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German Pages 284 Year 1985
MICHAEL SCHMITT
Der "Rang" des Geschiedenenunterhalts
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 94
Der "Rang" des Geschiedenenunterhalts
Von
Dr. Michael Schmitt
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Schmut, Michael: Der "Rang" des Geschiedenenunterhalts / von Michael Schmitt. - Berlin: Duncker und Humblot, 1985. (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 94) ISBN 3-428-05831-3
NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
C 1985 Duncker & Humblot, Berlin 41
Satz: Bert Jordan, Berlin 61. Druck: Bruno Luck, Berlln 65 Printed in Germany ISBN
3-~8-05831-3
Meinen Eltern und meiner Frau
Vorwort Die Idee zu der vorliegenden Schrift wurde am 24. Juni 1981 während des mündlichen Teils des Assessorexamens des Verfassers geboren, als der bekannte Familienrechtler des OLG Stuttgart, Dr. Otmar Häberle, die Frage nach der Koordinierbarkeit von § 1582 I BGB und § 1609 11 BGB stellte. In hoher Not vertrat ich damals die Auffassung, daß diese Normen nicht zu vereinbaren seien, sondern sich vielmehr logisch widersprächen. Einmal auf das Problem hingewiesen, keimte der Gedanke, die Gesamtproblematik des Rangs des Geschiedenenunterhalts im Rahmen einer Dissertation zu behandeln. Mein verehrter Doktorvater, Herr Prof. Dr. Karl-Heinz Schindler, Ordinarius für Bürgerliches und Römisches Recht an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim, begrüßte den noch vagen Plan und trug durch seinen wohlmeinenden Rat, seine treffsichere Kritik, seine unerschütterliche Geduld und seine jederzeitige Hilfsbereitschaft zum Gelingen des Vorhabens wesentlich bei. Hierfür sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt. Ende Juni 1984 wurde die Arbeit der juristischen Fakultät als Inauguraldissertation vorgelegt, im Oktober wurde die Druckerlaubnis erteilt. Noch im Sommer 1984 habe ich den erfolglosen Versuch unternommen, meine Gedanken zu einer notwendigen Änderung des starren Vorrangs des Geschiedenenunterhalts den gesetzgebenden Organen nahezubringen, doch wollte man offensichtlich den mühsam hergestellten - bis heute noch nicht Gesetz gewordenen - Kompromiß über die zu ändernden Teile des 1. EheRG nicht durch ein zusätzliches Problem gefährden. Bedauerlicherweise hat auch das Urteil des BVerfG vom Frühjahr 1984 zu einer Lösung der zahlreichen Probleme nur wenig beitragen können. Vielleicht kann die vorliegende Schrift mit der Schilderung der komplexen Rechtslage die familienrechtliche Diskussion ein klein wenig beeinflussen und die Erkenntnis. verdeutlichen, daß der starre Vorrang des Geschiedenenunterhalts in vielen Sachverhaltskonstellationen einen eklatanten Widerspruch zum Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit, dem Leitmotiv der heutigen Familienpolitik, darstellt. Neben meinem Doktorvater möchte ich an dieser Stelle auch dem Zweitgutachter der Dissertation, Herrn Prof. Dr. Egon Lorenz von der juristischen Fakultät der Universität Mannheim, der mich seit den
Vorwort
8
Tagen des Studiums zur wissenschaftlichen Arbeit ermuntert hat, danken. Dank schulde ich weiter dem verstorbenen Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Prof. Dr. Johannes Broermann, für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe "Schriften zum Bürgerlichen Recht", meinem Kollegen am Lehrstuhl für Bürgerliches und Römisches Recht, Herrn Assessor Arno Welle, für seine nie ermüdende Geduld bei Diskussionen über das Thema und - nicht zuletzt - Frau Karin Weber, die das Manuskript betreut hat. Mannheim, im März 1985
Michael Schmitt
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung ........................................................
23
Erstes Kapitel
Die Entstehung des § 1579 BGB In der Fassung vom 18.8. 1896 § 1 Der Vorschlag Plancks ............................................
26 27
1. Die Schaffung eines Unterhalts anspruchs des geschiedenen Ehe-
gatten mit der auch heute gängigen Rechtsnatur durch den Redaktor Planck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 27
2. Die Regelung des "Rangproblems" in der Vorlage Plancks ......
29
§ 2 Der "Nachrang" des Geschiedenenunterhalts in § 1483 III des Ent-
wurfs der ersten Kommission .................................... 32 1. Der Vorschlag
.......................................... . ..... 32
2. Die Kritik .................................................... 33 § 3 Die Änderungen durch die zweite Kommission ....................
35
1. Die Änderung des ersten Entwurfs durch die zweite Kommission
35
a) Anpassung und Ergänzung des § 1454 E I für den Fall der Mittelknappheit im Verhältnis Berechtigter-Verpflichteter. . . ..
36
aal § 1454 E I i. V. m. § 1482 EI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
36
bb) Verschiedene Änderungsanträge ........................ 36 b) Die Änderung des § 1483 111 EI durch die zweite Kommission 39 aal § 1483 111 EI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
39
bb) Abänderungsanträge ................................... 39 c) Das Zusammenspiel von §§ 1473 I 1 und 150411 2 E 11 unrevidiert ...................................................... 41
10
Inhaltsverzeichnis 2. Die Revision der §§ 1473 I; 1504 II 2 des zweiten Entwurfs durch die zweite Kommission selbst .................................. 41 a) Die Abänderungsanträge mit dem Ziel, "klare Verhältnisse zu schaffen" .................................................. 42 aal Antrag 1 ...............................................
42
bb) Antrag 2 ................................ . . . ............ 42 ce) Antrag 3 ................. . ............................. 43 b) Entscheidung der Kommission ..............................
43
§ 4 Der von Änderungen verschonte Restweg bis zu § 1579 BGB a. F.
45
§ 5 Zusammenfassung der Diskussion des/der Gesetzgeber(s) ..........
45
1. Schaffung einer offenen Norm für Wissenschaft und Praxis ....
45
2. Lösungsvorschläge während des Gesetzgebungsverfahrens ......
45
3. Entscheidung gegen jede positive Regelung ................. . ..
45
4. Keine Erwägung des Vorrangs des Geschiedenenunterhalts . . . .. 46 5. Favorisierung einer Billigkeitslösung ..........................
46
6. Erwägungen aus dem "sittlich-moralischen" Kontext . . . . . . . . . .. 46
Zweites Kapitel Der Mangelfall in Literatur und Rechtsprechung bis zum Jahre 1938
47
§ 6 Das Regelungsprogramm des § 1579 BGB a. F. . ....................
47
1. Die Grundregel des § 1579 I 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
47
2. § 1579 II als Ausnahme von § 1578 .............................. 48 3. § 1579 I 2 als Kernvorschrift für Mangelfälle; Voraussetzungen der Anwendbarkeit ............................................ 48 a) Drohende Ansprüche der weiteren Berechtigten . . . . . . . . . . . .. 49 b) Gefährdung des standesgemäßen Unterhalts des Pflichtigen ..
50
Inhaltsverzeichnis
11
§ 7 Die typische Situation -
die Auflösung des Interessenkonflikts der bedürftigen Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 51 1. Die typische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
51
2. Die Notwendigkeit, diesen Interessenkonflikt aufzulösen. . . . . . ..
51
3. Kriterien der Billigkeitsentscheidung und ihre möglichen Auswirkungen ...................................................
55
a) Das Antasten des Vermögensstammes der Beteiligten; die Vermögensverhältnisse ........................................
57
b) Die Erwerbsverhältnisse der Beteiligten ....................
60
c) Zwei weitere bekannte Kriterien der Billigkeitsentscheidung - die Situation des § 1617 BGB, - freiwillige Zuwendungen Dritter ........................ 63 § 8 Zurückbehaltung des notdürftigen Unterhalts der "neuen Familie"? § 9 "Mitschuld" des neuen Ehegatten des Pflichtigen an der Zerstörung
der früheren Ehe als Billigkeitskriterium? ........................
§ 10 Bedürftigkeit des schuldlos Geschiedenen durch dessen sittliches
64
70
Verschulden .....................................................
73
1. Der Grundfall des § 1580111 i. V. m. § 1611 I ........... . ...... . .
73
2. Die "Ehe ohne Trauschein" ....................................
74
§ 11 Die Konkurrenz der verschiedenen Unterhaltspflichtigen .... . . . ...
75
Drittes lCaIritel Die Rangfolgeproblematik im Lichte der Regelungen der Ehegesetze 1938 und 1946
78
§ 12 Die teilweise Neugestaltung des Scheidungsunterhaltsrechts ........
78
1. § 66 EheG 1938 (§ 58 EheG 1946) ........................... . ....
79
2. § 67 EheG 1938 (§ 59 EheG 1946) ................................
80
a) Abschaffung der Zwei-Drittel-Regel ........................
80
b) Relevanz der Ehebrecherehe ................................
81
12
Inhaltsverzeichnis 3. §§ 68 EheG 1938 (§ 60 EheG 1946) und 69 EheG 1938 (§ 61 EheG 1946) ......................................................... 82 a) § 68 EheG 1938 (§ 60 EheG 1946) ............................
82
b) § 69 11 EheG 1938 (§ 61 11 EheG 1946) ........................
83
c) § 68 EheG 1938 (§ 60 EheG 1946) und § 69 11 EheG 1938 (§ 61 11 EheG 1946) sind ähnlich strukturiert ........................ 83 aa) Die Berücksichtigung der Verhältnisse der Verwandten; der Rang der Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . ...
84
bb) Die Berücksichtigung der Verhältnisse der minderjährigen unverheirateten Kinder und des neuen Ehegatten des Pflichtigen; der Rang der Unterhaltsansprüche .......... 87 a:) § 68 EheG 1938 (§ 60 EheG 1946) ...................... 88 ß) § 69 11 EheG 1938 (§ 61 11 EheG 1946) . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 § 13 Die Beschränkung und Verwirkung des Geschiedenenunterhalts . ..
96
1. § 73 I und 11 EheG 1938 (§ 65 I und 11 EheG 1946) . . . . . . . . . . . . . ..
96
2. § 74 EheG 1938 (§ 66 EheG 1946); die "Ehe ohne Trauschein" ....
