Der Reichs-Civilproceß [8., unveränd. Abdr. d. 7. völlig neu bearb. Reprint 2020 ed.] 9783112379806, 9783112379790


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German Pages 884 [914] Year 1897

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Der Reichs-Civilproceß [8., unveränd. Abdr. d. 7. völlig neu bearb. Reprint 2020 ed.]
 9783112379806, 9783112379790

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Lehrbücher deS

Deutschen Reichere cht es. I.

ver Neich- Civilpror eß von

Ker«««« KUting.

Achte Auflage.

Berlin SW Wilhelmsttatze 119120

3. Lnttrntag, vrrlagsdnchhanbluny.

Neichü-Cwilproceß. Bon

Dr. Herma«« Lifting, Ged. Justizrathe und ord. Profesior der Rechte zu Halle.

Achte Auflage. lnveränderter Abdruck der siebenten, völlig neu bearbeiteten.

Berlin SW48. Wilhelmstraße 119/120.

X Gnttrnkag, Verlagsbuchhandlung.

Uorrede. Das

neuen

Lehrbuch, welches hiermit

doppelten

in

einer

vollständig

ging ursprünglich

Bearbeitung erscheint,

Absicht hervor, einerseits

aus der

den praktischen Ju­

risten ein Hülfsmittel zu rascher Einführung in das durch

die Reichs - Civilproceßordnung

geschaffene neue

Proceß­

recht und zur Erleichterung des Verständnisses des Gesetz­ buches zu bieten,

andererseits

aber durch gemeinfaßliche

dieses Proceßrechtes auch den nichtjuristischen

Darstellung

Kreisen des deutschen Volkes eine nicht ganz oberflächliche

Kenntniß desselben zu vermitteln. Daß das Werkchen in jener ersten Hinsicht einem Be­

dürfnisse entsprach, hat sein Erfolg sattsam bewiesen.

Auch

den zweiten Theil seiner Bestimmung hat es durchaus nicht gänzlich verfehlt; aber freilich die Hoffnung, daß es ihm

gelingen könnte, die bedauerliche Gleichgültigkeit der Nicht­ juristen Deutschlands für rechtliche Dinge in nennenswerthem Maße zu

überwinden und

dem

neuen Civilprocesse zu

einer gewissen Volksthümlichkeit zu verhelfen, hat sich nicht einmal annährend erfüllt.

lichen Ersatz

Dafür hat es als hoch erfreu­

eine stets wachsende Verbreitung

Studirenden gefunden.

bei

den

Vorrede.

VI

Durch diese Erfahrungen war die Richtung, welche das

Buch bei einer Neubearbeitung einzuschlagen habe, in ganz

bestimmter Weise vorgezeichnet.

An der bewährten Grund­

anlage selbst durfte nicht gerüttelt, und namentlich mußten dem Werke

die Eigenschaften,

hauptsächlich

verdankt,

denen

möglichste

es

Erfolge

seine

Knappheit,

Uebersicht-

lichkeit und Leichtfaßlichkeit der Darstellung, sorgsam ge­

wahrt werden. juristen

Dagegen war die Rücksicht auf die Nicht­

völlig Preisgegeben.

wissenschaftlichen

der

Seite

An die Stelle einer nach

anspruchlosen

Arbeit

mußte

eine streng wissenschaftliche Behandlung treten, ein stetes

Zurückgehen auf die tieferen, leitenden Grundsätze und eine

fortlaufende Darlegung des zwischen den einzelnen gesetz­

lichen Vorschriften bestehenden inneren Zusammenhanges. Daß das Lehrbuch einer Umarbeitung in diesem Sinne be­ dürfe, war dem Verfasser schon bei der theilweisen Neu­

bearbeitung klar geworden, welche im Herbst 1879 als vierte

Auslage erschien. in Angriff.

Auch nahm er alsbald diese Umarbeitung

Sie erwies sich aber bei der Ausführung als

eine überaus schwierige und zeitraubende Aufgabe angesichts

der höchst umfangreichen Litteratur, welche rasch auf Grund der Civilproceßordnung erwuchs, und der zahllosen Streit­

fragen, welche sich nicht nur über den Sinn der einzelnen gesetzlichen Vorschriften,

sondern

sogar

über die tiefsten

Grundlagen der ganzen Proceßwissenschaft entspannen. Auch

zeigte sich bald, daß nicht eher mit der wirklichen Aus­ arbeitung des Buches in der beabsichtigten neuen Gestalt

begonnen werden könne, als bis durch sorgfältigstes Stu­ dium

jener Litteratur,

namentlich

aber durch

genaueste

und stets wiederholte Durchforschung des Gesetzbuches selbst

für

die

richtige Behandlung

im

Ganzen

wie

in

allen

Vorrede.

Einzelheiten ein

VII

fester und sicherer grundsätzlicher Boden

gewonnen sei. So erklärt sich, daß das Werk seit jener vierten Auf­

lage und länger als zehn Jahre völlig unverändert blieb, um dafür jetzt in desto gründlicherer Umgestaltung

an die

Oeffentlichkeit zu treten, gewachsen nicht nur äußerlich auf das Doppelte des bisherigen Umfanges,

sondern ungleich

mehr noch innerlich an wissenschaftlicher Vertiefung, Voll­

ständigkeit und Gleichmäßigkeit der Behandlung. Während die bisherigen Auflagen, wie das unmittelbar

nach der Erlassung der Civilproceßordnung gewiß das Rich­ tige war, sich vorzugsweise an die Begründung und an die Arbeiten solcher Männer anschlossen, welche bei

der Ab­

fassung des Gesetzbuches in einflußreicher Weise mitgewirkt hatten, hat die gegenwärtige Neubearbeitung eine völlig freie und selbständige Stellung genommen, — eine Stellung, welche

hie und

da, namentlich im Hinblick auf die abweichende

Rechtsprechung des Reichsgerichtes,

frei

erscheinen mag.

Manchem vielleicht zu

Indessen, wer die genannte Recht­

sprechung näher verfolgt hat, der weiß, wie wenig hier überall noch von irgend

kann.

einer befestigten Praxis

die Rede sein

Und es erscheint daher nicht allein als ein gutes

Recht, sondern geradezu als die gebieterische Pflicht jedes

Schriftstellers, der seine Ansichten durch eigenes sorgsames Studium gewonnen hat,

sich

auch nach dieser Seite die

volle Selbständigkeit zu wahren. Für das vorliegende Werk

konnte sie schon darum gar nicht aufgegeben werden,

weil

sonst zugleich auf jede Einheitlichkeit der Darstellung hätte

verzichtet werden müssen. Ganz besondere Sorgfalt ist bei der neuen Bearbeitung

dem Sprachgebrauche des Gesetzbuches

gewidmet worden,

VIII

Bombe.

da seine Kenntniß

und

genaue Beachtung die erste und

nothwendigste Vorbedingung für das

der gesetzlichen Vorschriften ist.

richtige Verständniß

Nicht nur bedient sich das

Lehrbuch selbst überall diese» Sprachgebrauches, sondern die gesetzlich«! Kunstausdrücke sind auch entweder da, wo fie zum

ersten Mal austreten, oder da, wo ihre Bedeutung erläutert

wird,

schon

durch

Anführungszeichen kenntlich gemacht und so

äußerlich von KmrstauSdrücken

sprünge» unterschieden.

nicht gesetzlichen Ur­

sonst

In gleicher Weise ist auch

mitunter auf den Wortlaut deS Gesetzes hingewiesen.

Wegen der nahen Beziehung dieses Lehrbuches zu dem „ReichS-KonkurSrechte" des Verfassers ist das letztere hie

und da angeführt.

Jm Uebrigen ist von Verweisungen auf

die Litteratur, wie fie in der vierten Auflage in einem ge­ wissen, allerdings

sparsamen, Maße austreten,

wiederum,

Denn

wie in den drei ersten Auflagen, ganz abgesehen.

eine bloße Nennnng von Vertretern übereinstimmender oder

abweichender Anfichten könnte kaum einen Nutzen gewähren; eine fortlaufende Auseinandersetzung aber mit der bunten

Mannigfaltigkeit der in der Litteratur aufgetauchten Mei­ nungen und ihren Gründen hätte ungemein viel Raum er­ fordert

und

die

Benutzung

wesentlich erschwert.

deS

Lehrbuches

Ueberdies muß

als

solchen

gerade ein Lehrbuch

allenthalben durch sich selbst verständlich sein.

Das wird

aber am sichersten erreicht, wenn es sich grundsätzlich jeder

Hinweisung auf andere Schriften, sogar auf die eigenen seines Verfassers enthält.

Aus ähnlichen Rücksichten

sind auch die Entscheidungen

de» Reichsgerichte» nur mit großer Auswahl angeführt. Lehrbuch, namentlich ein nach Kürze strebendes,

Ein

niuß sich

überhaupt nothwendig beschränken und Demjenigen, der sich

Vorrede.

DC

noch weiter unterrichten will, die Benutzung anderer Hülfs­

mittel überlassen.

Gerade für die Belehrung über den

Stand der Litteratur uud der Rechtsprechung fehtt e» ja aber an Hülfsmitteln nicht.

Jeder der größere« Commen­

tare gibt darüber eine genügende Auskunft, und als be­ sonder» vollständig gerade hierin kann derjenige von S t r « ck mann

(jetzt 5. Ausl.

und Koch

1887) hervorgehoben

werden. Der Verfasser trug sich eine Zeit lang mit dem Plan, neben der Neubearbeitung de» Lehrbuche» noch «in größere»

Werk unter dem Titel eine» Handbuches des ReichS-CivilprocesseS zu schreiben.

Erwägung verzichtet.

neuen Bearbeitung

Darauf hat er jetzt nach reiflicher

Seine Grundanfichten find in der

d«S

Lehrbuche»

genugsam dargelegt.

Sollte fich ihm da» Bedürfniß eingehenderer Erörterung einzelner Lehren oder Fragen ergeben, so kann e» leicht durch monographische Behandlung in einer wissenschaftlichen

Zeitschrift befriedigt werden. . Schließlich

sei

zur Geschichte

de»

Werke»

bemertt,

daß die erste (ziemlich starke) Auflage zu Anfang Ottober

1878, die zweite wenige Wochen später, ebenfall» noch im

Jahre 1878 auSgegeben wurde.

Im Frühjahr 1879 folgte

die dritte, im Herbst diese» Jahre» die vierte, neu be­

arbeitete.

Die fünfte und sechste (beide unveränderte Ab-

drücke der vierten) erschienen in den Jahren 1880 und 1884.

Halle im April 1890.

Inhalt. Einleitung.

eette

L

Begriff und Aufgaben deS LivilproceffeS. g. 1 . . . IL Beschichte der Livilproceßordnung für da- Deutsche

1

Reich, g. 2...................................................................................... 11 ID. Bereich der Civilproceßordnung und diese- Lehrbuche-, g.8 18 IV. Berhältniß der Tivilproeeßordmmg zu anderen den Civil. Proceß betreffenden Gesetzen, g. 4.............................................. 24

V.

Litteratur, g. 6................................................................................ 26

Erster Theil. ■U tm Liollprvttssr drtheiligtru -ffentlicheu Organe. Uebersicht, g. 6................................................................................ 28 L Die Gerichte......................................................................................29 1. Gerichtsbarkeit, g. 7.............................................................. 29 2. Gliederung der Gerichte, g. 8............................................. 31

8. Erstreckung der GerichtSgewalt und Rechtshülse. §. 9

33

4. Gestaltung der Gerichte. §.10............................................. 37

6. Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen. g. 11............................................................................................42 6. Zuständigkeit der Gerichte..........................................................47

a. Allgemeines, g. 12...................................................

