisten der Gemeinde zurückgeführt werden, die für die Predigt und die Lehre zuständig waren.135 In der Bestimmung des Entstehungsprozesses werden die Streitgespräche als Texte verstanden, die dem Verfasser des Markusevangeliums bereits in schriftlicher Form vorgelegen haben. Die Redaktionsgeschichte stellt dann in der Schilderung einer hypothetischen Entwicklung zwei weitere Probleme fest, das der Sammlung und das des Rahmens der Streitgespräche. Die kleinen Einheiten wurden in einer bestimmten Zeit in Sammlungen eingereiht, bevor sie vom Evangelisten in sein Werk aufgenommen wurden. Diese weitere literarische Bearbeitung bedarf einer weiteren Erklärung. Zu klären ist, wann und unter welchen Bedingungen dies geschehen ist. Der Rahmen der Streitgespräche stellt vor eine weitere Frage, weil ihm eine redaktionelle Überarbeitung zugeschrieben werden kann. Wenn dann aber gerade der Rahmen redaktionell ist, kann man nicht mehr eine ursprüngliche Unterscheidung zwischen Streit- und Lehrgesprächen postulieren, wie es Bultmann und Weiß tun. Um die Bedeutung des Rahmens der Streitgespräche für ihr Verständnis zu beleuchten, kann man die freundliche Konfrontation Jesu mit einem Schriftgelehrten in Mk 12,28–34 heranziehen. Sie stellt eine Ausnahme im Kontext der Jerusalemer Streitgespräche dar, die sonst immer eine feindliche Absicht Jesus gegenüber beinhalten. Wenn man die Parallelstelle in Mt 22,35–40 (und vielleicht Lk 10,25–28) mitberücksichtigt, stellt man fest, wie gerade der Rahmen die verführerische Absicht der Frage zum Ausdruck bringt. Der Rahmen hat also eine wichtige Bedeutung für die Streitgespräche, wie auch für andere Formen von Apophthegmen. Die Antwort auf diese Probleme der Redaktionsgeschichte war entscheidend, um die Bildung der Texte in vormarkinischer Zeit anzusetzen. W. Weiß unterscheidet dazu eine Grundform der Streitgespräche vor ihrer aktuellen Form und dazu noch die 135 G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte, 121.
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redaktionelle Rahmenszene.136 Diese Unterscheidung einer Grundform von einer Rahmenszene setzt die Vorstellung voraus, dass die Urform dem reinen Modell eines Streitgesprächs entsprach, das durch die Überlieferung und Bearbeitung modifiziert wurde und dabei diese ursprüngliche Reinheit verlor.137 In Mk 2,15–17 findet Weiß, dass gerade die Differenzierung von Rahmenszene (2,15) und Vorwurf (2,16c) die Urform von der Redaktion scheidet. Die Rahmenszene sei eine sekundäre Bearbeitung, wodurch die Urfassung der kleinen Einheit an die Geschichte Jesu angebunden werde: „Die Analyse der Redaktion hat ergeben, dass Markus diesen Prozess nachgestellt hat, indem er den im Vorwurf angezeigten Rahmen in 2,16a; 18a; 7,2 eigens ausbaute.“138 Die Tatsache, dass bei den meisten Streitgesprächen die Rahmenszene nicht vom Vorwurf zu trennen ist,139 wird von Weiß als Hinweis darauf aufgefasst, dass die Texte von einer „sekundären Hand“ geglättet wurden.140 D. Crossan hat aber zu Recht gegenüber Bultmann diesen Versuch, den Rahmen als sekundär zu erklären, kritisiert. Man muss allerdings erklären, was man unter „sekundär“ versteht.141 Immerhin hat eine Chrie oder ein Apophthegma stets einen Rahmen, sonst handelt es sich um eine Gnome. In der Unterscheidung von Weiß ist darum nicht klar, was dann noch bleibt, wenn man den Rahmen von der Urform abgesondert hat, und welcher Gattung die Urform der Streitgespräche noch entsprach. Weiß spricht nur von einer Nebeneinanderstellung von Vorwurf und Antwort. Er unterscheidet deshalb zwei Phasen in der Entwicklung der Streitgespräche, die Bildung der Urform und die Verfassung der Rahmenszene. Es lohnt sich zu fragen, ob der Vorwurf nicht schon eine Rahmenszene für den Ausspruch Jesu ist. Auch bei Weiß kann man die Suche nach einer reinen Form feststellen, die charakteristisch für die Formgeschichte war.142 136 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 268–276. 271: „Die Grundform der Streitgespräche gründet in der knappen, skizzenhaften Darbietung einer Gesprächszene. Die Elemente sind beschränkt auf notwendige Regiebemerkungen, ohne besondere Aussagekraft, aber von unerlässlichem Darstellungswert für den Aufbau der Gesprächsszene“. Die Unterscheidung der Rahmenszene von der Urform sollte aber in den verschiedenen Texten präziser gezeigt werden. 137 Hier ist jedenfalls die Kritik von G. Theißen berechtigt, dass die Formgeschichte am Anfang der Überlieferung eine „reine Form“ annimmt. „Ebenso plausibel wäre die Vorstellung, dass sich Überlieferungen durch Gebrauch zurechtschleifen und am Ende den Gattungsnormen mehr entsprechen als am Anfang“, Lokalkolorit und Zeitgeschichte, 5. 138 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 286. 139 Das beste Beispiel ist Mk 2,24, wo der Vorwurf der Pharisäer die t¸ poioOsim to?r s²bbasim b oqj 5nestim ohne die Rahmenszene nicht verständlich ist. 140 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 288: „Zu einer Rahmenszene wurde der Anlass eines Streitgesprächs also erst von sekundärer Hand ausgestaltet“. 141 D. Crossan, Kingdom and Children, 81: „A frame may be secondary in that it came later than the saying it holds. In this case the saying existed separately and independently of the frame. Or, a frame may be secondary in that it is less important than the saying it holds. But in that case the saying may never have existed separately or independently from the frame.“ 142 J.H. Henderson, Jesus, Rhetoric and the Law, 204, fasst wie folgt die drei Elemente, die die Forschung der Formgeschichte ausmachen, zusammen: a) die Evangelien als Kleinliteratur,
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Eine weitere redaktionsgeschichtliche Hypothese von W. Thissen schildert einen Kristallisationsprozess in der Bildung von Mk 2,1–3,6. Aus der zentralen Perikope über das Fasten wächst symmetrisch die erste Sammlung von Streitgesprächen durch die Arbeit von zwei Redaktionen heraus. Die Betonung der Redaktion lässt bei Thissen die Frage nach der Gattung einerseits und das Problem des Sitzes im Leben andererseits in den Hintergrund treten. Die Vorstellung eines Wachstums aus einem Zentrum scheint auch die Hypothese einer polemischen Einbettung der Streitgespräche zu betreffen. Anders als in der These Bultmanns ist die Polemik nur für eine spätere Phase der Entwicklung relevant, als die Flügelperikopen entstanden waren.143 Wegen der Abwesenheit von Lokalkolorit in den Streitgesprächen formuliert Theißen eine Theorie zur Bildung und Überlieferung dieser Texte, die grundsätzlich der Vorstellung der Formgeschichte gleicht. Der Zweck dieser Texte ist es, die Identität der Christen zu stärken. Die Streitgespräche dienen als Mittel, um die soziale Identität der Christen vom Judentum abzugrenzen, anders als die Wundergeschichten, die sozial grenzüberschreitend wirken.144 Nach Theißen tritt Jesus nicht als „Weiser“, sondern als Repräsentant einer Gruppe auf, der seine Jünger verteidigt. Die Gesprächspartner sind ebenfalls typisierend gezeichnete Gruppen wie Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer. Die Unterscheidung vom Judentum erfolgt nach Theißen entsprechend einer christologischen und einer theologischen Debatte. Er sieht daher eine thematische Einteilung der zwei Hauptsammlungen der Streitgespräche. Die galiläischen Streitgespräche (Mk 2,1–3,6) basieren auf „christologische[n] Argumente[n]“, während die Jerusalemer Streitgespräche (Mk 11,27–12,40) eine „theozentrische Argumentation“ verfolgen. Die theozentrische Argumentation zeigt eine gemeinsame Basis mit dem Judentum, die christologischen Argumente dokumentieren dagegen eine klare Abgrenzung vom Judentum. Letztere können nur innerhalb der christlichen Gemeinde überliefert worden sein.145 Die Funktion der Streitgespräche sei der Anwendung der Apophthegmen für die kynische Propaganda ähnlich. Theißen scheint trotz b) die Suche nach der reinen Form, c) die Vorstellung vom Sitz im Leben. Er beschreibt diese drei Prinzipien mit einem interessanten Bild: Die Konzeption der Evangelien als Kleinliteratur „was one of the three legs of the form critical milking-stool, and the first to break“. 143 W. Thissen, Erzählung der Befreiung, 221–222. Thissen spricht von einer Steigerung der theologischen Debatte von Innen nach Außen. Die Polemik wird besonders in den Flügelperikopen (2,1–12 und 3,1–6) durch die Betonung des Christuskerygmas entwickelt. Die Position gegen das Fasten ist für Thissen kein Streitthema mit dem Judentum, sondern eine interne Diskussion innerhalb des Christentums. 144 G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte, 123–124. Das gilt nicht für Mk 7,24–30, wo das Streitgespräch eine grenzüberschreitende Funktion hat. Jesus überwindet die Abgrenzung Israels der heidnischen Welt gegenüber. 145 G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte, 125–126. Allerdings haben in den Jerusalemer Streitgesprächen die Frage nach der Vollmacht Jesu in Mk 11,27–33 (zusammen mit der Allegorie der Winzer in Mk 12,1–12) und die Frage des Messias als dem Sohn Davids christologischen Charakter.
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der hellenistischen Prägung dieser Form die These Bultmanns von einem palästinischen Ursprung der Streitgespräche plausibel, weil man aufgrund einiger Beispiele beweisen kann,146 dass die Form des Apophthegmas in dieser Region benutzt wurde. Die meisten Autoren, die sich speziell mit den Streitgesprächen beschäftigt haben, tendieren dazu, einen außerpalästinischen Ursprung der Streitgespräche (meistens Syrien) zu vertreten.147 Eine entscheidende Rolle für diese geographische Bestimmung spielt vor allem die Frage der Gemeinschaft mit den Sündern (Mk 2,15–17), die historisch auf dem Hintergrund der Debatte in Antiochien über die Mahlgemeinschaft mit den Heiden gedeutet wird. Die meisten Hypothesen zur Entstehung der Streitgespräche stellen die zentrale, pointierte Aussage in den Mittelpunkt. Sie wird sogar als der Ausgangspunkt für die Entstehung der Perikopen angesehen. Es liegt zwar nahe, dass die Worte Jesu eine zentrale Bedeutung für die klimaktische Struktur der Apophthegmen haben. Man kann allerdings überlieferungsgeschichtlich dem Logion keine grundsätzliche Priorität in der Bildung der Streitgespräche zusprechen, weil viele Sprüche kaum authentisch sein können. Wahrscheinlicher ist ein differenziertes Urteil über die mögliche Echtheit eines Logions. Der Zweck der Streitgespräche ist es, Jesus als einen Lehrer darzustellen, der seine Weisheit im Gespräch durch klare Aussagen dokumentiert. Die Autorität Jesu kommt in den Streitgesprächen noch klarer durch die Polarisierung der Polemik zum Ausdruck. Die Anwendung einiger in der hellenistischen Literatur standardisierten Aussagen oder der Gebrauch dialektischer Kunstgriffe zeigt den rein literarischen Ursprung. Einige Beispiele können dies deutlich machen. Die Antwort Jesu in Mk 2,17:148 „Die Gesunden benötigen keinen Arzt, sondern die Kranken“ oq wqe¸am 5wousim oR Qsw¼omter QatqoO !kkû oR jaj_r 5womter7 begegnet auch in zwei Apophthegmen bei Plutarch und Diogenes Laertius. Bei Plutarch, in den Spartanischen Apophthegmen, antwortet Pausanias mit den gleichen Worten. Als er in Tegea nach seiner Flucht die Spartaner lobte, sagte einer: „Warum bist du dann nicht in Sparta geblieben, sondern bist geflohen?“ „Weil die Ärzte“, sagte er, „nicht bei den Gesunden, sondern dort sind, wo sich die Kranken aufzuhalten pflegen.“149 146 G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte, 128–130. Er korrigiert die These Bultmanns von einer rabbinischen Herleitung dieser Gattung und konzentriert sich nur auf Beispiele, die chronologisch auf das 1. Jh. zurückgehen, wie ein Apophthegma aus Justus von Tiberias (D.L. 2,41), eine Ankedote von R. Eliezer ben Hyrkanos (bAbod zara 16a) und eine Anekdote von R. Chanina ben Dosa (tBer III,20). 147 H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen in Markusevangelium, 98. Nach Kuhn ist diese These von anderen Autoren übernommen worden, wie z. B. W. Weiß, Ein neue Rede in Vollmacht, 281. 148 Die Anwendung kurz danach passt in die Evangelienerzählung: oqj Gkhom jak´sai dija¸our !kk± "laqtyko¼r. 149 Plut. apoph. lac. 230 f.
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Ein ähnliches Apophthegma wird im 3. Jh. n. Chr. von Diogenes Laertius in Bezug auf den Philosophen Aristipp überliefert: Als einer ihm sagte, er sehe immer die Philosophen an den Türen der Reichen, antwortete er, „Und auch die Ärzte sind bei den Kranken, aber niemand würde aus diesem Grund krank oder Arzt werden.“150
Es ist interessant, dass sich bei Plutarch unmittelbar vor dem genannten Apophthegma ein weiterer Text findet, der enge Parallelen mit einem in Galiläa situierten Streitgespräch aufweist: Pausanias, Sohn des Pleistoanax, antwortet jemandem, der ihn fragte, warum es bei ihnen nicht erlaubt sei, eines der Gesetze der Alten zu ändern: „Weil,“ sagte er, „die Gesetze Herren der Menschen sein müssen und nicht die Menschen Herren der Gesetze“.151
Das Streitgespräch in Mk 2,27–28 stellt die gleiche Alternative mit Hilfe der gleichen Semantik (j¼qior + Genitiv) dar, aber der Menschensohn ist j¼qior des Sabbats. Es dürfte sich in Mk 2,17 nicht um ein ursprüngliches Jesuslogion handeln. Dafür sprechen nicht nur die häufigen parallelen Anwendungen des Motivs bei den griechischen Autoren, sondern vor allem die Tatsache, dass das Motiv des Arztes kein wirksames Argument gegen den Vorwurf der Unreinheit durch den Kontakt mit Sündern und Zöllnern sein kann. Für andere Logien kann man eher eine gewisse Echtheit annehmen, wie z. B. für dasjenige der Antwort Jesu auf die Frage nach dem Zensus an den Kaiser in Mk 12,17. Bei anderen Perikopen ist die Situation der Rahmenszene eher auf eine echte Auseinandersetzung zurückzuführen, wie z. B. beim Vorwurf gegen Jesus, er esse und trinke mit Zöllnern und Sündern. Dieser wird auch in der Logienquelle dokumentiert (Mt 11,19/Lk 7,34). Auch in anderen Perikopen ist der Vorwurf echt, aber er betrifft eine andere Situation. Z.B. geht der Vorwurf der Blasphemie in Mk 2,7 höchstwahrscheinlich nicht auf eine Konfliktszene zurück, sondern vielmehr auf die Anklage im Prozess gegen Jesus; der Vorwurf wurde dann redaktionell in eine Konfliktszene am Anfang des Evangeliums vorgezogen. In diesem komplexen Verhältnis zwischen Konfliktszenen und Aussprüchen Jesu, bei dem im Grunde keine prinzipielle Priorität für einen Bildungsprozess der einen oder des anderen behauptet werden kann, gewinnt die literarische Form an zentraler Bedeutung. Die Form des Apophthegmas wird zum eigentlichen Zweck der Verfassung dieser Perikopen. Um der Form willen werden echte Situationen mit Aussprüchen kombiniert, die nicht authentisch sind, und echte Vorwürfe in neue Zusammenhänge verschoben. Die 150 D.L. 2,70. 151 Plut. apoph. lac. 230 f.
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zentrale Bedeutung der literarischen Form des Apophthegmas (oder gar der Chrie) hervorzuheben heißt nicht notwendigerweise, die Bedeutung der Jesus-Tradition zu mindern oder sogar in Frage zu stellen. Eine solche radikal synchrone Betrachtung der Streitgespräche wäre sicherlich unberechtigt. Die literarische Form, die aus verschiedenen Traditionen bestehen kann, zwingt aber dazu, die Eigenleistung eines Autors wahrzunehmen. Es liegt darüber hinaus nahe anzunehmen, dass die Form des Apophthegmas sehr gezielt vom Evangelisten Markus eingeführt wurde, um die Streitgespräche als kleine Einheiten innerhalb eines biographischen Werkes zu gestalten. Bei den Streitgesprächen handelt es sich um eine besondere Form von Apophthegmen, die den Streit zwischen Jesus und seinen religiösen Gegnern repräsentieren soll. Sie sind keine spontane Schöpfung der Gemeinde, sondern Teil der literarischen Darstellung des Markus. Diese Auffassung einer literarischen Darstellung der Figur Jesu wird in der Untersuchung von Henderson über die gnomische Tradition bestätigt. Henderson betont in Reaktion auf die rhetorische Forschung der neuen Formgeschichte zu den Chrien die Bedeutung der Gnomen in der Entwicklung der Jesus-Tradition. Nach Henderson ist gerade der historische Jesus durch die Anwendung von Gnomen und Gleichnissen charakterisiert. Das setzt einen anderen Akzent als das formgeschichtliche SBL-Forschungsprojekt, durch das sich ein methodischer Konsens gebildet hat, die Streitgespräche aus der Perspektive der rhetorischen Anwendung der Chrien im Unterricht zu untersuchen. Eine Ausnahme macht nur J.D. Crossan,152 der die dialektischen Gnomen von den aphoristischen unterscheidet. Henderson vertieft gerade diesen Aspekt. Die Chrien sind eine besondere Gattung, die sich erst in der späteren Jesus-Tradition entwickelt und die Jesus in der dritten Person darstellt. Jesus selbst hat nach Henderson ausschließlich Gnomen und Gleichnisse in seiner Verkündigung benutzt.153 Die Gnomen waren ein wirksamer Bestandteil der Predigt Jesu, die vielleicht in Debatten und als Vorlage für längere Reden verwendet wurden. Diese Anwendung von Gnomen verlieh Jesu Verkündigung eine besondere Färbung, die die römische Rhetorik als „asiatisch“ bezeichnen würde.154 Jesus konnte durch seinen eindrucksvollen Stil und seine Inhalte eine neue Tradition begründen, ohne eine Schule zu gründen.155 152 Interessant in dieser Hinsicht ist die Position von Crossan im Aufsatz, Kingdom and Children: A Study in the Aphoristic Tradition. Er will das in der Formgeschichte mit unbestimmter Bedeutung benutzte Wort „Logion“ (saying) präziser auffassen und die mitgemeinten Elemente erklären: „parabolic, aphoristic and dialectic tradition“ (S. 76). 153 I.H. Henderson, Jesus, Rhetoric and Law, 31: „Gnomai are the only saying-type which was not only authentically used by Jesus, but also was likely to have been used by Jesus in the whole of whatever range of rhetorical situations he addressed“. 154 I.H. Henderson, Jesus, Rhetoric and Law, 70, definiert den hermeneutischen Schlüssel für die öffentliche Rede Jesu wie folgt: „its Asiaticism is elliptical, vehement intensity (deinotes), is pre-christological immersion of logos in ethos and pathos“. 155 I.H. Henderson, Jesus, Rhetoric and Law, 69: „Jesus’ speech was influential enough to inspire a tradition and to some extent a literature, yet without founding a school“.
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Henderson betont, dass die Rhetorik im Gegensatz zu den neuen Studien der neuen Formgeschichte nicht nur die Chrien betrifft, sondern auch die Anwendung der Gnomen. Die ersten Christen blieben deshalb der gnomischen Tradition Jesu verbunden.156 Diese These von Henderson verstärkt die Hypothese, die in dieser Untersuchung von mir vertreten wird: Die Anwendung einer besonderen Form wie die der Apophthegmen (oder Chrien) kann als eine bewusste literarische Neuerung in der Gestaltung der Jesus-Überlieferung betrachtet werden. Auch wenn Markus nicht unbedingt der erste christliche Schriftsteller ist, der Apophthegmen zur Zeichnung seines Jesusbildes verwendet (dazu kann man nur Vermutungen anstellen), ist er doch sicherlich derjenige, der sie sich in seinem Werk am besten zu Nutze macht. Für seine literarische Darstellung der Person Jesu sind sie unerlässlich. Die Streitgespräche sind außerdem eine besondere Form von Apophthegmen, welche die ohnehin schon zu den Apophthegmen gehörende Spannung mit einer theologischen und religiösen Kontroverse zwischen Jesus und den typisierten Gruppen der Pharisäern und Schriftgelehrten verbinden. Die apophthegmatische Form kann immer wieder die Spannung mit den genannten religiösen Gruppierungen zur Sprache bringen und gleichzeitig die souveräne und distanzierte Position Jesu darstellen, der sich nie unbeherrscht aggressiv in die Konflikte stürzt. Im Markusevangelium spricht Jesus einerseits wie ein Lehrer, besitzt aber andererseits als der Menschensohn eine ,Autorität‘, welche die von David und Moses übertrifft. Diese Beispiele erhellen m. E. die Absicht, die Person Jesu nach einem bestimmten Muster des hellenistischen Philosophen darzustellen und gleichzeitig seine Originalität zu betonen.
5. Die Texte der Untersuchung Die literarisch-formalen Elemente, die in diesem Kapitel analysiert wurden, sollen hier nur vorläufig zusammengefasst werden, um dann auf die Textanalyse angewandt und verifiziert zu werden. Die Streitgespräche gehören zu den aphoristischen Gattungen, weil sie um einen Ausspruch Jesu als Höhepunkt zentriert sind. Obwohl in diesen Texten kleine Szenen dargestellt werden, kann man nicht von Erzählstoff sprechen, weil der Rahmen, die Situation, der Ort und die beteiligten Personen dabei 156 I.H. Henderson, Jesus, Rhetoric and Law, 42: „Chreia and its argumentative and narrative elaborations are a good model for the formation of gospel’s deliberative rhetoric. By the same token, however, they are inadequate for assessing Jesus’ rhetorical influence, since Jesus’ own style was gnomic and parabolic, not on the whole chriic – this is true, too, of actual public speaking in Christian milieus, so far as we know anything about it all“. Ein besonderes Problem ist die spärliche Anwendung der Gnomen Jesu durch Paulus. Henderson erklärt es aufgrund des unterschiedlichen rhetorischen Ansatzes des Paulus, der wenig mit Sentenzen arbeitet.
Die Texte der Untersuchung
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sehr stilisiert sind. Jesus ist die einzige Person, die die Szene beherrscht. Die anderen Beteiligten bleiben anonym oder werden unter typisierte Gruppierungen des damaligen Judentums (Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrte) bzw. unter einer anderen, z. B. politischen Gruppe (Herodianer) subsumiert. Trotz der Stilisierung und der Unschärfe kann man bei Markus eine gewisse Differenzierung der verschiedenen Gruppen und ihrer religiösen Instanzen erkennen, was im Grunde als einzige konkrete historische Information – besonders bei den politischen Gruppierungen – in den Streitgesprächen übrig bleibt. Die Szenen sind keine eigentlichen Dialoge oder Wortwettkämpfe, da die Meinung der Gegner nicht spezifisch zum Ausdruck kommt. In wenigen Fällen (wie z. B. in der Debatte über die Reinheit, Mk 7,1–23, oder über die Auferstehung, Mk 12,18–27) wird die Position der Gegner Jesu kurz erklärt oder in der Frage erläutert. In den meisten Fällen wird sie nicht erörtert, sondern stillschweigend vorausgesetzt. Die Gegner haben in keinem Fall die Möglichkeit zu einer Replik, die ihre Thesen in präzisierter Form zum Ausdruck bringen würde. Die grundlegende literarische Form, die in verschiedenen Variationen begegnet, ist die des Apophthegmas. Die Besonderheit dieser kurzen Gattung besteht in der Art, wie die Antwort gegeben wird. Sie ist indirekt, erklärt die Sachverhalte nicht, und sie ist oft effektvoll überraschend. In dieser Hinsicht ist das Apophthegma denkbar ungeeignet, um ein Streitthema gründlich zu behandeln, wie man es in einer polemischen Auseinandersetzung eigentlich erwarten würde. Es vermittelt lediglich einige Eindrücke und zeichnet einen Entwurf, der mehr die sprechende Person als das Thema selbst charakterisiert. Die Apophthegmen sind jedoch ein wichtiges Mittel, um die Sentenzen Jesu in Szene zu setzen. Die markinischen Streitgespräche sind daher eine besondere Spielart der Apophthegmen, weil bei ihnen eine Frage von einer feindlich gesinnten Person gestellt wird. Es handelt sich meistens um Fragen, die Jesus in eine Falle locken wollen. Aus der Entscheidung die Streitgespräche als eine Spielart der Apophthegmen zu verstehen, geht die Auswahl der Texte hervor, die in dieser Untersuchung analysiert werden: Es sollen die Streitgespräche in den zwei Hauptteilen des Markusevangeliums untersucht werden, nämlich die sogenannten „Galiläischen Streitgespräche“ am Anfang des Evangeliums in Mk 2,1–3,6 und die „Jerusalemer Streitgespräche“ in Mk 11,27–33; 12,13–37157 zu Beginn der Passionsgeschichte, unmittelbar nach dem Einzug in Jerusalem. Der Streit wird in der Regel von den Pharisäern und Schriftgelehrten provoziert, wobei die Pharisäer in der Passionsgeschichte nicht mehr begegnen. Sie werfen in feindseliger Absicht Fragen auf oder erheben Einwände, oder sie versuchen gar in einer listigen Art Jesus eine Falle zu stellen. Ein wichtiges 157 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche. Ein Beitrag zur Formgeschichte des Urchristentums, Berlin 1921, 16–17, schließt in die Sammlung auch 11,15–17 ein, die Erzählung über die Tempelreinigung Jesu.
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Element fällt bei den markinischen Streitgesprächen auf. Es geht dabei nicht nur um einen Streit zwischen Lehrern unterschiedlicher Auffassung. Jeder Leser weiß seit Mk 3,6, dass die Geschichte Jesu zu einem tragischen Ende führt und dass die Pharisäer, so wie Markus sie typologisierend zeichnet – mindestens im ersten Teil des Evangeliums – dabei eine entscheidende Rolle spielen. Es ist somit kein Zufall, dass schon im ersten Streitgespräch, in Mk 2,7, die Anklage der religiösen Autoritäten, nämlich die Bezichtigung der Blasphemie, klar zum Ausdruck kommt. In Mk 14,64 wird dies der Hauptanklagepunkt gegen Jesus sein, und deswegen wird für ihn die Todesstrafe eingefordert (mit allen ungeahnten, furchtbaren Konsequenzen der Wirkungsgeschichte). Am Ende der ersten Sammlung der Streitgespräche wird der Zusammenhang mit dem Tod am Kreuz noch klarer durch die redaktionelle Bemerkung in Mk 3,6: „Und nachdem die Pharisäer hinausgegangen waren, machten sie sofort mit den Herodianern einen Plan gegen ihn, um ihn zu töten“.158 Die erste Sammlung der Streitgespräche behandelt das Verhältnis Jesu zu einigen Prinzipien der jüdischen Religion, wie dem Umgang mit der Sünde und den Sündern, dem Umgang mit dem Fasten und dem Sabbat. Auch im heidnischen Bereich war die Strenge der jüdischen mºloi bekannt. Diese erste Gruppe von Streitgesprächen steht unter dem Vorwurf in Mk 2,7, Jesus sei ein Blasphemiker. Die Streitgespräche haben die Funktion, das Gegenteil zu erweisen. Die zweite Gruppe, die Jerusalemer Streitgespräche, behandeln das allgemeine Thema der 1nous¸a Jesu. Die Hauptfrage in dieser Gruppe ist die Natur der Autorität Jesu in einem politischen und religiösen Zusammenhang. Mit den Streitgesprächen will der Verfasser des Markusevangeliums beweisen, dass Jesus keine politische Autorität für sich beanspruchte, die die römische Macht in Frage gestellt hätte. Durch seine dialektische Fähigkeit lässt er sich nicht in die Falle der Gegner locken, die ihn entweder als einen Kollaborateur der Römer oder als einen messianischen Propheten denunzieren wollten. Zwischen diesen beiden Haupteinheiten begegnen weitere Dispute in Form von Streitgesprächen: der Beelzebul-Streit (Mk 3,22–30) und die Forderung nach einem Zeichens (Mk 8,11–13). Dabei steht Jesus unter dem Verdacht, mit Hilfe des Teufels zu wirken und ein Zauberer zu sein. Die Debatte über das Händewaschen und die Reinheit (Mk 7,1–23) setzt die Diskussion in Mk 2–3 fort. Mk 10,2–9 enthält auch ein Streitgespräch mit den religiösen Autoritäten über die Ehescheidung. Es gipfelt in einer markanten Antwort Jesu, aber die Pointe ist hier wie in Mk 10,17–31 eigentlich eine Unterweisung der Jünger.
158 ja· 1nekhºmter oR Vaqisa?oi eqh»r let± t_m gGq\diam_m sulbo¼kiom 1d¸doum jatû aqtoO fpyr aqt¹m !pok´sysim.
III. Polemik als Kontext der Streitgespräche 1. Einleitung Die synoptischen Streitgespräche stehen unabhängig davon, ob man sie als Dokumente historischer Auseinandersetzungen Jesu oder als Niederschlag von Gemeindiskussionen ansieht, in einem Kontext religiöser und politischer Polemik.1 Die Frage, welche Konsequenzen die polemischen Elemente in den synoptischen Texten für ihre Auslegung haben, wurde bisher nur unzureichend behandelt. Man hat zwar erkannt, dass die Debatten mit den Pharisäern eine Kontroverse beinhalten, aber deren Gegenstand und ihre formale und literarische Darstellung an und für sich wurden nicht thematisiert. Methodisch gesehen bedarf es deshalb einer genaueren Studie der polemischen Verfahren, um sie für die Exegese der neutestamentlichen Berichte fruchtbar zu machen. Die antike Sicht auf die polemischen Stilmittel ist dabei ein wichtiger Gesichtspunkt dieser Untersuchung. Dieser Blick soll dazu beitragen, die vorherrschende vermeintliche Alternative zwischen einem historischen und einem traditionellen Verständnis der Streitgespräche zu überwinden. Die Forschung hat bisher bei der Analyse der Streitgespräche stets ein plausibles Subjekt der Polemik gesucht, Jesus oder die christliche Gemeinde, und dazu ein Thema, das für dieses oder jenes Subjekt polemiktauglich war. Die schon diskutierte Frage nach der literarischen Form der Streitgespräche, die den apophthegmatischen Kurztexten zugeordnet werden kann, zeigt, dass die Texte gerade aufgrund ihrer Kürze grundsätzlich keine typisch polemischen Texte sind. Sie wollen lediglich eine polemische Situation skizzieren, in der sich Jesus befand, um vor allem die Antwort Jesu in den Mittelpunkt zu stellen. In diesem Teil meiner Studie werden deshalb das allgemeine Phänomen der Polemik und die Situierung der Streitgespräche in einem polemischen Kontext beschrieben.
1 Vgl. E. Kamlah, Art. Apologetik und Polemik im NT, RGG3 I, 477. Streitgespräche werden als verbale Angriffe einer Gegnerschaft auf Jesus definiert. Nach Kamlah greift Jesus in Mk 12,35–37 seine Gegner auch seinerseits an. Selbst die Gleichnisse haben nach seiner Meinung eine polemische Zuspitzung, die besonders in Mk 12,1–13 zur Sprache kommt.
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2. Definition von Polemik Die Definition von Polemik ist eine notwendige Aufgabe dieses Kapitels, um die eventuellen polemischen Implikationen der Streitgespräche verstehen zu können. Bei der Definition dieses Begriffs müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, die die Aufgabe der Abgrenzung gleichzeitig erschweren. Zunächst muss der Ursprung des Begriffs Polemik geklärt werden, sodann sein Verständnis in der Moderne, sowie seine Entwicklung bis zum heutigen Sprachgebrauch. Außerdem gilt es die verschiedenen Definitionen von Polemik in der Sprach- und Literaturwissenschaft zu referieren und kritisch zu analysieren. Und schließlich soll diese aktuelle begriffsgeschichtliche Orientierung mit der Antike in Zusammenhang gebracht werden. In der Antike fehlt jedoch ein Begriff für Polemik, es ist daher schwer zu bestimmen, auf welche antiken Formen oder Sprechakte unser heutiger Begriff angewendet werden kann. Dazu bedarf es einer Untersuchung der Sprachphilosophie und des Sprachgebrauchs in der Antike. Die Berücksichtigung der drei Bereiche soll hier die Basis für die Situierung der Streitgespräche in einem, nach heutiger Sprachregelung, „polemischen“ Zusammenhang bilden. 2.1 Ursprung und Entwicklung des Begriffs „Polemik“ Unser Begriff „Polemik“ ist neuzeitlich geprägt. Er wird zum ersten Mal im 17. Jh. verwendet, um die Auseinandersetzungen der christlichen Konfessionen untereinander zu bezeichnen. Der erste Autor, der das Substantiv benutzte, war der französisch-hugenottische Humanist Agrippe d’Aubign , der von polemicque sprach.2 Das Wort wurde dann im Lateinischen als theologia polemica gebräuchlich und verbreitete sich von daher in den anderen europäischen Sprachen. Der Begriff hatte den Vorteil, eine sehr klare Etymologie zu haben, die sich vom griechischen pºkelor ableitet. Er konnte die begriffliche Lücke schließen, indem er die konfessionelle Auseinandersetzung nach der Reformation bezeichnete. Im Griechischen beschreibt der Ausdruck pokelijµ t´wmg dem gegenüber eigentlich nur die „Kunst des Krieges“, nicht aber eine verbale Auseinandersetzung zwischen Gelehrten.3 2 W. Dieckmann, Streiten über das Streiten, 10. Das Adjektiv „pol mique“ ist aber in der französischen Literatur bereits am Ende des 16. Jh.s belegbar. Nach C. Kerbrat-Orecchioni, La polmique et ses d finitions, 4, ist der erste Beleg 1578 im Ausdruck „chanson pol mique“ und später 1584 im Vorwort der „Tragique“ von d’Aubign zu finden. Der Begriff wurde zum ersten Mal 1718 als Lemma im Dictionnaire de l’Acad mie franÅaise erwähnt. 3 H. Stauffer, Art. Polemik, 1404: „Erst in der Neuzeit abgeleitet vom griechischen pºkelor (polemos, Krieg, Kampf) pokelijºr (polemikos, kriegerisch, den Krieg betreffend) bzw. pokelijµ t´wmg (polemike techne, Kriegskunst), findet sich der Begriff P. im übertragenen Verständnis
Definition von Polemik
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Das Wort „Polemik“(lat. polemica) verdrängte die bis dahin gängige Bezeichnung „Kontroverse“ (controversia) und wurde sogar zu einer Disziplin der Theologie, die die wissenschaftliche Abgrenzung gegenüber den anderen christlichen Konfessionen behandelte.4 Der Begriff Polemik wurde allerdings überwiegend von protestantischen Autoren verwendet5, wohingegen die katholischen Theologen weiterhin das Wort Kontroverse benutzten.6 Auch wenn der Begriff Polemik nicht explizit benutzt wird, kommt doch die Kriegsmetaphorik sehr klar zum Ausdruck, wie es z. B. im Werk von John Arrowsmith deutlich wird.7
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weder in der griechischen noch in der römischen Antike.“ Ein Beispiel für den Gebrauch des Verbs pokele?m, der in etwa „polemisieren“ bedeutet, ist bei Lukian zu finden, dem 48. Lukian will damit ausdrücken, dass Demonax gegen die Scheinphilosophen kämpfte. l²kista d³ 1pok´lei to?r oR pq¹r !k¶heiam !kk± pq¹r 1p¸deinim vikosovoOsim. Das darauf folgende Apophthegma, in dem Demonax einen kynischen Philosophen, der einen Knüppel (vpeqor) anstelle eines Stockes trug, mit „Lüge nicht, du bist nämlich ein Schüler des Hypereides“ anspricht, ist ein Wortspiel mit dem Substantiv vpeqor. Cf. S. Zweimüller, Lukians „rhetorum praeceptor“, 115. Im Artikel „Polemik“ des Brockhaus-Lexikons (1809) Bd. 3, ist Polemik als „Streittheologie“ definiert, und zwar, als „die Wissenschaft, welche sich mit den Meinungen der verschiedenen Religionen, und der Art und Weise sie zu widerlegen, beschäftigt.“ (S. 460). Es handelt sich hierbei um eine rein statistische Feststellung aufgrund einer Untersuchung der Werke über die konfessionellen Kontroversen. Interessant ist allerdings in dieser Hinsicht die Meinung von F. Schlegel, der die polemische Leistung Lessings als ein besonderes Charakteristikum des Protestantismus ansieht. Polemik ist nach Schlegel „allen Protestanten, oder allen Bekämpfern des Irrthums wesentlich“. Der wahre Protestant wird auch „gegen den Protestantismus selbst protestieren.“ „So lange nur irgend etwas bloss Negatives und Endliches vorhanden, so lange noch nicht jede Hülle verklärt und von Geist durchdrungen und das Wort Gottes allgegenwärtig geworden, so lange nur noch die Möglichkeit eines todten und dürren Buchstabens vorhanden ist, so lange existiert auch noch das böse Prinzip, gegen welches ohne Unterlaß und ohne Schonung zu kämpfen der hohe Beruf der Polemik ist. Ist dieses besiegt, dann mag es ihr letztes Geschäft seyn, sich selbst zu vernichten.“ Zitat aus Lazarowicz, Verkehrte Welt. Vorstudien zu einer Geschichte der deutschen Satire, 40–41. Eine gesamte Darstellung der konfessionellen Kontroversliteratur ist wegen der zahlreichen Beispiele kaum möglich. Ein wichtiger Bericht über Werke der lutherischen, reformierten und katholischen Polemik findet sich bei P. Tschackert, Art. Polemik, RE 15 (1904) 508–513. Tactica sacra sive de militi spirituali pugnante, vincente & trimphante dissertatio, tribus libris comprehensa per John Arrowsmith, Amsterdam 1700. Die These des Autors ist, dass die christliche Religion eine militia spiritualis ist, die eine Taktik benötigt, „quae ad instruendarum acierum scientiam pertinebat“ (S. 1). Die Bezeichnung Taktik ist eine noch präzisere Bezeichnung für die Durchführung des konfessionellen Krieges. Eine spätere systematische Darstellung der Disziplin ist das Werk von Johannes Friedrich Stapfer, Institutiones theologiae polemicae universae, ordine scientifico dispositae, Bd 1–2, Zürich 1752. Im Vorwort versteht Stapfer die Disziplin als eine notwendige Lehre, die die munimenta der Irrlehren (Atheismus, Epikureismus, Ethizismus, Naturalismus und Deismus) angreifen muss, um sie zu zerstören. Eine einfache Mahnung, diese Lehren zu vermeiden, reicht für den Autor nicht aus. Es ist interessant, dass in dieser Definition die konfessionelle Vorstellung der Polemik gar nicht zu Sprache kommt. Ein weiteres Element in der theoretischen Überlegung über die Polemik als theologische Disziplin ist ihre Sachlichkeit, die die Streitsucht vermeidet. Samuel Werefels, De logomachiis eruditorum, in: ders., Opuscola theologica, philosophica et philologica, Lausanne/Geneve 1729, 1–152, unterscheidet das polemische Verfahren von der Logomachia, aufgrund von 1Tim 6,4. Diese Stelle
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Die Theologie ist die Disziplin, in der die Polemik eine breite Anwendung findet. In seiner Darstellung des Theologiestudiums8 schrieb F.D. Schleiermacher der Polemik die Funktion zu, die Theologie nach innen hin abzugrenzen. Schleiermacher definiert die Theologie als eine „positive Wissenschaft“9, die aus einer Mehrzahl von Fachgebieten besteht und unterschiedliche Kompetenzen erfordert. Wegen der verschiedenen Gebiete der Theologie kann laut Schleiermacher ein einziger Mensch die theologische Wissenschaft nicht vollständig beherrschen. Schleiermacher teilt die Theologie daher in drei Gebiete auf: die philosophische Theologie, die historische Theologie und die praktische Theologie. Außer der Komplexität kommt der Theologie als positiver Wissenschaft ein weiteres Merkmal zu, nämlich ihre Abhängigkeit von einer „Kirchenleitung“10. Die Theologie ist eine praxisbezogene Wissenschaft, die nach den Bedürfnissen der Kirche formuliert werden muss. In Schleiermachers Darstellung der Theologie spielt Polemik im Rahmen der philosophischen Theologie eine Rolle. Die philosophische Theologie hat die Aufgabe, die christlichen Religion zu verteidigen und das Wesen des Christentums durch zwei komplementäre Disziplinen zu bestimmen: die Apologetik und die Polemik. Polemik und Apologetik unterscheiden sich nur aufgrund ihrer „Richtung“: So wie die Apologetik ihre Richtung ganz nach außen nimmt, so die Polemik die ihrige durchaus nach innen.11
Polemik hat die Aufgabe, einige Missstände des kirchlichen Organismus zu bekämpfen, die die ganze Kirche anzustecken drohen. Schleiermacher nennt vier Beispiele: Den Indifferentismus, d. h. die Gleichgültigkeit gegenüber der christlichen Frömmigkeit, den Separatismus, Häresie und Schisma. Die Apologetik hat die Aufgabe, das Christentum nach außen gegen Atheismus
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definiert Disput (f¶tgsir) und Wortgefecht (kocolaw¸a) als Krankheiten für die Kirchen, die Uneinigkeit verursachen. F.D. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1830), (Hg. von D. Schmid), Berlin/New York 2002. Nach M. Rössler, Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie, SchlA 14, Berlin/New York 1994, 7–10, sollte das Werk Schleiermachers eine kleine Enzyklopädie sein, um in das Studium einzuführen. M. Rössler, Schleiermachers Programm, 47–48. Positive Wissenschaften sind Medizin, Jurisprudenz und Theologie. Schleiermacher erklärt in vier Punkten, was mit positiver Wissenschaft gemeint ist: 1) Zweckgebundenheit (für die Theologie Erhaltung des christlichen Glaubens), 2) methodische und sachliche Vielfalt, 3) Praxisbezug (Gesundheit, Recht, Religion); 4) geschichtliche Bedingtheit. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung, 141, schreibt in einer Anmerkung in der zweiten Auflage: „Der Ausdruck Kirchenleitung ist hier im weitesten Sinne zu nehmen, ohne dass an irgend eine bestimmte Form zu denken wäre“. Nach Schleiermacher ist die Kirchenleitung von einer theologischen und einer klerikalen Tätigkeit gekennzeichnet, die im Grunde die Differenz zwischen Denken und Handeln ausmacht. Vgl. M. Rössler, Schleiermachers Programm, 58–59. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung, 155.
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und andere Religionen zu verteidigen. Schleiermacher stellt eine allgemeine Regel auf, die dann auch Konsequenzen für die Definition der Polemik hat: Wenn das dem Wesen des Christentums Zuwiderlaufende auch außer der Erscheinung desselben gesetzt wird: so ist es kein Gegenstand der Polemik. Gegen den Atheismus oder gegen einen antireligiösen Verein gibt es keine Polemik.12
Durch diese Definition Schleiermachers gewinnt Polemik eine besondere Konnotation. Polemik betrifft nicht mehr nur die Auseinandersetzung des Protestantismus mit dem Katholizismus. Wenn man den Katholizismus als eine Form der christlichen Religion betrachtet, kann man gegen ihn nicht polemisch argumentieren, weil laut Schleiermacher nur das als Polemik gilt, was antichristliche Positionen bekämpft. Wenn man allerdings von der Voraussetzung ausgeht, dass der Katholizismus eine externe, bedrohliche Erscheinung ist, dann ist nicht die Polemik, sondern die Apologetik zuständig. Sie ist nämlich die Disziplin, die sich gegen externe Gruppen richtet.13 So kann man nach Schleiermachers Auffassung etwa bei den Reformatoren von Polemik gegen die katholische Kirche sprechen, „weil die Reformatoren noch in derselben Kirche mit den Katholiken waren“.14 Rössler versucht, aus der Logik Schleiermachers die Ablehnung einer protestantischen Polemik gegen den Katholizismus und einer christlichen Polemik gegen Nichtchristen abzuleiten. In beiden Fällen ist Polemik unangemessen, wenn man die Ziele berücksichtigt, die man damit erreichen würde: Entweder eine Bekehrung dieser Gegner, die aber auf dem Missverständnis einer Andemostrierbarkeit (sic!) des Christentums beruht und deswegen kein sinnvolles Ziel sein kann. Oder eine Vermeidung ihres schädlichen Einflusses auf die Kirchenglieder (Th Enz 45,33) durch den Nachweis der Rechtmäßigkeit des Christentums, dies wäre aber bereits eine apologetische Leistung.15
Diese Definition der Polemik, die als Synonym für Apologetik benutzt wird, und die nur die internen Missstände des Christentums zu lösen beabsichtigt, bleibt eine spezielle Auffassung Schleiermachers. Sie setzt sich weder in der Theologie noch im wissenschaftlichen Gebrauch durch. Neben dem „Kirchenvater“ des 19. Jahrhunderts soll nun die Hauptfigur der Aufklärung und deren Betrachtungen der Polemik zu Wort kommen. Kant gab dem Begriff Polemik durch seine Erwähnung in der Kritik der reinen Vernunft eine philosophische Relevanz. Er sprach von einem polemischen Gebrauch der reinen Vernunft:
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F. Schleiermacher, Kurze Darstellung, 76. M. Rössler, Schleiermachers Programm, 131. F. Schleiermacher, Theologische Enzyklopädie, 47,9 f. M. Rössler, Schleiermachers Programm, 121.
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Unter dem polemischen Gebrauche der reinen Vernunft verstehe ich nun die Verteidigung ihrer Sätze gegen die dogmatischen Verneinungen derselben.16
Kants Sätze der reinen Vernunft betreffen eigentlich Gottes Existenz und die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit, und als solche betreffen sie nicht die Vernunft an sich. In dieser Textstelle bezeichnet Kant Polemik als die Neigung der Vernunft zum Verteidigungskampf, sie steht wie bei Schleiermacher der Apologetik sehr nahe. Mit dem Nachlassen der konfessionellen Streitigkeiten wurde auch Polemik als theologische Disziplin beiseitegelegt und vollständig durch die alte Disziplin der Apologetik oder durch eine neue Form der komparativen Untersuchung der christlichen Konfessionen, die „Symbolik“, ersetzt.17 Die Beschlüsse des ersten Vatikanischen Konzils über die päpstliche Unfehlbarkeit (1870) verursachte eine Reaktion des Protestantismus, die zu einer neuen Blüte der Polemik in der protestantischen Theologie führte. In dieser Wiederbelebung der konfessionellen Kontroverse kann man die Polemik von Paul Tschackert von 1885 situieren.18 Der Begriff Polemik wird in diesem Buch mit der doppelten Bedeutung von theologischer Disziplin und von Handbuch für die kritische Auseinandersetzung mit der katholischen Lehre verstanden. Tschackert beschreibt den polemischen Kampf gegen den Katholizismus als einen Verteidigungskampf. Das Ziel der katholischen Kirche sei es, die Welt zu unterwerfen und den Protestantismus zu beseitigen: Darum gilt es einen Verteidigungskampf um unsere Existenz, einen Kampf um evangelischen Glauben und evangelische Sittlichkeit, um die freie Wissenschaft, um die moderne Bildung und um den nationalen Staat.19 16 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 630. (A 739; B 767). 17 Die Entwicklung der konfessionellen Polemik zur Symbolik wird von J. Kunze, Symbolik, Konfessions- und Sektenkunde, Leipzig 1922, 10–13, beschrieben. Die Aufgabe der konfessionellen Polemik war es, die eigene Konfession durch die Bestreitung der anderen darzustellen. Der Name Symbolik (theologia symbolica) wurde zuerst von den lutherischen Theologen verwendet, um den Inhalt der symbolischen Bücher zu erklären, die die lutherische Kirche als Basis für ihre Lehre im Konkordienbuch festgelegt hatte. Das erste Werk war B. von Sandens „theologia symbolica lutherana hoc est ecclesiae lutherano-catholicae libri in ordinem et compendium redacti“ 1688. Die erste Symbolik im modernen Sinne wurde 1796 in Göttingen von Gottlieb J. Planck verfasst. Allerdings wählte Kunze statt einer komparativen Symbolik, in der alle Konfessionen verglichen werden, eine Symbolik, die auf dem Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus basiert (Vgl. S. 13). Die Polemik erlebt im Protestantismus eine gewisse Renaissance durch die Werke von K. von Hase, Handbuch der protestantischen Polemik gegen die römisch-katholischen Kirche, 71900; Schulze, Der römische Katholizismus (evangelische Polemik), 1899. 18 P. Tschackert, Evangelische Polemik gegen die römische Kirche, Gotha 21888. Die Vorstellung der Polemik ist der offene Kampf mit der römisch-katholischen Kirche. Dieses programmatische Vorhaben findet sich im Vorwort der ersten Auflage: „Dieses Buch dient dem Kampfe des evangelischen Glaubens gegen die römische Kirche; es soll an seinem bescheidenen Teile in den Kreisen der gebildeten Evangelischen, der Theologen und der Nicht-Theologen, das protestantische Bewusstsein stärken helfen.“ 19 P. Tschackert, Evangelische Polemik, 2.
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Zu diesem Zweck plädiert Tschackert sogar für eine Koalition der lutherischen und der reformierten Kirche gegen den gemeinsamen Feind. Polemik ist ein Kampf um die Wahrheit und trotz der überwiegenden Kriegsmetaphorik (Kampf, Waffen, Feind, Unterwerfung der Welt) bezieht sie sich immer auf die Lehre und kennt keine personalisierte Anwendung.20 Eine gemeinsame Basis, auf der die römische und die evangelischen Kirchen übereinstimmen, wird aber von Tschackert nicht verschwiegen.21 Eine weitere neue Disziplin, die durch die ökumenische Bewegung entwickelt wurde, war die „Irenik“. Der Begriff „Irenik“ ist durch die Ableitung aus dem griechischen Antonym zu Polemik entstanden und hat damit die der Polemik entgegengesetzte Funktion. Eine „Friedenskunst“ (eQqgmijµ t´wmg) ist im Griechischen sonst nicht belegt. Anders als die Polemik will die Irenik nicht mit kämpferischen Mitteln zum Ziel kommen, sondern Frieden und Einheit befördern und jede aggressive Abgrenzung vermeiden. Die Fortschritte der ökumenischen Bewegung und die Erneuerung der katholischen Kirche im 2. Vatikanischen Konzil waren die entscheidenden Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Polemik als theologische Disziplin definitiv abgeschafft wurde.22
2.2 Sprach- und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zur Polemik Die Definition von „Polemik“ ist eine Aufgabe, die gegenwärtig besonders der Sprach- und Literaturwissenschaft zukommt. Die Theologie beschäftigt sich nicht mehr mit diesem Begriff und ist daher auf die Ergebnisse dieser Fach20 Auf Seite 2 wird der Papst „Vize-Gott“ genannt, das wird jedoch durch eine Anmerkung als Zitat von Innocenz III gerechtfertigt. 21 P. Tschackert, Evangelische Polemik, 10–13. Tschackert will aber eine konstruktive Form von Polemik führen und wünscht sich eine aufrichtige Achtung beider Kirchen: „so könnten wir noch heute in Frieden mit einander leben und im heiligen Wetteifer dienender Liebe uns gegenseitig zu übertreffen suchen“. (S. 12) Die Position der römischen Kirche ist aber immer von Verachtung und Hass gegen die Protestanten geleitet gewesen und das erklärt die Notwendigkeit des Kampfes, der immer loyal und rein wissenschaftlich-argumentativ sein muss: „Allein nur reine Waffen laßt uns in die Hand nehmen! Gottes Wort und die Geschichte der Kirche seien uns Schwert und Schild! Naturgemäß aber richtet sich der Kampf zuerst gegen die Burg, hinter der alles römische Denken sich verschanzt, gegen die römische Auffassung vom Wesen der Kirche und gegen ihre Dogmen.“ (S. 13). 22 Schon 1904 fragt sich Tschackert, Art. Polemik, RE, 508, ob die Theologie überhaupt die Polemik braucht, wenn keine Vorlesung über dieses Thema in den theologischen Fakultäten angeboten wird. Seine Antwort war natürlich positiv: „Indes wenn der ,Krieg‘ unvermeidlich ist, so wird auch ,Kriegswissenschaft‘ nicht zu umgehen sein, und es fragt sich nur, wie und wo sie dargeboten werden soll, ob als Spezialdisziplin oder innerhalb der dogmatischen, dogmengeschichtlichen, ethischen und praktischen Theologie.“ Diese Frage wird im Artikel nicht gelöst. Allerdings betont Tschackert (510), dass die Polemik ein Mittel zur Verständigung mit dem Gegner ist und im Endeffekt dem Frieden dient. „So soll sich die ehrlich gemeinte Polemik in echte Irenik verwandeln.“
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richtungen angewiesen, um die polemischen Verfahren im Laufe der Geschichte des Christentums zu untersuchen. Allerdings wird auch in der Literaturwissenschaft beklagt, dass dieses Thema zu wenig untersucht wurde.23 Sprach- und Literaturwissenschaft stellen sich zuerst die Frage, ob Polemik als eine selbständige Gattung zu verstehen ist oder ob sie einfach ein Stil und eine Art der Argumentation ist.24 Die Mehrheit der Autoren definiert Polemik als aggressive Art des Argumentierens25 und nicht als Gattung. In der theologischen Literatur ist Polemik allerdings, wie es im vorherigen Abschnitt deutlich wurde, eine spezielle Gattung gewesen. Ein weiteres Element der Polemik ist, zusammen mit der Aggression, ihre Unsachlichkeit. Das zeigt sich in der Tatsache, dass das polemische Verfahren nicht sachlich bleibt, sondern zur Personalisierung der Angriffe neigt. Dieses Zusammenwirken von sach-
23 Zwei Beispiele kann man nennen, Nicolas Wagner, La pol mique et le „code de la nature“ de Morelly (1754), in: G. Roellenbleck (Hg.) Le discours pol mique, tudes litt raires franÅaises 36, Tübingen/Paris 1985, 39: „Paradoxalement, les manuels de Litt rature ne font aucune place la cat gorie du pol mique; ce n’est jamais en tant que genre qu’un texte pol mique entre dans le corpus litt raire franÅais. Pour parler de mani re plus g n rale: la po tique du texte pol mique ne semble pas avoir d’existence.“ Das weitere Beispiel aus der deutschen Literatur ist Rolf Specht, Die Rhetorik in Lessings „Anti-Goeze“, 5–7: „Das Phänomen der Polemik erfuhr in der Germanistik bisher eine merkwürdig stiefmütterliche Behandlung“. Als Gründe für diesen Sachverhalt nennt Specht die praktische (und nicht ästhetische) Funktion der Polemik und vor allem die Tatsache, dass die Literaturwissenschaft das Gegenteil der Rhetorik sein wollte. Die Anti-Goeze-Reden von Lessing sind für Specht ein Beweis, dass polemische Schriften auch einen literarischen Anspruch haben können und nicht unbedingt unliterarisch sein müssen. 24 S.P. Scheichl, Art. Polemik, RLW, 117. Daher ist sie keine selbständige Gattung oder rhetorische Figur. 25 Die herkömmliche Verwendung des Begriffs reduziert „Polemik“ auf Aggression und Destruktion. Bei der polemischen Auseinandersetzung wird der Person in ihrer gesellschaftlichen Position und in ihrem Ansehen geschadet. Die Teilnahme an einer Polemik wird immer als unerwünscht angesehen. Dadurch ist „polemisch“ automatisch die Anwendung von Übertreibung, 1. „polemisch“ ist eine Auseinandersetzung also dann, wenn sie an sachlich angemessenen Reaktionen nicht interessiert ist. Zu ihren wichtigsten Mitteln zählen die Übertreibung, die Verdrehung, der permanente Wechsel der Strategien, der Argumente, der Stillagen oder die Beschimpfung ebenso wie ihr Gegenteil, die Lobrede, 2. personalisiert ›Polemik‹ den Gegner. Dieser wird oft explizit benannt oder direkt angesprochen, sodass 3. der Text einen dialogischen respektive szenischen Charakter erhält. Bei vielen modernen Lexika wird Polemik als unsachlich und als eine auf die Person gerichtete Auseinandersetzung definiert. Vgl. z. B. Art. Polemik, Brockhaus, Bd 17, 274: „allg. scharfer, oft persönl. Angriff ohne sachl. Argumente.“ Duden, das große Wörterbuch: „scharfer oft persönlicher Angriff ohne sachliche Argumente“. Im Gegenteil dazu betont das Grimms Wörterbuch die wissenschaftliche Beschäftigung stärker als die persönliche Aggression, vgl. Grimm Wörterbuch, Art. Polemik Bd. 13 Sp. 1977: „Wissenschaftliches Wortgefecht und die Kunst desselben (…) die Kriegskunst: dasz wir es gewesen sind, welche die Polemik zu einer Wissenschaft erhoben haben.“ Die Annäherung der Polemik mit der Invektive scheint daher eine Tendenz der neueren Literaturwissenschaft zu sein, die, wie wir sehen werden, aus einer Reduzierung von Polemik und Streit auf den Konflikt bedingt ist. Es lässt sich eine Bedeutungsverschiebung feststellen, die H. Stauffer, Art. Polemik, 1404, ab der Mitte des 19. Jh.s beobachtet. Polemik wird von dieser Zeit an bis in die Gegenwart negativ konnotiert und als persönlicher Angriff auf den Gegner gesehen, um ihm zu schaden.
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lichen und unsachlichen bzw. persönlichen Angriffen unterscheidet die Polemik von jeder Form der Kritik, die immer sachlich argumentiert. Polemik tritt in verschiedenen Bereichen des Wissens auf, z. B. in Philosophie, Literatur, Ethik, Religion, Politik. Aber auch im Alltag kann es eine „polemische“ Art des Sprechens geben, womit eine aggressive Form des Sprechens26 oder eine persönlich ausgerichtete Attacke bezeichnet werden kann. Gegenstand der Literaturwissenschaft ist es ferner, die Beziehungen der Polemik zu den verschiedenen literarischen Gattungen herauszuarbeiten. Wenn sie nicht als selbständige Gattung betrachtet wird, muss man bestimmen, in welche literarischen Genres die Polemik aufgenommen wird. Diese Frage kann in zwei Richtungen entwickelt werden. Zum einen kann Polemik als ein Oberbegriff betrachtet werden, der die verschiedenen Gattungen nach einer aggressiven Zuspitzung unterscheidet, nicht nur in Schmäh- und Streitschriften, sondern auch in Schriften, die eine verdeckte oder indirekte Aggression enthalten, wie etwa in der Satire. Nach dieser Auffassung stehen Aggression und Unsachlichkeit, die verschiedene Formen annehmen und direkt oder indirekt ausgeübt werden, im Mittelpunkt. Es fällt dann aber schwer, Polemik von der Beschimpfung zu unterscheiden. Diese Tendenz wird besonders durch das aktuelle Verständnis der Polemik im Alltagssprachgebrauch unterstützt, in dem Polemik immer als eine störende Form der Debatte angesehen wird. Die andere Richtung untersucht die formalen Merkmale, die die Polemik zu einer selbständigen Gattung machen. K. Lazarowicz ordnet Polemik unter die pragmatischen Gattungen ein: Die Polemik, so können wir jetzt sagen, hat in dem Bereich der pragmatischen Literatur ihren Platz zwischen dem Pasquill und der Kritik.27
Polemik wird hier als eine Gattung im Bedeutungsspektrum von Streitschrift verstanden. Sie nimmt eine Mittelposition zwischen zwei Extremen ein, der Kritik, die sachlich argumentiert, und der Schmähschrift oder dem Pasquill, die im Gegenteil unsachlich und beleidigend vorgehen. Es kommt Lazarowicz darauf an, einige Kriterien zu erarbeiten, um einen Polemiker von einem 26 Eine eindrucksvolle Definition von Polemik als destruktive Beschäftigung gibt W. Benjamin in „Die Technik des Kritikers in dreizehn Thesen“: Einbahnstraße, 51–52. Er bezieht die Polemik im eigentlichen Sinne auf die Funktion des Kritikers und im Grunde meint er damit den Verriss. Einige dieser Thesen (auf S. 52) lauten: „VIII. Die Nachwelt vergisst oder rühmt. Nur der Kritiker richtet im Angesicht des Autors. IX. Polemik heißt, ein Buch in wenigen seiner Sätze vernichten. Je weniger man es studierte, umso besser. Nur wer vernichten kann, kann kritisieren. X. Echte Polemik nimmt ein Buch sich so liebevoll vor, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet.“ 27 K. Lazarowicz, Verkehrte Welt. Vorstudien zu einer Geschichte der deutschen Satire, 181. Die genaue Erklärung von „Gattungen pragmatischer Literatur“ erfolgt am Ende des Buches (S. 317). Diese Gattungen sind mit der empirischen Welt verbunden und haben keine rein künstlerischen Zwecke.
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Pamphletisten, bzw. eine Streitschrift von einem Pasquill zu unterscheiden. Seiner Meinung nach nimmt die Polemik eine mittlere Position zwischen den beiden Extremen „Kritik“ und „Schmähschrift“ ein. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass es sich um ein Kontinuum handelt, innerhalb dessen die Polemik eine schwankende, instabile Position zwischen Sachlichkeit und Unsachlichkeit und zwischen Objektivität und Subjektivität der Auseinandersetzung einnimmt. Anders als Schlegel will Lazarowicz Polemik nicht idealisieren oder rehabilitieren. Ihrem Wesen nach hat Polemik das Ziel, Unrecht mit Unrecht zu vergelten, sowie Zweideutigkeit und Unwahrheit zu Hilfe zu rufen, um den Sieg der Wahrheit zu erreichen. Allerdings hat die Polemik immer religiöse, moralische und ideologische Intentionen, während das Pasquill von einer amoralischen „Zerstörungswut“ ausgeht. Der Unterschied zwischen Kritik und Polemik auf der einen und Satire auf der anderen Seite ist nach Lazarowicz ein qualitativer. Die Satire ist im Grunde Dichtung und gehört zur Fiktionalität. Der Kritiker mit seiner Sachlichkeit und der Polemiker mit seiner Emotionalität haben die Deutlichkeit als gemeinsames Ziel und verwenden kaum elaborierte sprachliche Mittel. Eine ähnliche Diskussion wie bei Lazarowicz kann man im französischen Sprachraum bei M. Murat finden. Er diskutiert in einem Aufsatz über Polemik und Literatur im Sammelband über Polemik eine weitergehende Dreiteilung von M. Augenot, nämlich Satire, Polemik und Pamphlet. Danach ist Polemik eine Art Mittelbegriff, ein „moyen terme“. Polemik bedient sich der Vernunft und unterscheidet sich dadurch von den zwei Extremen der aggressiven Diktion, welche Gewalt durch ein literarisches Mittel ausüben. Diese Dreiteilung ist für Murat nicht annehmbar, weil Pamphlete eine spezielle literarische Gattung des 19. Jh.s und nicht mit der Satire zu vergleichen sind, die eine zeitlich viel breitere Anwendung kennt. Für Murat ist daher eine andere Zuordnung plausibler, nämlich dass das Pamphlet und die Satire eher eine Literarisierung der Polemik (hier stricto sensu als „parole pol mique“) sind. Die Definition von Polemik ist daher „Ausübung von Gewalt in der praktischen Anwendung der Sprache“, die die literarische Form der Satire als Kodifizierung und die Form des Pamphlets als Kristallisierung annimmt.28 Im Vergleich zur Theorie von Lazarowicz differenziert die Muratsche These nicht die literaturwissenschaftliche Frage nach der Polemik als Gattung von der sprachwissenschaftlichen Frage nach der Polemik als Stilmittel. Polemik ist in der Moderne auch eine besondere Gattung und kann daher, wie Lazarowicz sagt, nicht mit der Satire verglichen werden, die eine poetische Gattung ist.
28 M. Murat, Pol mique, 13.
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2.3 Heuristik der Polemik Diese literaturwissenschaftlichen Beobachtungen führen zu einigen Definitionen der Polemik. Eine wichtige Betrachtung der Polemik wird von J. Stenzel in Form einer Heuristik formuliert.29 Stenzel definiert Polemik als eine „aggressive Rede“30 und ordnet sie als eine „praktische Gattung“ ein. Die Aggression im polemischen Verfahren impliziert nicht unbedingt das Sich-Offenbaren von Erregungszuständen, weil sie auch kaltblütig sein oder durch eine strukturierte Rede aufgefangen werden kann, was ihren verletzenden Charakter nicht mindert. Der Ausdruck „aggressive Rede“ braucht aufgrund seines allgemeinen Sachbezugs eine nähere Bestimmung. Kritik ist ebenfalls eine Form der Aggression, die aber immer sachlich bleibt. Polemik wird nach Stenzel gerade durch ihre Unsachlichkeit charakterisiert: „Polemik wäre also jene Rede, in welcher unsachlicher Stil dominiert“,31 so dass Polemik nicht klar von der Beschimpfung zu trennen ist. Der einzige Unterschied liegt in der Tatsache, dass Polemik immer argumentierend vorgeht, während Beschimpfung aus einer bloßen Aufreihung von Schimpfwörtern bestehen kann. Ein weiterer Vergleichspunkt für die Definition von Stenzel ist die Satire. Die Satire ist Ausdruck einer Kritik durch komische Darstellung, Mimesis unerwünschter Zustände. Stenzel sieht eine wechselseitige Beziehung zwischen Satire und Polemik, die Satire kann polemische, argumentative Züge enthalten, und Polemik kann satirische Züge annehmen, aber das Merkmal der Satire ist das der indirekten Mimesis. Wenn dieser mimetische, indirekte Bezug auf eine Person oder auf ein Thema wegfällt, entfällt gleichzeitig die Satire. In seiner Definition benutzt Stenzel bewusst das Wort „Rede“. Das impliziert nach Stenzel einen klaren Zusammenhang zwischen Polemik und Rhetorik: „Polemik ist also, im emphatischen Sinne, Rede und fällt damit in den Kompetenz- und Analysebereich der Rhetorik“. Dieser Zusammenhang der Polemik mit der Rhetorik erklärt nach Stenzel den Zweck und die Mittel des polemischen Verfahrens. Polemik benutzt das gleiche Mittel einer personalisierten Rede; sie ist gleichzeitig als eine Lob- und eine Scheltrede konstruiert. Der Polemiker will sich als vir bonus durch „Techniken der captatio benevolentiae“ wie in der Rhetorik präsentieren. Er verfolgt gleichzeitig die Absicht, den Gegner als vir malus (d. h. unglaubwürdig, inkompetent, verächtlich, normwidrig, schädlich) darzustellen. Nach Stenzel liegt deshalb der Kern der polemischen Rede in dieser pejorativen Prädikation, die auf Übertreibung 29 J. Stenzel, Rhetorischer Manichäismus. Vorschläge zu einer Theorie der Polemik, in: F.J. Worstbrock/H. Koopmann (Hg.). Formen und Formgeschichte des Streitens. Der Literaturstreit. Kontroversen, alte und neue, Akten der VII. internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985, Bd. 2, Tübingen 1986, 3–11. 30 J. Stenzel, Rhetorischer Manichäismus, 4. 31 J. Stenzel, Rhetorischer Manichäismus, 5.
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und Unterstellung beruht. Mit der Definition der Polemik in Zusammenhang mit der Rhetorik und mit der konkreten Anwendung der entgegengesetzten Formen der Lob- und der Scheltrede rechtfertigt Stenzel seine Begriffsprägung eines „rhetorischen Manichäismus“. In der Polemik sei keine objektive Darstellung zu erwarten, sondern immer eine extreme Sichtweise, die nur Schwarz-weiß-Urteile kennt. Ein weiterer Aspekt der Definition Stenzels ist die Schilderung eines heuristischen Schemas, das zur Analyse polemischer Texte dienen soll. Polemik hat nach Stenzel immer einen öffentlichen und keinen privaten Charakter und kommt durch eine publizistische Bemühung zu Stande.32 Die Öffentlichkeit hat im Streit eine entscheidende Rolle, die von Stenzel „polemische Instanz“ genannt wird. Diese Benennung gemäß der Rechtssprache erklärt die wesentliche Bedeutung, die die Polemik bei Stenzel gewinnt. Der Polemiker beruft sich durch seine „Rede“ auf die Öffentlichkeit wie auf eine richterliche Instanz, die ein Urteil aussprechen soll. Das polemische Schema gleicht dann dem genus demonstrativum: der Polemiker ist das polemische Subjekt, das eine Rede über seinen Gegner, das polemische Objekt, hält. Wenn die Person des Gegners das polemische Objekt genannt wird, ist deutlich, dass nach Stenzel Polemik immer einen persönlichen Angriff impliziert: „Der Polemiker soll samt seiner Position in den Augen der polemischen Instanz als wertvoll erscheinen, der Angegriffene und seine Position als minderwertig“33. Was die drei in der Polemik beteiligten Elemente34 verbindet, ist das polemische Thema, das aber in Stenzels Schema eine geringe Rolle spielt, weil es grundsätzlich um die Schädigung der Figur des Gegners geht: In der Akzentuierung hebt der Polemiker solche Eigenschaften oder Handlungen des polemischen Objekts hervor, deren Tatsächlichkeit allgemein unbestritten sind; in der Unterstellung ist der Tatsachengehalt polemischer Behauptungen fraglich, und das kann für das Argument bedeuten, dass es unbewiesen bis unbeweisbar oder gar nachweislich falsch ist, sobald man nachsieht. Wechselpolemik erzeugt sich auf weite Strecken aus dem Streit um die Klassifikation der gegnerischen Argumente als Akzentuierung bzw. Unterstellung.35
Die Definition von Stenzel setzt zwar Aggression und persönlichen Angriff als wesentliches Element einer polemischen Attacke voraus, die letztendlich auf den Rufmord des Gegners zielt, aber sie können nicht als notwendige Bestandteile eines polemischen Verfahrens bezeichnet werden. Stenzel setzt 32 Im gängigen Sprachgebrauch redet man allerdings von Polemik als einer aggressiven Einstellung auch im privaten Bereich. 33 J. Stenzel, Rhetorischer Manichäismus, 7. 34 Das Schema wird von Stenzel durch ein Dreieck dargestellt: in den Ecken stehen die Begriffe „Polemische Instanz“, „Polemisches Subjekt“ und „Polemisches Objekt“, in der Mitte das „Polemische Thema“ (Rhetorischer Manichäismus, S. 6). 35 J. Stenzel, Rhetorischer Manichäismus, 8.
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damit den Akzent im Gesamtphänomen „Polemik“ auf eine strukturierte rhetorische Attacke. Zu ähnlichen Ergebnissen wie Stenzel kommt R. Specht bei der Analyse der Anti-Goeze Schriften von G. E. Lessing, die als eine exemplarische Darstellung der Polemik gelten. Specht erklärt Polemik ebenfalls als einen rhetorischen Akt, wodurch der Polemiker sich selbst als einen vir bonus, den Gegner dagegen als einen vir malus darstellt. Specht zitiert einen Satz aus K. Tucholsky: „Der Polemiker gibt immer zwei Portraits: eines, schwarz auf weiß, das des Gegners, und eines, weiß auf schwarz, das von sich selbst“.36 Die polemische Strategie, die aus den Reden Lessings entnommen werden kann, besteht aus drei Mitteln: Zitat der gegnerischen Thesen, Ironie und Metaphorik. Nach dem Zedler-Lexikon37 beinhaltet polemische Widerlegung die Erwähnung des Gegners, die Anführung und dann die Widerlegung seiner Argumente. Das Zitat nimmt die gleiche Funktion ein wie die narratio in der Rhetorik, weil die argumentatio jeweils darauf basiert. Die narratio muss nicht objektiv sein, sondern plausibel (probabilis). Ein weiteres Verfahren stellt nach Specht die Ironie dar. Nach der klassischen Rhetorik ist Ironie als Ersatzfigur eine extreme Form der tropischen Substitution. Im Grunde sagt man durch die Ironie das Gegenteil von dem aus, was man meint. Die Kraft der Ironie liegt im Verhältnis von Gesagtem und Gemeintem. Für Lessing ist die Ironie das wichtigste Mittel für seine Argumentation. In jedem Teil der Reden, in den Exordien sowie in den argumentativen Teilen, gibt Lessing der Ironie Raum. Specht vergleicht die Ironie Lessings mit der sokratischen Ironie, die im Endeffekt auch bei den griechischen Philosophen zum Mittel der Widerlegung werde.38 Das dritte Mittel sei die Metapher, das dem rhetorischen Gebrauch des exemplum entspricht oder der similitudo. Die Metapher sei ein tropus des ornatus und diene dazu, sich dem Publikum anzudienen. Unter dem Paragraphen „Zur Phänomenologie der Polemik“ (S. 196–200) zieht Specht die Summe seiner Untersuchung und versucht eine allgemeine Theorie der Polemik zu entwerfen. Zum Wesen der Polemik gehören a) ihre Rhetorizität (d. h. ihre offene Ausrichtung), b) „ihre kompromisslose, destruktive, rufmörderische Aggressivität (möglichst verborgen hinter scheinbarer Objektivität)“,39 c) das Wechselspiel zwischen Sache und Person. Dieser Aspekt verhinderte, dass Polemik eine selbständige Textsorte wurde. Im Gegenteil liegt Polemik immer zwischen Extremen wie dem Pamphlet, der Satire und der Disputation, wo sie jedoch immer einen Teil der rhetorischen Strategie bilden kann. „Dieser ihr eigene Standort im Textsortengefüge gibt der 36 R. Specht, Die Rhetorik in Lessings Anti-Goeze, 105. 37 Art. Polemik, Zedler, Bd. 28, S.1079. 38 R. Specht, Die Rhetorik in Lessings Anti-Goeze, 167–168. Auf S. 168 sagt er: „Doch blitzt die sokratische Haltung prätendierten Nichtwissens und Untertreibens der eigenen Talente hin und wieder in der verstreuten Unterwürfigkeitsformel und in den Bescheidenheits-Topoi auf.“ 39 R. Specht, Die Rhetorik in Lessings Anti-Goeze, 196.
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Polemik immer eine starke innere Spannung und auch Lebendigkeit“.40 Polemik unterscheidet sich immer von der Satire wegen ihrer Direktheit, von dem Pamphlet wegen ihrer Sachlichkeit und von der Disputation durch die persönlichen Komponenten. „Die Polemik von Rang wird sich – gerade weil sie auch Disputation ist – wohl immer den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie verrate die Ideale der sachlichen Diskussion, welche dem angeschlagenen Thema einzig angemessen sei“.41 Eine letzte Frage betrifft die moralische Angemessenheit und Zulässigkeit der Polemik. Manchmal kommt als Frage auf, ob es moralisch vertretbar ist, durch Kunstgriffe oder Strategien Recht zu bekommen. In der Polemik gegen Lessing spricht sich Goeze dagegen aus, obwohl auch er sie benutzt. Specht behandelt diesen Punkt in seiner Untersuchung nicht vertiefend. Die Frage der Normativität des polemischen Verfahrens werde ich später noch ausführlich thematisieren. 2.4 Linguistische Forschung französischer Prägung Die französische Forschung behandelt das Thema Polemik explizit aus der erweiterten Perspektive der Sprachkontrolle und der Neigung zu aggressiver Rede von der Antike bis in die moderne Literatur. Besonders wichtig sind die Untersuchungen französischer Autoren in einem Sammelband zum Thema Polemik, herausgegeben von G. Declercq, M. Murat und J. Dangel.42 Danach hat Polemik ihre Wurzeln in einer aggressiven und gewalttätigen Anwendung von Sprache. G. Declercq stellt das Spannungsfeld dar, in dem die Polemik wächst, nämlich demjenigen zwischen dem unkontrollierten Gebrauch des Wortes mit dem Ziel, eine Person anzugreifen, um die eigene Machtposition zu stärken einerseits, und dem Versuch, die verbale Gewalt in Grenzen zu halten, andererseits. Die Rhetorik ist nach G. Declercq nicht ein Mittel, persönliche Angriffe noch schärfer zu gestalten, wie Stenzel meint, sondern der Versuch, die Aggression zu vermindern: Die rhetorische Geschichte der Polemik ist historisch gesehen demnach die Geschichte außerhalb eines fest umrissenen Feldes: eine verborgene Geschichte, gebunden an eine nicht schriftlich fixierbare Mündlichkeit, an eine giftverströmende Randzone im Umfeld der Verleumdung und der Achtung. Die Epideiktik des Tadels ist, im praktischen Register der rhetorischen Gattungen, eine virtuelle Rubrik, die kulturell kontrolliert und zensiert wird.43 40 R. Specht, Die Rhetorik in Lessings Anti-Goeze, 196. 41 R. Specht, Die Rhetorik in Lessings Anti-Goeze, 196. 42 G. Declercq/M. Murat/J. Dangel (Hg.), La parole pol mique, Colloques, congr s et conf rences 11, Paris 2003. 43 G. Declercq, Rh torique et Pol mique, 17: „L’histoire rh torique du pol mique est donc l’histoire d’un hors-champ: histoire clandestine, li e une oralit non transcriptible, une marginalit sulfureuse aux confins de la diffamation et de la proscription: l’ pidictique du bl me est,
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Wenn man in die Antike schaue, sei die aristotelische Rhetorik und noch mehr die römische Bearbeitung durch Cicero ein Versuch, das gewaltige Potential der Sprache zu zähmen und ihre Destruktivität aufzuheben.44 Unter dem Begriff Polemik versteht man daher beide Tendenzen – einerseits die destruktive verbale Gewalt gegen eine Person und andererseits die argumentativ objektive Debatte, die für die Suche nach der Wahrheit notwendig ist. Der Versuch, die Sprache zu zähmen und in ein eingeordnetes System zu bändigen, ist gleichzeitig der Versuch, den Menschen im ethischen Diskurs zu reglementieren. Der polemische Umgang mit Sprache tangiert immer auch die allgemeine Frage nach der Ethik und nach der Wahrheit und Sachlichkeit des Ausgesagten. Die Gültigkeit dieser Definition von Polemik als „parole pol mique“ wird durch die Bewertung des argumentum ad hominem in einem Aufsatz von Leclercq im gleichen Band evaluiert. Leclercq gründet seine Beobachtung auf die Unterscheidung der Argumentationstheorie zwischen einem argumentum ad hominem und einem argumentum ad personam. Das argumentum ad hominem findet nach Perelman und Olbrechts-Tyteca dort statt, wo man sich an die Mentalität des Gesprächspartners anpasst, ohne sie zu teilen, sondern nur, um dadurch Recht zu bekommen. Das Beispiel dafür ist eine Herrin, die ein zögerndes Dienstmädchen überzeugt, den Tisch für elf Leute zu decken, indem sie sagt, dass nur die Dreizehn Unglück bringt.45 Die Herrin teilt nicht den Aberglauben der Bediensteten, sie benutzt ihn, um das Mädchen dazu zu bringen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Es handelt sich um ein Beispiel einer sophistischen Anpassung an die Weltanschauung der Gegner, ohne dass es die aletheische Dimension der Erkenntnis impliziert. Anders als das argumentum ad hominem ist das argumentum ad personam die eigentliche Attacke auf die Person des Gegners, die in der Personalisierung der Polemik deutlich wird. A. Schopenhauer, der als erster diese Unterscheidung machte, definiert das argumentum ad hominen als die Benutzung der Schwäche und der Widersprüche des Gegners in der Auseinandersetzung, um Recht zu erhalten.46 Im dans la pratique des genres oratoires, une case virtuelle, culturellement contr l e et censur e.“ (Deutsche Übersetzung von mir). 44 G. Declercq, Rh torique et Pol mique, 17–18, zitiert diese Bemerkung von P. Ricoeur über die normative Rolle der aristotelischen Rhetorik für den Gebrauch der Sprache allgemein: „avant la grande rh torique d’Aristote il y eut l’usage sauvage de la parole et l’ambition de capter par le moyen d’une technique sp ciale sa puissance dangereuse. La rh torique d’Aristote est d j une discipline domestiqu e, solidement sutur e la philosophie par la th orie de l’argumentation“, P. Ricoeur, La M taphore vive, 14. 45 C. Perelman/L. Olbrechts-Tyteca, Trait de l’argumentation, 148–149. 46 A. Schopenhauer, Eristische Dialektik, definiert im Kunstgriff 16 (S. 44) die argumenta ad hominem auf diese Weise: „Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nöthigenfalls auch nur scheinbar, in Widerspruch steht mit irgend etwas, das er früher gesagt oder zugegeben hat, oder mit den Satzungen einer Schule oder Sekte, die er gelobt oder gebilligt hat.“ Im letzten Kunstgriff 38, (S. 73) konzentriert sich Schopenhauer auf die Unterscheidung des argumentum ad hominem vom argumentum ad personam. Die Persona-
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Grunde ist es kein Argument im eigentlichen Sinne, sondern es ist ein argumentum ex concessis. Schopenhauers Definition setzt im Grunde eine Kontroverse47 voraus, in der es das Ziel ist, sich mit allen Mitteln gegenüber dem Gegner durchzusetzen. Gerade die seit Aristoteles geteilte Annahme einer eristischen Theorie stellt für Declercq in Bezug auf seine Definition der Polemik als eines aggressiven Redeaktes ein Problem dar. Die Lösung von Declercq ist seine Annahme, dass das Argumentieren seit der Systematisierung des Aristoteles seinem Wesen nach immer als Gewaltausübung zu verstehen sei. Die Kontroverse und die Herausarbeitung von Argumenten gegen den Gegner sind nach Declercq eine Bestätigung der Definition von Polemik als Gewalt. Was sich mit der aristotelischen Systematisierung ändere, sei nur die Verlagerung der zwischenmenschlichen Gewalt in einen geregelten Rahmen: Il s’agit plut t d’un transfer de la violence interindividuelle dans le cadre r glement de l’argumentation m thodique propos e par Aristote – en claire: convertir l’affrontement physique des personnes en confrontation argumentative.48
2.5 Polemik in der Antike: Abwertung der Invektive Die Definition in der gegenwärtigen Literatur- und Sprachwissenschaft basiert auf einer semantischen Entwicklung des Begriffs Polemik, der zunehmend die Bedeutung eines ,unsachlichen und aggressiven Sprechaktes‘ angenommen hat. Zu prüfen ist demnach, ob Polemik in der Antike mit den gleichen Charakteristika einhergeht, die seit der Moderne zu beobachten sind. Dies scheint umso schwieriger zu sein, je mehr man dem Umstand Rechnung trägt, dass die Antike kein entsprechendes Wort für Polemik hatte. Die Suche nach analogen Vorgängen, von der Streitschrift und Gelehrtenauseinandersetzung bis hin zur persönlichen Beleidigung, ist daher unabdingbar. Wenn man die zwei dargestellten Definitionen von Stenzel einerseits und Declercq/Murat andererseits eingehend berücksichtigt, kann man feststellen, dass sie Polemik als universales Phänomen verstehen und die semantischen und kulturellen Grenzen zeitgenössischer Mentalität überwinden. Beide bieten ein Paradigma, das auch für die Antike gelten kann. Die Definition von Stenzel betont die konkreten Implikationen der Polemik lisierung der Attacken ist nach Schopenhauer die ultima ratio der Streitens: „Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird; so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streitens (weil man da verlorenes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden, und seine Person irgend wie angreift: man könnte es nennen argumentum ad personam, zum Unterschied von argumentum ad hominem.“ 47 G. Declercq, Avatars de l’argument ad hominem, 352: „Par controverse on entendra, conventionnellement, tout change argumentatif fond e sur le principe de la r futation.“ 48 G. Declerq, Avatars de l’argument ad hominem, 363–364.
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als einer praktischen Gattung, die er durch die Rhetorik erklärt. Mit anderen Worten ist Polemik nach Stenzel eine verbal strukturierte und geregelte Attacke gegen einen Gegner, die eine spezielle intellektuelle Bildung voraussetzt. Das von Stenzel vorgeschlagene Schema des polemischen Vorgehens gilt auch für die Antike, die ebenso von einer gewollten Anwendung der Rhetorik ausgeht. Absichtlich benutzt Stenzel für seine Heuristik eine Definition des Polemikers, der als vir bonus aus der Debatte hervorgehen will. Das erinnert an die Definition des Rhetorikers als „vir bonus dicendi peritus“.49 Man kann zu Stenzels Theorie kritisch bemerken, dass das genus deliberativum, in welches er die Polemik einbettet, wenig zu einer polemischen Auseinandersetzung passt, weil dieses genus (so wie Tadel und Lobreden) im Kontext eines breiten Konsenses angewendet wurde.50 Von dieser Interpretation aus kann man den Versuch S. Kosters verstehen, Polemik literarisch essentiell als eine invektivische Rede (invectiva oratio) zu definieren, d. h. eine rhetorisch strukturierte Rede, die den Gegner in der Öffentlichkeit heftig diskriminiert oder sogar vernichten will51. Maßstab des Invektiven ist ein allgemein anerkannter Wertekanon, der sich auch auf die äußere Erscheinung einer Person bezieht. Die Definition von Invektive bei S. Koster bringt das Wesentliche dieser Gattung zum Ausdruck: Die Invektive ist eine literarische Form, deren Ziel es ist, mit allen geeigneten Mitteln eine namentlich genannte Person öffentlich vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Werte und Normen als Persönlichkeit herabzusetzen.52
Diese Attacke ad personam wird in der Invektive methodisch und konsequent durchgeführt. Sie basiert auf der Struktur der personenorientierten Rede, der Schmährede (xºcor vituperatio) und der gegenteiligen Form der Lobrede (5paimor laus). Die Struktur des xºcor bzw. des 5paimor gründet auf dem Lebenslauf einer Person,53 was aus der späteren Systematisierung in den Progymnasmata zu ersehen ist. Man unterscheidet in der Rede sechs Teile: 1) Einleitung (pqoo¸liom), 2) Abstammung (c´mor), 3) Lebenswandel (!mastqov¶), 4) Taten (pq²neir), unterschieden nach körperlichen und seelischen Leistungen, 5) Vergleich (s¼cjqisir) und 6) Schluss (1p¸kocor).54 49 Quint. inst. or. 12,2. 50 Diese Beobachtung gilt auch für die Argumentation. In dieser epideiktischen Gattung der Rhetorik ist auch keine eigentliche Argumentation erforderlich, weil Lob und Tadel eine Konsensstimmung voraussetzen. Dieser Punkt wird von C. Perelmann/L. Olbrecht-Tyteca, Trait de l’argumentation, 63–64, behandelt. Der Schluss der beiden Autoren ist allerdings eine wichtige Funktion dieser Gattung in der Kunst des Überzeugens. S. 64: „Or nous croyons que le discours pidictique constitue une partie centrale de l’art de persuader.“ 51 Vgl. W.L. Liebermann, Art. Invektive, DNP, 1049–1051. 52 S. Koster, Die Invektive in der griechischen und römischen Literatur, 39. 53 S. Koster, Invektive und Polemik in der Antike, 41–42. 54 Das genaue Schema aus den Progymnasmata von Aphthonios erläutert Koster, Die Invektive in der griechischen und römischen Literatur, auf S. 16–17.
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2.6 Polemik in der Antike als sprachliche Aggression Declercq/Murat universalisieren mit ihrer Definition das Phänomen Polemik, indem sie den Aspekt der Aggression, der im Laufe der Geschichte immer wieder in verschiedenen Formen auftritt, in den Mittelpunkt stellen. Sie vertreten also eine Stenzel entgegengesetzte Auffassung. Während für Stenzel der sprachlichen Aggression keine konstitutive Rolle in der Polemik zukommt (es zählt mehr die rhetorische Geschicklichkeit), ist für Declercq gerade die Aggression das Wesentliche. Polemik gehört in den Bereich der ,Parole‘ (der konkreten Äußerung). Nicht zufällig lautet der Titel des Sammelbandes von Declercq „La parole pol mique“.55 Man kann jedenfalls beobachten, dass die Antike eine Metaphorik des Krieges in der Auseinandersetzung der Gelehrten kennt, obwohl der Ausdruck pokelijµ t´wmg nur für die eigentliche Kriegskunst benutzt wird. Die Kriegsmetaphorik kommt tatsächlich sehr oft in philosophischen Debatten vor. U. Curi56 führt zahlreiche Beispiele an, bei denen das Wort pºkelor eine philosophische Relevanz erhält. Die Idee, dass das Philosophieren gleichsam ein Krieg gegen falsche Meinungen ist, findet sich in der Geschichte der Philosophie von Heraklit und Platon bis Heidegger und Derrida. Dabei kann auch unter Umständen Gewalt gegen die eigene Meinung angewendet werden.57 Heidegger schreibt darüber in seiner „Einführung in die Metaphysik“ mit Rekurs auf Heraklits Definition von Polemos als dem Vater und König aller Dinge.58 Nach seinem Verständnis ist die Philosophie grundsätzlich „Auseinandersetzung“.59
55 Nach der Definition von F. de Saussure wird Sprache in drei Bereiche aufgeteilt: langue (das Sprachsystem), langage (die Fähigkeit des Menschen zu sprechen) und parole (die konkrete Äußerung, die Anwendung). Die Polemik nach Declercq ist damit in diesen letzteren Bereich einzuordnen. Für Stenzel hingegen ist sie eher in einem normierten Bereich der Sprache zu lokalisieren. 56 U. Curi, P lemos. Filosofia come guerra, Torino 2000. 57 U. Curi, P lemos, 19: „Il necessario impiego della violenza, di cui dice il biazesthai rivolto da Platone anche verso le proprie opinioni conduce infine a ,scoprire la scienza degli uomini liberi‘, vale a dire la filosofia, quella filosofia che consente a chi l’esercita di ,gettarsi indietro sulla destra il mantello, come s’addice a persona libera.“ 58 Heidegger beschäftigt sich oft mit dem Fragment von Heraklit DK 22 B 53: pºkelor p²mtym l³m pat¶q 1sti p²mtym d³ basike¼r ja· to»r l³m heo»r 5deine to»r d³ !mhq¾pour, to»r l³m do¼kour 1po¸gse to»r d³ 1keuh´qour. „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“ Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen „Germanien“ und „Der Rhein“, 125–126. So lautet der Kommentar von Heidegger auf S. 125: „Der Kampf ist die Macht der Erzeugung des Seienden, aber nicht so, dass der Kampf, nachdem die Dinge durch ihn geworden sind, aus ihnen sich zurückzieht, sondern der Kampf bewahrt und verwaltet auch und gerade das Seiende in seinem Wesensbestand.“ Dieser Text wird wieder in der Einführung in die Metaphysik behandelt, S. 47: „In solcher Auseinandersetzung wird die Welt. (Die Auseinandersetzung trennt weder, noch
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Der platonische Dialog Der Sophist erlaubt uns einen interessanten Blick in die antike Streitkunst. Die Sophisten werden unter anderem als Streitkünstler definiert. Die Streitkunst (!cymistijµ t´wmg) kann noch in Wettkampf (t¹ "likkgtijºm), d. h. einen Kampf um Worte (!lvisbgstijºm), und Gefecht (t¹ lawgtijºm), d. h. den Kampf von Leib gegen Leib (biastijºm), untergliedert werden.60 Diese Klassifizierung, wie alle anderen im Dialog, ist aber für Platon nicht hinreichend, um den Sophisten zu definieren. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem körperlichen Streit und dem Wortstreit wird als wesentlich wahrgenommen. Nach dem Scheitern dieser Definitionsarbeit will Platon einen weiteren Vorgang vorschlagen, der im Grunde die Aussagen der Sophisten durch einen Angriff verifizieren soll. Die philosophische Debatte über das Sein wird bei Platon mit einem Kampf von Riesen verglichen, in dem sich die verschiedenen Positionen der Philosophie konfrontieren. Dadurch gesteht Platon selbst die Polemizität der griechischen Philosophie ein, die einer Gigantomachie gleicht: di± tµm !lvisb¶tesim peq· t/r oqs¸ar pq¹r !kk¶kour.61 Platon sagt in diesem Dialog, dass man eine These gründlich prüfen muss, damit das wahre Sein in der Äußerung vom Schein unterschieden werden kann. Platon benutzt dabei zwei sehr prägnante Verben, die die aggressive Haltung der Debattierenden beschreiben sollen: basam¸feim (foltern) und bi²feshai (Gewalt antun).62 Der Sophist kann in seiner Kunst, das Sein mit dem Schein zu verwechseln, nur enttarnt werden, indem man ihn durch Argumentationskraft angreift. Ein weiterer Beleg ist der Kampf gegen ein quantitatives Verständnis des Wissens, die Polymathie, die ,Vielwisserei‘, die schon Heraklit kritisiert.63 Seine Polemik richtet sich vor allem gegen die Person des Pythagoras, von dem er sagte, er habe viel Wissen von anderen aufgenommen, zur Polymathie gesammelt und als eigene Wissenschaft ausgegeben. Dies ist für Heraklit ein
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zerstört sie gar die Einheit. Sie bildet diese, ist Sammlung (kºcor). Pºkelor und kºcor sind dasselbe).“ Interessant ist in diesem philosophischen Horizont die Kritik von J. Derrida an der Vorstellung M. Heideggers von Philosophie als Auseinandersetzung und Krieg. Politiques de l’amiti suivie de l’oreille de Heidegger, Paris 1994. Derrida will diese Vorstellung, die seines Erachtens in der Idee der Freundschaft und Feindschaft gegründet ist, revidieren. Leitmotiv ist der unklare Satz von Aristoteles „Oh Freunde, (es gibt) keinen Freund“ ¨ v¸koi oqde·r v¸kor (bei Diogenes Laertius D.L. 5,21), der ihn zu einer kritischen Verifizierung des Begriffs „Freundschaft“ und „Feindschaft“ führt. Das Ziel der Überlegung Derridas zum Thema Freundschaft ist die Realisierung einer Demokratie, die sich auf die Alterität gründet. (siehe den Schluss des Aufsatzes auf S. 339). Soph. 225a–b. Soph. 246a. Es geht hier um die Verifizierung der Thesen des Parmenides über das Sein: toO toO patq¹r Paqlem¸dou kºcou !macja?om !lumol´moir 5stai basam¸feim, ja· bi²feshai. DK 22 B 40: pokulah¸e mºom 5weim oq did²sjei gGs¸odom c±q #m 1d¸dane ja· Puhacºqgm awt¸r te Nemov²m´a te ja· gEjata?om. Die Anwendung der Gewalt hat den Zweck die Wahrheit von der Lüge her zu eruieren. Das wird auch im polemischen Verfahren oft behauptet um das aggressive Sprechen zu rechtfertigen.
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Beispiel schlimmer Machenschaften.64 In der Geschichte der Philosophie ist das Heraklit-Zitat immer wieder aufgenommen und in ein kämpferisches Programm umgesetzt worden, wie z. B. in der Philosophie Nietzsches. Einige Beispiele der Kriegsmetaphorik sind auch bei den Kirchenvätern vom 4. Jh. an zu finden.65 Ein interessantes Beispiel zeigt sich bei Hieronymus in seinem Brief 49 über die polemische Schrift Contra Iovinianum. Diese Schrift ist das beste Beispiel für die Widerlegung einer ketzerischen Meinung mithilfe der Kriegsmetaphorik. Dabei erfolgt diese Widerlegung nach dem Muster eines Zweikampfes: Man muss den Gegner beseitigen und tödlich verletzen, bevor er es tut:66 Delicata doctrina est, pugnanti ictus dictare de muro et, cum ipse unguentis delibutus sis, cruentum militem accusare formidinis. Nec hoc dicens, statim iactantiae reus sum, quod caeteris dormientibus solus certaverim; sed hoc dico, cautius eos posse pugnare, qui me viderint vulneratum. Nolo tale certamen adeas, in quo tantum te protegas, et torpente dextra, sinistra clypeum circumferas. Aut feriendum tibi est, aut cadendum. Non possum te aestimare victorem, nisi adversarium videro trucidatum.67
Diese Vorstellung von Polemik wird im literarischen Bereich mit drei Beispielen aggressiver literarischer Gattungen wie Satire, Elegie und Epopöe illustriert.68 J. Dangel und A. Videau vertreten aber auch die These, dass solche literarischen Formen in der römischen Literatur dadurch entstehen, dass eine gewisse Aggression und persönliche Attacke gemindert wird. Nach diesen beiden Wissenschaftlerinnen läuft die Entstehung dieser Formen parallel zum rechtlichen und rhetorischen Versuch, die eigentliche Aggression der Polemik 64 DK 22 B 129. 65 Vgl. B. Colot/B. Bureau, Le th me de la philosophie pa enne dans la pol mique chr tienne, 72–102. 66 B. Bureau, Le th me de la philosophie pa enne, 95: „La r futation des h r tique ne souffre pas de d mesure car c’est la vie mÞme de l’ glise en jeu. La pol mique retrouve ici son tymologie, elle est une parole de guerre, parole qui na t de la n cessit imp rieuse d’assurer sa suive, et qui ne peut se justifier par cette l gitime d fense.“ Dieses Zitat ist höchst bedeutsam für die Ergänzung der antiken Polemik durch die Kriegsmetaphorik. 67 Hier. Ep. XLIX,12 (Apologeticum ad Pammachium, pro libris contra Iovinianum). (CSEL 54, S. 368): „Es ist eine fragwürdige Auffassung, von der Festungsmauer herunter einem Krieger das Kämpfen vorzuschreiben und, während du selbst schon feierabendlich mit feinen Ölen parfümiert bist, einen verletzten Soldaten der Feigheit zu bezichtigen. Und ich mache mich nun mit dieser Aussage nicht der Überheblichkeit schuldig – ich habe allein gekämpft, während die anderen geschlafen haben – sondern ich sage es, um diejenigen besser zu bekämpfen, die mich dabei verletzt gesehen haben wollen. Ich will nicht, dass du an einen Kampf herangehst, bei dem du dich zu sehr selbst schützest, und bei gelähmter rechter Hand das Schild mit der linken hältst. Entweder ist es an dir jemanden zu fällen, oder du fällst. Ich kann dich nicht als Sieger schätzen, wenn ich den Gegner nicht zerschlagen sehen kann.“ Vgl. zu Hieronymus M. Kahlos, Rhetorical Strategies in Jerome’s Polemical Works, 621–649. 68 Diese drei literarischen Formen der frühen Kaiserzeit werden besonders von J. Dangel und A. Videau, L’ criture pol mique Roma au d but de l’empire, 105–130, untersucht.
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zu mindern.69 Die zwei Autorinnen führen als einen Beleg ihrer Theorie die Darstellungsform des Horaz in seinen Satiren an. Er erkennt zwar die Abhängigkeit seiner Gattung von den Jamben des Archilochos, die er als erster in Latium verbreitet habe, betont jedoch, dass die neue Gattung der Verssatire auf die Themen und auf den destruktiven Wortgebrauch des griechischen Dichters verzichtet. Die Destruktivität der Jamben des Archilochos hatte seinen Schwiegervater Lykambos dazu geführt, Selbstmord zu begehen.70 Invektive und Satire71 werden teilweise verwendet, um eine polemische Auseinandersetzung zu führen, es ist aber nicht möglich, diese Formen als polemische Gattungen tout court zu identifizieren. Polemik benutzt gern invektive und satirische Elemente, aber manchmal kann sie indirekt und ,kaltblütig‘ angewendet werden. Die Untersuchung von F. Cossuta bestätigt die Feststellung einer polemischen Struktur im philosophischen Diskurs. „Il n’y aurait pas de discours philosophique sans un coefficient d’adversit explicite ou implicite“72 lautet seine Hauptthese. Die gleiche Meinung wird von J. Brunschwig vertreten: „On peut dire, sans exag ration, que l’histoire de la philosophie grecque n’est rien d’autre que l’histoire des pol miques entre les philosophes grecs“.73 Die antike Philosophie folgt einem doppelten Motiv, der Widerlegung und der Invektive. Die refutative Polemik konzentriert sich auf die Ideen und auf die Theorien, ohne auf die Person des Gegners einzugehen. Die Invektive richtet sich hingegen vor allem auf die Person des Gegners. Beide Aspekte sind oft nicht voneinander trennbar. Cossutta betont in seiner Analyse den dialogischen Charakter jedes polemischen Verfahrens. Mit der Anwendung der Thesen von M. Bachtin zum Dialog spricht er von einer „zweistimmigen“ (dyphonique) Struktur der Polemik.74 Auf der Basis von Bachtins Einteilung von dialogisme, dialogicit 69 Eine immer wiederkehrende Metapher, mit der Polemik definiert wird, ist die Aggression eines Hundes oder die Tollwut. In einem Passus von Seneca d. Ä., contr. 10, pr. 5,3, wird diese Aggression mit dem Namen Rabienus bezeichnet (aus rabies Tollwut): „Libertas tanta ut libertatis nomen excederet, et quia passim ordines hominesque laniabat Rabienus vocaretur.“ Quintilian, inst. or. 11,9,9, benutzt die gleiche Metaphorik und spricht von eloquentia canina. 70 Hor. sat. 1,19,21–23: ego primus ostendi Latio numeros animosque secutus Archilochi non res er agentia verba Lycamben. Dangel und Videau, L’ criture pol mique Rome, 109, betonen auf diese Weise die Normierung der römischen Satire: „Horace souligne ainsi que s’il emprunte Archiloque sa m trique hell nisant, il ne r cuse la mani re pol mique, d’un rage qui serait mortelle.“ (S. 109). 71 Die römische Satire ist eine besondere Gattung, die meistens eine moralische Intention verfolgt. Damit werden einige Missstände der römischen Gesellschaft denunziert. Sie kann zwar sehr scharf sein, wurde aber trotz der starken Zensierungen während der Kaiserzeit als harmlos empfunden. 72 F. Cossutta, Typologie des ph nom nes pol mique dans le discours philosophique, in: M.A. Boucha/F. Cossutta (Hg.). La pol mique en philosophie. La pol micit philosophique et ses mises en discours, (167–207), 167. 73 J. Brunschwig, La pol mique philosophique en Gr ce, 25. 74 F. Cossutta, Typologie des ph nom nes pol mique, 175.
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und dialogue unterscheidet Cossutta zwischen pol misme, pol micit und pol mique. Pol misme bezeichnet den strukturellen Charakter des philophischen Diskurses, pol micit die Vielfalt der Konkretionen auf der textuellen Ebene und pol mique die konkrete Form der Kontroverse. Cossutta will zusätzlich eine allgemeine Typologie der philosophischen Polemik entwerfen und übernimmt die Unterscheidung von drei Formen der Polemik von M. Dascal75: Die Kontroverse, den Disput und die Diskussion. Diese Unterscheidung basiert auf den drei Formen der Argumente bei Aristoteles: der Analytica mit dem Syllogismus, der Topica mit den kritischen Argumenten und der sophistischen Widerlegung mit den eristischen Argumenten. In der Diskussion will man zur Wahrheit gelangen, in der Kontroverse will man durch die Beweise überzeugen, im Disput den Sieg durch Kunstgriffe auf einfache Art und Weise erlangen. Cossutta erweitert das dreigeteilte Schema von Dascal, indem er die konstruktive Diskussion aus dem Bereich der Polemik ausschließt und die Kategorie der Debatte und der Polemik einführt. Er unterscheidet nach der Heftigkeit der Auseinandersetzung zwischen Disput, Polemik, Kontroverse, Debatte. Diese Theorie ist bemerkenswert, nicht nur für den Versuch einer genauen Klassifizierung von polemischen Verfahren, sondern auch für den Zusammenhang mit der antiken Philosophie, die für diese Untersuchung wichtig ist. Diese Aspekte werden im folgenden Paragraphen über die normative Frage in der Polemik diskutiert.
2.7 Normative Aspekte der Polemik Im allegorischen Traktat aus der Spätantike Die Hochzeit der Philologie und des Merkur von Martianus Capella (5. Jh.) wird die Dialektik als eine elegante Frau mit einem blassen Gesicht und mit einem pallium aus Athen gekleidet dargestellt.76 Sie verfügt über zwei Waffen: In der linken Hand, die unter dem Pallium versteckt ist, trägt sie eine Schlange; in der rechten Hand, die für alle sichtbar ist, hat sie schöne Bilder, und an der Hand hat sie einen Haken. Ihr Erscheinen bei der Hochzeit verursacht eine Debatte: Dionysos hält sie für eine Hexe und bringt damit alle zum Lachen. Pallas hingegen betont, dass die Dialektik gar nicht ausgelacht werden kann. Diese Allegorie aus der Spätantike über die Dialektik zeigt m. E. den umstrittenen Charakter des polemischen Verfahrens. Hier geht es um die Dialektik, die Disziplin der Debatte unter Gelehrten. Sie wird jedenfalls mit dem gleichen Verdacht wie die Polemik auch sonst betrachtet. In ihrer instabilen 75 Marcelo Dascal (Hg.), Dialogue. An Intersciplinary Approach, Amsterdam 1985; ders. La polmique dans la science classique, in M. Blay/R. Halleux (Hg.), La science classique. Dictionnaire critique, Paris 1998, 26–35; ders., Observation sur la dynamique des controverses, Cahier de linguistique franÅaise 17 (1995) 99–121. 76 Mart. Cap. 4,328.
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Position zwischen sachlicher Kritik und unsachlichem Angriff ist Polemik kein Vertrauen einflößendes Mittel. Es wäre nicht korrekt, Polemik mit Dialektik zu identifizieren, da letztere per definitionem normiert und sachlich sein muss. Die Allegorie zeigt aber, dass sogar die Dialektik manchmal eine latente Aggression beinhalten kann. Die Polemik als noch extremere Form des Debattierens liegt nicht jenseits der Normen, wie man denken könnte, sondern sie ruft ein noch stärkeres Bedürfnis nach Normierung hervor, und sei es nur, um den Sieg über den Gegner zu erringen. Offensichtlich destruktive Elemente müssen vermieden werden. Eine grundsätzliche Ambivalenz des Streitens ist schon von Hesiod erkannt worden, wenn er eine gute und eine bösen 5qir unterscheidet. Es stimmt nicht, dass es nur eine Art Streit gibt – nein, auf Erden gibt es zwei Arten des Streits: den einen lobt jeder, der ihn bemerkt, der andere ist tadelnswert. Ihnen liegen zwei Motivationen zugrunde: letzterer führt zu Krieg und Hader, ist roh und verrückt, ihn liebt niemand.77
Die gute Eris ist eine Kraft, die die Menschen zum aktiven Leben bewegt und die zu Wohlstand und Reichtum führt. Das ist eine einfache normative Vorstellung. Die Feststellung eines Dualismus bietet aber noch keine anwendbare Lösung, denn man muss genau beurteilen können, nach welchen Merkmalen die eine Eris von der anderen konkret unterschieden ist. In diesem Sinne gilt auch die positive Beurteilung der Polemik durch Lessing, der sie als ein Mittel zur Behauptung der Wahrheit betrachtet: „Gezankt“; denn so nennet man die Artigkeit alles Streiten; und Zanken ist etwas so Unmanierliches geworden, dass man sich weit weniger schämen darf, zu hassen und zu verleumden, als zu zanken …aber die Wahrheit, sagt man, gewinnt dabei so selten. – So selten? Es sei, dass noch durch keinen Streit die Wahrheit ausgemacht worden, so hat dennoch die Wahrheit bei jedem Streit gewonnen. Der Streit hat den Geist der Prüfung genähret, hat Vorteil und Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten, kurz hat die geschminkte Unwahrheit verhindert, sich an der Stelle der Wahrheit festzusetzen.78
Man kann diese Frage der Normierung mit W. Dieckmann als zentral für jede polemische Auseinandersetzung betrachten und behaupten, dass im Grunde die Frage der Normativität zusammen mit der Polemik wächst. Zwar untersucht W. Dieckmann die Frage der Normativität in polemischen Schriften der neueren deutschen Literatur, dennoch können manche seiner Erkenntnisse verallgemeinert werden. Polemik hat einen ambivalenten Charakter. Einerseits erhebt sie einen Anspruch auf Sachlichkeit und korrektes Verhalten (wie Kritik); andererseits verliert sie diese argumentative und objektive Absicht aus dem Auge und richtet sie auf die Person des Gegners mit Beleidigung, Be77 Hes. erg. 11–15. 78 G.E. Lessing, Wie die Alten den Tod gebildet, 717.
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schimpfung oder einer Art „polemischer Porträtierung“79. Dieckmann nennt dieses Phänomen in Anlehnung an die Studien von R. Specht über Lessings Anti-Goeze-Schriften die „Doppelbödigkeit der Polemik“.80 Solche wesentliche Ambivalenz der Polemik erklärt auch die definitorischen Schwierigkeiten, die oft zu divergierenden Ergebnissen führen. Dieckmann fasst Spechts Erkenntnisse wie folgt zusammen: In jeder polemischen Situation ist Polemik immer gleichzeitig von einer normativen Beurteilung des polemischen Verhaltens des Gegners und im Allgemeinen von einer normativen Regelung begleitet. Die normative Frage geht aus diesem ambivalenten Charakter der Polemik hervor. Dieckmann unterscheidet innerhalb der polemischen Normativität zwischen „metakommunikativen“ und „extrakommunikativen Äußerungen“. Die normativen Aussagen heißen metakommunikative Äußerungen, wenn sie von einer an der Polemik beteiligten Person erhoben werden,81 und extrakommunikative Äußerungen, wenn sie außerhalb der Auseinandersetzung thematisiert werden.82 Dieckmann erstellt aufgrund literarischer Texte einen Katalog von Normen, die das Verhalten in der Polemik (keine Emotionalität, keine Diskreditierung des Gegners), die Auswahl des Themas (keine unwichtigen Argumente, keine unverständlichen Argumente) und den polemischen Text (keine Anonymität des Autors und des Gegners, keine Verfälschung seines Standpunkts) umfassen. Eine wichtige Norm, die in der Polemik immer wieder thematisiert wird, ist das „Persönlichwerden“ der Argumentation Diese wird sehr oft gebrochen. Die Normen, die die polemische Auseinandersetzung regeln sollen, sind nach Dieckmann unterschiedlich je nach dem Zusammenhang und der historischen Situation, aber sie sind grundsätzlich immer da. Im Grunde steht Polemik immer zwischen einer konstruktiven und einer destruktiven Anwendung der Sprache und benötigt deshalb stets eine Normierung.83 79 W. Dieckmann, Streiten über das Streiten, 50–51. 80 W. Dieckmann, Streiten über das Streiten, 46. 81 W. Dieckmann, Streiten über das Streiten, 79–81. Ein Beispiel von metakommunikativ polemischen Texten sind die Vorwürfe, die Goetze gegen Lessing erhebt: a) Lessings Zuständigkeit, (Lessing sei kein Theologe); b) Lessing formales Vorgehen (blendende Rhetorik, Missachtung der akademischen Regeln), c) Zuständigkeit der Entscheidungsfälle (Publikationsart, bei der das Laienpublikum angesprochen wird). Und so beschreibt Dieckmann diese Form von Metakommunikation im polemischen Verfahren: „Der Polemiker unterstellt bei seinem Publikum bestimmte Maßstäbe zur Beurteilung der Akzeptabilität bzw. Nicht-Akzeptabilität des kommunikativen Verhaltens und spricht diese in strategischer Absicht an, indem er dem Gegner etwas vorwirft, von dem er glaubt, daß es diesem in den Augen des Publikums schade, und indem er zur Rechtfertigung oder zur Entschuldigung des eigenen Verhaltens Argumente vorbringt, von denen er glaubt, daß sie ihn in den Augen des Publikums in gutem Licht erscheinen lassen.“ (S. 81). 82 W. Dieckmann, Streiten über das Streiten, 91–94. 83 In dieser Hinsicht spricht P.-E. Knabe, Essai de l’interpr tation de la pol mique interne dans l’Exil et la Royaume d’Albert Camus, 78, von einer grundsätzlichen Entscheidung, die bei einem polemischen Verfahren zu treffen ist. „Tout pol mique sur une alternative est un dilemme. Elle
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Es muss noch betont werden, dass die Normierung der Polemik nicht als eine externe Abgrenzung zu betrachten ist, die die Aggression eindämmen soll. Diese Auffassung würde aus der Definition der Polemik als einer unkontrollierten und aggressiven Rede folgen. Im Gegenteil ist die Normativität ein wichtiger Bestandteil der Polemik selbst, weil sie oft als Argument gegen Gegner benutzt werden kann. Das bedeutet, dass die Normativität in ihrer Absicht die gleiche Aggression enthalten kann, um den Mitstreiter zu diskreditieren, wie jedes persönliche oder sachliche Argument. Die „Doppelbödigkeit“ der Polemik erklärt nach Dieckmann, warum es so schwierig ist, Polemik zu definieren. Das Wesentliche der Polemik liege nämlich in der Spannung einiger unlösbarer Gegensätze, die er wie folgt definiert: Gattung versus Argumentationsart, Sachlichkeit versus Unsachlichkeit, Objektivität versus Persönlichwerden und sogar nützlich versus gefährlich. Solche Spannungen verhindern also eine eindeutige Definition der Polemik und machen die Polemik zu einer ambivalenten Form des Argumentierens, die daher eine normative Metatheorie benötigt. Dieser Gesichtspunkt einer normativen Bemühung in der Polemik soll noch genauer vertieft werden. Man kann m. E. zwei Arten von Normierung beobachten: eine ethischformale und eine philosophisch-inhaltliche Normierung. Eine offensichtliche oder latente Aggression, welche auf die Abgrenzung von einer anderen Person oder Lehre abzielt, erweist sich immer als ambivalent. Antike Äußerungen zur Polemik schreiben vor, dass sie sachlich bleiben muss und nicht die Person des Gegners angreifen soll. Doch wird trotz dieser Regel Polemik immer wieder personalisiert. Die ambivalente Natur der Polemik zeigt sich weiterhin in der Affektivität, die im polemischen Verfahren eingesetzt wird. Auch darin neigt Polemik zur Aggression und zur Eskalation, obwohl vorgeschrieben ist, dass der Streit bei Gelehrten immer sachbezogen und rational bleiben muss. Die Personalisierung der Polemik wird als Abweichung von der Dialektik verstanden, obwohl sie damit unlösbar im Zusammenhang steht.
2.7.1 Die ethisch-formale Normierung Die ethisch-formale Normierung betrifft vor allem das Problem der Aggression durch polemische Verfahren und die Neigung der Polemik, persönlich zu werden. Die juristische Diskussion über die Konsequenzen der Beleidigung kann als eine spezifische Fragestellung dieser Form von Normativität betrachtet werden. Die philosophisch-inhaltliche Normierung behandelt vor allem das Propeut voluer dans le cadre d’une dialectique de la th se et de l’antith se. Elle connote, comme le nome indique, un combat. Elle n cessite une prise de d cisions claires et distinctes. Ce caract re combatif de la pol mique peut aboutir une recherche de la v rit proche du fanatisme. La lutte vis priori soumettre et a an antir l’adversaire plut t qu’ rechercher la v rit .“
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blem des Wahrheitsbezuges der Argumentation. Man kann sich in polemischem Verfahren durch falsche Argumente behaupten. Das ist ein Phänomen, das seit der Sophistik, als die Fiktionalität der Sprache in den Blick kam, erkannt wurde. Diese beiden Arten der Normierung können gleichzeitig vorkommen, müssen aber dennoch unterschieden werden. Als ein Beispiel dafür befasst sich die patristische Polemik gegen das Ketzertum mehr mit Fragen über die christliche Lehre, wohingegen die ethische Normativität (d. h. die Anwendung einer nicht aggressiven Sprache) keine relevante Rolle spielt. Die Ketzer werden oft mit sehr aggressiven Anreden und mit gezielter Invektive angegriffen. Bei den Kirchenvätern muss die Polemik aber nicht zum Schluss führen, dass Polemik generell durch eine aggressive und beleidigende Rede zustande kommt.84 Die ethische Normativität spielt anderseits eine wesentliche Rolle für die Polemik in den Evangelien und auch für die Streitgespräche: Jesus als Vertreter einer religiösen Minderheit in der römischen Welt soll eine nicht-aggressive Haltung auch in den schwierigsten Situationen bewahren. Die ethisch-formale Normativität wendet sich gegen sprachliche Aggression und personalisierte Angriffe in der Auseinandersetzung. Die Thematisierung dieser Normierung umfasst einen viel breiteren Bereich als die philosophische Frage der Wahrheit. Sie betrifft die juristische Bewertung der sprachlichen Beleidigung bis zur ethischen Bewertung eines korrekten Sprachverhaltens. Bereits Platon behandelt in den Nomoi die juridische Frage des Sprechens. Er verbietet jede Form der Beleidigung aufgrund des Prinzips: lgd´ma jajgcoqe¸to lgde¸r, „Niemand soll niemanden beleidigen“.85 Die Schmähreden enthalten nämlich eine destruktive Kraft, die, einmal ausgelöst, kaum zu beherrschen sei. Platon schreibt: „Wir stellen jetzt fest, dass jemand, der sich in Schmährede verwickelt, nicht fähig ist, sich hierauf zu beschränken, ohne dass er nicht gleichzeitig den anderen lächerlich zu machen sucht.“86 Dies betrifft auch die Anwendung von satirischen Gattungen. Die Komödiendichter dürfen nach diesen Gesetzen niemanden verspotten. Ihnen droht die Strafe der Landesverweisung. Die Lobes- und Tadelsreden (5paimor und xºcor) können nur zu besonderen Anlässen, z. B. militärischen Erfolgen, gehalten werden. Die Dichter müssen mindestens fünfzig Jahre alt und sehr erfahren in der Dichtung sein. 84 Die Untersuchung von I. Opelt, Die Polemik in der christlichen lateinischen Literatur von Tertullian bis Augustin, Heidelberg 1980, ordnet die patristische Polemik als eine klare beleidigende und aggressive Form des Argumentierens ein. Sie stellt eigentlich nicht die methodische Frage nach der Bedeutung der Polemik, sondern sie versteht sie als Disqualifizierung und Beleidigung der Gegner. Der polemische Wortschatz der lateinischen patristischen Literatur ist nach Opelt von der Beschimpfung geprägt (S. 229–269). Sie unterscheidet die folgenden Bereiche der Polemik: gegen Häretiker, gegen Juden und gegen Heiden. 85 Pl. Leg. 934e. 86 Pl. Leg. 938.
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In Rom87 wurde die Verleumdung einer Person schon im Altertum in den Zwölf Tafeln mit dem Tode bestraft, wie man es in einer Stelle in der „Republik“ von Cicero lesen kann.88 Das Verb ,occento‘, das im Cicero-Zitat vorkommt, bedeutet „Spottlieder singen“. Die staatliche Zensur des Sprechens und des Schreibens in der Öffentlichkeit wurde in der Kaiserzeit noch strenger, vor allem bezüglich der politischen Kritik, gehandhabt. Der einzige Ort, an dem die Schmährede zugelassen war, war das Gericht. Dort konnte man eine vituperatio oder eine reprehensio vitae vortragen. Cicero bietet allerdings eine Regel, die für eine beleidigende Rede gelten sollte und die wiederum die Frage einer normativen Regulierung beweist: Maledictio nihil habet propositi praeter contumeliam; quae si petulatius iactatur, convicium, si facetius urbanitas nominatur.89
Ein weiterer Beleg für eine ethisch-formale Normierung der Debatte ist bei Cicero in De finibus zu finden. Cicero kritisiert durch die Worte von Triarius die Art des Disputierens bei den Epikureern, denen auch sonst Dogmatismus zugeschrieben wurde. Nicht die Verschiedenheit der Meinungen und die Diskussion an und für sich ist als negativ zu betrachten, sondern die Beleidigung und die Aggression, die mit der Philosophie nicht zu vereinbaren sind. quam ob rem dissentientium inter se reprehensiones non sunt vituperandae, maledicta, contumeliae, tum iracundiae, contentiones concertationesque in disputando pertinaces indignae philosophia mihi videri solent.90
Auch Torquatus, ein Vertreter der epikureischen Philosophie, gibt seinem Gesprächspartner in diesem Punkt Recht: „prorsus, inquit, assentior; neque enim disputari sine reprensione nec cum iracundia aut pertinacia recte disputare potest.“91 Als Beispiel einer formalen Normierung in der Moderne ist das Werk von A. Rosmini „Galateo de’ letterati“ zu nennen,92 eine Art Knigge für Gelehrte. Dieses Werk definiert eine Etikette für Gelehrte nach dem Muster eines für den 87 Grundlegend ist zu diesem Thema der Aufsatz von M. Ducos, Le droit romain et la pol mique, in: Declerq, Murat, Dangel, La parole pol mique, 283–296. 88 Cic. Resp. 4,12: „Nostrae contra duodecim tabulae, cum perpaucas res capite sanxisset, in his quoque sanciendam putuerunt, si quis occentauisset sive carmina condidisset quod infamiam faceret flagitiumue alteri.“ 89 Cic. Cael. 3,6: „Eine Scheltrede hat kein anderes Ziel als Beschimpfung. Wenn sie frecher gehalten wird, wird sie Schmähung genannt, wenn sie witziger gehalten wird, wird sie dann feine Rede (urbanitas) genannt.“ 90 Cic. De fin. 1,8,27. 91 Cic De fin 1,8,28: „Ich stimme – sagte er – dir völlig zu. Man kann ohne Kritik nicht diskutieren und mit Aufregung oder Trotz kann man ebenfalls nicht richtig diskutieren.“ 92 A. Rosmini, Galateo de’ letterati, all’occasione d’una risposta inurbana dell’autore del Nuovo Galateo, Ancona 1830. Wie schon im Titel gesagt wird, ist die Intention der Schrift polemisch. Das Zitat am Anfang des Werkes „sapiens in verbis seipsum amabile facit“ (Qoh 20,27), das Rosmini wörtlich aus dem Griechischen übersetzt, gibt den Sinn des Werk wieder.
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Hof der Renaissance gedachten „Galateo“. Es ist deshalb interessant, weil es einige Grundregeln aufstellt, die von den Gelehrten in die Praxis umgesetzt werden sollten. Das Ziel ist ein Bild des Gelehrtenseins zu entwerfen, das wildes und unzivilisiertes Verhalten verdrängen soll.93 In dieses unangemessene Verhalten schließt Rosmini Wutausbrüche, Beleidigungen, falsche Bescheidenheit, Schmeicheln ein, aber auch das Verfassen von Büchern aus exzerpierten Teilen anderer Autoren und das Plagiat. Rosmini plädiert in seinem Werk für die Rückkehr zu einem eleganten Stil unter den Literaten, die die grobe Literatur der letzten Jahrhunderte überwinden sollte. Das gleiche Ideal der Kultur der Renaissance kann man in den Worten von Eleonora von Este finden, mit denen sie die wenig eleganten Streitigkeiten verwirft: Ich höre gern dem Streit der Klugen zu: Wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust so freundlich und so fürchterlich bewegen, mit Grazie die Rednerlippe spielt.94
2.7.2 Die philosophisch-inhaltliche Normierung Bereits die sokratischen Dialoge Platons werfen die Frage auf, wie sich durch den philosophischen Dialog die Wahrheit erreichen lässt. Die Ausbreitung der sophistischen Schule, die die Ambivalenz der Sprache thematisierte und sie zu ihren eigenen Zwecken nutzte, regten Platon zu seinen Überlegungen an. Die Sophisten präsentierten sich als diejenigen, die die Kraft des gesprochenen Wortes95 in jeder beliebigen Situation beherrschen konnten. Sokrates führte mit dem Dialog eine alternative Form von kºcor ein, die den Einzelnen zur Selbsterkenntnis motiviert.96 Die Eristik, die die Sophisten mit Erfolg praktizierten, hat den Zweck, den Gegner zu widerlegen, ohne Rücksicht auf die Wahrheit der Argumente zu nehmen. Anstelle der Eristik postulierte Sokrates die Protreptik, eine Art der Diskussion, in der die Jugend zum aktiven Suchen 93 A. Rosmini, Galateo de’ letterati, 12: „Attinger a questo fonte (das Werk von Melchiorre Gioia) tutti gli esempi de’ vizi che offendono l’urbanit e la letteraria gentilezza, e mi studier di raccontarli come sapr in questo piccol trattato, ove i letterati possano vedere, quasi come in un quadro, quelle convenevolezze che loro bisogno sfuggire per non parer forse, senza che infinita erudizione li scusi, scabri e selvaggi.“ 94 W. Goethe, Torquato Tasso, 5. 95 Zentral für die Definition des kºcor im Sinne der Sophisten ist die Passage aus dem Enkomion an Elena, einem der wenigen Dokumente der Sophisten, die erhalten sind: „kºcor dum²stgr l´car 1st¸m, fr slijqot²tyi s¾lati ja· !vamest²tyi heiºtata 5qca !poteke? d¼matai c±q vºbom paOsai ja· k¼pgm !veke?m ja· waq±m 1meqc²sashai ja· 5keom 1paun/sai. Gorgias DK 10,8 96 Vgl. Stephen Skousgaard, Genuine Speech vs. Chatter: A Socratic Problematic, in: K.V. Erikson (Hg.), Plato: True and Sophistic Rhetoric, SCA 3, Amsterdam 1979, 375–383, bes. S. 377: „Dialogue is the new form of regenerative political speech by Socrates into the community. As such it is genuine speech; dialogue is the new form for order, because it is through this linguistic activity that Socrates constitutes himself as wise and it is through this same dialogue that he provides for others to do the same.“
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der Wissenschaft und der Weisheit gefördert werden sollte. Mit der Protreptik bleibt es der Jugend erspart, angesichts der frustrierenden Wirkung der Eristik und vor allem aus Angst vor Konfrontation, sich ungebildet vorzukommen. In den Dialogen mit den Sophisten stellt sich oft die Frage nach der Methode, mit deren Hilfe die Debatte geführt werden muss. Protagoras reagiert auf die Frage des Sokrates mit einer langen Rede (lajqokoc¸a), die seine These deutlich macht, wonach der Gegner mit einer Vielzahl von Argumenten und einem eleganten Stil in Verlegenheit gebracht werden sollte. Sokrates vergleicht diese Art von Argumentieren mit einer Bronze, die lange nachtönt, wenn sie angeschlagen wird,97 und stellt die Bedingung der kurzen Rede für die Weiterführung des Dialogs auf.98 Die kurze Rede ist laut Sokrates ein Beweis der alten Weisheit der Spartaner, die bqawukoc¸a tir kajomij¶.99 Dadurch kann er Schritt für Schritt die Aussagen nachprüfen und die Seele des Gesprächspartners testen. Im Protagoras schlägt Prodikos vor, dass die Debatte wie ein Streiten (!lvisbgte?m) unter Freunden und nicht wie ein Zanken (1q¸feim) unter Feinden geführt werden soll.100 Sokrates wird jedoch von seinem sophistischen Gesprächspartner als rechthaberisch bezeichnet.101 Beeindruckend ist die Beschreibung der Widerlegung im Menon als eine Lähmung im Sprechen, infolge deren man nicht mehr in der Lage ist, weiter zu argumentieren. Das wird mit dem Bild des Zitterrochens verglichen, eines Fisches, der alle lähmt, die mit ihm in Berührung kommen: Du hast mich erstarrt gemacht. Denn tatsächlich bin ich erstarrt in Seele und Mund und weiß nicht, was ich antworten soll.102
Die sokratische Philosophie stellt den Menschen durch ihre Fragen vor ein Gericht, vor dem er keine rhetorischen Kunstgriffe anwenden kann. Dieses Gericht ähnelt im Grunde dem Gericht nach dem Tod, bei dem die Seele sich nackt vor den Göttern präsentiert und Äußerlichkeiten, die für die Sophisten so wichtig waren, keine Rolle mehr spielen.103 S. Skousgaard fasst diesen Ge97 Prot 329a. 98 Prot. 335b: eQ owm l´kkeir 1lo· diak´neshai t` 2t´q\ wq_ tqºp\ pqºr le, t0 bqawukoc¸a. („wenn du mit mir ein Dialog führen willst, benutz gegen mich eine andere Art des Sprechens, die kurze Rede“). Die gleiche methodische Frage des Sokraten wird Gorgias gestellt: 1h´kgsom jat± bqaw» t¹ 1qyt¾lemom !pojq¸meshai, (gorg. 449 b) und: ja· loi 1p¸deinim aqtoO to¼tou po¸gsai, t/r bqawukoc¸ar, lajqokoc¸ar d³ eQr awhir (gorg. 449c). 99 Prot. 342b. 100 Prot. 337b. 101 Gorg. 487d; 515b; Prot. 360e. Das ist ebenfalls eine Form einer normativen Metarede über das Gespräch selbst. Das Verb vikomije?m und der Substantiv vikomij¸a („den Sieg lieben“, „wetteifern“, aber auch „streiten“, „zanken“) sollte im Gegensatz zum sophistischen Verhalten angewandt werden, weil dieses auf den unbedingten Sieg abzielte, während es für Sokrates das Ziel war, die Wahrheit zu erlangen. 102 Men. 80b. 103 Mit diesem Mythos des Gerichts nach dem Tode endet der Gorgias (Gorg 523a–524a). Der sokratische Dialog will nicht die Menschen durch Kunstgriffe überzeugen, sondern ihre Seelen
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danken wie folgt zusammen: „The attempt is precisely to break through the crust of rhetoric, to penetrate to the shared pathos at the core of everyone’s soul.“104 Die Philosophie soll in die Seele hineinwirken und sie in Ordnung bringen.105 Die Macht der sokratischen Philosophie besteht darin, dass sie die lebendigen Menschen diesem Gericht unterziehen kann. Aristoteles ist der erste Philosoph, der ein System der Argumentation und der Stufen der Wahrheit in der Auseinandersetzung entwickelt hat. Er unterscheidet drei Formen des philosophischen Diskurses, die drei verschiedene Arten von Argumenten verwenden: Die Analytik oder die apodiktische Wissenschaft, die auf einer unbestreitbaren Wahrheit basiert; die Dialektik, die auf den Meinungen angesehener Personen fußt (5mdona); und die Sophistik, die sich auf Argumente stützt, die nur scheinbare Wahrheiten sind. Die Dialektik unterscheidet sich von der Analytik, weil sie den Dialog zwischen zwei Personen behandelt und nicht, wie im Fall der Apodiktik, das monologische Lehren.106 Die Normierung besteht nach Aristoteles in der Aufstellung einer Methode (l´hodor),107 wodurch das Gespräch gut ausgeführt wird und die pomgqokoc¸a beseitigt wird.108 Die dialektische Methode bietet bei philosophischen Diskussionen ein formales Gerüst, mit dessen Hilfe man logische Schlüsse ziehen kann, ohne in die Falle der Scheinargumente zu tappen. Die Unterscheidung der dialektischen Argumente von den sophistischen Widerlegungen in den Topica hat vor allem eine philosophische Bedeutung.109 Aus einer philosophischen Sicht besteht die Gefahr, dass sich bei einer Debatte eine Auffassung durchsetzt, die falsch ist. Die Dialektik im eigentlichen Sinne hat allerdings für Aristoteles keine agonistische Absicht, sondern sie entwickelt sich aus einer Situation des Konsenses und der kooperierenden Suche nach einem logischen
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vor ein vorzeitiges Endgericht stellen. Das scheint mir ein wichtiges Element, das wir im johanneischen Bild Jesu wiederfinden und vielleicht teilweise auch in den Streitgesprächen, wo oft die Fähigkeit Jesu beschrieben wird, Gedanken lesen zu können. S. Skousgaard, Genuine Speech, 383. S. Skousgaard, Genuine Speech, 382: „Philosophy defines good and evil in term of advancing or decomposing the order in the soul. Thus a state man is good if under his rule the citizens grow better, he is a bad ruler if citizen become disordered in their souls.“ Ein guter Herrscher muss die Bürger verbessern und sie erziehen. Perikles ist ein schlechtes Beispiel eines Herrschers, weil die Athener durch ihn nicht erzogen wurden. E. Berti, Le ragioni di Aristotele, 19. Das ist genau das Wort, das am Anfang der Topik angewendet wird. Vgl. Arist. Top. 1,1; 108a. Arist. top. 8,14; 164b 13. Es ist umstritten, ob die Topik und die sophistischen Widerlegungen getrennt oder als eine einzige Behandlung der Dialektik zu betrachten sind. Das Problem betrifft nicht nur die Interpretation dieser Werke, sondern auch ihre Texteditionen. A. Beriger, Die aristotelische Dialektik. Ihre Darstellung in der Topik und in der Sophistischen Widerlegungen und ihre Anwendung in der Metaphysik M 1–3, Heidelberg 1989, betont die Notwendigkeit eine Zusammenschau: „Es lassen sich also keine systematischen Gründe für eine getrennte Interpretation der „Topik“ und der „Sophistischen Widerlegungen“ für Fragen der Dialektik finden.“
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Ergebnis.110 Der Dialektiker kann nach Aristoteles nicht mit allen Menschen einen dialektischen Dialog führen, denn nur Wenige können im Grunde ein Problem dialektisch behandeln, ohne zu versuchen, sich agonistisch zu behaupten. Die Schematisierung einer dialektischen Debatte bei Aristoteles, die m. E. für die Analyse der Streitgespräche wichtig ist, erfolgt in einem Zusammenspiel von Frage und Antwort, das einen Widerspruch (!mt¸vasir), eine Affirmation (jat²vasir) und eine Negation (!pºvasir) möglich macht. Die dialektische Diskussion beginnt mit einer Problemstellung, die zwei widersprüchliche Auffassungen voraussetzt: ein Fragender und ein Antwortender (nach der mittelalterlichen Dialektik ein opponens und ein respondens) konfrontieren sich dialektisch.111 Eine These (h´sir) wird aufgestellt, die der Fragende zu widerlegen versucht: Die dialektische Debatte entwickelt sich dadurch, dass der Fragende den Gesprächpartner durch seine Fragen widerlegen will und der Antwortende seine Argumente bestätigt. Zwei Elemente sind daher notwendig, damit das Gespräch zustande kommt: die Bereitschaft, den Widerspruch zu erkennen und diese 5mdona als Basis für Argumente anzunehmen. Die Diskussion soll daher in der Öffentlichkeit stattfinden; das Publikum hat nämlich die wichtige Rolle, die herrschenden Meinungen zu erkennen und danach zu entscheiden, wer in der Debatte wirklich die Auffassung des anderen widerlegt hat.112 Im Wort 5mdona spiegelt sich die Funktion der Dialektik, die sich in der komplexen Welt der Meinungen (dºnai) durchsetzen muss. Die philosophische Normativität diene insbesondere dazu, die falschen Meinungen oder paq²dona zu erkennen und zu beseitigen.113 Die neue Erkenntnis des Aristoteles besteht im Vergleich mit den platonischen Dialogen in einer wissenschaftlichen Einordnung der tºpoi, die überhaupt bei einer Diskussion gewählt werden können. Eine Klassifizierung der anwendbaren Topoi kann der Genauigkeit der Argumentationsweise dienen. Der 110 Aristoteles nennt es t¹ joim¹m 5qcom top. 8,1 156b 23–25. Das Verlieren und das Siegen ist keine Absicht des Dialektikers S.E. 11 171 b 24–34. 111 M. Yrjönsuuri, Aristotle’s Topics and Medieval Obligational Disputations, 60–61, fasst wie folgt nach der Vorstellung der aristotelischen Topik den Ablauf der dialektischen Debatte zusammen: „There is a thesis attacked by one of the participants – call him the answerer. The questioner tries to lead the answerer to admit something that is impossible, or specifically to admit the contradiction of his thesis, the answerer tries to avoid impossibilities, and if he cannot, he should show that the impossibility was already implicitly present in the defended thesis.“ Dieser Vorgang ist m. E. sehr wichtig für den Ablauf der Streitgespräche. Die mittelalterlichen Disputationen bestanden aus drei Teilen, einem positiven, oppositiven und responsiven. Die oppositio ist noch in propositio, interrogatio und conclusio untergliedert und die responsio in concessio, contradictio und prohibitio. (M. Yrjönsuuri, 61–64). 112 E. Berti, Le ragioni di Aristotele, 23: „La discussione dialettica suppone dunque che i due interlocutori discutano alla presenza di un pubblico (di ascoltatori, ma oggi si direbbe di lettori), il quale in un certo senso fa da arbitro e decide quale dei due ha riportato il successo, cio riuscito a confutare l’altro, o a non farsi confutare dall’altro.“ 113 A. Beriger, Die aristotelische Dialektik, 34–46. Beriger stellt mit Recht einen Zusammenhang zwischen dieser Debatte über die Meinungen und die Doxographie her.
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Fragende bereitet nämlich in der Debatte einen Angriff (1piwe¸qgla) auf die gestellte These vor, der auf einem gewissen Topos basiert: de? d³ pq_tom l³m 1qytglat¸feim l´kkomta t¹m tºpom erqe?m, fhem 1piweiqgt´om.114 Der Topos soll es ermöglichen, aus einer gewissen Prämisse einen Syllogismus zu bilden und damit die These zu widerlegen.115 Da jede These oder Gegenthese im Grunde so formuliert wird wie jedes Prädikat, spielen die sogenannten Prädikabilien,116 die mögliche Art der Prädikate, in der Einteilung der Topoi eine wichtige Rolle. Die Prädikabilien, durch die die Topoi klassifiziert werden, sind folgende: Definition, Proprium, Gattung und Akzidens. Die Definition (fqor) betrifft das Wesen eines Dinges, das t¸ Gm eWmai, das Proprium (Udiom) sagt nichts über das Wesen eines Dinges aus, sondern über etwas, das ihm zugehören kann oder auch nicht (z. B. dass ein Mensch die Grammatik lernen kann). Die Gattung (c´mor) beschreibt das Wesen eines Dinges, aber diese kann verschiedene Merkmale bezeichnen, die in der Art unterschiedlich sind, z. B. die Aussage, dass der Mensch ein Lebewesen ist, was auch auf einen Ochsen zutrifft; und das Akzidenz (sulbebgjºr) beschreibt nicht das Wesen eines Dinges sondern Prädikate, die ihm zugehören können oder auch nicht, z. B. das Prädikat, dass ein Mensch sitzt. Diese Prädikate werden von Aristoteles noch präziser durch den Begriff des !mtijatgcoqoul´mom (die Koextensivität) dargestellt: Die Definition sagt etwas Wesentliches über eine Sache aus und ist koextensiv, während das Proprium nichts Wesentliches über die jeweilige Sache aussagt, aber auch koextensiv ist. Die Gattung ist wesentlich, jedoch nicht koextensiv; das Akzidenz wiederum sagt ebenfalls nichts Wesentliches über den Gegenstand aus, ist auch nicht koextensiv.117 Die Streitgespräche folgen einem dialektischen Schema. Die Gegner Jesu versuchen durch ihre Frage eine bestimmte These (über die Person Jesu) zu demonstrieren, die für die Anklage relevant ist. Sie wählen jedes Mal einen Topos, der von Jesus dialektisch widerlegt wird. Die Aufgabe Jesu besteht darin, den Topos seiner Gegner zu erkennen und seine Unhaltbarkeit nachzuweisen. Aristoteles behandelt als letzten Punkt seines logischen Systems die Abgrenzungen von den sophistischen Argumenten, die er in den „sophistischen118 Widerlegungen“ behandelt. Das Werk zeigt, wie man falsche Argumente, Fallazien oder Paralogismen, erkennt, widerlegt und Fehlschlüsse vermeidet. Es ist in zwei Teile gegliedert, einen Teil, in dem erklärt wird, wie 114 Top. 8,1 155b 4–5: „Die erste Aufgabe für denjenigen, der eine Argumentation in Frageform vorbereitet besteht darin, den Topos zu finden, von dem aus anzugreifen ist.“ 115 Vgl. O. Primavesi, Die aristotelische Topik, 83–85. 116 Top. 1,5; 102a 1–103a 5. 117 Vgl. O. Primavesi, Die aristotelische Topik, 92–94, sowie top. 1,8; 103b 11–15. 118 C.L. Hamblin, Fallacies, 65: „Aristotle, like Plato, is at once contemptuous of sophistical reasoning and fascinated by it. He is not always sure how to distinguish good reasoning from bad and is prepared, now and then, to appeal to irrelevancies such as the fact that sophists practise for money.“
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die Fehlschlüsse entstehen, und den anderen Teil, wie sie beseitigt oder vermieden werden können. Aristoteles unterscheidet zwischen Paralogismen, die von der Diktion abhängig sind, und denjenigen, die unabhängig von Diktionen sind.119 Die sechs Fehlschlüsse, die sich auf die Sprache stützen, sind: Die Homonymie (fallacia aequivocationis) oder Namensgleichheit; die Amphybolie (fallacia ambiguitatis) oder die Zweideutigkeit; die Paralogismen, die durch Verbindung (fallacia compositionis) oder Trennung von Worten (fallacia divisionis) oder durch Aussprache (fallacia accentus) entstehen.120 Die sieben von der Sprache unabhängigen Paralogismen sind: Der Paralogismus aufgrund der Akzidenz (fallacia accidentis oder ex accidente); der Paralogismus, bei dem etwas schlechthin oder beziehungsweise gemeint ist (fallacia secundum quid et simpliciter);121 der Paralogismus, der aus der Unkenntnis der Widerlegung kommt (ignorantia elenchi) oder aus der Annahme, dass die Ausgangsthese schon als bewiesen gilt (petitio principii); der Paralogismus, der auf der Folge oder auf der Konsequenz basiert (fallacia consequentis),122 der Paralogismus von der Nichtursache als Ursache (fallacia propter non causam ut causam) und der Paralogismus der vielen Fragen, die eine Antwort verlangen (fallacia plurium interrogationum ut unius). Aristoteles’ logisches System unterscheidet drei Stufen der Wahrheit: Die universal gültige Wahrheit bei der analytica priora, die Meinung angesehener Lehrer (5mdona) bei der philosophischen Diskussion und die Paralogismen, die eigentlich falsch sind, in der sophistischen Argumentation. Die dialektische Diskussion ist nach Aristoteles als eine philosophische Schuldebatte konzipiert, die die Meinungen angesehener Gelehrter als Richtlinie hat und jede Form von eristischen Auseinandersetzung und jeden sophistischen Fehlschluss vermeidet. Aus dem aristotelischen logischen System entstanden die zwei extremen Auffassungen der stoischen Logik und Dialektik und des skeptischen Denkens. Die stoische Logik korrigierte die aristotelische Syllogistik, die allgemeine partikuläre Aussagen mit einem mittleren Terminus verbindet und damit Raum für Trugschlüsse erzeugte. Bei ihr steht die Überlegung der einzelnen Aussage im Mittelpunkt (!n¸yla),123 die wahr, falsch oder weder falsch noch
119 Vgl. C.L. Hamblin, Fallacies, 62–66. 120 S.E. 4; 165b 25–166b 9. 121 Das bekannte Beispiel ist das des Inders oder des Äthiopiers, die ganz schwarz sind, aber weisse Zähnen haben. Der Schluss wäre, dass sie z. T. weiß und z. T. nicht weiß sind, vgl. S.E. 5, 167a. 122 Aristoteles bildet das Beispiel des Regens und des Nass-Seins der Erde. Wenn es regnet, ist die Erde nass, aber wenn die Erde nass ist, kann man nicht auf alle Fälle behaupten, dass es geregnet hat. 123 SVF 2,196 (Cic acad.. 2,95): Fundamentum dialecticae est, quidquid enuntietur (id autem appellant !n¸yla) aut verum esse aut falsum.
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wahr sein kann,124 und erstellte eine Systematisierung aller möglichen Aussagen und ihrer Verbindungen. Man kann drei Formen der Verknüpfung von Sätzen feststellen: Einen impliziten (wenn es Tag ist, ist es hell), einen disjunktiven (entweder es ist Tag oder es ist nicht hell) und einen konjunktiven Zusammenhang (es ist Tag und es ist hell).125 Auf der Basis dieser logischen Verknüpfungen zwischen verschiedenen Axiomen entwickelt Chrysipp eine neue Form der Syllogistik, die sich anders als die aristotelische auf zwei Aussagen begründet. Ein Beispiel der stoischen Syllogistik ist die erste und einfachere Form des Syllogismus: „Wenn es Tag ist, ist es hell, nun ist es Tag, dann ist es hell.“126 Chrysipp unterscheidet fünf Arten von Syllogismen, die „anapodeiktisch“ genannt werden.127 Chrysipp wurde auch für seinen Versuch bekannt, die Paradoxe der megarischen Schule und der phyrronischen Skeptiker lösen zu wollen.128 Solche Aporien wurden dem Eubulides von Milet vonseiten des Diogenes Laertius zugeschrieben: der Lügner, der Versteckte, Elektra, der Verschleierte, der Sorites, der Gehörte und der Kahle.129 Die bekanntesten Beispiele sind die des Lügners und des Haufens (Sorites). Das Paradoxon des Lügners heißt: Ein Lügner, der sagt, dass er lügt, lügt entweder oder er sagt die Wahrheit. Der Sorites bezeichet die Paradoxie des Haufens und zwar: Wenn ein Sandkorn keinen Haufen bildet und auch zwei Sandkörner nicht, so wird durch die Zugabe weiterer Körner ebenfalls kein Haufen entstehen. Diese Paradoxien dienen dazu, eine skeptische Vorstellung der Erkenntnis zu unterstützen und die Zurückhaltung, ein entscheidendes Urteil zu fällen (1pow¶). Chrysipp empfiehlt die Zurückhaltung des Urteils gegenüber einem Sorites damit, dass man keine Widerlegung erfährt,130 oder 124 Vgl. die Definition der Dialektik bei den Stoiker, SVF II, 123 (Sext Emp. adv. math. 9,187): ja· aqto· d³ tµm diakejtijµm 5vasam 1pist¶lgm !keh_m te ja· xeud_m ja· oqdet´qym. 125 Die Verknüpfung der Sätze wird von Aulus Gellius, noc. act., 16,8,10, wie folgt thematisiert: Sed quod Graeci sumgll´mom !n¸yla dicunt, id alii nostrorum ,adiunctum‘, alii ,conexum‘ dixerunt. Id ,conexum‘ tale est: ,si Plato ambulat, Plato movetur‘, ,si dies est, sol super terras est‘. Item quod illi sulpepkecl´mom, nos vel ,coniunctum‘ vel ,copulatum‘ dicimus, quod est huiusce- modi: ,P. Scipio, Pauli filius, et bis consul fuit et triumphauit et censura functus est et collega in censura L. Mummii fuit‘. Die verschiedenen Verknüpfungen werden in dem Fragment von Diokles bei Diogenes Laertius diskutiert (D.L. 7,49–82). Dieses Fragment ist eine der wichtigen Quellen für die Rekonstruktion der stoischen Dialektik. 126 Sext. Emp. ad. math. 8,224: eQ Bl´qa 5sti, v_r 5stim, !kk±7 lµm Bl´qa vyr %qa 5stim. 127 Die Grundsyllogismen wurden schematisch zusammengefasst (Vgl. D.L. 7,80–81). Bei Galen intr. dial. 6,6, findet sich die generalisierte Form mit dem 1. und dem 2. Satz, wie folgt dargestellt: 1. Typ: wenn das 1., dann das 2.; nun das 1.; also das 2. 2. Typ: wenn das 1., dann das 2., nun das nicht 1., also das nicht 2. 3. Typ: nicht das 1. und das 2., nun das 1., also das 2. 4. Typ: entweder das 1. oder das 2.; nun aber das 1., also nicht das 2. 5. Typ: entweder das 1. oder das 2.; nun aber das 2. also nicht das 1. 128 SVF 2,274. 129 D.L. 2,231. 130 SVF 2,275.