98
§ 14 Ansätze zur Lösung des Problems der Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen bei Mittelknappheit im Rahmen von § 67 I 2 EheG 1938 101 1. Der einzige Befürworter eines Gleichrangs: Palandt / Lauterbach 101
2. Praktische Bevorzugung des neuen Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder trotz prinzipieller Anerkennung des Gleichrangsprinzips ....................................... 102 a) FurIer ..................................................... 102 b) von Scanzoni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 102 c) Volkmar / Rexroth ......................................... 103 3. Die Annahme eines Vorrangs der "neuen Familie" ohne fundiertere Begründung .............................................. 103 a) Auert: Der Schutz des wirtschaftlichen Bestands der neuen Ehe ....................................................... 103 b) Rilk: Ein nur scheinbar zwingender Schluß aus § 67 I 2 ...... 103 c) MaßfeIler: Der Schluß von der vermuteten Praxis auf die rechtliche Regelung ........................................ 104 d) Volkmar / Ficker: Eine Entscheidung des LG Berlin als argumentative Stütze ........................................... 104
Inhaltsverzeichnis
13
§ 15 Die nach dem zweiten Weltkrieg im Rahmen der §§ 58; 59 EheG 1946
heftig auflebende Diskussion um die Rangfolge; der Rechtszustand bis zum 1. Juli 1977 .............................................. 105 1. Der Vorrang des Unterhaltsanspruchs des neuen Ehegatten des
Pflichtigen. Die Tendenz zur Begünstigung der neuen Familie .. 106 a) Argument: Lebensfähigkeit der neuen Familie .............. 109 aal Der Mann muß die neue Familie aus eigener Kraft erhalten .................................................... 110 bb) Die neue Ehefrau darf nicht zum Sozialhilfeempfänger werden ................................................ 110 cc) Die Arbeitskraft des Pflichtigen muß erhalten bleiben .. 110 dd) Die Alltagspraxis spricht für die neue Ehe .............. 110 ee) Die zweite Ehe ist keine Ehe minderen Rechts ........... 111 b) "Rechtliche" Argumente .................................... 111 aal Die Möglichkeit der Scheidung ist eröffnet .............. 111 bb) Die "Mitschuld" darf keine Rolle spielen ................ 112 cc) Die Argumentation gem. §§ 59 11 EheG; 1360; 1361; 1601 ff. BGB .................................................. 113 dd) Art. 6 GG ............................. . ................ 114
2. Der Vorrang des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten des Pflichtigen. Die heftigen Reaktionen auf die unterhaltsrechtliche Begünstigung der neuen Ehe und Familie ............ 114 a) Das "Hypothekenargument" ................................ 115 b) Der Schutz der "Ehebrecherehe" widerspricht der BiIligkeit .. 116 c) Der Rechtsbegriff Billigkeit bedingt sittliche Wertung ....... 117 d) Strenges Unterhaltsrecht als Scheidungsschutz .............. 119 aal Bosch und Gschnitzer .................................. 119 bb) Vorschlag Boschs zur Einführung eines Eheverbots für den Fall, daß der Unterhaltsanspruch der schuldlos geschiedenen Frau nicht abgesichert ist; die alte Ehe ist wertvoll, die neue (Ehebrecher)Ehe mißbiIligenswert .... 121 e) Boschs Argumentation mit Art. 6 GG ........................ 122 f) Schwinds Aufforderung zur Revision der Auslegung des Be-
griffs "angemessener Unterhalt" ............................ 125 aal Schwinds Ausgangspunkt: Die unterhalts rechtliche Lage des geschiedenen Gatten ist schlecht .................... 125
bb) Schwinds Verständnis von § 67 EheG ................... 126 cc) Schwinds Lösungsvorschlag ............................ 126
Inhal tsverzeichnis
14
dd) Kritik an Schwind ..................................... 128 g) Ausländische Befürworter des Vorrangs des schuldlos Geschiedenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129 aa) Das Schweizerische Bundesgericht ...................... 130 bb) Großbritannien; Lord Merriman ........................ 130 h) Erläuterung einzelner den schuldlos Geschiedenen bevorzugenden Entscheidungen .................................... 130 aa) Das OLG München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 bb) Der BGH .............................................. 131 ce) Das Verwaltungsgericht Berlin ......................... 132 3. Die herrschende Meinung: unterhaltsrechtlicher Gleichrang der in § 59 I 2 EheG Genannten als Ausgangspunkt der in jedem Einzelfall zu treffenden Billigkeitsentscheidung ................... 134 a) Die "unechten" Vertreter der h. M. . ......................... 134 aa) Diederichsen, Gerold und das LG Braunschweig . . . . . . . .. 134 bb) Wüstenberg ........................................... 135 b) Die Einbeziehung der Argumente aus dem "sittlich-moralischen Kontext" in die Diskussion auf der Rangebene ........ 135 aa) Gernhuber
135
bb) Ronke ................................................. 136 c) Gleichrang auf der Rangebene; aber Einbeziehung der "sittlich-moralischen" Erwägungen auf der Billigkeitsebene ...... 137 aa) Wüstenberg ........................................... a) Die Argumentation auf der Rangebene .............. ß) Die Billigkeitsabwägung anhand materieller Kriterien r) Die Einbeziehung der Argumente aus dem "sittlichmoralischen Kontext" auf der Billigkeitsebene .......
137 137 138 139
bb) Müller-Freienfels ...................................... 140 ce) Donau ................................................. 142 d) Die "Verfechter der Linie materieller Billigkeit" ............ 142 aa) Die Hauptvertreter dieser Linie: Brühl / Göppinger / Mutschier ............................................. 143 a) Die Suche nach dem abstrakten Rang des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Gatten .................. 143 ß) Die Technik der Interessenabwägung nach rein materiellen Gesichtspunkten der Billigkeit ................ 145 bb) Gotthardt ............................................. 145 ce) Hoffmann / Stephan .................................... 146 4. Eine bedenkliche Entscheidung des OLG Düsseldorf; das Prinzip der gleichmäßigen Kürzung und das "Hypothekenargument" .... 147
Inhaltsverzeichnis
15
Viertes Kapitel
Die Entstehung des § 1582 BGB 1. d. F. vom 14. Juni 1976
151
§ 16 Die Rangregel als Teil des 1. EheRG vom 14. Juni 1976 ............ 151
1. Chronologie der Vorgeschichte der Reform ..................... 151
2. Chronologie der Reform ...................................... 152 § 17 Der Stellenwert der Rangdiskussion innerhalb der Reformdiskussion 154
1. Der Streit um die Voraussetzungen der Scheidung .............. 155
2. Die Auseinandersetzung um das unterhaltsrechtliche Konzept . .. 156 § 18 Die Entstehung der Rangregelung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160
1. Die Vorschläge der Eherechtskommission ...................... 160
a) Vorschlag und Begründung ................................. 160 b) Die generelle Linie der Kommission und die Rangregel ...... 161 c) Ausnahmen vom prinzipiellen Vorrang ..................... 163 d) Quintessenz
............................................... 163
2. Der Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums .......... 164 a) Vorschlag und Begründung ................................. 164 b) Die generelle Linie des Justizministeriums und die Rangregel 166 c) Kein Vorrang des neuen Ehegatten ......................... 169 d) Quintessenz
............................................... 169
3. Der Regierungsentwurf ........................................ 169 a) Vorschlag und Begründung ................................. aal Billigkeitsargumente für den Vorrang nach § 1583 S. 2 E .. bb) Das "Hypothekenargument" ............................ cc) Billigkeitsargumente für den Vorrang nach § 1583 S. 3 E; Folgen dieser Regel ....................................
169 171 172 173
dd) Verfassungsrechtliche "Unbedenklichkeitserklärung" .... 174 b) Die Rangregel und das Gesamtkonzept des RegE ............ 174 c) Quintessenz ............................................... 176
Inhaltsverzeichnis
16
4. Die Stellungnahme des Bundesrates zum RegE
177
a) Vorschlag und Begründung ................................. 177 b) Die Rangregel und das Gesamtkonzept des Bundesrates ..... 179 c) Die Praktikabilität der Vorrangregel ........................ 180 d) Quintessenz
... . ........................................... 180
5. Die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates .................................................. 181 a) Zur Rangregel im besonderen ............................... 181 b) Zur Unterhaltskonzeption im allgemeinen .................. 181 aal Der Generalunterhaltsanspruch nach der Bundesratsvorlage ................................................... 181 bb) Der subsidiäre Vorschlag einer positiven Härteklausel nach der Bundesratsvorlage ............................ 182 cc) Die negative Härteklausel nach der Bundesratsvorlage .. 182 6. Die Beschlüsse des Rechtsausschusses des Bundestages . . . . . . . .. 182 a) Vorschlag und Begründung ................................. 182 aal "Redaktionelle" Umformulierung der Rangregel; Fixierung des Rangs des Geschiedenenunterhalts durch das Gesetz ............. " .................................. 183 bb) Einfügung des § 1577 a .................................. 184 cc) Streichung des § 1582 I 2 RegE; Einfügung des Abs.2 das Berechnungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 185 b) Die Rangregel und die übrigen Festlegungen durch den RABT, das Gesamtkonzept des RA-BT ......................... 185 c) Quintessenz ............................................... 188 7. Der Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens
189
§ 19 Zusammenfassung ............................................... 189
Fünftes Kapitel
Anwendungsprobleme der Rangregel, Manipulationsmöglichkeiten und Manipulationen § 20 Der logische Widerspruch zwischen §§ 1582 I und 160911 BGB; die
192
beiden angebotenen Lösungsmöglichkeiten ........................ 192
Inhaltsverzeichnis
17
1. Schilderung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 192
a) Die Gleichrangrechnung .................................... 192 b) Der logische Widerspruch .................................. 194 c) Die beiden Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 194 2. Der Lösungsweg des RA-BT und die (nur) modifizierende Kritik 195 a) Methode und Beispiel ...................................... 195 b) Die (nur) modifizierende Kritik ............................. 197 aal Die Nachberechnung nach Dieckmann und anderen ...... 197 bb) Die Vereinfachung der zweiten Berechnungsstufe nach Bastian und anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 198 ~) Rechnung nach der Methode des RA-BT ............. 199 ß) Rechnung nach der Methode Bastians ................ 199 c) Die Praxis ........... . ............... . ..................... 200 aal OLG Hamm ............................................ 200 bb) OLG Frankfurt (Weychardt) ............................ 200 3. Die radikale Kritik am Lösungsvorschlag des RA-BT; die Lösung über die Teilhabe der minderjährigen unverheirateten Kinder am Vorrang des Geschiedenenunterhalts .......................... 201 a) Hauptpunkt der Kritik ..................................... 201 b) Die Rechenmethode nach Göppinger I Wenz und anderen .... 202 aal Methode, Beispiel und Modifikation .................... 202 ~) Methode ............................................ 202 ß) Beispiel ............................................ 203 c) Die Reaktion der Praxis .................................... 203 aal Das OLG Stuttgart ..................................... 203 bb) Das OLG Hamm ....................................... 203 cc) Andere Oberlandesgerichte ............................. 204 4. Stellungnahme
............................................... 205
§ 21 Der Einfluß der Rahmenbedingungen der Kürzungsrechnung auf ihr
Ergebnis
... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 206
1. Der Selbstbehalt ......................... . . . .......... . ....... 207
a) Die Höhe des Selbstbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 aal Weychardt und das OLG Frankfurt ..................... 208 bb) Zwischenlösung ........................................ 209 2 M. Schmitt
18
Inhaltsverzeichnis cc) Heute gängige Praxis .................................. 209 b) Die Verteilung der Differenz bei unterschiedlich hohen Selbstbehalten ................................................... 210 aal Weychardt: Begünstigung der gesamten Familie ......... cx.) Verteilung bei Gleichrang der Berechtigten ........... ß) Verteilung bei relativem Vorrang nach § 1582 I ....... cx.cx.) Vorrangrechnung nach der Methode des RA-BT .. ßß) Die Korrektur nach Weychardt ..................
211 211 212 212 213
bb) Die Vertreter der Zwischenlösung; wie Weychardt ...... 214 cc) Verteilung nur an die Kinder .......................... 214 2. Die Einsatzbeträge ............................................ 215 a) Die Einsatzbeträge bei (echten) Mangelfällen ................ 215 b) Die Einsatzbeträge bei den sonstigen Fällen mangelnder Leistungsfähigkeit gern. § 1581 ................................. 217 § 22 Sind Korrekturen der aufgrund der Vorrangregel durchgeführten
Unterhaltsberechnung möglich? ................................... 219 1. Die Korrektur aus Gründen materieller Billigkeit im Rahmen der §§ 1581, 1582 selbst ........................................ 219
a) Die Problemlage ........................................... 219 b) Die dogmatische Einordnung des Vorrangs gern. § 1582 I nach herrschender Meinung ..................................... 222 c) Auffassungen in Literatur und Praxis ...................... 223 aal Ablehnende Auffassungen .............................. cx.) Richter ............................................. ß) Häberle ............................................ r) OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
223 223 224 224
bb) Zustimmende Auffassungen ............................ cx.) Weychardt .......................................... ß) Billigkeitskorrekturen nach Hampel und aufgrund der Hammer Leitlinien .................................. cx.cx.) Hampel ................ . ....................... ßß) Die Hammer Leitlinien .......................... r) OLG Schleswig ......................................
225 225 226 226 226 227
d) Existiert eine dogmatisch mögliche Begründung für eine Billigkeitskorrektur im Rahmen der §§ 1581, 1582? ............. 228 aal Wörtlich-grammatikalische Analyse ..................... 229 bb) Sinn und Zweck der Rangregel ......................... 229 cx.) Die reinen Berechnungsfragen werden durch die unterschiedlichen Auslegungen nicht tangiert .............. 229 ß) Muß das Rechenergebnis fix bleiben? ................ 229
Inhaltsverzeichnis cc) Analyse der Entstehungsgeschichte ..................... Gt) Der Diskussionsentwurf ............................. ß) Der Regierungsentwurf .............................. r) Die Fassung des Rechtsausschusses des Bundestages ..