47

b. Unbedingte Zuständigkeit ....

53

aa. Sachliche Zuständigkeit.

§.13

....

bb. Oertliche Zuständigkeit.......................

53 58

XI

Inhalt.

-- 8. 18 Abs. 3 RAO. *« §. 18 Abs. 4 RAO. Tie

Mehrkosten, ivelche dadurch ent­ stehen, dast eine Partei vor einem Collegialgerichte durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, der seinen Wohnsisi nicht am Orte des Gerichtes hat, braucht der Gegner nie zu erstatten: 8. 18 Abs. 5 RAO. S. auch §. 37 RAO. 17 Näheres §. 19 RAO.

76

Th. I.

Am Civilprocesse beteiligte Staatsorgane.

Ferner muß jeder Rechtsanwalt nach seiner ersten Zu»

laffung zur RechtsanwaÜschast in einer öffentlichen Sitzung des Gerichtes, bei dem er zugelaffen ist, auf gewissenhafte

Erfüllung der Pflichten eines Rechtsanwaltes beeidigt werden.18 19 Nach geschehener Beeidigung und Wahl seines Wohn­ sitzes ist der Rechtsanwalt bei jedem Gerichte, bei welchem

er zugelaffen ist, mit Angabe seines Wohnsitzes in die Liste Mit dieser Eintragung be­

der Rechtsanwälte einzutragen.

ginnt seine Befugniß zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft?8 III. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann nur

aus bestimmten

Gründen

zurückgenommen werden.

Sie

muß namentlich dann zurückgenommen werden, wenn der

Rechtsanwalt nicht binnen drei Monaten seit erhaltener Mittheilung von der Zulaffung seinen Wohnsitz genommen hat, oder wenn er seinen Wohnsitz aufgibt.

Ferner muß

die Zulaffung bei einem Gerichte, an besten Orte der Rechts­

anwalt nicht wohnt, zurückgenommen werden, wenn er die Bestellung eines dort wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten

einen Monat lang versäumt hat?8

Die Zurücknahme ge­

schieht durch die Landesjustizverwaltung, bei dem Reichs­ gerichte durch das Präsidium, nach Anhörung des Rechts­ anwaltes und des Vorstandes der Anwaltskammer?'

IV. Die Stellvertretung eines an der Ausübung seines

Berufes zeitweise

verhinderten Rechtsanwaltes kann nur

einem Rechtsanwälte oder einem Rechtskundigen, der schon wenigstens zwei Jahre int Vorbereitungsdienste beschäftigt war, übertragen werden?? 18 §. 17 RAO. 19 20 9i9l£. Die Eintraquncjcn und Löschungen werden bind) den Deutschen Reichs-

anzeiger bekannt gemacht: §§. 20 Abs. 4, 24 Abs. 2 RAO. 20 Näheres §§. 21, 22 RAO. 21 23, 99 RAO. 22 Näheres §. 25 RAO.

Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte.

§. 20.

77

§. 20. 2, Stan-esrrchte und Staudrspflichten -er Nechtsauwalte. Die Rechtsanwälte sind zwar keine eigentlichen Staats­

beamten/ erscheinen aber trotzdem, ähnlich den Gerichtsvoll­ ziehern, nicht als bloße Privatpersonen,

liche

Organe mit

amtlicher Stellung?

sondern als öffent­ Sie haben daher

auch bestimmte Standesrechte und Standespflichten.

I. Die Rechte der Rechtsanwälte bestehen in Ansehung der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vornehmlich darin, daß in allen

Sachen, auf welche die Civilproceßordnung

wendung findet, jeder bei einem deutschen Gerichte

lasiene

Rechtsanwalt

befugt

ist,

vor

An­ zuge-

jedem Gerichte

im

soweit kein

Deutschen Reiche als Beistand aufzutreten und,

Anwaltszwang besteht, auch die Vertretung einer Partei zu übernehmen?

Soweit Anwaltszwang besteht, können bloß

die bei dem Proceßgerichte zugelasienen Rechtsanwälte die

Vertretung der Parteien nehmen?

als Proceßbevollmächtigte über­

Bei der mündlichen Verhandlung ist jedoch jeder

Rechtsanwalt zur Ausführung

der Parteirechte und, falls

ihm der zum Proceßbevollmächtigten bestellte Rechtsanwalt

die Vertretung überträgt, auch zu dieser befugt? Die bei

dem Reichsgerichte zugelassenen Rechtsanwälte

dürfen bei keinem anderen Gerichte auftreten/

1 Mot. z. Entw. der RAO. S. 23 a. E. * Der sicherste Beweis liegt in ihrer Fähigkeit zur Beglau­ bigung von Abschriften: 8. 156 Abs. 2 CP. S. auch §. 5 Nr. 1, §§. 17, 40 RAO. u. a. 8 §. 26 RAO. 4 8- 27 Abs. 1 RAO., §. 74

Auch dürfen

Abs. 1, 3 CP. Ausnahme: 8.8 Abs. 1 EG. z. CP. 6 §. 27 Abs. 2 RAO.; vbd. §. 77 CP.: „Die Proceßvollmacht ermächtigt-------- zur Bestellung eines Vertreters". Wegen der Gebühren in solchen Füllen s. 88. 42, 43 RAGeb. 6 §. 100 Abs. 2 RAO.

Th. L Am Civilproeesse beteiligte Staatsorgane.

78

sie als Proceßbevollmächtigte die Vertretung keinem nicht bei dem Reichsgerichte zugelassenen RechtSanwalte übertragen.7 II. Die Rechtsanwälte find verpflichtet zu gewissen­ hafter Ausübung ihrer Berufsthätigkeit und zu einem ihres Berufes würdigen Verhalten innerhalb wie außerhalb der Ausübung desselben.8 * 10 Dabei hebt das Gesetz folgende Pflichten noch besonders hervor: 1) Ein Rechtsanwalt, der sich länger als eine Woche von seinem Wohnsitze entfernen will, muß für seine Stell­ vertretung sorgen und dem Vorsitzenden des Gerichtes, bei welchem er zugelaffen ist, sowie dem Amtsgerichte seines Wohnsitzes Anzeige machen.8 2) Ein Rechtsanwalt kann zwar den Auftrag zu einer Berufsthätigkeit nach Belieben ablehnen, muß aber die Ab­ lehnung ohne Verzug erklären bei Vermeidung der Haf­ tung für den durch die Verzögerung erwachsenen Schaden?" Er ist zur Verweigerung seiner Berufsthätigkeit verpflichtet, wenn sie für eine pflichtwidrige Handlung verlangt wird, oder wenn er sie in derselben Angelegenheit bereits einer anderen Partei im entgegengesetzten Interesse gewährt hat, oder endlich wenn er sie in einer streitigen Sache gewähren soll, an deren Entscheidung er als Richter thcilgenommen hat." 3) Die Rechtsanwälte sind verpflichtet, in den gesetzlich bestimmten Fällen die Vertretung einer Partei auf An­ ordnung des Proceßgerichtes zu übernehmen?8 7 8 ° 10 “

§. §. §. §. §.

101 RAO. 28 RAO. 29 RAO. 30 RAO. 31 RAO. Vbd. §. 33

a. E. RAO-, §. 106 Abs. 1 a. E. CP., §. 356 StGB. 19 Diese Fälle sind bezeichnet in §§. 107 Nr. 3, 609, 620 Abs. 3, 626 Abs. 2 CP., §§. 33, 34 RAO.

Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte.

79

g. 20.

4) Ein Rechtsanwalt darf Privatgeheimnisse, welche ihm in Folge seines Berufes anvertraut find, nicht offenbaren

bei Vermeidung strafgerichtlicher Verfolgung." 5) Endlich haben die Rechtsanwälte die Pflicht, den im Vorbereitungsdienste bei ihnen

beschäftigten Rechtskundigen

Anleitung und Gelegenheit zu praktischen Arbeiten zu geben." III. Die Aufsicht über die Erfüllung der Pflichten jedes Rechtsanwaltes

führt

der

der

Vorstand

„Anwalts­

kammer", welcher der Rechtsanwalt angehört. Eine Anwaltskammer befindet sich am Sitze jedes Ober­

landesgerichtes und besteht aus den sämmtlichen Rechtsan­ wälten

des

Oberlandesgerichtsbezirkes?

kammer bei dem Reichsgerichte besteht

Die

Anwalts­

den bei dem­

aus

selben zugelassenen Rechtsanwälten."

Jede Anwaltskammer

wählt

aus

ihrer

Mitte

einen

„Vorstand" von wenigstens neun und höchstens fünfzehn Mitgliedern."

Außer der schon genannten Beaufsichtigung

der Mitglieder der Kammer hat er

auch

noch

die Auf­

gaben, Streitigkeiten unter denselben sowie zwischen einem Mitgliede

der Kammer und

seinem Auftraggeber zu ver­

mitteln, von der Landesjustizverwaltung oder den Gerichten

geforderte Gutachten zu erstatten und das Vermögen der Kammer zu

verwalten."

Endlich übt er durch

ein aus

seiner Mitte gebildetes „Ehrengericht", welches jedesmal 13 §. 300 StGB. Bbd. §. 348 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 CP. “ §. 40 RAO. Vbd. §. 2 Abs. 3 GB. 18 §. 41 RAO. " g. 102 Abs. 1 RAO. In Ansehuna der bei einem ober­ sten Landesgerichte zugelassenen Rechtsanwälte s. §. 105 RAO.

17 Näheres §§. 42—47 RAO. Weitere Obliegenheiten der Kam­ mer s. §. 48 RAO. S. auch §. 60 RAO. 18 Näheres §. 49 RAO. Vgl. §. 3 Abs. 2, §. 5 Nr. 4-6, §§. 9, 23 Abs. 1 RAO., §§. 88, 93 Abs. 4 RAGeb. S. auch §. 60 RAO.

80

Th. I.

Am Civilprocesse beteiligte Staatsorgane.

aus dem Vorsitzenden des Vorstandes, dem stellvertretenden Vorsitzenden desselben und drei anderen vom Vorstande ge­ wählten Vorstandsmitgliedern besteht, die ehrengerichtliche Strafgewalt über die Mitglieder der Kammer."

Die ehrengerichtliche Bestrafung verwirkt aber derjenige Die ehren­ gerichtlichen Strafen sind: Rechtsanwalt, welcher seine Pflichten verletzt."" 1) Warnung; 2) Verweis; 3) Geldstrafe bis zu 3000 Mark;

4) Ausschließung von der Rechtsanwaltschaft. Geldstrafe kann mit Verweis verbunden toerbcn.21 *****

Gegen die Urtheile des Ehrengerichtes ist die Berufung an den „Ehrengerichtshof" zulässig, welcher aus dem Präsidenten des Reichsgerichtes als Vorsitzendem, drei Mit­

gliedern des Reichsgerichtes und drei Mitgliedern der An­ waltskammer bei dem Reichsgerichte besteht.22

§. 21.