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wenigstens damit, Zeit zu gewinnen.131 Das Sophisma des Lügners wird aber von Chrysipp klar gelöst: „Wenn du lügst, und sagst, dass du lügst, lügst du“.132 Gegen die stoische radikale Systematisierung der Logik wendet sich die neue Akademie,133 deren Thesen vor allem in den Schriften Ciceros bezeugt werden. Mit Karneades und Philo von Larisa betont die Akademie den Verzicht auf die Suche nach der philosophischen Wahrheit und die Konzentration auf das Wahrscheinliche (pihamºm). Diese Auffassungen referiert Cicero in den academica. Er interpretiert aber die skeptische Position der Akademie als eine Anregung für die Suche nach der Wahrheit.134 Als Schüler von Philo von Larisa rezipiert er die Thesen der Neuen Akademie, aber er deutet sie als eine Fortsetzung der sokratischen Methode.135 Die Methode, pro und contra zu argumentieren, ist eine Art methodischen Zweifelns, das zum Mittel für die Wahrheit und nicht für die Skepsis wird. Eine solche Anwendung des skeptischen Vorbehalts wirft Plutarch in seinem Werk über die Widersprüche der Stoiker sogar Chrysipp vor: ¦stû aqt¹m 2aut` l²weshai jeke¼omta l³m !e· t± 1mamt¸a lµ let± sumgcoq¸ar !kk± letû 1mde¸neyr toO fti xeud/ 1sti paqat¸heshai.136
Trotz ihrer Kürze setzen die markinischen Streitgespräche nach meiner Meinung eine philosophische und ethische Normierung voraus, die dazu 131 SVF 2,276. Ebenfalls 2,277 (Cic. acad. 2,93): Placet einim Chrysippo cum gradatim interrogetur, verbi causa „tria pauca sint anne multa“, aliquanto prius quam ad multa perveniat quiescere, id est quod ab is dicitur Bsuw²feim. 132 SVF 2,281: „si mentiris, idque vere dicis, mentiris“. Mit dieser Lösung aber ist Cicero nicht zufrieden. (SVF 2,282). 133 Bekannt ist die Maxime des Karneades: eQ lµ c±q Gm Wq¼sippor, oqj Gm 1c¾ (D.L. 4,62), die die skeptische Richtung der neuen Akademie als eine Reaktion gegen die Systematisierung des Chrysipps deutet. 134 Die Position Ciceros wird von W. Burkert, Cicero als Platoniker und Skeptiker, 186–192, genau beschrieben. Cicero nimmt die Methode der neuen Akademie an, die Argumentation pro et contra (in utramque partem dissere) als ein Mittel für die Wahrheit und nicht für einen skeptischen Schluss zu betrachten. So schreibt Burkert auf S. 187: „Das Hin und Her der Streitgespräche, das contra omnia disserere geschieht nicht um seiner selbst willen, sondern im Dienste des Suchens und Forschens nach der Wahrheit, veri inveniendi causa (acad. 2,60).“ 135 W. Burkert, Cicero als Platoniker und Skeptiker, 188: „Skepsis heißt Suche nach Wahrheit – so versteht es Cicero, und indem er dabei berühmte Platonsätze anklingen läßt, gibt er wieder, wie die Akademiker ihre Platonnachfolge verstanden haben. Sj´peshai heißt ja untersuchen, auch wenn Sokrates sjept´om sagt (resp. 339b).“ 136 Plut. de stoic. rep, 1036 c–d: „Er widerspricht sich nämlich, weil er vorschreibt, das Gegenargument zu benutzen, nicht um es zu verteidigen, sondern um zu zeigen, dass es falsch ist.“ Für Plutarch ist diese Anwendung eines 1mamt¸or kºcor für eine Widerlegung unangemessen. Der Widerspruch besteht darin, dass Chrysipp die pro und contra Argumente nur bei wenigen Fällen im Gerichtsverfahren vorschreibt, aber dann benutzt er sie sehr oft. Dies zeigt eine unklare und inkonsequente Haltung des Chrysipp gegenüber den megarischen Skeptikern und ihrer Methode t¹ pq¹r 1mamt¸a diak´ceshai (in utramque partem dissere). Ein Philosoph darf nach Plutarch die Gegenargumente nicht verwenden, nur um siegreich zu sein, sondern er soll die Wahrheit verfolgen.
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dient, die vorgestellte polemische Situation zu bewerten. Die Attacken, die die Gegner gegen Jesus richten, werden dialektisch behandelt. Eine erste Normierung besteht eben darin, dass diese Attacken in ihrer bösen Absicht dargestellt werden. Es wird nämlich gezeigt, dass Jesu Gegner keine weiterführende Diskussion anstreben, sondern Jesus einer gesetzwidrigen Haltung bezichtigen wollen. Es handelt sich zumeist um sophistische Argumente und Paradoxe, die nicht gelöst werden können. Die Diskussion über die Dialektik kann dazu beitragen, das Vorgehen der einzelnen Streitgespräche zu bewerten. Die Streitgespräche untermauern keinen skeptischen Relativismus, obwohl sie paradoxe Fragen und Sophismen präsentieren. Sie basieren im Gegenteil auf einer klaren Beurteilung dieser Debatte und insgesamt der ganzen Erzählung von Jesus. In manchen Fällen reicht es dem Evangelisten aus, die sophistischen Kunstgriffe der Gegner Jesu in ihrem paradoxen Charakter zu zeigen. Das kann durch eine Beleuchtung durch Dialektik besser gezeigt werden. In Mk 11,27–33 stellt Jesus als Antwort auf die Frage nach der 1nous¸a mit einer Gegenfrage ein Dilemma her, das die Gegner durch eine Argumentation pro und contra analysieren, um schließlich zu einer 1pow¶ zu kommen. Ihre Zurückhaltung im entscheidenden Urteil ist aber keine skeptische Resignation, sondern ein Beweis für ihre innere Widersprüchlichkeit. 2.8 Zusammenfassung Die sprachwissenschaftliche Debatte über eine Definition der Polemik kann nun evaluiert werden. Die grundsätzliche Frage, ob man Polemik als eine unkontrollierte sprachliche Aggression gegen einen Mitmenschen oder im Gegenteil als eine normierte und durch rationale Argumente unterstützte Auseinandersetzung definiert, lässt sich durch den Vergleich dieses Phänomens mit den zwei Extremen „Beschimpfung“ und „Kritik“ beantworten. Die Beschimpfung ist eine auf die Person gerichtete Attacke, die nicht argumentativ begründet wird, sondern lediglich aus einer Aneinanderreihung von beleidigenden Worten und Eigenschaften besteht. Die Invektive und die Satire sind eine Form der literarischen Anwendung der persönlichen Attacke. Polemik behält immer eine argumentative Struktur, selbst wenn sie zu einer Aneinanderreihung von Beschimpfungen degeneriert. Umgekehrt ist Kritik eine Form der objektiven Beurteilung einer Person oder eines literarischen Werkes. Sie geht in der Regel nicht aggressiv und nicht persönlich vor. Noch wichtiger ist es zu bemerken, dass die Kritik positiv oder negativ sein kann, während Polemik immer nur negativ ist und zur Personalisierung neigt. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist aber Kritik zumeist negativ konnotiert (im Sinne von kritisieren), während semantisch Kritik eigentlich neutral zu verstehen ist. In einer Werteskala muss Polemik daher als negativer eingestuft werden. Zwischen diese beiden Extreme ist die Polemik einzuordnen. Polemik unterscheidet sich von der Kritik, weil sie immer negativ und auch immer
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persönlich ausgerichtet ist, und von der Beschimpfung, weil sie zwar eine gewisse Aggression enthält, aber immer argumentativ vorgeht. In dieser Mittelposition kann sich die Polemik beider Extreme bedienen, sie kann als eine negative Kritik erscheinen, aber in manchen Fällen kann sie sogar zur Beleidigung des Gegners werden. Diese instabile Mittelposition bedarf ständig einer normativen Justierung und kann daher in manchen Fällen sogar als ein nicht betretbares Feld oder eine unwürdige Art des Sprechens und des Argumentierens definiert werden. Sie ist aber trotz allem ständig von beiden Extremen zu unterscheiden. Der Vergleich der Polemik mit Gewalt im Redeakt ist an sich nicht korrekt, weil Polemik sich oft der Regeln der Argumentation bedient, ohne ihre Natur dadurch zu ändern.
3. Polemik und markinische Streitgespräche Das Thema der Polemik wird gegenwärtig in der neutestamentlichen Wissenschaft neu aufgegriffen.137 Dabei wird Polemik als Mittel der Entwicklung und Herausbildung religiöser Identitäten und ihrer sprachlichen Formulierungen verstanden. Zugleich stellt diese Polemikforschung eine Brücke zwischen frühjüdischen, neutestamentlichen und altkirchlichen Schriften dar. Aus dieser Perspektive lässt sich Polemik durchaus als ein kreatives Instrument bei der Herausbildung frühchristlicher Theologie verstehen. Die neutestamentlichen Schriften enthalten verschiedene Formen von Polemik. Paulus ist ein Autor, der in seinen Briefen viele Auffassungen polemisch behandelt hat. Paulus wird sehr polemisch in der Konfrontation mit den sog. judaistischen Missionaren, die in die Gemeinden eingedrungen sind und eine Rückkehr zum jüdischen Gesetz befürworten. Das ist im Philipperbrief und im Galaterbrief der Fall.138 Bei diesen Auseinandersetzungen ist Paulus gezwungen, die Prinzipien der christlichen Lehre gründlich zu überdenken und in den Briefen klar zu formulieren. Im 2. Korintherbrief richten sich die Attacken der Gegner eher gegen die Person des Paulus als Missionar und Apostel. Es ist nicht klar, inwieweit die Jerusalemer Apostel in diesen Streit involviert waren. Der paulinische polemische Stil bleibt jedoch maßgebend für die neutestamentlichen Schriften. Polemische Auseinandersetzungen dienen in der Briefliteratur sogar als Mittel, die Echtheit des Schreibens zu beweisen. Das ist besonders in den pseudepigraphen Briefen der Fall, in denen teilweise eine fiktive Polemik konstruiert wird, um den Schein einer realen Situation zu herzustellen. Eine ähnliche Konstruktion einer grundlegend polemischen Situation in 137 Zum Thema vgl. den Sammelband O. Wischmeyer/L. Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte, BZNW 170, Berlin/New York 2011. 138 Vgl. G. Theißen, Das Neue Testament, 42–48.
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der Wirksamkeit Jesu könnte auch für die Streitgespräche gelten, wenn man sie als ideale Szenen betrachtet. Thema des nächsten Abschnitts ist dabei eine genaue Definition der polemischen Einbettung der Streitgespräche. Zwei Modelle werden hierzu zuerst untersucht und ein drittes Modell wird dann ergänzend vorgeschlagen und in einer eingehenden Textanalyse noch vertieft. Die beiden ersten Modelle wurden bereits in der Forschungsgeschichte vorgestellt: Das eine als Modell der liberalen Exegese, die die Streitgespräche als Polemik des historischen Jesus ansieht, und das andere als Modell der Formgeschichte, die die Streitgespräche als Polemik der christlichen Gemeinde betrachtet. 3.1 Die Streitgespräche als Polemik des (historischen) Jesus Dass Jesus in Situationen kam, bei denen er mit anderen religiösen Lehrern seiner Umgebung in Auseinandersetzungen geriet, wird nicht nur durch die polemische Sprache erwiesen, die in den Evangelien überliefert wird, sondern auch durch die späteren Spuren dieser Polemik in der rabbinischen Literatur. Dort wird Jesus persönlich angegriffen und als Ketzer und Lästerer bezeichnet, und nicht nur seine Jünger, die sich eventuell von der rechten Lehre des Meisters entfernt haben könnten.139 Es liegt nahe zu vermuten, dass die Streitgespräche eine so zentrale Rolle in der Struktur des Markusevangeliums spielen, weil sie in der Tat auf polemischen Erfahrungen des historischen Jesus basieren. Es wäre schwierig gewesen, in den frühesten Erzählungen von Jesus ohne jede historische Plausibilität ex novo Streitsituationen in einer Zeit zu erfinden, in der die Erinnerung der Gegenseite noch nicht erloschen war. Trotz ihrer Verankerung in der Lebenswelt Jesu können die Streitgespräche daher nicht als Berichte konkreter Fälle betrachtet werden, weil sie eher eine allgemeine Vorstellung von Themen und Situationen vermitteln, als dass sie eine wahrheitsgetreue Darstellung geben. Andererseits kann eine historische Perspektive nicht darauf verzichten, polemische Begegnungen Jesu mit anderen jüdischen Religionsrepräsentanten als Voraussetzung der späteren literarischen Gattung der Streitgespräche anzunehmen. Würde man diese Voraussetzung ablehnen, müsste man dann die daraus entstehende Diskontinuität des Jesusbildes erklären, wie es die Formgeschichte versucht hat. In der folgenden Analyse der Streitgespräche wird sich deutlich zeigen, dass die von der Formgeschichte angenommene Situierung der Streitgespräche in Auseinandersetzungen der Gemeinde von den Texten nicht gestützt wird. 139 Ein Beispiel der rabbinischen Polemik gegen Jesus bietet AS (Avoda Sara) 16b–17a. R. Eliezer wird der Ketzerei bezichtigt, weil er mit der Lehre Jesu, wie sie einer seiner Jünger vertritt, einverstanden ist. Der Jünger bezieht sich auf die Kritik Jesu gegen die Tempelpriester, die die prophetische Anklage in Mich 1,7 beinhaltet: „Denn mit Hurenlohn hat Samaria das angesammelt, und zu Hurenlohn wird es wieder werden.“ Die Lösung Eliezers ist, sich von der Ketzerei fern zu halten.
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Die Implikationen der einzelnen Streitgespräche werden im Detail im folgenden Kapitel diskutiert. Vorerst sollen einige methodische Fragen erörtert werden, wie diese Rekonstruktion durchzuführen ist. Eine erste methodische Beobachtung betrifft das Vorkommen der Invektiven, die eindeutig zum Redestil Jesu gehören. Sie bestätigen, dass sich Jesus in polemischen Situationen bewegte, und erweisen, dass ein mögliches Modell der Predigt Jesu die prophetische Scheltrede sein kann. Die Invektiven richten sich meistens gegen die jüdischen Lehrer. Einmal bezeichnet Jesus Herodes Antipas als einen „Fuchs“ (!k¾pgn Lk 13,32). In einem weiteren Beispiel wird Petrus Satan (satam÷r Mt 16,23) genannt. Unklar ist, ob mit den Worten „Schweine“ oder „Hunde“ in Mt 7,6 eine konkrete Gruppe gemeint war oder ob es sich nur um eine Metapher für die Verschwendung handelt: lµ d_te t¹ ûciom to?r jus·m lgd³ b²kgte to»r laqcaq¸tar rl_m 5lpqoshem t_m woiq_m, l¶pote jatapat¶sousim aqto»r 1m to?r pos·m aqt_m ja· stqav´mter N¶nysim rl÷r.
Jesus verwendet wohl eine gegen die Heiden ausfällige Anrede, jum²qia, in Mk 7,27, wenn er sich weigert, die Tochter der Syrophönikerin zu heilen. In den gleichen Jargon polemischer Sprache kann man die Logien Jesu einordnen, die eine Kriegs- und Gewaltmetaphorik enthalten. Ihre Interpretation bleibt teilweise umstritten, aber man kann allgemein sagen, dass ihre Überlieferung auf einer gewissen Polemik der Botschaft Jesu beruht. Dazu gehören der Bezug auf das Schwert140 (Mt 10,32), auf das Feuer (Lk 12,49), auf den starken Mann (Mk 3,27 par.) oder auf die Gewalttätigen im so genannten „Stürmerspruch“ (Mt 11,12//Lk 16,16). Ähnlich wie in der prophetischen Predigt ist diese Metaphorik der Gewalt und des Leidens ein Mittel, über das Gericht zu sprechen. Die These, dass Jesus von Schwert und Gewalt spricht, weil er ein Revolutionär war, lässt sich nicht verifizieren.141 Die Kreuzigung allein kann keine revolutionäre Tätigkeit Jesu beweisen. Gegen sie sprechen auch die Logien Jesu, die Gewaltlosigkeit und Feindesliebe unterstützen. Es ist keine Polemik oder Invektive Jesu gegen die römische Herrschaft überliefert. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Jesus in irgendeiner Form die römischen Besetzer oder die fremde Macht Roms im Allgemeinen attackiert hat. Sogar auf die Nachricht vom brutalen Massaker des Pilatus in Lk 13,1 reagiert Jesus mit einer Forderung zur Umkehr seiner Landesleute und nicht mit einem Aufruf gegen den römischen Stadthalter.142 140 Unklar bleibt jedenfalls die Bedeutung von Lk 22,36. Es scheint mir aber schwer, diese Stelle als einen Aufruf Jesu zum bewaffneten Widerstand zu interpretieren. 141 Diese These wurde vor allem von S.G.F. Brandon, Jesus and the Zelots: A Study of the Political Factor in Primitive Christianity, Manchester 1967, vertreten. 142 Es ist allerdings unsicher, ob diese Aussagen wirklich als Kommentar des historischen Jesus zu einem aktuellen Geschehen zu betrachten sind. Es ist nicht einfach, ein solches Ereignis zurzeit Jesu zu identifizieren. E. Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, 144, schlägt vor, Lk 13,1 auf das Gemetzel in Jerusalem (A.J. 18,60–62) zu beziehen und nicht auf die Ermordung der Samaritaner auf dem Weg zum Garizim (A.J. 18,85–87), die erst nach dem Tod Jesu stattfand.
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Die meisten Invektiven sind gegen die Pharisäer und die Schriftgelehrten gerichtet. Die Stelle, die exemplarisch angeführt werden kann, ist ohne Zweifel Mt 23, in welcher Jesus verschiedene Anreden wie z. B. rpojqita¸, bdgco· tuvko¸, lyqo· ja· tuvko¸ benutzt. Sie betreffen meistens das Verhalten dieser Personen und nicht ihre Lehre oder ihre Religion. In diesem Zusammenhang legt Matthäus Jesus die Invektive Johannes des Täufers gegen das jüdische Volk in den Mund (Mt 3,7//Lk 3,7). Als weitere Invektive gegen die Pharisäer und die Schriftgelehrten lassen sich cemm¶lata 1widm_m (Mt 23,33) oder sogar deren Variante mit eveir finden. Die Tatsache, dass bei Matthäus dieser Ausdruck in der Predigt Johannes des Täufers vorkommt, bestätigt eine gewisse Intention, die die prophetische Predigt Jesu bei Matthäus durch das Beispiel des Johannes noch klarer zum Ausdruck bringen will. Eine weitere Invektive ist die Anrede Jesu an seine Zeitgenossen als eine „böse und treulose Generation“ (ceme± pomgq± ja· loiwak¸r) (Mt 12,39; 16,4 und Mk 8,38). Vom inhaltlichen Gesichtspunkt aus ist es schwierig, genau zu bestimmen, welches die Themen sind, um die es bei der Polemik Jesu gegen die religiösen Repräsentanten ging. Diese Frage impliziert die Bestimmung des Verhältnisses Jesu zum jüdischen Gesetz, das immer noch umstritten ist. Vor allem ist es wichtig zu verstehen, was die allgemeine Einstellung Jesu zu den religiösen Phänomenen seiner Zeit war. Die Pharisäer sind Schlüsselfiguren für die Ausweitung der Reinheitsvorschriften auch auf den palästinischen Alltag.143 Die Frage scheint dabei zu sein: Hatte Jesus konkrete Einwände gegen diese religiöse Gruppierung oder fand er ihre missionarische Intention gegenüber dem Volk und ihre Konzeption der Reinheit unannehmbar? Die meisten Autoren sind der Meinung, dass Jesus nicht gegen die Tora als solche polemisierte,144 sondern dass er sich gegen die Haltung der Religiösen und gegen ihre kodifizierte Frömmigkeit145 wendet oder vielleicht gegen die Interpretation des Gesetzes durch die Tradition, die Halacha. Der Autor des Matthäusevangeliums konnte deswegen gegen die Auffassung der paulinischen Briefe seine Einstellung zum Gesetz rechtfertigen146, indem er sich auf Jesus bezog, der aus der Sicht des Evangelisten das Gesetz nicht abschaffen, sondern im Gegenteil, 143 Vgl. J.D.G. Dunn, The Partings of the Ways, 54. Er unterscheidet drei Modelle von Heiligkeit und Reinheit: die Priester, die mit dem Tempel verbunden waren, die Pharisäer, die die Heiligkeit des Tempels verbreiten wollten und die Essener, die eine Form der Heiligkeit vertraten, die im Gegensatz zum Tempelkult in Jerusalem stand. 144 Diese Meinung wird auch von R. Bultmann in seinem Jesus-Buch vertreten. Vgl. Bultmann, Jesus, 46–48. Auf S. 46 schreibt er: „Jesus hat nicht das Gesetz bekämpft, sondern er hat es, dessen Autorität für ihn selbstverständlich war, erklärt.“ 145 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 16–17. Jesus hat nicht gegen das Gesetz und nicht gegen die frommen Bräuche des Judentums polemisiert. „Wie er sich über das Sabbatgebot hinwegsetzt, so richtet sich seine Polemik gegen den gesetzlichen Ritualismus, der eine äußerliche Korrektheit erzielt, die mit einem unreinen Willen Hand in Hand gehen kann.“ (S. 17) 146 Die These einer verdeckten Polemik des Matthäus gegen die paulinische Theologie wird von G. Theißen, Kritik an Paulus im Matthäusevangelium, 466–490, vorgetragen.
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radikalisieren wollte. Das war möglich, weil Jesus tatsächlich nicht das Gesetz außer Kraft setzen wollte, sondern es in einer wirkungsvolleren Art interpretierte (Mt 5,17). Die Position des Matthäus ist allerdings in gewisser Hinsicht extrem, weil Jesus in diesem Evangelium das Gesetz in toto bestätigt und es in keinem Punkt aufheben will.147 Das Thema Gesetz, das für Markus nicht wirklich relevant ist (das Wort mºlor kommt bei Markus nie vor), nimmt bei Matthäus eine zentrale Rolle ein. Jesu Verkündigung basierte sicherlich auf der Tora, und auf dieser Basis hat er unter anderem seine Kritik an der Religion seiner Zeit formuliert.148 Jesus hat mindestens zwei Elemente aus der Tora nicht übernommen oder sich kritisch mit ihnen auseinandergesetzt: zum einen mit den Reinheitsvorschriften, was sich durch seinen Umgang mit den Sündern (Zöllner, Prostituierten) verifizieren lässt.149 Einige Erzählungen setzen eine gewisse Freiheit gegenüber den Gesetzen über die rituelle Reinheit voraus. Und zum anderen setzt sich Jesus mit den Speisegesetzen auseinander, vor allem wenn der Spruch in Mk 7,15 als authentisch angesehen wird.150 Ein weiterer Punkt ist die Kritik am Tempelkult und wahrscheinlich an der Tempelaristokratie in Jerusalem, die Jesus zum Verhängnis wurde.151 Es ist nicht auszuschließen, dass der Spruch Jesu über die Zerstörung des Tempels, der in Markus und in Matthäus als ein falsches Zeugnis im Prozess erwähnt wird (Mk 14,58/Mt 26,61)152, wirklich von Jesus stammt (siehe Joh 2,19 und ThEv 71). 147 Matthäus übernimmt z. B. nicht die Gegenüberstellung von innerer und äußerer Reinheit von Mk 7,15–19, und auch nicht die markinische redaktionelle Bemerkung in 7,19: „er erklärte alle Speisen für rein“. Das Gleiche geschieht mit der Debatte über die Ehescheidung. Matthäus sieht eine Relativierung von Dtn 24,1, nicht eine Aufhebung aufgrund von Gen 2,24. Vgl. Dunn, The Partings of the Ways, 134. 148 Der Meinung von E.P. Sanders, Jesus, 291: „I find no substantial conflict between Jesus and the Pharisees“, widerspricht m. E. die Tatsache, dass es eine Tradition von Konflikten mit den Pharisäern gibt, obwohl sie in den Evangelien in verschiedenen Varianten interpretiert wurde. Sogar Matthäus nimmt sie auf. 149 Interessant ist die Untersuchung von J. Neyrey über die Reinheit im Markusevangelium: The Idea of Purity in Mark’s Gospel, Semeia 35 (1986) 91–128. Seine Untersuchung gründet auf den soziologischen Theorien von M. Douglas über die Vorstellung von Reinheit und Religion. Jesus übertritt häufig die Grenzen der rituellen Reinheit, indem er einen Leprakranken (1,41) eine Leiche (5,41), eine blutflüssige Frau (5,24–28) berührt und in Kontakt mit Kranken, Blinden, Besessenen, Sündern und Heiden kommt. Das setzt ein neues Verständnis der Reinheit bei Jesus voraus, die in den zehn Geboten verankert ist und das Herz in den Mittelpunkt stellt (S. 116). Es ist m. E. schwer vorstellbar, dass das alles nur auf die Tradition zurückgehen und wenig mit dem historischen Jesus zu tun haben soll. 150 Dazu vgl. L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments, 143: „Das Logion selbst aber ist zweifellos echt, denn es hebt auf, was in der gesamten Umwelt galt und auch in der nachösterlichen Gemeinde, wie der antiochenische Zwischenfall zeigt (Gal 2,11–14).“ D. Lührmann, …womit er alle Speisen für rein erklärte, 89 Anm. 54. 151 Vgl. O. Betz, Probleme des Prozesses Jesu, ANRW II,25,1, (1982), 630–632. 152 Lukas berichtet von diesem Spruch ebenfalls als falsches Zeugnis gegen Stephanus in Apg 6,14. Durch die Vorstellung eines falschen Zeugnisses kann Markus den Verdacht ausräumen, dass
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Im komplexen Panorama des Judentums im 1. Jh. bildet eine kritische Haltung zur Anwendung des Gesetzes und zur Interpretation einiger Vorschriften keine Ausnahme. Diese Elemente erlauben kein eindeutiges Urteil darüber, wie sich Jesus tatsächlich zum Gesetz verhalten hat, ob er die Halacha,153 die praktische Anwendung des Gesetzes sowie die Formen der Frömmigkeit des Volkes kritisiert hat. Es ist wahrscheinlich, dass Jesus nicht das Sabbatgebot als solches in Frage gestellt, sondern eher bestimmte Interpretationen dieses Gebots kritisch gesehen hat, wie es vor allem den lukanischen Sabbatperikopen zu entnehmen ist.154 Diese Aspekte sollen in der Analyse der Streitgespräche diskutiert werden. Die hier herangezogenen Texte geben nicht mehr und nicht weniger als zahlreiche Einzelhinweise zu Jesus als Polemiker, weil sein polemisches Profil durch die Tradition und die Rezeption immer wieder neu modelliert und teilweise modifiziert wurde. Das kann unter anderem durch einige Spannungen in den Texten bestätigt werden. Wie kann Jesus eine nicht-aggressive Redeweise in Mt 5,28 so deutlich zum radikalen ethischen Prinzip machen und dann selbst im gleichen Evangelium gegen die Pharisäer so aggressiv vorgehen? Nach Renan muss man im Leben Jesu eine Entwicklung von einer idyllischen Zeit in Galiläa zu einer apokalyptischen und stürmischen Zeit in Jerusalem annehmen.155 Für andere liberale Autoren wie K.T. Keim ist es ein Indiz für die Schwankungen im Gemüt Jesu, der eine große Spannung in seinem Mensch-Gott-Bewusstsein erlebte.156 A. Schweitzers apokalyptischprophetische Darstellung der Predigt Jesu wollte die Debatte über ein psychologisch-psychiatrisches Profil der Persönlichkeit Jesus überwinden, indem er die Unableitbarkeit der Kultur und der Mentalität Jesu als eines Apokalyptikers unterstrich. In einer Untersuchung zu den Streitgesprächen Jesu ist die Frage nach der polemischen Aktivität Jesu der notwendige Ausgangspunkt. Es ist nämlich unwahrscheinlich, dass die Streitgespräche erst von der christlichen Gemeinde verfasst worden sind, ohne dabei eine historische Verbindung zu Jesus zu haben. Die Evangelisten behandeln die Debatten Jesu als ein auszuarbeitendes Thema. Doch das Profil des polemischen Jesus gilt für alle als unbe-
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Jesus vielleicht ein politischer Revolutionär gewesen sein kann. Am Anfang der apokalyptischen Rede in Mk 13 sagt Jesus allerdings in indirekter Form die Zerstörung des Tempels voraus. Z.B. die Normen über das Korban und das Händewaschen, die in Mk 7 diskutiert werden, Sie gehören eher zur Tradition, wie in der Antwort Jesu gesagt wird. Die Texte, alle in Form eines Streitgesprächs, die sich mit dem Sabbat beschäftigen, sind in allen 4 Evangelien zu finden: Mk 2,23–28; 3,1.6 (und Parallelen); Lk 13,10–17; 14,1–6; Joh 5,2–18 und 9,1–41. Nach E. Schweizer, Theologische Einleitung in das Neue Testament, NTD E 2, Göttingen 1989, 15, kann man den Ursprung dieser Texte so erklären. Jesus hat am Sabbat geheilt (was grundsätzlich kein Problem war) und die Gemeinde hat somit mit der Zeit entschieden, dass Jesus gegen den Sabbat war. E. Renan, Vie de J sus, 64–65 und 318–325. K.T. Keim, Geschichte Jesu von Nazara III, 637.
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streitbar und dient deshalb als eine Richtschnur, um die Gesamterzählung über Jesus zu gestalten. Kein Evangelist kann eigentlich auf die Debatten Jesu verzichten. Sogar das Johannesevangelium, das sich von vornherein durch den Prolog von einer biographischen Gattung distanziert und jede biographische Bestimmung Jesu als Fehlerkenntnis erklärt (nämlich den Bezug auf Familie, Ort, Menschsein), da er vor allem der Logos ist, kann auf das Paradigma des Propheten (Joh 4,19) oder des Lehrers (20,16) nicht völlig verzichten. Die normative Bewertung der polemischen Tätigkeit Jesu hat schon in den ersten literarischen Formen zwei konkurrierende Paradigmen herausgebildet: das eines apokalyptischen Propheten und das eines Lehrers. Die Autoren der Evangelien hatten im Grunde das gleiche Dilemma wie heutige Interpreten mit der Person Jesu157, nämlich die normative Beurteilung der Verkündigung Jesu und seiner Polemik. Die jüngeren Evangelien stehen vor einer Vielfalt von Elementen, die sie teilweise interpretieren, teilweise kommentarlos wiedergeben. Es geht immer wieder um die Modellierung des Jesus-Bildes und seine Modellierung im Verlauf der Zeit und in den Debatten der Gemeinde. Die älteste literarische Konkretion eines Bildes Jesu als Polemiker ist ein prophetisches Bild. Dieses findet man vor allem in der Logienquelle (Q),158 die literarisch in der Nähe prophetischer Bücher zu verorten ist. Q überliefert einige Taten und vor allem Aussprüche Jesu, beschreibt aber weder seine Geburt noch seinen Tod. Jesus wird als eine Art Prophet präsentiert, der in Kontinuität mit dem prophetischen Redestil steht und sogar das gleiche Schicksal mit den Propheten teilt. Als Prophet steht Jesus einer weiteren prophetischen Gestalt nahe, vielleicht sogar in einer gewissen Konkurrenz zu ihr: Jesus spricht ähnlich wie Johannes der Täufer vom bevorstehenden Gericht, obwohl er nicht die asketische Lebensweise des Johannes teilt. Dass Jesus selbst auch prophetische Züge in seiner Predigt aufwies, ist m. E. unbestreitbar.159 Aber erst die Logienquelle betont diese prophetischen Züge 157 Die von M. Karrer, Der lehrende Jesus, 1–20, dargestellte Debatte in der deutschen Exegese, ob Jesus als Lehrer oder als Prophet zu bezeichnen ist, (H.J. Holtzmann gegen A. Schweitzer), bietet zwei Kategorien, die schon bei der Abfassung der Evangelien und der ihr vorliegenden Quellen eine Rolle spielten. Der häufige Gebrauch des Wortes did²sjakor im Markusevangelium zeigt, wie wichtig diese Kategorie für das zweite Evangelium ist, während die Prophetie im Gegensatz dazu in einem heidnischen Kontext wenig anwendbar war. 158 Man kann einen grundsätzlichen Unterschied in der Bewertung der Logienquelle in der nordamerikanischen Exegese (eine weisheitliche Sammlung der Jesu Logien) und in der europäischen Exegese (eine prophetische Sammlung der Jesu Logien) bemerken; vgl. Chr. Heil, Die Q-Rekonstruktion des internationalen Q-Projekts: Einführung und Resultate, NT 43 (2001), 131. Man kann zwar in Q sicherlich weisheitliche Elemente finden, doch entscheidend scheint mir die Vorstellung des Todes Jesu als ein prophetisches Schicksal zu sein. 159 Dieser Aspekt wird besonders in der Forschung des third quest betont. N.T. Wright, Jesus and the Victory of God, 163–170, betont, dass der historische Jesus ein Prophet war. Er verband wie Johannes die zwei Aspekte der Prophetie der Zeit (oracular prophet und leadership prophet). Seine Verkündigung ist durch drei Elemente charakterisiert: „he was itinerant, he gave extensive teaching which (…) carried a note of even greater urgency then that of John, and he was engaged in a regular programme of healing“ (S. 169). Allerdings bleibt die Prophetie von Jesus
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so stark, dass sich das Bild Jesu als eines endzeitlichen Propheten ergibt. Demgegenüber sind in Q die Gleichnisse – Jesus als Lehrer – nur sehr gering vertreten. Es fehlen allerding in Q die Tempellogien. Die prophetische Vorstellung wird konsequent auf den Tod Jesu angewendet, ohne dass man von einer römischen Beteiligung spricht (Q 13,34 f.). Zentral für diese prophetische Polemik scheinen mir der Stürmerspruch (Mt 11,12; Lk 16,16) und die Parallelen zu Johannes dem Täufer zu sein.160 Das Markusevangelium präsentiert seinerseits ein Bild von Jesus, das sich trotz der Polemik von diesem prophetischen Entwurf entscheidend distanziert. Die Frage, ob Markus die Logienquelle gekannt hat, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Was Markus jedenfalls bekannt war, ist die Vorstellung von Jesus als einem Propheten. In seinem Evangelium korrigiert er diesen Aspekt: Jesus wird zwar von seinen Zeitgenossen als Prophet bezeichnet, wie es zu damaliger Zeit angesichts eines solchen Predigers gang und gäbe war (Mk 6,28; 14,65), doch wie Markus Jesus beschreibt, spricht und handelt er als ein did²sjakor. Dabei bleibt er weiterhin der Sohn Gottes, worauf in den Hauptbekenntnissen des Evangeliums immer wieder beharrt wird. Markus verwirft möglicherweise das Bild Jesu als eines Propheten, um so kurz nach dem jüdischen Krieg das politische Missverständnis zu vermeiden, der gekreuzigte Jesus sei ein antirömischer apokalyptischer Prophet gewesen. Die Korrektur dieses Bildes betrifft auch die Darstellung der polemischen Auseinandersetzungen Jesu mit den religiösen Gruppierungen des Judentums. Was für diese Untersuchung interessant ist, ist die Tatsache, dass Jesus bei Markus fast nie eine aggressive Art des Sprechens verwendet. Nur einmal spricht er die Pharisäer als rpojqita¸ an (Mk 7,5). Markus will den Aspekt des Lehrers in den Mittelpunkt stellen und gibt daher den Gleichnissen eine bedeutende Rolle in Jesu Verkündigung. Jesu Logien über den Tempel (Mk 11,16 f.; 13,2; 14,58), die den Verdacht erwecken, Jesus sei ein politischer Rebell gewesen, werden im Prozess gegen Jesus als ungerechtes falsches Zeugnis dargestellt (Mk 14,58). Nach dem Markusevangelium hat die Tempelaktion auch keine Konsequenzen für die übrige Zeit in Jerusalem gehabt: Jesus lehrt trotz Mk 11,18 ungehindert. In diesen Rahmen sind die Jerusalemer Streitgespräche eingebettet. Sie sind in der gleichen Form abgefasst, in der die bekannten Persönlichkeiten der hellenistischen Welt beschrieben wurden.
einzigartig: „Jesus’ prophetic work makes historical sense, yet remains in a class of its own.“ (S. 170). 160 Ausführlich zur Stelle: L. Scornaienchi, Jesus als Polemiker, 398–403.
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3.2 Die Streitgespräche als Polemik der christlichen Gemeinde Die These einer polemischen Einbettung der Streitgespräche in die Debatten der frühchristlichen Gemeinde ist zuerst von R. Bultmann aufgestellt worden, der M. Dibelius’ Hypothese vom Sitz im Leben in der Predigt der christlichen Gemeinde korrigieren wollte, doch zugleich die Einbettung der Jesus-Tradition in das Leben der Gemeinde untermauern wollte. Bultmann reagiert nämlich zugleich auf die These von M. Albertz, nach der die Streitgespräche auf ursprüngliche Konflikte des historischen Jesus zurückzuführen sind. Das Verhältnis dieser Texte, in denen Jesus im Mittelpunkt steht, ist eines der Diskontinuität zum historischen Jesus. Das kann man aus Bultmanns grundsätzlicher Beantwortung der Frage nach dem Sitz im Leben der Streitgespräche entnehmen: Wo hat die Erzählung der Streitgespräche innerhalb des geschichtlichen Lebens ihren festen Platz gehabt? Die Antwort wird lauten: in der Apologetik und Polemik der palästinensischen Gemeinde.161
Aus dem Kontext des Lebens in der Gemeinde werden dann die Streitgespräche auf Jesus zurückprojiziert, der den Instanzen der Gemeinde damit eine wirkungsvolle Antwort gibt. Die Unterscheidung zwischen der palästinischen und der hellenistischen Gemeinde bleibt dabei für die historische Rekonstruktion Bultmanns grundlegend. Paulus wird vom Kerygma der hellenistischen Gemeinde geprägt. Die palästinische Gemeinde steht dem Judentum näher, mit dem sie eine grundsätzliche theologische und rituelle Basis teilt. Die Streitgespräche sind deshalb in der palästinischen Gemeinde entstanden, weil sie Themen des Gesetzes behandeln. Doch ein Problem wirft bei dieser These schon die literarische Form der Texte auf, die nicht der prophetischen Predigt oder Polemik, sondern dem griechischen Apophthegma entspricht. Bultmann löst die Schwierigkeit eines direkten Einflusses der griechischen Form auf die palästinische Gemeinde, indem er in der Abfassung der Streitgespräche einen rabbinischen Einfluss erkennen will.162 Um die volkstümliche Natur dieser Art des Disputs bei den Rabbinern zu unterstreichen, hebt Bultmann hervor, dass die rabbinischen Streitgespräche eher in der Volkserzählung als in der Schultätigkeit verwurzelt sind. Ein entscheidendes Argument für die Einbettung der Streitgespräche in die Polemik der christlichen Gemeinde ist für Bultmann darin zu sehen, dass die Vorwürfe der Gegner sich gegen die Jünger Jesu (und nicht gegen Jesus) richten: 161 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 41. 162 Bultmann betont drei Elemente, die auch in den rabbinischen Debatten zu finden sind: die Verwendung der Gegenfrage, die symbolische Handlung (wie das Fordern einer Münze in Mk 12,13–17) und das Zitat aus der Schrift (Geschichte der synoptischen Tradition, 43–45).
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Die Jünger sind die Angegriffenen, d. h. die Gemeinde ist es, und sie wehrt sich mit der Berufung auf ihren Meister.163
Man muss aber kritisch anmerken, dass die Episoden, bei denen die Jünger in der Kritik stehen, eher eine Ausnahme sind, weil die meisten Einwände gegen die Person Jesu erhoben werden. Die Vorwürfe gegen die Jünger können zudem als indirekte Attacke gegen Jesus verstanden werden, weil damit seine Lehrtätigkeit und seine Lehre in Frage gestellt werden. Klar ist, dass der Zusammenhang zwischen dem Verhalten Jesu und dem Verhalten seiner Jünger für die Streitgespräche wesentlich ist. Die Schilderung des polemischen Charakters der Streitgespräche bleibt bei Bultmann unbestimmt. Die Gegner sind meistens Pharisäer und Schriftgelehrte, die vielleicht eine aktive Rolle bei den Debatten der Urgemeinde spielten. Die Polemik ist aber nach Bultmann zu differenzieren: In manchen Fällen – wie bei der Forderung nach einem Zeichen – muss das ganze Volk als feindlich angesehen werden, in anderen Fragen, wie Fasten, Reinheit oder Ehescheidung, handelt es sich um interne Debatten in der christlichen Gemeinde.164 Bultmann will ein differenziertes Bild dieser Polemik geben und es dabei vermeiden, dass alles auf die Kontroverse mit dem Judentum reduziert wird. Die späteren Untersuchungen zu den Streitgesprächen versuchen die polemischen Zusammenhänge der Streitgespräche und ihre Lokalisierung präziser als Bultmann zu beschreiben. H.-W. Kuhn nimmt eine erste wichtige Korrektur der These vor, nach der die Streitgespräche im Rahmen einer Polemik der christlichen Gemeinde gegen das Judentum stattfinden. Nach Kuhn sind die Streitgespräche zwar aus der Polemik der Gemeinde entstanden, aber sie wenden sich nicht nach außen, gegen das Judentum, sondern vielmehr nach innen, indem sie die Auseinandersetzung zwischen Juden- und Heidenchristen thematisieren. Damit wird eine entscheidende Streitfrage in Zusammenhang mit der These Bultmanns beantwortet, nämlich die Frage, warum Jesus in den Debatten eine Schlüsselrolle spielt, obwohl seine Autorität bei den jüdischen Gegnern nicht anerkannt ist. Zahlreiche Argumente der Streitgespräche basieren nämlich eben auf dieser Vollmacht des Menschensohnes.165 Kuhn korrigiert Bultmanns Hypothese aber noch in einem weiteren Punkt, nämlich hinsichtlich der Entstehung der Streitgespräche, die er nicht mehr in 163 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 50. 164 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 56. 165 H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 84, betont diese polemische Natur der Streitgespräche und zwar in der Debatte zwischen Judenchristen und Judentum. Kuhn stellt allerdings fest, dass die Argumentation sich nicht an Juden außerhalb der Gemeinde richten kann, die die Autorität des Menschensohns nicht annehmen konnten. „Für sie wäre die benutzte Argumentation völlig unverständlich. Die Angeredeten sind vom Judentum her kommende Christen (bzw. eventuell auch Juden, die sich der Gemeinde anschließen wollen).“ (S. 96).
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der palästinischen Gemeinde verortet. Die Auseinandersetzung zwischen Juden- und Heidenchristen fand tatsächlich nicht in Palästina statt, sondern in Syrien, wie wir aus dem Zwischenfall in Antiochien entnehmen können. Die Streitgespräche sind nach Kuhn daher in Syrien entstanden, um die Position der Judenchristen zu bekämpfen.166 Sie wurden von Lehrern für Lehrer verfasst. Grundlegend für diese Interpretation ist vor allem Mk 2,13–17, eine Textstelle, die nach Kuhn das Problem der Tischgemeinschaft aufwirft. Dieselbe Frage nach der Opposition der Judenchristen musste Paulus in Gal 2,15 beantworten. Bei Kuhn heißt es: Die „Sünder“, mit denen Jesus bei Markus zusammen speist, müssen als „Heiden“ verstanden werden. Zum Thema Fasten ergänzt die Praxis der Gemeinde die Position des historischen Jesus, denn Jesus war gegen das Fasten. Mit der Verlagerung des Entstehungsortes der Polemik von Palästina nach Syrien, einem der hellenistischen Kultur näherstehenden Gebiet, hätte Kuhn die Möglichkeit gehabt, eine bessere Erklärung für den Ursprung der literarischen Form des Apophthegmas als Bultmann zu liefern. Kuhns Untersuchung aber betrifft nur die Zusammenstellung der Streitgespräche und nicht deren literarische Form. Die später folgenden Untersuchungen basieren auf diesem neuen Ansatz von Kuhn. Hultgren verweist zudem auf die doppelte Natur der Streitgespräche, die teils in einem palästinischen167 und teils in einem hellenistischen168 Kontext entstanden seien. Mit dieser Synthese zwischen der Annahme eines palästinischen und derjenigen eines hellenistischen Sitzes im Leben bleibt Hultgren weiterhin den Thesen Bultmanns verbunden. W. Weiß betont, dass die Streitgespräche eine apologetische Funktion „im Sinne einer Selbsterklärung gegenüber jüdischen Vorwürfen“ haben169, die die religiöse Praxis der Gemeinde betrifft. In ihrer Grundform enthalten die Streitgespräche nämlich keinerlei Polemik im Sinne einer „offensiven Abwehr“, wie sie z. B. in einem später entstandenen Text wie Mk 7,9–13 zu finden
166 H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen in Markusevangelium, 98: „Über den geographischen Ort läßt sich vom Text unserer Sammlung her nur so viel sagen, daß hier eine gemischte Gemeinde aus Juden- und Heidenchristen (vgl. die Frage der Tischgemeinschaft) angesprochen wird und daß judenchristliche Probleme eine Rolle spielen.“ Wegen der Häufung solcher Probleme dürfte es naheliegend sein, an Syrien zu denken (vgl. der Konflikt bezüglich Petrus und den Leuten des Jakobus in Antiochien). 167 Nach A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 176, haben die palästinischen Streitgespräche eine apologetische Funktion. Sie zeigen, worauf sich die Positionen der Christen gründen: „By means of these stories the Palestinian Church defended its own conduct and belief, by appealing to the conduct and attitude of Jesus. The traditions about Jesus became a vehicle to show ,how it all started‘; his conduct and attitudes were displayed as the prototype of Christian conduct and belief.“ 168 A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 178, vermerkt, dass die Debatten über Tradition (Mk 7,1–8), Ehescheindung (Mk 10, 2–9) und Auferstehung (Mk 12,18–27) in einem hellenistischen Kontext entstanden sind. 169 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 280.
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ist.170 Weiß kann diese Polemik genauer als eine „innerjüdische synagogale Auseinandersetzung, aber unter deutlicher Ausrichtung auf den Kreis der Sebomenoi“171 bestimmen. Unwahrscheinlich ist nach Weiß die Hypothese einer Debatte zwischen Judenchristen und hellenistischen Missionaren, wie sie sich in Apg 11,1–3 abspielt. Trotz des redaktionsgeschichtlichen Ansatzes kann W. Weiß die Hypothese eines polemischen bzw. apologetischen Sitzes im Leben der Streitgespräche annehmen, weil er die Existenz einer ursprünglichen Grundform der Streitgespräche postuliert, die in der Gemeinde verfasst wurden und von der redaktionellen Arbeit nicht wesentlich modifiziert wurden. Wenn aber die Überlieferungsgeschichte detailliert rekonstruiert und der Ursprung der Logien betrachtet wird, die Jesus in den Streitgesprächen zugeschrieben werden, wird es schwierig, die Vorstellung eines ursprünglich einheitlichen Sitzes im Leben und einer ursprünglichen Grundform zu behaupten. W. Thissen spricht nur noch von einer „polemischen Note“172 der Streitgespräche. Die Streitgespräche in Mk 2,1–3,6173 seien keine kasuistischen Debatten über verschiedene Themen, sondern sie stellten exemplarische Szenen dar, in denen das radikal Neue der Präsenz Jesu konkret zum Ausdruck komme. Entscheidend sei daher nicht die Präzisierung der christlichen Auffassung der Vergebung der Sünden, des Fastens und des Sabbats, sondern die Tatsache, dass Jesus das religiöse Leben verändere. Es geht hier nicht um Kasuistik, wie sehr der Mensch vor Gott Sünder ist, wie oft er fasten muß und wie viel vom Sabbat eingehalten werden muß. Es geht um das Ganze: die Sünde wird vergeben, das Fasten eingestellt, die Autorität des Sabbats gebrochen.174
Die Bedeutung der Streitgespräche sei deshalb christologisch: Sie bilden das Kerygma der Gemeinde, die Neuheit und die Befreiung, die Jesus herbeigeführt hat. Die Probleme, die aus der Annahme eines polemischen Sitzes im 170 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 282: „Die Grundform der Streitgespräche hat ihren Sitz im Leben also nicht in der Polemik im Sinne offensiver Abwehr.“ 171 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 285. 172 W. Thissen, Die Erzählung der Befreiung, 114–116. 173 Thissen unterscheidet auf S. 115 die Streitgespräche in Mk 2,1–3,6 von den thematischen Debatten über die Steuern (Mk 12,13–17), die Ehescheidung (Mk 10,1–12) und die Auferstehung (Mk 12,18–27). Diese Unterscheidung zwischen den Streitgesprächen ist aber von Thissen nicht adäquat vertieft worden. 174 W. Thissen, Die Erzählung der Befreiung, 115. Die Debatten sind deshalb keine einzelnen Diskussionen, sondern sie sind von der Behauptung abhängig, dass Jesus der Christus ist. Auf S. 116 stellt Thissen diese Frage, die im Grunde die Hypothese der Formgeschichte eines apologetischen oder polemischen Sitzes im Leben in der religiösen Praxis der Gemeinde überwindet: „Wenn die Konfliktszenen in Mk 2,1–3,6 in der dargelegten Weise geprägt sind, so sind dann die fünf Einzelkonflikte nicht nur der Vordergrund, der insgesamt die Außenseite eines Hintergrundes bilden, der nicht nur mehrere einzelne Konfliktstoffe zum Inhalt hat – etwa ob die Gemeinde fasten soll oder nicht – sondern den Konflikt, der durch den Jesus bedingt ist, welcher der Christus ist?“
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Leben der Streitgespräche in den religiösen Debatten der christlichen Gemeinde mit dem Judentum entstehen, fördern die Entwicklung einer weiteren Hypothese über die polemische Einbettung der Streitgespräche, die nun im folgenden Abschnitt darstellt wird. 3.3 Die Streitgespräche als literarische Antwort auf die Polemik gegen die Gestalt Jesu Die beiden geschilderten Hypothesen einer polemischen Einbettung in die Wirksamkeit des historischen Jesus einerseits und in die Debatte der Gemeinde andererseits basieren zwar auf textinternen Elementen der Streitgespräche, können aber die Genese der Streitgespräche nicht hinreichend erklären. Die Streitgespräche bezeugen, dass die Verkündigung Jesu eine gewisse Polemik enthielt, die vielleicht zu Konflikten mit den zeitgenössischen Theologen führte. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Texte ohne jeden historischen Grund einfach von der Gemeinde erfunden und auf Jesus zurückprojiziert wurden. Die Polemik der christlichen Gemeinde gegen das Judentum ist ein bemerkenswertes Phänomen, das sicherlich Spuren in den Debatten über den Sabbat, die Reinheit, das Fasten, die Ehe und die Vollmacht Jesu hinterlassen hat. Das Christentum suchte nämlich die Elemente eines von der ursprünglichen Religion autonomen religiösen Systems zu entwerfen, indem es in Bezug auf bestimmte jüdische Vorschriften eine kritische Position vertrat. Dieser Erklärung der Streitgespräche als Produkt der Polemik der Gemeinde stehen folgende Probleme gegenüber. (1) Die Argumente, die Jesus in den verschiedenen Streitgesprächen anführt, wären in einer wirklichen polemischen Auseinandersetzung nicht schlüssig. Die Vorwürfe gegen das Heilen Jesu oder das Ährenraufen seiner Jünger am Sabbat können nur Ausdruck einer überstrengen Position sein, die die Pharisäer kaum vertraten. Das von Jesus in Mk 2,26 zitierte Beispiel Davids, der nach 1Sam 21,7 die Schaubrote aß, hat wenig mit dem Sabbat zu tun und wäre kaum in einer echten Polemik als Argument für eine liberale Haltung gegenüber dem Sabbatgebot anwendbar. Der Unterschied zwischen den beiden Übertretungen ist außerdem markant: David bricht eine Vorschrift der Tradition, die Observanz des Sabbats ist dagegen ein Gebot der Tora. Die Antwort Jesu in der Debatte über die Mahlgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern enthält das in der griechischen Literatur bekannte Bildwort des Arztes, das schwerlich in eine Auseinandersetzung über die rituelle Unreinheit passen würde. Die Frage nach dem Händewaschen kann nicht auf die gleiche Ebene wie die Reinheit der Speisen gestellt werden, weil wiederum die erste (das Händewaschen) eine Vorschrift der Tradition und die zweite (die Reinheit der Speisen) ein Gebot der Tora ist. In einer wirklichen polemischen Auseinandersetzung würde dies alles als zu ungenau gelten.
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(2) Auch ein weiteres Element scheint die These einer Einbettung der Streitgespräche in die Polemik der Gemeinde gegen das Judentum zu schwächen. Die Argumente, die Jesus in den galiläischen Streitgesprächen anführt, basieren auf der Vollmacht Jesu. Er kann Sünden vergeben, Mahlgemeinschaft mit Sündern haben und sie in seine Nachfolge rufen, das Fasten zeitlich unterbrechen und Herr über den Sabbat sein. Für die jüdischen Gegner wäre aber diese christologische Argumentation überhaupt nicht überzeugend, weil die Person Jesu für sie keine Autorität besaß. Kuhns Korrektur der These Bultmanns, nach der die Streitgespräche aus der internen Debatte zwischen den Juden- und Heidenchristen zu verstehen sind, stellt die Frage nach der Autorität Jesu. Beide Fronten einer internen Polemik hätten die Autorität Jesu anerkannt. Deshalb lassen sich nicht alle Streitgespräche aus der Perspektive einer internen Polemik deuten. Diese Hypothese kann z. B. den Hintergrund der Frage nach der 1nous¸a Jesu in Mk 11,27–33 erklären, wenn sie mit der Prämisse formuliert wird, dass in dem internen polemischen Zusammenhang die Vollmacht Jesu nicht in Frage stand. Kuhns Hypothese löst aber nicht die Zweifel am überzeugenden Charakter der einzelnen Argumente auf. Wenn Mk 2,13–17 aus der innergemeindlichen Polemik über die Mahlgemeinschaft mit den Heiden entstanden ist, muss man z. B. erklären, warum in den Streitgesprächen die breit debattierte Frage der Beschneidung nicht thematisiert wird.175 Diese Einwände machen eine weitere Hypothese zu der polemischen Einbettung der Streitgespräche notwendig, nämlich die Polemik gegen die Gestalt Jesu. Jesus galt schon während seiner Wirksamkeit als eine umstrittene Figur. Das Evangelium als neue literarische Gattung handelt von den Ereignissen im Leben Jesu und rückt daher in die Nähe der biographischen Literatur. Die Streitgespräche nehmen einige sehr verbreitete Vorwürfe gegen Jesus auf und lassen Jesus selbst in einer polemischen Situation Rechenschaft ablegen. Vorwürfe verschiedener Natur gegen die Person Jesus prägten noch für einige Jahrhunderte die Debatten der Christen mit der heidnischen Umwelt. Es ist erstaunlich, wie diese Debatten bei den Kirchenvätern noch ausführlich diskutiert werden. Anders als bei den Kirchenvätern besteht die Leistung des Autors des ältesten Evangeliums nicht in einer ausführlichen Widerlegung der einzelnen Vorwürfe, sondern in ihrer Darstellung in Form von Apophthegmen. Diese Streitszenen sind aber nicht voneinander isoliert, wie die Charakteristik der Apophthegmen als abgeschlossener Einheiten suggerieren könnte.176 Sie verbinden sich mit dem zentralen Ereignis im Leben Jesu, 175 Die Beschneidung wird nur in Joh 7,22–23 im Zusammenhang einer Debatte über die Heilung am Sabbat erwähnt und sonst an keiner anderen Stelle der Evangelien außer Lk 1,58 (die Beschneidung des Johannes) und Lk 2,21 (die Bescheidung Jesu). In Joh 7,22–23 ist die Beschneidung, die am Sabbat durchgeführt wird, kein Bruch des Sabbat-Gebots, im Gegenteil ist sie vom Gesetz so vorgeschrieben und auch eine Heilung bricht nicht die Observanz des Sabbats. Es handelt sich allerdings um keine Debatte über die Beschneidung. 176 Diese Charakteristik der Apophthegmen, dass sie tatsächlich leicht vom Kontext trennbar sind,
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nämlich seinem Tod am Kreuz. Es ist kein Zufall, dass schon in Mk 2,7 im ersten Streitgespräch die Anklage der Blasphemie durch die religiösen Autoritäten klar zum Ausdruck kommt. In Mk 14,64 wird dies der Hauptanklagepunkt gegen Jesus sein; deswegen wird er zur Todesstrafe verurteilt. Am Ende der ersten Sammlung der Streitgespräche wird der Zusammenhang mit dem Tod am Kreuz durch die redaktionelle Bemerkung in Mk 3,6 noch klarer: „Und nachdem die Pharisäer hinausgegangen waren, machten sie sofort einen Plan gegen ihn, um ihn zu töten“.177 Der Tod am Kreuz ist wiederum das Hauptthema der heidnischen und der jüdischen Polemik. Die Streitgespräche enthalten einzelne Vorwürfe gegen die umstrittene Persönlichkeit Jesu, die sich durch literarische Mittel auf die Tragik des Kreuzes beziehen. Es ist klar, dass die punktuelle Widerlegung der Vorwürfe in den einzelnen Streitgesprächen die Todesstrafe gegen Jesus als ungerecht erscheinen lassen. Damit wird die apologetische Funktion der Darstellung der Polemik zwischen Jesus und den Repräsentanten der religiösen Gruppierungen seiner Zeit klar. Der Leser wird daher durch „extrakommunikative Äußerungen“ als eine Instanz des Evangelisten angesprochen. Jesus handelt dabei wie ein griechischer Lehrer, der seine Weisheit trotz einer schwierigen Situation behaupten und die feindseligen Gegner ausstechen kann. Die einzelnen Apophthegmen sind in einer Art „Dramaturgie“ miteinander verbunden: Die hervorragende Weisheit Jesu wird nicht anerkannt, vielmehr ist sie ein Grund, weshalb Jesus als Gefahr betrachtet wird und zu einem tragischen Tod verurteilt wird. Es war in der griechischen Welt bekannt, dass die Philosophen meistens ein schwieriges Leben führten und einen „gefährlichen Beruf“ ausübten.178 Der Vergleich mit der Welt der Philosophie hilft, die Tragik der Passion Jesu in einem griechischen Kontext zu erklären. Die Streitgespräche stellen sich als kleine Prozesseinheiten gegen Jesus dar, die beinahe die im eigentlichen Prozess fehlende Apologie (da Jesus konsequent schweigt) ersetzen. Die normative Beurteilung der Polemik erfolgt bei Markus gemäß einer inhaltlichen und einer formalen ethischen Perspektive. Jesus kann sich inhaltlich durch einschlägige Argumente gegen seine Gegner behaupten oder er kann die Widerlegung meisterhaft vermeiden und seine Gegner in Widersprüche verwickeln. Das formal-ethische Urteil beruht auf dem Verhalten Jesu, der den Intrigen der Pharisäer und Schriftgelehrten nicht mit Aggression, sondern mit sachlichen Argumenten begegnet. Er verhält sich nicht absichtlich provozierend, er verwendet keine Invektive oder Ironie; er ist vielmehr derjenige, der Recht erhält, weil seine Antworten prägnant und präzise die List der Pharisäer hat in der Formgeschichte dazu geführt, ihre fragmentarische Entstehung zu vermuten. Das ist aber die literarische Besonderheit der Apophthegmen. 177 ja· 1nekhºmter oR Vaqisa?oi eqh»r let± t_m gGq\diam_m sulbo¼kiom 1d¸doum jatû aqtoO fpyr aqt¹m !pok´sysim. 178 Vgl. L. Canfora, Un mestiere pericoloso. La vita quotidiana dei filosofi greci, Palermo 2000. Er beschreibt das Leben einiger sehr bekannten griechischen Philosophen, die einen tragischen Tod erlitten.
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unterlaufen, ohne dabei eine ausführliche Stellungnahme zum Thema zu bieten. Dem korrekten Verhalten Jesu entspricht umgekehrt das listige Verhalten der Gegner, die alle möglichen Kunstgriffe anwenden und sogar Jesus für seine Gelehrsamkeit loben, um ihn bei einem Fehlschritt zu ertappen und ihn daher beschuldigen zu können. 3.3.1 Der abstoßende Tod Jesu am Kreuz Die polemischen Vorwürfe gegen Jesus, die in jüdischer und paganer Umwelt entstanden waren, sind vor allem in den Schriften der Apologeten und der Kirchenväter zu finden. Eine apologetische Bemühung begleitet zwar die Geschichte des Christentums von ihren frühesten Zeiten an und kann nicht als ein späteres Phänomen betrachtet werden. Doch Kelsos und Porphyrios, die sehr kritische Werke gegen die christliche Religion verfassten, verkörpern die eigentliche literarische Polemik gegen das Christentum. Ihre Thesen wurzeln großenteils in einer älteren antichristlichen Polemik. Die polemischen Werke gegen das Christentum nehmen in vielen Fällen polemische Motive auf, die aus anderen Kontexten stammen und bieten absichtlich eine Art Sammlung aller polemischen Argumente. Bemerkenswert ist Kelsos’ Verwendung von jüdischen Vorwürfen. In einem Teil seines nur fragmentarisch erhaltenen Werkes lässt Kelsos einen Juden sprechen, der einen fiktiven Dialog mit Jesus führt und alle mögliche Vorwürfe auflistet, die in jüdischem Milieu gängig waren.179 Einer der schweren Vorwürfe gegen die Christen richtete sich gegen die Tatsache, dass ihr Gründer, Erlöser und moralischer Führer ein gekreuzigter Jude war. Der weitere Vorwurf einer nicht ehrenhaften ethnischen180 und familiären181 Herkunft Jesu verband sich mit der beschämenden Hinrichtung 179 C.C. Bücher 3–4. 180 Die Kirchenväter müssen auf den Vorwurf der „barbarischen“ Herkunft Jesu antworten. In der Auflistung der Völker, die wegen ihrer Weisheit besondere Verdienste gewonnen haben, fehlen nach Kelsos (C.C. 1,16) die Juden. Dazu gehören im Gegenteil die Ägypter, die Assyrer, die Inder, die Perser, Odrysen, Samothrakier, die Eleuser, die Hyperboräer, die Galaktofagier, die Druiden und die Getier. Die Juden werden nicht genannt, weil sie ihre philosophische Konzeption über den Ursprung der Welt von anderen Völkern übernommen haben und in einem ethnischen Partikularismus benutzt haben. Daher ist Moses kein origineller Autor. Deswegen kann Kelsos behaupten, dass die Christen Qdi_tai ja· !cqoijºteqoi sind (C.C. 1,27). Das Christentum ist unter anderem eine neu eingeführte Lehre (1,26c). Diese Meinung, dass das Christentum eine neue Lehre sei, kann man schon bei Sueton finden (Ner. 16): genus hominum superstitionis novae ac maleficae, „eine Art von Menschen, die einen neuen und bösartigen Aberglauben verkündigen.“ Die Apologeten konnten diesen Vorwurf der „Neuheit“ durch die Wirkung des Logos überwinden. Der gemeinsame und universal wirkende Logos ist verantwortlich für das Auftreten Jesu und der griechischen Philosophen. Dies hebt nach Justin (Apol. I, 5,4) jedes Vorurteil der Heiden auf, wie die chronologische Priorität der Griechen, die kulturelle Unterscheidung zwischen Barbaren und Griechen und sogar die sozialen Unterschiede. 181 Kelsos beschreibt die Mutter Jesu als eine einfache Spinnerin (C.C. 1,28), die des Ehebruches
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Jesu am Kreuz durch die Römer. Sowohl im jüdischen als auch im griechischrömischen Bereich wurde der Tod am Kreuz als eine Schande angesehen, aber noch unverständlicher erschien es, einen Mensch als den Sohn Gottes zu verehren, der diesen Tod erlitten hatte.182 Die römischen Autoren betonten, dass die Kreuzigung die schrecklichste Todesstrafe überhaupt war, die nur für Sklaven und Verbrecher bestimmt war, aber auf keinen Fall für römische Bürger. Obwohl die Kreuzigung oft angewendet wurde, wurde sie als die schrecklichste Todesstrafe angesehen und immer mit tiefem Schrecken und Erschütterung kommentiert. Cicero betont diesen Gedanken in der Rede Pro Rabirio: nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium romanorum, sed etiam a cogitatione, oculis, auribus.183
Es geschah aber immer wieder, dass auch römische Bürger diese schreckliche Todesstrafe184 erlitten. In der Rede gegen Verres galt als Hauptvorwurf gegen den sizilianischen Stadthalter, dass er einen römischen Bürger, Gavius, mit der falschen Anklage, er sei ein Verbündeter des Spartacus, in Messina kreuzigen ließ. Diese Tatsache, dass auch Unschuldige und nicht nur Verbrecher durch diese Todesstrafe hingerichtet wurden, war für die Christen ein wichtiges Argument, um zu behaupten, dass Jesus als Unschuldiger hingerichtet wurde. Die Vorurteile und abwertenden Reaktionen gegen den gekreuzigten Jesus werden in den Schriften der Apologeten gründlich diskutiert. Beispielhaft ist diese Stelle aus Justins Apologie: 1mtaOha c±q lam¸am Bl_m jatava¸momtai, deut´qam w¾qam let± t¹m %tqeptom ja· !e· emta he¹m ja· cemm¶toqa t_m "p²mtym !mhq¾p\ stauqyh´mti didºmai Bl÷r k´comter, überführt wurde, weil sie ein Kind von einem römischen Soldaten namens Panthera erwartete (C.C. 1,32). Jesus sei daher ein uneheliches Kind. H.-W. Kuhn, Die Kreuzesstrafe während der frühen Kaiserzeit, 658, bemerkt zu Recht, dass die Abwertung von Jesus bei Kelsos nicht nur das Kreuz im Mittelpunkt hat. 182 M. Hengels Aufsatz, Mors turpissima crucis, 125–184, beschreibt anhand zahlreicher Belege die Meinungen zur Hinrichtung am Kreuz. Vgl. auch J. Schneider, Art. stauqºr, ThWNT VII (1964), 572–584. 183 Cic. Pro Rab. 16: „Der Name ,Kreuz‘ muss fern gehalten werden, nicht nur vom Leib der römischen Bürger, sondern auch vom Denken, von den Augen und von den Ohren.“ 184 Es herrschte Konsens in der Antike, dass durch die Kreuzigung der schrecklichste und abscheulichste Tod zu erleiden ist. Cic. Verr. 5,64,165: Crudelissimum taeterritumque supplicium; Tacitus redet ebenfalls von „Mors turpissima crucis“ (hist. 4, 3,11). Josephus beschreibt in vielen Fällen den Abschreckungseffekt, weswegen die Römer Kreuzigungen im jüdischen Krieg veranstalteten. In B.J. 7,202–203 beschreibt Josephus die Kreuzigung des Eleazar durch Bassus, die erhebliche Erschütterungen hervorrief. Der Anstoß, den die römische Welt an dem Kreuz nahmen, ist auch durch das Spottgraffito im Palatin, welches vermutlich aus dem 3. Jh. stammt, bewiesen. Es handelt sich um eine Karikatur des christlichen Kultus. Ein Mensch mit Eselskopf hängt am Kreuz, dabei ist eine kursive Inschrift zu lesen akenalemor sebete heom. Vgl. dazu F. Becker, Das Spott-Crucifix der römischen Kaiserpaläste aus dem Anfange des dritten Jahrhunderts, Breslau 1866, bes. 19–31.
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Polemik als Kontext der Streitgespräche
!cmooOmter t¹ 1m to¼t\ lust¶qiom, ¨ pqos´weim rl÷r 1ngcoul´mym Bl_m pqotqepºleha.185
Die Abwertung des Kreuzes spiegelt sich auch in den neutestamentlichen Schriften aus verschiedenen Perspektiven wider. Ein Ausdruck für die Bewertung des Kreuzestodes als extreme Schande ist die Verspottung bei der Kreuzigung. Nach B.A. Paschkes Meiunung186 basiert die Verspottung nicht zuletzt auf der Anspielung auf den Namen Jesu (Retter). Hier komme der übliche Topos der Verspottung auf Grund des Namens einer Person nach dem Prinzip „nomen est omen“ zur Geltung. Die zwei bekanntesten Beispiele sind die Anspielung Platos in der Apologie des Sokrates auf den Namen Meletos187 und die Anspielung des Cicero auf den Namen Verres188 (was eigentliche „Eber“ bedeutet) in den Reden gegen Verres. Die Spottworte am Kreuz sind nach Paschke nach dem gleichen Prinzip zu erklären (Mk 15,30.31 und par.), die auf dem Gebrauch des Verbs s]fy beruhen. Es bleibt aber unsicher, ob hier wirklich eine Anspielung auf den Namen zu finden ist, weil die Verspottung immer mit der expliziten Benennung des Namens der Person geschieht. Das von Paschke angeführte Beispiel von Mt 16,18 ist eine klare Anspielung auf den Namen Petrus.189 Die Verspottung bietet jedenfalls eine externe Perspektive auf das Ereignis der Kreuzigung. Eine weitere Darstellung der abwertenden Ansichten über das Kreuz findet man in den Paulusbriefen. Der Vorwurf, nach dem die Rede über das Kreuz Jesu eine „anstößige Vorstellung“190 ist, wird in 1Kor 1,23 durch folgende Aussage wiedergegeben: Ble?r d³ jgq¼ssolem Wqist¹m 1stauqyl´mom, ûIouda¸oir l³m sj²mdakom, 5hmesim d³ lyq¸am.
Paulus scheint diesen schwerwiegenden Vorwurf zurückzuweisen, indem er den Kreuzestod Jesu als Ausdruck der unbegreiflichen Weisheit Gottes darstellt. Die Kriterien menschlicher Weisheit können das Geschehen nicht erklären. Gott will sich dadurch als derjenige behaupten, der das Denken der Menschen auf den Kopf stellt. Weisheit Gottes und Weisheit der Menschen 185 Iust. apol. I, 13,4: „Von daher erklären sie uns als zu Wahnsinnigen, indem sie sagen, wir geben die zweite Stelle nach dem unveränderbaren, ewigen Gott, dem Schöpfer des Universums einem gekreuzigten Menschen. Sie aber kennen nicht das Geheimnis, das darin enthalten ist.“ 186 B.A. Paschke, Nomen est omen. Warum der gekreuzigte Jesus wohl auch unter Anspielung auf seinen Namen verspottet wird, NT 49 (2007) 313–327. 187 Pl. apol. 25c. 188 Cic. Verr. 4,57. 189 B.A. Paschke, Nomen est omen, 325. 190 Es scheint mir, dass lyq¸a in der paulinischen Stelle die Bedeutung einer nicht logisch fassbaren Theorie aus griechisch philosophischer Perspektive einnimmt und nicht nur eine unanständige Auffassung, wie Bertram behauptet. Vgl. Bertram, Art. lyqºr jtk, ThWNT IV (1942), 850: „Nicht das Geheimnis des Kreuzes, das er nicht kennt und versteht, lehnt der Hellenist mit dem Begriff Torheit ab, sondern die Verletzung der guten Sitte, die es verbietet, in Gegenwart anständiger Bürger vom scheußlichen Sklaventod zu reden.“
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sind entgegengesetzte Pole, zwischen denen gar keine vermittelnde Position möglich ist. Es kann nur eine grundsätzliche Positionierung für die eine oder für die andere geben. Der abscheuliche Charakter des Kreuzestodes (t¹ sj²mdakom toO stauqoO Gal 5,11) wird von Paulus theologisch überwunden. Für seine Verkündigung steht das Kreuz Christi, das mit Worten klar „gemalt“191 wird und sogar ein Grund des Rühmens wird, im Mittelpunkt.192 Die theologia crucis setzt ein neues Paradigma voraus, durch das alle Werte eine Umkehr erfahren müssen; Gott selbst wählt in der Welt die unbedeutenden und nicht geltenden Dinge, um die bedeutenden zunichte zu machen. Zu diesem allgemeinen Urteil gegen den Kreuzestod kommt ein weiteres typisch jüdisches Argument hinzu, das in der Tora begründet ist, nämlich die Vorstellung des Kreuzestodes als eines Fluchs. Das zeigt schon Gal 3,13b.193 Paulus zitiert dort die leicht veränderte Septuaginta-Stelle Dtn 21,23, wo von einem an ein n¼kor194 gehängten Menschen die Rede ist, der deswegen als ein Verfluchter gilt. Paulus lässt rp¹ heoO195 aus, was ebenfalls als Betonung des Gedankens gelten kann, dass nicht Gott, sondern das Gesetz das Subjekt dieser Verdammung ist. Es liegt nahe, dass Paulus selbst in seiner vorchristlichen Zeit diese polemischen Argumente gegen die Person Jesu und gegen die Christen als Nachfolger eines Verfluchten als Rechtfertigung seiner Verfolgungstätigkeit benutzt hat. Der Fluch gilt der Person Jesu und überträgt sich auf seine Nachfolger. Die Wende in seinem Leben bezeichnet den Punkt, an dem er diesen Tod in der Optik der Offenbarung Gottes sah. Die Deuteronomium-Stelle spricht eigentlich von einem Gesteinigten, dessen Leiche nach der Vollstreckung der Todesstrafe an einen Pfahl gehängt wird, und nicht von einem Gekreuzigten. Der Ausdruck A=8%* @4" N@(@!K.=?,% soll als * Begründung dafür dienen, die Leiche des Hingerichteten vor Sonnenunter191 Gal 3,1: ¡ !mºgtoi Cak²tai, t¸r rl÷r 1b²sjamem, oXr jatû avhaklo»r ûIgsoOr Wqist¹r pqoecq²vg 1stauqyl´mor. Der zweite Satz bezieht sich auf die Kraft der paulinischen Predigt, die klar und überzeugend wie ein Gemälde wirkt. Nur eine Verzauberung kann nach Paulus die Galater von dieser so klar geschilderten Verkündigung abhalten. Diesmal ist nicht ein konkurrierendes Weisheitssystem, das das Kreuz in Frage stellt, sondern eine irrational wirkende magische Kraft am Werke. 192 Gal 6,14: 1lo· d³ lµ c´moito jauw÷shai eQ lµ 1m t` stauq` toO juq¸ou Bl_m ûIgsoO WqistoO, diû ox 1lo· jºslor 1sta¼qytai j!c½ jºsl\. Das Rühmen um des Kreuzes willen, das als eine Schande empfunden wurde, wäre sonst nicht verständlich, wenn man keine Umkehrung aller Werte und der menschlichen Logik voraussetzte. Das war ein Hauptanliegen der paulinischen Theologie. 193 Vgl. D. Sänger, „Verflucht ist jeder, der am Holze hängt“, 279–289. D. Lührmann, Galaterbrief, 51–52 (Did 16,5; Justin, dial. 32,1; 89,2; 90,1; 93,4): „Für Juden konnte die Bedingung einer rechtmäßigen Verurteilung Jesu gegeben sein, selbst wenn ein Römer wie bei Jesus das Urteil gesprochen hatte. Für diesen Fall konnte die Auslegungstradition zu Dtn 21,23 benutzt werden. So ist Jesus also von Gott verflucht und kann – gegen das Christentum gewendet – nicht Heilsperson sein.“ 194 N¼kor kann beide Bedeutungen von „Holz“, „Pfahl“ und auch „Baum“ tragen. Somit kann auch ein Kreuz gemeint sein. 195 Dtn 21,23b: jejatgqal´mor rp¹ heoO p÷r jqel²lemor 1p· n¼kou.
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gang zu begraben: Ihn am Pfahl hängen zu lassen wäre sonst eine Lästerung gegen Gott (gen. object.). Die Septuaginta interpretiert (und mit ihr Paulus) im Gegenteil den status constructus des hebräischen Ausdrucks als genitivus subiectivus: „von Gott ist verflucht worden jeder, der an einem Holz hängt“.196 Auch die weitere Interpretation des Ausdrucks als genitivus objectivus wurde vermutlich in der antichristlichen Polemik nutzbar gemacht, wie an einer Stelle der Mischnah Sanhedrin zu lesen ist: „gehängt wird nur der Lästerer und der, der fremden Dienst treibt“197. Jesus gilt in der rabbinischen Literatur als Gotteslästerer und Ketzer, der deswegen nach der Anweisung des Deuteronomiums zu Recht die Todesstrafe verdient hat. Hier zeigt sich ein Zusammenhang mit der Anklage gegen Jesus als „Blasphemiker“ mit dem Hinweis auf dessen gewaltsamem Tod im ersten Streitgespräch von Mk 2,1–12. Die Anwendung dieser Stelle auf einen Gekreuzigten ist in den QumranSchriften belegt.198 Die jüdische Polemik konnte durch diese alttestamentliche Stelle die Gestalt Jesu entwerten. Jesus als dem Gekreuzigten kann daher überhaupt keine heilvolle Eigenschaft zugeschrieben werden, weil er nicht nur nach dem Gemeinsinn, sondern auch nach der Tora ein verdammter Mensch ist. Es ist unklar, ob diese Polemik ein Teil der Botschaft der Missionare in Galatien war oder ob Paulus auf diesen polemischen Vorwurf aus anderen Gründen zurückgreift. Wichtig ist an dieser Stelle zu bemerken, dass Paulus (wie in 1Kor 1,23) die Thesen der jüdischen Polemik gegen das Kreuz (hier: Torheit, Ärgernis, dort: Fluch) nicht einfach widerlegt, sondern sie aufnimmt und durch ihre Umkehrung als Argument für seine Auffassung benutzt. Die zentrale Aussage wird gebilligt: Christus trägt durch das Kreuz einen Fluch, aber dieser Fluch ist im Gesetz selbst enthalten. Durch Christi Tod ist der Gläubige vom Fluch des Gesetzes befreit. Auch in diesem Fall wird das negative Urteil über den Kreuzestod als eine Notwendigkeit für die Erlösung erklärt und zu einem weiteren Argument für den stellvertretenden Tod Jesu für die Menschheit. Die Diskussion dieser Stelle findet noch in Justins Dialog mit der fiktiven Figur des Juden Tryphon und – mit sorgfältig ausgeführter Argumentation – bei Tertullian statt, weil die typisch jüdische Vorstellung des Fluches auch in der hellenistischen Welt eine gewisse Zustimmung fand. Tertullian berichtet den gleichen polemischen Gebrauch der Deuteronomium-Stelle gegen das Kreuz bei den jüdischen Polemikern und die Meinung, dass es absurd sei zu denken, dass Gott seinem eigenen Sohn einen solchen schamvollen Tod bereitet hat, der zudem mit einem Fluch belastet ist: 196 Vgl. die Diskussion bei D. Sänger, „Verflucht ist jeder, der am Holze hängt“, 280. 197 bSan VI, 5a. 198 Diese Auslegung von Dtn 21,23 kann man 11Q19 LXIV, 9–13 entnehmen (Vgl. noch 4Q 169pNah I,8–12).
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ut ad id genus mortis exposuit deus filium suum, quod ipse dixit: maledictus omnis qui pependerit in ligno.199
Er zitiert die ganze Stelle und kommt zum Schluss, dass eine Unterscheidung nötig ist zwischen denjenigen, die wegen ihrer Verbrechen zum Tode verurteilt werden, und Jesus, der als Unschuldiger hingerichtet wurde. Nur für die ersteren gilt die Verdammung. Im zweiten Fall wird ein Element hervorgehoben, das m. E. auch für die synoptischen Streitgespräche bedeutsam ist: alioquin Christus, qui dolum de ore suo locutus non est, quique omne iustitiam et humilitatem exibuit.200
Der „ohne List“ sprechende Jesus ist ein überzeugendes Argument, das gegen seine Hinrichtung als Verbrecher entscheidend wirken soll. Nach dieser Klärung kann Tertullian die Zeugnisse des Kreuzes und der Passion in der alttestamentlichen Symbolik benennen: Das Holz bei der Opferung Isaaks, der Verrat der Brüder gegen Joseph, und sogar das Bild eines Stiers mit Einhörnern in Dtn 33,17 sind eine Präfiguration Christi. Eine ähnliche Betonung des Kreuzes als Universalsymbol ist außerdem bei Justin zu finden, wo der Form des Kreuzes in der Welt eine Schlüsselrolle zukommt.201 Der Vorwurf, der Kreuzestod sei mit einem Fluch belastet, bereitet Justin viel Mühe in seinem Dialog gegen den fiktiven jüdischen Gegner Thryphon. „Dieser Fluch“ – schreibt van Unnik – „hatte soziale Folgen, aber vor allem bedeutete er ein elendes Leben und einen schrecklichen Tod, für Juden und Christen eine bleibende Trennung von Gott, dem Lebensspender“.202 Die Meinung, die Thryphon in den Mund gelegt wird, entspricht vermutlich der jüdischen Polemik, die nicht anders als die Polemik in der Zeit des Paulus argumentieren sollte: Jesus kann nicht der Messias sein, weil dem Messias Ehre und Herrlichkeit zukommt: b rl´teqor kecºlemor Wqist¹r %tilor ja· %donor c´comem, ¢r ja· t0 1sw²t, jat²qô t0 1m toO mºl\ toO heoO peqipese?m7 1stauq¾hg c²q.203 199 Tert. ad iud. 10,1–3: „.. dass Gott seinen Sohn dieser Art von Tod aussetzte, denn er selbst sagte: Verflucht sei jeder, der am Holz hängen würde.“ 200 „Anderes gilt für Christus, aus dessen Mund keine List gesprochen wurde, sondern der jede Gerechtigkeit und Demut zeigte.“ 201 Iust. apol. I,55,2–7. Dafür, dass das Kreuz sowohl in der paganen als auch in der jüdischen Kultur positiv ist, zitiert Justin zwei literarische Beispiele, die die vorherigen Beispiele aus der konkreten Welt vervollständigen. Das erste ist bei Plato, Tim. 36b: der griechische Buchstabe W (chi) zeigt die Stellung der Seele in der Welt. Dieses Beispiel sei von Plato aus Mose übernommen. Derselbe Mose machte ein Bild in Form eines Kreuzes, um die Schlangen in Num 21,8 zu besiegen. 202 W.C. van Unnik, Der Fluch des Gekreuzigten, 496. 203 „Euer so genannter Christus ist ohne Ehre und ohne Herrlichkeit gewesen, und dann noch fiel auf ihn der letzte Fluch im Gesetz Gottes. Er wurde nämlich gekreuzigt.“ dial. 32,1. Das Thema des Fluches wird zudem noch in 89,2; 90,1 und 93,4 behandelt.
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Justin antwortet auf diese Behauptung Thryphons in zweifacher Weise: Das erste Argument betrifft das Leiden Jesu, das auch im Alten Testament vorausgesagt wird, z. B. in Jes 53. Der Messias ist daher nach den Propheten kein herrschender König, sondern ein leidender Mensch. Diesen Punkt des Leidens findet Justin auch in der griechischen Mythologie wieder, wo die Vorstellung der leidenden Söhne des Zeus bezeugt ist. Das zweite Argument betrifft gerade die von Thryphon wiederholte Frage nach dem Fluch des Kreuzes.204 Justin redet vom Kreuz zwar als Fluch, aber auch als Mittel, das den Fluch aufhebt und schließlich wegnimmt. Um seine Argumente zu unterstützen, zitiert Justin die Exodus-Episode, in welcher Moses ein Kreuz aufrichtete, um Heilung gegen den tödlichen Biss von Schlangen zu spenden. Hier erscheint von neuem das Thema, das schon bei Tertullian begegnet, nämlich das Kreuz als Symbol des Segens für das ganze Universum. Das Neue bei den Apologeten ist die gleichsam magische Wirkung des Kreuzes, die aus der symbolischen Anwendung hervorgeht und eine Art Kreuzesfrömmigkeit fördert. Das Kreuz wird ein wirksames Symbol, um jede Form von Fluch oder Bösem zu vertreiben. Die Debatte über die Bedeutung des Kreuzes und die Vorwürfe paganer und jüdischer Polemik zieht sich durch die Literatur der ersten Jahrhunderte. Der paulinische Ansatz einer Kreuzestheologie basiert auf einer Diastase zwischen menschlicher und göttlicher Logik, zwischen Machtvorstellung und Schwäche, die in der Auferstehung Christi überwunden und zum endgültigen Sieg Christi über alle Mächte im Eschaton wird. Die christliche Gemeinde versteht sich in dieser Distanz zur Welt und ihrer Macht. Die Opposition der Welt gegen Gott, die sich in der Verwerfung des Sohnes Gottes verwirklichte, unterstützt das Bewusstsein einer Distanz des Christen zur bestehenden Welt. Die Wertumkehr der paulinischen Theologie enthielt eine subversive Zuspitzung, die im ersten Korintherbrief eine einmalige Formulierung fand.205 Die Kreuzigung ist von den Herrschern dieser Welt vollbracht, und damit haben sie ihre eigene Zerstörung206 beschlossen. Diese anti-römische Aussage wird in den weiteren Briefen des Paulus nicht weitergeführt. Im Gegenteil versucht Paulus in Röm 13 jeder antistaatlichen Auffassung vorzubeugen, indem er die weltliche Autorität (d. h. Rom) als von Gott gegeben erklärt. Die nach-paulinische Literatur ent204 W.C. van Unnik, Der Fluch des Gekreuzigten, 497: „und schließlich kommt noch hinzu, dass dieser Fluch über Jesus durch die Juden nicht nur ein Faktum ist, das sich auf diese historische Person bezieht, sondern sich auch gegen die Christen in der Gegenwart richtet.“ 205 1Kor 2,6–8. Manche Exegeten verstehen den Ausdruck %qwomter toO aQ_mor to¼tou als einen Hinweis auf dämonische Mächte. Paulus habe daher sagen wollen, dass Jesus von den Dämonen getötet wurde. Vgl. W. Schrage, Das Verständnis des Todes Jesu Christi im Neuen Testament, 69. Eine politische Interpretation dieses Ausdrucks wird von O. Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 74–75, vertreten. 206 H. Lietzmann, An die Korinther I, (1921), 89: „Hätten sie gewusst, meint Paulus, wer Jesus war, sie hätten sich gehütet, ihn ans Kreuz zu schlagen, da sein Tod, dem die Auferstehung folgte, ja ihre Überwindung bedeutet.“
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wickelt gerade diesen Punkt im Sinne einer Konkurrenz zweier Machtsysteme. Im Epheser- und Kolosserbrief steht das universale Gebilde der Kirche in Opposition zum römischen Imperium. Christus ist das Haupt des universellen Leibes der Kirche, wie der Kaiser in der zeitgenössischen Literatur das Haupt des Imperiums ist. Das Kreuz wird in diesem Schema ein Grund des Triumphs Christi, nicht der schmachvollen Niederlage. Diese frontale Opposition bleibt später in der apokalyptischen Literatur bestehen. Die zeitlich späteren Tritopaulinen verlieren den zentralen Charakter der Kreuzestheologie aus dem Blick. Mit der Abfassung des Markusevangeliums tritt ein neues Paradigma in der Interpretation des Kreuzes Jesu auf. R.H. Gundry bemerkt in seinem Kommentar als Charakteristikum des Evangeliums die Präsenz von Überlieferungen, die den Erfolg Jesu betonen, und Überlieferungen, die sein Leiden und die Verfolgung gegen ihn ausdrücken.207 Eine Theologie der Herrlichkeit (theology of glory) wird neben eine Theologie des Leidens (theology of suffering) gestellt. Nach Gundrys Hypothese ist es nicht die Theologie des Leidens, die die Theologie der Herrlichkeit korrigiert, sondern umgekehrt ist es die Theologie der Herrlichkeit, die eine neue Deutung des Kreuzes geben will: Mark does not pit the suffering and death of Jesus against his successes, but (…) pits the successes against the suffering and death, and then uses the passion predictions, writes up the passion narrative, and caps his gospel with a discovery of the empty tomb in ways that cohere with the success-stories, in ways that make the passion itself a success-story.208
Die Definition der Passion als einer ,Erfolgsgeschichte‘ ist m. E. nicht korrekt. Interessant ist aber die Hypothese Grundrys insgesamt, nach der das Evangelium eine Apologie des Kreuzes bietet. Die Strategie des Markus aber besteht nicht darin, die Herrlichkeit Jesu sein Leiden und seinen Misserfolg kompensieren zu lassen, um die Apologie zu ermöglichen. Markus will im Gegenteil eine Spannung zwischen diesen zwei Aspekten darstellen. Seine Apologie fußt auf dem Paradox einer offensichtlichen Herrlichkeit der Gestalt Jesu und eines schmachvollen Scheiterns. Dieses Paradox kann aber in vielen Beispielen der Geschichte wieder gefunden werden und zeigt, dass eine Gestalt nicht aus der Perspektive ihres Misserfolgs beurteilt werden kann, auch wenn sie einen schrecklichen Tod erleidet.209
207 R.H. Gundry, Mark, 2. 208 R.H. Gundry, Mark, 3. 209 R.H. Gundry, Mark, 13.
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3.3.2 Jesus als unschuldiger Angeklagter und Gekreuzigter Die Streitgespräche stellen den Schnittpunkt zwischen einer Theologie der Herrlichkeit und einer Theologie des Leidens dar. Jesus ist dabei ein vollmächtiger Lehrer, der sich nicht in die spitzfindigen Fallen der Gegner locken lässt, sondern immer mit Sicherheit und Autorität auch unlösbare Dilemmata löst. Die Streitgespräche aber zeigen gleichzeitig die Opposition und die Feindschaft der Gegner Jesu, die Pläne machen, wie sie ihn vernichten können. Das Paradox besteht darin, dass sie keinen objektiven Grund haben, so feindlich gegen ihn vorzugehen. Die biographische Literatur benutzt exemplarische Modelle, um das Leben einer Gestalt zu interpretieren. Damit werden Ähnlichkeiten zwischen den verschiedensten Gestalten hervorgehoben, was man aus Plutarchs Parallelviten und den abschließenden synkriseis kennt. Markus beschreibt Jesus als einen Unschuldigen, der ungerecht angeklagt und hingerichtet wird. Aus dieser Sicht formuliert er seine Apologie in Form einer biographischen Erzählung. Viele Beispiele aus der Geschichte präsentieren Unschuldige, die ungerecht verurteilt wurden. Seneca formuliert im Dialog de providentia ein allgemeines Prinzip, nach dem das Schicksal die Stärkeren und die Stolzeren auswählt,210 um an ihnen seine Macht zu demonstrieren. Dies könne am Leben mancher römischen Gestalten wie Mucius Scaevola, Fabricius, Rutilius, Atilius Regulus und auch am Leben des griechischen Philosophen Sokrates aufgezeigt werden. Atilius Regulus gilt als exemplum schlechthin von Tugend und Tapferkeit in der römischen Tradition, obwohl er auf grausame Art getötet wurde. Als römischer Konsul 261 v. Chr. und 256 v. Chr. wurde er im 1. Punischen Krieg 255 v. Chr. von den Karthagern gefangen genommen. Er wurde nach Rom zurückgeschickt, um dort einen für Karthago günstigen Friedensschluss auszuhandeln und Gefangene auszutauschen. Er hatte sich allerdings verpflichtet, nach seiner Mission in Rom wieder nach Karthago zurückzukehren. Als er im Senat sprach, trat er im Gegenteil für die Notwendigkeit ein, den Krieg weiterzuführen und keinen Frieden mit Karthago zu schließen. Schließlich kehrte er gemäß seinem Versprechen nach Karthago zurück, obwohl er wusste, dass der sichere Tod auf ihn wartete. Die Karthager bereiteten ihm einen schrecklichen Tod.211 Sie schlossen ihn, nachdem sie ihm die Augenlider abgeschnitten hatten, in ein Fass ein, in dem überall spitze Nägel befestigt waren, die sich in seinen Körper drückten. Er starb nach unmenschlichen Leiden durch Wachhalten und ständige Erneuerung des Schmerzes. Das Beispiel wurde in der lateinischen Literatur als exemplum virtutis erzählt. So schreibt Seneca:
210 Sen. dial. (de prov.) 3,4. 211 Val. Max. mem., I, 1,14.
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Veniamus ad Regulum: quid illi fortuna nocuit quod illum documentum fidei, documentum patientiae fecit? Figunt cutem clavi et quocumque fatigatum corpus reclinavit, vulneri incumbit; in perpetuam vigiliam suspensa sunt lumina: quanto plus tormenti tanto plus erit gloriae.“212
Das Prinzip, das Seneca in seinem Dialog vertritt, bedeutet, dass Gott gerade die adeligen Geister prüft. Die positive Verkehrung eines schrecklichen Todes in ein moralisches Beispiel kann Seneca in de tranquillitate noch stärker betonen. Regulus, Cato und Hercules müssen nicht beweint werden: Ego Herculem fleam quod vivus uritur, aut Regulum quod tot clavis configitur, aut Catonem quod vulnera sua? Omnes isti levi temporis inpensa invenerunt quomodo aeterni fierent, et ad inmortalitatem moriendo venerunt.213
Für Tertullian gilt das Beispiel des Regulus als Argument dafür, das Kreuz Jesu in einem anderen Licht zu sehen.214 Die lateinischen Autoren reden von ihm als „cruciatus“215 (was eigentlich „gefoltert“ bedeutet) und von Nägeln, die sich in seinen Leib bohren, allesamt Elemente, die sich auf den Tod Jesu beziehen lassen. Die Geschichte des Regulus war nur in der lateinischen Welt bekannt und kaum in der griechischen. Dieses Beispiel kann nur bezeugen, dass die Vorstellung eines höchsten moralischen Beispiels auch im Fall eines schrecklichen Todes zu finden ist.216 Außerdem besaß er als Kriegsführer keine allzu große Attraktivität für die christlichen Gemeinden. Die Figur des Sokrates genoss im 212 Sen. dial. (de prov.) 3,9: „Wir kommen nun zu Regulus, was hat ihm das Schicksal geschadet, wenn es ihn zum Zeugnis der Treue, zum Zeugnis der Geduld machte? Nägel durchdringen die Haut und wo immer sein müder Leib zurücklehnte, bekommt er neue Wunden. Die Augen sind offen in ständigem Wachen, je mehr Leiden er erfährt, desto größer ist seine Herrlichkeit.“ 213 Sen. dial. (de tranq.) 16,4: „Soll ich Herkules beweinen, der lebendig verbrannt wurde? Oder Regulus, weil er von vielen Nägeln durchgebohrt wurde? Oder Cato, der seine Wunde wieder aufriss? Alle diese hat es wenig Zeit gekostet, in die Ewigkeit einzugehen, und durch den Tod kamen sie zur Unsterblichkeit.“ Seneca erwähnt noch Regulus in seinen Episteln zusammen mit Sokrates (ep. mor. 71,1; 67;7; 98,12). Das Beispiel des Regulus findet man auch bei Cicero off. I,69; III,99–103; fin. II,65, Att. 16,11,4. Regulus ist für Cicero in de officiis der Beweis dafür, dass der Nutzen und die Ehrenhaftigkeit nicht zu trennen sind. 214 Tert. ad martyr. 4,20. Regulus steht für viele Märtyrer in der griechischen und römischen Geschichte. Regulus ist deshalb für Tertullian interessant, weil Regulus eine Art Todeskreuz erfährt: „et in arcae genus stipatus undique extrinsecus clavis transfixus, tot cruces sensit.“ Vgl. noch Tert. ad nat. 18,25 und apol. 50,21. 215 Vgl. z. B. Cic. off. III,102.103. 216 Paulus scheint m. E. die Vorstellung eines ,noblen‘ Todes Jesu in Röm 5,6–8 auszuschließen, indem er behauptet, dass Jesus für die Ungerechten gestorben ist. Ein Tod kann nur ,nobel‘ sein, wenn man für Gerechte stirbt. Selbst im Falle des Regulus berichtet Cicero, dass für manche der Tod des Regulus kein „honestum“ enthielt, weil er seinen Eid hielt, den er ungerechten Feinden geschworen hatte. Diese Meinung wird aber von Cicero nicht aufgenommen. off. III;103. Die Formulierung des Johannesevangeliums, dass Jesus für seine Freunde als Beweis seiner Liebe stirbt (Joh 15,13), bezeugt die Aufnahme der Vorstellung eines ,noblen‘ Todes.
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Gegensatz zu A. Regulus eine allgemeine Anerkennung, die nicht nur auf die griechische Kultur beschränkt war. Cicero redet von ihm als „princeps philosophorum“. Die Figur des Sokrates war aus zwei Gründen sehr berühmt: Erstens wegen seiner philosophischen Leistung und für seine Methode, die die Basis der philosophischen Erkenntnis bietet, nämlich das Nachprüfen der Wahrheit durch den Dialog und durch das Fragen; zweitens wegen seiner ungerechten Hinrichtung, die ihn als einen unbequemen Gelehrten charakterisiert. Die zahlreiche Literatur, die sich mit Sokrates beschäftigt, befasst sich mit der Frage seiner Hinrichtung, und zwar damit, wie absurd sie in Bezug auf die Lehre und das Verhalten des Philosophen gewesen sei. Sokrates Schüler Xenophon und Platon scheinen beide Aspekte dahingehend zu kombinieren, dass sie die Bedeutung der philosophischen Lehre aufzeigen und die Unverständlichkeit der Anklage gegen ihn am klarsten darstellen. Nicht nur die Apologie, die Sokrates zugeschrieben wird, ist eine Antwort auf die Anklagen, sondern auch in den Dialogen, die eigentlich keine apologetische Funktion haben, ist der Schatten der schwerwiegenden Anklage gegen Sokrates stets präsent. Die Hypothese dieser Untersuchung ist, dass das Beispiel des Sokrates, das durch die große Verbreitung von dessen Apologie in den rhetorischen Schulen genau bekannt war217, ein biographisches Muster für die Verfassung des ältesten Evangeliums darstellt.218 Der Jesus, der sich an den Streitgesprächen beteiligt, ähnelt der Figur eines griechischen Gelehrten, der eine dialektische Debatte führen kann. Bei den sokratischen Dialogen wie bei den Streitgesprächen wird der Gesprächspartner zum Schweigen gebracht, wenn er die Aporie seines Denkens erfährt.219 Dieser Aspekt des sokratischen Dialogs wird durch das Bild des „Zitterrochens“ (m²qjg) beschrieben, eines Fisches, dessen Berührung eine temporäre Gefühllosigkeit verursacht: Der Gesprächspartner des Sokrates erfährt im Dialog die Schwere seiner Aporie und ist außer Stande dagegen zu argumentieren:
217 Die Figur des Sokrates war eigentlich umstritten. Es gab nur wenige Kritiker wie Aristophanes, der noch zu Lebzeiten von ihm in einer Komödie (nubes) als einem Sophisten sprach. 218 Vgl. zu dieser Diskussion D. E. Aune, New Testament in its Literary Environment, 66–76. 219 Wie E. Fascher, Sokrates und Christus, 10–12, betont, geht es nicht um die historische Figur des Sokrates oder diejenige Jesu, sondern um deren literarische Bearbeitung. Für beide Figuren ist der geschichtliche Urgrund mit der literarischen Umgestaltung verbunden. Fascher weist zudem auf die verschiedenen Bilder von Sokrates bei Platon oder Xenophon hin, die den unterschiedlichen Christus-Bildern in den Evangelien entsprechen. Mit Recht bemerkt D. E. Aune, New Testament in its Literary Environment, 36: „In Greek world, Socrates was a uniquely significant propaganda image, not for a political system (as was Cato the Younger), but for the philosophical systems of competing Socratic schools of thought. (…) Each ,Sokrates’ is a composite figure consisting of the distinctive views of each author which is legitimated by projection upon the historical Socrates.“
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Denn in der Tat, an der Seele und Leib bin ich erstarrt und weiß dir nicht mehr zu antworten, wiewohl ich schon tausendmal über die Tugend gar vielerlei Reden gehalten habe vor vielen und sehr gut, wie mich dünkt. Jetzt aber weiß ich überall nicht einmal, was von ihr zu sagen ist.220
Mit einer ähnlichen Situation schließen die Streitgespräche im Markusevangelium. Die Gegner sind nicht mehr in der Lage, weitere Fragen zu stellen, weil sich alle ihre Kunstgriffe als unwirksam erwiesen haben: ja· oqj´ti 1tºkla aqt¹m 1peqyt/sai (Mk 12,34). Die sokratische Methode, in Dialogform zu argumentieren, ist die Basis für die Entstehung einiger Textsorten: Vom platonischen Dialog, einer umfangreichen literarischen und philosophischen Arbeit, bis hin zu den knapp formulierten Apophthegmata, die meist zu einer Sammlung oder einer größeren Gattung zusammengefasst werden. Dass Jesus zunehmend in der griechischrömischen Welt als Gelehrter dargestellt wird, ist nicht nur aus der Ikonographie der ersten Jahrhunderte ersichtlich, sondern aus externen Zeugnissen wie der Äußerung bei Lukian, der Jesus als „Sophisten“ bezeichnet: t¹m d³ !masjokopisl´mom 1je?mom sovistµm aqt¹m pqosjum_sim ja· jat± to»r 1je¸mou mºlour bi_sim.221
Ein weiteres Element charakterisiert die sokratische Tradition: die offene Frage nach dem Tode des großen Philosophen. Warum ist er trotz seiner Weisheit zum Tode verurteilt worden? Warum konnte er die Richter nicht davon überzeugen, dass die Anklage gegen ihn unberechtigt war, wenn er so gut die Kunst der Dialektik beherrschte? Der Tod des Sokrates wirft seinen Schatten auf die Dialoge. Die durchgehende wörtliche Erwähnung des Todesurteils und deren Widerlegung bei Platon und bei Xenophon spiegeln sich ebenfalls in den Dialogen wider. Sogar in der Lobrede des Alkibiades auf Sokrates im Gastmahl, das die Quintessenz von Platons Lehre über die Liebe enthält, findet sich die Anklage gegen Sokrates als Verführer der Jugend wieder.222 Auch in der biographischen Darstellung Jesu spielt sein grausamer Tod am Kreuz eine zentrale Rolle. Von Anfang an sollte, ähnlich wie bei Sokrates, der Sinn dieses schockierenden Ereignisses thematisiert werden: Wie kann Jesus, der doch der Sohn Gottes ist, ein so grausames Ende erlitten haben – dies ist sicherlich eine innerhalb der christlichen Gemeinden immer wieder gestellte Frage. Hinzu kommt der Vorwurf von außen, es sei unsinnig, einer 220 Pl. Men. 80a–b. Schleiermacher Übers. 535–536. 221 Luc. Per. 13. 222 Pl. Smp. 222a–223a. Lukian legt Menippos in den Dialogen der Toten die ironische Bemerkung in den Mund, er würde den schönen Knaben hinterherlaufen. Ew ce, § S¾jqater, fti j!mtaOha l´tei tµm seautoO t´wmgm ja· oqj akicyqe?r t_m jak_m. (dial. mort. 6) Das Motiv einer ungerechten Anklage findet sich am Ende des Gorgias (ab 521c). Plato macht eine Art Prophetie der Verurteilung seines Lehrers post eventum. Sokrates sagt, dass seine eigentliche Verteidigungsrede darin besteht, dass er den Menschen und den Göttern nichts angetan hat. (siehe 523d).
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Polemik als Kontext der Streitgespräche
Religion anzuhängen, deren Stifter ein Gekreuzigter ist223. Auf beide Fragen konnte das sokratische Drama eine wirksame Antwort bieten. Der Zusammenhang der sokratischen Tradition mit den Streitgesprächen überwindet die Dissonanz des Verbrechertodes und lässt Jesus in einem ganz neuen Licht erscheinen.224 Eine explizite Verbindung des athenischen Philosophen mit Jesus ist erst in den Schriften der Apologeten und in den Märtyrerakten zu finden. Diese Textstellen bezeugen eine Aufnahme typischer Motive der sokratischen Tradition für die Deutung der Sache Jesu in apologetischer Perspektive. Sokrates wird von den christlichen Autoren nicht nur als ein Prototyp der Märtyrer betrachtet225, weil dieser Philosoph ungerechterweise verurteilt wurde, sondern auch, weil er wie die Christen (und wie Christus selbst) der !s´beia angeklagt und zum Tod verurteilt wurde. Justin macht die Dämonen für den Tod des Philosophen und für die Verfolgung der Christen verantwortlich. Seiner Ansicht nach dienten sie bösen Menschen, um gegen die Wahrheit zu kämpfen. Man kann den tragischen Tod des Sokrates nicht als ein Ereignis des Schicksals betrachten.226 Sokrates Tod bietet den Apologeten die Möglichkeit, von einem allgemeinen Gesetz auszugehen, durch das die Verfolgung in ihre historische Folgerichtigkeit eingeordnet wird: Wer sich für die Wahrheit einsetzt, wird immer verfolgt.227 Sokrates war nämlich gemäss Justin derjenige, der die Menschen von den Dämonen befreien wollte, aber dieselben Dämonen ließen ihn als gottlos und unfromm töten228. Dasselbe geschah mit Christus:
223 Die Stellen, in denen sich die Zeitgenossen über die Brutalität des Todes am Kreuz äußern, sind zahlreich. Zwei Cicero-Stellen erklären diese grundlegende Abneigung besonders deutlich: In Verrem wird das Kreuz als „crudelissimum teterritumque supplicium“ bezeichnet (II, 5, 169) und in Pro Rab., 16,5 findet man: „carnifex vero et obductio capitis et nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium Romanorum, sed etiam a cogitatione, oculis, auribus“. 224 E. Lindenbaur, Der Tod des Sokrates und das Sterben Jesu, 43–47, listet die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser Gestalten auf, die nach Jaspers als Urbilder für Mythos und Dichtung dienten. Die Unterschiede betreffen die Art, wie die beiden Figuren den Tod erleben, Sokrates im hohen Alter und gelassen und Jesus als junger Mann und mit Schrecken, Qualen und dem Schrei zu Gott: „Warum hast du mich verlassen?“ 225 Vgl. Martyrium Pionii, 17: Axta¸ sou aR Ngtoqe?ai; taOt² sou t± bibk¸a; taOta Syjq²tgr rpo )hgma¸aym ouj 5pahem. mOm p²mter 7Amutoi ja· L´kgtoi. (Siehe auch Acta Apollonii, 41). Nach G. W. Bowersock, Martyrdom and Rom, 8, ist Sokrates eine Art vorchristlicher Märtyrer, der zwar eher als rhetorisches Mittel, um die heidnischen Leser zu überzeugen, verstanden werden muss, als das Ergebnis einer systematischen Untersuchung. 226 Apol. I, 46,3; K. Döring, Exemplum Socratis, 147. 227 K. Döring, Exemplum Socratis, 150, redet von „einer Art universaler Geschichtstheologie (…), die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bei den Griechen und Nichtgriechen gleichermaßen umfasst: Im Zentrum steht der Logos, der immer oder genauer „seit der ersten Schöpfungstat Gottes“ Christus war.“ 228 Iust. apol. I,5,3.
Polemik und markinische Streitgespräche
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Nicht nur bei den Griechen durch Sokrates wurden diese Dinge vom Logos gesagt, sondern auch bei den Barbaren von dem gleichen Logos, der eine Gestalt bekam und zum Menschen wurde und Jesus Christus genannt wurde.229
Die christlichen Märtyrer verstehen sich als Fortsetzung dieser sich wiederholenden Sachverhalte. Eine primäre Rolle spielt bei dieser Konzeption die Debatte über den Sinn des Todes des Sokrates, die in der Antike auf verschiedenen Ebenen, von der einfachen rhetorischen Schulung in der Imitation der Apologia bis zur philosophischen und ethischen Diskussion, immer wieder geführt wurde. Die christlichen Autoren scheinen die ganze Debatte zu kennen. Sie nehmen vor allem nur eine der Anklagen gegen Sokrates (die Anklage der !s´beia) auf, nicht aber die zweite Hauptanklage, dass Sokrates ein Verderber der Jugend gewesen sei. Wenn diese zweite Anklage berücksichtigt wird, wie z. B. bei Tertullian, gewinnt die Gestalt des Sokrates insgesamt eine negative Konnotierung und er wird zu demjenigen, der Homosexualität gebilligt und daher vermeintlich tatsächlich die Jugend verdorben hat.230 Justin kann eine noch stärkere Verbindung zwischen Jesus und Sokrates als nur eine einfache Analogie durch seine Logos-Theologie erstellen. Der Logos offenbart sich in der Geschichte durch viele Gestalten, die immer Widerstand und Verfolgung erleiden müssen. Sokrates und die Propheten gehören zu den Leuten, die mit dem Logos lebten. Sie werden sogar oR let± kºcou bi¾samter Wqistiamo¸231 genannt. Allerdings personifiziert sich der Logos nur vollständig in Christus.232 Christus und Sokrates verhalten sich in Bezug auf den Logos gleich, aber es gibt einen graduellen Unterschied. Ein Vergleich zwischen Christus und den Philosophen der Vergangenheit ist auch in den Acta Apollonii zu finden. Der römische Märtyrer Apollonius, gestorben um das Jahr 180 n. Chr. unter Kaiser Commodus, stellt in seiner überlieferten Apologie einen Zusammenhang zwischen Christus und den alten Philosophen her. Die Lehre von Jesus wird als eine Art Philosophenlehre dargestellt, wodurch das Wesen Gottes, die Tugend und die Zähmung der Affekte sowie das Leben in Gemeinschaft erkannt werden. Wegen seiner erfolgreichen Lehre erregte Jesus den Neid der Ungebildeten gegenüber einer 229 Iust. apol. I,5,4: oq c±q lºmom GEkkgsi di± Syjq²tour rp¹ kºcou Ak´cwhg taOta, !kk± ja· 1m baqb²qoir rp’ aqtoO toO kºcou loqvyh´mtor ja· !mhq¾pou cemol´mou ja· YgsoO WqistoO jkgh´mtor 230 Tertullian interpretiert die Anklage gegen Sokrates „corruptor adulescentiae“ (apol. 46,10) in Bezug auf das zügellose sexuelle Verhalten der griechischen Philosophen, wovon sich die Christen unterschieden. Lukian, dial. mort., 21, macht sich über die homosexuelle Liebe des Sokrates lustig. Aber auch der Dämon des Sokrates wird von Tertullian als eigentlicher Dämon in Widerspruch zum heiligen Geist verstanden: „Sane Socrates facilius diverso spiritu agebatur, siquidem aiunt daemonium illi a puero adaesisse, pessimum revera paedagogum“ (De an., I,4); auch apol. 22,1; 46,5 ff. 231 Iust. apol. I,46, 3: bei den Griechen werden Heraklit und Sokrates genannt, bei den Barbaren Abraham, die drei Märtyrer von Dan 3 (Ananias, Azarias und Misael) und Elia. 232 Dieser Kontrast von ganzheitlichem Anteil des Christus am Logos und partiellem Anteil der Philosophen ist bei Justin, apol. II,10,2–3, zu finden.
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Polemik als Kontext der Streitgespräche
ähnlichen Lebensart wie die Gerechten und die Philosophen. In diesem Text folgen zum Gesichtspunkt der Tragik zwei Zitate aus Jes 3,10233 und aus Platons Res publica. Das letztere ist bei den christlichen Theologen sehr wichtig, weil sie im Verb !masjimdukeuh¶setai den klaren Hinweis eines paganen Autors auf das Kreuz Christi sehen. Selbst die Bezeichnung d¸jaior ermöglicht eine Parallele zwischen der alttestamentlichen Tradition und der griechischen Kultur. Der Gerechte wird gegeißelt, gefoltert, gefesselt, an beiden Augen geblendet und zuletzt, nachdem er alles Übel erduldet hat, wird er gekreuzigt (bzw. gepfählt).234
Am Schluss steht ein Vergleich zwischen Christus und Sokrates: Wie die Athener Sykophanten Sokrates ungerecht angeklagt haben, indem sie das Volk überzeugt haben, so haben auch bei uns einige Böse den Lehrer und Retter angeklagt, nachdem sie ihn gefesselt haben.
In dem Brief von Mara bar Serapion an den Sohn Serapion ist der Vergleich zwischen Christus und den Märtyrer-Philosophen (Sokrates und Pythagoras) noch klarer zum Ausdruck gebracht: Denn was hatten die Athener für einen Nutzen davon, dass sie Sokrates töteten, was ihnen (ja) mit Hungersnot und Pest vergolten wurde? Oder die Samier von der Verbrennung des Pythagoras, da ihr ganzes Land in einem Augenblick von Sand verschüttet wurde? Oder die Juden von der Hinrichtung ihres weisen Königs, da ihnen von jener Zeit an das Reich weggenommen war? Denn gerechtermassen nahm Gott Rache für die drei Weisen: Die Athener starben Hungers, die Samier wurden vom Meere bedeckt, die Juden umgebracht und aus ihrem Reich vertrieben, leben al233 %qylem av’Bl_m t¹m d¸jaiom fti d¼swqgstor Bl?m 1stim. Der Text von Jes 3,10 ist jedenfalls leicht d¶sylem t¹m d¸jaiom fti d¼swqgstor Bl?m 1stim to¸mum t± cem¶lata t_m 5qcym aqt_m v²comtai . Der hebräische Text hat eine gegenteilige Bedeutung: „Sagt dem Gerechten, es wird ihm gut gehen, die Frucht ihrer Taten werden sie essen“ l@?ú4=* A8û=@ú@!F(B( =L% H!.=?, 5|ü.=?, K=7,J( lLB!4%. Der Text der LXX wird von SapSal 2,12 wieder aufgenommen 1medqe¼sylem t¹m d¸jaiom fti d¼swqgstor Bl?m 1stim. 234 Pl. Resp. 361e: b d¸jaior lastic¾setai, stqebk¾setai, ded¶setai, 1jjauh¶setai t¡vhakl¾, tekeut_m p²mta jaj± pah½m !maswimdukeuh¶setai. Der Text der Acta Martyrium Apollonii, 40, lautet: b d³ d¸jaior, vgsim, lasticyh¶setai, stqebk¾setai, deh¶setai, 1jjauh¶setai t½ avhakl¾, tekeut_m p²mta t± jaj± pah¾m !masjokopish¶setai. In den Acta verstärkt das !masjokop¸feshai den Bezug auf die Kreuzigung Jesu. Die Bedeutung dieser Stelle und der Zusammenhang mit dem Tode Jesu wird besonders von E. Benz, Der gekreuzigte Gerechte bei Plato, im Neuen Testament und in der alten Kirche, AGSK 12(1950), 1031–1073, behandelt. Plato schrieb diesen Teil über die Gerechtigkeit im Staat nach dem Tod des Sokrates. „Sokrates musste ihm als der Typus, als der Urbild des wahren Gerechten erscheinen, der um der Gerechtigkeit an sich seine philosophische Aufgabe an seinen Mitbürgern von Athen erfüllt hatte.“ (S. 1037) Der Tod am Kreuz war in Griechenland nur für Sklaven und Schwerverbrecher vorgesehen und nicht für freie Griechen, was noch den Widerspruch dieses Beispiels steigert. Sokrates wurde aber nicht gekreuzigt. Die neutestamentlichen Schriften (vor allem die Passionsverkündigung, 1061–1062) und die Apologeten verwenden diesen Text, um über Jesus zu sprechen.
Ergebnisse
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lenthalb in der Zerstreuung. Sokrates ist nicht tot: wegen Platon, noch Pythagoras: wegen der Herastatue, noch der weise König: wegen der neuen Gesetze, die er gegeben hat.235
Diese späteren Zeugnisse können natürlich nicht als Argumente für die Untersuchung der synoptischen Tradition herhalten. Sie zeigen aber eine ab dem 2. Jh. n. Chr. einsetzende Tendenz, die christliche Lehre nach paganer philosophischer Vorstellung zu formulieren. Die Grundlinien des biographischen Vergleichs zwischen Jesus und Sokrates umfassen die Verwerfung durch die Heimat, die ungerechte Anklage, die Weisheit und den gewaltsamen Tod, und damit die Notwendigkeit des Leidens des Gerechten. Sie könnten schon in das Gesamtkonzept des Evangeliums als eine Art Biographie Jesu eingedrungen sein. Die Christen brauchten sicher schon sehr früh ein biographisches Modell oder sehr bekannte biographische Motive zum Entwurf der Evangelienerzählung. Die alttestamentliche Figur des gerechten Gottesknechts, die wesentlich für die Passionsgeschichte ist, besaß als solche schon eine exemplarische Kraft, aber noch keine biographische Konkretion. Die These meiner Untersuchung sieht im dialogisch engagierten Jesus das Vorliegen des bekannten sokratischen Motivs, das in der Erzählung als ganzer im Zusammenhang mit der Anklage gegen Jesus und mit seinem ungerechten Tod steht.236
4. Ergebnisse Die polemische Einbettung der Streitgespräche zeigt in besonderer Weise die literarische Funktion dieser Texte im Plan des Markusevangeliums. Obwohl sie gewiss verschiedene Materialien aus der Tradition enthalten, die teilweise für die neue Rezeption adaptiert wurden, können sie nicht als isolierte Texte betrachtet werden.237 Die vorliegende Untersuchung geht von einem literarischen Gesamtplan des Evangeliums aus, zu dem die Streitgespräche einen unerlässlichen Beitrag leisten. Das liegt jenseits einer bloß redaktionellen 235 Übersetzung von F. Schulthess, Der Brief des Mara bar Serapion, ZDMG 51(1897) 365–391, S. 371–372 (V. 143–155). 236 Das scheint mir aufgrund von Bemerkungen von O. Michel umso plausibler, Art. vikosov¸a jtk, ThWNT IX (1973) 181. Michel betont, dass die rabbinischen Streitgespräche, die oft als Vergleichmaterial für die Streitgespräche Jesu in den Evangelien genommen werden, unter dem Einfluss der hellenistischen Populärphilosophie entstanden sind. Das oft vorkommende Muster besteht aus einem Dialog zwischen einem Rabbiner und einem Philosophen, der die Frage stellt. Die Worte Philosoph und Philosophie werden in den rabbinischen Schriften einfach transskribiert. 237 Das ist die Interpretation in J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 54 (zu Mk 2,1–3,6): „Daß ein einheitlicher Plan des Markus-Evangeliums oder gar des Lebens Jesu im MarkusEvangelium nicht festzustellen ist (…), zeigt sich aufs deutlichste in dieser ersten Gruppe von Streitgesprächen.“
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Polemik als Kontext der Streitgespräche
Justierung der einzelnen Erzählungen, wie sie bis anhin angenommen wurde. Im Mittelpunkt der Erzählung steht der gewalttätige und beschämende Tod Jesu, der den Evangelisten genauso beschäftigt wie der Tod des Sokrates den Plato bei der Abfassung der sokratischen Dialoge. Markus’ Lösung besteht in einer biographischen Darstellung, die die unbegründete Feindschaft der religiösen Umgebung aufzeigt. Die zahlreichen Beispiele aus der Antike belegen, dass einem unschuldigen Menschen sogar noch viel leichter ein tragischer Tod zustoßen kann als einem schuldigen. Die Passionsankündigungen in der Mitte des Markusevangeliums (8,31; 9,31; 10,33) haben die narrative Funktion, den Leser auf diesen Tod vorzubereiten, aber sie erinnern ihn gleichzeitig an das Gesetz, welches den platonischen d¸jaior und den leidenden Knecht in Jes 53 trotz kultureller Distanz verbindet: Der Gerechte hat immer eine schwierige und sogar tragische Existenz in dieser Welt. Dies ermöglicht m. E. eine wichtige Erkenntnis, die sich der Auffassung der Auferstehung als einer Überwindung des Todes Jesu kritisch entgegenstellt.238 Das Problem des Todes Jesu wird nämlich im Markusevangelium nicht durch die Auferstehung überwunden, sondern durch die Beschreibung der Umstände dieses Todes in einer biographischen Perspektive. Die Auferstehung Jesu hat in dieser Hinsicht nicht die hermeneutische Funktion, eine Dissonanzbewältigung des Todes Jesu zu erzielen. Sie gewinnt allerdings eine selbständige Bedeutung als Einsatz Gottes. Die „Dissonanz“ des Kreuzestodes hingegen kann vor allem durch Analogien mit anderen Biographien bekräftigt werden, die von einem ungerechten, tragischen Tod handeln. Entscheidend bleibt die Beobachtung, dass das älteste Evangelium mit der realistischen Szene von der Furcht der Frauen endet.239 Eine abschließende Bedeutung hat bei der Darstellung des Todes Jesu die Episode, die einen wahren coup de sc ne bietet: Das Bekenntnis des römischen Centurio unter dem Kreuz in Mk 15,39: „Wahrlich, dieser war Sohn Gottes!“ Wie ein römischer Kommandeur vor einem Gekreuzigten zu einer solchen 238 Dafür seien zwei Beispiele genannt, G. Theißen, Die Religion der ersten Christen, S. 76–81, und J. Schröter, Geschichte im Licht von Tod und Auferweckung Jesu Christi, 4–25. Nach Schröter wird der schmachvolle Tod durch die Auferstehung überwunden. Schröter schreibt auf S. 15: „Die Hinrichtung Jesu stellte seine Anhänger insofern vor eine grundlegende Alternative, als sie die Überzeugung vom Handeln Gottes in ihm entweder aufgeben oder aber seinen Tod in diese Überzeugung integrieren mussten. Die Osterereignisse besitzen deshalb für eine christliche Sicht auf die Geschichte grundlegende Bedeutung“. Das ist aber für das Markusevangelium nicht der Fall, weil für Markus die Osterereignisse zwar vorausgesetzt werden, aber narrativ keine Rolle spielen. Man sollte sich fragen, ob diese Sichtweise nicht das Ergebnis der rationalistischen Kritik am Christentum seit Reimarus ist, die die Auferstehung als mythologische (und daher metahistorische) Fiktion der frühen Christen betrachten will. Markus belegt m. E. die Auffassung, dass der schmachvolle Tod Jesu am Kreuz durch die Analogie zu anderen ungerechten Hinrichtungen und nicht mit Rekurs auf eine „mythologische“ Dimension zu erklären ist. 239 Mit diesem Hinweis ist vorausgesetzt, dass Mk 16,1–8 der originale Schluss des Evangeliums ist. Die Tatsache, dass im Laufe der Zeit mehrere Ergänzungen vorgenommen wurden, macht deutlich, dass die Leserschaft hier in Bezug auf Jesu Auferstehung ein Defizit wahrnahm.
Ergebnisse
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Aussage kommt, erscheint schlicht unverständlich.240 Man kann sie nur als plausibel betrachten, wenn man ein ähnliches Beispiel aus der paganen Welt voraussetzt. Nach Theißen ist das Bekenntnis des römischen Hauptmanns ein isoliertes Ereignis, bei dem sich die zwei Hauptlinien des Evangeliums überkreuzen, ein „aretologischer Spannungsbogen“ über die Erkenntnis der wahren Würde Jesu, die das ganze Evangelium durchzieht, und ein mythisches Stufenschema, das auf drei Hauptereignissen beruht: Taufe, Verklärung und Kreuz. Diese Linie ist der korrekte Weg, um Jesus zu erkennen, weil er in diesen Momenten „Sohn Gottes“ genannt wird.241 Auffallend ist allerdings der Unterschied zwischen den ersten beide Ereignissen, Taufe und Verklärung, bei denen Gott selbst sich zu Wort meldet, und dem Kreuz, wo im Gegenteil ein Mensch und zwar ein Heide und Vertreter der römischen Macht dasselbe sagt. Es bleibt unsicher, ob in seiner Äußerung das Fehlen eines bestimmten Artikels vor uR¹r heoO242 einen substantiellen Unterschied zu den beiden Offenbarungen darstellen kann. Dass ein Mensch zu diesem Schluss kommt, ist für Markus ein wichtiges Anliegen. Das ist m. E. das Ziel des Evangeliums und gleichzeitig die Wirkung, die er sich von seinem Werk erhofft. Das Evangelium setzt eine in der christlichen Gemeinde schon konsolidierte Christologie (wie z. B. die paulinische) voraus, aber es beschreibt die Figur Jesu aus der Perspektive eines Zeitgenossen und versucht die zahlreichen Vorwürfe und Einwände gegen den umstrittenen Menschen aus Palästina zu überwinden. In seiner Erzählung stellt Markus die vielen Meinungen über Jesus dar. Er ist für ihn der Sohn Gottes, ein Titel, der auf verschiedenen Eben auch in der hellenistisch-römischen Welt verstanden wurde. Das Bekenntnis des Hauptmanns ist daher nicht ironisch, wie einige Autoren aufgrund seiner geringen Plausibilität meinen.243 Es stellt vielmehr dar, was der Evangelist vom Leser erwartet, nämlich dass auch er in Jesu Tod die Realisierung des Todes eines 240 E.S. Johnson, Is Mark 15,39 the Key to Mark’s Christology?, JSNT 31 (1987) 3–22; 13. Eine ausführliche Diskussion über die Interpretation dieser Markusstelle kann findet sich bei W.T. Shiner, The Ambiguous Pronouncement of the Centurion and the Shrouding of Meaning in Mark, JSNT 78 (2000) 3–22. Die Pointe ist nach Shiner die Zweideutigkeit der Aussage, die grammatisch und narrativ unklar bleibt. Sie bezieht sich auf die Taufe, bei der Gott sich zu Wort meldet, aber sie ist kein eigentliches Bekenntnis. Nach Shiner ist Jesus nur von übermenschlichen Wesen (Gott und Dämonen) richtig erkannt, bei Menschen bleibt das Ganze immer zweideutig und deshalb eigentlich ironisch (S. 20). Die Kommentare stellen oft die Frage, worauf der Hauptmann seine Aussage gründet. E. Lohmeyer, Das Markusevangelium, 347, erklärt den Satz durch die Stärke des Geschreis. D. Lührmann, Das Markusevangelium, 264, sagt: „Es ist ein Heide, der dies erkennt, wie Ps 22,28 f die Heiden sich zum Herrn wenden, weil dem Herrn die Herrschaft gehört.“ 241 G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichte, 211–215. 242 T.H. Kim, The Anarthrous uR¹r heoO in Mark 15,39 and the Roman Imperial Cult, Bib 79 (1998) 221–241, sieht mit P. Bligh und C. Evans einen Zusammenhang dieser Appellation mit dem römischen Kaiserkult. 243 Vgl. z. B. W.T. Shiner, The Ambiguous Pronouncement, 19: „It is an example of dramatic irony, in which the audience can understand a deeper meaning of the pronouncement than the character intends. It is ironic in the sense of confounding the audience’s expectation.“
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Gerechten sieht. Das Erkennen des Gekreuzigten als Sohn Gottes durch den römischen Soldaten kontrastiert zu der eklatanten Missdeutung eines Zitats aus dem Psalm 22,2 durch die Anwesenden. Die Streitgespräche leisten einen entscheidenden Beitrag zu dieser Sichtweise, weil sie als Vorstufen seines ungerechten Prozesses die Vorwürfe gegen Jesus implizit als falsch und unberechtigt erweisen und Jesus als den ungerecht verfolgten Lehrer darstellen.
IV. Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa 1. Einführung: Mk 2,1–3,6 und die Interpretation des Evangeliums Grundsätzlich sollte jede Hypothese über den Ursprung und die Bedeutung der markinischen Streitgespräche am Text von Mk 2,1–3,6 überprüft werden, denn in diesem Abschnitt lässt sich nicht nur eine Art ,Miniatur‘ der Thematik des Evangeliums finden,1 sondern er stellt außerdem einen Prüfstein für die Tauglichkeit eines jeden Interpretationsversuchs für das Evangelium dar. Dies ist der neutestamentlichen Forschung sehr wohl bewusst und hierunter besonders Autoren und Autorinnen wie W. Thissen, J. Dewey oder J. Kiilunen, die diese Texte als pars pro toto für die gesamte Auslegung der Streitgespräche untersucht haben. Von der Analyse von Mk 2,1–3,6 versprachen sich viele Exegeten darüber hinaus erhellende Einsichten in die Grundfragen von Tradition und Redaktion des Markusevangeliums. Allgemein formuliert geht es in der exegetischen Debatte um die homogene Komposition der einzelnen Perikopen, ihre Einheit, die thematischen Zusammenhänge und um die Einstellung zum jüdischen Gesetz. Die Ergebnisse fallen allerdings sehr unterschiedlich aus. Um die exegetische Betrachtung des Abschnitts zu spezifizieren, scheint es angebracht, gewisse Fragestellungen in den Vordergrund zu rücken: Zum einen die Frage nach der Existenz einer vormarkinischen Sammlung von Streitgesprächen, die der Evangelist mit leichten redaktionellen Einfügungen in sein Werk übernommen haben könnte, und welche Überlegungen sich daran für den Evangelisten anschließen. Zweitens die Frage, als wie groß die Eigenleistung des Evangelisten bei der Abfassung dieser Perikopen erachtet werden muss: Hat Markus lediglich einzelne Perikopen zusammengefügt oder eine bereits vorliegende Sammlung verwendet, oder ist er bei der Entstehung des Ganzen im Wesentlichen selbst der Autor? Drittens die Frage nach der polemischen oder apologetischen Relevanz dieser Texte. Die Polemik scheint das zentrale Element der Perikopen zu sein, von dem ausgehend der Sitz im Leben der Texte bestimmt werden kann. Wie aber ist der polemische Ertrag dieser Texte zu erklären, und worüber wird in diesem Teil überhaupt debattiert? Diese Punkte sollen in der Einzelexegese diskutiert werden. Allgemein 1 J.D.G. Dunn, Mark 2,1–3,6, spricht von „a miniature Vorlage of Mark’s Gospel as a whole“ (S. 13).
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
gesprochen richtet sich der Fokus dieser Perikopen auf das Verhältnis der Person Jesu zur jüdischen Religion. Es handelt sich also eindeutig um die Person Jesu und nicht um die christliche Gemeinde. Die Kürze der Streitgespräche als Apophthegmen ermöglicht jedoch nicht die ausführliche Behandlung dieser verschiedenen Themen, die für eine echte polemische Konfrontation eigentlich nötig wäre. Was in den Gesprächen erreicht wird, ist lediglich eine Darstellung von Momenten des alltäglichen Lebens, die durch eine exemplarische Handlung und vor allem durch eine prägnante Aussage Jesu charakterisiert sind. Der ganze Abschnitt handelt vom Vorwurf gegen Jesus, er sei ein Gotteslästerer und habe systematisch gegen die jüdische Religion und ihre Praxis gesprochen und gehandelt. Dieser Vorwurf zieht sich durch alle Szenen und wird Schritt für Schritt durch die einzelnen Debatten widerlegt. In diesem Kapitel wird die Bezeichnung der Erzählungen als „galiläische Streitgespräche“ beibehalten, jedoch gilt sie lediglich als eine textinterne Bezeichnung für die Streitgespräche, die nach dem Aufriss des Evangeliums in Galiläa stattgefunden haben. Eine besondere galiläische Tradition in den Texten, die unter anderem auch Hultgren2 vermutet hat, ist m. E. nicht nachweisbar. Der enge Zusammenhang der einzelnen Teile ist vor allem in den Untersuchungen von Thissen und Dewey dargelegt worden. Dewey beschränkt sich auf die rein synchrone Feststellung einer konzentrischen Konstruktion und einer kohärenten Einheit, die durch „hookwords“ und Wiederholungen gebildet wird. Thissen erklärt die Einheit des Abschnitts durch die graduelle Entstehung der Sammlung diachronisch. Die Entstehung sei in einem Kristallisationsprozess geschehen, bei dem zwei Redaktoren den Stoff um ein Zentrum, den Streit über das Fasten in Mk 2,18–22, gruppiert hätten. In den beiden äußeren Perikopen Mk 2,1–12 und 3,1–6 kann man leicht eine parallele Form feststellen. Es handelt sich in beiden Fällen um Heilungsgeschichten, die den Anlass eines Streites bilden. Beide Male stellen die Gegner Jesu keine Frage oder erheben keinen Einwand, sondern Jesus kann offenbar ihre Einsprüche vorhersehen und sie in Wort und Tat widerlegen. In den 2 A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 157–160. Die geographische Bestimmung ist von Hultgren durch einige Besonderheiten der Umwelt bestimmt worden. Die Kontroverse über das Ährenraufen sei logischer im galiläischen Gebiet anzusetzen, weil dort die meisten Weizenfelder zu finden waren. Auch die Präsenz der Zöllner lasse sich eher in Galiläa erklären. Und schließlich könne die Benennung von Kapernaum nicht nur eine redaktionelle Anmerkung des Markus sein: „The Galilean tradition, the Galilean place references themselves (2,1; 13; 15) cannot all be attributed to Mark“ (S. 158). Ein weiteres Argument betrifft die Gegner Jesu. Die Kontroverse betreffe die Interpretation des Gesetzes und nicht den Tempel. Die Gegner Jesu seien in der Sammlung nie Priester, Älteste und Sadduzäer. Besonders wichtig für Hultgren ist die Bemerkung in Mk 3,6, mit der die Gegner Jesu in der Sammlung mit den Pharisäern identifiziert werden. Das führt Hultgren zum folgenden Schluß: „In Galilee of the early fifth decade the scribes and Pharisees would be the representative of Judaism who would have opposed the church there“. (S. 159–160). Diese Argumente sind allerdings nicht stringent.
Die Frage nach der vormarkinischen Sammlung in Mk 2,1–3,6
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beiden Episoden der Heilung und durch seine Kardiognosie wird Jesus somit als eine wirkmächtige Person beschrieben, die die Macht besitzt, schwerwiegende physische und psychische Gebrechen zu heilen. Bei den folgenden Gesprächen werden antithetische Inhalte formal parallel miteinander verknüpft: der Glaube der Begleiter des Gelähmten entspricht dem Unglauben der Gegner in 3,1–6; die Begeisterung und die Bewunderung in 2,12 entspricht der Opposition der Gegner in 3,6, die für sich beschlossen haben, Jesus zu vernichten. Auffallend ist die Anspielung auf Tod und Auferstehung in der Symbolik der vier Begleiter des Gelähmten, die ihn wie einen Toten tragen, ferner das Verb !pojte¸meim in 3,4 und der unübliche Gebrauch des Verbs 1ce¸qeim in 2,11 und 3,4, um die Aufforderung an den Kranken auszudrücken, sich zu erheben. Die Parallelen in den weiteren Texten des Abschnitts sind m. E. weniger auffällig, daher scheint mir die Hypothese einer konzentrischen Struktur nicht korrekt zu sein. Einige Autoren sind zwar der Ansicht, dass in 2,23–28 und 2,13–17 das Essen den Mittelpunkt der Erzählung bildet, aber es bleibt unklar, was bei den Opponenten den Anlass zum Anstoß an Jesus hervorruft, das Essen der Getreidekörner am Sabbat oder das Ährenraufen auf den Feldern. Es können daher thematisch drei Motive in den fünf Perikopen unterschieden werden, die drei praktische Grundfragen jüdischer Frömmigkeitspraxis und Religion beschreiben:3 1. Der Umgang mit Sünde (2,1–12) und Sündern (2,13–17). 2. Der Umgang mit dem Fasten (2,18–22). 3. Der Umgang mit dem Sabbat (Mk 2,23–28 und 3,1–6).
2. Die Frage nach der vormarkinischen Sammlung in Mk 2,1–3,6 Die Hypothese der Existenz einer vormarkinischen Sammlung wurde zum ersten Mal von M. Albertz aufgestellt. Er bemerkte die Selbständigkeit des Abschnitts gegenüber dem Rest des Evangeliums, die sich besonders an drei Punkten zeige: der frühen Nennung des christologischen Titels „Menschensohn“ in 2,10 und 2,28; dem zu frühen Hinweis auf den Tod Jesu in 2,19 und 3,6 und die Tatsache, dass in 3,22 ein weiteres Streitgespräch vorkommt, das nicht 3 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 49–70, unterscheidet zwei Teile, die „Frage der Sünder und Zöllner“, und „die Frage des Fastens und des Sabbats“ betreffend. W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 53, gliedert die Einheit ebenfalls in zwei Hauptteile, den ersten Teil über die Frage von Sünde und Sünder, den anderen über die „jüdischen Lebensordnungen“. E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 30, unterscheidet auch zwei thematische Einheiten, die Vollmacht Jesu befreit einerseits von der Sünde (Mk 2,1–17) und andererseits vom Gesetz (Mk 2,18–3,6). Diesem entspreche die paulinische Thematik der Befreiung von der Sünde und vom Gesetz in 1Kor. 15,55–56; Gal. 4,3.8–10; vgl. Kol. 2,14–15.
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zu der Sammlung gehöre.4 „Der Zweck der Sammlung“ – so Albertz – „ist der Nachweis der Notwendigkeit des Todes Christi durch eine Überschau über den geschichtlichen Konflikt Jesu mit seinen Gegnern“. In der Sammlung gebe es eine Steigerung, die im Beschluss der Pharisäer und Herodianer in Mk 3,6 gipfele, Jesu Hinrichtung zu planen. Eine weitere Sammlung von Streitgesprächen ist nach Albertz in Mk 11,15–12,44 zu finden. Die Existenz dieser weiteren Sammlung lasse sich dadurch beweisen, dass sie eine gegenteilige Intention wie der Rest des Evangeliums vertrete: Jesus ist in der Jerusalemer Sammlung selbst in der Hochburg der Juden, dem Tempel, erfolgreich, während er sonst im markinischen Evangelium sogar bei seinen Familienangehörigen nur auf Opposition und Unglauben stößt.5 Die Hypothese einer Sammlung wird bei der späteren Revision der Formgeschichte von Albertz nicht mit der Idee des Sitzes im Leben verbunden, da er den Ursprung der Streitgespräche in einem historischen Urgespräch Jesu gesucht hat. Die Idee einer vormarkinischen Sammlung der Streitgespräche wurde rudimentär auch von Bultmann behandelt und von Dibelius unter einem gewissen Vorbehalt betrachtet. Bultmann spricht hauptsächlich von einem Prozess der Sammlung von Sprüchen und kommt sehr schnell auf die Existenz einer vormarkinischen Sammlung von Streitgesprächen, ohne seine These fundiert zu belegen.6 Dibelius hat einen sehr ähnlichen Blickwinkel auf die Hypothese einer vormarkinischen Sammlung der Streitgespräche wie Bultmann. Nach Dibelius hat Markus mit Ausnahme der Leidensgeschichte die Texte selbst gesammelt. Seine Position zur Hypothese einer Sammlung in Mk 2,1–3,6 ist damit klar zum Ausdruck gebracht: Auch sonst mag inhaltliche Eignung gewisse Stücke bereits vor Markus zueinandergebracht haben. Man könnte sich vorstellen, daß man die Konfliktfälle zusammengestellt hätte. – Aber die Gruppe Mk 2,1–3,6 ist mindestens so, wie sie heute im Evangelium steht, von dem Evangelisten gebildet worden.7
Die erste Bearbeitung der These von Albertz über eine Sammlung von Streitgesprächen erfolgte durch die Arbeit von H.W. Kuhn zu diesem Thema. 4 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 5–8. 5 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 18: „Dort sehen wir Jesus als Lehrer in einem Erfolg ohne gleichen, die Gegner mundtot, das Volk für ihn gewonnen, ihn als Triumphator in der Hochburg seiner Gegner“. 6 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 374. Er teilt die Hypothese einer Sammlung mit Albertz. So schreibt er auf S. 347, Anm. 2: „Wie Albertz mit Recht vermutet, daß Streitgespräche dem Mk gesammelt vorlagen (ob wirklich in zwei Sammlungen oder nur in einer, lasse ich dahingestellt), so muß man fragen, ob er auch eine Quelle vor sich hatte, in der Wundergeschichten gesammelt waren.“ Die einzige Theorie über die Bildung einer Sammlung besteht am Ende des Buches (S. 398) darin, dass sie analog zu den anderen volkstümlichen Sammlungen in den verschiedensten Kulturen geschieht. Gerade diese Frage der Sammlung war ein Problem für die Formgeschichte, weil man noch dazu einen weiteren Sitz im Leben annehmen müsste, die die Sammlung erklären würde. 7 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 220.
Die Frage nach der vormarkinischen Sammlung in Mk 2,1–3,6
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Von diesem Zeitpunkt an wird von einem einheitlichen Sitz im Leben der Sammlung ausgegangen. Die Sammlung beinhaltet nach Kuhn die Auseinandersetzung mit dem Judentum in praktischen Fragen, wie der Vergebung der Sünden, der Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern, der Fastenspraxis und der Einhaltung des Sabbats. Bei der Lösung dieser Konflikte spiele immer die Vollmacht Jesu eine tragende Rolle: Als Menschensohn hat er die Vollmacht, die Sünden auf Erden zu vergeben (2,10). Die Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern werde durch seine Mission begründet, die neue Fastenspraxis mit dem Tod des Bräutigams und das Verhältnis zum Sabbat mit dem Anrecht des Menschensohnes auf den Sabbat. Jede Antwort der vier ersten Perikopen sei durch ein christologisches Logion begründet (Mk 2,10; 17b; 19 f; 28). Gerade das Fehlen einer christologischen Begründung in 3,1–6 dient als Argument, diese Perikope nicht als einen Teil der älteren Sammlung zu betrachten. Kuhn muss damit allerdings die These Bultmanns über den Sitz im Leben revidieren, denn er nimmt nicht mehr einen Konflikt zwischen Christen und Juden an, sondern eine Auseinandersetzung mit den Judenchristen. Ansonsten wären die christologischen Aussagen im Falle einer Debatte mit dem Judentum keine treffenden Argumente gewesen. „Der ,Sitz im Leben‘ der vier Perikopen und der Sammlung ist eine Frömmigkeit, die sich vom Judentum äußerlich in einem erheblichen Ausmaß und innerlich fast vollständig gelöst hat.“8 Die Argumentation sei daher nur für „judenchristliche Ohren“9 sinnvoll. Eine wichtige Grundüberlegung dieser Interpretation liegt vor allem darin, dass in Mk 2,15ff die Frage der Tischgemeinschaft zwischen Heiden und Juden diskutiert werde. Nach Kuhn wird in der markinischen Perikope das gleiche Problem wie in Gal 2,11–18 behandelt, nämlich die Tischgemeinschaft mit Heiden. Das Bindeglied zwischen beiden Stellen ist nach Kuhn die Bezeichnung der Heiden in Gal 2,15 als „Sünder“.10 Diese Parallele hilft Kuhn den Entstehungsort der vormarkinischen Sammlung zu bestimmen und ihn in Syrien und nicht mehr in Palästina zu vermuten.11 In der Debatte über den Umfang und die Funktion der vormarkinischen Sammlung in 2,1–3,6 zeichnen sich in der Forschung einige Varianten ab, die hier kurz skizziert werden sollen. I. Maisch stellt in ihrer Monographie über Mk 2,1–12 die Hypothese einer verkürzten Sammlung auf, die nur Mk 2,15–3,6 umschließt.12 Ein Grund, die erste Perikope Mk 2,1–12 aus der Sammlung auszuschließen, sei die Tatsache, dass hier Jesus mit den Schriftgelehrten 8 9 10 11 12
H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 84. Ebenda. Kursiv bei Kuhn selbst. H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 92. Andere Stellen sind Mt 5,46 f; 18,17. H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 98. I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 112–118. Sie bezieht sich für ihre These auf den Kommentar von E. Schweizer zum Markusevangelium, worin jedoch die direkte Erwähnung einer verkürzten Sammlung vergeblich gesucht wird. Maisch schreibt S. 113: „ Die ältere Sammlung dürfte demnach mit der Diskussion über die Tischgemeinschaft Jesu mit den Zöllner und Sündern (2,15ff) begonnen haben.“
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streitet, während in den weiteren Perikopen nur die Pharisäer als seine Gegner erscheinen. Ohne Mk 2,1–14 sei eine geographische Bestimmung nicht mehr möglich und daher könne nicht mehr von „galiläischen Streitgesprächen“ gesprochen werden: „Die vier vormarkinischen Streitgespräche sind völlig orts- und zeitlos überliefert.“13 Ein weiteres Diskussionsfeld bildet die Thematik der Abgrenzung der Sammlung, hier speziell, ob Mk 3,6 eine redaktionelle Einfügung des Markus oder das Ende der ursprünglichen Sammlung darstelle. Maisch wählt die zweite Option, weil sie eine unterschiedliche Terminologie in diesem Beschluss des Todes Jesu zu den anderen in 11,18; 12,12; 14,1f feststellt. In jenen Stellen kämen das Verb fgte?m und als Gegner Jesu die Schriftgelehrten und die Hohenpriester vor.14 Ferner sind zwei weitere interessante Beobachtungen in Maischs Hypothese zu nennen: Zum einen ist nach Maisch keine Eskalation der Aggression und Feindschaft, die ihren Höhenpunkt in 3,6 erreiche, erkennbar. Zum anderen unterscheidet Maisch eine doppelte Funktion der Streitgespräche. Die einzelnen Perikopen sollten als „exemplarische Streitfälle“ dienen, als Sammlung sollten sie hingegen den Zweck verfolgen, „das Scheitern Jesu mit der Feindschaft seiner Gegner zu erklären“.15 Der gleiche Umfang der vormarkinischen Sammlung (Mk 2,15–3,6) wird auch von R. Pesch angenommen.16 Pesch sieht aber die Polemik der Judenchristen gegen das Judentum als Anlass für die Sammlung: „Die Sammlung ist also die kleine Charta der Freiheit der Christen, die sich vom ,Judentum‘ emanzipieren, Alt und Neu nicht mehr vermengen“.17 Eine neue Gesamtdiskussion wurde vor allem von J.D.G. Dunn angestoßen. Dunn definiert die Diskussion über das jüdische Gesetz als das Thema der Sammlung. Die Sammlung stelle eine Art konzeptionelle Brücke zwischen Jesus und Paulus zum Thema Gesetz dar und fülle eine grundsätzliche Lücke in der Entwicklung der christlichen Theologie in der vorpaulinischen Zeit. Das Thema der Sammlung sei also die Tora und die Halacha und nicht die christologische Debatte.18 Aus diesem Grund sei Mk 2,1–12 nicht als ursprünglicher Teil der Sammlung zu betrachten, weil Jesu Antwort auf die Frage der Sündenvergebung mit der 1nous¸a des Menschensohns begründet werde.19 Die Sammlung umfasse daher 2,15–3,6. Die erste Perikope Mk 2,1–12, die parallel zu 3,1–6 ist, sei später, ebenfalls in vormarkinischer Zeit, in die Sammlung
13 I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 113. 14 I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 115. 15 I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 118. Diese Lösung ermöglicht es, von einer Differenzierung von Sitzen im Leben zu sprechen, die aber komplementär bleiben. 16 R. Pesch, Das Evangelium nach Markus I, 149–150. 17 R. Pesch, Das Evangelium nach Markus I, 150. 18 J.D.G. Dunn, Mark 2,1–3,6: A Bridge between Jesus and Paul, 26: „Nevertheless, all that being true, the point still remains that it was not a primarily a Christological concern (…) which binds the pre-Markan unit together. The linkage is a controversy over points of the law and halakah.“ 19 J.D.G. Dunn, Mark 2,1–3,6: A Bridge between Jesus and Paul, 27.