19 229 229 231 231
2. Andere Korrekturmöglichkeiten ............................... 231 a) Korrekturen über die restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals "lange Ehedauer" i. S. d. § 1582 I 2 3. Fall .......... 232 b) Korrekturen über die "verfassungskonforme Auslegung" des § 1582 ..................................................... 233 c) Korrekturen über § 1576 .................................... 234 3. Ergebnis
..................................................... 236
Sechstes Kapitel
Einwände gegen die starre Vorrangregel des § 1582 und Schlußfolgerung
237
§ 23 Die rechtspolitische Fragwürdigkeit des Vorrangs bei einzelnen Fall-
gestaltungen
.................................................... 237
1. Der "prinzipielle" Vorrang nach § 1582 I 1 ...................... 237
2. Der Vorrang nach §§ 1582 I 2 i. V. m. 1570 ....................... 238 3. Der Vorrang nach §§ 1582 I 2 i. V. m. 1576 ....................... 240 4. Der Vorrang wegen langer Dauer der Ehe, ergänzt um die Zeit der Kindererziehung, gem. § 1582 I S. 2 3. Fall und S. 3 .......... 240 a) Der Anspruch des alten geschiedenen Gatten ................ 241 b) Der Anspruch des kranken geschiedenen Gatten ............. 241 c) Der Anspruch des geschiedenen Gatten auf Ausbildungsunterhalt, der Anspruch nach §§ 1573 I, 1574 und der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt ..................................... 241 aal Ausbildungsunterhalt .................................. 241 bb) Unterhalt nach §§ 1573 I; 1574 bei Nichtfinden einer angemessenen Erwerbstätigkeit ...................... " ., ... 242 cc) Aufstockungsunterhalt ................................. 242 5. Zusammenfassung ............................................ 243
20
Inhaltsverzeichnis
§ 24 Der starre Vorrang und die Rechtsnatur des Anspruchs auf Geschie-
denenunterhalt .................................................. 244 1. Die heute herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244
2. Die Entstehung des Anspruchs auf Geschiedenenunterhalt als eines familienrechtlichen Anspruchs ............................ 244 a) Der gemeinrechtliche Streit ................................. 244 aal Die Auffassung der Obergerichte ........................ 245 bb) Die ablehnende Haltung des Reichsgerichts .............. 246 b) Der Unterhaltsanspruch in der Entstehungsgeschichte des BGB 247 3. Vorrang und Rechtsnatur des Geschiedenenunterhalts im preußischen ALR und dogmatische Folgerungen .................... 248 § 25 Der starre Vorrang und das Prinzip des Einstehenmüssens für die
Folgen eigenen Verhaltens ....................................... 251
1. Präzisierung des Problems .................................... 252
2. Die Korrektur des starren Vorrangs über die Berücksichtigung von Verschuldensmomenten ................................... 253 a) Unterhalts ausschluß oder -herabsetzung gern. § 1579 I Nr.4 .. 254 b) Möglichkeiten einer Rangkorrektur wegen Scheidungsschuld 256 aal Keine Möglichkeiten de lege lata ....................... 257 ~) Unanwendbarkeit der Billigkeitsnorm ................ 257 ß) Kriterien aus dem "sittlich-moralischen" Kontext .... 258 bb) Notwendige Änderung des Gesetzes ..................... ~) Transponierung des Verteilungsproblems auf die Rechtsfolgenseite der Billigkeitsnorm ................ ß) Die Berücksichtigung "grober Ehewidrigkeiten" ...... ~~) Der Begriff "grobe Ehewidrigkeiten" und die gerichtliche Praxis ................................ ßß) Präzisierung des Begriffs ........................ rr) "Grobe Ehewidrigkeiten" als eines der vielen Billigkeitskriterien ................................
258 258 258 259 259 260
§ 26 Die Verfassungsmäßigkeit des Vorrangs .......................... 260
1. Die verfassungsrechtliche Prüfung des Vorrangs unter Außerachtlassung des "Verschuldensaspekts" ......................... 261
a) Der Vorlagebeschluß des OLG Schleswig .................... 261 b) Die Entscheidung des BVerfG .............................. 265
Inhaltsverzeichnis
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2. Die verfassungs rechtliche Prüfung des Vorrangs unter Mitberücksichtigung des "Verschuldensaspekts" .......................... 270 § 27 Zusammenfassung ............................................... 272 1. Die durch die dogmatische Einordnung der Vorrangregel be-
wirkte Starrheit des Vorrangs ................................. 272
2. Die rechtspolitischen Bedenken bei einzelnen Fallkonstellationen 272 3. Der dogmatische Rückfall ..................................... 273 4. Der starre Vorrang "in der Hand des nach früherem Recht an der Scheidung Schuldigen" ........................................ 273 5. Die verfassungsrechtlichen Bedenken .................. . ....... 274 6. Regelungsvorschlag ........................................... 274
Literaturverzeichnis
.......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 276
Vorbemerkung Das 1. EheRG hatte die Reform sowohl des Rechts der Scheidungsvoraussetzungen als auch des Scheidungsfolgenrechts zum Ziel. Die Voraussetzungen für die Scheidung selbst sind heute gering. Nach Verstreichen einer bestimmten Frist gilt die Ehe unwiderleglich als gescheitert. Dieses "Gescheitertsein" der Ehe ist dann (einziger) Scheidungsgrund. Das Reformziel der Scheidungserleichterung ist damit verwirklicht. Allerdings hat die Änderung des Scheidungsfolgenrechts erhebliche finanzielle Belastungen für den wirtschaftlich stärkeren Ehegatten mit sich gebracht und die Erleichterung der Scheidung selbst zum Teil kompensiert. Neben dem neuen Institut des Versorgungsausgleichs ist hier vor allem das nacheheliche Unterhaltsrecht zu nennen. Der Geschiedenenunterhalt war nach ursprünglichen Plänen der sozial-liberalen Koalition zwar als Ausnahme vom Grundsatz der auch finanziellen Eigenverantwortlichkeit nach der Scheidung konzipiert gewesen. Hiervon zeugt noch das kasuistische System einzelner Unterhaltsanspruchsgrundlagen gem. §§ 1571 ff. In praxi ist der Geschiedenenunterhalt aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Dieser Anspruch auf Geschiedenenunterhalt geht bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners gem. § 1582 I dem Unterhaltsanspruch eines eventuellen neuen Ehegatten des unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten in zahlreichen Fällen vor. Diese ausdrückliche Regelung eines unterhaltsrechtlichen "relativen" Vorrangs des geschiedenen Gatten zu Lasten des neuen Gatten des Pflichtigen ist Anlaß dieser Untersuchung. Von mangelnder Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sind aber nicht nur er selbst, sein geschiedener und eventuell sein neuer Ehegatte betroffen, sondern gegebenenfalls auch seine minderjährigen unverheirateten Kinder. Häufig wird der neuen Kleinfamilie des Verpflichteten die "Halbkleinfamilie" seines unterhaltsberechtigten ehemaligen Ehegatten gegenüberstehen. Gegenstand dieser Arbeit ist also auch die Analyse des zivilrechtlichen Systems der Verteilung zu knapper Mittel des Unterhaltspflichtigen an die Mitglieder seiner ehemaligen und jetzigen Kleinfamilie. In einem ersten Kapitel wird gezeigt, daß der Gesetzgeber des BGB vom 18. August 1896 dem Geschiedenenunterhalt absichtlich keinen eige-
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Vorbemerkung
nen Rang zuwies. Er vertraute vielmehr auf die Weisheit des Richters im Einzelfall. Gern. § 1579 I 2 sollte dieser bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Pflichtigen unter Abwägung der Bedürfnisse und wirtschaftlichen Verhältnisse des Pflichtigen, des ehemaligen und des jetzigen Ehegatten und der minderjährigen unterverheirateten Kinder das Maß des Geschiedenenunterhalts festsetzen. Daß diese Billigkeitsnorm durchaus praktikabel gewesen ist, wird im zweiten Kapitel nachgewiesen. Die Rechtsprechung hat nämlich Billigkeitskriterien erarbeitet, die ein beachtliches Maß an Rechtssicherheit bewirkten. So wurde z. B. der noch heute gültige Grundsatz entwickelt, daß alle Beteiligten vermehrte Anstrengungen zu unternehmen und größere Opfer hinzunehmen haben, um sich gegenseitig zu entlasten. Eine Rangregel erschien jedenfalls nicht notwendig. Die Ehegesetze haben die Billigkeitsnorm des § 1579 12 in §§ 67 I 2 EheG 1938 und 59 I 2 EheG 1946 zwar übernommen. Dennoch ist im Rahmen dieser Normen und auch im Rahmen der neugeschaffenen Unterhaltsansprüche des Geschi.edenen nach §§ 68; 69 II EheG 1938 (§§ 60; 61 11 EheG 1946) zunehmend über einen "Rang" des Geschiedenenunterhalts bzw. des Unterhaltsanspruchs des neuen Ehegatten diskutiert worden. Besonders heftig ist dieser Streit nach dem zweiten Weltkrieg im Rahmen des § 59 I 2 EheG 1946 entbrannt. Bereits in dieser Auseinandersetzung sind alle Gründe, die für einen Vorrang des geschiedenen oder des neuen Ehegatten oder aber für einen Gleichrang der Unterhaltsansprüche beider Ehegatten des Pflichtigen sprechen mögen, genannt worden. Das dritte Kapitel enthält deshalb u. a. eine genaue Analyse der verschiedenen Argumente. Das vierte Kapitel beschreibt detailliert die Entstehung der Rangregel des 1. EheRG. Es kann gezeigt werden, daß § 1582 I weniger eine Folge aus Erkenntnissen der Rangdiskussion als vielmehr Ergebnis eines politischen Kompromisses ist. Die gefundene Rangregel ist schon deshalb als mißlungen zu bezeichnen, weil sie erhebliche Anwendungsprobleme mit sich bl'ingt. Es genießen sowohl der geschiedene als auch der neue Ehegatte des Pflichtigen gern. § 1609 II 1 denselben unterhaltsrechtlichen Rang wie dessen minderjährige unverheiratete Kinder. Untereinander sollen sie aber gern. § 1582 I häufig gerade nicht gleichrangig sein. Diese verwirrenden Anordnungen des Gesetzes müssen zu erheblichen rechnerischen Schwierigkeiten führen. Zudem ist der neue Vorrang zugunsten des geschiedenen Gatten so starr und unflexibel, daß sich das Prinzip der Ausdehnung der Opfergrenze in Mangelfällen zu Lasten des geschiedenen Berechtigten kaum noch auswirken kann. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich hauptsächlich mit diesen beiden problemkreisen.
Vorbemerkung
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Im sechsten Kapitel wird die Rangregel, soweit dies nicht bereits geschehen ist, kritisch gewürdigt. Der starre Vorrang ist in etlichen Fallkonstellationen rechtspolitisch unbefriedigend. Dogmatisch paßt solch ein starrer Vorrang kaum zur Rechtsnatur des Geschiedenenunterhalts. Das Ergebnis, daß auch derjenige Ehegatte, der das Scheitern der Ehe verursacht hat, einen sogar vorrangigen Unterhaltsanspruch hat, befremdet. Die Summe der angedeuteten Bedenken kulminiert nicht zuletzt in verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Rangregel. Die Kritik mündet am Ende in einen Regelungsvorschlag, der mehr der Mangelfallnotordnung des bisherigen Rechts als der des 1. EheRG ähnelt.
Erstes Kapitel
Die Entstehung des § 1579 BGB in der Fassung vom 18.8.18961 § 1579 berücksichtigt den Umstand, daß ein geschiedener Ehemann nach Wiederheirat nicht nur seiner geschiedenen Ehefrau, sondern auch seiner "neuen" Gattin und gegebenenfalls seinen minderjährigen unverheirateten Kindern Unterhalt schuldete. "Soweit der allein für schuldig2 erklärte Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts dem anderen Ehegatten Unterhalt zu gewähren, ist er berechtigt, von den zu seinem Unterhalte verfügbaren EinkÜnften zwei Drittheile oder, wenn diese zu seinem nothdürftigen Unterhalte nicht ausreichen, so viel zurückzubehalten, als zu dessen Bestreitung erforderlich ist. Hat er einem minderjährigen unverheiratheten Kinde oder in Folge seiner Wiederverheirathung dem neuen Ehegatten Unterhalt zu gewähren, so beschränkt sich seine Verpflichtung dem geschiedenen Ehegatten gegenüber auf dasjenige, was mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie auf die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Betheiligten der Billigkeit entspricht. Der Mann ist der Frau gegenüber unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von der Unterhaltspflicht ganz befreit, wenn die Frau den Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann."