3. Verhältniß den Nechtnanwattes zu seinem Auftraggeber. Zwischen dem Rechtsanwälte und seinem Auftraggeber

besteht ein Auftragsverhältniß,' und jeder hat daher dem

anderen gegenüber die Pflichten, welche nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes aus diesem Verhältnisse folgen. Insbesondere muß der Rechtsanwalt nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes für den Schaden haften, welcher durch

*• §§. 49 9ir. 1, 67, 68 RAO. I 82 §. 90 RAO. — Ueber dao 2° §. 62 RAO. S. noch ܧ. I ehrengerichtliche yerfahre» i. 64, 65 RAO. S. auch 88- 180 ' §§. 66, 69-89, 91—97 RAO. 1 Mot. z. §. 26 des Gutiu. der bis 182 GV-, SS. 300, 352, 356 RAO. und 88. 32, 49 9

lichkeit

beherrschten

Verfahren

mancher

schriftlicher Form an das Gericht. 6 S. in Ansehung der Klage­ schrift §. 230 vbd. §§. 296, 236 Nr. 3, 241 CP. S. auch §§. 214, 306, 479, 616 CP. Vgl. Allg. Begr. des CPE. §. 4 a. E. Ganz ähnlich wie mit der Klage­ schrift verhält es sich mit dem Protokoll über die Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens in RechnunqSsachen u. dgl. S. unt. §. 68 IV.

Proceßstoff6 7

in

So namentlich da, wo

• S. §§. 269, 282 Abs. 1 CP. 7 So bezeichnet man alles (Parteibehauptungen, Beweis­ gründe u. s. w), waS das Ge­ richt (außer den Rechtssätzen) be­ hufs seiner Entscheidung zu be­ nutzen hat, weil dies gleichsam der Stoss ist, durch dessen geeignete Verarbeitung die Entscheioung als das Erzeugniß des Proceffes hergcstellt werden soll.

148

Th. HI. Verfahren. Abschn. L Allgemeine».

wegen einer Ausnahme vom Grundsätze der Unmittelbarkeit das Proceßgericht von einem processualischen Borgange nur

durch das darüber aufgenommene Protokoll eines beauftragten

oder eines ersuchten Richters Kenntniß erhält. Insbesondere können aber natürlich einem Gerichte höherer Instanz die

Urtheile und sonstigen Entscheidungen früherer Instanzen

immer nur in schriftlicher Form vorliegen.

Selbst in solchen

Fällen und gegenüber denjenigen Schriftstücken, deren Inhalt an sich schon maßgeblicher Proceßstoff ist, hält indeflen die

Civilproceßordnung aus Zweckmäßigkeitsrücksichten den Grund­

satz der Mündlichkeit wenigstens in der Weise fest, daß bei der mündlichen Verhandlung jener Inhalt berichtend vor­ getragen werden muß und nur soweit, als dies geschehen ist, bei der Entscheidung berücksichtigt werden darf.

Das

Gesetz überweist diesen Vortrag den Parteien, theils um ihm

dadurch mehr Lebendigkeit zu verschaffen, theil- und be­

sonders um den Parteien die Möglichkeit zu geben, dafür zu sorgen, daß nichts, was ihnen erheblich, d. h. für die

Entscheidung einflußreich, erscheint, unberücksichtigt bleibe.8 Weil aber hier die Parteien durch ihre Borträge nicht Pro­

ceßstoff erst schaffen, sondern bloß über schon vorhandenen berichten sollen, so kann cs ihnen natürlich nicht freistehen, beliebig von dem Inhalte der betreffenden Schriftstücke ab­

zuweichen oder erhebliche

schweigen.

Stücke dieses Inhaltes zu ver­

Der Vorsitzende hat daher in solchen Fällen

über die Vollständigkeit und Richtigkeit der Vorträge zu

wachen und nöthigenfalls die Berichtigung oder Vervoll­ ständigung

zu

veranlaffen.0

Dergleichen

Parteivorträge

• S. §§. 258 Abs. 2, 488, ' ° S. §. 130 Abs. 2 und 88. 610 CP. Vgl. »egt. z. §§. 247, 488 Abs. 2, 610 Abs. 2 CP. 248 CPE. Abs. 3. Vgl. Begr. a. a. C.

Grundsay der Leffentlichkeit des Verfahrens,

g. 35.

149

werden sonach passend berichtende, diejenigen, welche Pro­

ceßstoff erst schaffen, bestimmende genannt.

III. Die Civilproceßordnung stellt den Grundsatz der Mündlichkeit

ausdrücklich

nur

für

die Verhandlung der

Parteien über den Rechtsstreit vor dem erkennenden

Gerichte auf; er gilt aber kraft besonderer Vorschriften auch für die Verhandlung der Parteien über jeden Zwischenstreit.10 11 Kurz, er gilt für die Parteiverhandlung überall, wo eine

Entscheidung durch Urtheil ergehen muß." Dagegen können andere Entscheidungen: Beschlüsse

und Verfügungen, vielfach auch ohne vorgängige münd­

liche Verhandlung

erlösten werden, also auf Grund eines

nicht vom Grundsätze der Mündlichkeit beherrschten Ver­ fahrens. 12

In den meisten dieser Fälle bestimmt die Civil­

proceßordnung ausdrücklich, daß die Entscheidung ohne vor­ hergehende mündliche Verhandlung erfolgen könne.

Unter der Herrschaft des Grundsatzes der Mündlichkeit

stehen endlich nicht die Beweisverhandlungen, d. h. die Be­ weisaufnahme und das ganze zur Erledigung eines Beweis»

beschlustes erforderliche Verfahren, obwohl es meist in münd­ licher Rede vor sich geht."

§. 35. b. Der Grundsatz der Oeffentlichkeit de- verfahren-.

Im Zusammenhänge mit dem Grundsätze der Mündlich­

keit ist für den Civilproceß, wie für den Strafproceß, der 10 S. 88. 68, 126 Abs. 2, 3, 191 Abs. 1 CP. Bal. Allg. Begr. des CPE. 4 Abs. 2—4. 11 S. §8. 280 ff. CP. und unt. 8- 38 bei Anm. 5. 19 S. 8- 294 CP.

" Dies folgt schon aus der Fassung des §• U9 vbd. 88* 322, 332 Abs. 1 CP.: es erhellt aber auch aus §. 376 und 88* 351 Abs. 3, 353, 354 Abs. 3, 371 Abs. 4 CP.

150

Th. IH.

Verfahren.

Abschn. I.

Allgemeines.

Grundsatz der Oeffentlichkeit deS Verfahren­ angenommen, d. h. des Jedermann freistehenden Zutritte-

zu den Gerichtssitzungen.

Und zwar

aus Rücksichten des

Gemeinwohls, nämlich als bestes Mittel, allgemeines Ver­

trauen zu der Rechtspflege zu erwecken, und als wirksamste Bürgschaft für gesetzmäßiges Verfahren

und für eine an­

ständige Proceßführung von Seite der Parteien.

Der Grundsatz der Oeffentlichkeit erstreckt sich jedoch nicht

auf das ganze Verfahren, sondern

er beherrscht das Ver­

fahren nur soweit, als es von dem Grundsätze der Münd­ lichkeit beherrscht ist.

Er gilt nämlich

bloß für die noth­

wendige mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Ge­

richte mit Einschluß der Verkündung seiner auf Grund dieser

Verhandlung auch hier gilt

ergehenden Urtheile und

Beschlüsse.1

Aber

er nur mit folgenden Ausnahmen und Be­

schränkungen:

1) In dem durch die Klage zur Anfechtung oder zur Entmündigung

einer Person wegen

Geisteskrankheit eröffneten Verfahren

muß die Oeffentlich­

Wiederaufhebung

keit

während der

der

Vernehmung des Entmündigten

ausge-

1 §. 170 GV. VflL §. 119 wenn auch vorgeschriebener — CP. Nothwendigkeit der Er­ i mündlicher Verhandlung im Konwähnung der Eejfciitlicbfcit im j kursversahren (s. Pr.' z. KO. Litzungsprotokoll: §. 145 Nr. 5 S. 68 sg. und RKonk.N. §. 26 CP. vgl. §§. 150, 513 Nr. 6, Anm. 12) und bei dem amts501 CP. — Tie £effinUid)fcit gerichtlichen Verfahren in Ent­ ist nicht geboten bei mündlicher mündigungssachen. Doch ist hier Verhandlung vor einem Gerichte, überall die Oeffentlichkeit auch welches nicht als e r k e n n e n d e s nicht verboten mit Ausnahme Gericht, d. h. durch Urtheil, zu des Verfahrens betreffend die entscheiden hat; also insbesondere Entmündigung oder die Wieder­ nicht bei blök freigestellter münd­ aushebung der Entmündigung licher Verhandlung in einem nicht wegen Geisteskrankheit: 8. 172 Ab's. 2 GB. vom Grundsätze der Müitdlichkeit beherrschten Verfahren, bei —

Grundsatz der Oeffentlichkeit deS Verfahren-,

g. 35.

151

schloffen werden; auf Antrag einer Partei kann sie in diesem Verfahren überhaupt ausgeschloffen werben.*2 *

2) In Ehesachen muß die Oeffentlichkeit ausgeschloffen werden, wenn und soweit eine Partei es beantragt.8

3) In jeder Sache kann daS Gericht die OeffenÜichkeit

für die ganze Verhandlung oder für einen Theil derselben ausschließen, wenn sie nach seinem Ermessen mit Gefahr für die öffentliche Ordnung, insbesondere für die Staatssicherheit,

oder mit Gefahr für die Sittlichkeit verbunden sein würde.4 5 * * Die Verkündung eines Urtheils muß aber auch in diesen

Ausnahmefällen jedesmal öffentlich stattfinden.8

Ueber die Ausschließung der Oeffentlichkeit wird in nicht öffentlicher Sitzung verhandelt, wenn ein

Betheiligter es

beantragt oder das Gericht es für angemeffen erachtet.

Der

Beschluß, welcher die Oeffentlichkeit ausschließt, muß jedesmal

öffentlich verkündet werden, und zwar mit Angabe, ob die Ausschließung wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung,

insbesondere wegen Gefährdung der Staatssicherheit, oder

ob sie wegen Gefährdung der Sittlichkeit erfolgt.8 Selbst zu öffentlichen Verhandlungen kann unerwachsenen 1 §. 172 Abs. 1 GV. • §. 171 GV. vbd. §§. 568, 592 CP. Bei der NichNgkeitsklage kann auch der Staatsanroalt Partei sein: §. 586 CP. 4 §. 173 GV. in der Fassung des G. v. 5. April 1888. 5 §. 174 Abs. 1 GV. in der Fassung des genannten Gesetzes. Für bte Verkündung der Ur­ iheilsgründe kann wegen Ge­ fährdung der Staatssicherheit oder Sittlichkeit die Oeffentlichkeit aus­ geschlossen roerben: §. 174 Abs. 2 GV. in jener Fassung. (Für den

Civilproceß wegen §. 282 CP. ohne wesentliche Bedeutung.) 6 §. 175 Abs. 1 GB. in der er­ wähnten Fassung. JstdieOeffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen, so kann das Gericht überdies den anwesenden Personen die Ge­ heimhaltung von Thatsachen, welche durch die Verhandlung zu ihrer Kenntniß kommen, zur Pflicht machen: §. 175 Abs. 2 GB. in der Fassung des G. v. 5. April 1888. Vbd.Ärt. H—IV

dieses Gesetzes.

152

Th. ITT.

Verfahren.

Abschn. L

Allgemeines.