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eingefügt worden.20 Der theologische Ertrag der Sammlung bestehe in einer Kritik des jüdischen Gesetzes, dessen Einhaltung nicht mehr als das Identitätsmerkmal des Volkes Gottes zu gelten habe. Der Trägerkreis dieser Sammlung ist nach Dunn die Gruppe der Hellenisten, die eine Brücke zwischen Jesus und Paulus darstelle und, wie Kuhn vermutet hatte, ihre Wirkungsstätte in Syrien gehabt habe. Paulus benütze diese Tradition für seine Debatte über das Gesetz, weil er unabhängig von jeder apostolischen Tradition argumentieren wolle. Die Hervorhebung der Debatte entweder über das Gesetz oder über die Christologie ist die Ursache, weshalb andere Autoren von einer Sammlung von 5, 4 oder 3 Perikopen ausgehen. Diese letzte Hypothese ist im Markuskommentar von E. Schweizer21 und in der Monographie von W. Thissen22 zu finden. Einige Autoren stellen sogar die Hypothese einer vormarkinischen Sammlung überhaupt in Frage. Gemäß W. Weiß hätte sich im Laufe der Tradition eine Grundform der Streitgespräche gebildet, die dem Evangelisten als einzelne Texte vorlagen.23 Markus hätte sie dann zu größeren Einheiten für sein Evangelium zusammengestellt. Das Problem bei dieser These ist aber die Annahme, dass eine Grundform des Streitgesprächs in der palästinischen Gemeinde als Vorbild für den Evangelisten gedient haben könnte. R.H. Gundry stellt in seinem Kommentar ebenfalls die vormarkinische Sammlung in Frage. Die Argumente, die für die Existenz der Sammlung angeführt werden, sind nach Gundry nicht überzeugend. Die frühe Erwähnung des Menschensohns mit einer anderen Implikation (Vollmacht) als in den Stellen im zweiten Teil des Evangeliums (Erniedrigung und Erhöhung) stelle kein Problem dar. Im Gegenteil könne dies sogar absichtlich aus einer christologischen Perspektive als vorteilhaft angesehen werden, weil gerade der gleiche Menschensohn, dem anfangs die göttliche Vollmacht zugesprochen wird, Leiden und Erniedrigung erfahren muss.24 Die polemische Einbettung der Gespräche in die Debatte der Gemeinde, die die Situation für die Entstehung der Sammlung nachzeichnen soll, stellt Gundry ebenfalls in Frage. Bei den einzelnen Perikopen kann keine polemische Einbettung in die Debatten der Gemeinde nachgewiesen werden:25 Die Tischgemeinschaft Jesu mit jüdi20 J.D.G. Dunn, Mark 2,1–3,6: A Bridge between Jesus and Paul, 15–16. 21 E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 28. 22 Wie schon im forschungsgeschichtlichen Bericht dargelegt wurde, geht die These von Thissen davon aus, dass die Sammlung aus einer Kristallisation aus den Fastenperikopen (2,18–19a) hervorgeht. Mk 2,18–28 seien die Kernperikopen dieser Sammlung. Vgl. Erzählung der Befreiung, 196–208. 23 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 30–31. 24 R.H. Gundry, Mark, 106. 25 Diese Argumente führt Gundry in Mark, 107–108 aus. Das Thema von Mk 2,1–12 sei christologisch (die Vollmacht Jesu Sünden zu vergeben) und nicht polemisch (die Vergebung der Sünden in der Gemeinde), zu verstehen. Gundry reicht es als Argument aus, dass einige Autoren wie Pesch diese Stelle nicht als einen Teil der Sammlung ansehen.
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schen Zöllnern könne nicht als Basis für eine Debatte über die Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen dienen, und eine Polemik zwischen Juden und Christen zum Thema Fasten könne ebenfalls nicht nachgewiesen werden, vielmehr deuteten viele Texte auf eine christliche Fastenpraxis hin. Laut Gundry spreche die Disputation am Sabbat „not to the question of accepting the Sabbath so much as to the question of interpreting it“.26 Gundry betont das Fehlen einer Polemik zu diesem Thema, da ansonsten die Position Jesu in der Briefliteratur erwähnt werden müsste. Gundrys Thesen, die sich gegen jede polemische Einbettung der Streitgespräche in die Debatten der Gemeinde stellen, sind wichtige Erkenntnisse für die Analyse dieser Erzählungen, aber sie sollten nicht zu einem polemiklosen Verständnis der Streitgespräche führen, denn die Streitgespräche bezeugen eine zentrale Polemik, nämlich die Polemik gegen die Person Jesu. Die Vorwürfe (manchmal versteckt in harmlosen Fragen) repräsentieren Meinungen des jüdischen und heidnischen Umfeldes gegen die Gestalt Jesu. Die Antworten sind wichtig, nicht weil sie eine theologische Erörterung der verschiedenen Themen bieten, sondern vielmehr weil sie als Argumente für die Apologie der Person Jesu dienen.
3. Der Umgang mit Sünde und Sündern in Mk 2,1–12 und 2,13–17 3.1 Formale Analyse von Mk 2,1–12 In literarkritischer Hinsicht werden in der Perikope zwei Teile unterschieden: die Wundererzählung (2,3–5a; 11–12) und das Streitgespräch über die Vergebung der Sünden (2,5c–10).27 Als Argument für die Unterscheidung der zwei Teile kann geltend gemacht werden, dass die Schriftgelehrten nur in der Debatte (und nicht vorher und nachher) erwähnt werden und dass abschließend betont wird, dass alle Gott für das geschehene Wunder loben ¦ste 1n¸stashai p²mtar ja· don²feim t¹m heºm, was wohl nicht ganz im Sinne der Pharisäer gewesen sein könnte. Das Motiv des Gotteslobes ist typisch für die Wundererzählung und würde zum Thema Vergebung der Sünden nicht passen. H.J. Klauck untermauert diese Hypothese durch eine ausführliche literar26 R.H. Gundry, Mark, 108. 27 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 12–13: „Die Debatte V. 5b–10 ist also eingeschoben; sie ist deutlich auf die Wundergeschichte hin komponiert und nicht ursprünglich selbstständig gewesen“. Die These wurde schon von W. Wrede, Zur Heilung des Gelähmten (Mk 2,1 ff.), 358, in Gegensatz zu einer einheitlichen und historischen Interpretation der Perikope vorgeschlagen. Nach Wrede ist die Debatte über die Vergebung der Sünden „ein Zuwachs zur ursprünglichen Geschichte von der Heilung des Lahmen“. Das Jesus-Wort an den Gelähmten, ,deine Sünden sind vergeben‘ hat „vor allem die Bedeutung einer Einleitung und Basis der folgenden Streitverhandlung“ (ebenda).
Der Umgang mit Sünde und Sündern in Mk 2,1–12 und 2,13–17
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kritische Analyse des Textes.28 Er betont das Vorkommen von Doppelungen und Wiederholungen, wie z. B. die Doppelung der Verben !postec²feim und 1noq¼sseim in 2,4. Es sei nicht logisch, dass das Dach erst aufgedeckt und dann durchbrochen wird. Diesen Vorstellungen liegen zwei verschiedene Arten von Dach zugrunde, ein Lehmdach, wie in Palästina üblich, und ein Ziegeldach (vgl. Lk 5,19), wie in der griechisch-römischen Umwelt gebräuchlich. Eine Wiederholung betrifft den Satz k´cei t` paqakutij` in 2,5b und 10d (9b eQpe?m t` paqakutij`) und den Ausdruck !v¸emta¸ sou aR "laqt¸ai in 2,5c; 2,9c. Das Denken der Schriftgelehrten „in ihren Herzen“ wird in 2,8b und 2,8d wiederholt. Eine Spannung liegt nach Klauck in der Tatsache vor, dass in der Erzählung das Wunder als Beweismittel für die Vergebung der Sünden verwendet wird. Die wirkliche narrative und inhaltliche Frage des Textes sei tatsächlich diese Verbindung zwischen der Vergebung der Sünden und der Heilung. Die Hypothese einer Unterscheidung der Heilungsgeschichte und des Streitgesprächs scheint mir daher plausibel zu sein,29 obwohl es nicht mehr klar feststellbar ist, ob ursprünglich zwei verschiedene Geschichten vorlagen. Es ist zwar möglich, eine reine Heilungsgeschichte zu rekonstruieren, aber das Streitgespräch scheint eher eine Erweiterung der Geschichte zu sein als eine selbständige Erzählung. Die V. 1–2 wurden meistens auf eine markinischen Redaktion zurückgeführt, weil hier einige charakteristische Ausdrücke zu finden sind: das p²kim (2,13; 3,1.20; 4,1; 5,21, 7,14.31), das Hören vom Ankommen Jesu, das Versammeln einer Menge (3,8; 5,27) und das Haus (1,33). Die Perikope 2,1–5a enthält typische Züge einer Heilungsgeschichte:30 das Kommen des Wundertäters, das Auftreten der Menge, die Situation der Not und das Erschwernis der Annährung, den Glauben der Begleiter des Gelähmten und schließlich die Bewunderung der Menge. Der Streit, auf den sich das Interesse des Markus konzentriert, stellt nach Theißen eine Schwierigkeit dar, die die Heilung berhindert.31 Die Bemerkung integriere das Streitgespräch in die Heilungsgeschichte, obwohl eine gewisse Unterscheidung notwendig sei. Der Satz !v¸emtai sou aR "laqt¸ai wirke aber in diesem Zusammenhang als der Situation unangemessen, weil an dessen Stelle eher ein Heilungswort Jesu 28 H.-J. Klauck, Die Frage der Sündenvergebung, 225–232. Er betont vor allem die Bedeutung dieser Analyse im Gegensatz zu einer konsequent synchronen Analyse. Die Literarkritik ist aber wesentlich für die Forschung über den historischen Jesus, „ohne Literarkritik ist die Rückfrage nach Jesus nicht möglich“(S. 223). Die Gefahr aber sei bei der Literarkritik (wie im Fall der Forschung Güttgemanns), den historischen Jesus als keine historische Gestalt mehr anzusehen, sondern als das Produkt universeller Erzählstrukturen. 29 J. Dewey weist auf die Wiederholung der Schlüsselworte im Text als auf ein Mittel hin, um eine größere Kohärenz des Textes zu schaffen. J. Dewey, Jesus Public Debates, 75: „In fact, the most of the so called literary ,difficulties‘ of the narrative are the result of the failure of the critics to recognize the literary structure of the passage, its ring composition.“ 30 Vgl. für die Motive G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten, 57–89. 31 G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten, 66: „Die Kritik trifft entweder die mit der Heilung verbundene Sündenvergebung (Mk 2,5ff) bzw. den Sabbatbruch (Mk 3,1 ff. Lk 13,10 ff. 14,1 ff. Joh 5,1 ff. 9,1 ff.) oder ein unterstelltes Satansbündnis (Mt 9,34 12,24)“.
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zu erwarten wäre. Der Satz eröffne vielmehr eine Klammer, die sich um den Streit (2,5b–11a) legt, der durch die Heilung gelöst werde. Auffallend für die Exegese ist der Anakoluth in Mk 2,10–11, nämlich der Übergang eines Finalsatz (Vma d³ eQd/te) in der 2. Person Plural der direkten Rede an die Schriftgelehrten zu einer dritten Person Singular tºte k´cei t` paqakutij` und schließlich zu zwei Imperativen, die sich an den Gelähmten richten. Dies gilt für Mead als eine „awkwardness of syntax marks“ und als Signal einer Zusammensetzung von zwei unterschiedlichen Teilen, der Heilung und des Streitgesprächs.32 Eine mögliche Interpretation dieses Satzes in der zweiten Person Plural ist es, ihn als Anrede des Evangelisten an die Leser zu verstehen. Sie sollten erkennen, dass Jesus die Vollmacht hat, die Sünden zu vergeben. U. Luz spricht von einem Übergang, der die Leser zwingt, eine Überlegungspause zu machen.33 M. Wolter bemerkt allerdings, dass diese grammatische Unstimmigkeit von Matthäus und Lukas nicht als störend empfunden wurde, weil diese den Satz in ihrer Version nicht korrigiert haben.34 Er findet die gleiche syntaktische Struktur bei Demosthenes,35 den Gebrauch eines Finalsatzes und darauf einen Imperativ. Man muss allerdings zu dieser Erklärung kritisch sagen, dass die Störung im Text nicht der Übergang von einem Finalsatz zu einem Imperativ ist, sondern der Übergang von der direkten Rede zur dritten Person der Erzählung und wieder zum Imperativ an den Gelähmten. 3.2 Die Vergebung der Sünden als Streitthema Im Mittelpunkt der Erzählung steht der Zuspruch Jesu in V. 5 an den Gelähmten t´jmom, !v¸emta¸ sou aR "laqt¸ai. Was vorher berichtet wird, ist die Vorbereitung der Szene: Das Eintreffen Jesu in Kapernaum, das Sich-Versammeln der Menge vor der Tür des Hauses und die unklare Geste des Durchbrechens des Daches. Es wurde vermutet, dass diese Handlung ursprünglich eine apotropäische Bedeutung haben könnte. Der Dämon, der die Krankheit verursacht hatte, hätte so schliesslich vertrieben werden sollen.36 32 R. T. Mead, The Healing of the Paralytic, 349; R. Pesch, Das Evangelium nach Markus I, 151; I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 47–48; W. Weiß, Ein neue Lehre in Vollmacht, 130–131. 33 U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus II, 37, Anm. 16. 34 M. Wolter, ,Ihr sollt aber wissen‘, 271. 35 Wolter zitiert einige Beispiele aus den Reden des Demosthenes (Ihr sollt aber wissen, 274) z. B. Or. 39,20: Vma to¸mum eQd/te, fti oq lºmom eQr to»r vq²teqar ovtyr ¢r lelaqt¼qgsai, b patµq tµm 1ccqavµm 1poi¶sato, !kk± ja· tµm dej²tg 1lo· poi_m toumola toOtû 5heto kab´ tµm ta¼tgm tµm laqtuq¸am. 36 Diese Interpretation wurde von H. Jahnow, Das Abdecken des Daches Mc 2,4 Lc 5,19, 156, auf der Basis einiger indischer Ritualtexte vorgeschlagen: „Das Herunterlassen des Kranken durch das Dach, das in den indischen Ritualtexten vorgeschrieben ist, hat offenbar den Zweck, dem Dämon den richtigen Weg in das Haus zu verbergen, damit er auch wieder durch das Dach abfährt und, nachdem es geschlossen ist, nicht wiederkommen kann.“ Diese These wurde von S.
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Diese These kann aber nicht unterstützt werden, da im Text weder Elemente eines Exorzismus enthalten sind noch eine Verbindung der Krankheit mit einem Dämon.37 Außerdem ist die religionsgeschichtliche Vorstellung der Täuschung über die Wege in das Haus und aus dem Haus fragwürdig. Das Herablassen des Kranken über das Dach dient im Text ausschließlich als ein Beweis des großen Einsatzes der Begleiter, welche Jesus trotz des überfüllten Hauses erreichen wollen. Diese Handlung verdeutlicht in der Erzählung den notwendigen Glauben, der die Heilungen immer begleitet. Es ist unklar, warum der Satz über die Vergebung der Sünden hier in Bezug auf die Erwartung einer Heilung ausgesprochen wird.38 Für Branscomb gehört dieser Zusammenhang zu den Elementen, die diese Erzählung wie die anderen Streitgespräche zu einer unüblichen Textsammlung machen.39 Der Zuspruch Jesu der Vergebung der Sünden an den Gelähmten werde auf der Basis eines theologischen Zusammenhangs zwischen Krankheit und Sünde erklärt, die aus manchen Texten herauszulesen sei. Jesus habe die Sünden vergeben, insofern sie der Grund der Krankheit sind. Der Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit liege in der Tatsache begründet, dass die Sünde die Zerstörung des Verhältnisses zu Gott darstelle und daher als die Quelle aller Übel, und somit auch als diejenige der körperlichen Gebrechen, angesehen werden müsse. Krauss (Das Abdecken des Daches, Mc 2,4; Lc 5,19, 307–310) bestritten. Nach Krauss ist es nicht nötig, eine solche religionsgeschichtliche Erklärung anzunehmen. Das Abdecken des Daches war eine ziemlich verbreitete Handlung in Palästina: „Das Abdecken des Daches, um ins Haus zu kommen, wenn die Tür verstellt ist oder ungenügenden Raum bietet, ist im Orient eine ganz gewöhnliche Sache.“ (307). Die Hypothese des Zusammenhanges des Abdeckens des Daches mit einem Exorzismus ist von J. Gnilka, Markus I, 97, wiederaufgenommen worden. Nach Gnilka ist das die ursprüngliche Deutung des Motivs. Die markinische Redaktion korrigiere diesen Aspekt und mache die Menge für diese außerordentliche Handlung verantwortlich. 37 Zu Recht sieht J. Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 105, einen Zusammenhang zwischen dem Glauben der Träger und dem Zuspruch der Vergebung. Man braucht daher keine genaue Ausführung, wie diese Handlung genau zu verstehen ist: „Dadurch, dass der Gelähmte trotz aller Hindernisse zu Jesus gebracht wird, wird der wahre Glaube demonstriert; einem solchen Glauben wird die Sündenvergebung zugesprochen.“ 38 Die historisierende Interpretation dieser Stelle im 19. Jh. sah einen Zusammenhang zwischen den Sünden und der Krankheit des Gelähmten. Nach B. Weiß, Das Matthäus-Evangelium, 180, erkannte Jesus das sittliche Elend des Kranken und heilte zuerst seine Sünden: „ Jesus durchschaut den sittlichen Zustand des Kranken und weiss, dass ihn schwerer als die leibliche Krankheit das Bewusstsein drückt, dieselbe durch sein Sündenleben (wahrsch. Wollustsünden) sich zugezogen zu haben“. Vgl. auch ders., Das Markusevangelium, 80; K.T. Keim, Leben Jesu II, 175. 39 H. Branscomb, Mark 2 5, „Son thy Sins are Forgiven“, 53–54, vier Elemente seien in der Perikope unüblich: 1) Die Auffassung, dass Jesus die Sünden vergibt; 2) die frühe Benennung des Titels Menschensohn; 3) der offene Erweis der Vollmacht Jesu durch ein Wunder (während er sich sonst weigert, seine Macht zu zeigen); 4) das Verhältnis Ursache-Wirkung zwischen Sünde und Krankheit. Seiner Meinung nach enthalte diese Textstelle eine solche Vorstellung: „Aside from this passage, there is no indication that Jesus actively embraced this belief and that it governed his attitude toward those who were sick.“ (54).
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Das Verhältnis von Krankheit und Sünde wird in Jesus Sirach genauer thematisiert, wobei das Verhältnis nicht ausschließlich kausal erklärt wird. Gott ist derjenige, der heilt40 und von dem der Arzt seine Weisheit und seine Arzneien bekommt. Der Kranke soll deshalb zu Gott beten und sich von allen Sünden reinigen. Der Arzt soll auch beten, damit er die Krankheit erkennen und behandeln kann. Für Sirach kommt es darauf an, die Position der Medizin in die gesamte Wirklichkeit der Schöpfung einzuordnen und eine kausale Erklärung für die Krankheiten aus der Sünde zu geben. Das Prinzip in Sir 38,15 b "laqt²mym 5mamti toO poi¶samtor aqt¹m 1lp´soi eQr we?qar QatqoO kann nicht so interpretiert werden, dass jede Krankheit jeweils aus einer bestimmten Sünde erklärt werden kann, aber sie beweist einen gewissen Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit. Der gleiche Zusammenhang zwischen Sündenvergebung und Heilung ist trotz seines nur fragmentarisch erhaltenen Wortlauts im Gebet des Nabonid enthalten.41 Die Vorstellung, dass ein sündhafter Lebenswandel viel Übel verursachen kann, ist eher eine verbreitete religiöse Meinung als ein theologisches Urteil. Auf dieser religiösen Meinung beruht die homiletische Aufforderung zur Reue und zur Suche nach der göttlichen Vergebung.42 Im Johannesevangelium wird der Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit zweimal direkt angesprochen, einmal von Jesus selbst in Joh 5,14 und ein anderes Mal durch die Frage seiner Jünger in Joh 9,2, die nach der ursächlichen Sünde für den Blindgeborenen fragen, ein Zusammenhang, der auch in Jak 5,15 thematisiert wird. In Joh 9 widerspricht Jesus dieser Auffassung.43 Anhand unserer Erzählung scheint keine theologische Erörterung zum Thema Krankheit und Sünde möglich. Wenn man die Genese dieser Perikope als eine Erweiterung einer ehemaligen Heilungsgeschichte beschreibt, dient das Streitthema ,Sündenvergebung‘ als Ausgangspunkt, ohne dass unbedingt eine bestimmte Kontinuität zur Heilungsgeschichte gesehen werden müsste. Außerdem lässt sich im Rahmen eines Apophthegmas das Thema nicht vertieft erörtern, denn die Apophthegmata drängen die Erzählung auf den schmalen Raum zwischen Frage und Antwort, These und Gegenthese zusammen, wovon ausgehend dann eine Klimax erreicht werden muss. 40 Sir 38,9: t´jmom 1m !qqyst¶lat¸ sou lµ paq²bkepe !kkû ewnai juq¸\ ja· aqt¹r Q²seta¸ se. 41 4QOrNab 1,3–4. Die möglichen Rekonstruktionen des Textes werden von H.J. Klauck, Die Frage nach der Sündenvergebung, 239–240, diskutiert. 42 Branscomb, Mark 2,5, 56: “It is most likely that the great majority of the scribes of Jesus’ days held to this view and used it for homiletic ends. If one became ill one should examine his ways, repent of his wrong doing, and seek divine forgiveness. Afflictions thus were made to serve a moral end“. Branscomb nimmt an, dass das Wort von der Sündenvergebung eine spätere Einfügung ist. Der Evangelist wollte erklären, warum Jesus den Paralytiker heilt, ohne etwas über seine Sünden zu sagen. Dieser These aber wird durch die Tatsache widersprochen, dass das Wort der Sündenvergebung eine Ausnahme in den Heilungserzählungen ist. 43 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, 182. Jesus bewegt sich im Rahmen des Vergeltungsglaubens, „der Krankheit auf Sünde zurückführt, – höchst auffallend als Wort des joh. Jesus, das den 9,2 f verworfenen Grundsatz akzeptiert“.
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Jesu Zusage der Vergebung der Sünden kommt tatsächlich unerwartet und löst das Entsetzen der Schriftgelehrten aus, die jedoch ihren Schrecken nicht in Worte fassen können. C. Focant benutzt den Ausdruck „ils ruminent des pens es“, d. h. er erklärt die Gedanken der Schriftgelehrten mit dem Bild des Nachkauens, das nur ein allwissender Erzähler dem Leser vermitteln kann.44 Nach Bultmann spiegelt sich hier die Auseinandersetzung des Christentums mit dem Judentum über die Frage der Sündenvergebung wider. Die Christen beanspruchen für sich das Recht auf die Vergebung der Sünden, was aber im Judentum als Blasphemie empfunden wurde, weil allein Gott dieses Recht zugesprochen wurde: „Mk 2,5b–10 ist offenbar dadurch entstanden, dass die Gemeinde ihr Recht der Sündenvergebung auf Jesus zurückführen will. Und zwar ist es, wie die Sprache zeigt und die Analogien Mt 16,19; 18,18 belegen, die palästinensische Gemeinde, die durch ihr Vermögen der Wunderheilung beweist, daß sie das Recht der Sündenvergebung ausüben kann; sie hat durch diese narrative Bildung ihr Recht auf eine urbildliche Tat Jesu zurückgeführt, wozu sich alsbald Analogien einstellen werden“.45 Die Einfügung des Satzes 1dºnasam t¹m he¹m t¹m dºmta 1nous¸am toia¼tgm to?r !mhq¾poir in der matthäischen Redaktion (Mt 9,8) wird von Bultmann als ein Hinweis angesehen, dass die Gemeinde selbst von der Annahme ausgeht, die Vollmacht der Sündenvergebung zu besitzen. Das könne wiederum als ein Versuch der matthäischen Redaktion gewertet werden, ein verbindliches Schlusswort für Heilung und Vollmacht der Sündenvergebung zu finden. Gegen diese Hypothese sind einige Einwände vorzubringen.46 Denn es muss bei dieser polemischen Deutung Bultmanns erklärt werden, warum die Gemeinde diese Frage zurück in das Leben des historischen Jesus projizieren sollte, wenn sie doch den Auftrag zur Sündenvergebung von dem auferstandenen Jesus selbst erhalten hat.47 Ferner ist zu sehen, was die Heilung zur Klärung der theologischen Streitfrage der Sündenvergebung in der Polemik zwischen Judentum und Christentum beitragen kann. Eine Wundertat kann sicherlich die Vollmacht Jesu bestätigen, lässt jedoch die theologische Frage nach der Vergebung der Sünden offen. Dies ist eine allgemeine Bemerkung, die die polemische Einbettung der Streitgespräche in die Debatten der frühen Gemeinde in Frage stellt. Eine Polemik erfordert sehr genaue Argumente, die für die konzeptionelle Welt der Gegner plausibel und überzeugend sein müssen. Die selbstreferenzielle Bestätigung der Person Jesu, wie sie aus diesen Streitgesprächen hervorgeht, kann nicht auf eine konfessionelle Debatte angewendet werden, denn die Person Jesu selbst steht dort im Mittelpunkt der 44 C. Focant, L’ vangile selon Marc, 109. 45 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 13–14. 46 Die Kritik dieser These kann auch in der Analyse von Kiilunen gefunden werden, der so für eine christologische Erklärung dieser Perikope plädiert. 47 I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 23–24.
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Debatte. Selbst eine verbesserte formgeschichtliche These, die die Auseinandersetzung als ein internes Phänomen innerhalb des Christentums, d. h. zwischen Christen und Judenchristen, sieht, kann die theologische Frage nicht lösen. Auch die Judenchristen hätten zum Thema Sündenvergebung eine theologische Antwort gebraucht und nicht einfach die Erzählung über eine Wunderheilung Jesu. Es erscheint mir deshalb wahrscheinlicher, hierin eine Episode zu sehen, in der es um die Person Jesu geht und nicht um eine theologische Fragestellung der Urgemeinde. Der Satz, den Jesus in passiver Form ausspricht, schließt die Rolle Gottes bei der Sündenvergebung nicht aus, weil sie als ein passivum divinum48 ausgelegt werden kann. Yarbro Collins betont die Möglichkeit, dass Propheten und fromme Menschen die Sündenvergebung durch Gebete zu Gott erlangen können.49 Vielleicht könnte es für die Schriftgelehrten störend gewesen sein, dass hier ein Präsens benutzt wird und nicht ein Futurum, wie es in alttestamentlichen Formeln eher üblich ist. Das bleibt aber eine Vermutung. Im kurzen Dialog des Apophthegmas ist keine theologische Ausführung möglich. Was sich deutlich ergibt, ist, dass die Schriftgelehrten eine grundsätzliche Position gegen die Vergebung einnehmen, ohne dass eine plausible Erklärung zu finden ist. Dieser Umstand wirft ein düsteres Licht auf das Urteil der Schriftgelehrten, die sich damit als ideologisierte und unfaire Gesprächspartner erweisen. Die Form der Aussage Jesu entspricht der religiösen Semantik des hellenistischen Judentums. Der Gebrauch des Verbs !vi´mai für das Vergeben entspricht dem Gebrauch der Septuaginta. Im Griechischen wird der Begriff der Vergebung mit einem anderen Verb ausgedrückt, dem Verb succicm¾sjeim.50 Die Vergebung ist durch dieses Verb kognitiv konnotiert,51 weil es etymologisch das Erreichen der gleichen Erkenntnis, respektive der gleichen Einsicht von zwei Menschen ausdrückt. Das Verb !vi´mai setzt dagegen voraus, dass die Sünde eine Form von Abhängigkeit ist, aus der man befreit werden muss. Dieses Verb wird auch im nicht-religiösen Gebrauch für die 48 Diese Passivform erweist den Vorwurf der Schriftgelehrten als unverständlich vgl. E.P. Sanders, The Historical Figure of Jesus, 213. Einige Exegeten versuchen deshalb den Vorwurf mit einem performativen Charakter des Satzes oder mit einem Anspruch Jesu (aufgrund von 2,10) zu rechtfertigen. C. Focant, L’ vangile selon Marc, 109: „La phrase au passif, ,tes p ch s sont pardonn s‘ suppose l’intervention d’un tiers. MÞme s’il est possible de penser un passiv divin, la suite indique la valeur performative de cette parole, ce qui pose le probl me de l’autorit de J sus parler ainsi“. J. Gnilka, Das Elend vor dem Menschensohn, 202, betont trotz der passiven Form den Anspruch Jesu, Sünden zu vergeben. 49 Yarbro Collins, Mark 185. 50 Vgl. in den Tragödien succmo?to, und succmo¸g (Aesch, suppl. 215.216); succmyh¸ loi (Eur. her., 534) und s¼ccmyhi dû Bl?m toir kekecl´moir (Eur. hel., 82), jkopa?r s¼ccmyhû 1la?r (Eur. iph. taur., 1400). 51 Die gleiche kognitive Bedeutung der Vergebung ist im lateinischen Verb ignoscere enthalten, das allgemein für „vergeben“ benutzt wird. Vgl. Cic. Att. 3,15,4: „quoniam peccavi, ignosce; in me enim ipsum peccavi vehementius.“
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Freilassung von Sklaven52, Schulden und Tributen53 benutzt. Der Ausdruck !vi´mai setzt als Vergebung jedenfalls eine überlegene Position des Vergebenden voraus wie z. B. im Fall Alexanders des Großen, der die Athener von jeglicher Beschuldigung freisprach.54 Grundsätzlich ist die Konzeption der Sünde im Neuen Testament eine Metaphorik von Schulden, die beglichen werden müssen. Dies wird vor allem im Matthäusevangelium (Mt 18,23–35) diskutiert, indem das Bild der Schulden und der Rückzahlungsverpflichtungen auf die Auffassung der Vergebung und auf die Gemeindepraxis übertragen wird. Die Diskussion über die Vergebung der Sünde ist zwar in einen klaren religiösen Kontext eingebettet, doch reflektiert Jesus nicht die einzelnen Elemente, wie diese Vergebung vonstatten gehen kann. Sein Zuspruch an den Gelähmten könnte zunächst als ein Wunsch verstanden werden und müsste dann erst als theologische Aussage über das Thema Sünde interpretiert werden. Wie das Verb für die Vergebung !vi´mai hat auch der Begriff "laqt¸a eine wenig spezifische Semantik im Griechischen.55 Aristoteles unterscheidet zwischen einer absichtlichen Übertretung ("l²qtgla) und einer unabsichtlichen Übertretung (!t¼wgla).56 Es ist interessant, dass bei Aristoteles die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen von Übertretung zu einer weiteren Differenzierung der Sünden führt: Solche, die vergeben werden können, und solche, die unverzeihlich sind.57 Die Unterscheidung der Tugenden und der Übertretungen ist ein viel diskutiertes Problem in der Philosophie der Antike. Plutarch zeigt den Widerspruch der stoischen Lehre von der Gleichheit aller Tugenden auf, indem er betont, dass Chrysipp verschiedene Formen von "laqt¶lata unterscheidet, weil nach seiner Lehre nur die schlimmen Formen derselben einer Freundschaft schaden können.58 Philo unterscheidet ebenfalls eine intentionale und eine nicht intentionale Sünde. Die erste wird vergeben, die andere wird durch das Gericht des Gewissens verdammt.59 Dieses Beispiel bei Philo entspricht einer allgemeinen ethischen 52 53 54 55 56
57 58 59
Philo, congr. 1,108: toOtû 1st·m %vesir. toOtû 1keuheq¸a pamtekµr xuw/r. Philo, leg. 1,287: %vesir vºqym. Plut. Alex. 13: !v/jem aQt¸ar p²sgr. Der Ausdruck !vi´mai tima t/r aQt¸ar. Vgl. die semantische Dokumentation in G. Stählin/W. Grundmann, Art. "laqt²my jtk., ThWNT 1 (1933) 290–320. Arist. EN 1135b 18–19: "laqt²mei l³m c±q ftam B !qwµ 1m aqt` × t/r aQt¸ar !tuwe? dû ftam 5nyhem. Aristoteles unterscheidet drei Formen von Fehlern, die Fehler, die durch das Schicksal geschehen (!tuw¶lata), Fehler, die verursacht werden, aber ohne Bosheit ("laqt¶lata), und schließlich die Fehler, die mit Bosheit gegen eine Person begangen werden (!dij¶lata). Arist. EN, 1136a. Plut. de stoic. rep. 1039b. Philo, Flac. 1,7: t` l³m c±q !cmo¸ô toO jqe¸ttomor dialaqt²momti succm¾lg d¸dotai, b dû 1n 1pist¶lgr !dij_m !pokoc¸am oqw 5wei pqoeakyj½r 1m t` toO sumeidºtor dijastgq¸\. „Demjenigen, der in Unkenntnis des Guten sündigt, wird Vergebung gegeben, derjenige, der mit Erkenntnis schadet, hat keine Rechtfertigung, er wird bereits in seinem Gewissen schuldig erklärt.“
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Erörterung des Themas Sünde und Vergebung, wie die Anwendung des Substantivs succm¾lg zeigt. Hier geht es um die forensische und nicht die theologische Erörterung des Themas Sünde, wie sie die antijüdischen Maßnahmen des Flaccus in Alexandrien charakterisieren. Nach Mk 3,29–30 ist auch für Markus eine Unterscheidung der Sünden wichtig. Jesus vergibt die Sünden, aber er vertritt keine Gleichheit aller Übertretungen wie etwa die stoische Ethik. Die Betonung einer nicht vergebbaren Sünde bei Markus ist in seiner Zielsetzung der Argumentation Philos ähnlich. Die Vergebung hängt nicht vom Grad der Intentionalität des Fehlers ab, sondern von der Art der Übertretung. Eine Sünde gegen den heiligen Geist ist nicht vergebbar. Wie wir sehen werden, dienen diese Verse nach dem Beelzebulstreit, die vermutlich auf Jesus selbst zurückgehen, einer extrakommunikativen Verurteilung der Position der Gegner Jesu, die ihn als Blasphemiker und sogar als vom Teufel Besessenen sehen und die damit die schlimmste Sünde gegen Gott begehen. In unserer Perikope wird allerdings die Vergebung der Sünde theologisch nicht vertieft.60 Die Thematik zielt in Mk 2,1–12 trotz der semantischen Bestimmung in einem jüdischen Kontext (durch den Gebrauch des Verbs !v¸emai) auf eine allgemeine Idee der Vergebung, wie sie durch das hellenistische Weltbild geprägt war. Jesus präsentiert sich als ein Mensch, der sich für die Vergebung einsetzt, während die Schriftgelehrten aus ihrer religiösen Position heraus diese Vergebung als verfehlt ablehnen. Das Thema der Vergebung gewinnt in der römisch-hellenistischen Welt kulturelle Relevanz und gilt als politische und moralische Tugend. Zwei Beispiele mögen diese allgemeine kulturelle Dimension der Vergebung illustrieren: Das erste Beispiel ist in Vergils Aeneis der zentrale Ausspruch des verstorbenen Anchises an Aeneas, der ihm in der Aeneis sein prophetisches Wissen über die künftige Macht Roms kund tut: Tu regere imperio populos, romane, memento, pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos.61 Römer, denke daran mit deiner Herrschaft die Völker zu regieren, die römische Lebensart in Hinblick auf den Frieden zu verbreiten, die Unterworfenen zu schonen und die Hochmütigen zu besiegen.
Dieses Zitat ist die Quintessenz der römischen Machtideologie. Im Programm der Welteroberung Roms ist die Verschonung als Vergebung gegenüber den Unterworfenen eine zu praktizierende Tugend, die die Größe der Weltmacht 60 Jesus beansprucht für sich selber die Vollmacht zur Sündenvergebung. Durch die Bezeichnung „Menschensohn“ geschieht dies indirekt und vor allem, ohne das Verhältnis zu den Ritualen der jüdischen Religion zu klären. Die Erzählung hebt daher hervor, dass Jesus bereit ist, die Vergebung auszuüben, während seine Gegner die Offenheit Jesu zensieren wollen. Diese allgemeinen Konturen, die Vergebung zu definieren, und die Bereitschaft Jesu, sie zu erteilen, werfen aus einer nicht-religiösen Perspektive ein positives Licht auf die Person Jesu. 61 Verg., Aen. 6,583.
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zeigen soll. Das Verb parcere (griech ve¸deshai) beinhaltet den Verzicht auf Vergeltung und die Ausübung von Milde anstelle von Härte.62 Die politische Repräsentation des römischen Ethos betont die Notwendigkeit der Vergebung gegenüber Besiegten. Die Vergebung ist eine freie Entscheidung der Repräsentanten der Weltmacht, die durch sie ihre tugendhafte Haltung gegenüber ihren Feinden zeigen. Seneca betont die gleiche moralische Bedeutung der Schonung, die der Kaiser auszuüben hat.63 Das zweite Beispiel kommt aus der biographischen Literatur und betrifft das Leben des Philosophen Demonax, welches von Lukian beschrieben wird. Dieses Werk ist trotz seiner späteren Abfassung als Analogie zum Markusevangelium wegen seiner Anwendung von Apophthegmen in einem biographischen Zusammenhang wichtig: Oqdep¾pote coOm ¥vhg jejqac½r, C rpeqdiateimºlemor C !camajt_m, oqdû eQ 1pitil÷m t\ de¸oi, !kk± t_m l³m "latgl²tym jah¶pteto to?r d³ "laqt²mousi sumec¸jysjem, ja· t¹ paq²deicla paq± t_m Qatq_m An¸ou kalb²meim t± l³m mos¶lata Qyl´mym, aqc0 d³ pq¹r to»r mosoOmtar oq wq¾lemym, Bce?to c±q !mhq¾pou l³m eWmai t¹ "laqt²meim, heoO d³ C !mdq¹r Qsoh´ou t¹ ptaish´mta 1pamoqhoOm.64
In diesem Zitat sind einige Elemente enthalten, die in meiner vorliegenden Untersuchung eine wichtige Rolle spielen. Demonax ist das Urbild eines Philosophen. Er wurde niemals aufgeregt gesehen und verkörpert daher das Modell eines maßvollen überlegten Redens. Im Laufe der Untersuchung zeige ich, dass dieser Aspekt auch für die Charakterisierung Jesu im Markusevangelium wichtig ist. Nach Demonax muss man die Fehler bannen, aber nicht den Sünder tadeln, sondern ihm vergeben. Er vertritt eine anthropologische Vorstellung, bei der die Vergebung der Sünden als Mittel zur Verbesserung des Menschen dient. Um diese Ansicht zu bekräftigen, zieht Demonax das Beispiel (paq²deicla) des Arztes heran. Der Arzt hat ein Interesse daran, einen Kranken von seiner Krankheit zu heilen. Ähnlich ist die Position Gottes oder eines gottähnlichen Menschen. Es scheint mir daher kein Zufall zu sein, dass Jesus sich in der folgenden Perikope im Evangelium zum Thema „Umgang mit den Sündern“ auf das Bild des Arztes bezieht, um seinen Umgang mit ihnen zu rechtfertigen. Aus dieser Perspektive gewinnt sogar die ungewöhnliche Heilung des Gelähmten eine neue Bedeutung. In der Heilung zeigt sich die menschenfreundliche Haltung Jesu, der den Menschen buchstäblich wieder 62 In Senecas Tragödien kommt der Aufruf zur Vergebung „parce“. z. B. in herc. oet, 982: „parce iam, mater, precor“ vor. In herc. oet 100, werden die zwei Verben „remittere“ (in Bezug auf das Verbrechen) und „parcere“ benutzt. 63 Sen. Clem 2,1,1. 64 Luk. Dem, 7: „Er wurde nie schreiend oder aufgeregt oder ärgerlich gesehen, selbst wenn er jemanden eigentlich hätte tadeln sollen. Obwohl er Sünden (Fehler) bekämpfte, vergab er den Sündern. Er glaubte, man solle sich ein Beispiel an den Ärzten nehmen, die Krankheiten heilen, aber keinen Zorn auf die Kranken empfinden. Er war nämlich der Ansicht, dass es menschlich sei zu irren, aber Gott eigen oder einem gottesgleichen Mann, den Gefallenen aufzurichten.“
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auf die Beine stellt, als Antwort auf die schwere Anklage, dass er sich anmaße, Sünden vergeben zu können. Hier wird noch eine Intention des Markus sichtbar, Jesus als einen !mµq Qsºheor zu präsentieren. Um es mit den Worten Lukians auszudrücken: Indem er heilen und die Gedanken der anderen lesen kann, präsentiert sich Jesus als ein göttlicher Mensch. Diese Einsicht bekräftigt die Hypothese, dass Markus das Bild Jesu einer heidnischen Leserschaft übermitteln wollte. Die Gegner Jesu, die ihn zum Tode verurteilen, vertreten eine menschenfeindliche Auffassung, die die religiösen Vorschriften über den Menschen stellt. Das wird durch die Analyse der weiteren Perikopen dieses galiläischen Teils deutlich. Es scheint mir auch wichtig zu betonen, dass die 1nous¸a des Menschensohnes, Sünden zu vergeben, auf diese allgemeine Basis der Sündenvergebung aufgepfropft wurde und daher nicht das ursprüngliche Thema der Debatte war. Markus will zuerst beweisen, dass Jesus diese Kultur der Vergebung teilt, und erst in einem zweiten Schritt seine christologische Vollmacht beschreiben, auf Erden Sünden zu vergeben.65 Die Bezeichnung Menschensohn ist sicherlich eine besondere idiomatische Form, die durchaus auf Jesus selbst zurückgehen kann.66 In der Forschung findet man zwei Ansätze für das Verständnis dieses Syntagmas: Zum einem einen philologischen Ansatz, der die Bedeutung des Ausdrucks aus der originalen aramäischen Wendung 4M1D4 L5 bzw. 4M1D L5 zu eruieren versucht. Dabei besteht die Alternative zwischen der einfachen Bedeutung des Menschensohnes als „Mensch“67 und der weiteren Bedeutung in der apokalyptischen Literatur als übermenschliche Gestalt. Zum anderen liegt der Ansatz in der Frage nach dem 65 Der Vorwurf der Lästerung wäre nur aus der Perspektive dieses Menschensohnswortes vorstellbar und nicht auf Grund der allgemeinen Aussage der Sündenvergebung. Die christologische Behauptung kommt aber in der Debatte als eine Steigerung daher, die mit der Heilung bewiesen wird. Das scheint mir eine allgemeine Methodik des Markus bei den Streitgesprächen zu sein. Es wird zuerst eine allgemeine Basis gesichert und dann daraus eine christologische Aussage gewonnen. 66 Ph. Vielhauer, Gottesreich und Menschensohn, 55–91, vertritt die These, dass alle Menschensohn-Logien nicht authentisch sind. Die lange und komplexe Forschung über den Menschensohn wird hier nur in groben Zügen angedeutet. 67 Die Hypothese, Menschensohn einfach mit „Mensch“ zu übersetzen, wurde von J. Wellhausen, Das Evangelium Marci, 17, vertreten. Er diskutiert den Unterschied zwischen den Selbstbezeichnungen, die fast wie eine Offenbarung Jesu seinen Jüngern gegenüber anmutet. Die tatsächliche Bedeutung des Wortes Menschensohn im Aramäischen bringt Wellhausen am Schluss: „Im Zusammenhang lag aber nicht die mindeste Nötigung dazu vor, von der gewöhnlichen Bedeutung abzugehn, da der Mensch auf Erden Sünden darf vergeben als Rückschlag auf nur Gott im Himmel darf es ausgezeichneten Sinn“ (sic!). Ein Beweis dieser Interpretation ist für Wellhausen Mt 9,8, wo die Menge der Leute von der 1nous¸a sprechen, die Gott den Menschen gegeben hat. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 13, erachtet es als wahrscheinlich, in Mk 2,10 den Menschensohn als „Ich“ zu deuten. Es sei klar, dass nicht die Menschen, sondern Jesus die Vollmacht der Sündenvergebung hat. Die gleiche Meinung vetritt Bultmann in seiner Theologie des Neuen Testaments, 31. S. Beyerle, „Der mit den Wolken des Himmels kam“, 51, sagt nach einer genauen Analyse dieses Ausdrucks in der apokalypischen Literatur: „Die Philologie kann nur begrenzt zum Verständnis beitragen.“ Allerdings plädiert er für eine Bedeutung dieses Ausdrucks als „Übermensch“.
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Referenten. Benutzt Jesus diese Bezeichnung für sich selbst oder für eine dritte Person, eine eschatologische Gestalt wie in Daniel 7, die am Ende der Zeit kommen soll.68 Wenn Jesus damit von sich spricht, können noch weitere Varianten in Betracht gezogen werden: der Bezug auf sein gegenwärtiges Amt; der Bezug auf sein Leiden und der Bezug auf seine Rückkehr. Die beiden Menschensohnworte in 2,10 und 2,28 bekräftigen die Identifikation des Menschensohnes mit Jesus selbst. Es ist an beiden Stellen evident, dass sie eine irdische präsentische Person bezeichnen und keine eschatologische. 3.3 Die Anklage der Blasphemie im Markusevangelium Die Schriftgelehrten erheben insgeheim die schwerwiegende Anklage gegen Jesus, er sei ein Lästerer und ein Blasphemiker: t¸ oxtor ovtyr kake?; bkasvgle?7 t¸r d¼matai !vi´mai "laqt¸ar eQ lµ eXr b heºr. Es wird nicht weiter ausgeführt, wie diese Anklage zu verstehen ist oder aufgrund welcher Verfehlungen sie erhoben wurde. Sie wird tatsächlich nur in den Gedanken der Pharisäer formuliert und nicht offiziell ausgesprochen. Der von Jesus erhobene Anspruch, Sünden zu vergeben, ist im Alten Testament ein allein Gott zustehendes Privileg,69 das durch eine kultische Sühnehandlung (vgl. Lev 4–5) vollzogen werden muss.70 Zwei kultische Handlungen, die mit der Vergebung der Sünde zusammenhängen, sind der Ritus des Sündenbockes (Jom Kippur) und die Opferung eines Tieres. Im ersten Fall überträgt der Priester die Sünden des Volkes auf ein Tier (Lev 16,20–28), das dann in die Wüste geschickt wird. Im Falle eines Opfers wird Sühne durch das Blutvergießen erreicht, indem der Altar mit dem Blut des Opfers bestrichen wird. Die Sündenvergebung kann außerdem von besonderen Menschen ohne jeden Bezug auf die oben beschriebenen kultischen Handlungen zugesprochen werden, indem eine Mittlerperson wie etwa der Prophet Nathan sie im Ad-hoc-Auftrag Gottes vollzieht. Er spricht David die Sündenvergebung zu (2Sam 12,13). Die gleiche Vermittlerrolle wird dem von jüdischer Seite erhofften Messias zugeschrieben, der auf der Erde jede Sünde tilgen wird (PsSal 17,27.30.36.40; Jub 5,11f). Weitere religiöse Gestalten wie Johannes der Täufer sehen ebenfalls 68 J. Gnilka, Das Elend vor dem Menschensohn, 204. Zu der apokalyptischen Gestalt vgl. G. Theißen/A.Merz, Der historische Jesus, 472–473: Sie vermuten, dass die Bezeichnung „Menschensohn“ in Dan 7, äthHen 37–71 und 4Esr 13 einfach eine menschenähnliche Gestalt darstellt, die aber symbolische Bedeutung hat. „Die bisherigen Weltherrschaften hatten bestialischen Charakter; die neue Weltherrschaft wird menschlich sein“ (S. 472). U.B. Müller, Jesus als der Menschensohn, 109–114, unterscheidet zwei verschiedene Konnotationen von Menschensohn. Jesus habe die semitische Wendung einfach benutzt, um von sich selbst zu sprechen. Die nachösterliche Gemeinde habe dann diese Bezeichnung mit Hilfe der apokalyptischen Literatur interpretiert. 69 H.W. Beyer, Art. bkasvgl¸a jtk, ThWNT I, 622: „Sobald Jesus dem Gelähmten seine Sünden vergibt, was Gott allein zusteht, denken die Schriftgelehrten: Er lästert Mk 2,7 par.“. 70 O. Hofius, Vergebungszuspruch und Vollmachtsfrage, 57–69.
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ihre Aufgabe darin, die Vergebung der Sünden durch die Buße und durch eine symbolische Handlung wie die Taufe zu ermöglichen. Es handelt sich nach der Wiedergabe des Markus um ein b²ptisla letamo¸ar eQr %vesim "laqti_m (Mk 1,4). Dieser Rundblick darauf, wie Gott durch eine religiöse Vermittlung oder Handlung nach jüdischem Denken die Sünden vergibt, macht das Verständnis des Vorwurfs der Blasphemie seitens der Schriftgelehrten gegen Jesus noch schwieriger. Nach Yarbro Collins erheben die Schriftgelehrten die scharfe Anklage der Lästerung, weil Jesus sich die Vergebung der Sünde ohne rituelle priesterliche Legitimation anmaßt: He bypasses the procedures established by God for forgiving sins and challenges, in a way that appears to the scribes to be unwarranted, the authority of the officials who have the right to carry out those procedures.71
Nach Gnilka wird dann das Urteil der Schriftgelehrten in Anlehnung an Dtn 6,4 formuliert, denn die Zusage der Sündenvergebung verletzt in ihren Augen das alleinige Privileg Gottes zur Sündenvergebung. In der Begründung des Urteils der Schriftgelehrten sieht Gnilka eine Anspielung auf das Shemah Israel eQ lµ eXr b heºr.72 Die Anklage der Blasphemie lässt sich hier aber nicht nur durch die Missachtung einer Norm der Tora erklären. Hinzu kommt sicherlich, dass sie eine redaktionelle Antizipation der Anklage gegen Jesus vor dem Sanhedrin darstellt, die nach dem Markusevangelium zur Hinrichtung Jesu führen wird. Der Evangelist Markus hat absichtlich diese historisch plausible Anklage in der ersten öffentlichen Debatte vorweggenommen, um zu zeigen, dass die Debatten Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten keine harmlosen Fachdiskussionen sind, sondern Debatten, in denen sich Jesus bewusst einem drohenden Todesurteil aussetzt. Hierin spiegelt sich die Feindschaft der jüdischen religiösen Führer gegenüber Jesus, die zu seiner Hinrichtung führen wird. In der Exegese und in den meisten Kommentaren ist dieser Vorwurf der Blasphemie nicht gebührend berücksichtigt worden.73 Denn der Vorwurf ist historisch plausibel und wird vehement von der späteren jüdischen Polemik vertreten. Jesus ist nach den rabbinischen Schriften ein Ketzer und ein Lästerer, der deswegen eine gerechte Todesstrafe erleiden musste. In seiner Untersuchung zum Thema Blasphemieanklage im Prozess gegen 71 A. Yarbro Collins, Mark, 185. 72 J. Gnilka, Das Markusevangelium I, 100. Nach E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 53, ist die Bemerkung der Schriftgelehrten „durch den Erzähler so dunkel gefärbt, damit der Gegensatz typisch scharf hervortrete: Der Gottes Wort verkündet, ist diesen Feinden ein Lästerer Gottes“. Ein theologisch angemessener Einwand von jüdischer Seite sollte nach Lohmeyer so lauten: „Wer hat die Vollmacht, außer dem Priester, die Vergebung der Sünden durch Gott auszusprechen?“ 73 Eine Ausnahme bieten das Buch von D.L. Bock, Blasphemy and Exaltation in Judaism and the Final Examination of Jesus: A Philological-Historical Study of the Key Jewish Themes Impacting Mark 14:61–64, WUNT/II 106, Tübingen 1998, und der Aufsatz von A. Yabro Collins, The Charge of Blasphemy in Mk 14,64, JSNT 26.4 (2004) 379–401.
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Jesus versucht D.L. Bock den theologischen Grund dieses Urteils zu eruieren. Die Untersuchung konzentriert sich vor allem auf Mk 14,64 und auf die Frage, inwiefern die Worte Jesu beim Prozess als blasphemisch erachtet werden konnten. Die Historizität des Prozessverfahrens ist in vielen Punkten fraglich. Vor allem fehlt ein authentischer Zeugenbericht, weil die Jünger Jesu an dem Prozess nicht teilgenommen haben.74 Auch die Frage des Hohenpriesters, ob Jesus Gottes Sohn sei, kann nach Schweizer nicht als Teil des ursprünglichen Verhörs angenommen werden, weil die Gottessohnschaft nicht zu den Prädikaten der jüdischen Messiashoffnung gehörte. Das Thema scheint eher ein Interesse der ersten Gemeinde und des Markus zu sein.75 Die Anführung von falschen Zeugen im Prozess entspricht ebenfalls der Perspektive einer urchristlichen Gemeinde oder auch des Markus, die beweisen möchten, dass im Prozess gegen Jesus rechtswidrige Mittel benutzt wurden.76 D. Bock ist der gegensätzlichen Meinung, wonach der Prozess völlig rechtskonform ablief, da die falschen Zeugnisse vom Sanhedrin als nicht stichhaltig angesehen wurden.77 Die Erzählung betont allerdings die Anwendung von unlauteren Mitteln zur Anklage Jesu. Die Tatsache, dass nach der markinischen Erzählung im Prozess gegen Jesus falsche Zeugen einberufen wurden, entspricht der Perspektive der Christen, die zeigen möchten, dass dieser Prozess ungerecht war Ein besonders debattiertes Problem ist die genaue Begründung der Anklage der Blasphemie, mit der der Prozess gegen Jesus schließt. Der Mischna-Traktat Sanhedrin, der das Thema der Todesstrafe unter juristischen Gesichtspunkten behandelt, definiert als Gotteslästerung die explizite Nennung des Gottesnamens (mSan 7,5).78 Die technische Bedeutung der Gotteslästerung in der Tora betrifft vor allem die Nennung des Gottesnamens in Lev 24,10–23 und in Num 15,30–31. Im Verhör Jesu aber wird die Nennung des Gottesnamens sorgfältig von Jesus und dem Hohenpriester durch die umschreibenden Begriffe eqkocgtºr und d¼malir vermieden.79 Eine Möglichkeit, die Anklage Jesu zu erklären, besteht in der Annahme, 74 J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 182. Eine mögliche Antwort liegt im späteren Beitritt einiger Mitglieder des Synhedriums in den Jesus-Kreis, so D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 195–196. Er denkt vor allem an Menschen wie Nikodemus oder Paulus. 75 E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 188: „Historisch gesehen ist die Frage des Hohenpriesters nach der Gottessohnschaft Jesu ganz unwahrscheinlich, da ,Gottessohn‘ kein jüdischer Messiastitel war.“ 76 J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 182; Yabro Collins, The Charge of Blasphemy, 380: „With regard to the presentation of the event, even when one puts the Mishnah aside, it is clear that the text of Mark portrays the high priest and the other members of the council as proceeding in an unjust manner.“ 77 D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 193. Dieser Punkt zeige ein „lack of anti-Jewish tendency“ unserer Perikope, weil die falschen Zeugen nicht ernst genommen werden. 78 mSan 7,4–6 listet verschiedene Sünden auf, die als Lästerung gelten: Inzest, Götzendienst, Vergewaltigung einer verheirateten oder verlobten Frau, Verfluchung der Eltern, Zauberei und Profanierung des Sabbats. 79 Lev 24,11: @@,úK(=! 9( AM,ú18(.N4û N=@4úL! 2M!n8( 8M,)14%8).C5,û 5x * n9( . In dieser Textstelle kommen zwei Verben vor, * annehmen * die die Bedeutung von lästern können, 55(K) und @@(K).
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dass der Sanhedrin eine allgemeine Auffassung von Blasphemie angewendet hat. Demgemäß liegt eine Lästerung vor, wenn eine Person Eigenschaften für sich beansprucht, die allein Gott zugehören. Eine solche Vorstellung von Blasphemie kann in den Schriften von Philo gefunden werden. D. Bock zitiert die Textstelle aus De somniis 2,130, in der die Rede von einem Mann ist, der blasphemisch gegen die Sonne und den Mond spricht und es wagt, sich auf die gleiche Ebene wie die Gottheit zu stellen.80 Das Verb bkasvgle?m wird aber in 2,131 nicht in diesem engen Verständnis gebraucht, sondern betont ohne jede religiöse Vorstellung in einem weiteren Sinne von „schimpfen“ oder „lästern“. Nach Bock ist die Blasphemie in der Anklage durch den Anspruch Jesu auf einige göttliche Eigenschaften, wie z. B. das Erscheinen auf den Wolken oder die Antwort 1cy eQl¸ und die klare Anwendung von Ps 110,1 und Dan 7,13 auf seine eigene Person erklärbar. Diese Stellen beweisen, dass es möglich ist, von einer Person mit solchen Eigenschaften zu sprechen. Bock selber spricht außer von Jesus noch über die Erhöhung einiger weiterer wichtiger Personen in der Bibel, wie Adam, Abel, Enoch, Abraham und Moses, die ebenfalls gewisse göttliche Attribute für sich beanspruchten. Das Anstößige in der Aussage Jesu ist für Bock sein Anspruch, sich als einfacher galiläischer Prediger auf diese Ebene der Erhöhung zu stellen.81 Damit stelle Jesus die Autorität des religiösen Gerichtes grundsätzlich in Frage und verletzte gleichzeitig die Ehre Gottes, des einzigen und ewigen Richters.82 Bock versucht die Historizität des Verhörs Jesu zu analysieren, weil es das Ziel der Mitglieder des Sanhedrin gewesen sei, eine Anschuldigung zu finden, die auch für die römischen Behörden relevant sein konnte. Das setzte wiederum voraus, dass das religiöse Gericht in Jerusalem kein ius gladii besaß und auf die Vollstreckung der Verurteilung durch die Römer angewiesen war. Die aus theologisch-juristischer Sicht unpräzise und allgemeine Vorstellung von Blasphemie könnte aus dieser Notwendigkeit, der Straftat eine politische Relevanz zu geben, erklärt werden. Eine ausschließlich theologische Verletzung des jüdischen Gesetzes wäre für die Römer uninteressant gewesen. Die Funktion dieser Versammlung des jüdischen Gerichts war nach Bock, eine Anklage gegen Jesus zu formulieren und sie den römischen Behörden zu übermitteln, damit eine rechtskräftige Verurteilung vorgenommen werden konnte. Die Antwort Jesu, in der er zugibt, durch den Ausdruck 1c¾ eQli der Messias zu sein, und das weitere Menschensohn-Logions werden vom Sanhedrin nicht nur als eine religiöse Übertretung dargestellt, sondern auch als ein politisches Verbrechen, das die Aufmerksamkeit
80 Philo, somn. 2,130: eU ce t` p²mta lajaq¸\ b p²mta baquda¸lym 2aut¹m 1noloioOm 1tºklgsem. 81 D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 202: „What would have caused the offense was that Jesus was making this identification with himself in a self-claim to share authority with God. He, as a Galilean preacher, or a wonder worker, or as an eschatological prophet, or even as one making a messianic claim, was extending the claim to the right to share in God’s final judgment as the sent judge from heaven.“ 82 D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 28.
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der Römer wecken sollte.83 Der blasphemische Anspruch, göttliche Eigenschaften zu besitzen, hätte für die römischen Beherrscher Judäas auch eine Gefahr darstellen können und hätte daher als eine religiöse und politische Straftat verstanden werden müssen. Bock akzentuiert die Anklage, die auch für ihn eine gewisse historische Plausibilität in sich trägt, etwas anders. Für ihn gilt der Anspruch Jesu, auf der rechten Seite Gottes zu sitzen, als Stein des Anstoßes.84 Es liegt nahe, dass diese Anklage der Blasphemie eine historische Plausibilität hat, obwohl eine genaue juristische Rechtfertigung dieser Anklage schwierig bleibt. Auch A. Yarbro Collins plädiert für eine breitere Auffassung der Blasphemie im Prozess gegen Jesus, die den Vorstellungen Philos entspricht: It is likely that the Sadducees, a group to which the chief priests probably belonged, defined ,blasphemy‘ more broadly, like Philo, and would have considered Jesus’ saying to be blasphemous.85
Allerdings sollte angemerkt werden, dass die Argumentation Philos besonders in De vita Mosis den Akzent auf die destruktiven Folgen des ungeregelten Sprechens, ckyssakc¸a ja· !w²kimom stºla,86 legt. Ein Verständnis der Blasphemie bei Philo kann zum einen durch die breite Semantik dieses Begriffs im Griechischen gewonnen werden und zum anderen durch seinen Versuch, die jüdischen Gebote durch eine allgemeine ethische Darstellung gemäß der hellenistischen Kultur zu verifizieren. Er empfindet daher den Fluch gegen Gott in Lev 24,15 als kaum verständlich, weil die Existenz einer Instanz über Gott angenommen werden müsste, die diesen Fluch ausführen könne, was natürlich aus einer monotheistischen Perspektive nicht möglich sei. Das Gesetz gegen den Lästerer wird in 2,205–206 bestätigt. Die Blasphemie wird hier aber als eine Beleidigung gegen die Götter und nicht gegen den einzigen Gott verstanden, denn der Plural heo¸ wird betont. Die Analyse des Verhörs Jesu vor dem Sanhedrin zeigt, dass die Anklage der Blasphemie aufgrund eines breiteren Verständnisses derselben geführt wird. In der Erzählung kann die Anklage wegen Blasphemie lediglich aufgrund der Nennung des Gottesnamens nicht belegt werden. Vielmehr muss bei der blasphemischen Anklage allgemein an den Anspruch gedacht sein, göttliche Eigenschaften zu für sich zu beanspruchen. 83 D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 206: „But they presented the accusation in political terms in a form that Pilate could understand and feel enough threatened by to act. Someone like Jesus with such a comprehensive view of his own authority could be as a threat to Israel, but also as a potentially serious problem to Rome“. 84 D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 206. 85 A. Yarbro Collins, The Charge of Blasphemy, 400. Auch 1Makk 2,6 sind die bkasvgl¸ai in Juda und Israel nicht genau bestimmt. Bock bemerkt zu dieser Stelle, Blasphemie and Exaltation, 49: „What is difficult to be certain of this text is whether blasphemies refer to utterances against God or serve as summary description of the wide variety of actions describes here“. 86 Philo, Mos. 2,198.
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Die gleiche allgemeine Vorstellung von bkasvgl¸a wird im Johannesevangelium vertreten, Joh 10,33: peq· jakoO 5qcou oq kih²fol´m se !kk± peq· bkasvgl¸ar, ja· fti s» %mhqypor £m poie?r seaut¹m heºm. Das vierte Evangelium versucht diesen Vorwurf gegen Jesus mit einem exegetischen Argument zu wiederlegen. Es zitiert den Text von Ps 81,6, wo zu lesen ist 1c½ eWpa heo¸ 1ste, eine Stelle, in der einige Menschen „Götter“ genannt werden. Was daraus gefolgert werden kann, ist auch hier ein argumentum a fortiori: wenn gewöhnliche Menschen so tituliert werden können, für die der Logos geschehen ist, umso mehr kann der Sohn Gottes so genannt werden, der explizit von Gott geheiligt und gesandt wurde. Der Logos selbst ist göttlich und es stellt deshalb keine Blasphemie dar, wenn er seine eigene Göttlichkeit betont.87 Der Beleg im Johannesevangelium zeigt, dass der Vorwurf der Lästerung für Jesus im Prozess und später auch für seine Jünger galt. Die Evangelien beschäftigen sich deswegen mit einer historischen Gegebenheit, die wahrscheinlich von jüdischer Seite weiterhin gegen die Nachfolger Jesu gerichtet wurde. Daher hat die Szene vor dem Sanhedrin für Bock und Yarbro Collins eine weitere theologische Bedeutung. Nach Yarbro Collins hat die Szene aus der Perspektive der Christen einen ironischen Sinn, insoweit sie die Auferstehung erfahren haben und somit um die Wahrhaftigkeit der Aussagen Jesu wissen.88 Bock bemerkt zu Recht, dass das Begriffspaar Blasphemie und Menschensohn eine inclusio zwischen 2,7 und 14,61 f. bildet.89 Die Anklage, dass Jesus ein Gotteslästerer und ein Ketzer ist, steht m. E. im Mittelpunkt der galiläischen Streitgespräche. Man kann im Allgemeinen sagen, dass das Thema der galiläischen Streitgespräche gerade die ketzerische Position Jesu gegenüber einigen wichtigen Elementen der jüdischen Religion ist. Die Blasphemie ist ein Gesamtbegriff, der sich wieder im Prozessverfahren finden lässt. Dieselbe Anklage stellt aber gleichzeitig die Basis dar, von der ausgehend die markinische Apologie der Person Jesu geführt wird. Die Streitgespräche zeigen im Detail die einzelnen Elemente der ketzerischen Position Jesu gegenüber der jüdischen Praxis und gleichzeitig durch die Antworten Jesu die Unhaltbarkeit der pharisäischen Anschuldigungen. Das Thema Blasphemie 87 In Joh 10,36 wird dieses Argument unter der Form eine rhetorische Frage formuliert. 88 A. Yarbro Collins, The Charge of Blasphemy, 401: „The condemnation of Jesus for blasphemy has a powerful ironic effect on the implied audience of Mark. For them, the first part of 14.62 has already been fulfilled in the resurrection and exaltation of Jesus to the right hand of God.“ Eine solche ironische Hypothese scheint mir aber schwierig zu behaupten. 89 D. Bock, Blasphemy and Exaltation, 185: „There is an interesting „Son of Man/Blasphemy“ bracket in Mark. It binds the first Jewish dispute with Jesus in Mark 2,1–12, which lead to a charge of blasphemy against him for claiming to forgive the sin to the final dispute in the examination scene of 14,60–64“. Die Anhörung vor dem Sanhedrin kann aber nicht literarisch als ein Streitgespräch bezeichnet werden und wird deshalb nicht analysiert. Die Szene besitzt nicht die Charakteristik eines Apophthegmas, das eine gewisse Spannung zwischen einer Frage und einer indirekten Antwort produziert. Die Antwort Jesu geht dort im Gegenteil auf die Frage des Hohenpriesters direkt ein.
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durchzieht mit verschiedenen Konnotationen das Evangelium: Mk 2,7; 3,28 f; 7,22; 14,64; 15,29. Markus scheint bewusst die breite Semantik des Wortes für seine artikulierte Apologie anzuwenden. Das Verb bkasvgle?m, dem in der Regel im Sprachgebrauch eine religiöse Konnotation zugesprochen wird,90 hat im griechischen Sprachgebrauch die allgemeinere Bedeutung der Verletzung eines Menschen. Beispiele hierfür sind z. B., die üble Nachrede oder die Rufschädigung einer Person,91 „lästern“, „verleumden“, „beleidigen“.92 Der religiöse Gebrauch des Verbs im Sinne der Gotteslästerung, kommt eher selten vor.93 In Neuen Testament werden die religiöse (Gotteslästerung) und die allgemeine ethische Bedeutung (Verleumdung) beibehalten. Die erste Bedeutung findet sich in Apk 13,6; 16,11.21; Apg 6,11, Röm 2,24. Aus christlicher Perspektive wird die Verfolgung von Christen durch Paulus als eine Nötigung zur Blasphemie aufgefasst (aqto»r Am²cjafom bkasvgle?m in Apg 26,11) worden. Bemerkenswert ist auch der Gebrauch des Verbs bkasvgle?m in 1Kor 10,33. Das Verb kann entweder die Perspektive der Schwachen widergeben, die den Verzehr des Opferfleisches als eine Form der Lästerung ansehen, oder es kann als „tadeln“ verstanden werden. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Deutungen scheint schwierig zu sein. Die ethische Bedeutung der Blasphemie ist besonders in der nachpaulinischen Briefliteratur zu finden. In Kol 3,8 sollen die Christen auf Zorn, Wut, Lästerung und Schandrede verzichten: !pºheshe ja· rle?r t± p²mta, aqc¶m, hulºm, jaj¸am, bkasvgl¸am, aQswqokoc¸am 1j toO stºlator rl_m (vgl. auch Eph 4,31: p÷sa pijq¸a ja· hul¹r ja· aqcµ ja· jqaucµ ja· bkasvgl¸a !qh¶ty !vû rl_m s»m p²s, jaj¸ô). Daneben wird Paulus in 1Tim 1,13 im Bezug auf seine vorchristliche Zeit als bk²svglor bezeichnet, wahrscheinlich um seine Verfolgungstätigkeit und vor allem seinen polemischen Eifer gegen die Christen zu beschreiben. Die ethische Unterweisung in Tit 3,2 schreibt den Christen vor, dass sie „niemanden schmähen, nicht streitsüchtig, sondern freundlich und gütig zu allen Menschen sein sollen.“94 90 A. Yarbro Collins, The Charge of Blasphemy, 382, betont die ausschließliche religiöse Anwendung des Wortes „blasphemy“ im Englischen. „That difference may be illustrated by the fact that contemporary speakers of English use the word-group related to the term ,blasphemy‘ only with God as the object. We never speak about ,blaspheming‘ another human being. In ordinary ancient Greek, however, the verb bkasvgle?m is used with either gods or human beings as the object.“ Das geschieht auch in den romanischen Sprachen. 91 Die Etymologie zeigt, dass es sich um ein Kompositum handelt (bk²tty, „schädigen“, „verletzen“+ vgl¸, „sagen“, „sprechen“). 92 Wenn das Objekt ein Mensch ist, wird mit peq¸ oder jat² mit dem Genitiv konstruiert. Die Synonyme sind jajgcoqe?m und jajokoce?m, oder ameid¸feim, koidoqe?m u.a.. Vgl. z. B. Plut. Alex. 41, bkasvgle?m wird parallel zu jaj_r k´ceim angewendet. 93 Dieser Ausdruck ist mit eQr und dem Akkusativ konstruiert, z. B. Mk 3,29; Apg 6,11 N¶lata bk²svgla eQr Ly{s/m ja· t¹m heºm. Die Götteslästerung steht im Zusammenhang mit der !s´beia (und mit dem !sebe?m), was eine Beleidigung Gottes im Sprechen und Handeln ausdrückt. 94 Tit 3,2: lgd´ma bkasvgle?m, !l²wour eWmai, 1pieije?r, p÷sam 1mdeijmul´mour pqaLtgta pq¹r p²mtar !mhq¾pour.
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Im Markusevangelium sind ebenso beide Bedeutungen der Blasphemie zu finden. Der Vorwurf gegen Jesus ist trotz der absoluten Form im engeren Sinne als Gotteslästerung zu verstehen, da in der Begründung in 2,7b die Einzigartigkeit der göttlichen Vergebung der Sünden betont wird. Es ist kein Zufall, dass die Worte bkasvgl¸a und bkasvgle?m noch am Ende des Beelzebubstreites in Mk 3,28–29 und nach der Debatte über die Reinheit in Mk 7,22 vorkommen. Diese Begriffe bilden eine Inklusion, die die Streitigkeiten in Galiläa umschließt. In Mk 3,28–29 steht bkasvgl¸a als Synonym für "l²qtgla und das Thema der Vergebung wird zum wiederholten Male aufgenommen. Wer gegen den Geist Gottes lästert, dem wird nach dem zeitgenössischen jüdischen Glauben nicht vergeben. Der Vorwurf an Jesus, er sei ein Lästerer (2,1–12) bzw. er habe einen unreinen Geist (3,22–30), ist christlich gesehen somit eine blasphemische Aussage, die nach jüdischer Interpretation von Gott nicht vergeben werden kann. In Mk 7,21–22 ist bkasvgl¸a ein Element des Lasterkatalogs der bösen Dinge, die aus dem Inneren des Menschen kommen und ihn verunreinigen. In diesem Zusammenhang wird die Debatte über die Reinheit mit dem Vorwurf der Blasphemie verbunden. Die Blasphemie hat in diesem Kontext die allgemeine Bedeutung einer Verletzung der Prinzipien der offiziellen Religion. Ein Lästerer ist nicht nur eine unmoralische Person, sondern er ist auch eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung, in der die Religion eine wichtige Funktion innehat. Obwohl das Judentum aus der Sicht der Römer außer in Palästina keine institutionelle Position hatte, wurde die jüdische Anklage der Lästerung aus römischer Sicht sehr ernst genommen. Ein Mensch mit einem solchen Ruf war für die römische Gesellschaft eine persona non grata, besonders wenn dieser Mensch am Kreuz hingerichtet wurde. Ein weiteres Beispiel aus dem zeitgeschichtlichen Umfeld mag dies verdeutlichen. Peregrinos wurde aus der Stadt Rom ausgewiesen, weil er durch seine offene Rede den Kaiser beleidigte.95 Der Präfekt verwies ihn der Stadt Rom, „denn die Stadt brauche keinen solchen Philosophen.“96 In diesem Passus Lukians steht bkasvgl¸a im Zusammenhang mit dem Verb koidoq´y. Jesus aber entspricht diesem Modell des beleidigenden Philosophen nicht. Deshalb scheint die Anklage der Blasphemie unter diesem Gesichtspunkt nicht berechtigt zu sein. Es liegt auf der Hand, dass das Thema des Streitgesprächs in Zusammenhang mit dem verbreiteten Vorwurf gegen Jesus gebracht wurde, und dieser Vorwurf durchzieht das ganze Evangelium. Doch stellt sich die berechtigte Frage, ob Jesus wirklich ein Blasphemiker war. Interessant ist es, auf die 95 Luk. Per. 18. Peregrinos verkörpert die offene Rede der Kyniker. Lukian kritisiert an ihm die kynische Philosophie, denn er bemäntele sich mit der Philosophie und mache die Beleidigung zu einer Kunst: oqj An¸ou tµm vikosov¸am rpoduºlemºm tima jok²feim 1p· N¶lasi ja· l²kista t´wmgm tim± t¹ koidoqe?shai pepoigle´mom. Das waren die Gründe, weshalb der Kaiser ihn nicht bestrafen wollte. 96 Luk. Per. 18: lµ de?shai tµm pºkim toio¼tou vikosºvou.
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Verbindung zum Vorwurf der Asebie (!s´beia) gegenüber Sokrates zu verweisen.97 In beiden Fällen ist die Akzeptanz der offiziellen Religion gefährdet und damit die nationale Stabilität.
3.4 Das Argument Jesu gegen die Anklage Es ist anzunehmen, dass die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung bei Sünde und Krankheit in unserer Perikope vorausgesetzt wird. Doch wird das Verhältnis zwischen Sünde und Krankheit in diesem kurzen Ausschnitt nicht vertieft. Was die Elemente Sünde und Krankheit verbindet, ist keine kausale Gegebenheit, sondern die 1nous¸a des Menschensohns. Er kann ebensowohl Sünden vergeben, wie er Krankheiten heilen kann. Die Heilung und die Sündenvergebung sind dialektisch miteinander verbunden.98 Die ungreifbare Vollmacht der Sündenvergebung, die der Grund für den Vorwurf der Blasphemie ist, kann in der realen und sichtbaren Heilung von Krankheiten aufgezeigt werden. Sündenvergebung und Heilung treten in den Mittelpunkt der Erzählung und nehmen den Platz der sonstigen Debatten über das Verhältnis von Sünde und Krankheit ein. Die zu erweisende These ist, dass Jesus durch die von ihm beanspruchte Vollmacht zur Sündenvergebung nicht automatisch zum Blasphemiker wird. Das wird hier im Text nicht durch einen speziellen Status Jesu als Gottes Sohn ausgedrückt, sondern durch die Anwendung eines argumentum a fortiori. Die Heilung des Gelähmten wird dadurch als ein schwierigerer Sachverhalt präsentiert, dass er von der Vergebung der Sünden abhängig ist. Ein argumentum a fortiori baut auf dem Vergleich von zwei zusammenhängenden Propositionen auf: Wenn die schwierige Proposition bewiesen ist, ist damit auch die einfachere Proposition erwiesen. In diesem Fall haben wir ein argumentum a fortiori des Typs a maiore ad minus. Diese Art des Arguments erklärt bereits Aristoteles in der Rhetorik und nennt ihn den Topos 1j toO l÷kkom ja· Httom: Ein anderer Topos ergibt sich aus dem Verhältnis von Mehr und Weniger, z. B. wenn nicht einmal die Götter alles wissen, dann erst schwerlich die Menschen. Das bedeutet: Wenn etwas bei jemandem, bei dem man es eher erwarten könnte, nicht 97 Dieses Thema beschäftigt die Schüler des Sokrates schon nach seiner Hinrichtung. Apologetisch behauptet Xenophon, mem. 1,1,15: Oqde·r d³ p¾pote Syjq²tour oqd³m !seb³r oqd³ !mºsiom oute pq²ttomtor eWdem oute k´comtor Ejousem. Dieses Prinzip wird m. E. auch hier in den Streitgesprächen angewendet. Niemand kann behaupten, Jesus habe etwas gegen die Religion getan oder gesagt. Aussagen und Verhalten werden zu Kriterien für die Apologie Jesu. 98 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 52, bemerkt die Schwierigkeit dieses Zusammenhanges zwischen Heilung und Sündenvergebung: „Noch seltsamer ist der Vergleich zwischen der Macht, Sünden zu vergeben und Kranke zu heilen. (…) Können Heilungen das Recht der Sündenvergebung beweisen?“ Für Lohmeyer ist eine kausale Verbindung zwischen Sünde und Krankheit nicht vertretbar, weil Jesus sie nach Lk 13,1ff bereits aufgehoben habe!
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zutrifft, dann ist es klar, dass es erst recht nicht bei dem zutrifft, bei dem man es weniger erwartet.99
Cicero beschreibt die gleiche Art von Argumenten in seiner Topik. Er unterscheidet unter den Argumenten diejenigen, die durch einen Vergleich (ex comparatione) zu Stande kommen sind. Die möglichen Verhältnisse zwischen zwei Elementen können auf drei Arten erklärt werden: ein Element kann größer, geringer oder gleich wie das andere sein. Daher kann ein Argument zur Geltung gebracht werden, indem ein weiterer damit zusammenhängender Satz durch den Beweis eines Gliedes das andere als verhältnismäßig geringer oder größer oder gleich impliziert. Cicero bringt Beispiele, z. B. wenn in einer Stadt die Grenzen nicht respektiert werden, kann das Wasser auch nicht in Grenzen gehalten werden; und er fügt die allgemeine Regel für diese Argumente hinzu: Was für das Größere gilt, gilt auch für das Geringere und umgekehrt.100 Die Rhetorik wurde in der römischen Gesellschaft besonders bei rechtlichen Sachverhalten angewandt, um einerseits die Gerichtsrede zu strukturieren und andererseits Argumente darzulegen. Die Debatte in dieser Perikope (Mk 2,1) scheint ebenfalls durch einen Vorwurf gekennzeichnet zu sein, der gleichzeitig als eine Anklage verstanden wird. Der Vorwurf der Blasphemie wird durch ein Argument a maiore ad minus widerlegt. Jesus als Menschensohn begründet durch die Heilung des Gelähmten seine Vollmacht, die Sünden zu vergeben. Die Kontroverse wird daher nicht nur zum Anlass, die dialektische Sendung Jesu aufzuzeigen, sondern sie dient implizit auch dazu, eine christologische Aussage zu begründen. Daneben scheint es in der Perikope relevant, dass auf den Vorwurf indirekt eingegangen wird. Jesus versucht den Vorwurf nicht direkt zu widerlegen, sondern ihn durch die empirisch feststellbare Heilung des Gelähmten ad absurdum zu führen. Die Logik des argumentum a maiore ad minus setzt allerdings voraus, dass die Heilung schwieriger ist als die Sündenvergebung. Man könnte aber mit ebenso guten Gründen behaupten, dass die Sündenvergebung schwieriger ist als die Heilung, weil sie ein alleiniges Privileg Gottes darstellt, wohingegen die Heilung 99 Arist. rhet. 1397b 12 (Übersetzung von G. Krapinger, Aristoteles Rhetorik, 133). Zahlreiche Beispiele könnten hier erwähnt werden, der Fall von Joh 10,36 (a minore ad maius) ist schon genannt worden. In den synoptischen Evangelien ist noch Mt 6,30 zu nennen, wo Jesus die Schönheit der Lilien auf den Feldern als Argument für die Fürsorge Gottes für die Menschen nimmt (auch in diesem Fall handelt es sich um ein argumentum a minore ad maius). Ein interessantes Beispiel findet sich bei Lukian, rhet. praec. 4, in Bezug auf die Bildung eines Redners. Das Argument lautet wie folgt: Wenn Hesiod mit wenigen Blättern aus dem Helikon sofort von einem Hirten zu einem Dichter werden konnte, ist es auch möglich, in kürzerer Zeit einen Redner auszubilden, was weniger als ein Dichter schöner Dichtung ist. Dieses Beispiel vermischt im Grunde die beiden Typen a minore ad maius (wenige Blätter, sofort/in kurzer Zeit) und a maiore ad minus (schöne Dichtung/Rhetorik). 100 Cic. top. 23: „Ex comparatione autem omnia valent quae sunt huius modi: Quod in re maiore valet valeat in minore, ut si in urbe fines non reguntur, nec aqua in urbe arceatur. Item contra: Quod in minore valet, valeat in maiore. Licet idem exemplum convertere. Item: Quod in re pari valet valeat in hac quae par est“.
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auch durch Menschen gewirkt werden kann. Die Heilung besitzt aber eine offensichtliche Effektivität, die die Unmessbarkeit der Sündenvergebung in der Erzählung demonstrieren soll. Die dialektische Auseinandersetzung verursacht eine interessante temporäre Aufhebung der Haltung Jesu, der gewöhnlich die Wunder nicht als Zeichen seines göttlichen Auftrags verstanden haben will (markinisches Messiasgeheimnis). Die Form des Apophthegmas und die Art des Argumentierens gehen m. E. auf den Evangelisten zurück, der eine vielleicht aus der Jesustradition stammende Wundergeschichte in ein Streitgespräch umfunktionierte. In der Ausgestaltung der Antwort Jesu verwendet Markus zwei besondere Elemente aus der Jesus-Überlieferung, das Adjektiv eqjop¾teqom und das Syntagma uR¹r toO !mhq¾pou. Das Adjektiv eqjop¾teqom kommt im Griechischen sehr selten vor. Jesus benutzt es nochmals in Mk 10,25, aber diesmal, um ein paradoxes Bild einzuleiten, nämlich, dass ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt. In Mk 2,9 leitet das Adjektiv aber kein Paradox ein, sondern einen dialektischen Vergleich für ein Argument a fortiori. Es liegt nahe, dass Markus diesen Ausdruck aus der Jesus-Tradition übernommen hat, um diesem Argument durch eine kleine Nuance den Charakter einer ursprünglichen Jesusüberlieferung zu geben.101 Dasselbe gilt für den Gebrauch der Bezeichnung „Menschensohn“. Sie gehört ebenfalls zum Vokabular der Verkündigung Jesu, wurde aber von Jesus vermutlich in einem eschatologischen Sinnzusammenhang benutzt. In dieser Perikope gewinnt der Ausdruck eine präsentische Konnotation und besitzt dennoch eine gewisse Doppeldeutigkeit, denn er bezeichnet eigentlich auch im Griechischen nicht mehr als einen Menschen, impliziert aber eine Persönlichkeit, die mehr als ein Mensch ist. Markus gebraucht gezielt diese indirekte Ausdrucksweise in den Streitgesprächen, um die Vorwürfe der Gegner zu entkräften. Damit verbirgt sich der theologisch adäquate Ausdruck ,Gottessohn‘ hinter dem Bild eines wahren „Menschen“, der sich für die Vergebung und die Verwirklichung des Menschseins einsetzt. Die Person Jesu vollbringt damit eine Handlung, die dem Menschen helfen kann, seinem Menschensein gerecht zu werden. Die Schriftgelehrten, die die Wirklichkeit der Vergebung aufgrund ihres religiösen Hintergrunds eigentlich besser verstehen sollten, erklären Jesus zu einem Gotteslästerer und verhindern somit geradezu das Gute für den Menschen. Die Heilung bestätigt die Vollmacht Jesu und widerlegt indirekt den Vorwurf der Blasphemie. Die Bedeutung dieser Perikope liegt für einige Exegeten darin, das Recht der Kirche zu verteidigen, im Namen Christi die Vergebung der Sünde zuzusprechen.102 I. Maisch schlägt eine christologische Interpretation dieser Pe101 Das geschieht auf Kosten der Verständlichkeit. E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 54, bemerkt zu Recht die Schwierigkeit: „Zunächst ist die Frage: was ist leichter? So wenig sinnvoll sie im Munde Jesu ist, so klar ist sie in dem eines urchristlichen Apologeten“. 102 Diese Hypothese ist von Bultmann formuliert worden (Geschichte der synoptischen Tradition,
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rikope vor. Nach ihrer Meinung steht im Mittelpunkt der Perikope die Frage: „Wer kann die Sünden vergeben außer Gott?“, die dann zu der Antwort führt: „Jesus als der Menschensohn!“ Die Erzählung habe deshalb keine Einbettung in eine Kontroverse mit den Gegnern Jesu oder des Christentums nötig, sondern sie wolle die Vollmacht Jesu bezeugen.103 Hierzu muss aber kritisch bemerkt werden, dass die Frage, die Maisch für diese Perikope als zentral betrachtet, die Perikope nur teilweise trifft und somit ihre Bedeutung in ihrer Komplexität nicht adäquat erfasst wird. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Behauptung der Schriftgelehrten, Jesus habe gegen Gott gelästert. I. Maisch beachtet außerdem die zentrale Bedeutung des Verbs bkasvgle?m für das Evangelium nicht. Die Perikope versteht sich offensichtlich als eine Apologie gegen diesen Vorwurf gegen Jesus. Dass die Apologie dann zugleich eine christologische Konsequenz beinhaltet, gehört zur Finesse des zweiten Evangelisten.104 Die Apologie will in erster Linie Jesus von einer schwerwiegenden Anklage entlasten und seinen Tod als ungerecht darstellen.
3.5 Formale Analyse von Mk 2,13–17 In V. 13 findet ein Ortswechsel vom Dorf Kapernaum an das Ufer des galiläischen Meeres statt. Das Motiv der versammelten Menge verbindet sich mit der letzten Episode und ermöglicht eine allgemeine Darstellung Jesu in seiner 13) und wurde von H.W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 57, aufgenommen und in eine interne Polemik eingebettet. Die Judenchristen hätten laut Kuhn den effektiven Charakter dieser Vergebung in Frage gestellt. A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 108, vertritt die gleiche Hypothese: „ Insofar as the church claimed and declared divine forgiveness, it was open to criticism by its Pharisaic neighbors. The conflict story was composed then, to provide a justification for the ecclesiastical practice.“ Für eine apologetische Interpretation dieser Perikope plädiert auch E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 54. 103 I. Maisch, Die Heilung des Gelähmten, 101: „Diese Erzählung ist weniger an einer Auseinandersetzung mit irgendwelchen Gegnern – seien es Gegnern Jesu oder der frühen Kirche – interessiert, als vielmehr an der Belehrung der Christen über die Vollmacht Jesu“. Diese Hypothese wird von J. Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 114 f., kritisch aufgenommen. Er sieht das Problem, dass ein christologischer Titel (wie Menschensohn) hier mit einem Wunder assoziiert wird, was sonst nirgendwo im Neuen Testament geschieht. 104 J.D.G. Dunn, The Parting of the Ways, 60, ist der Meinung, dass die Perikope nicht ein christologisches Anliegen beinhaltet, sondern dass sie durch die Bezeichnung „Menschensohn“ auf einer allgemein menschlichen Ebene bleibt: „as the episode was recalled, it was evidently not seen as a claim to exalt a divine status by the crowd, indeed, in Matthew’s version the force of the phrase in Aramaic idiom (as = ,man‘) may be brought out in the final words about the crowd „who were afraid, and gloried God, who had given such authority to men“ (Mt 9,8)“. Diese Meinung bedarf m. E. einer Korrektur. Markus formuliert seine Apologie in einer sehr allgemeinen Art und Weise. Manche Syntagmen, wie gerade Menschensohn, sind aber offen und bereiten den Weg für einen christologischen Diskurs. Die Indirektheit der Apophthegmen erreicht das gleiche Ergebnis, die christologischen Aspekte anzudeuten, ohne sie eigentlich zu fixieren. Dies wird besonders im letzten Kapitel thematisiert.
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Lehrtätigkeit. Der Imperfekt 1d¸dasjem drückt eine dauerhafte Handlung aus, die den Habitus der Wirksamkeit Jesu charakterisieren soll. V. 14 erzählt die Berufung des Levi, eines Zöllners, der wie alle Jünger einfach am Weg Jesu steht und mit einer kurzen Anrede zur Nachfolge aufgerufen wird. Die Berufungsgeschichte hat gemeinsame narrative Züge mit den anderen Jüngerberufungen in Mk 1,16–18 und 1,19–20. Alle drei Geschichten spielen sich am Meer ab,105 an dem Jesus vorübergeht (paq²cym 1,16; 2,14; paq± tµm h²kassam 1,16; und 2,13 implizit in 1,19). Jesus sieht die Menschen, wie sie ihren Tätigkeiten nachgehen (eWdem S¸loma ja· )mdqe¸am 1,16; eWdem Y²jybom 1,19; eWdem Keu¸m 2,14). An diesen Stellen werden darüber hinaus die Namen und die Beschäftigungen der späteren Jünger genau genannt. Daran anschließend folgt die Berufung mit einem einfachen Wort (deOte ap¸sy lou 1,17; 1j²kese aqto¼r 1,19; !joko¼hei loi 2,14). Die Geschichten enden mit einer sofortigen und fraglosen Nachfolge der jeweiligen Jünger. Diese gemeinsamen Züge lassen auf eine sekundäre Beeinflussung dieser Erzählung durch die vorhergehenden schließen.106 R. Pesch sieht in der Geschichte ebenfalls eine redaktionelle Schöpfung des Markus, die zusammen mit V.13 dem Streitgespräch zu einem Setting verhilft.107 Diese Abhängigkeit wird vor allem dadurch erwiesen, dass die Hauptperson dieser Erzählung, Levi, kein bekannter Jünger ist. In der Liste (3,18) der Zwölfe heißt der Sohn des Alphäus Jakobus, Y²jybor toO )kva¸ou. Das erklärt den Versuch einiger Kopisten (D, H, f.13), den Namen Levi in Jakobus zu korrigieren.108 Das erweist sich aber als eine lectio facilior. Die gleiche Begründung kann die Korrektur in Mt 9,9 durch Lahha?or erklären, der auch in der Liste der Zwölf (Mk 3,18) genannt wird. Der Ausdruck ja· c¸metai signalisiert nach manchen Exegeten109 den Anfang einer selbständigen Einheit, die von Markus mit der Berufung Levis verbunden wurde. Den redaktionellen Eingriff des Markus kann man aus dem 105 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 53–54, betont die typischen Züge dieser Szene, und stellt eine interessante Frage: „wir wissen nicht, ob am Wasser zu lehren eine besondere Gewohnheit Jesu oder eine im Judentum häufig war“. 106 J. Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 132, zeichnet eine detaillierte Synopse der drei Erzählungen. Er schließt allerdings auf keine Abhängigkeit von den anderen Erzählungen: „Freilich lässt sich allein aufgrund des gemeinsamen Aufbaus keiner der Abschnitte als sekundäre Nachbildung der anderen aufweisen“. 107 R. Pesch, Levi-Matthäus (Mc 2,14/Mt 9,9), 44: „Dafür, daß der Mc-Evangelist nicht nur 2,13 als Verknüpfung, sondern die ganze Szene 2,13–14 als Einleitung zur folgenden Perikope geschaffen hat, läßt sich sodann geltend machen, daß V. 14 schwerlich als isoliertes Stück überliefert werden konnte.“ Matthäus habe dann Levi den Namen einer der Zwölfe gegeben: Matthäus. 108 E. Best, Following, 176–177, formuliert die Hypothese eines Jüngers namens Levi, der aber Jakobus genannt wurde. F.C. Burkitt, Levi, Son of Alpheus JThSt 127, 110 f. P. Glaue, zitiert bei Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 61, hält Jakobus für die ursprüngliche Leseart. Levi sei aus einem Fehler beim Abschreiben entstanden: KEUIM sei ursprünglich DEUIM „…den Sohn aber“ gewesen. 109 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 86; R. Pesch, Das Evangelium nach Markus I, 164.
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aqtoO in V. 15a erschließen, dessen grammatikalischer Bezug nicht deutlich zu erkennen ist.110 Das Pronomen sollte sich grammatikalisch auf Jesus beziehen,111 aber die meisten Autoren bevorzugen einen Bezug ad sensum zu Levi. Nach dieser Interpretation gibt Lukas die richtige Deutung des Geschehens wieder, indem er explizit von einem Empfang im Haus des Levi spricht.112 Der Ausdruck tek_mai ja· "laqtyko¸ kann als eine einfache Wiederholung des gleichen Begriffes (Hendiadyoin) oder als eine Koordination von zwei Begriffen verstanden werden, und zwar von einem partikularen mit einem allgemeinen durch die Konjunktion ja¸.113 In diesem letzten Sinn könnte man den Ausdruck deshalb als „Zöllner und andere Sünder“ deuten. Es handelt sich jedenfalls um eine in der Jesus-Tradition geprägte Wendung, wie aus den Parallelen Mt 11,19 und Lk 7,34 ersichtlich ist. Am Ende von V. 15 steht der Satz Gsam c±q pokko· ja· Ajoko¼houm aqt`. Das entspricht dem parataktischen Stil des Markus und muss nicht unbedingt als Signal für eine Spannung im Text gehalten werden.114 Mit V. 16 beginnt das eigentliche Streitgespräch, das nach Weiß durch eine Wiederholung mit dem vorigen Teil verbunden wird. Es ist tatsächlich auffallend, dass Markus die Begründung des Vorwurfs Qdºmter fti 1sh¸ei let± t_m "laqtyk_m ja· tekym_m auch im Vorwurf an Jesus wiederholt. Dies ist aber ebenfalls als ein stilistisches Charakteristikum des zweiten Evangeliums und nicht als ein Zeichen für eine literarkritische Spannung zu verstehen.115 Der Ausdruck oR cqallate?r t_m Vaqisa¸ym ist vermutlich eine markinische Formulierung. Sie ist historisch kaum belegbar.116 Kiilunen spricht von einer „Übergangsbildung des Evangelisten (…), der die Zusammengehörigkeit der beiden Jesus feindlichen Gruppen zum Ausdruck bringen 110 W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 61, führt eine dritte Variante ein, wonach das Haus des Petrus als das Haus Jesu gelten könnte. Er entscheidet sich auch wie die meisten Exegeten für das Haus des Levi: „Was das für ein Haus ist, das des berufenen Zöllners oder das des Simon, das als Jesu Haus gilt oder ein eigenes Haus Jesu in Kapernaum (…) bleibt unentschieden; die Zusammenfügung der beiden Berichte läßt zunächst an das Haus des berufenen Zöllners denken“. 111 Für diese Variante entscheidet sich Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 55, denn diese Information bestätige, dass Jesus im eigenen Haus wohnt. J. Marcus, Mark I, 225, identifiziert das Haus mit dem Haus des Petrus in Kapernaum. Es werde hier als Haus Jesu bezeichnet, wohin Levi ihm folgt. 112 Lk 5,29: ja· 1po¸gsem dowµm lec²kgm Keu·r aqt` 1m t0 oQj¸ô aqtoO. 113 J. Marcus, Mark I, 226, betont diese Funktion der griechischen Konjunktion zwischen zwei Begriffen. Was folgt ist ein partikularer oder ein allgemeiner Begriff. Beispiele dafür sind „Zeus und die Götter“, das Zeus und die weiteren Götter meint, und „die Götter und Zeus“, das alle Götter und vor allem Zeus meint. 114 Unwahrscheinlich ist m. E. die Hypothese von W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 62, Anm. 6, wonach es sich hierbei um einen Aramäismus handelt. 115 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 87, vermutet, dass aufgrund der Wiederholung ein Teil durch die anderen nachgebildet wurde. Da der Vorwurf als ursprünglich gedacht werden muss, ist 16a redaktionell von Markus gebildet. Ein Signal für den redaktionellen Eingriff des Markus in 16a ist die Umstellung von tek_mai ja· "laqtyko¸ und die Voranstellung von 1sh¸ei. 116 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 86–87.
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wollte“.117 Es stellt sich die Frage, wie die Gegner das Verhalten Jesu beobachten konnten. Sie konnten nämlich keine Teilnehmer des Mahls, sondern mussten Außenstehende sein; dann aber stellt sich die weitere Frage, wie Jesus, der im Haus sitzt, gleichzeitig mit ihnen sprechen kann.118 Die Hypothesen zur Erklärung, wie die Schriftgelehrten die Teilnahme Jesu an der Mahlgemeinschaft beobachten und gleichzeitig mit ihm sprechen konnten, berücksichtigen die absichtliche Offenheit des Textes nicht genügend, der die Einzelheiten nicht einschränkend festzulegen braucht. Der Text lässt diese konkreten Details in der Erzählung gewollt offen. Die Antwort Jesu in V. 17 enthält zwei Logien, eines mit dem Bild des Arztes und das andere mit einem Gkhom-Satz, der nicht von Jesus selbst stammen kann. 3.6 Jesu Umgang mit den Sündern Das Thema der „Sünde“, das bereits in der Heilung des Gelähmten behandelt wurde, wird in dieser Perikope noch konkreter behandelt, weil die Gegner Jesus vorwerfen, mit sündigen Menschen Mahlgemeinschaft zu pflegen. Die Bemerkung, die die Schriftgelehrten der Pharisäer in 16b äußern, let± t_m tekym_m ja· "laqtyk_m 1sh¸ei, kann als Frage119 oder als Ausdruck der Verwunderung gedeutet werden.120 In beiden Fällen handelt sich um einen Vorwurf, der Konsequenzen für Jesu Lehre und seine Glaubwürdigkeit beinhaltet. Der Vorwurf des Umgangs mit unmoralischen Menschen ist ein breites Thema, das zwei Szenarien eröffnet: zum einen die allgemeine weisheitliche Vorstellung, dass, wer mit schlechten Menschen Gemeinschaft hat, Gefahr läuft, von ihrem unsittlichen Verhalten angesteckt zu werden. Das gilt vor allem für Unmündige, die nicht in der Lage sind, sich vom vorgelebten korrupten Ethos kritisch zu distanzieren. In diesem Sinne können wir das Zitat aus der fragmentarisch erhaltenen Komödie Menanders in 1Kor 15,33 vhe¸qousim Ehg wqgst± blik¸ai jaja¸ verstehen.121 Die Position Jesu zur Mahlgemeinschaft mit Sündern wird auch in einem heidnischen Kontext als fragwürdig angesehen. Zum anderen kommt hier eine spezielle Perspektive zur Sprache, die die jüdische Auffassung der Gemeinschaft betrifft und nach einer Einschränkung derselben verlangt. Die Präsenz der Pharisäer und gerade nicht eine besondere theologische Bemerkung eröffnet diese Perspektive in der Erzählung. Dementsprechend stellt die Gemeinschaft mit Sündern nicht nur eine moralische 117 118 119 120 121
J. Kiilunen, Die Vollmacht in Widerstreit, 142. W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 87. A. Yarbro Collins, Mark, 190. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus I, 103. Menander, Thais (fg. 211). Es ist allerdings nicht ganz klar, wie Paulus dieses sprichwörtliche Zitat anwenden will. Nach H. Lietzmann, An die Korinther I, 93, sind die schlechten Sitten die Leugnung der Auferstehung.
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Gefahr für das eigene sittliche Leben dar oder bietet dem Vorurteil einen Anlass für die Abwertung einer Person, sondern sie produziert vielmehr eine rituelle Verunreinigung, die durch jede Form des bloßen Umgangs geschehen kann. Insbesondere die Mahlgemeinschaft als engere Form des Umgangs galt als gefährlich, weil dabei einige unreine Speisen serviert wurden. Speziell die Pharisäer fühlten sich der Verbreitung der Normen der rituellen Reinheit im Alltagsleben und besonders in Bezug auf die Speisevorschriften verpflichtet.122 Die interpretatorische Frage nach dem genauen Sinn des Wort "laqtykºr in dieser Perikope, die von Jeremias gestellt wurde, muss nach meiner Meinung offen bleiben. Jeremias nimmt zwei mögliche Deutungen des Wortes an, eine allgemeine Deutung aus der Perspektive des Volkes (unmoralische Menschen) und eine engere Deutung aus der Perspektive der Pharisäer (das einfache Volk, ILû4)8) AF(). Jeremias plädiert für die erste Deutung, weil ansonsten nur ein kleiner Teil der Bevölkerung als gerecht betrachtet werden kann, nämlich die Pharisäer selbst.123 Jeremias betont die Tatsache, dass in vielen jüdischen Schriften Zöllner zu den Berufen gezählt wurden, die als sündhaft galten.124 Das Wort „Sünder“ wird in unserer Perikope jedoch nicht synonym für „Zöllner“ benutzt, sondern es behält einen generalisierenden (und unbestimmten) Charakter,125 vielleicht um den Vorwurf gegenüber Jesus noch zu verstärken. 122 Die Debatte über die Rolle der Pharisäer in Bezug auf die Auffassung der Reinheit kennt zwei extreme Positionen: die Position J. Neusners, der die Rolle der Pharisäer als Verbreitung der priesterlichen Reinheitsvorschriften besonders betont (z. B. Judaism. The Basics, 115–116: „Priests were supposed to keep those laws when they made offerings to God at the altar and when they ate their share of the offerings assigned to them as rations. The Pharisees and the community represented by the library at Qumran extended that concern to lay people eating their ordinary food at home“) und die von E.P. Sanders (z. B. Jewish Law From Jesus to Mishna, 241–249), der versucht, diese Rolle zu relativieren. Die Diskussion referiert J.D.G. Dunn in seinem Buch, The Parting of the Ways, 54–55. Er bezieht eine vermittelnde Position: „That is not to say that Pharisees were more liberal than others in many of their ruling; but it is to affirm that purity was a concern of the Pharisees and was probably a reason for their very name, ,separatists‘“ (S. 55). Der gegenwärtige Forschungsstand bei: R. Deines, Art. Pharisees, in: EDEJ Grand Rapids/Cambridge UK 2010, 1061–1063, und H.K. Harrington, Art. Purity and Impurity, EDEJ, 1121–1123. 123 J. Jeremias, Zöllner und Sünder, 294: „Da die Pharisäer alle Nichtpharisäer als ,Amme ha-‘aräÅ‘ bezeichneten, so umfasste dieser Begriff also fast das ganze Volk, in einem Orte wie Kapernaum fast die ganze Stadt.“ 124 Vgl. in J. Jeremias, Zöllner und Sünder, 296, die Tabelle mit allen Berufen, die als unmoralisch betrachtet wurden. 125 J. Jeremias, Zöllner und Sünder, 300, versucht die Bedeutung des Begriffs „Sünder“ näher zu bestimmen. Sünder heißen Leute mit unmoralischem Lebenswandel wie Ehebrecher, Dirnen, Mörder, Räuber, Betrüger, und auch noch Menschen mit unehrenhaften Berufen. Ich denke, die polemische Natur des Begriffspaares „Zöllner und Sünder“ spricht eher für eine unbestimmte Bedeutung des letzten Terminus. E.P. Sanders, Jesus and the Sinners, 8–11, kritisiert die These von Jeremias und plädiert für eine genauere Deutung von „Sünder“ im Sinne von „wicked“ und nicht allgemein wie Jeremias im Sinne von „common people“. S. 10: „But the charge against him was not that he loved the ,amme ha ‘arets‘, the common people. If there was
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Das Zöllneramt wurde als ein Beruf angesehen, der Misstrauen erweckt.126 Die rabbinischen Schriften benutzen zwei Substantive, um die Zöllner zu bezeichnen, =56 und E?9B. E?9B entspricht dem griechischen tek¾mgr oder dgloti¾mgr (lat. publicanus), =56 kann ein Angestellter des tek¾mgr sein, weil er konkret die Steuer einnimmt und ein Zwangseintreiber ist (was man im Griechischen pq²jtyq und im Lateinischen „exactor“ genannt hat).127 Nach mNed 3,4 und bSan 25b werden die Zöllner zusammen mit anderen Ämtern und Berufen aufgelistet, die als betrügerisch galten, wie Würfelspieler oder Hirten oder Wucherer. In tDemai 3,4 (49,15) und jDemai 3,23 a 10 wird dargestellt, dass die Zöllner aus einer pharisäischen Gemeinschaft ausgestoßen wurden, falls sie vor der Pächterübernahme zur pharisäischen Gruppe gehört hatten. Es ist interessant zu bemerken, dass auch die griechische Welt diesen Beruf als suspekt betrachtete.128 Für die griechischen Autoren galten auch die tek_mai als so etwas wie Diebe, die lieber gemieden werden sollten. Dion Chrysostomos verurteilt sie mit großer Schärfe, wenn er die Zöllner auf die gleiche Ebene wie Zuhälter stellt: T¸ de; oUei soi 1neima¸, esa lµ !pe¸qgtai l³m rp¹ t_m mºlym 1ccq²vyr, aQswq± d³ %kkyr doje? to?r !mhq¾poir ja· %tola k´cy d³ oXom tekyme?m C poqmobosjeim C %kka floia pq²tteim. oq l± D¸a va¸gm #m oqd³ t± toiaOta 1ne?mai to?r 1keuh´qoir. ja· c±q peq· to¼tym 1p¸jeitai fgl¸a t¹ lise?shai C dusweqa¸meshai rp¹ t_m !mhq¾pym.129
In den Worten Dions wird ein universales moralisches Urteil über diese Berufsgruppe gefällt. Zöllner waren allerdings nicht Teil einer illegalen Berufsgruppe, sondern der Beruf wurde im Rahmen von besonderen Verträgen ausgeübt.130 Hier kommt vielleicht deutlicher das Vorurteil zum Ausdruck, dass die Zöllner das Volk durch zu hohe Steuern betrogen, als dass dies eine offizielle Bewertung dieses Berufsstands gewesen wäre. E.P. Sanders betont einen weiteren Aspekt des Verdachts gegenüber den Zöllnern, der wenigstens im jüdischen Bereich virulent war, nämlich ihre Rolle als Kollaborateure (er verwendet den Begriff „quisling“!) des römischen Staates. Daneben betont er aber, dass auch Sünder als eine Art Verräter betrachten werden können:
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a conflict, it was about the status of the wicked.“ Allerdings muss man bemerken, dass Jeremias im oben genannten Artikel eben die gleiche These wie Sanders vertreten hat. Sanders hat wahrscheinlich die These von Jeremias missverstanden. Grundlegend für dieses Thema ist die Untersuchung von F. Herrenbrück, Jesus und die Zöllner. Historische und exegetische Untersuchungen, WUNT/II 41, Tübingen 1990. Für diese terminologische Diskussion vgl. F. Herrenbrück, Jesus und die Zöllner, 196–198. Herrenbrück schlägt vor, das Griechische tek¾mgr mit „Abgabekäufer“ oder „Steuerkäufer“ zu übersetzen, Jesus und die Zöllner, S. 36. Vgl. A. Yarbro Collins, Mark, 193–194. D. Chrys., or. 14,14. A. Yarbro Collins, Mark, 194: „Collecting taxes was not illegal, and there is no evidence that the lowest–ranking collectors were more dishonest than charge people. Tax collectors may, however, have overcharged or extorted, or there may have been the common perception that they did.“
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Tax collectors, more precisely, were quislings, collaborating with Rome. The wicked equally betrayed the God who redeemed Israel and gave them his law.131
Es ist jedenfalls wichtig, dass der Vorwurf gegen Jesus, er habe Umgang mit „Zöllnern und Sündern“ auch ein gewisses Entsetzen auch im nicht-jüdischen Kontext erzeugt haben könnte.132 Selbst ohne die strengen Reinheitsgesetze der jüdischen Religion könnte man zur Schlussfolgerung kommen, dass Jesus aufgrund seiner Kontakte mit unmoralischen Menschen einen unehrenhaften Lebenswandel geführt habe. 3.7 Die Mahlgemeinschaften Jesu In Bezug auf die Mahlgemeinschaften, die im pharisäischen Vorwurf mit dem Verb 1sh¸eim geschildert werden, müssen drei Aspekte für die Auslegung der Perikope in Betracht gezogen werden. Der erste Punkt ist die Tatsache, dass Jesus wirklich an solchen Mahlzeiten teilgenommen hat und dies sogar mit einem religiösen Impetus. Die Mahlgemeinschaft ist ein wichtiger Aspekt der Verkündigung und der Praxis des historischen Jesus, mit der er die Stiftung einer neuen Gemeinschaft und eine eschatologische Antizipation des Gottesreiches erreichen wollte.133 Dieser Aspekt der Verkündigung Jesu wird besonders von J.D. Crossan hervorgehoben, der die Mahlgemeinschaft als eine Form des sozialen Protests der Armen und als Aufstand gegen die gesetzlichen und religiösen Normen ansieht.134 Die zahlreichen Beispiele in den Evangelien, bei denen Jesus an einer 131 E.P. Sanders, Jesus and the Sinners, 9. 132 Ein weiterer wichtiger Beleg der moralische Abwertung der Zöllner ist bei Epiktet, diss. 3,15,12–13, zu finden: lµ ¢r t± paid¸a mOm l³m vikºsovor, vsteqom d³ tek¾mgr, eWta N¶tyq, eWta 1p¸tqopor ja¸saqor taOta oq sulvyme? 6ma se de? %mhqypom eWmai C !cah¹m C jajºm. „Treib keine Kinderpossen, sei nicht heute Philosoph und morgen Zöllner, dann ein Redner und ein kaiserlicher Beamter. Diese Dinge passen nicht zusammen. Du musst ein einziger Mensch sein, entweder ein guter oder ein schlechter“. Zöllner beschreibt hier eine Tätigkeit, die zu dem Bereich der schlechten Menschen gehört. 133 Vgl. J. Bolyki, Jesu Tischgemeinschaften, 206–207. Er unterscheidet fünf Funktionen der Tischgemeinschaften Jesu: 1) Integration und Aufhebung der Exklusivität. 2) Soziale Verantwortlichkeit. 3) Kerygmatische Funktion, sie symbolisieren das Reich Gottes. 4) Existentiell-ethische Funktion, die let²moia in Lk 19,9. 5) Sie verleihen den Teilnehmern das Bewusstsein, zu einer Gemeinschaft zu gehören. 134 C.L. Blomberg, Contagious Holiness, 97, benutzt den von Crossan mündlich vorgetragenen Ausdruck über Jesus, er sei ein „consummate party animal“. Für Crossan ist Mahlgemeinschaft ein wesentliches Anliegen der Praxis Jesu, die sicher Erregung in seiner Umwelt hervorrief. „Commensality“ (das ist das Stichwort in Crossans Jesus-Büchern) war die Realisierung des Gottesreiches, die zur radikalen Gleichheit aller Menschen führt. Eine Art egalitäre Gesellschaft wird damit begründet, die als anstößig empfunden wurde. J.D. Crossan, The Historical Jesus, 344: „Commensality was, rather, a strategy for building or rebuilding peasant community on radically different principles from those of honor and shame, patronage and cli-
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Mahlzeit teilgenommen hat, zeigen, dass dieser Aspekt tatsächlich wesentlich für die Verkündigung Jesu ist. Man kann zwar nicht behaupten, dass Jesus diese Mahlzeiten dezidiert als Provokation veranstaltete, muss jedoch festhalten, dass er daran aktiv teilnahm. Ein zweiter Aspekt ist der gesetzliche Hintergrund, der die Mahlgemeinschaft regelte. Jesus Sirach schildert die Gefahr der Tischgemeinschaften mit der Frau eines anderen Mannes (Sir 9,9) als Anlass für moralisches Verderben. Die Qumran-Schriften betonen die Separation der Gemeindemitglieder von jeder Art von Sündern (1QS 5,10b–11a; CD 6,14–20).135 Ein dritter Aspekt ist die literarische Bearbeitung dieser Mahlgemeinschaften nach dem Muster eines griechischen Symposions. Jesus wird besonders im Lukasevangelium als eine Art Philosoph dargestellt, der seine Lehren auch beim Essen erteilt. D.E. Smith findet im dritten Evangelium die zentralen Motive, die sonst in den hellenistischen Symposien thematisiert werden.136 Jesus verhält sich wie ein Lehrer, der seine Unterweisungen in Tischreden erteilt.137 Obwohl Lukas am ehesten dieses Bild des am Tisch lehrenden Philosophen für Jesus benutzt, ist es auch im Markusevangelium zu finden. Das ist aus dem Gebrauch der Verben jataje?shai und sumam²jeishai ersichtlich, die eindeutig für die Symposien benutzt werden.138 Diese drei Aspekte sind auch für die diskutierte Perikope relevant. R. Bultmann beschreibt die Entstehung der Perikope aus dem Jesus-Logion in Mk 2,17, das mit einer Szene der Tischgemeinschaft zu verbinden sei.139
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entage. It was based on an egalitarian sharing of spiritual and material power at the most grassroots level. For that reason, dress and equipment appearance was just as important as house and table response.“ Die Stellen aus den Schriftrollen von Qumran, die sich mit diesem Problem befassen, sind zahlreich. Ein Bericht findet sich bei C.G. Bloomberg, Contagious Holiness, 78–86. D.E. Smith, Table Fellowshipa as a Literary Motif in the Gospel of Luke, 616–617, listet die wichtigsten Elemente auf, die in der hellenistischen Literatur mit dem Symposion verbunden wurden: a) die Position am Tisch als Statusmerkmal, b) Tischrede als Modell des Lehrens, c) Essen und Trinken als Symbol von Luxus und Wohlstand, d) Dienst am Tisch als Symbol für Dienst an der Gemeinschaft, e) Tischgemeinschaft als Symbol für Gemeinschaft in der Gesellschaft. Lukas berücksichtigt in seinem Evangelium jeden dieser Punkte. Vieles davon ist in allen Evangelien enthalten „But Luke’s Gospel has made much broader use of this theme than any other“ (S. 616). Besonders entwickelt bei Lukas ist das Motiv des Essens als Merkmal sozialer Unterschiede in den Gleichnissen in Lk 12,16–21 und Lk 16,19–21. Dieses Motiv ist besonders in Lk 14 zu finden. Smith, Table Fellowship as a Literary Motif, 621, schreibt „Thus, chap. 14 is a highly structured literary unit with a clear reference to the symposium genre.“ Die Art, wie Jesus spricht (während eines Mahles), und die Themen, die er behandelt, das Gleichnis der Plätze am Tisch (Lk 14,7–11); das Gleichnis der Mahleinladung (Lk 14,12–14) und das Gleichnis des großen Mahls (Lk 14,15–24) sind Teile der gleichen Gattung. Alle großen Philosophen haben nach Plutarch quaest. conv., 621 d–e, Tischreden gehalten. Jesus wird daher in dieser Hinsicht als ein hellenistischer Lehrer abgebildet. Philo cont. 57,64, beschreibt die Gastmähler der Therapeuten, die anders als die griechischen Philosophen sehr fromm sind. Liddell/Scott, 893. Pl. Smp. 185d. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 16. Das Logion und die Szene passen
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Nach H.W. Kuhn richtet sich die Polemik gegen Mahlgemeinschaften, die in den christlichen Gemeinden Juden und Heiden gemeinsam praktizierten.140 Es handle sich deshalb um eine innerchristliche Polemik, die schon in Antiochien aufgrund von Kritik der Judenchristen entstanden sei. Diejenigen, welche die Position der Jerusalemer Gemeinde vertraten, verlangten, dass die Christen heidnischer Herkunft erst beschnitten werden müssten, bevor sie an der Mahlgemeinschaft mit Christen jüdischer Herkunft teilnehmen konnten. Das Argument, auf dem die These Kuhns basiert, ist die mögliche Bedeutung von "laqtykºr als Bezeichnung einer heidnischen Person. Einige neutestamentliche Stellen bestätigen diese Annahme, wie die Gleichsetzung von tek_mai und 1hmijo¸ in Mt 5,46–47 und noch deutlicher das Vorkommen des gleichen Begriffspaars in Mt 18,17 bei der Gemeinderegel 5sty soi ¦speq b 1hmij¹r ja· b tek¾mgr zeigen. Eine entscheidende Funktion für den Vergleich mit der Situation in Antiochien hat nach Kuhn der Ausdruck in Gal 2,12 let± t_m 1hm_m sumesh¸eim und vor allem die Gleichsetzung von Heiden mit Sündern in Gal 2,15 Ble?r v¼sei ûIouda?oi ja· oqj 1n 1hm_m "laqtyko¸. Nach diesem synonymen Gebrauch von Sünder und Heide sei auch "laqtyko¸ in Mk 2,16 als die Bezeichnung für Heiden zu verstehen. Die Perikope sei daher aus einer internen Debatte der christlichen Gemeinde entstanden, um den Vorwürfen der Judenchristen Paroli bieten zu können. Die Perikope habe daher die Funktion, die Vorwürfe gegen die gängige Praxis der Gemeinde direkt von Jesus beantworten zu lassen. Das Zusammensein Jesu mit sündhaften Menschen bei einer Mahlzeit und seine vorgetragene Rechtfertigung legitimieren die gemeindliche Praxis der Mahlgemeinschaft mit unbeschnittenen Christen. Die Tischgemeinschaft von Heiden- und Judenchristen wird somit nicht als ein praktischer modus vivendi erlaubt, sondern sie wird christologisch legitimiert.141 Hultgren spricht von einer apologetischen Funktion dieser Perikope für die Praxis der Gemeinde, die unter dem Vorwurf stehe, sie habe unmoralische Menschen in ihre Gemeinschaft eingegliedert.142 Für Hultgren gilt die allgemeine Regel, dass die Jünger Jesu in den Streitgesprächen für die christliche Gemeinde stehen.143 In diesem Interpretationsmodell einer kirchlichen De-
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nach Bultmann nicht ganz zusammen. Die anderen Evangelisten haben daher versucht, die Geschichte glaubwürdiger zu machen. H.W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 91–96, S. 92: „Die Konfliktszene der Tischgemeinschaft mit den Zöllner und Sündern dürfte sich also auf alle Fälle aufgrund des Kontexts der Sammlung auf das Verhältnis der Judenchristen zu den Heidenchristen beziehen“. W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 94. A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 111: „Mark 2,15–17 was composed, then, and put to use in defending the church’s admission of disputable – in the eyes of opponents – persons into its fellowship“. A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 163, sagt, die Jünger seien „a surrogate for ,church‘“. In der Erzählung geht es aber um das Verhalten Jesu, wie Kiilunen richtig bemerkt, Die Vollmacht
Der Umgang mit Sünde und Sündern in Mk 2,1–12 und 2,13–17
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batte lässt sich auch W. Weiß’s Versuch verstehen, die immer wiederkehrende oQj¸a als Hausgemeinde zu deuten. Das Problem sei deshalb die Koexistenz in der oQj¸a mit vielen Sündern und unmoralischen Menschen.144 Die Hypothese der Einbettung dieser Perikope in die Debatte über Judenund Heidenchristen in der frühchristlichen Gemeinde ist mit einigen Problemen belastet. Die Menschen, mit denen Jesus in der Erzählung des Evangeliums zu Tisch saß, waren keine Heiden. Der Name Levi beweist die jüdische Herkunft des Zöllners. Die Bezeichnung "laqtyko¸ für Heiden ist zwar durch viele Belege bestätigt worden, sie kann aber nicht bei jeder Anwendung dieses Wortes beansprucht werden, vor allem, wenn es narrativ eindeutig ist, dass in der Berufungsgeschichte des Levi keine Heiden vorkommen. In Antiochien stand im Mittelpunkt der Diskussion die Notwendigkeit der Bescheidung der Heidenchristen als Voraussetzung für eine Mahlgemeinschaft, was in unserer Perikope jedoch in keinerlei Weise angedeutet wird. Die Tatsache, dass der Vorwurf an die Jünger Jesu gerichtet wird, muss nicht zwingend als Hinweis auf eine Debatte in der christlichen Gemeinde verstanden werden. Der Vorwurf ist im Gegenteil gezielt auf die Person Jesu gerichtet, der vermutlich zu Lebzeiten und auch später wegen seiner Kontakte mit unmoralischen Menschen selbst als unmoralisch betrachtet wurde. Dies wird sehr deutlich von J. Kiilunen formuliert: So ist der Satz V. 16b am ehesten als ursprüngliches Schimpf- und Spottwort gegen den irdischen Jesus aufzufassen. Nicht als ehrlich gemeinte Frage, sondern als Schmähwort, welches Jesus als religiöse Autorität disqualifizieren und Menschen von ihm abbringen soll.145
Die historische Plausibilität dieses Vorwurfs wird auch durch die Logienquelle Q bestätigt, wo die Anklage noch schärfer formuliert ist. Jesus ist nach diesen Textstellen nämlich Qdo» %mhqypor v²cor ja· oQmopºtgr, tekym_m v¸kor ja· "laqtyk_m (Q 7,34). Der Vorwurf beinhaltet zwei Aspekte, die mit der Tischgemeinschaft in Zusammenhang stehen, nämlich die Maßlosigkeit Jesu beim Essen und Trinken und sein enger Umgang (vikºr hat hier einen pejorativen Unterton etwa wie „Saufkumpan“) mit moralisch suspekten Menschen. Es ist an dieser Logienstelle auffallend, dass das gleiche Begriffspaar tek_mai ja· "laqtyko¸ wie in unserer Perikope ohne jeden Bezug auf die Heiden vorkommt. Der Vorwurf an Jesus, der somit schon in der Logienquelle enthalten ist und daher historisch plausibel erscheint,146 beinhaltet ein weim Widerstreit, 151: „Aber auch wenn dies an und für sich denkbar wäre, bleibt die oben erwähnt Schwierigkeit, dass nicht das Verhalten der Jünger, der ,Judenchristen‘, sondern das von Jesus zur Debatte steht.“ 144 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 89: „Dieser Befund legt die Annahme nahe, daß sich in V. 15a.b das Bild der Hausgemeinde spiegelt, zumal in der Hausgemeinde der Ort der Mahlgemeinschaft zu finden ist“. 145 J. Kiilunen, Die Vollmacht in Widerstreit, 157. 146 E.P. Sanders, Jesus and the Sinners, 6, bemerkt zu Recht: „It is unlikely that the church created
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
sentliches Moment, um die Entstehung dieser Perikope zu erklären. Markus gibt in Form eines Apophthegmas eine Antwort, die besonders für nichtjüdische Leser verständlich ist.147 Mk 2,13–17 behandelt den zweiten Aspekt des Vorwurfs, die Gemeinschaft mit den unmoralischen Menschen betreffend.148 Der erste Aspekt des Vorwurfs aber fällt nicht einfach weg, sondern er ist das Thema der nächsten Perikope, die von der scheinbar harmlosen Feststellung ausgeht, dass Jesus sich nicht der Fastenpraxis, wie sie die anderen zeitgenössischen religiösen Gruppen vertreten haben, anschließt. Die Gegner Jesu erwarten damit die Bestätigung, dass die Jesus–Bewegung eine nicht-asketische religiöse Richtung vertritt. Doch Jesus entgeht mit seiner Antwort zu diesem Punkt der Falle, die seine Gegner ihm gestellt haben.
3.8 Das Motiv des Arztes als Argument Jesu (Mk 2,17) Die Antwort Jesu basiert auf einem bekannten Motiv des heilenden Arztes, das vor allem in verschiedenen griechischen Apophthegmen zu finden ist. Es handelt sich jedoch um einen speziellen Gebrauch dieses sonst sehr mannigfaltig verwendeten Bildes,149 in dem die ärztliche Sorgfaltspflicht gegenüber den Kranken betont wird. Eine Variante dieses Motivs des Arztes verwendet Antisthenes, der wegen seines Umgangs mit den bösen Menschen getadelt wurde. Antisthenes rechtfertigt sein Verhalten, indem er die Erfahrung des Arztes als Beispiel from nothing the charge that Jesus associated with sinners, but once that the charge was fixed in tradition, it would appear that further sayings could be generated“. W.O. Walker, Jesus and the Tax Collectors, 221–236, vertritt sechs Punkte, die gegen jede Historizität des Umgangs Jesu mit den Zöllnern sprechen und die ich kurz nennen möchte: 1) Die Tradition dieses Umgangs findet sich nur in den Evangelien. 2) Einige Traditionen vertreten eine negative Meinung über die Zöllner (Mt 5,46–47; 18,15–17, 21,31–32). 3) Mt 11,18–19/Lk 7,33–34 enthalten Vorwürfe der Gegner und können nicht als historische Fakten angenommen werden. 4) Mk 2,13–17 und Par und Lk 19,1–10 sind fiktive Erzählungen. 5) Keiner der Zwölf ist ein Zöllner und heißt Matthäus. 6) Die Evangelien haben das aramäische „telane“ (was eigentlich für Huren und Lustknaben steht) mit „telonai“ verwechselt. „A translator of the Aramaic traditions about Jesus into Greek, perhaps being unfamiliar with the apparently not widely used Aramaic term, may have simply assumed that the reference was to tax collectors“ (S. 238). Diese Schlussfolgerung kann nach Walker die These Brandons von einem revolutionären Jesus unterstützen. 147 Die Frage, ob Markus die Logienquelle direkt gekannt hat, bleibt natürlich offen. Die zahlreichen Parallelen des Evangeliums mit dieser früheren Quelle können auf der Basis von gemeinsamen Traditionen und nicht zwingend durch eine direkte Kenntnis einer bestimmten diesbezüglichen ,Quelle‘ erklärt werden. Es scheint mir möglich, dass dieser Vorwurf, wie er in der Logienquelle enthalten ist, ein ziemlich verbreitetes Motiv der antijesuanischen und daher antichristlichen Polemik war. 148 Einen Zusammenhang von Mk 2,13–17 und Mt 11,19/Lk 7,35 hat auch W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 96, erkannt, aber nicht entsprechend thematisiert. 149 Vgl. z. B. D.L. 6,4: Antisthenes spricht in dem Bild des Arztes, um die strengen Methoden der Lehrer zu rechtfertigen.
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nimmt. Die Ärzte haben zwar Umgang mit den Kranken, aber sie stecken sich mit ihren Krankheiten nicht an: ameidifºlemor potû 1p· t` pomgqo?r succem´shai, ja· oR Qatqo¸, vgs¸, let± t_m moso¼mtym eQs¸m, !kkû ou puq´ttousim.150
Den gleichen Gegensatz zwischen Gesunden und Kranken wie in Mk 2,17 kann man in einem weiteren Apophthegma über Pausanias finden: 9paimoOmtor dû aqtoO 1m tec´ô let± tµm vucµm to»r kajedailom¸our, eWp´ tir di± t¸ owm oqj 5lemer 1m sp²qt, !kkû 5vucer; fti oqdû oR Qatqo¸ 5vg paq± to?r rcia¸mousim fpou d³ oR mosoOmter diatq¸beim eQ¾hasim.151
Eine weitere Variante dieses Motivs betrifft das Verhältnis der Philosophen zu den Reichen. Dabei kommt die sozialkritische Unterstellung zur Sprache, die Philosophen wollten gerne mit ihrer Weisheit Geld machen. Ein Vorwurf, der seit der Sophistik immer wieder gegen die Philosophie erhoben wurde. 9qytghe·r rp¹ Diom¼siou di± t· oR l³m vikºsovoi 1p· t±r t_m pkous¸ym h¼qar 5qwomtai oR d³ pkous¸oi 1p· t±r t_m vikºsovym oqj´ti, 5vg, fti oR l³m Usasim ¨)m d´omtai, oR d³ oqj Usasim)152
Diesen Beispielen kann man entnehmen, dass das Bild des Arztes oft in polemischen Zusammenhängen zu finden ist. Es stellt daher eine typische apophthegmatische Antwort dar, die nicht genau erklärt zu werden braucht, sondern die Unterstellung oder den Vorwurf der Gesprächspartner neutralisieren soll. Aus der Perspektive antiker Dialektik kann man beobachten, dass Jesus mit dieser Antwort den Vorwurf eines unmoralischen Lebenswandels 150 D.L. 6,6: „Als ihm vorgeworfen wurde, er habe Gemeinschaft mit den Bösen, sagte er: Auch die Ärzte haben Umgang mit den Kranken, ohne aber Fieber zu bekommen“. 151 Plut. apoph. laec. 230 f: „Weil er die Spartaner nach seiner Flucht in Tegea sehr lobte, fragte ihn einer, „warum bist du nicht in Sparta geblieben und bist du geflüchtet?“ Er sagte: „Weil die Ärzte nicht bei den Gesunden, sondern bei den Kranken zu verweilen pflegen“. Dieses Beispiel kommt in vielen Variationen vor. Philo, prov. 2,7. D. Chrys. or. 8,5. Ein Beispiel aus der lateinischen Literatur findet sich bei Tacitus, dial. or. 41. Tacitus thematisiert hier die Funktion des Redners, die notwendig ist, weil keine Gesellschaft das Verbrechen und das Unrecht völlig beseitigt hat. „Quod si inveniretur aliqua civitas, in qua nemo peccaret, supervacuus esset inter innocentes orator sicut inter sanos medicus. Quo habet in iis gentibus, quae fermissima valitudine ac saluberrimis corporibus utuntur, sic minor oratorum honor obscurioque gloria est inter bonos mores er in obsequium regentis paratos.“ Der Irrealis zeigt, dass die Redner wie die Ärzte notwendig sind. Interessant ist der Gebrauch des Verbs „peccare“, das hier die allgemeine Bedeutung von „Unrecht tun“ erhält. In einem weiterer Stelle betont Tacitus, dass diejenigen, die sich als Gesunde darstellen, mehr für Krankheiten anfällig sind: dial. or. 33: „Prope abest ab infirmitate, in quo sola sanitas laudatur“. Jesus vertritt mit seiner Antwort eine sehr ähnliche Auffassung, diejenigen, die sich als Gesunden darstellen, sind für Krankheit noch anfälliger. 152 D.L. 2,69: „Auf der Frage des Dionysios, weshalb die Philosophen an den Türen der Reichen anklopfen, die Reichen aber nicht an den Türen der Philosophen, antwortet er: ,Weil die ersteren wissen, was ihnen nottut, die anderen aber nicht‘“ (übers. von O. Apelt, I, S. 100).
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zurückweist. Der Umgang mit unmoralischen Menschen sei nämlich allein kein ausreichender Beweis, um auf ein unmoralisches Verhalten zu schließen. Es wäre sonst ein Fall für eine fallacia consequentis. Die Funktion des Arztes stellt sich insofern als ein Grenzfall dar, als er als eine Form des Umgangs mit ,Schwachen‘ gelten kann, die nicht zwingend zu sittlichem Verderben führen muss. Der Arzt ist aufgrund seiner Funktion immer in Gesellschaft von Kranken, mit dem Ziel sie zu heilen. Der dialektische Zusammenhang zeigt m. E. den nicht authentisch jesuanischen Charakter dieses Logions, welches viel eher in einen moralischen Diskurs passt. Das Beispiel des Arztes würde aber nicht in einer Diskussion über rituelle Reinheit anwendbar sein, weil aus der Perspektive der rituellen Reinheit der Umgang mit Sündern oder Verbrechern immer zur Verunreinigung führt. Das Beispiel des Arztes, der nach den griechischen und römischen Autoren nicht angesteckt wird, vielmehr zur Heilung der Kranken wirkt, wäre daher in einer Debatte über die Reinheit untauglich. Die Frage nach der Herkunft dieses Ausspruchs lässt sich durch die zwei Argumente der literarischen Abhängigkeit von den griechischen Apophthegmen und der Anwendbarkeit in einem moralischen Diskurs klar beantworten. Die Versuche, das Logion als eigenständige Schöpfung der christlichen Gemeinde zu deklarieren, scheinen mir methodisch fragwürdig. Ebner bemerkt einen terminologischen Unterschied zu den griechischen Beispielen, vor allem in der Bezeichnung in 2,17 für „krank“ jaj_r 5weim (statt j²lmeim oder mose?m) und für „gesund“ Qsw¼eim (statt rcia¸meim), die im Griechischen als nicht ganz passend erscheinen muss. Obwohl er keine Belege aus dem Alten Testament außer der Vorstellung Gottes als Arzt (Ex 15,26) anführen kann, vermutet Ebner den Ursprung dieses Spruchs in einem aramäischen Logion.153 Ebner weist dabei auf einen weiteren Aspekt hin, der die Störung der Parallelität zwischen den Subjekten in 17a und 17b betrifft: In dem Arzt-Logion sind die Kranken und nicht der Arzt das Subjekt, während im Gkhom-Satz das Subjekt das Ich des Sprechers ist. Die griechischen Apophthegmen haben immer den Arzt als Subjekt: „Das ist zugleich ein erster Grund, weshalb das ntl. Logion nicht direkt aus dem hellenistischen Sprachgut übernommen sein kann“.154
153 M. Ebner, Jesus als Weisheitslehrer, 155: „Das ntl. Arztlogion zeigt eine strukturelle Selbständigkeit sowohl dem Botenspruch als auch den hellenistischen Parallelen gegenüber. Es kann also weder eine sekundäre Analogiebildung zum Botenspruch noch eine direkte Übernahme des hellenistischen Sprichworts angenommen werden.“ Nach Ebner ist das hellenisierte Galiläa der Ort, in dem das Sprichwort verfasst wurde. 154 M. Ebner, Jesus als Weisheitslehrer, 154. Das gleiche Argument, das auf dem Unterschied des Subjekts basiert, führt auch W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 91–92, an. Weiß denkt dabei an eine Bildung in der Gemeinde: „Das selbständige Logion dürfte in Analogie zu griechisch-philosophischen Argumentationsmustern von der Gemeinde gebildet worden sein“.
Der Umgang mit dem Fasten Mk 2,18–22
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Der Gkhom-Satz führt das Bild aus seiner weisheitlichen Herkunft auf eine christologische Ebene,155 die, wie so oft bei den Streitgesprächen, mit allgemeinen Zügen gezeichnet wird. Die Gegenüberstellung der Kranken zu den Gesunden wird in eine ethische (und theologische) Opposition zwischen Gerechten und Sündern übersetzt. Jesus versteht seine Mission in der Berufung der Sünder. Das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium versuchen diese theologische Aussage zu vertiefen und deutlicher zu beschreiben: Matthäus mit dem Zitat von Hos 6,6, was ein theologisches Kriterium prophetischer Herkunft ist und in der Diskussion über den Kontrast zwischen Opfer und Barmherzigkeit eingeführt wird; Lukas mit der Notwendigkeit zur Umkehr (eQr let²moiam). Nach W. Weiß stellt dieser Satz eine spätere christologische Reflexion über die Streitgespräche zur Tischgemeinschaft dar.156 Abschließend kann festgehalten werden, dass der Text aus einem Vorwurf gegen die Person Jesu gebildet wurde. Die Tatsache, dass das Motiv des Arztes nicht für eine Diskussion über die rituelle Reinheit angewendet werden kann (es gibt in diesem Fall keinen positiven Umgang), sondern nur in einer allgemeinen Diskussion über die moralischen Folgen einer solchen Gemeinschaft, spricht gegen die Einbettung dieses Apophthegmas in die Debatte der frühchristlichen Gemeinde. Es scheint mir wahrscheinlicher, dass dieser Text aus einer neuen Bearbeitung eines Vorwurfs gegen Jesus entstand, der schon in der Logienquelle enthalten ist. Anders als in der Logienquelle, wo keine dialektische Antwort gegeben wird (man stellt nur die Widersprüchlichkeit der Haltung der Kritiker Jesu fest, die Johannes als zu asketisch und Jesus als zu libertinistisch ansehen müssen), führt Markus ein Argument aus der griechischen Welt ein. Das ist ein weiteres Element seiner Apologie Jesu.
4. Der Umgang mit dem Fasten Mk 2,18–22 4.1 Formale Analyse von Mk 2,18–22 Die Perikope wird von einer Feststellung über die Jünger des Johannes und über die Pharisäer (sie waren beim Fasten, eQl¸ + Partizip) eingeleitet, die dann zur Frage an Jesus weitergeführt wird, warum Jesu Jünger nicht fasten. Diese Frage, die das Thema der Perikope beinhaltet, betrifft die Konsensfähigkeit der Lehre Jesu. Dabei wird seine Fastenpraxis mit der Praxis von zwei ähnlichen religiösen Gruppierungen, der Gruppe um Johannes den Täufer und den Pharisäern, verglichen. Hierbei werden die Pharisäer als eine Schule beschrieben, die auch lahgta¸ hat, was jedoch von manchen Autoren in 155 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 95, sagt dazu: „In Hinblick auf die Komposition ist daher von einem christologischen Kommentar des Ganzen zu sprechen“. 156 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 94.
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
Zweifel gezogen wird.157 Die Identität der Fragenden wird hier ausnahmsweise nicht geklärt, ebenso sind der Ort und die Zeit unbekannt. Der Akzent liegt damit ausschließlich auf dem Vergleich religiöser Gemeinschaften in ihren Ansichten. Jesus antwortet auf die Frage, warum seine Jünger nicht fasten, nicht direkt, sondern er erklärt seine Position indirekt durch drei Bilder, die eine gleichsam allegorische Bedeutung annehmen.158 Das erste Bild betrifft die Hochzeit und reicht bis zum V.20. Es handelt sich hierbei vielleicht um die Anspielung auf ein Sprichwort: Gefastet werden kann auf einer Hochzeit, einem dem Alltag enthobenen Zeitpunkt, nicht. Erst wenn die Feierlichkeiten beendet sind und der Bräutigam entschwunden ist, kehrt der Alltag zurück und die Zeit zum Fasten ist wieder gegeben.159 Ein besonderer Ausdruck ist hier oR uRo· toO mulv_mor,160 wörtlich „die Söhne des Hochzeitszimmers“, der für die Freunde des Bräutigams oder für die Hochzeitsgäste steht. Die syntaktische Struktur ist dreiteilig und besteht aus einer rhetorischen Frage (lµ d¼matai) in 19a, der erwarteten negativen Antwort in 19b oq d¼mamtai und dem futurischen Teil mit drei temporalen Bestimmungen Bl´qai, ftam und 1m 1je¸m, t0 Bl´qô. Das zweite und das dritte Bild in V. 21 und V 22 haben eine ähnliche Struktur, beide sind von oqde¸r eingeleitet, d. h. es wird eine Handlung beschrieben, die der alltäglichen Erfahrung widerspricht. Die Formel eQ d³ l¶ schildert die destruktiven Konsequenzen dieser Handlung mit den Verben aUqeim und !pokk¼eim. Beide Gleichnisse enthalten die Opposition zwischen alt und neu, (V. 21 %cmavor und jaimºr / pakaiºr; V. 22 m´or /pakaiºr). Nur in V. 22b finden wir einen !kk²-Satz, der die angemessene Handlung beschreibt, nämlich die Füllung von neuen Schläuchen mit neuem Wein.
157 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 59: „,Die Pharisäer‘ haben keine Schüler, und wenn einzelne Pharisäer einen Schulkreis sammeln, so tun sie es, weil sie Rabbinen, nicht weil sie Pharisäer sind.“ Dieser Punkt ist auch auf der textuellen Ebene unsicher. Textvarianten zeigen den Versuch, oR lahgta· t_m Vaqisa¸ym und oR Vaqisa?oi in V. 18a und 18b einander anzugleichen. 158 Vor allem das Bild der Hochzeit scheint diesen allegorischen Charakter anzunehmen, indem der Bräutigam, seine Wegnahme und der Tag der Entführung eine christologische Anwendung finden können. M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 9, schreibt: „Der vorliegende Text will als Allegorie auf Jesus, den Bräutigam, und die Jünger, die Hochzeiter im Reich Gottes, verstanden werden und verurteilt das Fasten für Jesu Lebezeiten, stellt es aber für die Zeit nach seinem Tode sicher.“ 159 Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, bemerkt den „kunstvollen Rhythmus der semitischen Vorlage“ (S. 8) und den chiastischen Aufbau der Verse, den er so umschreibt: „mit Bräutigam kein Fasten, ohne Bräutigam Fasten!“ (S. 9). 160 Das Wort mulv¾m bedeutet in Tob 6, 14. 17 eigentlich das Schlafzimmer.