RGBl. 1896, Nr.21, S. 195 ff. Gern. § 1578 BGB a. F. schuldeten nur alleinschuldig Geschiedene dem jeweils anderen Ehegatten Unterhalt. Welcher Ehegatte die Schuld trug, war nach § 1574 I BGB a. F. im Urteil auszusprechen. Verschuldensgründe waren Ehebruch (§ 1565), Trachten nach dem Leben (§ 1566), Bösliches Verlassen (§ 1567) und Verschuldete Zerrüttung (§ 1568). 1
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§ 1: Vorschlag PLANCK
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§ I Der Vorschlag Plancks 1. Die Schaffung eines Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten mit der auch heute gängigen Rechtsnatur durch Redaktor Planckl In der Vorlage Plancks war der Geschiedenenunterhaltsanspruch in den §§ 250 ff. geregelt. 2 ,,§250: Derjenige Ehegatte, welcher allein für den schuldigen Teil erklärt worden, ist dem anderen nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen Unterhalt zu gewähren verpflichtet. §251: Der Unterhaltsanspruch ist nur begründet, wenn und soweit der Berechtigte durch seine Erwerbsthätigkeit und die Einkünfte seines Vermögens sich nicht zu unterhalten vermag." Bereits in diesem Entwurf Plancks lassen sich bedeutende Elemente des Unterhaltssystems erkennen, die auch im gegenwärtigen Recht eine eminente Rolle spielen. So ist auch im geltenden Unterhaltsrecht die Bedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers eine wesentliche Voraussetzung des Anspruchs, bei Planck in § 251 der Vorlage normiert.3 Das Erfordernis der "Bedürftigkeit" des Gläubigers setzt ein bestimmtes Verständnis von der Rechtsnatur der Unterhaltspflicht, des Unterhaltsanspruches voraus. Hätte dieser Entschädigungscharakter, sollte er also den Verlust an ehebedingten Vermögensvorteilen des unschuldig geschiedenen Ehegatten ausgleichen, dürfte es auf dessen Bedürftigkeit nicht ankommen, sondern nur auf die Tatsache des Verlustes dieser Vorteile selbst. Ob aber der Geschiedenenunterhalt Entschädigungs- oder Versorgungscharakter haben sollte, war von den verschiedenen damaligen im Reichsgebiet und in den Nachbarstaaten geltenden Rechtsordnungen durchaus unterschiedlich gesehen worden.4 Planck lehnte die NormieI Der Königlich Preußische Appellationsgerichtsrath Dr. Planck war der mit der Ausarbeitung der Vorlage für den "Entwurf eines Familienrechts für das Deutsche Reich" beauftragte Redaktor der ersten Kommission. Diese Vorlage wurde 1880 veröffentlicht, gedruckt in der Reichsdruckerei. Künftige Zitierweise: Vorlage Planck. 2 Vorlage Planck, S.56. 3 Der Maßstab der Bedürftigkeit ist bei Planck bei weitem nicht so großzügig ausgestaltet wie z. B. nach heutigem Scheidungsfolgenrecht. 4 Hierzu im einzelnen PZanck aaO, S. 1070 ff.; hiernach sahen das württembergische Recht, das bayrische Landrecht, das preußische ALR, das österr. GB, die gothaischen Ehegesetze, die altenburgische Eheordnung, das schwarz-
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1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
rung von Ehescheidungsstrafen bzw. Entschädigungsregelungen zu gunsten des unschuldig Geschiedenen ab.s Bine Regelung mit Entschädigungscharakter käme der Natur des Ersatzes des Erfüllungsinteresses nahe. Gegen die Gewährung eines solchen Ersatzes spreche zum einen "die Erwägung ... , daß die durch die Ehe für die Ehegatten begründeten vermögens rechtlichen Ansprüche nicht Zweck und Gegenstand des Eheschließungsvertrages" seien, "sondern nur sekundäre, vom Rechte mit der Ehe verknüpfte Folgen, und daß es mit der sittlichen Natur der Ehe nicht vereinbar" sei, "wenn der unschuldige Ehegatte die Ehe für sich als Quelle vermögensrechtlicher Vortheile auffassen und deshalb vom schuldigen Theile Ersatz des Erfüllungsinteresses fordern wollte, wenngleich jene Quelle in Veranlassung der Schuld des anderen Theils versiegt" sei.6 Zum anderen sei das Verlangen des Erfüllungsinteresses auch rechtswidersprüchlich7 , da die Geltendmachung eines solchen Anspruches zwar nicht die Fortdauer des Gegenstandes des ursprünglichen Rechtsverhältnisses, wohl aber die Fortdauer des Hechtsverhältnisses selbst begriffsnotwendig bedinge. Die Zerstörung dieses Rechtsverhältnisses, nämlich die Ehescheidung, sei aber gerade das Ziel des Gläubigers des möglichen Entschädigungsanspruches.8 Aus dieser fast wörtlichen Wiedergabe einiger Hauptargumente Plancks läßt sich eindeutig seine Absicht erkennen, dem - wenn auch unschuldig geschiedenen - unterhaltsberechtigten Ehegatten nicht von Gesetzes wegen übermäßige wirtschaftliche Vorteile aus dem Scheitern der Ehe zukommen zu lassen, träfe dies auch den - immerhin - schuldig geschiedenen Ehegatten. So führt er an anderer Stelle,9 den Entschädigungsregeln ablehnenden hessischen Entwurf lobend, seinen wohl latent vorhandenen Verdacht explicit aus, "daß die Aussicht auf eine Entschädigung für die entgehenden Vortheile der Ehe, zum al deren Festsetzung immer mehr oder weniger willkürlich sein und deshalb in Wirklichkeit häufig eine Bereicherung des unschuldigen Theils sein wird, für den letzten leicht ein Anburg-sondershausensche Gesetz und das züricher GB Entschädigungsregeln vor, die den römisch-rechtlichen (und gemeinrechtlichen) Vorstellungen von Ehescheidungsstrafen entsprachen, wohingegen das niederländische GB, der hessische Entwurf, das sächsische GB und der code (civil) einer Alimentationsregelung den Vorrang gaben. S Planck aaO, S. 1072-1073. 6 Planck aaO, S. 1072. 7 Planck aaO, S. 1072. 8 Vgl. zu diesem zynischen Argument unten § 24, nach Fn. 14. 9 Planck aaO, S. 1073.
§ 1: Vorschlag PLANCK
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reiz sein" könne, "aus niedrigen Beweggründen, aus Eigennutz den Scheidungsgrund zum Zwecke der eigenen Bereicherung auszunutzen, ...". Die Bemerkung mag erlaubt sein, daß der Gesetzgeber des 1. Eh eRG 1977 von solch wenig altruistischen Beweggründen des unterhaltsberechtigten Geschiedenen keine Vorstellungen hatte, obwohl er ihm die "Ausnutzung eines Scheidungsgrundes" nicht einmal mehr zumutet, sondern von ihm lediglich den Ablauf der Frist abzuwarten verlangt. So ist die weitgehende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Existenz des pflichtigen Geschiedenen heute denkbar, die Begründung einer neuen Ehe oder gar Familie sehr schwierig. Planck hält übrigens eine Begründung der Rechtsnatur eines Alimentationsanspruchs aus "allgemeinen Grundsätzen" ebenfalls nicht für möglich. Eine Wirkung der Ehe könne der Unterhaltsanspruch nicht sein, da diese als Grundlage weggefallen sei. Auch der Gesichtspunkt der Nachwirkung der Ehe könne nicht herangezogen werden,lo da die Nachwirkung voraussetze, daß die Ehe nicht durch Umstände gelöst sei, welche die Grundlage derselben zerstört hätten. Für Planck waren vielmehr Billigkeitsgründe, rechtspolitische Argumente also, entscheidend. Die Alimentationsregeln des zu schaffenden BGB sollten der "Hülfsbedürftigkeit" der unschuldig Geschiedenen Abhilfe schaffen. Das Dilemma, "entweder dIe ... unerträglich gewordene Ehe fortsetzen oder aber die Mittel zur Bestreitung" des "Unterhalts fortan entbehren zu müssen", erschien Planck untragbar.u 2. Die Regelung des "Rangproblems" in der Vorlage Plancks Wie oben gezeigt, hatte Planck offensichtlich das starke Bedenken, daß der - unschuldig! - geschiedene Ehegatte durch für ihn allzu großzügige vermögensrechtIiche Scheidungsfolgenregelungen bereichert werden könnte. Zudem sprachen nach Planck in erster Linie Billigkeitsargumente, d. h. bei Planck wirtschaftliche Überlegungen, nämlich das 10 Anders allerdings in den Motiven zu § 1454 Unterhaltsanspruch des unschuldig geschiedenen Ehegatten nach dem 1. Entwurf - wo auf 8.617 unten zur "Begründung im übrigen" darauf hingewiesen wird, daß der code civil und das sächsische BGB den Gesichtspunkt "der auf Billigkeit beruhenden Nachwirkung der Ehe" in den Vordergrund stellen. Auch in den Motiven zu § 1483 - Regelung der Unterhaltsanspruchskonkurrenz im 1. Entwurf wird auf 8. 688 auf den identischen Entstehungszeitpunkt der auf die Zukunft gerichteten Unterhaltsansprüche hingewiesen. Da in § 1483 III E I der Geschiedenenunterhalt angesprochen wurde, dessen Entstehungszeitpunkt aber mit dem des Unterhaltsanspruchs des neuen Ehegatten nach dem vorher Gesagten identisch ist, muß die 1. Komm. von der Nachwirkung der Ehe ausgegangen sein. Vgl. i. e. später § 24, nach Fn.6. 11 Planck aaO, 8. 1074.
1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
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Kriterium der (Hilfs-)Bedürftigkeit des unschuldig Geschiedenen für die Schaffung des Alimentationsanspruches. Es erscheint deshalb folgerichtig, daß Planck eine überlastung des Pflichtigen jedenfalls vermeiden wollte. In § 252 12 seiner Vorlage führt er deshalb die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen als weiteres Element seines Geschiedenenunterhaltssystems, als weitere Voraussetzung des Alimentationsanspruchs des schuldlos geschiedenen Gatten, ein. Hierbei macht Planck klar, daß auch die wirtschaftlichen Bedürfnisse minderjähriger unverheirateter Kinder und eines neuen Ehegatten des Pflichtigen Kriterien für dessen Leistungsfähigkeit gegenüber dem schuldlos geschiedenen Gatten sind. "Der Anspruch auf Unterhalt ist ferner dadurch bedingt, daß der schuldige Gatte zur Gewährung desselben ohne Gefährdung seines eigenen standesmäßigen Unterhalts und der ihm sonst obliegenden Verpflichtungen im Stande ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so ist der schuldige Gatte den Unterhalt nur dann und nur insoweit zu gewähren verpflichtet, als er dazu bei einer unter Berücksichtigung der beiderseitigen Bedürfnisse, Erwerbs- und Vermögensverhältnisse, sowie des von ihm an minderjährige unverheirathete Kinder oder einen neuen Ehegatten zu leistenden Unterhalts nach billigem richterlichem Ermessen vorzunehmenden Vertheilung seiner Mittel zwischen sich selbst und den gedachten Unterhaltsberechtigten im Stande ist." Bereits in diesem Entwurf Plancks erkennt man, wenn man von der sprachlichen Komplexität und Ungelenkheit des § 252 II der Vorlage einmal absieht, die inhaltliche Flexibilität der Regelung, die später erst wieder von den §§ 67 EheG 1938 und 59 EheG 1946 erreicht wird. Wie oben gezeigt, weist § 1579 11 BGB mit seinem starren "Zwei-DrittelVorbehaltsrecht" zugunsten des Unterhaltspflichtigen nicht die Möglichkeit für den Richter auf, die Unterhaltshöhe dem Sachverhalt anzupassen. Allerdings findet der Gedanke des § 252 II der Vorlage, daß die Bedürfnisse des neuen Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder bei der "billigen" Bemessung des Geschiedenenunterhalts berücksichtigt werden müssen, im späteren § 1579 I 2 BGB i. d. F. v. 18. 8. 1896 seine Entsprechung. Auffallend ist, daß eine Rangfolge zwischen den beiden unterhaltsberechtigten Ehegatten - dem schuldlos geschiedenen und dem neuen - im Entwurf Plancks nicht geregelt worden ist. Es widerspräche ja auch einer flexiblen, dem Richter die Entscheidungsfreiheit für den Einzelfall belassenden Billigkeitsregel vom Range des § 252 II der Vorlage, wollte man andernorts dIe Alimentationsansprüche der berechtigten "alten und neuen" Ehegatten in eine bestimmte Rangordnung 12
Planck aaO, S. 56.