Personen und solchen, welche sich nicht im Besitze der bürger­

lichen Ehrmrechte befinden, oder welche in einer der Würde dell Gerichte- nicht entsprechenden Weise erscheinen, vom Ge­

richte der Zutritt versagt werden.

Umgekehrt kann er zu

nicht öffentlichen Verhandlungen einzelnen Personen vom Ge­ gestattet werden.

richte

Einer Anhörung der Betheiligtm

bedarf eS in beiden Fällen nicht? Sind bei einer mündlichen Verhandlung die Vorschriften

über die Oeffentlichkeit verletzt worden,

öffentliche

Verhandlung

ohne

sei eS durch nicht

vorgängige

schließung der Oeffentlichkeit, sei es durch

gehörige

Aus­

öffentliche Ver­

handlung, wo die Oeffentlichkeit unabhängig vom Ermeffen deS Gerichtes hätte endlich

ausgeschloffen werden müssen, sei es

durch nicht öffentliche Urtheilsverkündung, so kann

schon bloß um deswillen und ohne Rücksicht auf den Inhalt

im Wege der Berufung oder bezw. Revision die Aufhebung

des

auf Grund

der Verhandlung erlassenen EndurtheilS

verlangt werden?

II. Hauptarten der Handlungen int Civilprocesse. 1. Angriffs- und vrrtheidignngshandlungen. §. 36.

a. Im Allgemeine«. I. Angriff

ist

jeder Versuch der Veränderung

bestehenden Zustandes zu Ungunsten eines Anderen.

eines Dem­

gemäß erscheint als Angriffs Handlung im Sinn des

Proceßrechtes jeder Antrag auf eine richterliche Entscheidung,

welche gegenüber einem Anderen den bestehenden Zustand 7 §. 176 Abs. 1, 2 GB. in der | 87 ©. §. 513 Nr. 6 und §. 501 erwähnten Fassung. S. auch §. | CP. 176 Abs. 3 GB. in dieser Fassung.

152

Th. ITT.

Verfahren.

Abschn. L

Allgemeines.

Personen und solchen, welche sich nicht im Besitze der bürger­

lichen Ehrmrechte befinden, oder welche in einer der Würde dell Gerichte- nicht entsprechenden Weise erscheinen, vom Ge­

richte der Zutritt versagt werden.

Umgekehrt kann er zu

nicht öffentlichen Verhandlungen einzelnen Personen vom Ge­ gestattet werden.

richte

Einer Anhörung der Betheiligtm

bedarf eS in beiden Fällen nicht? Sind bei einer mündlichen Verhandlung die Vorschriften

über die Oeffentlichkeit verletzt worden,

öffentliche

Verhandlung

ohne

sei eS durch nicht

vorgängige

schließung der Oeffentlichkeit, sei es durch

gehörige

Aus­

öffentliche Ver­

handlung, wo die Oeffentlichkeit unabhängig vom Ermeffen deS Gerichtes hätte endlich

ausgeschloffen werden müssen, sei es

durch nicht öffentliche Urtheilsverkündung, so kann

schon bloß um deswillen und ohne Rücksicht auf den Inhalt

im Wege der Berufung oder bezw. Revision die Aufhebung

des

auf Grund

der Verhandlung erlassenen EndurtheilS

verlangt werden?

II. Hauptarten der Handlungen int Civilprocesse. 1. Angriffs- und vrrtheidignngshandlungen. §. 36.

a. Im Allgemeine«. I. Angriff

ist

jeder Versuch der Veränderung

bestehenden Zustandes zu Ungunsten eines Anderen.

eines Dem­

gemäß erscheint als Angriffs Handlung im Sinn des

Proceßrechtes jeder Antrag auf eine richterliche Entscheidung,

welche gegenüber einem Anderen den bestehenden Zustand 7 §. 176 Abs. 1, 2 GB. in der | 87 ©. §. 513 Nr. 6 und §. 501 erwähnten Fassung. S. auch §. | CP. 176 Abs. 3 GB. in dieser Fassung.

Angriffs- und VerthridigwigShandlimgen. g. 36.

163

in einer dem Antragsteller erwünschten und daher in der

Regel dem Anderen unerwünschten Weise verändern würde. Hierher gehört vor allen Dingen die Klage; aber auch die

Widerklage, der Antrag, dem Gegner die Vorlegung einer Urkunde

oder Sicherheitsleistung

aufzugeben

n.

dgl.

Umgekehrt

wegen der Proceßkosten

erscheint

als

Verthei«

digungshandlung alles, was der Angegriffene thut, um die gegen ihn beantragte Entscheidung abzuwenden, wie

z. B. alles, was der Beklagte thut, um die Abweisung der Klage herbeizuführen. Keinen Unterschied macht eS für den allgemeinen Be­

griff der Angriffs- und Bertheidigungshandlung, ob sich der

„Antrag" auf die Entscheidung als ein Antrag im weitesten, das „Gesuch", d. h. das Begehren einer nicht durch vor­ gängige mündliche Verhandlung bedingten Entscheidung, mit

umfaffenden Sinn darstellt, oder als ein Antrag in der

engeren, daS Gesuch ausschließenden Bedeutung, d. h. als Begehren einer durch vorgängige mündliche Verhandlung

bedingten Entscheidung.

Ebensowenig, ob er im letzten Fall

ein Antrag im engsten Verstände oder Sach antrag ist, nämlich angibt, in welcher Art der Antragsteller den Haupt­ streit oder einen Zwischenstreit entschieden zu sehen wünscht,

oder ein bloßer Proceßantrag, d. h. ein solcher, welcher sich nicht auf den Inhalt der Entscheidung, sondem bloß

auf die proceffualische Behandlung der Sache bezieht.

II. Eine Angriffshandlung kann nur dann Erfolg haben,

wenn der gestellte Antrag (im weitesten Sinn) nach Maß­ gabe des geltenden Rechtes ein berechtigter ist.

Dazu ge­

hört vor Allem, daß er „begründet" ist, d. h. daß er

fich auf einen Rechtssatz stützen kann, welcher die Befugniß zu einem solchen Anträge

gibt.

Dieser Rechtssatz bildet

154 den

Th. HL eigentlichen

Berfahr«.

Lbschn. L

Allgemeiner,

deS Antrages.

„Grund"

Da aber die

Wirksamkeit jedes RechtSsatzeS durch das Vorhandensein be­ stimmter „chatsächlicher Verhältnisse" bedingt ist, d. h. eines

bestimmten geschichtlich gegebenen, sei eS auS rein thatsäch­ lichen sei eS auS chatsächlichen und rechtlichen Merkmalen

bestehenden,'

Thatbestandes: so erscheint

dann als begründet, RechtSsatzeS

ein Antrag nur

wenn der bedingende Thatbestand deS

vorhanden ist,

auf den er sich

stützt.

Man

pflegt daher neben diesem Rechtssatze als dem sog. Rechts­ grunde auch jenen Thatbestand

als Grund, sog. that­

sächlichen oder geschichtlichen Grund, eines Anträges zu bezeichnen.

Und

zumeist erklärt man

sogar für

den Gmnd eines Antrages nur den gedachten Thatbestand, -

weil nur sein Vorhandensein

wegm

der

Verhandlungs­

maxime von den Parteien jedesmal ausdrücklich durch ent­

sprechende Angaben („Behauptungen") dargelegt wer­

den muß. Die ausdrückliche Bezeichnung deS Rechtsgrundes ist rechtlich nicht nothwendig, weil die Gerichte kraft ihres Amtes selbständig

zu prüfen

und zu beurtheilen haben, ob

die gemachten Behauptungen den daran

geknüpften Antrag

nach Maßgabe des Rechtes als begründet erscheinen lassen.

Doch ist es natürlich jeder Partei unbenommen, durch Hin­

weisung auf die nach ihrer Meinung maßgebenden Rechts­ sätze und durch Rechtsausführung, d. h. Entwickelung

von Gründen für die ihr günstige

rechtliche Beurtheilung,

auf diese Beurtheilung einen Einfluß zu versuchen, und unter Umständen kann sogar eine

solche ausdrückliche Berührung

1 Rem thatsächliche Merkmale: z. B. absichlliche Verwundung eines Anderen: thatsächliche und rechtliche: z. B. absichtliche Zerstörung fremden Eigenthums,

. Besitz einer in fremdem Eigenthum stehenden Sache u. dgl. ! ' S. z. B. Begr. z. §. ‘22'2 EPE. ' Abs. 2. ,

Angriff»- und Vertheidigungshandlungen,

tz. 36.

166

deS RechtSgrundeS thatsächlich sehr wichtig und mithin rathsam sein.

Go z. B. bei selten zur Anwendung kommenden

oder streitigen Rechtssätzen, ganz besonders aber, wenn fich

eine Partei auf einen Rechtssatz stützt, dessen Kenntniß man

dem Gerichte

nicht zumuthen

kann,

nämlich auf ein Ge­

wohnheitsrecht, ein Statut oder das Recht eines anderen

Staates? III. Ein begründeter Antrag ist nicht immer auch wirk­ lich berechtigt, weil die Wirkung des Rechtssatzes, auf den er sich

stützt, im gegebenen Fall ausgeschlossen sein kann

durch das Eingreifen eines anderen Rechtssatzes, welcher bei dem

Dasein

seines

bedingenden

Thatbestandes

Vorschrift jenes ersten eine Ausnahme macht.

von

der

Damit hängt

eS zusammen, daß sich der Angegriffene gegen den Angriff

in doppelter Weise vertheidigen kann. 1) die Begründung bestreiten;

und zwar

durch rechtliche

des gegen ihn

Er kann nämlich gestellten Antrages

entweder die rechtliche Begründung

Gegenausführung, d. h. durch die

Entwickelung von Gründen, weshalb der gestellte Antrag, selbst unter der Voraussetzung der Wahrheit des behaup­ teten thatsächlichen Grundes, im Rechte nicht begründet sei,

oder die thatsächliche Begründung durch Thatsachenbestreitung, d. h. durch gänzliches oder theilweises Leugnen

der Wahrheit der zur Begründung deS Antrages gemachten thatsächlichen Behauptungen. Er kann aber auch

2) unbeschadet der Begründung des Antrages seine Be­

rechtigung bestreiten mittels „Geltendmachung" („Erhebung", „Borbringung")

- S. §. 265 CP.

einer

„Einrede", d. h. Berufung auf

Vgl. unt. §. 59 II.

156

Th. HL

Abschn. L

Verfahren.

einen anderen, die Wirkung

Allgemeines,

de- Rechtssatzes, worauf der

Antrag gestützt ist, im gegebenen Fall ausschließenden Rechtssatz?

Jede Einrede

sich

muß

demnach gleich

einer An­

griffshandlung auf einen Rechtsgrund und einen (ausdrück­ lich anzuführenden) thatsächlichen Grund stützen.

Nur darin

erscheint sie als bloßes Bertheidigungsmittel, daß sie, wie

die

rechtliche

Gegenausführung

und

die

Thatsachenbe-

streitung, nur die Zurückweisung des von dem Gegner ge­

stellten Antrages herbeiführen soll. Darum kann

denn der Angreifer gegen

eine Einrede

auch wieder die nämliche doppelte Art der Abwehr ver­

suchen: Bestreitung ihrer Begründung durch rechtliche Gegen­

ausführung oder Thatsachenbestreitung, und Geltendmachung einer Gegeneinrede („Replik").