Der Umgang mit dem Fasten Mk 2,18–22
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4.2 Die Frage nach dem Fasten Das Fasten ist in der Tora nur einmal im Jahr vorgeschrieben, nämlich am Versöhnungstag (Lev 16,29.31; 23,27.32; Num 29,7). Das hebräische Verb, das in diesen Texten benutzt wird, ist 8DF im Pual, was aber mehr als den Verzicht auf Essen bezeichnet. Es drückt eine Form von Selbsterniedrigung und Selbstminderung aus.161 Das eigentliche Verb, das für das Fasten benutzt wird, ist AlJ. (2 Sam 12,16–17). „Inhaltlich“, schreibt Preuß, „meint das Verb und das Nomen ,Fasten‘ einen völligen oder teilweisen Verzicht auf Speise und Trank (…) das im Normalfall einen Tag lang dauert“.162 Sacharja (7,3.5) berichtet von einigen festgelegten Tagen im Jahr, an denen man fasten muss, nämlich im 5. und im 7. Monat.163 Der Prophet selbst ruft zusätzliche Fastenstage im Namen des Herrn für das ganze Volk (Sach 8,18) aus, was im Grunde auch die Aufgabe eines Königs sein könnte (1 Kön 21,9; Jer 36,9; Jon 3,5). Je nach Anlass war das Fasten ein Moment des gemeinschaftlichen Kults oder auch der privaten Frömmigkeit. Man kann durchaus individuell für eine private Angelegenheit fasten wie z. B. Judith, die nach dem Tod ihres Mannes fastet (Jud 8,1–6) oder als Buße für einzelne Sünden (PsSal 3,8).164 Im Buch Sirach kann die Bedeutung des Fastens als Buße für Sünden gefunden werden: %mhqypor mgste¼ym 1p· t_m "laqti_m aqtoO (Sir 24,36). Der Mischna-Traktat „Taanit“ (Fasten) schreibt ein Fasten in einer Zeit der Dürre vor, um Regen zu erbitten, oder am 9. Ab als Erinnerung an die Zerstörung des Tempels.165 Gemäß den Informationen, die in Lk 19,9–14 enthalten sind, fastete der Pharisäer zweimal in der Woche, vermutlich am Montag und am Donnerstag, weil am Sabbat nicht gefastet werden darf. Die Definition Tritojesajas vom Fasten, das Gott gefällt, zeigt die prophetische Kritik des Fastens als einer äußerlichen Haltung, die nur Verzicht auf Essen und Trinken bedeutet, ohne die notwendige innere Buße zu bedenken. In dieser Stelle wird die Bedeutung des Fastens als Selbstminderungsritus betont.166 Diese Position 161 E.S. Gerstenberger, Art. 8DF, 255: „Der Beter beugt sich in den Staub, fastet, demonstriert seine Nichtigkeit“. 162 H. Preuß, Art. AlJ, 959. 163 Das Verb kommt in diesen Stellen zusammen mit 7HE „klagen“ vor, was die breite Bedeutung von Fasten unterstützt. 164 PsSal 3,8: „Er sühnt unwissentliche Sünde durch Fasten und demütigt seine (Seele) und der Herr reinigt jeden frommen Mann und sein Haus.“ Dieser Sühne-Charakter des Fastens spielt in der frühjüdischen Frömmigkeit eine große Rolle. Fasten ist ein Mittel, um das Erbarmen Gottes zu gewinnen, und es ist daher ein Bestandteil von Gebet und Buße und ein unablässiges Element des jüdischen religiösen Lebens. 165 mTaan 1,3–7; 2,9; bTaan 10a. 166 Jes 58,5: F=w=( LHû4ú9) C( 2M(9! |2M4L* CB*6! 4(?,! G?*@)8# |M1H!D( A7) 4) N|D, F( A|=. Das sind die wesentlichen Elemente, die * vom Propheten erfüllt werden müssen. E.P Sanders, The Law from Jesus to the Mishnah, 83, schreibt, um das Fasten als Ritual zu charakterisieren: „The overall impression is that fasting mostly consisted of abstinence from food and drink, either entire or partial, but it might also
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
ist auch in der Bergpredigt zu finden (Mt 6,16–18): Das Fasten als solches wird nicht abgelehnt, es wird nur die zweifelhafte äußerliche Haltung kritisiert, die die Anerkennung der Öffentlichkeit sucht und nicht das Erbarmen Gottes. Das Wort oR rpojqita· sjuhqypo¸ in Mt 6,16 kann als der Ursprung der generalisierenden Bezeichnung rpojqita¸ in Did 8,1 betrachtet werden. Die grundsätzliche Frage in der Perikope von Mk 2,18–22 ist, welche konkrete Funktion die Debatte über das Fasten einnehmen soll. Es ist nicht klar, ob es ein Streitthema in der Verkündigung des historischen Jesus, ein Punkt der Polemik der christlichen Gemeinde mit den Pharisäern oder mit den Johannes-Jüngern war oder ob es eine interne gemeindliche Diskussion betraf. Die meisten Exegeten wollen in diesem Text eine Debatte der christlichen Gemeinde zu diesem Thema mit den Pharisäern oder mit den Jüngern des Johannes erkennen. Zum Problem der Einbettung der polemischen Auseinandersetzung aber kommt noch die literarkritische Frage des Textes hinzu, in dem verschiedene Stufen der Tradition unterschieden werden müssen. Dies impliziert eine Entwicklung in der Auseinandersetzung zum Thema des Fastens. R. Bultmann sieht in 2,19a das ursprüngliche Jesus-Logion, die Keimzelle, aus der der Text entstanden ist. Es sei zuerst selbstständig tradiert und dann zur Antwort Jesu auf die Frage nach dem Fasten hinzugefügt worden.167 Die Perikope bildete sich nach Bultmann in verschiedenen Phasen heraus: Die erste Form des Gesprächs sei daher aus 2,18b–19a gebildet, das sich mit der Frage nach dem Verhältnis der Christen zu der Täufergruppe befasst. Die Zufügung von 19b biete hierzu eine Art Korrektur von 19a, durch die die Fastenpraxis in der Kirche gerechtfertigt und in eine nachösterliche Zeit versetzt werde. Mk 2,19b ist nach Bultmann eine spätere Bildung, weil sie „weder dem Stil der Apophthegmen noch der Situation der Gemeinde (…) entspricht“.168 Mk 2,20–22 ist nach Bultmann ein Zusatz des Markus, der hier wieder (wie 18a) ein kritisches Wort zum Fasten dem Text hinzufügen wollte. M. Albertz schildert die Entwicklung des Textes ähnlich, obwohl er die chiastische Formulierung der Allegorie der Hochzeit in der jetzigen Fassung betont, was eigentlich für die Einheitlichkeit von 2,19–20 sprechen würde und nicht für die Unterscheidung zweier Traditionsschichten.169 W. Weiß verweist auf den gleichen Prozess der Überlieferung, der schon von Bultmann nachgezeichnet wurde. Die erste Schicht der Tradition sei – so Weiß – die Grundform des Streitgesprächs, die ausgehend von 2,18–19a gebildet wurde. Das Hauptanliegen dieses Streitgespräches sei eine „relative
include further signs of self-abasement, such as wearing sackcloth, putting ashes on the head, not washing, not anointing and not engaging in sexual relations.“ 167 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 17. 168 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 17–18. 169 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 9.
Der Umgang mit dem Fasten Mk 2,18–22
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Stellungsnahme der Gemeinde zur Bußaskese des Täuferkreises.“170 Das Bildwort der Hochzeit könne ursprünglich aus der Verkündigung Jesu stammen und sei schließlich in das Gespräch eingegliedert worden. Die neue Erkenntnis, die Weiß in die Diskussion einbringt, ist der Zusammenhang dieser Perikope mit Q 7,31–35. In dieser Stelle bezeichnen die Gegner Jesus im Gegensatz zu Johannes als einen Schlemmer und Säufer (%mhqypor v²cor ja· oQmopºtgr).171 Man kann noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen Mk 2,18–22 und Q 7,31–34 feststellen, die für die Interpretation der Perikope eine Rolle spielen können. In der Q-Stelle ist die Metaphorik der Hochzeit ebenfalls zu finden, die die Kinder auf dem Markplatz als Spiel inszenieren. Die Freude der Hochzeit gilt als eine Metapher für die Verkündigung Jesu, während die Predigt des Johannes mit der Trauer einer Beerdigung verglichen wird. Das Fasten gehört zur Frömmigkeit des Johannes (Q 7,33: lµ 1sh¸ym %qtom l¶te p¸mym oWmom), wohingegen Jesus isst und trinkt (b uR¹r toO !mhq¾pou 1sh¸ym ja· p¸mym). Zu dieser These, die eine Polemik zwischen den Christen und den Jüngern des Johannes festzustellen versucht, muss kritisch angemerkt werden, dass der Gegensatz zwischen der Predigt und der Praxis Jesu und der des Johannes kein Signal für eine Polemik der zwei Gruppen darstellt, sondern lediglich, wie es auch in unserer Perikope der Fall ist, die Meinung der Gegner Jesu widerspiegelt. In der Q-Stelle ist der Vergleich mit der Frömmigkeit des Johannes sogar ein Argument Jesu, mit dem er die Widersprüchlichkeit der Meinungen seiner Gegner erweisen will. Sie sind nämlich mit beiden Extremen nicht zufrieden. In Mk 11,27–33 führt Jesus nochmals das Beispiel des Johannes an als ein Argument, um seine Gegner in Verlegenheit zu bringen. W. Weiß sieht Mk 2,19b–20, wie die meisten Exegeten, als eine Hinzufügung, die der Praxis der Gemeinde gerecht werden will und das Nicht-Fasten als eine vorösterliche Bedingung erklärt: „Die zweite Bearbeitung führt diesen Zug konsequent fort, indem jetzt eine bestimmte Fastenpraxis verteidigt wird.“172 Nicht klar ist für Weiß, welche Funktion die weiteren Gleichnisse in Mk 2,21–22 haben – sollen sie womöglich als weiteres Argument für Markus gelten? – und warum Markus wieder in eine kritische Position gegenüber dem Fasten zurückfällt.173 A. Hultgren ist der Meinung, dass die Perikope das Ziel verfolgt, eine neue Fastenspraxis in der christlichen Gemeinde zu begründen und die generelle Ablehnung jeder asketischen Handlung dadurch zu revidieren. Aus dieser Sicht ist nicht die Polemik gegen die Täufergemeinde wesentlich, sondern die rituelle Repositionierung der palästinischen Gemeinde.174 Das neue Element W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 100. W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 102. W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 103. Bei diesem Punkt ist Weiß allerdings vorsichtiger als Bultmann, der hier die Rücknahme einer Kritik der Fastenpraxis annimmt. 174 A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 81: „The story would have been developed at a time and place in which fasting have become an issue in the primitive Palestinian Church. That which 170 171 172 173
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in 2,21–22 betone, dass das christliche Fasten keine Basis in der jüdischen Tradition hat, sondern in einer neuen Zeit und für einen neuen Zweck gestiftet worden sei. „Christian fasting has no basis in Jewish Tradition, but is for a new time and a new and different purpose175.“ W. Thissen hebt die christologische Bedeutung der Perikope hervor und will damit die Grenzen der Aufteilung Bultmanns in drei Traditionsstufen überwinden, da sie „eine schlüssige Gesamtinterpretation“176 erschwere. Die Lösung von Thissen besteht darin, dass das Fasten oder Nicht-Fasten als zwei Bilder für die Zeit der christlichen Kirche stehen, nämlich die Zeit der Freude und die Zeit der Anfechtung. Die Ankunft Jesu eröffne die Zeit der basike¸a heoO als Freudenzeit. Die Hochzeit sei zwar vorbereitet, aber die Gäste werden Anfechtungen erfahren, weil sie mit der Hinwegnahme des Bräutigams konfrontiert werden. Sie folgen Jesus bis ans Kreuz.177 Die dargestellten Interpretationsversuche zeigen die Komplexität der Perikope. Die Frage an Jesus fordert von ihm eine klare Stellungnahme zum Fasten, aber gleichzeitig will die Intention der Fragenden die Position Jesu als des Führers einer nicht-asketischen religiösen Gruppe klar ans Licht bringen. Die Fasten-Frage muss deshalb eindeutig im Kontext der Streitgespräche verstanden werden, die sogar mit einer scheinbar neutralen Ausdrucksweise beabsichtigen, die abtrünnigen Meinungen und Haltungen Jesu nachzuweisen. Eine Polemik der Christen gegen das jüdische Fasten als solches ist nicht belegbar, weil viele neutestamentlichen Stellen für die Verbreitung dieser Praxis in der frühchristlichen Gemeinde sprechen.178 Wenn nun das Fasten
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was remembered – Jesus’ characteristic freedom for fasting for himself and his disciples – was considered applicable no longer after his death.“ A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 82. W. Thissen, Erzählung der Befreiung, 164. W. Thissen, Erzählung der Befreiung, 174, erklärt diese christologische Deutung der Perikope mit den Worten: „Letzteres aber hat es mit dem Kreuz und mit dem Sterben zu tun, so daß auch aus dieser Sicht nicht das Fasten das Primäre ist, sondern die Neuqualifizierung der Zeit, die von der Freude und der Kreuzesnachfolge geprägt ist.“ R.H. Gundry, Mark, 108. Die Stellen, die von einem ursprünglichen christlichen Fasten sprechen, sind zahlreich: Apg 10,30; 13,21; 14,23; 27,9. Die paulinischen Stellen beziehen sich vielleicht auf die allgemeine Bedeutung von mgste¸a als Verzicht auf Essen ohne religiöse Bedeutung (2Kor 6,5; 11,27). In Mt 6,16–18 kritisiert Jesus die Haltung gegenüber dem Fasten, aber nicht das Fasten als solches. Genau wie bei Gebet und Almosen wird an dieser Stelle die Frage nach der richtigen innerlichen Haltung zum Fasten gestellt. Die Position in Did 8,1 ändert nur die Tage des christlichen Fastens und stellt nicht die Notwendigkeit zu fasten in Frage: AR d³ mgste?ai rl_m lµ 5stysam let± t_m rpojqit_m. mgste¼ousi c±q deut´qa sabb²tym ja· p´lpt,7 rle?r d³ mgste¼sate tetq²da ja· paqasjeu¶m. R. Zimmermann, Geschlechtsmetaphorik und Gottesverhältnis, 289, betont zu Recht, dass es eine nicht-fastende Kirche nie gegeben hat. Zimmermann widerspricht der Idee, wonach in Mk 2,18–22 ein Kontrast zwischen dem jüdischen und dem eschatologisch-christlichen Fasten besteht: „In Mk 2,18–20 steht nicht die Frage nach einem generellen Fasten oder Nicht-Fasten zur Disposition, vielmehr geht es um die rechte Zeit zum Fasten! Das lenkt allerdings den Fokus von der Fastenfrage weg zu den Voraussetzungen dieses Fastens.“ (S. 290). Vgl. auch 2Cl 16,4 und Barn 3,3, wo die Diskussion das richtige Fasten betrifft.
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kein Streitthema in der Debatte mit den Pharisäern oder mit den Jüngern des Johannes war, kann sich diese Diskussion nur auf die Person Jesu beziehen: die Frage nach dem Fasten wird für die Gegner Jesu zu einem Exempel für die nichtasketische Position und die „Zügellosigkeit“ der religiösen Auffassung Jesu. Das zeigt einen noch klareren Zusammenhang mit der Stelle aus der Logienquelle (Q 7,31–34) und vor allem mit dem Vorwurf gegen Jesus, er sei ein „Schlemmer und Trinker“. In diesem Streitgespräch sind, wie bei den anderen, für Markus drei Elemente wichtig: a) Die Äußerung eines gängigen Vorwurf gegen Jesus. b) Die listige und unfaire Art, diesen Vorwurf in einer harmlosen Frage zu formulieren. c) Die Widerlegung des Vorwurfs durch eine dialektisch subtile Antwort. Die Darstellung dieser Auseinandersetzungen unterliegt darüber hinaus normativen Kriterien, die als weiteres Argument gegen die Vorwürfe geltend gemacht werden können.
4.3 Die Hochzeit und ihr Ende 1m 1je¸m, t0 Bl´qô Das erste Bild der Hochzeit gehört zum metaphorischen Inventar der Verkündigung Jesu.179 Das Bild öffnet zwei Ebenen eines Verständnisses. Auf der ersten Ebene steht eine Art sprichwörtliche Deutung, nach der die Hochzeit und das Fasten sich gegenseitig ausschließen. Es kann wieder gefastet werden, wenn die Hochzeit zu Ende ist. Der eindeutige Parallelismus in der Formulierung dieses Sprichwortes (Hochzeit – Nicht-Fasten; Hochzeitende – wieder Fasten) widerspricht der Annahme einer Zäsur zwischen 2,19a und 2,19b, die hier zwei verschiedene Überlieferungen zu trennen versucht.180 Die Einheitlichkeit dieser Antwort wird m. E. noch durch die Parallelstelle im Thomasevangelium bestätigt, weil auch dort der gleiche Gedanke einer Wiederaufnahme der Fastenpraxis nach dem Herauskommen des Bräutigams enthalten ist und den Wortlaut von 2,19b bestätigt: 179 Weitere wichtige Stellen sind Mt 22,2; Joh 3,29; 2Kor 11,3; Apk 22,17. 180 J. Dewey, Marcan Public Debates, 92, verteidigt die Einheit dieser Verse. Sie schreibt: „Whatever the tradition history of Jesus’ answer covering the two periods of time before and after his death may have been, the stage of development are not visible in the text found in Mark.“ Für die Einheitlichkeit des Spruchs sprechen sich noch M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 62, und J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 63, aus. Nach Schniewind kann man nicht von einer Fastenspraxis der christlichen Gemeinde sprechen, die 2,19b–20 erklären solle. Die ersten Informationen über das christliche Fasten seien nämlich in der Didache enthalten. Der Spruch sei deshalb authentisch jesuanisch. Charakteristisch ist die Definition des Todes Jesu, der keine Hinweise auf die Freude der Auferstehung hat. „Dann passt unser Wort nur in den Mund Jesu selbst; es trägt aber die Art des Geheimnisses, wie alle Worte über seine Messianität und über seinen Tod.“
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Aber wenn der Bräutigam aus dem Brautgemach herauskommt, dann möge gefastet und gebetet werden181 (EvThom 104).
Der Ausdruck uRo· toO mulv_mor ist ein Semitismus, da er wörtlich den hebräischen Ausdruck 8H8 =D5 ins Griechische übertragen will und eigentlich mit „Hochzeitsgäste“ zu übersetzen wäre.182 Das Hochzeitsfest ist zeitlich begrenzt und man wird nach der Feier in das alltägliche Leben zurückversetzt. Das Ende der Hochzeit wird durch das Heraustreten des Bräutigams aus dem Schlafzimmer gekennzeichnet. Die Ausrufung des Fastens für das ganze Volk in Joel 2,15–16 ist ein spontanes Ereignis, an dem alle beteiligt sein müssen, sogar Säuglinge, die noch Milch aus der Brust der Mutter trinken (m¶pia hgk²fomta lasto¼r) oder Brautpaare inmitten ihres Hochzeitsfests. Das Ende des Festes wird in diesem Fall genau wie im Zitat des Thomasevangeliums durch das Heraustreten des Bräutigams aus dem Schlafgemach signalisiert: 1nekh²ty mulv¸or 1j toO joit_mor aqtoO ja· m¼lvg 1j toO pastoO aqt/r (Joel 2,16). Es ist möglich, dass die ursprüngliche Bedeutung von Mk 2,20 das Heraustreten des Bräutigams war, welches das Ende der Hochzeit und die Rückkehr für alle in das Alltagsleben bedeuten sollte. Der Ausdruck !paqh0 !pû aqt_m b mulv¸or ist offensichtlich eine Erweiterung dieses Gedankens. Zu dieser metaphorischen Deutung des Sprichwortes tritt eine weitere allegorische Deutung hinzu, die eine christologische Relevanz aufweist. Die Allegorie entsteht vor allem durch die Identifikation des Bräutigams mit Jesus, was sich aus dem Dialog selbst nahelegt. Das Verb !pa¸qeim bedeutet eigentlich „wegheben“, „wegführen“ oder sogar „wegreißen“,183 aber der Aorist Passiv kann leicht als ein Bezug auf den Tod Jesu verstanden werden, ohne dass dies semantisch deutlich ausgedrückt wird.184 Der Ausdruck will aber m. E. lediglich das Ende der Hochzeit anzeigen, nämlich den Moment, in dem der Bräutigam das Gemach verlässt. Durch den Gebrauch des Verbs !pa¸qeim wird die Allegorie weiter unterstützt: Jesus ist der Bräutigam und das Entreißen des Bräutigam aus der Hochzeitsgesellschaft ist sein Tod am Kreuz.185 Die Leser 181 EvThom 104,3 (Übers. J. Schröter, S. 138). 182 Dieser Ausdruck findet sich vor allem in der rabbinischen Literatur pSuk 5,53, Ber 5,10; bSuk 5,53. Vgl. R. Zimmermann, Geschlechtsmetaphorik und Gottesverhältnis, 286. 183 Liddell/Scott, 175. Das Verb kann im Passiv auch nicht den Tod eines Menschen ausdrücken. Der Gedanke des Tötens kann mit dem Verb aUqeim nur durch eine Umschreibung ausgedrückt werden wie in Jes 53,8, fti aUqetai !p¹ t/r c/r B fyµ aqtoO !p¹ t_m !moli_m toO kaoO lou Ewhg eQr h²matom, was sicherlich nicht ohne Bedeutung für unsere Stelle ist. 184 P. Mourlon Beernaert, J sus controvers , 142: „L’allusion discr te, sous une forme voil e et nigmatique, la morte violent du Serviteur para t assur e, dans le texte des vangiles“. 185 Eine weitere Deutung des Zeitpunkts dieses Entreißens Jesu ist der Jüngste Tag. Der Grund für diese Interpretation liegt vor allem in der eschatologischen Bedeutung des Ausdrucks 1m 1je¸m, t0 Bl´qô (z. B. Lk 10,12; 2Thess 1,10; Mk 14,25). Diese These wird von G. Braumann, An jenem Tag Mk 2,20, 266–267, vertreten. Bei dieser Interpretation ist aber nicht klar, warum am Jüngsten Tag wieder gefastet werden muss. Denn dann wäre nach Mk 14,25 wieder die Gemeinschaft mit Jesu erneuert und es gäbe keinen Grund für das Fasten. W. Grundmann, Das
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werden geradezu zu dieser Interpretation angeleitet. Wie in den vorigen Perikopen ist auch in dieser die christologische Deutung in der Ausdrucksweise versteckt. Man kann zu der These Thissens, wonach eine Zentralität der christologischen Akzente in der Perikope festzustellen ist, kritisch bemerken, dass die christologische Lektüre der Ereignisse und sogar der Worte Jesu immer versteckt bleibt. Die zeitliche Bestimmung in Mk 2,20 ist redundant: 1ke¼somtai d³ Bl´qai ftam !paqh0 !pû aqt_m b mulv¸or, ja· tºte mgste¼sousim 1m 1je¸m, t0 Bl´qaü. Der Plural Bl´qai (ohne Artikel) am Anfang des Verses entspricht dem Singular Bl´qa (mit Artikel) am Ende des Verses. Das lässt an einen Bezug auf einen bestimmten Tag denken, an dem die christliche Gemeinde tatsächlich fastete.186 Diese Perikope kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der markinischen Apologie erklärt werden. Das Thema bleibt bis zum Ende die Frage nach dem Fasten und die Apologie gegen den Vorwurf einer nicht-asketischen Haltung Jesu. Auch in diesem Fall ist die Christologie eine filigrane Ausarbeitung der markinischen Apologie Jesu. Auf die scheinbar harmlose Frage nach dem Fasten, die die nicht-asketische Haltung Jesu aufdecken soll, antwortet Jesus mit einer sic et non-Aussage: Das Fasten wird zwar von ihm nicht praktiziert,187 aber es handelt sich um eine temporäre Ablehnung, also eine Art Interim, das wie eine Hochzeit das gewöhnliche Alltagsleben unterbricht. Jesus bestätigt zwar die Tatsache, dass er nicht fastet, aber er betont gegen die Erwartung seiner Gegner die Notwendigkeit des Fastens nach dem Weggang des Bräutigams und dem damit verbundenen Ende des Hochzeitsfestes. Zur Unterstützung seiner Apologie betont Markus die Tatsache, dass die Christen an einem ganz bestimmten Tag fasten.188 Jesus ist deshalb kein Vertreter einer Evangelium nach Markus, 66, bezieht sich ebenfalls auf die Zeit der Trübsal vor dem Ende und dem Jüngsten Tag. U. Mell, Neuer Wein (gehört) in neue Schläuche, 8, denkt an einen Bezug auf die Himmelfahrt Jesu. Wichtig sind ihm die Passiv-Form von !pa¸qeim, das an ein passivum divinum denken lässt, und die Parallelen mit der Himmelsfahrt in Apg 1,9–11, vor allem der Gebrauch des Verbs 1p¶qhg. 186 U. Mell, Neuer Wein (gehört) in neue Schläuche, 6–7, widerspricht aber dieser Hypothese mit der Begründung, es sei kein Fastentag in der christlichen Gemeinde bekannt. Die literarische Doppelung „es kommen Tage/an jenem Tag, sei typisch für die prophetische Weissagung“. Er führt als Beispiel Am 8,11 an. 187 Die Historizität dieser Aussage basiert vor allem auf dem Kontrast zu der Johannes-Gruppe. Man darf nicht vergessen, dass sie aus der Polemik gegen den historischen Jesu kommt und ohne Zweifel auf eine Übertreibung zielt. In dieser Hinsicht ist die Meinung von T. Hägerland, Jesus and the Rites of Repentance, 183, treffend. „It remains uncertain how extensive Jesus’ rejection of fasting actually was. Clearly it must have ruled out the practice of regular voluntary fasting that some Christian sources depict as distinctive of Pharisees and possibly other religious movements. On the other hand, it is less likely that Jesus and his disciples refused to fasten even on the Day of Atonement.“ Der Vorwurf gegen Jesus wegen seiner nicht-asketische Haltung wird von Markus ernst genommen und mit diesem Streitgespräch zurückgewiesen. 188 Auf die Frage nach einem bestimmten Tag, an dem die Christen in der Zeit des Markus gefastet haben, gibt es verschiedene Antworten. Man denkt an ein wöchentliches Fasten am Freitag,
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anti-asketischen (oder anti-religiösen und daher blasphemischen) Haltung, wie es seine Gegner zu unterstellen versuchten. Vielmehr sah er selbst eine Wiedereinsetzung des Fastens vor. Eine genaue Bestimmung, was diese Zeit ohne den Bräutigam theologisch bedeutet, ob sie eine Zeit der Abwesenheit des Herrn ist oder eine Zeit des Kreuzes und des Leidens, scheint mir nicht das eigentliche Thema der Aussage zu sein.189 Markus will als Argument geltend machen, dass, wenn die gegenwärtige christliche Gemeinde das Fasten praktiziert, auch Jesus nicht prinzipiell gegen diese religiöse Praxis war, auch wenn er als Säufer und Schlemmer bezeichnet wurde. Er muss diese Praxis des Fastens trotz seiner Vorliebe für die Tischgemeinschaften eingesetzt haben. Die Position Jesu wird mit der Zeit der Gemeinde konfrontiert und ist als eine Art Antizipation der Zukunft zu verstehen, oder genauer gesagt, als eine Anordnung Jesu für die Zukunft. Das Gleiche kann man für das Verhältnis der Christen zum Krieg in Mk 13,14 feststellen. Auch in diesem Fall rät Jesus seinen Jüngern, aus Judäa zu fliehen und sich nicht am Krieg gegen Rom zu beteiligen. Auffallend sind in jener Stelle die Signale für die Leser, die diese Position Jesu gegen den Krieg betonen: b !macim¾sjym moe¸ty (Mk 13,14) rle?r d³ bk´pete7 pqoe¸qgja rl?m p²mta (Mk 13,23). Die Nicht-Beteiligung der Christen am jüdischen Krieg, die allgemein bekannt war, dient hier ebenfalls als Argument, um den Verdacht zu beseitigen, Jesus sei ein antirömischer Revolutionär gewesen. Von der Zeit Jesu muss Markus einen Bogen in die Zukunft (eigentlich in die Gegenwart des Evangelisten und seiner Leser) spannen, um die Entwicklung der Jesus-Bewegung zu zeigen. Die christliche Fastenspraxis der Gegenwart spricht gegen den Vorwurf, Jesus habe Ausschweifungen und Zügellosigkeit praktiziert und verbreitet.
dem Todestag Jesu, z. B. M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 62; E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 62, E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 37, H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 69. An ein Passafasten denkt z. B. J. Jeremias, Art. p²swa ThWNT, 5, 901. Jeremias erwähnt eine alte Tradition bei Epiphanius von Salamis (haer. 70,11,3), nach der die Christen in der Zeit fasteten, in der die Juden feierten. Man kann auch ein Fasten am Karfreitag annehmen, J. Behm, Art. m/stir jtk. ThWNT 4, 933. Es ist möglich, dass eine Fastenpraxis am Freitag oder am Karfreitag verbreitet war. Der einzige Beleg ist allerdings nur in Did 8,1 zu finden. 189 Diese Interpretation findet man bei der Untersuchung von D.S. du Toit, Der abwesende Herr, 33 und 130–133. „Die Zeit nach Jesu Tod und Auferstehung wird nicht nur als Zeit seiner Abwesenheit bestimmt, sondern auch inhaltlich qualifiziert, indem sie von der Zeit seiner Gegenwart abgehoben und von dort her näher bestimmt wird“ (S. 130). Nach Du Toit besteht die Funktion des Markusevangeliums in der Bewältigung der Abwesenheit des irdischen Jesus. Die Pointe in Mk 2,20 ist aber nicht die Abwesenheit Jesu als solche, sondern die Schilderung der Zukunft, in der man fastet. Dieser Blick in die Zukunft (eigentlich in die Gegenwart der christlichen Gemeinde) dient dazu, die Vorwürfe gegen die areligiöse Haltung Jesu zu widerlegen.
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4.4 Das Bildwort vom Kleid und von den Schläuchen Das Doppelgleichnis von Kleid und Flicken und von Wein und Schläuchen wird hier von Markus als eine Präzisierung der vorherigen Antwort zum Thema des Fastens angeschlossen.190 Die Antwort Jesu in 2,19–20 ist der Falle einer klaren Stellungnahme zu einer asketischen Haltung durch eine temporäre Aufhebung des Fastens ausgewichen. Bei Mk 2,21–22 handelt es sich vermutlich um ein echtes Logion Jesu, das noch im Thomasevangelium selbständig tradiert wird.191 Gundry bemerkt zu Recht die thematischen und terminologischen Zusammenhänge mit dem Bild der Hochzeit in 2,19–20. Das betreffe bereits die wichtigen Bilder des Kleides und des Weins im doppelten Bildwort. Für die Feier einer Hochzeit scheine ein besonderes Kleid und eine gewisse Menge Wein unabdingbar.192 Anders als im Text sei es jedoch für eine Hochzeit angemessen, sich in ein neues Kleid zu kleiden und guten Wein zu trinken. Der markinische Text zeige mit dem Flicken eines alten Kleides eine Variation des Bildes, die nicht nur die armen Verhältnisse des zeitgenössischen Orients bezeugt,193 sondern das Argument des Neuen besser ins Zentrum stellt. Die Version des Thomasevangeliums spricht nämlich von einem alten Lappen auf einem neuem Kleid. Eine weitere Verbindung der Gleichnisse zur Allegorie der Hochzeit ist der Gebrauch des Verbs !pa¸qeshai für den Bräutigam in 2,20 und aUqeim in Mk 2,21 in Bezug auf das alte Kleid, das zerrissen wird. Der Bräutigam wird von seinen Freunden weggenommen, und der neue Flicken reißt das ganze alte Kleid auseinander. Die Elemente des Doppelgleichnisses wurden im Laufe der Geschichte oft allegorisch gedeutet.194 Die gemeinsame Pointe der Gleichnisse ist allerdings die Unverträglichkeit von Altem und Neuem und nicht die Überwindung oder die Zerstörung des 190 A. Yarbro Collins, Mark, 199, definiert die Gleichnisse in 2,21–22 als eine Bestätigung der kryptischen Sprache Jesu in den Streitgesprächen. „Jesus again speaks cryptically.“ Doch eher will die Metaphorik dieser Verse eine neue Erkenntnis eröffnen, nämlich das Verhältnis Jesu zum Neuen, das jedes Kriterium in Frage stellt. 191 EvThom 47,3–5: „Kein Mensch trinkt alten Wein und begehrt sogleich, neuen Wein zu trinken. Und neuer Wein wird nicht in alte Schläuche gefüllt, damit sie nicht zerreißen, auch wird alter Wein nicht in (einen) neuen Schlauch gefüllt, auf dass er ihn nicht verderbe. Ein alter Lappen wird nicht auf ein neues Gewand genäht, weil ein Riss entstehen wird.“ 192 R.H. Gundry, Mark, 135. 193 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 61: „Gewohnheiten und Regeln eines ärmlichen Lebens im Orient werden knapp geschildert.“ 194 K.T. Schäfer, … und dann werden sie fasten an jenem Tag, 135, erwähnt einige Beispiele dieser allegorischen Deutung aus der patristischen Literatur, die meistens den Sachverhalt des Gegensatzes alt-neu gesucht haben: Gesetz – Evangelium, die pharisäische Observanz – das Evangelium, Pharisäer – Jünger Jesu. Interessant ist die Deutung der alten Schläuche bei Johannes Chrysostomos, wonach die Jünger Jesu ohne Erneuerung nicht fähig sind die Forderung des Fastens zu erfüllen (S. 136).
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Alten. Gerade diese Inkompatibilität (incompatibility) ist nach Gundry ein weiteres Element, das durch die neuen Bilder in 2,21–22 mit der Hochzeit verbunden wird. Hochzeit und Fasten passen nicht zusammen, wie neuer Flicken und altes Kleid und neuer Wein und alte Schläuche nicht zusammen passen.195 Die Pointe ist daher die Kraft des Neuen, die dem Alten keinen Platz lässt. Das Doppelgleichnis in 2,21–22 kann daher neue Argumente in das Streitgespräch einführen: Jesus vertritt keine nicht-asketische oder gar hedonistische Haltung eines „Fressers und Schlemmers“, wie seine Gegner ihm unterstellen wollten, da er das Fasten nicht prinzipiell ausschließt. Er sagt sogar eine zukünftige Fastenspraxis seiner Jünger voraus, die die momentane Ablehnung relativiert. So ist dem Vorwurf gegen Jesus auf jeden Fall der Boden entzogen. Die Gleichnisse wollen außerdem einen qualitativen Unterschied einführen, der das Fasten der Christen charakterisieren soll.196 Jesus ist kein nicht-asketischer Denker, sondern bringt ein neues Verständnis des religiösen Lebens ein, das sich nicht mit den alten Kriterien vereinbaren lässt.197 Das Doppelgleichnis hat in Lk 7,36–39 eine besondere Variante, die mit der sogenannten ,Weinregel‘ in Lk 5,39 endet. Diese Regel stellt in einer neuen Form das Verhältnis des Alten zum Neuen dar: oqde·r pi½m pakai¹m h´kei m´om7 k´cei c²q b pakai¹r wqgstºr 1stim. J. Flebbe unterscheidet zwei Deutungen dieser Stelle: Nach der ersten Interpretation will Jesus das Neue gegen das Alte hervorheben. Die Weinregel diene daher als negatives Beispiel, um zu zeigen, dass viele Menschen es bevorzugen, beim Alten zu bleiben und das Neue zu verwerfen.198 Nach der zweiten Interpretation wird die Weinregel positiv verstanden. Jesus vertrete zwar das Neue, aber dieses Neue entspreche in Wahrheit dem Alten.199 Flebbe findet beide Lösungen inadäquat und bemerkt m. E. korrekt, dass die Pointe nicht in der Überlegenheit von Altem oder von Neuem liegt, sondern in der Unverträglichkeit dieser beiden Größen, was hier auch schon für die markinischen Gleichnisse festgestellt wurde. Nach Flebbe 195 R.H. Gundry, Mark, 134. 196 U. Mell, Neuer Wein (gehört) in neue Schläuche, 27–31, sieht in den Gleichnissen die Zusammenfassung der vormarkinischen Sammlung der Streitgespräche. Die Bedeutung der Gleichnisse entspreche dem Sinn von Röm 14,17, wo gesagt wird, dass das Reich Gottes nicht im Essen und Trinken besteht. Die antiochenische Theologie verkündige eine neue Gemeinschaft. Die markinische Gemeinde sei daher aufgefordert, das Neue vom Alten zu unterscheiden. „Jeder Kompromissversuch, neu mit alt zu verbinden, führt zu einem irreparablen Schaden“ (S. 28). Die Sammlung betone die neue christliche Auffassung einer Gemeinschaft von versöhnten Sündern, die ohne den Jerusalemer Kult und ohne die Vorschriften der Tora gestiftet sei. Diese Interpretation der Sammlung insgesamt scheint mir aber zu gewagt zu sein. 197 R. Pesch, Das Markusevangelium I, 177, bezieht den Gegensatz auf die ganze vormarkinische Sammlung (2,15–3,6) im Ganzen. Das Alte sei die jüdische Praxis „Alte = jüdische Praxis und neue= christliche Praxis werden jetzt durchweg in den Heiden = Sünder-, der Fasten- und der Sabbatfrage gegenübergestellt.“ E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 34: „Was in Jesus geschehen ist, befreit von aller Flickarbeit. So wird Jesu Wirken noch einmal radikal als Befreiung von aller Werkerei verstanden.“ 198 Diese Interpretation wird z. B. von W. Radl, Das Lukasevangelium, 334, vertreten. 199 Eckey, Lukasevangelium, 265: „Für ihn ist das Alte das wahrhafte Neue.“
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enthält dieser Vers daher keine Regel, sondern er ist eine einfache Feststellung: „Im drittem Bildwort sagt der Erzähler also nur, dass jemand, der gerade alten Wein trinkt oder getrunken hat, dann keinen neuen möchte, weil das geschmacklich nicht zusammenpasst“.200 Den Beweis dieser Deutung findet Flebbe in einer weiteren lukanische Stelle, Lk 9,62, die ebenfalls einen oqde¸rSatz enthält. Diese Stelle weist die gleiche syntaktische Abfolge eines Partizip Aorists und eines Präsens auf und verdeutlicht die gleiche Unvereinbarkeit im Bild von der Hand am vorwärts geführten Pflug bei gleichzeitigem Sich-nachhinten-Bücken. In beiden Bildern ist das Reich Gottes eine Wirklichkeit, die auf einer eindeutigen Entscheidung beruht. Die schon erwähnte Stelle aus dem Thomasevangelium bezeugt die Vorstellung der Unvereinbarkeit von gegensätzlichen Elementen, ohne dass eine Überlegenheit des Neuen über das Alte zur Sprache kommt. Vielleicht kann die Umwandlung des Logions durch die Kategorien von Altem und Neuem schon in der markinischen Version beobachtet werden. Die lukanische Version betont hingegen die Überlegenheit des Alten gegenüber dem Neuen.201
5. Der Umgang mit dem Sabbat 5.1 Die Frage nach der Sabbatobservanz Der Sabbat ist eine der zentralen Institutionen der jüdischen Religion nicht nur für das Selbstverständnis der jüdischen Identität, sondern auch für das Verständnis der jüdischen Lebensweise in der römischen Umwelt.202 Das mannigfaltige religiöse Panorama des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels hat manche Autoren dazu veranlasst, von ,Judentümern‘ statt von einer einheitlichen Religion zu sprechen (zum Beispiel Neusner und Segal).203 Die 200 J. Flebbe, Alter und neuer Wein bei Lukas, 185. Diese Interpretation erfordert es aber, dass der Satz mit k´cei in Lk 5,39b nicht eine Regel des Erzählers ist, sondern die Meinung der Weintrinkenden. 201 R.S. Good, Jesus, Protagonist of the Old, in Lk 5,33–39, 19–36. Das Lukasevangelium hebt nach Good die Bedeutung des Alten hervor: „What is new in Jesus then is the restoration of the old and the fulfilment in him of the promises of God to the fathers of Israel“ (S. 32). F. Hahn, Die Bildworte vom neun Flicken und vom jungen Wein, 270, sieht die lukanische Fassung der Bildworte ebenfalls als sekundär an. Das Ziel sei aber die Bedeutung des Neuen: „Die Warnung, die Integrität des Neuen nicht preiszugeben, ist nötig, weil immer wieder das Alte als das Mildere, Angenehmere, Lieblichere angesehen ist“. 202 Zum gegenwärtigen Forschungsstand vgl. D.K. Falk, Sabbath, EDEJ, 1174–1176. 203 J. Neusner (Hg.), Judaism and their Messiahs at the Turn of the Christian Era, Cambridge 1987, preface, X–XIV; J. Neusner/B. Chilton, Judaism in the New Testament, 54, behaupten gegen Sanders’ These eines „common Judaism“: „Defining that single, encompassing „Judaism“ into which genus all species, all Judaisms, fit helps us understand nothing at all about the various Judaisms. But all we really have in hand are the artifacts of Judaisms. As the prologue has
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Pluralität der Erscheinungen innerhalb des Judentums im ersten nachchristlichen Jahrhundert spricht aber nicht unbedingt gegen das Vorhandensein kollektiver Elemente, die zur Bildung einer gemeinsamen Identität dienen. Sanders nennt diesen Kern, der alle Gruppierungen einigt, den „common Judaism“.204 Dunn benutzt ein Bild, um das gemeinsame Traditionsgut der jüdischen Gruppierungen zu beschreiben. Er vergleicht das Judentum des zweiten Tempels mit einem Gebäude, das auf vier Hauptsäulen steht: Monotheismus, Erwählung des Volkes und des Landes, Bund/Tora und Tempel.205 Interessant für die Definition des Judentums ist die Berücksichtigung einer heidnischen Außenperspektive, die es trotz der Unterschiede der verschiedenen Gruppierungen zulässt, eine gemeinsame Identität zu postulieren.206 Der Sabbat stellt sicherlich zusammen mit der Beschneidung und den Reinheitsgeboten das Herzstück des jüdischen Gesetzes dar, welches daher zum Thema einer Debatte innerhalb und außerhalb des Judentums wurde. Die beiden Perspektiven der internen Debatte im Judentum und des Urteils von außen sind grundlegend für das Verständnis der zwei Streitgespräche über den Sabbat in Mk 2,23–3,6. Die Sabbatruhe ist in einem der zehn Gebote vorgeschrieben (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15), wobei sie nicht nur für jüdische Männer und Frauen, sondern auch für Kinder, Knechte und sogar für Fremde im Land und für Tiere gilt. Eines der Probleme, das das Gebot mit sich bringt und das immer wieder thematisiert wurde, betrifft die Definition der Arbeit, die an diesem Tag verboten ist. Im Fall einer Tätigkeit ist außerdem unklar, nach welchem Maß oder ab welcher Intensität der Aktivität eine Übertretung des Gebots stattfindet. Diese Definition ist zu jeder Zeit kasuistisch behandelt worden. Eine erste Kodifizierung dieser Regeln ist in Ex 34, 21, Ex 35,1–3 und Num 15,32–36 zu finden. In diesen Texten sind vor allem Arbeiten verboten, die mit der
already argued, efforts to find that one Judaism that holds together all Judaisms yields suffocating banalities and useless platitudes: we do not understand anything in particular any better than we did before we had thought up such generalities.“; vgl. auch A.F. Segal, The Other Judaism of Late Antiquity, BJS 127, Atlanta 1987. 204 Vgl. E.P. Sanders, The Dead Sea Scrolls in Their Historical Context, 7–43. 205 J.D.G. Dunn, The Partings of the Ways, 24–48. Besonders wichtig ist Dunns Stellung zur Definition einer gemeinsamen Basis in der Pluralität der verschiedenen Gruppierungen: „We can still speak of a common and unifying core for the second Temple Judaism, a fourfold foundation on which all these more diverse forms of Judaism built, a common heritage which they all interpreted in their own ways.“ (S. 25). 206 S.J.D. Cohen, Common Judaism in Greek and Latin Authors, 72–80, untersucht diese externe Perspektive auf das Judentum und bestätigt die fünf Punkte, die bei Sanders den „common Judaism“ ausmachen: 1) Monotheismus, 2) Sabbat, 3) Beschneidung, 4) Reinheitsvorschriften und Nahrungsgesetze, 5) Jerusalemer Tempel. Viele Autoren können nur vereinzelte Elemente des Judentums benennen. Eine der wichtigsten Schlussfolgerung Cohens ist die Feststellung, dass die Stellen über das Judentum bei paganen Autoren Sanders These eines common Judaism bestätigen (S. 82).
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Landwirtschaft und dem Kochen zusammenhängen (Ex 34,21).207 Der Ernst dieser Verbote wird dadurch deutlich, dass die Übertretung des Sabbatgebots mit dem Todesurteil sanktioniert wird. Das Beispiel in Num 15 zeigt den konkreten Fall der Vollstreckung eines Urteils.208 Die Definition der verbotenen Tätigkeiten am Sabbat wurde nie abschließend durchgeführt, sondern blieb immer von den Vorstellungen der jeweiligen Denkhorizonte der Gesellschaft abhängig.209 Das kann man an der Frage nach der Kriegsführung am Sabbat ersehen. Das erste Buch der Makkabäer erzählt das Schicksal von über tausend Juden, die keinen Widerstand leisteten und daher getötet wurden, da sie den Sabbat nicht brechen wollten. Als Folge dieses Gemetzels beschloss Mattatias, es sei möglich, sich am Sabbat im Fall eines Krieges zu verteidigen: p÷r %mhqypor dr 1±m 5kh, 1vû Bl÷r eQr pºkelom t0 Bl´qô t_m sabb²tym pokel¶sylem jat´mamti aqtoO.210 Pompeius kannte diese Ausnahme des Kriegsverbots am Sabbat im Falle einer Verteidigung, ließ daher seine Truppen nicht gegen die Juden marschieren, sondern erhöhte in dieser Ruhepause ungestört einen Damm.211 Die Frage nach der Definition der „Arbeit“, 8?)4@)B!, war deshalb ein Feld, worüber in den vielen verschiedenen Richtungen des Judentums eine offene Debatte geführt wurde. Die Verschärfung des Gebots ist in zwei noch vor Christi Geburt verfassten Texten dokumentiert: im Jubiläenbuch und in der Damaskusschrift der Qumranrollen. Im Jubiläenbuch wird das Sabbatgebot mit der Schöpfung in Verbindung gebracht (Jub 2,17–33). Anschließend wird in Kapitel 50 eine Liste von Ar207 C. Körting/H. Spieckermann, Sabbat I, TRE 29, 520, setzen diese Stelle in Zusammenhang mit der Priesterschrift und mit der Institution des Sabbat- und Jobeljahrs in Lev 25. 208 E.P. Sanders, Jewish Law from Jesus to the Mishnah, 16, bemerkt das Vorkommen von zwei Verben, die die Strafe noch härter machen. Man spricht nämlich nicht nur von der Hinrichtung des Übertreters, sondern von der Ausmerzung seiner Nachkommenschaft aus dem Volk. „,Cutting off‘ or ,exstirpation‘, seems to be the most grievous punishment in early biblical books. It apparently implies not only death penalty, but also that one will have no progeny, or else they will not be counted within Israel“. B.T. Viviano, Jesus and the Sabbath, 103, versucht die Todesstrafe für die Sabbatbrecher auf diese Weise theologisch zu erklären: Die Sabbatobservanz verleiht Gott die Ehre als dem Schöpfer und dem Geber des Lebens. Der Bruch des Gebots heißt daher, die Existenz Gottes zu bezweifeln. 209 E.P. Sanders, Jewish Law from Jesus to the Mishnah, 7, gibt ein konkretes Beispiel, das für die Interpretation des Gebots relevant ist. In einer Gesellschaft von Börsenmaklern ist Zeitunglesen eine Arbeit, weil daraus die Investitionen bestimmt werden können, während Blumen zu binden keine Arbeit wäre. So wäre es aber umgekehrt in einer Gesellschaft von Gärtnern keine Arbeit Zeitung zu lesen, sondern Blumen zu binden. 210 1Makk 2,41. 211 Jos. B.J. 1,146. Die Tatsache, dass die Römer den Ernst dieses jüdischen Gebots kannten, ist durch weitere historische Informationen belegt. Lucius Antonius gibt den eingebürgerten Juden das Privileg, ihre Gesetze zu befolgen. Die jüdischen Soldaten in römischen Heer durften beurlaubt werden, um ihrem heiligen jüdischen Riten zu folgen Req± Qoudaij± poie?m (A.J. 14,235–237). Julius Caesar befreite Judäa von den Steuern im Sabbatjahr, wyq·r toO 1bdºlou 5tour fm sabbatijºm, weil er wusste, dass in diesem Jahr keine Früchte gepflückt und im Land nicht gesät wurde (A.J. 14,202).
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beiten angegeben, die verboten sind. „Zwischen diesen Kapiteln wird die Erzählung so dargeboten, dass keiner der biblischen Erzväter darin jemals gegen den Sabbat verstoßen hat.“212 In dieser Liste213 steht z. B. das Verbot der Ackerarbeit, des Jagens und Fischens, das Verbot, „einen Weg zu gehen“ (ohne Angabe der Entfernung), und das Verbot, Krieg zu führen und zu fasten.214 Das absolute Kriegsverbot ist von J.P. Meier als eine polemische Stellungnahme des Jubiläenbuch gegen die willkürliche Entscheidung des Mattatias, einen Verteidigungskrieg zu erlauben, deklariert worden. Das Buch vertritt die Position der Zadokiten, wonach das Gebot des Sabbats so zu erfüllen ist, wie auf den an Moses von Gott gegebene Tafeln geschrieben steht.215 Das ist für Meier ein Beweis, dass die Diskussion über den Sabbat sehr offen war, und vor allem, dass die Unterscheidung zwischen geschriebenem Gesetz und Tradition nicht klar gezogen wurde.216 Oft wird in der Schrift betont, dass auf den Bruch des Sabbats die Todesstrafe steht.217 In der Damaskusschrift ist ebenfalls eine Liste von Arbeiten angegeben, die am Sabbat verboten sind. Die Verschärfung der Verbote ist dadurch erkennbar, dass nicht nur landwirtschaftliche Arbeiten im Blick sind, sondern auch kommerzieller Handel mit Heiden verboten wird.218 Man darf sich nicht mehr als Tausend Ellen219 von der Stadt entfernen und das Vieh nicht über zweitausend Ellen von der Stadt entfernt weiden lassen,220 was der Hälfte der in den rabbinischen Schriften vorgeschriebenen erlaubten Distanz entspricht.221 Für die synoptischen Texte sind außerdem folgende Verbote von Interesse: Einem Vieh soll nicht beim Werfen geholfen werden, und wenn es in einen Brunnen fällt, darf man es nicht herausholen. Selbst wenn ein Mensch in ein Wasserloch 212 213 214 215
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R. Goldenberg, Sabbat II, TRE 29, 521. Jub 50,12. In Jub 50,8 steht noch das Verbot des Geschlechtsverkehrs und des Kaufens und Verkaufens. Jub 50,13: „Damit die Kinder Israels Sabbat feiern gemäss den Geboten der Sabbate des Landes – gleichwie es geschrieben ist auf den Tafeln, die er mir in meine Hände gegeben hat, damit ich dir aufschreibe die Gesetze der Zeit und dabei jedes einzelne nach der Einteilung seiner Tage.“ (Übers. K. Berger, S. 556). Problematisch ist für Meier, dass die Ausnahmeregel von Mattatias sogar von Josephus als b mºlor in A.J. 14,4,2 bezeichnet wird. Die Schlussfolgerung von Meier, die oft in seinen Aufsätzen enthalten ist, kann wie folgt erklärt werden: Zum Thema Jesus und Gesetz ist nicht nur der historische Jesus kontrovers, sondern auch das historische Gesetz. Das macht das Problem noch komplexer. Man muss deshalb alles mit großer Vorsicht behandeln. Eindrucksvoll ist das Bild am Schluss seines Aufsatzes, Historical Jesus and the Law, 79: „Both historical Jesus and historical Law are problematic quantities, containing problems within problems. Anyone trying to construct a path through this maze should first post a road sign: Proceed with caution.“ Jub 50,8: „Und ein Mensch, der irgendeine Arbeit an ihm tut, soll sterben“. Jub 50,13: „Und ein Mensch, der jegliche davon tut am Tage des Sabbats, soll sterben.“ CD XI, 15: N5M5 FJ59 C98 @F N5M8 N4 M=4 @;= @4. „Niemand darf den Sabbat entweihen wegen Besitz oder Gewinn am Sabbat.“ CD X,21. CD XI,5. B.T. Viviano, Jesus and the Sabbat, 105.
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fällt, darf man ihm nicht Hilfe leisten und mit einer Leiter oder einem Strick versuchen ihn zu retten. Die pharisäische Interpretation des Sabbatgebots war demgegenüber durch eine gewisse menschenfreundlichere Auffassung charakterisiert, die unter dem spätrabbinischen Prinzip der piquah nefesh (das Leben bewahren) zusammengefasst werden kann.222 Dieses Prinzip gilt vor allem für die Rabbinen der hillelitischen Schule. Die schon erwähnten Fälle, bei denen Hilfe für Menschen und Tiere benötigt wird, interpretieren die Rabbinen im Vergleich zur Damaskusschrift etwas milder.223 Die Verbote bleiben allerdings streng und sind exemplarisch in mShab 7,2 zu finden, wo „vierzig [verbotene] Arbeiten [am Sabbat] weniger eine“ aufgelistet sind. Eine besondere Frage betrifft das Verbot, am Sabbat zu heilen, das in den synoptischen Sabbatperikopen vorausgesetzt wird. Die betreffende Stelle der Damaskusschrift A=DBE 9=@F M=4 4M= @4 „Niemand soll bei sich Medikamente tragen“224 ist tatsächlich nicht eindeutig. J.P. Meier betont die unbestimmte Bedeutung von A=! DB), E(, ein Wort, das „Salben“, „Gewürze“, „Parfüme“, „Medikamente“ und „Gifte“ bezeichnen kann. Außerdem richtet sich nach Meier das Verbot nicht gegen die heilende Wirksamkeit, sondern gegen das Tragen dieser Substanzen, die als eine Last betrachtet werden.225 Das ist seines Erachtens ein zu schwaches Argument, um die Pflege und die Heilung am Sabbat zu verbieten. Meier kommt daher zum Schluss, dass in den jüdischen vorrabbinischen Schriften keine Belege zu finden sind, die die Heilung am Sabbat verbieten würden.226 5.2 Historizität und Einbettung der Sabbatperikopen In der gegenwärtigen Jesus-Forschung wird der Frage nach der Historizität der Sabbatperikope und der Stellung des historischen Jesus zum Sabbat mit einer gewissen Vorsicht begegnet.227 Obwohl die meisten Exegeten gegen die 222 B.T. Viviano, Jesus and the Sabbat, 104. 223 bShab 128b erlaubt das Tier zu füttern, aber nicht ihm zu helfen. Nach mBez 3,4 darf das Tier herausgeholt werden. 224 CD XI,9–10. 225 J.P. Meier, The Historical Jesus and the Historical Sabbath, 300. 226 Die Heilung gehört nicht zu den 39 verbotenen Werken in mShab 7,2 oder in mYomTob 5,2. So schreibt Meier: „The overall impression one gets from these and other rabbinic texts, when viewed in the context of the total absence of any prohibition of healing on the Sabbath in the pre-70 period, is that the post-70 rabbis had developed a new type of Sabbath prohibition concerning healing.“ 227 Eine Zusammenfassung der methodischen Ansätzen und der Positionen in der gegenwärtigen Exegese über die Sabbat-Perikopen gibt L. Doering, Schabbat, 398–402. Er unterscheidet drei mögliche Fragerichtungen: 1) Der historische Jesus und das Sabbat-Gebot, 2) die Überlieferungsgeschichte und die Redaktionsgeschichte der Sabbatperikopen, 3) die redaktionelle Konzeption der Evangelisten. Bei der Frage nach der Position des historischen Jesus zum Sabbatgebot unterscheidet er fünf
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Historizität der Texte argumentieren, fällt eine Bewertung nicht leicht, weil dabei den im Rahmen der Jesus-Forschung aufgestellten Kriterien der Historizität nicht gefolgt werden kann.228 Dieses Problem rief eine methodische Diskussion in der englischsprachigen Fachliteratur hervor. Den Sabbat-Perikopen (Mk 2,23–3,6 par.; Lk 13,10–17; 14,1–6; Joh 5,1–47; 7,14–24; 9,1–41) sollte prinzipiell eine gewisse Historizität zugeschrieben werden, da sie in allen Evangelien enthalten sind (mehrfache Bezeugung) und in verschiedenen Varianten das gleiche Muster des Vorwurfs gegenüber Jesus nach einer Heilung aufweisen.229 Für die neue Jesus-Forschung bringt die Historizität dieser Perikopen das zusätzliche Problem mit sich, dass sie eine kritische Position Jesu gegenüber einer so tragenden Säule der jüdischen Religion, wie es der Sabbat ist, implizieren.230 Die Frage der Historizität der Sabbatperikopen betreffend, kommt J.P. Meier aufgrund der fehlenden Informationen zu einem non liquet und entzieht sich so einer Urteilsbildung. Allerdings plädiert er in seinen späteren Publikationen immer deutlicher gegen die Historizität.231 Sanders bestreitet
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verschiedene Positionen: a) Jesus war gegen das Sabbatgebot, b) Jesus war gegen die pharisäische Sabbat-Halacha, c) Jesus habe nur die pharisäische Kasuistik bestritten, d) die Position Jesu zum Sabbat war eschatologisch geprägt, e) Jesus hat das Gebot und die übrige Tora vollständig erfüllt. Diese Positionen können leider nicht ausführlich diskutiert werden. Es scheint mir aber aus den Argumenten Jesu ersichtlich, dass er an der Diskussion über die Definition des Gebots partizipierte. Mit den Sabbat-Perikopen kann die Abschaffung des Sabbats nicht gestützt werden. Jesus teilt mit den zeitgenössischen Theologen die Bedeutung dieses Gebots für das religiöse Leben. Die Diskussion war offen, aber es ist möglich, dass eine Partei in der Debatte die anderen als abwegig bezeichnet hat. Jesus vertritt eine liberale Position im Verständnis zur Halacha, die in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen den Menschen stellt. Das ist im Grunde die Position, die historisch die Pharisäer vertreten haben und die grundlegend für die rabbinischen Schriften geworden ist. In den markinischen Perikopen sind aber die Pharisäer typisierte Gegner, die eine strenge Observanz vertreten. R. Pesch, Das Markusevangelium I, 183, erwähnt folgende Gründe für die Historizität der Sabbatperikopen: 1) die mehrfache Bezeugung der Sabbatheilungen, 2) der Status der JesusBewegung als Wanderprediger (wie in Mk 2,23–28), 3) das Vorkommen von Vorwürfen gegen Jesus, 4) der Gebrauch von Schriftbeweisen in den Argumenten (7,1–23; 10, 2–9;12,18–27), 5) Jesus muss sich für das Verhalten der Jünger verantworten. Diese Argumente sind aber m. E. nicht zwingend, um die Historizität der Sabbat-Perikopen zu beweisen. D.A. Hagner, Jesus and the Synoptic Sabbath Controversies, 254–255, bemerkt die Erfüllung der drei Hauptkriterien der Historizität (Kriterium der Dissimilarität, der mehrfachen Bezeugung, und der Kohärenz). Weil die Kriterien der Jesus-Forschung nicht als absolut gelten können, bleibt die Entscheidung über die Historizität dieser Texte aber stets willkürlich. „One’s a priori inclination becomes a crucially important factor in deciding for or against historicity.“ (S. 254). J.D.G. Dunn, A New Perspective on Jesus, 62, will die Forschung über den historischen Jesus eher als „the quest for Jesus the Jew“ bezeichnen. M.J. Borg, Conflict, Holiness and Politics in the Teaching of Jesus, 6–7, versteht, zusammen mit einigen anderen Exegeten, den Konflikt Jesu mit den Pharisäern als nicht relevant für seine Wirksamkeit. J.P. Meier, A Marginal Jew 2, 681–685, spricht von einer unklaren Entscheidung über die Historizität der Sabbatperikopen, ein non liquet. Allerdings entscheidet sich Meier in späteren
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die Historizität der markinischen Perikopen mit der Begründung232, dass es in Mk 2,23–28 unklar bleibe, woher die Pharisäer plötzlich auftauchen, ohne vorher genannt zu sein. Es scheint unwahrscheinlich, dass sie die Jünger gerade bei einem Brechen des Sabbatgebots ertappen.233 Wie bei allen Streitgesprächen seien die Argumente Jesu unpassend und daher historisch nicht plausibel. Nach Sanders ist Mk 3,1–6 die unwahrscheinlichste aller Sabbatperikopen, da Jesus hier nur ein Wort verwendet, um den Kranken zu heilen, und dies könne nicht mit der Todesstrafe geahndet werden. Die Exegeten, die die Historizität in Frage stellen, plädieren für eine Einbettung dieser Perikope in die Polemik der christlichen Gemeinde gegen das Judentum234 in der Frage der Sabbatheiligung: eine Hypothese, die auch schon früher in der älteren Formgeschichte vertreten wurde.235 Die Autoren, die sich für die Historizität dieser Streitgespräche aussprechen, betonen die Schwierigkeit, einen Sitz im Leben der Gemeinde für eine Szene wie das Ährenraufen der Jünger Jesu zu finden. Es sei kein ausreichender Grund dafür zu finden, warum diese Erzählung tradiert wurde, außer wenn sie einen Sitz im Leben Jesu gehabt hätte.236 Auch die Hypothese einer Einbettung der Sabbat-Perikopen in die Diskussion der christlichen Gemeinde mit dem Judentum bringt Probleme mit sich. Die Erzählungen sind unzulänglich, um die Sabbatobservanz in Frage zu stellen und den Tag des Herrn an seiner Stelle einzuführen. Die Argumente Jesu in der Debatte müssen außerdem in einer Auseinandersetzung mit dem Judentum als wenig schlüssig erscheinen. Für meine Untersuchung ist es bedenkenswert, wie J.P. Meier diese Einwände in Bezug auf Mk 2,23–28 zu lösen versucht. Nach Meier ist der Text in Palästina vor 70 n. Chr. in einem polemischen Zusammenhang entstanden.237 Die Fokussierung auf die Polemik
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Publikationen für die Nicht-Historizität: The Historical Jesus und the Historical Sabbath, 303: „When one adds to this initial judgement what we have seen in this quick survey, final judgement must tip decidedly in the direction of ,non historical‘.“ E.P. Sanders, The Historical Figure of Jesus, 214–215. Sanders’ Einwände gegen die Historizität des Textes und gegen die Tauglichkeit der Argumente sind schwerwiegend und werden in der Analyse des Textes noch vertieft. E.P. Sanders, Jewish Law from Jesus to the Mishnah, 20–21. Diese Zweifel über den Ablauf der Geschichte sind ziemlich verbreitet. Schon E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 64, bemerkt dieses plötzliche Auftauchen. Die gleiche Probleme bemerkt W. Beare, Sabbath made for man?, 133. E. Lohse, Jesu Worte über den Sabbat, 65, zu Mk, 2,23–28: „Daran ist noch zu erkennen, dass die Geschichte in der vorliegenden Gestalt Gemeindebildung ist, zumal die anschließende Debatte in der Form der Streitgespräche erfolgt, wie sie in der Urgemeinde mit den Juden geführt wurden.“ Der Ort dieser Debatte ist die zeitgenössische palästinische Gemeinde. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 14, hatte die Genese des Streitgesprächs über den Sabbat aus einer Debatte der christlichen Gemeinde mit dem Judentums erklärt. M. Casey, The Plucking of the Grain, 1–23. R. Pesch, Das Markusevangelium 1, 195, erwähnt fünf Gründe, die die Historizität von Mk 2,23–28 beweisen. Für eine gewisse Historizität der Perikope stimmt auch D.A. Hagner, Jesus and the Synoptic Sabbath Controversies, 254–255. J.P. Meier, The Historical Jesus and the Plucking Grain on Sabbath, 580–581. Die polemische
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ermöglicht Meier die Unstimmigkeiten der Argumente Jesu und die Übertreibung im Text schlüssig zu erklären. Polemik basiert auf Übertreibung und verfolgt eher das Ziel, die Identität innerhalb der Gruppe zu stärken als nach außen zu wirken: Religious apologetics and polemics usually do not supply a sober description of either of the two parties engaged in argument. Despite the theoretical purpose of addressing and confuting one’s adversaries outside, most religious apologetics and polemics are directed inward.238
Zu dieser Hypothese Meiers muss jedoch kritisch bemerkt werden, dass die Streitgespräche keine aggressive und disqualifizierende Polemik enthalten, sondern sie versuchen, stichhaltige Argumente zu liefern. Ansonsten wäre es, um die christliche Minderheit zu stärken, viel einfacher und wirksamer gewesen, einen anklagenden Jesus darzustellen, als den in den Perikopen beschriebenen ausgeglichenen Lehrer, der sich bemüht, auf der Basis der jüdischen Tradition kritisch zu argumentieren. Nach den formgeschichtlichen Debatten geht es bei den Sabbat-Streitgesprächen um Konfrontationen in der Frage der Sabbatobservanz. Das ,polemische Thema‘, die Heiligung des Sabats, ist zentral für das religiöse Leben der christlichen Gemeinden und benötigt eine klare Positionierung. Deshalb ist es nötig, neben der Einbettung dieser Texte über den Sabbat in der religiösen Debatte der christlichen Gemeinde mit dem Judentum eine weitere Erklärung zu suchen. Eine apologetische Funktion dieser Debatten scheint mir die plausibelste Erklärung zu sein. Wie in den anderen Streitgesprächen erheben auch hier die Gegner Jesu einen Vorwurf gegen seine Lehre, die im Verhalten der Jünger ihre praktische Umsetzung findet. Auch in diesen Streitgesprächen ist die externe normative Perspektive wichtig. Das Gebot des Sabbats war in der griechisch-römischen Umwelt durchweg bekannt. Jesus kann sich der Vorwürfe erwehren, indem er eine menschenfreundliche Form von Religion vertritt. Der Beschluss in 3,6, ihn zu töten, kann schließlich nur die Ungerechtigkeit dieses Geschehens verstärken. 5.3 Der Text von Mk 2,23–28 Die Perikope beschreibt eine Szene des Alltags. Am Sabbat wandern Jesus und seine Jünger durch die Felder Galiläas und raufen dabei Ähren aus. Plötzlich Einbettung des Textes erklärt Meier wie folgt: „As we consider this scene, we have to recall the „agonistic“ culture of the ancient Mediterranean world, where public debates between contending parties were a matter of honor and shame.“ (S. 579). 238 J.P. Meier, The Historical Jesus and the Plucking Grain on Sabbath, 581. Die gleichen Gedanken sind in J.P. Meier, The Historical Jesus and the Historical Sabbath, S. 303–304, zu finden: „Granted this function of apologetics and polemics, one need not to be surprised that it indulges in exaggeration, caricatures, and stereotypes rather than in sober reporting of opponents’ views.“
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tauchen Pharisäer auf, die Jesus für das Verhalten seiner Jünger tadeln. Die Tatsache, dass in 2,23 der Name Jesu nicht vorkommt, sondern nur das Pronomen aqtºr, verbindet die Perikope mit der vorangehenden. Im Mittelpunkt des Vorwurfs der Pharisäer steht das Verb 5nestim, das die gesetzwidrige Haltung der Jünger betont. Es bleibt aber offen, was genau in den Augen der Pharisäer unerlaubt erscheint: der Gang in die Felder oder das Ausraufen der Ähren. Die Formulierung t¸ poioOsim ist unbestimmt. Der Ausdruck bd¹m poie?m ist nach manchen Autoren ein Latinismus und entspricht dem Lateinischen „iter facere“, was „gehen“ und „spazieren“ bedeutet.239 Andere Autoren deuten die griechische Wendung als „einen Weg in den Feldern bahnen.“240 Der Grund für diese Interpretation liegt im Ausdruck von Ri 14,8 |?,L! 7(, N|2MF#@(, der in der griechischen Übersetzung mit toO poi/sai (tµm) bd¹m aqtoO wiedergegeben wird. Es ist aber unwahrscheinlich, dass das Ährenraufen eine Handlung beschreiben soll, sich einen Weg durch die Kornfelder zu bahnen.241 Die Deutung des markinischen Ausdrucks als ein Latinismus scheint mir deshalb wahrscheinlicher zu sein.242 Der Vorwurf, der Jesus aufgrund des Verhaltens der Jünger in den Feldern gemacht wird, ist nicht deutlich ausformuliert, weil das Pronomen t¸ nicht klärt, in welchem Punkt genau die Sabbatobservanz gebrochen worden sein soll. Man kann vermuten, dass das Verhalten der Jünger das Verbot der Erntearbeit am Sabbat betrifft. Nach Ex 34,21 und vor allem nach mShab 7,2 darf man am Sabbat nicht ernten. Eine weitere Vermutung, wonach die Jünger den erlaubten Weg am Sabbat überschritten haben, kann nicht gestützt werden, weil im Text keine Angaben über Entfernungen zu finden sind. Das Lukasevangelium fügt eine weitere Angabe hinzu, die den Verstoß erklären soll. Die Jünger zerreiben die Ähren mit den Händen, was als eine Arbeit gedeutet werden kann.243 Die Frage beinhaltet m. E. die typische Unbestimmtheit, die in manchen Streitgesprächen zu finden ist, wie z. B. Mk 11,28 1m po¸ô 1nous¸ô taOta poie?r.244 239 E. Haenchen, Der Weg des Herrn, 119; J. Gnilka, Das Markusevangelium I, 121; R.H. Gundry, Mark, 140. 240 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 62–63; E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 35; M. Joel, Mark I, 239. 241 Das bemerkt J. Kiilunen mit Recht, Vollmacht im Widerstreit, 208. 242 Unwahrscheinlich erscheinen mir auch die Interpretationen, die im markinischen Ausdruck einen gewissen Symbolismus sehen wollen. J. Marcus, Mark I, 239, denkt an die Funktion der Jünger, die dem Herrn den Weg zu bereiten. P. Mourlon Beernaert, J sus controvers e, 146, interpretiert diesen Ausdruck als den Gang der christlichen Kirche, die den Sabbat hinter sich lässt und den Tag des Herrn feiert: „c’est- -dire lorsque la petite communaut chr tienne commenÅa vivre et a fÞter le dimanche, le jour du Seigneur, dans la conscience que J sus, le Fils e l’homme, est r ellement Seigneur du sabbat.“ Eine besondere Interpretation legt noch E. Lohmeyer, Das Evangelium nach Markus, 63, vor. Er schlägt vor, bd¹m poie?m eigentlich als de?pmom poie?m zu lesen, weil in Matthäus und Lukas an dieser Stelle Eshiom zu finden ist. 243 Lk 6,1b: ja· 5tikkom oR lahgta· aqtoO ja· Eshiom to»r st²wuar x¾womter ta?r weqs¸m. Schaller, Jesus und der Sabbat, 191. 244 In Mk 2,7 ist der Vorwurf ebenfalls unbestimmt, aber darauf folgt eine deutende rhetorische Frage t¸ oxtor ovtyr kake?; bkasvgle?7 t¸r d¼matai !vi´mai "laqt¸ar eQ lµ eXr b heºr.
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
Die Antwort Jesu besteht aus zwei Teilen: zum ersten aus einem Verweis auf eine Episode des Königs David aus dem Alten Testament in V. 25–26 und zum zweiten aus einem Doppellogion in V. 27 und V. 28. Das Doppellogion ist der Perikope mit dem Satz ja· 5kecem aqto?r beigefügt. Das lässt an eine sekundäre Hinzufügung an die vorangehenden Verse denken. Die Argumente, die Jesus gegen den Vorwurf vorbringt, betreffen dabei vor allem das Essen in einer Notsituation. Die Perikope wird überlieferungsgeschichtlich als nicht einheitlich betrachtet. Umstritten ist ihre Interpretation als ein primäres Streitgespräch und die sekundäre Erweiterung. In der Exegese werden hauptsächlich zwei Hypothesen vorgetragen: a) Mk 2,23–26 bildet das ursprüngliche Streitgespräch ab und V. 27 f ist eine spätere Erweiterung; b) Mk 2,23.27–28 bildet das ursprüngliche Streitgespräch ab und das Beispiel Davids in 2,25–26 ist eine spätere Einfügung. Die erste Hypothese basiert vor allem auf der literarischen Verbindung des Davidbeispiels mit der Ausgangsfrage. Das Doppellogion sei demgegenüber syntaktisch mit dem ursprünglichen Teil nicht gut verbunden, sondern lediglich durch einen einfachen redaktionellen Satz verknüpft.245 Die zweite Hypothese betont in ihrer Beweisführung hierzu im Gegensatz die inhaltliche Stringenz der Perikope. Das Doppellogion betreffe den Sabbat, der das Streitthema ist, während das Beispiel Davids in keinem direkten Zusammenhang mit dem Sabbat stehe.246 Es sei daher folgerichtiger anzunehmen, dass die Antwort Jesu nur aus Mk 2,27 bestand. Beide Hypothesen basieren auf der Annahme einer ursprünglich kürzeren Form des Streitgesprächs, die im Laufe der Zeit und vor allem durch die markinischen Redaktion erweitert wurde. Diese Annahme ist aber nicht verifizierbar, denn es bleibt unklar, aus welchem Grund die kurze Form eine 245 Für diese Hypothese plädieren z. B. M. Albert, Die synoptischen Streitgespräche, 10.14; R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 14–15; E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 65; A. Suhl, Die Funktion der alttestamtlichen Zitate, 82–87; R. Pesch, Das Markusevangelium I, 179; J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus I, 120. J.P. Meier, Plucking Grain on the Sabbath, 572, verleiht dieser Position eine typische Erklärung: „The complete absence of such a pattern in the second and third replies, which lack the same structural integration into the main narrative, and suggests that both v.27 (the anthropological argument) and v. 28 (the explicit christological argument) were added secondarily, either at the same time or in separate stages.“ 246 Diese Hypothese wird z. B. von folgenden Autoren vertreten: W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 90; E. Haenchen, Der Weg Jesu, 120–121; A. Lindemann, Der Sabbat ist um den Menschen willen geworden, 85; A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 113; D. Lührmann, Das Markusevangelium, 64; W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 43–44. Weiß nennt folgende Gründe: a) Das Davidbeispiel hat nichts mit dem Sabbat zu tun, b) im Davidbeispiel spielen die Begleiter keine Rolle, während in der Szene auf den Feldern die Jünger Jesu die einzigen Akteure sind, c) das Hungermotiv, das nach Bultmann wesentlich ist, ist bei Markus im Fall der Jünger nicht erwähnt.
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Erweiterung hätte erfahren sollen. Die mögliche Vorstellung einer Präzisierung bzw. einer Korrektur der vorherigen Fassung scheint mir auch wenig überzeugend. Es liegt deshalb nahe, dass die Perikope durch die markinische Redaktion die jetzige Form eines Apophthegmas bekam. Markus hat die Elemente der Antwort Jesu zusammengestellt: das Beispiel Davids (das vielleicht aus dem Repertoire der Polemik der Gemeinde stammte) und das Logion in 2,27. Mk 2,28 ist hingegen als ein Menschensohnlogion modelliert. Ein weiteres überlieferungsgeschichtliches Problem stellen die Übereinstimmungen der Parallelstellen Matthäus und Lukas gegenüber dem markinischem Text dar:247 Die minor agreements können nicht einfach als eine unabhängige Korrektur der beiden Evangelisten erklärt werden und sind bis dato nicht überzeugend geklärt.248
5.4 Der Text von Mk 3,1–6 Die Perikope spielt sich in einer Synagoge am Sabbat ab, in der sich ein Mensch249 mit einer gelähmten Hand befindet (1ngqall´mgm 5wym tµm we?qa V.1; tµm ngq²m we?qa V. 3). Es gibt keinen Zusammenhang mit der vorherigen Episode und keine genaue Ortbestimmung (vielleicht wieder Kapernaum), lediglich einen Hinweis auf die zeitliche Verortung am Sabbat. Ja· eQs/khem p²kim ist eine übliche Einführungsformel des Markusevangeliums, die auch der Exposition in 2,1 entspricht. Die Gegner Jesu erwarten ihn, um ihn beschuldigen zu können. Das Verb jatgcoqe?m setzt eine gerichtliche Verhandlung voraus und dokumentiert konkrete Pläne, Jesus zum Tode zu verurteilen, die sich in 3,6 konkretisieren. Die Erwartung der Gegner, dass Jesus den Kranken heilen werde, zeigt einen gewissen Glauben an seine übermenschlichen Fähigkeiten, was implizit auch eine Anerkennung der Vollmacht Jesu bedeuten kann. Jesu Reaktion auf diese Erwartung besteht in einer Aufforderung in direkter Rede an den Kranken, aufzustehen und für alle sichtbar in die Mitte zu treten (V.3). V. 4 beinhaltet eine rhetorische Frage Jesu an die 247 J. Kiilunen, Die Vollmacht in Widerstreit, 199–200, zählt 12 Übereinstimmungen von Matthäus und Lukas gegen Markus: 1) Das Fehlen von bd¹m poie?m, 2) V. 23 1sh¸eim als Motiv des Ährenraufens, 3) V. 24 d³ eWpam statt ja· 5kecom, 4) to?r s²bbasim im Relativsatz und nicht im Hauptsatz oqj 5nestim poe?m, 5) V. 24 eWpem statt k´cei, 6) das Fehlen von wqe¸am 5swem, 7) das Fehlen 1p· ûAbiah±q !qwieq´yr, 8) Lºmoir/lºmour bei Lukas und Matthäus, 9) das Fehlen von V. 27, 10) das Fehlen von ¦ste, 11) das Fehlen von ja¸, 12) die abweichende Wortstellung j¼qiºr 1stim toO s²bbatou b uR¹r toO !mhq¾pou. 248 G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 328, sprechen von zwei parallelen Versionen des gleichen Textes. Da aber ein solches Argument grundsätzlich die Zwei-Quellen-Theorie in Frage stellt, sollte es genauer erläutert werden. 249 Es ist unüblich, hier das Substantiv %mhqypor statt !m¶q zu finden. R.H. Gundry, Mark, 149, denkt daher an einen Zusammenhang mit Mk 2,27: „%mhqypor ,a man‘, points to the sort of being for whose sake Jesus has just said the Sabbath might well be violated“.
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
Gegner mit der üblichen Einleitungsformel ja· 5kecem aqto?r. Die Frage stellt einen zweifachen Gegensatz zweier Extreme dar, !cah¹m poie?m und jajopoie?m einerseits und noch stärker xuwµm s]feim und !pojte¸meim anderseits.250 Die rhetorische Frage, die mit diesen Extremen konstruiert wird, betrifft wiederum die Frage nach dem 5nestim, das der Grund der Beschuldigung Jesu ist und im Zusammenhang mit Mk 2,24 steht. Wie später gezeigt wird, nötigt diese rhetorische Frage die Gegner zu einer Widerlegung und begründet umgekehrt ihre Entscheidung, lieber zu schweigen.251 In V. 5 erfolgt die Heilung des Kranken durch den Befehl, die Hand auszustrecken. Ob diese Heilung oder vielleicht der Befehl, die Hand auszustrecken eine Verletzung des Sabbatsgebot ist, bleibt unklar. Im Mittelpunkt steht die üble Absicht der Gegner, Jesus in Rage zu bringen, und nicht die exakte Erörterung einer eventuellen Straftat. Jesu Affektlage wird genau beschrieben: peqibkex²lemor aqto»r letû aqc/r, sukkupo¼lemor.252 Sie wird aber nicht zum Anlass einer aggressiven und destruktiven Aussage Jesu gegen seine Gegner, sondern bewirkt konstruktiv die Heilung des Kranken. Mk 3,6 berichtet die Pläne der Pharisäer und Herodianer, Jesus zu töten.253 Der Ausdruck in 3,6 sulbo¼kiom d¸domai ist ein weiterer Latinismus (consilium facere). In Mk 15 kommt eine Variante dieser Redewendung, sulbo¼kiom poie?m, vor, die den lateinischen Ausdruck im Griechischen noch wörtlicher wiedergibt. Damit wird die Passionsgeschichte mit den Streitgesprächen in Verbindung gebracht. Der Leser weiß aber gleichzeitig, dass die Vorwürfe, die in den Streitgesprächen gegen Jesus erhoben werden, widerlegt sind. Die überlieferungsgeschichtliche Analyse der Perikope ist schwierig und umstritten. A. Hultgren sieht die Perikope als „unitary conflict story“ und bewertet sie damit anders als die vorhergehende Perikope vom Ährenraufen am Sabbat. Diese Bezeichnung charakterisiere eine Perikope, die in der Überlieferung in ihrer fertigen Form zirkulierte. Basis sei eine Erinnerung an 250 Nach A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 83, benutzt Jesus die Technik der Schlussfolgerung a minore ad maius (kal wa-homer) in diesem Logion. Diese Worte sind aber m. E. hyperbolisch konzipiert und ohne konkreten Bezug. M.T. Viviano, Jesus and the Sabbath, 115, denkt an einen Bezug auf die Passion Jesu. R.H. Gundry, Mark, 150–151, sieht darin einen Zusammenhang mit der rabbinischen Debatte. Die Heilung ist aber nicht dringend, so dass es um Tod und Leben geht, sondern man könnte einen Tag warten: „But in a withered hand they see no threat to life, therefore the healing can wait for a day.“ (S. 150). 251 Vgl. H.-U. Rüegger, Verstehen, was Markus erzählt. Philologisch-hermeneutische Reflexionen ‚ zum Übersetzen von Markus 3,1–6, WUNT II/155, Tübingen 2002. 252 Oqc¶ und sukkupe?shai sind hapax legomena im Markusevangelium. Das könnte für einen traditionellen Ursprung dieser Wort sprechen, ist aber kein zwingendes Argument. Nach R. Pesch, Das Markusevangelium I, 189, bezeugt letû aqc/r „die pneumatische Erregung des Wundertäters“. J. Kiilunen, Die Vollmacht im Widerstreit, 234, betont aber auch die Verbindung dieser Affekte Jesu mit dem Mordbeschluss und stellt sie daher eher als markinisches Motiv dar. 253 R.H. Gundry, Mark, 152, sieht in diesem Bericht eine ironische Zuspitzung. Die Hüter des Sabbats wollen den Herrn des Sabbats töten. Sie werden in die Rolle von Mördern versetzt.
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eine wirkliche Episode im Leben Jesu.254 Dieser Vermutung widerspricht die Tatsache, dass formgeschichtlich die Perikope gleichzeitig ein Streitgespräch und eine Heilungsgeschichte ist, was wie Mk 2,1–12 eine komplexere Überlieferungsgeschichte voraussetzt. Der Text lässt aber keine offensichtlichen Merkmale erkennen, um die Präsenz von verschiedenen Traditionsschichten zu beweisen. W. Thissen rekonstruiert die ursprüngliche Fassung der Perikope, die seiner Meinung nach eine Heilungsgeschichte war.255 Wie aus dem Text zu entnehmen ist, streicht er die Anrede an die Gegner als sekundär und ebenfalls die Wiederholung der Anrede an den Kranken. Die These eines einheitlichen Charakters der Perikope gilt als Konsens in der Forschung. Der überlieferungsgeschichtliche Fokus konzentriert sich vor allem in Mk 3,6 auf die Frage, ob dieser Vers redaktionellen256 oder traditionellen257 Ursprungs ist. Nach J. Sauer sind folgende Teile redaktionell hinzugefügt: Mk 3,1a ja· eQs/khem p²kim eQr tµm sumacyc¶m; 3,4b oR d³ 1si¾pym; die anthropologische Bemerkung in 3,5 sukkupo¼lemor 1p· t0 pyq¾sei t/r jaqd¸ar, und Mk 3,6.258 5.5 Der ,Präzedenzfall‘ Davids Mk 2,24–25 Die erste Antwort Jesu auf den Einwand der Pharisäer gegen die Heiligung am Sabbat basiert auf einer Episode in der Geschichte Israels, in der König David Schaubrote (A=D% H), 8( A;û@û) isst. Diese Episode findet sich in 1Sam 21,1–9 und spielt sich im Tempel von Nob ab. Das Beispiel ist jedoch in der markinischen Perikope in verschiedenen Punkten im Vergleich zum alttestamentlichen Bericht geändert worden und weckt daher Bedenken gegenüber seiner wirksamen Anwendung in einer polemischen Debatte. In 1Sam 21 hat David keine Begleiter, so dass der Hohepriester in 21,2 die Frage stellt, warum er allein ist: t¸ fti s» lºmor ja· oqhe·r let± soO; Die für die markinische Erzählung not254 A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 84. 255 W. Thissen, Die Erzählung der Befreiung, 217. Der Text enthält eine einfache Wundererzählung, die dann zu einem Streitgespräch erweitert wurde. Der hypothetischen Text lautet: Ja· eQs/khem eQr tµm sumacyc¶m. ja· Gm 1je? %mhqypor 1ngqall´mgm 5wym tµm we?qa. ja· k´cei t` !mhq¾p\ 5jteimom tµm we?qa. ja· 1n´teimem ja· !pejatest²hg B we·q aqtoO. 256 Für diese Hypothese plädieren R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 9; M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 42: „So ist Mk 3 6 eine pragmatische Bemerkung des Evangelisten, die nicht nur die Geschichte von der gelähmten Hand, sondern den ganzen Abschnitt 2,1–3,5 mit der Passion in Verbindung setzt; es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß sie einen ursprünglichen paradigmatischen Abschluß der Geschichte verdrängt hat.“ J. Gnilka, Das Markusevangelium I, 126; W. Weiß, Eine neue Rede in Vollmacht, 124. 257 M. Albert, Die synoptischen Streitgespräche, 5; R. Pesch, Das Evangelium nach Markus I, 188; W. Thissen, Die Erzählung der Befreiung, 79–89. Der Vers gilt als traditionell, weil die Bezeichnung Herodianer und der Ausdruck sulbo¼kiom d¸domai keine vertrauten Termini des Markus sind. Diese These wird aber dadurch geschwächt, dass beide Wendungen eine lateinische Prägung verraten, was eigentlich auf die Feder des Markus hinweist. 258 J. Sauer, Traditionsgeschichtliche Überlegung zu Mk 3,1–6, 190–191. Mk 3,1b lautete ursprünglich: ja· eWdem b IgsoOr %mhqypom ngq±m 5womta tµm we?qa.
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wendige Nennung von Begleitern (oR let± soO) findet sich im ursprünglichen Text nicht. Es kann sein, dass das Fehlen anderer Menschen durch den Gebrauch der ersten Person Plural in 21,6 erklärt werden kann. David spricht von sich und seinen Freunden, die in den letzten Tagen keinen Verkehr mit Frauen hatten. David allein bekommt aber das Brot vom Hohenpriester, wohingegen bei Markus David die Verantwortung für die Verletzung der Vorschrift trägt und der Hauptdarsteller bleibt: Er isst das Brot und gibt es seinen Begleitern. Ein weiterer Unterschied betrifft den Namen des Hohenpriesters, der in 1Sam 21 Abimelech lautet, während er bei Markus Abiathar genannt wird.259 Der Versuch, den Ausdruck 1p· )biah²q nicht temporal „unter Abiathar“ zu verstehen, sondern narrativ, als Ort im Werk, nämlich „in dem Teil des Buches, wo Abiathar genannt wird“,260 ist nicht überzeugend. Laut Gundry handelt es sich hier um eine intentionale Änderung des Namens, weil Abiathar wohl Priester, aber nicht in Nob, sondern in Jerusalem war. Dieser Ort passe nämlich besser zur Rede Jesu über das Haus Gottes in Jerusalem.261 Die Gestalt Abiathars spielt in 1Sam 22 eine wichtige Rolle, weil er der einzige Priester war, der am Leben blieb, nachdem Saul alle Priester in Nob ermorden ließ. Mit Abiathar beginnt die neue Priesterlinie Jahwes unter David. Dieser Umstand scheint mir jedoch für unsere Perikope wenig relevant. Eine weitere Meinung, 1p· ûAbiah²q könne „in Anwesenheit des Abiathar“ heißen,262 wird nicht von der alttestamentlichen Erzählung unterstützt, weil hier Abiathar nicht genannt wird. Es handelt sich deshalb um einen (vielleicht nichtintentionalen) Fehler des Evangelisten, den die anderen Synoptiker auslassen. Ein weiteres Problem ist der Zusammenhang dieses Textes mit dem Sabbat: Die alttestamentliche Episode ereignet sich nämlich nicht an einem Sabbat. Der einzige Zusammenhang mit dem Sabbat betrifft die Vorschrift, dass die Brote an jedem Sabbat aufgrund der Bundesverpflichtung Israels durch frische ersetzt werden sollten (Lev 24,8). Diese offensichtlichen Unstimmigkeiten führen J.P. Meier zu der klaren Schlussfolgerung, Jesus könne sich derartige Fehler in einer Auseinandersetzung mit Schriftgelehrten nicht erlaubt haben:
259 Nach E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 35, ist dieser Fehler als Gedächtnisfehler zu erklären. Es war sehr schwierig, in einer vollständigen „Schrift“ nachzuschlagen. Schweizer zitiert den Fall eines Bischofs im 2. Jh., der von Kleinasien bis Palästina reisen musste, um ein Exemplar zu finden (Eus h.e. 4,26,14). J. Marcus, Mark I, 241, spricht von einem Fehler, der oft in der Überlieferung vorkommt. Für diesen Exegeten könnte der Fehler aber auch intentional sein, denn die Zeit von Abiathar weist wichtige Parallelen mit der Situation während des jüdischen Krieges auf. David und seine Leute müssen wegen der Verfolgung in ein fremdes Land auswandern, so wie auch die Jünger Jesu gezwungen sind, das Land zu verlassen (S. 241–242). Diese These scheint mir aber unwahrscheinlich. 260 R.H. Gundry, Mark, 141. Als Beleg zitiert Gundry den Gebrauch von 1p¸ mit Genitiv in 12,26, eine Wendung, die eindeutig nicht temporal ist, sondern sich auf einen Teil des Exodus bezieht. 261 Diese These vertritt R.H. Gundry, Mark, 141. 262 Vgl. H. Sariola, Markus und das Gesetz, 100.
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If the historical Jesus made these embarrassing mistakes in his debates over who knows Scripture best, then so be it: the historical Jesus was a scriptural ignoramus.263
Dieser Punkt, der Zusammenhang der Davidsepisode mit dem Sabbat, kann aber mit einer Analyse der griechischen Übersetzung erklärt werden.264 Es ist möglich, dass Markus (oder eine vormarkinische Quelle) diesen Zusammenhang auf der Basis des Septuaginta-Textes erschlossen hat. Die griechische Übersetzung von 1Sam 21,7 ist nämlich an diesem Punkt nicht klar: ja· 5dyjem aqt` Abilekew b Reqe»r to»r %qtour t/r pqoh´seyr fti oqj Gm 1je? %qtor fti !kkû C %qtoi toO pqos¾pou oR !v,qgl´moi 1j pqos¾pou juq¸ou paqateh/mai %qtom heql¹m Ø Bl´qô 5kabem aqto¼r.265
Aus dem letzten Satz ist zu entnehmen, dass Abimelech David die Brote an dem Tag gab, an dem sie durch frische ersetzt wurden, nämlich am Sabbat. Der hebräische Text enthält an diesem Punkt nur eine allgemeine Information, dass man die Brote nur wegnimmt, um an ihrer statt warme hinzubringen.266 Die Vermutung eines Zusammenhangs mit dem Sabbat aufgrund des griechischen Textes kann aber das Problem nicht lösen, dass diese Übertretung nicht direkt etwas mit dem Sabbat zu tun hat. Sie gibt jedoch zumindest eine Erklärung, warum Markus diesen Text aus dem Alten Testament gerade in einem Sabbatkonflikt verwendet. Um die Wirksamkeit dieses Arguments aus dem Alten Testament zu erklären, sind zwei Hypothesen aufgestellt worden.267 Zum einem gilt das Beispiel in der Kontroverse als ein argumentum a fortiori. Das Argument würde sich dann folgendermaßen lauten: Wenn David die Halacha in einer Situation der Not und des Hungers bricht, so können auch die Jünger Jesu die Halacha mit der nicht so schwerwiegenden Handlung des Ährenraufens am Sabbat brechen. Das Problem dieser Interpretation ist jedoch die Tatsache, dass ein argumentum a fortiori immer mit entsprechenden syntaktischen Merkmalen versehen wird, die in diesem Fall fehlen. Es ist nicht klar, ob eine Jesus-DavidTypologie im Mittelpunkt der Argumentation steht oder der Typus des a minore ad maius (Jesus kann sich erlauben den Sabbat zu brechen, weil er 263 J.P. Meier, Plucking Grain on the Sabbath, 579. 264 Dass die Erzählung in 1Sam 21 am Sabbat geschah, ist nur in einem Midrash von Rabbi Shim’on ben Jochai (Mekhsh zu 1 Sam 21,5) und im Talmud Traktat Menacoth 95b bezeugt. Vgl. A. Hultgren, Formation of the Sabbath Perikope, 41. 265 Die deutsche Übersetzung der“ Septuaginta auf Deutsch“ von 1Sam 21,7 lässt diese Doppeldeutigkeit des griechischen Textes nicht erkennen (S. 325): „Und Abimelech, der Priester, gab ihm die Schaubrote, weil dort kein Brot war außer den Broten des Angesichts, die weggenommen wurden von dem Angesicht des Herrn, um warmes Brot vorzusetzen, als man sie (die alten Brote) wegnahm“. Die dritte Person des Aorists bezieht sich auf eine punktuelle Handlung, die nicht als impersonal gelten kann. Es sollte eigentlich heißen: „an dem Tag, an dem er (Abiathar, als einziges Subjekt im Satz) sie wegnahm.“ 266 |;K!@), 8% A|=5,! A;* A;û@û Al2M@) 89) 8= =Dú H!@%, A=L% E)lB,8(; „Sie müssen vor dem Angesicht des Herrn nur weggenommen werden, wenn warmes Brot hingelegt wird an dem Tag, da man es wegnimmt.“ 267 Diese Hypothesen referiert D. Roure, Jesus y la figura de David, 26–28.
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bedeutender als David ist)268 oder a maiore ad minor (das Ährenraufen ist nicht so schlimm wie das Verzehren der Schaubrote). Theißen spricht von einem messianischen Motiv, „Jesus demonstriert seine Vollmacht, die der des David vergleichbar ist“.269 Durch das Beispiel will Jesus aber keine Vollmacht für sich beanspruchen, sondern nur einen Fall aus der Geschichte zitieren, in dem das Gesetz verletzt wurde. Erst später kann mit 2,28 von einer Vollmacht Jesu über den Sabbat gesprochen werden. Diese Unklarheiten machen die zweite Hypothese wahrscheinlicher, dass es sich um eine Analogie ohne weitere Bestimmungen handelt.270 Roure drückt die Analogie auf folgende Weise aus: „acci n no-permitida hecha, tanto por David como por los disc pulos de J sus“.271 Die juridische Betonung im Vorwurf (oqj 5nestim) und im Beispiel zeigen, dass es sich um die Darstellung eines Präzedenzfalls272 handelt. Der Autor will damit zeigen, dass man in der Geschichte Israels einen Fall finden kann, in dem die gesetzlichen Vorschriften in einer Notlage gebrochen wurden. Quintilian beschreibt im Abschnitt seines rhetorischen Werkes über das Exemplum die argumenta ex iure simili.273 Das Exemplum Davids ist aber mehr, weil sich darin eine auctoritas der jüdischen Geschichte zu Wort meldet.274 Das Beispiel bietet deshalb einen Präzedenzfall, 268 Eine Variante dieses Art der Argumentation schlägt du Toit vor, Der abwesende Herr, 73: „Wenn es schon Davids Begleiter erlaubt war, die von Gott eingesetzte Ordnung übertreten zu dürfen, dann umso mehr denen von Jesus, weil er größer als David ist.“ Die überlegene Position Jesu gegenüber David wird nach du Toit in Mk 12,35–37 begründet. 269 G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 239. 270 Quintilian unterscheidet drei Arten der Ähnlichkeit (inst. or. 5,11,5), das simile (ähnlich: 9–12), das dissimile (mit partiellen Unähnlichkeit nach genus, modus, tempus, locus, 13) und das contrarium (das Gegenteilige, 30–31). Das simile ist in weitere zwei Teilen untergliedert, ex totum simile, ex impari. (Das untergliedert er in ex maiore ad minus und ex minore ad maius). Ohne genauere Unterscheidung kann man das Beispiel Davids als allgemein ähnlich bezeichnen. Natürlich gilt David als eine autoritative Figur. 271 D. Roure, Jesus y la figura de David, 26. A. Lindemann, Die Sabbatperikope Mk 2,23–28, 85, „was David durfte, darf auch Jesus“. 272 Ich verwende hier den Begriff in einem technischen Sinne. A. Lindemann, Die Sabbatperikope Mk 2,23–28, 98, benutzt ihn in einem nicht-technischen Sinne. Ein Präzedenzfall im Recht kann eine juridische Relevanz haben, kann für die Jurisprudenz relevant sein. Das technische Wort im juristischen Sinne ist „praeiudicium“: Vgl. K. Hackl, Praeiudicium im klassischen römischen Recht, 18–20. Im Hintergrund dieser Episode steht die Anklage gegen Jesus, er habe die grundsätzlichen Elemente der Religion verletzt. Jesus nimmt in seiner Antwort deshalb einen Fall aus der Geschichte auf, der ihn vom Vorwurf des Gesetzesbruchs entlasten kann. 273 Quint. inst. or., 5,11,32: „illud est adnotandum magis, argumenta duci ex iure simili“. „Mehr der Anmerkung wert scheint mir, dass auch ein ähnliches Recht Beweise liefern kann.“ 274 Quint. inst. or. 5,11,36. Hier behandelt Quintilian die auctoritas, ein autoritatives Beispiel. Eine auctoritas entspricht nach Quintilian dem Präzedenzfall in seiner Bedeutung: „Adhibebitur extrinsecus in causam et auctoritas. Haec secuti Graecos, a quibus jq¸seir dicuntur, iudicia aut iudicationes vocant, (non) de quibus ex causa dicta sententia est, (…), sed si quid ita visum est gentibus, populis, sapientibus viris, claris civibus, inlustribus poetis referri potest. „Von außen her in den Fall hineingebracht wird auch die Autorität, die eine Angabe besitzt. Diese nennt man, nach dem Vorgang der Griechen, die sie jq¸sir nennen, ,Urteile‘ oder ,Beurteilungen‘, nicht durch die in einem Rechtsfall die Meinungsbildung erfolgt (…) sondern wenn man das,
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und es ist nicht entscheidend, wer in der Perikope der Gestalt Davids entspricht, ob die Jünger oder Jesus. Die Autorität Davids gibt dem Beispiel eine besondere Bedeutung. Es bleibt allerdings das Problem, dass sich die Jünger nicht in einer Notsituation befinden, die einen Bruch der Sabbatgebote erfordern würde. Es geht vielleicht hier eher darum, die Grenzen der gesetzlichen Strenge innerhalb derselben jüdischen Tradition zu beleuchten. Der markinische Jesus plädiert für den Vorrang der menschlichen Not (wqe¸am 5weim Mk 2,25) gegenüber den gesetzlichen Vorschriften. Lohmeyer stellt die logische Stringenz dieses Arguments Jesu in Frage. Das Beispiel Davids dient, um eine Ausnahme von einer gültigen Norm, in einem Fall von Hunger und Not zu begründen. In der markinischen Perikope werde jedoch nicht nur keine Notsituation geschildert, sondern werde auch vorausgesetzt, dass für Jesus und seine Jünger die Allverbindlichkeit des Sabbatgebots nicht mehr gelte. Das sei, laut Lohmeyer, eine petitio principii, weil die Unverbindlichkeit des Gebots gerade der Punkt sei, der zu beweisen ist.275 Matthäus revidiert den markinischen Text stark, indem er das Beispiel von David einer genaueren Logik unterwirft. Er versucht die Argumentation dieses Beispiels und des Menschensohn-Logion logisch zu verbinden. Christologisch gedeutet, stellt das Logion eine Klimax der gesamten Argumentation Jesu dar. Der Duktus bleibt aber ziemlich komplex und vermeidet eine Parallelisierung der Gestalten Davids und Jesu. Man kann ihn schematisch so beschreiben: Die Schaubrote dürften nur von Priestern gegessen werden und nicht von David oder seinen Begleitern. Die Priester können außerdem 1m t` Req` den Sabbat brechen, ohne sich strafbar zu machen (Mt 12,5). Jesus beansprucht daher eine besondere Stellung, die höher ist als die der Priester: k´cy d³ rl?m fti toO ReqoO le?fºm 1stim ¨de.276 Die Erwähnung von Hos 6,6 verstärkt die Unschuld Jesu und seiner Jünger bei der Sabbatübertretung und nimmt wieder das Thema der unschuldigen Priester in 12,5 auf. Schließlich (c²q) erklärt das Logion die Herrschaft Jesu über den Sabbat. Um die Position Jesu und seiner Jünger zu rechtfertigen, hätte nur dieses letzte Logion ausgereicht. Matthäus will die Argumentation allerdings auch durch andere Aussagen verbessern. Die Schwierigkeiten der Stringenz des Arguments in der markinischen Perikope zeigen m. E., dass der Text nicht in eine Polemik mit dem Judentum was andere Stämme, Völker, weise Männer, berühmte Mitbürger, bedeutende Dichter über etwas gedacht haben, berichten kann.“ Vgl. auch H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 234: „Die auctoritas ist ein allgemeiner Wahrheitsspruch aus der Folklore oder aus der Dichtung, der vom Redner im Parteiinteresse mit der causa in Beziehung gesetzt wird.“ Im Fall Davids wird keine Sentenz referiert, sondern eher ein autoritatives Beispiel. Die Gestalt Davids ist sicherlich eine Autorität für die Geschichte Israels. Der Begriff auctoritas wird im nächsten Kapitel speziell behandelt. 275 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 64–65. 276 Unerwartet ist hier die Erwähnung des Tempels. Die Priester bekommen ihren besonderen Status, der sie unstrafbar macht, durch den Tempel. Die Wirklichkeit um Jesus (¨de) ist größer als der Tempel.
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eingebettet sein kann. Hier kann die Annahme J.P. Meiers geltend gemacht werden, dass Polemik auf Übertreibung beruht, da die Perikope einen argumentativen Zweck verfolgt. Die Erklärung kann darin liegen, dass der Text eine externe Perspektive darstellt. In den Streitgesprächen ist die extrakommunikative Normativität wesentlich. Sie ist nicht nur dadurch konnotiert, dass es eine chronologische Distanz zu den erzählten Fakten gibt, sondern auch durch die Tatsache, dass Markus die Gestalt Jesu und seine Konflikte mit den zeitgenössischen Theologen für die griechisch-römische Kultur darstellen will. Gerade diese externe Perspektive des Markusevangeliums kann erklären, warum einige Elemente bei einer Überprüfung ungenau sein können. Das Beispiel Davids bietet daher vor allem einen Präzedenzfall, der gegen die Anschuldigung von Blasphemie und der Verletzung einer so zentralen Vorschrift wie derjenigen des Sabbats gegen Jesus nützlich sein kann.
5.6 Mensch und Verbote am Sabbat: die humanitas Jesu Die Argumente in Mk 2,27–28 spielen eine wichtige Rolle, um die Antwort Jesu gegen die Vorwürfe als die des markinischen Jesus zu erkennen und um gleichzeitig die Position des historischen Jesus zum Sabbat zu verstehen, sofern davon ausgegangen wird, dass zumindest 2,27 einen authentischen Ausspruch Jesu darstellt. F.W. Beare bemerkt allerdings, dass kein jüdischer Lehrer die Argumente in Mk 2,27–28, „der Sabbat ist um des Menschen und nicht der Mensch um des Sabbats willen geschaffen“ und „der Sohn des Menschen ist Herr über den Sabbat“ vertreten würde. Sie seien eher dem Gedanken des Protagoras von Abdera ähnlich: „It sounds more like Protagoras of Abdera“.277 Beare bezieht sich auf einen berühmten Spruch des sophistischen Philosophen Protagoras: „Der Mensch ist Maß aller Dinge der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind.“278 Wenn man das Logion Jesu im Lichte dieser Maxime des sophistischen Philosophen liest, dann würde Jesus eine antinomistische Position vertreten, da in der Tora der Wille Gottes und nicht der Mensch das Maß aller Dinge ist. Die Tatsache, dass Jesus dem Menschen Vorrang gegenüber dem Gebot einräumt, relativiert die absolute Gültigkeit des Gebots und passt es an die Not und das Bedürfnis des Menschen an. Anders als bei Protagoras ist das Ziel des Logions aber nicht die Fundierung eines im Menschen begründeten Relativismus, sondern das Verständnis des wahren 277 F.W. Beare, The Sabbath was made for Man?, 132. 278 Protagoras DK 14: „ja· b P. d³ bo¼ketai p²mtym eWmai wqgl²tym l´tqom %mhqypom t_m l³m emtym ¢r 5stim, t_m d³ oqj emtym ¢r oqj 5stim (Sext. Pyrrh 216 f); diese Stelle diskutieren besonders Plato (Crat 385e; Theaet 166d) und Aristoteles (Met. 1062b 13). (Übers. von Th. Schirren/Th. Zinsmaier, Die Sophisten, S. 43.) Problematisch ist vor allem die Behauptung einer absoluten Relativität der Erkenntnis. Plato will vor allem beweisen, dass der Relativismus auch die Behauptung dieses allgemeinen Prinzips unmöglich macht.
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Sinnes des Sabbatgebots. Beares Annahme aber zeigt die Ambivalenz des Spruches, die manche Exegeten als eine Überwindung des Sabbatgebots interpretieren.279 Daher könnte das Prinzip gelten, wonach ein relativiertes Gebot kein eigentliches Gebot mehr ist. Das Hauptaugenmerk sollte aber auf der Bestimmung der genauen Bedeutung des Gebots liegen: Das Gebot enthält den Willen Gottes, dem Menschen zu helfen, es wird damit nicht relativiert, sondern auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückgeführt. Eine wichtige Frage betrifft die Authentizität der zwei Logien und ihr reziprokes Verhältnis. Mk 2,27 ist chiastisch formuliert:
Eine ähnliche chiastische Struktur ist in 2Makk 5,19 !kkû oq di± t¹m tºpom t¹ 5hmor, %kka di± t¹ 5hmor t¹m tºpom b j¼qior 1nek´namto zu finden. Zwei Elemente, die zentral für die Identität des Volkes Israel und des Tempels sind, werden miteinander verbunden, um ein Verhältnis der Priorität zwischen den beiden zu bestimmen. Der Satz in 2Makk hat allerdings als Subjekt den Herrn, der den Sachverhalt so bestimmt, während der Spruch Jesu grammatisch impersonal formuliert ist. Man kann die gleiche syntaktische Struktur auch in bestimmten hellenistischen Sprüchen entdecken, wie M. Ebner zu Recht bemerkt.280 Auffällig ist das Verhältnis von Heilungsmitteln und Gesundheit, das mit einem ähnlichen Ausspruch erklärt wird: cecom´mai tµm rc¸eiam t_m vaql²jym 6meja lµ t± v²qlaja t/r rcie¸ar.281 Die Ähnlichkeiten mit den hellenistischen Sprüchen stellen nicht die Authentizität des Logions in Frage, sondern weisen darauf hin, dass es in hellenistischem Stil formuliert ist. Als Parallele zu diesem Ausspruch Jesu kann aber auch ein Spruch von Rabbi Schim‘on ben Menasja zu Ex 31,14 angeführt werden: „Euch ist der Sabbat übergeben, nicht seid ihr dem Sabbat übergeben“.282 Dieses Beispiel hat aber trotz der ähnlichen Ausdrucksweise eine unterschiedliche Bedeutung. Der Passus richtet sich an das Volk Israel als Ganzes, das durch das Geschenk des Sabbats eine privilegierte Position einnimmt, aber damit soll die Gültigkeit des Gebots nicht eingeschränkt werden. Die rabbinischen Schriften 279 L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments, 144–145, bezieht sich vor allem auf Mk 3,4. Er spricht im Gegenteil von einer Radikalisierung des Gebots: Das Leben steht im Mittelpunkt als totale Forderung und dies lässt das Gebot als wenig bedeutend in den Hintergrund rücken, wie es auch in der Bergpredigt geschieht. S. 145 heißt es: „Jesus hebt das Sabbatgebot als selbständige Einzelsatzung in einer überbietenden totalen Forderung auf“ (kursiv im Text). 280 M. Ebner, Jesus – Ein Weisheitslehrer, 162. 281 Plut. comm not 1071d. Eine Erklärung dieses Spruchs bietet M. Ebner, Jesus – Ein Weisheitslehrer, 164–166, an. Plutarch will damit die Widersprüchlichkeit der stoischen Teloslehre zeigen. Er bietet gleichzeitig das Beispiel des Spaziereingangs und der Verdauung. Man geht spazieren um zu verdauen und nicht umgekehrt. 282 Mekhilta Rabbi Schim‘on ben Menasja zu Ex 31,14.
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beschäftigen sich mit der Entweihung des Sabbats nur im Falle von Krankheit. Der Sabbat darf in bestimmten Situationen entweiht werden, wenn es beispielsweise um die Rettung eines Lebens geht. Lohse betont, dass durch die Worte Jesu ein Perspektivenwechsel vorgenommen wird, dem die Rabbinen jedoch nicht zustimmen können: „Nicht mehr der Sabbat und die Forderung des Gesetzes stehen an der erster Stelle, sondern der Mensch und seine Bedürfnisse“.283 Viele Autoren nehmen einen Zusammenhang dieses Logion mit der Schöpfungstheologie an. Lohmeyer zufolge findet sich in diesem Ausspruch sogar ein Hinweis auf eine exegetische Debatte über die beiden Schöpfungsberichte (Gen 1 ist der Mensch vor dem Sabbat, gemäß Gen 2 nach dem Sabbat geschaffen worden).284 Die zwei Schöpfungsberichte können zwei gegensätzliche Auffassungen begründen, entweder bekräftigt man mit Gen 2 die Priorität des Sabbats gegenüber dem Menschen oder man postuliert die Priorität des Menschen mit Gen 1. Dies stellt aber kein sicheres Kriterium dar: Man könnte ebenfalls ungekehrt argumentieren, dass der Sabbat in Gen 1 die Krönung der Schöpfung ist, oder wie im Jubiläenbuch, dass der Sabbat überhaupt nicht geschaffen wurde.285 Die Schöpfungstheologie kommt außerdem nicht deutlich an dieser Markus-Stelle vor. Das Verb c¸cmeshai hat in dem Logion eine allgemeine Bedeutung, die ähnlich wie bei Plutarch (com. not. 1071) auch im Ausspruch Jesu evoziert werden soll und nicht unbedingt auf die Schöpfung Gottes hinweisen muss.286 Die Übersetzung von M. Ebner scheint mir daher berechtigt: „Der Sabbat ist wegen der Menschen da und nicht der Mensch wegen des Sabbats“.287 Eine weitere Frage im Text ist das Verhältnis von 2,27 zu 2,28, der Zusammenhang zwischen einem anthropologischen (%mhqypor) und einem christologischen (uR¹r toO) !mhq¾pou) Logion. Es ist Konsens, Mk 2,27 als ein authentisches Logion des historischen Jesus zu betrachten und 2,28 als eine Bildung der christlichen Gemeinde,288 weil dieser Vers eine christologische Bedeutung hat, und es scheint unwahrscheinlich, dass diese auf Jesus zurückgeht. Die zwei Logien sind durch ¦ste
283 E. Lohse, Jesu Worte über den Sabbat, 68. Lohse argumentiert vom Schöpfungsbericht her, wo klar ist, dass der Mensch vor dem Sabbat geschaffen wurde. Man könnte aber umgekehrt argumentieren, dass der Sabbat die Krönung der Schöpfung darstelle. 284 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 65–66. 285 Interessant ist dabei die Definition von M. Ebner, Jesus – ein Weisheitslehrer, 170, zu Jub 2,30, der Sabbat sei ein „präexistentes himmlisches Phänomen“, das der Schöpfung einfach präsentiert wird. 286 Die meisten Exegeten aber schreiben diesem Verb die Bedeutung ausgehend von der Schöpfung Gottes zu, z. B. B. Schaller, Jesus und der Sabbat, 139; L. Doering, Schabbat, 418–419. 287 M. Ebner, Jesus – Ein Weisheitslehrer, 171. Die Übersetzung befreie den Text „vom Ballast des aufgepfropften schöpfungstheologischen Denkens“. 288 Vgl. E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, 219; L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments, 146; A. Lindemann, Sabbat; L. Doering, Schabbat, 414. J.P. Meier, Does The Son of Man Saying in Mark 2,28 Come from the Historical Jesus?, 88–89, betont, dass 2,28 als Gemeindebildung zu betrachten ist.
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verbunden, was eine Schlussfolgerung impliziert.289 Ein Problem ist es deshalb zu bestimmen, wie man aus einer anthropologischen Aussage auf eine christologische Behauptung schließen kann. Käsemann vermutet, dass die Hinzufügung von 2,28 eine Korrektur der Radikalität von 2,27 bewirken sollte. Die Gemeinde habe damit die Freiheit, die Jesus jedem Menschen gegeben hatte, nur Jesus zubilligen wollen.290 Diese Hypothese erklärt aber nicht, wie die Schlussfolgerung zu verstehen ist. Anders als bei den anderen Synoptikern schließt die markinische Perikope nicht mit einer klimaktischen christologischen Aussage, da sie im vorherigen Verlauf nicht vorbereitet wird. Eine weitere Möglichkeit der Erklärung besteht in der Gleichsetzung der Subjekte der Logien, %mhqypor und uR¹r toO !mhq¾pou, aufgrund eines aramäischen Originals. Die Rückübersetzung des Logions ins Aramäische erbringe nämlich zwei synonyme Bezeichnungen für den Menschen. In dieser Vorstellung eines synonymen Gebrauchs der zwei Subjekte in 2,27 und 2,28 ist noch zu klären, ob eine anthropologische oder eine christologische Akzentuierung prägend ist. R. Bultmann nimmt an, dass die zwei Termini Synonyme sind, und bekräftigt damit die Idee, dass der Ausdruck Menschensohn aufgrund einer falschen Übersetzung aus dem Aramäischen entstanden ist.291 Diese These würde die anthropologische Vorstellung unterstützen. In dieser Diskussion spielt die Frage nach der Definition von uR¹r toO !mhq¾pou eine Rolle, weil nach Bultmann, dieses Syntagma als „Mensch“ zu verstehen ist. Die syntaktische Struktur von 2,28 birgt noch einen weiteren strittigen Punkt. J.P. Meier bemerkt die besondere Syntax des Substantivs „Menschensohn“, das mit der Kopula eWmai und Prädikatsnomen j¼qior, zu dem das Attribut ja· toO sabb²tou gehört, verbunden ist. In den anderen Formeln wird Menschensohn immer mit einem Handlungsverb konstruiert. Nach Meier kann dieser Ausdruck mit der johanneischen Formel 1c½ eQl· b %qtor t/r fy/r (Joh 6,35) verglichen werden, obwohl die johanneische Christologie im Vergleich zur markinischen entwickelter ist.292 Das Argument ist daher, dass 2,28 mit der Betonung der Vollmacht des Menschensohnes über den Sabbat den Höhepunkt der Perikope darstelle. Die vorherigen Verse enthalten ein Argument aus der Schrift (2,25–26) und das sich auf Gen 1–2 beziehende anthropologische Argument (2,27). Auch Meier erklärt die fehlende Schlussfolgerung von 2,28 mit den weiteren Argumenten Jesu in der Perikope: „There is no direct connection with the anthropological argument in v. 27, and only a weak link with vv. 23–26“293 Die syntaktische Struktur von 2,28294, die nach Meier 289 L. Doering, Schabbat, 421. Er widerlegt zu Recht die Versuche, diese Konjunktion anders zu verstehen. 290 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, 207: „Dann liegt jedoch die Annahme nahe, daß die Gemeinde solche Abschwächung vorgenommen hat, weil sie wohl ihrem Herrn, nicht aber jedermann die von ihm ergriffene Freiheit zubilligen konnte.“ 291 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 14–15. 292 J.P. Meier, Does the Son of Man Saying in Mark 2,28 Come from the Historical Jesus? 82–83. 293 J.P. Meier, Does the Son of the Man Saying in Mark 2,28 come from the Historical Jesus, 87–88.
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ein Indiz für die Gemeindebildung ist, findet man auch in einem Apophthegma in der Sammlung des Plutarch: Pausam¸ar Pkeist¾majtor pq¹r t¹m 1qyt¶samt² di± t¸ t_m !qwa¸ym mºlym oqd¶ma jime?m 5nesti paqû aqto?r fti to?r mºlour 5vg t_m !mdq_m oq to»r %mdqar t_m mºlym juq¸our eWmai de?.295
Was bei dem Apophthegma aus Plutarchs Sammlung auffällt, ist der allgemeine Gebrauch des Substantivs j¼qior (ohne Artikel) als „Herr“, „Meister“,296 und der Gebrauch des Verbs 5nestim in der Frage im Zusammenhang mit der gleichen chiastischen Konstruktion in 2,27. Im Apophthegma wird das Gegenteil des Jesus-Logions behauptet. Nach dem Erlass der Gesetze durch den spartanischen König kann niemand in jener Stadt die Gesetze ,bewegen‘, weil diese Gesetze die Herren über die Menschen sind. Im Fall Jesu geht es allerdings nicht um die Gesetze als solche (Markus verwendet nie das Wort mºlor in seinem Evangelium), sondern um das spezielle Gebot des Sabbats. Man kann sich sonst fragen, ob die Strenge der Spartaner gerade als beispielhaft gelten soll. Der markinische Jesus argumentiert gegen eine absolute Geltung des Sabbatsgebots, die der ursprünglichen Bedeutung einer Ruhezeit für die Menschen widerspricht. Die Pointe der Argumentation im Streitgespräch ist aber eigentlich als eine Antwort auf den Vorwurf gedacht, dass Jesus eine unerlaubte Handlung seiner Jünger billige. Der Kern der Erzählung lässt sich im Wort 5nestim finden, das noch genauer behandelt werden muss. Man kann außerdem ein weiteres Apophthegma aus der Sammlung Plutarchs heranziehen, das einen ähnlichen Gebrauch des Wortes j¼qior aufweist. Pq¹r d³ to»r koidoqoOmtar aqt¹m t_m Aqce¸ym ¢r 1p¸oqjom ja· !seb/, toO l³m jaj_r le k´ceim 5vg, rle?r j¼qioi, toO d³ jaj_r rl÷r poie?m 1c¾.297
Kleomenes I. von Sparta nimmt den Vorwurf der üblen Nachrede auf, aber erklärt das Verhältnis nicht aktiv, sondern kausativ. Er lässt den Einwohnern von Argos, die ihn schmähen, übel nachreden. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch den subtilen Vorgang eines Apophthegmas: In der Antwort scheint die Auffassung der Ausgangssituation unterstützt zu werden, doch in Wahrheit wird ihr auf geschickte Weise widersprochen: Die wahren Schmäher sind 294 J.P. Meier, Does the Son of the Man Saying in Mark 2,28 come from the Historical Jesus, 89, beschreibt sie wie folgt: „son of man as subject in the nominative + the copulative verb ,to be‘ in the present tense + a predicate nominative (noun with a dependent genitive) expressing the present lordship of Jesus.“ 295 Plut. apoph. lac. 230 f. 296 B.T. Viviano, Jesus and the Sabbath, 114, sieht hier eine christologische Konnotation des Substantives j¼qior: „Jesus as Daniel’s Son of man would stand as the divine kyrios over the Sabbath.“ Diese Deutung aber erschließt sich nicht beim ersten Lesen. Markus versucht einen allgemein verständlichen Ausdruck zu verwenden. Er verwendet bewusst eine offene Terminologie, um auch eine christologische Deutung zuzulassen. 297 Plut. apoph. lac. 223c: „Denen aus Argos, die ihn als Lästerer und Gottlosen schmähten, sagte er: Ihr seid Meister darin, übel über mich zu reden, ich aber darin, euch Übles anzutun.“
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die Einwohner von Argos und nicht Kleomenes. Auch in diesem Beispiel kann man syntaktisch die gleiche Konstruktion von j¼qior mit dem Genitiv finden. Dieser Gebrauch von j¼qior in einem allgemeinen Sinne, unterstützt die Hypothese, dass Markus auf einer anthropologischen Ebene argumentiert. Die Parallelität von %mhqypor und uR¹r toO !mhq¾pou spricht ebenfalls für diese anthropologische Interpretation. Den Lesern des Evangeliums ist klar, dass sich der Terminus Menschensohn auf Jesus bezieht und durch die Tradition eine besondere christologische Konnotation annimmt. Das unterstützt m. E. die Hypothese, dass die christologischen Akzente in der Sammlung der Streitgespräche zwar präsent sind, Markus sie aber absichtlich sprachlich in einer zweideutiger Art und Weise versteht. Die Christologie kann erst dann entdeckt werden, wenn der Text einer tieferen Lektüre unterzogen wird. Markus geht es vor allem darum, eine Apologie Jesu zu entwerfen und dabei auch einige christologische Akzente zu setzen. Im Bezug auf den Sabbat ist es für Markus wichtig, seinen Lesern zu zeigen, dass Jesus, wie in den anderen Streitgesprächen, die Vorwürfe zurückweisen kann. Seine Gegner beschuldigen ihn einer Übertretung des Sabbatsgebots und überlegen sich schließlich, wie sie ihn vor Gericht bringen können (jatgcoqe?m), um ihn zum Tod zu verurteilen. Jesus kann aber gute Argumente für seine Verteidigung vorbringen. Er ist in der Tradition verwurzelt, wie das Davidbeispiel zeigt, und er vertritt eine humanere Vorstellung des Sabbatgebots. Dieser letzte Aspekt spielt eine wichtige Rolle für eine extrakommunikative Normierung dieser Debatte bei heidnischen Lesern. Wir haben schon festgestellt, dass die Argumente Jesu nicht für eine frontale Debatte mit dem Judentum geeignet wären. Sie weisen viel eher auf eine externe Perspektive hin. Den griechischen und den römischen Autoren war die Strenge des jüdischen Gesetzes bekannt, insbesondere der Reinheitsgesetze und der Sabbatvorschriften,298 die bei den markinischen Streitgesprächen eine wichtige Rolle spielen. Josephus referiert die Meinung des Agatharchides von Knidos. Dieser berichtet, dass die Juden sich gegen Ptolemaios I. Soter di± tµm %jaiqom dei-
298 Einen Exkurs über diese Quellen kann man in L. Doering, Schabbat, 285–289, finden. Doering betont die Kritik der römischen Aristokratie gegenüber der Sabbatobservanz. Sie sah in der traditionellen jüdischen Observanz einen Ausdruck der Faulheit. Das kann man besonders in der nicht erhaltenen Schrift Senecas de superstitione bei Augustin (de civ. 6,11) lesen. Die Unterschichten hingegen fanden diese Observanz sehr attraktiv. Doering stellt allerdings fest, dass die jüdische Religion auch bei der Aristokratie Zustimmung fand. Eine weitere Darstellung der verschieden Positionen der hellenistischen und römischen Autoren zum Sabbat findet sich bei H.A. Mckay, Sabbath and Synagoge, 87–131. R. Goldenberg, The Jewish Sabbath in the Roman world, 430–442, unterscheidet spöttische, verachtende und feindliche Positionen. Bemerkenswert ist die falsche Etymologie des Wortes Sabbat, die aus dem Ägyptischen vorgeschlagen wird. Sabbat komme aus dem Ägyptischen Sabbatosis (oder Sabbo), das im Griechischen boub_mor (Geschwulst) heißt (Jos. Ap. 2,20–27). Das sollte die These unterstützen, dass die Juden aus Ägypten ausgetrieben wurden, weil sie Leprakranke und sexuell Pervertierte waren.
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sidailom¸am verteidigten.299 Die gleiche Meinung zitiert Josephus ebenfalls in der apologetischen Schrift Contra Apionem detaillierter. Das jüdische Gesetz enthalte Normen, die nicht dem menschlichen Verstand entsprechen und die das Volk einem bitteren Tyrannen wie Ptolemaios ausliefere. Das geschehe, weil das Gesetz üble Bräuche enthalte.300 Josephus weist in seiner Antwort darauf hin, dass es bei manchen Völkern üblich ist, die Gesetze wichtiger als die eigene Person zu nehmen.301 Ein weiterer Text, in dem die Vorurteile gegen die Juden und gegen die jüdischen Gesetze zur Sprache kommen, ist ein Passus aus den Historien von Tacitus. Diese Stelle enthält die verbreitete Meinung, dass der Sabbat und die Sabbatjahre Folge der Faulheit sind.302 Obwohl das Urteil des Tacitus negativ ausfällt, bleibt ein gewisser Respekt für die Altertümlichkeit dieser Bräuche. „Hi ritus quoqo modo inducti antiquitate defenduntur“: „Diese Riten, wie auch immer sie eingeführt wurden, sind aufgrund ihrer Altertümlichkeit zu verteidigen“.303 Nach der markinischen Apologie will Jesus eine menschenfreundliche Vorstellung des Sabbats vertreten, wird aber als Gesetzesbrecher verurteilt. Seine Auffassung unterstreicht Jesus durch eine symbolische Handlung in der Synagoge. Er fordert den Menschen auf, aufzustehen und in die Mitte zu treten (Mk 3,3). Das Verb 1ce¸qeim und die räumliche Richtung eQr t¹ l´som betonen die humanitas304 Jesu in der Interpretation des Sabbats: Der Mensch steht im Mittelpunkt seines Denkens. Er heilt den kranken Menschen und lädt ihn ein, eine zentrale Position in der kultischen Versammlung zu einzunehmen. 5.7 Die Frage nach dem 5nestim Mk 3,4 und Mk10,2 Das weitere Logion Jesu in Mk 3,4 vollendet das Programm einer Humanisierung des Sabbatsgebots. In diesem Logion wird wieder der juridische Ausdruck 5nestim aufgenommen, der bereits in der vorwurfsvolle Frage der 299 Jos. A.J. 12,6. Dieses Urteil eines nicht „zeitgemäßen Aberglaubens“ bezieht sich auf das Sabbatgebot und als pars pro toto auf die ganze Religion. Das zeigt, wie repräsentativ der Sabbat für die Definition des Judentums war. 300 Jos. Ap. 1,210: b d³ mºlor 1ngk´cwhg vaOkom 5wym 1hislºm. 301 Jos. Ap. 2,212: va¸metai l´ca a· pokk_m %niom 1cjyl¸ym eQ ja· sytgq¸ar ja· patq¸dor %mhqypo¸ timer mºlym vukajµm ja· tµm pq¹r he¹m eqs´beiam !e· pqotil_sim. Josephus betont, dass die strenge Observanz des Gesetzes eine Tugend sei, die auch allgemein, und nicht nur im Judentum, gelobt werde. 302 Tac. hist 5,4: Septimo die otium placuisse ferunt, quia is finem laborum tulerit; dein blandiente inertia septimum quoque annum ignaviae datum“. 303 Tac. hist. 5,5. 304 Zum Thema humanitas in der römischen Kultur vgl. P. Veyne, ,Humanitas‘: Romani e no, bes. S. 388: „L’humanitas dunque un merito piuttosto che un tratto universale. Quando merito di un individuo, d una carica di dolcezza alla giustizia comune o ne tempera il rigore (…) I selvaggi sono allo stesso tempo troppo rigidi e non lo sono abbastanza: non sanno concedere niente all’umanit , non sanno resistere agli impulsi, l’humanitas ammorbidisce questa durezza, mentre la legge insegna a disciplinarsi.“
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Pharisäer in 2,24 und in dem Davidbeispiel verwendet wurde. Dieser Bezug auf die vorausgehende Perikope zeigt, dass die beiden Sabbatdebatten im Markusevangelium trotz ihrer narrativen Verschiedenheit das gleiche Ziel verfolgen, nämlich eine menschenfreundliche Interpretation des Sabbats. Das Beispiel des Königs David, als einer autoritativen Gestalt der Geschichte Israels, zeigt, dass eine religiöse Vorschrift in einer Notsituation gebrochen werden kann. Die Grenzen des oqj 5nestim können daher nicht als absolut gelten, sondern müssen anhand der Bedürfnisse der Menschen bemessen werden. Jesus zieht die Konsequenzen dieses Gedankens in 2,27 und 2,28, wo er die Überlegenheit des Menschen gegenüber dem Sabbat behauptet. Das Logion Jesu vor der Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand in Mk 3,4 wirft die Frage auf, was am Sabbat überhaupt erlaubt sei. Die Pharisäer werfen Jesus vor, dass er (und seine Jünger) tun, was nicht erlaubt ist. Jesus formuliert dagegen eine Antithese in Form einer rhetorischen Frage, die den Vorwurf der Gegner entkräftet. Statt einer einfachen Frage, was erlaubt ist, enthält die Frage Jesu eine Wendung, die bewusst eine Übertreibung der sich in der Erzählung abspielenden Sachverhalte enthält: 5nestim to?r s²bbasim !cah¹m poi/sai C jajopoi/sai, xuwµm s_sai C !pojte?mai. Diese rhetorische Frage hat einen hyperbolischen Charakter, weil die Krankheit des Mannes weder eine dringliche Behandlung braucht noch eine lebensgefährliche Notsituation darstellt. In der Auslegung hat man daher versucht, die Radikalität und die Vehemenz des Logions aus seinem narrativen Kontext zu rekonstruieren. Hieronymus referiert in dieser Hinsicht die Meinung des Hebräerevangeliums, wonach dieser Mann ein Mauerer (caementarius) war,305 der mit der Heilung wieder erwerbfähig und damit wie aus dem Tod auferweckt wurde. Eine ähnliche Interpretation schlägt C. Jochum-Bortfeld vor. Die Heilung Jesu gebe dem Mann die Fähigkeit zurück, wieder mit den Händen zu arbeiten, was in einer ruralen Gesellschaft beinah einer Wiedergeburt gleich komme.306 Wie es oft bei den Apophthegmen der Fall ist, bleibt der Kontext aber undefiniert. Der Versuch, einen historischen und narrativen Zusammenhang der Perikope zu postulieren307 und anderseits den Sitz im Leben in der christlichen Gemeinde308 zu bestimmen, erweist sich in vielerlei Hinsicht 305 Hieronymus, Comm. in Matth 12,13, zitiert eine Stelle aus dem Hebräerevangelium, in der der Maurer Jesus um Heilung bittet: „Caementarius eram manibus victum quaeritans, praeter Iesum ut mihi restituas sanitatem ne turpiter mendicem cibos“. (Text aus Aland Synopse, 158). 306 C. Jochum-Bortfeld, Die Verachteten stehen wieder auf, 252. Jochum-Borfeld gibt allerdings zu, dass im Text keine Hinweise auf die soziale Position dieser Person gegeben werden und auch keine Informationen darüber, was die Heilung gewirkt hat. Dieser Aspekt ist daher sekundär. 307 E.P. Sanders, Jewish Law from Jesus to the Mishnah, 21, findet die Erzählung nicht unwahrscheinlich. Was nicht stimme, sei aber die Tragweite des Logions Jesu. S. 21: „He enunciated a principle with which they would have agreed but which did not apply to the present case – saving life overrides the Sabbath, and he then performed a minor healing without doing any work.“ 308 A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 84, ist der Meinung, dass das Streitgespräch aus einer Erinnerung an eine Episode im Leben Jesu stammt. Sein Sitz im Leben sei die Frage der
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als problematisch. Im Mittelpunkt der Erzählung steht nicht die Heilung des Kranken, sondern der Vorwurf, Jesus habe eine unerlaubten Handlung gebilligt bzw. vollzogen. Dieser Vorwurf ist schon in der Frage in 2,24 enthalten, die Jesus indirekt betrifft. Die rhetorische Frage in Mk 3,4 lenkt die Leser zu einem besonderen Endpunkt, der angesichts der Opposition von Leben und Tod noch stärker wirkt: Es ist erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun und Leben zu retten. Diese Behauptung untermauert Jesus mit der Aussage in Mk 2,27–28, wo er die ursprüngliche Bedeutung des Sabbats für den Menschen betont. Diese Prämissen implizieren dann, dass Jesus mit seinem Helfen am Sabbat etwas Erlaubtes tut. Das sehen die Pharisäer anders. So wird verständlich, dass die Gegner Jesu nicht mehr in der Lage sind, darauf etwas zu erwidern: oR d³ 1si¾pym, d. h. sie erkennen die Ausweglosigkeit ihres Unterfangens. Ein weiterer Aspekt des 5nestim lässt sich in Mk 10,2–9 finden. Es scheint mir notwendig, hier die wichtigen Elemente dieser Textstelle hervorzuheben. Diese Perikope hat formal die Struktur eines Streitgespräches, das sich in einem kurzen Dialog mit einer bestimmten Frage der Pharisäer, einer Gegenfrage Jesu, einer Antwort der Pharisäer und einer Replik Jesu auf die Antwort entwickelt. Die Pharisäer verfolgen mit ihrer Frage eine feindselige Absicht (peiq²fomter aqtºm), aber es ist nicht klar, wie diese Frage Jesu Position beschädigen kann. In der Frage der Pharisäer könnte vielleicht eine Falle gegen Jesus liegen. Womöglich haben die Pharisäer erwartet, dass Jesus eine libertinistische Vorstellung der Ehe haben könnte. C. Breytenbach denkt an eine politische Implikation dieser Frage nach der Ehescheidung, weil sie der Grund für die Hinrichtung Johannes des Täufers war.309 Mk 10 behandelt Fragen, die die christliche Gemeinde interessieren, wie die Ehescheidung, die Position der Kinder und den Reichtum. Die Perikope referiert jedenfalls die Position des historischen Jesus, der gegen die Ehescheidung war.310 Die ArAbgrenzung von der pharisäischen Sabbatobservanz in einer Gemeinde, die den Sabbat noch heiligte. „The question was raised whether the church can with justification do ,good works‘ on the sabbath, although what these ,good works‘ have been – acts of healing or other benevolent activities in general – can no longer be determined.“ (ebd.). E. Lohse, Jesu Worte am Sabbat, 68, stellt mit der Frage nach der Einbettung des Logions im Leben der Gemeinde eine typisch formgeschichtliche Frage und muss dabei feststellen, dass sie nicht einfach zu beantworten ist. Er schließt deshalb auf die Authentizität des Logions. Diese Diskussion über das 5nestim bzw. oqj 5nestim scheint mir im Gegenteil ein Argument dafür zu sein, eine markinische (oder vormarkinische) Bildung anzunehmen. 309 C. Breytenbach, Die Vorschriften des Mose im Markusevangelium, 33. 310 Die Tradition der Worte Jesu in dieser Hinsicht findet sich auch in 1Kor 7,10–11 und in Q Mt 5,32//Lk 16,8. Das gegenseitige Verbot der Ehescheidung für Mann und Frau bezeugt die Aktualisierung der Worte Jesu für einen griechisch-römischen Kontext. Im römischen Recht konnten sich auch Frauen scheiden lassen und nicht nur Männer. G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 324, Anm. 34, meinen, dass auch in Palästina und im Orient die Frau die Initiative der Ehescheidung ergreifen konnte. Es ist allerdings eindeutig, dass Jesus in der markinischen Stelle die patriarchalische Ehe durchbricht. C. Jochum-Bortfeld, Die Verachteten stehen auf, 287, betont diesen Aspekt: „Der Vorstellung, in Frauen keine handlungsfähigen Subjekte zu sehen, tritt der Erzähler des Mk hier entgegen. Die Kombination von Gen 1,27 und
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gumente aus der Schöpfungstheologie, die Jesus anführt, heben den ursprünglichen Willen Gottes hervor, der die Bindung zwischen Mann und Frau begründet und gewichtiger als die Anordnung des Mose311 ist. Diese Unterscheidung zwischen einem Urgebot und einer neu hinzugefügten Norm bezeugt deutlich eine christliche Perspektive. Es ist nicht belanglos, dass Jesus sich für die Erhaltung der ursprünglichen Bindungen einsetzt. Es bleibt aber unklar, wie diese Position aus einer externen Perspektive erscheint. Man kann vermuten, dass die Stellungnahme Jesu positiv gewirkt haben könnte, weil er sich für die Versöhnung von Mann und Frau aussprach. Diese Sicht auf die Ehe wird bei Lukian ausdrücklich als ein positives Merkmal des Philosophen Demonax geschildert.312 Auf die Frage des 5nestim der Pharisäer antwortet Jesus mit einer Gegenfrage über das 1mt´kkeshai: Mk 10,3 t¸ rl?m 1mete¸kato Ly{s/r.313 Diese Unterscheidung dessen, was erlaubt ist, von dem, was geboten ist, ist ein wichtiger Gesichtspunkt der Argumentation Jesu, die wiederum das Denken der Pharisäer über das 5nestim als absurd erweisen soll. Mit der Frage nach dem, was erlaubt ist, wollen die Pharisäer – so deckt es die Unterscheidung Jesu auf – eine Grenze ziehen, außerhalb derer etwas als gesetzwidrig erscheinen soll. Innerhalb dieser Grenze bleibt man aber ohne Gesetz.314 Die Frage nach dem, was geboten ist, bleibt aber durchgängig aktuell und lässt sich nicht auf einen besonderen Bereich begrenzen. Die Pharisäer wollten daher nachweisen, dass Jesus gegen das Gesetz handelt. Durch die subtile Unterscheidung und die Berücksichtigung des Gebots Gottes in Gen 1,27 und Gen 2,24315 kann Jesus nicht nur einen möglichen Vorwurf widerlegen. Er zeigt
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2,24 in Mk 10,6 f kann somit als Auslegung von 1,27 in Bezug auf das eheliche Zusammenleben von Mann und Frau verstanden werden.“ Die Diskussion betrifft die Übergabe eines NN+=L% ?,! LHûEû der Frau, von der man sich scheiden will. Die Vorschrift in Dtn 24,1–4 hat die Funktion, die erneute Ehe einer Frau, die einen zweiten Mann geheiratet hat, mit dem ersten Mann zu vermeiden. J.P. Meier, The Historical Jesus and the Historical Law, 65: „Deut 24,1–4 forbids such a marital (re-)union as an abomination“. Vgl. Josephus, A.J. 4,253. Die Stelle des Josephus erklärt, dass diese Vorschrift ursprünglich darauf angelegt war, eine neue Ehe mit dem ehemaligen Mann zu verhindern. Die juridische Terminologie dieses Passus ist m. E. bemerkenswert: Die Frau hat das Recht (1nous¸a) wieder zu heiraten, aber den ersten Mann darf sie (5nestim, 1vet´om) nicht wieder heiraten. In der markinischen Stelle wird das bibk¸om !postas¸ou als offizielle Erklärung der Ehescheidung betrachtet und nicht in seiner eigentlichen Funktion, eine zweite Ehe mit dem gleichen Mann zu vermeiden. Luk. Dem 9: ja· cuman· pq¹r to»r cecalejºtar eQq¶mgm pqutame¼eim. Es ist bemerkenswert, dass Lukian kurz darauf (dem. 10) das nicht aggressive Sprechen des Demonax lobt. Das spielt auch für den markinischen Jesus eine Rolle. Ich verdanke dieser Unterscheidung zwischen 5nestim und 1mt´kkolai Prof. H. Weder. Diese Unterscheidung kann man ebenfalls bei R.H. Gundry, Mark, 527–528; 529–530, finden. Das entspricht der grundsätzlichen Bedeutung des Verbs „es steht frei“. Vgl. W. Foerster, Art. 5nestim, 557. „Das NTselbst fragt nicht eQ 5nestim, sondern mahnt zu prüfen, t¸ 1stim eq²qestom t` juq¸\, Eph 5,10“. (ebenda S. 558). Hier findet sich wieder die gleiche Gegenüberstellung wie in 7,1–23, wo zwischen Gebot Gottes
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vielmehr auf, dass gerade die Pharisäer, die ihn beschuldigen wollen, durch das 5nestim sich von den Geboten Gottes fernhalten. Die dialektische Fähigkeit Jesu führt dazu, dass er seine Gegner mit ihren eigenen Waffen schlägt. 5.8 Die Herodianer in Mk 3,6. Die Gruppierungen der Gegner Jesu Die Gegner Jesu gehören zu den religiösen Gruppen des damaligen Judentums, von denen in den Schriften des Josephus die Rede ist: die Schriftgelehrten, die Sadduzäer, die Pharisäer und an dieser Stelle zum ersten Mal die Herodianer.316 Die Bezeichnung ,Herodianer‘ ist jedoch außer Mk 3,6, in Mk 12,13 und Mt 22,16 sonst nirgendwo zu finden. Die Herodianer tauchen deshalb nur bei der brennenden politischen Frage nach dem Tribut an den Kaiser wieder auf. Josephus spricht in seinen Werken sonst von oR t± gGq]dou vqomoOmter317 und oR gGq\de?oi318, aber nicht von gGq\diamo¸. Eine genauere Informationen über die Herodianer gibt Epiphanios von Salamis,319 der in seinem Werk adversus haereses dieser Gruppe einen Paragraphen als der siebten aVqesir des Judentums widmet. Er beschreibt diese Sekte als Anhänger des Herodes, die ihren Herrscher als Messias verehrten. Hultgren erachtet diese Information als plausibel und identifiziert Herodes mit König Agrippas I., der bei Josephus als eifriger Bewahrer der Tradition beschrieben wird.320 Gerade die religiöse Haltung Agrippas ermöglichte es, das Bündnis der Pharisäer mit den Herodianer zu begründen, die in Mk 3,6 als historische Tatsache vorausgesetzt werden. Hultgren denkt daher, dass der Tod Agrippas 44 n. Chr. den Terminus ad quem für die Abschließung der Sammlung der galiläischen Streitgespräche darstellt. Nach diesem Datum sei die Erwähnung der Herodianer nicht mehr aktuell gewesen und dies wiederum sei der Grund, weshalb Lukas (6,11) und Matthäus (12,14) diese Gruppe nicht mehr nennen. Das Wort gGq\diamo¸ entspricht einer besonderen Form, die aus der lateinischen Endung –anus/–ani vermutlich von Markus geprägt wurde.321 Die entsprechende griechische Bezeichnung ist, wie bei Josephus zu finden, gGq\de?oi.322
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und menschlichen Traditionen unterschieden wird. Josephus spricht in der oben genannten Stelle über Dtn 24,1–4 zu den Ursachen der Ehescheidung mit einem gewissen Realismus: pokka· dû #m to?r !mhq¾poir toiaOtai c¸cmoimto (A.J. 4,253). Vgl. Jos. A.J. 13,171–172 und den viel längeren Exkurs in B.J. 2,119–166. An beiden Stellen beschreibt Josephus die drei ,philosophischen‘ Gruppierungen des Judentums, nämlich die Pharisäer, die Sadduzäer und die Essener. Jos. A.J. 14,450. B. Reicke, Neutestamentliche Zeitgeschichte, 77, interpretiert diese Stelle als Beleg für die Entstehung der Gruppe der Herodianer zur Zeit des Herodes Antipas. Jos. B.J. 1,389. Epiphanios, adv. haer. 45, (PG 41, 269): gGq]dgm d³ oxtoi BcoOmto Wqist¹m J¼qiom, t¹m 1m p²sair cqava?r mºlou te ja· pqovgt_m pqosdoj¾lemom, mol¸samter aqt¹m eWmai t¹m gGq]dgm Wqist¹m, ja· eûp aqt` !pat¾lemoi 1selm¼momto t` gGq¾d,. Jos. A.J. 19,331. W.B. Bacon, Herodian and Pharisees, 102: „but probability and the form of the word in Latin
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Dass es sich hierbei um die politisch-religiösen Anhänger des Herodes (vermutlich des Antipas) gehandelt haben muss, scheint mir sehr wahrscheinlich zu sein. Wenig plausibel scheint mir die Hypothese J.B. Bennets, der der Erwähnung dieser Gruppe im Markusevangelium eine theologische Bedeutung zuschreibt. Dies ermögliche es, eine Verbindung der Gestalt Johannes des Täufers zur Gestalt Jesu zu erkennen. Diese Gruppe sei daher der einzige Punkt, bei dem die Opposition gegen Jesus und die Opposition gegen Johannes in Berührung kommen.323 Die Hinrichtung des Johannes durch Herodes zeige damit die Gefährlichkeit dieser Gruppe, die anders als die Pharisäer und die Schriftgelehrten einen direkten Bezug zur politischen Macht hatten. Die Identifikation der Herodianer und ihre historische Funktion in den Konflikten Jesu zieht die allgemeine Frage nach der Rolle der verschiedenen Gruppierungen in den Streitgesprächen nach sich.324 D. Lührmann bemerkt mit suggest that they were the partisans of Herod. The Herod of the Gospels being Antipas, Tetrarch of Galilee, ,Herodian‘ would then naturally mean one of his court or of his party“. J.P. Meier, The Historical Jesus und the Historical Herodians, 742: „The NT form seems based on a presumed or theoretical Latin form Herodiani (-iani being a regular Latin ending). The other two famous cases of such Greek nouns with Latin endings around the turn of the era are Jaisaqiamo¸ (= Latin Caesariani, meaning in various contexts Caesar’s troops, adherents/ partisans of Caesar, or household servants of Caesar) and Wqistiamo¸.“ Auch G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 214. 322 J.P. Meier, The Historical Jesus and the Historical Herodians, 741, listet alle möglichen Versuche auf, diese Gruppe zu identifizieren: 1) eine Gruppe, die Herodes (den Großen, Antipas, Agrippa I. oder Agrippa II.) als Messias verehrten, 2) eine Gruppe von Anhängern des Herodes des Großen, 3) Essener, 4) Sadduzäer oder Boethusianer, 5) eine politische Partei der HerodesDynastie, 6) Beamte, Hofangestellte des Antipas, 7) Soldaten des Antipas, 8) Juden, die keine direkte Regierung Roms über Palästina dulden wollten, 9) Nachfolger des Judas Galilaios, 10) ein römisches collegium zu Ehren von Herodes dem Großen, 11) Juden aus den nördlichen Tetrarchien, die von mehreren Herodes-Angehörigen regiert wurden, 12) Zöllner und Steuerbeamte, 13) Schriftgelehrte, 14) eine Gruppe, die in den rabbinischen Schriften als bene bathyra (Söhne der Stadt Bathyra) genannt werden. Meier erklärt es als plausibel, dass eine Gruppe von Dienern, Anhängern oder Beamten des Herodes Antipas Jesus nach dem Fall Johannes des Täufers nachspioniert haben. Die beiden Bezeugungen in Mk 3,6 (am Ende einer Perikope) und Mk 12,13 (am Anfang einer Perikope) seien allerdings dem Evangelisten zuzuschreiben (S.746). 323 J.B. Bennett, The Herodians of Mark’s Gospel, 13, „One such ill-defined group is the gGq\diamo¸. It is this group which provides the link between the enemies of Jesus and the enemies of John. Further, this is the only group which provides any such connection.“ 324 Diese Angaben einer Konfrontation mit verschiedenen Gruppierungen in den Evangelien wird in der Forschung unterschiedlich bewertet. Die historische Grundlage ist sicherlich wichtig, wobei die Positionen der Gegner Jesu eher typisiert sind. G. Theißen, Jesus und das Judentum, 44–48, unterscheidet die Gruppierungen im Judentum in ältere (Pharisäer, Sadduzäer, Essener) und jüngere Gruppen (Anhänger von Judas Galilaios, die Täufer und die Zeichenpropheten). Theißen zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Gruppen. Jesus habe mit den Pharisäern die Lehre der Auferstehung gemeinsam, mit den Sadduzäern die Ablehnung der väterlichen Traditionen und mit den Essenern die Kritik am Tempelkult. Mit den jüngeren Gruppen habe Jesus auch gemeinsame Züge. Mit den Zeloten teile Jesus den ,theokratischen
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Recht, dass die Untersuchungen über die Streitgespräche allzu oft die Tendenz haben, allgemein von den ,Gegnern Jesu‘ zu sprechen.325 Diese Frage ist von großer Bedeutung für die Rekonstruktion des pluralistischen Zustands des Judentums im ersten Jahrhundert.326 Markus scheint zwischen den verschiedenen Gruppierungen zu differenzieren. Die Pharisäer debattieren über die Anwendung des Gesetzes in Bezug auf die Heiligung des Sabbats, die Reinheit der Speisen, die Korbanpraxis oder über die Tradition des Alten gegenüber dem Neuen. Die Sadduzäer hingegen führen mit Jesus eine Debatte über die Auferstehung. Diese Gruppe war für die Ablehnung der Auferstehung bekannt. Die Schriftgelehrten sind nach Lührmann keine eng definierte Gruppe, sondern dieser Name bezeichnete eine „berufliche Funktion“, vergleichbar der eines Sekretärs.327 Sie werden sonst nicht als selbständige Gruppe bei Josephus genannt. Die Schriftgelehrten haben eine unbestimmte Funktion in der Überlieferung und in der Interpretation des Gesetzes. Um die Auseinandersetzungen zu verstehen, ist nach Lührmann nicht nur die historische Ebene in Bezug auf die Identität der Parteien zu berücksichtigen, sondern auch die narrative Ebene und die Aktualisierung für die Gemeinde. Die Traditionen über die Pharisäer, die Markus benutzt, seien zwar sehr polemisch (sie gelten in Mk 7,6 als Heuchler), aber ihre Themen gehören nicht mehr in die Gegenwart der Gemeinden. Die Radikalismus‘ (ohne aber politische Ziele zu verfolgen); mit den Täufern den ,ethischen Radikalismus‘ (ohne rituelle Taufe); mit den Zeichenpropheten den ,soteriologischen Radikalismus‘ (ohne ethnischen Partikularismus). Theißen identifiziert aus diesem Vergleich die Besonderheit der Stellung Jesu im Judentum. Jesus vertrete eine ,goldene Mitte‘ zwischen den Extremen in Vergleich zu den älteren Gruppierungen und teile den Radikalismus der neueren Gruppen, ohne aber ihre Konsequenzen zu ziehen (S. 48). Man kann sich aber methodisch fragen, ob ein so genauer Vergleich historisch berechtigt ist, oder ob er nur das Ergebnis einer externen Perspektive ist. Man kann wohl vermuten, dass außer der Polemik zwischen Pharisäern und Sadduzäern die anderen Gruppen gar keine Konfrontation mit den anderen gesucht haben. Theißen geht von einer gemeinsame Basis der jüdischen Religion aus, die auf der Vorstellung eines common Judaism basiert, die er durch drei Hauptthemen definiert; 1) die Heiligen Orte; 2) die heiligen Schriften; 3) die heiligen Handlungen. (S. 50–52). 325 D. Lührmann, Pharisäer und Schriftgelehrten im Markusevangelium, 175. 326 Dieser Aspekt wird besonders von W. Stegemann, Jesus und seine Zeit, 207–236, betont. Gerade die Präsenz von verschiedenen Gruppierungen schwäche die Vorstellung eines gemeinsamen Judentums (common Judaism). Stegemann modifiziert das Modell des Judentums als einer „Religion“ durch das Modell einer „Ethnie“. Eine Ethnie sei nach der Auffassung Herodots ein bestimmtes Volk mit einer Geschichte, eigenen Traditionen (hist. 8,144), einer gemeinsamen ethnischen Abstammung, einer Sprache und einer gemeinsamen Religion. Stegemann fasst die Diskussion der zwei Modelle zusammen (207–215) und wählt ein integratives Modell: „Andererseits wird es darum gehen, die Deutung des (allen Gruppen und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ,gemeinsamen Judentums‘ (,common Judaism‘) als eines religiösen Systems, wie sie v. a. E.P. Sanders vorgelegt hat, ebenfalls in das neue ethnische Paradigma zu integrieren“. (S. 216). Stegemann verbindet die These eines Bundesnomismus von Sanders mit dem Bild des Judentums, das vor allem Josephus in seinen Geschichtswerken zu vermitteln versucht. Es ist aber m. E. unklar, inwiefern die apologetische Konstruktion des Josephus wirklich dem Selbstverständnis der Juden im ersten Jahrhundert entsprach. 327 D. Lührmann, Die Pharisäer und Schriftgelehrten im Markusevangelium, 174.