§
1: Vorschlag PLANCK
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zueinander pressen. Wäre der neue Ehegatte vorrangig "standesmäßig" zu alimentieren, ergäbe sich eine Minderung des Geschiedenenunterhalts automatisch, eine Billigkeitsregelung würde das System einer klaren Rangordnung stören. Bei einem Vorrang des Geschiedenenunterhalts wäre eine Regelung nach § 25211 der Vorlage ein nicht schlüssiger Schritt in die umgekehrte Richtung, denn es wäre nicht eingängig, den vorrangigen Anspruch u. a. auch wegen des nachrangigen Alimentationsanspruchs des neuen Ehegatten einzuschränken. So enthält Planc7cs Vorlage in Abs.2 des § 292, der die Konkurrenzprobleme beim Verwandtenunterhalt regelt,13 nur die Bestimmung, daß die Unterhaltsansprüche des Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder gleichstehen. Zwar hat Planck mit dieser Regelung den Anspruch des neuen Ehegatten gemeint, desjenigen also, mit dem die Ehe noch besteht. Denn sonst könnte man die Begründung, daß nämlich der Ehegatte wegen des die Eheleute eng verknüpfenden Bandes14 im Unterhaltsrange den minderjährigen unverheirateten Kindern gl'eichstehe, nicht verstehen. Dennoch können nach dem Planckschen Entwurf weder die minderjährigen unv,erheirateten Kinder noch der neue Ehegatte einen zu Lasten des unschuldig Geschiedenen vorrangigen Alimentat·ionsanspruch haben, denn sonst wären ihre Bedürfnisse nicht nur nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Billigkeit bei der "Minderung" des Geschiedenenunterhalts nach § 25211 zu berücksichtigen. Festzuhalten bleibt also, daß Planck dem Rangproblem durch eine Billigkeitsregelung abhelfen wollte - der Richter sollte im Einzelfall die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien prüfen und zu einem interessengerechten Ergebnis gelangen. Eine bestimmte Rangfolge zwischen den verschiedenen Alimentationsberechtigten "erster Ordnung", seien es nun die minderjährigen unverheirateten Kinder oder die Ehegatten, "geschieden oder neu", wurde gerade nicht geregelt. Diese Norm, die sich letztlich, wie zu zeigen sein wird, inhaltlich bis zum 1. 7. 1977 gehalten hat, überstand die Entstehungsperiode des BGB allerdings nicht unangefochten. Der schwierige Weg soll nun im einzelnen erhellt werden.
13
PZanck
14 PZanck
aaO, S. 65. aaO, S. 1297.
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1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
§ 2 Der "Nachrang" des Geschiedenenunterhalts in § 1483 III des Entwurfs der ersten Kommission l § 1483 E I ist die Reaktion der ersten Kommission auf den § 292 des Planckschen Entwurfs. Offensichtlich gefiel der Kommission die Billigkeitsregelung des Planckschen § 252 nicht; sie wollte die neue Ehe begünstigen. So fügte sie dem § 292 der Vorlage einen dritten Absatz hinzu, der - im Anschluß an die Regelung der Konkurrenz der Alimentationsansprüche von Verwandten in den beiden ersten Absätzen - die Konkurrenz der Ansprüche von minderjährigen unverheirateten Kindern, geschiedenen und neuen Ehegatten auflöst.
1. Der Vorschlag § 1483 III E 12 lautet: "Der im § 1454 bezeichnete Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten3 steht dem Unterhaltsanspruche des späteren Ehegatten und der minderjährigen unverheiratheten Kinder des für den schuldigen Theil erklärten Ehegatten nach und geht dem Unterhalts anspruche anderer Kinder und anderer Verwandten dieses Ehegatten vor." Der geschiedene Ehegatte nimmt nach § 1483 III E I also eine Zwischenposition ein. Rangstelle eins wird von den minderjährigen unverheirateten Kindern und dem neuen Ehegatten gehalten, deren Gleichrang ergibt sich aus § 1483 II E I. Rangstelle zwei gebührt dann erst dem schuldlos geschiedenen Gatten; die übrigen Kinder und Verwandten müssen sich mit den weiteren Rängen zufriedengeben. In den Motiven heißt es zur Regelung des § 1483 III E I nur lapidar: 4 "Da der im § 1454 bestimmte Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Entwurfe nicht den Karakter eines gewöhnlichen Entschädigungsanspruches hat (...), so muß auch das Verhältnis dieses Unterhaltsanspruches zu dem Unterhaltsanspruche des späteren Ehegatten und dem der Verwandten des Verpflichteten besonders geordnet werden. Die Bestimmung des § 1483 Abs.3 läßt sich gegenüber dem geschiedenen Ehegatten ohne große praktische Schwierigkeit nicht durchführen. Die Vorschrift 1 Der Wortlaut der Norm ist der synoptischen Darstellung bei Mugdan, Bd. 4, Familienrecht, S. LXXII entnommen. 2 E I = Entwurf der ersten Kommission. 3 § 1454 E 1 übernimmt inhaltlich die in §§ 250, 251 der Planckschen Vorlage ausgedrückten Grundgedanken der Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Ehegatten bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit des anderen Teils, verweist allerdings auf zahlreiche analog anzuwendende Normen aus dem Verwandtenunterhaltsrecht. Hieraus entstehende Probleme werden hier nicht erörtert. 4 Motive, amtliche Ausgabe, Bd.4, zu § 1483, S. 688 = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S. 366.
§ 2: Nachrang des Geschiedenen nach § 1483 111 E I
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des § 1483 Abs.3 trägt den verschiedenen Rücksichten in einer der Billigkeit und den natürlichen Verhältnissen entsprechenden Weise Rechnung." Im einzelnen sind die Gründe der 1. Kommission für die Einfügung des § 1483 IU E I in den Motiven nicht genannt. Daß die Regelung der Billigkeit entspreche, kann man zwar behaupten, müßte man aber näher begründen. Aufschluß geben hier die geheimen Protokolle.5 Dort heißt es: "... Anlangend wie auf dem Entschädigungsprinzip des Entwurfs beruhende Bestimmung im Absatz 2 des § 252 (vergl. Motive S. 1076), so erachtete die Mehrheit es nicht als angemessen, den für das eheliche Verhältnis allerdings gerechtfertigten Grundsatz, daß der eine Ehegatte behufs Erfüllung seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem anderen Ehegatten mit dem letzteren teilen müsse, was er habe, auf die hier in Rede stehende Unterhaltspflicht zu übertragen, da hier die Grundlage für eine solche ausgedehnte Unterhaltspflicht, das gemeinsame Familienleben, fehle, außerdem durch eine solche Ausdehnung der Unterhaltspflicht der schuldige Ehegatte, namentlich der Ehemann, zu hart getroffen werden könne. Dazu komme, daß dem geltenden Recht eine derartige Bestimmung unbekannt seL" Hierzu paßt auch das weitere Argument, die Regelung berücksichtige die "natürlichen" Verhältnisse. Die Mitglieder der ersten Kommission haben offensichtlich gemeint, die Faktizität einer bestehenden Ehe entfalte "natürlicherweise" die normative Kraft zur Begründung einer vorzugswürdigen Alimentation. Wie gezeigt, wollte man dem schwächeren Band zwischen den geschiedenen Eheleuten eine schwächere Alimentatationspflicht des schuldig Geschiedenen korrespondieren lassen. Interessant wäre es auch, wenn man wüßte, was die erste Kommission unter den "praktischen Schwierigkeiten der Durchführbarkeit gegenüber dem geschiedenen Ehegatten" verstand. Berechnungsprobleme allein können es nicht gewesen sein, denn eine Rangstelle mehr bereitet keine nicht zu bewältigenden Schwierigkeiten, zumal ja in den Fällen der Mittelknappheit des Pflichtigen der Rangzweite, der geschiedene Gatte nämlich, zumeist leer ausgehen oder nur einen kleinen "Restunterhalt" bekommen wird. Bei der "den natürlichen Verhältnissen entsprechenden" Regelung blieb es denn auch letztlich nicht.
2. Die Kritik Die Geschiedenenunterhaltsregelung des ersten Entwurfes war nämlich auch deshalb auf heftige Kritik gestoßen,6 weil dem Geschiedenen 5 Protokolle der ersten Kommission - 498. Sitzung, S.7362. 6 Brie, Verhandlungen zum 20. DJT, Bd.lI, S. 250 ff.; Hinschius, AcP 74, 84 (92 ff.); Spahn, Juristische Rundschau für das katholische Deutschland, Ergänzungsheft I, S. 48 ff. (57 ff.); alle drei Autoren nachgewiesen in "Gutachten zum Entwurf eines BGB", Bd.4, S. 327 ff. (zu § 1454), Bd.6, S. 630 (zu § 1454).
3 M. Schmitt
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1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
nicht nur ein bloß nachrangiger Unterhaltsanspruch zustand, sondern dieser zudem nur unter engen Voraussetzungen gewährt wurde. So mußte z. B. die schuldlos geschiedene Frau fast vermögenslos sein, um etwas zu bekommen. Beispielhaft soll hier nur Otto von Gierkes Meinung zitiert werden: 7 "Unerträglich sind die Bestimmungen des Entwurfes über die Folgen der Ehescheidung. In vermögensrechtlicher Hinsicht soll der schuldige Teil dem unschuldigen Teil auf Verlangen die Bereicherung aus Braut- oder Ehegeschenken herausgeben (§ 1453) und demselben überdies, ,wenn und solange dieser wegen Vermögenslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit sich selbst zu unterhalten nicht im stande ist', den Unterhalt gewähren (§ 1454). Darüber hinaus ist er zu nichts verpflichtet: von einer Ehescheidungsstrafe, einer Entschädigung oder einer Abfindung ist nicht die Rede. Stirbt der schuldige Gatte, so hat der unschuldige Teil, obwohl sein Erbrecht weggefallen ist, gegen die Erben desselben selbst im Falle der dringendsten Not keinen Anspruch auf Fortzahlung der zu seinem Unterhalt bestimmten Geldrente. Auch büßt er jeden Unterhaltsanspruch ein, wenn er eine neue Ehe schließt. Schreitet der schuldige Teil zu einer neuen Ehe, so steht, wie wir später aus § 1483 Abs. 3 erfahren, der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten dem des neuen Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder aus der neuen Ehe nach. Man erwäge nun die Konsequenzen, welche sich aus dieser Ordnung in Verbindung mit dem schon oben besprochenen Grundsatz, daß die Vermögensauseinandersetzung im Falle der Ehescheidung schlechthin nach der gegenwärtigen Lage des ehelichen Güterrechts erfolgt, ergeben müssen. Eine gebildete Frau, die aber kein Vermögen in die Ehe eingebracht hat, wird von ihrem Manne, mit welchem sie im gesetzlichen Güterstande gelebt hat, wegen Untreue desselben geschieden; sie empfängt von dem bedeutenden Ehevermögen, dessen Wachstum ihrem Fleiße und ihrer Sparsamkeit wesentlich zu verdanken ist, keinen Pfennig; da sie sich auf Handarbeit versteht, ist sie nicht ,erwerbsunfähig' und mag nun als Näherin sich einen kümmerlichen Erwerb suchen, den dann der Mann bis zu einem ausreichenden Einkommen zu ergänzen hat; stirbt der Mann, so fällt diese Ergänzung fort, und zuletzt muß die Frau, während die Erben ihres geschiedenen Mannes sich der gesammelten Reichtümer erfreuen, aus den Mitteln der öffentlichen Armenpflege unterhalten werden! Ist das Gerechtigkeit?" Die zweite Kommission hatte demnach eine gewichtige Aufgabe vor sich, eine "gerechte" oder "gerechtere" Normierung zu gestalten.8 7 Gierke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht, S.451. 8 Die Länder Preußen, Bayern, Sachsen, Hessen und Württemberg erarbeiteten Vorschläge zur Änderung des § 1454. Gemeinsames Ziel war die Stär-
§ 3: Änderungen durch die zweite Kommission
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§ 3 Die Änderungen durch die zweite Kommission Die zweite Kommission arbeitete, wie sich aus den Protokollen ergibt,1 hauptsächlich in zwei Abschnitten, wobei man den ersten Abschnitt als "Änderung des ersten Entwurfes" (desjenigen der ersten Kommission) und den zweiten Abschnitt als "Revision des eigenen Entwurfes" (desjenigen der zweiten Kommission) bezeichnen kann. Diese revidierte Form des zweiten Entwurfs wurde dem Bundesrat alsbald nach seiner Fertigstellung im Jahre 1895 zur Beratung vorgelegt.2 Der revidierte zweite Entwurf heißt deshalb auch "Bundesratsvorlage" .3 Die §§-Nummern der Bundesratsvorlage weichen aber von den §§Nummern, die in der Revisionslesung der zweiten Kommission gebräuchlich waren, ab.4 Diese sind wiederum verschieden von den §§Nummern, die in den "Änderungsberatungen" der zweiten Kommission benutzt worden sind.s Dort wurden nämlich die Vorschriften nach der Numerierung des ersten Entwurfs diskutiert. Im folgenden wird die Entwicklung beschrieben, die verabschiedeten Anträge werden - unter Hinweis auf das genaue Stadium der Beratungen - wörtlich wiedergegeben.