Auch

die Repliken ist wieder dieselbe doppelte

gegen

Art der Abwehr möglich.

Insbesondere können auch ihnen

wieder Gegeneinreden (Dupliken) entgegengesetzt werden. Gegen die Dupliken wären gleicherweise Tripliken, gegen

die Tripliken Quadrupliken denkbar u. s. w.

IV.

Weil

die Bezeichnung

des Rechtsgrundes

einer

Angriffshandlung, Einrede, Replik u. s. w. rechtlich niemals nothwendig

ist,

nicht zu äußern.

so

braucht

sich

auch der Gegner darüber

Dagegen soll er sich über die Wahrheit

der gemachten thatsächlichen Behauptungen durch Bejahung

oder Verneinung bestimmt erklären?

4 So schließt z. B. der Rechts­ satz, daß durch Zahlung eine Forderung erlösche, überall, wo seine Voraussetzungen zutreffen, die Wirkung des anderen Rechts­ satzes aus', daß Derjenige, der einem Anderen eine Geldsumme dargeliehen hat, von diesem die- |

Die Bejahung einer

selbe Summe fordern könne. — Ungenau wird auch ein Anspruch, der bloß wegen einer Einrede als nicht gerechtfertigt erscheint, in §§. 560 Abs. 1, 563 Abs. 2 CP. als „unbegründet" be­ zeichnet. 6 88-129, 404 CP. Röthigen-

Angriff-- und LertheidigungShandlungen.

g. 36.

167

Behauptung enthält ein „gerichtliche- Geständniß",

wodurch die zugestandene Behauptung für den ganzen Ver­ lauf

deS Rechtsstreite- zu

einer

feststehenden

keines Beweises bedürftigen wird."

und

daher

Die Verneinung („B e -

streitung") einer Behauptung dagegen bewirkt, daß diese

der Entscheidung nur dann zu Grunde gelegt werden kann, wenn ihre Wahrheit durch Beweis festgestellt wird.

Die

Verneinung einer Behauptung muß nicht nothwendig un­ sondern

mittelbar geschehen,

schehen

durch Anfühmngen,

fie

kann auch mittelbar ge­

welche sich mit der Wahrheit

jener Behauptung nicht vertragen.' jede

(unmittelbare

oder

Unterläßt der Gegner

mittelbare) Erklärung

über

die

Wahrheit einer thatsächlichen Behauptung, obwohl sie ihm

den Umständen nach

zuzumuthen und er dazu nach Maß­

gabe der gesetzlichen Vorschriften in

anlaßt

gehöriger Weise ver­

war," so ist die Behauptung zufolge der Berhand-

lungsmaxime als feststehend zu behandeln, so lange fie nicht unmittelbar

oder

mittelbar verneint

ist."

Dies gilt auch

dann, wenn sich der Gegner auf die Behauptung in dem Sinn erklärt hat, daß er nicht wisie, ob sie wahr sei, voraus­

gesetzt daß chm, ihre Wahrheit angenommen, die behauptete Thatsache als seine eigene Handlung oder als Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung nothwendig bekannt geworden

falls wäre die Erklärung durch Ausübung deS richterlichenFragerechteS zu veranlassen: 88.130, 464 CP. S. auch §. 132 CP. • 8.261 vbd. §§. 263,494 CP. 1 S. 8-129 Abs. 2 vbd. 8.262 Abs. 2 CP. Bgl. §. 404 Abs. 8 CP. 8 Aolqt aus §. 296 Abs. 1 vbd. §. 300 9k. 2, 3 und au« §§. 316,

319 Abs. 1 Satz 2, 468 CP. S. auch 8tz. 245, 463 CP. » S.88 12S Abs.2,404Abs.3 vbd. 8. 498 CP. Ausnahmen, wo die Verhandlungsmaxime Einschriinkungen erleidet. S. 88577 Abs. 1, 611 Abs. 1, 620 Abs. 4, 624 Abs. 4, 626 Abs. 4 CP. Bgl. ob. 8- 33 II.

Th. HI.

158

fein muß.

Verfahren.

Nur

Abschn. L

Allgemeiner,

wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft,

gilt und wirkt eine solche Erklärung mit Nichtwissen, gleich­

wie

eine

bestimmte Verneinung,

als Bestreitung der Be­

hauptung." 8- 37. b. Anspruch.

Angriff-- nab Vertheidigung-Mittel. Zwischenstreit.

I. Mit dem Begriffe der Angriffshandlung hängt auf das engste derjenige des „Anspruches" zusammen. Unter Anspruch

versteht aber die Civilproceßordnung

im Allgemeinen jedes auS der entsprechenden Verpflichtung eine- Anderen fließende Recht auf ein bestimmtes Verhalten

des Anderen, verwendet

sie

sei eS Thun oder Unterlassen.

Demgemäß

das Wort Anspruch in zwei wesentlich ver­

schiedenen Bedeutungen, und zwar ohne irgend erkennbares

Auseinanderhalten. Zuvörderst und vorwiegend meint sie damit den pri­

vaten Anspruch,

d. h. das aus der entsprechenden be­

sonderen privatrechtlichen Verpflichtung eines Anderen fließende private

Recht

auf

ein

bestimmtes Verhalten

desselben?

Handelt es sich dabei um eine in Geld schätzbare Leistung,

so ist dieser private Anspruch

gleichbedeutend mit „Forde­

rung", ein Ausdruck, welchen jedoch die Civilproceßordnung gewöhnlich auf die Geldforderung beschränkt?

10 §. 129 Abs. 3 CP. 1 So namentlich und offenbar in §§. 745 ff. CP. 8 „Forderung" im weiteren Sinn z. B. in §§. 4, 240 Nr. 2, 279 Abs. 1 CP. („Nebensorberunqen"); im engeren Sinn z. B. §. 796 Abs. 1 („wegen einer Geldforderung oder wegen

eines Anspruchs, welcher in eine Geldsorderung übergehen tarnt“), §§. 729—744 vgl. 88. 745-748 CP. Ob der Anspruch mit persönlicher oder mit ding­ licher Klage zu verfolgen ist, macht für den Begriff der Forde­ rung im Sinn der Civilproeeßordnung keinen Unterschied.

Anspruch, §. 37.

159

Sodann aber bezeichnet sie als Anspruch auch da- dem öffentlichen Rechte angehörige Recht auf einen bestimmten

nach der Rechtsordnung schuldigen Schritt des Staates bezw.

des Gerichtes,b wofür in diesem Lehrbuche überall, wo es zur Verhütung von Mißverständnissen erforderlich erscheint, der Ausdruck Anrecht gebraucht werden wird.

Ein solches Anrecht wird durch jeden Antrag auf Ber-

urtheilung, bloße Feststellung, Ehescheidung u. s. w., des­ gleichen durch jedes Gesuch um Anordnung eines Arrestes,

Erlassung eine- Zahlungsbefehls,

Bewilligung des Armen­

rechtes u. dgl. „geltend gemacht", kurz durch jeden Antrag int weitesten Sinn, dessen Erfolg von dem Dasein fester

rechtlicher Voraussetzungen und nicht von dem

richterlichen

Ermeffen abhängt.

Geht, wie bei einer Klage (oder Widerklage) auf Berurtheilung des Gegners zu einer schuldigen Leistung, bei

einer Compensations-

oder RetentionSeinrede, der Antrag

dahin, dem Antragsteller für einen privaten Anspruch die

ihm von Seite des Gegners gebührende Befriedigung zu verschaffen, so liegt in der Geltendmachung deS Anrechtes

auf die Verurtheilung, Aufrechnung u. s. w. gegenüber dem Gerichte zugleich die „Geltendmachung" (oder „Erhebung") jenes privaten Anspruches selbst, d. h. daS Verlangen seiner

Befriedigung, gegenüber dem Gegner.**

' S. §. 106 CP.: ..Anspruch aus Bewilligung des Armen­ rechts". * S.z.B. §§. 33 Abs. 1 CP. („wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Ansprüche-------nn Zusammenhang« steht"), 274 („Ist von demBeklagten mittels

Und

diese Seite

Einrede eine Gegenforde­ rung geltend gemacht, welche mit der in der Klage geltend gemachten Forde­ rung nicht in rechtlichem Zu­ sammenhänge steht"), 293 Abs. 2 („einer mittels Einrede geltend gemachten Gegenforderung"), 491 Abs. 2 („Neue Ansprüche dürfen

160

Th. HI.

Verfahren. Löschn. L Allgemeines,

ist praktisch so sehr die überwiegende, daß der Gegner durch Befriedigung des Anspruches den Antrag zweck- und gegen­ standlos machen kann. Bezweckt dagegen der Antrag, wie z. B. bei dem Ge­ suche um Anordnung eines Arrestes zur Sicherung eines Anspruches, bei einer Klage auf Ehescheidung, auf Aufhebung einer Entmündigung oder eines Schiedsspruches, auf Ertheilung der Bollstreckungsclausel und dgl., insbesondere aber bei jeder Feststellungsklage, eine Veränderung des jetzigen Zustandes, zu welcher gar keine private Verpflichtung des Gegners besteht, oder welche überhaupt nur durch Richter­ spruch herbeigeführt werden kann: so wird durch ihn kein privater Anspruch, sondern bloß ein Anrecht an den Staat geltend gemacht. Gegen die Gegenpartei richtet sich der Antrag nur insofern, als die erstrebte Veränderung (wozu auch die gerichtliche Feststellung eines Verhältnisses gehört) ihr nachtheilig oder unerwünscht sein kann. Weil aber die Civilproceßordnung zwischen privatem Anspruch und Anrecht nicht scharf unterscheidet und auch letzteres als Anspruch be­ zeichnet, so spricht sie auch in Fällen dieser Art von der Geltendmachung oder Erhebung eines Anspruches und erblickt eine solche namentlich in jeder Erhebung einer Klage ohne Rücksicht auf den Zweck und auf die Fassung des Klag­ antrages. 6 -------- nur erhoben werden, wenn mit denselben kompensirt werden soll"), 136 Abs. 2 CP. Vgl. unt. §. 55 II. a. E. — Weil in der Klage auf Verurteilung zu einer schuldigen Leistung zugleich die Geltenomachuna des entsprechen­ den privaten Anspruches gegen­ über dem Schuldner liegt, so

enthält die Erhebung einer solchen Klage jedesmal auch eine nach­ drückliche Mahnung des Schuld­ ners, wodurch er bei Dasein der übrigen Erfordernisse in Verzug gesetzt wird. 6 Dies kann nach §§. 230 Nr. 2,232, 253 vbd. §. 254, 293 Abs. 1 vbd. §. 231 CP. und vielen

Die privaten Ansprüche unterscheiden sich im Sinn der Civilproceßordnung von einander durch die Verschiedenheit entweder ihres thatsächlichen Grundes, also des bestimmten Thatbestandes, der sie im gegebenen Fall erzeugt hat, oder ihres Gegenstandes, d. h. der schuldigen Leistung. 6 Der durch einen bestimmten Thatbestand, wie z. B. einen be­ stimmten Darlehens- oder Kaufvertrag, begründeten Ver­ pflichtung zu einer bestimmten Leistung einheitlicher Art (wie Geldzahlung, Verschaffung des Eigenthums einer bestimmten Sache u. dgl.) entspricht stets Ein (einheitlicher) Anspruch, sollte auch die Verpflichtung kraft jenes Thatbestandes nicht bloß zufolge Eines Rechtssatzes (rechtlichen Gesichtspunktes), sondern ebensowohl zufolge eines anderen, und sollte sie sogar nicht bloß kraft jenes Thatbestandes (z. B. Darlehen), sondern ebensowohl auch noch kraft eines anderen (z. B. Ausstellung eines eigenen Wechsels über den entliehenen Betrag) be­ gründet sein.7 Dagegen handelt es sich um eine Mehrheit von Ansprüchen, wenn entweder Verpflichtungen gleichen Inhaltes (z. B. zur Zahlung von 1000 Mark) aus ver­ schiedenen Thatbeständen (z. B. aus Darlehen vom 1. Januar und vom 1. Juli), oder wenn aus einem und demselben anderen Stellen des Gesetzbuches keinem Zweifel unterliegen. Aus derselben Verwechslung beruht die Annahme eines jeder Fest­ stellungsklage zu Grunde liegen­ den privaten Anspruches auf Feststellung in der Bear. z.g. 223 CPE. im letzten Abs. Ferner die Annahme eines privaten Konkursanspruches in den Moti­ ven zur Konkursordnung. S. RKonk.R. §. 4 Anm. 7. • S. §§. 230 Nr. 2, 630 Nr. 3 CP.