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markinische Gemeinde habe die Frage nach dem Sabbat, der Reinheit, der Ehescheidung und dem Korban gelöst. Die eigentlichen Gegner des markinischen Jesus seien die Schriftgelehrten, die Ältesten und die Hohen Priester, weil sie die christologische Frage nach der 1nous¸a Jesu verhandeln. Sie seien außerdem in Jerusalem tätig und setzten sich aktiv für den Tod Jesu ein.328 Diese Hypothese, die die Thesen der Formgeschichte und der Redaktionsgeschichte anwendet, erweist sich jedoch als problematisch. Die Pharisäer sind im Markusevangelium in der Darstellung der Diskussionen mit Jesus nicht harmlos. Sie werden nämlich zweimal, in 3,6 und 12,13, von Markus im Zusammenhang mit den Herodianern als aktiv an der Verschwörung gegen Jesus beteiligt dargestellt, obwohl sie später in der Passionsgeschichte keine Rolle mehr spielen. Die Vorwürfe, die die Pharisäer gegen Jesus erheben, scheinen in 2,1–3,6 völlig mit dem Vorwurf der Blasphemie der Schriftgelehrten übereinzustimmen. Lührmann begründet seine These mit der geographischen Unterscheidung zwischen dem Jesus freundlich gesonnenen Galiläa und dem feindlich gesonnenen Jerusalem. Doch lassen sich in den Streitgesprächen, die in Jerusalem stattfinden, keine größeren Feindseligkeiten als in denen in Galiläa finden. Ein weiterer Punkt scheint der These Lührmanns zu widersprechen: Der einzige Gesprächspartner, mit dem Jesus in Mk 12,28–34 einverstanden ist, ist ein Schriftgelehrter. E. Struthers Malbon betont in ihrer Untersuchung vor allem die literarischen Aspekte in der markinischen Darstellung der jüdischen religiösen Führer. Trotz der Unterschiede sind die Gesprächspartner Jesu im Markusevangelium in ihrer gemeinsamen feindlichen Intention vereint.329 Die Verschiebung der Opposition von den Pharisäern und Schriftgelehrten zu den Hohen Priestern, Schriftgelehrten und Ältesten lässt sich nach Struthers Malbon nicht aus verschiedenen Quellen ableiten, sondern aus dem Wechsel des Wirkungsortes Jesu von Galiläa nach Jerusalem und von der Synagoge zum Tempel erklären.330 Ein weiterer Aspekt der Untersuchung von E. Stru328 D. Lührmann, Die Pharisäer und die Schriftgelehrten im Markusevangelium, 183: „Während also die Pharisäer bei Markus als die Gegner in Fragen erscheinen, die nicht mehr von direkt aktuellem Interesse sind, ist das Thema der Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten die Christologie, ein Thema höchst aktuell auch innerhalb der markinischen Gemeinde. (…) Die Pharisäer dagegen sind Jesu Gegner von damals in Galiläa und in der Vergangenheit der Gemeinde des Mk.“ 329 Die literarische Methodik von E. Struthers Malbon, The Jewish Leaders in the Gospel of Mark, 259–281, soll die traditionsgeschichtlichen Hypothesen ersetzen. Schon bei der These von Lührmann kann man die Verbindung in der Behandlung der Gruppierung mit der Auseinandersetzung der christlichen Gemeinde sehen. E. Struthers Malbon setzt sich vor allem mit der Untersuchung von Cook (Michael J. Cook, Mark’s Treatment of the Jewish Leaders, Leiden 1978).) auseinander, der die unterschiedliche Behandlung der Gegner Jesu als Ergebnis der Harmonisierung dreier unterschiedlichen Quellen sieht: 1) einer früheren Quelle der Leidensgeschichte mit der Hauptrolle der Hohen Priester, Schriftgelehrten und Ältesten; 2) einer Quelle mit Schriftgelehrten in Jerusalem und 3) einer Quelle mit Pharisäern und Herodianern in Galiläa. 330 E. Struthers Malbon, The Jewish Leaders in the Gospel of Mark, 273.
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thers Malbon ist das Vorkommen von einigen Ausnahmen in der Opposition gegen Jesus, nämlich dem Schriftgelehrten in 12,34, Jairus und Joseph von Arimathea. Sie beweisen, dass nicht alle jüdischen Autoritäten Gegner Jesu waren.331 Eine wichtige Bemerkung von E. Struthers Malbon betrifft die Unterscheidung der Bereiche, die die Pharisäer und Schriftgelehrten einerseits und Hohe Priester, Schriftgelehrte und Ältesten andererseits in den Streitgesprächen vertreten: Pharisäer und Schriftgelehrte behandeln in Galiläa religiöse Fragen, während die Hohen Priester, Schriftgelehrten und Ältesten eher politische Themen behandeln.332 Die politischen Implikationen der Vorwürfe gegen Jesus in Jerusalem sollen im nächsten Kapitel behandelt werden. Das mannigfaltige Panorama der Gruppierungen im Judentum unterstützt die pluralistische Vorstellung vom damaligen Judentum. In einem pluralistischen Kontext ist es erheblich schwieriger, Auffassungen als ketzerisch zu beurteilen. Es scheint daher möglich, dass der historische Jesus in einem offenen Diskurs Stellung für eine menschenfreundlichere Interpretation des Sabbatgebots einnehmen kann, ohne unbedingt als ketzerisch zu erscheinen. Trotz der Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen und des äußerlichen pluralistischen Kontextes vermittelt Markus dagegen das Bild, dass die Opposition gegen Jesus eine geschlossene Front bildet. Sie kann kaum durch eine bestimmte Logik erklärt werden, sondern eher durch den Widerstand gegen den Gerechten. Jesus kann zudem als Lehrer überzeugen, der Traditionen zitiert und Positionen vertritt, die von seinen Gesprächspartnern akzeptiert werden sollten.
6. Ergebnisse aus Mk 2,1–3,6 Die erste Gruppe von Streitgesprächen in 2,1–3,6 behandelt die Thematik der Konfrontation Jesu mit einigen wesentlichen Aspekten der jüdischen religiösen Identität. Die kurzen Episoden, die sich an unterschiedlichen Orten abspielen, lassen sich thematisch unter dem Vorwurf der Blasphemie zusammenfassen: Jesus verstoße mit seinem Denken und seinem Verhalten gegen die Grundsätze jüdischen Glaubens. Dieser Vorwurf ist nicht weit vom Vorwurf 331 E. Struthers Malbon, The Jewish Leaders in the Gospel of Mark, 276. 332 E. Struthers Malbon, The Jewish Leaders in the Gospel of Mark, 266–267: „The scribes and the Pharisees raise religious objections, based on their interpretation of scripture and tradition. The chief priests, scribes, and elders raise also what must be called political objections, based on their struggle with Jesus for authority and influence over the people.“ Diese Intuition scheint mir korrekt zu sein. Allerdings ist nicht der Einfluss auf das Volk politisch relevant, sondern eher die Debatte über die Macht Roms. Die galiläischen Streitgespräche repräsentieren die religiösen Vorwürfe gegen Jesus, er sei ein Blasphemiker, der Tradition und Gesetze bricht. Die Jerusalemer Streitgespräche repräsentieren die Vorwürfe gegen Jesus als politischen Aufrührer. Die Streitgespräche zeigen, dass diese Vorwürfe nicht bewiesen werden konnten.
Ergebnisse aus Mk 2,1–3,6
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der Asebie entfernt, der auch gegen einige griechische Philosophen gerichtet wurde. Weder der Blasphemie-Vorwurf gegen Jesus noch der Asebie-Vorwurf gegen Sokrates lässt sich inhaltlich scharf definieren. In welcher Weise war Sokrates „gottlos“? Der Blasphemievorwurf, der in Mk 14,64 die Hauptanklage gegen Jesus sein wird, wird bereits in Mk 2,7 formuliert und fungiert als zentraler Begriff, der verschiedene Anklagepunkte gegen Jesus zusammenfasst. Der Vorwurf ist einerseits stark, da er zum Todesurteil führen kann, andererseits bleibt er vage, wie die Urteile gegen Sokrates und Jesus zeigen. Blasphemisch kann der Bruch des Sabbatgebots, der Anspruch, die Sünden ohne jede rituellen Vermittlung vergeben zu wollen, oder der Umgang mit unreinen und unmoralischen Menschen sein. Die Hypothese der Formgeschichte, nach der in diesen Szenen das neue religiöse System der christlichen Gemeinde gegen die jüdische Tradition begründet wird, ist wenig überzeugend. Die Themen werden, wie in der Textanalyse deutlich geworden ist, nicht ausreichend vertieft. Die Argumente Jesu sind, wenn sie theologisch genau bewertet werden, teilweise wenig überzeugend. Als alternatives Modell bietet sich hier der Begriff der Apologie an. Die einleitenden Fragen seiner Gegner enthalten die Vorwürfe, die gegen Jesus verbreitet waren. Für Markus ist es nicht wichtig, die Vorwürfe tatsächlich sorgfältig als Anklage zu sammeln und sie im Gericht gegen Jesus geltend zu machen. Dies gelingt seinen Gegnern trotz ihrer Anstrengung nicht. Sie versuchen von Anfang an, diesen Episoden eine Kontinuität zu verleihen, und wenden immer feinere Methoden an, um die Anklage zu konstruieren, müssen aber immer wieder eine Niederlage einstecken. Die Behandlung der Vorwürfe und ihre Widerlegung sind für das Markusevangelium wichtiger als ihre geradlinige Entwicklung. Die Antizipation in Mk 3,6 dient daher dazu, das Ende der Erzählung vorzubereiten, ohne dabei jedoch einen stringenten logischen Faden mit diesem Ende zu verknüpfen. Die kurzen Szenen der Streitgespräche können die Anklage nicht begründen, sind aber der markinischen Apologie dienlich. Nach der Antwort Jesu sind seine Gegner nicht in der Lage, weiter zu argumentieren. Jesus vergibt die Sünden und will Menschen helfen, wobei dies nicht als eine Negierung der Funktion Gottes verstanden werden muss. Jesus hat Umgang mit Sündern und er heilt einige Menschen am Sabbat. Eine extrakommunikative Normierung zeigt, wie bei all diesen Themen die Positionen der Gegner Jesu nicht konsequent sind. Der Beschluss, Jesus vor Gericht zu stellen, wird in Mk 3,6 gefasst, ohne dass man gegen Jesus eine eigentliche Anklage formulieren kann. Alle Fragen werden von Jesus beantwortet und sogar deren listige Intention aufgedeckt. Die Apologie des Markus besteht gerade darin, die Grundlosigkeit der Vorwürfe gegen Jesus zu dokumentieren.
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7. Jesus und das Dämonische 7.1 Einleitung: Der Hintergrund von Mk 3,22–30 und Mk 8,11–13 In Mk 3,22–30 und Mk 8,11–13 finden wir zwei Debatten, die die Wundertätigkeit Jesu aus unterschiedlichen Perspektiven behandeln, aber von der gleichen Skepsis der Gesprächspartner Jesu berichten. In der ersten Perikope unterstellen die Gegner Jesus, er habe Exorzismen mit Hilfe des Teufels vollbracht, in der zweiten fordern die Pharisäer ein Zeichen vom Himmel, um Jesus auf die Probe zu stellen. Mk 8,11–13 hat die Form eines Streitgespräches, das aus einer versucherischen Frage und einer dazu passenden Antwort Jesu besteht. Die verneinende Antwort Jesu, formuliert in einem eQ-Satz, entspricht aber kaum der sonstigen Indirektheit und der Feinheit der Antworten eines Apophthegmas. Die Antwort hat die Form einer semitischen Beschwörungsformel und darf nicht als Konditionalsatz gedeutet werden.333 Dass Mk 3,22–30 und Mk 8,11–13 zusammenhängen, beweist die Tatsache, dass beide in der Logienquelle in derselben Perikope begegnet. Die Forderung eines Zeichens steht nämlich in Q 11,16, unmittelbar nach dem Vorwurf eines Bündnisses Jesu mit Beelzebul: 6teqoi d³ peiq²fomter sgle?om 1n oqqamoO 1f¶toum paqû aqtoO. Jesus antwortet darauf in Q 11,29 ff. mit dem Logion über das Zeichen des Jona. In Mk 8,13 verweigert sich Jesus abrupt, ohne weitere Argumente anzuführen. Man kann keine grundsätzliche Veränderung zwischen der markinischen und der Q-Fassung feststellen: Nach Markus ist die Forderung eines Zeichens (sgle?om) durch die Pharisäer eine Versuchung wie in Q, mit der Jesus als Scharlatan entlarvt werden soll. Der Begriff sgle?om impliziert hier allerdings einen weiteren Aspekt, nämlich die ,politische‘ Verwendung von himmlischen Zeichen bei den antirömischen Bewegungen Palästinas.334 Die Ankündigung von Zeichen gehört zur Propaganda der so 333 Nach J. Gibson, Jesus’ Refusal to Produce a Sign, 55, ist die Formel eine Abkürzung einer Selbstverpflichtung, die er wie folgt ausführt: „May I die (or some great evil befall me) if suchand-such is done“. 334 D. Lührmann, Das Markusevangelium, 136, sieht diese Frage als eine Legitimation der Propheten. Markus kennzeichne das Vorweisen von Zeichen und Wunder negativ als eine Charakteristik der Pseudopropheten (Mk 13,22). In Mk 3,22ff steht aber nicht die Prophetie und die Legitimation in Frage, sondern es geht um die Anklage der Zauberei. Mk 13 thematisiert einen weiteren Aspekt, das Auftreten von messianischen Propheten, die Aufmerksamkeit und Konsens erwecken wollen, indem sie „Zeichen und Wunder“ tun können. Die politischen Implikationen dieser Frage nach dem Zeichen, die mit den so genannten Goeten im jüdischen Krieg im Zusammenhang steht, werden im nächsten Kapitel diskutiert. Josephus (z. B. B.J. 6,285; 7,438) thematisiert immer wieder den Versuch einiger falschen Propheten, Ansehen in der Bevölkerung durch wunderbare Zeichen zu gewinnen. Jesus kann sich durch eine klare verneinende Antwort von beiden Anklagen distanzieren, nämlich religiös als Ketzer und Zauberer und politisch als Rebell eingeschätzt zu werden. Den Zusammenhang zwischen der Forderung eines Zeichens im Markusevangelium und der historischen Gegebenheit der Zei-
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genannten Zeichen-Propheten, die damit ihre göttliche Vollmacht zu beweisen und die Zustimmung des Volkes zu gewinnen versuchten.335 Markus scheint dieses Phänomen der Zeichenpropheten zu kennen und lässt es Jesus voraussagen (13,22). Für Markus wie für Josephus336 sind diese Menschen, die dem Volk Beglaubigungszeichen vorführen, falsche Propheten.337 Das Markusevangelium unterscheidet die Perikope des Beelzebul-Streites von der der Forderung eines Zeichens, um zwei Aspekte hervorzuheben, die für Markus eine wesentliche Rolle für die Apologie Jesu darstellen: Die Anklage des Beelzebul-Bündnisses gegen Jesus betrifft das Verhältnis Jesu zur jüdichenpropheten hebt J.B. Gibson, The Temptations of Jesus, 183–193, hervor. Vgl. auch zu dieser Diskussion über die Bedeutung von sgle?om S.M. Bryan, Jesus and Israel’s Tradition of Judgement and Restoration, 34–45. Nach Bryan bezeichnet dieser Begriff in der Zeit Jesu nicht die Beglaubigungszeichen, sondern eher ein Zeichen der Erlösung und der Befreiung von der fremden Macht. (Vgl. B.J. 6,284–286, bes. den Ausdruck t± sgle¸a t/r sytgq¸ar). Die Forderung eines Zeichens hat daher für Bryan die Bedeutung einer politischen Befreiung: „Rather, they sought a sign which by close analogy with one of God’s great redemptive acts in the time of the Exodus and Conquest unmistakably demonstrated the truth of Jesus’ claim that the time of fulfilment had come.“ (S. 39) Jesus habe das Zeichen des Jonas gegen jede Form von politischer Erwartung angekündigt, was die Buße und die Umkehr des Volkes impliziert (S. 41–45). 335 Dieser Zusammenhang mit den Zeichen-Propheten scheint mir wesentlich für den markinischen Text. Vgl. J.B. Gibson, The Temptations of Jesus in Early Christianity, 183–194. Gibson versteht allerdings diese Frage nach dem Zeichen in einem weiterem biblischen Diskurs und sieht keine politische Implikationen. Die Pointe sei die Treue Jesu zu seinem göttlichen Auftrag, der keinen Triumphalismus zulässt. („Mark has Jesus refuse this demand because for Jesus to do otherwise would be nothing less than to advocate, initiate and engage in triumphalism – a type of activity that, according to Mark, was forbidden to Jesus if he wished to remain faithful to the requirement of his divine commission“ S. 194). 336 Jos B.J. 2,61; 6,285. Josephus sieht historische Parallelen in der Geschichte Israels. Pseudopropheten überzeugten den König Zedekia, den Krieg mit der Hoffung auf einen Sieg zu führen, vgl. A.J. 8,406. 337 Dieses Urteil des Josephus über die Zeichen-Propheten behandelt R. Bloch, Mose und die Scharlatane, 142–156. Bloch spricht von dem differenzierten Urteil des Josephus über Moses und über die Zeichenpropheten in seiner Zeit, obwohl er für beide die gleiche Terminologie verwendet. Über Moses diskutiert er die Meinung einiger paganer Autoren (Molon und Lysimachos), nach der Moses ein cºgr und !pate¾m sei (Ap. 2,145.161). Bloch denkt, dass die Verteidigung des Moses durch die Vorwürfe gegen die Goeten bedingt ist. Josephus übertrage die innerjüdische Polemik gegen die Zeichenpropheten auf Moses: „Wenn er Mose gegen den Vorwurf der cogte¸a verteidigt, denkt er in erster Linie an die Goeten seiner Zeit“ (S. 153). Josephus unterscheide Moses von den gegenwärtigen Betrügern, weil Moses seine Fähigkeit von Gott bekommen hat. Das Kriterium, um Moses von den Zeichenpropheten zu unterscheiden, sei der Bezug auf die Wahrheit: „Josephus aber zeichnet Mose als einen wahren Philosophen, dem alle sophistischen Züge fremd sind: Nicht um den eigenen Vorteil (pkeomen¸a), sondern um die Wahrheit geht es ihm“ (S. 155). Bloch betont, dass der Begriff cºgr nicht mit „Zauberer“ übersetzt werden sollte, sondern allgemein mit „Betrüger“. Der Begriff kann jedoch auch „Zauberer“ bedeuten. Anders als Bloch kann man vermuten, dass die Diskussion über die Wundertaten Moses und der Zeichenpropheten aus der heidnischen Kritik stammt, die gegen diese Gestalten und insgesamt gegen das jüdische Volk gerichtet ist. Josephus versucht m. E. eine klare Differenzierung einzuführen. Er distanziert sich von den Goeten und betont die Größe der Gestalt des Moses.
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schen Religion, die Forderung eines Zeichen durch die Pharisäer und die entschiedene Verweigerung Jesu klärt,338 dass Jesus anders als die politischen Aufrührer keine „Zeichen“ vollbringen will.339 Die weiteren politischen Implikationen der Botschaft Jesu behandelt das Markusevangelium in den Jerusalemer Streitgesprächen. Es liegt nahe, dass der Vorwurf eines Teufels-Bündnisses in Q als Anklage von Ketzerei und Blasphemie gegen Jesus betrachtet wird, eine Vorwurf, der vermutlich bereits im palästinischen Judentum kursierte. Dementsprechen erklärte man Jesu Wunder (insbesondere die Exorzismen) als das Produkt einer teuflischen Kraft, über die Jesus verfügte. Die Perikopen in der Logienquelle, die das Problem des Verhältnisses Jesu mit dem Teufel behandeln, der Beelezebul-Streit und die Versuchungsgeschichte (auffallend ist das Stichwort peiqaslºr/peiq²feim in Q 4,1–13) sollen einen offenen Konflikt und völlige Fremdheit zwischen Jesus und dem Teufel erweisen. Diese Texte zeigen auch, dass der Vorwurf eines Bündnisses Jesu mit dem Teufel sehr früh in der Jesus-Tradition behandelt wurde. Die Versuchungsgeschichte könnte einer späteren Redaktion der Logienquelle angehören, obwohl dieser Punkt in der Forschung ziemlich umstritten bleibt.340 Selbst im Fall einer späteren Hinzufügung in der Logienquelle ist das Thema des Bündnisses Jesu mit dem Teufel von zentraler Bedeutung.341 Der Wortstreit zwischen Jesus und dem Teufel, einziges Beispiel eines !c½m kºcym342 in der Jesus-Tradition, dient dazu, den Vorwurf eines Teufelpaktes als absurd zurückzuweisen. Die Versuchungsgeschichte hat deshalb keine primäre politische Bedeutung. Nach der politischen Hypothese symbolisiert der Teufel entweder den römischen Kaiser Caligula, der eine Statue im Jerusalemer Tempel zu installieren versuchte, oder Agrippa 338 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 156, meint, dass die Verweigerung Jesu, ein Zeichen zu geben, den Sieg der Pharisäer bedeutet. Diese hätten ein Beglaubigungswunder erwartet. 339 J. Gnilka, Das Markusevangelium I, 306, bemerkt mit Recht, dass im Markusevangelium die Wunder Jesu dum²leir und keine sgle?a sind. 340 J.S. Kloppenborg, The Formation of Q, 246–249, datiert die Perikope in eine spätere Redaktion von Q. Gründe für eine spätere Datierung seien die Form, die Erwähnung von uR¹r heoO, die einzige in Q, und die Vorstellung des Wunders, das hier mit der Gottessohnschaft zu tun hat, während es in Q als Tat Jesu präsentiert wird. Für andere Autoren beweisen eine spätere Redaktion die Zitate aus der Septuaginta und die feine Exegese setze eine spätere Datierung voraus, vgl. N.H. Taylor, The Temptation of Jesus on the Mountain, 31–32, der aber die Aktivität von konvertierten Schriftgelehrten annimmt. 341 J.S. Kloppenborg, The Formation of Q, 249, meint, es sei unwahrscheinlich, die Versuchungsgeschichte als eine Apologie der Exorzismen Jesu anzusehen, weil in Q zu wenige Exorzismen enthalten sind. Die Apologie aber betrifft die Person Jesu. Sie soll beweisen, dass Jesus keinen Bund mit dem Teufel geschlossen hat. 342 Die Form der Versuchungsgeschichte scheint mir die eines Wortstreites zu sein. Sie unterscheidet sich sehr klar von den Streitgesprächen, weil dort die Person und die Meinung des Gegners nicht wichtig sind. So auch J.S. Kloppenborg, The Formation of Q, 258. Die Streitgespräche enthalten Sprüche aus der Jesus-Tradition, während die Versuchungsgeschichte von einem Schriftgelehrten verfasst sei. M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 41–48, behandelt die Versuchungsgeschichte als das einzige Beispiel eines Streitgesprächs in Q.
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I, der die Christen heftig verfolgte.343 Hingegen ist der Zweck des Wortstreites in Q 4,1–13 derjenige, die Opposition Jesu zum Teufel darzustellen, die sich logisch und teleologisch zeigt.344 Die politische Akzentuierung der Versuchungsgeschichte, die nur in der lukanischen Fassung durch die Dämonisierung der Macht zur Sprache kommt,345 findet aber keine konkrete Aktualisierung für die politischen Ereignisse der Gegenwart. Indem Jesus im Wortstreit den Teufel besiegt und sich nicht von ihm überreden lässt, beweist er implizit, dass er den Teufel bekämpft und keinen Bund mit ihm geschlossen hat. Die Beelzebul-Perikope entwickelt vor allem das Thema der Blasphemie. Die Anklage der Zauberei und des Bündnisses mit dem Teufel ist ein entscheidendes Argument, um Jesus als Ketzer zu verurteilen. Die Analyse des polemischen Zusammenhanges ist daher ein wesentlicher Aspekt dieses Textes. Im Mittelpunkt der Perikope steht ein apologetisches Interesse, das nicht die Praxis der Gemeinde, sondern die Person Jesu betrifft.346 Die Anklage der Zauberei ist auf dem jüdischen Boden sehr früh erwachsen, wahrschein343 Die politische Deutung der Versuchungsgeschichte vertritt vor allem G. Theißen, Die Religion der ersten Christen, 116. Theißen datiert diese Erzählung in die Zeit der Caligula-Krise. Caligula sei als eine Konkretion des Teufels gesehen, der die Königreiche der Oikumene regiert. N.H. Taylor, The Temptation of Jesus on the Mountain, 49, schlägt einen Bezug auf die Gestalt des Agrippa I vor, der die Christen heftig verfolgte und die Proskynese verlangte. Agrippa I sei nach der Bezeugung von Dio Cassius sogar das Vorbild eines orientalischen Herrschers für Caligula gewesen. Die Hypothese einer Identifizierung des Teufels in der Versuchungsgeschichte mit einem bestimmten Herrscher (Caligula oder Agrippa I) führt aber zu einem fragwürdigen Schluss. Kein Herrscher wäre nämlich bereit, seine ganze Macht (und nicht eine kleine Portion) einem anderen gegen Bereitschaft zur Proskynese zu verleihen. Der Teufel personifiziert daher sich selbst. Eine weitere politische Interpretation der Versuchungsgeschichte schlägt P. Hoffmann, Die Versuchungsgeschichte in der Logienquelle, 207–223, vor. Er spricht von der Funktion dieser Perikope in der christlichen Gemeinde, um sich von den Zeichenpropheten zu distanzieren. Diese versprachen Zeichen in der Wüste, ihre Aktion hatte mit dem Tempel und mit der Machtübernahme zu tun, wie es bei der Versuchung der Fall ist. Vor allem wichtig sei die Verweigerung der Verwandlung von Steinen in Brot in der Wüste, die an das Manna-Wunder der Zeichenpropheten erinnert. Diese Distanzierung von den Zeichenpropheten geschieht aber in der Verweigerung eines Zeichens. In der Versuchungsgeschichte steht das Problem des Teufelbündnisses im Mittelpunkt. 344 Die übliche Interpretation versteht die Versuchungsgeschichte als eine Anfechtung der Gottessohnschaft Jesu. Vgl. den Forschungsbericht von J.B. Gibson, The Temptations of Jesus in Early Christianity, 95–108. Gibson betont insbesondere die Bedeutung der Versuchung als Herausforderung für das Amt und die Mission Jesu. Diese Prüfung diene dazu, Jesu Gehorsam Gottes zu erweisen. Dieser Aspekt stimme mit der markinischen Fassung der Versuchung in 1,12–13 überein (S. 118). 345 Vor allem in Lk 4,6: fti 1lo· paqad´dotai ja· è 1±m h´ky d¸dyli aqt¶m. 346 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 11, spricht von der Doppelanklage der Teufelsbesessenheit und des Bündnisses mit dem Teufel gegen Jesus. „Ist die letztere Wendung echt semitisch und enthält die ursprüngliche Vorstellung von dem durch die Kraft des Namens gewirkten Wunder, so enthält die erste Wendung die hellenistische Vorstellung des von dem Dämon besessenen Magiers; die Wendung soll zwischen dem Vorwurf der Besessenheit (V. 21) und dem des Teufelsbündnisses (V. 22b) verbinden.“
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lich schon gegen den historischen Jesus.347 Nach der Tora war es verboten, Zauberei und Weissagung zu praktizieren (vgl. Lev 19,26), da beides als Beleidigung des Dienstes an Gott galt. Mit dem Begriff „Zauberei“ konnte man aber viele verschiedene Handlungen bezeichnen, von der Weissagung der Zukunft bis zur Krankenheilung und zum Gebrauch der „Macht des Bösen“. Grund dieser Anklage sind wahrscheinlich die von Jesus vollbrachten Exorzismen und Wunder. Im Markusevangelium ist die Anklage aus der Logienquelle, dass Jesus mit Hilfe von Beelzebul die Dämonen austreibe, erweitert. In diesem Evangelium gibt es keine unmittelbare Verbindung mit einer Heilung mehr. Zudem kommt der Vowurf der Teufelsbesessenheit ins Spiel und die verbindet sich mit dem Vorwurf der Verrücktheit, die von den Familienangehörigen Jesu stammt. Es ist durchaus möglich, dass dieser Vorwurf aus den zahlreichen Exorzismen Jesu erwachsen ist und einen Anhalt in der Wirksamkeit des historischen Jesus hat. Das hat sich sicher durch die Entwicklung der Jesus-Überlieferung noch verstärkt. Diese beiden letzten Vorwürfe, die Besessenheit und die Verrücktheit, sind auch im Johannesevangelium zu finden (Joh 7,20; 8,48; 10,20). Vor allem zu bemerken ist die Terminologie von Joh 10,20 dailºmiom 5wei ja· la¸metai, das Bündnis mit dem Teufel für die Exorzismen wird nicht mehr thematisiert. 7.2 Der Text von Mk 3,22–30 Der Text des Belzebul-Streites348 steht bei Markus in einem weiteren Kontext nach der Sandwich-Technik,349 die oft in diesem Evangelium angewendet wird. 347 Meine Deutung dieser Perikope betrifft nur die theologische Sphäre. Die Annahme eines Bündnisses mit Satan und die Anklage der Zauberei bleibt ein Motiv, mit dem oft Denker in der Antike disqualifiziert wurden. Die Versuche, weitere politische oder soziale Implikationen in der Debatte zu suchen, scheinen mir unwahrscheinlich. L. Gaston, Beelzebul, 247–255, schließt aus der Deutung von Zebul als „Haus“ und „Tempel“, dass die Anklage gegen Jesus nicht nur das Bündnis mit dem Teufel war, sondern auch ein Angriff Jesu gegen den Tempel (Zebul). G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten, 253–259, sieht in der Kontroverse eine Verteidigung Jesu gegen die Anklage, er sei mit der Macht Roms (Satan) verbündet. Rom bleibe die teuflische Macht, die nicht mit dem Reich Gottes zusammengehen kann. Jesus treibe Dämonen aus, die Legion heißen. S. Freyne, Jesus, a Jewish Galilean, 145–147, betont die soziale Bedeutung des Vorwurfs eines Bundes Jesu mit Belzeebul. Die soziale Bedeutung des Vorwurfs kann ich nachvollziehen: „Alleging demonic possession was (and often still is) a social instrument for excluding people who were deemed to be socially dangerous for one reason or another“ (S. 148). Die politische Zuspitzung wird in der Antwort Jesu gesehen, die Dynastie des Herodes und die der drei Kaiser seien Beispiele von einem Haus und einem Reich, die gespalten sind und daher zur Zerstörung bestimmt. Die politische Erklärung dieser Perikope wird noch von R. Rodriguez, Structuring Early Christian Memories, 192, vertreten. Vor allem im Begriff des gespaltenen Hauses und des gespaltenen Reiches seien klare Bezüge auf das Haus Herodes und das römische Reich vorhanden. 348 Der Ursprung des Namens beekfebouk ist umstritten. Die übliche Deutung basiert auf einer Ableitung vom Hebräischen @l5:.@F(5,(, was so etwas wie „Herr des Himmels“ bedeuten soll, was
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Mk 3,20–21 und 3,31–35 betreffen das Verhältnis Jesu zu seinen Verwandten. Diese versuchen seine Verkündigungstätigkeit anzuhalten und betonen, er sei verrückt. Das Urteil seiner Verwandten ist nicht sehr verschieden von dem der Schriftgelehrten, die ihm vorwerfen, er sei vom Teufel besessen. Das Ende der Perikope in Mk 3,31–35 bietet eine Lösung zum Thema der Verwandtschaft. Da für Jesus das Verhältnis zu Gott als dem Vater entscheidend ist, müssen alle menschlichen Beziehungen daran gemessen und neu definiert werden. Nur wer den Willen Gottes tut, steht in einer echten Verwandtschaft mit Jesus. Daher sind die Vorwürfe der Verwandten Jesu, er sei verrückt, nicht von wesentlicher Bedeutung, wenn man die neue Verwandtschaft im Blick hat. Jedenfalls besagt der Zusammenhang des Beelzebul-Streites mit dem Verhältnis Jesu zu seiner Familie, dass die Opposition gegen Jesus nicht nur religiös bedingt ist, sondern sogar in der Familie stattfindet. Die zahlreichen Übereinstimmungen der matthäischen (Mt 12,22–30) und lukanischen (Lk 11,14–23) Perikope gegenüber der markinischen Fassung lassen die Existenz einer Version dieser Erzählung in der Logienquelle an-
ursprünglich vermutlich eine kanaanitische Gottheit bezeichnet. Es könnte sich um die gleiche Gottheit wie in 2Kön 1,2–3 und 6,16 der Gott von Ekron handeln, der aber dort 5l5:! .@F(5,) (LXX Baak lu?am he¹m und bei Josephus A.J. 9,19, he¹m lu?am) heißt. Das sei eine Variante des gleichen Namens, der von dem biblischen Autor absichtlich spöttisch geändert wurde, vgl. z. B. W.D. Davies/D.C. Allison, Matthew II, 195. Sie schreiben: „The best guess is that Beelzebul is an ancient name for the Canaanite god Baal, the Lord of heaven“ (S. 195). Spätere Belege dieses Namens gibt es bei Origenes (C.C. 8,25); TestSal 3,6; 6,1–2, aber in keinen zeitgenössischen Texten. Zu diesem Thema vgl. W. Foerster, Art. Beekfebo¼k, ThWNT 1 (1933) 605–606, E.C.B. MacLaurin, Beelzeboul, NT 20 (1978) 156–160. Die These einer ursprünglichen Himmelsgottheit von W.E. Aitken, Beelzebul, 34–35, zeigt die jüdische Neigung, die heidnischen Himmelsgötter zu dämonisieren. @l5: heißt „Haus“ und wird benutzt für den Himmel als das Haus Gottes. So schreibt Aitken, Beelzebul, 34: „In the New Testament times he word zebul was used specifically of heaven, and that in each of the important non-Jewish religion of the period one god held a preeminent place, and he as skygod, and a foreign god was considered by the Jews to be a demon, the name Beelzebul – i. e. Lord of Heaven was properly applied to the chief of the demons.“ M.L. Humphries, Christian Origin and the Language of the Kingdom of God, 13–22, fasst die verschiedenen Thesen zur Erklärung dieser Bezeichnung zusammen. Er bemerkt, dass es unklar ist, warum der Name eines Dämonenherrschers nicht in der jüdischen Literatur vorkommt, sondern nur in späteren christlichen Quellen. G.H. Twelftree, Jesus the Exorcist, 105–106, stellt die Identifizierung von Beelzebul mit dem alttestamentlichen Beelzebub in Frage. Er nimmt an, dass die Gegner Jesu damit den Satan meinen. „We conclude here that Jesus is accused of being inspired by Satan. The word used, Beelzebul=Baalshamaim=Satan, is transparent enough to be readly understood by Jesus and those around him“ (S. 106). 349 Zu diesem Thema vgl. J.R. Edwards, Markan Sandwiches: The Significance of Interpolations in Markan Narratives, 193, gibt folgende schematische Definition dieser Texte: „Mark begins with story A, introduces story B, then returns to and completes story A“. Er zählt auf S. 197–198 neun Beispiele im ganzen Evangelium (3,20–35; 4,1–20; 5,21–43; 6,7–30; 11,12–21; 14,1–11;14,17–31; 14,53–72; 15,40–16,8). Edwards betont die theologische Funktion dieser narrativen Technik, die mittlere Erzählung biete immer den Schlüssel für das Verständnis der Erzählungen an den Rändern (S. 196).
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nehmen.350 Die Untersuchungen zu dieser Perikope beabsichtigen, eine ursprüngliche Fassung zu rekonstruieren und die redaktionellen Eingriffe des Markus zu bestimmen. Es bleibt aber unklar, in welchem Verhältnis die markinische Version zu der Q-Version stand.351 Der Beelzebul-Streit entsteht in der Q-Fassung nach einer Heilung, der Austreibung eines blinden und stummen Dämons, die die Bewunderung der Menge nach dem Muster einer Wundergeschichte weckt. Matthäus enthält sogar ein christologisches Bekenntnis der Menge in Form einer rhetorischen Frage l¶ti oxtºr 1stim b uR¹r Dau¸d, die sicher sekundär ist. Die Gegner Jesu sind in der Q-Version unbestimmt (t¸mer 1n aqt_m), während sie bei Markus als „einige Schriftgelehrte“ aus Jerusalem identifiziert werden. Die Betonung der Herkunft der Gegner Jesu aus Jerusalem ist ein wichtiges Anliegen des Evangelisten, der einen Zusammenhang der Passionsgeschichte in Jerusalem mit den Streitgesprächen in Galiläa herstellen will.352 Die Gegner Jesu sind im Matthäusevangelium die Pharisäer (Mt 12,24), die auch sonst die typischen Gegner Jesu dort sind. Der Vorwurf ist in Q die Vertreibung der Dämonen durch die Hilfe des Beelzebul, des Hauptes der Dämonen (Q 11,15), während es bei Markus noch um eine weitergehende Anklage geht, die Besessenheit Jesu durch den Teufel, Beekfebo»k 5wei. Die Q-Fassung enthält nach dem Vorwurf einen Satz über die Fähigkeit Jesu, die Gedanken seiner Gegner zu erkennen (Q 11,17), der aber in diesem Fall nicht nötig ist, weil der Vorwurf vorher in Worten formuliert wurde. Dieser Satz fehlt in der markinischen Perikope, in der vielmehr gesagt wird, dass Jesus zu ihnen in Gleichnissen spricht (1m paqaboka?r 5kecem aqto?r Mk 3,23). Die Antwort Jesu enthält in Q wie bei Markus die beiden Bilder des Königsreiches und des Hauses, die nicht gespalten sein dürfen, wenn sie ihre Existenz nicht gefährden wollen. Die markinische Argumentation ist nach einer logischen Struktur formuliert. Zuerst steht die Frage p_r d¼matai satam÷r satam÷m 1jb²kkeim, die den Vorwurf gegen Jesus als absurd erweisen soll. Dann folgen zwei 1²m-Sätze, die parallel formuliert werden, über das Königreich und das Haus. Die Schlussfolgerung besagt die Unmöglichkeiten einer innerlichen Spaltung des Satans, da dies sein Ende bedeuten würde. 350 Eine genaue Analyse der zwei Überlieferung kann man in J. Schröter, Erinnerung an Jesu Worte, 245–246, finden. Der Q-Text ist in Robinson/Hoffman/Kloppenborg, The Critical Edition of Q, 222–237, rekonstruiert. 351 W. Schenk, Der Einfluss der Logienquelle auf das Markusevangelium, 149, betont die christologischen Akzente, die das Markusevangelium in der Rezeption von Q setzt. Der Geist sei mit dem Menschensohn identifiziert. Die Menschensohn-Christologie sei eine Erweiterung der Geist-Konzeption bei Q. 352 J. Marcus, Mark I, 271, betont den symbolischen Gebrauch des Verbs „hinabsteigen“. Das Hinabsteigen sei nach J. Marcus in der Bibel negativ konnotiert, z. B. das Hinabgehen nach Ägypten (Jes 30,1; 31,1; 52,4). Jerusalem sei ebenfalls für Markus negativ besetzt. Das Hinabsteigen/Hinaufsteigen ist aber eher ein Ausdruck, der von der Position der Stadt Jerusalem auf einem Berg bedingt ist und nicht unbedingt eine symbolische Bedeutung hat.
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Die Q-Fassung (Q 11,19–20) enthält ein Logion, die Exorzismen der uRo· rl_m betreffend, womit wahrscheinlich die Jünger der Pharisäer gemeint werden, die eine positive Anwendung der Exorzismen in der jüdischen Religion beweisen soll. Dieses Logion ist mit einem anderen Logion über die Bedeutung der Exorzismen durch den Finger Gottes als Zeichen der Nähe des Gottesreiches verbunden. Ein weiteres Argument in Q und Markus ist das Gleichnis vom starken Mann, das noch in EvThom 35,1–2 überliefert ist. Die markinische Version schließt mit einem !l¶m-Wort über die nicht vergebbare Sünde gegen den heiligen Geist (Mk 3,28–30//Lk 12,10). Dieses Logion nimmt wieder Themen der galiläischen Gespräche auf wie Vergeben, Blasphemie, Sünde und sogar den Ausdruck uRo· t_m !mhq¾pym, der hier eindeutig für Menschen steht. Dieses Logion verbindet daher die Beelzebul-Perikope mit der Gruppe der Streitgespräche in 2,1–3,6. Am Ende der Perikope kommt der Text zu einem ersten Schluss: Die Sünde gegen den heiligen Geist ist selbst eine Blasphemie und eine Sünde, die nicht vergeben werden kann. Die Logik dieser Argumentation folgt dem Verlauf der Streitgespräche: Jesus bekämpft seine Gegner mit ihren eigenen Waffen. Obwohl der Streit sich eindeutig auf die Person Jesu bezieht, versuchen manche Exegeten nach dem Programm der Formgeschichte für die Perikope einen Sitz im Leben der Gemeinde zu bestimmen. Nach A.J. Hultgren ist die Perikope in eine Situation der Gemeinde eingebettet, die einige Leute wieder integrieren wollte.353 Der Text enthält im Gegenteil einen Vorwurf gegen die Gestalt Jesu, der vielleicht schon im palästinischen Judentum verbreitet war und dann noch weiter bis zur patristischen Literatur gewirkt hat. Die teuflische Besessenheit Jesu blieb eine polemische Erklärung für seine Wunder, die immer wieder aufgenommen wurde. Es ist wichtig zu bemerken, dass der Beelzebul-Streit der einzige Streit mit einer klaren dialektischen Argumentation ist, den Markus aus der Tradition übernimmt. Es liegt deshalb nahe, dass Markus aus dem Beelzebul-Streit die grundsätzliche Idee gewonnen hat, weitere Vorwürfe gegen Jesus in den Streitgesprächen zu behandeln und sie dadurch zu widerlegen. Die griffige Bearbeitung der Argumente Jesu im Vergleich zu Q zeigt, dass Markus eine klare dialektische Intention in der Gestaltung der Streitgespräche zu realisieren versucht hat.
353 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 105: „The Beelzebul Controversy would have been formulated at a time and place in which the church dealt with the problem whether forgiveness can be declared to persons who had been originally hostile to Jesus in his earthly ministry, but who now in the postresurrection period acknowledge him as the exalted Son of Man“. Diese Vorstellung von der Vergebung der ehemaligen Gegner ist aber im Text nicht enthalten. Offensichtlich ist, dass der Vorwurf sich gegen Jesus richtet und nicht gegen die Gemeinde.
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7.3 Der Vorwurf der Zauberei Im Griechischen findet man zwei Termini, um einen Zauberer zu bezeichnen: cºgr und l²cor, die mit verschiedenen Konnotationen benutzt werden können.354 Die Anklage gegen Jesus, er sei ein Zauberer gewesen, ist wiederum in der frührabbinischen Literatur zu finden.355 bSan 43b enthält einen Bericht über den Tod Jesu. Er wird vorgewarnt und dann gesteinigt und nach dem Gesetz aufgehängt. Jesus von Nazareth wird hinausgeführt, um gesteinigt zu werden, weil er Zauberei praktizierte und Israel aufgewiegelt und verführt hat.356
Ein historischer Zusammenhang mit der Hinrichtung ist sehr unwahrscheinlich, man kann aber einen polemischen Zusammenhang dieses Berichtes hervorheben. Jesus wird am Kreuz als Gotteslästerer hingerichtet, weil er ein Zauberer war. Die Übereinstimmung dieser Vorwürfe ist ein Produkt der jüdischen Polemik gegen die Person Jesu. Auch in der römisch-griechischen Welt galt die Zauberei als Verbrechen, obwohl dort andere Gründe als im Judentum galten. Zauberei galt nicht wie im 354 Das Wort cºgr ist meistens sehr negativ konnotiert. Nach Plato, Men. 80, konnten sie verhaftet werden. Weitere Belege des Terminus mit verschiedenen Konnotierungen in Pl. symp 203d, soph. 234 a–235a; Luc. Per. 13; Or. C.C. 1,71; 2 32; 7,41. l²cor ist bei Herodot eine Art Priester 1,107 120 128. Sarkastisch in 7,19. 37 oder bei Gorgias (82 B, 11 DK); Soph. Oed., 387, Eur. Orest. 1497. 355 Eine ausführliche Diskussion dieser Texte kann man bei J. Maier, Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung, EdF 82, Darmstadt 1978, 48–248 finden; vgl. zu bSanh 43a S. 219–237. Ein direkter Bezug zur Person Jesu wird von Maier ausgeschlossen mit der Begründung, dass die Rabbinen kein Interesse an der Person Jesu hatten. Die Person im Text konnte nach seiner Meinung mit Jesus identifiziert werden, aber „daß es nicht geschehen ist, darf als Hinweis auf das tatsächliche Interesse der Rabbinen an Jesus in der talmudischen Zeit gewertet werde: Es war so gut wie Null“ (S. 237). R.E. van Voorst, Jesus Outside the New Testament. An Introduction to the Ancient Evidence, Grand Rapids/Cambridge 2000, 104–122. Van Voorst betont die polemische Funktion der rabbinischen Texte, die sich gegen die christliche Verkündigung gebildet haben. Die unterschiedliche Bewertung dieser Texte kann man in der Diskussion zwischen L.H. Silberman, Once Again: the Use of Rabbinic Material, NTS 42 (1996) 153–155, der für einen vorsichtigen Umgang mit den rabbinischen Schriften plädiert, und R.E. Brown, The Babilonian Talmud on the Execution of Jesus, NTS 43 (1996) 158–159, verfolgen. Die Tatsache, dass der Beelzebulstreit die Anklage der Zauberei gegen Jesus enthält, könnte dafür sprechen, dass die talmudischen Anklagen sich auf alte Traditionen gegen Jesus beziehen. 356 Zitiert von P. Schäfer, Jesus im Talmud, 31.Vgl. auch G. Theißen/A.Merz, Der historische Jesus, 83. „Jesus habe Zauberei betrieben – ein Vorwurf, der schon sehr früh im Umlauf war, da er sich bereits in der Beelzebul-Perikope findet (Mk 3,22 par.) Es lag nah, Jesu Wunder als teuflische Zauberei und Magie zu deuten, wenn man in ihnen nicht Gott am Werk sah. Daß diese Anschuldigung allerdings in einem Zusammenhang mit Jesu Hinrichtung steht, ist sehr unwahrscheinlich.“
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Judentum als eine Beleidigung gegen den einzigen Gott, die sich noch mit dem Vorwurf des Götzendienstes und allerlei ethischen Verfehlungen verbindet. In der römischen Gesellschaft wurde die Zauberei vor allem als eine potentielle Kraft angesehen, die den Mitmenschen Schaden zufügen konnte. Eine interessante Debatte bietet in dieser Hinsicht das Werk des Apuleius, insbesondere seine Apologie gegen die Anklage der Zauberei. Als Argumente für die Anklage werden im Prozess einige auffällige Dinge angeführt, z. B. seine Suche nach Fischen, die giftig sind; ein Fall von divinatio durch einen Sklaven; der Besitz von magischen Objekten (ein Spiegel und Amulette in einem Leinentuch, 51–54); einige sacra impia nocturna (unklare kultische Handlungen in der Nacht) und der Besitz einer Statuette von Merkur, die als Statuette eines magischen Gottes gedeutet wird. Und schließlich die Anklage, er habe eine ältere Frau, seine spätere Frau Pudentilla, verzaubert und einige Heilungen vollbracht. Die Verteidigung des Apuleius besteht in der Unterscheidung zwischen einer schädlichen Form von Zauberei, die auch er verdammt, und der Religiosität, die den Einfluss der Götter auf das menschliche Leben anerkennt. Wichtig ist ihm außerdem zu betonen, dass seine Frau nicht verzaubert wurde, sondern ihn tatsächlich liebte. Es ist ein Fehler der Unwissenden gegenüber den Philosophen, sie entweder als Atheisten oder als Zauberer zu disqualifizieren.357 Es ist interessant, dass Apuleius diese Anklage als typisches Argument gegen die Philosophen gelten lässt, um ihrer störenden Lehre den Boden zu entziehen. Es ist außerdem interessant, dass Apuleius dieses Phänomen als ein allgemeines Gesetz in der Geschichte ansieht und seine Anklage damit erklärt und im Grunde zurückweist. Mit einer gewissen Ironie schließt Apuleius die Liste der bekannte
357 Apul. de mag. 27,1–3: Verum haec ferme communi quodam errore imperitorum philosophis obiectantur, ut partim eorum, qui corporum causas meras rimantur, irreligiosos putent eoque aiant deos abnuere, ut Anaxagoram et Leucippum et Democritum et Epicurum ceterosque rerum naturae patronos, partim autem, qui providentiam mundi curiosius vestigant er impensius deos celebrant, eos vulgo magos nominent, quasi facere etiam sciant fieri, ut olim fuere Epimenides et Orpheus et Pythagoras et Ostanes, ac dein similiter suspecta Empedocli catharmoe, Socrati daemonion, Platonis t¹ !cahºm. „Ungefähr diese Dinge aber werden aufgrund eines den Ignoranten geteilten Missverständnisses den Philosophen vorgeworfen: den einen Teil von ihnen, die die reinen und einfachen Prinzipien der Körper durchforschen, halten sie für gottlos und behaupten daher, dass sie die Götter bestritten, wie Anaxagoras, Leukipp, Demokrit, Epikur, und die übrigen Verteidiger der Naturgesetze, den anderen Teil aber, welche die Vorsehung über die Welt etwas neugierig ergründen und die Götter mit größerem Aufwand feiern, die nun bezeichnen sie volkstümlich als Magier, als sie auch zu bewirken wüssten, wovon sie wissen, dass es geschieht, wie es einst Epimenides, Orpheus, Pythagoras und Ostanes waren, und wie man wiederum in ähnlicher Weise verdächtig hat die Läuterungen des Empedokles, das Daimonion des Sokrates und ,das Gute‘ Platons“ (Übers. J. Hammerstaedt u. a., Über die Magie, S. 105).
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Philosophen, die wegen Zauberei angeklagt wurden: „gratulor igitur mihi, cum et ego tot ac tantis viris adnumeror“.358 Das scheint mir ein wichtiger Punkt, der auch in der Apologie des Markus für Jesus gelten soll. Die Anklage der Zauberei (und der Blasphemie) gegen Jesus ist nicht nur unvorstellbar, weil er umgekehrt gerade Dämonen austreibt, sondern sie lässt auch den Verdacht aufkommen, dass Jesus wie viele andere Lehrer der Antike ungerecht beschuldigt wurde. Unter den Krankheiten, die Apuleius diskutiert, steht vor allem die Epilepsie, der morbus comitialis oder nach griechischer Gewohnheit morbus divinus (Req± mºsor). Wiederum gilt als typische Beschäftigung eines Philosophen, die Ursache und die Behandlung der Krankheiten zu finden. Seine Diskussion über die Krankheiten sollte das Ziel haben, „dass diese aufhören, sich zu wundern, wenn die Philosophen durch ihre Lehre die Ursache der Krankheiten und die Mittel gekannt haben“.359 Die Apologie des Apuleius besteht allerdings nicht nur in der Widerlegung der Anklagen gegen ihn selbst, sondern auch in der Suche nach einer positiven Definition der Magie als einer Kunst, mit der man die Götter ehrt und lobt.360 Diese positive Vorstellung der Magie könnte in den iranischen Kulten für Zoroaster und Ormuz sowie in den philosophischen Argumenten Platons wurzeln. Magie sei nämlich sacerdotia Zoraostri.361 Was Apuleius erreichen will, ist eine Form von Philosophie, in der die Mysterien im Mittelpunkt stehen.362 Die Kirchenväter haben deswegen einen Vergleich zwischen Jesu Wundern und Apuleius immer abgelehnt.363
358 Apul. de mag. 27,4: „Ich gratuliere mir selbst, wenn ich mit solchen berühmten Männern mitgezählt werde.“ 359 Apul. de mag. 51,8: …„ut isti desinant mirari, si philosophi suapte doctrina causas morborum et remedia noverunt.“ Die Ankläger werden schließlich vor ein interessantes Entweder Oder gestellt: 51,10 „Dann sollen sie entweder festsetzen, dass es Sache des Zauberers und frevlerischen Menschen sei („aut constituant magi et malefici hominis esse morbis mederi“), Krankheiten zu heilen, oder, wenn sie dies nicht zu behaupten wagen, dann sollen sie zugeben, dass sie sich bei einem fallsüchtigen Jungen und einer fallsüchtigen Frau in nichtigen und geradezu hinfälligen Verleumdungen versucht haben (aut si hoc dicere non audent, (…) caducis vanas et prorsus caducas calumnias intendisse).“ (Übers. J. Hammerstaedt u. a., Über die Magie, S. 105). 360 de mag. 26,1–2: „auditisne magian, qui eam temere accusatis, artem esse dis immortalibus acceptam, colendi eos ac venerandi pergnaram, piam scilicet et divini scientem, iam inde Zoroastre et Oromaze auctoribus suis nobilem, caelittum antistitam, quippe qui inter prima regalia docetur nec ulli temere inter Persas concessum est magnum esse, haud magis quam regnare.“ 361 Hdt. I, 194, referiert die Information, dass die l²coi Priester waren. 362 De deo Socratis, 22: „in sui dico daemonis cultum, qui cultus non aliud quam philosophiae sacramentum est“. 363 Lact. div. inst. 5,3,2; Aug. epist. 138,18: „Quis autem vel risu dignum non putet, quod Apollonium et Apuleium, caeterosque magicarum artium peritissimos conferre Christo, vel etiam praeferre conantur?“ „Wer kann denn nicht als lächerlich betrachten, dass man Apollonius und Apuleius und andere in den magischen Künsten sehr kundige Menschen mit Christus vergleichen und sogar bevorzugen will?“.
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Die Polemik gegen Jesus als Zauberer reicht bis zu Kelsos bei Origenes.364 Es ist interessant, dass Kelsos die Anklage der Zauberei zitierte, obwohl er prinzipiell nicht gegen Zauberei war. Er will damit nur seine jüdischen Quellen geltend machen und zeigen, wie widersprüchlich und kontrovers die Person Jesu sei. Er versucht aus den verschiedensten Quellen Informationen zu zitieren, die die Gestalt Jesu beschädigen. Dazu gehören die Vorurteile über die kulturelle Abstammung Jesu aus dem jüdischen Volk, der soziale Status der Christen und gängige Vorwürfe über den Tod Jesu am Kreuz. Er benutzt auch jüdische Quellen gegen die Christen. Und schließlich bemüht er sich, die Unglaubwürdigkeit und die Widersprüchlichkeit des Zeugnisses der Evangelien aufzuzeigen, und zwar in einer Art, die nur in der Zeit der Aufklärung wieder zu finden ist. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Wunder Jesu. Sie sind für Kelsos keine Beweise für seine Göttlichkeit, sondern sie sind einfach t± 5qca t_m co¶tym.365 Verglichen mit Jesus können die Zauberer sogar noch erstaunlichere Dinge zu Stande bringen, und trotzdem kommt niemand auf die Idee, sie Söhne Gottes zu nennen. Kelsos schließt recht abwertend: fti taOta heolisoOr Hm timor ja· lowhgqoO cºgtor.366 Er zitiert zudem zwei weitere Motive, die in den Evangelien enthalten sind, um seine These zu bekräftigen. Das erste ist der Aufenthalt in Ägypten. Nach Kelsos hat Jesus die Zauberkunst in Ägypten erlernt.367 Das zweite Element ist die widersprüchliche Haltung Jesu gegenüber den Wundern. Jesus selbst nenne die Wundertaten das Werk Satans, d. h. er gebe zu, dass sie nichts Göttliches haben, sondern Werke böser Menschen sind.368 Der Zusammenhang zwischen dem Vorwurf des Bündnisses Jesu mit Satan und dem Vorwurf der Zauberei, der in späteren Schriften belegt ist, zeigt, wie 364 Den Vorwurf der Zauberei gegen Jesus diskutiert G.H. Twelftree, Jesus the Exorcist, 190–207, vor allem die These von M. Smith, Jesus the Magician, London 1978, der Jesus als Magier nach den Kriterien des ersten Jahrhunderts ansieht. Für M. Smith gelten zwei Elemente als Beweise seiner These, die jüdische Polemik (b.San 67a und t.Hul 2,22–23) und die römische Bezeugung, die die Christen als Zauberer definieren. Twelftree versucht vor allem die Belege von M. Smith zu entkräften, indem er die Stellen, die von der Zauberei Jesu und seiner Jünger handeln, zu reduzieren versucht. Die Belege sind aber zahlreich genug (siehe Quadratus bei Euseb h.e. 4,3,2; Justin, dial. 69; und Kelsos bei Origenes, siehe unten). Nach Twelftree, Jesus the Exorcist, 207, sind die polemischen Vorwürfe gegen Jesus, die vor allem ab dem 2. Jh. verbreitet waren, keine Garantie dafür, dass Jesus von seinen Zeitgenossen so angesehen wurde: „And, as the Jesus tradition itself cannot support the view that Jesus was charged with magic, we can take it that it is false to think that Jesus’ contemporaries considered him to be a magician or that the charge that Jesus practised magic is a motif permeating the Jesus tradition“. Der Beelzebul-Streit aber scheint dieser Annahme zu widersprechen, weil Bündnis mit dem Teufel und Teufelsbesessenheit die Grundlage für die Zauberei sind. 365 Or. C.C. I,68. 366 Or. C.C. I,71: „diese Werke waren gottwidrig, durch jemand gemacht, der ein bösartiger Zauberer war.“ 367 Or. C.C. I,68. 368 Or. C.C. II,49: taOta ce oqd³m he?om !kk± pomgq_m 1stim 5qca (…) taOta l³m ce ja· aqt¹r ¢lokºcgsem oqw· he¸ar v¼seyr !kk’ !pate¾mym tim_m ja· palpom¶qym eWmai cmyq¸slata.
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umstritten die Wunderheilungen Jesu für die Zeitgenossen waren. Eine genaue Unterscheidung zwischen Wunder und Zauberei war kaum möglich.369 Der Verfasser des Markusevangeliums will mit dem Beelzebulstreit beweisen, dass die Wunder Jesu nicht mit der Kraft des Teufels geschehen und dass sie daher kein Zauberwerk sind.370 Damit will er auch die entsprechende Anklage der Häresie und der Zauberei widerlegen. In der Perikope von der Kreuzigung Jesu treffen sich die beiden Linien, die religiösen und die politischen Anklagen gegen Jesus: Einige Menschen nämlich, die der Kreuzigung zuschauen, verspotten Jesus, er solle ein Zeichen seiner königlichen und göttlichen Macht geben und vom Kreuz hinabsteigen (Mk 15,29–32). Das bezeichnet das Markusevangelium als Blasphemie gegen Jesus (Mk 15,29). Jesus ist daher kein Blasphemiker, sondern diese Anklage und diese Vorwürfe, die gegen ihn gerichtet wurden und die in den Streitgesprächen aufgenommen werden, sind für Markus die eigentliche Blasphemie gegen den Sohn Gottes.
7.4 Die metaphorischen Antworten Jesu Die Antwort Jesu enthält zunächst ein Gleichnis vom Reich und vom Haus. Jesus verwendet oft metaphorische Rede in seinen Antworten in den Streitgesprächen, was für die Indirektheit der Antworten sorgt. Die metaphorische Rede entspricht nach J. Gnilka der Art Jesu im Markusevangelium, mit den Gegnern und mit den Außenstehenden zu sprechen,371 wie Jesus selber in der 369 Die Diskussion über die Unterscheidung von Religion und Zauberei in der Antike referiert M. Aubin, Beobachtungen zur Magie im Neuen Testament, 16–22. Eine klare Unterscheidung sei unmöglich. Im Fall des Vorwurfs gegen Jesus ist aber die Unterscheidung klar, nämlich die Hilfe des Teufels bei den Heilungen. Wie schwierig die Frage nach der Zeichenprophetie und nach der Magie war, zeigt die Untersuchung von G. Delling, Das Wunderbare bei Josephus. Josephus habe kein objektives Kriterium, um das Phänomen der Propheten zu beurteilen. Für die antike Welt gab es eine Selbstverständlichkeit, dass man Zeichen aus den natürlichen Erscheinungen in die Planung der Zukunft einbezog. Delling klärt den differenzierten hermeneutischen Ansatz des Josephus zum Thema Wunder/Wunderbare in den heiligen Schriften. Delling unterscheidet drei Prinzipien, die Josephus für die Auslegung der Schrift anwendet: 1) die wörtliche Deutung, 2) die allegorische Deutung, 3) die Aufhebung jeder Auslegung bei einigen Stellen der Bibel, die Geheimnisse Gottes enthalten (S. 293). Mit diesem letzen Prinzip kann Josephus die Wundergeschichten des Alten Testaments akzeptieren. Hingegen verurteilt er die Zeichenpropheten, die die Wunder des Moses zu verwirklichen versuchten, und nennt die Betrüger, weil sie scheiterten und ihnen Gott nicht geholfen hatte: „Dass Josephus diese Männer Goeten (Gaukler) und Betrüger nennt, hat seinen religiösen Grund darin, dass ihr Vorhaben misslungen ist, dass Gott sich nicht zu ihnen bekannt hat“ (S. 297). Das ist aber ein Kriterium, dass nur a posteriori angewendet werden kann. 370 Wenig überzeugend ist die These einiger Autoren, nach der Jesus wirklich ein Zauberer war. Vgl. vor allem das Buch von M. Smith, Jesus the Magician, bes. 140–151. P. Busch, War Jesus ein Magier?, 28–29, widerlegt diese Annahme, weil in der Jesustradition keine Spur von der magischen Literatur und der magischen Fachsprache zu finden ist, obwohl Heilungen und Exorzismen Handlungen sind, die kontrovers gedeutet werden können. 371 J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus I, 149.
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Gleichnistheorie sagt (Mk 4,10). Wenn man die markinischen Argumente im Belzebulgespräch mit den Argumenten der Logienquelle vergleicht, bemerkt man, dass die Antworten Jesu im Markusevangelium ausschließlich von Gleichnissen gebildet werden.372 Die Gleichnisse können sich auf einige konkrete Tatsachen oder Verhältnisse beziehen, ohne dass die Bilder einen eigentlichen Bezug auf die gemeinte Sache haben. Wenn man daher von basike¸a im Gleichnis spricht, muss das nicht zwingend heißen, dass darin eine politische Botschaft zu suchen ist. Es ist trotzdem üblich, das Doppelgleichnis politisch auszulegen. Die Beispiele eines gespaltenen Hauses und eines gespaltenen Königsreiches lassen sich nach B.J Incigneri mit der politischen Lage Roms am Ende der 60er Jahre deuten. Die Macht Roms, die nach christlicher Sicht vom Teufel stammt, kenne in der Zeit kurz vor der Abfassung des Markusevangeliums die Härte des Bürgerkrieges und der Kämpfe unter den Kaiseranwärtern.373 Diese politische Anwendung der Metaphorik gilt auch nach Incigneri für das „Haus“, das als Synonym von Reich ausgelegt werden könne.374 Die Streitigkeiten und die tiefen Spaltungen im römischen Reich vor dem Sieg der Flavier waren sicherlich ein sehr aktuelles Thema in der Zeit, in der das Markusevangelium verfasst wurde. Selbst wenn man annimmt, dass diese Gleichnisse eine vormarkinische Existenz hatten und sogar dem historischen Jesus zugeschrieben werden können, müssen sie aber nicht unbedingt als politischer Angriff Jesu gegen Rom oder gegen die Herodianer verstanden werden. Sie basieren vielmehr auf allgemeiner menschlicher Weisheit: Dass die Spaltung einer Familie (oder einer Dynastie, wie der Herodianer375) oder eines Reiches selbst destruktive Folgen haben kann, liegt auf der Hand und wird immer wieder von Ereignissen aus der Erfahrung bestätigt. Es war außerdem bekannt, dass die Spaltung der feindlichen Gebiete als wirksame Strategie des römischen Imperialismus galt.376 Es ist deshalb nicht nötig, in den zitierten Bildern eine bestimmte politische Positionierung Jesu zu sehen, sei es die Dämonisierung der römischen Macht oder gar die Selbstverteidigung einer philorömischen Position. Die Anwendung der zwei Bilder des Königreiches und des Hauses im ersten 372 In den Logienquelle sind noch zwei Argumente angeführt, die Exorzismen der „Söhne“ der Gegner Jesu und das Logion vom Finger Gottes. 373 B.J. Incigneri, The Gospel to the Romans, 186: „In Mark, and probably for his readers, Satan and the Roman Empire were inextricably linked, and the two questions together describe very well that time when Rom was very divided – when Roman forces fought for power in the city in December 69“. 374 B.J. Incigneri, The Gospel to the Romans, 187, betont die Bedeutung von Beelzebul als dem „Herrn des Hauses“, „If so, this strenhgtens the link between Satan and the imperial family“. 375 M.G. Ruf, Zoff bei Beelzebul, 281–282, versteht das Doppelgleichnis vom Reich und vom Haus auf der Basis der Streitigkeiten der Dynastie der Herodianer nach dem Tod des Herodes des Großen im 4 v. Chr. 376 Als Beispiel gilt die Aufteilung Palästinas in fünf Bezirke (s¼modoi) durch Gabinius Jos. B.J. I, 169–170.
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Argument dient dazu, den Vorwurf der Schriftgelehrten ad absurdum zu führen.377 Logisch ist dies möglich durch die Anführung eines konditionalen Arguments. Dieses Argument wird von zwei Aussagen umrahmt: erstens von der Frage p_r d¼matai satam÷r satam÷m 1jb²kkeim (Mk 3,23), die auf einen Widerspruch hinweist, zweitens von der Schlussfolgerung ja· eQ b satam÷r !m´stg 1vû 2aut¹m ja· 1leq¸shg, oq d¼matai st/mai !kk± t´kor 5wei. A. Busch stellt die logische Struktur dieser reductio ad absurdum dar, die Jesus gegen die Vorwürfe anführt: Wenn Satan die Exorzismen Jesu ermöglicht (p), dann greift Satan sich selbst an (q); dann stürzt Satans gespaltenes Haus (r). Das Haus Satan stürzt aber nicht (nicht r). Deshalb ermöglicht Satan Jesu Exorzismen nicht (nicht p).378
Das von Jesus angeführte Argument setzt gemäss Busch voraus, dass das Reich Satans nicht geteilt wird. Hier gäbe es somit ein logisches Problem in der Argumentation Jesu: Wenn es wahr wäre, dass Jesus’ Taten den Umsturz Satans zum Ziel haben, wie es das ganze Evangelium von Anfang an nahelegt, würde dies umgekehrt beweisen, dass Jesus ein Verbündeter Satans sei, ein falscher und zerstörerischer Verbündeter, aber doch immer ein Verbündeter: Jesus’s argument has a serious problem, then, for according to Mark’s Gospel Satan’s kingdom does fall, which is to say, Satan’s kingdom cannot stand. In other words, instead of giving us not r, which the parabolic argument of 3:23b–26 requires for validity, Mark’s narrative insists on r, and so Jesus’s argument is invalid by the rules of logical inference.379
Nach J. Marcus gibt es ein weiteres Problem, warum das Reich Satans im ersten Gleichnis, Königreich und Haus, nicht gespalten ist und im zweiten Gleichnis, dem Eingriff in das Haus des starken Mannes, von Jesus besiegt wird. Das ist nach Marcus ein Signal, dass Jesus zunehmend das Bewusstsein entwickelt, den Teufel in seiner Wirksamkeit bekämpfen und besiegen zu müssen.380 Austin löst diese vermeintlichen Unstimmigkeiten, indem er mit der Theorie M. Bachtins von einer Art Dialog von zwei Stimmen, „double voiced discourse“, in der Perikope spricht. Bachtin definiert die Sprache eines Romans 377 Vgl. W.C. Salmon, Logik, behandelt auf S. 63–65 die reductio ad absurdum. 378 A. Busch, Questioning and Conviction, 483. Das Schema des Syllogismus (modus tollens) ist folgendes: wenn p dann q; wenn q dann r, nicht r, also nicht p. 379 A. Busch, Questioning and Conviction, 484. Problematisch ist nach Busch auch das zweite Gleichnis, bei dem Jesus sich mit einem Dieb, der in das Haus Satans eindringt, vergleicht. 380 J. Marcus, The Beelzebul Controversy and the Eschatologies of Jesus, 248. S. Vollenweider, „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“, 199, schließt aber aus, dass Jesus die Vorstellung eines apokalyptischen Kampfes gegen Satan hatte: „Für Jesus selbst ist es die Ankunft des Reiches Gottes, welche die Dämonen als wesenlose Gestalten wegfegt. Vor dem Heiligen weicht alles Dämonisches“ (S. 100).
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als „a system of languages“ zwischen dem Autor und seinen Gestalten und verneint eine einheitliche und einsichtige Perspektive.381 In der BeelzebulPerikope kommen nach Busch zwei Perspektive zum Ausdruck, die Stimme Jesu, die den Vorwurf der Pharisäer entschieden zurückweist, und die Stimme des Evangelisten, der den Vorwürfen der Pharisäer entgegenkommt. Diese verschiedenen Perspektiven machten das Markusevangelium zu einer dialogischen Schrift, die bis zum Schluss offen bleibe.382 Die klare Absicht der Perikope ist, eine Antwort auf den Vorwurf des Bündnisses mit dem Teufel zu geben. Die Hypothese Buschs basiert jedoch auf einen fragwürdigen Widersinn in der Argumentation Jesu. Der Niedergang des Reiches des Satans ist nicht auf einen inneren Konflikt zurückzuführen, sondern auf Gottes Kraft, die sich in Jesus manifestiert. Die Proposition „nicht r“ im logischen Schema Buschs greift also auf die innere Konsistenz des Reiches des Satans zurück – d. h. Satan ist im Bösen kohärent mit sich selbst – und so bleibt die logische Argumentation gültig. Busch irrt aber darin, dass er den Sturz des Reiches des Satans durch innere Aufspaltung mit dem Sturz durch die Bekämpfung durch Jesus verwechselt. Die zwei Ebenen der Gestalt Jesu und des Autors des Evangeliums sind in diesem Punkt sicherlich miteinander kohärent. Das Doppelgleichnis soll dem Vorwurf gegen Jesus den Boden entziehen und nicht eine genaue Ausführung über die Macht des Satans geben. Das weitere Bildwort vom Starken in Mk 3,27 führt die Themen des Doppelgleichnisses weiter. Nach A. Merz ermöglicht das Wort vom Starken einen weiteren Schritt in der Argumentation Jesu, nämlich „wie seine Dämonenaustreibungen (…) zu verstehen sind“.383 Jesus, so Merz, vergleiche sich mit einem Räuber, der den starken Mann (Satan) bindet und seine Güter plündert. Diese allegorische Deutung ist aber nicht zwingend. Jesus bietet hier ein weiteres Beispiel, um den Vorwurf eines Exorzismus mit Hilfe des Satans zu widerlegen. Ein Exorzismus ist einem Kampf ähnlich, bei dem ein starker Mann durch einen Stärkeren besiegt werden kann. Die lukanische Fassung, die vielleicht dem Text von Q entspricht, beschreibt den Kampf wie einen militärischen Angriff, weil sie von Waffen spricht.384 Nach Incigneri ist der starke Mann „an accurate description of Vespasian, who took power by force, held Rome to ransom by stopping the Egyptian grain supply and with help of his son holds on the reigns of power tightly“.385 381 A. Busch, Questioning and Conviction, 496–497. 382 A. Busch, Questioning and Conviction, 497: „The dialogism Mark’s Gospel displays is ultimately not the product of an author so fully and powerfully engaging his characters that they succeed in attaining a kind of autonomy from monologic central his own ideology.“ 383 A. Merz, Jesus lernt vom Räuberhauptmann, 287. 384 A. Merz, Jesus lernt vom Räuberhauptmann, 290, sieht in der lukanischen Fassung eine Kritik der pax romana. Die Römer entsprechen dem Starken, der vollbewaffenet seinen Palast bewacht. 385 B.J. Incigneri, The Gospel to the Romans, 187.
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Diese allegorische und politische Deutung scheint mir aber nicht überzeugend. Das Wort vom Starken in Mk 3,27 hat wahrscheinlich einen selbständigen Ursprung (so wie in EvThom 35) und wurde vermutlich später in die Q-Beelzebul-Perikope eingeschlossen. Wenn im ersten Doppelgleichnis klar ist, dass das Reich des Satans nicht gespalten ist, wird durch das Wort vom Stärkeren gesagt, dass dieses Reich oder dieses Haus durch einen Kampf besiegt werden kann, den ein noch Stärkerer unternimmt. Die Wirksamkeit Jesu kann deshalb nicht in Verbindung mit dem Satan gesehen werden, was eine blasphemische Aussage wäre.
8. Jesus und die Reinheitsgesetze: Mk 7,1–23 8.1 Die Diskussion über die Reinheit Das „Reinheitssystem“386, das durch eine genaue Katalogisierung von Normen, Verhalten und Speisen in den levitischen Gesetzen gebildet wird, hat eine zentrale Bedeutung für die jüdische Identität und das religiöse Leben im zweiten Tempel. Die Reinheit beruht letztendlich auf der Heiligkeit Gottes, der an einem heiligen Ort fern vom Alltag anwesend ist. Vom Tempel her wie aus einem Zentrum, breiten sich Räume und Funktionen aus, die immer weiter von dieser Heiligkeit entfernt liegen und daher einen verminderten Grad der Reinheit erfordern. Der weiteste Kreis ist die Welt der Heiden, die Profanität der Gottlosen.387 Neben den Räumen werden auch besondere Zeiten festgelegt, 386 Das Wort „System“ soll hier betonen, dass das Problem der Reinheit die Welt umfasste und kategorisierte. Das entspricht beinah der Definition von J. Neyrey, The Idea of Purity in Mark’s Gospel, 91: „The process of ordering a sociocultural system was called ,purity‘, in contrast to ,pollution‘, which stands for the violation of the classification system, its lines and boundaries“. Neyrey ist bei dieser Definition von den soziologischen Studien von M. Douglas beeinflusst. Nach seiner Meinung sei Reinheit „a map of social system which coordinates and classifies things according to their appropriate place.“ 387 Folgende Kategorisierung ist in dem Mischna-Traktat Kelim 1,6–9 enthalten, zitiert von J.D.G. Dunn, The Partings of the Ways, 51–52. Es werden zehn Stufen der Heiligkeit unterschieden: das Land Israel, die ummauerten Städte, die Stadt Jerusalem, der heilige Berg, die Tempelmauer, der Hof der Frauen, der Hof der Männer, der Hof der Priester und das Heiligtum und das Allerheiligste. Eine ähnliche Darstellung bietet J. Neyrey, The Idea of Purity in Mark’s Gospel, 94–99. Laut Neyrey ist Reinheit von einer „map of places“ (kel 1,3–9), „map of persons“ (tMeg 2,7), „map of impurities“ (kel 1,3) und „map of times“ definiert. Für jede dieser Bereiche sei eine hierarchische Klassifizierung angegeben, die als Norm für die Einordung der Wirklichkeit dient. Im Reinheitssystem hat die Kategorie der Grenzen („boundaries“) eine wesentliche Bedeutung. Jeder Mensch muss die Grenzen gemäß seiner hierarchischen Stellung respektieren. Neyrey spricht auf der Basis der Untersuchung von M. Douglas (Purity Danger, 116) noch von einer „map of body“. Der Leib ist nämlich ein Symbol für den sozialen Leib: Eine strenge Kontrolle des Leibes impliziere eine strenge Kontrolle der Gesellschaft. Jesu Kritik an den jüdischen Reinheitsgesetzen ermögliche daher die Integration der verschiedensten
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die geheiligt werden müssen, die Feste und der Sabbat. Obwohl die Zentralität des Tempels für die Reinheit als Konsens gilt, ist es umstritten, ob Reinheitsgesetze wirklich für alle Israeliten oder ob sie nur für die Priester in ihrer Funktion im Tempel gelten. Eine Beschränkung dieser Normen auf den Tempel nennt Poirier „minimalistisch“. Poirier kritisiert vor allem die Auffassung von J. Neusner und anderen, wonach die Pharisäer die für Priester geltenden Reinheitsvorschriften für die ganze Bevölkerung verbindlich machen wollten. Die Reinheitsgesetze betreffen nach Poirier auch das Alltagsleben aller Juden und nicht nur die Rituale der Priester im Tempel.388 Vor allem gilt für ihn der archäologische Befund, dass in den Häusern und vor den Gräbern einige Waschbecken oder N989KB gefunden wurden.389 Das zeigt, dass nicht nur Priester die Reinigungsrituale praktiziert haben.390 Die Funktion der Pharisäer als einer Gruppe, die die Radikalität der Reinheitsgesetze immer stärker in das alltägliche Leben in Palästina einführen wollte, scheint allerdings auch aufgrund der Erzählung der Evangelien ziemlich plausibel. Das hebräische Verb L8)ü) „rein sein“ bezeichnet die „körperliche, sittliche, religiöse (kultische) Reinheit“,391 was die Existenz eines Reinheitssystems bestätigt. Das priesterliche Gesetz betont die Verunreinigung bei einigen Umständen, die mit der Geburt (Lev 12,7), der Sexualität (besonders den geschlechtlichen Flüssigkeiten Lev 15; 22,4) und dem Tod (Berührung einer Leiche, Lev 21,1–4; 22,4; Num 6,6–9; 19,11.14–16) zu tun haben. Unrein kann man durch Kontakt mit einigen Krankheiten wie Aussatz (Lev 13; 14; 22,4) und vor allem durch die Berührung oder den Genuss von unreinen Tieren werden, für deren Erkennung objektive Kriterien aufgelistet sind (Lev 11,4–46). Die Rituale der Reinigung sind zahlreich und umfassen Waschungen, Blutopfer, Riten mit Öl und Salz, Haareschneiden, Kasteiung, Ruhe.392 Die Komplexität der Normen und der Rituale der Reinigung ist in der markinischen Perikope überhaupt nicht dargestellt, weil da nur vom Händewaschen und von den Speisegesetzen die Rede ist. Das Thema der Reinheit hat in der neutestamentlichen Forschung ein noch größeres Interesse seit der anthropologischen Untersuchung von M. Douglas geweckt,393 welche die Folgen der Reinheitsgesetze für das menschliche Zu-
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Menschen in die christliche Gemeinde. Neyrey schreibt am Schluss seines Aufsatzes (The Idea of Purity in Mark’s Gospel, 124): „When Jesus crosses boundaries and when he allows unclean people to contact him, this ,polluting‘ activity functions in Mark vis- -vis the inclusive membership of Mark’s church.“ J.C. Poirier, Purity beyond the Temple in the Second Temple Era, 256: „Neither the Bible nor the Mishnah implies that purity is a strictly temple-oriented concern, and the intrusively daily nature of the laws found in both strongly suggests the opposite.“ J.C. Poirier, Purity beyond the Temple in the Second Temple, 256–257. Nachweise für die Verbreitung der Reinheitsnormen im privaten Bereich finden sich auch in einigen Schriften wie das Buch Tobit 2,9 oder im Aristeasbrief 305–306. F. Maas, Art. L8ü, 647. F. Maas, Art. L8ü, 649. C. Tuor-Kurth, Unreinheit und Gemeinschaft, 229–231. Zu den Studien von M. Douglas und H.
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sammenleben untersucht hat. Sie hat später eine spezielle Monographie zum Buch Leviticus veröffentlicht.394 Douglas bemerkt, dass die Bestimmung von unreinen Speisen und Handlungen nicht auf objektiven oder physiologischen Regeln gründet. Die Vorschriften entsprechen vielmehr einem Bedürfnis der Sonderung des Heiligen und der Bekämpfung des Chaos. Der Grund, weshalb das Schweinefleisch unrein ist, liege nicht an der Unsauberkeit des Tieres, sondern einfach an der Tatsache, dass dieses Tier nicht in die aufgestellten Regeln an sich passe. Das Schwein habe nämlich einen gespaltenen Fuß, ohne ein Wiederkäuer zu sein.395 Die Regel gelte deshalb mehr als die Funktionalität. Douglas’ These kann durch folgendes Zitat zusammengefasst werden: Dirt was created by the differentiating activity of mind, it was a by-product of the creation of order.396
Die Gefährdung durch das Chaos und die Stiftung von Ordnung betreffe den Lebensraum und vor allem den menschlichen Körper selbst. Die Debatte über die Reinheit in Mk 7,1–23 hat aber weitere Implikationen für die Jesusforschung und die Entwicklung der christlichen Gemeinde als einer gegenüber dem Judentum autonomen Gemeinschaft. Es ist unklar, ob bereits Jesus für eine so klare Abgrenzung von den Speisegesetzen des Judentums verantwortlich war oder ob die Gemeinden erst im Laufe der Zeit und erst durch die Wirkung der paulinischen Theologie zu dieser Position kamen. Wir haben schon gesehen, wie der freie Umgang Jesu mit den Zöllnern und anderen Kategorien von Sündern die Erregung der Pharisäer provozierte. Das kann als historisch gesichert gelten durch die solide Tradition, die auch in der Logienquelle zu finden ist (Q 7,34ff). Die verschiedenen Erzählungen in den Evangelien, bei denen Jesus die Reinheitsnormen verletzt (die Berührung der Aussätzigen, die Berührung einer menstruierenden Frau, die TischgemeinMaccoby vgl. den Aufsatz von J. Klawans, Rethinking Leviticus and Rereading Purity and Danger, AJS 27(2003) 89–102. Klawans würdigt Douglas’ Buch Purity and Danger mit diesen Worten: „But the importance of Purity and Danger lies more in its overall methods (particularly its fusion of functionalism and structuralism) and its advocacy of the symbolic value of ritual structures, and less in its specific descriptions of social functions of purity system“ (S. 96). 394 M. Douglas fasst ihre Thesen über das jüdische Reinheitssystem in einer Monographie zusammen, Leviticus as Literature, Oxford/New York 1999. Der Zweck der Studie ist eine Rehabilitierung des alttestamentlichen Buches. „This study’s aim is to reintegrate the book with the rest of the Bible. Read in the perspective of anthropology the food laws of Moses are not expressions of squeamishness about dirty animals and invasive insects. (…) The religion of Leviticus turns out to be not very different from that of the prophets which demanded humble and contrite hearts, or from the psalmists’ love of the house of God.“ 395 M. Douglas, Purity and Danger, 55: „As the pig does not yield milk, hide nor wool, there is no other reason for keeping it except for its flesh. (…) I suggest that originally the sole reason for its being counted as unclean is its failure as a wild boar to get into the antelope class, and that in this it is on the same footing as the camel and the hyrax, exactly as is stated in the book“. 396 M. Douglas, Purity and Danger, 161.
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schaft mit Zöllnern und die Berufung von moralisch verworfene Menschen wie Prostituierten und Betrügern), bedeutet nicht unbedingt die Definition eines neuen Reinheitssystems, dokumentiert aber jedenfalls eine kritische Haltung gegenüber einigen Grundpfeilern des palästinischen religiösen Lebens. Die Authentizität des Logions in Mk 7,15 würde die kritische Position Jesu zu den Reinheitsgesetzen bestätigen. Obwohl die Auffassung des historischen Jesus zum Thema rein und unrein nicht ohne Belang ist, richtet sich das Hauptinteresse in der Analyse dieser Perikope auf der Bedeutung der Debatte für das Markusevangelium. Mit dieser längeren und strukturierten Diskussion beendet Markus faktisch die Diskussion über die religiösen Vorwürfe gegen Jesus. Das Problem der Reinheit ist der Höhepunkt der Konfrontation Jesu mit den religiösen Gesprächspartnern. Das Thema Blasphemie, das parallel zu den Vorwürfen behandelt wird, wird zum zweiten Mal aufgenommen und abgeschlossen. Die Blasphemie verunreinigt den Menschen (viel mehr als alle anderen als unrein gedachten Handlungen) und kommt aus dem Herzen des Menschen und nicht von außen. Die Verstockung des Herzens, die die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Gegnern Jesu macht, ist gleichzeitig die Quelle der Blasphemie, der Sünde gegen den heiligen Geist.
8.2 Der Text von Mk 7,1–23 Die Mannigfaltigkeit der Themen und die Komplexität sprechen dafür, dass die Perikope eine Einheit aus unterschiedlichen Teilen der Jesus-Überlieferung ist.397 Man kann nämlich darin mindestens vier verschiedene Themen unterscheiden, die nicht miteinander verwandt sind: die Norm der Handwaschung vor dem Essen, den Brauch des Korban, die Frage der pharisäischen Traditionen und die Reinheit der Speisen. Dass diese Themen unter dem gemeinsamen Nenner „Reinheit“ behandelt werden, zeigt schon die besondere christliche Perspektive der Perikope. Nach R. Pesch gilt die Perikope als zweite Rede Jesu im Markusevangelium nach der Gleichnisrede in 4,1–34 und bereitet die Wirkung Jesu in den heidnischen Gebieten vor.398 Das Zitat aus Jes 23,19, das die Äußerlichkeit des Gottesdienstes des ganzen Volkes (und nicht nur der Pharisäer als Gruppe) aufdeckt, bezeugt ebenfalls die Sicht der Christen zur Reinheit. Die Außenperspektive ist noch offensichtlicher bei der redaktionellen Bemerkung in Mk 7,3, mit der der Evangelist die Bräuche der vaqisa?oi ja· p²mter oR Youda?oi für seine Leser erklären muss. Er erklärt die Bedeutung von joimºr (Mk 7,2 joima?r weqs¸m, toOtû 5stim !m¸ptoir) und des Namens Korban (Mk 7,11 joqb÷m toOtû 5stim d_qom). Die Formgeschichte und die Redaktionsgeschichte haben auf der Basis der heterogenen Bestandteile versucht, das ursprüngliche Streitgespräch zu rekonstruieren und die Ent397 Dazu auch L.Scornaienchi, Die Relativierung des Unreinen, 505–526. 398 R. Pesch, Das Markusevangelium 1, 367.
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wicklung des Textes bis zur markinischen Redaktion zu beschreiben. Die Rekonstruktion der vormarkinischen Fassung bleibt aber ziemlich umstritten. Nach R. Bultmann399 bilden V. 1–8 den Grundbestandteil der Perikope, die dann mit einem polemischen Teil in 9–13, dem Teil über das Korban, erweitert wurden. Eine weitere Stufe der Tradition stellten Mk 7,15 und die darauf folgenden Kommentare (V. 18b–19) dar. Mk 7,20–23 habe, so Bultmann, ein hellenistischer Autor verfasst. Die weiteren Teile seien einfach zur ursprünglichen Debatte durch den Ausdruck ja· 5kecem aqto?r und ohne eine redaktionelle Angleichung hinzugefügt worden. Dibelius stellt fest, dass die Argumente Jesu, nämlich die Korbanpraxis einerseits und das Reinheitslogion andererseits, die Frage nach dem Handwaschen gar nicht behandeln. Sie sei deshalb vom Evangelisten selbst angeführt worden.400 A.J. Hultgren betrachtet die Perikope als ein nicht-einheitliches Streitgespräch, dessen ursprünglicher Kern von Mk 7,1–8 gebildet wird. Mk 7,1 ist nach Hultgren durch die Markusredaktion entstanden, das vormarkinische Material bilden dann Mk 7,2 und 7,5–8.401 Anders als Bultmann siedelt Hultgren den Ursprung der Perikope in der hellenistischen Gemeinde an, weil das Jesaja-Zitat aus der Septuaginta und nicht aus dem masoretischen Text stammt.402 Die Debatte habe eine apologetische Funktion in der Konfrontation zwischen Judenchristen und Heidenchristen zum Thema Reinheit gehabt, wobei Hultgren zugeben muss, dass das Händewaschen eine spezielle rituelle Gewohnheit war und als solche nicht als pars pro toto für die Reinheitsvorschriften gelten könne. Eine weitere Hypothese sieht in der Perikope keine Diskussion über die Tradition, wie Bultmann angenommen hat, sondern eine Debatte über die Reinheit.403 In diesem Fall bilden Mk 7,5 und Mk 7,15 die ursprüngliche Antwort Jesu. D. Lührmann betont, dass sich das Logion Jesu in 7,15 auf keine konkreten Fälle von Unreinheit in Palästina beziehe. Es sei schwierig gewesen, in Palästina Situationen zu erleben, die eine wirkliche Verletzung der Reinheitsgesetze darstellten (wie das Verzehren von Schweinefleisch). Das Logion handle vielmehr von einer „relativen Reinheit“, die dann mit 7,19 die christliche Gemeinde nach der Erweiterung der Mission außerhalb Palästinas ver399 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 15. 400 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, 223: „Diese Frage, auf die die Jesus-Worte überhaupt nicht eingehen, ist also wohl erst vom Evangelisten vor die ganze Komposition gestellt; die Verbindung der Jesus-Worte (mindestens von 7,6–15) aber kann älter sein und mag mit dem Propheten-Wort 7,6–8 eröffnet worden sein.“ 401 A.J. Hultgren, Jesus and his Adversaries, 115–116. 402 A.J. Hultgren, Jesus and his Adversaries, 117. Der Text der Septuaginta ist in der markinische Fassung leicht geändert und lautet: did²sjomter 1mt²klata !mhq¾pym ja· didasjak¸ar. Die appositive Position von didasjak¸a verstärkt die Unterstellung, dass die menschliche Normen als Lehre Gottes erteilt werden. Vgl. R.P. Booth, Jesus and the Laws of Purity, 39. 403 Diese Hypothese vertreten vor allem K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 463; H. Hübner, Das Gesetz in der synoptischen Tradition, 157–165; D. Lührmann, …womit er alle Speisen für rein erklärte, 88.
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absolutierte.404 Die Entscheidung für die eine oder für die andere Option scheint aber auf keinen objektiv belegbaren Gründen zu beruhen. W. Weiß, der die These einer Debatte über die Tradition vertritt, kritisiert die Position Hübners, weil kein logischer Übergang von der Debatte über die Reinheit zur Debatte über die Tradition gegeben sei.405 Beide Hypothesen versuchen ein ursprüngliches Gespräch der Gemeinde zu rekonstruieren, das polemische oder apologetische Zwecke gegen das Judentum oder gegen das Judenchristentum verfolgte. R.P. Booth kritisiert Bultmanns Methodik, in der Perikope ausschließlich eine Debatte der christlichen Gemeinde ohne jede Verbindung mit dem historischen Jesus zu sehen. Er schlägt stattdessen vor, den historischen Kontext der Debatte über die Reinheit zu rekonstruieren. Anders als die Formgeschichte vermutet Booth den Ursprung der Perikope beim historischen Jesus.406 Er unterscheidet vier Stufen der Tradition vom historischen Jesus bis zum Apostelkonvent in Jerusalem:407 1) Die Debatte des historischen Jesus mit den Pharisäern über den Umgang mit Zöllner und Sündern sei die erste Stufe. Da Jesus dabei nur mit Juden Kontakte hatte, stellt sich die Frage nach nicht-koscheren Speisen nicht. Das erkläre die Formulierung des Prinzips in Mk 7,15. 2) Die zweite Stufe stellen die Positionen der Hellenisten ab 30 n. Chr. dar. Diese warfen dem Judentum vor, sie hätten den Messias nicht angenommen. Stephanus’ Kritik der Tempelinstitution könne das Milieu sein, in dem die Kritik des Korban entstanden ist. 3) Die Rechtfertigung der Mission an den Heiden (33 n. Chr.) charakterisiert die dritte Stufe. Zu dieser Zeit steht Paulus im Zentrum der Polemik der Judenchristen gegen jede Form von Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen. Die hellenistischen Christen haben in dieser Phase das Jesaja-Zitat benutzt und die Kritik der Korban-Praxis formuliert. 4) Die Debatte zum Aposteldekret in Apg 15 (44 n. Chr.) betrifft die vierte Stufe. Das Dekret beschließt einen Kompromiss zwischen der Forderung der Beschneidung der Heidenchristen und der Position des Paulus, der die Heiden ohne Beschneidung in die christliche Gemeinde eingliedern wollte. Zu dieser Zeit entstand nach Booth der Kommentar zum Reinheitslogion, der den paulinischen Kampf mit den Judenchristen und die paulinischen Debatten um den Verzehr von Opferfleisch weiterführt.408 404 D. Lührmann, …Womit er alle Speisen für rein erklärte, 86. „Es ging um eine relative Reinheit in bezug auf den vorausgesetzten Bezugsrahmen der Tora, nicht wie Mk 7,19“. Der Erzähler habe die absolute Formulierung in 7,19 nicht als Jesus-Logion präsentiert: „In Mk 7,19 scheute sich ja auch der Erzähler, das in einem Jesuwort umzusetzen“. 405 W. Weiß, Eine neue Rede in Vollmacht, 64. 406 R.P. Booth, Jesus and the Laws of Purity, 75. 407 Diese Stufen illustriert Booth, Jesus and the Laws of Purity, auf S. 80–83. 408 R.P. Booth, Jesus and the Laws of Purity, 83: „We see the two explanations of the purity logion as created by Gentile Christians of Paul’s persuasion, believing that they were not bound by the
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Diese genaue Beschreibung von verschiedenen Stufen in der Debatte der ersten Gemeinde zur Reinheit geht das Risiko ein, extrem formalistisch zu sein. Aber selbst wenn diese Analyse korrekt sein sollte, ist noch die Leistung des Markus und die Bedeutung der Perikope, so wie uns heute vorliegt, zu verstehen409. Der Evangelist hat vermutlich verschiedene Elemente aus der Tradition benutzt und sie zu einer Einheit zusammenstellt. Man kann aber dieses Material chronologisch nicht mehr so genau einordnen. Trotz der Verschiedenheit der Themen ist für den Evangelisten eine Kohärenz erreicht. Die beiden Teile, die in der Regel unterschieden werden, Mk 7,1–13 und 7,14–23,410 sind durch einige Stichworte sehr eng miteinander verbunden. Beide Teile enthalten den Kernbegriff, das Adjektiv joimºr bzw. das Verb joimoOm (Mk 7,2; 7,5; 7,15; 7,18; 7,23). Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Begriff paq²dosir, der von 7,3 an durch den Gegensatz zu 1mtok¶ bis zu 7,13 thematisiert wird. Die anthropologischen Termini und der anthropologische Gesichtspunkt gehören zum Wesen der Argumentation Jesu, die die Teile der Perikope eng verbindet. Im Mittelpunkt steht das Wort jaqd¸a im Jesaja-Zitat in Gegensatz zu we?ka (7,4), das im zweiten Teil der Perikope durch den Gegensatz Innen-Außen (5nyhem – 5syhem) weiter geführt wird. Das Herz stellt das Innerste des Menschen dar, das die unreinen Speisen nicht erreichen können. Die nach dem levitischen Gesetz unreinen Speisen können daher den Menschen nicht verunreinigen, weil sie durch die joik¸a gehen und ausgeschieden werden, ohne das Innerste des Menschen zu tangieren. Hingegen kann den Menschen verunreinigen, was aus dem Herzen herauskommt. Die beiden Aspekte, die im Vorwurf der Gegner im 7,5 enthalten law, similarly, we see Mark’s editorial accentuation of the attack on the traditional law, particularly on purity, as aiding this Pauline battle“. 409 J. Lambrecht, Jesus and the Law, 40–42, hebt die Elemente hervor, die die markinische Redaktion ausmachen: 1) die Erklärung einiger für die Leser unklaren Begriffe, 2) die Verallgemeinerung der Aussagen auf alle Juden, 3) die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, 4) die Schwierigkeit der Jünger zu verstehen in Mk 7,18, 5) der Gebrauch von Einleitungs- und Übergangsformeln. Diese Beobachtungen scheinen mir korrekt zu sein. Man sollte allerdings dazu noch die Kompositionstechnik des Evangelisten berücksichtigen und vor allem die Anwendung der Zitate vgl. C. Breytenbach, Die Vorschriften des Mose im Markusevangelium, 30–31. Breytenbach kritisiert die These von Dibelius, nach der Mk 7,9–13 zu einer alten Tradition gehört. Wenn man aber diese Elemente zusammen betrachtet und die stilistischen und konzeptionellen Elemente berücksichtigt, kann man nicht mehr von einem Text sprechen, den Markus aus der Tradition übernommen und leicht modifiziert hat. Man muss vielmehr von der Leistung eines Autors sprechen, der seine verschiedenen Materialien aus der Tradition zusammenfügt und klare Akzente setzt. Ich stimme daher mit der Schlussfolgerung von Breitenbach, Die Vorschriften des Mose in Markusevangelium, 31–32, überein: „Es liegt daher eher nahe, dass der Evangelist anhand der ihm bekannten frühjüdischen Korbanpraxis, die er in V. 11 f. dramatisch vorführt, seinen Jesus auf die Vorschrift des Mose im vierten Gebot rekurrieren lässt, um exemplarisch darzustellen, wie die Überlieferung der Pharisäer das Gebot Gottes außer Kraft setzt.“ 410 Z.B. H. Merkel, Markus 7,15 – Das Jesuswort über die innere Verunreinigung, 341. Er unterscheidet zwei Themen, Händewaschen 7,1–13 und Speisegebote 7,14–23. Ebenfalls H. Sarola, Markus und das Gesetz, 23.
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sind, der Bruch der Tradition einerseits und das Essen mit unreinen Händen andererseits, die eigentlich auf die gleichen Übertretung (den Bruch der Reinheitsgesetze) hinweisen, unterscheidet Markus durch die zwei zentralen Termini paq²dosir und joimºr. Die Überlieferung ist das Thema des ersten Teils der Perikope, 7,1–13, und die Frage der Reinheit das des zweiten Teils 7,14–23. Das Jesaja-Zitat bietet eine Art Synthese beider Aspekte und eine autoritative Bezeugung zu diesem Thema aus der Perspektive der Prophetenkritik dar: Der nur äußerliche Charakter des Gottesdienstes im Zitat betrifft die Äußerlichkeit der Reinheitsgesetze, die Kritik der menschlichen Satzungen bezieht sich auf die Tradition der Alten. Das Thema der zwei Logia 7,8 und 7,9 ist die Tradition, die die Pharisäer und die Schriftgelehrten auf Kosten des Gebotes Gottes folgen. Die Korban-Praxis dient als Illustration dieser widersprüchlichen Haltung der religiösen Autoritäten, die an der Tradition sich festhalten und das Gebot außer Acht lassen. Der Vorwurf gegen die Jünger Jesu, dass sie sich nicht an das Ritual des Händewaschens halten, ist damit entschärft. Was darauf folgt, ist eine Erörterung des Themas „Reinheit“ auf der Basis des Jesus-Logions in 7,15. Dieses Logion, als paqabok¶ für das Volk vorgetragen, enthält eine parallele Formulierung in negativer (Verunreinigung von außen, 15a) und in positiver (Verunreinigung von innen, 15b). Jesus erklärt schließlich den Jüngern diese beiden Aspekte, in 7,17–19 die negative Form und in 7,20–23 die positive Form. Die Perikope lässt sich daher wie folgt gliedern: 1–5 6–7 8–9 10–13 14–15 17–19 20–23
Situation, Erklärung und Vorwurf gegen Jesu Jünger Jesaja-Zitat (Herz-Lippe; Satzungen der Menschen) Logia zur Überlieferung Erklärung: Korban-Praxis Logion zur Reinheit Erklärung 15a Erklärung 15b
8.3 1mtok¶ heoO versus paq²dosir !mhq¾pym Jesus wird aufgefordert, über das Verhalten seiner Jünger Rechenschaft abzulegen. Die Frage betrifft die rituelle Reinheit, denn Essen mit ungewaschenen Händen ist eine rituelle und nicht nur eine physische Unreinheit. Die gängige Lösung situiert diese Diskussion über die Frage der Reinheitsgesetze in der Polemik der christlichen Gemeinde gegen die jüdische Gemeinde oder vielleicht in einer Polemik zwischen Heiden- und Judenchristen. Das Markusevangelium zeigt allerdings eine evidente Distanz von der Problematik des Reinheitsgesetzes. Der Evangelist muss erklären, was das Thema ist und was die ungewöhnliche Konnotation des Adjektivs joimºr (hier terminus technicus für „unrein“) in dieser Diskussion bedeutet. Die Einlei-
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tung zu dieser Deutung signalisiert, dass den Lesern des Evangeliums die Debatte und die jüdischen Traditionen fremd waren. Die Bemerkung, dass sich die Pharisäer und „jeder Jude“ an die Reinheitsgesetze halten, bezeugt eine Außenperspektive zu diesem Thema, die zu einer Polemik nicht passen würde. Auch in dieser Debatte steht nicht das Thema der Reinheit als solches, sondern der Vorwurf gegen die Jünger Jesu und indirekt gegen Jesus im Mittelpunkt der Perikope. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine fundamentale Norm übertreten und sie nähmen eine Haltung an, mit der sie Grundpfeiler der jüdischen Religion, wie gerade die Reinheitsgesetze, in Frage stellen. Der Vorwurf betrifft nicht nur ein einmaliges Geschehen, sondern eine prinzipielle Haltung Jesu und seiner Jünger. Das Wort paq²dosir hat in dem Vorwurf eine allgemeine Bedeutung und umfasst das gesamte Gebilde von Gesetzen und Traditionen, die die jüdische Identität ausmachen. Diese allgemeine Bedeutung kann man auch in Gal 1,14 finden, womit Paulus seine Verwurzelung im Judentum hervorhebt: peqissot´qyr fgkytµr rp²qwym t_m patqij_m lou paqadºseym. Der Vorwurf der Pharisäer und der Schriftgelehrten hat daher eine klare Zuspitzung, sie betonen, dass Jesus als ein Ketzer den traditionellen Prinzipien der jüdischen Religion nicht mehr folgt. Damit fügt der Evangelist einen weiteren Baustein zu der Beschuldigung Jesu von Seiten der jüdischen Religion, die die Themen in Mk 2 und 3 weiterführt. Jesus wird vorgeworfen, er habe die Tradition der Alten nicht eingehalten. Die Opposition gegen die Tradition impliziert nicht nur eine rebellische Position, sondern praktisch eine Verleumdung der Religion des Volkes. Eine solche Thematisierung der Tradition kam oft bei den öffentlichen Diskussionen in der römischen Gesellschaft vor. Im Werk Ciceros de natura deorum kritisiert Cotta die lange und ausführliche Anhäufung von Beweisen des stoischen Gesprächspartners Balbus mit den folgenden Worten, die sicher die Meinung Ciceros enthalten: Sed quia non confidebas tam esse id perspicuum quam tu velis, propterea multis argumentis deos esse docere voluisti. Mihi enim unum sat erat, ita nobis maioris nostros tradidisse.411
Tradition bezeichnet in diesem Zitat ganz allgemein das, was die alte römische Religion umfasst, und nicht eine spezielle Überlieferung. Cicero versteht sich als Verteidiger der Tradition der Alten (mos maiorum)412 in einer Zeit, in der homines novi die alten Traditionen bei Seite zu legen versuchten. Ein weiterer Text, bei dem die Debatte zwischen alter und neuer Rhetorik, 411 Cic. nat. deor. 3,10: „Doch da du dich nicht darauf verlassen konntest, dass diese These so einleuchtend ist, wie du das gern hättest, hast du deswegen mit vielen Beweisgründe die Existenz der Götter belegen wollen. Mir freilich hätte ein einziges Argument genügt, die Überlieferung unserer Vorfahren.“ 412 W. Kierdorf, Art. Mos maiorum, DNP 8, 402, definiert diesen Begriff (mos patrius, Cic. resp. 5,1; vetus mos: Cic. resp. 5,1; Tac. ann. 14,42,2; mos antiquus Tac. dial. 28,2; mos traditus a patribus Liv. 27,11,10:) als „Kernbegriff des röm. Traditionalismus“.
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zwischen Tradition und Innovation thematisiert wird, findet sich in Tacitus’ Werk dialogus de oratoribus. Tacitus relativiert die Position der Traditionalisten, die sich gegen die neue Rhetorik wenden, indem er daran erinnert, dass sogar die ältesten Rhetoriker gar nicht so alt sind, wenn man die Weltgeschichte ansieht.413 Diese Belege aus der römischen Literatur zeigen, wie in der Zeit der Abfassung des Markusevangeliums die Frage nach der Beibehaltung der Tradition allgemein aktuell war. Der Vorwurf gegen Jesus, er halte sich nicht an der Tradition der Alten, wäre auch in einem nicht jüdischen Kontext verstanden und als schwerwiegend berurteilt worden. Dasselbe gilt für den Vorwurf, dass Jesus ein Blasphemiker und ein Ketzer war. Die Antwort Jesu auf diesen schweren Vorwurf der Pharisäer ist deshalb sehr geschickt, weil sie eine semantische Verschiebung von paq²dosir als Gesamtheit der jüdischen Religion zu einer engere Bedeutung des Begriffs als mündlicher Überlieferung vornimmt, deren Gültigkeit außerdem umstritten ist. Das ist ein wichtiger Kunstgriff, den bereits Aristoteles in seinem dialektischen System, allerdings als einen Sophismus, vorsieht. Man kann über die Synonymität der Worte die eigenen Argumente konstruieren.414 Jesus versteht nämlich die paq²dosir pqesbut´qym speziell als paq²dosir !mhq¾pym, und damit nimmt er einen Punkt der Polemik innerhalb des Judentums zwischen Pharisäern und Sadduzäern auf, nämlich die Frage nach der Geltung der mündlichen Überlieferung. Gerade die Tradition, die in dem Vorwurf als Kriterium dient, um Jesus anzugreifen, wird durch diese semantische Korrektur ein umstrittenes Element. Josephus dokumentiert diese Debatte der Sadduzäer gegen die Pharisäer, wie folgt: MOm d³ dgk_sai bo¼kolai fti mºlil² tima paq´dosam t` d¶l\ oR Vaqisa?oi 1j pat´qym diadow/r ûpeq oqj !mac´cqaptai 1m to?r Lyus´yr mºloir ja· di± toOto taOta t¹ Saddouja¸ym c´mor 1jb²kkei k´com 1je?ma de?m Bce?shai mºlila t± cecqall´ma t± dû 1j paqadºseyr t_m pat´qym lµ tgqe?m.415
Dieses Zitat enthält eine Definition von paq²dosir,416 die umstritten ist, und als solche nur für eine besondere Gruppe gilt. Das Wort paq²dosir hat bei Josephus verschiedene Bedeutungen. Sie kann im militärischen Sinne „Ergebung“417 und Signal“418 und schließlich „Geschichte“ und „Tradition“ be413 Besonders in dial. 18. Dieser Text wird im nächsten Kapitel genau untersucht. Hier genügt es, eine Position hervorzuheben, die in der Frage der Tradition und der Altertümlichkeit eine kritische Haltung einnahm. 414 Arist. S.E. 6,7, 169a. 415 Jos. A.J. 13,297. Die Traditionen wurden abgeschafft, als Hyrkanos die Pharisäer vertrieben hatte (Jos A.J. 13,296), aber wurden wieder eingeführt unter Alexander (Jos. A.J. 13,408). Paulus bestätigt die Bedeutung der Traditionen bei den Pharisäern. 416 Das griechische Wort gibt das hebräische 8LEB wieder. Das Verb jatakalb²meim entspricht dem hebräischen @5K und LEB!. 417 Jos. B.J. 1,174. 418 Jos. B.J. 2,579; A.J. 19,187.
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deuten.419 Nach Theißen ist der historische Jesus in diesem Punkt mit den Sadduzäern einverstanden und gegen die Position der Pharisäer.420 Jesu Argument betont die Bedeutung der Schrift als Norm gegen die mündliche Tradition, weil er das Verb !macicm¾sjeim benutzt. Die Replik Jesu kann daher die Basis des Vorwurfs der Pharisäer neutralisieren, weil die Tradition selbst ein ziemlich umstrittenes Thema war. Nach Baumgarten suchten die Pharisäer mit dem Ausdruck „Tradition der Ältesten“ ihre eigenen mündlichen Traditionen als ein allgemeines Gut der jüdischen Religion darzustellen.421 Jesus kann diesen ersten Vorwurf mit dem Zitat von Jes 29,13 widerlegen. Diese Stelle spricht vom ganzen Volk und nicht nur von einer Gruppe; die Pharisäer stehen daher als Repräsentanten für die ganze Religion. Das markinische Zitat von Jes 29,13 folgt dem Text der Septuaginta mit einigen Änderungen. Das Ende des Verses bei Jesaia did²sjomter 1mt²klata !mhq¾pym ja· didasjak¸ar („sie lehren Satzungen der Menschen und Lehren (Gottes)“) lautet in Mk 7,7 wie folgt: did²sjomter didasjak¸ar 1mt²klata !mhq¾pym (sie lehren als Lehren Gottes Satzungen der Menschen). Das vorgezogenes Wort didasjak¸a, womit die Gebote Gottes gemeint sind, kann die polemische Bedeutung des markinischen Zitats noch verschärfen, weil damit die Ersetzung der Gebote Gottes durch menschliche Gebote ausgedrückt wird.422 Nach Suhl hat der Evangelist das Zitat angeführt, um polemisch zur gegenwärtigen Auseinandersetzung der christlichen Gemeinde Stellung zu nehmen. Ursprünglich habe die Perikope das Verhalten der Christen verteidigt wie Mk 2,23–24, aber das Zitat wirke als ein klarer, polemischer Angriff gegen die „Juden“.423 Obwohl die Argumentation des markinischen Jesus eine polemische Akzentuierung enthält, ist die Intention der Zitierung und des darauf folgenden Kommentars nicht bloß polemisch in dem Sinne, wie es Suhl meint. Der Polemiker zielt zwar auf Pejorisierung der Gegner, um sich damit als guten Menschen darzustellen. Die Perikope will aber hauptsächlich Argumente gegen den Vorwurf anführen, wie das Zitat aus dem Buch Jesaja bezeugt. Die prophetische Scheltrede ist wirksamer für die Debatte als jede Anklage von Seiten Jesu selbst, weil sie eine Textstelle anerkannter jüdischer Tradition ist. Alles bezieht sich auf den Vorwurf gegen Jesus als jemanden, der die Tradition und die Religion seines Volkes missachtet. Die Jesaja-Passage enthält durch die markinische Wiedergabe eine Spannung zwischen der Lehre Gottes und menschlichen Satzungen. Der Prophet klagt, dass das Volk Israel die menschlichen Satzungen 419 Jos. A.J. 20,209; Ap. 1,50.53; 2,287; vgl. A.J. Baumgarten, The Pharisaic Paradosis, 64. 420 G. Theißen, Jesus im Judentum, 44–45. 421 A.J. Baumgarten, The Pharisaic Paradosis, 77: „I suggest that the terms paradosis of the elders and of the fathers were deliberate attempts by the Pharisees to give their traditions a pedigree it might have seemed to lack.“ 422 A. Yarbro Collins, Mark, 350, bemerkt mit Recht, wie das geänderte Zitat die These des Markus beweist, dass die Tradition von Menschen kommt und nicht von Gott. 423 A. Suhl, Die Funktion der alttestamentlichen Zitate, 81: „Jetzt geht es nicht mehr um Verteidigung der Christen, sondern um Polemik gegen die ,Juden‘ – und zwar ausschließlich.“
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mit göttlichen Lehren vertauscht hat. Die Pointe des Zitats wird in zwei ähnlichen Logia Mk 7,8 f durch die Opposition von zwei unterschiedlichen Verhaltensmustern zusammengefasst: !ve¸mai tµm 1mtok¶m – jqate?m tµm paq²dosim t_m !mhq¾pom (7,8) und !hete?m tµm 1mtokµm toO heoO – tµm paq²dosim tgqe?m (7,9). Darin erkennt man zwar die Rolle der Pharisäer und der Schriftgelehrten als der Bewahrer und Hüter der Tradition. Die Gegner Jesu verkörpern aber den Widerspruch von Jes 29,13, weil ihre Liebe zur Tradition auf Kosten von Gottes Gebot geht. Das illustriert der Evangelist mit dem Brauch des Korban,424 des Gelübdes der Gabe für den Tempel. Wenn jemand seine Güter dem Tempel als Gabe opfert, ist er nicht mehr in der Lage, seine eigenen Eltern finanziell zu unterstützen. Die religiösen Autoritäten unterstützen daher zu ihrem Vorteil einen Brauch (das Korban), der zum Bruch des Gebots der Liebe zu den Eltern führt. Die Tradition nimmt einen wichtigeren Platz ein als das Gebot Gottes, weil das Gelübde nicht aufgelöst werden kann, wenn es um das Gebot der Elternliebe geht. Dieses Beispiel dient dazu, den Vorwurf gegen Jesus, er sei gegen die Tradition, zu entschärfen. Man kann die Tradition nicht als eine absolute Größe 424 Zum Ursprung und die Etymologie des Begriff joqb÷m vgl. K.H. Rengstorf, Art. joqb÷m, ThWNT 3, 860–866. Die Diskussion der Exegeten betrifft hier die Frage, ob der Fall von Mk 7,10 ein Weihegelöbnis oder ein Verbotsgelöbnis ist. Wenn der Sohn mit seinen Gütern die Eltern nicht unterstützen wollte, hätte er einfach ein Verbotsgelöbnis ablegen können, ohne alles dem Tempel zu opfern. Die Formel „das ist Korban“ kann heißen, sie sind wie Opfer verboten. J.D.M Derrett (JOQBAM O ESTIM DYQOM, 364–368) betont, dass in der Perikope ein Fall von Weihegelöbnis vorliegt. Billerbeck, I, 711, bemerkt, dass die Praxis von dem Evangelisten nicht korrekt beschrieben wird, weil er gleichzeitig von Weihe- und Verbotsgelöbnis im beschriebenen Fall spricht. Das ist für Haenchen ein Grund für die Authentizität des Spruches (Der Weg Jesu, 263, Anm. 2). H. Hübner findet den Spruch Jesu authentisch und rekonstruiert ihren Sinn wie folgt: „Ihr Pharisäer laßt einem, der ein Qorban-Gelübde zu ungunsten seines Vaters oder seiner Mutter gemacht hat, keine Möglichkeit, dieses Gelübde aufzulösen“ (Das Gesetz in der synoptischen Tradition, 150). Hübner ist der Meinung, man könne diesen Text methodisch nicht auf der Basis von späteren rabbinischen Schriften beurteilen. R. Pesch, Das Evangelium nach Markus I, 375, vertritt eine ähnliche Auffassung wie Hübner. Das Argument Jesu bestehe darin, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten das Gelübde nicht auflösen wollen, auch wenn es mit den Geboten Gottes in Konflikt gerät. Da geschehe die „Verdrehung“ von Jes 29,13 nämlich „die Hintansetzung von Gottes Gebot hinter Menschensatzungen“. Der Mischna-Traktat Nedarim 9,1 behandelt die verschiedenen Gelübde und gibt die Möglichkeit sie aufzulösen, wenn es um wichtige Anliegen geht. Es ist unklar, ob die Rabbinen den unauflöslichen Charakter der Gelübde überwinden wollen. Doch beziehe sich Jesus (oder das Markusevangelium) auf die Strenge ihrer Gegenwart. Dass diese Praxis in der hellenistischen Welt bekannt war, bezeugt eine Stelle bei Josephus, Ap. 1,166 f. Er weist auf die Erwähnung durch Theophrast in seinem Werk „Über die Gesetze“, dass der Korban wie andere Formen von ausländischen Eiden in Tyros verboten wurde. Josephus kommt es darauf an, dass Griechen eine partikulare jüdische Praxis kennen und bezeugen: erqehe¸g pkµm lºmoir ûIouda¸oir dgko? dû¢r #m eUpoi tir 1j t/r gEbqa¸ym leheqlgmeuºlemor diak´jtou d_qom heoO (Ap. 1,167). Die Übersetzung ins Griechische ist d_qom heoO, „Gabe Gottes“, wie das auch bei Markus der Fall ist. Ein weiterer Beleg bei Josephus ist A.J. 4,73, der die gleiche Deutung des Wortes gibt, d_qom d³ toOto sgla¸mei jat± gEkk¶mym ck_ttam. Dies zeigt, dass hier ein Fall von Weihegelübde und nicht ein Verbotsgelübde vorliegt.
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betrachten, die immer gültig sein muss. Wenn sie mit dem Gebot Gottes konfrontiert wird, muss sie relativiert werden. Es ist nicht klar, ob eine ursprüngliche Debatte mit dem Judentum oder eine Diskussion zwischen Heiden- und Judenchristen zum Problem der Tradition vorliegt.425 Man kann verschiedene Elemente der Überlieferung erkennen, wie das Jesajazitat und die Polemik gegen den Brauch des Korban und nach Lambrecht sogar einen Einfluss der Weherufe in Q (Lk 11,37–41/Mt 23,25–26) feststellen.426 Es liegt daher nahe, dass der Evangelist einzelne Materialien aufnahm und sie zur einer komplexen Perikope band.427 Der Rahmen der Perikope, ein Streitgespräch zur Reinheit, ermöglicht eine adäquate Antwort auf den Vorwurf, Jesus sei gegen die Tradition und breche die Reinheitsgesetze. Für eine religiöse Debatte mit dem Judentum wären die Argumente aber nicht überzeugend. Die Bemerkung, dass die Pharisäer und die Schriftgelehrten das Gebot Gottes zugunsten von Traditionsnormen vernachlässigen, ist nämlich keine Antwort auf den Bruch der Reinheitsgesetze durch Jesus und seine Jünger. Außerdem sind die levitischen Reinheitsgesetzte, die in Lev 14–23 thematisiert werden, keine spätere oder menschliche Tradition, sondern wichtiger Teil der Tora. Auch die Tatsache, dass der Brauch des Händewaschens mit den Nahrungsund Reinheitsgeboten korreliert wird, zeigt m. E., dass das Thema aus einer externen christlichen Perspektive betrachtet wird. 8.4 Die Authentizität von Mk 7,15 Die Frage nach der Authentizität des Reinheitslogion in Mk 7,15 ist zentral für die Exegese, weil damit die Stellungnahme Jesu zur Reinheit bestimmt wird. Das Logion enthält nämlich eine grundsätzliche Kritik an der Voraussetzung der Speisegebote, dass man von außen verunreinigt werden kann. Die Annahme seiner Authentizität impliziert, dass Jesus eine kritische Haltung gegenüber den Reinheitsgeboten bezogen hatte. Die Frage der Authentizität dieses Logions stellt allerdings nur ein Problem der gegenwärtigen JesusForschung dar.428 In der Vergangenheit wurde seine Authentizität als gesichert 425 Schon Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 171, spricht von einer ursprünglichen Debatte zur Bedeutung der Tradition, die Markus dann für eine Debatte zum Thema der Reinheit benutzte. J. Lambrecht, Jesus and the Law, 55, betont das Gewicht traditionellen Stoffes (Jesajazitat, Korban) in Mk 7,6–13. Allerdings schließt er aus, dass ein vormarkinischer schriftlicher Text vorlag. Er nimmt die Existenz einer mündlichen Tradition an. 426 Lambrecht, Jesus and the Law, 27. 56. 66–67. 427 Lambrecht, Jesus and the Law, 56, bemerkt zu Recht: „The way in which Mark shapes and arranges a few traditional data into a tight, logical whole that functions very well within the pericope, make extremely difficult to isolate any preexisting unity within it.“ 428 T. Kazen, Jesus and the Purity Halakchah, 16–25, erklärt in einem kurzen Forschungsbericht die Probleme der Interpretation der neuen Jesus-Forschung. Der Versuch dieser Forschung, die Kontinuität mit dem gegenwärtigen Judentum zu betonen, macht eine so radikale Kritik der Reinheitsgebote, wie sie in Mk 7,15 zum Ausdruck kommt, zum Problem. Es ist interessant,
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erklärt, weil man das Differenzkriterium konsequent anwendete. Die Position Jesu zur Reinheit, die nicht aus dem Judentum der damaligen Zeit abgeleitet werden konnte, wurde daher mit Sicherheit als authentisch jesuanisch betrachtet. H. Merkel zeigt, wie die Forschung im 19. Jh. die Authentizität des Wortes Jesu in keinerlei Weise bezweifelt hat.429 Er unterscheidet zwei Bedeutungen des Logions als ein Kampfwort „gegen alle Gebote, die eine religiös zu bewertende physische Unreinheit voraussetzen, nicht nur gegen Speisegesetze“430 in Mk 7,15a und als ein „,neues Gesetz‘ zur Bestimmung von Rein und Unrein“ in Mk 7,15b.431 Die Authentizität des Logions Jesu hat für die Entstehung der Perikope eine große Bedeutung, weil es nach der Definition von E. Haenchen „die Keimzelle des ganzen Abschnittes“ ist.432 Wenn es als nicht-authentisch betrachtet wird, ist es nur eine zusammenfassende Formulierung der Auffassung von Reinheit der hellenistischen Gemeinde. Das erste Problem der Rekonstruktion betrifft die Überlieferung und den ursprünglichen Wortlaut des Verses. Paschen rekonstruiert den ursprünglichen Mashal Jesu mit folgenden Worten:
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dass Kazen die Methode der Geschichtsschreibung und die Kriterien, die für die Historiographie des 19. Jh.s die Exaktheit der geschichtlichen Rekonstruktion bestimmen sollten, relativiert. Die neue Jesus-Forschung basiert trotz ihrer Suche nach neuen Kriterien für die Bewertung des Materials (siehe G. Theißen oder J.P. Meier), auf einer relativierten und geschwächten Vorstellung der Geschichte. Kazens Verständnis von ,Authentizität‘ zeigt m. E. diese relativierte Auffassung der Geschichte: „The concept of authenticity is ambiguous and must be used with discrimination. Whether we refer to literary or historical ,authenticity‘, it is a matter of reconstruction, not re-creation. Historical Jesus research is never a matter of recreating a bygone reality, but tracing an early r trodiction, to some degree based on early memories of Jesus, reflecting the symbolic world or the ideology of the tradition bearers. “ H. Merkel, Mk 7,15 – Das Jesuswort über die innere Verunreinigung, 341–350. Er unterscheidet die verschiedenen Positionen im Laufe der Forschungsgeschichte. Alle von ihm referierten Autoren halten den Spruch für authentisch. Eine erste Gruppe von Autoren, nämlich C.F.A. Fritzsche, C.F. Keil, B. Weiß, J. Wellhausen, A. Jülicher, T. Keim, J. Klausner, betrachtet die Aussage Jesu als eine Attacke gegen die Pharisäer, aber nicht gegen die Tora. Eine zweite Gruppe von Autoren sieht keine direkte Attacke gegen die Tora, aber eine implizite Abschaffung der levitischen Gesetze, nämlich H. Grotius, Th. Keim, C. Weizsäcker, E. Klostermann, V. Taylor und P. Bonnard. Eine dritte Gruppe von Autoren sieht im Spruch Jesu einen klaren Angriff Jesu gegen die mosaischen Speisegesetze und gegen die Reinheitsgebote nämlich W. Brandt, B.W. Bacon, B.H. Branscomb. Weitere Autoren sehen in dem Spruch Jesu ein Kampfwort gegen die Tora, F.C. Baur, W. Beyschlag, E.P. Gould, J. Weiß, R. Bultmann, A. Schlatter, W. Grundmann, E. Käsemann, G. Bornkamm, H. Braun und E. Stauffer. Das Echtheitskriterium, das für die ältere Forschung galt, beschreibt Merkel mit diesen Worten: „Es liegt kein Grund vor, dieses Wort dem historischen Jesus abzusprechen; denn es hält dem schärfsten Kriterium zur Bestimmung authentischer Jesustradition stand“. Er zitiert als Basis das Differenzkriterium bei E. Käsemann (S. 351). H. Merkel, Mk 7,15 – Das Jesuswort über die innere Verunreinigung, 354. Die Position von Jochanan Ben Zakkai in Pes 40b zeige eine gewisse Kritik der Reinheitsvorstellung, aber nicht ihre Aufhebung. H. Merkel, Mk 7,15 – Das Jesuswort über die innere Verunreinigung, 355. E. Haenchen, Der Weg Jesu, 265.
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p÷m t¹ 5nyhem toO !mhq¾pou oq d¼matai joim_sai aqtºm, !kk± t± 1j toO !mhq¾pou 1st·m t± joimoOmta t¹m %mhqypom.433
Das Pronomen oqd´m ist nach Paschen nicht ursprünglich, weil die Evangelisten dieses Pronomen (oqd´m bzw. oqde¸r) oft für die Redaktion der Herrenworte benutzten, um den Aussagegehalt des Logions noch stärker zu betonen. Die Partizipien eQspoqeuºlemom und 1jpoqeuºlema gehörten ebenfalls nicht zum ursprünglichen Wortlaut, weil sie von den weiteren Partizipien im Kommentar der folgenden Verse abhängig sind. Diese allerdings vereinfachte Version des Jesu Wortes übersetzt Paschen ins Aramäische als die ipsissima vox Jesu zurück.434 R.P. Booth versteht das Wort ebenfalls als authentisch, aber sieht darin keine genaue Aussage des historischen Jesu (ipsissima vox), sondern eher eine Wiedergabe seiner Stellung zur Reinheit (ipsissima mens).435 Booth betont, Jesus habe die Verunreinigung durch externe Dinge nicht völlig ausgeschlossen, weil die Formulierung oq…!kk² keinen scharfen Gegensatz ausdrücke,436 sondern eine Relativierung des ersten Satzes durch den zweiten. Theißen betont die Authentizität des Logions wegen seiner Wirkungsplausibilität im Christentum und seiner Kontextplausibilität im Judentum.437 Das Logion wurde ursprünglich selbständig vom aktuellen Kontext tradiert, weil es nicht ganz zum äußerlichen Waschen passt.438 Das verwandte Logion in EvThom 14,5439 zeigt laut Theißen, dass das Logion im Zusammenhang der Missionstätigkeit der Wandercharismatiker tradiert wurde. Der Spruch kläre, dass man alles ohne Bedenken und ohne Angst vor Verunreinigung essen kann, was man bei der Mission serviert bekommt. Theißen illustriert die 433 W. Paschen, Rein und Unrein. Untersuchung zur biblischen Wortgeschichte, 177. Diese Rekonstruktion bleibt allerdings ein rein theoretischer Versuch. 434 W. Paschen, Rein und Unrein, 174–175. 435 R.P. Booth, Jesus and the Laws of Purity, 96–110, wendet auf das Logion die „authenticating criteria“ an (Stil, mehrfache Bezeugung, Diskontinuität, Kohärenz) und kommt zum Schluss, dass das Logion der Auffassung Jesu entspricht. Die Debatte über die Korban-Praxis sei ebenfalls authentisch. 436 Booth, Jesus and the Laws of Purity, 69–71, erklärt den zweiten Teil von Mk 7,15 als authentisch, aber damit habe Jesus nicht jede Form von Unreinheit des Äußeren als ungültig erklären wollen. Er erkenne noch die äußerliche Unreinheit an, aber noch mehr gelte für ihn nach Booth die innere Unreinheit des Menschen. Das Logion stellt eine Art Vergleich zwischen innerer und äußerlicher Reinheit dar, ohne dass eine die andere völlig auslöscht: „Support for the inclusion of the second limb in the original purity reply may lie in the likelihood of Jesus intending a relative, rather than an absolute, denial of the defiling power of external things; for Jesus only meant that things outside a man do not defile him as much as things inside him, then the logion must have contained both limbs in order to make a comparison“ (S. 71). 437 G. Theißen, Das Reinheitslogion Mk 7,15, 88: „Unser Fazit ist daher: Das Reinheitslogion in Mk 7,15 passt ausgezeichnet in das Judentum des 1. Jh. n. Chr. Es dürfte von Jesus stammen. Jüdische Kontextplausibilität und christliche Wirkungsplausibilität machen es wahrscheinlich.“ 438 G. Theißen, Das Reinheitslogion Mk 7,15, 77. 439 EvThom 14,5: „Denn was in euren Mund hineingehen wird, wird euch nicht beflecken. Vielmehr das, was aus euerem Mund herauskommt, das ist es, was euch beflecken wird.“
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christliche Wirkungsgeschichte des Logions durch neutestamentliche Textstellen, vor allem Röm 14,14, die sich mit dem Thema der Reinheit befassen. Die indikativische Form von Mk 7,15 und von Röm 14,14 zeigt für Theißen, dass der Spruch nicht als Vorschrift galt. Er erkläre vielmehr den Ursprung der Unreinheit. Gerade weil er im Indikativ (und nicht im Imperativ) formuliert ist, spielte er keine entscheidende Rolle in den Debatten der christlichen Gemeinde über die Gemeinschaft mit den Heidenchristen. Lukas, der diese Diskussion der Reinheit erst in der Apostelgeschichte erörtert, braucht tatsächlich den Imperativ für die Einführung einer neuen Vorschrift in die Praxis der christlichen Gemeinde. In der Vision des Petrus in Joppe befiehlt ihm der Engel, unreine Tiere zu schlachten und zu essen (Apg 10,13). Für die Kontextplausibilität beschreibt Theißen die Gestalt Jesu als „Schüler des Johannes“, der aber anders als sein Lehrer die Umkehr des Menschen ohne ein Ritual wie die Taufe konzipiert. „Diesem Unterschied zwischen Jesus und dem Täufer entspricht der Inhalt des Reinheitslogions.“440 K. Berger und Räisänen plädieren hingegen für die Hypothese der NichtAuthentizität. Der Spruch sei erst von der christlichen Gemeinde abgefasst worden. Berger hebt die Ähnlichkeit des Jesus-Logions mit der Auffassung des hellenistischen Judentums, einer Spiritualisierung und Moralisierung der Reinheit, hervor. Diese Ähnlichkeit dient als Beweis, um die Nicht-Authentizität von Mk 7,15 zu behaupten. Berger analysiert vor allem Philos Auslegung von Num 19,22 in dem Werk de specialibus legibus.441 Im Text der Septuaginta erscheint hier das Substantiv xuw¶ als Metonymie für den Menschen (auf Hebräisch M1HûD,û 89! ).442 Philo interpretiert diesen Terminus aber wörtlich als Seele, und darauf basiert seine Auffassung, dass die Reinheit von der Seele und nicht vom Körper abhängt.443 Berger bemerkt die Besonderheit dieser jüdischhellenistischen Interpretation der Reinheit bei Philo, die die Reinheit als seelischen Zustand definiert,444 ohne aber auf die körperliche Reinheit völlig zu verzichten. Während Philo laut Berger daher einen Kompromiss zwischen Seelischem und Körperlichem findet, sei die Position von Mk 7,15 radikal für die Überwindung der körperlichen Reinheit zugunsten der seelischen. Diese radikale Position vertreten aber auch andere hellenistischen Juden wie Pseudo-Phokylides, der die Reinheit des Körpers für belanglos erklärt.445 440 G. Theißen, Das Reinheitslogion Mk 7,15, 86–87. 441 Philo, spec. leg 3,208–209. 442 Num 19,22: ja· pamtºr ox 1±m ûxgtai aqtoO b !j²haqtor !j²haqtom 5stai ja· B xuwµ B "ptol´mg !j²haqtor 5stai 6yr 2sp´qar 443 K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 465–466. 444 K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 466, erklärt so die Position des Philos: „Je mehr die Seele sich durch Mangel an Gerechtigkeit und Heiligkeit vom Göttlichen entfernt, um so mehr wird der Leib unrein bzw. lebt seine Unreinheit auf“. 445 Ps-Phokylides, 228: "cme¸g xuw/r, ow s¾lator eQsi jahaqlo¸. Berger zitiert diese Stelle auf S. 467 und übersetzt sie: „ Die Reinheit betrifft die Seele, nicht auf den Körper beziehen sich die Reinigungen“.
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Berger erwähnt noch die apokalyptische Vorstellung der Reinheit (exemplarisch Jub 1,17), nach der die Befleckung zwar durch äußerliche Übertretungen geschieht, ihr Grund aber im Götzendienst liegt. Das produziert dann jede Form von Unreinheit. Der apokalyptische Dualismus macht die Unreinheit „zu einer Art Macht, die im Herzen der Gottlosen ansetzend lauter Verunreinigungen hervorbringt“.446 Diese breite Diskussion über das Problem der Reinheit besonders im hellenistischen Judentum zeigt nach Berger, dass das Logion aus dem hellenistischen Kontext stammt und unecht ist. Diese Kritik der Reinheit sei außerdem in manchen neutestamentlichen Textstellen belegt, die wie die markinsiche Stelle die Reinheit aller Dinge behaupten (Röm 14,20), und diese Vorschriften als menschliche Satzungen (Kol 2,8.21) und sogar als menschliche Gebote (Tit 1,4) erklären. Man muss kritisch dazu bemerken, dass Berger im Text keinen Unterschied zwischen dem Logion und dem markinischen Kommentar macht, sondern alles aus der Perspektive des markinischen Kommentars sieht. Räisänens These einer Nicht-Authentizität des Logions in Mk 7,15 ist das Ergebnis von verschiedenen Beobachtungen. Ein sprachliches Kriterium, wodurch das Logion als eine Sentenz des historischen Jesus erwiesen werden könnte, scheine nicht aufweisbar zu sein: Das Logion enthalte eine Terminologie, die typisch markinisch sei; die Formulierung des Logions bei Markus habe keine semitische Färbung, während die parallele Stelle bei Matthäus einer aramäischen Formulierung näher stehe. Das Kriterium der mehrfachen Bezeugung kann nach Räisänen nicht nachgewiesen werden, weil Mt 23,25 und Lk 10,8 keine Kritik am Gesetz üben. Die Existenz eines Jesus-Logions, das die Reinheitsgebote relativiert, wäre wichtig für die Auseinandersetzungen in der ersten Gemeinde gewesen. Die Echtheit von Mk 7,15 setze voraus, dass ein Trägerkreis dieses Logion bewahrt und überliefert hätte. Paulus und die Gemeinde in Antiochien scheinen aber diesen Spruch nicht zu kennen. Man kann auch keinen galiläischen Trägerkreis annehmen, denn sonst hätte dieser angeblich liberale Kreis sich sicher mit der Gemeinde in Jerusalem auseinandergesetzt.447 Nach Räisänen liegt es nahe, dass Mk 7,15 die paulinischen Auffassung in Röm 14,14. 20 übernimmt.448 Mk 7,19 ist fast identisch mit dem Urteil in Röm 14,20 über die Reinheit aller Speisen. Es kann keine eindeutige Entscheidung für die Authentizität getroffen werden. Doch lässt sich diese Aussage Jesu einerseits gut im Diskurs über die Reinheit im palästinischen Judentum situieren, andererseits passt seine kritische Einstellung zu seiner Kritik der pharisäische Haltung, die in weiteren 446 K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 469. 447 H. Räisänen, Jesus, Paul and Torah, 145: „But if there was an early Galilean community with a distinctly ,liberal‘ theology of the Torah, it is astonishing that we hear no conflicts between them and Jerusalem“. 448 H. Räisänen, Jesus, Paul and Torah, 145: „It seems to me more likely that Mark is influenced by the insights gained in the Gentile mission, expressed by Paul in Rom 14,14.20, than that Paul is dependent on Jesus.“
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Logien wie Mt 23,25 bezeugt wird. Diese Kritik Jesu kann nicht einfach als Nachwirkung paulinischer Theologie erklärt werden, sondern kommt direkt vom historischen Jesus. Noch relevant in dieser Diskussion sind die überlieferten Situationen, in denen Jesus einige Grundnormen der Reinheitsgebote nicht zu erfüllen scheint, wie die Kontakte mit Lepra-Kranken (Mk 1,41) oder mit einer Frau mit Blutungen (Mk 5,21–43.24–34).449 Für den Autor des zweiten Evangeliums ist jedenfalls die Authentizität des Logions selbstverständlich. Er hat es aus der Tradition als authentisch übernommen und durch einen weiteren, vermutlich von ihm stammenden Kommentar noch deutlicher gemacht. Gerade die klare Unterscheidung des Logions von dem darauf folgenden Kommentar ist m. E. ein Hinweis auf seine selbständige Tradierung, die auch im Thomasevangelium bestätigt wird. Wenn der Spruch keine Wirkung in den Auseinandersetzungen in der Frühkirche gehabt hat, so lag das eher an der Tatsache, dass er keine deutliche Auffassung vertritt. Booths These, dass das Logion nicht so deutlich die äußerliche Verunreinigung in Frage stelle, sondern die Aufmerksamkeit eher auf die innerliche Reinheit des Menschen fokussiere, scheint mir korrekt. Man kann die paulinische Aussage in Röm 14,14 als eine radikale Interpretation der Auffassung Jesu zur Reinheit definieren. Die Judenchristen haben dieser Interpretation aber selbstverständlich nicht zugestimmt, auch wenn ihnen durch die Tradition bekannt war, dass Jesus mit Sündern und Zöllnern gespeist hat und seinen Jüngern erlaubt hat, alles zu essen, was ihnen angeboten wurde. Markus gehört selbst zu dieser paulinischen Linie einer radikalen Interpretation des Jesus-Wortes, wie er mit der redaktionelle Einfügung in Mk 7,19 zeigt: jahaq¸fym p²mta t± bq¾lata. Dieser Satz muss nicht als Relativsatz ausgelegt werden, der sich auf die Ausscheidung der Exkremente bezieht.450 Es ist hingegen als ein Hauptsatz mit dem Subjekt Jesus zu verstehen, etwa: „Jesus erklärte damit alle Speisen für rein.“ Diese zusammenfassende Bemerkung sowie die Auslegung von Mk 7,15 in 7,16–23 stammen von dem Evangelisten, der damit die wahre Interpretation der Perikope bieten wollte.
449 J.D.G. Dunn, The Partings of the Ways, 55–58, listet alle Stellen im Markusevangelium, die nicht mit der Regel der Reinheit zu vereinbaren sind. Er sieht einen Zusammenhang dieser Stellen mit diesem Logion. „A consistent picture begins to emerge, therefore – of a Jesus who did not share the concerns or degree of concern regarding purity of many (most?) of the Pharisees, and who indeed sat loose to, disregarded or discounted some at least of the outworkings of the purity legislation as it governed social contact (people with skin diseases, corpse defilement, discharge of blood)“ (S.58). 450 Die weitere Lesart jahaq¸fom, die von der Mehrheitstext bezeugt ist, ist aber als sekundär zu betrachten. Dieses Neutrum würde die Deutung des Satzes als Relativsatz unterstützen. Das Partizip maskulin jahaq¸fym findet sich in den ältesten Manuskripten, a, A, B. Vgl. E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 142. Matthäus allerdings scheint diese markinische Schlussfolgerung nicht zu teilen, das er diesen Satz in seiner Fassung dieser Perikope auslässt.