1. Die Änderung des ersten Entwurfs durch die zweite Kommission Die zweite Kommission fragte nicht apriori nach einer Rangfolge der verschiedenen Unterhaltsberechtigten. Sie ging vielmehr davon aus, daß die Einkünfte des Pflichtigen für sich selbst und alle Berechtigten kung des Anspruches des geschiedenen Gatten, vor allem der geschiedenen Frau. Vgl. hierzu die "Äußerungen der Bundesregierungen zum Entwurf eines BGB", Bd. 1, S. 153 ff. und Bd.2, S. 35 u. 140. I Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, herausgegeben vom Reichs-Justizamt, Berlin 1899, Bd. VI., Vorbemerkung 1. Seite, 1. Satz. 2 LaTenz, BGB AT, § 1 11. 3 Dies ergibt sich aus den einleitenden Erläuterungen zu der "Zusammenstellung der Paragraphen des Entwurfs erster Lesung mit den Paragraphen der späteren Entwürfe und des Gesetzbuches" in den Protokollen Bd. VII, S. 1. 4 § 1562 BR-Vorlage entspricht § 1473 des revidierten zweiten Entwurfs; vgl. hierzu die Synopse bei Mugdan, Bd.4 - Familienrecht -, S. LXV, zu § 1454 E I zum einen und Protokolle, Bd. VI, S.291: "... Zu § 1473 lagen die Anträge vor: ..." zum anderen. S Z. B. Protokolle, Bd. IV, S. 515: "... Die Berathung des § 1454, ... "
1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
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nicht ausreichen könnten. Ihr Ausgangspunkt war die Mittelknappheit. Dieser Fall der Mittelknappheit wurde zunächst für das Verhältnis zwischen dem Pflichtigen selbst und dem Berechtigten (also zwischen den geschiedenen Eheleuten) geregelt. Die Beratung des § 1483 III E I wurde deshalb der Beschlußfassung über diese Frage hintangestellt. Diese Darstellung folgt der Chronologie der Beratungen. a) Anpassung und Ergänzung des § 1454 E I für den Fall der Mittelknappheit im Verhältnis Berechtigter-Verpflichteter
Wie oben bereits dargelegt normierte § 1454 E I den grundsätzlichen Unterhaltsanspruch des nicht schuldig geschiedenen Gatten gegen den anderen Teil. Gestritten wurde in der zweiten Kommission nun, nachdem man die Anspruchsvoraussetzungen erheblich zugunsten der schuldlos geschiedenen Frau geändert hatte,6 darüber, wie der Anspruch auf Alimentation im Verhältnis der geschiedenen Eheleute zueinander im Falle der Mittelknappheit, also dem Falle, daß es zum "standesmäßigen" Unterhalt beider nicht reichte - anders ausgedrückt: die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners begrenzt war -, zu gestalten sei? aa) § 1454 E I verweist auf § 1482 E 1;8 danach wäre der Geschiedenenunterhalt nur zu gewähren, wenn der Verpflichtete Geschiedenenunterhalt zahlen könnte, ohne seinen eigenen standesmäßigen Unterhalt beeinträchtigen zu müssen. bb) Es gab mehrere h~ervon abweichende Anträge,9 wovon hier nur die wichtigsten skizziert werden sollen. (X) Eine Abänderung fingierte das Fortbestehen der Ehe und postulierte folgerichtig, daß beide - ehemaligen - Ehegatten sich beschränken und sich die knappen Mittel etwa wie in einer bestehenden Ehe teilen. lO
Vgl. hierzu oben § 2, bei Fn.6 sowie gleich § 3, bei Fn. 12. Protokolle, Bd. IV, S.523. 8 Zum Text des § 1454 E I vgl. die Synopse bei Mugdan, Bd.4, S. LXV (§ 1454) und S. LXXII (§ 1482), § 1482 E I ist eine Norm des Verwandtenunterhaltsrechts des ersten Entwurfs. 9 Protokolle, Bd. IV, S. 515 ff. 10 Protokolle, Bd. IV, 5.517 (Wortlaut des Antrages), S.523 (Erläuterung der Anträge) = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.918 (Antrag) und S.922 (Erläuterungen). 6
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§ 3: Änderungen durch die zweite Kommission
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ß) Weiter wurde von anderer Seite ein Antrag gestellt, nach welchem der Alimentationsanspruch des Geschiedenen seine Grenze am "nothdürftigen Unterhalt" des Pflichtigen finden müsseY y) Ein dritter Vorschlag räumte dem Pflichtigen das Recht ein, zur Sicherung seines standesmäßigen Unterhalts "zwei Drittheile des zu seinem eigenen Unterhalte verfügbaren Betrages" zurückhalten zu dürfen. Zudem durfte hiernach der "nothdürftige Unterhalt" des Alimentationsschuldners nicht beeinträchtigt werden.12
Im Laufe der Beratungen wurde der oben unter ß) beschriebene Antrag zugunsten des unter y) erläuterten zurückgezogen, da dieser jenen umfasse und den Pflichtigen noch wirkungsvoller schützeP Gegen die harte und unflexible Rechtsfolge des § 1454 E I i. V. m. § 1482 Abs. 1 E I, daß nämlich der schuldlos geschiedene Gatte jeglichen UnterhaItsanspruch verlöre, wenn der Pflichtige einen auch nur noch so geringen Teil seines standesmäßigen - nicht etwa des notdürftigen - Unterhalts einbüßte, wandte sich die zweite Kommission einmütig,14 so daß sie sich zwischen den oben unter «) und y) beschriebenen Anträgen entscheiden mußte. 1S Die Kommission wandte sich gegen den Antrag, der ein Weiterbestehen der Ehe fingierte und deshalb Teilung selbst des notdürftigen Unterhalts vorsah. Sie hielt ihn zwar für billig, jedoch im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit für unpraktikabel. Die Praktikabilität des ,,2/3-Antrages" war es auch, was die Kommission zu dessen Annahme bewog. 16 Diese Quotelung bilde einen keineswegs willkürlichen oder mechanischen Maßstab, sie entspreche den Lebensverhältnissen.t' Einig war sich die Kommission darin, daß die Alimentationspflicht des schuldig geschiedenen Ehegatten entfalle, wenn ein unterhaltspflichtiger 11 Protokolle, Bd. IV, S.517/518 (Wortlaut des Antrages) und S.523 (Erläuterung der Anträge) = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.918 unten (Antrag) und S.922 (Erläuterungen). 12 Protokolle, Bd. IV, S.515, 516 (Wortlaut des Antrages) und S.523 (Erläuterung der Anträge) = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.917 (Antrag) und S. 922 (Erläuterung). 13 Protokolle, Bd. IV, S.524. 14 "... Der Standpunkt des Entwurfs widerspreche der Billigkeit ...", vgl. Protokolle, Bd. IV, S.524 = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S. 922. IS Vgl. Protokolle aaO. 16 Sowohl der spätere § 1578, die Grundnorm für den Geschiedenenunterhalt also, als auch die 2/3-Regelung des späteren § 1579, der in den Beratungen der zweiten Kommission entstand, sind wohl auf entsprechende Änderungsvorstellungen Bayerns zurückzuführen. Vgl. hierzu: Äußerungen der Bundesregierungen zum Entwurf eines BGB, Bd. 1, S. 155/156. 17 Protokolle, Bd. IV, S.524; Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.922.
1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
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Verwandter des anderen Teils vorhanden sei,18 Außerdem sollte in den Fällen der Mittelknappheit der Mann dann nicht unterhaltspflichtig sein, wenn sich die Frau aus ihrem Vermögensstamm ernähren konnte. 19 Im Normalfall sollte die Frau auf ihren Vermögensstamm nicht zurückgreifen müssen,20 sie mußte sich nur die Einkünfte aus ihrem Vermögen entgegenhalten lassen.21 Die von der zweiten Kommission für den Sachverhalt der Mittelknappheit zunächst beschlossenen, den Grundsatz der Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Gatten ergänzenden, Regeln lauten wie folgt: 22 "Ist der nach § 1454 zur Gewährung des Unterhalts verpflichtete Ehegatte bei Berücksichtigung seiner anderweitigen Verpflichtungen nicht im Stande, ohne Beeinträchtigung seines eigenen standesmäßigen Unterhalts dem anderen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so ist er zur Gewährung des Unterhalts nur insoweit verpflichtet, als ihm zwei Drittheile des zu seinem eigenen Unterhalte verfügbaren Betrags seiner Einkünfte verbleiben und der eigene nothdürftige Unterhalt nicht beeinträchtigt wird. Die im Abs.l bestimmte Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein zur Gewährung des Unterhalts verpflichteter Verwandter des anderen Ehegatten vorhanden ist; sie tritt für den Ehemann auch insoweit nicht ein, als die Ehefrau im Stand ist, aus ihrem eigenen Vermögen den Unterhalt zu bestreiten."23 Festzuhalten ist, daß man aus dieser Norm bereits die "Grundzüge" des § 1579 BGB erkennen kann, aufgegeben wurde wegen des "praktischen 2/3-Fixums" allerdings die Flexibilität des § 252 des Planckschen Entwurfs. Es fehlte jedoch noch der spätere § 1579 I 2 BGB, d. h. die Protokolle, Bd. IV, S.523; Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.922. Protokolle, Bd. IV, S. 524; Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.922. 20 Vgl. zunächst Fn.19; zudem Protokolle, Bd. IV, S.515 (§ 1454 Abs.l) Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S·.917. § 1454 Abs.l wurde so von der Kommission verabschiedet (Protokolle, Bd. 4, S. 520 unten) und wurde unverändert zum späteren § 1578 i. d. F. vom 18.8.1896. 21 Vgl. die unter Fn.20 genannten Fundstellen. Noch in § 251 des Planckschen Entwurfs und in § 1454 E I hatte der Berechtigte einen Unterhaltsanspruch nur dann, wenn er vermögenslos und erwerbsunfähig war. Die starke Kritik von atto von Gierke und Brie (Gutachten zum Entwurf eines BGB, 4: Familienrecht, S. 363) bewirkte wohl die "berechtigten-freundliche" Änderung im zweiten Entwurf. Vgl. zu der allgemeinen Kritik am Geschiedenenunterhaltsrecht des ersten Entwurfs oben § 2, nach Fn. 6, dort auch die Fn. 6 und 7. 22 Wortlaut aus Protokolle, Bd. IV, S.515, 516 (... § 1454 a ...) = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.917. 23 Die Regelung des Absatzes 2 Halbsatz 2 dieser Norm hat nicht etwa ein einseitiges "Männerprivileg" zum Inhalt. Eine Regelung war nämlich nur zugunsten des Mannes notwendig, da die Frau nach § 1472 11 EIl dem Manne nur dann zur Unterhaltszahlung verpflichtet war, wenn er völlig außer Stande war, sich selbst zu unterhalten. Er war also von vornherein - im Gegensatz zur Frau - dazu angehalten, auf seinen Vermögensstamm zurückzugreifen. Vgl. im übrigen Fn.20. 18 19
§ 3: Änderungen durch die zweite Kommission
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ausdrückliche Berücksichtigung der unterhaltsberechtigten minderjährigen unverheirateten Kinder und des möglicherweise vorhandenen neuen Ehegatten. Wie man etwa die "anderweitigen Verpflichtungen" der Alimentation der minderjährigen unverheirateten Kinder und des neuen Ehegatten im Verhältnis zum schuldlos geschiedenen Ehegatten berücksichtigen sollte, war nach dieser Fassung, die die §§-Nr. 1473 bekam, noch ungeklärt. Diesem Problem der Auflösung der komplexen Situation der Mittelknappheit bei mehr Beteiligten als nur den geschiedenen Eheleuten näherte sich die Kommission ausgehend vom Kriterum der Rangfolge der verschiedenen Berechtigten. Diskutiert wurde der Fall anhand der Beratungen zu § 1483 III E I. b) Die Änderung des § 1483111 E I durch die zweite Kommission
aa) § 1483 III EI § 1483 III E I postulierte den "absoluten Nachrang" des nach § 1454 EI Berechtigten. Zunächst gebührte also den minderjährigen unverheirateten Kindern und dem neuen Ehegatten standesmäßiger, zudem dem pflichtigen Ehegatten - wegen der oben a) beschriebenen Regel- notdürftiger Unterhalt, bevor der aus § 1454 Berechtigte etwas bekam.24 bb) Abänderungsanträge a) Nach einem Abänderungsantrag gebührte den minderjährigen unverheirateten Kindern und dem neuen Ehegatten ein "relativer Unterhaltsprimat" . Die genannten Berechtigten - sowie der Pflichtige selbst - sollten zunächst den notdürftigen Unterhalt bekommen. Hinsichtlich ihres Differenzanspruchs zum standesmäßigen Unterhalt hin galt Gleichrang mit dem Anspruch auf - standesmäßigen - Unterhalt des aus § 1454 Berechtigten, des schuldlos geschiedenen Bedürftigen.25
ß) Ein weiterer Antrag behandelte die UnterhaItsansprüche aller Berechtigten gleich, ohne nach standesmäßigem und notdürftigem Unterhalt zu unterscheiden.26 Zum Wortlaut vgl. oben § 2, nach Fn.2, dort auch Fn. 1. Wortlaut dieses Änderungsantrags: "Der Unterhaltsanspruch des neuen Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder geht dem Unterhaltsanspruche des geschiedenen Ehegatten vor, soweit er auf den nothdürftigen Unterhalt geht, im Uebrigen stehen die Unterhalts ansprüche einander gleich." Vgl. Protokolle, Bd. IV, S.530 = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.923. 26 Wortlaut dieses Änderungsantrags: "Dem Unterhaltsanspruche des Ehe24
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1.
Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
Dem hier unter a) genannten Antrag bescheinigte die Kommission zu große Komplexität.27 Den § 1483 E I lehnte sie ab, weil er den berechtigten geschiedenen Ehegatten, insbesondere, wenn die Frau der unschuldige Teil sei, sehr schlecht stelle. Der Mann könne für seine neuen Familienangehörigen den standesmäßigen, zudem für sich selbst den notdürftigen Unterhalt zurückbehalten und erreiche damit praktisch die Sicherung seines standesmäßigen Unterhalts, wohingegen die geschiedene Frau u. U. gar nichts bekomme. Dies alles, obwohl der neue Ehegatte häufig an der Scheidung schuld sei,28 und er doch immer wissen müsse, daß sein Gatte dem unschuldig Geschiedenen zur Alimentation verpflichtet sei.29 Unter Berücksichtigung all dieser Argumente kam die Kommission zur Billigung des hier unter ß) erläuterten Antrags und damit zu einer der seltenen positiven (i. S. v. ausdrücklichen) Regelungen in der Geschichte des Rangproblems.30 Zu bemerken ist unter dem Gesichtspunkt der "Geschichte der Argumente", daß die beiden letztgenannten Erwägungen, Schuld des neuen Ehegatten am Zerbrechen der Altehe zum einen und das Hypothekenargument zum anderen, hier, nämlich in der ersten Lesung der zweiten Kommission, zum ersten Mal auftauchen. Neu hieran ist vor allem, daß dies keine Billigkeitsargumente sind, die die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien, sondern deren Verhalten im "sittlich-moralischen Kontext" zum Gegenstand haben. Diese Argumente spielen in der Reformdiskussion und auch heute eine große Rolle.31 Der verabschiedete Antrag - positive Regelung des Gleichrangs der Unterhaltsansprüche der Berechtigten schuldlos geschiedener Gatte, neuer Gatte, minderjährige unverheiratete Kinder - fand mit aus regatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder aus einer neuen Ehe des schuldigen Ehegatten steht kein Vorrecht zu vor dem Unterhaltsanspruche des geschiedenen Ehegatten." Vgl. Protokolle, Bd. IV, S.530 u. 518 = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.923 u. S. 918 ganz unten. 27 Protokolle, aaO, S.531. 28 Dieses Argument wird später vor allem von Bosch zur Begründung des Unterhaltsvorrangs des schuldlos Geschiedenen zunächst de le ferenda (Familienrechtsreform [1952], S.52) und später auch de lege lata, dann allerdings bereits in Kombination mit der Argumentation aus Art. 6 GG, ins Feld geführt (Neue Rechtsordnung in Ehe und Familie [1954], S.62). 29 So auch heute noch, obwohl nicht mehr nur der schuldlos Geschiedene einen Unterhaltsanspruch hat, für alle Fälle der Mittelknappheit MünchKomm-Richter, RdNr. 10 zu § 1582. 30 Protokolle, Bd. IV, S.531 = Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S.923. 31 Vgl. Fn.28 und 29.
§ 3: Änderungen durch die zweite Kommission
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daktionellen Gründen verändertem Wortlaut Eingang in den den Verwandtenunterhalt regelnden § 1504 Abs. 2 des unrevidierten zweiten Entwurfs. § 1504 Abs. 2 E II lautete:32 "Der Unterhalts anspruch des Ehegatten steht dem Unterhaltsanspruche eines minderjährigen unverheiratheten Kindes gleich; er geht dem Unterhaltsanspruche eines anderen Kindes und eines anderen Verwandten vor. Das Gleiche gilt von dem Unterhaltsanspruche eines geschiedenen Ehegatten sowie eines Ehegatten, der nach § 1484 unterhaltsberechtigt ist." c) Das Zusammenspiel von §§ 1473 I 1 und 1504 11 2 E 11 unrevidiert
Aus § 1504 II E II unrevidiert ergibt sich durch die Gleichstellung des geschiedenen Ehegatten mit dem neuen Ehegatten im Hinblick auf die minderjährigen unverheirateten Kinder der Gleichrang aller Beteiligten untereinander. Aus dem Postulat des Gleichrangs all dieser Berechtigten folgt zwingend, daß im Rahmen der oben unter a) gefundenen Regelung (§ 1473 11 E II unrevidiert) bei der Bemessung des Geschiedenenunterhalts nicht nur die Bedürfnisse der ehemaligen Eheleute, sondern auch die des neuen Gatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder berücksichtigt werden müssen, und zwar im gleichen Range wie die Bedürfnisse des Geschiedenen. Alle sind gleich zu behandeln. Prakt!sch wäre dies darauf hinausgelaufen, daß der Pflichtige gern. § 1473 I E II unrevidiert zunächst seinen notdürftigen Unterhalt zurückgehalten hätte und sodann den verschiedenen gleichrangig Berechtigten ihren standesmäßigen - allerdings durch denselben Quotienten erheblich gekürzten - Unterhalt geleistet hätte. Inhalt der Gleichrangl'egel des § 1504 Abs. 2 E II unrevidiert in Verbindung mit § 1473 I E I unrevidiert wäre also eine gleichmäßige Kürzung der Ansprüche der gleichrangig Berechtigten gewesen, nachdem dem Verpflichteten der notdürftige Unterhalt belassen worden wäre.33 2. Die Revision der §§ 1473 I; 150411 2 des zweiten Entwurfs durch die zweite Kommission selbst Die bisher gefundene Regelung, die sich aus den §§ 1473 I E II; 1504 II 2 EIl ergab, hatte in der "Revisionslesung" der zweiten Kommission keinen Bestand. Vgl. die Synopse bei Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S. LXXII. Die 2/3-Regelung wäre in Fällen der Mittelknappheit bei mehr als zwei Beteiligten so gut wie nie zum Zuge gekommen. Der Verpflichtete hätte bei Berücksichtigung all seiner Verpflichtungen niemals einen Betrag zur Verfügung gehabt, wovon 2/3 eine höhere Summe ergeben hätten als sein notdürftiger Unterhalt betrug. 32
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1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
V1ielfältige Abänderungsanträge wurden gestellt,34 teils mit der Absicht, inhaltlich zu ändern, teils mit dem Ziel, die oben 1. c) skizzierte Regelung zu verdeutlichen. a) Die Abänderungsanträge mit dem Ziel, "klare Verhältnisse zu schaffen" Drei Abänderungsanträge wollten offensichtlich "klare Verhältnisse schaffen" .35 aal Ein Antrag36 verband eine äußerst komplizierte Rechenanweisung mit der Normierung des Gleichrangs von Pflichtigem, minderjährigem unverheiratetem Kind und neuem Ehegatten hinsichtlich des notdürftigen Unterhalts. Erstens dadurch, daß der Pflichtige gegenüber dem geschiedenen Gatten seinen notdürftigen Unterhalt immer zurückbehalten durfte, und zweitens dadurch, daß der in § 1504 11 2 E I normierte Gleichrang des geschiedenen Ehegatten mit den minderjährigen unverheirateten Kindern und dem neuen Gatten durch eine entsprechende Änderung des § 1504 11 2 beseitigt werden sollte, hätte dieser Antrag bewirkt, daß Pflichtiger, neuer Ehegatte und minderjährige unverheiratete Kinder vorrangig mit notdürftigem Unterhalt versorgt worden wären. Der geschiedene Gatte hätte danach u. U. (z. B. bei großer Kinderzahl) gar nichts bzw. einen kleinen Restbetrag erhalten. bb) Ein weiterer Antrag31 (genauer: eine Kombination aus zwei Anträgen) wollte dem Pflichtigen das Recht verschaffen, seinen notdürftigen 34 Protokolle, Bd. VI, S. 291 (Prot.424, XVII. 1.-6.) = Mugdan, Bd.4, FamiIienrecht, S'. 923. 35 Protokolle aaO (Prot. 424, XVII. Anträge 2. a u. b, 3. u. 4., 5.) = Mugdan aaO. 36 FundsteIle wie Fn.35. Wortlaut der Anträge 2. a u. b): ,,2. a) dem Abs. 1 hinzuzufügen:" - gemeint ist Abs. 1 von § 1473 E I. "Hat der allein schuldig erklärte Gatte einem minderjährigen unverheiratethen Kinde oder in Folge seiner Wiederverheirathung dem neuen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so gilt als zu seinem Unterhalte verfügbar die Hälfte der für ihn und das Kind oder den neuen Ehegatten verfügbaren Einkünfte. Der nothdürftige Unterhalt des Kindes oder des neuen Ehegatten steht dem nothdürftigen Unterhalte des Verpflichteten gleich. b) In § 1504 den Satz 2 d. Abs. 2 zu fassen: Der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten oder eines Ehegatten, der nach § 1484 unterhaltsberechtigt ist, geht den Unterhaltsanspruchen eines volljährigen oder verheiratheten Kindes und eines nicht zu den Kindern gehörenden Verwandten vor." 37 FundsteIle wie Fn.34. Wortlaut der Anträge 3. u. 4.: ,,3. dem § 1473 Abs.1 hinzuzufügen: Hat er auch einem minderjährigen unverheiratheten Kinde oder einem neuen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so kann er außerdem so viel zurückbehalten, als dazu erforderlich ist, um den Unterhaltsanspruch des Kindes oder des neuen Ehegatten in dem gleichen Verhältnisse wie den des geschiedenen Ehegatten zu berichtigen. 4. Für den Fall der Annahme der unter 3. vorgeschlagenen Fassung statt
§ 3: Änderungen durch die zweite Kommission
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Unterhalt zurückzuhalten. Mit dem Resteinkommen sollte er die Unterhaltsansprüche des neuen und geschiedenen Gatten und die des minderjährigen unverheirateten Kindes im "gleichen Verhältnisse berichtigen". Das, was nach hier vertretener Auffassung38 nach §§ 1473 I E 11 i. V. m. 1504 11 2 EIl ohnehin Regelergebnis war, sollte klar herausgestellt und der Wortlaut des § 1473 I in diesem Sinne eindeutig werden. ce) Nach einem dritten Antrag39 sollte der durch § 150411 2 E 11 unrevidiert hergestellte Gleichrang des geschiedenen Ehegatten mit dem neuen und den minderjährigen unverheirateten Kindern wieder abgeschafft werden. Der geschiedene Ehegatte sollte eine Rangstelle zwischen dem neuen Ehegatten und den minderjährigen unverheirateten Kindern einerseits und den anderen Kindern und Verwandten andererseits einnehmen. Diese Regelung hätte denselben Inhalt gehabt wie der frühere § 1483 111 E 1,40 also einen Vorrang des "aktuellen" Gatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder vor dem geschiedenen Gatten. Diese drei dargestellten Anträge wollten die Konkurrenzsituation bei Mittelknappheit entscheiden. Bei aller Komplexität der Berechnung z. B. des unter aa) vorgestellten Antrages hätte es Ermessenspielräume des Richters nicht gegeben. Er hätte nur richtig rechnen müssen. b) Entscheidung der Kommission
Obwohl sich die Kommission dagegen wehrte, die Rangfrage von Wissenschaft und Praxis beantworten zu lassen, "weil das Gesetz sonst eine Lücke aufweisen würde"41 lehnte sie doch die oben gezeigten, klare Ergebnisse beabsichtigenden, Anträge ab, denn "eine solche alle Fälle umfassende gute Regel müsse nothwendiger Weise zu Komplikationen führen, die besser zu vermeiden seien."42 ,außerdem' zu sagen außer dem zu seinem eigenen nothdürftigen Unterhalt Erforderlichen." 38 Vgl. oben, vor Fn.33. 39 FundsteIle wie Fn.34. Wortlaut des Antrages 5.: ,,5. als § 1504 Abs.2 Satz 2 zu bestimmen: Der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Gatten sowie eines Ehegatten, der nach § 1484 unterhaltsberechtigt ist, steht dem Unterhaltsanspruch eines minderjährigen unverheirateten Kindes nach; er geht dem Unterhaltsanspruch eines anderen Kindes und eines anderen Verwandten vor." Daß der geschiedene Gatte auch dem neuen Gatten nachgeht, ergibt sich aus § 150411 1, wonach der neue Ehegatte den minderjährigen unverheirateten Kindern gleichsteht. Der neue Ehegatte wird in Satz 1 der Regelung den Kindern gleichgestellt, der geschiedene Ehegatte wird ihnen in Satz 2 der Norm rangmäßig nachgeordnet. 40 Vgl. oben § 2, nach Fn. 1. 41 Protokolle, Bd. VI, S.292 Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S. 924. 42 Wie Fn.41 u. 34.