Litttvg, Civilproceß. 8. Ayfl.

7 Dies erhellt besonders aus §. 137 CP., wo von „mehreren auf denselben Anspruch sich be­ ziehenden selbständigen Klage­ grün d e n" die Rede ist, und die letzteren sogar als bloße Angriffs­ mittel bezeichnet werden. Un­ genau ist es, wenn in §. 232 Abs. 2 CP. die Verbindung der Besitzklage und der Klage, durch welche das Recht selbst geltend gemacht wird, als eine Perbin­ dung mehrerer Ansprüche aufgefaßt zu sein scheint.

11

162

Th. III. Verfahren. Abschn. L Allgemeine-.

Thatbestand« (z. B. Gesellschaft-vertrag vom 1. Januar 1889)

Verpflichtungen verschiedenen Inhaltes (z. B. zur Einzahlung einer bestimmten Geldsumme und zur Herstellung eine- Bau­

werke-) abgeleitet werden.

Demgemäß stellt, wo au- einem

Thatbestände neben der Verpflichtung zu einer bestimmten

Hauptleistung (z. B. Zahlung des dargeliehenen Capitals,

oder Uebergabe deS gekauften Ackers) noch Verpflichtungen zu Nebenleistungen (an Zinsen, Früchten, Nutzungen, Schäden

oder Kosten)

begründet sind, die Civilproceßordnung dem

„Hauptanspruche" in Ansehung einer jeden solchen Neben­

leistung einen „Nebenanspruch" oder eine „Nebenforderung" gegenüber.8

Bei gerichtlicher Geltendmachung erscheint als

Ein erhobener Anspruch diejenige Leistung einheitlicher Art

(z. B. diejenige Geldzahlung), welche auS einem bestimmten Thatbestand« jetzt gefordert wird.8 Bruchtheilen oder

sonstigen

Ist diese Leistung zu

der Menge nach

bestimmten

Thellen denkbar, so lasten sich entsprechend auch „Theile des Anspmches" selbst unterscheiden.'8

Andererseits können in

Einer Klage mehrere Ansprüche gemeinsam erhoben werden." Ein privater Anspruch wird gewöhnlich durch Klage oder

durch Widerklage erhoben; er kann aber auch durch Einrede erhoben werden zum Zwecke seiner Befriedigung mittels Auf­ rechnung gegen den Anspruch des Klägers oder mittels Aus-

• S. §. 396 Abs. 2 vbd. §. 774 Abs. 1 CP.

Doch

11 Vgl. ob. §. 37 HI. " Wegen 88- 392, 406 Abs. 3 a. E. CP. 11 Denn es greifen die 88386 - 392 CP. ein. Dies erhellt aus 8- 391 Abs. 4 vbd. §. 392 CP. M S. 8- 397 Abs. 3 vbd. §§. 394, 396 Abs. 2 CP. und 8- 4

432 Th. III. Abschn. IL Cap. L Ordentl. Vers. in erster Instanz, darf er dieses erst dann, wenn die Behörde oder der Beamte

dem Proceßgerichte die Mittheilung der Urkunde trotz Er­

suchens verweigert hat." die Mittheilung

Denn da Behörden und Beamten

ihrer Acten

und

sonstigen Urkunden den

Gerichten ohne besondere Gründe nicht verweigern sollen,

so muß die Partei, welche

sich auf eine in den Händen

einer Behörde oder eines Beamten befindliche Urkunde be­ ruft, selbst

wenn sie eine ihr gegenüber bestehende Bor­

legungspflicht behauptet, immer zunächst den Antrag an das

Proceßgericht stellen, die Behörde oder

den Beamten um

die Mittheilung der Urkunde zu ersuchen, und sie kann auf

der anderen Seite diesen Antrag auch dann stellen, wenn

sie keine besondere Verpflichtung zur Vorlegung behauptet. Das Gericht hat dem Anträge Folge zu geben, wenn es sich nicht um eine Urkunde handelt, welche, wie z. B. eine

Notariatsurkunde, eine Geburts- oder Sterbeurkunde, eine Urtheilsausfertigung u. dgl., die Partei nach den gesetzlichen

Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichtes zu beschaffen im Stande ist16

EG. z. CP. Ob die Klage gegen die Behörde oder den Beamten selbst zu richten ist, oder gegen den Staat, die Gemeinde u. s. w., deren Organ die Behörde oder der Beamte ist, hängt davon ab, ob nach dem Landesrechte der­ gleichen Behörden oder Beamten als solche parteisähig sind oder nicht. 16 §. 397 Abs. 3 vbd. Abs. 1

CP. Ob im Fall der Weige­ rung noch andere Mittel zu Ge­ bote stehen, um die Behörde oder den Beamten zur Mit­ theilung der Urkunde zu veran­ lassen, hängt von den maßgeben­ den staats- oder verwaltungs­ rechtlichen Vorschriften ab. 16 §. 397 Abs. 1, 2 CP. S. auch §. 169 GV.

§. 69. d. ynfUjmt keim M»K«»de»vemeife.

I. Die Antretung des Beweises durch eine bestimmte Urkunde liegt dem Begriffe der Beweisantretung zufolge in der Bezeichnung der Urkunde als Beweismittel für bestimmte näher angegebene Thatsachen? Allein da eine allgemeine Bürgerpflicht zur Vorlegung von Urkunden nicht besteht, und das Gericht daher nicht, wie bei dem Zeugenbeweis, in der Lage ist, daS Beweismittel von AmtSwegen herbei­ zuschaffen, da ferner beim Urkundenbeweise die Beweisauf­ nahme regelmäßig ohne ein besonderes Verfahren mit der Parteiverhandlung äußerlich verbunden ist,1 2 so wird jene Beweisantretung nicht berücksichtigt, wenn mit ihr nicht die gleichzeitige Vorlegung der Urkunde oder, gesetzt daß diese dem Beweisführer den Umständen nach nicht möglich oder doch nicht zuzumuthen ist, ein die Vorlegung betreffender Proceßantrag verbunden wird? II. AIS Regel muß sonach gleichzeitig mit der Be­ zeichnung der Urkunde als Beweismittel die letztere auch vorgelegt werden? und es darf, wenn dieS nicht geschehen ist, kein die Aufnahme deS Urkundenbeweises anordnender Beweisbeschluß erlassen werden. Eine Ausnahme kann zu« vörderst nach Ermeffen deS Proceßgerichtes eintreten, wenn 1 S. §. 265 vbd. S8. 886, 338, 368, 416 CP. S. auch §. 389 Nr. 1, 2 CP. ' S. ob. §. 62 HL • Dies allein soll durch die Fassung der §§. 886, 386, 893, 897 Abs. 1 CP. ausgedrückt werden. « §. 886 CP. Also in dem vom Grundsätze der Mündlichkeit Fitting, Civilproceß. 8- Aufl.

beherrschten Verfahren bei der Beweisantretung in der münd­ lichen Verhandlung (s. §. 899 CP.), in dem nicht von jenem Grundsätze beherrschten Verfahren in Berbmdung mit der schrift­ lichen, protokollarischen, münd­ lichen Erklärung, durch welche im einzelnen Fall die Beweis­ antretung erfolgt.

434 Th. III. Abschn. H. Cap. L Ordentl. Vers. in erster Instanz, der Beweisführer mit der Beweisantretung den Antrag auf Anordnung

der Vorlegung

vor

einem beauftragten oder

einem ersuchten Richter verbindet, weil die Vorlegung vor

dem Gerichte selbst wegen erheblicher Hindernisse unthunlich oder wegen der Wichtigkeit der Urkunde und der Besorgniß

deS Verlustes oder der Beschädigung bedenklich fei.6 Sodann aber

treten

schon nach fester Rechtsvorschrift Ausnahmen

ein, wenn sich die Urkunde nach der Behauptung des Be­

weisführers in den denjenigen

Händen

deS Proceßgegners

oder

in

eines Dritten, sei eS einer Privatperson sei eS

einer öffentlichen Behörde oder eines öffentlichen Beamten,

befindet.6 III. Befindet fich die Urkunde nach der Behauptung deS

Beweisführers in den Händen des Gegners, so ist die Be­ weisantretung durch sie nur wirksam in Verbindung mit dem

Anträge, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzu­

geben.^

Zur Begründung desselben muß der Beweisführer

» S. §. 399 CP. Der die Vorlegung vor einem beauf­ tragten oder einem ersuchten Richter anordnende Beschluß ent­ hält zugleich einen Beweisbeschluß. S. §• 335 Abs. 2 CP. — Er­ hebliche Hindernisse können na­ mentlich bei Handelsbüchern be­ stehen. Die zwingenden Vor­ schriften in An. 89, 79 Abs. 2 HGB. sind jedoch durch §. 13 Nr. 2 EG. z. CP. ausgehoben. • S. 88- 386, 393, 397 Abs. 1 CP. Nach §. 397 Abs. 2 CP. bleibt es jedoch bei der Re­ gel des §. 385 CP., wenn die in den Händen einer Behörde oder eines Beamten befindliche

Urkunde zu denjenigen gehött, welche die PaNeien nach den ge­ setzlichen Vorschriften sich selbst und ohne gerichtliche Mitwirkung verschaffen können. S. ob. 8. 68 a. E. Auch §. 393 CP. ist auf diesen Fall nicht anwendbar. 7 §. 386 CP. Dies gilt auch dann, wenn der Gegner eine Be­ hörde oder ein Beamter ist. S. ob. §. 68 Anm. 13. — Ein Vorlegungsantrag ist nur be­ schränkt zulässig in Ehesachen und in Entmündigungssachen. S. §§. 577 Abs. 2, 61’1, 620 Abs. 4, 624 Abs. 4, 626 Abs. 4 CP. Er ist unzulässig im Urkundenprocesse: §. 558 Abs. 3 CP.

Urkunden.

Beweisverfahreu.

g. 69.

435

den Inhalt der Urkunde möglichst vollständig bezeichnen,8 9 10 die Gründe seiner Behauptung angeben, daß die Urkunde in den Händen des Gegners fei,9 endlich den Grund der

Verpflichtung

desselben

nöthigenfalls

glaubhaft

zur

Vorlegung

machen?9

bezeichnen

und

Legt nun der Gegner

die Urkunde nicht ohne Weiteres vor,

so kommt es vor

Allem darauf an, ob das Gericht die Thatsache, welche durch

die Urkunde bewiesen werden soll, für erheblich

und

die

Urkunde nach den von dem Beweisführer über ihren Inhalt

gemachten Angaben zu jenem Beweise für tauglich erachtet.

Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, so bleibt die Be­

weisantretung unberücksichtigt." 8 §. 389 Nr. 3 CP. Nm besten geschieht dies durch Bei­ bringung einer Abschrift (f. §. 392 CP.); jedenfalls aber must es so vollständig geschehen, daß das Gericht die Erheblichkeit der Urkunde für die beabsichtigte Be­ weisführung beurtheilen kann. 9 §. 389 Nr. 4 CP. 10 §. 389 Nr. 5 CP. In dem vom Grundsätze der Münd­ lichkeit beherrschten Verfahren ist wegen §. 129 CP. die Glaub­ haftmachung nur erforderlich, wenn der Gegner die Wahrheit der Angabe bestreitet. — Nach der Fassung des §. 389 CP. („Der Antrag soll enthalten") wären alle darin aufgeztthlten Erfordernisse nicht wesentlich; nach der Begr. z. §§. 376 bis 379 CPE. Abs. 1 dagegen wären sie umgekehrt sämmtlich wesent­ liche Bedingungen für die Be­ rücksichtigung des Antrages, und das „soll" bezöge sich nur auf den vorbereitenden Schriftsatz,

Sind dagegen beide Bor-

welcher den Antrag ankündigt. Nach sachlichen Rücksichten sind jedesmal wesentlich die Erforder­ nisse in Nr. 1 und 2, weil sonst gar keine Beweisantretung durch die Urkunde vorläge. Die Be­ zeichnung des Inhaltes der Ur­ kunde erscheint als wesentlich, wenn der Gegner sie nicht ohne Anordnung des Gerichtes sofort vorlegt, die Angabe der Gründe der Behauptung, daß die Ur­ kunde im Besitze des Gegners fei, wenn der letztere diesen Be­ sitz bestreikt: denn sind für jene Beharrptung gar keine schlüssigen Gründe angegeben, so kann man dem Gegner den BorlegungSeid nicht zumuthen, und es ist daher müßig, seine BorlegungSpflicht zu prüfen. Die Angabe deS Grundes der BorlegungSpflicht endlich ist wesentlich, wenn diese Pflicht geprüft werden muß, weil der Gegner sie nicht anerkennt. 11 Zufolge allgemeiner Grund­ sätze und nach §. 390 CP.

28*

436 Th. HI. Abschn. IL Cap. I. Ordentl. Berf. in erster Instanz.

auSsetzungen vorhanden, und bestreitet der Gegner den Besitz der Urkunde nicht, oder hat im Fall dieser Bestreitung der Beweisführer schlüssige Gründe für seine Behauptung jenes Besitzes angegeben, so ist nunmehr die Verpflichtung des Gegners zur Vorlegung der Urkunde, wenn sie von ihm nicht anerkannt wird, nach Maßgabe des vom Beweisführer geltend gemachten Grundes der Borlegungspflicht zu prüfen, und wenn sie der Gegner bestreitet, so ist über diesen Zwischenstreit entweder durch besonderes Zwischenurtheil oder in dem (End- oder Zwischen-)Urtheil über den Streitpunkt, auf welchen sich die Beweisantretung bezog, zu entscheiden." Erscheint zufolge dieser Prüfung oder zufolge des Anerkenntniffes seiner Borlegungspflicht von Seite des Gegners der Borlegungsantrag als begründet, so ordnet das Gericht, falls jener den Besitz der Urkunde nicht bestritten, also namentlich wenn er sich über den Antrag gar nicht erklärt hat, durch Beweisbeschtuß die Aufnahme des Urkunden­ beweises und durch einen damit zu verbindenden Beschluß zugleich die Vorlegung der Urkunde an." Hat dagegen der Gegner den Besitz der Urkunde bestritten, so hat ihm das Gericht von Amtswegen durch Beschluß die Leistung des Vorlegungseides aufzuerlegen, d. h. die eidliche Versicherung, daß nach seiner durch sorgfältige Nachforschung erlangten Ueberzeugung die Urkunde sich nicht in seinem Besitze befinde, daß er sie nicht in der Absicht abhanden gebracht habe, dem Beweisführer ihre Benutzung zu ent­ ziehen, daß er auch nicht wisse, wo sie sich befinde." 18 S. §. 275 vbd. 8. 312 Abs. 2 CP. und ob. §. 37 III. " §. 390 CP. Dieser Be­ schlich ist von dem Zwischenur­ iheil über die Borlegungspflicht

scharf zu unterscheiden und wird durch dieses nicht überflüssig. “ §. 391 Abs. 1 vbd. §§. 392, 406 Abs. 3 CP. („Anord­ nung"). Das Gericht kann eine

Urkunden.

Beweisversahren.

tz. 69.

437

Kommt der Gegner der Anordnung, die Urkunde vorzulegen,

oder der Anordnung, den Eid zu leisten, nicht nach, so ist,

wenn der Beweisführer eine Abschrift der Urkunde beige­ bracht hat, diese Abschrift „als richtig anzusehen", d. h. der

als

echt

feststehenden Urkunde

Hat er keine Abschrift

selbst

beigebracht,

gleich

zu behandeln.

so können

nach

freier

Würdigung der Umstände seine Behauptungen über die Be­

schaffenheit, insbesondere also auch über den Ursprung, der Urkunde und über ihren Inhalt als bewiesen angenommen

werden." IV. Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung des

Beweisführers in den Händen einer dritten Privatperson,

so

kann

der Beweis durch

der Lage der Sache entsprechende Aenderung der in §. 391 Abs. 1 genauer bezeichneten Fassung des Eides beschließen: §. 391 Abs. 2 CP. Wegen der Leistung deS Eides durch Ctreitgenosjen, ge­ setzliche Vertreter, Minderjährige und Verschwender s. §. 391 Abs. 3 CP., über den Fall, wenn eine öffentliche Behörde als Proceßgegnerin vorlegungspflichtig ist, §. 391 Abs. 4 CP. 16 §. 392 CP. Daß diese Vorschrift auch auf die Echtheits­ frage zu beziehen ist, kann im Hinblick auf §. 100 Preuß.Allg. GerichtsO. I, 10, welcher nach der Bear. z. §§. 376—379 CPE. a. E. hier zum Vorbilde gedient hat, („so muß das Dokument in contumaciam für edirt und re cognoscirt geachtet; solchem nach bte Abschrift'für richtig--------

angenommen werden") nicht zweifelhaft sein. — Ist eine Ab­ schrift bcigebracht, so kommt, wie

sie

wirksam

nur

angetreten

aus der Fassung des VorlegungSeides (§. 391 Abs. 1 CP.) er­ hellt, §. 392 Satz 1 auch dann zur Anwendung, wenn der Geg­ ner die Urkunde böswillig be­ seitigt hat; §. 409 CP. ist nur da von Bedeutung, wo §. 392 nicht eingreift. — Der Gegner kann die Anwendung des §. 392 durch Vorlegung der Urkunde oder Leistung des Vorlegungs­ eides verhüten bis zum Schluffe derjenigen mündlichen Verhand­ lung, auf welche das Urtheil über den Streitpunkt ergeht, woraus sich die Beweisantretung bezog. Ein besonderer Termin zur Lei­ stung jenes Eides wird nicht an­ beraumt, und §. 430 CP. ist daher hier nicht anwendbar. In der Berufungsinstanz kann nach §. 208 CP. die nach §. 392 einSene Folge nicht mehr be­ werben, da hier keine der Ausnahmen der §§. 491, 493 CP. eingreift.

438 Th. HI. Abschn. II. Cap. I. Ordentl. Berf. in erster Instanz. werden in Verbindung mit dem Anträge, zur Herbeischaffung

der Urkunde eine Frist zu bestimmen."

Zur Begründung

desselben muß der Beweisführer auch hier den Inhalt der

Urkunde möglichst vollständig bezeichnen," den Grund der

Verpflichtung

nöthigenfalls

des

Dritten

glaubhaft

zur

Vorlegung

machen," endlich

angeben

auch

und

glaubhaft

machen, daß sich die Urkunde in den Händen des Dritten befinde?2

Entspricht der Antrag diesen Erfordernissen, und

erachtet das Gericht die Thatsache, welche durch die Ur­ kunde bewiesen werden soll, für erheblich sowie die Urkunde

nach den Angaben des Bcwcisführers über ihren Inhalt zu

jenem Beweise für tauglich, so hat es in dem Bewcisbe-

schlufle, welcher die Aufnahme des Urkundenbeweises an­ ordnet, eine Frist zur Vorlegung der Urkunde zu bestimmen,

nach deren fruchtlosem Ablaufe die letztere als Beweismittel nur noch benutzt werden darf, wenn dadurch das Verfahren nicht verzögert toirb.20

führers, durch

Es ist nun Sache des

Beweis­

die Urkunde so rasch wie möglich, nöthigenfalls

Klage und Zwangsvollstreckung

gegen den Dritten,

herbeizuschaffen und, sobald er dazu in der Lage ist, durch

Anzeige bei dem Proceßgerichte die Bestimmung des Termins zur Vorlegung

der Urkunde zu

16 § 393 vgl. §. 397 CP. Ein Antrag nach §. 393 ist im Urkundenprocesse unzulässig: §. 658 Abs. 3 CP. Zurückweisung ungehörig verspäteter Beweisan­ tretung nach §. 393: §. 398 CP. 17 S. ob. Änm. 8. 18 S. ob 9(11111. 10. 19 §. 395 CP. Vgl. ob. Anm. 10. 10 §. 396 Abs. 1 vbd. §. 321 CP. Vgl. ob. §. 62 II. Zu

erwirken.2*

Auf Antrag

einem Zwischenstreite kann es hier nicht kommen, weil das Procesigcricht über die Vorlegung^pflicht nicht zu entscheiden hat. Für dieses Gericht genügt, datz es zufolge der doppelten Glaubhaftmachung annehmeu darf, der Beweisführer werde zur Herbeischassung der Urkunde im Stande fein. 81 §. 396 Abs. 1 CP. Ter Termin (der nicht selbst in die

Urkunden.

g. 69.