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8.5 Reinheit aus anthropologischer Sicht Der besondere Ansatz dieser Perikope besteht in der Behandlung der Reinheit (vor allem der Speisegebote) unter einem anthropologischen Gesichtspunkt, was vor allem in der Erklärung des Logions Jesu in 7,16–23 geschieht. Die Perikope erörtert das Thema der Verunreinigung durch den Gebrauch des Adjektivs joimºr und des Verbs joimºy, die die verschiedenen Teile zu einer Einheit verbinden. Diese Termini gehören tatsächlich zur speziellen Terminologie des hellenistischen Judentums zum Thema der Reinheit.451 Das erste Makkabäerbuch bezeugt diesen Gebrauch, indem es von jt¶mg joim² (1,47) und vom Verbot, Unreines zu essen, spricht (lµ vace?m joim²). Die makkabäische Widerstandsbewegung gegen die Seleukiden ist grundsätzlich mit der Frage der Reinheit verbunden. Josephus spricht von joimovac¸a als einer für die Juden unakzeptabler Übertretung.452 Im Griechischen ist die besondere Konnotation dieser Worte nicht verständlich. Sie kann nicht einfach aus der gewöhnlichen Bedeutung der Wurzel joim- hergeleitet werden. Tuor-Kurth unterstreicht die semantischen Zweideutigkeit von joimºr im neutestamentlichen Gebrauch. Der Bezug des Wortes auf eine Gemeinschaft ist nach ihrer Meinung grundlegend. Joimºr heiße daher „das, was Juden an der Gemeinschaft mit Nichtjuden hindert“453 und nicht bloß unrein. Der Zusammenhang von Reinheit und Gemeinschaft ist zwar soziologisch und konzeptionell relevant, aber Tuor-Kurth versucht ihn schon in der Semantik des Wortes joimºr in diesem Text zu beweisen. Die besondere Bedeutung von joimºr als „unrein“ im jüdisch-hellenistischen Gebrauch kann viel leichter aus der Bedeutung von joimºr „gemeinsam“ abgeleitet werden, im Sinne von „ordinär“, „alltäglich“, das von dem Göttlichen entfernt und daher unrein ist. Die nicht unmittelbare Verständlichkeit dieses Wortes für Nicht-Juden zwingt Markus, die Bedeutung des Terminus und die pharisäischen Traditionen durch eine Anmerkung zu erklären. Joimºr wäre sonst ohne Erklärung von normalen griechischsprachigen Menschen als „gemeinsam“ verstanden worden. Die Deutung des Markus mit !m¸ptor „ungewaschen“ ist allerdings nicht ganz korrekt, weil ungewaschene Hände nicht unbedingt „unrein“ sind; das richtige Synonym wäre eher !j²haqtor.454 Markus führt weitere Beispiele 451 Bauer Wb, 866. 452 Jos A.J. 11,346: eQ d´ tir aQt¸am 5swem paq± to?r gIeqosokul¸tair joimovac¸ar C t/r 1m sabb²toir paqamol¸ar E timor %kkou toio¼tou "laqt¶lator. Vgl. bei Josephus auch A.J. 12,320; 13,4. In den Werken Philos kann man diesen Gebrauch nicht finden. (Vgl. F. Hauck, Art. joimor´, 791. 453 C. Tuor-Kurth, Unreinheit und Gemeinschaft, 233. Auch auf S. 232 ist eine weitere Definition zu finden: „joimºr konnotiert zwar die Bedeutung des kultischen Unreinen fast in allen Fällen; doch scheint der Begriff darüber hinaus eine Grenze zu markieren, die jenseits dessen liegt, was im jüdischen Kult zur Kategorie unrein gehört“. 454 Nach R.H. Gundry, Mark, 358, betont das Interesse des Markus, hier „ungewaschen“ zu erklären. „but Mark is more interested in explaining the reason for defilement (failure to rinse)
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der Bräuche der Pharisäer an über die Reinigung auch von Platten, Vasen und Behältern und sogar vielleicht von Betten.455 Er spricht von diesen Riten aus einer Außenperspektive, die besonders durch die generalisierende Bemerkung ja· p²mter oR ûIouda?oi siwgtbaq wird.456 Die Leser des Evangeliums kennen diese Reinigungsriten nicht, aber die markinische Erklärung hat eher die Funktion, ihre Bedeutung im jüdischen Alltag (und nicht nur im Leben der Pharisäer) zu betonen als sie genau zu erklären. Am Stil des Autors fällt die Anwendung von Latinismen auf wie das Substantiv n´stgr,457 das griechische Wort für „sextarius“, ein Maß für Flüssigkeit, und vielleicht noch pucl0, dessen Deutung aber noch umstritten ist. M. Hengel interpretiert diesen Dativ als instrumental, nämlich als 1m pucl0 vdator, was dem lateinischen Gebrauch des Wortes pugnus/pungillus als Bezeichnung für eine gewisse Menge entspricht.458 Hengel versteht aber den Latinismus nicht einfach als die Übernahme eines Wortes aus einer Fremdsprache, sondern als den Gebrauch eines griechischen Wortes mit der Semantik eines lateinischen Wortes:459 Die sprachliche Verwandtschaft von pucl0 und pugno, die ja dieselbe Wurzel besitzen, würde eine derartige Übertragung des lateinischen Wortbedeutung auf den ähnlich klingenden griechischen Begriff leicht erklären.460
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than in a simple definition of joima?r as meaning defilement.“ Das könnte aber noch als Hinweis gelten, dass die Frage der Reinheit für Markus nicht mehr so genau definiert werden muss. Die Lesart ja· jkim_m ist umstritten. Sie fehlt in a, B, L D und ist aber zu finden in A, D, W, H. M. Hengel, Markus 7,3 pucl0, 196–197, hebt die polemische Intention des Markus gegenüber den Reinheitsriten hervor. Nest_m könnte noch eine Form von nestºr sein, was eigentlich „geglättet“, „poliert“ heißt. Aristoph. Thes. 778; Jos A.J. 11,99. Lightfoot, Horae Hebraicae et Talmudicae, 620, erwähnt diese weitere Deutung: „Ambiguum est, an vox haec a n´stgr deducenda sit an a nest²“ (…) „Ita etiam si deduxeris nest², qua resilia, tornantilia, lignea denotantur. Et forsan utensilia ista, quae Rabbinis vocantur A=ü9MH Plana, opponunturque to?r A=@5KB aliquid inter se recipientibus, hac voce exprimuntur.“ Ein konkretes Objekt mit dieser Bezeichnung ist im Griechischen aber nicht belegt; nestºr kommt immer als Adjektiv vor. M. Hengel, Markus 7,3 pucl0, 187–188, zitiert die verschiedenen Interpretationen dieses Wortes: a) Bei Theophylakt heißt pucl¶ Elle (und nicht nur Faust), der Ausdruck hieße etwa „vom Ellenbogen zu den Fingerspitzen“; b) J. Lightfoot (Horae Hebraice et Talmudicae, 618–619) findet in mYad 2,3 die Verunreinigung der Hand und ihre Reinigung bis zum Handknöchel (KLH8 7F). Lightfoots Übersetzung des Textes lautet: „Cum manus lavarent, laverunt pugnum KLH8 7F usque ad juncturam lacerti“; c) Wettstein puclµ vdator die Hand voll Wasser. Die Handvoll Wasser sei nach Hengel die notwendige Menge, damit die Waschung eine Reinigung bewirken kann (ein Viertel Log oder anderthalb Eierschalen). Reynold, A Note on Hengels Interpretation of pucl0, 295, wendet ein, es könne kein Latinismus sein, weil man in der Regel ein Wort aus einer anderen Sprache nimmt, wenn es keinen entsprechenden Terminus in der eigenen gibt. Auf Griechisch könne man dq²n bzw. dq²cla benutzen. Der Deutung Hengels, nach der man den Ausdruck als ein Faust voll Wasser verstehen solle, entspräche besser die griechische Formulierung dqaj· vdator. Der Schluss von Reynold heißt: „pucl0 is properly dative of respect with cupped hand and refers to the hand on which the water is poured from a vessel“ (S. 296). M. Hengel, Markus 7,3 pucl0, 194. Es ist aber nicht notwendig m. E., nach literarischen Bei-
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Ein besonderes Problem ist, ob das Händewaschen in der Tradition des damaligen Judentums eine Norm der Reinheit oder nur ein Brauch war. Die alttestamentliche Vorstellung der Reinheit betrifft den Kontakt mit unreinen Dingen wie menschlichem Ausfluss oder mit Leichen oder mit Krankheiten wie Lepra. Durch einen solchen Kontakt aber wird der ganze Mensch unrein und nicht nur die Hand oder ein Teil von ihm. Das Waschen der Hände hat daher wenig mit dem biblischen Reinheitssystem zu tun. Die Frage ist auch in den rabbinischen Schriften, ob eine unreine Person mit ihren Händen die Speisen verunreinigen könnte.461 Die Lösung dieser Unstimmigkeit des Händewaschens in Mk 7 mit den jüdischen Reinheitsgesetzen führt zu verschiedenen Hypothesen. Maccoby denkt an eine Kritik des historischen Jesus am Händewaschen in Mk 7 als einer Regel der Hygiene und der Etikette. Jesus sah nach Maccoby diese Regeln als einen Mangel des Glaubens in einer klaren messianischen Zeit.462 Seine Kritik gleiche der Kritik der Hasidim an den hygienischen Regeln der Pharisäer. Eine weitere Lösung schlägt Y. Furstenberg vor: eine Entwicklung der rituellen Regeln von den ursprünglichen biblischen Vorschriften in den rabbinischen Schriften. Markus 7 beziehe sich auf die pharisäische Reinheitsvorstellung und nicht auf das levitische Reinheitssystem. Die Entwicklung bestehe in der Aufnahme und Integrierung griechischer und römischer Bräuche wie dem Waschen der Hände vor dem Speisen.463 Furstenberg listet vier neue Auffassungen in dem rabbinischen Reinheitsgesetz auf, die aus der griechisch-römischen Welt übernommen wurden: a) die Hände können unrein werden, ohne den ganzen Leib zu verunreinigen, b) verunreinigte Speisen können den Menschen verunreinigen, c) die Unreinheit kann sich von Speisen auf Speisen übertragen, d) durch Flüssigkeit kann sich die Unreinheit auf
spielen dieses Gebrauchs zu suchen, wie es Hengel versucht. Er nimmt nämlich eine lokale beschränkte Anwendung des Wortes an und einen Sprachgebrauch in einem „unliterarischen, volkstümlichen Milieu“ (ebenda). Es könnte aber eine stilistische Eigenart des Evangelisten sein, der zweisprachig war. Ein ähnliches Phänomen betrifft m. E. das Wort 1nous¸a bei Markus, wie ich im nächstes Kapitel zeigen werde. 461 H. Maccoby, Ritual and Morality, 157–159, bemerkt, dass der Zweck des Händewaschens im Reinheitssystem ist, die Reinheit der Speisen zu bewahren und nicht die Reinheit des Körpers. Maccobys Hypothese ist, ist dass das Händewaschen in Mk 7 die Hygiene betrifft und die rituelle Reinheit. Gegen diese Hypothese erklärt sich A. Yarbro Collins, Mark, 344 Anm. 30. Sie beruft sich auf den Gebrauch einer speziellen Terminologie wie joimºr, die mehr als Hygiene und Etikette bedeutet. 462 Maccoby, Ritual and Morality, 160: „Jesus, then, following a respected, though minority trend when he rejected the hygienic rule of hand-washing before meals. He thought that such rules showed lack of faith, especially at the period of history when God was about to intervene by inaugurating the messianic age.“ 463 Y. Furstenberg, Defilement Penetrating the Body, 193–194: „Hand washing was not originally a priestly custom; rather it was a product of everyday normative behaviour in a society that indeed held purity as a significant cultural category“. Für Furstenberg handelt sich um eine Art „Tisch-Etikette“ (table etiquette, S. 194).
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Menschen und Gefäße übertragen.464 Es ist allerdings schwierig, Belege in den rabbinischen Schriften zu finden, die eine isolierte Verunreinigung der Hände belegen. Die rabbinischen Schriften beschäftigen sich eher mit der Frage, wie unreine Hände durch Kontakt die Speisen und die Gefäße verunreinigen können. Eine besondere Rolle spielen dabei die Flüssigkeiten, weil sie das eigentliche Mittel sind, das die Unreinheit der Hände auf die Speisen übertragen kann.465 Ein Beispiel sind Oliven oder Trauben, die mit den Händen gepresst werden. Die Flüssigkeit kann die Unreinheit der Hände auf die Speisen übertragen.466 Eine weitere Vorschrift mit dem Händewaschen betrifft die Vorbereitung zum Opfer oder hm'WrT.467 Die Pharisäer sind daher nach einigen Autoren diejenigen, die priesterlichen Vorschriften auf den Alltag anwenden wollten.468 Im Aristeasbrief ist ein weiterer Brauch beschrieben, nämlich die Hände vor dem Gebet zu waschen und nicht vor dem Essen.469 Das Beispiel des Händewaschens im Markusevangelium setzt zwar die Kenntnis eines Brauchs im Judentum voraus, aber es wird auf eine genaue Behandlung oder eine genaue Erörterung verzichtet. Ein Urteil darüber, ob das Händewaschen tatsächlich mit den levitischen Reinheitsgesetzen zu tun hat, ist nicht mehr nötig. Die bekannte Genauigkeit und die Übertreibung der Pharisäer ist hier sogar funktional zum markinischen Diskurs, und es ist nicht nötig zu fragen, wie sich das Händewaschen zu den Reinheitsgesetzen verhält. Diese Erörterung der Reinheitsgesetze macht eine Auseinandersetzung der christlichen Gemeinde mit der jüdischen Gemeinde (oder mit den Judenchristen) als Einbettung des Streitgesprächs unwahrscheinlich. Es liegt nah, dass verschiedene Themen von Markus aus einer externen Perspektive zusammengefügt wurden. Das Urteil gegen die menschlichen Satzungen durch das Jesaja-Zitat passt zwar für den Brauch, die Hände vor dem Essen zu waschen, aber nicht für die Speisegebote, die Gottes Gebote sind. Man kann Neyrey zustimmen, dass der markinische Jesus das Herz des Gesetzes, nämlich die zehn Gebote, und nicht die peripheren Satzungen der Tradition als normativ für die Reinheit ansieht. Das entspreche der anthropologischen Opposition von Herz und Lippen und, in den folgenden Versen, zwischen Innen und Außen.470 Der Ansatz, mit dem 464 Y. Furstenberg, Defilement Penetrating the Body, 196. Nach Furstenberg geht im levitischen System die Richtung der Verunreinigung von der Quelle durch die Person bis zu den Speisen. „In the rabbinic system, on the other hand, not only does the circle of influence widen, but the process of contamination reverses its direction.“ (ebd.). 465 Die verschiedenen Stufen der Verunreinigung illustriert Kazen, Jesus and the Purity Halakhah, 6 und 78. 466 mTaan 9,5. Die Hände können unrein in einem zweiten Grad werden (mJad 2,1; mToh 1,7). 467 MHG Wa 2,6. 468 Yarbro Collins, Mark, 345. 469 Aristeas 305–306. Das ist dort als eine Form von Reinigung von allem Bösen beschrieben. 470 J. Neyrey, The Idea of Purity in Mark’s Gospel, 112–113. Neyerey spricht von einer Reform des Reinheitssystems durch Jesus. Drei Element sind für Neyerey wesentlich in dieser Reform: 1) Jesus verletzten die Normen der Reinheit und habe Kontakte mit unreinen Menschen; 2) er sei
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Jesus die Reinheitsgesetze in 7,14–23 betrachtet, ist deshalb anthropologisch. Die wahre Unreinheit liegt nicht im Äußeren, sondern im Inneren des Menschen, dem Herzen.471 Ähnlich wie die Debatte über den Sabbat stellt Jesus nicht nur den Menschen in den Mittelpunkt (Mk 2,27 und 3,3), sondern er deckt die Härte des Herzens seiner Ankläger auf (p¾qysir t/r jaqd¸ar Mk 3,5). Das Herz ist die tiefste Dimension des Menschen, die niemand erkennen kann. Hier entstehen seine tiefsten Gedanken, seine Pläne und seine Entscheidungen, die den anderen Menschen verborgen bleiben.472 Die Verborgenheit des Herzens ist aber Gott bekannt, der hinter die äußerliche Erscheinung blicken kann. Diese anthropologische Konzeption vom Herzen des Menschen ist ein Kernstück biblischer Theologie: „Menschen sehen das Äußere, Gott aber sieht das Herz“ (1Sam 16,7). Es ist möglich, dass diese Auffassung die Kritik des historischen Jesus gegen die äußerliche Frömmigkeit leitete. Bei Gebet, Almosen und Fasten muss man denken, dass Gott ins Verborgene schaut (1m t` jqupt` Mt 6,4; 1m t` jquva¸\ 6,18). Die äußerliche Frömmigkeit setzt sich als einziges Ziel, den Menschen zu gefallen. Weil die Bedeutung des Herzens ein wichtiger Punkt in der Predigt Jesu ist, hat sie in den Streitgesprächen die Funktion eines einheitlichen Faktors in den verschiedenen Auseinandersetzungen. Jesus hat die Fähigkeit, die Gedanken der Menschen und ihre Herzen zu erkennen (2,8; 3,5) oder die Überlegungen der Gegner mit einer Rückfrage nach Johannes dem Täufer zu enthüllen (Mk 11,31–32). Die Verstocktheit des Herzens, p¾qysir t/r jaqd¸ar, in Mk 3,5 und die sjkgqojaqd¸a in Mk 10,5 beschreiben die Feindschaft der religiösen Autoritäten gegen Jesus und ihren Entschluss, ihn sterben zu lassen. In den Jerusalemer Streitgespräche kommt diese Opposition zwischen Innerlichem und Äußerlichem wieder zu Sprache. Bei der Frage nach dem Tribut an den Kaiser beschreiben die Pharisäer und die Herodianer Jesus in einer Art captatio benevolentiae als einen, der das Gesicht (vielleicht das Äußerliche) der Menschen nicht anschaut (oq bk´peir eQr pqºsypom t_m !mhq¾pym Mk 12,14). Sie irren sich damit nicht, obwohl es ihre Intention ist, Jesus in eine Falle zu locken. Die Diskussion betrifft dann die eQj¾m des Kaiser auf der Münze. Jesus von Gott autorisiert eine neue Position zur Sünde und zum Sabbat zu vertreten; er sei ein „so authorized ,limit breaker‘“ (S. 112); 3) er habe andere Regeln als die Pharisäer: „He has a purity system which is expressed in rules of purity which differ from those of the Pharisees. Whereas the Pharisees’ concern is with external and surfaces (washing of hand, pots, cups and vessels 7,2–4), Jesus’ concern is with the interior and the heart.“ 471 Vgl. M. Meiser, Anthropologie im Markusevangelium, 130: „Das Zentrum menschlichen Denkens, Fühlens und Wollens wird mit jaqd¸a bezeichnet, während moOr fehlt“. Das Interesse des Markusevangeliums will jedenfalls keine besondere anthropologische Überlegung vorlegen. Das Wort jaqd¸a bezeichnet in der biblischen Sprache und in der Verkündigung Jesus die Interiorität des Menschen, die in den Streitgespräche als Gegensatz zur Exteriorität der Gesprächspartner Jesu benutzt wird. 472 Vgl. Baumgärtel, Art. jaqd¸a jtk. AT, ThWNT 3, 609–610. Behm, Art. jaqd¸a NT, 615: „So ist das Herz vor allen Dingen die eine Stelle im Menschen, an die Gott sich wendet, in der das religiöse Leben wurzelt, die die sittliche Haltung bestimmt.“
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erinnert an die Tiefe des Gebotes der Gottesliebe 1n fkgr t/r jaqd¸ar sou, 1n fkgr t/r xuw/r sou ja· 1n fkgr t/r diamo¸ar sou ja· 1n fkgr t/r Qsw¼or sou (Mk 12,30). Im Markusevangelium wird deshalb die Betonung der Reinheit des Herzens und der Innerlichkeit der Religion zum Anliegen der Predigt Jesu, um den Unterschied zwischen Jesus und seinen Gegnern zu beschreiben und einen wesentlichen Grund für ihre Opposition hervorzuheben. Eine weitere Entwicklung der jesuanischen Vorstellung betrifft die Reinheit der Speisen. Die Aussage in Mk 7,19 jahaq¸fym p²mta t± bq¾lata ist offensichtlich eine Anmerkung des Evangelisten. Die Behandlung der Reinheit der Speisen entspricht nicht mehr der Unterscheidung zwischen Innen und Außen, Herz und Hände/Lippen. Markus braucht zusätzlich den Gedanken, dass die Verdauungsorgane (hier steht repräsentativ das Wort joik¸a) zum Äußeren des Menschen gehören und nicht die Innerlichkeit betreffen. Die unreinen Speisen können nicht das Herz des Menschen erreichen, sondern sie erreichen die joik¸a und werden danach ausgeschieden. Wenn die Vorstellung von der wesentlichen Bedeutung des Herzens in der Frömmigkeit eine Auffassung des historischen Jesus sein könnte, sollte die Unterscheidung zwischen joik¸a und jaqd¸a ein Motiv der paulinischen Anthropologie werden.473 In 1Kor 6,13 unterscheidet Paulus jok¸a, die verdirbt, und s_la, das von Gott gerettet wird: t± bq¾lata t0 joik¸ô ja· B joik¸a to?r bq¾lasim, b d³ he¹r ja· ta¼tgm ja· taOta jataqc¶sei. Die Stelle bezeugt die Externität der joik¸a, die als inneres Organ wie das Herz gelten sollte. In 1Kor 6 liegt der Grund für die Unterscheidung zwischen s_la und joik¸a in der soteriologischen Entscheidung Gottes, der das s_la durch Christus auferweckt, während die joik¸a zum Verderben bestimmt ist. Markus scheint allerdings die Vorstellung zu vertreten, dass das Herz als Sitz des Denkens das Selbst des Menschen ist. Fazit: Die Erörterung von verschiedenen Themen wie Händewaschen, Tradition der Alten, Korban-Praxis und Reinheit der Speisen bildet schwerlich eine Auseinandersetzung der markinischen Gemeinde mit dem Judentum in Mk 7,1–23 ab, denn diese Themen betreffen nicht direkt die Leser des Evangeliums, wie die Erklärungen des Evangelisten zeigen. Es ist ebenfalls schwer, ein ursprüngliches Streitgespräch über eines der oben genannten Themen zu rekonstruieren, weil die verschiedenen Teile literarisch und stilistisch zu einem eigenen, einheitlichen Streitgespräch zwischen Jesus und den Pharisäern und Schriftgelehrten komponiert sind. In diesem Streitgespräch ist deshalb die externe normative Bedeutung wichtig. Jesus wird als jemand dargestellt, der eine Reinheit des Herzens vertritt und die Gebote Gottes als das Herz der Religion betrachtet. Seine Gesprächspartner hingegen wollen eine äußerliche Auffassung der Reinheit verwirklichen, indem sie Hände, äußere 473 Vgl. Behm, Art. joik¸a, ThWNT 3, 787–788. Er sieht den Zusammenhang zwischen Mk 7,19 und 1Kor 6,13. Beide Stellen enthalten eine Abwertung der joik¸a und der Verdauungsorgane. Behm aber formuliert keine Hypothese über eine mögliche Abhängigkeit der jeweiligen Stellen voneinander.
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Jesus und die religiöse Praxis: Die Streitgespräche in Galiläa
Objekte, reinigen. Die Leser sollen damit zum Schluss kommen, dass die Vorwürfe gegen Jesus auf einem fragwürdigen Fundament beruhen. Sogar die alten Belege der Schrift (Jes 29,13) geben Jesus Recht, wenn sie die Äußerlichkeit der religiösen Haltung denunzieren. Die Auffassung Jesu, der die Gebote Gottes in den Mittelpunkt stellt und die innerliche Disposition des Menschen reflektiert, erweist sich als eine höhere Form der Religion im Vergleich zu einer Religion der ritualen Vorschriften. Durch die Reinheit des Herzens will Jesus alle moralischen Verfehlungen bekämpfen, sogar die bkasvgl¸a (Mk 7,21–22), die die Haupanklage gegen ihn ist. Im Hintergrund dieser Perikope steht wiederum die Anklage gegen Jesus als Blasphemiker. Sie wird damit in ihren Voraussetzungen auf den Kopf gestellt.
V. Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem 1. Einführung Die Jerusalemer Streitgespräche fangen mit der Frage nach der Autorität1 Jesu an. Bereits die Streitgespräche in Mk 2,1–3,6 sprachen von der Autorität Jesu. Das dabei verwendete Wort 1nous¸a wird aber meist nicht direkt zum Thema einer Diskussion wie in Mk 11,27–33, und seine Bedeutung wird nicht genauer definiert. Mk 2 wird die Rede von seiner 1nous¸a zweimal Jesus in den Mund gelegt, um den Vorwürfen seiner Gegner zu begegnen. Im ersten Streitgespräch (Mk 2,1–12) bei der Heilung des Gelähmten sagt Jesus: „Der Menschensohn hat 1nous¸a, die Sünden auf Erden zu vergeben“ (Mk 2,10). Eine ähnliche Formulierung findet sich im Menschensohn-Logion über den Sabbat: „Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat.“ Diese Logien über den Menschensohn haben sicherlich einen christologischen Bezug, der aber nicht – wie schon dargestellt – so deutlich zum Ausdruck kommt, weil Jesus eine Formulierung in der dritten Person wählt und weil der Ausdruck uR¹r toO !mhq¾pou die allgemeine Bedeutung von „Mensch“ haben kann. Von diesen Logien abgesehen, hängt in den Streitgesprächen in Galiläa nur noch die Frage nach dem, was erlaubt ist, mit dem Problem der Autorität zusammen. Das wird allerdings mit der impersonalen Verbform 5nestim ausgedrückt, wodurch das Objektiv-Rechtliche bezeichnet wird. Dabei ist immer Jesus derjenige, der seine 1nous¸a über das Gesetz und über den Sabbat 1 Ich benutzte in diesem Kapitel absichtlich das Wort „Autorität“ als mögliche Wiedergabe des griechischen Terminus 1nous¸a. Das ähnelt dem Gebrauch des Wortes „authority“ in der englischen Exegese. In der deutschen Fachliteratur ist es üblich, diesen Begriff mit „Vollmacht“ zu übersetzen, ein Begriff, dem eigentlich der Sinn einer Autorisierung von einer höheren Instanz zukommt. Das ist sicher in der Frage der Gegner Jesu enthalten. Das Wort 1nous¸a aber hat eine viel breiteres Bedeutungsspektrum als „Vollmacht“, wie ich in diesem Kapitel zeigen werde. Hier wäre zu bemerken, dass auch H. Braun in seinem Jesus-Buch das Wort „Autorität“ verwendet. Er widmet ein Kapitel seines Buches dem Thema „Die Autorität Jesu“. H. Braun, Jesus, 146–158. Braun definiert die Autorität wie folgt: „Eine Autorität, die wirklich das ist, was der Name besagt, bindet den Menschen nicht bloß durch Sitte, Gewohnheit und Recht. Sie ist Autorität dadurch, daß sie dem Menschen, jedenfalls dem Erwachsenen, ungezwungen Zustimmung abgewinnt und abnötigt“ (S. 147). Was Braun mit nicht wenigen Schwierigkeit im Deutschen zu erklären versucht, ist eigentlich der lateinische Begriff ,auctoritas‘, wie im folgenden Zitat deutlich wird: „Kein Lehrer gewinnt dadurch, daß er Lehrer ist, anhaltende Autorität; besitzt er selber Autorität, so wird er sie als Lehrer ausüben können“. Ein wichtiger Punkt in diesem Kapitel ist der Versuch, das komplexe Bedeutungsspektrum von 1nous¸a zu zeigen. Das Verständnis dieses Begriffs als auctoritas ist von weitreichender Bedeutung für die Auslegung des markinischen Jesus-Bildes.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
betont, oder derjenige, der Verbote relativiert. Auf das Verbot des Ährenraufens am Sabbat in Mk 2,24 antwortet Jesus in Mk 2,26 mit der Episode aus der Geschichte Davids, in der dieser die nicht zum Verzehr bestimmten Schaubrote gegessen hat (otr oqj 5nestim vace?m). In Mk 3,4 schließlich, wiederum angesichts des Verbots, am Sabbat zu heilen, antwortet Jesus mit einer hyperbolischen Gegenfrage: „Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes oder Böses zu tun, ein Leben zu retten oder zu töten?“. Der Zusammenhang zwischen Gesetzesverbot und Autorität wird erst in der zweiten großen Sammlung der Streitgespräche in Mk 11–12 genauer thematisiert. Die Jerusalemer Streitgespräche stellen viel verfänglichere Attacken gegen die Person Jesu dar. Trotz der Autorität, die das Volk Jesus offensichtlich zuspricht, wird Jesus aufgefordert, seine Lehrtätigkeit zu rechtfertigen. Die Frage nach der 1nous¸a betrifft nicht nur die erste Perikope der Jerusalemer Streitgespräche, sondern spielt eine wichtige Rolle für das ganze Markusevangelium, und besonders in dieser Gruppe von Streitgesprächen wird das Thema in seinen verschiedenen Aspekten behandelt. Man kann daher den Jerusalemer Streitgesprächen mit Recht die Überschrift „Debatten über die Autorität“ geben, weil hier 1nous¸a in verschiedenen semantischen Variationen zur Sprache kommt. Die Diskussion betrifft von Anfang an zwei Bereiche, die Macht der Menschen und die Macht Gottes, die miteinander konfrontiert werden. Die Gegner Jesu fordern Rechenschaft über die Natur dieser 1nous¸a, die entweder dem einen oder dem anderen Bereich zugehört. Ihre Intention ist aber, Jesus als Fanatiker oder als Rebellen zu denunzieren. Die fünf Perikopen können so zusammengefasst werden: 1) Mk 11,27–33 leitet die Frage nach der 1nous¸a ein, die unbeantwortet bleibt. 2) Mk 12,13–17 betrifft die Macht des Kaisers und die schwierige Frage der Steuer. Jesus argumentiert für die Bezahlung der Steuer an den Kaiser, aber fordert zugleich, Gott zu geben, was Gott gehört. Die göttliche Autorität und die menschliche Autorität schließen einander nicht aus. 3) Mk 12,18–27 betrifft die Auferstehung, die die Sadduzäer durch ein Rätsel als unvorstellbar darstellen. Für Jesus ist die Auferstehung Ausdruck der d¼malir Gottes. 4) Die Frage nach dem höchsten Gebot (Mk 12,28–34) lässt sich mit der Betonung des Gehorsams und der Herrschaft Gottes als j¼qior beantworten. Jesus aber ergänzt dies durch das Gebot der Nächstenliebe. 5) Die Frage nach der Davidssohnschaft des Messias (Mk 12,35–37) impliziert die königliche Würde des Messias und damit seine Legitimierung als menschlicher Herrscher. Jesus betont in seiner Antwort, dass David selbst im Psalm 110 den Messias seinen Herrn und nicht seinen Sohn nennt. Die politisch verdächtige Davidssohnschaft des Messias bzw. Christus wird damit entkräftigt.
Die Sammlung der Jerusalemer Streitgespräche
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Die Frage der Autorität ist ersichtlich der rote Faden dieser Streitgespräche, die scheinbar unterschiedliche Themen betreffen. Die Grundthese dieses Kapitel kann wie folgt formuliert werden: Die Streitgespräche in Jerusalem dienen dazu, einige Koordinaten zu setzen, welche die im Evangelium vorausgesetzte, aber noch sehr allgemeine 1nous¸a Jesu beschreiben und kontextualisieren: der messianische Prophetismus, die Macht des römischen Kaisers, die Macht Gottes und die politischen Implikationen der MessiasErwartung. Die Absicht des Markus ist, diese Autorität für seine heidnischen Leser genauer zu definieren. Er will durch die in den Debatten angesprochenen Koordinaten klar machen, dass die 1nous¸a des historischen Jesus keine politische antirömische Intention einschloss und dass Jesus nicht mit den rebellischen Gruppierungen und religiösen Anstiftern verwechselt werden kann, wie Gegner des Christentums vermuteten. Wie in den galiläischen so sind auch in den Jerusalemer Streitgesprächen die Gegner Jesu Repräsentanten der offiziellen Religion, die auf der Suche nach einem Anlass sind, ihn zu beschuldigen. Diese provozieren die Diskussion, suchen ihn mit zentralen Themen zu konfrontieren, durch eine ungeschickte Antwort als Revolutionär oder religiösen Schwärmer zu entlarven und ihn bei den römischen Behörden zu denunzieren. Im Endeffekt wird dadurch die Frage aufgeworfen, wie Jesus sich in der gegebenen ,Konstellation von Autoritäten‘ positioniert. Anders als in Mk 2,1–3,6, in denen die Streitgespräche meistens Vorwürfe gegen Jesus thematisieren, sind die Fragen der Gegner in 11,27–12,44 so etwas wie Dilemmata oder Rätsel, die kaum zu lösen sind. Eine falsche Antwort wird sofort zu einem Grund, Jesus anzuklagen. Die brennenden Fragen dieses Teils betreffen nicht mehr die Konfrontation mit der jüdischen Religion, sondern die Positionierung Jesu in der Politik der Zeit. Die politische Stellungnahme einer religiösen Gruppe im Kontext des palästinensischen Judentums war ein äußerst virulentes Problem besonders in der Zeit, in der das Markusevangelium verfasst wurde. Das Interesse für die ursprüngliche Position Jesu auch in politischen Fragen ist deswegen auch für das Christentum der Gegenwart wichtig, weil dadurch das Wesen der sich im römischen Reich ausbreitenden Bewegung definiert wird. Wie es für andere religiösen oder philosophischen Bewegungen auch gilt, kann man diese Dynamik nur wirklich verstehen, wenn man die Persönlichkeit und die Lehre des Gründers verstanden hat.
2. Die Sammlung der Jerusalemer Streitgespräche Die von M. Albertz eingeführte Unterscheidung Galiläischer und Jerusalemer Streitgespräche (er benutzt die Bezeichnung Jerusalemisch) wird hier als eine grundsätzliche Unterscheidung beibehalten. Albertz definiert die Sammlung als eine Einheit von fünf Streitgesprächen, einem Vorbericht (Mk 11,15–17)
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
und dem Schluss, den Worten über die Schriftgelehrten (Mk 12,38–40).2 Die These von Albertz beruht auf der Idee, dass die Streitgespräche an einem einzigen Ort, nämlich im Tempel, wirklich stattfanden, und dass der Erfolg Jesu gegenüber seinen Gegnern nicht gut zum Thema der Passion passt. Das verstärke die Auffassung einer vormarkinischen Sammlung von Jerusalemer Streitgesprächen. Die meisten Autoren teilen allerdings nicht Albertz’ Hypothese einer Markus bereits vorliegenden Sammlung von Jerusalemer Streitgesprächen, die der Evangelist nur redaktionell bearbeitet habe, sondern betrachten die Sammlung als eine eigene Schöpfung des Evangelisten. Kuhn äußert seine kritische Position zu der These von Albertz in seiner Arbeit über die Sammlungen im Markusevangelium. Die Probleme für Albertz’ Annahme einer Sammlung sind die Lokalisierung der Streitgespräche im Tempel und die uneinheitliche literarische Form der Perikopen. In Mk 12,13–34 scheine der Ort der Debatte offen und dann wieder in 12,35 sei deutlich von einer Debatte im Tempel die Rede.3 Der noch schwerwiegendere Einwand betrifft die Tatsache, dass die Perikopen literarisch nicht zur gleichen Gattung gehören. Die Perikope mit der Frage nach dem größten Gebot und die mit der Frage nach der Davidssohnschaft seien keine Streitgespräche, anders als Albertz meint. Die literarische Uneinheitlichkeit impliziert, dass die einzelnen Perikopen nicht nur einen Sitz im Leben haben können. Die Hypothese einer Sammlung scheine deshalb schwierig. Kuhn kommt daher zur Schlussfolgerung: „Deshalb läßt sich auch die Annahme einer Zusammenstellung formgeschichtlich verschiedenen Materials zu einem mehr biographischen Korpus nicht rechtfertigen.“4 A.J. Hultgren formuliert die These einer vorliegenden Sammlung von Streitgesprächen anders als Albertz. Er versteht die Ortbestimmung nicht als einen Ort in der markinischen Erzählung (Galiläa oder Jerusalem), an dem sich die Debatten abspielten, sondern als den Ort, woher die Traditionen stammen.5 Albertz verficht die Authentizität der Streitgespräche im Leben des historischen Jesus. Die Sammlungen sollen demnach die Erinnerung an die Episoden in Galiläa und in Jerusalem enthalten. Hultgren ist hingegen von der Vorstellung der Formgeschichte geprägt, nach der die Gemeinde eine zentrale Rolle in der Abfassung und Tradierung dieser Streitszenen hatte. Nach seiner Hypothese kann daher keine Jerusalemer Sammlung existiert haben, die von der Gemeinde in Jerusalem besonders tradiert wurde, wobei er zugesteht, dass Mk 2,1–3,6 tatsächlich auf die galiläische Gemeinde zurückzuführen sein 2 3 4 5
M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 19; 34. H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 41. H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium, 42. A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 175, spricht allgemein von „Palestinian setting“ der Streitgespräche und von „Hellenistic conflict stories.“ Zur These Albertz’s schreibt er kritisch: „This is the classification used by Albertz for the most of the conflict stories. But the alternative has been rejected, since the Galilean and the Jerusalem settings alone have nothing to do with similarities and differences among the stories from a formal point of view.“
Die Frage nach der 1nous¸a Jesu (Mk 11,27–33)
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könnte und unter Umständen echte galiläische Traditionen bewahrt.6 Die palästinischen Traditionen konzentrieren sich laut Hultgren auf die galiläischen Debatten, weil es dort um die Fragen der jüdischen Religion geht und eine direkte Konfrontation mit dem palästinischen Judentum stattfindet. Statt einer thematischen oder einer örtlichen Klassifizierung der Streitgespräche schlägt Hultgren eine narrative Unterscheidung vor. Er spricht von unitary und non-unitary conflict stories und unterscheidet damit die Erzählungen, die das Logion Jesu von Anfang an enthielten, von solchen, die unabhängig von dem Logion tradiert wurden.7 Die Ortsbestimmung „Jerusalem“ ist tatsächlich kein wesentliches Indiz für eine lokale Tradition in Jerusalem. Trocm kann allerdings in seinem Kommentar darauf hinweisen, dass der Bezug auf die Taufe des Johannes von der Gemeinde in Jerusalem stammen könnte, die die Sammlung geschaffen und bewahrt habe.8
3. Die Frage nach der 1nous¸a Jesu (Mk 11,27–33) 3.1 Der Text von Mk 11,27–33 Mk 11,27 gibt eine klare Ortbestimmung: Die Streitgespräche finden in der Stadt Jerusalem und zwar im Tempelhof statt, wohin Jesus mit seinen Jüngern zurückgekehrt ist. In V. 27 wird mit einer Partizipialform (peqipatoOmtor aqtoO) gesagt, dass Jesus im Tempel umherging, was die Bedeutung einer Lehrtätigkeit haben könnte.9 Diese Bedeutung von Lehrtätigkeit kann auch den Wechsel vom Plural (sie kamen) zum Singular (er wandelt umher) erklären. Jesus bleibt in Gesellschaft seiner Jünger, aber er ist der einzige, der eine lehrende Funktion ausübt. Er wird tatsächlich von seinem Gegnern als did²´ sjakor (Mk 12,14; 19) angesprochen. In Mk 12,35 ist das Wirken Jesu als Lehrer im Tempel ausdrücklich formuliert: 5kecem did²sjym 1m t` Req`. Die 6 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 165–166; 177. 7 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 21. Hultgren unterscheidet noch zwischen palästinischen und hellenistischen Streitgesprächen. Die hellenistischen Streitgespräche seien etwas komplexer als die palästinischen. Sie enthalten biblische Zitate und dienen der christlichen Gemeinde zur katechetischen Unterweisung (S. 178–179). 8 E. Trocm , L’ vangile selon Saint Marc, 291: „L’utilisation du baptÞme de Jean pour mettre les adversaires dans l’embarras remonte par cons quent l’ðglise de J rusalem, porteuse de la tradition et cr atrice de la collection.“ 9 Das war eigentlich ein Merkmal der aristotelischen Schule Cic. acad. I,17; Gellius, n.a. 20,4, könnte aber eine allgemeine Beschreibung von Lehrtätigkeit sein, wie t¹ 1qyt÷m ja· !pojq¸meshai ja· peqitate?m bei D.L. 7,109 oder das peqitate?m eQr to»r !jqoyl´mour bei Philostrat V.A. 1,17. Das Verb peqipate?m wird in den Parallelstellen im Matthäus- und Lukasevangelium durch ein anderes, eindeutig ,belehren‘ bedeutendes Wort ersetzt: Mt 21,23 pqos/khom aqt` did²sjomti oR !qwieqe?r ja· oR pqesb¼teqoi und Lk 20,1 did²sjomtor aqtoO t¹m ka¹m 1m t` Req` ja· eqaccekifol´mou. Lukas hat sogar zwei Verben: did²sjeim und eqaccek¸feshai.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
erneute Ankunft in Jerusalem und der Auftritt Jesu als Lehrer signalisieren, dass die Tempelaktion Jesu keine Konsequenzen hatte, wenn er dort wieder ungestört lehren kann. Markus fügt diese Gruppe von Streitgesprächen nach der Tempelaktion ein, um zu betonen, dass es sich nicht um einen Aufstand handelte und dass die Aktion sogar von den religiösen Autoritäten nicht missverstanden wurde. Jesus wird in eine Art Philosophen verwandelt, der im Tempel wie in einer hellenistischen Agor (Lyceum) die Menschen belehrt und mit seinen Gegnern debattiert. Diesmal wird die Wirkung der apophthegmatischen Form durch eine ungewöhnliche Darstellung des Ortes der Handlung verstärkt, um ein noch klareres Bild des Lehrers zu geben. Interessant ist noch die erzählerische Strategie, das Tempo der Sequenz der Ereignisse zu unterbrechen oder zu verlangsamen. Das geschieht durch durative Formen des Imperfekts (11,17 hier kommt wieder did²sjeim!), durch typisch redaktionelle markinische Bemerkungen über die Feindschaft der Hohenpriester und der Schriftgelehrten und den Beifall der Menge (11,18). In diesem Satz erscheint wieder die didaw¶ Jesu als wichtiges Merkmal der Person Jesu, was aber aus der Tempelaktion nicht unmittelbar zu entnehmen ist. Diese wird jetzt in den Hintergrund gerückt, um das Bild von Jesus als Lehrer in den Vordergrund treten zu lassen, dazu dient die ganze Sammlung der Tempelstreitgespräche.10 Ein oft behandeltes Problem im Text ist der Bezug des Pronomens taOta, der unbestimmt bleibt. Es ist nicht klar, worauf die Frage der Schriftgelehrten und der Ältesten sich bezieht. Da die letzte auffallende Handlung Jesu die Vertreibung der Händler im Tempel ist, wird diese Frage von manchen Exegeten als eine Reaktion auf jene Episode verstanden.11 Die Frage sollte aber unmittelbar nach V. 15–17 kommen, so wie es in Joh 2,18 der Fall ist. Das soll nach Bultmann die ursprüngliche Reihenfolge sein.12 W. Weiß aber teilt diese Meinung einer ursprünglichen Verbindung dieser Perikope mit der Tempelreinigung nicht. Nach seiner Auffassung ist die Perikope unabhängig überliefert worden, das Pronomen taOta müsse nicht unbedingt einen konkreten Bezug haben, und Joh 2,18 sei ein Text über die Zeichenforderung, die in den 10 Als Beweis für diese Position Jesu als Lehrer im Tempel nach der Tempelaktion gilt die Bemerkung bei der Verhaftung Jesu, Mk 14,48–49. Jesus beklagt sich, dass er wie ein Räuber verhaftet wird, während er doch täglich im Tempel gelehrt habe: jahû Bl´qam Elgm pq¹r rl÷r 1m t` Req` did²sjym ja· oqj 1jqat¶sat´ le. M. Reiser, Der unbequeme Jesus, 211, betont zu Recht, dass das Wort „Räuber“ „alle Aufständischen gegen die Herrschaft“ bezeichnet. Es handelt sich hier aber um mehr als einen neutralen Ausspruch Jesu bei der Verhaftung – so Reiser. Markus setzt damit einen wichtigen Akzent in der Tempelepisode: Jesus ist ein Lehrer und hat keine rebellische Absicht. Seine souveräne Lehrtätigkeit im Tempel ist ein Beweis dafür. 11 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 23; E. Lohmeyer, Das Markusevangelium, 240; J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 152; V. Taylor, St. Mark, 470; M.J. Lagrange, St. Marc, 302; E. Trocm , L’expulsion des merchant du temple, 10–11; A. Yarbro Collins, Mark, 539. W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 236. 12 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 18, Anm. 3: „Johannes hat vielleicht die Quelle des Markus benutzt“.
Die Frage nach der 1nous¸a Jesu (Mk 11,27–33)
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Evangelien eine breite Überlieferung hat, und sei nicht mit der Tempelaktion in Verbindung zu setzen. Es bleibt noch die Frage von E. Schweizer: „Bei der jetzigen Ansetzung auf einen späteren Tag bleibt unklar, wieso trotz V.15 offenbar der Tempelbetrieb friedlich weitergeht“.13 Wenn man diese Distanz von dem Geschehen im Tempel ernst nimmt, dann kann das Pronomen in seiner Unbestimmtheit als ein Hinweis auf die ganze Wirksamkeit Jesu verstanden werden.14 Das Pronomen hat tatsächlich eine generalisierende Funktion. Trotzdem bezieht es sich auf die Aktion im Tempel, die durch den Lehrauftritt mit den Streitgesprächen ein neues Licht bekommt. Der Lehrer Jesus kommt wieder in den Tempel, um zu lehren. Wenn man das Auftreten Jesu als Lehrer und sein Umhergehen im Tempelhof als lehrendes Wirken auslegt, kann man die Frage der religiösen Gegner nach dem Recht, diese Lehrtätigkeit gerade im Tempel durchzuführen, besser verstehen. Die Wortwahl der Frage 1m po¸ô 1nous¸ô taOta poie?r wiederholt sich in der Entwicklung des Gesprächs, in der Gegenfrage Jesu und in seiner Verweigerung, auf die Frage zu antworten. Die formgeschichtliche Untersuchung dieser Perikope versucht zu der ursprünglichen vormarkinischen Fassung zu gelangen. R. Bultmann sieht als literarkritisches Problem das Verhältnis von den V. 30 und V. 31. Die Gegenfrage wolle die göttliche Natur des Auftrags des Johannes betonen, wodurch auch Jesus seine Vollmacht begründen könnte. V. 31 aber verstehe nicht mehr diese Intention der Gegenfrage, die Position der Gegner zu widerlegen.15 Der ursprüngliche Text ende daher mit der Gegenfrage wie in der rabbinischen Literatur.16 Er sei in der palästinischen Gemeinde verfasst worden und habe die Funktion gehabt, den jüdischen Gegnern darzulegen, dass sie, wenn sie die göttliche Vollmacht des Johannes zugestehen, auch die Vollmacht Jesu anerkennen müssten.17 V. 31 f stamme, so Bultmann, von einer hellenistischen Gemeinde oder vielleicht von Markus selbst, wie der Gebrauch des Verbs piste¼eim bestätigt. Nach G.S. Shae sind in der Perikope sicher redaktionell die Lokalisierung in 11,27a und die Bemerkung zu Johannes dem Täufer in 11,32a.18 Anders als für Bultmann ist für Shae die Verdoppelung der Frage ein literarkritisches Problem, 13 E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 130. Ich habe deswegen vermutet, dass Markus absichtlich diesen Teil von der Tempelaktion trennen und eine gewisse Normalität darstellen will. 14 D. Lührmann, Das Markusevangelium, 199. Wichtig für diese These ist für Lührmann die Präsens-Form von poie?m. E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 130: „Markus selbst wird „dies“ auf die gesamte Tätigkeit Jesu (vgl. 1,22.27!) bezogen haben“. J. Gnilka, Markus II, 138. 15 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 18–19. 16 Die Gegenfrage ist ein Argument, das für Bultmann den rabbinischen Ursprung der Streitgespräche beweist. Vgl. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 45. Diese These übernehmen auch andere Autoren wie Shae, The Question of the Authority, 13; Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 236. 17 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 19. 18 G.S. Shae, The Question of the Authority, 9–10.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
weil die Gegenfrage Jesu sich nur auf den zweiten Teil der Frage (wer hat ihm die Vollmacht gegeben) bezieht. Er sieht deshalb den ersten Teil der Frage als sekundär an. Die rabbinische Form der Gegenfrage führt Shae zu einer Rekonstruktion der ursprünglichen Fassung, die die Teile einer rabbinischen Geschichte hat, nämlich a) Frage, b) Gegenfrage des Rabbis, c) Antwort des Fragenden, d) klimaktische Antwort des Rabbi. Der damit rekonstruierte Text lautet: (a) (b) (c) (d)
t¸r 5dojem soi tµm 1nous¸am ta¼tgm Vma taOta poi0r b d³ YgsoOr eWpem aqtoir t¹ b²ptisla toO Yy²mmou 1n oqqamoO Gm C 1n !mhq¾pym ja· 5kecom aqt` 1n oqqamoO` ja· YgsoOr !pojqihe·r aqto?r eWpem ovtyr 5stim B 1nous¸a lou 1n oqqamoO` 19
Der rekonstruierte Text basiert aber auf der Annahme einer literarischen Abhängigkeit von der rabbinischen Argumentationsweise. Zudem wird auf diese Weise das durch die Gegenfrage gestellte Dilemma, das im Mittelpunkt dieser Perikope steht, völlig aufgelöst. Die Gegner Jesu bleiben in der Perikope vor dem Dilemma stehen und können Jesus keine Antwort geben. Eine weitere Hypothese für die Rekonstruktion des Textes, die auch von Bultmanns Ansatz abhängig ist, schlägt Hultgren vor. Hultgren sieht ebenfalls den zweiten Teil der Frage als ursprünglich an, weil er ein aktuelles Problem im palästinischen Bereich, die Autorisierung zum Lehren, ansprach. Er lässt wie Bultmann die Perikope mit der Gegenfrage enden.20 W. Weiß spricht von einem ursprünglichen Text, der aus der zweiten Frage in V. 28b und aus dem Antwort Jesu in V. 30 bestand.21 Der Text sei ursprünglich aus der Debatte der judenchristlichen Gemeinde in der Polemik mit der Täufergemeinde entstanden und sei mit der Zeit immer stärker christologisch geprägt worden.22 Andere Autoren sind in der Rekonstruktion des Textes vorsichtiger.23 Lührmann kritisiert die akribischen Versuche, den ursprünglichen Text zu rekonstruieren, und plädiert für eine markinischen Abfassung dieses Textes: „So bleibt entweder eine sehr hypothetische, von Mk übernommene Überlieferung, die aber ganz von Markus umgearbeitet wäre, oder als die wahrscheinlichere Annahme, daß die Szene von Mk selbst geschaffen ist“24. P. Rolin diskutiert die möglichen traditionsgeschichtlichen Hypothesen dieser Peri19 G.S. Shae, The Question of the Authority, 14. 20 A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 70. So lautet der rekonstruierte Text: „ And as he was walking in the temple, the chief priests and the scribes and the elders came to him and they said to him … ,Who gave you … authority to do these things? And Jesus said to them, ,I shall ask a question … Was the baptism of John from heaven or from men?“ (ibidem). 21 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 155. 22 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 158–160. 23 D. Lührmann, Das Markusevangelium, 197, definiert die formgeschichtliche Bemühung als die Suche nach einer „,geglückten‘ Fassung“ des Streitgesprächs. Er betont mit Recht, dass die gleiche Frage nach der Vollmacht ein Thema des Markusevangeliums von Anfang an ist. A. Yarbro Collins, Mark, 538–540, diskutiert die Frage einer Urfassung der Perikope nicht. 24 D. Lührmann, Das Markusevangelium, 197.
Die Frage nach der 1nous¸a Jesu (Mk 11,27–33)
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kope, indem er drei interpretatorische Stränge darstellt:25 Eine ursprüngliche ausgeformte Debatte mit einer minimalen redaktionelle Arbeit des Markus oder eine nicht einheitliche Vorlage, die Markus stark redaktionell bearbeitet hat, oder sogar eine Komposition des Markus auf der Basis traditioneller Elemente. In seiner Schlussfolgerung plädiert er für eine markinische Komposition dieser Perikope. Sie sei das letzte Feld eines Triptychons,26 das außer diesem Text noch die Austreibung der Händler aus dem Tempel und die Verdammung des Feigenbaums umfasse. Das Problem dieser Interpretation ist, dass die Frage nach der 1nous¸a, die als ursprünglich gedacht wird, speziell für das Markusevangelium zentral und wenig von der Tradition geprägt ist. Die traditionsgeschichtliche Frage kann nicht eindeutig gelöst werden. Man müsste wohl eine ursprüngliche Frage annehmen, die das Wort 1nous¸a nicht enthält.27 Es ist außerdem unwahrscheinlich, dass die Gemeinde einen Text überliefert hat, der die Autorität Jesu durch die Autorität des Johannes legitimiert. Wenn die beiden Gestalten konfrontiert werden, kommt immer die Überlegenheit Jesu zum Ausdruck, auch in der früheren Tradition. Die formgeschichtlichen Rekonstruktionsversuche und die Bestimmung eines Sitzes im Leben gelangen mit diesem Text an ihre Grenzen. Es liegt deshalb nahe, dass die Perikope eine markinische Komposition ist, die mit dem Schweigen der Sanhedristen endet. Die Perikope kann daher auf diese Weise gegliedert werden: V. 27 V. 28 V. 29–30 V. 31–32 V. 33
Situierung Frage der Schriftgelehrten und der Ältesten Gegenfrage von Jesus Dilemma für die Gegner Verweigerung der Antwort durch die Gegner und Verweigerung Jesu.
Unmittelbar mit dieser Perikope verbunden ist das Gleichnis28 von den bösen Winzern, das für Markus eine Antwort auf die in dieser Perikope nicht beantwortete Frage nach der Autorität Jesu birgt.29 25 P. Rolin, Les controverses dans l’ vangile de Marc, 144–149. 26 P. Rolin, Les controverses dans l’ vangile de Marc, 150. Im Mittelpunkt dieser künstlerische Komposition steht die Austreibung der Händel 27 Ein Beispiel könnte die Frage in POxy 840 sein: t¸r 1p´tqexem soi pate?m toOto t¹ "cmeut¶qiom. 28 Die Frage, ob es sich um eine Parabel oder um eine Allegorie handelt, ist umstritten. H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metapher, 153 f, definiert sie als eine Parabel und rekonstruiert die ursprüngliche Fassung, die auf Jesus zurückgeht. Eine ausführliche formkritische Diskussion von Mk 12,1–12 bietet U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 74–88. U. Mell definiert den Text als eine Allegorie, (S. 114) und zwar eine „tota allegoria“ nach der Definition von Quintilian (inst. or. 8,6,47), eine Allegorie, deren Interpretation nicht im selben Text enthalten ist. Die Allegorie des Weinberges in Jes 5,1b–7 sei hingegen eine „allegoria permixta“, weil ihre Deutung im Text enthalten ist. Mell schreibt die Verfassung der Allegorie einem vormarkinischen hellenistischen Autor zu, der eine „Gerichtsallegorie“ verfassen wollte.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
3.2 Die Semantik des Wortes 1nous¸a im Griechischen Es ist wichtig, das Wort 1nous¸a semantisch genauer zu untersuchen. Dieser Terminus wird im Griechischen mit zwei Hauptbedeutungen gebraucht: a) in einem juridisch-ethischen Sinne als „Recht“, „Freiheit“, „Handlungsfreiheit“ und negativ als „Willkür“, b) in einem politischen-staatlichen Sinne von „Macht“, „Vollmacht“, „Herrschaft“, „Auftrag“, „Funktion“. In manchen Fällen ist die Unterscheidung zwischen diesen Bereichen nicht genau vollziehbar, besonders wenn die Freiheit, wie wir sehen werden, als ein Können, als die Selbstbestimmung des Individuums verstanden wird.30 Bei der Bestimmung der ersten Bedeutung kommt dem Gebrauch der impersonalen Form 5nestim („es ist erlaubt“, „es ist rechtmäßig“) eine grundlegende Funktion zu. Die Idee ist, dass das Gesetz einen gewissen begrenzten Spielraum darbietet, der Handeln möglich macht.31 Bei Platon findet man die Darstellung von Athen als einem Ort ox t/r gEkk²dor pke¸stg 1st·m 1nous¸a toO k´ceim.32 Als Merkmale der Demokratie nennt Plato in der Politeia die drei verwandten Begriffe 1keuheq¸a („Freiheit“), paqqgs¸a (Wortfreiheit) und 1nous¸a (Erlaubnis zu machen, was man will).33 Gerade diese Charakterisierung von 1nous¸a als eines sehr individualistischen Prinzips macht nach Plato die Demokratie als Staatverfassung kaum realisierbar: fpou d³ ce 1nous¸a, d/kom fti Qd¸am 6jastor #m jatasjeuµm toO aqtoO b¸ou jatasjeu²foito 1m aqt0.34 Aus dieser rechtlich-objektiven Bedeutung hat sich das ethische Ideal der 1nous¸a als Freiheit des Individuums (synonym mit 1keuheq¸a) und als Selbstbestimmung gebildet, das ein typisches Merkmal der kynisch-stoischen Philosophie wird. Eine ähnliche Bedeutungsverschiebung von einem objektiv-
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A. Weihs, Jesus und das Schicksal der Propheten, 5, definiert den Text ebenfalls als eine „allegorisierende Parabel“. D. Lührmann, Das Markusevangelium, 196–200, behandelt als eine einzige Perikope 11,27–12,12. Man kann mit ihm hinsichtlich der Funktion dieses Gleichnisses übereinstimmen. Es zeigt allegorisierend, dass die Vollmacht Jesu zwar in Kontinuität zu den Propheten steht, aber dass Jesus mehr als ein Prophet ist. Das ist der Grund, weshalb Liddell/Scott, 599, zwei Hauptbedeutungen angibt: 1. „Power“, „authority to do a thing“ und 2. „office“, „magistracy“, eine individuelle Fähigkeit und eine objektive externe Macht. Trotz der Schwierigkeit einer genauen Einteilung scheint es mir aber wichtig, den juridisch-ethischen Aspekt dieses Wort zu betonen. Pl. Symp. 182e: 1nous¸am b mºlor d´dyje. Pl. Grg. 461e: „wo im ganzen Griechenland die größte Freiheit im Reden besteht (herrscht)“. Pl. Pol. 557b: oqj oqm pq_tom l³m dµ 1keuheq¹m ja· 1keuheq¸ar B pºkir l´stg ja· paqqgs¸ar c¸cmetai ja· 1nous¸a 1m aqt0 poie?m fti tir bo¼ketai. Pl. Pol. 557b: „Wo aber solche Erlaubnis ist, da offenbar richtet jeder seine Lebensweise für sich ein“. Je nach Bedeutungsnuance kann 1nous¸a mit einem Infinitiv oder mit einem Genitiv konstruiert werden: 1nous¸a poie?m Pl. Cra. 51d; 1. kabe?m X. Mem. 2,6,24; 1. toO !dije?m Pl. Grg. 461e, und 1. 5weim ham²tou D. 18,44.
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staatlichen zu einem subjektiv-ethischen Gebrauch kann man bei dem verwandten Begriff paqqgs¸a feststellen. Für die semantischen Merkmale des Wortes 1nous¸a gerade in der Zeit des Markusevangeliums ist der stoische Gebrauch dieses Wortes aufschlussreich. Gewährsmann ist Epiktet: Freiheit erlangt man nach diesem Philosophen durch die Verwirklichung des Ideals der Selbstbestimmung. In dialogischer Form formuliert er: „Scheint dir nun die Freiheit ein Zustand der Selbstbestimmung und der Autonomie zu sein? Wie denn nicht?“35 Der Mensch wird frei, indem er aqteno¼sior ist. Die Herrscher gründen ihre Macht auf die Angst, die die Menschen vor dem Verlust der äußerlichen Dinge und vor dem Tod haben. Eine wichtige Stelle ist im Enchiridion enthalten, einer kleinen Zusammenstellung der Philosophie Epiktets: j¼qior 2j²stou 1st·m b t_m rpû 1je¸mou hekol´mym C lµ hekol´mym 5wym tµm 1nous¸am eQr t¹ peqipoi/sai C !vek´shai. fstir owm 1ke¼heqor eWmai bo¼ketai, l¶te hek´ty ti l¶te veuc´ty ti t_m 1pû %kkoir eQ d³ l¶, douke¼eim !m²cjg.36
Wie man aus diesen Beispielen schließen kann, bleibt die Grundbedeutung von 1nous¸a „Macht“, „Herrschaft“. Das subjektiv-ethische Verständnis von Herrschaft lässt die Gegner dieser philosophischen Richtung den Einwand erheben, sie plädiere für ein willkürliches Verständnis der Ethik, nach der alles erlaubt ist. Man kann diesen Zustand der Freiheit und Selbstbestimmung nur dann gewinnen, wenn man sich von den äußerlichen Notwendigkeiten befreit, die mit dem Körper verbunden sind. Wenn man die notwendige innere Freiheit gewonnen hat, kann man mit Sicherheit behaupten: Über mich hat keiner Macht, ich werde von Gott befreit, ich habe seine Gebote gekannt, niemand kann mich mehr versklaven.37
Der Philosoph kann sich von den Dingen, die den weltlichen Herrschern Macht verleihen, ebenso befreien wie aus dem Zwang der menschlichen Machtverhältnisse, indem er sich von den äußerlichen Dingen distanziert, die die Mächtigen stark machen. Die Freiheit ist vor allem Selbstbeherrschung und nicht eine Summe von äußerlichen Bedingungen. Diese werden von den Stoikern sogar als irrelevant (!di²voqa) betrachtet. In den Schriften Epiktets wird die Dimension der Leiblichkeit verachtet. Es geht vor allem um die körperlichen Angelegenheiten. Man kann sich durch die Vorstellung befreien, dass die Sphäre des Leiblichen irrelevant ist. Der Freiheitsbegriff der stoischen Philosophie wurde noch in der Kaiserzeit 35 Epkt. diss. 4,1,56: doje? d´ soi 1keuheq¸a aqteno¼siom ti eWmai ja· aqtºmolom; p_r c±q ou; 36 Epkt. ench. 14,2: „Herr von sich selbst ist jeder, der die Freiheit von sich selbst hat, über die Dinge, die begehrt und nicht begehrt werden, damit er sie tun und vermeiden kann. Wer frei sein will, muss nicht wollen und nicht vermeiden, was von den anderen gesucht wird. Wenn nicht, dann bleibt die Notwendigkeit des Dienens.“ 37 Epkt. diss. 4,7,16.
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als verdächtig angesehen, weil sie die Macht des Herrschers zu relativieren schien. Die Philosophen können sich nach Epiktet sogar freier als ein König benehmen, wie es Zenon mit seinem Verhalten gegenüber dem makedonischen Fürsten Antigonos III. Gonatas demonstriert.38 Zenon empfand keine Angst vor der Macht des Antigonos, während dieser besorgt war, bei Zenon einen guten Eindruck zu hinterlassen. Interessant ist auch das Beispiel des Diogenes, von dem seine Schule die bekannten Sprüche im Gespräch mit Alexander dem Großen tradierte. Epiktet idealisiert anhand der Figur des Diogenes den kynischen Philosophen als ethisch und weisheitlich beispielhaft,39 was sicherlich dem Empfinden der Mehrheit in seiner Zeit nicht entspricht. Anders als die Könige und die Tyrannen braucht der Kyniker keine Waffen und keine Leibwächter, um seine Macht durchzusetzen und andere zu tadeln. Ihm genügt die Freiheit (bzw. die Macht) seines Gewissens.40 Dieses Verständnis der Freiheit kann als eine Herausforderung gegenüber der weltlichen Herrschaft angesehen werden. Freiheit ist dann 1nous¸a, wenn der Mensch gelernt hat, das Leibliche zu beherrschen. Eine solche Lehre, die Selbstbeherrschung und Distanzierung vom Leiblichen verkündigt, wurde als eine Herausforderung jeder menschlichen Herrschaft empfunden. Auch anhand einiger Sprüche des Diogenes über das Eigentum, das kein Besitz von äußeren Dingen, sondern wq/sir vamtas¸ym (Nutzen/Gebrauch der Eindrücke) ist, lässt sich Epiktet über das Thema Freiheit und Macht aus. Die Diogenes-Zitate helfen Epiktet dabei, sich nicht über die Macht des römischen Reiches auszulassen, sondern sich auf Sachverhalte der Vergangenheit zu beziehen. Diogenes fragt sich: Wer hat nun dann Macht über mich? Philippos oder Alexander oder Perdikkas oder der große König? Woher haben sie denn Macht? Der Mensch, der nämlich von den anderen Menschen dominiert werden soll, muss zuerst von den Dingen dominiert werden.
Epiktet fährt dann fort: Der Mensch der sich nicht von Lust, Mühe, Ansehen, Reichtum dominieren lässt, kann, wann er will, den ganzen Leib jemand ins Gesicht spucken und dann weggehen. Unter wem ist dieser Sklave? Wem ist er untertan?41 38 Dieses Beispiel ist in diss. 2,13,14–15 enthalten. 39 Dem ist ein Traktat der Dissertationes gewidmet: peq· jumisloO (3,22,1–109). 40 Epkt. diss. 3,22,94: to to?r basikeOsi touto?r ja· tuq²mmoir oR doq¼voqoi ja· t± fpka paqe?we t¹ 1pitil÷m tis·`m ja· d¼mashai ja· jok²feim to»r "laqt²momtar ja· aqto?r owsi jajo?r t` d³ Jumij` !mt· t_m fpkym ja· t_m doquvºqym t¹ sumeid¹r tµm 1nous¸am ta¼tgm paqad´dysim. „Den Königen und den Tyrannen dieser Welt ist es möglich, durch Waffen und Leibwächter den Menschen zu drohen und die Übeltäter zu züchtigen, und sie konnten die Verbrecher auch bestrafen, obwohl sie selbst auch böse sind. Dem Kyniker ist diese Macht durch das Gewissen verliehen.“ 41 Epkt. diss 3,24,70–71. Der Satz ftam aqt` dºn, t¹ syl²tiom fkom pqospt¼sar tim¸ !pekhe?m bezieht sich vielleicht auf die Geschichte von Anaxarchos, einem Schüler des Diogenes. Als
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Lass uns denen beweisen, dass sie über niemanden Macht haben.42
Epiktet bleibt in der politischen Anwendung seiner Lehre vorsichtig, er will durch diatribischen Stil den Einwand zurückweisen, dass seine Lehre gegen die weltliche Macht gerichtet ist: Nun lehrt ihr Philosophen die Könige zu verachten? Das sei fern! Wer von uns lehrt gegen die Dinge zu handeln, worüber sie Macht haben? Nimm wohl das Körperchen, nimm die Güter, nimm meinen Ruf, nimm meine Freunde!43
Dieser ethische Gebrauch des Wortes 1nous¸a bei Epiktet ist im Grunde aus der Bedeutung „Macht“ abgeleitet, die sehr stark auf das Individuum und auf dessen innerliche Haltung bezogen wird. Diese ethische Thematisierung der 1nous¸a in stoischer Sicht wird in den paulinischen Briefen zum Gegenstand der Debatte insbesondere in 1Kor 6–10.44 In diesem Brief benutzt Paulus das Wort 1nous¸a (und das Verb 5nestim) mit der gleichen Bedeutung von Freiheit wie in den Schriften des Epitekt. Diese Bedeutung ist ganz eindeutig in 1Kor 8,9: bk´pete d³ l¶ pyr B 1nous¸a rl_m avtg pqºsjolla c´mgtai to?r !shem´sim, „passt auf, dass eure Freiheit nicht zum Ärgernis für die Schwachen wird“. Interessant sind auch die rhetorischen Fragen, die Paulus in der Apologie seines Apostolats in 1Kor 9 stellt: lµ oqj 5wolem 1nous¸am vace?m ja· pe?m lµ oqj 5wolem 1nous¸am !dekvµm cuma?ja peqi²ceim […] oqj 5wolem 1nous¸am lµ 1qc²feshai (1Kor 9,4–6). Ein wesentlicher Unterschied liegt aber in der Abwertung des Leibes. Wir haben sogar bei Paulus Ausdrucke wie „den Körper versklaven“, aber die grundsätzliche Vorstellung der paulinischen Anthropologie liegt nicht in der Betonung der menschlichen Freiheit oder Macht. Sie liegt im Gegenteil ja in der Annahme, dass der Mensch als s_la zur Abhängigkeit von Anderen und von Dingen tendiert. Daher steht bei Paulus die Sklavenmetaphorik und nicht die Herrschermetaphorik im Mittelpunkt seiner Anthropologie. Der Mensch wird von Christus wie ein Sklave befreit, und von da her gewinnt auch seine leibliche Existenz Bedeutung. Sie muss nicht verworfen werden wie bei Epiktet, sondern sie wird von Gott zur Konstruktivität bestimmt. Die zweite Bedeutung von 1nous¸a betrifft die Sphäre der Staatspolitik und kann mit den Worten „Macht“, „Vollmacht“, „Herrschaft“ wiedergegeben werden. Der Terminus kann die Herrschaft, aber auch die Menschen bezeichnen, die die Macht innehaben. Oft wird die Pluralform !qwa· ja· 1nous¸ai Nikokreon den Befehl gab, ihm die Zunge herauszuscheiden, biss er sie sich selbst aus und spuckte sie ihm ins Gesicht, vgl. D.L. 9,59. 42 Epkt. diss 1,9,15: %ver de¸nylem aqto?r fti oqdem¹r 5wousim 1nous¸am. 43 Epkt. diss 1,29,10–11: rle?r owm, oR vikºsovoi, did²sjete jatavqome?m t_m basik´ym; lµ c´moito. t¸r Bl_m did²sjei !mtipoie?shai pq¹r aqto»r t_m ¨m 5wousim 1nous¸a; t¹ syl²tiom k²be, tµm jt/sim k²be, tµm v¶lgm k²be, to»r peq· 1l³ k²be. 44 Für die anthropologischen Folgen dieser Debatte mit den Korinthern vgl. L. Scornaienchi, Sarx und Soma bei Paulus, 83–84; 86–89.
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benutzt, wie es bei Plato45 und Aristoteles46 der Fall ist. Plutarch schreibt im Vergleich zwischen Demosthenes und Cicero, die beste Art, den Charakter eines Menschen zu zeigen und wie durch Folter zu prüfen, sei, „ihm Macht und Funktion zu geben, was jede Leidenschaft erregt und jedes Übel offenbart“ (1nous¸a ja· !qwµ p÷m p²hor jimoOsa ja· p÷sam !pojak¼ptousa jaj¸am).47 Die Macht wird von einer höheren Instanz verliehen. Daher wird diese Bevollmächtigung mit besonderen Ausdrücke wie 1nous¸am kabe?m oder 1nous¸am 5weim oder 1nous¸am didºmai bezeichnet. Josephus spricht von der Macht, Hinrichtungen durchzuführen, die Archelaus48 vom Kaiser verliehen wurde. Grammatisch ist eine Infinitivform nötig wie toO jte¸meim kab½m paq± Ja¸saqor 1nous¸am. Bei der Beschreibung der Macht muss immer klar sein, welcher Art sie ist, ob die Macht eines Königs (basikij¶ 1nous¸a)49 oder die Macht eines Tribuns (dglaqwijµ 1nous¸a).50 In den Werken Philos wird das Wort 1nous¸a fast ausschließlich mit der Bedeutung von „Macht“, „Herrschaft“ benutzt. Die grundlegende Vorstellung ist die eines Herrschers und Königs, der wegen seiner despotischen Macht über die Anderen bestimmen kann. In De opificio mundi findet man das Beispiel eines Königs oder eines Herrschers, der eine Stadt aufbauen will.51 Der Begriff wird bei Philo allerdings meistens auf Gott bezogen, der im Grunde der Einzige ist, der auf eine wirklich absolute Herrschaft verfügt. In der allegorischen Auslegung der beiden Cherubim mit flammendem Schwert52 wird die Macht Gottes erklärt. Gott hat zwei dum²leir, die Güte (!cahºtgta) und die Herrschaft (1nous¸a). Mit der Güte hat Gott die Welt geschaffen und mit der Herrschaft kann er sie verwalten. Eine weitere Kraft Gottes, die zwischen den beiden steht, ist der kºcor. Das ist das flammende Schwert der Cherubim. Wenn Gott die absolute Macht besitzt,53 haben alle anderen nur eine begrenzte Macht: Die Engel haben keine autonome 1nous¸a, um die Menschen zu bestrafen. Die Sonne, der Mond, der Himmel und der ganze Kosmos haben keine aqtenous¸a. Man findet eine einzige Stelle bei Philo, in der das Wort eine ethische 45 Pl. Alc. 1,35b. 46 Arist. EN 1095 b21 oder Rh. 1384: oR 1m 1nous¸a emter. Paulus benutzt in Röm 13,1–7 den Ausdruck 1nous¸ai rpeqewo¼sai, um faktisch den römischen Staatsapparat zu bezeichnen. 47 Plu. Comp Dem et Cic. 3,2. 48 Jos. B.J. 2,117. 49 Plu. Lyc. 3,4. 50 Aug. Res Gest. 6. Auch in diesem Bereich kann man Grenzfälle finden, bei denen nicht klar ist, ob sie eine Macht, ein Recht oder einen Status bezeichnen, z. B. der Ausdruck !qistojqatijµ 1nous¸a (Plu. Cic. 22,2) kann eine Bezeichnung von Status sein, ähnlich in einem religiösen Sinne sollte man Joh 1,12 interpretieren: 5dyjem aqto?r 1nous¸am t´jma heoO cem´shai. 51 Phil. op. 17. 52 Phil. cher. 27. 53 Oft findet sich bei Philo der Ausdruck despotijµ 1nous¸a (conf. ling. 181, somn. 2,294; Jos. 67; spec. 1,294). Die Herrschaft Gottes ist l´tqom rpojoym (sac. 59–60).
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Relevanz in der Bedeutung von „Freiheit“ hat. Diese Stelle scheint ein Zitat aus der Ethik des Chrysipp zu sein:54 b vqom¸lyr p²mta poi_m ew poie? p²mta, b dû ew poi_m p²mta aqh_r poie? p²mta, b dû aqh_r p²mta poi_m ja· !malaqt¶tyr ja· !l´lptyr ja· !mepik¶ptyr ja· !mupeuh¼myr ja· !fgl¸yr, ¦stû 1nous¸am sw¶sei p²mta dq÷m ja· f/m ¢r bo¼ketai7 è d³ taOtû 5nestim, 1ke¼heqor #m eUg.55
Die Besonderheit dieser Stelle ist die semantische Gleichstellung von 1nous¸am 5weim, 5nestim und 1ke¼heqor: die Freiheit ist kein objektiver Zustand, der von außen bestimmt wird, sondern ist eine subjektive Haltung, die nach den Stoikern im Endeffekt aus der Weisheit kommt.56
3.3 Die Bedeutung der 1nous¸a Jesu Die exegetische Hauptfrage dieses Abschnitts betrifft die Definition von 1nous¸a im Markusevangelium als etwas, das Jesus in besonderer Weise zukommt. Die Argumentation des Markus geht von der grundsätzlichen Erkenntnis aus, dass Jesus eine 1nous¸a besitzt und dass er damit sogar in konkreten Handlungen, wie bei den Exorzismen, auf andere einwirken kann. Die meisten Autoren in der deutschen Fachliteratur deuten diesen Begriff daher als „Vollmacht“. Das Wort 1nous¸a wird am Anfang des Markusevangeliums mit einer sehr eindrucksvollen Formulierung als zentrales Charakteristikum der Lehrtätigkeit Jesu eingeführt. Es handelt sich um zwei ähnliche, rekapitulierende Anmerkungen des Evangelisten: ja· 1nepk¶ssomto 1p· t0 didaw0 aqtou7 Gm c±q did²sjym aqto»r ¢r 1nous¸am 5wym ja· oqw ¢r oR cqallate?r (Mk 1,22). Jesus verfügt auf eine besondere Fähigkeit, seine Lehrtätigkeit auszuüben, die ihn in den Augen des Volkes von den Schriftgelehrten eindeutig unterscheidet. Semantisch stellt schon dieser Bericht einen eigentlich unüblichen 54 Sie wird von von Arnim als ein Fragment des Chrysipps betrachtet, SVF III, 362 (S. 88). Diese Stelle wird in der Tat von einer Einleitungsformel eingeführt: k´cetai oqj !p¹ sjopoO fti. 55 Philo, prob. 59: „Wer alles vernünftig macht, macht alles gut. Und wer alles gut macht, macht alles richtig. Und wer alles richtig macht, macht es fehlerlos, tadellos, ungescholten, ohne Rechenschaft abgeben zu müssen, und schuldlos. Er wird die Freiheit (1nous¸a) haben, alles zu tun und zu leben, wie er will. Derjenige, dem das erlaubt ist, kann frei sein.“ K. Bormann (Über die Freiheit des Tüchtigen, S. 19) übersetzt die letzten zwei Sätze: „Daher wird er die Macht haben, alles zu tun und zu leben, wie er will. Wer aber diese Macht besizt, ist frei.“ 56 Die Diskussion über die Freiheit in der stoischen Philosophie kann hier nicht erörtert werden. Eine zusammenfassende Formulierung kann bei D.L. 8,121 gefunden werden, wo der gleiche Zusammenhang zwischen 1nous¸a und 1keuheq¸a zu finden ist: lºmom te 1ke¼heqom (scil. eWmai t¹m sovºm) to»r d³ va¼kour do¼kour7 eWmai c±q d³ 1keuheq¸am 1nous¸am aqtopqac¸ar, tµm d³ douke¸am st´qgsim aqtopqac¸ar. „Allein der Weise ist frei, während der Böse Sklave ist. Denn die Freiheit ist Macht (1nous¸a) des freiwilligen Handelns und die Sklaverei Verneinung des freiwilligen Handelns.“
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Zusammenhang zwischen didaw¶ und 1nous¸a her, der erklärt werden muss. Kurz danach erscheint in Mk 1,27 eine ähnlich Formulierung: ja· 1halb¶hgsam ûpamter ¦ste sufgte?m pq¹r 2auto»r k´comtar7 t¸ 1stim toOto didawµ jaimµ jatû 1nous¸am7 ja· to?r pme¼lasi to?r !jah²qtoir 1pit²ssei, ja· rpajo¼ousim aqt`.57 In diesem zweiten Fall gibt es zwei wichtige Elemente, die die Frage der Autorität vertiefen. Einerseits ist es die Betonung der Exorzismen und der Macht, die Jesus über die Dämonen hat. Das ist sicherlich ein wichtiges Element seiner machtvollen Lehre, aber man kann seine Vollmacht nicht ausschließlich von den Exorzismen ausgehend auslegen, wie manche Exegeten es tun. Der Sinn dieser Verbindung zwischen Lehre und Exorzismen kann folgendermaßen erklärt werden: Die Exorzismen, die wahrscheinlich eine verdächtige Handlung waren, auf Grund deren man jemand mit der Anklage der Zauberei beschuldigen konnte, sind von vornherein als Merkmal seiner Lehre interpretiert, so dass sie keine selbständigen magischen Handlungen sind. Die zwei Verben 1pit²sseim und rpajo¼eim stellen die Fähigkeit Jesu, sich als Lehrer auch bei den Dämonen durchzusetzen, in den Mittelpunkt. An zweiter Stelle taucht eine widersprüchliche Formulierung auf, die eine Erklärung braucht: „eine neue Lehre mit Autorität“.58 Die wahre und fundierte Lehre wurzelt in der Tradition der Alten, da sind die Schriftgelehrten die unumstrittene Autorität. Das Adjektiv ,neu‘ hat sonst eine negative Bedeutung59 und kann auf jeden Fall nicht mit ,Autorität‘ verbunden werden. Josephus muss in seiner Apologie contra Apionem gegen die Verleumdung (bkasvgl¸a) argumentieren, dass der Ursprung des Judentum in einer neueren Zeit festzusetzen sei (toO me¾teqom eWmai t¹ c´mor rl_m), weil die griechischen Historiker die Juden nicht erwähnen.60 Das Alter des jüdischen Volkes hatte Josephus in seiner !qwaiokoc¸a bezeugt und wiederholt diese Herleitung in 57 Vgl. P. Guillemette, Un enseignement nouveau, plein d’autorit , 222–247. 58 Cic. de part. orat. 19–20: Brevitas autem conficitur simplicibus verbis semel una quaque re dicenda, nulli rei nisi ut dilucide dicas serviendo. Probabile autem genus est orationis si non nimis est comptum atque expolitum, si est auctoritas et pondus in verbis, si sententiae vel graves vel aptae opinionibus hominum et moribus. Cic. Brut. 8,2: constitutae civitatis. quod si fuit in re publica tempus ullum, cum extorquere arma posset e manibus iratorum civium boni civis auctoritas et oratio, tum profecto fuit, cum patrocinium pacis exclusum est aut errore hominum aut timore. Res. 1,12 Haec pluribus a me verbis dicta sunt ob eam causam, quod his libris erat instituta et suscepta mihi de re publica disputatio; quae ne frustra haberetur, dubitationem ad rem publicam adeundi in primis debui tollere. Ac tamen si qui sunt, qui philosophorum auctoritate moveantur, dent operam parumper atque audiant eos, quorum summa est auctoritas apud doctissimos homines et gloria; quos ego existimo, etiamsi qui ipsi rem publicam non gesserint, tamen, quoniam de re publica multa quaesierint et scripserint, functos esse aliquo rei publicae munere. Eos vero septem, quos Graeci sapientis nominaverunt, omnis paene video in media re publica esse versatos. 59 Grundlegend für die Bedeutung des Alters in der Antike ist die Untersuchung von P. Pilhofer, Presbyteron kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT II/39, Tübingen 1990. 60 Jos Ap. 1,2.
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seinem neuen Werk durch mehrfache Belege aus den verschiedensten Autoren, mit positiven oder sogar polemischen Stellen (wie im Fall des ägyptischen Historikers Manethon). Josephus betont, dass die Griechen61 selbst und sogar die Römer62 keine so alte Zivilisation besitzen, während die Juden zu den alten Völkern der Erde gehören. Die Bezeichnung nova superstitio hat bei Sueton eine abwertende Bedeutung, um gerade das fehlende Fundament dieser Religion zu betonen. Eine neue religiöse Richtung braucht Zeit, um Ansehen zu gewinnen.63 Außer in Mk 1,22 und Mk 1,27 wird 1nous¸a noch in 2,10 gebraucht für die Fähigkeit des Menschensohns, Sünden zu vergeben, und in Mk 3,15 für die Fähigkeit der Jünger, die Dämonen auszutreiben (konstruiert mit dem Verb 5weim), in Mk 6,7 (mit dem Verb didºmai) und in Mk 13,34 in der Bedeutung „Auftrag“, der Knechten von einem Herrn gegeben wird: do»r to?r do¼koir aqtoO tµm 1nous¸am 2j²st\ t¹ 5qcom aqtoO. Die Frage der Gegner Jesu t¸r soi 5dyjem tµm 1nous¸am taOta kann sich auf diese Grundauffassung einer Bevollmächtigung durch eine höhere Instanz beziehen. Eine 1nous¸a wird in der Regel von einer höheren Instanz gegeben, was auch als juridische Legitimierung gilt. Der Knecht vertritt durch seine Funktion die Macht des Herrn selbst. In solchen Fällen handelt es sich aber um eine begrenzte und bedingte Autorität, die sogar ein Sklave durch seinen Herrn bekommen kann. Es ist aber eigentlich keine Macht im wahren Sinne, sondern nur ein Auftrag und eine Art Dienstleistung. Zum Gebrauch des Wortes in Mk 1,22 lässt sich der Einwand bringen: Ein Mensch, „der 1nous¸a hat“ (ein Herrscher nach dem griechischen Sprachgebrauch), hat in der Regel keine lehrende Funktion.64 Hingegen sind die Schriftgelehrten eher diejenigen, die institutionelle Macht als Lehrer besitzen und nicht Jesus. Wie man diese 1nous¸a, die Jesus hat und die Schriftgelehrten nicht haben, definieren muss, bleibt ungeklärt. Aus einer formal-rechtlichen
61 Jos. Ap. 1,7: t± l³m c±q paq± to?r 6kkgsim ûpamta m´a ja· wh³r ja· pq]gm „alles bei den Griechen ist neu und von gestern und sogar von jetzt gerade“. 62 Jos. Ap. 1,66. An dieser Stelle über Rom ist Josephus sehr vorsichtig. Er sagt weder, dass Rom auf keine lange Geschichte zurückblicken kann, noch dass die Römer auch als Barbaren gelten können. Er sagt hingegen, dass die griechischen Historiker aus ihrer begrenzten Perspektive beide Völker, Römer wie Juden, nicht gebührend beachtet hatten. 63 Suet. Ner. 16,2, Die Definition der Christen ist sehr negativ: „genus hominum superstitionis novae et maleficae“ „eine Art von Menschen, die einer neuen und bösartigen Religion folgt“. Die Abwertung liegt nicht in der Verwendung von „superstitio“, was neutral als Religion verstanden werden kann, sondern in den beiden Adjektiven „nova et malefica“. Vgl. dazu Pilhofer, Presbyterion kreitton, 224. 64 So kann man die Korrektur des Lukas verstehen, der Mk 1,22 in Lk 4,32 mit dem Ausdruck 1m 1nous¸ô Gm b kºcor aqtoO verbessert. Aus Lk 4,36: t¸r b kºcor oxtor fti 1m 1nous¸ô ja· dum²lei 1pit²ssei kann man entnehmen, dass Lukas das im Griechischen unübliche 1nous¸a als d¼malir erklärt. Ein weiteres Beispiel ist Apg 4,7. Die gleiche Frage wie in Mk 11,27–33 wird durch das Substantiv d¼malir ausgedrückt: 1m po¸ô dum²lei C 1m po¸\ amºlati 1poi¶sate toOto rle?r.
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Perspektive sind im Gegenteil die Schriftgelehrten diejenigen, die offizielle „Vollmacht“ haben und nicht Jesus. Wenn wir 1nous¸a als „Freiheit“ im kynisch-stoischen Sinne gegenüber den Institutionen und den Gesetzen verstehen (also „Jesus lehrt als einer, der Freiheit hatte“), wäre seine Haltung sehr leicht angreifbar. Die Streitgespräche haben unter anderem auch die Funktion, diesen Einwand zurückzuweisen. Jesus hat sogar im Markusevangelium im Gegenteil eine sehr vorsichtige Haltung, die sich auch im Verbot, über seine Identität zu sprechen, zeigt. Es scheint mir deswegen unwahrscheinlich, dass 1nous¸a als eine provokatorische ethische und praktische Haltung auszulegen ist wie bei einem kynischen Philosophen.65 Die Lösungen der Exegeten, um diesen Terminus zu erklären, können in zwei Gruppen unterschieden werden: Zum einem versucht man, die Bedeutung des Wortes „1nous¸a“ sehr konkret als übermenschliche Fähigkeit, Wunder zu vollbringen oder Dämonen auszutreiben, zu verstehen. Zum anderen erklärt man 1nous¸a sehr allgemein als eine christologische Eigenschaft, die durch die wichtigsten christologischen Titel im Markusevangelium unterstützt wird, Messias, Gottes Sohn und Menschensohn.66 J. Starr ist einer der Vertreter der ersten These. Seine Definition lautet wie folgt: „It seems to me that 1nous¸a in our passage (d. h. Mk 1,22) means a mysterious superhuman force whereby demons were controlled and afflictions miraculously healed.“67 Die Adressaten des Markusevangeliums sind nach Starr römische Christen, die Jesus gern als den größten Heiler in der Konkurrenz der vielen Heilkulte (Serapis, Asklepios, Dionysos) sehen möchten.68 Diese These kann sich vor allem auf Mk 3,15 und 6,7 stützen, wo in der Tat von der Befähigung der Jünger, Dämonen auszutreiben, die Rede ist: ja· 5weim 1nous¸am 1jb²kkeim t± dailºmia. 65 Die Autoren, die Jesus als eine Art kynischen Philosophen ansehen, haben diese mögliche Auslegung der 1nous¸a nicht vorgeschlagen, vgl. z. B. B. Lang, Jesus der Hund, Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers, München 2010. 66 Eine Ausnahme ist die Untersuchung von A. Dawson, Freedom as Liberating Power. A sociopolitical reading of the exousia texts in the Gospel of Mark, NTOA 44, Göttingen 2000. Die 1nous¸a Jesu, die Dawson als „Freiheit“ versteht, stelle die politische Struktur des römischen Reiches in Frage. „The intention is to show that freedom was not the acceptance of societal structures that oppressed and impoverished people, nor was ist a passive acceptance of another person’s beneficience which left the recipient unable to choose, act or decide for himself. Mark’s Gospel portrays a picture of Jesus who acted with exousia and who called on his followers to act likewise. In doing so Jesus subverted the notion of freedom that Rome proclaimed.“ 67 J. Starr, The Meaning of ,Authority‘ in Mark 1,22, 303. 68 J. Starr, The Meaning of ,Authority‘ in Mark 1,22, 304: „…it appears that in Mark 1, 22 the term in question cannot be adequately explained in the general sense of an extraordinary and superhuman or divinely delegated power. Its situation requires that it have the definite, specific sense in which the same word is used later in the same narrative, namely, ,the power to cure by exorcism‘.“ D. Lührmann, Das Markusevangelium, 51, bezieht in Mk 1,27 1nous¸a auf die Fähigkeit, Dämonen auszutreiben, aber in diesem Satz steht die Lehre Jesu im Mittelpunkt steht. Seine Autorität (1nous¸a) führt dazu, dass sogar die Dämonen ihm gehorchen.
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Die zweite Erklärung konzentriert sich auf die Christologie des zweiten Evangeliums. Jesus als der Sohn Gottes verfügt über eine Vollmacht, die die der Schriftgelehrten übertrifft. Das wird in der Regel so erklärt, dass die Schriftgelehrten ihre Lehre durch eine starre Bindung an die Tradition gewinnen, während Jesus’ Lehre lebendig und aktuell aus der Nähe zu Gott stammt. A. Yarbro Collins versteht deswegen 1nous¸a als einen Teil des christologischen Deutungszusammenhangs des Evangeliums, dessen Argumentationsmuster folgende sind: Vollmacht bekommt Jesus durch den Geist bei der Taufe; dabei wird Jesus als Sohn Gottes konstituiert; durch diese absolute Autorität wird die relative Autorität der Schriftgelehrten klar erkennbar. Den ,Sitz im Leben‘ dieses Vergleichs zwischen Jesus und den Schriftgelehrten in Bezug auf die Autorität sieht Yarbro Collins in der Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen über die Messianität Jesu und erklärt das als Teil des polemischen Instrumentariums von Markus.69 Das ist ein ganz anderes Szenario als das, welches Starr nachgezeichnet hatte. Yarbro Collins’ Deutung basiert auf der zentralen Vorstellung von Jesus als Sohn Gottes, der insofern natürlich an der Macht Gottes partizipiert. Das ist auch die Position von Foerster im Artikel des theologischen Wörterbuchs zu 1nous¸a. „Ist er der Sohn“ – schreibt Foerster – „so ist die ihm von Gott gegebene Vollmacht nicht als beschränkte Beauftragung zu denken, sondern als Verwaltung in freier Willenseinheit mit dem Vater zu verstehen.“70 Durch diese Definition versucht Foerster eine Formulierung vorzuschlagen, die zu den anderen christologischen Aussagen in den Evangelien und im übrigen Neuen Testament passt und die die breite Semantik des Wortes umfasst. ûEnous¸a ist nach Foerster „Freiheit“ wie in Joh 10,18 und drückt zugleich die Einheit des Sohnes mit dem Vater im Sinn johanneischer Theologie aus. Der Terminus drückt auch die kosmische Macht Jesu nach Apk 12,1–2 und Mt 28,18 aus, der die Welt im Eschaton richten wird (Joh 5,27). Diese Macht Jesu gilt auch in der historischen Gegenwart. (Joh 17,2 und auch Mt 28,12). Es bleibt unklar, wie diese christologische Deutung dann auf die markinischen Stellen angewendet werden kann. Da ist Foerster sehr vorsichtig und denkt eher in Richtung der prophetischen Autorität, die den Schriftgelehrten fehlt. „1nous¸a (= N9M1L) setzt göttlichen Auftrag und Bevollmächtigung voraus, die
69 A. Yarbro Collins, Mark, 165, konstatiert die Gegenüberstellung einer relativen Autorität der Schriftgelehrten durch ihre Bindung an die Tradition und einer absoluten, die in der Position Jesu als Sohn Gottes begründet ist: „Comparison with Mark 7:1–23 suggests that the contrast in 1:22 implies that Jesus, as the messiah, proclaims and expounds the commandments of God and the word of God, but the scribes who are experts in the Law teach merely the tradition of human beings. The text of Mark thus suppresses the relative authority of the experts in Law in order to attribute absolute authority to Jesus, the messiah. This suppression is probably due in part to conflict among followers of Jesus and Jews who did not accept him as the messiah and the resulting polemical rhetoric of the Gospel of Mark“. 70 Foerster, Art. 1nous¸a jtk., 565.
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zugleich Macht ist, und das Besondere dieser 1nous¸a ist, daß sie von der Verkündigung, dass das Reich Gottes „nahe“ ist, nicht zu trennen ist“.71 Ein weiteres Beispiel einer christologischen Interpretation hat K. Scholtissek in seiner Monographie über die Vollmacht Jesu im Markusevangelium vorgelegt.72 Eine „Exousia-Christologie“, wie Scholtissek sie nennt, gebe es auch in den vormarkinischen Stadien der Jesus-Überlieferung. Sogar in der Logienquelle vermutet er die Existenz einer solchen christologischen Vorstellung trotz der fehlenden Verwendung des Wortes.73 Markus entwerfe seine Christologie, die in ihrem Mittelpunkt die Vollmacht Jesu habe, indem er verschiedene Aspekte der Tradition verbinde. Das Wort 1nous¸a ist nach Scholtissek ein markinischer Terminus; die einzige Stelle aus der Tradition, in der es vorkommt, ist Mk 2,10, die Vollmacht die Sünden zu vergeben. Ein markinischer Aspekt ist die Vorstellung von Jesus als Wundertäter. Dieser Aspekt wird von Markus mit der anderen Vorstellung von Jesus als Lehrer in Mk 1,22–27 als der praktischen Dimension seines Handelns verbunden und mit dem Begriff 1nous¸a charakterisiert.74 Zur Konstruktion der Christologie dienen natürlich die Titel Gottessohn und Menschensohn. Er ist der Bote der neuen, nahen Gottesherrschaft: „In diesem Sinne ist seine Exousia die Eigenschaft, die ihn als Mittler der Kräfte der Gottesherrschaft auszeichnet“.75 In unserer Perikope findet Scholtissek weitere Elemente für diese ExousiaChristologie. Die 1nous¸a Jesu wird mit einer prophetischen Vollmacht verglichen, „insofern sie eine von Gott verliehene unmittelbar Sendungsvollmacht ist“.76 Sie sei allerdings sui generis, weil Jesus als der Sohn Gottes der letzte Vollmachtsträger Gottes sei. Jesus nehme direkt an der Autorität Gottes Anteil und könne sich einiger Eigenschaften bedienen, die nur Gott zugehören, wie Sündenvergebung, Kardiognosie und Überlegenheit über das mosaische Gesetz. Jesus erfüllt zudem nach Markus die Messiaserwartung und stellt sich als der eschatologische Menschensohn, der nach Dan 7 eine große Macht besitzt, vor. Das Wort 1nous¸a verbindet nach Scholtissek alle diese Aspekte, die die Person Jesu im Evangelium beschreiben, und wird als Vollmacht, Autorität und Macht interpretiert. In diesem christologischen Schema stellt allerdings die Leidensgeschichte ein Problem dar, das Scholtissek nur sub contrario lösen kann: „Jesu Passion widerlegt nicht seine messianische Sen71 Foerster entspricht der Debatte in den dreißiger Jahren, er bewegt sich zwischen zwei Polen, der These von R. Reitzenstein, der von 1nous¸a als einem prophetischen Wissen spricht, und der These von Klausner von der Unverständlichkeit dieses Wortes, vgl. S. 566, Anm. 43. 72 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen zu einem Leitmotiv markinischer Christologie, NA 25, Münster 1992. 73 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu, 80: „Trotz der weithin fehlenden Verwendung des Terminus 1nous¸a kann zu Recht von einer „Exousia-Christologie“ in der Redenquelle gesprochen werden“. 74 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu, 122: „Beide Dimensionen des Wirkens Jesu sind integrativ einander zugeordnet.“ 75 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu, 137. 76 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu, 209.
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dung, sie ist der Modus ihrer Bewährung und letztgültigen Realisierung sub contrario“.77 Obwohl die christologische Auslegung des Begriffs 1nous¸a bei Markus eine breite Akzeptanz in der Exegese hat, treten bei einer genaueren Betrachtung einige Probleme auf. Eine Definition von 1nous¸a, die nach dem Beispiel von Scholtissek eine Summe aller christologischen Elemente bildet, kann in mehrfacher Hinsicht kritisiert werden. 1nous¸a hat bei Markus nie die Bedeutung von Herrschaft oder königlicher Macht, wie wir sie in Mt 28,28 finden. Markus scheint gerade an diesem Punkt ganz bewusst anzudeuten, dass Jesus keinen politischen Anspruch für sich hatte. Die apokalyptische Vorstellung, dass die Herrschaft Christi ein Gegenbild zu allen Mächten der Welt ist (1Kor 15,24–25; Kol 1,16; Apk 12,10–11), die sich aus der Herrschaft des Menschensohns in Dan 7 bildet, findet bei Markus keine Verwendung. Er benutzt die traditionelle Vorstellung des Menschensohnes, aber ohne diese politische Zuspitzung. Im Gegenteil, dem Menschensohn wird nur die religiöse 1nous¸a zugeschrieben, die Sünden zu vergeben (Mk 2,10). Auch wird offenbar der prophetische Sprachduktus, der an eine prophetische Bevollmächtigung denken ließe, nicht verwendet. Jesus ist für Markus mehr als ein Prophet. Das wird im nächsten Abschnitt genauer ausgeführt. Hier kann nur ein wichtiger Beleg herangezogen werden. In der Parabel von den bösen Winzern wird eine klare Unterscheidung zwischen Jesus und den Dienern Gottes gezogen. Er ist nicht nur ein Gesandter, er ist der Sohn des Eigentümers. Im christologischen Verständnis der 1nous¸a als Vollmacht des Sohnes Gottes wird vorausgesetzt, dass die Position des Sohnes als solche Vollmacht bedeutet: Juristisch gesehen betrifft das Vertragsverhältnis der Verpachtung den Besitzer und die Winzer, aber nicht den Sohn. Die Bezeichnung uR¹r !capgtºr setzt keine Machtposition, sondern eher eine affektive Qualität des Sohnes aus der Sicht des Vaters voraus. In der Parabel beabsichtigt der Vater, durch den Sohn Ansehen und Respekt bei den Winzern zu gewinnen. Das Verb 1mtq´peim, das in Mk 12,6 benutzt wird, drückt gerade diese Erwartung von Ansehen und Respekt aus, was weder eine juridische noch eine politische Einstellung bedeutet. Es geht im Gegenteil um ein Verhalten, das auf der Ebene von Etikette und von Anstand im Verhältnis zweier Parteien unterschiedlichen Ranges verstanden werden muss. Ein weiteres Problem betrifft den schon angesprochenen Zusammenhang der 1nous¸a mit der didaw¶. Es ist im Griechischen kein Gebrauch dieses Wortes belegt, in dem der Begriff im Zusammenhang mit didaw¶ steht. In dem einzigen Fall, in dem 1nous¸a in Verbindung mit Dichtung benutzt wird, trägt es die Bedeutung von „dichterische Freiheit“ und stellt somit keine besondere Ausnahme zum schon dargestellten Gebrauch dar. Ein Mensch, der unterrichtet ¢r 1nous¸am 5wym ja· oqw ¢r oR cqallate?r besitzt in diesem Fall weder Macht noch Freiheit. Selbst wenn man die Bedeutung von „Vollmacht“ an77 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu, 286.
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nimmt, stimmt sie nicht mit dem Tatbestand in Mk 1,22 und 27 überein. Die Schriftgelehrten galten eigentlich als die anerkannten und etablierten Lehrer. Jesus besitzt in diesem Sinne keine Vollmacht, weil er zum Lehren nicht autorisiert war. Scholtissek versucht didaw¶ in seiner christologischen Definition einzuschließen, in dem er die Formel von O. Schwankl „Jesus als vollmächtiger Didaskalos in Jerusalem“ benutzt.78 Er betont mit Recht den Zusammenhang von Mk 11–12 mit den ersten Kapiteln des Evangeliums, wo ebenfalls von Jesus als Lehrer die Rede ist. Was aber der Ausdruck ,vollmächtiger Lehrer‘ praktisch heißt, wird nicht erklärt oder nur auf den gesamten christologischen Entwurf bezogen. Noch zwei Versuche, diesen Zusammenhang zwischen Lehre und Autorität zu erklären, müssen erwähnt werden. Beide Hypothesen basieren auf der Rekonstruktion eines originalen hebräischen bzw. aramäischen Terminus. J. Klausner vertritt in seinem Jesusbuch die These eines Übersetzungsfehlers aus dem Hebräischen ins Griechischen. Klausner stellt fest, dass der Zusammenhang zwischen 1nous¸a und did²sjeim in Mk 1,22 und 1,27 keinen Sinn ergibt. Er vermutet daher, dass in der hebräischen Vorlage für den Ausdruck ¢r 1nous¸am 5wym das Partizip @M19B stand, das zweideutig sein kann. Es sollte eigentlich heißen „einer der Gleichnisse erzählt“,79 wurde aber falsch mit „einer der Macht hat“ übersetzt. Der Text wollte nur den Unterschied in der Verkündigung Jesu betonen. Jesus habe in Gleichnissen gepredigt, anders als die Schriftgelehrten, die meistens in Form einer argumentativen Schriftauslegung gepredigt haben. Aus einem Fehler in der Übersetzung sei dann die aktuelle, schwer zu verstehende Fassung entstanden.80 D. Daube erklärt die Ausdrücke did²sjym ¢r 1nous¸am 5wym und didawµ 1m 1nous¸ô aus der Perspektive des rabbinischen Schulwesens. Das Wort 1nous¸a entspricht nach Daube dem aramäischen Wort N9M1L bzw. 4N9M1L, d. h. „authority to lay down such doctrines and decisions as are of binding force“.81 Im Gegensatz dazu haben die Schriftgelehrten hier die Position der A=LH9*E inne, eines untergeordneten Rangs von Lehrern. Daube erwähnt eine Art Ordination, durch die ein Lehrer die verbindliche Erlaubnis zur Ausübung seiner Funktion bekam, was aber erst ab dem 3. Jh. nach Christus nachweisbar ist. Die Ordination erfolgt durch die Handauflegung des Lehrers auf seinen Schüler und wurde deswegen 8?=BE ((Hand)auflegung) genannt.82 Als Jesus in Galiläa, einer, was Bildung betraf, benachteiligten Region Palästinas, wie ein Lehrer mit N9M1L auftrat, erweckte er die Verwunderung seiner Zuhörer. Die 78 K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu, 213. 79 J. Klausner, Jesus of Nazareth, 265: „for he taught them as a lvwm one using parables and not as the Scribes.“ 80 J. Klausner, Jesus of Nazareth, 265: „thus giving in his translation an expression difficult to understand.“ 81 D. Daube, 1nous¸a in Mark I,22 and 27, 45. 82 Vor allem werden auf bSan 19b–20 und pSan 19a als zentrale Stelle verwiesen.
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cqallate?r werden in den Evangelien als Theologen betrachtet, sie sind tatsächlich nur Kopisten und keine eigentliche Lehrer. Nach Daube befasst sich die Frage Mk 11,28 wieder mit der Ordination: „he acts like a Rabbi, like one having N9M1L, without being properly ordained“.83 Eine christologische Bedeutung wird von Daube hier nicht ausgeschlossen. Der Text handle von der Erlaubnis zum Lehren, aber beziehe sich auch auf eine höhere Instanz, die Macht Gottes und seinen Willen. Anhand dieser Versuche, die Bedeutung von 1nous¸a aus dem Hebräischen oder Aramäischen herzuleiten, sollte geklärt werden, wie Markus diesen Terminus in seinem theologischen Konzept verwendet. Beide Hypothesen basieren auf der Tatsache, dass die Semantik des griechischen Wortes nicht ausreichend ist, um den Gebrauch von 1nous¸a bei Markus zu erklären. Doch eine weitere Sprachwelt, die charakteristisch für Markus ist, ist die lateinische Welt.84 3.4 1nous¸a als auctoritas Die besondere Bedeutung von 1nous¸a im Markusevangelium kann m. E. erklärt werden, wenn man annimmt, dass Markus das Wort 1nous¸a in der breiteren Bedeutung des lateinischen Terminus auctoritas benutzt hat.85 Ich 83 D. Daube, 1nous¸a in Mark I,22 and 27, 56. Diese These teilt auch K. Huber, Jesus in Auseinandersetzung, 49–52. Auch U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 55–65, versteht die Frage als eine „Legitimationsproblematik“ innerhalb des damaligen Judentums. Das Problem ist nach Mell die Vollmachtsübertragung auf einen jüdischen Lehrer, der nach Studium und Erlangung einer selbständigen Lehre durch Handauflegung eine Ordination bekommt. Die charismatischen Lehrer sind daher unter diese Frage der 1nous¸a gestellt. Mell drückt dieses Problem der Charismatiker wie folgt aus: „Läßt sich also rezeptionskritisch zeigen, daß in frühjüdischer Zeit prinzipiell jede charismatisch-gruppenunabhängig agierende Lehrperson der dualen exousiaProblematik unterliegt und daß allgemein ein aktuelles Bedürfnis für eine überzeugende göttliche Referenz besteht, so konnte auf diese Weise keine inhaltliche Parallele zum Lösungsvorgang von Mk 11,27–33 aufgezeigt werden“ (S. 65). Die Legitimation Jesu erfolge durch den Bezug auf Johannes den Täufer. „Den Legitimationsbeweis göttlicher Vollmachtsausrüstung läßt der vormarkinische Text seiner Hauptperson dadurch gelingen, daß er auf die vom jüd. Volk anerkannte Prophetie Johannes des Täufers anspielt.“ (S. 68). Zwischen Jesus und dem Täufer gebe es „eine schlichte prophetische Erfüllungsrelation, christlich gedeutet auf Jesus ex eventu historiae“ (S. 69). 84 Eine Studie über den semitischen Einfluss auf die Sprache des Markusevangeliums ist: Elliott C. Maloney, Semitic Interference in Marcan Syntax, SBL DS 51, Ann Arbor 1979. 85 Interessant scheint mir die Tatsache, dass Augustin oft das Wort auctoritas für die Lehrtätigkeit Jesu benutzt und damit das ausdrückt, was Markus im Griechischen mit exousia bezeichnet. Zum Beispiel ver. rel. 3,3: „omnia faciendo quae mirantur, genus humanum ad tam salubrem fidem summo amore atque auctoritate converteret“. Vgl. dazu ver. rel. 16,31, Jesus habe keine Gewalt geübt, sondern habe nur überzeugt und ermahnt: „Nihil egit vi, sed omnia suadendo et monendo“. Augustin erkennt ein wichtiges Element des Markusevangeliums nämlich, dass Jesus nur mit Dämonen aggressiv umgeht, und das ist Ausübung von seiner potestas: ver. rel. 14,6 „Quamvis et daemones nolentes ab hominibus, non sermone suasionis, sed vi potestatis
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vertrete hier die Hypothese, dass Markus das Wort 1nous¸a absichtlich in Sinne des Begriffes auctoritas benutzt. Auctoritas unterscheidet sich von dem griechischen Wort, dadurch, dass es eine charakterliche und moralische Eigenschaft einer Person (ihr Ansehen und ihren Einfluss) beschreibt und nicht ihre politische und soziale Machstellung. Wie man in der Parabel der bösen Winzer sehen kann, erwartet der Besitzer, dass seine clientes die Person seines Sohnes respektieren. Das Phänomen des Einflusses einer Sprache auf eine andere kann grundsätzlich zwei Formen haben: a) Ein fremdes Wort wird in eine Sprache als solches oder leicht verändert aufgenommen (als Fremdwort oder als Lehnwort). b) Die Bedeutung oder einige semantische Merkmale eines fremden Wortes werden auf ein ähnliches oder verwandtes Wort übertragen. In diesem zweiten Fall spricht man von sprachlicher „Interferenz“.86 Die umstrittene Frage der Latinismen bei Markus ist immer als ein Fall von Interferenz behandelt worden, um den Verfassungsort des Evangeliums zu bestimmen.87 eiecerit“. Nach K.-H. Lütcke ersetzt faktisch der Gebrauch des Wortes auctoritas die Bedeutung von 1nous¸a in Mt 7,29, Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin, 123–124, besonders Anm. 599. Allerdings behält Augustin die Übersetzung der Vulgata von 1nous¸a für potestas in Mt 7,29, Ps. En. XI,6, (C. Weidmann, S. 238) bei. Nach R. Holte, B atitude et sagesse, 307, erkläre sich die häufige Verwendung von auctoritas auf der Basis der Übersetzung der Vulgata von 1nous¸a mit auctoritas. Die Vulgata aber gibt diesen Terminus in Mk 1,22 und 1,27 mit potestas wieder und nicht mit auctoritas, wie mit Recht K.-H. Lütcke bemerkt: Holte sei „ein grober Irrtum unterlaufen“, „Auctoritas“ bei Augustin, 52, Anm. 199. 86 Vgl. Th. Lewandoski, Art. Performanz, 477–478: „Die störende Einwirkung von Strukturen einer bereits erlernten Sprache auf eine zu erlernende, oder – bei Zweisprachigkeit – die Beeinflussung bzw. Verletzung der Normen eines Sprachsystems durch eine anderes Sprachsystem“. 87 Die Frage der Latinismen im Evangelium und ihre Bewertung ist ziemlich umstritten. Eine Liste enthält W. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, 69, der sie aber als übliche „technischmilitärische Fachausdrücke“ versteht. Sie können nichts über den Ursprung und den Abfassungsort des Evangeliums sagen. M. Hengel betont hingegen die Bedeutung der Latinismen, um den Abfassungsort des Evangeliums zu bestimmen, vgl. ders., Entstehugszeit und Situation des Markusevangeliums, in Markusphilologie, 1–45; ders, Die vier Evangelien und das Evangelium von Jesus Christus, 141–143: „Die lexikalischen Latinismen und Aramaismen (sic!) weisen so auf den Entstehungsort des Werkes und auf die Herkunft des Verfassers hin“ und ibidem Anm. 412: „Die Aramaismen sind das Gegenstück zu der ebenso ungewöhnlichen Latinismen, die auf Rom (und Italien) als Ursprungsort hinweisen (…) Dies spricht für einen Autor, der palästinischer Jude war und in griechischer Sprache in Rom schrieb“. Die gleiche Auffassung (Latinismen sprechen für Rom als Entstehungsort, Aramäismen für die Herkunft des Autors) vertreten P. Pokorny´/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament, 375. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 244, teilt das Bedenken von Kümmel gegen die Termini, die als Latinismen betrachtet werden. Eine neue Diskussion über dieses Thema führt R. von Bendemann, Die Latinismen im Markusevangelium, 37–52. Nach einer genauen Analyse aller Begriffe, die in der Forschung als Latinismen betrachtet werden, schließt von Bendemann, dass ihre Zahl ziemlich gering ist. Man muss nämlich alle Begriffe ausnehmen, die im normalen griechischen Gebrauch geläufig waren. Kritisch ist von Bendemann vor allem gegenüber der Schlussfolgerung, dass die Latinismen für Rom als Abfassungsort des Evangeliums sprechen. Dies sei eine „Rom-Brille“ bei einigen Exegeten (S. 41). Seine Schlussfolgerung lautet: „Der Text könnte von einem Verfasser,
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Was aber äußerlich als Interferenz erscheint, könnte eine Intention verbergen. Sprachliche Kontaminationen können in drei Varianten begegnen: a) unabsichtlich, aus einer persönlichen objektiven Situation einer zweisprachigen Person (das ist echte Interferenz), b) absichtlich oder unabsichtlich, aus der Aneignung eines verbreiteten Verhaltens, dass es modern ist, einige Fremdwörter aus einer dominierenden Kultur zu verwenden, c) sicher absichtlich, mit einer literarischen Intention, um eine besondere Randgruppe oder eine besondere Kultur durch ihre Sprache oder Mundart darzustellen und einen gewissen Effekt bei den Lesern hervorzurufen. Welche von diesen Faktoren für Markus entscheidend ist, ist schwer zu bestimmen. Die aramäischen Worte, die Jesus in den Mund gelegt werden, könnten besonders diese letzte literarische Intention haben. Das Wort auctoritas spielt eine große Rolle in der römischen Kultur und in den politischen und kulturellen Debatten am Ende der Republik und am Anfang des Prinzipats.88 In der Konkurrenz von Ideen und neuen politischen Persönlichkeiten ist die Frage nach dem Gewicht und dem Einfluss einer Persönlichkeit unerlässlich. Besonders von der Seite der Verteidiger der Republik wird in der Auseinandersetzung mit den homines novi der neuen politischen Konstellationen verlangt, dass sie auctoritas als Voraussetzung mitbringen. Auctoritas hat ursprünglich eine juristische Bedeutung. Die auctoritas ist die Befähigung eines Verkäufers (auctor), dem Käufer die Rechtmäßigkeit des Eigentumsübergangs zu bestätigen, falls dessen Eigentumsrecht von einem Dritten in Frage gestellt wird. Mit der Zeit gewann der Begriff eine allgemeine Bedeutung: „auctor ist, wer die von einem anderen auszuführende Handlung (oder was auf dasselbe hinauskommt, den Entschluß dazu) maßgeblich und wirkungsvoll gutheißt, da „maßgeblich“ enthält zugleich, dass dabei eine gewisse Verantwortung durch den Ratgeber übernommen wird“.89 Bei Plautus finden wir diese alte Bedeutung von Ratgeber. Die Frage „Egomet laetor, sed quid auctor nunc mihi es? heißt: „Das freut mich wirklich, aber was würdest du mir also raten?“90. Schließlich verliert der Begriff der auctoritas diesen der mit lateinischer Sprache vertraut geworden ist, auch einem solchen, der aus Rom stammte oder sich dort länger aufgehalten hat, an ganz anderem Ort geschrieben sein (…) Also: Die Differenz von Abfassungsort und so etwas wie geistiger Heimat müsste beachtet werden“ (S. 50–51). 88 Zum Thema auctoritas sind die Arbeiten von K.-H. Lütcke zu nennen. In dem Artikel des Augustinus-Lexikon zu „Auctoritas“, 498, gibt er folgende Definition: „das Ansehen von Personen, und zwar als die Fähigkeit, durch persönliche Kompetenz und Überzeugungskraft Eindrücke zu machen und Einfluss auf Denken und Entscheidung anderer auszuüben“. Eine ausführliche Analyse des Terminus findet sich in der Monographie: „Auctoritas“ bei Augustin. Mit einer Einleitung zur römischen Vorgeschichte des Begriffs, Mainz 1968. Interessant für diese Untersuchung ist besonders der erste Teil S. 13–58, in dem der Gebrauch des Wortes in der römischen Gesellschaft untersucht wird. 89 R. Heinze, Auctoritas, 351. 90 Plaut. cist. 249.
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konkreten Bezug auf eine Meinungsäußerung und bezieht sich auf die Eigenschaft einer Person oder einer Institution, „da kommt sie unserem ,Ansehen‘ oder ,Prestige‘ nahe.“91 Nach J. Hellegouarc’h ist der Terminus in der hierarchischen römischen Gesellschaft verwurzelt, in der die Verhältnisse der verschiedenen Schichten auf gegenseitigem Vertrauen beruhen. Die auctoritas der patrones über die clientes kann eine gewisse Stabilität und Vertrauen schaffen.92 Auctoritas besitzen wichtige Institutionen wie der Senat,93 das römische Volk,94 allgemein die Alten. Auctoritas ist eine Eigenschaft einer bekannten und angesehenen Persönlichkeit. In Menschen wie Cato, Scipio und den Gracchi kann man als große Tugenden auctoritas und eloquentia finden.95 Der Begriff kann ein beispielhaftes Verhalten bezeichnen, das von anderen nachgeahmt wird. Marius konnte sich als erster an einem Bein operieren lassen, ohne festgebunden zu werden, und dadurch sind ihm andere dann gefolgt.96 Auctoritas wird auch in der Literatur oder in der Philosophie den bedeutendsten Autoren zugeschrieben. Besonders bekannt ist die Praxis bei den Pythagoräern oder den Epikureern, die ihren Meistern große Ehre und Achtung zollten. Cicero kritisiert eine solche Haltung in der Philosophie, die die philosophische Überlegung durch eine doktrinäre Bindung an die Worte des Meisters verhindert. In der Philosophie ist es nötig, alles kritisch nachzuprüfen. Die Gültigkeit einer Meinung muss verifiziert werden und kann sonst ohne die Prüfung der ratio nicht angenommen werden. Im ersten Buch von De natura deorum heißt es dazu:97 Non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt. Quin etiam obest plerumque iis qui discere volunt auctoritas eorum qui docere profitentur; desinunt enim suum iudicium abhibere, id habent ratum quod ab eo quem probant iudicatum vident. Nec vero probare soleo id quod de Pythagoreis accepimus, quos ferunt, si quid adfirmarent in disputando, cum es iis quaeretur
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R. Heinze, Auctoritas, 363. J. Hellegouarc’h, Art. auctoritas, 392. Cic. epist. 1,2,4: de his rebus …senatus auctoritas gravissima intercessit. Cic. Verr. 5,60: exstimatio atque auctoritas nominis populi romani imminuta. Liv. 31,9,2. Cic. inv. 1,5,19: quibus in hominibus erat summa virtus et summa virtute amplificata auctoritas et, quae et his rebus ornamento et rei publicae praesidio esset, eloquentia, 96 Cic. tusc. 2,53: nec quisquam ante Marium solutus dicitur esse sectus. Cur ergo postea alii? Valuit auctoritas. 97 Diese Spannung ratio – auctoritas (neben der anderen auctoritas – potestas) ist wesentlich für das Verständnis des lateinischen Terminus. K.-H. Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin, 36–46, zeigt in drei verschiedenen Punkten das unstabile Verhältnis der zwei Begriffe: a) eine Höherbewertung der ratio und eine Autoritätskritik; b) eine Höherbewertung der auctoritas und die Betonung eines Autoritätsglaubens; c) auctoritas und ratio als zwei parallele Wege, vor allem im grammatischen Gebrauch der Wortformen mit der Bedeutung von richtigem Gebrauch und Sprachgewohnheit (consuetudo).
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quare ita esset, rispondere solitos ,ipse dixit‘; ipse autem erat Pythagoras: tantum opinio pregiudicata poterat, ut etiam sine ratione valeret auctoritas.98
Anders als Pythagoras kritisiert Cicero im gleichen Werk nicht nur die Epikureer wegen ihrer doktrinären Haltung, sondern auch Epikur. Selbst dieser ist „ein Mensch ohne Kunst, ohne Bildung, der ohne Scharfsinn, ohne Autorität und ohne Humor auf alle schimpft“.99 Das philosophische Argumentieren scheint bei Cicero allerdings eine Grenze zu kennen, wenn es um die „auctoritas maiorum“ geht. Cotta kritisiert Balbus, weil er zahlreiche Argumente für die Existenz und das Wirken der Götter in der Welt angeführt hatte, was die Gewohnheit bei den stoischen Philosophen war, und sagt: „mihi unum sat erat, ita nobis maioris nostros traduisse. Sed tu auctoritates contemnis, ratione pugnas“.100 („Mir hätte ein einziges Argument gereicht, wie uns die Vorfahren tradiert haben. Du aber verachtest die Autorität und kämpfst gegen die Vernunft“). An diesem Punkt vertritt Cicero durch Cotta die Meinung, dass viele Argumente eine Aussage zweifelhaft machen können, anstatt sie zu bestätigen. Besonders bei Cicero und später bei Quintilian spielt der Begriff auctoritas eine große Rolle in der Rhetorik. Auctoritas wurde in dem Kapitel über Ehor behandelt: „Dies Ehor ist ihr (der Rhetorik) eben die auctoritas, der Einfluss, den die Person des Redners, wie sie sich in der Rede äußert, auf die Hörer ausübt“.101 Die Frage bleibt offen, ob man durch diese Autorität eine gewisse sprachliche und intellektuelle Leistung gewinnen kann, oder ob sie nur eine moralische Eigenschaft bleibt. Seneca bezieht eine klare antirhetorische Stellung in dieser Frage. Die auctoritas kann man sicher nicht durch eine bestimmte sprachliche Haltung erlangen. Eine Stelle aus den Epistulae morales scheint mir erwähnenswert. Sie bezieht sich auf einige Sprüche von Licinus Calvus,102 der als ein Antagonist Ciceros in Rhetorik galt. Seneca erklärt: 98 Cic. nat. deor. 1,10: „Denn bei den wissenschaftlichen Untersuchungen soll man nicht so sehr nach einer Autorität als vielmehr nach der Schlagkraft der Beweisführung fragen. Ja, meistens ist die Autorität der als Lehrer auftretenden Männer für die Lernwilligen sogar schädlich. Denn sie verzichten dann auf ihr eigenes Urteil und halten die Lösung eines von ihnen akzeptierten Lehrers für die Wahrheit. Auch missbillige ich immer das, was wir über die Pythagoreer gehört haben; wenn sie in einer Diskussion etwas behaupteten, sollen sie auf die Frage, warum etwas so sei, stets nur geantwortet haben: ,Er selbst hat es gesagt‘. Dieser ,er selbst‘ war aber Pythagoras. So stark war also der Einfluß der vorgefassten Meinung, dass seine Autorität sogar ohne vernünftige Begründung anerkannt wurde“. Die Pointe dieses Textes ist die Spannung zwischen auctoritas und ratio. Auch Cicero findet natürlich die Figur des Pythagoras sehr bedeutend, vgl. in Tusc. 1,38,8. Pythagoras konnte mit seiner Autorität die ganze Magna Graecia gewinnen. 99 Cic. nat. deor. 2,74. „hominem sine arte sine litteris, insultantem in omnes, sine acumine ullo, sine auctoritate, sine lepore. 100 Cic. nat. deor. 3,10. 101 R. Heinze, auctoritas, 362. 102 Die Unterschiede zu der rhetorischen Vorstellung von Cicero werden von J. Dugan, Preventing
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,Si dubia sunt‘ inquit ,quae praecipis, probationes adicere debebis; ergo illae, non praecepta proficient.‘ Quid quod etiam sine probationibus ipsa monentis auctoritas prodest? sic quomodo iurisconsultorum valent responsa, etiam si ratio non redditur. Praeterea ipsa quae praecipiuntur per se multum habent ponderis, utique si aut carmini intexta sunt aut prosa oratione in sententiam coartata, sicut illa Catoniana: ,emas non quod opus est, sed quod necesse est; quod non opus est asse carum est‘, qualia sunt illa aut reddita oraculo aut similia: ,tempori parce‘, ,te nosce‘. Numquid rationem exiges cum tibi aliquis hos dixerit versus? Iniuriarum remedium est oblivio. Audentis fortuna iuvat, piger ipse sibi opstat. Advocatum ista non quaerunt: adfectus ipsos tangunt et natura vim suam exercente proficiunt.103
Die Autorität einer Persönlichkeit kann an ihrer Fähigkeit gemessen werden, ihre Gedanken in kurzen und prägnanten Aussagen auszudrücken. Das ist ein Punkt, der auch im markinischen Bild von Jesus eine Rolle spielt. In den Streitgesprächen zeigt Jesus seine auctoritas, indem er durch prägnante Aussagen lehrt und die Gegner zum Schweigen bringt. In einem anderen Brief kritisiert Seneca die Methode der Kyniker, die überall ihre knappen Lehrsätze verbreiteten, um durch viele Wiederholungen mehr Anhänger zu gewinnen. Diese Methode wurde so gerechtfertigt: „Warum sollte man Worte sparen? Sie kosten nichts!“104 Seneca findet eine solche Denkweise für einen großen Mann unangemessen. Das muss ein großer Mann nicht tun. Dadurch verliert man an Autorität (diluitur eius auctoritas) und hat keine Wirkung mehr auf diejenigen, die man noch korrigieren könnte…105.
Ciceronianism: C. Licinius Calvus’ Regimens for Sexual and Oratorical Self-Mastery, Class Phil. 97 (2001) 400–428, hervorgehoben. 103 Sen. ep. mor. 94,27–28 „ ,Wenn fragwürdig ist, was du anordnest, wirst du einleuchtende Gründe hinzufügen müssen; demnach werden die Gründe, nicht die Anordnung nützlich sein‘. Und was ist, wenn auch ohne Gründe schon die Autorität des Mahners Wirkung zeigt? So wie Entscheidungen der Juristen auch gültig sind, wenn keine Begründung gegeben wird. Außerdem haben Vorschriften an sich schon ein hohes Gewicht, vor allem wenn sie in eine poetische Form gebracht werden oder in Prosa auf eine Sentenz reduziert sind wie die berühmten Sprüche des Catos: ,Kaufe nicht, was man zwar gebrauchen kann, aber nicht unbedingt braucht; was man nicht braucht, ist selbst für ganz wenig Geld noch zu teuer‘. Das gilt auch für die üblichen Orakelsprüche oder Ähnliches: ,Geh sparsam mit der Zeit um‘, ,Erkenne dich selbst‘. Wirst du etwas eine Begründung verlangen, wenn Dir jemand folgende Verse aufsagt? Ein Mittel gegen erlittenes Unrecht ist das Vergessen. Wer wagt, dem hilft das Glück. Der Träge steht sich selbst im Weg. Einen Anwalt verlangen derartige Sätze nicht, sie gehen unmittelbar ein und haben Erfolg, weil hier die Natur ihre Wirkung zeigt.“ (Übers. R. Nickel, Bd. 2, 275). 104 Sen ep. mor. 29,1. 105 Sen. ep. mor. 29,3.
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Zwei weitere Argumente: Ein Schütze muss immer gezielt schießen und die Kunst muss nicht auf den Zufall vertrauen. Auch an dieser Stelle bezeichnet die auctoritas ein präzises und gezieltes Sprechen und kein unnötiges Geschwätz. Eine letzte Stelle bei Seneca ist zu erwähnen: Seneca tadelt Lucilius, weil er sich Sorgen um die Form seines Schreibens macht. Er sollte sich nach Seneca eher um die Inhalte kümmern. Als passendes Beispiel gibt Seneca das von den jungen Männern, die sehr viel Wert auf ihr Aussehen legen, die aber nichts Konkretes vollbringen können: Die Rede ist die Erscheinungsform der Seele: Wenn sie künstlich gefärbt, geschminkt und hergerichtet ist, dann zeigt sie, dass auch die Seele nicht rein und echt ist und etwas Gebrochenes hat. Das Gekünstelte ist kein männlicher Schmuck. Wenn es uns möglich wäre, in die Seele eines anständigen Mannes (vir bonus) hineinzuschauen, was für ein schönes, erhabenes und vor Großartigkeit und innerer Ruhe strahlendes Bild sähen wir dann, wenn hier Gerechtigkeit, dort Tapferkeit, Selbstbeherrschung und Klugheit hervorstrahlten! Außerdem würde Genügsamkeit, Mäßigung, Duldsamkeit, Großzügigkeit, Freundlichkeit und – wer würde es glauben? – das bei einem Menschen so seltene Gut, die Menschlichkeit, noch seinen Glanz darüber ausgießen.106
Diese Beispiele bestätigen das Urteil von R. Heinze, nach dem der Terminus auctoritas aus zwei Gründen ein besonderes Element der römischen Kultur ist: a) sprachlich-semantisch: „die griechische Sprache besitzt kein Wort, das sich mit auctoritas deckte oder nur seinen wesentlichen Inhalt ausdrückte“;107 b) institutionell-rechtlich; bei den Römern ist auctoritas quasi rechtlich verpflichtend, so dass sie eine Institution war. In der Kaiserzeit werden diese semantischen und institutionellen Aspekte, die mit dem Wort verbunden sind, durch die Macht des Kaisers verändert. Das kann man noch aus einem Dokument der kaiserlichen Propaganda in den Res gestae des Augustus belegen. Im 6. und 7. Jahr des Konsulats (28./27 v. Ch.) legt Oktavian die Macht (1nous¸a) wieder in die Hände des Senats. Bei dieser Gelegenheit wird er vom Senat mit dem Titel „augustus“ (sebastºr) belegt. Er schreibt dann: Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt.108
Die griechische Übersetzung gibt auctoritas und potestas mit !n¸yla und 1nous¸a wieder. !n¸ylati p²mtym di¶mecja, 1nous¸ar d³ oqd³m ti pke?om 5swom t_m sumaqn²mtym loi. 106 Sen. ep. mor. 115,2. (Übers. R. Nickel, Bd. 2, 513). 107 R. Heinze, auctoritas, 367, 108 Aug. res gestae, 34: „Nach dieser Zeit überragte ich an Ansehen (auctoritas) alle, an Macht hatte ich jedoch nicht mehr als die anderen, die jeweils meine Kollegen im Amt waren“.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
Die rhetorische Eleganz dieser Stelle beruht gerade auf der Unterscheidung zwischen Macht und Autorität. Augustus erklärt seinen Erfolg als Folge seiner auctoritas, und damit maskiert er seine Diktatur, indem er sich die gleiche Macht zuschreibt wie dem Senat.109 Diese Unterscheidung zwischen potestas und auctoritas110 betont auch Tacitus. Ein echter Herrscher muss vor allem Ansehen haben: mox rex vel princeps, prout aetas cuique, prout nobilitas, prout decus bellorum, prout facundia est, audiuntur auctoritate suadendi magis quam iubendi potestate.111
Die Schwierigkeit, ein passendes griechisches Wort für auctoritas zu finden, ist auch bei Dio Cassius in seiner Historia romana an einer Stelle dokumentiert, in der er die neue Gesetzgebung des Augustus über den Senat beschreibt. Faktisch hat der Senat nach Augustus keine Beschlussfähigkeit, sondern bleibt eine Marionette in der Hand des Kaisers. Dem Senat wird zwar Autorität zugeschrieben, aber in diesem Fall wird durch auctoritas nur der völlige Machtverlust des Senats verdeckt.112 Dio Cassius schreibt: Sie (die Senatoren) sollten beraten und ihre Entschlüsse sollten protokolliert werden, aber sie konnten nicht in Praxis angewendet werden, wie früher. Sie galten als auctoritas, und ihre Meinung sollte als solche kundgetan werden. Denn die Aussagekraft dieses Substantivs ist bekannt, es ist nämlich unmöglich, es ins Griechische mit einem Wort zu übersetzen, das für alle Fälle gilt. 109 J. Hellegouarc’h, Art. auctoritas, 393: „Desiderando mascherare una dittatura, Augusto fece ricorso all’a. (auctoritas), usando questo termine finse di attribuirsi un potere non diverso da quello dell’ordo senatorius“. 110 Zur Unterscheidung von potestas und auctoritas schreibt Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin, 29: „Im Gegensatz zu der durch Recht oder Amt verliehenen oder mit Gewalt behaupteten potestas ist die auctoritas ein Phänomen, das sich zunächst jeder rechtlichen oder institutionellen Sicherung entzieht.“ Er erklärt den Ursprung der beiden als wesentlich für die Unterscheidung. Auctoritas ist nicht in einer Bevollmächtigung durch Vorgesetzen begründet: „Die auctoritas erhält ihre Wirkungskraft nicht wie die potestas von einer höheren Instanz verliehen, sondern hat ihren Grund in sich selbst: in Anlagen und Fähigkeiten, die andere Menschen zu ihrer Anerkennung als auctoritas führen“ (S. 31). Die Gegner versuchen Jesus durch die Frage nach seiner Autorisierung und nach seiner Verbindung mit den höheren rechtlichen Instanzen in eine schwierige Lage zu bringen. Er hat aber die auctoritas, die keine Legitimierung braucht. Diese auctoritas erklärt sich durch die Tatsache, dass Jesus Gottes Sohn ist. 111 Tac. germ. 11: „Anschließend hört man dem König oder dem führenden Mann zu, je nach dem Alter, der vornehmen Abkunft, dem Kriegsruhm, der Redegabe des einzelnen; dabei kommt es mehr auf die Überzeugungskraft als auf die Befehlsbefugnis an“. 112 R. Kany, Augustinus und die Entdeckung der kirchlichen Autorität, 441, hebt diesen semantischen Unterschied zwischen dem Griechischen und dem Lateinischen im Bezug auf das Wort auctoritas hervor: „Der antike Begriff der Autorität ist eine vornehmlich lateinisch-römische Angelegenheit. (…) Es gibt interessanterweise kein griechisches Wort, das genau dem entspricht, was auctoritas besagt. Am ehesten ist es noch das Wort axi ma, das auch Würde und Ruhm bezeichnet, aber nicht annährend das Bedeutungsspektrum von auctoritas besitzt.“ Das Problem der entsprechenden griechischen Termini zu auctoritas behandelt K.-H. Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin, 47–51.
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1bouke¼omto l³m ja· F ce cm¾lg sumecq²veto, oq l´mtoi t´kor ti ¢r jejuqyl´mg 1k²lbamem !ujt¾qitar 1c¸cmeto, fpyr t¹ bo¼kgla aqt_m ×. toioOtom c±q ti B d¼malir toO amºlator to¼tou dgko?7 2kkgm¸ssai c±q aqt¹ jah²pan !d¼matºm esti.113
Eine weitere aufschlussreiche Episode der Kaiserzeit ist der Erlass des „ius respondendi ex autoritate principis“,114 einer neuen Ordnung des Rechtswesens im Reich. Das ius respondendi, d. h. allgemein das Recht, eine juridische Funktion auszuüben (wörtlich das Recht, ein Urteil zu sprechen), wurde nicht mehr aus der auctoritas dieser Person in einem bestimmten Kontext abgeleitet. Nach der neuen Regelung sollte der Kaiser die Erlaubnis aussprechen, die andere berechtigte, Rechtsgutachen auszustellen. Der historische Bericht des Pomponius ist in der Datierung dieser Veränderung widersprüchlich, weil er das Dekret gleichzeitig Augustus und Tiberius zuschreibt: „Der erste, der diese Verordnung erließ, war der göttliche Augustus, um die auctoritas des Rechts zu vergrößern. Dadurch konnten sie nur durch seine Genehmigung ein Urteil sprechen: Massurius Sabinus in equestri ordine fuit et publicae primus respondit: posteaque hoc coepit beneficium dari, a Tiberio Caesare hoc tamen illi concessum erat. Et, ut obiter sciamus, ante tempora Augusti publice respondendi ius non a principibus dabatur, sed qui fiduciam studiorum suorum habebant, consulentibus respondebant: neque responsa utique signata dabant, sed plerumque iudicibus ipsi scribebant, aut testabantur qui illos consulebant. primus diuus Augustus, ut maior iuris auctoritas haberetur, constituit, ut ex auctoritate eius responderent: et ex illo tempore peti hoc pro beneficio coepit. et ideo optimus princeps Hadrianus, cum ab eo uiri praetorii peterent, ut sipbi liceret respondere, rescripsit eis hoc non peti, sed praestari solere et ideo, si quis fiduciam sui haberet, delectari se populo ad respondendum se praepararet. Ergo Sabino concessum est a Tiberio Caesare, ut populo responderet: qui in ordine iam grandis natu et fere annorum quinquaginta receptus est. huic nec amplae facultates fuerunt, sed plurimum a suis auditoribus sustentatus est.115 113 Dio Chr. 55,3,4. 114 K.-H. Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin, 33, betont den besonderen Gebrauch dieses Ausdrucks bei Augustus: „Augustus greift diesen Titel aus republikanischer Tradition auf, um damit die ganz auf seiner Persönlichkeit ruhende Art der Herrschaft zu bezeichnen“. Dies verursache eine Institutionalisierung des Begriffs auctoritas. 115 Just. dig. 1.2.2.48–51: „ Massurius Sabinus gehörte zum Ritterorden und war der erste, der offizielle Rechtsgutachten geben durfte. Und nachdem ihm dies zuerst als Gunst zugestanden worden war, wurde es ihm schließlich auch als Recht von Kaiser Tiberius verliehen. Und, damit wir das nebenbei wissen: vor Augustus wurde das Recht, offizielle Gutachten zu äußern, nicht von den Kaisern verliehen, sondern diejenigen, die Vertrauen in ihre eigenen Studien hatten, antworteten den Fragenden. Sie gaben keine zertifizierten Gutachten, sondern sie schrieben meistens selbst den Richtern oder traten als Zeugen für diejenigen auf, die sie um Rat baten. Der göttliche Augustus beschloss als erster, dass sie mit seiner Genehmigung Rechtsauskunft geben sollten, damit er eine größere Macht über das Recht hätte. Und seit jener Zeit begann man eine solche Genehmigung als Gunst zu erbitten. Deswegen dekretierte der allerbeste Kaiser Hadrian, als Männer von praetorianischem Rang von ihm erbaten, dass ihnen erlaubt würde, Rechtsauskunft zu geben, dies pflege nicht erbeten, sondern verdient zu werden. Er
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
Ein Paradigma wird geändert: Die Erlaubnis des Kaisers stärkt sicherlich die Effizienz des Rechtes, schwächte aber die Kultur der auctoritas, die vor der kaiserlichen Verordnung die Grundlage des Rechtes war. Diese Veränderung kann man auch semantisch feststellen: Das Wort auctoritas wird an dieser Stelle mit der Bedeutung von „Macht“ benutzt. Dadurch dass die Kultur der auctoritas durch die Macht des Kaisers geschwächt wird, wird auch das Bedeutungsspektrum verändert. Der Kaiser will die Macht des Rechtes stärken und gibt aus seiner Macht eine Genehmigung zur Ausübung des Berufs eines Juristen. Diese neue Regelung hatte den Vorteil, eine neue Klasse von Juristen zu schaffen, die mit dem Kaiser verbunden war und sich von den Kunden reichlich bezahlen ließ. Ein weiteres Beispiel für die politische und kulturelle Bedeutung von auctoritas betrifft die Person des Kaisers Vespasian. Sueton erklärt die Situation Vespasians am Anfang seiner Regierung. Auctoritas et quasi maiestas quaedam ut scilicet inopinato et adhuc novo principi deerat; haec quoque accessit.116
Vespasian wurde plötzlich, ohne dass man es vermutet hatte, zum Kaiser. Seine militärische Macht hatte ihm das ermöglicht, aber dazu fehlte ihm das entsprechende Ansehen bei der Bevölkerung des Reiches. Wir haben auch an dieser Stelle die Betonung des „neuen“ Zustandes des Vespasians, was wir auch in Mk 1,27 gefunden haben. Keiner, der „neu“ ist, kann schon auctoritas haben. Sueton spricht das aus, ohne das Problem zu verschweigen. Die gens flavia, die neue Kaiserdynastie, kann er ohne weiteres als „von dunkler Abstammung und ohne bedeutende Ahnen“ beschreiben („obscura illa quidem ac sine ullis maiorum immaginibus“)117 Das fehlende Ansehen Vespasians wird durch eine enorme Propaganda ausgeglichen, die nicht nur seine Macht betonte (die wurde nie in Frage gestellt), sondern vor allem die Besonderheit
würde sich deshalb freuen, wenn diejenigen, die Vertrauen in sich hätten, sich vorbereiten würden, dem Volk Rechtsgutachten zu geben. Und so wurde Sabinus vom Kaiser Tiberius das Recht verliehen, dem Volk Rechtsauskunft zu geben. Ihm, der erst im Alter und als er etwa 50jährig war, in den Ritterorden aufgenommen worden war“. Die juridische Diskussion über die Reform des Rechtssystems von Augustus diskutiert K. Tuori, The ius respondendi and the Freedom of Roman Jurisprudence, 295–337. Tuori definiert das ius respondendi als „one of the many unsolved puzzle of Roman legal history“ (295). Der Aufsatz von Tuori enthält die Debatte zur Interpretation des Pomponius-Stelle. Wichtig scheint mir aber für diese Untersuchung das Ende eines Systems, das auf auctoritas basiert, und die Einführung eines neuen Systems, das von der Macht des Kaisers bestimmt war. Diese Macht wurde auch mit auctoritas bezeichnet: „Augustus granted the right to give responsa on his own authority in order to raise the authority of the law.“ (S. 316) 116 Suet. Vesp. 7. „Dem neuen und unerwarteten Kaiser fehlte jede Autorität und jegliches Ansehen, was er noch bekam.“ 117 Suet. Vesp. 1.
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seines Auftrages. Man kannte zwar seine nicht noble Abstammung,118 aber man betonte die göttliche Bedeutung seines Auftrages. Diese Beobachtungen zu auctoritas können uns helfen, den Gebrauch des Begriffs 1nous¸a bei Markus genauer zu bestimmen: 1) Jesus wird in Mk 11,27–33 eine Frage über seine Autorisierung (ähnlich wie das ius respondendi für die Juristen) gestellt. Zur Zeit der Abfassung des Markusevangeliums hat man noch diskutiert, ob die kaiserliche Erlaubnis (die formale berufliche Zulassung) oder die persönliche Qualität, das Ansehen und die Weisheit, eine wesentliche Rolle für die Formulierung einer öffentlichen Meinung spielt. Der Evangelist Markus betont, dass Jesu Lehre auf eigener auctoritas basiert. Mk 1,22 kann man am besten mit dem lateinischen Begriff erklären: Jesus lehrte als einer, der auctoritas hat. Scholtissek betont, wie wir sahen, dass Markus die Wirksamkeit Jesu als did²sjeim und seine Botschaft als didaw¶ charakterisiert. Jesus ist der einzige, der im zweiten Evangelium als did²sjakor bezeichnet wird. In manchen Stellen will Markus in das Bild des Lehrers andere Eigenschaften einfügen, die er aus der Tradition übernommen hat. In Mk 1,27 wird die Funktion Jesu als die eines Heilers und Exorzisten mit einer unüblichen Terminologie beschrieben (mit den Verben „gebieten“ und „gehorchen“), die eher für einen Lehrer als für einen Exorzisten passend wäre. Das verstärkt das Bild eines souveränen Lehrers, dem sogar die Dämonen gehorchen. „Und sie entsetzten sich alle, so dass sie sich untereinander befragten und sprachen: Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht! Er gebietet auch den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm!“. Das andere Beispiel ist Mk 11, wo die Tempelaktion im Rahmen einer Lehrtätigkeit neu verstanden wird. 2) Es bleibt noch die Frage, warum Markus das Wort 1nous¸a mit der Konnotation von auctoritas verwendet. Das Argument einer sprachlichen Interferenz des Lateinischen mit dem Griechischen scheint mir nicht überzeugend zu sein. Für wahrscheinlicher halte ich eine intentionale Veränderung des Bedeutungsspektrums von 1nous¸a durch den Evangelisten.
118 Sueton versucht allerdings, die offensichtliche Wahrheit durch einige gegensätzliche Informationen zu verdunkeln. Durch die Existenz von einem Berg Vespasian und von einigen Denkmälern „Vespasiorum“ könne man einen alten und noblen Ursprung der Familie annehmen („magnum indicium splendoris familiae et vetustatis“). Einige Meinungen sagten aber auch, dass dessen Vater ein manceps operarum (Pächter, der Arbeiter in Sold nimmt) war. Diese Meinung will Sueton nicht bestätigen, weil er keine Spur davon gefunden hat, obwohl er mit großer Neugierde danach gesucht habe. „Ipse ne vestigium quidem de hoc, quamvis satis curiose inquirem, inveni“. (Vesp. 1). Der Geburtsort des Kaisers wird jedenfalls als vicus modicus bezeichnet.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
Markus hat diesen Terminus mindestens aus zwei Bereichen der Tradition übernommen: zum einen aus dem Umfeld des Exorzismus und zum anderen aus dem Bereich der christologischen Vorstellungen der Inthronisation Jesu über alle weltlichen Mächte, die die nachpaulinische Generation in offener Herausforderung Roms formuliert hat (Eph. 1,21: Jesus ist zur Rechten Gottes gesetzt „über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen“). Dazu kam noch die Tatsache, dass Jesus in seiner Predigt von einer basike¸a heoO gesprochen hatte, was immer als politisch verdächtig galt. Die Lösung des Markus war, das aus der Tradition übernommene Wort 1nous¸a zu behalten, aber es in einem anderen unpolitischen Sinne als auctoritas zu konnotieren. Markus macht klar, dass Jesus keinen Anspruch auf politische Macht hatte und dass er nur mit auctoritas wirkte. Er lehrte auch als ein Mann, der auctoritas hatte, er konnte sich in den religiösen Debatten durch seine Weisheit und seine Autorität durchsetzen. Gerade die Klärung jedes politischen Missverständnisses der Person und der Wirksamkeit Jesu wird zum Thema der Jerusalemer Streitgespräche, wie mit der Exegese der entsprechenden Stellen gezeigt werden soll. 3.5 Die Gegenfrage und die Prophetie Eine Stellungnahme zu der Frage nach der 1nous¸a wäre für Jesus gerade wegen der vielen Implikationen dieses Begriff ein sehr schwieriges Terrain gewesen. Die Frage enthält zwei Aspekte: 1nous¸a als eine Charakteristik der handelnde Person („in welcher Autorität…“) und 1nous¸a als eine autorisierende Instanz („wer gibt dir Autorität“). In beiden Fällen stünde eine Antwort Jesu in dem Verdacht eines Zusammenhangs von politischer und religiöser Macht. Selbst eine theologische Antwort, nach der die Vollmacht Jesu von Gott sei, wäre nicht unproblematisch, weil damit Jesus mit den prophetischen Bewegungen der Zeit identifiziert worden wäre. Der Begriff 1nous¸a wirkt dabei konkret wie ein Dilemma. Die Gegenfrage Jesu ist deshalb ein dialektischer Kunstgriff, um das mögliche Dilemma den Gegner zuzuschieben. Das zeigt die dialektische Fähigkeit Jesu. Die Formulierung einer Gegenfrage wird in der Rhetorik als ein Kunstgriff der Eristik verstanden. Dieses Streitgespräch stellt eine Ausnahme gegenüber den anderen dar, die normalerweise eine apophthegmatische Form aufweisen und in einer Aussage Jesu gipfeln. In diesem Fall aber gibt Jesus keine Antwort, sondern stellt seine Gegner vor ein unlösbares Dilemma. Die Gegenfrage Jesu fokussiert die Frage nach der Autorität auf zwei Instanzen, von denen die Autorität verliehen sein kann: vom Himmel oder von den Menschen, auf die sich die 1nous¸´a gründen kann. Die Gegenfrage schlägt außerdem eine Brücke zu dem Phänomen der Prophetie zu Jesu Zeit, indem sie eine Stellungnahme zur Taufe des Johannes fordert. Die Taufe dient hier als
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pars pro toto für die Person und die Wirkung des Täufers und hat keinen Zusammenhang mit dem Anfang der öffentlichen Wirksamkeit Jesu.119 Es ist strittig, wie diese Analogie zu der Gestalt des Johannes zu verstehen ist. Johannes steht in der Jesus-Überlieferung als Beispiel eines asketischen Lebens und als eine Art apokalyptischer Prophet. Es ist möglich, dass zwischen den Jüngern des Johannes und den Jüngern Jesu eine Konkurrenz über die Frage, welche der beiden verwandten Gestalten die überlegene sei, entstanden ist.120 Weiß’ Hypothese, nach der die Parallele zwischen Jesus und Johannes in der Urfassung der Perikope eine Debatte zwischen den Jüngern Jesu und den Jüngern des Johannes voraussetzt, dürfte schwer zu begründen sein.121 Bultmanns Hypothese spricht von einer Analogie zwischen dem Auftrag des Johannes und dem Auftrag Jesu als Argument in der Debatte der Gemeinde mit den jüdischen Gegnern.122 Hier aber wird weder eine Analogie hergestellt noch ein Konkurrenzbild entworfen. Johannes gibt Jesus den Anlass, die Frage nach der 1nous¸a nach den beiden möglichen Bereichen (vom Himmel/von den Menschen) zu entfalten und damit die Repräsentanten des Synhedriums in ein Dilemma zu verwickeln. Das Verhältnis Jesu zu Johannes dem Täufer wird in dieser Perikope nicht geklärt. Mk 2,18 bezeugt die Tradition, in der die asketische Haltung des Johannes von den Gegnern gegen Jesus benutzt wird. Im vorliegenden Fall ist es Jesus, der den Täufer für seine Argumentation verwendet. Die implizite Lösung des Dilemmas wäre die Annahme, dass Johannes aus göttlichem Auftrag gewirkt hat, denn Johannes gilt als das beste Beispiel für einen zeitgenössischen Propheten. Besonders auffallend ist die Bemerkung des Evangelisten ûpamter c±q eWwom t¹m ûIy²mmgm emtyr fti pqov¶tgr Gm (Mk 11,32). Der klaren Bezeichnung des Johannes als Prophet entspricht die Zurückhaltung Jesu in der Frage seiner eigenen Identität. Der Leser des Evangeliums stellt sich aber die Frage nach dem Verhältnis Jesu zum Prophetentum, die durch die gesamte Darstellung der Gestalt Jesu im Markusevangelium beantworten werden kann. Die synoptische Überlieferung benutzt das Paradigma des Propheten, um über die Person und Wirkung Jesu und sogar über seinen Tod zu sprechen. So ist es in der Logienquelle Q und später im Matthäusevangelium. Matthäus lässt die Menge nach dem Einzug Jesu in Jerusalem sagen: oxtºr 1stim b pqov¶tgr ûIgsoOr b !p¹ Mafaq³h t/r Cakika¸ar (Mt 21,11). Markus hingegen benutzt nicht das Wort „Prophet“ als 119 Unwahrscheinlich scheint mir die These, nach der die Taufe des Johannes auf den Anfang der Jesu Wirksamkeit hinweist und sich damit auf den göttlichen Auftrag bezieht. 120 J.G. Mundla, Jesus und die Führer Israels, 25–26, vermutet eine Form von Konkurrenz zwischen den Jüngern Jesu und den Johannesjüngern. Jesus selbst habe im Gegenteil Johannes gewürdigt. Im Mittelpunkt der Argumentation stehe aber der Unglauben der Gegner Jesu, die früher Johannes und jetzt Jesus bekämpfen. 121 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 158–160. 122 Nach Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 18, laute die Schlussfolgerung, worauf die Gegenfrage basiert, wie folgt: „Wie der Täufer seine 1nous¸a von Gott und nicht von Menschen hatte, so auch ich!“.