Beweisverfahren,

439

des Gegners ist das Verfahren schon vor dem Ablaufe der Frist fortzusetzen, wenn die Klage des BeweiSführerS gegen

den Dritten

erledigt ist, oder wenn jener die Erhebung

dieser Klage oder die Betreibung

des Processes oder der

Zwangsvollstreckung verzögert.22 V. Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung deS BeweiSführerS

in

öffentlichen Behörde

den Händen einer

oder eines öffentlichen Beamten, welche ihm nicht als Pro­

ceßgegner

gegenüberstehen, und

gehört

sie nicht zu den­

jenigen Urkunden, welche die Parteien nach den gesetzlichen Vorschriften ohne gerichtliche Mitwirkung beschaffen tonnen,28

sie

so kann die Beweisantretung durch

zunächst

wirksam

nur geschehen in Verbindung mit dem Anträge, die Behörde

oder den Beamten um die Mittheilung der Urkunde zu er­ suchen.2^

durch

Erscheint

dem

Gerichte

sie bewiesen werden

durch Beweisbeschluß

die

Thatsache,

welche

soll, als erheblich, so hat es

die Aufnahme des Beweises und

Erlassung eines Ersuchungsschreibens

Frist hineinfallen muß) ist, wie jeder Termin zur Erledigung eines Beweisbeschlusses, von Amtswegen zu bestimmen und den Parteien von Amiswegen bekannt zu machen. Vgl. ob. §. 62 IV. Eine Ladung von Seite des Beweissührers nach §. 191 CP. ist also nicht erforderlich. " §. 396 Abs. 2 CP. Ein solcher Antrag erscheint als Er­ hebung eines ZwischenstreiteS unter den Parteien, und der Gegner hat daher nach §. 191 vbd. §. 123 CP. den BeweiSführer zur mündlichen Verhand­ lung darüber zu laden, womit

anzuordnen.28

die

Von

(entspr. §. 217 Abs. 2 CP.) so­ gleich die Ladung zur mündlichen Verhandlung der Hauptsache ver­ bunden werden kann. " S. §. 397 Abs. 2 CP. und ob. Anm. 6. “ §. 397 Abs. 1 vgl. Abs. 3 CP. S. auch ob. §. 68 in. Eine nähere Bezeichnung deS Inhaltes der Urkunde (§. 389 Nr. 8 CP.) ist hier nicht er­ forderlich, da häufig die Mit­ theilung der Urkunde dem Be­ weisführer erst Gelegenheit geben soll, ihren Inhalt näher kennen zu lernen. 16 §. 823 CP. DaS Er-

440 Th. HL Abschn. H. Cap. L Ordenll. Berf. in erster Instanz,

dem Eingänge der Antwort und bezw. der Urkunde hat der Eerichtsschreiber die Parteien (formlos) zu benachrichtigen,**

von dem Vorsitzenden aber wird, wenn daS nicht schon bei

der Verkündung des BeweiSbeschluffes geschehen ist, von Amtswegen

der Termin zur Fortsetzung

der mündlichen

Verhandlung Bestimmt und den Parteien durch Zustellung von Amtswegen bekannt gemacht.*'

der Urkunde

von

der Behörde oder

Ist die Mittheilung dem Beamten ver­

weigert worden, so kann bei dieser Verhandlung der Be­

weisführer,

falls er eine nach den Vorschriften der Civil-

proceßordnung ihm gegenüber bestehende Verpflichtung zur

Vorlegung behauptet, den Beweis durch die Urkunde von Steuern antreten in Verbindung mit dem Anträge, zur Herbei­

schaffung

der Urkunde eine Frist zu bestimmen, und

es

gelten dann die unter IV. entwickelten Regeln?* VI Die Beweisaufnahme besteht bei

dem

Urkunden­

beweise, dem allgemeinen Begriffe der Beweisaufnahme ge­

mäß, darin, daß daS Proceßgericht oder, wenn sie einem beauftragten oder einem

ersuchten Richter übertragen

suchungSschreiben wird vom Vor­ sitzenden erlassen. S. §§. 186 Abs. 1, 327 Abs. 1, 328 Abs. 1 CP. M Entspr. 8. 327 Abs. 2 CP. 17 Entspr. g. 335 Abs. 2 CP. Einer besonderen Vorlegung der Urkunde durch den Beweisführer bedarf eS bei dieser Verhandlung nicht, da sie sich ja schon in den Bänden des Gerichtes befindet. er Gerichtsschreiber hat sie viel­ mehr von Amiswegen zur Sitzung zu bringen. Bei Urkunden, welche sich von vornherein in den Hän­ den des Proceßgerichtes befinden,

ist,

genügt es daher, wenn der Beweissührer mit der Beweisantretung den Antrag verbindet, sie in dieser Art zur Sitzung zu bringen. 88 §. 397 Abs. 3 CP. Vgl. ob. §. 68 III. Beruft sich der Beweissührer nur auf Vorschriften des Staats- oder Verwaltungs­ rechtes, wonach ihm die Urkunde zugänglich zu machen sei, so kann er zwar auch den Beweis durch sie von Neuem antreten, aber bloß nach §. 385 CP. mit gleich­ zeitiger Vorlegung der Urkunde.

Urkunden.

dieser

Richter durch

Beweisverfahren,

g. 69.

441

Einsicht und Lesen der Urkunde die

darin enthaltenen Beweisgründe erhebt.

Zwar darf, soweit

die Herrschaft der Berhandlungsmaxime und

des Grund­

satzes der Mündlichkeit reicht, das Gericht seiner Entscheidung

nur

solche

durch die Urkunde

bewiesenen

Thatsachen

zu

Grunde legen, welche von den Parteien bei der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sind;

Thatsache

durch

die Urkunde

bewiesen

ob aber eine solche sei, hat

eS

hier,

ebenso wie bei der Beweisführung durch Zeugen oder Sachverständige, ohne Rücksicht auf den Willen

der Parteien

von Amtswegen durch selbständige Prüfung des gesammten

Inhaltes der Urkunde zu ermitteln.29 Die Beweisaufnahme muß auch hier in der Regel vor

dem

Proceßgerichte

der

mündlichen

Hand in Hand."

selbst

stattfinden und

Parteiverhandlung

geht dann mit

äußerlich

ungesondert

Einem beauftragten oder einem ersuchten

19 Anders RGer. 21. März 1881 (IV. S. 379 fg.), 20. Ium 1882 (VIII. S. 325 fg.). Hier­ nach dürste das Gericht wegen des Grundsatzes der Mündlichkeit den Inhalt einer Urkunde nur soweit beachten, als er von den Parteien berichtend vorgetragen wäre, und hätte, von der ur­ kunde nur Einsicht zu nehmen, um sich au vergewissern, ob sie wirklich oaS Borgetragene ent­ halte. Allein die Civilproceßordmmg betrachtet die Urkunden als Beweismittel und die Ein­ sicht einer Urkunde als Beweis­ aufnahme; diese geschieht aber stets von Amts- und Gerichts­ wegen und steht gar nicht unter der Herrschaft deS Grundsatzes der Mündlichkeit. Vgl. ob. §.

34 a. E. Und wie bei einem Urkundenbeweise in. dem nicht vom Grundsätze der Mündlichkeit beherrschten Verfahren? Auch ist die Ansicht deS Reichsgerichtes, ganz abgesehen davon, daß sie zu großer und sachlich völlig nutz­ loser Verzögerung deS Processes führen müßte, schon deshalb gar nicht durchführbar, weil sich der Sinn jedes Stücke- einer Ur­ kunde fast immer nur aus dem Zusammenhänge de- Ganzen richttg beurtheilen läßt. 10 Dies erhellt auS §. 399 sowie aus §§. 385, 128 Abs. 3, endlich aus §§. 122, 124 EP., wonach den vorbereitendenSchriftsätzen die Urkunden, auf welche darin Bezug genommen wird, beizufügen sind. Wegen dieser

442 Th. HL Abschn. IL Eap. L DrbentL Berf. in erster Instanz Richter bezw., wenn sie im Auslande erfolgen soll, dem dortigen Reichskonsul oder

der

zuständigen

ausländischen

Behörde darf sie nur dann übertragen werden, wenn die Vorlegung der Urkunde bei der mündlichen Verhandlung

vor dem Proceßgerichte wegen erheblicher Hindernifle als

unthunlich oder wegen der Wichtigkeit der Urkunde und der

Besorgniß des Verlustes oder der Beschädigung als bedenklich erscheint?*

In diesem Fall ist in

das Beweisaufnahme­

protokoll oder eine Anlage desselben entweder eine voll­

ständige Abschrift

der Urkunde

oder,

wenn nur einzelne

kommen, mindestens ein

Theile der Urkunde in Betracht

Auszug aufzunehmen, welcher den Eingang, die zur Sache gehörige Stelle, den Schluß, das Datum und die Unter­

schrift

enthält??

Ferner

sind

durch

das

Protokoll

alle

Umstände festzustellen, welche für die Beurtheilung der Echt­ oder für die Würdigung des Beweiswerthes der Ur­

heit kunde

von

Erheblichkeit

sind.

Bei

der

Fortsetzung

der

mündlichen Verhandlung vor dem Proceßgerichte haben so­ dann die Parteien das Ergebniß der Beweisaufnahme auf

Grund deS

Protokolls vorzutragen und

darüber zu ver-

handeln?8 VII. Eine bei Gericht vorgelegte Urkunde bleibt in der

Regel in den Händen Desjenigen,

Vorschrift gestaltet sich die Be­ weisaufnahme bei dem Urkunden­ beweise praktisch meist so, wie sich nach §. 258 Abs. 1 CP. bei dem Zeugenbeweise die Verhandlung über das Ergebniß der Beweisauf­ nahme gestaltet. Im Hinblick auf §. 322 CP. darf aber keines6lls der Inhalt von Acten und rkunden berücksichtigt werden, der vom Gerichte ohne Zuziehung

der sie vorgelegt Ijat84

der Parteien erhoben ist. So mit Recht die in Annt. 29 er­ wähnten Urtheile des Reichsge­ richtes. 81 §. 399 CP. Vgl. ob. II. “ Entspr. §. 122 Abs. 1, 2 CP. 88 §. 258 Abs. 2 vbd. Abs. 1 CP. 84 Ergibt sich mittelbar auS §. 133 Abs. 2 CP.

Urkunden.

Beweisverfahren,

g. 69.

443

Well jedoch chre wiederholte Einsicht oder die Anfertigung einer beglaubigten Abschrift für die Proceßacten erforderlich fein kann, so kann daS Gericht von Amtswegen anordnen,

daß sie während einer von ihm zu bestimmenden Zeit auf der Gericht-schreiberei verbleibe.88

Wird die Echtheit einer

vorgelegten Urkunde bestritten oder eine Veränderung ihres

ursprünglichen Inhalte- behauptet, so ist ihre Verwahrung auf der Gerichtsschreiberei bis zur Erledigung des Rechts­

streites anzuordnen, wenn nicht im Jntereffe der öffentlichen Ordnung ihre Auslieferung an eine andere Behörde erfor­

derlich ist86 VIII. Steht fest, daß

die Urkunde,

worauf sich eine

Partei als Beweismittel beruft, von ihrem jetzigen Proceß­

gegner in der Absicht,

ihr die Benutzung derselben zu ent­

ziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht ist, so können nach

freier Würdigung der Umstände ihre Be­

hauptungen über die Beschaffenheit und den Inhalt der Ur­

kunde als bewiesen angenommen werden.87

» 8. 133 Abs. 2 CP. Nach dem Zwecke der Vorschrift muß auch dem mit der Beweisauf­ nahme betrauten beauftragten oder ersuchten Richter die 'Befugniß zu der Anordnung zu­ stehen.

- 8. 408 CP. 17 §. 409 CP.

Vgl. 8. 392

CP. und ob. HI. a. E. §. 409 ist nur da von Bedeutung, wo

§. 392 nicht eingreift, weil ent­ weder der Gegner gar nicht vorlegungSpflichtig ist, oder weil eS der Beweisführer auf die Leistung deS BorlegungSeideS nicht an­ kommen lassen will. — Straf­ bestimmungen wegen böswilliger Vernichtung, Beschädigung oder Unterdrückung von Urkunden: 8. 274 Nr. 1 StGB.

444 Th. ILL Abschn. LL Cap- L OrbottL Brrs. in erster Instanz.

ee. Eid. 8- 70.

e. #rgrt1T b