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
Prädikat für Jesus, sondern er distanziert sich mit mehreren Hinweisen von einer prophetischen Deutung der Gestalt Jesu. Mk 6,4 enthält den bekannten Spruch Jesu, oqj 5stim pqov¶tgr %tilor eQ lµ 1m t0 patq¸di aqtoO ja· 1m to?r succemeOsim aqtoO ja· 1m t0 oQj¸ô aqtoO. Dieses Logion hat aber eher die Form eines Sprichwortes und ermöglicht keine Identifizierung Jesu mit der Gestalt eines Propheten.123 Die Ausdrücke in Mk 6,15 pqov¶tgr ¢r eXr t_m pqovgt_m und Mk 8,28 eXr t_m pqovgt_m spiegeln die Meinung des Volkes über Jesus wieder, die aber von Jesus nicht unterstützt wird. Petrus bekennt schließlich Jesus als den Messias, s» eW b wqistºr. In der Passionsgeschichte kommt eine Episode vor (Mk 14,65), in der die Wächter Jesus zum Wahrsagen zwingen wollen (Imperativ Aorist: pqov¶teusom), was sich wahrscheinlich darauf bezieht, wer ihn ins Gesicht geschlagen hat.124 Damit wird allenfalls ein externer Gesichtspunkt dargestellt. Die Annahme, er sei ein Prophet, ist ein Argument der Spötter oder eine Meinung des Volkes, aber keine eigene Definition. Das gleiche geschieht bei dem Spott der römischen Soldaten, die Jesus als König der Juden bezeichnen. Diese Stellen, an denen der Begriff pqov¶tgr / pqovgte¼y im Markusevangelium vorkommt, zeigen, dass das prophetische Paradigma für Jesus im Markuevangelium revidiert wird.125 Das Gleichnis der bösen Winzer bietet in 123 Der Spruch wird in verschiedenen Fassungen überliefert in Mk 6,4/Mt 13,57; Lk 4,24; EvThom 31; POxy 1,30–35.; Joh 4,44. J.D.G. Dunn, Jesus Remembered, 661, redet von einem Sprichwort und schließt jede Identifikation Jesu mit einer prophetischen Gestalt aus: „there is no suggestion that Jesus saw himself as ,the prophet‘. Since the post-Easter believers certainly regarded him as more than a prophet, it is not without significance that they have retained this more lowly self-estimate in the tradition“. Im Markusevangelium gilt tatsächlich dieser Spruch als eine allgemeine Feststellung ohne jede Identifikation Jesu mit einem Propheten. 124 Mt 26,68 versucht diesen Punkt klarer darzustellen: pqov¶teusom Bl?m, wqist´, t¸r 1stim b pa¸sar se. 125 Der Begriff „Prophet“ ist nicht eindeutig bestimmbar und deshalb ziemlich offen für verschiedene Interpretationen (vgl. M. Öhler, Jesus as Prophet: Remarks on Terminology, 129.139. Er zeigt, wie die neutestamentlichen Autoren keine eindeutige Definition von Prophet geben können). Da die Prophetie als historisches und kulturelles Phänomen in der israelischen Geschichte zur Zeit Jesu nicht mehr aktuell war, wurde diese Bezeichnung benutzt, um einige Aspekte hervorzuheben, wie den göttlichen Auftrag oder die Fähigkeit die Zukunft vorauszusagen oder die aggressive Art des Sprechen (die Scheltrede). In Lk 7,39 wird die Bezeichnung „Prophet“ für jemanden benutzt, der den Lebenswandel einer Person (in dem Falle einer Sünderin) erkennen müsste. Die gleiche Bedeutung findet sich bei Joh 4,19, weil Jesus die Familienstituation der Samariterin erraten kann. Die verschiedenen Autoren betonen jeweils eine besondere Bedeutung dieser allgemeinen Bezeichnung eines Propheten. M. Reiser, Der unbequeme Jesus, 137–157, spricht von Jesus als einem „Gerichtspropheten“, der zur Umkehr auffordert, dessen Verkündigung aber eine Frohbotschaft ist. Dunn, Jesus Remembered, 663, sieht den prophetischen Auftrag Jesu in seiner Zuwendung zu den Armen und Sündern. Allerdings erscheine in den Texten die nachösterliche Formulierung „ich bin gekommen“ (oder „ich sage euch“) und nicht die typische prophetische Einleitung Form „ich bin gesandt“ (oder „so spricht der Herr“) (S. 665). F. Hahn/H. Klein, Die frühchristliche Prophetie, 54–57, beschreiben einige Elemente des prophetischen Bildes Jesu wie seine eschatologische Verkündigung und sogar die Wunder und die Antithesen. Sie unterstreichen die Vorstellung, dass Jesus schon zu seinen Lebzeiten als Prophet betrachtet wurde. (S. 57) Es ist möglich, dass
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einem gewissen Sinne eine Antwort auf die Frage nach der 1nous¸a Jesu. Es zeigt zwar, dass Jesus seinen Auftrag von Gott bekommen hat, er ist aber kein Prophet wie die zunächst erscheinenden Abgesandten, weil er der Sohn des Weinbergsbesitzers ist.126 Die Revision des prophetischen Bild Jesu impliziert eine Entwicklung der Christologie im zweiten Evangelium. Für die Position des Markus spielt sicherlich ein weiterer Grund eine Rolle, nämlich die Tatsache, dass die messianischen Propheten127 in Palästina für den Aufstand gegen Rom verantwortlich gemacht wurden.128 Die Frage nach der 1nous¸a Jesu wird daher zum Anlass, die Gestalt Jesu von anderen rebellischen Gruppen deutlich zu unterscheiden. Die Zurückhaltung Jesu gegenüber der Frage der Synhedristen bekräftigt, dass er nicht mit dem Fanatismus der messianischen Propheten verwechselt werden will. Für die markinische Apologie ist die Behauptung der Gottessohnschaft Jesu, die fest in der Überlieferung verankert war, in den Augen der römischen Leser weniger problematisch als die prophetischen Konturen Jesu und seiner Predigt. Die Hauptfiguren der prophetischen Rebellen, Judas Galilaios, ein Samaritaner, Theudas, ein namenloser Ägypter (Josephus nennt ihn den falschen Propheten aus Ägypten129) und ein gewisser Jonathan130 lassen
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Markus auf die Bezeichnung Jesu als eines Propheten deswegen verzichtet, weil sie keine genaue Bedeutung hat und im Gegenteil politisch missverstanden werden konnte. Auffallend ist die Bezeichnung des letzten Abgesandten zu den Weingärtnern in Mk 12,6 als 6ma (…) uR¹m !capgtºm, was sicher im Zusammenhang steht mit Mk 1,11, mit Mk 9,7, mit der Bekundung der Gottessohnscahft durch eine himmlische Stimme in der Taufgeschichte und bei der Verklärung. Die Aussendung des Sohnes stellt eine Klimax in der Erzählung dar, und damit unterscheidet sie sich von den anderen Gesandten vor ihm. Dazu A. Weihs, Jesus und das Schicksal der Propheten, 156: „ Jesus ist – als ,Sohn‘ des Gleichnisses – von Gott selbst mit einer singulären, einzigartigen Vollmacht ausgestattet“. Trotz dieser klaren Aussage betont Weihs im Markusevangelium eine Kontinuität des Schicksals Jesu mit dem Schicksal der Propheten. Er kritisiert die These Lührmanns (Das Markusvangeliums, 145), nach der nur der Täufer ein Prophet ist und nicht Jesus (S. 146). Weihs gibt zwar zu, dass Jesus im Markusevangelium mehr als ein Prophet ist, doch findet er das prophetische Bild Jesu wesentlich für das Verständnis der Christologie im zweiten Evangelium: „einerseits werden die Person und das Handeln Jesu mit dem Prophetenzusammenhang in Verbindung gesetzt, andererseits wird aber auch unmißverständlich deutlich gemacht, daß Jesus mehr ist als ein Prophet.“ (S. 147). Weihs entscheidet sich für ein integratives Modell, während es sich nach meiner Meinung um eine Korrektur eines aus der Tradition übernommenen Modells handelt. Zu diesem Thema ist noch die Untersuchung von R. Meyer zu berücksichtigen, Der Prophet aus Galiläa, bes. S. 103–120. Die Zeloten-Führer betonen ihre prophetische Identität: „Die Zelotenführer sind von einem bestimmten Selbst- bzw. Sendungsbewußtsein getragen; entweder fühlen sie sich als Propheten, wie etwa Theudas und der ägyptische Prophet, oder sie treten als kommende Könige des Heilszeit, so vor allem Hiskia, Judas, Manachem und Ben Koseba, in Erscheinung.“ Das ist nach Meyer der Unterschied zu Jesus. Nach meiner Meinung ist dies ein wichtiges Argument dafür, dass Markus Jesus von diesem prophetischen Muster deutlich unterscheiden wollte. Das ist die Version des Josephus, die vermutlich verbreitet war. C.E. Evans, Josephus on John the Baptist and Other Jewish Prophets of Deliverance, 63. B.J. 2,261: b AQc¼ptior xeudopqov¶tgr. Die Besonderheiten dieser Gestalten nach dem Bericht des Josephus stellt C.E. Evans, Josephus on John the Baptist and Other Jewish Prophets of Deliverance, 55–63, dar. Die Frage, warum
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Die Debatten über die Autorität: Die Streitgespräche in Jerusalem
die Konturen erkennen, die die prophetischen Bewegung in den Augen der römischen Behörden suspekt machen. Diese Männer betonten ihren prophetischen Auftrag und sammelten durch das Versprechen wunderbarer Zeichen Anhänger um sich und versprachen die Befreiung des Volkes vom fremden Joch. Josephus kommentiert ihr Auftreten, wie folgt: „Gleichzeitig traten auch Gaukler und Betrüger auf und beredeten die Menge, ihnen in die Wüste zu folgen, wo sie mit Gottes Beistand offenbare Zeichen und Wunder tun würden“.131 Im Fall des Judas Galilaios entstand die Revolte als eine Reaktion gegen den Census des Quirinius: Josephus sagt über ihn, er sei „ein sehr gefährlicher Sophist, der schon zur Zeit des Quirinius den Juden vorgeworfen hatte, nach Gott den Römern untertan zu sein“ (fti gQyla¸oir rpet²ssomto let± t¹m heºm).132 Der Ägypter133 hatte eine Menge auf den Ölberg versammelt, um die Stadt Jerusalem militärisch zu erobern. Theudas134 sammelte eine Menge in der Wüste, um die Wasser des Jordans zu spalten, und behauptete, er sei ein Prophet. In der Verklärungsgeschichte stehen Elia und Moses neben Jesus, aber ohne dass er mit ihnen identifiziert wird. Denn er ist der Sohn Gottes, wie die Stimme Gottes besagt. Mit der Darstellung der Jerusalemer Streitgespräche will Markus deutlich machen, dass Jesus kein Prophet ist und nichts mit solchen Bewegungen zu tun hat. Jesus ist kein Prophet und spricht auch nicht im Stil eines Propheten.135 Die Frage seiner Gegner zur Steuer, zur Auferstehung, zum höchsten Gebot und zur königlichen Abstammung des Messias geben Jesus Gelegenheit, sich von diesen Vorwürfen zu distanzieren. Die Distanzierung des Evangelisten von einem prophetischen Jesusbild erfolgt auch in Mk 13. Die Pointe dieses Kapitels ist nicht, Jesus als apokalyptischen Visionär zu präsentieren. In Kapitel 13 verwendet der Evangelist
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Josephus Johannes den Täufer sehr positiv, quasi als Moralphilosophen, beschreibt, während er die weiteren prophetischen Gestalten als Betrüger und falsche Propheten darstellt, bleibt im Aufsatz unbeantwortet. Auch in der Predigt des Täufers wie bei den weiteren prophetischen Gestalten, erscheinen aktualisierte Zeichen der Endzeit, wie die Figur des Elia, der Jordan als Schauplatz der Taufe und die vermutlich 12 Steine von 1Kön 18,31. Die Darstellung des Täufers bei Josephus sei zwar nach Evans erklärt „by a desire to portray the Baptist in Greco-Roman philosophical dress“ (S. 56), aber Lk 3,10–14 gebe dieser Darstellung eine gewisse Plausibilität. Johannes der Täufer war sicherlich eine autoritative Persönlichkeit, wie auch in unserem Text bezeugt wird, die nicht mit jenen religiösen Fanatikern verwechselt werden kann. Bemerkenswert ist dazu die Tatsache, dass Johannes nicht von den Römern hingerichtet wurde. Jos. B.J. 2,167. Jos. B.J. 2,433. Jos A.J. 20,169–178. Jos. A.J. 20,97–98. A. Yarbro Collins, Mark, 47, vertritt zu diesem Punkt eine unklare Position: „Although the Gospel of Mark certainly presents Jesus as more than a prophet, his portrayal includes a number of distinctly prophetic characteristics“. Markus aber lässt an keinem entscheidenden Punkt der Erzählung Jesus als Propheten erscheinen (besonders deutlich in dem Schüsseltext Mk 8,27–30).
Die Frage nach der 1nous¸a Jesu (Mk 11,27–33)
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literarische Formen, Motive und Begriffe, die aus der apokalyptischen Literatur stammen.136 Andererseits fehlen vor allem die eindeutige Bestrafung der Feinde und die Erhöhung der Märtyrer. In der aktuellen Form fungiert Mk 13 als eine Ermahnung für die Nachfolger Jesu durch die Schilderung einiger wichtiger historischer Ereignisse, die letztendlich zum jüdischen Krieg und zur Zerstörung des Tempels führten. Der entscheidende Punkt, der durch die Leseranweisung in Mk 13,14 „wer liest, erkenne“ markiert wird, liegt in der Aufforderung an die Jünger, angesichts des Krieges in Palästina in die Berge zu fliehen. Die Nachricht des Euseb, nach der die Christen vor der Belagerung Jerusalems nach Pella flohen,137 ist damit bestätigt. Die Christen haben sich nicht am Krieg gegen Rom beteiligt.138 Jesus nimmt hier Stellung zu den künftigen Ereignissen in Palästina (vaticinium ex eventu). Neben der Aufforderung, nicht am Krieg teilzunehmen, sondern zu fliehen, spricht Jesus ein klares Urteil gegen die falschen Messiasse und gegen die falschen Propheten und distanziert sich damit von den revolutionären Gruppierungen Mk 13,21–22. Der Bezug auf die Zeichenpropheten ist klar. Die Christen sollen diesen Menschen nicht glauben. Jesus betont, diese Ermahnung vor der Katastrophe ausgesprochen zu haben: Mk 13,23 rle?r d³ bk´pete7 pqoe¸qgja rl?m p²mta. Dies hat rückwirkend eine wichtige Funktion in der Apologie Jesu. Es war vermutlich bekannt, dass die Christen nicht gegen Rom die Waffen ergriffen hatten und geflohen waren. Mit dieser Aussage übernimmt der markinische Jesus die Verantwortung für diese Position der Verweigerung und präsentiert sich damit als eine Gestalt, die gegen die Zeichenpropheten und gegen den Aufstand einige Jahre vorher gesprochen hat. Die historischen Ereignisse geben dieser rückwirkenden markinischen Apologie der Person Jesu eine gewisse Glaubwürdigkeit. 136 Darauf basiert die These von A. Yarbro Collins, Mark, 42–45, nach der es sich beim Markusevangelium um ein apokalyptisches Evangelium handelt. Sie definiert Markus als ein „eschatological historical monograph“. Mk 13 zeige einen göttlichen Plan, der Drangsal und Anfechtung mitbringen soll. Sie kommt daher zu folgendem Schluss: „Mark may be seen as an eschatological and apocalyptic counterpoint to the biblical foundational histories“ (S. 43). E.M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, 301–340, weist darauf hin, dass die Verwendung von apokalyptischen Motiven (z. B. Prodigien) kein ausschließliches Merkmal apokalyptischer Literatur ist, sondern auch in historiographischen Werken wie dem Bellum Iudaicum des Josephus begegnet. 137 Eus. h.e. 3,5,3. 138 M. Hengel, Die Zeloten, 307. S.G.F. Brandon, The Fall of Jerusalem, 167–170, versucht die Historizität dieser Information in Frage zu stellen. In dem Werk „Jesus and the Zealots“, S. 211–216, erwähnt Brandon einige Argumente, um seine These gegen die Historizität zu stützen: a) Euseb kennt die Geschichte des 1. Jh.s nicht so genau und ist von den Evangelien und von Josephus abhängig. b) Eine Flucht bedeutet eine Unterscheidung der Christen von ihren Landesleuten. c) Pella ist ein unwahrscheinlicher Zufluchtsort von Menschen aus Jerusalem. Ihnen wär nichts von der Strafaktion Roms erspart geblieben. d) Die überlebenden Christen hätten sehr an Prestige gewonnen, während in Wirklichkeit die palästinischen Christen in die Vergessenheit abtauchten. Diese Argumente Brandons sind jedoch nicht besonders überzeugend.
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Diese Perikope ist für die Modellierung der Gestalt Jesu im Markusevangelium sehr wichtig, weil Jesus als souveräner Lehrer erscheint, dem es mühelos gelingt, einem Dilemma zu entgehen. Die 1nous¸a Jesu wird hier nicht genau definiert, aber es wird deutlich, dass sie weder einen Machtanspruch enthält – da sie vielmehr auctoritas ist – noch den Anspruch eines fanatischen Zeichenpropheten, wie es jene waren, die das Volk Israels zum Aufruhr gegen Rom aufgerufen hatten. Nach Markus ist Jesus kein Prophet, sondern der Sohn Gottes, der mit der Autorität eines Lehrers diskutiert. So ist die Perikope ein wichtiger Teil der Apologie Jesu und der Christen, die auf diese Weise nicht als politisch gefährlich betrachtet werden können.
4. Die Frage nach dem Zensus für den Kaiser: die Macht des Kaisers Mk 12,13–17 4.1 Einführung Im Palästina des ersten Jahrhunderts hatte die Frage nach dem Tribut an die römischen Besetzer eine polarisierende Wirkung. Wie man auf diese Frage antwortet, hätte sofort gezeigt, welche Position zu der Herrschaft Roms einer bezieht. Diese Debatte verbindet die Zeit von Jesu Wirksamkeit mit der Zeit der Abfassung des Markusevangeliums, trotz der tragischen Ereignisse des Krieges.139 Die Katastrophe des jüdischen Krieges aber warf einen düsteren Schatten auf die Bewegungen, die aufgrund religiöser Argumente gegen die Macht Roms Widerstand geleistet und damit die Repression der römischen Legionen verursacht hatten. Das Entweder-Oder der Frage an Jesus dient dazu, die Position Jesu zu diesem Streitthema zu klären. Wir wissen nicht, ob Jesus diese Frage direkt gestellt wurde. Es liegt nahe anzunehmen, dass der Spruch vom historischen Jesus stammt, wie auch seine Bezeugung im Thomasevangelium zeigt. Gerade die rätselhafte Formulierung des Spruches dient Markus dazu, die Verschiedenheit Jesu von den revolutionären Gruppen hervorzuheben. Das Apophthegma stellt deshalb einen Höhepunkt in der sehr harten, doch subtilen dialektischen Konfrontation zwischen Jesus und seinen Gegnern dar. 4.2 Der Text von Mk 12,13–17 Der Text wird mit der einleitenden Bemerkung in Mk 12,13, die die Intention der Frage klärt, eröffnet. Einige Pharisäer und Herodianer sollen Jesus eine Falle stellen. Es bleibt in der Erzählung unklar, wer das Subjekt von !post´k139 D. Lührmann, Das Markusevangelium, 201, definiert diese Frage als „eine höchst heikle Frage zur Zeit Jesu wie zur Zeit des Mk und seiner Leser“.
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keim ist, vielleicht die Mitglieder der Tempelaristokratie, die Jesus als Gefahr empfinden und ihn deswegen vernichten wollen. ûApost´kkeim ist in den Evangelien ein Verb, das in der Regel die Aussendung zur Mission bezeichnet. Hier aber ist die Mission destruktiv. Das zweite Verb in diesem Satz !cqe¼eim – „jagen“, „fangen“140 – ist sehr eindrucksvoll, weil es den Sinn der Sendung der Pharisäer und Herodianer eindeutig bezeichnet. Es handelt sich nicht um eine Mission, sondern um eine Art ,Treibjagd‘. Die Jagd soll auf einer dialektischen Ebene stattfinden: Durch subtile Kunstgriffe soll Jesus in die ihm gestellte Falle gehen.141 Plato bezeichnet die Sophisten als Jäger, die mit ihrer rhetorischen Fähigkeit die jungen Männer fangen können.142 Es ist im Einzelnen nicht bekannt, was der Standpunkt der Herodianer und der Pharisäer war. In der Gruppe der Pharisäer gab es sehr verschiedene Meinungen darüber, ob die Bezahlung der Steuer als ein unvermeidbares Übel zu betrachten sei und wie man sich gegenüber der römischen Herrschaft verhalten sollte.143 Die Vorstellung, dass Herodianer und Pharisäer erhoffen, Jesus bei einer antirömischen Aussage zu ertappen, kommt im Lk 20,20 deutlich zum Ausdruck.144 Das Verhältnis zum römischen Staat ist das eigentliche Problem der Perikope. Im Sinne der Apologie von Jesus kommt es Markus darauf an, die Position Jesu nachzuzeichnen und zu beweisen, dass er gerade in Bezug auf die Frage der Steuern keine rebellische Haltung hat. Doch bleibt in der markinischen Fassung, wenigstens theoretisch, noch eine weitere Option offen, nach der Jesus die Bezahlung befürwortet hätte. Eine solche Position für die Steuer wäre aber für sein Ansehen bei der Bevölkerung vernichtend gewesen.145 Die große Bewunderung der Anwesenden am Ende der Perikope signalisiert, dass Jesus beide Extreme vermieden hat: Sein Ansehen beim Volk ist groß geblieben, und 140 Das Verb ist ein hapax legomenon im Neuen Testament. Die anderen Synoptiker lassen dieses Verb weg. Vgl. Liddell/Scott, 14. 141 Der Dativ kºc\ ist daher instrumental zu interpretieren. E. Haenchen, Der Weg Jesu, 406, interpretiert m. E. korrekt wie folgt: „damit sie ihn mit einem Worte fingen“. 142 Pl. soph. 222b–223a. 143 J. Marcus, Mark II, 822, erwähnt den Fall von Yohanan ben Zakkai, der eine römerfreundliche Position bezog. 144 J. Marcus, Mark II, 822: „It is presumably Pharisees of this latter, accomodationist stripe whom Mark portrays as colluding with the Herodians and trying to get Jesus into trouble with Romans“. Die gleiche Meinung ist bei F.F. Bruce, Render to Caesar, 250–251, zu finden. 145 Die Implikationen der Frage der Pharisäer und der Herodianer werden sehr klar von E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 251, referiert: „ Denn bejahte Er das Recht der Zahlung, so entfremdet Er sich das Volk; verneinte Er es, so belud Er sich mit dem Verdacht politischer Rebellion.“ Nach dem Einzug in Jerusalem als der Messias erwartet das Volk eine klare Stellungnahme gegen die römische Kopfsteuer; wenn er es nicht tut, stellt er selbst seine Messianität in Frage. Solche Art von Fragen sind ein Dilemma, und das ist beabsichtigt. Aus diesem Grund ist die Perikope kein „ rabbinisches Lehrgespräch“, wie Lohmeyer vermutet. (S. 250). Das ist auch bei Finney, The Rabbi and the Coin Portrait, 630: „If he responds in the affirmative, he will lose the face with his fellow Jews seeking independence from Rome; but if he tells them not to pay taxes, he comes across as a disloyal and potentially dangerous subject of Rome, a troublemaker“.
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gleichzeitig hat er keine populistischen Auffassungen vertreten und sich daher nicht bei der römischen Behörde verdächtig oder gar strafbar gemacht. Die Einführung der Gegner ist durch ihre schmeichelhafte Anrede Jesu, eine captatio benevolentiae,146 in 12,14 noch weiter breit ausgeführt. Sie rühmen Jesus als einen wahren Lehrer, der die Wahrheit ohne Rücksicht auf Menschen verfolgt, der den Weg Gottes in Wahrheit lehrt.147 Sie erwarten daher eine eindeutige Antwort von ihm ohne die Rücksicht auf die Konsequenzen, die diese Antwort haben könnte. Die Frage ist von dem Verb 5nestim eingeführt, so dass wieder eine Lehrmeinung gefragt ist, diesmal aber nicht, um über die Grenzen des jüdischen Gesetzes zu streiten, sondern um das Verhältnis zum römischen Staat zu klären.148 Die schmeichelhafte Prämisse sollte Jesus den falschen Eindruck geben, es handle sich um eine Belehrung und nicht um ein feindliches Verhör oder um ein Streitgespräch. Ein weiterer Kunstgriff ist die Form der Frage, die eine Grundsatzentscheidung fordert und keinen Raum für eine Argumentation lässt. Die Redundanz des Ausdrucks soll die Frage noch schärfen, 5nestim doOmai (…) C ou; d_lem C lµ d_lem; Die Replik Jesu besteht aus zwei Teilen: Er neutralisiert zuerst die heuchlerische Einstellung seiner Gegner, indem er ihre tiefere Absicht erkennt und sie mit einer ersten Gegenfrage, die eigentlich den Ton eines Vorwurfs hat, erwidert. Das Substantiv rpºjqisir ist allerdings eine redaktionelle Bemerkung und nicht Teil der Erwiderung Jesu. Anders als Mk 7,6 greift Jesus seine Gesprächspartner nicht direkt mit einer beleidigenden Anrede an, sondern er stellt nur die Frage t¸ le peiq²fete. Die Entscheidungsfrage, die eine Falle ist, kann Jesus durch eine unerwartete Handlung vermeiden. Er verschiebt die Aufmerksamkeit von dem j/msor auf eine ein Ding, ein Münze, das Mittel für die Bezahlung, den Denar (dgm²qiom/denarius),149 und zwar auf das Bild und die Aufschrift des Kaisers. 146 K. Huber, Jesus in Auseinandersetzung, 170–171, zeigt die chiastische Struktur dieser captatio. 147 Das Urteilen, ohne Vor- und Nachteile zu berücksichtigen, gilt als wichtige Eigenschaft eines guten Denkers. Das Prinzip behauptet derselbe Sokrates in Pl. Phaid. 91b–c: slijq¹m vqomt¸samter Syjq²tour t/r d³ !kghe¸ar pok» l÷kkom. In anderen Stellen der Bibel wird gerade diese Qualität Gott zugeschrieben, der ohne Ansehen der Personen gerecht handelt: 2Chr 19,7; Mal 1,9; Eph 6,9; Kol 3,25, 1Pe 1,17. 148 Die These von D.T. Owen-Ball, Rabbinic Rhetoric and Tribute Passage, 2–3, ist nicht überzeugend, nach der die Frage nach dem Tribut aus der rabbinischen Lehre kommt. Sie ist nach Owen-Ball eine Frage nach der Halakha. Zusammnen mit den drei weiteren Fragen nach der Auferstehung der sieben Brüder, nach dem größten Gebot und nach der Davidssohnschaft des Messias liege hier ein vierfaches Schema zugrunde, das bei den Rabbinern des 1. Jh.s häufig zu finden sei. Zu diesem Schema gehört eine Frage nach der hochmah (Weisheit), eine Frage nach beruth (Unanständigkeit); eine Frage nach der halakha und eine Frage nach der hagadah. Bei der hier vorliegenden Analyse der Perikopen wird aber gezeigt, dass sie keine theoretischen Diskussionen sind, sondern dass sie vor allem Folgen für die Beurteilung Jesu haben. Die Rückfrage nach dem Denarius erklärt die Botschaft der Perikope. Die Schöpfung trägt das Bild Gottes und durch das Gesetz seine Inschrift im Herzen der Menschen (S. 11–12). 149 H.ST.J. Hart, The coin of ,Render unto Caesar‘, 241, hebt hervor, dass der Denar die Münze war, mit dem man den Tribut kalkulierte und bezahlte. Die Leseart von Mt 22,19 t¹ mºlisla toO
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Finney hat Recht, wenn er die dialektische Bedeutung dieser Handlung Jesu betont. Er kann mit seiner Frage die Gegner ablenken, die Pointe von seiner Person auf ein Objekt verschieben.150 Wenn aber dies auch dialektisch sehr geschickt ist, scheint es historisch doch wenig plausibel zu sein. Wie kann ein jüdischer Rabbi die Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner auf ein Bild richten?151 Diese Szene verliert damit historische Plausibilität,152 die dialektische Dimension153 bekommt ein größeres Gewicht für diese markinische Erzählung als die historische Genauigkeit. Jesus stellt nun die Frage: t¸mor B eQj½m avtg ja· B 1picqav¶. Die Pointe liegt in dem genitivus specificationis t¸mor und Ja¸saqor, den dann Jesus in der Antwort wieder aufnimmt und als genitivus possessivus: t± Ja¸saqor (und t± toO heoO) interpretiert. Seine Antwort, die die Eigentumsbereiche Gottes und des Kaisers nicht weiter bestimmt154 oder sie in Konkurrenz zueinander stellt, erweckt die tiefste Bewunderung der Anwesenden. Bultmann definiert die Perikope als ein einheitliches, „ein auszeichnet geformtes“ Apophthegma, das so überliefert wurde und nicht von der Gemeinde verfasst wurde. Die redaktionelle Arbeit des Markus betreffe nur V. 13.155
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j¶msou ist sachlich korrekt. E. Stauffer, Christus und die Caesaren, 148, vermutet, es handle in dem Fall um einen Denar des Tiberius, der anders als Augustus nur eine Art von Denar prägen liess. Hart, The coin of ,Render unto Caesar‘, 243–247, stellt die Frage nach Münzen in Palästina. „Is it consistent with the monetary situation in Roman ,Palestine‘ in the period of the ministry of Jesus? The answer is yes“. (S. 244). Seine Schlussfolgerung ist, dass der Denar des Tiberius wahrscheinlich die Münze des Tributs und die unserer Perikope war. P.C. Finney, The Rabbi and the Coin Portrait, 631. P.C. Finney, The Rabbi and the Coin Portrait, 640, sieht allerdings keinen Widerspruch im Verhalten Jesu, der ein unkonventionelles Verhalten gegenüber der Tora habe. „There is no inconsistency in a teacher who invites his Jewish (and Idumenian) interlocutors to look at a coin laden with idolatrous subject matter“. P.C. Finney, The Rabbi and the Coin Portrait, 629, hebt die fehlende Radikalität der Handlung Jesu hervor. Ein jüdischer Rabbi hätte sich über das idolatrische Bild des Kaisers auf der Münze geäußert, während Jesus keine Bemerkung dazu macht. Dies erklärt Finney historisch, weil Jesus in Galiläa nicht weit von der hellenistischen Stadt Sepphoris viele Bilder gesehen habe. „Jews living in this environment would have had little real-life provocations that might have led them to debate the issue raised by the specific form of idolatry“. Es sei deshalb nicht unüblich, dass Jesus die Münze mit dem Kaiserbild betrachtete. J.D. Crossan, Mark 12,13–17, 397. Der wichtigste Punkt in der Perikope sei eine „double dialectic“ (…) There is a dialectic of question and answer but also of entrapment and escape within the story“. Umstritten ist die Bedeutung des Verbs !pod¸dyli, das als „rückerstatten“ oder einfach als „erstatten, geben“ interpretiert werden kann. E. Stauffer, Die Botschaft Jesu, 107–109, plädiert für die erste Interpretation. Gundry, Mark, 694, sieht eine Entwicklung der Thematik von dem „geben“ zu dem „rückerstatten“: „,Give‘ (d¸dyli) has become ,give back‘ (!pod¸dyli) to emphasize the obligatory character of the command to pay tax and follow Jesus“. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 25. Das Apophthegma sei von der Gemeinde mündlich geformt (S. 50).
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Die Episode findet sich auch im Logion 100 des Thomasevangeliums156. Das Logion des Thomasevangeliums ist anders als in Mk 12,13–17 nicht in eine Konfliktsituation eingebettet. Anders als bei Markus sind es die Gesprächspartner, die Jesus die Münze zeigen. Es gibt keine Hinweise auf die Inschrift und auf das Bild des Kaisers. Bei der Antwort Jesu werden drei Bereiche unterschieden: das Geld, das dem Kaiser gehört; die Dinge der Welt, die dem Demiurgen gehören; und schließlich das Wesen der Menschen, das Jesus gehört157. Die Frage, warum im Markusevangelium das Logion in eine Konfliktsituation eingebettet ist, kann Hultgren nicht ausreichend beantworten. Das zeigt m. E., dass die Konfliktsituation eine besondere Schöpfung des Markus ist.158 4.3 Das Problem der Steuer Die Steuer an Rom war ein brisantes Thema für die jüdischen Theologen. Es ist klar, dass sich hinter dieser Frage nicht nur ein Problem finanzieller Natur verbirgt, sondern eher das Problem der Anerkennung der politischen Macht Roms. Der griechische Terminus für Steuer in der Perikope j/msor, der dem lateinischen „census“ nachgebildet ist, bezeichnet die individuelle Steuer. Der westliche Text enthält die Leseart 1pijev²kaiom (tributum capitis). Man kann zwei verschiedene Arten von Steuern im römischen Reich unterscheiden, die Grundsteuer (tributum soli), eine Abgabe vom Ertrag aus der Landwirtschaft, und die Personal- und Einkommensteuer (tributum capitis), die jede Person im Alter von 14 bis 60 betraf.159 Das Steuerrecht Roms beruht auf dem Prinzip, dass der Einmarsch der römischen Legionen ein Gebiet zum Besitz des römischen Volkes machte. Die einheimische Bevölkerung konnte den Grundbesitz durch die Bezahlung einer Steuer beibehalten, aber nicht mehr als Eigentümer, sondern als Pächter.160 Die Steuer sollte aber die Bevölkerung nicht zu sehr schädigen. Sueton berichtet 156 EvThom 100: „Sie zeigten Jesus eine Goldmünze und sprachen zu ihm: ,Die zum Kaiser gehören, fordern von uns Steuern‘. Er sprach zu ihnen: ,Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Gebt Gott, was Gottes ist. Und das, was mein ist, gebt mir“. (Übers. J. Schröter, S. 137). 157 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 41–43. 158 J.D. Crossan, Mark 12,13–17, 400, weist auf die Fragmente des Payprus Egerton 2 hin. Das zweite Fragment enthält die Frage nach der Bezahlung der Steuer. Jesus zitiert Jes 29,23 (eigentlich wie in Mk 7,6). Crossan sieht in der Überlieferung des Logions Jesu eine Entwicklung von einer Doppeldialektik zu einem aphoristischen Ausspruch: „The God and Caesar story has moved from three to two and then one interchange, has moved from a double to a single dialectic, and has moved, finally, from the dialectical to the aphoristic tradition“. Diese Analyse betont wiederum die dialektische Perspektive des Markusevangeliums, besagt jedoch wenig über die Tradition des Logions. In seiner vormarkinische Fassung könnte es wahrscheinlich der Fassung des Thomasevangeliums näher sein. 159 Vgl. M. Hengel, Die Zeloten, 140–142. 160 E. Stauffer, Damals und heute, 96. Es ist interessant, dass dieses Verhältnis der Verpachtung auch im Gleichnis der bösen Weingärtner zu finden ist.
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die offizielle Antwort des Tiberius auf das Ansinnen eines Statthalters, mehr Steuern zu verlangen, bei der er das Bild des Hirten benutzt: „boni pastoris esse tondere pecus, non deglubere.“161 Trotz dieser offiziellen Stellungnahme des Kaisers war gerade der Statthalter Syriens, P. Quintilius Varus, bekannt für seine sehr lukrativen Geschäfte in Palästina. Von ihm wurde gesagt, dass er als Armer in ein reiches Gebiet kam und als Reicher es arm verließ.162 Es ist klar, dass eine solche Verwaltung einen harten Widerstand hervorrief. Dieser Zusammenhang zwischen Macht und Steuer ist schon in Röm 13,1–6 offensichtlich dargelegt. Die Anerkennung der 1nous¸a des Staates impliziert die Bezahlung der Steuer: di± toOto c±q ja· vºqour teke?te (Röm 13,6). Umgekehrt impliziert die Bezahlung der Steuer die Anerkennung der Macht Roms. Paulus kann diese Position beziehen, weil für ihn die 1nous¸a heoO keine konkurrierende Größe zum Staat darstellt. Im Gegenteil ist nach dieser paulinischen Auffassung der Staat nichts anderes als eine Konkretion der Ordnung Gottes, so dass ein Widerstand gegen die Macht des Staates ein Widerstand gegen Gottes Ordnung ist. Es ist nicht klar, inwieweit die Auffassung des Paulus die mehrheitliche Position der Christen in der Zeit vor dem jüdischen Krieg repräsentiert. Die apokalyptische Dämonisierung des Staates und der Macht und die Erstellung eines parallelen Systems, einer Art Reich Christi,163 begleitet die Debatte in der christlichen Kirche des ersten und des zweiten Jahrhunderts. Gerade der Gehorsam gegenüber Gott und Gottes Herrschaft war der Punkt, auf den sich die Position der jüdischen Widerstandsbewegung konzentrierte. Bei der Vermögensschätzung unter P. Sulpicius Quirinius, der in der Provinz Syrien den Census einführte, entstand die erste Form von Protest des Judas Galilaios. Er forderte das Volk auf, sich gegen die Steuer aufzulehnen: jaj¸fym eQ vºqom te gQyla¸oir teke?m rpolemoOsim ja· let± t¹m he¹m oUsousi hmgto»r despºtar164
Die theologische Aussage ist eindeutig. Die Bezahlung eines Tributs bedeutet die Anerkennung der Macht der Römer, der sterblichen Herrscher, neben der 161 Suet. Tib. 3,32: „Die Aufgabe des guten Hirten ist das Schaf zu scheren, nicht ihm die Haut abzuziehen“. Der gleiche Gedanke findet sich bei Philo leg. 7,44 und opif. 28,85–86. 162 Velleius Paterculus berichtet seine eigene Meinung zu diesem Punkt, hist. rom. 2,117,2: „Syria cui praefuerat, declaravit, quam pauper divitem ingressus dives pauperam reliquit“. 163 Wichtig dazu ist die Untersuchung von E. Faust, Pax Christi und Pax Caesaris, 354–435. Ein Signal für die Herstellung eines Konkurrenzbildes zu der kaiserlichen Macht ist die kosmischen Dimension des Leibes Christi im Kolosser- und Epheserbriefes. Dieser Punkt ist Teil meiner Untersuchung zum Leib Christi in der nachpaulinischen Literatur vgl. L. Scornaienchi, Sarx und Soma bei Paulus, 220–227. 164 Jos. B.J. 2,118: „indem er es für schmachvoll erklärte, wenn sie noch fernerhin Abgaben an die Römer entrichten und außer den Gott auch sterbliche Menschen als ihre Gebieter anerkennen würden“. (Übers. H. Clementz, S. 142). Weiterhin beschreibt Josephus wieder Judas Galilaios an der Stelle, in der er von seinem Sohn berichtet, wie folgt: pot³ ûIouda¸our ameid¸sar fti gQyla¸oir rpet²ssomto let± t¹m heºm.
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Herrschaft Gottes. Der Ausdruck let± t¹m heºm impliziert zwar eine Überlegenheit Gottes, er betont aber gleichzeitig, dass Gott nicht der einzige Herrscher ist. Wesentlich für diese theologische Beurteilung des Tributs ist daher das Verhältnis zwischen Gott und den sterblichen Herrschern, ein Verhältnis, das in den Jerusalemer Streitgesprächen nicht thematisiert wird. Nach M. Hengel hat die Verkündigung des Judas Galilaios einen eschatologischen Akzent. Die Frage nach dem Tribut sei eine endzeitliche Prüfung für das Volk, um die wahren Israeliten zu finden. Dieser Gedanken des erwählten Rests ist für die jüdischen Gruppierungen, durch die prophetischen Schriften unterstützt, auch später von großer Bedeutung.165 Diese revolutionären Bewegungen, die messianischen Zeichenpropheten einerseits und die Führer der antirömischen Widerstandsbewegung andererseits, bilden den Hintergrund, um die Konturen der Gestalt Jesu zu klären. Die Frage nach dem Tribut an den Kaiser ist eine sensible Frage, um die politische Position Jesu einzuschätzen. Die Implikationen der Debatte über die Bezahlung der Steuer in Palästina sind daher klar. Umstritten ist aber die Funktion dieser Perikope in der JesusÜberlieferung und im Markusevangelium. Zwei mögliche Ansätze werden vorgeschlagen. Zum einen liegt nach manchen Autoren die Position Jesu näher an der Position der Zeloten.166 Die Antwort Jesu wollte demnach die Macht Gottes als die einzige behaupten, denn Gott gehört alles, was existiert. Die Antwort Jesu sei deshalb ironisch. Diese Position ist dadurch widerlegbar, dass der Antwort Jesu gerade die Radikalität der Zeloten fehlt, die nicht gleichzeitig Gehorsam gegen Gott und gegen den Kaiser empfehlen würden. Andere Autoren sehen deshalb in der Erwähnung der zwei Sphären, Gott und Kaiser, einen ersten Ansatz der Zwei-Reiche-Lehre.167 Auch diese Hypothese scheint mir unzureichend, weil das Apophthegma zu wenig ist, um eine ,Lehre‘ 165 M. Hengel, Die Zeloten, 145. 166 Die These einer antirömischen Implikation in der Antwort Jesu wird von einigen Autoren betont. Horsley, Jesus, 316: „This suggests that the people would almost certainly have understood that since Caesar really has no legitimate claims anyhow, nothing need be rendered. All belongs to God“. Horsley, Jesus and Empire, 99: „Jesus does not directly answer ,It is not lawful‘ to the question about the tribute. But his declaration would have been understood in just that way by every Israelite listening, including the Pharisees. He takes the same stand as the earlier Fourth Philosophy.“ Diese Position findet sich auch bei Brandon, Jesus and the Zelots, 347, nach dem jeder Zelot der Aussage Jesu zustimmen würde. Die Tatsache aber, dass Jesus die beiden Bereiche (Gott – Reich) nicht in Konkurrenz miteinander sieht, ist ein Argument, das gegen eine antirömische Zuspitzung seines Urteils spricht. 167 Eine klare Formulierung dieser Lehre findet sich in E. Stauffer, Christus und die Caesaren, 146: „Das Imperium Caesaris ist der Weg, das Imperium Dei ist das Ziel der Geschichte (…) Jesus spreche „von der doppelten Gehorsamspflicht gegen den Weg und das Ziel der Geschichte“. Vgl. auch die Diskussion über die Interpretation dieser Stelle bei C.H. Giblin, „The things of God“, 510–515. Ein weiterer Hinweis ist bei Mundla, Jesus und die Führer seines Volkes, 51–53. Eine kritische Sicht der Theorie einer Zwei-Reiche-Lehre, die sich auf den Spruch Jesu stützt, vertritt G. Bornkamm, Jesus, 113. Diese Lehre, die nach Bornkamm die Eigengesetzlichkeit des Staates behauptet und das Gottesreich als eine Art civitas platonica betrachtet, „hat kein Recht, sich auf Jesus zu berufen“.
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zu formulieren. Plausibel aber scheint mir die Annahme, dass der Spruch Jesu ein integratives Modell sucht, das die Radikalität der jüdischen Revolutionäre überwinden soll. Crossan erinnert allerdings an die dialektische Formulierung des Spruches Jesu, die im Grunde offen bleibt. Er beendet seinen kurzen Aufsatz über Mk 12,13–17 mit den Worten: …it neither confirmed nor denied the right of imperial taxation. It neither confirmed nor denied the division of the world between twin and independent powers. (…) Dialectic is not aphorism, and double dialectic is not isolated aphorism.
Das zeigt die Wirkung in der Perikope selbst und vor allem die spätere Anwendung des Spruchs durch Justin in seiner ersten Apologie. Es scheint mir wichtig zu betonen, dass die Perikope nicht primär die Position der Christen klären muss. Sie klärt die Position Jesu, und vor allem die unbegründeten Vorwürfe gegen ihn.168 Die christliche Gemeinde kann daher aus dieser Aussage Jesu keine politische Lehre entwickeln, sie kann aber damit in ihrer Umgebung geltend machen, dass Jesus keine radikale antirömische Position vertreten hat.169 4.4 Die Lösung eines Dilemmas Im Mittelpunkt dieser Perikope steht die Formulierung eines Dilemmas, das Jesus in die Falle locken soll. Zu Recht gibt Gundry dieser Perikope den Titel: „Jesus’ marvelous escape from the horns of a dilemma.“170 Die Definition dieser Frage als ein Dilemma wird außer bei Gundry in der modernen Exegese wenig beachtet. In seiner Monographie zur Funktion des Dilemmas in der Rhetorik und in der Logik hebt G. Nuchelmans die Präsenz einiger dilemmatischer Argumente in den Debatten Jesu hervor, die entweder Jesus selbst verwendet (Mk 11,30; Mk 3,4) oder die seine Gesprächspartner gegen ihn wenden (Mk 10,2 und Mk 12,13).171 Die Kirchenväter haben diesen Aspekt klar gesehen: Hieronymus nennt in seinem Matthäuskommentar die Frage der 168 Iust. apol. 1,17,1–3. Justin unterstützt mit der Perikope die Loyalität der Christen gegenüber dem Staat. Eine entgegengesetzte Position vertritt Tertullian, die die Priorität des Gehorsams gegenüber Gott betont. Tert. adv. marc. 4,38,3; idol. 15: Das Bild Gottes, das dem Menschen aufgeprägt ist, ist wichtiger als das Bild des Kaisers auf der Münze. Diese entgegengesetzte Auslegung zeigt den offenen Charakter des Spruchs Jesu. 169 D. Lührmann, Das Markusevangelium, 202, betont die Loyalität der Christen gegenüber dem Staat; J. Marcus, Mark II, 826, betont die Suche nach einer Mitte zwischen Revolution und Anbetung des Kaisers. 170 R.H. Gundry, Mark, 692. 171 G. Nuchelmans, Dilemmatic Arguments, 33: „Some striking examples of this aspect of dilemmatic arguments occur in the New Testament. Jesus himself is reported to have occasionally asked the sort of question that rhetoricians regarded as the starting-point of a dilemmatic schema“. G. Kalivoda/H. Peters, Art. Dilemma, 753, definieren die Frage nach der Taufe des Johannes ebenfalls als ein Dilemma.
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Pharisäer in Mt 19,3 einen „syllogismus cornuatus“ – im Lateinischen ein Begriff für Dilemma.172. Die Entscheidungsfrage stellt tatsächlich Jesus vor ein Dilemma. Wenn er für die Bezahlung der Steuer plädiert hätte, wäre er als ein Kollaborateur der Römer gebrandmarkt worden und hätte sein Ansehen, seine auctoritas, bei der Bevölkerung verloren.173 Eine Entscheidung gegen die Bezahlung der Steuer hätte hingegen den Gegnern den Anlass gegeben, ihn bei den politischen Institutionen als Anstifter oder Anhänger der Widerstandsbewegung zu denunzieren. Beide Optionen (eine Bejahung und eine Verneinung der Frage) wären Jesus zum Verhängnis geworden. Die Ausweglosigkeit der Frage verbindet dieses Streitgespräch mit dem vorherigen, bei dem Jesus der Frage nach der Autorität ausweichen kann, indem er unerwartet die Gegenfrage nach der Taufe des Johannes stellt, ob sie „vom Himmel“ oder „von den Menschen“ (Mk 11,30) sei. Die Überlegungen seiner Gegner über diese disjunktive Proposition mit zwei Antezedentien: e!m eUpylem 1n oqqamoO (Mk 12,31b), !kk± eUpylem 1n !mhq¾pym (Mk 12,32a) stellen eindeutig die beiden Hörner eines Dilemmas dar. Die Gegner können das Dilemma nicht lösen und müssen sich für eine 1pow¶, eine Zurückhaltung des Urteils, entscheiden. Damit aber verpassen sie die Gelegenheit, Jesus bei einer so kontroversen Frage wie der nach seiner Autorisierung in eine schwierige Position zu bringen. Er kann sich in der Konfrontation siegreich behaupten. Jesus hatte schon einmal, bei der Diskussion über die Heiligung des Sabbats in Mk 3,4, durch ein Dilemma in Form einer rhetorischen Frage den Sieg davon getragen. In Mk 12,13–17 versuchen die Gegner Jesu, das gleiche rhetorische Mittel des Dilemmas anzuwenden. Es ist deshalb nötig, diese dilemmatische Argumentationsweise aus einer logisch-rhetorischen Perspektive zu vertiefen. Das Wort Dilemma (griech. d¸kglla bzw. dik¶llatom „doppelte Annahme“) bezeichnet „eine Schlußart, durch welche der Gegner von zwei Seiten, er mag stimmen oder nicht, gefangen wird“.174 Der Autor der Rhetorica ad Herennium spricht von „duplex conclusio“, was den griechischen Terminus wörtlich übersetzt.175 In den lateinischen Rhetorikbüchern werden allerdings verschiedene Termini benutzt, um ein Dilemma zu benennen. Quintilian spricht eher von der „divisio“,176 Cicero von „complexio“177. Servius ver-
172 Hier. in Mattheum. 3,19,1–3. 173 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 18, erklärt dazu: „Die Macht Jesu über die Gemüter erhellt aus dem Versuch, durch die Kaisersteuerfrage ihn vor den Augen des Volkes zu diskreditieren.“ 174 Pape Wb, 546. 175 Her. 2,24,38: „Utuntur igitur studiosei in confirmanda ratione duplici conclusione in hoc modo.“ „Die Rhetorikstudenten benutzten das Dilemma um die Begrundung zu bestätigen, wie folgt.“ Der Autor zitiert das Dilemma von Chrespontes. 176 Quint. inst. or. 5,10,69. 177 Cic. inv. 1,45.
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wendet in seinem Aeneis-Kommentar den Terminus „dilemma argumentum“ und gibt folgende Definition: dilemma argumentum, quod est ab utraque parte firmissimum et concludit adversarium.178
Technisch gesehen besteht ein Dilemma aus einer Hauptprämisse, einer disjunktive Proposition (entweder p oder nicht-p) und aus zwei Antezedentien, zwei konditionalen Propositionen, die die gleiche Folge (wenn p, dann q; wenn nicht-p, dann q) oder eine unterschiedliche Folge (wenn p, dann q; wenn nicht-p, dann r) haben können.179 Das Dilemma, vor das Jesus die Gegner in Mk 11,30 stellt, gehört dem zweiten Typus an. Die beiden Antezedentien haben zwei unterschiedliche Folgen, die aber für Jesu Gesprächspartner beide schädlich sein können. Bei der Frage nach dem Tribut gibt es ebenfalls ein komplexes Dilemma, dessen „Hörner“ nicht die gleichen Folgen haben, aber Jesus gleichmäßig schaden können. Die beiden Folgen müssen immer unvermittelbar und konträr sein: „In this way the respondent, willing or unwilling, is obliged to answer one of them and the person who asked the question is always prepared to react to either answer“.180 Nach I. Copi ist das Dilemma „perhaps the most powerful instrument of persuasion even devised. It is a devastating weapon in controversy.181 Wegen seiner unlösbaren Ambiguität bezeichnet man das Dilemma als „gehörnten Schluss“ (syllogismus cornutus). Aulus Gellius gibt in seinem Werk Noctes atticae einige Beispiele von Dilemmata,182 von denen der Streit zwischen Protagoras und seinem Schüler Euathlos um die Bezahlung des Unterrichts das bekannteste ist. Der Abmachung nach hätte der Schüler Protagoras bezahlen müssen, sobald er eine Gerichtssache gewonnen hatte. Da Protagoras sein Geld nicht bekommen hat, bringt er seinen Schüler vor Gericht. Protagoras gebraucht vor den Richtern 178 Ser. Aen. 10,449: „Das Dilemma ist ein Argument, das von beiden Seiten sehr solide ist und den Gegner widerlegt.“ Eine weitere ähnliche Definition gibt der gleiche Autor in Aen. 2,675: „si periturus abis argumentum dilemma, id est conplexio, quae adversarium ab utraque parte concludit.“ 179 L. Calboli Montefusco, Rhetorical Use of Dilemmatic Arguments, 367, definiert das erste Beispiel als „einfaches konstruktives Dilemma“ (simplex constructive dilemma) und das zweite Beispiel als „komplexes konstruktives Dilemma“ (complex constructive dilemma). G. Kalivoda/H. Peters, Art. Dilemma, 753, geben folgende Definition: „Unter D. versteht man in der Logik einen Syllogismus mit hypothetischem Obersatz, disjunktivem Untersatz und einfachem oder disjunktivem Schlußsatz.“ 180 Ebd. 181 I. Copi, Introduction to Logic, 268. 182 Ein Dilemma ist das von Bias, der nicht entscheiden kann, ob er eine schöne oder eine hässliche Frau heiraten soll. Das Dilemma zitiert Gellius N.A. 5,10,2–4 auf Griechisch in seinem Text. Wenn er eine schöne Frau heiratet, ist sie für alle, wenn sie eine Hässliche heiratet, wird sie ihm eine Last. Das Dilemma ruht auf den Wortspiel joim¶ (gemeinsam, für alle) / poim¶ (Last), das nicht ins Lateinische übersetzt werden kann.
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ein dilemmatisches Argument, um in jedem Fall sein Honorar von dem Schüler zu erhalten. Protagoras’ Dilemma – entweder gewinnt Euathlos die Gerichtssache oder nicht – lautet: Wenn er gewinnt, muss er ihn bezahlen, wenn er nicht gewinnt, werden die Richter ihn zwingen zu bezahlen. Seinerseits führt Euathlos ebenfalls als Argument ein Dilemma mit der gleichen Technik ein, um seine Position zu rechtfertigen und Protagoras nicht zu bezahlen. Die Hauptprämisse ist die gleiche: Euathlos gewinnt die Gerichtssache oder gewinnt sie nicht. Wenn er gewinnt, bezahlt er nicht, weil der Richter so entschieden hat, wenn er nicht gewinnt, muss er nicht bezahlen, weil so die Abmachung mit Protagoras war.183 Die beiden Auffassungen bringen den Richter so durcheinander, dass er die Gerichtssache suspendiert und damit den Sieg des Schülers gegen den Meister beschließt. Das Dilemma basiert aber auf einem Trick, nämlich der Vermischung der Gerichtssache des Euathlos und der weiteren Gerichtssache des Protagoras gegen seinen Schüler. Da das Dilemma bei den Auseinandersetzungen eine große Wirkung haben kann, entwickelt man Methoden, wie man es neutralisiert. Man kann die Argumente eines Dilemmas nach drei Methoden widerlegen: 1. indem man zeigt, dass die Alternative der Hauptprämisse kein Entweder-Oder darstellt (durch die Hörner des Dilemmas gehen); 2. indem man zeigt, dass einer der Antezedentien falsch ist (die Hörner des Dilemmas anfassen). Im diesem Fall basieren beide auf falschen Antezedentien (die erste bei Protagoras und die zweite bei Euathlos), weil beiden die aktuelle Gerichtssache mit der Gerichtssache der Abmachung durcheinanderbringen. Daher sind die Antezedentien nicht konträr, weil sie auf zwei verschiedenen Sachen basieren, Bezahlung ex sententia und ex pacto bzw. Nicht-Bezahlung ex sententia und ex pacto;184 3. ein alternatives Dilemmas vorschlagen.185 183 Die beiden Beispiele der Anwendung eines Dilemma in einer Gerichtssache zitiert A. Gellius in N.A. 5,10,9–10 das erste: „Disce, inquit stultissime adulescens, utroque id modo fore, uti reddas, quod peto, sive contra te pronuntiatum erit sive pro te. Nam si contra te lis data erit, merces mihi ex sententia debebitur, quia ego vicero; sin vero secundum te iudica – tum erit, merces mihi ex pacto debebitur, quia tu viceris.“ In N.A. 5,10,13–14 bringt er das zweite Dilemma: „Disce igitur tu quoque, magister sapientissime, utroque modo fore, uti non reddam, quod petis, siue contra me pronuntiatum fuerit sive pro me. Nam si iudices pro causa mea senserint, nihil tibi ex sententia debebitur, quia ego vicero; sin contra me pronuntiauerint, nihil tibi ex pacto debebo, quia non vicero.“ Was in diesem Beispiel beeindruckend ist, ist die Parallelität der Argumentation und die entgegengesetzte Schlussfolgerung. Das zeigt m. E., dass das Dilemma in der sophistischen Anwendung der Logik zu Hause war. Hier wird der Meister Protagoras von einem Schüler besiegt, der seine Kunst noch besser anwenden kann. Der Schüler braucht nicht den Meister zu beleidigen (stultissime adulescens wurde er von ihm angesprochen), sondern er lobt ihn (magister sapientissime). Gellius kommentiert daher wie folgt den Sieg des Schülers: „Sic ab adulescente discipulo magister eloquentiae inclutus suo sibi argumento confutatus est et captionis versute excogitatae frustratus fuit.“ (5,10,16). 184 L. Calboli Montefusco, Rhetorical use of Dilemmatic Arguments, 379, zeigt, wie die beiden Streitenden das Dilemma künstlich für ihre Zweck gebildet haben. Die beiden Gerichtssachen haben als Folge eine Bezahlung ex sententia/ex pacto und eine Nicht-Bezahlung ex sententia/ex
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Die Diskussion dieser dilemmatischen Argumente ist ein oft debattiertes Thema in der Rhetorik. Cicero diskutiert in de inventione den folgenden Fall: Nam si veretur, quid eum accuses, qui est probus? Sin inverecundum animi ingenium possidet, quid autem accuses, qui id parvi auditum aestimet.186
Cicero schlägt vor, die Antezedentien nachzuprüfen. Wenn es um Achtung geht, dann kann man dem Schluss zustimmen, aber wenn es um Anklagen geht, muss man ihn auf jeden Fall doch anklagen: „Immo vero accusandus est“.187 Die Methode der „conversio“ schwächt zuerst einen Teil und widerlegt dann die Argumentation, mit der der Mann angeklagt wird. Die Anklage wird ihn zum Schluss verbessern, wenn er Achtung empfindet. Der Autor der Rhetorica ad Herenniun diskutiert ein ähnliches Beispiel: Iniuria abs te adficior indegna pater, nam si inprobum esse Chrespontum existimas, cur me huic locabam nuptiis? Sin est probus, cur talem invitam invitum cogis linquere.188
Er schlägt zwei Methoden vor, die Dilemmata zu widerlegen, zum einem: ex contrario convertentur, zum anderen ex simplici reprendehentur. Die erste Methode soll die Annahme in das Gegenteil verkehren. Im zitierten Dilemma solle man behaupten, dass der Vater keinen Schaden für die Tochter bewirken will; wenn Chrespontes aufrichtig ist, will er ihn der Tochter zum Mann geben, sonst wird er sie mit der Scheidung befreien.189 Die zweite Methode besteht in
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pacto. „Since in each pair of consequents one of the opposites represents the positive consequence, the other the negative consequence, it is obvious that, when the argument is shaped in the form of dilemma, one of the speakers builds his two conditional disjuncts by choosing among the four possibilities the two contradictory alternatives that represent the negative consequences, whereas the other one chooses the two contradictory alternatives that represent the positive consequences:“ Ein weiterer Ansatz wäre möglich. Angenommen die Gerichtssache mit Protagoras wäre die erste Gerichtssache des Euathlos, und sie koinzidiert daher mit dem Pakt mit dem Protagoras. In diesem Fall hätte Euathlos noch nicht den Pakt gebrochen und sein Sieg wäre dann der erste Sieg, und die Richter würden beschließen, dass er den Protagoras nicht bezahlen muss, weil er die Sache gewonnen hat. I. Copi, Introduction to Logic, 269, betont die besonderen Namen, die die Situation des Dilemmas („impaled on the horns of a dilemma“ S. 268) und Lösungen haben. „They are all pictoresque, relating to the fact that a dilemma has two (or more) ,horns‘. The three way of defeating or refuting a dilemma are known as ,going (or escaping) between the horns‘, ,taking (or grasping) it by the horns‘ and ,rebutting it by means of a conterdilemma‘.“ Cic. inv. 1,83: „Denn wenn er Achtung empfindet, warum sollte man ihn anklagen, der doch anständig ist? Wenn er aber eine Gesinnung hat, die vor nichts Achtung empfindet, warum sollte man ihn anklagen, der wenig darauf gibt, wenn er davon hört?“ (Übers. T. Nüßlein, S. 131). Ibidem. Her. 2,24,38. Ibidem, die neue Formulierung nach der erste Methode lautet: „Nulla te indigna, nata, adficio iniuria. Si probus est, te locavi; sin inprobus, divortio te liberabo incommodis.“
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der Widerlegung eines der beiden Schlüsse. Man kann z. B. behaupten, dass die Meinung über Chrespontes sich in der Tat geändert hat.190 Hermogenes gibt eine ausführliche Definition von t¹ dikgll²tom in seinem Werk De inventione und einige technische Bedingungen. 5sti d³ toioOtom ftam d¼o 1qyt¶seir 1qyt_mter t¹m !mt¸dijom pq¹r 2jat´qam ¨lem eQr k¼sim paqasjeuasl´moi191
Diese theoretischen Erkenntnisse über das Dilemma und über die Versuche, es zu widerlegen, sind hilfreich, um den Sinn der beiden Dilemmata im Markustext zu verstehen. Die erste dilemmatische Frage nach der Taufe des Johannes wird unlösbar wegen der widersprüchlichen Haltung der religiösen Autoritäten. Sie suchen die Gunst des Volkes, um ihre Macht zu behalten. Doch sie wollen die Meinung des Volkes nicht teilen und daher nicht zugeben, dass der Auftrag des Johannes von Gott gegeben war. Denn sie waren gegen Johannes feindlich gesinnt. Das Dilemma Jesu ist daher keine sophistische Erfindung, sondern zeigt die Realität seiner Gegner. Da das Dilemma im inneren Widerspruch der Gegner Jesu verwurzelt ist, impliziert seine Widerlegung keinen logischen Vorgang, sondern eine Umkehr im Leben seiner Gesprächspartner. Die „Hörner“ des zweiten Dilemmas über die Bezahlung der Steuer kann Jesus sehr geschickt durch seine Antwort vermeiden. Einerseits versteht er das Bezahlen als eine Rückgabe an den Kaiser entsprechend dem Bild und der Aufschrift auf dem Denar, andererseits erinnert er seine Gegner an das, was Gott gehört. Man kann diese Antwort fast als eine dilemmatische Antwort bezeichnen. Jesus scheint für das Bezahlen der Steuer zu stimmen, aber es bleibt offen, was konkret t± toO heoO bedeutet. Spielt diese zweite Aussage die Rolle eines Korrektivs für das Befürworten der Bezahlung, die als Rückgabe verstanden wird? Die Versuche, die Antwort Jesu in einer Lehre von den zwei Reichen oder in einer kritischen Aussage gegen die römische Macht zu verdeutlichen, müssen scheitern. Jesus kann mit seiner Antwort den unangenehmen Druck des Dilemmas vermeiden, dessen Extreme die Vorwürfe sind, er vertrete eine rebellische Meinung gegen die Steuer oder eine schmeichelhafte Position für die fremden Besetzer. Die Antwort Jesu zeigt, dass die Bezahlung der Steuer nicht unbedingt die Herrschaft Gottes in Frage stellt, wie die rebellischen Bewegungen behaupten. Jesus kann sich von den zelotischen Meinungen distanzieren, ohne einer uneingeschränkten Loyalität für das römische System das Wort zu reden. Das ist das Maß seiner Autorität.
190 Her. 2,38,24: „Duxi probum erravi. Post cognovi, et fugio cognitum“. 191 Herm. inv. 4,6: „Dies kommt zu Stande, wenn wir dem Gegner zwei entgegengesetzte Fragen stellen und bereit sind, beide zu lösen“. Hermogenes betont die Notwendigkeit, dass die Fragen wirklich in Widerspruch zu einander stehen, und warnt gleichzeitig vor der Anwendung solcher Fragen.
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Hermogenes warnt vor dem Dilemma und schreibt, man solle vorsichtig diese Form der Rede anwenden. Er fügt hinzu: eQ ja· !pojqimºlemºr se mij¶seim, 2aut` aUtior 1c´mou t/r Fttgr 192
„Wenn er aber antwortet und dich besiegt, wirst du der Grund deines eigenen Übels werden.“ Dass Jesus nicht nur dem Dilemma entgeht, sondern aktiv antwortet und gewinnt, zeigt seine außerordentliche Weisheit.
5. Die Auferstehung als Macht Gottes 5.1 Einführung Auf unerwartete Weise melden sich Vertreter einer weiteren jüdischen Gruppierung zu Wort, die Sadduzäer, die für ihre Negierung der Auferstehung bekannt waren.193 Die Szene des Paulus vor dem Sanhedrin in Jerusalem in Apg 23 bezeugt, dass das Thema der Auferstehung eine sehr umstrittene Frage bei den Jerusalemer Theologen war. Paulus war in der Episode geschickt genug, das Thema zu seinen Gunsten einfach anzusprechen und zu erwarten, dass ein Disput zwischen Pharisäern und Sadduzäern entstehen würde. Vieles spricht dafür, dass auch Jesus sich an dieser theologischen Debatte beteiligt hat. Eine theologische Diskussion allein ist noch kein Grund, eine Person zu beschuldigen, besonders wenn die Fronten von verschiedenen Gruppen gebildet werden. Die scheinbar harmlose Diskussion verbirgt aber eine unerwartete Falle für Jesus. Die Auferstehungslehre wurde unter anderem von den revolutionären Gruppierungen vertreten, um dem Martyrium mit Tapferkeit entgegenzutreten. Doch Jesus kann auch bei dieser Frage der Falle entgehen. Es ist bemerkenswert, dass die Gruppen, die mit Jesus debattieren, immer das Negative bei Jesus zu entdecken suchen. Die Sadduzäer hätten mit Jesus die Kritik an der Tradition der Pharisäer teilen können und hätten mindestens einen wichtigen Grund gehabt, um mit Jesus übereinzustimmen.194 Sie sind 192 Herm inv. 4,6,20–21. 193 Jos. A.J. 13,173 fasst ihre Lehre so zusammen: „tµm eRlaql´mgm !maiqoOsim oqd³m eWmai. In B.J. 2,165 ist die Information genauer: Die Sadduzäer negieren die Unsterblichkeit der Seele und die Strafe und die Belohnung im Hades: ja· jat± cm¾lgm 2j²stou to¼tym 2jat´q\ pqosi´mai xuw/r te tµm dialomµm ja· t±r jahû Ædou tilyq¸ar ja· til±r !maiqoOsim. Die Terminologie des Josephus basiert auf der Unsterblichkeit der Seele und nicht auf der Auferstehung. Es ist vielleicht ein Versuch, das Thema mit einer für Griechen verständlichen Konzeption zu erörtern. In Apg 23,8 ist die Terminologie deutlicher. Es wird gesagt, dass Sadduzäer keine Auferstehung, keine Engellehre und keinen Geist annehmen: Saddouja?oi l³m c±q k´cousim lµ eWmai !m²stasim l¶te %ccekom l¶te pmeOla, Vaqisa?oi d³ blokocoOsim t± !lvºteqa. 194 Vgl. G. Theißen, Sadduzäismus und Jesustradition. Zur Auseinandersetzung mit Oberschichtmentalität in der synoptischen Überlieferung, l11–131.
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aber wie die Pharisäer feindlich gesinnt und verfolgen ihre Absicht, Jesus als Gefahr zu eliminieren.
5.2 Der Text von Mk 12,18–27 Sadduzäer treten auf, um mit Jesus zu debattieren. Die redaktionelle Einfügung qualifiziert sie als oVtimer k´cousim !m²stasim lµ eWmai, eine wichtige Information für nicht jüdisch sozialisierte Leser.195 Die Frage, die sie Jesus stellen, betrifft gerade dieses Thema, sie wird aber indirekt auf der Basis eines Zitats formuliert, nämlich durch eine Zusammenstellung von Dtn 25,5 und Gen 38,8, Texstellen, die das Leviratgesetz behandeln. Das Leviratsgesetz schreibt vor, dass ein Mann die kinderlose Frau seines verstorbenen Bruders heiraten soll, damit dem Bruder ein Nachkomme erweckt werde. In Gen 38,8 erscheint das Verb !m¸stgli (in Mk 12,19 1nam¸stgli), das das hebräische ~Wq übersetzt und die Bedeutung von „(Nachkommen) erwecken lassen“ hat. Dieser Gebrauch des Verbs enthält eine erste polemische Zuspitzung zum Thema !m²stasir. Dieses Gesetz, die das „Erwecken“ eines Nachkommens als Ziel hat, bildet die Grundlage für das Rätsel, das die Sadduzäer Jesus vorlegen.196 Ihre Geschichte handelt von einem fiktiven Fall von sieben Brüdern, die nacheinander die gleiche Frau heiraten, wie das Gesetz vorschreibt. Die ironische Pointe: Es kommt kein Nachkomme aus den sieben Brüdern, aber die spitzfindige Frage ist: Was wird bei der Auferstehung aus dieser komplizierten Familienkonstellation, auf die die Geschichte abzielt: 1m t0 !mast²sei [ftam !mast_sim] t¸mor aqt_m 5stai cum¶. Mk 12,23 hat die Funktion, die Vorstellung der Auferstehung als absurd darzustellen. Das Rätsel basiert gerade darauf, dass die komplizierten Beziehungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Erzählung ist in einer Klammer enthalten, die von V. 20: 2pt± !dekvo· Gsam („es waren sieben Brüder“) und V. 23: oR c±q 2pt± 5swom aqtµm cuma?ja („denn die sieben (Brüder) hatten sie als Frau“) gebildet wird.197 Die Antwort Jesu in V. 24–27 ist auch in eine Klammer eingeschlossen, gebildet von dem Verb pkam²y in 12,24: oq di± toOto pkam÷she, und in 12,27: pok» pkam÷she, und erfolgt in zwei Teilen. In v. 25 erwidert Jesus den Sad195 M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 46, bemerkt die Bedeutung dieses Kommentars für das Verständnis der Perikope, allerdings ist sie für ihn ein Bestandteil des Paradigmas. 196 J.G. Janzen, Resurrection and Hermeneutics, 48, betont die ironische Fundierung des Rätsels. Das sei der Duktus der Argumentation der Sadduzäer. Wenn das Leviratsgesetz, das von Gott kommt, nicht in der Lage ist, Kinder für einen Toten zu erwecken, wie kann dann ein verstorbener Mann auferstehen, wenn die Tora so etwas gar nicht vorgesehen hat. Vgl. zu diesem Punkt B.R. Trick, Death, Covenants and the Proof of Resurrection in Mark 12,18–27, 238: „ 1) If the natural „raising up“ of childbirth has failed, how much more so will the more difficult „raising up“ of resurrection, and 2) if the means for „raising up“ provided by the Torah have failed, how much more so will a „raising up“ that is not ordained by Torah.“ 197 J.P. Meier, A Marginal Jew III, 417–418.
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duzäern, dass sie mit ihrer radikalen Negierung der Auferstehung und mit ihrer vom Tod bestimmten Vorstellung der menschlichen Existenz zeigen, dass sie die Schrift nicht kennen und vor allem die Macht Gottes negieren. Er löst die Rätselfrage so, dass die Auferstehung keine „restitutio“ irdischer Existenz ist, sondern sie liegt auf einer qualitativ höheren Stufe, die die Macht Gottes schafft. Die Auferweckten sind wie Engel und brauchen nicht mehr zu heiraten. Der zweite Teil der Antwort betrifft das „Dass“ der Auferstehung, das in der Schrift durch den Ausdruck b he¹r ûAbqa±l ja· [b] he¹r ûIsa±j ja· [b] he¹r ûIaj¾b in Ex 3,6 bestätigt wird.198 Die exegetische Diskussion über diese Perikope betrifft vor allem ihre Einheitlichkeit und ihre Einbettung in das Leben der Gemeinde. Lohmeyer sieht den einheitlichen Charakter in der Antwort Jesu, die im Mittelpunkt die Schrift und die Macht Gottes hat. Er fasst das Argument Jesu so zusammen: „Weil die Sadduzäer die ,Macht Gottes‘ verkennen, wissen sie nichts über die Art der Auferstehung“ (V. 25); „weil sie die Schriften verkennen, leugnen sie die Tatsache der Auferstehung (26. 27)“.199 Die Perikope ist nach Lohmeyer „ein ausgezeichnetes Beispiel des Rabbinertumes Jesu“.200 Bultmann versteht die Antwort Jesu in Mk 12,26–27 als eine Anfügung aus einer weiteren Debatte. Es ist nach seiner Meinung unwahrscheinlich, dass die Sadduzäer die Christen zur Frage der Auferstehung angegriffen haben. Die Christen haben sich mit den Sadduzäern nach Bultmann auseinandergesetzt, weil sie in dieser Gruppe die Repräsentanten der Priesterpartei sahen.201 Die These einer Einfügung von 12,26–27 in das ursprüngliche Streitgespräch vertritt auch W. Weiß. Die traditionsgeschichtliche Unterscheidung beruht nach Weiß darauf, dass Mk 12,26–27, um die Auferstehung zu benennen, das Verb 1ce¸qeim benutzt und nicht das Substantiv !m²stasir oder das Verb !mast/mai.202 C. Breytenbach hebt hingegen die Einheitlichkeit der Argumentation in der Antwort Jesu hervor. Mk 12,27a sei „Angelpunkt der Argumentation“.203 Moses, den die Sadduzäer für ihre Argumentation in der Ausgangsfrage zitieren, sei wieder ins Spiel gebracht, diesmal um die Auferstehung zu stützen. Breytenbach betont die aktive Rolle des Markus in der Verfassung der Perikope. Die Reihenfolge zweier alttestamentlicher Zitate, die das Leviratsgesetz 198 J.P. Meier, A Marginal Jew III, 418: „As the Sadducees based their argument against the resurrection on their revelation of God’s will in the Mosaic Torah (Deut 25:5, cited in v 19), so Jesus bases his argument for the resurrection on the revelation of God’s will in the Mosaic Torah, specifically in his revelation on his identity to Moses in the burning bush (Ex 3,6 cited in v 26)“. 199 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 256. 200 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 257. 201 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 25: „Andererseits ist nicht wahrscheinlich, daß die Sadduzäer gerade den Auferstehungsglauben der Gemeinde als Angriffspunkt gewählt haben sollten.“ 202 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 235: „Diese Differenz schließt eine traditionsgeschichtlichen Einheit von V 25 und V 26 aus.“ 203 C. Breytenbach, Die Vorschriften des Moses im Markusevangelium, 42.
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erklären und die Argumentation der Sadduzäer für die Leser verständlich machen, sei typisch für die Anwendung des Alten Testaments bei Markus wie die Betonung der Autorschaft des Moses. Die Leistung des Markus sei viel bedeutender als eine einfache redaktionelle Einrahmung, doch muss Breytenbach annehmen, dass diese Debatte auf eine mündlich tradierte historische Debatte Jesu zurückgeht, was unwahrscheinlich scheint: „Es ist vorstellbar, dass der zweite Evangelist die Perikope aus einer bekannten Auseinandersetzung mit den Sadduzäern über die Auferstehung schuf.“ In diesen exegetischen Untersuchungen bleibt jedenfalls offen, woher diese Perikope stammt, und vor allem, welche Funktion sie hat, wenn die Jesus zugeschriebenen Worte nicht aus der Auseinandersetzung der Gemeinde mit den Sadduzäern stammen. Eine Debatte der Gemeinde hätte sicherlich eine christologische Bedeutung gehabt, die in dieser Perikope völlig fehlt. Wie bei den anderen Streitgesprächen so ist auch bei diesem die Leistung des Markus von entscheidender Bedeutung. Die Perikope sollte erneut als Bestandteil der markinischen Apologie interpretiert werden. Jeder Versuch, sie als theologische Erörterung über die Auferstehung oder als Auseinandersetzung der Gemeinde zu verstehen, erweist sich als wenig plausibel. 5.3 Die Auferstehung als Streitthema Die Diskussion über die Auferstehung beschäftigt die christlichen Gemeinden von Anfang an, wie bereits in 1Kor 15 zu sehen ist. Das Thema in Mk 12,24–27 hat aber keine christologischen Akzente wie im paulinischen Text, sondern wird als ein innerjüdischer Streit präsentiert, bei dem die alttestamentlichen Texte für oder gegen diesen Punkt stehen. Diese Debatte über die Auferstehung basiert auf einer eingegrenzten textuellen Grundlage, dem Pentateuch, und nicht z. B. auf den Prophetenbüchern (Jesajabuch und Danielbuch204), bei denen das Thema der Auferstehung klar zum Ausdruck kommt. Wenn man nur Texte aus den Büchern Moses benutzt, ist es viel schwieriger, für die umstrittene Auferstehung zu argumentieren. Der markinische Jesus scheint das besondere theologische Profil der Sadduzäer, ihre konservative und schrifttreue Haltung im Vergleich zu anderen jüdischen Gruppierungen, zu berücksichtigen, wie wir aus seiner Argumentationsweise feststellen können. Die These, dass diese Perikope als Lehrstück in der Gemeinde benutzt wurde, ist unwahrscheinlich, weil die christlichen Gemeinden die Auferstehung nicht auf der Basis einer allgemeinen religiösen Vorstellung gelehrt haben, sondern als Ausweitung der Auferstehung Jesu Christi für alle Gläubigen. Das Markusevangelium hat an einer Stelle einen sehr zentralen Hinweis auf die Auferstehung, eine Art proleptische Darstellung der Auferstehung Jesu, nämlich Mk 9,9. Nach der Verklärungsgeschichte verbietet Jesus seinen Jüngern, dieses 204 Dan 12,2 und Jes 26,19. Vgl. B. Schmitz, Auferstehung und Epiphanie, 105–106.
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Geschehen weiter zu verkünden, „ehe nicht der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“.205 In Mk 12,18–27 fehlt nicht nur der direkte Bezug auf die Auferstehung Jesu, sondern auch jede indirekte christologische Aussage, wie sie bei den Menschensohnworten oder bei der Frage der 1nous¸a zu beobachten ist. Das Subjekt ist nur Gott, und die Perspektive ist das Buch Mose. Ein weiteres Element, das gegen die theologische Erörterung dieses Themas in einer innerchristlichen Debatte oder in der Debatte der Kirche mit dem Judentum spricht, ist das Fehlen jeder eschatologischen Dimension, die für die Auferstehung in der christlichen Theologie von unerlässlicher Bedeutung ist.206 Die Annahme, nach der die Perikope ein Beispiel für die Lehrtätigkeit Jesu und seine Gewandtheit ist, schwierige Rätsel oder sogar Dilemmata zu lösen, scheint mir korrekt. Es lohnt sich aber, eine weitere Frage zu stellen, nämlich was sich in dieser Frage verbirgt und, noch konkreter, worin die Falle der Sadduzäer gegen Jesus besteht. Eine versucherische Intention der Sadduzäer kommt allerdings anders als bei den anderen Streitgesprächen in der Einleitung der Perikope nicht zum Ausdruck. Man könnte darüber hinaus vermuten, dass die Sadduzäer eine Lehrfrage ohne jede feindliche Intention stellen wollten. Aber die Tatsache, dass sie Jesus ein Rätsel und keine einfache Lehrfrage stellen, lässt vermuten, dass sie auch hier eine feindliche Absicht verfolgten. Der ganze Kontext der Streitgespräche impliziert zudem eine versucherische Intention. Selbst wenn eine Frage keine negative Absicht hat, bekommt sie durch den Zusammenhang eine besondere Prägung. Die nächste Perikope über das größte Gebot präsentiert zwar die Lehrfrage eines freundlich gesinnten Schriftgelehrten, sie gilt allerdings im Zusammenhang der Streitgespräche als der endgültigen Sieg Jesu, der sogar von seinen Gegnern gelobt wird.207 Um den Charakter der Sadduzäerfrage beurteilen zu können, ist es notwendig, die traditionsgeschichtlichen Hintergründe dieses Rätsels zu beschreiben. B.G. Bolt analysiert die zwei möglichen Traditionen, die in der Frage angedeutet werden: das Märtyrertum der sieben Brüder im 2. Makkabäerbuch und die Geschichte der sieben Ehemänner von Sarah im Buch Tobit. Durch den Vergleich der beiden Texte kommt Bolt zu dem Schluss, dass die Vorlage für das Rätsel der Sadduzäer aus dem Buch Tobit genommen ist. Die Elemente, die für Tobit sprechen, seien die Thematik des Heiratens und der Kinderlosigkeit, vielleicht noch die Frage der Leviratsehe, die aber nicht direkt 205 Nach W. Wrede, Das Messiasgeheimnis, 40–41: Mk 9,9 zeige, dass das Messiasgeheimnis zur Auferstehung führt, wo sich die Offenbarung Christi vollendet. 206 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 257, betont zu Recht: „Wenn aber diese Debatte rein aus jüdischen Prämissen erklärlich wird und von dem Sinn des urchristlichen Auferstehungsgedanken nicht berührt ist, so wird es schwer, zu glauben, daß in ihr theologische Diskussionen der Urgemeinde wiedererscheinen.“ 207 Der Schluss der Perikope ja· oqde·r oqj´ti 1tºkla aqt¹m 1peqyt/sai zeigt, dass das freundliche Gespräch eine große Wirkung für den Sieg Jesu im Kontext der Streitgespräche hatte.
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erwähnt ist.208 Jedenfalls fehlt bei Tobit das Thema der Auferstehung, das im 2. Makkabäerbuch im Grunde zentral ist. Es reicht nicht zu sagen, wie Bolt tut, dass das Buch Tobit sich mit dem Thema des Kampfes zwischen Leben und Tod beschäftigt: „The book ist clearly concerned with the issue of bringing life where there was death“.209 Man kann vielleicht keine genaue Vorlage für die Sadduzäerfrage finden, die der Thematik des Rätsels völlig entspricht.210 Jedenfalls scheint mir anders als Bolt die Geschichte der sieben Brüder von zentraler Bedeutung zu sein, die als Märtyrer in 2Makk 7 sterben.211 Die sieben Brüder bieten ein Beispiel für die jüdische Observanz, weil sie lieber als Märtyrer sterben, als die Speisegesetze zu verletzen. Sie sind in ihrem Handeln so konsequent, weil sie von der Gewissheit der Auferstehung überzeugt sind.212 Wichtig ist zuerst die Siebenzahl. Noch schwerwiegender als Parallele gilt die Auffassung der Auferstehung im 2. Makkabäerbuch, die im Zusammenhang mit dem Märtyrertum entwickelt wurde. B. Schmitz analysiert die verschiedenen Reden über die Auferstehung im 2. Makkabäerbuch. Sie unterscheidet die Auffassungen des zweiten Sohnes, des dritten Sohnes, des vierten Sohnes und der Mutter.213 Der zweite Sohn definiert den König Antiochus als Verbrecher und Gott als König der Welt und des Lebens. Der dritte Sohn spricht von der Auferstehung als einer Restitution einzelner Körperteile, ohne dieses Wortfeld zu benutzen. Der vierte Sohn spricht von seiner Hoffnung als Märtyrer im Gegensatz zum König, der keine Hoffnung hat. Die Mutter (2Makk 7,22–23.27–29) spricht von der Schöpfung Gottes, die als Argument für die Auferstehung gilt. Diese verschiedenen Ansätze basieren auf dem gemeinsamen Gedanken der Auferstehung, die eine besondere Rolle für das Märtyrertum spielt. Der Glaube an die Auferstehung kann der Gewalt und dem absoluten Anspruch der fremden Staatsmacht entgegengesetzt werden.214 Ein besonderes Merkmal dieser Berufung auf die Auferstehung in Widerstandsbewegungen ist die Idee einer Restitution der körperlichen Beschaf208 P.G. Bolt, What were the Sadducees Reading?, 373. Trotz des Bezugs auf die Auferstehung und des Hinweises auf die Patriarchen, die die Märtyrer in ihr Schoss aufnehmen werden, hält Bolt das Fehlen der Ehe in 2 Makk für ein Element, das für Tobit spricht: „Perhaps the fatal difference between the two ist the lack of any reference to marriage in the Maccabean tale, after all a mother of seven is not a wife of seven; a martyrdom is not a marriage“. 209 P.G. Bolt, What were the Sadducees Reading?, 380. 210 U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 276, sieht im Text das Zusammenfließen des Motivs der Frau mit sieben Männer aus dem Buch Tobit (3,8.15; 6,14; 7,11) und des Motiv des Todes der sieben Brüder (mit ihrer Mutter) aus dem 2. Makkabäerbuch 7. 211 Die gleiche Meinung vertritt O. Schwankl, Die Sadduzäerfrage, 347–363. Schwankl hebt die terminologischen und die thematischen Parallelen von 2Makk 7 und Mk 12,18–27 hervor. 212 Zu der Auslegung der Geschichte vgl. J.A. Goldstein, II Maccabees, 289–317. 213 Weitere Texte im 2 Makk zur Auferstehung sind 2Makk 12,43–45: die Auferstehung der getöten Soldaten, 2 Makk 14,46: die Auferstehung des toratreuen Razi, 2 Makk 15,12–16: die Fürbitte für den toten Onias. Vgl. B. Schmitz, Auferstehung und Epiphanie, 110–111. 214 Mit Recht schreibt B. Schmitz, Auferstehung und Epiphanie, 112: „Weil die Macht staatlicher Organe an der Grenze des Todes endet, eröffnet die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod eine Freiheit, die zu neuen Handlungsspielräumen im Diesseits führt.“
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fenheit. Die grausame Folter, mit der die Glieder der sieben Brüder gemartert werden, schreckt sie nicht, denn sie hoffen auf die Auferstehung. In 2Makk 7,11 drückt der dritte Bruder diese Vorstellung der Auferstehung aus: 1n oqqamoO taOta j´jtglai ja· di± to»r aqtoO mºlour rpeqoq_ taOta ja· paqû aqtoO taOta p²kim 1kp¸fy jol¸sashai.
Die Hoffnung der Märtyrer ist, dass Gott ihnen alles (gemeint sind die zerrissenen Glieder des Leibes) zuückgegeben wird. Das Verb jol¸feim hat eindeutig die Bedeutung einer restitutio der körperlichen Beschaffenheit.215 Eine solche Auffassung der Auferstehung lässt sich auch bei den revolutionären Gruppierungen vermuten, die im Aufstand gegen Rom aktiv waren. Sie fürchteten den Tod nicht, weil sie an die Auferstehung glaubten. Josephus spricht von den Essenern, die wie die Sikarier dem Tod lachend und mit Worten der Geringschätzung begegneten, weil sie fest von der Auferstehung überzeugt waren.216 Die restitutio ad integrum der irdischen Verhältnisse war ein zentrales Thema der Propaganda der jüdischen Revolutionäre. Die Frage der Sadduzäer lockt deshalb in eine Falle, weil sie indirekt ein Motiv anspricht, das eine Positionierung zu einer politischen Frage mit sich bringt. Doch Jesus lässt sich nicht diesem Bereich der Märtyrer und Revolutionäre zuordnen, weil er die Auferstehung nicht als eine Restitution der menschlichen Verhältnisse ver215 G. Stemberger, Der Leib der Auferstehung, 24–25, erklärt die Besonderheit der anthropologischen Auffassung des zweiten Makkabäerbuches. Einerseits ist es „in seiner Anthropologie schon stark vom Hellenismus beeinflußt“ (S. 24), andererseits wird der Leib nicht abgewertet. „Die Auferstehung ist leiblich, aber nicht eine Auferstehung eben desselben Leibes“. (ebenda). Der Vergeltungsgedanken, der bei der Auferstehung des Märtyrers eine Rolle spielt, ist der Grund, weshalb die Auferstehung auch die verstümmelten Glieder wieder herstellen wird. O. Schwankl, Die Sadduzäerfrage, 249: „Unter den konkreten Umständen des Martyriums, das den Leib des Märtyrers verstümmelt und einzelne Glieder vernichtet, muß die Auferstehung eben diesen Verlust rückgängig machen“. 216 Jos. B.J. 2,153: euhuloi t±r xuw±r Av¸esam ¢r p²kim jolio¼lemoi. Diese Formulierung des Josephus spricht von xuw¶ und kommt dem hellenistischen Menschenbild entgegen. Eine Rückerstattung der Seele ist aber wenig verständlich, weil die Seele als unsterblich gedacht ist. Es liegt daher nahe, dass hier eine restitutio des Körpers oder der irdischen Verhältnisse im Hintergrund steht. Der Gebrauch des Verbs jol¸feim und die Beschreibung des Märtyrertums in 2,151–152 zeigen m. E. die Übernahme der Thematik, die im 2. Makkabäerbuch entwickelt ist, nämlich der religiöse Widerstand (besonders die strenge Haltung bei den Speisegeboten) und die Hoffnung auf die Auferstehung. Dass Josephus die anthropologische Voraussetzung durcheinanderbringt, ist durch B.J. 1,650 (653) bewiesen. Dort ist die Unsterblichkeit der Seele der Grund, weshalb die Zeloten bereit waren zu sterben. Man kann vielleicht vermuten, dass die Wiedergewinnung des Körpers eine unter vielen Konzeptionen der Märtyrerideologie war. Die Unsterblichkeit der Seele könnte vielleicht genauso zentral als Begründung für den Märtyrertod gewesen sein. Wichtig ist jedenfalls festzustellen, dass in der Frage der Sadduzäer ein solcher Zusammenhang eine Rolle spielt. Die Stellungnahme Jesu zu ihrem Rätsel hätte eine eventuelle Neigung Jesu zu den Auffassungen der jüdischen Revolutionäre zeigen sollen. Wichtig zu diesem Thema ist der Paragraph bei M. Hengel, Die Zeloten, 263–277: „Das Martyrium bei den Zeloten“, bei dem der Autor die zentralen Stellen des Josephus diskutiert.
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steht, sondern als einen höheren Zustand, der die menschlichen Verhältnisse transzendiert. Die Auferstandenen werden nicht heiraten oder verheiratet werden, weil sie wie Engel sein werden. Die Engel stehen hier als geschlechtslose Wesen. Das größte Problem des Textes aber betrifft seine Bedeutung und die Bestimmung der Argumente Jesu, die wichtig für die Bestimmung des Sitzes im Leben sind. Die Antwort Jesu behandelt erst das „Wie“ und dann das „Dass“ der Auferstehung. Mit der Klärung des „Wie“ kann sich Jesus von einer Auffassung der Auferstehung als Restitution distanzieren. Die Auferstandenen werden keine sexuelle Beschaffenheit mehr haben, sondern sie werden wie Engel in den Himmeln sein.217 Dieses Argument scheint aber nicht überzeugend, weil die Sadduzäer nicht an die Existenz der Engel glaubten.218 Der Beweis des „Dass“ der Auferstehung geschieht hingegen nach dem von den Sadduzäern anerkannten textuellen Kanon, nämlich auf der Basis von Ex 3,6. Die Argumentation hat eine syllogistische Struktur: a) Bei der Offenbarung an Moses präsentiert sich Jahwe als „Gott des Abraham, des Isaak und des Jakob“, b) er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen; c) also sind die Patriarchen nicht tot, sondern sie sind auferstanden.219 Nach A.J. Hultgren ist diese These im Grunde eher eine Behauptung der Unsterblichkeit der Seele als der Auferstehung: The doctrine of the resurrection of the dead has been (hellenistically) swallowed up by the doctrine of the immortality of the soul.220
Die Hypothese aber, dass diese Debatte in der Gemeinde stattgefunden habe, wird von der Tatsache widerlegt, dass weder die allgemeine Auferstehung noch die Bindung an die Auferstehung Christi thematisiert ist. Angesichts dieser Schwierigkeiten, eine Debatte der Gemeinde mit dem Judentum in der Perikope zu sehen, betonen einige Autoren die Authentizität der Debatte im Leben des historischen Jesus. Lohmeyer spricht noch von einer Auffassung der Auferstehung, nach der der Verstorbene sofort nach dem Tod zu dem neuen Leben Zugang hat. Die unübliche Behandlung dieses Themas im Vergleich zur urchristlichen Debatte über die Auferstehung beweise, dass der 217 Diese Vorstellung, dass die Engel nicht sexuell bestimmt sind, ist zwar verbreitet im Judentum. Neben ihr aber steht die weitere Auffassung, dass die Engel männlich sind und daher für sexuelle Begierde anfällig. Gen 6,1–4; Jud 7. 218 U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 304–305, vermutet eine Anspielung auf die Beschaffenheit der Gerechten als Sterne des Himmels (Dan 12,3; äthHen 104,2). 219 D.M. Cohn-Sherbock, Jesus’ Defence of the Resurrection of the Dead, 65: „God is not the God of the dead, therefore Abraham, Isaac, and Jacob cannot be dead. Thus Abraham, Isaac and Jacob must be alive now, and this proves that they must have been resurrected“. 220 A.J. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 126–127.
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Text ein „Beispiel des Rabbinertums Jesu“ sei.221 J.P. Meier gründet seine Hypothese der Authentizität der Episode im Leben des historischen Jesus gerade mit ihrem eigentümlichen Charakter. Es handele sich um die einzige Debatte mit den Sadduzäern, sie betreffe nicht die Auferstehung Christi und auch nicht die Frage einer allgemeinen Auferstehung. Außerdem sei das Argument auf Ex 3,6 gegründet, eine Textstelle, die nirgendwo sonst als Beweis für die Auferstehung benutzt wird.222 Aber auch diese These hat ihre Probleme, weil das Argument Jesu nicht der rabbinischen Interpretation der Schrift folgt. Cohn-Sherbok widerspricht der allgemein verbreiteten These,223 nach der Jesus für sein Argument die hermeneutischen Prinzipien der Rabbiner anwendet.224 Diese Analyse ist deshalb wichtig, weil sie eine Bestätigung dafür ist, dass diese Debatte keine Diskussion mit den jüdischen Theologen voraussetzt. Auch in diesem Fall scheint es angemessen anzunehmen, dass die Debatte weder in das Leben des historischen Jesus noch in die Debatte der Gemeinde eingebettet ist. Es handelt sich vielmehr um ein weiteres Rätsel, das Mitglieder der Tempelaristokratie Jesus stellen, um die Gefährlichkeit seiner Positionen zu beweisen. Die Sadduzäer als Teil der religiösen Elite Jerusalems hatten römerfreundliche Positionen bezogen. Ein Bekenntnis zur Auferstehung als Wiederherstellung aller menschlichen Verhältnisse hätte die Nähe der Position Jesu zu den rebellischen Gruppen gezeigt. Jesus stellt sich wieder als ein Lehrer vor, der das Rätsel seiner Gesprächspartner ohne eine kompromittierende Stellungnahme löst.
6. Die auctoritas Jesu in der Gesetzesauslegung Mk 12,28–34 6.1 Der Text von Mk 12,28–34 Diese Perikope ist oft als Schulgespräch eingeordnet worden,225 weil sie keine Auseinandersetzung und keine feindliche Absicht seitens des Fragenden enthält. Diese formgeschichtliche Variation in der Gruppe von Streitgesprächen muss aber erklärt werden, denn diese Perikope ist in einen Kontext von 221 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 257. 222 J.P. Meier, The Debate on the Resurrection of the Dead, 7–8. 223 V. Taylor The Gospel according to Saint Mark, 484; E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, 142, sieht eine Parallele zur Argumentation Gamaliels gegen die Sadduzäer im Zitat von Dtn 11,9. 224 D.M. Cohn-Sherbock, Jesus’ Defence of the Resurrection of the Dead, 70, findet keinen Hinweis für eine Anwendung der rabbinischen hermeneutischen Prinzipien. Er kommt deshalb zum Schluss: „From this examination we can see that the argument put forward by Jesus to defend the doctrine of the resurrection of the dead, does not follow the hermeneutical twdym of the Tannaitic exegetes. This suggests that Jesus’ response would not have stood up to the rigorous standards of hermeneutics established by the rabbis“. 225 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 57.
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Streitgesprächen eingebettet. Auffallend ist in dieser Hinsicht, dass bei den anderen Synoptikern (Mt 22,34–40 und Lk 10,25–28) das Gespräch von der üblichen versucherischen Intention der Schriftgelehrten gekennzeichnet ist. Die Perikope besteht aus vier Teilen: der Frage des Schriftgelehrten (12,28), der Antwort Jesu in zwei Teilen (12,29–31), der Würdigung des Schriftgelehrten mit der Bemerkung über die Opfergaben (12,32–33) und Jesu Lob des Schriftgelehrten (12,34) und der redaktionellen Schlussfolgerung. Die Besonderheit der Perikope besteht darin, dass der Schriftgelehrte allein ist (eXr t_m cqallat´ym) (die Gegner Jesu sind nur in Gruppen geschlossen) und aus eigener Initiative Jesus eine Frage stellen will. Er hat die vorherigen Diskussionen beobachtet und erkannt,226 dass Jesus korrekt (jak_r) geantwortet hat,227 nun stellt er eine genaue Frage: Welches ist das erste aller Gebote des Gesetzes? Das scheint eine typische Schulfrage zu sein. Im Ausdruck: po¸a 1stim 1mtokµ pq¾tg p²mtym, wäre die weibliche Form des Pronomens im Genitiv pas_m korrekt, weil 1mtok¶ weiblich ist. Das könnte als weiteres Signal des lateinischen Einflusses auf das Griechische des Markus gesehen werden, weil das Lateinische „omnium“ die gleiche Form für alle Fälle hat. Das kann aber nicht mit Sicherheit festgestellt werden.228 Die Antwort Jesu besteht in der Zitation zweier zentraler Textstellen der Tora, des Shema Israel und des Gebotes der Einzigkeit Gottes (Dtn 6,4–5) und des Gebotes der Nächstenliebe (Lev 19,18). Das markinische Zitat von Dtn 6,5 folgt nur teilweise dem Text der Septuaginta. Die drei anthropologischen Termini 55%)@ú, M1HûDû , L24B!, die die Septuaginta mit jaqd¸a, xuw¶ und d¼malir übersetzt, werden in der markinischen Version zu vier Begriffen jaqd¸a, xuw¶, di²moia und Qsw¼r (12,30) und dann wieder zu drei Begriffen in der Wiederaufnahme des Schriftgelehrten jaqd¸a, s¼mesir und Qsw¼r (12,33).229 Die überlieferungsgeschichtliche Analyse der Perikope wird besonders durch eine relevante Anzahl von „minor agreements“ in der matthäischen und lukanischen Fassung erschwert.230 Das Lukasevangelium ordnet diese Peri226 EQd¾r ist wahrscheinlich als lectio difficilior zu Qd¾r (a H C D und die lateinischen Übersetzungen) vorzuziehen. Der Schriftgelehrte erkennt die Fähigkeit Jesu richtig zu antworten. 227 Vgl. W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 250, zu diesem Terminus jak_r. 228 Diese Auffassung eines Latinismus vertritt M.-J. Lagrange, L’ vangile selon Marc, 321. E. Trocm , L’ vangile selon Marc, 309–310, denkt auch an einen aramäische Einfluss oder an eine besondere Deklination des Pronomens p²r. Nach K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 189, meint das Neutrum alles das, was Gottes Willen entspricht. 229 Nach J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus II, 165, geschieht beim Zitieren des Markus eine „Akzentverschiebung“ zur Betonung der rationalen und psychologischen Termini, die aus hellenistischem Hintergrund erklärt werden könne. Auch Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 60–61, spricht von einem „kognitiven Akzent“ durch die Einfügung eines vierten Begriffs. Dies sei noch sichtbar in der Kritik des Opferkults (implizit für eine vernünftigen Anbetung Gottes) und in der Antwort des Schriftgelehrten, der als moumew_r von Jesus gelobt wird. A. Yarbro Collins, Mark, 577, betont die Nähe der Begriffe di²moia und s¼mesir zur hellenistischen Popularphilosophie. 230 Vgl. J. Kiilunen, Das Doppelgebot der Liebe in synoptischer Sicht, 18–19.
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kope nicht den Jerusalemer Streitgesprächen zu, sondern verwendet sie in 10,25–28 als Einleitung zum Gleichnis des barmherzigen Samariters. In diesem Text formuliert der molijºr das Doppelgebot der Liebe als Antwort auf die Rückfrage Jesu nach dem Gesetz. Die Ausgangsfrage nach dem ewigen Leben (fyµm aQ¾miom jkgqomole?m), die Gegenfrage Jesu und die Antwort mit dem Zitat aus dem Gesetz erinnern an die Episode des reichen Jünglings in Mk 10,17–19 und par. Die Übereinstimmungen von Matthäus- und Lukasevangelium sind relevant, obwohl Lukas eine andere Situierung hat. In beiden Evangelien ist das Subjekt ein molijºr (Mt 22,35/Lk 10,25a), der seine Frage in feindlicher Absicht stellt. Die redaktionellen Hinweise dafür sind fast identisch, nämlich die Verben peiq²feim und 1jpeiq²feim (Mt 22,35/Lk 10,25a). Gemeinsam ist auch die Anrede für Jesus did²sjake (Mt 22,36/Lk 10,26). In beiden Evangelien fehlt konsequenterweise die Würdigung der Antwort Jesu durch den Schriftgelehrten, die Wiederholung der Antwort Jesus und Jesu Lob des Schriftgelehrten (Mk 12,32–34). Als weitere Gemeinsamkeit gilt die Auslassung von Dtn 6,4 in beiden Evangelien und die Konjunktion ja¸ in 6,5a.231 Weitere Entsprechungen betreffen einzelne Wörter, nämlich die Präposition 1j statt 1m vor den anthropologischen Termini (allerdings nur im ersten Glied bei Lk 10,27a), den Ausdruck 1m t` mºl\ in Mt 22,26/Lk 10,26b.232 Die Präsenz solcher minor agreements stellt ein ernstes Problem für die Zwei-Quellen-Theorie dar, weil die Genauigkeit der Übereinstimmungen eine direkte Verbindung der zwei Evangelien voraussetzen würde und nicht ihre völlige Unabhängigkeit.233 Die Idee einer weiteren Fassung dieser Erzählung, die aus Q stamme, nimmt R. Fuller auf, der sogar den Text rekonstruiert.234 Kiilunen hat gegen diese Hypothese zwei schwerwiegende Einwände: der erste ist formal, denn es ist unklar, in welchem Teil der Logienquelle diese Perikope sich befinden würde. Der Kontext von Lk 10–11 würde nicht in Fragen kommen, keines der hier vorkommenden Themen ist in 10,25–28 enthalten. Der zweite Einwand hat einen inhaltlichen Charakter: Die Logienquelle betont, dass „kein Häkchen“ des Gesetzes gestrichen wird (Lk 16,17/Mk 5,18). Diese Position sei deshalb nicht 231 J. Marcus, Mark II, 842, erklärt die Auslassung dadurch, dass Dtn 6,4 kein Gebot, sondern ein Bekenntnis ist. Für Markus sei im Gegenteil die Einzigartigkeit Gottes sehr wichtig. 232 Kiilunen, Das Doppelgebot der Liebe, 19, erwähnt noch als gemeinsames Element die Einleitungsformel zu der Antwort Jesu, b d³ 5vg aqt` Mt 22,37 und b d³ eWpem pq¹r aqtºm Lk 10,26 an Stelle von !p´jqihg b ûIgsoOr fti. Sie sind aber keine wortwörtlichen Entsprechungen. 233 Die Hypothese eines Urmarkus oder eine Zwei-Evangelien Theorie, diskutiert Kiilunen detailliert in seiner Monographie zu dieser Perikope auf S. 81–89. 234 R.H. Fuller, Das Doppelgebot der Liebe, 322, schreibt mit einer gewissen Begeisterung: „Jetzt sind wir in der Lage, eine Rekonstruktion der nicht-markinischen Tradition vorzulegen“ Der rekonstruierte Text lautet wie folgt: Ja· 1pgq¾tgsem eXr 1n aqt_m molijºr [1j]peiq²fym aqt¹m k´cym7 did²sjake, po¸a 1mtokµ lec²kg 1m t` mºl\; b d³ eWpem pq¹r aqtºm7 !cap¶seir j¼qiom t¹m ‚ heºm sou 1m fkgr t/r jaqd¸ar sou ja· 1m fk, t0 xuw0 sou ja· 1m fk, t0 Qsw¼z sou, ja· t¹m pkgs¸om sou ¢r seautºm. Diese These wird auch von Pesch, Das Markusevangelium II, 245–246, übernommen.
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vereinbar mit einer Suche nach einem Hauptgebot.235 Die Zwei-EvangelienHypothese definiert Matthäus als das älteste Evangelium, Lukas als abhängig von Matthäus und Markus als das Evangelium, das die beiden ersten harmonisiert. Diese These aber kann nicht erklären, warum in den lukanischen Jerusalemer Streitgesprächen eine Spur der markinischen Fassung236 in Lk 20,39–40 zu finden ist. Als Schluss der Debatte über die Auferstehung liest man dort: !pojqih´mter d´ timer t_m cqallat´ym eWpam7 did²sjake, jak_r eWpar. Der Ausdruck timer t_m cqallat´ym hängt von dem markinischen eXr t_m cqallat´ym ab und zeigt, dass Lukas das Subjekt bei Markus gekannt hat. Die zustimmende Antwort der Schriftgelehrten jak_r eWpar zeigt ebenfalls, dass Lukas die markinische Fassung der Perikope vorlag. Chr. Burchard vermutet jedenfalls, dass Lukas als Quelle für 10,25–28 eine mündliche Überlieferung benutzt hat: „Lukas hat also in 10,25–28(37) eine von der Markusperikope, variata oder invariata, literarisch unabhängige Überlieferung verarbeitet und dafür Mk 12,28–34 fallen lassen“.237 Vom literarkritischen Standpunkt aus ist das Verhältnis der Frage nach dem höchsten Gebot zur Antwort in der markinischen Fassung mit zwei Geboten (pq¾tg – de¼teqa) ein Zeichen für eine Zusammenfügung von zwei Elementen.238 Die Bedeutung des Adjektivs pq¾tg ändert sich von „erste“ im Sinne von „das größte Gebot tout court“ zum ersten in einer Reihe von Dingen. Der Gebrauch von 1mtokµ pq_tg, bezogen auf beide Gebote, sei ein weiterer Beweis der ursprünglichen Frage nach einem Gebot allein. Deshalb gehöre zur ersten Fassung das Hauptgebot der Gottesliebe, das mit dem Gebot der Nächstenliebe aus der Tradition ergänzt wurde. Der Sitz im Leben der ursprünglichen Perikope sei daher die Belehrung der Heidenchristen über den Monotheismus.239 Weiß vermutet umgekehrt, dass das ursprüngliche Gebot die Nächstenliebe war, die durch das Gebot der Gottesliebe ergänzt wurde. Die Ergänzung durch das Gebot der Gottesliebe sei zu Stande gekommen, als die christliche Gemeinde sich in der hellenistischen Welt ausbreitete. In der Binnensituation einer judenchristliche Gemeinde wäre die Nächstenliebe das höchste Gebot gewesen.240 Die Schilderung einer Entwicklung in der Perikope aber muss berücksichtigen, dass die Polarität zwischen Menschenliebe und 235 J. Kiilunen, Das Doppelgebot der Liebe, 83. 236 J. Kiilunen, Das Doppelgebot der Liebe, 29, nennt diese Verse einen „Rest“ der markinischen Fassung. Chr. Burchard, Das doppelte Liebesgebot, 6, spricht von „Splitter“: „Das zeigen Splitter von Mk 12,28a.32a34c, die in Lk 20,39 f zu einem Abschluß für das Streitgespräche mit den Sadduzäern verkittet sind“. 237 Chr. Burchard, Das doppelte Liebesgebot, 6. 238 K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 189, hebt die „Diskrepanz zwischen Frage und Antwort“ hervor. W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 261, spricht von „Unstimmigkeit zwischen Frage (1mtokµ pq¾tg) und Antwort (pq¾tg – deut´qa)“. 239 K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 190. Berger zitiert einige Stellen aus dem hellenistischen Judentum, bei denen der Glaube an den einzigen Gott besonders betont wird, z. B. Jos. A.J. 3,5,5 (!) und Philo virt. 34; gig. 64. 240 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 261.
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Gottesliebe der ethischen Polarität zwischen eqs´beia und vikamhqyp¸a in der hellenistischen Welt entspricht. Diese Basis kann dem Text einen gewissen einheitlichen Charakter geben.
6.2 Streitgespräch oder Schulgespräch? Aus einer formgeschichtlichen Perspektive betrachtet man diese Perikope üblicherweise als ein Schulgespräch nach der Kategorisierung R. Bultmanns.241 Die Unterscheidung von Streitgesprächen und Schulgesprächen hänge vom Sitz im Leben ab: die Schulgespräche dienten zur Belehrung der Gemeinde, während die Streitgespräche zur Abgrenzung von der jüdischen Position dienten bzw. als Antwort auf jüdische oder judenchristliche Vorwürfe. Was in dieser Einteilung unerklärt bleibt, ist, inwiefern die Endfassung einer Perikope für die Einteilung in Streit- oder Schulgespräche entscheidend ist. Mk 12,28–34 z. B. gewinnt in der matthäischen Redaktion (Mt 22,34–40) einen anderen Charakter durch eine versucherische Frage.242 Nach Bornkamm wird das Doppelgebot im Matthäusevangelium daher, anders als im Markusevangelium, zu einem Grund der Trennung vom Judentum.243 Das Schulgespräch in Mk 12,28–34 macht die Hypothese einer vormarkinischen Sammlung der Jerusalemer Streitgespräche wegen der verschiedenen Gattungen schwierig.244 Die Debatte über die Gattung dieser Perikope zeigt die 241 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 56–57. Die Definition von Schulgespräch ist aber ziemlich allgemein. Es sei eine Perikope, die dem Streitgespräch sehr ähnlich sei. Es fehle eine Handlung, die die Diskussion provoziert. „Der Unterschied ist im Wesentlichen der, daß hier nicht eine bestimmte Handlung den Ausgangspunkt zu bilden braucht, sondern daß der Meister von einem Wißbegierigen gefragt wird“ (S. 56). Nach Bultmann ist ein Schulgespräch einfach ein in Dialogform gekleidetes Wort Jesu. G. Bornkamm, Das Doppelgebot der Liebe, 85, definiert die Perikope als „ein stilgerechtes Schulgespräch“. Als Schulgespräch betrachten den Text noch E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, 257; V. Taylor, Mark, 484; R. Pesch, Das Markusevangelium II, 237, D. Lührmann, Das Markusevangelium, 202; J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus II, 164; J.-G. Mundla, Jesus und die Führer Israels, 143; K. Huber, Jesus in Auseinandersetzung, 316; C. Focant, L’evangile selon Marc, 463. Eine Ausnahme in dieser formgeschichtlichen Einordung bilden M. Albert, Die synoptischen Streitgespräche, 25–26; 32–33, und J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus, 126–128, die den Text als ein Streitgespräch betrachten. 242 G. Bornkamm, Das Doppelgebot der Liebe, 92–93, spricht von einer Änderung des Schulgesprächs in ein Streitgespräch bei Matthäus: „Für Matthäus, der sie (i. e. die Perikope) in der von Markus vorgegebenen Reihenfolge der Jerusalemer Gespräche beläßt, ist sie nicht mehr nur ein Schul-, sondern ein Streitgespräch, das nach der erfolgten Erledigung der Sadduzäerfrage die Pharisäer, feindlich um ihn versammelt, in der Absicht, Jesus zu Fall zu bringen, mit ihm beginnen.“ 243 G. Bornkamm, Das Doppelgebot der Liebe, 93. 244 J. Dewey, Markan Public Debates, 158–159, sieht in Mk 12,13–34 eine Ringkomposition, in der die Feindschaft gegen Jesus anders als in Mk 2,1–3,6 abnimmt. Die drei Perikopen werden aber nicht nach Gattung unterschieden. Der Text an sich sei „a school debate containing no hint of conflict“ (S. 17).
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Grenzen einer Unterscheidung zwischen Material für die innere Belehrung und Material für die polemische Debatte. Die Antwort Jesu zur Frage nach dem Tribut an den Kaiser könnte z. B. auch als zur Belehrung der Gemeinde dienen, obwohl es sich um ein Streitgespräch handelt. Wenn man sich die Liste ansieht,245 die nach W. Weiß auf der Basis der Theorie Bultmanns die Schulgespräche in der synoptischen Tradition enthält, muss man feststellen, dass diese Texte sehr unterschiedlich sind und kaum einer einzigen Form zugeordnet werden können. G. Keerankeri diskutiert in seiner Monographie zum Doppelgebot im Markusevangelium die Frage nach der literarischen Form der Perikope. Er stimmt der Formgeschichte zu, dass der Text nicht als Streitgespräch definiert werden kann. Jedoch findet er die Bezeichnung „Schulgespräch“ nicht ganz sachgemäss. Die Wiederholung der Antwort Jesu durch den Schriftgelehrten sei eine originelle Entwicklung in den Debatten Jesu. Aus diesen Gründen prägt Keerankeri die neue Bezeichnung „Dialoggespräch“ bzw. „dialogical interaction“.246 Diese neue Bezeichnug beschreibt zwar die charakteristischen Merkmale der Perikope, löst aber die grundsätzlichen Probleme nicht, die mit der markinischen Redaktion zusammenhängen. Es bleibt weiterhin unerklärt, warum ein Schulgespräch gerade in einem Kontext von Streitgesprächen und sogar am Schluss verwendet wird. Dies könnte den Ansatz der Formgeschichte bekräftigen, nach der die einzelnen Perikopen eine eigene Entstehungsgeschichte und je nach der literarischen Form einen eigenen Sitz im Leben haben und ohne Konzept gesammelt worden sind. Das Problem liegt m. E. in der Definition von Schulgespräch und in der Differenzierung von Schul- und Streitgespräch. Die Definition von Schulgespräch bei Bultmann ist sehr allgemein und umfasst sehr unterschiedliche Texte, wie wir auch bei W. Weiß feststellen können. Lk 13,1–5 und Mk 12,28–34 haben inhaltlich und formal wenig Gemeinsames. Die Differenzierung von Streitgespräch und Schulgespräch liegt nach den meisten Exegeten darin, dass ein Schulgespräch eine freundliche Intention und Wissbegier aufweist. In dieser Untersuchung verwende ich die verbreitete und nicht unproblematische Bezeichnung „Streitgespräch“, um eine Art Apophthegma zu beschreiben, in dem eine Debatte mit jüdischen Theologen in einem polemischen Zusammenhang beschrieben wird. Die Polemik wird durch die Präsenz der Repräsentaten der religiösen Gruppierungen und durch die Art der Beschreibung der Szene signalisiert. Mk 12,34 erinnert den Leser trotz der freundlichen Abfolge des Gespräches daran, dass die Debatte in einer feindlichen Umgebung stattfindet. Nicht unwesentlich für die Definition von Streitgespräch scheint mir die Ausgangsfrage, die 245 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 33. Folgende Schulgespräche sind aufgelistet: Mk 12,38–40; 10,17–31 par; 10,35–45; 11,20–25; 12,28–34; Lk 9,51–56; Lk 12,13 f; 13,1–5; 17,20 f; Mt 11,2–19; 17,24–29. 246 G. Keerankeri, The Love Commandment in Mark, 71–74: „These data, it seems to us to qualify the pericope as a singular one and point to a new form which we may name Dialoggespräch (sic!) or Dialogical interaction.“
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die Debatte provoziert. Bei den galiläischen Streitgesprächen sind diese Fragen verbreitete Vorwürfe gegen die Person Jesu, die unter dem Begriff Blasphemie zusammengefasst werden können. Für die Jerusalemer Streitgespräche gilt m. E. noch die Hypothese von M. Albertz, nach der es hier um „Streitfragen“247 der damaligen Zeit geht. Er klassifiziert daher diese Perikope als ein versucherisches Streitgespräch. Die freundliche Szene erhält ihre wirkliche Bedeutung gerade in dem feindlichen Zusammenhang der Jerusalemer Streitgespräche, weil Jesus die Streitfrage des ersten Gebots in einer Art beantwortet, der ein Schriftgelehrter völlig zustimmen kann. Das ist eine Variation in der Betonung des siegreichen Ablaufes der Debatte, die noch eklatanter ist als die übliche Reaktion des Volkes. Dieses Ergebnis führt dazu, dass sich keiner mehr traut, eine weitere Frage zu stellen. Die freundliche Szene stellt daher keine Ausnahme dar, sondern den Höhepunkt des Erfolgs Jesu in den Debatten. Damit will das Markusevangelium wieder betonen, dass Jesus in der Auslegung des Gesetzes nicht nur eine autoritative Meinung vertrat, sondern dass er sich auch in keiner Hinsicht als eine problematische Gestalt erwiesen hat.248 Das nächste Streitgespräch, das den endgültigen Sieg Jesu bedeutet, hat die Form eines Monologs: eine letzte literarische Variation in der Gattung der markinischen Streitgespräche.
6.3 Einbettung und Funktion des Doppelgebotes Die Überlieferungsgeschichte von Mk 12,28–34 ist umstritten, vor allem herrscht eine Kontroverse darüber, ob der Kern der Perikope, das Doppelgebot, von Jesus stammt oder eine Schöpfung der Gemeinde ist. Da es sich um Zitate zweier zentraler Textstellen der Tora handelt (Dtn 6,4ff und Lev 19,18), könnten sie von jedermann zitiert werden. Die Evangelien zeigen, dass das Doppelgebot kein spezielles Lehrgut Jesu ist: In Mk 12,28–34 ist es zwar Jesus, der das Doppelgebot formuliert, aber der Schriftgelehrte stimmt ihm völlig zu 247 M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 27. Die Definition von Streitgespräch stammt von der Tatsache, dass sie Streitfragen behandeln. Da Albertz ein Urgespräch des historischen Jesus voraussetzt, kommen die Streitfragen aus internen Debatten des damaligen Judentums. „Die fünf Streitfragen betreffen die höchsten Anliegen des Judentums der Zeit Jesu“ (ebd.). Die Vollmachtsfrage setzte den Konflikt zwischen Propheten und Priester voraus, die Steuerfrage die politische Frage der Macht Roms, die Auferstehungsfrage den Kontast zwischen judischer Frömmigkeit und traditioneller Religion, die Frage nach dem höchsten Gebot die Spannung zwischen altprophetischen Forderungen und rabbinischer Kasuistik, die Davidssohnfrage die Spannung zwischen nationaler Messiashoffnung und universalem Gottesglauben. Nach meiner Hypothese stammen nicht alle Streitfragen direkt aus den Konflikten des historischen Jesus – offensichtlich ist der Fall bei der Frage nach der Davidssohnschaft, der Frage nach der Autorität und der Frage nach der Auferstehung. Die Streitgespräche sind eine literarische Erfindung des Markus, die ein Spannungsfeld bilden und eine Positionierung Jesu ermöglichen. Die Streitfragen sind oft schwierige Dilemmata. 248 J. Marcus, Mark II, 844.
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und wiederholt es in eigener Formulierung. In Lk 10,25–28 ist es der mºlijor, der diese Gebote zitiert, was besagt, dass auch ein Schriftgelehrter diese Kombination von zwei Tora-Textstellen hätte benutzen können. Die Synoptiker gehen außerdem davon aus, dass ein Konsens zwischen Jesus und den Schriftgelehrten in der Definition des Hauptgebotes möglich ist.249 Ein Kriterium, wodurch man bestimmen kann, dass die Worte auf Jesus oder auf die christliche Gemeinde zurückgehen, ist daher schwer zu finden. Für die Exegese dieser Perikope kann man aber verschiedene Aspekte unterscheiden,250 die eine bessere Einsicht in den Text ermöglichen. Ein erster Aspekt, aus meiner Sicht der wichtigste, ist die Frage nach dem Hauptgebot. Die Definition des Hauptgebots fand in verschiedenen Kontexten statt. Der erste Kontext ist die Unterweisung des Gesetzes, die allerdings nur in den späteren rabbinischen Schriften dokumentiert ist. Da die Gebote der Tora so zahlreich sind,251 war es im Rahmen des Tora-Unterrichts notwendig, eine gewisse Gewichtung vorzunehmen. Die Rabbinen unterscheiden zwischen leichten (geringen) und schweren Geboten.252 Diese Unterscheidung der Gebote führt aber zu einer Geringschätzung der kleineren Gebote, die ebenfalls erfüllt werden müssen. Ein zweiter Kontext ist die jüdische Apologetik. Mit der Definition des Hauptgebots bzw. der Hauptgebote wollen die jüdischen Autoren den ethischen Wert des Gesetzes apologetisch hervorheben und den Vorwurf zurückweisen, dass das jüdische Gesetz zu viele kleine und unverständliche Normen enthalte. Josephus antwortet in seiner Schrift contra Apionem auf die Vorwürfe des Molon und des Lysimachos gegen Moses und das Gesetz seines Volkes.253 Sie definierten Moses als einen Zauberer und Betrüger (cºgr ja· !pate¾m) und das Gesetz als nicht gerecht und nicht wahrheitsgetreu. Die Antwort des Josephus ist eine Verteidigung des jüdischen Gesetzes und der jüdischen Sitten. Sie führten, wie es offensichtlich sei, zur Frömmigkeit, zur Gemeinschaft miteinander und zur Freundschaft mit allen Menschen, zur Gerechtigkeit, zum Ertragen aller Mühe und zur Verachtung des Todes.254 Das
249 O. Wischmeyer, Das Gebot der Nächstenliebe bei Paulus, 147; K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 142–143; 168–170; R.H. Fuller, Das Doppelgebot der Liebe, 325–329; Chr. Burchard, Das doppelte Gebot der Liebe, 15–19. 250 G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 344, beschreiben durch eine Tabelle die Kontexte des Liebegebots im Judentum und in den Evangelien. 251 Die Rabbinen unterscheiden 613 Satzungen in der Tora, von denen 248 Gebote und 365 Verbote sind, Vgl. die Texte bei Strack-Billerbeck I, 900. 252 Vgl. J. Marcus, Mark II, 842: Es gab eine Debatte innerhalb des Judentums über die Bedeutung der Hauptgebote. Wesentlich ist die Unterscheidung von leichten und schweren Gebote: mAb 2,1; 4,2; m.Hul 12,5. „In response, some rabbinic traditions elevate one injunction above the others (…) declaring hyperbolically that the chosen statute is equal to all other commandments in the Torah.“ 253 Jos. Ap. 2,145. 254 Jos. Ap. 2,146: c±q 5seshai vameqºm fti ja· pq¹r eqs´beiam ja· pq¹r joimym¸am tµm letû !kk¶kym
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beste Beispiel in der Definition des Hauptgebotes ist im Werk Philos zu finden. Er unterscheidet wie in unserer Stelle zwei Grundprinzipien (jev²kaia): 5sti dû ¢r 5por eQpe?m t_m jat± l´qor !luh¶tym kºcym ja· docl²tym d¼o t± !myt²ty jev²kaia, tº te pq¹r he¹m diû eqsebe¸ar ja· bsiºtgtor ja· t¹ pq¹r !mhq¾pour di± vikamhqyp¸ar ja· dijaios¼mgr7 ¨m 2j²teqom eQr pokuswide?r Qd´ar ja· p²sar 1paimet±r t´lmetai.255
Auch Philo fasst das ganze Gesetz in zwei Hauptprinzipien zusammen, der Frömmigkeit und der Verehrung gegenüber Gott und die Gerechtigkeit und der Freundlichkeit gegenüber den Menschen,256 und thematisiert damit die beiden Bereiche, die auch in unserer Perikope zur Rede stehen. Die beiden Haupttugenden eqs´beia und vikamhqyp¸a sind nach einer weiteren Textstelle bei Philo wie Zwillingsschwestern,257 die den Weg zu einem moralischen Leben weisen. Die Frage des Schriftgelehrten in Mk 12,28 kann daher aus dieser Suche nach einem Hauptprinzip resultieren, das alle anderen Gebote in sich einschließt. In der Perikope führt die Definition des Hauptgebotes zu einer kritischen Position gegenüber den Brand- und Opfergaben. Es ist unwahrscheinlich, dass sich darin die Position eines Schriftgelehrten widerspiegelt, es handelt sich vielmehr um eine torakritische Einstellung der christlichen Gemeinde.258 Ein weiterer Kontext zur Definition des Hauptgebots ist der religiös-politische Widerstand gegen die römische Macht. Judas Galilaios259 betonte das erste Gebot als das erste und höchste, das nicht mit dem Gehorsam gegenüber dem römischen Kaiser vereinbar sei, als Prinzip für seinen politischen Aufruhr. Die Definition des ersten Gebotes impliziert in diesem Kontext keine Relativierung anderer, weniger zentraler Normen. Vielmehr soll das ganze Gesetz erfüllt werden, es gibt darin keinen Raum für adiaphora. Die Position Jesu unterscheidet sich von dieser Formulierung des Hauptgebotes der antirömischen Widerstandbewegung, weil Jesus ein zweites Gebot neben das erste stellt. Die zustimmende Wiederholung des Schriftgelehrten bezieht zudem eine klare kritische Stellungnahme gegen Brandopfer und Schlachtopfer, die
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ja· pq¹r tµm jahºkou vikamhqyp¸am 5ti d³ pq¹r dijaios¼mgm ja· tµm 1m to?r pºmoir jaqteq¸am ja· ham²tou peqivqºmgsim %qista jeil´mour. Philo, spec. 2,63. Vgl. Chr. Burchard, Das doppelte Liebesgebot, 20. „Die !myt²ty jev²kaia sind also Obersätze für die beiden Tafeln des Dekalog und dadurch für das ganze als System der praktischen Philosophie verstandene Gesetz.“ Philo, virt. 51. G. Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 61, „Eine vergleichbare Kritik kultischer Pflichten fehlt in anderen jüdischen Parallelen.“ Nach Theißen ist die Frage des ersten Gebots und sein Entweder-Oder, das wir bei Judas Galilaios feststellen, auch bei Jesus präsent, wird aber von dem politischen auf den wirtschaftlichen Bereich übertragen, nämlich als Entgegensetzung von Gott und Mammon. G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 323.
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hier als sekundäre religiöse Handlungen betrachtet werden (12,33: peqissºteqºm 1stim p²mtym t_m bkojautyl²tym ja· husi_m).260 Ein weiterer Aspekt ist die Diskussion über die jesuanische Authentizität des Doppelgebots. Chr. Burchard kommt durch die Analyse der jüdisch-hellenistischen Texte über das Hauptgebot, vor allem in den Testamenten der zwölf Patriarchen,261 zum Schluss, dass das Liebesgebot keine authentische Formulierung Jesu sei: Das doppelte Gebot ist also kaum von Jesus geschaffen worden, auch nicht durch ihn in die christliche Überlieferung gekommen.262
G. Theißen hingegen betont die jesuanische Authentizität des Gebots und definiert das Liebesgebot als den Mittelpunkt der Ethik des historischen Jesus.263 Als Argument gilt für Theißen die Wirkung des Gebots in der christlichen Theologie bis hin zu den Schriften der Apologetiker. Das Doppelgebot finde sich nämlich noch in der Didache264 und bei Justin als anonymes Prinzip oder als ethisches Gebot Jesu265. Eine solche Wirkung nur sei denkbar, wenn am Anfang dieser Tradition eine echte Formulierung Jesu steht.266 Für die Authentizität sprechen – so Theißen – noch tendenzwidrige Elemente in der Perikope, nämlich die Tatsache, dass der Schriftgelehrten mit der These Jesu übereinstimmt. Das sei eine Abweichung von dem sonstigen Urteil der Schriftgelehrten des Markusevangeliums und sei daher kaum in einer Zeit der Kontroversen zwischen Christentum und Judentum vorstellbar. Ein weiteres tendenzwidriges Element sei die Behauptung, dass es nur einen 260 J. Marcus, Mark II, 840, vergleicht diesen Ausdruck „Brandopfer und (andere) Opfer“ mit „Zöllner und andere Sünder“ in Mk 2,15 „the first group is a subset of the second.“ 261 TestIs 5,2: „..sondern liebt den Herrn and den Nächsten, des Schwachen und Armen erbarmt euch“. Weitere Texte in den Testamenta finden sich in TestIs 7,6; TestSeb 5,1, TestDan 5,3; TestBen 3,1–3. 262 Chr. Burchard, Das doppelte Liebesgebot, 25. 263 G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, 339–349. 264 Did 1,2. Die Didache formuliert das erste Gebot und dann nach der Nächstenliebe die goldene Regel: pq_tom !cap¶seir t¹m he¹m t¹m poi¶samt² se de¼teqom t¹m pkgs¸om sou ¢r seautºm7 p²mta d³ fsa 1±m hek¶s,r lµ c¸mesha¸ soi ja· s» %kk\ lµ po¸ei. Charakteristisch ist die Numerierung „erstes“/„zweites“. Das Doppelgebot gilt hier als allgemeines Prinzip und ist nicht als Lehre Jesu bezeichnet. Eine Tabelle mit Klassifizierung aller Zitate über Doppelgebot und Gebot der Nächstenliebe findet sich bei Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 62. 265 Just. dial. 93,2. Justin zitiert das Doppelgebot als eine besondere Lehre Jesu. Wichtig ist aber bei Justin das Vorkommen des Begriffspaars dijaios¼mg und eqs´beia, um das Doppelgebot zusammenzufassen. Das zeigt ein Verständnis des Doppelgebotes unter den Kategorien der hellenistischen Ethik, die bei Philo und Josephus die Tora charakterisierten: fhem loi doje? jak_r eQq/shai rp¹ toO Blet´qou j¼qiou ja· syt/qor YgsoO WqistoO 1m dus·m 1mtoka?r p÷sam diajaios¼mgm ja· eqs´beiam pkgqoOshai eQs· d³ awtai !cap¶seir j¼qiom t¹m he¹m 1n fkgr t/r jaqd¸ar sou ja· 1n fkgr t/r Qsw¼or sou, ja· t¹m pkgs¸om sou ¢r seautºm. In apol. 1,16,6 spricht Justin von der lec¸stg 1mtok¶ und zitiert nur das erste Gebot. In dieser Formulierung fehlt aber die Betonung der di²moia, die charakteristisch für die Markusstelle ist. Dieser Begriff findet sich aber bei 2Clem 3,4. 266 G. Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 61–64.
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j¼qior gibt. Das sei für eine Gemeinde, die Jesus als den j¼qior verehrt, nicht vertretbar. Es sei deshalb klar, warum in der nächsten Perikope Jesus als der Herr bekannt wird.267 Ein weiterer Punkt für die Authentizität des Gebots sei die Kontextplausibilität dieses Gebots in Palästina, wo das erste Gebot von den Zeloten gegen die Römer benutzt wurde. Laut Theißen ist das Judentum der Diaspora nicht mit dem Gebot der Nächstenliebe beschäftigt, sondern eher mit der Philanthropie.268 Bei Philo und Josephus komme das Gebot der Nächstenliebe selten vor. Josephus spricht eher von dem Judentum, das für die ganze Welt269 Philanthropie empfindet und nicht nur für die Volksangehörigen. Die römische Oberschicht ist nach Theißen an interregionalen Kontakten interessiert und nicht auf Nächstenliebe gerichtet. Ein Problem für diese These sind Belege in den Testamenten der zwölf Patriarchen, die meistens in der Diaspora lokalisiert werden.270 Theißen drückt aber sein Bedenken gegenüber der These aus, dass die Testamente in der Diaspora verfasst wurden. Sie können auch in Palästina entstanden sein, was die Fragmente in Qumran belegen würden. Jesus hat daher nach Theißen das Doppelgebot der Liebe wirklich gelehrt: „Unser Fazit ist: Wirkungs- und Kontextplausibilität sprechen dafür, dass Jesus selbst das Doppelgebot der Liebe gelehrt hat“.271 Zur umstrittenen Frage der Authentizität kann man keine definitive Antwort finden. Jesus thematisierte sicherlich das Gebot der Liebe in seiner Predigt. Er betonte die Schärfe der monotheistischen Radikalität in einem ethischen und sozialen Zusammenhang, stellte die Einzigkeit Gottes gegen den Mammon (Mt 6,24) heraus und argumentierte nicht wie die Zeloten politisch, die das erste Gebot gegen den Kaiser ausspielten. Das Hauptverb in Mt 6,24 ist douke¼eim, aber die Gegenüberstellung von Gott und Mammon kommt dann in 6,24a mit dem Gebrauch von !cap÷m und lise?m zum Ausdruck. In der Bergpredigt radikalisiert Jesus die Nächstenliebe in Lev 19,18, indem er den zu liebenden Menschen mit den Feinden identifiziert (Mt 5,43–44). Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist vielleicht eine Darstellung, wie der Feind (der Samariter) zum Nächsten werden kann. Jedenfalls ist die Diskussion über das Gebot der Liebe im Judentum sehr verbreitet. Paulus kann vom Liebesgebot sprechen, ohne unbedingt auf eine Tradition Jesu oder der Gemeinde hinweisen zu müssen (Röm 13,8–10). G. Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 63–64. G. Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 66. Jos. Ap. 2,146. J. Becker, Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte der Testamente der zwölf Patriarchen, 371–374, unterscheidet drei Stufen in der Entstehung der Testamente, zwei jüdisch-hellenistischen Stufen und eine christliche Redaktion. „Die Entwicklung auf der Stufe 1 und 2 vollzog sich (…) im hellenistischen Judentum. Doch fällt es nicht leicht, dieser geistlichen Raum auch geographisch genauer einzugrenzen oder gar direkt zu bestimmen. Dafür fehlen durchschlagende, klare Indizien.“ (S. 374). 271 G. Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 69.
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Die Wirkungsgeschichte des Doppelgebotes der Liebe impliziert aber nicht unbedingt die jesuanische Authentizität. Für die späteren Rezipienten des Textes reichte völlig aus, dass die Evangelien das Gebot Jesus zugesprochen hatten, um es als ein autoritatives Wort Jesu zu betrachten, ohne sich die Frage der modernen historisch denkenden Exegese nach der Authentizität zu stellen. Die Besonderheit der Perikope ist die Synthese der zwei Gebote, die unerwartet ist, weil die Frage auf ein einziges Gebot zielte. Auch bei dieser freundlichen Frage will Jesus keine Unterweisung geben, sondern er muss eine passende Antwort auf eine schwierige Frage finden, die die Gefahr der Einseitigkeit enthält. Es scheint mir deshalb unwahrscheinlich zu sein, dass Jesus diese Synthese in einem Doppelgebot formuliert hat, obwohl er beide Gebote sicherlich radikal verstanden hat.272 Das Thomasevangelium hat diese Gebote getrennt: „Jesus spricht: Liebe deinen Bruder wie dein Leben. Behüte ihn wie deinen Augenapfel“;273 und: „Es ist unmöglich, dass ein Knecht zwei Herren dient. Sonst wird er den einen ehren und den anderen wird er schmähen“.274 Ihre Synthese ist eine dialektische Leistung. Ein dritter Aspekt in der Exegese der Perikope betrifft die markinische Benutzung des Gesprächs und die Funktion dieser freundlich ablaufenden Szene für die Jerusalemer Streitgespräche. Die Freundlichkeit dieses Dialogs in einem Zusammenhang von Streitgesprächen stellt, wie wir sahen, ein formgeschichtliches Problem dar. Das Matthäusevangelium ändert die Freundlichkeit des Schriftgelehrten in die übliche Feindschaft und beseitigt so die unbequeme Ausnahme. Die offensichtlich freundlich gestellte Frage enthält eine mögliche Gefahr für Jesus, die sich wieder in ein Dilemma verwandeln könnte. Auch wenn der Fragende keine Falle stellen will, ist die Frage nach dem höchsten Gebot ein gefährliches Problem, denn es handelt sich um eine aktuelle Streitfrage. Die Definition eines einzigen Gebots, das als absolut geglaubt wird, könnte ein Signal für den Fanatismus sein, besonders angesichts der Tatsache, dass die Zeloten das erste Gebot gegen die Macht des Kaisers ausgespielt haben. Die Antwort Jesu besteht in einer dialektischen Verschiebung der Bedeutung des Adjektivs pq_tor als ,das Höchste‘, ,das Wichtigste‘275 272 O. Wischmeyer, Das Gebot der Nächstenliebe bei Paulus, 153, betont zu Recht die torakritische Bedeutung der Perikope. Der Sitz im Leben des Doppelgebotes sei die Diskussion um die Tora. „Von daher hat Mk 12,28ff faktisch von vornherein den Charakter der Torakritik, auch wenn das Doppelgebot selbst im Wortsinn dies zunächst nicht notwendig impliziert, als ,größtes Gebot‘ löste es die Vorstellung von der prinzipiellen Gleichwertung aller Toragebote auf.“ 273 EvThom 25,1–2. (Übers. Schröter, S. 129). Die Formulierung „über dein Leben“ findet sich in Barn 19,5: !cap¶seir t¹m pkgs¸om sou rp³q tµm xuw¶m sou. 274 EvThom 47,2. (Übers. Schröter, S. 132). 275 Interessant ist der Gebrauch von pq_tor und doOkor in Mk 10,44 (und ähnlich in 9,35). Vgl. G. Keerankeri, The Love Commandment in Mark, 139–140. Nach Keerankeri zeigt diese Stelle, dass die Liebe an alle gerichtet werden soll. Für mich ist aber die semantische Verschiebung zentral. Pq_tor wird auch in der Antwort verwendet, aber mit einer anderen Konnotation (das Erste von einer Reihe und nicht mehr das Wichtigste überhaupt). Damit kann die radikale und exklusive Forderung der Frage nach dem wichtigsten Gebot entschärft werden.
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zu der weiteren möglichen Interpretation als ,das Erste in einer Reihe‘, in diesem Fall das erste von zwei Geboten, die gleichwertig sind. Damit kann Jesus das erste Gebot der Gottesliebe und sogar das Shema Israel beibehalten, aber es notwendig mit der Nächstenliebe zu verbinden. Die Synthese des ersten Gebotes mit dem Nächstengebot vermeidet faktisch eine fanatische und menschenfeindliche Radikalisierung des ersten Gebotes. Jesu Auffassung der Religion ist, wie sich schon bei der Heiligung am Sabbat gezeigt hat, menschenfreundlich, sie kann die Kraft der religiösen Forderung mit der Humanitas verbinden. In Mk 12,28ff wird noch erkennbar, was dieses Gespräch mit den vorhergehenden Streitgesprächen verbindet, obwohl es durch seine freundliche Gesinnug von den vorhergehenden Perikopen abweicht. Die Synthese der zwei Gebote verbindet die beiden Bereiche, die immer wieder in den Jerusalemer Debatten getrennt blieben oder zu einem Dilemma wurden: die Sphäre der Menschen und die Sphäre Gottes. Die Gegner Jesu bleiben in dem Dilemma gefangen, ob die Taufe des Johannes von Gott oder von den Menschen sei. Sie können sich nicht entscheiden, weil sie das Ansehen und die Meinung des Volkes berücksichtigen wollen. Die Zeloten radikalisieren den Gehorsam gegenüber Gott und wenden diesen gegen den Kaiser. Jesus kann beide Bereiche des Göttlichen und des Menschlichen in Verbindung setzen. Er ist kein Blasphemiker, wie seine Gegner behaupten wollen, sondern er ist ein eqseb¶r, er ist kein Verbrecher und Rebell, sondern er ist ein d¸jaior, der die Liebe zu dem Nächsten verkündet.276 Trotz der nicht-feindlichen Intention des Fragenden kann man die Antwort Jesu auf die Streitfrage aus einer extrakommunikativen Normativität beurteilen. Die Stellungnahme Jesu weist darauf hin, dass er ein weiser Lehrer ist, der keinen gefährlichen Radikalismus in seiner Lehre vertritt. Das erklärt die Reaktion der Gesprächspartner Jesu, die nicht mehr wagen, weiter zu fragen. Jesus kann aus jeder Form der Konfrontation einen Vorteil gewinnen, sogar wenn es sich um eine schwierige Lehrfrage handelt.
276 G. Theißen, Das Doppelgebot der Liebe, 70ff, stellt die Hypothese auf, das Doppelgebot könne auf Johannes den Täufer zurückgehen, der nach der Beschreibung von Josephus eqseb¶r und d¸jaior war (A.J. 18,117). Es ist aber einfacher anzunehmen, dass Josephus Johannes nach dem Bild eines Moralphilosophen für seine Leser präsentieren will. Man kann deshalb auch für Jesus vermuten, dass das Doppelgebot nicht nur jede fanatische Vorstellung von Jesus beseitigt, sondern dass es ihn genauso als „fromm“ und „gerecht“ qualifiziert, was der Zweck der markinischen Apologie ist.
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7. Die königliche Vollmacht des Messias: Mk 12,35–38 7.1 Der Text von Mk 12,35–37 Diese kurze Perikope wird von einigen Autoren nicht mehr den Streitgesprächen zugeordnet.277 Bultmann untersucht diesen Text unter den Gesetzesworten und Gemeinderegeln Jesu, obwohl er seinen Ursprung der Gemeinde zuschreibt. Diese Diskussion über die davidische Abstammung des Messias sei für Jesus ohne Bedeutung gewesen.278 Grundmann sieht in Mk 12,34 das Ende der Streitgespräche, weil keiner der Gegner mehr wagt, Jesus eine Frage zu stellen.279 Doch trotz Abwesenheit eines Fragenden ist die Perikope noch vom Charakter eines Streitgesprächs geprägt. Jesus nimmt nämlich eine Meinung der Schriftgelehrten auf und widerlegt sie ungestört. Es ist nicht das erste Mal, dass im Markusevangelium Jesus der einzige Aktant ist, in Mk 2,1–12 und Mk 3,1–6 sind die Gegner zwar anwesend, aber sie haben keine Frage gestellt. Jesus konnte ihre Gedanken erkennen und sie widerlegen. In dieser Perikope sind die Gegner nicht mehr anwesend, sondern Jesus bezieht sich auf eine verbreitete Meinung der Schriftgelehrten. Er spricht so etwa wie eine exegetische Meinung aus. V. 35 hat zwar den Ausdruck ja· !pojqihe¸r, aber dieses Partizip bezieht sich auf keine konkrete Frage und meint vielleicht nur die Situation, in der Jesus sich als Antwortender im Tempel befindet. Das sei ein „participium graphicum“.280 Diese Perikope spielt sich wie die anderen Streitgespräche im Rahmen der lehrenden Tätigkeit Jesu im Tempel ab. Er nimmt die Auffassung der Schriftgelehrte über die Davidssohnschaft des Messias auf und formuliert sie in Form einer Frage: „Wie (p_r) können die Schriftgelehrten sagen, dass der Messias Davids Sohn ist“? Um dieser Auffassung zu wiedersprechen, lässt Jesus denselben David sprechen, indem er 277 Vor allem W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 33, schließt den Text nicht in die zu untersuchenden Streitgespräche ein und folgt der Klassifizierung von R. Bultmann. A. Hultgren, Jesus and His Adversaries, 26, sieht in diesem Teil des Evangeliums nur drei ,conflict stories‘: Mk 11,27–33; 12,13–17 und 12,19–27. J.-G. Mundla, sieht in Mk 12,34 einen Abschluss der Streitgespräche und Mk 12,35–37 als Teil der folgenden Perikopen. K.L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu, 289, ist der Einzige in der formgeschichtlichen Forschung, der noch von einem Streitgespräch spricht. M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 26, sieht die Perikope als einen Teil der Sammlung Jerusalemer Streitgespräche. Wie bei den anderen Streitgesprächen ist der Ursprung dieser Perikope eine wirkliche Debatte Jesu. 278 Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 145. In Gegensatz zu Reitzenstein erklärt Bultmann es für unwahrscheinlich, Jesus diese Worte zuzuschreiben. Diese Diskussion sei nicht für den historischen Jesus, sondern für die christliche Gemeinde aktuell gewesen. 279 W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 253: „Die Erörterung über die Davidsohnschaft ist kein Streitgespräch, sondern eine von Jesus aufgeworfene Haggadafrage, die auf einen Widerspruch in der Schrift hinweist“. 280 Huber, Jesus in Auseinandersetzung, 345: „Es kann daher als participium graphicum erklärt werden, das als inhaltlicher Semitismus zur Fortführung der Rede, aber auch am Anfang der Rede verwendet wird“.
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den ersten Vers des Psalms 110 (LXX 109) zitiert. ûEm t` pme¼lati t` "c¸\ kann sich auf die Inspiration Davids beziehen, mit der er die Psalmen verfasste. Nach J. Marcus ist diese Betonung der Inspiration Davids ein Hinweis darauf, dass dieser Psalm eine eschatologische Bedeutung hatte.281 Das eschatologische Ereignis ist die Unterwerfung aller Feinde. Die Konflikte mit den jüdischen Autoritäten und mit den Dämonen sei ein Teil dieses kosmischen Kampfes des Gottessohnes.282 Der Text folgt dem Wortlaut der Septuaginta mit der einzigen Variante rpoj²ty (unter)283 statt rpopºdiom (Schemel für die Füße). Im Mittelpunkt des Zitats steht der Dialog im Himmel zwischen dem j¼qior (Gott) und dem, den David j¼qior lou nennt, der hier als der Messias gilt. 12,37 enthielt die Schlussfolgerung in Form eines Syllogismus: Wenn David den Messias j¼qior nennt, kann er nicht sein uRºr sein. Daher stellt Jesus schließlich die Frage nach der Begründung der Davidssohnschaft des Messias.
7.2 Das Problem der Davidssohnschaft Nach Bultmann kann die Äußerung über die Davidssohnschaft des Messias ein authentischer Spruch Jesu sein, wenn er nicht von sich selbst, sondern von einer eschatologischen Gestalt sprach. Dies impliziere schon bei Jesus eine Verschiebung der politischen Erwartungen auf eine himmlische spirituelle Ebene: Die Hoffnung auf einen politischen Messias würde dann durch die Erwartung eines himmlischen Messias bestritten. Dann wäre nicht unmöglich, daß Jesus das Wort gesprochen hätte.284
Diese These Bultmanns betont einen wichtigen Punkt für die Analyse unserer Perikope. In der Zeit Jesu, aber auch in der Zeit der Abfassung des Markusevangeliums konnte die Behauptung einer Kontinuität mit der Familie des Königs David politische Relevanz haben. Josephus hebt die Enttäuschung der jüdischen Bevölkerung hervor, als Herodes als Idumäer und nur Halbjude und vor allem ohne davidische Abstammung zum König ernannt wurde.285 Um seine Position zu stärken, heiratete er die Tochter des hasmonäischen Ho281 J. Marcus, The Way of the Lord, 132–133. 282 J. Marcus, The Way of the Lord, 136–138. Für diese kosmische Dimension des Kampfes sei die Figur des Davidssohnes nicht ausreichend. Marcus spricht daher von „insufficiency“ des Titels Davidssohn. 283 J. Marcus, The Way of the Lord, 130, denkt an einen möglichen Einfluss von Ps 8,7, wo rpoj²ty vorkommt. Die zwei Psalmen werden oft in den Schriften des Neuen Testaments zusammen zitiert: 1 Kor 15,25–27; Eph 1,20–23; 1Pet 3,21–22. 284 R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 145. 285 Jos. A.J. 14,403: Herodes wird hier klar als ûIdoula?or und Bliiouda?or bezeichnet. Ihm fehlt die königliche Abstammung, die mit 1j toO c´mour ausgedrückt wird.
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henpriesters, was unzureichend für eine königliche Würde war. Ein legitimes Mitglied des königlichen Geschlechtes Davids wäre natürlich ein großes Problem für eine nicht legitime Monarchie: Gq¾d, d¾sousim tµm basike¸am Qdi¾t, te emti ja· ûIdoula¸\ tout´stim Bliiouda¸\ d´om to?r 1j toO c´mour owsi paq´weim ¢r 5hor 1st·m aqto?r.286
Die politischen Implikationen eines Nachkommens aus Davids Geschlecht erklären zudem das Interesse der römischen Kaiser für die jüdische königliche Familie. Euseb berichtet, dass Vespasian und Domitian die Nachkommen Davids suchen ließen.287 Der Bericht über die Enquete des Domitian über die davidische Dynastie ist sehr detailliert. Er findet in Palästina einige Mitglieder der Familie Jesu, Nachfahren seines Bruders Judas. Als er aber sah, dass sie arme Bauern waren, stellte er ihnen einige Fragen über die Natur des Reiches Christi, und dann entließ er sie.288 Diese Beispiele, deren Wahrheit nicht in Frage gestellt werden kann, zeigen, dass die römischen Autoritäten die Vorstellung eines davidischen Geschlechts politisch ernst nahmen. Das ist ein wichtiger Hintergrund für Mk 12,35–37, weil die Korrektur der Davidssohnschaft des Messias aus politischen und nicht aus theologischen Gründen zu erklären ist. Neben diesem politischen Problem der Davidssohnschaft steht die theologische Valenz des Ausdrucks uR¹r Dau¸d, der besonders in den neutestamentlichen Schriften eine Rolle spielt. Grundlage für Auffassung, dass der Messias davidischer Abstammung sein muss, ist Nathans Prophetie an den König David in 2Sam 7,11–13. Nathan prophezeite David die Ankunft eines Königs unter seinen Nachkommen, dessen Königreich kein Ende haben wurde.289 Es liegt nahe, dass Jesus für die Christen diese Prophetie des Nathan erfüllte und sein Reich kein Ende haben werde. Die Davidssohnschaft ist aber erst in den rabbinischen Schriften ein Prädikat des Messias. Nur in PsSal 17,21 kommt die Benennung des Messias als Davidssohn vor: Qd´ j¼qie ja· !m²stgsom aqto?r t¹m basik´a aqt_m uR¹m Dauid eQr t¹m jaiqºm. Die Vorstellung, dass Jesus aus dem Samen Davids stamme, findet sich 286 Das ist ein Motiv, das bei der matthäischen Erzählung der Geburt Jesu eine Rolle spielt. Herodes fühlt sich von einem davidischen Kind gefährdet. 287 Eus h.e. 3,12. 288 Eus. h.e. 3,19–20. 289 Die Qumranschriften enthalten die Vorstellung eines Messias aus Aaron und Israel (CD 12,23–13,1; 14,19; 20,1; 1QS 9,11; 1Qsa 2,11–22). Hinter diesen beiden Bezeichnungen steht die Erwartung von zwei Messiassen, einem königlichen und einem priesterlichen Messias. J. Marcus, Mark 14,61, 134, vermutet, dass ,Sohn Israels‘ neben ,Sohn Aarons‘ den Ausdruck ,Davids Sohn‘ ersetzen sollte: „The lay Messiah would be referred to as the ,Messiah-(Son)-ofIsrael‘ perhaps in order to avoid the honorific ,Son of David‘, a patronymic which would bring in its train a host of glorious biblical associations“. Marcus betont ebenfalls die Notwendigkeit dieser näheren Bestimmungen des Messias (restrictive appositives), weil der nachbiblische Messianismus sehr mannigfaltige Formen annahm. Man musste genau sagen, welchen Messias man gerade meinte und das einzige Mittel war die Formel ,Sohn von X‘.
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schon in dem ältesten Bekenntnis, in Röm 1,3: peq· toO uRoO aqtoO toO cemol´mou 1j sp´qlator Dau·d jat± s²qja. Nach der Bedeutung des Ausdrucks jat± s²qja sollte Jesus tatsächlich aus der Familie des König Davids stammen. Dieser Teil des Bekenntnisses spricht von der irdischen Herkunft Jesu,290 während in Röm 1,4 der Aspekt der Gottessohnschaft, die von dem heiligen Geistes bestimmt ist, betont wird: toO bqish´mtor uRoO heoO 1m dum²lei jat± pmeOla "ciys¼mgr 1n !mast²seyr mejq_m, ûIgsoO WqistoO toO juq¸ou Bl_m. Die gleiche Bekenntnisformel ist in 2Tim 2,8 zu finden: lmglºmeue ûIgsoOm Wqist¹m 1cgceql´mom 1j mejq_m, 1j sp´qlator Dau¸d.291 Nach Burger ist die Davidssohnschaft ein christologisches Prädikat für die erste Gemeinde, das an Bedeutung verliert, wenn die Gottessohnschaft betont wird: Je weiter der Gedanke der Gottessohnschaft in das irdische Leben und gar in die Präexistenz Christi zurückgetragen wird, um so deutlicher wird die Überlieferung von Jesu Davidssohnschaft nicht mehr als Hoheitsaussage, sondern als biographische Angabe verstanden.292
Diese Hypothese der Davidssohnschaft als Hoheitstitel Jesu kann in dem paulinischen Zitat in Röm 1,3 nicht festgestellt werden, weil der Ausdruck jat± s²qja an die reale irdische Abstammung denken lässt und nicht auf ein christologisches Prädikat angewendet werden kann. Bei Paulus beinhaltet außerdem das Prädikat der Davidssohnschaft Jesu keine christologische oder messianologische Bedeutung. Die Verstärkung der Davidssohnschaft als christologischer Titel neben der Gottessohnschaft ist dagegen ein besonderes Anliegen des Matthäusevangeliums, das die Erfüllung der messianischen Prophetien in der Gestalt Jesu betont. Eine besondere Rolle spielen dabei die Genealogien Jesu in Mt 1,1–17 und Lk 3,23–38, wobei die davidische Abstammung nicht eigentlich mit der jungfräulichen Empfängnis zusammenpassen kann. Die Genealogie kann nur aus der väterlichen Linie abgeleitet werden, und gerade die Vaterschaft des Joseph ist in diesen Texten ein Problem.293 Markus scheint eine solche Erkenntnis der christlichen Tradition aufzunehmen. Der Einzug Jesu in Jerusalem hat eine messianische Bedeutung für die Menge, die sich dort sammelt und ruft: eqkocgl´mg B 1qwol´mg basike¸a toO patq¹r Bl_m Dau¸d (Mk 11,10). Anders als Matthäus (21,5) und Johannes (12,15) zitiert Markus nicht die Prophetie von Sach 9,9, die von der Ankunft 290 Die Formel könnte nach Chr. Burger, Jesus als Davidssohn, 26, nicht einfach als eine dynastische Verbindung Jesu mit David, sondern als ein messianisches Bekenntnis verstanden werden. Jedenfalls relativiert der Gegensatz pmeOla – s²qn die Bedeutung dieser Abstammung und setzt den Akzent auf die Realität der Gottessohnschaft. 291 Weitere Belege dieser Bekenntnisformel finden sich in den Ignatiusbriefen. Ignatius spricht in fünf Stellen von der Davidssohnschaft Jesu: IgnSm 1,1; IgnRöm 7,3; IgnEph 18,2; IgnEph 20,2; IgnTrall 9,1. 292 Chr. Burger, Jesus als Davidssohn, 41. 293 Dazu vgl. Chr. Burger, Jesus als Davidssohn, 91–102 und 116–123.
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eines Königs auf einem Esel spricht. In Mt 21,9 ruft die Menge ¢samm± t` uR` Dau¸d aus, in Joh 12,13 wird Jesus b basike»r toO ûIsqa¶k genannt. Vor dem Einzug in Jerusalem ist der blinde Bartimäus der einzige, der Jesus zweimal als uR³ Dau¸d (Mk 10,47.48) anruft. Jesus gibt keinen Kommentar zu diesen Worten des Blinden, die als eine Meinung des Volkes gilt. Der Blinde verlangt seine Heilung, was wenig mit der messianischen Erwartung eines Davididen zu tun hat. Markus verzichtet also auf eine damals verbreitete Erkenntnis über Jesu Abstammung. Der Schluss von Mk 12,35–37 ist klar: Jesus ist zwar der Messias, aber eben kein Davidide. Der Beweis für diese Behauptung steht in der Schrift selbst, wo sich König David persönlich meldet und unter Inspiration spricht, nämlich am Anfang von Psalm 110. Ein besonderer Text, der vielleicht von dieser Perikope abhängig ist, ist die Widerlegung der Davidssohnschaft des Messias im Barnabasbrief.294 An dieser Stelle ist die prophetische Funktion des Psalmverses mit dem Gebrauch des Verbs pqovgte¼eim hervorgehoben. Im Vergleich zu dem markinischen Zitat ist hier der Text der Septuaginta vollständig wiedergeben (rpopºdiom und nicht rpoj²ty). Der Barnabasbrief zitiert einen weiteren Beleg im Jesajabuch 45,1, der aber fehlerhaft wiedergeben wird. Jes 45,1 bezieht sich auf den König Kyros (JOqor) während Barn 12,11 hier j¼qior liest. Der resultierende Satz hat eine christologische Zuspitzung: eWpem j¼qior t` wqist` lou juq¸\. Im ursprünglichen Text war nur von Kyros als dem Gesalbten Gottes die Rede.
7.3 Der Syllogismus zum Psalm 110 Die Argumentation Jesu gegen die Davidssohnschaft des Messias hat eine syllogistische Struktur, die schematisch so beschrieben werden kann: Wenn David den Messias j¼qior nennt, wie aus dem Zitat zu schließen ist, ist der Messias kein Sohn Davids, sondern sein Herr. Die Schlussfolgerung ist eigentlich in der Form einer Frage ausgedrückt: ja· pºhem aqtoO 1stim uRºr. Die Interpretation dieses Psalmverses ist ein spezielles christliches Anliegen. In der jüdischen Exegese ist keine messianische Interpretation festzustellen.295 Justin berichtet, dass dieser Psalm von den Juden auf König Ezechia und nicht auf den Messias bezogen wird.296 294 Barn 12,10–11: ûEpe· owm l´kkousim k´ceim fti b Wqist¹r uRºr 1stim Dau¸d, aqt¹r pqovgte¼ei Dau¸d, vobo¼lemor ja· sum¸ym tµm pk²mgm t_m "laqtyk_m7 EWpem j¼qior t` juq¸\ lou7 J²hou 1j deni_m lou, 6yr #m h_ to»r 1whqo¼r sou rpopºdiom t_m pod_m sou. Ja· p²kim k´cei ovtyr gGsaýar7 EWpem j¼qior t` Wqist` lou juq¸\, ox 1jq²tgsa t/r deni÷r aqtoO, 1pajoOsai 5lpqoshem aqtoO 5hmg, ja· Qsw»m basik´ym diaqq¶ny. 7Ide, p_r Dau·d k´cei aqt¹m j¼qiom, ja· uR¹m oq k´cei. 295 Die eschatolologische Bedeutung betrifft nur die Figur des Melchisedek in Ps 110,4 z. B. in der Qumran-Schrift 11Q Melchisedek 13. Nach dieser Schrift wird Melchisedek die Gestalt sein, durch die Gott sich an Belial rächt. (J. Marcus, The Way of the Lord, 133). R. Watts, The Psalms
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Das Interesse der christlichen Autoren zeigt sich besonders bei der Tatsache, dass neben Gott eine weitere Gestalt genannt wird, die den gleichen Würdenamen trägt. Im hebräischen Text kommen zwei Substantive vor, die im Griechischen mit dem gleichen j¼qior übersetzt sind, das erste bezieht sich auf Gott 89) 8=!, das zweite : =D( 2L4( bleibt nicht näher bestimmt. Das erklärt die Anwendung dieses Psalms in den neutestamentlichen Texten: Jesus ist der j¼qior, der an der Rechten Gottes sitzt und die Würde des Sohnes Gottes besitzt.297 Das eigentliche exegetische Problem dieser Perikope betrifft die Frage nach ihrer Bedeutung und ihrer Funktion in der christlichen Gemeinde. M. Albertz sieht in der Perikope eine Diskussion des historischen Jesus über die Streitfrage des Messias.298 Diese These einer Diskussion des historischen Jesus wurde immer wieder neu formuliert. R.H. Gundry stellt die Kritik Jesu an den Schriftgelehrten in den Mittelpunkt und legt diese Perikope zusammen mit der folgenden aus, die das Verhalten der Schriftgelehrten kritisiert. In dieser Perikope kritisiere Jesus vor allem die Methodik der Schriftgelehrten, die eine bestimmte Terminologie anwenden,299 ohne genau ihr Fundament zu ergründen. Grundlegend ist für Gundry der Gebrauch des Wortes pºhem in der Schlussfrage Jesu, die die unreflektierte Argumentationsweise der Schriftgelehrten hervorhebe. Die Pointe der Perikope sei daher keine christologische Diskussion über die Davidssohnschaft oder über die Überlegenheit der Gottessohnschaft über die Davidssohnschaft, sondern die Darstellung des fehlerhaften Verhaltens der Schriftgelehrten: „Jesus is exposing the scribes not answering Christological questions“.300 Die These Gundrys, nach der die Perikope die Auslegungsfehler der Schriftgelehrten zeige, ist m. E. nicht überzeugend, weil man zu diesem Zweck einen Text (Psalm 110) heranziehen würde, dem für Markus eine große Bedeutung zukommt, wie wir in Mk 14,62 sehen. Auch O. Cullmann gehört zu den Exegeten, die der Perikope Historizität zuschreiben. Mit seiner Berufung auf Psalm 110 habe Jesus nicht seine davidische Abstammung bestritten, sondern er habe die politischen Folgen der Davidssohnschaft, nämlich den Anspruch auf königliches Recht und den Gedanken der Errichtung eines neuen Reiches, abgelehnt.301 Die Historizität
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in Mark’s Gospel, 37, sieht in der Verbindung von Priester- und Königsrolle und in der Position zur Rechten Gottes den Grund, warum dieser Psalm in der jüdischen intertestamentarischen Literatur kaum rezipiert wurde: „It might be these two factors – sitting at God’s right hand and the Mechizedekian priest-king connection – that explain the relative absence of this text in intertestamental literature.“ Just. dial. 33,1; 88,1. Die Zitate dieses Psalms sind zahlreich: Mk 12,36 und par. Mk 14,62 und par. Mk 16,19; Apg 2,34; 1Kor 15,25; Eph 1,20; Kol 3,1; Heb 1,3.13; 8,1; 10,12.13; 12,2. M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 18. R.H. Gundry, Mark, 718: „Jesus is asking about terminology.“ R.H. Gundry, Mark, 723, der Teil heißt im Kommentar „Jesus’ Expos of the Scribes“. O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 132–134. Besonders klar ist seine Schlussfolgerung auf S. 134: „Wir kommen also zu dem Schluß, daß Jesus den Titel ,Davidsohn‘ für seine Person wohl nicht abgelehnt hat, wenn andere ihm diesen beilegten, daß er aber auf
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dieser Perikope ist aber dadurch fraglich, dass die Anwendung von Psalm 110 eine spätere christologische Überlegung voraussetzt. Dieser Psalm gehörte nicht zu den Texten, die im damaligen Judentum auf den Messias bezogen wurden. Er konnte jedoch eine eminente christologische Bedeutung enthalten. Die weitere Hypothese einer Einbettung der Perikope in eine polemische Debatte mit dem Judentum zieht die Formgeschichte, die sie nicht als Streitgespräch betrachtet, gar nicht in Betracht. Die Möglichkeit, sie in einer christlichen internen Debatte über die Natur des Messias zu situieren, bleibt ziemlich vage, wenn man nicht wie R. Brown den Streit von zwei Gruppen zu diesem Thema postuliert, eine Hypothese, die aber keine wirkliche Basis in der Geschichte des Christentums hat.302 J. Marcus schreibt dieser Perikope eine christologische und eine politische Bedeutung zu. Aus einem christologischen Gesichtspunkt diene die Perikope dazu, die Unzulänglichkeit des Titels „Sohn Davids“ zu beweisen. Jesus verstehe sich als der Messias, der die Hauptfigur des kosmischen Kampfes für das Reich Gottes nach der eschatologischen Perspektive von Psalm 110 ist.303 Ein Davidssohn sei nicht genug, um diesen Kampf zu führen. Die weitere Bedeutung der Perikope sei politisch. Der Evangelist sei sich dessen bewusst, dass die Bezeichnung Davidssohn von den Aufrührern im jüdischen Krieg verwendet wurde. Sie erhoben den Anspruch, die davidische Königsfamilie fortzusetzen und damit sich selber im Kampf gegen Rom zu legitimieren.304 Marcus will beide Aspekte gleichzeitig behalten. Es bleibt aber die Frage, warum die Davidssohnschaft, die zentral für die Christologie (siehe vor allem 1Kor 15,25) ist, plötzlich inadäquat erscheint.305 Bei Paulus ist Jesus doch der eschatologische Herrscher, der alle Feinde unterwirft, und keine inadäquate davidische Gestalt. Man muss daher annehmen, dass die christologischen Folgen der Interpretation von Ps 110,1 von Markus wegen der politischen
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jeden Fall die damit verbundenen Gedanken eines politischen Königtums energisch zurückgewiesen hat“. R. Brown, The Gospel according to John I, 53. 229–230, spricht von zwei Auffassungen über den Messias, die eine von einem Davididen (aus Bethlehem Joh 2,42 und Mt 2,5) und die andere von einem verborgenen Messias, der an keinen Ort gebunden ist. Diese Auffassung komme bei Justin (dial. 8,4; 90,1) vor. Sie spiegele sich in Joh 7,42. J. Marcus, The Way of the Lord, 137: „Our discernment of a cosmic dimension in the battle implied in Mark 12,35–37 has relevance for the christological point made by the passage, that the title ,Son of David‘ does not full justice to Jesus’ messiahship.“ Der kosmische Kampf ist für Marcus sichtbar in der Opposition der Dämonen und der religiösen Autoritäten. Das Psalmzitat versichert, dass alle Feinde am Ende besiegt werden. „The supernatural nature of the opposition against which Jesus the Son of God does battle and the cosmic nature of his victory means that ,Son of David‘ cannot express his identity.“ (S. 144) J. Marcus, The Way of the Lord, 146–149. E. Struthers Malbon, Jesus of Mark and Son of David, verzichtet auf eine Lösung dieser Frage: „My concluding plea is that none of these tensions be solved or dissolved“ (S. 179). Ihre Methode, eine Perspektive des markinischen Jesus und eine des Erzählers zu der Davidssohnschaft des Messias zu unterscheiden, ist m. E. allerdings nicht überzeugend.
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Implikationen revidiert wurden.306 Der Zweck dieser Perikope sollte die offene Distanzierung Jesu von einer politischen, nationalen Form des Messianismus sein. Das scheint mir ein klarer Fall zu sein, in der die apologetischen Interessen des Markusevangeliums die traditionelle Christologie revidieren. Damit ist die primäre Intention des Evangeliums nicht in einer theologischen oder christologischen Darstellung zu sehen, sondern in der apologetischen Präsentation der Gestalt Jesu. In dieser Hinsicht gewinnt dieser Text eine wichtige Rolle in der Jesus-Apologie des Markus. Jesus spricht in der Perikope von einer dritten Person, von dem Wqistºr, aber in der Tat ist klar, dass er von sich selbst spricht. Diese Schlussfolgerung ist möglich, weil die Streitgespräche Raum für eine extrakommunikative Normativität lassen, die die letzte Instanz für die erzählte Debatte sein muss. Man muss noch bedenken, dass in der paganen Welt Wqistºr nicht als Übersetzung des Wortes Messias bekannt war, sondern als eine Art Eigenname Jesu. Dieser Text sagte daher noch klarer, dass der Christus kein eigenes Königreich errichten wollte, weil er gar kein Nachkomme Davids war. Der höhere Anspruch der Gottessohnschaft, den man mit Psalm 110 behaupten kann, die göttliche Würde Jesu stellt dagegen keine politische Gefahr dar und entspricht auch dem tiefen und wahren Sinne des christlichen Glaubens. Die Apologie Jesu sollte für einen heidnischen Leserkreis verständlich sein, und gerade die Idee der Gottessohnschaft konnte diese kulturellen Unterschiede am besten überbrücken.307 306 Unwahrscheinlich scheint mir die Deutung von R. Watts, The Psalms in Mark’s Gospel, 39, nach der Markus die Rolle Jesu mit der Verbindung von priesterlicher und königlicher Funktion in Psalm 110,1 identifiziert. Jesus habe eine priesterliche Funktion, weil er die Heiligkeit des Tempels bewahren wolle. 307 Wichtig ist der Beitrag von A. Yarbro Collins, Mark and His Readers: The Son of God among Greeks and Romans, 85–100, zum christologischen Prädikat „Sohn Gottes“. Yarbro Collins betont die klare Verwurzelung dieses Titels in der griechisch-römischen Kultur. Ein Sohn Gottes sei eine Person, die besondere Fähigkeiten besitzt und von Gott einen Auftrag bekommt. Die Geschichten von Äsop oder von Archilochos zeigen, wie diese Menschen von den Göttern ihre poetische Fähigkeit bekamen. Die Epiphanie bei der Taufe und die Wundertätigkeit Jesu erinnere an Empedokles, dem auch göttliche Attribute zugeschrieben wurden und der Heilungen vollzog (S. 89). Der Titel Sohn Gottes wurde besonders von den römischen Herrschern seit dem Tod von Julius Caesar übernommen, divi filius wird im Griechischen heoO uRºr. Die Schlußfolgerung von Yarbro Collins ist, dass beide Aspekte für die Leserschaft des Markusevangeliums unterschiedlich gewirkt haben können: „Jesus is portrayed as Son of God narratively, by recounting his mighty deeds, his authoritative teaching, his prophecy, and his death for the benefit of others. The members of the audience educated in Greek and Roman traditions would associate the elements of this portrayal with their traditions regarding divine men: workers of miracles, philosophers and other wise men, inspired diviners, and benefactors, especially Heracles, who labored for the benefit of humankind and died a noble death. Those who still remembered that Augustus was known throughout the empire as ,son of god,‘ or who could read the remaining inscriptions in which he and some of his successors were given that title, would also associate this portrayal with the imperial cult.“ (S. 100). Die Tatsache aber, dass der römische Hauptmann Jesus als Sohn Gottes bezeichnet, war eine Garantie dafür, dass dieser Titel nicht als Konkurrenz gegen die römische Macht verstanden werden musste. Diese Perikope zeigt, wie die Gottessohnschaft gegen jede königliche Abstammung benutzt wird.
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8. Schlussbetrachtung Die Jerusalemer Streitgespräche behandeln andere Themen als die galiläischen. Die Stadt Jerusalem bringt eigene Probleme mit sich, die dort auf der Tagesordnung standen, wie die Frage der Autorität, das Problem der prophetischen Bewegungen und die Debatte über die Steuer an den Kaiser. Die theologischen Diskussionen, die die Debatten in Galiläa beinhalteten, scheinen hier nicht mehr so wichtig. Die Absicht der Gegner, Jesus bei einer falschen bzw. gesetzeswidrigen Aussage zu ertappen, bildet aber eine Kontinuität zu den galiläischen Streitgesprächen. In diesen Debatten ist das Spiel viel gefährlicher: Die Position Jesu gegenüber der römischen Macht wird auf die Probe gestellt. Die Gegner wenden dafür viel feinere Methoden an, indem sie Dilemmata und Rätsel in ihren Fragen verwenden und nicht mehr einfach Vorwürfe erheben, die eine Stellungnahme fordern. Bei einem Dilemma ist die Antwort immer kompromittierend. Jesus kann aber den Problemen der Dilemmata entgehen und sich selbst in einer an sich ausweglosen Situation behaupten. Er selber kann seine Gegner durch ein Dilemma in Mk 11,32 f zum Schweigen bringen. Das Wort 1nous¸a spielt in dieser Gruppe von Streitgesprächen eine zentrale Rolle. Es hat eine klare politische Bedeutung, weil es eigentlich Macht bedeutet. Eine Antwort zum Thema Macht kann sicher gefährlich sein, aber auch wenn das Wort die prophetische Vollmacht bezeichnet, ist eine Stellungnahme alles andere als einfach. Jesus wäre schnell mit den messianischen Propheten verglichen worden, die ihre vermutliche göttliche Vollmacht für ihre rebellischen Absichten anwendeten. Nach Markus hat Jesus aber 1nous¸a beim Lehren, was der Bedeutung von auctoritas entspricht, er kann Wunder tun, was eine übermenschliche Kraft zeigt. Er besitzt im Endeffekt die 1nous¸a des Sohnes Gottes und transzendiert die Problemata der Dilemmata einfach. Er kann die schwierige Frage des Tributs an den Kaiser mit adäquater Autorität beantworten und eine scheinbar harmlose theologische Frage über die Auferstehung so überstehen, dass die Gegner nichts mehr zu sagen haben. Sie können wie der vereinzelte Schriftgelehrte nur seine Weisheit bewundern und loben. Der Kreis schließt sich mit der Frage der Davidssohnschaft. Diese letzte Frage (ohne Fragende) ermöglicht es dem markinischen Jesus, sich von jeder Form von politisch-nationalem Messianismus zu distanzieren. Der Christus kann kein Sohn Davids sein, das sagt David selber. Wer dann mit dem Messias/Christus eine politische revolutionäre Bewegung in Verbindung bringt, wie es die Schriftgelehrten tun, der unternimmt nach Markus eine willkürliche Interpretation der Schrift. In der Schrift wird im Gegenteil die Gottessohnschaft des Christus klar zum Ausdruck gebracht, die die politischen Verhältnisse der Zeit nicht tangiert. Die Jerusalemer Streitgespräche verfolgen zwei Anliegen: a) Die Bestätigung der Fähigkeit Jesu, sich als ein Lehrer gegen die Fragen der Gegner zu behaupten. Die Formulierung seiner Antworten durch die
Schlussbetrachtung
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Knappheit der Apophthegmata und vor allem die Erkenntnis und die Lösung aller Rätsel tragen zu diesem Bild bei. b) Durch diese Konflikte wird die Differenz der Person Jesu zu den messianischen Propheten seiner Zeit sichtbar. In zweiter Linie fällt von dort Licht auf das Verhältnis der früchristlichen Gemeinden zum Jüdischen Krieg.
VI. Die Streitgespräche und das Markusevangelium 1. Das Markusevangelium aus der Perspektive der Streitgespräche Die Aufgabe dieses letzten Kapitels ist es, die wichtigsten Erkenntnisse dieser Untersuchung zusammenzufassen und zu zeigen, inwiefern diese ein neues Licht auf die Markusforschung werfen können. Denn obwohl die Streitgespräche einen relevanten Teil des Markusevangeliums darstellen, bemühen sich die meisten Untersuchungen zu diesen Texten lediglich darum,1 die vormarkinische Fassung der einzelnen Perikopen zu rekonstruieren. Nach diesem Konzept ist die besondere Leistung des Evangelisten bei den Streitgesprächen nur an wenigen einleitenden Versen ersichtlich.2 Das ist vor allem das Ergebnis der Monographie zu den markinischen Streitgesprächen von W. Weiß. Der Evangelist habe lediglich den schon vorliegenden Streitszenen einige weitere Elemente wie die Beschreibung der Gegner und die christologischen Akzente hinzugefügt.3 Die Textanalyse hat jedoch gezeigt, dass der Beitrag des Evangelisten keine sekundäre Rolle spielt. Vor allem ist der Stil der Streitgespräche nach dem Muster der antiken Apophthegmen eine originale Erfindung des Markus, der auch der erste ist, der die Form des Evangeliums als eine neue Gattung in das Panorama der frühchristlichen Literatur einführt.4 Die Charakterisierung des Werkes als „Kleinliteratur“ wurde, wie wir sahen, benutzt, um Markus jede literarische In1 Man kann E.E. Lemcio, The Intention of the Evangelist Mark, 188, zustimmen, wenn er sagt, dass die redaktionsgeschichtliche Forschung in der Unterscheidung von Redaktion und Tradition den Endtext nicht berücksichtigt hat. Sein Ziel ist das Evangelium als Ganzes zu betrachten: „The narrative, as narrative, should first be examined in its own right as an integrated whole.“ Er sagt mit einer gewissen Ironie, die Formgeschichte folgte W. Wrede in der Kritik einer Geschichte Jesu, habe aber dann eine Geschichte der Kirche geschrieben: „We must extend the criticism to all of those who have followed Wrede in using Mark prematurely to write the Church’s history.“ (ebd.) 2 B. Incigneri, The Gospel to the Romans, 5, formuliert treffend die Grenzen der redaktionsgeschichtlichen Methodik: „Although redaction critics considered that they were looking at the Gospel holistically compared with source critical practitioners, the method had the unhappy result of fragmenting it even further, as exegetes now ,marked out‘ the text, attempting to identify which pieces belonged to Mark, and which were from the pre-Markan traditions.“ 3 W. Weiß, Eine neue Lehre in Vollmacht, 331–343. Weiß widmet diesem Thema das letzte Kapitel seiner Untersuchung. Die Streitgespräche mit ihren narrativen Rahmen liegen nach Weiß Markus bei der Abfassung seines Evangeliums bereits vor. 4 E. Schweizer, The Portrayal of the Life of Faith in the Gospel of Mark, 387, mindert die Originalität des Evangelisten, indem er die Entstehung des von Markus abhängigen Johannesevangeliums aus einer vormarkinischen Tradition erklärt. Die Annahme einer vormarkinischen Vorlage des Evangeliums scheint allerdings schwer zu beweisen. Immerhin fügt Schweizer folgende Bemerkung hinzu: „Nonetheless, he is the first one to have written in this new genre.“
Das Markusevangelium aus der Perspektive der Streitgespräche
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tention und Qualität abzusprechen. Dagegen hat die vorliegende Untersuchung ergeben, dass der Evangelist zwar Materialien aus der Jesus-Überlieferung übernommen (Jesu Aussprüche, Erzählungen oder Vorwürfe gegen Jesus), sie aber entscheidend überformt hat. Er hat die Texte in der Form von Apophthegma strukturiert, in denen die Vertreter der jüdischen Gruppierungen verfängliche Fragen stellen, um Jesus zu beschuldigen, während Jesus immer eine passende Antwort hat und der Falle seiner Gesprächspartner entgehen kann. Besonders fraglich ist die Auffassung, dass jede Streitszene einen „Sitz im Leben“ in der Polemik der vormarkinischen Gemeinde gegen das Judentum oder das Judenchristentum habe. Das ist das Herzstück der Theorie der Formgeschichte. Die Textanalyse hat dagegen gezeigt, dass die Themen und vor allem die Argumente der Streitgespräche nicht zu einer realen Debatte der frühen Gemeinden mit der Synagoge passen können. Die Äußerungen Jesu zum Fasten in Mk 2,18–22 sind z. B. nicht eindeutig genug, um in einer polemischen Auseinandersetzung über diese Praxis Anwendung zu finden. Die Position Jesu zum Sabbat in Mk 2,23–3,6 lässt sich ebenfalls schwer in eine Debatte der christlichen Gemeinde mit der jüdischen Gemeinde einbetten (und auch nicht in eine interne Debatte zwischen Juden- und Heidenchristen). Jesus stellt nicht die Observanz des Sabbats in Frage, sondern plädiert für eine humanere Observanz des Gebots. Die polemischen Inhalte betreffen daher nicht die religiöse Lehre der christlichen gegenüber der jüdischen oder judenchristlichen Gemeinde, sondern die Lehre Jesu zu den verschiedenen Themen. In den Jerusalemer Streitgesprächen stellen seine Gegner Fragen zu bestimmten Themen, die eine Lehrmeinung Jesu erfordern (Tribut an den Kaiser, Großes Gebot, Auferstehung, Davidssohnschaft des Messias) und erheben nicht mehr Vorwürfe wie in den Galiläischen Streitgesprächen. Die Auseinandersetzung wird damit nicht besser. Im Gegenteil: Sie versuchen Jesus in Dilemmata zu verwickeln, um damit seine Position zu kompromittieren. Das Ziel der Gegner ist dabei, Beweise für seine Anklage zu sammeln, um Jesus als Blasphemiker und politisch suspekten Menschen verurteilen zu können. Der Ansatz dieser Untersuchung, die die Polemik gegen die Gestalt Jesu in den Mittelpunkt der Streitgespräche stellt, ermöglicht es unter anderem, eine Kontinuität zwischen den beiden großen Gruppen von Streitgesprächen festzustellen. Dabei stellt sich die Frage nach den Grenzen der form- und redaktionsgeschichtlichen Methoden. Die Verschiedenheit der literarischen Gattung der Perikopen in Mk 11–12 (Streit- und Schulgespräche nach Bultmann und nach W. Weiß) erschwert die Annahme einer vormarkinischen Sammlung, die eine homogene literarische Gattung voraussetzen würde.5 5 Die Bestimmung der literarischen Form der Perikopen in Mk 11,27–12,34 bleibt außerdem umstritten. Zum Beispiel ist die Frage nach dem Tribut an den Kaiser formal ein Streitgespräch, aber es ist nicht möglich, diese Perikope als polemische Auseinandersetzung mit dem Judentum zu verstehen oder als eine interne Debatte über die Macht Roms. Man muss daher annehmen,
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Die Streitgespräche und das Markusevangelium
Daher ist auch der von der gattungsgeschichtlichen Bestimmung abhängige Sitz im Leben der einzelnen Perikopen unklar. Obwohl diese Untersuchung sich nur mit einem Teil des Markusevangeliums beschäftigt, leistet sie einen Beitrag zur Interpretation des gesamten Evangeliums. Die Streitgespräche, die literarisch als Apophthegmen zu betrachtet sind, sind sehr gut in die markinische Erzählung über Jesus integriert. Denn die Streitgespräche sind mehr als jede andere Textsorte (z. B. Gleichnisse oder Wundererzählungen) mit der narrativen Entwicklung des Evangeliums verbunden, nicht nur weil sie in jedem Teil des Evangeliums vorkommen, in Galiläa, auf dem Weg nach Jerusalem und in Jerusalem, sondern auch weil sie auf das Hauptereignis des Evangeliums fokussiert sind, den Kreuzestod Jesu. Sie können deshalb weder als Sammlungen von losen Apophthegmen wie die Apophthegmen bei Plutarch oder Diogenes Laertius noch als Teil einer vormarkinischen Sammlung betrachtet werden. Die Komposition der Streitgespräche als Apophthegmen ist Bestandteil der Konzeption des Evangeliums. Die These sei noch einmal kurz skizziert. Die Grundlage für diese Texte ist der Beelzebul-Streit, die einzige Konfliktszene in der vormarkinischen Logienquelle, in der Jesus einen Vorwurf (das Bündnis mit dem Teufel) argumentativ zurückweist. Die Streitgespräche stehen von Anfang an im Zusammenhang mit der Hinrichtung Jesu (Mk 3,6). Sie zeigen kurze Konfliktszenen, bei denen das Urteil der Leser erwartungsgemäß ausfällt. Anders als bei den philosophischen Dialogen steht in den Apophthegmen der Hauptdarsteller im Mittelpunkt, während andere Aktanten meistens anonym und unscharf bleiben. Die Apophthegmen haben die Funktion, kleine Gerichtsszenen darzustellen, bei denen die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Jesus und die Fragen nach der Bedeutung seiner Person thematisiert werden. Die Streitgespräche füllen zudem eine Lücke in der Passionsgeschichte Jesu, in der Jesus keine Verteidigungsrede hält (vgl. Mk 15,1–5).6 In der Entwicklung der Streitgespräche eskaliert die Opposition der Gegner, die immer listiger in der Auseinandersetzung vorgehen. Das Drama der Kreuzeshinrichtung wird dadurch noch verschärft: Jesus kann alle Fragen beantworten und alle Vorwürfe entschieden zurückweisen, aber seine Gegner sind trotzdem unentwegt damit befasst, ihn zu vernichten. Die Darstellung einer ungerechten Hinrichtung verbindet sich mit dem christologischen Drama des Sohnes Gottes, der in der Welt verworfen wird. Die Argumentationskraft, mit der Jesus die Vorwürfe seiner Gegner widerlegen kann, zeigt, dass die Anschuldigungen der Blasphemie und des politischen Aufruhrs gegen die römische Ordnung unbegründet sind. Die Gegner versuchen, die Position Jesu gegenüber den religiösen Gesetzen und dass sie ein Schulgespräch (eine Belehrung für die Gemeinde zu einem brisanten Thema) ist, in der Form eines Streitgesprächs. Das ist aber verwirrend und beweist die Grenzen der Hypothese Bultmanns. 6 Besonders auffallend ist Mk 15,5 b d³ ûIgsoOr oqj´ti oqd³m !pejq¸hg, ¦ste haul²feim t¹m Pik²tom. Jesus hat durch die Streitgespräche schon auf die vielen Vorwürfe und Anklagen geantwortet.
Das Markusevangelium aus der Perspektive der Streitgespräche
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dem römischen Staat durch ein Crescendo von Fragen und Vorwürfen als abwegig zu erweisen und damit Gründe für eine Anklage zu finden. Da sie ihre Anklagen und Vorwürfen nicht beweisen können, wirken die Streitgespräche, die den Tod Jesu vorbereiten,7 insgesamt als seine Apologie. Eine solche Interpretation der Streitgespräche basiert darauf, dass der Evangelist als Autor betrachtet werden muss, was einer Tendenz der gegenwärtigen Markusforschung entspricht.8 Es muss hier darum gehen, die Schlussfolgerungen dieser Untersuchung und die Konsequenzen für die Interpretation des Markusevangeliums hervorzuheben. Das impliziert eine Überschau über die Diskussionen, die die internationale Markusforschung heute charakterisieren. Dabei sind drei Themenfelder zu unterscheiden, die je gesondert betrachtet werden sollen:9 – die Rekonstruktion des historischen Kontexts, in dem das Evangeliums entstanden ist – die theologische Bedeutung des Evangeliums – die Bestimmung der literarischen Gattung. 7 S.H. Smith, The Role of Jesus’ Opponents in Markan Drama, 161–162, versteht die markinischen Streitgespräche als eine Vorwegnahme des tragischen Todes Jesu. Sie seien miteinander durch das literarische Mittel des „foreshadowing“, typisch für die griechische Tragödie, verbunden. Smith sieht einen Zusammenhang zwischen Mk 1,21–28 und den folgenden Streitgesprächen: Mk 1,21–28 „contains all the ingredients of controversy, and anticipates the first main controversy section in 2,1–3,6“ (S. 168). Das Bündnis der Schriftgelehrten mit den Ältesten sei ein weiteres Motiv, das das Ende der Geschichte Jesu vorwegnimmt. Mk 3,6 „foreshadows the scene in 15,1 in which the result of ,taking counsel‘ there leads to transfer Jesus from the control of the religious to the political authorities“. Dieser Ansatz setzt die literarische Leistung des Evangelisten voraus, der die verschiedenen Streitszenen auf den Tod Jesu hinordnet. Man kann aber zu diesem Entwurf kritisch bemerken, dass die Vorwegnahme des Todes Jesu kein einfaches Drama bilden will, sondern den Zweck verfolgt, die Ungerechtigkeit dieser Hinrichtung darzustellen. Das soll in dieser Untersuchung mit dem Begriff der Apologie unterstrichen werden. 8 Vgl. O. Wischmeyer, Forming Identity through Literature, 362–369, zum Konzept des „hidden author“. 9 Einen ausführlichen Forschungsbericht zum Markusevangelium seit dem Anfang der modernen Exegese bis heute bietet D. Dormeyer in seiner Monographie, Das Markusevangelium, Darmstadt 2005. Dem aktuellen Forschungsstand sind die S. 138–225 gewidmet. Vgl. auch W.R. Telford, Writing on the Gospel of Mark, Dorset 2009. Zum Stand der Markusforschung vgl. den Aufsatz von C. Breytenbach, Current Reaserch on the Gospel to Mark, 12–32. A. Winn, The Purpose of Mark’s Gospel, 3–91, erfasst die Forschung über das Markusevangelium nach zwei Hauptpunkten, dem Zweck des Evangelium und der Frage nach Lokalisierung der Ereignisse, Datierung und Ort der Abfassung. Für ältere Forschungsberichte kann man den Sammelband R. Pesch (Hg.) Das Markus-Evangelium, WdF 411, Darmstadt 1979, oder H.-D. Knigge, The Meaning of Mark, Interp. 22/1 (1968) 53–70 konsultieren. Schon Knigge hat am Ende seines Forschungsberichts die Mannigfaltigkeit der Markusforschung so dargestellt: „The current state of research can be compared to a kaleidoscope through which one sees three basic images and many possible variations. But this situation does not detract from the productiveness of redaction criticism’s study of Mark’s Gospel: it is merely underscore the difficulties already mentioned at the beginning“ (S. 67–68). Es ist klar, dass hier nur die Hauptlinien dieser Forschung skizziert werden können. Ein weiterer Bericht über die Markusforschung bis zu den siebziger Jahre bietet H.C. Kee, Mark’s Gospel in Recent Research, Interpr. 32/4 (1978) 353–368.
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Die Streitgespräche und das Markusevangelium
1.1 Der historische Kontext: Der Jüdische Krieg Wesentlich für die Rekonstruktion des historischen Kontexts ist der Zusammenhang des Markusevangeliums mit dem jüdischen Krieg.10 Die Datierung des Evangeliums kurz vor oder nach dem Ende dieses Krieges drückt nicht nur eine chronologische Nähe zu diesem für Palästina katastrophalen Ereignis aus.11 Es wird vielmehr angenommen, dass infolge dieses Krieges eine Art Stellungnahme der christlichen Gemeinde erforderlich war, die das Evangelium anbieten soll.12 Das eigentliche Problem war dabei die Positionierung der Christen zur Macht des Imperium Romanum, das sich durch den Krieg definitiv durchgesetzt hatte. Diese Diskussion wird vor allem in der englischen Fachliteratur thematisiert,13 angeregt von den Studien von S.G. Brandon14 und von der marxistischen Studie von Fernando Belo.15 Man kann zwei Ansätze unterscheiden: Das Markusevangelium enthält eine kritische Position gegen Rom oder aber eine grundsätzliche Anerkennung der Macht Roms, mit der die Christen einen Dialog suchen. Im Zentrum der Untersuchung steht Mk 13, das 10 W.H. Kelber, The Kingdom in Mark, 132: „The Roman-Jewish War of A.D. 66–70 and in particular the destruction of Jerusalem and its temple form the historical background and motivational starting point for the gospel of Mark.“ E.-M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, 400: „Die Erfahrungen des jüdisch-römischen Krieges und der Tempelzerstörung haben als konkrete historische Auslöser auf die Abfassung der frühesten Evangelienschrift eingewirkt.“ 11 Die Frage nach der Datierung bleibt umstritten. Die Diskussion über die Datierung des Evangeliums fasst John S. Kloppenborg, Evocatio Deorum and the Date of Mark, JBL 124/3 (2005), 419–450, zusammen. 12 Grundlegend ist der Aufsatz von J. Marcus, The Jewish War and the Sitz im Leben of Mark, JBL 111/3 (1992) 441–462. Marcus setzt den Entstehungsort in hellenistischem Gebiet außerhalb Palästinas an und zwar in Pella, wohin die Christen aus Jerusalem vor der Zerstörung Jerusalems nach dem Bericht des Eusebius zogen (S. 461). 13 Vgl. E. Bammel, The Revolution Theory from Reimarus to Brandon, 11–68. 14 Vor allem die Untersuchungen: Jesus and the Zealots. A Study of the Political Factor in Primitive Christianity, Manchester 1967, und: The Fall of Jerusalem and the Christian Church: A Study of the Effects of the Jewish Overthrow of A.D. 70 on Christianity, London 21957. Die These von Brandon, nach der die Jesus-Bewegung einen zelotischen Charakter hatte, basiert auf der umfangreichen Studie des Wiener Religionswissenschaftlers Robert Eisler, IGSOUS BASIKEUS OU BASIKEUSAS. Die messianische Unabhängigkeitsbewegung vom Auftreten Johannes des Täufers bis zum Untergang Jakob des Gerechten nach der neuerschlossenen Eroberung von Jerusalem des Flavius Josephus und den christlichen Quellen, Religionswissenschaftliche Bibliothek 9, Bd.2, Heidelberg 1930. Diese Darstellung wurde nicht in der deutschen Exegese rezipiert, wurde hingegen in der englischen Welt sehr intensiv diskutiert und erweckte m. E. das Interesse für eine soziale und historische Einbettung des Markusevangeliums. 15 Lecture mat rialiste de l’ vangile de Marc. R cit – Pratique – Id ologie, Paris 1976. Auch diese Studie wurde in der deutschen Exegese kaum rezipiert, während sie in der angelsächsischen Exegese die soziale Forschung zum Neuen Testament anregte; vgl. T.-S.B. Liew, Politics of Parousia, 48–49. Liew, der selbst in dieser politisch sozialen Linie steht, betont die Wirkung des Werkes von Belo vor allem auf Ched Myers Untersuchung: Binding the Strong Man. A Political Reading of Mark, Maryknoll 1992.
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meistens in der angelsächsischen Exegese als eine Komposition des Markus angesehen wird,16 während nach der deutschen Exegese dieses Kapitel auf eine vormarkinische Vorlage aus den 40er17 oder den 60er Jahren zurückgeführt wird18. W.H. Kelber stellt in den Mittelpunkt des Evangeliums das Thema „Reich Gottes“, das nach dem jüdischen Krieg aktuell geworden ist.19 Das Thema habe keine antirömischen Implikationen, sondern sei das Ergebnis einer internen Auseinandersetzung zwischen dem Galiläischen und dem Jerusalemer Christentum. Die Jerusalemer Gemeinde habe sich an den Krieg gegen Rom beteiligt und sei mit dem Tempel zugrunde gegangen.20 Markus, der aus Galiläa stammt, habe daher das Evangelium geschrieben, um das Christentum in Galiläa zu legitimieren. Galiläa sei praktisch das „neue Jerusalem“.21 B.J. Incigneri betont die kritische Funktion einiger Texte gegenüber Rom, wie Mk 3,22–27 und Mk 5,1–20, mit denen das Imperium dämonisiert wird.22 Allerdings legt er den Akzent eher auf die Verfolgung Neros in Rom als auf den jüdischen Krieg als solchen und vor allem auf den Schrecken, den die Verfolgung in der römischen Gemeinde ausgelöst hatte.23 Nach dem Triumph des Titus in Rom im Jahr 71 war die römische Gemeinde voller Angst und Bangen vor einer möglichen Verfolgung. Incigneri interpretiert den Ausdruck let± t_m hgq¸ym am Schluss der Versuchungsgeschichte in Mk 1,13 als Bezug auf die damnatio ad bestias, eine Art der Hinrichtung von Kriminellen, die viele
16 A. Yarbro Collins, Composition and Performance in Mk 13, 551, formuliert einen Zusammenhang zwischen der Abfassung des Evangeliums und des Kapitels 13, dem ich zustimme: „The rhetorical exigence that led the Evangelist to write chapter 13, and perhaps the Gospel as a whole, was the appearance of messianic pretenders during the first Jewish War with Rome.“ Eine weitere Stimme für die Abfassung dieses Kapitels durch Markus ist Incigneri, The Gospel to the Romans, 120–139. 17 G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, 162–176, datiert die „synoptische Apokalypse“ in der Zeit der Caligula-Krise. 18 Für die Vorlage plädiert E. Brandenburger, Markus 13 und die Apokalyptik, 65–70. Die Verfasser ist eine christliche Gemeinde in der Zeit des jüdischen Krieges. 19 W.H. Kelber, The Kingdom in Mark, diskutiert die Entstehung des Markusevangelium nach dem Jüdischen Krieg in seinem letzten Kapitel (129–147). Die Thesen werden hier unten zusammengefasst. 20 Die Beteiligung der Christen an den Krieg entnimmt Kelber, The Kingdom in Mark, 134, aus der Attacke des Evangeliums gegen die falschen Propheten, die nach Kelber Christen aus Jerusalem sind. 21 Kelber, The Kingdom in Mark, 139. Für die Lokalisierung der markinischen Gemeinde in Galiläa spricht auch H. Roskam, The Purpose of the Gospel of Mark, 94–114. Trotz der Fehler in der Kenntnis der palästinischen Geographie sind für Roskam die Kenntnisse des Markus ziemlich gut: „However, it will be shown presently that Mark’s references to places in Galilee all prove to be geographically adequate“ (S. 104) 22 Incigneri, The Gospel to the Romans, 113–115. 23 Incigneri, The Gospel to the Romans, 208: „The resultant stresses upon the members of Mark’s community will now be considered, especially the trauma they suffered from witnessing the deaths of others and the constant anxiety of living under the threat of arrest and execution.“
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Christen in Rom leiden mussten.24 Das sei eine weitere Parallelisierung des Teufels mit Rom. Die Beschreibung der Kreuzigung Jesu habe Markus nach dem Ablauf dieser Hinrichtungen in Rom verfasst, die er persönlich mitangesehen hatte. Die Christen konnten darin die christlichen Märtyrer wiedererkennen. Das Markusevangelium sei deshalb eine Schrift, die die römischen Christen nach der neronischen Verfolgung stärken und sie für das Martyrium vorbereiten sollte. Die Untersuchung von A. Winn vertritt eine ähnliche These wie Incigneri. Das Evangelium wurde in Rom25 nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und nach dem Triumph von Titus und Vespasian in Rom im Jahre 71 geschrieben.26 Die Christologie des Markusevangeliums stelle die Gestalt Christi als des Sohnes Gottes, des Herrschers über die ganze Welt gegen die Kaiserideologie.27 Sie sei eine Antwort auf die Propaganda des neuen Kaisers, die die römische Gemeinde in eine christologische Krise versetzte.28 Diese Interpretationen betonen die politische Bedeutung des Wortes eqacc´kiom, die Titulatur für den Kaiser als den Sohn Gottes und den Zusammenhang der Wunder Jesu mit den Wundern des Vespasian. Incigneri und Winn sind sogar der Meinung, dass sich die Warnung gegen falschen Propheten und Messiasprätendenten in Mk 13 auf die Propaganda des Kaisers bezieht,29 was m. E. unwahrscheinlich ist. Nach Liew ist das zentrale Thema des Evangeliums die Definition der Autorität Jesu, die gegen religiöse und politische Autoritäten gerichtet ist. Seine apokalyptische Auffassung stellt jede Institution, den Staat, die Religion, die 24 Incigneri, The Gospel to the Romans, 108–113. Das bestätige die Entstehung des Evangeliums in Rom. 25 A. Winn, The Purpose of Mark’s Gospel, 91. 26 A. Winn, The Purpose of Mark’s Gospel, 167–169. Gerade nach dem Triumph von Titus und Vespasian war die Gemeinde nach Winn entsetzt, weil der neue Kaiser sich als Gott und als der einzige Herrscher der Welt und als derjenige, der die messianische Prophetien erfüllt, darstellte. Für die Christen war aber Jesus der einzige Herrscher. 27 A. Winn, The Purpose of Mark’ Gospel, 179. 28 A. Winn, The Purpose of Mark’s Gospel, 172–173. Winn spricht ausdrücklich von „a christological crisis“. Die Verfolgung des Nero war noch ziemlich präsent in der Erinnerung der römischen Gemeinde und dazu kommt die ,messianische‘ Propaganda des Vespasian. 29 Diese These vertritt Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, 278–279, der hinter den falschen Propheten und falschen Messiassen die Wirkung der römischen Machtkämpfe und ihrer Propaganda sieht. Vespasian spiele dabei eine Rolle: „Charakteristisch für den falschen Messias ist, daß er durch Propheten und Wunder die Erwählten zu verführen sucht. Hier könnte die Propaganda für Vespasian den konkreten Erfahrungshintergrund bilden.“ A. Winn, The Purpose of Mark’s Gospel, 174: „Those responsible for promulgating these prophecies could easily be identified with the false prophets of Mark’s eschatological discourse. Mark’s claim that these prophets and messiahs produce convincing signs and omens only establishes a closer connection between Vespasian and Flavian propagandists with the false messiahs and prophets of Mark 13.“ B.J. Incigneri, The Gospel to the Romans, 300–302. Es scheint mir hingegen wahrscheinlicher, dass Markus mit dieser Warnung Jesu vor den falschen Propheten auf eine Distanzierung Jesu und seiner Bewegung von den Zeichenpropheten zielt.
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Familie, in Frage, aber in der neuen Definition einer Autorität nehme Markus die römische Vorstellung von Macht als Vorlage.30 Meiner Meinung nach zeigen die Streitgespräche, dass das Markusevangelium keine antirömische Position beziehen will. Die Jerusalemer Streitgespräche beschäftigen sich besonders mit ,politischen‘ Fragen. Ihre Intention ist aber nicht, die Person Jesu dem Kaiser gegenüberzustellen, sondern vor allem Jesus gegen den Verdacht einer aufrührerischen Position zu verteidigen. Die Gegner Jesu wollen ihn in der Öffentlichkeit als Aufrührer und Rebell entlarven und ihn deshalb anklagen. Die Fragen, die Jesus beantworten soll, haben eindeutig das Ziel, Hinweise gegen Jesus zu sammeln, um ihn bei den römischen Autoritäten zu denunzieren. Markus kann die traditionellen christologischen Prädikate Jesu (uR¹r heoO, uR¹r toO !mhq¾pou, Wqistºr) beibehalten, aber er will zeigen, dass sie die politische Ordnung der Zeit nicht in Frage stellen wollen. Die 1nous¸a Jesu, die sich in den Diskussionen und Wundern zeigt, hat eine besondere Qualität, die aber keinesfalls in Konkurrenz mit der 1nous¸a des römischen Kaisers tritt. Sie ist vielmehr als auctoritas zu verstehen, mit der der Erfolg in den Auseinandersetzungen und die Zustimmung des Volkes erklärt werden kann. Die Streitgespräche zielen daher auf eine starke Differenzierung zwischen der Gestalt Jesu und den antirömischen Rebellen. Eine zentrale Rolle spielt die Diskussion über den Tribut für den Kaiser, eine Streitfrage der Zeit auch nach dem jüdischen Krieg.31 Jesus entgeht durch seine Antwort dem Dilemma und bezieht eine Position, die ihn vor jedem Vorwurf schützt. Er ist weder ein Kollaborateur noch ein Aufrührer. Die weiteren Streitgespräche dienen dazu, die Ansichten Jesu von der zelotischen Position zu unterscheiden. Er nimmt ein erstes Gebot an, die Liebe zu Gott, das aber nicht zu einem fanatischen Impuls gegen die Römer und die Heiden wird, weil dieses Gebot von einem zweiten, der Liebe zum Nächsten, notwendig ergänzt werden muss. All das macht die These von einer antirömischen Botschaft des Evangeliums unhaltbar. Die Position Jesu ist, die Sphäre Gottes und die Sphäre des Menschen zusammenzubringen, nicht sie gegeneinander zu stellen. Die Zeloten hatten eine fanatische Erfüllung des ersten Gebotes befürwortet, aber auch die Mitglieder des Sanhedrin geraten in Verlegenheit, wenn Jesus sie nach einer Stellungnahme zu der Wirkung des Johannes fragt.
30 T.S.B Liew, Politics of Parousia, 108. Liew spricht von einer „colonial mimicry“: „Mark’s Gospel also contains traces of ,colonial mimicry‘ that reinscribe colonial domination. Jesus, as God’s son and heir, has absolute authority in interpreting and arbitrating God’s will.“ 31 Incigneri, The Gospel to the Romans, 200–201, teilt diese Interpretation, aber sieht den Kontrast zwischen Gott und Kaiser in der folgenden Perikope. Gott und nicht der Kaiser hat die Macht Leben zu geben.
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Die Streitgespräche und das Markusevangelium
1.2 Die theologischen Inhalte: Der Kreuzestod Die Beschreibung der theologischen Grundthematik des Markusevangeliums hat zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt, besonders infolge der redaktionsgeschichtlichen Methode, die nach einem theologischen Ansatz des Markus suchte.32 Diese Suche nach einer theologischen Pointe des Markusevangeliums ist eine charakteristische Aufgabe innerhalb der deutschen Exegese. Die Mannigfaltigkeit der Untersuchungen kann hier nur knapp skizziert werden. Diese besondere Richtung der deutschen Markusforschung wurde von der Untersuchung von William Wrede zum Messiasgeheimnis angeregt.33 Wrede verband mit dem Begriff ,Messiasgeheimnis‘ drei Elemente des Evangeliums, die zu unterscheiden sind: 1) das Schweigegebot an Geheilte, Jünger und Dämonen, 2) die Gleichnistheorie in Mk 4,10–12 und 3) das Unverständnis der Jünger.34 Das Messiasgeheimnis sei ein Mittel, das die vormarkinische Tradition erfunden habe, um die Tatsache zu verdecken, dass Jesus selbst nicht von seiner Messianität gesprochen habe.35 Die Thesen Wredes verursachten eine lange Diskussion,36 die bis zur Gegenwart reicht, sie 32 Kaum befolgt wurden die Richtlinien, die U. Luz (Markusforschung in einer Sackgasse, 641–655) für die Markus-Forschung formuliert hat. Er warnt vor allem vor den komplizierten Theorien, die für die Studierenden eine frustrierende Wirkung haben. Sie klagen über die Nutzlosigkeit der historisch-kritischen Methode (S. 643). Er plädiert dafür, dass die Hypothesenfreudigkeit sich in Grenze halten soll (S. 653). 33 W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Betrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901. 34 H. Räisänen, Das Messiasgeheimnis, 50–51, die Parabeltheorie gehört nicht zum Geheimnismotiv des Evangeliums, weil sie nicht für das ganze Evangelium durchgeführt wird. Jesus benutzt Gleichnisse als Kampfwaffen in 3,23 und 12,1–12. 35 Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien, 227: „Es bleibt also schwerlich eine andere Möglichkeit, als dass die Anschauung vom Geheimnis in einem Momente entstand, wo man von einem messianischen Anspruch Jesu auf Erden noch nichts wusste, und das heisst eben, in einem Momente, wo man als den Beginn der Messianität die Auferstehung dachte.“ 36 Zahlreich sind die monographischen Studien zu diesem Thema. Hierunter erwähne ich einige repräsentative Meinungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit: H.J. Ebeling, Das Messiasgeheimnis und die Botschaft des Marcus-Evangelisten, spricht vom Messiasgeheimnis als einem literarischen Motiv, um die Offenbarung noch evidenter zu machen, (S. 187); G. Strecker, Zur Messiasgeheimnistheorie, 206, betont die historische und heilgeschichtliche Ausrichtung der markinischen Erzählung. Sie diene dazu, die Offenbarung im Leben Jesu zu repräsentieren. U. Luz, Das Geheimnismotiv, 226–227, spricht von einem Nebeneinander von zwei Motiven bei der hellenistischen Idee vom he?or !m¶q und dem Kerygma des Kreuzes. Diese kommen im Markusevangelium nicht zu einer Synthese. Nach Theißen, Das Neue Testament, 66, ist das Messiasgeheimnis kein bloßer literarischer Kunstgriff, „sondern bringt einen monotheistischen Vorbehalt zum Ausdruck“ (…) Jesus lehnte dagegen jede Vergöttlichung durch Menschen ab“. C. Focant, Une Christologie de type ,mystique‘, 20–21, definiert das Messiasgeheimnis als eine Komponente einer mystischen Christologie. Typisch für die mystische Literatur ist nach Michel de Certeau die Thematisierung der Anwesenheit oder des Geheimnisses oder die Dekonstruktion von religiösen Werten.
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dienten nicht zuletzt dazu, den theologischen Inhalt des zweiten Evangeliums zu bestimmen. Ph. Vielhauer formuliert gerade in Auseinandersetzung mit der These Wredes seine Hypothese einer Sohn-Gottes-Christologie. Das Evangelium entwickle sich in drei Stufen, in denen Jesus als Sohn Gottes geoffenbart wird: Taufe (Mk 1,9–11), Verklärungsgeschichte und Bekenntnis des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz (Mk 15,39). Die drei Stufen Adoption (Mk 1,11), Proklamation (Mk 9,7) und Akklamation (Mk 15,39) gehen seiner Meinung nach auf ein altägyptisches Zeremoniell der Inthronisation zurück.37 G. Theißen entwickelt diese These Vielhauers in seiner Untersuchung zu den Wundergeschichten weiter. Er unterscheidet drei Spannungsbögen im Evangelium, einen „aretologischen“, einen mythischen und einen biographischen. Im aretologischen Spannungsbögen geht es um den Kontrast zwischen Geheimnis und Akklamation. „Wir nennen daher das MkEv eine ,aretologische Evangelienkomposition‘, die auf der Aktualisierung von Geheimnis- und Akklamationsmotiven basiert“.38 Der mythische Spannungsbogen werde in drei Stufen, durch die das Schema von Vielhauer wiederaufgenommen wird, aufgebaut, nämlich Taufe, Verklärung und Kreuz. Das Wort ,mythisch‘ erkläre sich dadurch, dass es um ein transzendentes Wesen und sein Verhältnis zu Gott geht. Ein letzter Spannungsbogen ist die biographische und chronologische Anordnung des Stoffes. Alle drei Bögen verbinden sich im Bekenntnis des römischen Hauptmann. Dies sei eine Akklamation – Jesus wird als Sohn Gottes bekannt – und beziehe sich auf die Gestalt Jesu insgesamt. Die Christologie ist nach Weeden das polemische Thema des Evangeliums. Nach seiner Meinung entstand das Evangelium, um die Position einiger Irrlehrer in der markinischen Gemeinde zu bekämpfen, die eine he?or-!m¶qChristologie vertraten. Im Evangelium korrigiert Jesus stets die christologische Auffassung der Jünger durch eine Kreuzestheologie. Die zentrale These Weedens lautet: „Die voranstehende Analyse führt zum Schluß, dass Markus die Jünger als Verfechter einer he?or-!m¶q-Christologie dargestellt hat und diese dem Glauben Jesu an die Leidensmessianität gegenüber gestellt hat.“39 Eine besondere Hypothese zur Definition einer Christologie des Markusevangeliums stellt D. du Toit auf. Er vermutet, dass das Markusevangelium verfasst wurde, um die Abwesenheit Jesu zu verarbeiten. Jesus sei der abwesende Herr. Markus spreche für seine Generation, die Jesus nicht mehr unmittelbar erlebt hat, und versuche theologisch diese Abwesenheit zu verarbeiten, quasi als eine Form von Trauerarbeit. Die Pole dieser Überlegung sind die Worte Jesu, die von seiner Abwesenheit sprechen (Mk 2,19–20) und vor 37 Ph. Vielhauer, Erwägungen zur Christologie des Markusevangeliums, 166–167. Dieses Schema ist nach Norden grundlegend für den christologischen Hymnus in 1Tim 3,16 und für Heb 1,5–13. 38 G. Theißen, Die aretologische Evangelienkomposition des Markus, 308. 39 T.J. Weeden, Die Häresie, die Markus zur Abfassung seines Evangeliums veranlasst hat, 243.
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allem der Ausspruch in Mk 14,7 p²mtote c±q to»r ptywo»r 5wete lehû 2aut_m ja· ftam h´kgte d¼mashe aqto?r ew poi/sai, 1l³ d³ oq p²mtote 5wete.40 Die Zeit der Kirche sei von der Notwendigkeit gekennzeichnet, diese Abwesenheit zu füllen. Man kann aber kritisch dazu sagen, dass im Evangelium kirchlichsakramentale Elemente fehlen, die sonst die Gegenwart Jesu rituell ermöglichen – mit der Ausnahme vielleicht des letzten Mahles. Das Thema der Abwesenheit Jesu ist charakteristisch für das Johannesevangelium und wird durch die Anwesenheit des Geistes Gottes gelöst (z. B. Joh 14,16–18). Vor allem fehlen im Markusevangelium im Unterschied zu den anderen synoptischen Evangelien eine Betonung der Auferstehung und die Idee eines immer regierenden Christus. Die Abwesenheit Jesu wird im Markusevangelium nicht thematisiert. In den Streitgesprächen bestimmen die Aussagen und das Verhalten Jesu die Identität der christlichen Gemeinde, und umgekehrt muss Jesus das Verhalten seiner Jünger verantworten. Die nicht-christlichen Quellen über das Christentum betonen auffällig, dass die Wqistiamo¸ von dem gekreuzigten Lehrer stammen. Das ganze Evangelium beruht daher auf dieser sehr starken Kontinuität von Jesus zu den Christen. Markus weiß, dass die Vorwürfe gegen Jesus nicht nur historische Bedeutung haben, sondern dass sie in der Gegenwart die Position der Christen im Kontext des römischen Reiches bestimmen. Das lässt sich dadurch belegen, dass die Vorwürfe gegen Jesus lange Zeit in der Polemik gegen die Christen benutzt wurden. Die Erzählung seines Wirkens in apologetischer Sicht ist deshalb erklärtermaßen die Vergangenheit, die aber die Gegenwart noch bestimmt In der gegenwärtigen Forschung werden außer der Christologie noch weitere Themen untersucht, mit denen man die theologische Zielrichtung des Evangelium beschreiben will, wie die Nachfolge in einer Verfolgungssituation41, der Glauben,42 die Gottesvorstellung43 und der Mythos,44 die soziale 40 D. du Toit, Der abwesende Herr, 78–79. 41 Das Thema Nachfolge steht im Mittelpunkt der Untersuchung von C. Breytenbach, Nachfolge und Zukunftserwartung nach Markus. Eine methodenkritische Studie, Zürich 1984. Von der Nachfolge in einer Situation der Verfolgung spricht auch H. Roskam, The Gospel of Mark, 72–74. Es handelt sich nach Roskam um eine Verfolgung der Gemeinde in Galiläa durch die jüdischen Führer. 42 Chr. Marshall, The Faith as a Theme in Mark’s Narrative, Cambridge 1989, kann die ganze Erzählung des Markusevangelium unter dem Thema Glauben bzw. Unglauben zusammenfassen. In seiner Einführung bestätigt Marshall die Methodik, den theologischen Schwerpunkt durch die Analyse der einzelnen Themen festzustellen. Der Leserkreis des Evangeliums sei daher die christliche Gemeinde, die gestärkt werden muss: „Mark’s purpose is best understood as broadly pastoral; it is to instruct and strengthen the faith of his readers by involving them in the story of Jesus in such a way that those features of his teaching and example which Mark has chosen to narrate are experienced as directly relevant to their present needs.“ 43 Gudrun Guttenberger, Die Gottesvorstellung im Markusevangelium, BZNW 123, Berlin/New York 2004. 44 P.-G. Klumbies, Der Mythos bei Markus, BZNW 108, Berlin/New York 2001. Im Mittelpunkt der Analyse von Klumbies steht der Begriff !qw¶ von Mk 1,1 (vgl. S. 147–159).
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Botschaft,45 die Versuchung.46 Diese viele Themen zeigen, wie reich das Markusevangelium an Materialien aus der Tradition ist. Die vorliegende Untersuchung zu den Streitgesprächen hat trotz der Verschiedenheit der Themen gezeigt, dass das Ereignis des Todes am Kreuz eine zentrale Bedeutung für das ganze Evangelium hat.47 M. Kählers Definition der Evangelien als „Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung“48 gilt in besonderer Weise für das Markusevangelium. Die verfänglichen Fragen und Vorwürfe der Gegner dienen dazu, Jesus zu beschuldigen und ihn zum Tode zu verurteilen. Die Leser des Evangeliums wissen von vorne herein, dass dies geschah. Das Ende Jesu ist auch der paganen Öffentlichkeit bekannt, die das Christentum mit dem Stifter, einem gekreuzigten Lehrer, in Verbindung bringt. Die Präsenz der christologischen Titel lässt die Pointe des Kreuzes nicht in den Hintergrund treten, sondern betont den absurden Charakter dieses Ereignisses. Das Kreuz dominiert die Erzählung: Auch in der Allegorie in Mk 12,1–12 ist der Tod des Sohnes das Ende. Auffallend ist, dass die Auferstehung zwar vorausgesetzt (Mk 8,31; 9,9; 10,34 und 16,1–8), aber nur am Rande behandelt wird. Im Streitgespräch über die Auferstehung ist kein Hinweis auf den in der Auferstehung Christi gegründeten Auferstehungsglauben enthalten. Die Erörterung des Kreuzestodes geschieht nicht im Sinne einer Kreuzestheologie, in der die Heilswirkung und die Umkehr aller Werte thematisiert wird. Das Menschensohn-Logion in Mk 10,45 spricht von dem Sühneeffekt des Todes Jesu,49 doch dieses Thema wird nicht ausgeführt. Es handelt sich um ein Motiv aus der Tradition, das in diesem Kontext als Beispiel für das Dienen gilt und als Korrektiv gegen jede Form von Machtanspruch in der Gemeinde dienen soll. Das Kreuz steht hier als ungerechte Todesstrafe, die Jesus als einen d¸jaior betrifft.50 Dieser Punkt wird im folgenden Paragraphen vertieft. 45 C. Jochum-Bortfeld, Die Verachteten stehen auf. Widersprüche und Gegenentwürfe des Markusevangeliums zu den Menschenbildern seiner Zeit, BWANT 178, Stuttgart 2008, vergleicht die kulturellen und sozialen Strukturen der römischen Welt mit dem Markusevangelium und stellt eine innovative Auffassung von Familienleben, von der Position der Frau und der Kinder fest. Im Mittelpunkt der markinische Umwertung der sozialen Strukturen steht nach JochumBortfeld das Todeskreuz Jesu (S. 269–273), das Sühne für alle Menschen ist. „Das Ergehen des Menschensohnes entlarvt die Herrschaft der Römer und der jüdischen Aristokratie als unmenschlich“ (S. 272). 46 A. Hermann, Versuchung im Markusevangelium. Eine biblisch-hermeneutische Studie, BWANT 197, Stuttgart 2011. 47 E. Cuvillier, Die „Kreuzestheologie“ als Leseschlüssel zum Markusevangelium, 107–150. 48 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, 60. 49 ja· c±q b uR¹r toO !mhq¾pou oqj Gkhem diajomgh/mai !kk± diajom/sai ja· doOmai tµm xuwµm aqtoO k¼tqom !mt· pokk_m. 50 Diesen Punkt vertieft das Lukasevangelium. Der römische Hauptmann unter dem Kreuz definiert Jesus als einen d¸jaior (Lk 23,47), und kurz vorher findet sich eine singuläre Szene, in denen die zwei mitgekreuzigten jajoOqcoi (Lk 23,41) einen Dialog führen, in dem einer der beiden Jesus von ihnen selbst, die gerechterweise verurteilt werden, unterscheidet und ihn wiederum als Gerechten darstellt. Jesus wird nicht als Verbrecher hingerichtet.
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1.3 Die Gattung: Eine Apologie Die Bestimmung der literarischen Gattung des Evangeliums hängt von einer komparativen Studie der Literatur der Zeit ab. In der Forschung werden meistens zwei Hypothesen aufgestellt: das Evangelium als eine biographische Schrift und das Evangelium als ein historiographisches Werk.51 Die Nähe des Markusevangeliums zur Biographie besteht darin, dass das Evangelium das Wirken, die Lehre und den Tod einer einzelnen Gestalt eindringlich erzählt. Dass Jesus der Hauptdarsteller des Evangeliums ist, dem kann kaum widersprochen werden. Eine antike Biographie konstruiert sich allerdings nach einem ausgeprägten Muster, das entsprechend dem 5paimor, der Lobrede, strukturiert wird. Die noble Geburt und die Familie, die Bildung, die Taten und die Gedanken werden thematisiert. Im Fall des Markusevangeliums fehlt der Bezug auf die Geburt, und die Familie ist nicht exemplarisch dargestellt. Diese Beobachtungen erschweren eine Identifikation des Evangeliums mit einem biographischen Werk. Die zweite Hypothese eines historiographischen Werkes gründet auf der Tatsache, dass Markus gewisse Ereignisse seiner Zeit beschreibt wie den Tod des Johannes des Täufers. Andere Ereignisse wie der jüdische Krieg, auf den sich Mk 13 bezieht, sind aus der Perspektive Jesu eher zukünftige Geschehnisse als Elemente der Geschichtsschreibung. E.-M. Becker, die diese Hypothese einer Nähe des Evangeliums zu historiographischen Werken vertritt, erkennt diese Schwierigkeiten und definiert das Markusevangelium als eine Gattung sui generis mit historiographischen Zügen.52 Sie vergleicht Elemente des ältesten Evangeliums mit einigen Texten aus den wichtigsten Historikern der Antike. Markus’ Werk untersucht den Anfang, die !qw¶53 des Christentums im Auftreten Johannes des Täufers und Jesu, und das Ende, den Tod Jesu. Die Kreuzigung Jesu, der Ablauf und die Nennung des Präfekten Pontius Pilatus erweisen ein historiographisches Interesse.54 51 Vgl. G. Theißen, Das Neue Testament, 12, „Das Evangelium ist eine Variante des ,Bios‘ (der antiken ,Biographie‘), wenn auch ein Bios sehr eigenwilliger Art.“ D. Lührmann, Biographie des Gerechten als Evangelium, 25–50; M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments, 98–100; D. Frickenschmidt, Evangelium als Biographie. Die vier Evangelien im Rahmen antiker Erzählkunst, TANZ 22, Tübingen 1997; D. Dormeyer, Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus dem Nazarener, SBB 43, Stuttgart 22002. Die Diskussion über den Charakter des Evangeliums als literarische Gattung ist noch offen. 52 E.-M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, 142: „Die These der vorliegenden Untersuchung ist, das Markus-Evangelium als Gattung sui generis (›Evangelium‹) im Bereich der antiken Geschichtsschreibung zu verorten.“ 53 Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, 151, findet einen ähnlichen Gebrauch von dem Begriff !qw¶ bei Polybios für den Beginn eines Auftretens einer historischen Gestalt oder als Anfang eines Buches. 54 E.-M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, 165. Becker prägt eine originelle Definition der Funktion des Evangelisten als „prähistoriographischer Autor“, die
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Der Vergleich von ähnlichen Elementen, den Becker methodisch verwendet, kann aber kein präzises Kriterium zur Bestimmung einer Gattung sein. Für die Gattungsbestimmung steht die Funktion im Vordergrund. Ein biographisches Werk hat die Funktion, eine besondere Persönlichkeit als moralisches Beispiel vorzustellen, hingegen bemüht sich ein historiographisches Werk in der Regel darum, die Taten und die Kultur eines Volkes zu würdigen.55 Die römischen Historiker bemühen sich, die Größe Roms hervorzuheben. Sogar ein Autor wie Sallust will in der coniuratio Catilinae die traditionellen Tugenden des römischen Volkes der Korruption der neuen Zeiten entgegensetzen. Dass dieses ethnographische Element für die Historiographie zentral ist, zeigt sich z. B. auch darin, dass Plutarch Herodot in einem Werk, de Herodoti malignitate kritisiert, weil er sich den Barbaren gegenüber zu sehr positiv äußere, während er mit den Griechen kritisch war.56 Josephus verfasst historiographische Werke, weil er das Judentum als ein antikes Volk im Kontext des römischen Reiches darstellen will,57 um es als ein Volk mit einer alten Kultur und Religion zu profilieren. Die Christen verstehen sich aber nicht als ein Volk und haben auch keine alte Geschichte vorzuweisen. Das allein scheint mir ein Argument gegen die Hypothese des Evangeliums als eines historiographischen Werkes zu sein. Weder Biographie noch Historiographie als etablierte Gattungen können das Markusevangelium völlig definieren, vor allem, weil diese prinzipiell eine andere Funktion als das Evangelium haben. Für die vorliegende Untersuchung ist nun der entscheidende Punkt nicht, ob es formale Analogien mit schon existierenden Gattungen oder Texten gibt, oder ob sich die Gattung des Evangeliums exakt bestimmen lässt, sondern die Frage, welche Funktion das Werk verfolgt.58 Im Allgemeinen kann man das Evangelium als eine biographische Gattung betrachten, weil es die Person Jesu
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die Definition der Formgeschichte als „Sammler“ und der Redaktionsgeschichte als „Redaktor“ ersetzen soll: „Markus betätigt sich vielmehr in dem Sinne als prähistoriographischer Autor, dass er Traditionen und Quellen aufnimmt und mindestens ansatzweise historiographisch konzipiert und gestaltet“ (S. 407). Das Thema Historiographie und Ethnographie behandelt E. Dench, Ethnography and History, in: John Marincola (Hg.), A Companion to Greek and Roman Historiography Bd. 2, Oxford: Blackwell 2007, 493–503. Vor allem Plut. Her. Mal., 870a; 874b. Vgl. J.P. Hershbell, Plutarch and Herodotus, 159. E.-M. Becker, 193, schreibt die gleiche Funktion auch der Geschichtsschreibung des Artapanos zu. Das Bild wird noch dadurch erschwert, dass eine genaue Definition von Biographie und eine klare Unterscheidung von Historiographie und Biographie nicht wirklich vorgenommen werden kann. Im Fall des Nepos sind die Biographien eher von der Tatsache erklärt, dass die Römer die Einzelheiten der griechischen Geschichte nicht mehr kannten. Es war deshalb einfacher, sie durch das Leben von bekannten Gestalten zu erzählen. Dieses Problem behandelt Ph. Stadter, Biography and History, 528–540. Stadter übernimmt die Klassifizierung der Biographien von Momigliano, aber stellt fest, dass im Fall der „historischen Biographie“ diese nicht genau von einem Geschichtswerk unterschieden werden kann. „The distinctions between categories are not neat: not only do political lives fuse with history, but a life of Solon might combine political, philosophical, or literary facets“ (S. 531).
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in den Mittelpunkt der Erzählung stellt. Die biographischen Konturen werden noch stärker von den späteren Evangelien betont, vor allem weil sie die Geburt Jesu thematisieren. Das Biographie-nahe Werk des Markus hat m. E. die klare Absicht, eine Apologie des gekreuzigten Jesus zur Darstellung zu bringen. Zu diesem Schluss führen in besonderer Weise die Streitgespräche, bei denen sich Jesus gegen die Vorwürfe seiner Gegner verteidigen muss. Jesus ist nicht Gesprächsstoff in den Streitgesprächen, sondern eine agierende Person. Er steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und ergreift selbst das Wort zu seiner Verteidigung. Die Vorwürfe enthalten gerade die Außenperspektive der Gesprächspartner. Jesus kann aber die Meinungen der Gegner zurückweisen. Er zeigt, dass die Anklagen und die Vorwürfe ihm gegenüber unberechtigt sind. Die gleichen Vorwürfe, vor allem die Anklage der Blasphemie, die schon in Mk 2,7 formuliert wird, verursachen die Hinrichtung Jesu. Die Normativität im polemischen Verfahren zeigt uns, dass es hier nicht um eine sachliche Diskussion über die verschiedenen Themen geht, sondern um ein Gesamturteil über die Gestalt Jesu. Der Terminus Apologie setzt an sich keine besondere literarische Gattung voraus,59 sondern benennt eine rhetorische Funktion, mit der wie bei einer Verteidigungsrede bestimmte Auffassungen punktuell widerlegt werden. Das Wort „Apologie“ ist eher in der englischen als in der deutschen Fachliteratur geläufig. Der Begriff „Apologie“ kann allerdings sehr allgemein sein und muss deshalb genauer bestimmt werden.60 Schon W.B. Bacon spricht von dem Gebrauch des Wortes p¾qysir im Markusevangelium als einem apologetischen Thema gegen die jüdische Vorwürfe.61 Dieser Autor verficht auf der Basis des Zeugnisses von Papias die These, dass das Evangelium in Rom mit einem klaren paulinischen Einfluss entstanden sei. Das Wort Apologie verwendet schon der britische Exeget S.G.F. Brandon 1967, der das Markusevangelium als eine „apologia ad christianos romanos“ bezeichnet.62 Brandon betont die Situation der Desorientierung der römischen Gemeinde gerade nach dem Triumph des Vespasian und des Titus und vor allem die Angst der Christen, unter die rebellischen Bewegungen in Palästina als jüdischstämmige Gruppierung gerechnet zu werden. Diese Schlussfolgerung wurde von der Tatsache begünstigt, dass Jesus von einem römischen
59 E. Junod, Art. Apologien, DNP 1 (1996) 891–892. 60 P.L. Buck, Second-Century Greek Christian Apologies, 5–6, stellt die mannigfaltige Bedeutungen des Begriffs Apologie dar und gibt folgende Definition an: „I shall employ in this thesis, therefore, the more restrictive and accurate definition of „apology“ as „a defence of one’s beliefs in response to accusation or attack“. 61 W.B. Bacon, Is Mark a Roman Gospel?, 83: „The other notable point is that the Gospel employs this theory of p¾qysir not as Paul does, but in the interest of apologetic (not to say polemic) against Judaism within or without the Church.“ 62 Brandon, Jesus and the Zealots, 221–282. Diese Teil beschäftigt sich speziell mit der Abfassung des Markusevangeliums.
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Präfekten am Kreuz hingerichtet wurde.63 Brandon allerdings spricht von der markinischen Apologie als einer Art Fälschung der Geschichte: Der Autor wolle Jesus als friedlich präsentieren, während er tatsächlich eine revolutionäre Aktion geplant habe.64 Jesus war kein antirömischer Rebell. Das Problem für Markus aber ist tatsächlich die Hinrichtung am Kreuz, das besonders Nicht-Christen zu diesem Schluss führen konnte. Richtiger scheint mir daher die Auffassung von R.H. Gundry in seinem Markuskommentar von dem Evangelium als einer „Apologie angesichts des Kreuzes“ (apology for the cross)65: „Mark makes his audience sympathetic toward Jesus. They should not take offence at the Crucifixion, for Jesus was no criminal deserving to be crucified, but a healer and saviour to be worthy of honour.“66 Es ist interessant, dass Gundry einen breiteren Leserkreis als die christliche Gemeinde voraussetzt. Die Apologie sollte nach Gundry in der römischen Öffentlichkeit wirken und nicht nur in der Gemeinde. H. Roskam betont am Schluss ihrer Untersuchung zur Absicht des Markusevangeliums die apologetische Funktion des Werkes. Die Gattung Biographie könne den Sinn des Textes nicht völlig beschreiben, und es sei deshalb unkorrekt, das Markusevangelium als Biographie zu definieren. Roskam argumentiert folgendermaßen: „The Gospel’s biographical form, however, is 63 Brandon, Jesus and the Zealots, 243: „They might be regarded by their pagan neighbours and the Roman authorities as being themselves infected with Jewish revolutionary ideas. This danger was indeed a very real one, for the embarrassing fact could not be cancelled that the founder of their faith had been executed, some years before, by a Roman procurator of Judea as a rebel against the Roman government of that country“. 64 Diese These einer revolutionären Aktion der Jesus-Bewegung übernimmt Brandon von der noch ausführlichen Untersuchung von R. Eisler, IGSOUS BASIKEUS. Der Höhepunkt der Revolte Jesu geschieht nach Eisler im Tempel durch einen militärischen Angriff (S. 508–514). Die Römer griffen sofort an und töteten die beteiligten Galiläer in einem Blutbad, nicht aber die Jünger und Jesus, die mittlerweile wegzogen, um das Passahfest vorzubereiten. Die Worte Jesu zum Sturz des Siloahturms beziehen sich nach Eisler auf dieses Blutbad im Tempel. Auch für Brandon ist die Tempelaktion der Grund für die Festnahme und die Hinrichtung Jesu. Die Untersuchung von Brandon wurde für die Schilderung der Jesus-Bewegung wenig rezipiert. Dazu trug auch die Kritik von M. Hengel bei, War Jesus ein Revolutionär? Hengel findet die Schilderung der Tempelaktion von Bradon unwahrscheinlich, weil die Römer sofort zum Einsatz gekommen wären (S. 15). Hengel zieht allerdings nicht in Betracht, dass in der Vorlage von Brandon, dem Werk Eislers, der Angriff der Römer einen wichtigen Platz in der Entwicklung der Ereignisse hatte. Die revolutionäre Kraft Jesu liege eher in seiner Gewaltlosigkeit. „Es gibt (so Hengel S. 17) keine Gemeinsamkeit zwischen dem charismatischen Arzt Jesus von Nazareth und dem – ehemaligen Arzt Che Guevara.“ Hengels Analyse des Profils Jesu ist korrekt, Jesus benutzt eine paradoxe Metaphorik, die auch von Krieg und Waffen spricht, aber dies bleiben Bildworte. Das Kurzschwert (Lk 22,35–38) gehört zur Ausrüstung eines jüdischen Wanderers gegen Räuber und wilde Tiere und muss nicht unbedingt einen revolutionären Einsatz bedeuten. Die Kritik Hengels aber wirkte sich so aus, dass auch Brandons Theorie über die Entstehung des Markusevangeliums zur Seite gelegt wurde. 65 R.H. Gundry, Mark, 15: „… Mark wrote his Gospel as an apology for the Cross. For he appeals to exactly those elements in the career of Jesus which for Greco-Roman readers would most likely suffuse the shame of crucifixion in a nimbus of glory“. 66 Gundry, Mark, 10.
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secondary to its overall purpose. It is merely a vehicle to convey the evangelist’s apologetic message.“67 Für Roskam ist der Kreuzestod Jesu das Problem. Markus habe mit seiner Apologie zeigen wollen, dass Jesus keine politischen oder rebellischen Absichten hatte, sondern er ungerechterweise von den jüdischen Führern verurteilt wurde.68 Die Betonung der Verantwortung der jüdischen Autoritäten für den Tod Jesu erklärt sich nach Roskam dadurch, dass auch die Christen in Galiläa von der jüdischen Gemeinde verfolgt werden. Die apologetische Schrift des Evangeliums habe allerdings primär eher eine Trostfunktion, als dass sie Verteidigung im wahren Sinne des Wortes sei. Aus der Sicht der hier vorgelegten Untersuchung bestätigen die Streitgespräche die These einer apologetischen Funktion des ältesten Evangeliums. Die Analysen der Streitgespräche haben gezeigt, dass Jesus Kontroversen mit den Vertretern der zeitgenössischen jüdischen Gruppierungen geführt hat. Die Streitgespräche im Markusevangelium dienen der Apologie des Kreuzes und bringen die Unschuld Jesu deutlich zum Ausdruck. Im Prozess vor Pilatus sagt Jesus kein Wort mehr zur Selbstverteidigung, weil seine Entschuldung (Apologie) im Sinne des Evangelisten bereits abgeschlossen ist (Mk 15,5). Die Apologie, wie sie hier beschrieben wird, setzt einen breiten Leserkreis voraus. Die Streitgespräche spielen sich immer in der Öffentlichkeit ab, und sie erwarten immer, dass der Leser Stellung nimmt und die Auseinandersetzung nach allgemeinen Normen beurteilt. Der Leser- und Hörerkreis ist deshalb nicht besonders definiert, und vor allem ist er nicht auf die christlichen Gemeinde begrenzt.69 Alle Themen, sogar die christologischen Akzente und die Unterweisungen für die Verfolgungen, die sicherlich für die Gemeinde geschrieben sind, lassen sich auch aus einer allgemeinen Perspektive verstehen. Es scheint mir wahrscheinlich, dass gerade ein so apologetisch ausgerichtetes Schreiben die Grenzen der Gemeinde zu überschreiten strebt. Die markinische apologetische Deutung des Kreuzes Jesu tendiert zu einer öffentlichen Rezeption. Die Veröffentlichung des Buches sollte im Grunde den normalen Weg der Veröffentlichung der Bücher in der Antike nehmen, nämlich durch die Verbreitung unter Freunden in der Hoffnung, dass immer mehr Exemplare aus Interesse kopiert werden würden.
67 H. Roskam, The Purpose of the Gospel of Mark, 232. 68 H. Roskam, The Purpose of the Gospel of Mark, 207: „In short, Mark’s message is the Jesus’ crucifixion was not the outcome of any subversive behaviour or ideas on his part; rather it was the consequence of the ill will of the Jewish leaders“. 69 O. Wischmeyer, Forming Identity through Literature, 369, kritisiert die These Roskams, weil sie es unwahrscheinlich findet, dass das Werk des Markus die pagane Öffentlichkeit erreichte. Wischmeyer bevorzugt die Idee des Evangeliums als eines Mittels zum Aufbau der Gemeinde.
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2. Der maßvolle Redestil Jesu im Markusevangelium Die Analyse der Streitgespräche hat eine weitere Erkenntnis gebracht. Jesus behält in diesen Texten immer eine ausgeglichene Haltung. Er verwendet keine Invektiven oder keine beleidigenden Aussagen gegenüber seinen Gegnern. Nur einmal (Mk 7,6) nennt Jesus die Pharisäer rpojqita¸. In Mk 3,5 empfindet Jesus Zorn und Trauer, aber er drückt diese Gefühle nicht durch aggressives Sprechen aus. In Mk 12,38–40, gleich nach dem Ende der Jerusalemer Streitgespräche, redet Jesus nur im Kreis der Jünger über die Schriftgelehrten und nicht in direkter Anklage gegen sie, sondern in der gleichen Form der Unterweisung wie in Mk 8,15 (bk´pete !pº…). Das ist auffallend, wenn man die markinische Stelle mit den Parallelstellen in der Logienquelle (Lk 11,43–44/Mt 23,6–7) vergleicht, die im Gegenteil voller Invektiven und an die Gegner Jesu gerichtet sind.70 Jesus spricht im Markusevangelium sehr kontrolliert. Es wurde im Laufe dieser Untersuchung herausgearbeitet, dass Markus das Bild Jesu als eines Propheten korrigiert und es durch das eines Lehrers ersetzt (z. B. Mk 10,17). Als Lehrer beteiligt sich Jesus an den Streitgesprächen und kann daher seine Gelehrsamkeit in religiösen Fragen und sein dialektisches Geschick unter Beweis stellen, mit denen er sogar Dilemmata und Rätsel lösen kann. Mit dem Modell des Lehrers kann man die Gleichnistheorie in Mk 4,8–10, die Unterscheidung zwischen innerer Gruppe und Menschen außerhalb der Gruppe und sogar die Unterweisung zur Nachfolge in Einklang zu bringen. Die Revision des Propheten-Bildes Jesu erklärt sich aus der Sorge des Evangelisten, Jesus von den messianischen Propheten seiner Zeit zu unterscheiden. Im Beelzebul-Streit und im Streit über die Forderung eines Zeichens wird diese Unterscheidung vorgenommen wird. Dazu kommt der maßvolle Redestil Jesu. Er verwendet aggressive Rede gegen Dämonen (1,25) und gegen den Sturm (4,39), aber nicht gegen seine Gesprächspartner. Diese Haltung Jesu lässt sich in den Zusammenhang kaiserzeitlicher Sprachethik einordnen, auf die hier kurz verwiesen sei.71 Die „Sprachethik“ oder die Ethik des Redens hat besonders W.R. Baker in 70 In Mt 23,6–7 wird allerdings wie bei Markus die dritte Person Plural benutzt, aber der Zusammenhang ist eine klare direkte Invektive gegen Pharisäer und Schriftgelehrten. 71 Im 1Petr 2,22–23 zitiert der Autor des Briefes vermutlich einen Hymnus, der Jesus als Vorbild für eine maßvolle Haltung darstellt. Das Schweigen Jesu ist vielleicht von Jes 53,7 beeinflusst. Allerdings ist das Interesse für eine Kontrolle des Redens insgesamt ein Anliegen der Ethik in der Kaiserzeit. Die Rhetorik, die früher die wesentliche Rolle innehatte, die Sprechakte zu normieren, tritt zurück. Was in der früheren Kaiserzeit gefragt ist, ist keine neue Theorie über die Rede, sondern es wurden konkrete Hinweise für einen angemessenen Umgang mit der Sprache entwickelt. Man will einerseits eine „Sprachetikette“ herausbilden, die für die oberen Schichten leicht erlernbar ist und die echten Aristokraten von den neuen Reichen unterscheidet, andererseits eine „Sprachethik“ entwerfen, die anhand des Sprechens ethisch korrektes Verhalten zeigt.
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seiner Untersuchung zum Jakobusbrief untersucht.72 Anders als bei Baker, der diese Bedeutung des Redens als ein allgemeines Phänomen der mediterranen Kultur versteht,73 muss diese ethische Relevanz des Redens als ein besonderes Phänomen der römischen Kaiserzeit interpretiert werden. Das hängt mit dem zusammen, was M. Foucault als „la culture de soi“ genannt hat, d. h. das Interesse der Menschen in der Frühkaiserzeit für die Pflege des Individuums und seine äußere Erscheinung.74 Das Sprechen hat noch eine besondere Bedeutung, weil in der Kaiserzeit die Redefreiheit beschränkt und einer gewissen Kontrolle unterworfen wurde. Es ist kein Zufall, dass die offene Rede der Kyniker, paqqgs¸a, nur dann positiv bewertet wird, wenn sie nach bestimmten Normen ausgeübt wird.75 Die offene Rede ist nur unter bestimmten Bedingungen positiv, z. B. unter Freunden, aber nicht in der Öffentlichkeit und mit Unbekannten. Seneca erklärt, dass die Wahrheit nur gegenüber denjenigen gesagt werden muss, die sie verstehen können, und nicht allen gegenüber, wie die Kyniker taten, um ihre Freiheit auszuüben.76 Dieses Interesse für die Sprache ist in den Streitgesprächen, aber auch in der nachpaulinischen Briefliteratur deutlich festzustellen. Im Jakobusbrief steht das Sprechen im Mittelpunkt eines ethischen Programms. Die Christen müssen ein gewisses Ethos im Sprechen verwirklichen. Für Jakobus reicht nicht das bloße Zuhören, um eine Ethik zu begründen, wie dies bei Plutarch
72 W.R. Baker, Personal Speech-Ethics in the Epistle of James, WUNT/II 68, Tübingen 1995. Baker definiert den Begriff „personal speech-ethics“ wie folgt (S. 2): „The term ,personal speechethics‘ is my own attempt to capture the idea of ethics or morality as applied to interpersonal communication. Simply put, it is the rights and wrongs of utterance. It involves when to speak, how to speak, and to whom to speak, as well as when, how, and to whom not to speak. It includes to a certain extent the process of human speech and its relationship to thoughts and actions. “ 73 Baker, Personal Speech-Ethics, 3. Aufgrund dieser Vorstellung eines Diskurses im Mittelmeerraum kann er Parallelen in der griechisch-römischen Literatur und im Alten Testament, in den Apokryphen und in der rabbinischen Literatur finden. 74 M. Foucault, Histoire de la sexualit III, 57–65. 75 Die Diskussion über den Begriff paqqgs¸a ist sicherlich ein wichtiger Punkt dieser Normierung des Redens. Die Terminus wurde in verschiedenen Untersuchungen behandelt: M. Foucault, Fearless Speech, (Hg. J. Parson) Los Angeles 2001; I. Gallo, La parrhesia epicurea e il trattato De adulatore et amico di Plutarco, in: ders. Parerga plutarchea, Napoli 1999, 111–123; Glenn S. Holland, Call me Frank: Lucian’s (Self-) Defense of Frank Speaking and Philodemus Peq· Paqqgs¸ar, in: J.T. Fitzgerald, D. Obbink, G. Holland (Hg.) Philodemus and the New Testament World, NT Supp 91, Leiden/Boston 2004, 245–267. Die neutestamentlichen Studien zu diesem Begriff öffnet der Aufsatz von E. Peterson, Zur Bedeutungsgeschichte von paqqgs¸a, W. Koepp (Hg.), FS. für Reinhold Seeberg, Bd. 1. Zur Theorie des Christentums, Leipzig 1929, 283–297; C. Spicq, Parresia, Notes de lexicographie n o-testamentaire, Orbis biblicus et orientalis 22/3, 526–533;. H. Schlier, Art. paqqgs¸a, ThWNT 5 (1954) 869–884. Die beste kritische Studie zu dieser Frage der Normierung der offenen Rede bietet J.P. Sampley, Paul and Frank Speech, 291–299. 76 Sen. mor. 29,1. Die Idee, dass paqqgs¸a besonders mit Freunde benutzt werden muss, thematisiert Plutarch in adul. 59–68. Plutarch ist sicherlich der interessanteste Autor, der die Ethik des Redens behandelt.
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der Fall ist,77 sondern das Zuhören muss mit konkretem Tun verbunden sein. Jakobus wendet sich wie Plutarch gegen jegliche Schmeichelei gegenüber den Reichen. Es wird ein radikaler Verzicht auf Gewalt in der Sprache verlangt. Im Markusevangelium eröffnet die Anklage gegen Jesus als einen Blasphemiker diese Diskussion über die Ethik des Redens. Bkasvgl¸a bezeichnet eine Rede, die respektlos und aggressiv gegen die Mitmenschen ist. Jesus verteidigt sich gegen den Vorwurf dieser Spielart der Blasphemie, indem er auf eine aggressive Reaktion verzichtet. Im Judasbrief 9 gibt der Autor das Beispiel des Erzengels Michael, der sogar den Teufel nicht beschimpfte, als er mit ihm um den Leib des Mose stritt. Das Markusevangelium kann mit der maßvollen Sprache, die Jesus in den Streitgesprächen verwendet, zeigen, dass Jesus eine ethisch korrekte Haltung hatte und der Erwartung der römischen Gesellschaft nach Korrektheit und ethischem Sprechen entsprach. Das ist ein weiteres Element der Apologie Jesu und der Versuch der Christen, in der römischen Gesellschaft nach Integration zu suchen.
3. Reterritorialisierung der Christen in das römische Reich Der erste Teil des Titels dieser Untersuchung „Der umstrittene Jesus und seine Apologie“ enthält eine gewisse Spannung. Eine Person gilt als umstritten, wenn sie polarisiert und zu Lebezeiten oder in späterer Zeit irritierte Reaktionen hervorruft. Jesus war bekanntlich in der antiken paganen Welt und ebenso auch im Rahmen der jüdischen Religion eine umstrittene Person. Zwei voneinander so unterschiedliche Welten wie die römisch-griechische Kultur und die hebräische Religion schienen an einem Punkt einen Konsens gegen Jesus zu finden: Ein Gekreuzigter kann nur ein verwerflicher Mensch sein, unabhängig davon, ob man dieses Urteil ethisch-sozial als eine große Schande betrachtet oder ob es rituell als Fluch oder Unreinheit wahrgenommen wird. In den Streitgesprächen lässt Markus Jesus seine eigene Apologie vortragen. Er verteidigt sich selbst, aber er verteidigt zugleich die Christen, die nach ihm genannt wurden und in der Umwelt mit ihm identifiziert werden. Die Christen waren im römischen Reich eine kleine und unbedeutende Minderheit, die einen gekreuzigten Galiläer als Stifter hatte. Das Werk des Markus ist „das erste christliche Buch“,78 das eine apologetische Intention nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels verfolgt. Dies verbindet sich mit der Diskussion über den Stil des Evangeliums. Der schlichte Stil, der Gebrauch des koine-Griechisch von einem Autor, der mit dem Lateinischen vertraut war, sind nach der literaturwissenschaftlichen Theorie von Deleuze und Guattari 77 Das Thema des Zuhörens behandelt Plutarch im Traktat de recta ratione audiendi. 78 Diese Definition stammt von O. Wischmeyer, Forming Identity Through Literatur, 377. Dort auch Literatur zum Thema der antiken Buchproduktion.
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Indizien einer Reterritorialisierung der christlichen Minderheit.79 Die Apologie dient dem gleichen Zweck, nämlich die Christen als Nachfolger eines Lehrers darzustellen, der ungerecht verurteilt wurde. Die Streitgespräche eröffnen diese Perspektive und zeigen, dass schon vor der philosophischen Apologetik des 2. Jahrhunderts eine narrative Apologetik existierte.
79 Siehe oben im Kapitel 2, die Diskussion der These von Deleuze und Guattari.
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440
Register
Canfora, L. 157 Casey, M. 237 Chilton, B. 231 Clarke, M.L. 90 Cohen, S.J.D. 232 Cohn-Sherbock, D.M. 364–365 Conzelmann, H. 35–36, 43 Copi, I.M. 353, 355 Cossutta, F. 127–128 Cook, M.J. 261 Crossan, J.D. 57–58, 99, 103, 212, 347–348, 351 Cullmann, O. 164, 383 Curi, U. 124, 217, 273, 337 Cuvillier, E. 399 Dangel, J. 120, 126–127, 133 Dascal, M. 128 Daube, D. 18, 326–327 Davies, W. 269 Dawson, A. 322 Declercq, G. 120–122, 124, 133 Deines, R. 210 Deleuze, G. 75–76, 407–408 Delling, G. 276 Dench, E. 401 Derrett, J.D.M. 291 Derrida. J. 124–125 Dewey, J. 7, 41–42, 54–56, 59, 177–178, 185, 225, 369 Dibelius, M. 7, 24–33, 39, 45, 54, 57, 62–63, 85, 87, 89, 93, 98, 151, 180, 225, 228, 243, 284, 286, 358, 409 Dieckmann, W. 108, 129–131 Dihle, A. 71, 73 Doering, L. 235, 250–251, 253 Döring, K. 96, 170 Dormeyer, D. 66, 68, 70, 89–90, 391, 400 Douglas, M. 147, 280–282 Ducos, M. 133 Dudley, D.R. 96 Dugan, J. 331 Dunn, J.D.G. 146–147, 177, 182–183, 206, 210, 232, 236, 280, 297, 340
Ebeling, H.-J. 396 Ebner, M. 218, 249–250 Eckey, W. 230 Edwards, J.R. 269 Eisler, R. 392, 403 Evans, C.E. 175, 341–342 Falk, D.K. 231 Fascher, E. 24, 34, 168 Fill, A. 78 Finney, P.C. 345, 347 Flebbe, J. 230–231 Focant, C. 189–190, 369, 396 Foerster, W. 257, 269, 323–324 Foucault, M. 406 Freyne, S. 268 Frickenschmidt, D. 400 Froleyks, W.J. 81 Fuller, R.H. 367, 372 Furstenberg, Y. 300–301 Gallo, I. 406 Gärtner, H.A. 85, 95, 233, 341, 348 Gaston, L. 268 Gelzer, T.C. 80–81 Gemoll, W. 94–95 Gerstenberger, E.S. 221 Giblin, C.H. 350 Gibson, J.B. 264–265, 267 Gielen, M. 21, 48 Glasl, F. 79 Gnilka, J. 187, 190, 195–196, 209, 239–240, 243, 266, 276, 311, 366, 369 Goethe, W. von 134 Goldenberg, R. 234, 253 Goldstein, J.A. 362 Good, R.S. 231 Goppelt, L. 147, 249–250 Grundmann, W. 179, 191, 207–208, 226–227, 240, 293, 310–311, 366, 378 Guillemette, P. 320 Gundry, R.H. 165, 183–184, 224, 229–230, 239, 241–242, 244, 257, 298, 347, 351, 383, 403 Guthrie, W.K.C. 11 Guttenberger, G. 398
Register Güttgemanns, E.
63, 185
Hackl, K. 246 Haenchen, E. 239–240, 291, 293, 345 Hägerland, T. 227 Hagner, D.A. 236–237 Hahn, F. 231, 340 Hamblin, C.L. 138–139 Harrington, H.K. 210 Hart, H.St.J. 346–347 Hase, K. Von 112 Heidegger, M. 124–125 Heil, Chr. 149 Heinrici, C.F.G. 23–24 Heinze, R. 329–331, 333 Hellegouarc’h, J. 330, 334 Henderson, I.H. 99, 103–104 Hengel, M. 159, 299–300, 328, 343, 348, 350, 363, 403 Hermann, A. 399 Herrenbrück, F. 211 Hershbell, J.P. 401 Hofius, O. 195 Holland, G.S. 406 Holte, R. 328 Horsley, R.A. 350 Huber, K. 327, 346, 369, 378 Hübner, H. 284–285, 291 Hultgren, A.J. 39–41, 57, 153, 178, 206, 214, 223–224, 240, 242–243, 245, 255, 258, 271, 284, 308–309, 312, 348, 364 Humphries, M.L. 269 Incigneri, B.J. 277, 279, 388, 393–395 Jahnow, H. 186 Janzen, G.J. 358 Jeremias, J. 63, 210–211, 228 Jochum-Bortfeld, C. 255–256, 399 Johnson, E.S. 175 Jülicher, A. 293 Junod, E. 402 Kahlos, M. 126 Kähler, M. 399 Kalivoda, G. 351, 353
441
Kant, I. 111–112 Kany, R. 334 Karrer, M. 149 Käsemann, E. 250–251, 293 Kazen, T. 292–293, 301 Kee, H.C. 391 Keerankeri, G. 370, 376 Keim, K.T. 148, 187, 293 Kelber, W.H. 392–393 Kerbrat-Orecchioni, C. 108 Kierdorf, W. 288 Kiilunen, J. 41–43, 59, 177, 187, 189, 206–209, 214–215, 239, 241–242, 366–368 Kim, T.-H. 175 Klauck, H.-J. 184–185, 188 Klausner, J.G. 293, 324, 326 Klawans, J. 282 Kloppenborg, J.S. 266, 270, 392 Klumbies, P.-G. 398 Knabe, P.-E. 130 Knigge, H.-D. 391 Körting, C. 233 Koster, S. 123 Krauss, S. 187 Kugler, H. 80 Kuhn, H.-W. 36, 41–42, 101, 152–153, 156, 159, 180–181, 183, 206, 214, 228, 308 Kümmel, W.G. 328 Kunze, J. 112 La Hontan, L.-A. 79–80 Lagrange, M.J. 310–366 Lambrecht, J. 286, 292 Lang, B. 322 Lausberg, H. 247 Lazarowicz, K. 109, 115–116 Lemcio, E.E. 388 Lessing, G.E. 109, 114, 119–120, 129–130 Lewandoski, T. 328 Liebermann, W.L. 123 Lietzmann, H. 164, 209 Liew, T.-S.B. 392, 394–395 Lightfoot, J. 299 Lindemann, A. 240, 246, 250
442
Register
Lindenbaur, E. 170 Lohmeyer, E. 35, 175, 179, 196, 203, 205–208, 220, 228–229, 237, 239–240, 247, 250, 266, 292, 310, 345, 359, 361, 364–365, 369 Lohse, E. 237, 250, 256 Lüderitz, G. 74–75 Lührmann, D. 74, 147, 161, 175, 240, 259–261, 264, 284–285, 311–312, 314, 322, 341, 344, 351, 369, 400 Lütcke, K.-H. 328–330, 334–335 Luz, U. 186, 396 Maas, F. 281 Maccoby, H. 282, 300 MacLaurin, E.C.B. 269 Maisch, I. 181–182, 186, 189, 205–206 Malbon Struthers, E. 261–262, 384 Maloney, E.C. 327 Marcus, J. 208, 239, 244, 270, 278, 345, 351, 367, 371–372, 374, 379–380, 382, 384, 392 Marshall, Chr. 398 Marxsen, W. 35–36, 43 Mead, R.T. 186 Meier, J.P. 234–238, 240, 244–245, 248, 250–252, 257, 259, 293, 358–359, 365 Meiser, M. 302 Mell, U. 227, 230, 313, 327, 362, 364 Merkel, H. 286, 293 Merz, A. 195, 241, 246, 256, 259, 272, 279, 372–374 Meyer, R. 341 Michel, O. 173 Moeser, M.C. 65, 85–86 Morpurgo-Tagliabue, G. 71–72 Mourlon Beernaert, P. 226, 239 Müller, R. 73 Müller, U.B. 195 Mundla Mudiso Mb , J.-G. 339, 350, 369, 378 Murat, M. 116, 120, 122, 124, 133 Neusner, J. 210, 231, 281 Neyrey, J. 147, 280–281, 301 Nineham, D.H. 35
Öhler, M. 340 Opelt, I. 132 Overbeck, F. 25, 69–70 Owen-Ball, D. 346 Paschen, W. 293–294 Paschke, B.A. 160 Perelman, C. 121, 123 Pesch, R. 182–183, 186, 207, 230, 236–237, 240, 242–243, 283, 291, 367, 369, 391 Peterson, E. 406 Piazza, F. 86 Pilhofer, P. 320–321 Poirier, J.C. 281 Pokorny´, P. 328 Porton, G.G. 54, 94 Primavesi, O. 138 Radl, W. 230, 263 Räisänen, H. 295–296 Reicke, B. 258 Reiser, M. 65–67, 89, 310, 340, 400 Renan, E. 148 Rengstorf, K.H. 291 Repschinski, B. 48–50, 82–83 Robbins, V.K. 53, 56–58, 87, 89, 92–93 Rodriguez, R. 268 Rolin, P. 46–47, 312–313 Roskam, H.N. 393, 398, 403–404 Rosmini, A. 133–134 Roure, D. 245–246 Rüegger, H.-U. 242 Ruf, M.G. 277 Salmon, W.C. 278 Salyer, G. 63 Sampley, J.P. 406 Sanders, E.P. 17–18, 147, 190, 210–212, 215, 221, 231–233, 236–237, 255, 260 Sänger, D. 23, 161–162 Sariola, H. 244 Sauer, J. 243 Schäfer, K.T. 229 Schäfer, P. 272 Schaller, B. 239, 250
Register Scheichl, S.P. 114 Schenk, W. 270 Schleiermacher, F.D. 11, 110–112, 169, 414 Schlier, H. 406 Schmidt, K.L. 22–24, 31, 37, 67, 70, 378 Schmitz, B. 360, 362 Schneider, J. 159 Schnelle, U. 328 Schniewind, J. 173, 197, 225, 310, 369 Scholtissek, K. 324–326, 337 Schopenhauer, A. 121–122 Schrage, W. 164 Schröter, J. 174, 226, 270, 348, 376 Schulze, H. 112 Schwankl, O. 326, 362–363 Schweitzer, A. 16, 22, 148–149 Schweizer, E. 145, 148, 179, 181, 183, 197, 228, 230, 239, 244, 311, 365, 388 Schwitalla, J. 79 Scornaienchi, L. 21, 50, 143, 150, 283, 317, 349 Scott, R.H. 213, 226, 314, 345 Segal, A. F. 231–232 Shae, G.S. 311–312 Silberman, L.H. 272 Skousgaard, S. 134–136 Smith, D.E. 213 Smith, M. 275–276 Smith, S.H. 391 Soden, H. von 19 Specht, R. 114, 119–120, 130 Spicq, C. 406 Stadter, Ph. 401 Stählin, G. 191 Starr, J. 322–323 Stauffer, E. 293, 347–348, 350 Stauffer, H. 108, 114 Stemberger, G. 363 Stenzel, J. 117–120, 122–124 Strecker, G. 48, 71, 396 Suhl, A. 240, 290 Tannehill, R.C. 51–54, 57–58, 89 Taylor, N.H. 266–267
443
Taylor, V. 33–35, 39, 42, 53, 57, 89, 293, 310, 365, 369 Telford, W.R. 391 Thaniel, K.M. 92 Theißen, G. 66, 76, 89, 94, 98–101, 143, 146, 174–175, 185, 195, 241, 246, 256, 259–260, 267–268, 272, 290, 293–295, 357, 366, 372–375, 393–394, 396–397, 400 Thissen, W. 36–39, 41, 59, 62–63, 100, 154, 177–178, 183, 224, 227, 243 Toit, D.S. du 228, 246, 397–398 Trick, B.R. 358 Trocm , . 309–310, 366 Tschackert, P. 109, 112–113 Tuor-Kurth, Chr. 281, 298 Tuori, K. 366 Twelftree, G.H. 269, 275 Van Unnik, W.C. 163–164 Van Voorst, R.E. 272 Veyne, P. 254 Vielhauer, Ph. 51, 194, 397 Viviano, B.T. 233–235, 242, 252 Vollenweider, S. 278 Wagner, N. 114 Walker, W.O. 216 Wallochny, B. 80–81 Wartensleben, G. von 92 Watts, R. 382, 385 Weder, H. 257, 313 Weeden, T.J. 397 Weihs, A. 314, 341 Weiß, B. 187, 293 Weiß, W. 43–46, 59, 62, 98–99, 101, 153–154, 183, 186, 207–209, 214–216, 218–219, 222–223, 240, 243, 285, 310, 312, 339, 359, 368, 370, 378, 388–389 Wendland, P. 94 Winn, A. 391, 394 Wischmeyer, O. 50, 143, 372, 376, 391, 404, 407 Wolter, M. 186 Wrede, W. 35, 184, 361, 388, 396, 397 Wright, N.T. 149
444
Register
Yarbro Collins, A. 190, 196, 199–201, 209, 211, 229, 290, 300–301, 310, 312, 323, 342–343, 366, 385, 393 Yrjönsuuri, M. 137
Zimmermann, R.
Bibelstellen 1. Altes Testament Gen 1,27 256, 257 2,24 147, 257 6,1–4 364 38,8 358 Ex 3,6 359, 365 15,26 218 31,14 249 34,21 232, 239 35,1–3 232 Num 6,6–9 281 15,30–31 197 15,32–36 232 19,11.14–16 281 19,22 295 29,7 221 34,21 233 Lev 11,4–46 281 12,7 281 13 281 14 281 15 281 16,20–28 195 16,29.31 221 19,18 366, 370, 375 19,26 268 21,1–4 281 22,4 281 23,27.32 221 24,8 244
24,10–23 197 24,11 197 24,15 199 Dtn 5,12–15 232 6,4 196, 367 6,4–5 366, 371 6,5 366 20,8–11 232 21,23 161, 162 24,1 147 24,1–4 257 25,5 358, 359 Ri 14,8 239 1Sam 16,7 302 21,1–9 243 21,2 243 21,6 244 21,7 245 2Sam 7,11–13 380 12,13 195 1Kön 18,31 342 21,9 221 2Kön 1,2–3 269 6,16 269
224, 226
445
Register Jes 3,10 172 5,1b–7 313 23,19 283 29,13 75, 290, 291, 304 30,1 270 31,1 270 45,1 382 52,4 270 53 164 53,7 12, 405 53,8 226 58,5 221
2Chr 19,7 346 Mal 1,9 346 2. Deuterokanonische Bücher SapSal 2,12 172 Jud 8,1–6
221
Jer 36,9 221
Qoh 20,27
133
Hos 6,6 219
Sir 9,9 213 24,36 221 38,15 188
Jo 2,15 226 2,15–16 226 Jon 3,5 221 Am 8,11 227 Sach 7,3.5 221 8,18 221 9,9 381 Ps 8,7 379 22,2 176 81,6 200 110 383, 384 110,1 198, 379, 384, 385 110,4 382 Dan 7,13 198 12,3 364
Jub 1,17 296 2,17–33 233 5,11–13 195 50,8 234 50,12 234 50,13 234 Tob 3,8.15 362 6,14 362 6,14.17 220 7,11 362 1Makk 1,47 298 2,6 199 2,41 233 2Makk 5,19 249 7,11 362 7,22–23 362 7,27–29 362
446 12,43–45 362 14,46 362 15,12–16 362 3. Neues Testament Mt 1,1–17 381 2,5 384 3,7 146 3,13–15 54 4,1–11 28 5,17 147 5,32 256 5,43–33 375 5,46–47 181, 214, 216 6,4 302 6,16 222 6,16–18 222, 224 6,18 302 6,24 375 6,30 204 7,6 145 7,15 147 7,27 145 8,38 146 9,8 189, 194 9,9 207 9,9–13 54 9,32–34 28 10,32 145 12,1–8 49 11,2–6 32 11,12 145, 150 11,18–19 216 11,19 60, 102, 208 12,1–8 82 12,9–13 82 12,5 7, 17 12,10 49 12,14 258 12,22–30 269 12,22–37 32 12,24 270 12,28–34 98 12,29 28
Register 12,38–42 28 12,39 146 13,57 340 15,1–20 49 16,1–2.4 28 16,4 146 16,18 160 18,15–17 216 18,17 181, 214 18,18 189 19,3 352 19,16–26 28 21 48 21,5 381 21,9 382 21,11 339 21,23 309 21,28–32 49 21,31–32 216 21,41–46 82 22 48 22,2 225 22,1–14 48 22,16 258 22,19 346 22,34–40 48, 366, 369 22,35 367 22,35–40 98 23 48 23,6–7 405 23,13–36 16 23,25 296, 297 23,25–26 292 23,33 146 26,61 147 26,68 340 27,14 12 28,12 323 28,18 323 28,28 324 Mk 1,1 398 1,9–11 396 1,11 341, 396 1,12–13 267
Register 1,13 393 1,14 42 1,14 147 1,16 207 1,17 207 1,16–18 207 1,19 207 1,19–20 207 1,21–28 391 1,22 319, 321, 322, 326, 328, 337 1,22–27 324 1,23ff 26 1,25 405 1,27 320, 321, 322, 326, 328, 336, 337 1,33 185 1,41 147, 297 2 17, 27 2,1 46, 56, 241 2,1–4.5a–11 38 2,2 27, 39 2,1–3,6 23, 37, 41, 42, 43, 46, 47, 54, 55, 56, 100, 105, 153, 177, 177–263, 180, 261, 262 2,1–11 29, 2,1–12 25, 27, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 46, 55, 84, 162, 178, 181, 182, 183, 184–206, 192, 200, 202, 243, 305, 378 2,1–17 179 2,3–5a 184 2,4 185 2,5 55, 186, 242 2,5b 185 2,5c 185 2,5.10 55 2,5b–10 27, 189 2,5b–11a 186 2,7 102, 106, 157, 200, 201, 239, 263, 402 2,7b 202 2,8 302 2,9 205 2,10 37, 42, 55, 56, 179, 181, 194, 195, 305, 321, 324, 325 2,10d 185 2,10–11 186 2,11 179 2,12 83, 179
447
2,13 185, 207 2,13ff 26 2,13–17 43, 46, 55, 153, 156, 179, 206–219, 216 2,13–14 39 2,13–23 56 2,14 207 2,15 99 2,15a 207 2,15–17 32, 37, 38, 40, 41, 43, 99, 101, 181 2,15–3,6 181, 182 2,16 44, 208, 214 2,16a 99 2,16b 209 2,16c 99 2,17 101, 102, 209, 213, 216, 218 2,17a 217 2,17b 181, 218 2,17c 38, 44, 45, 2,17.19a.27 44 2,18 339 2,18–19a 222 2,18–3,6 179 2,18a 99, 220 2,18b 220 2,18b–19 222 2,18–20 26,40, 41, 2,19 84 2,19a 222 2,19b 222 2,18–20 224 2,18–22 32, 37, 38, 43, 55, 178, 179, 219–231, 222, 224, 389 2,18–28 183 2,19a 225 2,19b 220, 225 2,19–20 181, 222, 229, 396 2,19b–20 44, 45, 223 2,19c–20 38 2,20 42, 220, 226, 227, 228, 229 2,20–22 84, 222 2,21 220, 229 2,21–22 223, 224, 229, 230 2,21 f. 38 2,22 220 3,22–27 393
448
Register
2,22b 220 2,23 26, 45, 239 2,23–24 290 2,23–25 17 2,23–26 251 2,23–27 55 2,23–28 17, 32, 37, 40, 41, 43, 148, 179, 236, 237, 246 2,23–36 236, 240 2,23–3,6 389 2,24 99, 242, 255, 256, 306 2,25 37, 45, 247 2,25–26 38, 62, 240, 250 2,26 306 2,27 38, 240, 241, 249, 250, 251, 252, 255, 302 2,27–28 102, 248, 256 2,28 37, 38, 42, 45, 55, 56, 179, 195, 240, 241, 246, 250, 251, 255 3,1 56 3,1a 243 3,1b 243 3,1.6 148 3,1–5 34, 41, 45 3,1–6 26, 32, 36, 37, 38, 43, 47, 55, 84, 178, 179, 182, 237, 241, 378 3,1.20 185 3,3 302 3,3.5 55 3,4 43, 84, 179, 241, 249, 256, 306, 351 3,4b 243 3,4.5–6 38 3,5 27, 243, 302, 405 3,6 37, 42, 106, 157, 179, 180, 182, 241, 242, 243, 258, 261, 263, 390 3,8 185 3,15 321, 322 3,18 207 3,19b 42 3,20–21 269 3,20–35 269 3,22 179 3,22 ff. 264 3,23 396 3,22–30 28, 32, 40, 41, 43, 46, 106, 202, 264
3,23 84, 270, 278 3,27 145, 279, 280 3,28–29 202 3,29 201 3,29–30 192, 271 3,31–33 26 3,31–35 46, 269 4,1 185 4,1–20 269 4,1–34 283 4,8–10 405 4,10 277 4,10–12 396 4,39 405 5,1–20 393 5,17 367 5,21 185 5,21–43 269, 297 5,24–28 147 5,27 185 5,28 148 5,41 74, 147 6,1ff 26 6,1–6 41, 54 6,4 340 6,7 321, 322 6,7–30 269 6,15 340 6,28 150 7,1–8 40, 41, 153 7,1–13 46, 287 7,1–23 23, 28, 32, 41, 105, 106, 236, 280–304, 282, 303 7,1–8 284 7,1–13 286 7,1–28 43 7,2 99, 283, 286 7,2–4 302 7,3 283, 286 7,4 286 7,5 44, 150, 286 7,5–8 284 7,6 75, 260, 346, 405 7,6 f 45 7,6–13 292 7,6–15 284
Register 7,7 290 7,8 287, 291 7,8 f. 291 7,9 287, 291 7,9–13 44, 45, 153, 284, 286 7,9–23 84 7,11 283 7,13 286 7,14–23 286, 287, 302 7,15 44, 283, 284, 285, 286, 287, 292, 295, 296, 297 7,15a 287, 293, 7,15b 287, 293, 294 7,15–19 147 7,16–23 297, 298 7,17–19 287 7,18 286 7,18b–19 284 7,19 147, 284, 285, 296, 297, 303 7,20–23 284, 287 7,21–22 202, 304 7,22 18 7,23 286 7,24–30 52, 100 7,34 ff. 282 8,11–13 28, 106, 264 8,11–16 41 8,13 264 8,28 340 8,31 42, 174, 399 8,38 146 9,7 341, 396 9,9 360, 361, 399 9,31 174 9,34–37 58 9,35 376 9,38–40 32 10 30 10,1–12 46, 154 10,2 351 10,2–8 41 10,2–9 40, 41, 106, 153, 236, 256 10,2–12 32 10,3 257 10,13 ff. 26 10,13–16 58
449
10,17 405 10,17–19 26, 367 10,17–27 28 10,18–27 41 10,17–31 32, 106, 370 10,25 205 10,25–28 367 10,33 174 10,34 399 10,35–45 32, 370 10,44 376 10,45 399 10,46–48 26 10,47–48 382 11,10 381 11,12–21 269 11,12–12,44 41 11,15 311 11,15–17 26, 105, 307, 310 11,15–33 28 11,15–44 180 11,16–17 150 11,17 310 11,18 42, 150, 182, 310 11,20–25 32, 370 11,27 46, 309 11,27a 46 11,27–34 32, 40, 43, 46, 100, 105, 156, 223, 305, 306, 309–344, 321, 327, 337, 371, 378 11,27–12,40 100 11,27–12,44 307 11,27 239, 313 11,27a 311 11,28 313, 327 11,28a 312 11,28b 312 11,29–30 313 11,30 84, 311, 312, 351, 352, 353 11,31 311 11,31–32 302, 313 11,32 339 11,32a 311 11,33 313 12,1–12 47, 100, 313, 396, 399 12,5 247
450
Register
12,6 325, 341 12,12 42, 182 12,13 258, 261, 347, 351 12,13 ff. 26 12,13–17 32, 40, 43, 154, 306, 344–357, 348, 351, 352, 378 12,13–37 105 12,13–34 308 12,13–40 28 12,14 302, 309, 346 12,17 102 12,18–27 32, 40, 43, 105, 153, 154, 236, 306, 357–365, 361, 362 12,19 309, 358, 378 12,20 358 12,23 358 12,24 358 12,24–27 358, 360 12,25 358, 359 12,26 359 12,26–27 359 12,27 359 12,28 366, 373 12,28 ff. 377 12,28–34 43, 261, 306, 365–377, 368, 369, 370, 371 12,29–31 366 12,30 303, 366 12,31b 352 12,32a 352 12,32–33 366 12,32–34 367 12,33 84, 366, 374 12,34 169, 258, 366, 370, 378 12,35 308, 309 12,35–37 246, 306, 378–385, 380, 382, 384 12,36 244, 383 12,37 379 12,38–40 308, 405 12,44 47 13 393, 394 13,2 150 13,14 228, 343 13,21–22 343 13,22 264, 265 13,23 228, 343
13,34 321 14,1 42 14,1–11 269 14,1–2 182 14,3–5 26 14,7 398 14,17–31 269 14,48–49 310 14,53–72 269 14,58 147, 150 14,62 383 14,64 106, 157, 263 14,65 150, 340 15,1–5 390 15,5 12, 390, 404 15,29 276 15,29–32 276 15,30–31 160 15,39 174, 397 15,40–16,8 269 16,1–8 174 16,19 383 Lk 1,58 156 2,21 156 2,41–51 54 3,1–12 28 3,7 146 3,10–14 342 3,15–17 54 3,28–38 381 4,1–13 266, 267 4,6 267 4,7 321 4,24 340 4,32 321 4,36 321 5,19 185 5,29 208 5,39 230 6,1b 239 6,11 258 7,18–35 32 7,31–34 223, 225 7,31–35 223
Register 7,33–34 216 7,33 223 7,34 60, 102, 208, 215, 7,36–39 230 7,36–50 34, 40, 41 7,39 340 9,51–53 26 9,51–56 32, 370 9,52–56 34, 54 9,62 231 10,8 296 10,12 226 10,25–28 98, 366, 367, 368, 372 10,25a 367 10,26 367 10,27a 367 10,27b 367 11,2–10 28 11,27–28 54 11,14–15 41 11,27–28 52 11,14–23 28, 32, 269 11,15 270 11,16 264 11,16–29.32 28 11,17 270 11,17–23 41 11,19–20 271 11,27–28 97 11,29 264 11,37–41 292 11,43–44 405 12,10 271 12,13–14 32, 370 12,16–21 213 12,49 145 13,1 145 13,1–5 32, 370 13,10–17 32, 148, 236 13,32 145 13,34 f. 150 14,1–3 26 14,1–6 32, 148, 236 14,7–11 213 14,12–14 213 14,15–24 54, 213
14,25 226 14,61 f. 200 16,8 256 16,16 150 16,19–21 213 17,20 f 32, 370 16,16 145 16,17 367 18,18–27 28 19,1–10 216 19,9–14 221 20,1 309 20,20 345 20,39–40 368 22,35–38 403 22,36 145 23,27–31 54 23,41 399 23,47 399 Joh 2,18 310 2,19 147 2,42 384 3,29 225 4,19 149, 340 4,44 340 5,1–47 236 5,14 188 5,2–18 148 5,27 323 6,35 251 7,14–24 236 7,20 268 7,22–23 156 7,42 384 8,48 268 9,1–41 148, 236 9,2 188 10,18 323 10,33 200 10,20 268 10,36 204 12,15 381 14,16 12 14,16–18 398
451
452
Register
15,13 167 17 12 17,2 323 20,16 149
15,25 383, 384 15,25–27 379 15,33 209 15,55–56 179
Apg 1,9–11 227 2,34 383 4,13 68 6,11 201 6,14 45, 147 10,13 295 10,30 224 11,1–3 154 13,21 224 14,14 295 14,23 224 17,18 21 23,8 357 26,11 201 27,9 224
2Kor 6,5 223 11,27 223
Röm 1,3 381 1,4 381 2,24 201 3,25 f 63 5,6–8 167 13,1–6 349 13,1–7 318 13,8–10 375 13,6 349 14,14 297 14,14.20 296 14,17 230 14,20 296 1Kor 1,23 160 2,6–8 164 6,13 303 7,10–11 256 8,9 317 10,33 201 15,3–5 25 15,24–25 325
Gal 1,14 288 2,11ff 43 2,11–14 147 2,11–18 181 2,12 214 2,15 153, 181, 214 3,1 161 3,13b 161 4,3–8.10 179 5,11 161 6,14 161 Eph 1,20 383 1,20–23 379 1,21 338 4,31 201 5,10 257 6,9 346 Phil 2,6–11
63
Kol 1,16 325 2,14–15 179 3,1 383 3,8 201 3,25 346 2Thess 1,10 226 1Tim 1,13 201 3,16 396
453
Register 6,4 109, 110 2Tim 2,8 381 Tit 1,9 21 3,2 201 Hebr 1,3.13 383 1,5–13 397 8,1 383 10,12.13 383 12,2 383 Jak 5,15 188 1Petr 1,17 346 2,22–23 405 3,21–22 379 Jud 7 364 9 407 Apk 12,1–2 323 12,10–11 325 13,6 201 16,11.21 201 22,17 225 4. Griechische und römische Autoren Aischylos suppl. 215.216 190 Aphthonios prog. 23,16 91 Apuleius Socr. 274 de mag. 26,1–2 274
de mag. 27,1–3 273 de mag. 27,4 274 de mag. 51,8 274 de mag. 51,10 274 Aristophanes nub. 888–1104 80 nub. 1042 80 Thes. 778 299 Aristoteles EN 1095b 21 318 EN 1128a, 22–25 80 EN 1135b 18–19 191 EN 1136a 191 met. 1062 13 248 rhet. 1356a-b 86 rhet. 1384 318 rhet. 1393a 86 rhet. 1393 a-b 86 rhet. 1394a 85, 86 rhet. 1394a-b 86 rhet. 1394b 95 rhet. 1395b 86, 95 rhet. 1397b 12 204 rhet. 1402a 23 81 rhet. 1412a 24 95 rhet. 1412a 21 95 top. 1,1 (108a) 136 top. 1,5 (102a 1–103 5) 138 top. 1,8 (103b 11–15) 138 top. 8,1 (155b 4–5) 138 top. 8,1 (156b 23–25) 137 top. 8,1 (164b 13) 136 S.E. 4 (165b 25–166b 9) 139 S.E. 6,7 (169a) 289 S.E. 11 (171b 24–34) 137 Augustus res gest. 6 318 res gest. 34 334 Chrysipp SVF 2,275 SVF 2,276 SVF 2,277
140 141 141
454 SVF 2,282 SVF 3,362
Register 141 319
Cicero acad. 1,17 309 acad. 2,95 (SVF 2,196) 139 att. 3,15,4 190 att. 16,11,4 167 Brut. 8,2 320 cael. 3,6 133 de part. or. 19–20 320 de orat. 3,177 73 epist. 1,2,4 330 fin. 1,8,27 133 fin. 1,8,28 133 fin. 2,65 167 inv. 1,5,19 330 inv. 1,45 352 inv. 1,83 355 nat. deor. 1,10 331 nat. deor. 2,74 331 nat. deor. 3,10 288, 331 off. 1,69 167 off. 3,99–103 167 off. 3,102.103 16 orat. 21,69 73 orat. 23,75–32,113 73 orat. 23,77 73, 74 orat. 29,101 73 rab. 16 159 rab. 16,5 170 resp. 1,12 320 resp. 4,12 133 resp. 5,1 288 tusc 1,38,8 331 tusc. 2,53 330 top. 23 204 Verr. 2,5,169 170 Verr. 5,60 330 Verr. 5,64,165 159 Demetrius von Phaleron de eloc. 120 71 de eloc. 121 71 de eloc. 128 72 de eloc. 186 ff. 74
de eloc. 190 72 de eloc. 191 72 Demosthenes or. 39,20 186 Dio Chrysostomos or. 8,5 217 or. 14,14 211 or. 55,3,4 335 Diogenes Laertius D.L. 2,41 101 D.L. 2,69 217 D.L. 4,62 141 D.L. 5,21 125 D.L. 6,4 216 D.L. 6,6 217 D.L. 6,89 88 D.L. 7,4 88 D.L. 7,80–81 140 D.L. 7,109 309 D.L. 8,121 319 Diomedes Ars grammatica 1,310, 1–29 Epiktet diss. 1,9,15 317 diss. 1,29,10–11 diss. 2,13,14–15 diss. 3,15,12–13 diss. 3,24,70–71 diss. 4,1,56 315 diss. 4,7,16 315 ench. 14,2 315
317 316 212 316
Euripides hel. 82 190 iph. taur. 1400 190 orest. 1497 272 Galen intr. Dial. 6,6 140
90
455
Register Aulus Gellius n.a. 5,10,2–4 353 n.a. 5,10,9–10 354 n.a. 5,10,13–14 354 n.a. 5,10,16 354 n.a. 20,4 309 Gorgias DK 10,8 134 DK 11 272 Heraklit DK 22 B 53 124 DK 22 B 40 125 DK 22 B 129 126 Ad Herennium 2,24,38 352, 355 2,38,24 356 4,8,11 73 4,5 87 4,13 87
Herodot hist. 1,107.120.128 272 hist. 1,194 274 hist. 8,144 258 Hesiod erg. 11–15 129 Horaz sat. 1,19,21–23 127
Titus Livius 27,11,10 288 31,9,2 330
Mara bar Serapion 143–155 173 Martianus Capella mart. Cap. 4,328 128 Menander thais fg. 211 209
Hermogenes von Tarsos inv. 4,6 356 inv. 4,6,20–21 357 prog. 3 88, 90, 91 prog. 3,10–11 91
Justinian dig. 1,2,2,48–51
Lukian Dem. 7 193 Dem. 9 257 Dem. 10 257 Dem. 48 109 Dem. 67 88 dial. mort. 6 169 dial. mort 21 171 Per. 13 169 Per. 18 202 rhet. praec. 4 204
335
Papyri POxy. 1,30–35 PQxy. 85 92
340
Philostrat V.A. 1,17 309 Platon alc. 1,35b 318 apol. 18a-b 11 apol. 19a 12 crat. 51d 314 gorg. 449b 135 gorg. 449c 135 gorg. 461e 314 gorg. 487d 135 gorg. 521c 169 gorg. 523d 169 gorg. 523a–524a 135 leg. 934e 132 leg 938 132 men. 80b 135 pol. 557b 314 prot. 329a 135 prot. 335b 135
456
Register
prot. 337b 135 prot. 342b 135 prot. 360e 135 resp. 361e 172 smp. 203d 272 smp. 222a–223a 169soph. 225a-b soph. 234a–235 272 soph. 246a 125smp 182e 314 smp. 185D 213 theaet 248 tim. 36b 163 Plautus cist. 249
329
125
inst. or. 4,3,109 95 inst. or. 5,10,69 352 inst. or. 5,11,5 246 inst. or. 5,11,32 246 inst. or. 5,11,36 246 inst. or. 8,5,2 86 inst. or. 8,6,47 313 inst. or. 8,6,73 74 inst. or. 11,9,9 127 inst. or. 12,2 123 inst. or. 12,10,58 73 Sallust coniur. Cat. 10
401
Seneca d.Ä. contr. 10, pr. 5,3
Plutarch adul. 59–68 406 Alex. 1 97 Alex. 13 191 Alex. 41 201 apoph. laec 223c 252 apoph. laec. 230F 101,217, 252 Brut. 13,3 89 CatM 7 88 CatM 9 89 Cic. 22,2 318 comm. not. 1071D 249 comm. not 1071 250 comp. Dem. et Cic. 318 de stoic. rep. 1036C-d 141 de stoic. rep. 1039B 191 Her. mal. 870a 401 Her. mal. 874B 401 lib. ed. 1,4f–5a 97 Lyc. 3,4 318 Lyc. 19 95 quaest. conv. 621 d-e 213 Them. 18 88
Sextus Empiricus adv. Math. 9,187 140
Protagoras DK 14 248
Sophokles Oed. 387 272
Quintilian inst. or. 1,9,3–4 91 inst. or. 1,9,5 90 inst. or. 2,4,2–17 90
Sueton Ner. 16 158 Ner. 16,2 321 Tib. 3,32 349
127
Seneca d.J. herc. oet. 982 193 clem. 2,1,1 193 De prov. 3,4 166 De prov. 3,9 167 De tranq. 16,4 167 ep. mor. 29,1 332, 406 ep. mor. 29,3 332 ep. mor. 33,7 90 ep. mor. 67,7 167 ep. mor. 71,1 167 ep. mor. 94,27–28 332 ep. mor 98,12 167 ep. mor. 115,2 333 Servus Suplicius Aen. 10,449 353
Register Vesp. 1 336, 337 Vesp 7 336 Tacitus ann. 14,42,2 288 dial. or. 18 289 dial. or. 28,2 288 dial. or. 33 217 dial. or. 41 217 ger. 11 334 hist. 4,3,11 159 hist. 5,4 254 hist. 5,5 254 Theon von Alexandria prog. 3 85 prog. 96,25–97,3 91 prog. 97,5–6 91 prog. 97,13 91 prog. 97,14–16 91 prog. 98,34–99,1 91 prog. 99,10 92 Valerius Maximus Mem. I,1,14 166 Velleius Paterculus hist. rom. 2,117,2 349 Vergil Aen. 6,583 Xenophon mem. 1,1,15 mem. 2,6,24
192
203 314
5. Frühjüdische Literatur Flavius Josephus A.J. 3,5,5 368 A.J. 4,73 291 A.J. 4,253 257, 258 A.J. 9,19 269 A.J. 11,99 299 A.J. 11,346 298 A.J. 12,6 254
A.J. 12,320 298 A.J. 13,4 298 A.J. 13,171–172 257 A.J. 13,173 357 A.J. 13,296 289 A.J. 13,408 289 A.J. 14,4,2 234 A.J. 14,202 233 A.J. 14,235–237 233 A.J. 14,403 379 A.J. 18,117 377 A.J. 19,187 289 A.J. 19,331 258 A.J. 20,97–98 342 A.J. 20,169–178 342 A.J. 20,209 290 Ap. 1,2 320 Ap. 1,7 321 Ap. 1,50.53 290 Ap. 1,66 321 Ap. 1,166 f. 291 Ap. 1,210 254 Ap. 2,20–27 253 Ap. 2,145 372 Ap. 2,146 372 Ap. 2,145.161 265 Ap. 2,212 254 Ap. 2,287 290 B.J. 1,146 233 B.J. 1,174 289 B.J. 1,389 258 B.J. 1,650 363 B.J. 2,61 265 B.J. 2,117 318 B.J. 2,118 349 B.J. 2,119–166 258 B.J. 2,151–152 363 B.J. 2,153 363 B.J. 2,165 357 B.J. 2,167 342 B.J 2,261 341 B.J. 2,433 342 B.J. 2,579 289 B.J. 6,285 264,265 B.J. 6,284–286 265 B.J. 7,202–203 159
457
458 B.J. 7,438 B.J. 8,406
Register 264 265
Philo cher. 27 318 conf. ling. 181 318 congr. 1,108 191 cont. 57,64 213 flac. 1,7 191 jos. 67 Philo 318 leg. 1,287 191 leg. 7,44 349 mos. 2,198 199 mos. 2,205–206 199 opif. 17 318 opif. 28,85–86 349 prov. 2,7 217 sac. 59–60 318 somn. 2,130 198 somn. 2,294 318 spec. 1,294 294 spec. 2,63 373 virt. 34 368 gig. 64 368 Qumranschriften 1QS 5,10b–11 213 1QS 9,11 380 1QSa 2,11–22 380 11Q 19 LXIV, 9–13 162 4Q 169 pNah I,8–12 162 4QOrNab 1,3–4 188 CD 6,14–20 213 CD 10,21 234 CD 11,5 234 CD 11,9–10 235 CD 11,15 234 CD 12,23–13,1 380 CD 14,19 380 Pseudoepigraphen des Alten Testaments TestDan 5,3 374 TestIs 7,6 374 TestSal 3,6 269 TestSal 6,1–2 269 TestSeb 5,1 374
äthHen 104,2 364 PsSal 3,8 221 PsSal 17,21 380 PsSal 17,27.30.36.40 195 6. Frühchristliche Literatur und Patristische Quellen Acta apollonii 41 170 Augustinus de doctr. 4 74 de civ. 6,11 253 ep. 138,18 274 ps. en. 11,6 328 serm. 122,6 74 ver. rel. 3,3 327 ver. rel. 14,6 327 ver. rel. 16,31 327 Epiphanius von Salamis adv. haer. 45 258 Eusebius h.e. 3,5,3 343 h.e. 3,12 380 h.e. 3,19–20 380 h.e. 3,39,15 68, 89 h.e. 4,26,14 244 h.e. 4,3,2 275 Hieronymus brev. in ps. 81 74 (Contr. Iov.) Ep. XLIX,12 126 comm. in Matth. 3,19,1–3 352 comm. in Matth. 12,13 255 Justin apol. I,5,3 apol. I,5,4 apol I,13,4 apol. I,16,6 apol. I,46,3 apol. I 66,3 apol. I,67,3
170 158, 171 160 374 170, 171 89 89
459
Register apol. II,10,2–3 171 dial. 8,4 384 dial. 32,1 161, 163 dial. 33,1 383 dial. 88,1 383 dial. 89,2 161, 163 dial. 90,1 161, 163, 384 dial. 93,2 374 dial. 93,4 161, 163 dial. 100,4 89 dial. 101,1 89 dial. 102,5 89 dial. 103,6.8 89 dial. 104,1 89 dial. 105,1.5–6 89 Laktanz div. inst. 5,3,2
274
Martyrium Pionii 17 170 Origenes C.C. 1,16 158 C.C. 1,26c 158 C.C. 1,27 158 C.C. 1,32 159 C.C. 1,68 275 C.C. 1,71 272, 275 C.C. 2,32 272 C.C. 2,49 275 C.C. 6,1–2 68 C.C. 6,2 68 C.C. 7,41 272 C.C. 8,25 269 Tertullian adv. Marc. 4,38,3 351 apol. 22,1 171 apol. 46,5ff 171 apol. 46,10 171 apol. 50,21 167 ad iud. 10,1–3 163 ad. martyr. 167 ad. nat. 18,25 167 de an. 1,4 171
idol. 15 351 Apostolische Väter IgnRöm 7,3 381 IgnSm 1,1 381 IgnEph 18,2 381 IgnEph 20,2 381 IgnTrall 9,1 381 2Clem 3,4 374 2Clem 16,4 224 Barn 3,3 224 Barn 12,10–11 382 Barn 19,5 376 Did 1,2 374 Did 8,1 222 EvThom 14,5 294 25,1–2 376 31 340 35,1–2 270 35 280 47,2 376 71 147 100 348 104,3 226 7. Rabbinische Schriften AS 16a 101 16b–17a 144 Ber 3,20 101 5,10 226 jDemai 3,23a 10
211
bSan 19b–20 326 25b 211 43b 272 67a 274
460
Register
bSuk 5,53 223
mSan 7,4–6 197
bTaan 10a 221
mShab 7,2 235, 239
kel 1,3 280 1,3–9 280
mTaan 1,3–7 2,9 221 9,5 301
mAb 2,1 372 4,2 372
mToh 1,7 301
mBez 3,4 235 MekhSh (1Sam 21,5) 245 MekhSh (Ex 31,14) 249 mHull 12,5 372 mYad 2,1 301 2,3 299 mYomTob 5,2 235 mNed 3,4 211
pSan 19a 326 pSuk 5,53 226 Pes 40b 293 tDemai 3,4 (49,15) 211 t.hul 2,22–23 275 tMeg 2,7 280