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Ob die Kommission mit "Komplikationen" Rechenschwierigkeiten oder unbillige Ergebnisse meinte, kann nicht geklärt werden. Jedenfalls verabschiedete sie einen Antrag, der dem Richter die Freiheit ließ, "Recht vor Gesetz (im Sinne einer positiven und unverrückbaren Norm) gehen zu lassen". Der Antrag lautete: 43 .. 6. dem § 1473 Abs. 1 hinzuzufügen: Hat der allein für schuldig erklärte Ehegatte einem minderjährigen unverheirateten Kinde oder in Folge seiner Wiederverheirathung dem neuen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so ist dem geschiedenen Ehegatten der Betrag zuzuweisen, der mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Betheiligten der Billigkeit entspricht." Neben den befürchteten "Komplikationen" führten die Revisoren für diese Regelung weitere Argumente ins Feld: 44 Die einzelnen Fälle lägen sehr verschieden und eigneten sich deshalb "zur Entscheidung durch eine feste Regel nicht". Das richterliche Ermessen brauche einen gewissen Spielraum, nur dann hätte man eine angemessene Regelung. Einzelfallgerechtigkeit schaffe nur Antrag 6, der die Rücksicht auf die Bedürfnisse aller Beteiligten bei der Kürzung des Anspruches des geschiedenen Gatten als Kriterium heranzieht. Mit der Annahme dieses "Billigkeitsantrages" , dem redaktionellsprachlichen Umbau des § 1473 I 1 E II unrevidiert und der Streichung der Gleichrangregel in § 1504 II 2 E II unrevidiert,45 die wegen der Einführung der Billigkeitsregel von der Kommission als "naturgemäße Änderung"46 begriffen wurde, hat das Rangproblem hier seine einstweilen endgültige Normierung gefunden.
FundsteIle wie Fn. 34, dort Antrag 6. FundsteIle wie Fn.41. 45 Vgl. oben, nach Fn.32. 46 Daß eine positive Gleichrangregel die Funktionsfähigkeit einer Billigkeitsnorm beeinträchtigen würde, ist einleuchtend. Zum Wortlaut des Änderungsantrages vgl. die FundsteIle bei Fn.28. übrigens wird durch diese Änderung auch klar, daß § 150411 2 E 11 unrevidiert nicht dieselbe Regelung enthielt wie der hinzugefügte § 1473 12 E 11 revidiert. Der neue § 1473 I 2 E 11 enthält eine Billigkeitsregelung, der alte § 150411 2 E 11 unrevidiert enthielt eine klare Gleichrangregel. Insoweit unzutreffend Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S. LXV (Synopse zu § 1454 EI). 43
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§ 5: Zusammenfassung der Gesetzgebungsdiskussion
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§ 4 Der von Änderungen verschonte Restweg his zu § 1579 BGB a. F. ,,§ 1473 EIl revidiert" wurde inhaltlich unverändert zu § 1562 der Bundesratsvorlage, zu § 1560 der Reichstagsvorlage und endlich zu § 1579 des BGB vom 18.8. 1896.1
,,§ 1504 E II revidic;!rt" erfuhr ebenfalls keine die hier interessierende Rangfrage beeinflussende Änderung mehr und wurde über § 1589 der Bundesratsvorlage und § 1578 der Reichstagsvorlage zu § 1609 BGB i. d. F. v. 18.8. 1896.2
§ 5 Zusammenfassung der Diskussion des / der Gesetzgeher(s) 1. Das Rangproblem im Falle der Mittelknappheit wurde gesehen und sollte durch das Gesetz und nicht durch Wissenschaft und Praxis gelöst werden. 1 Geschaffen wurde § 1579 BGB, der eine Billigkeitsregelung, ähnlich wie bereits § 252 des Planck'schen Entwurfes, vorsieht.
2. Im Laufe des Verfahrens sollten im wesentlichen einmal der neue Ehegatte und die minderjährigen unverheirateten Kinder Vorrang vor dem geschiedenen Ehegatten genießen,2 ein andermal sollten all diese Beteiligten gleichrangig unterhaltsberechtigt sein.3 3. Diese beiden Vorschläge einer positiven Regelung des Rangverhältnisses wurden in der Revisionsberatung der zweiten Kommission nochmals in der Form von Änderungsanträgen eingebracht.4 Die Kommission entschied sich jedoch im Hinblick auf die Einzelfallgerechtigkeit gegen jede positive Regelung des Rangverhältnisses und für die Billigkeitsnorm.5 1 Vgl. Protokolle, Bd. VII, Register, Zusammenstellung der Paragraphen der Entwürfe und des Gesetzbuches S.38 u. 39 unter §§ 1454 (S. 38) und 1483 (S.39) jeweils in der 1. Spalte I. = E I; ferner die Synopse bei Mugdan, Bd.4, Familienrecht, S. LXXII (Entwicklung d. § 1483 E I) und S. LXV (Entwicklung des § 1454 EI). 2 Da man die Norm über die Rangfolge beim Verwandtenunterhalt und die Norm über die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen beim Geschiedenenunterhalt immer zusammen lesen muß, gelten hier dieselben Fundstellen als Nachweis wie bei Fn. 1. 1 Vgl. oben § 3, vor Fn.41. 2 So § 1483 111 E I. 3 So § 150411 S. 1 i. V. m. S. 2 E 11 unrevidiert. 4 Vgl. oben § 3, nach Fn. 36 und nach Fn.37. 5 Wie Fn.4.
1. Kap.: Entstehung des § 1579 BGB a. F.
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4. Eine Vorrangstellung des geschiedenen Ehegatten wurde, soweit ersichtlich, zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen. 5. Eine Billigkeitsregelung wurde fast immer deshalb als wünschenswert erachtet, weil sie die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten ermöglichte. 6. Nur ein einziges Mal, als es nämlich darum ging, den Nachrang des geschiedenen Ehegatten in § 1483 III E I zu beseitigen und ihn mit dem neuen Ehegatten und den minderjährigen unverheirateten Kindern gleichzustellen, wurden moralisch-sittliche Erwägungen wie die, daß der neue Ehegatte des Pflichtigen häufig an der Scheidung Mitschuld trage, laut.6
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Vgl. § 3, bei Fn.28 und Fn.28 selbst.
Zweites Kapitel
Der Mangelfall in Literatur und Rechtsprechung bis zum Jahre 1938 § 6 Das Regelungsprogramm des § 1579 BGB a. F. 1. Die Grundregel des § 1579 I 1 Die Grundregel des § 1579 I 1 betrifft den Fall der Mittelknappheit im Verhältnis nur zweier Beteiligter, nämlich der ehemaligen Eheleute, zueinander. Die Vorschrift regelt den Einfluß verminderten Leistungsfähigkeit des Pflichtigen auf den "eigentlichen" Anspruch des Berechtigten auf "standesgemäßen Unterhalt" gern. § 1578 BGB. § 1579 I 1 setzt also die jeweilige, regelmäßig verminderte Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Gatten fest. Soweit danach der standesgemäße Unterhalt des Pflichtigen bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen! gefährdet ist, kann er zwei Drittel seiner Einkünfte, mindestens aber den zur Deckung des notdürftigen Unterhalts notwendigen Betrag zurückbehalten. Die Zwei-Drittel-Regel, deren Vorbild art. 301 Code civil gewesen ist,2 war umständlich3 und wurde später abgeschafft.4 Auch im direkten Verhältnis der ehemaligen Gatten wurde der Unterhalt dann nach Billigkeit festgesetzt.
! Vg!. hierzu i. e. Planck / Unzner (4. Auf!.), Anm.6 zu § 1579 und die Erläuterungen zu § 1603. 2 Opet / v. Blume, Anm. 1 a) zu § 1579. 3 Rechenbeispiele finden sich bei RGRK-Erler (7. Auf!.), Anm.6 zu § 1579; Neumann (6. Aufl.) , Anm. 1 b) zu § 1579; Staudinger / Engelmann (7./8. Auf!.) Anm.1 a) zu § 1579; Goldmann / Lilienthal, S.93 - dort Fn.17); Davidson, Anm.1 zu § 1579; Schmidt / Hedemann / Fuchs, Anm.2 d), r), otot), ßß) zu § 1579; Kuhlenbeck (2. Aufl.), Anm.2 zu § 1579; Planck / Unzner (4. Auf!.), Anm. 1 zu § 1579; Cosack / Mitteis (7. u. 8. Aufl.), V. § 44111.3 h). 4 Amtliche Begründung des EheG 1938 in DJ 1938, 1102 ff. (1111).
2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938
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2. § 1579 11 als Ausnahme von § 1578 § 1579 II beschreibt eine Ausnahme von § 1578. Aus § 1578 Ir ergibt sich, daß der unterhaltsberechtigte Mann von der Frau nur dann Alimentation verlangen konnte, wenn er außerstande war, sich selbst zu ernähren. Er mußte also zunächst auch den Stamm seines Vermögens verwerten. Die berechtigte Frau hingegen mußte sich gem. § 1578 I nur die Einkünfte aus dem Vermögen anrechnen lassen. Eine weitergehende Vermögensverwertungspflicht hatte sie nicht.
Für den Fall der mangelnden Leistungsfähigkeit des pflichtigen Mannes zwingt § 1579 Ir die Frau nun doch dazu, ihr Stammkapital anzugreifen. Das bedeutet aber nicht, daß der Mann von seiner Unterhaltspflicht ganz befreit ist, solange die Frau den Unterhalt aus dem Stamm ihres Vermögens bestreiten kann. Nach der teleologischen Reduktion des Wortlauts des 1579 II durch das ReichsgerichtS ist die schuldlos geschiedene Frau nicht darauf verwiesen, ihr Stammvermögen in jeder noch so unwirtschaftlichen Weise hinzugeben, nur damit der schuldige Ehemann von seiner Unterhaltsleistung frei bleibe. § 1579 II setze vielmehr eine solche Verwertbarkeit des StammV'ermögens der Frau zu ihrem Unterhalte voraus, die sich wirtschaftlich rechtfertigen lasse und nicht die dauernde Sicherung ihres Unterhalts in Zweifel stelle.6 3. § 1579 I 2 als Kernvorschrift für MangeIfällej Voraussetzungen der Anwendbarkeit § 1579 I 2 betrifft den Fall, in dem der Pflichtige nicht nur seinem geschiedenen Ehegatten, sondern auch seinem neuen Ehegatten und/oder seinen minderjährigen unverheirateten Kindern Unterhalt schuldet, obwohl seine Leistungsfähigkeit wegen dieser und anderer Verpflichtungen eingeschränkt ist. § 1579 12 ist demnach der Kern der Vorschrift über die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen, wegen der Miteinbeziehung weiterer Unterhaltsberechtigter liegt hier der "Sitz" des Rangproblems. § 1579 I 2 betrifft genau wie § 1579 I 1 die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Bei verminderter Leistungsfähigkeit muß der Pflichtige weniger zahlen als er nach § 1578 "eigentlich" schuldet, also weniger als den standesgemäßen Unterhalt. Die Billigkeitsentscheidung, die nach § 1579 I 2 vorzunehmen ist, kann demnach nie dazu führen, daß der Berechtigte mehr als den standesgemäßen Unterhalt bekommt, wäre dieses "Mehr" auch noch so billig. RGZ 97,276 ff. Für das heutige Recht vgl. § 1577 III für den Berechtigten und § 1581 S.2 für den Pflichtigen. 5
6
§ 6: Regelungsprogramm des § 1579 BGB a. F.
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Im Gegensatz zu § 1579 I 1 sind im Falle des § 1579 I 2 nicht nur zwei Personen, nämlich Berechtigter und Pflichtiger als Anspruchsteller und Anspruchsgegner, betroffen, sondern u. U. sehr viele Personen, nämlich alle minderjährigen und unverheirateten Kinder des Pflichtigen, unterhaltsberechtigt gem. §§ 1601 ff., und auch der neue Ehegatte des Pflichtigen, unterhaltsberechtigt gem. § 1360. Unmittelbar hat § 1579 12 jedoch nur zur Folge, daß die Höhe der Summe, die der Pflichtige an den Berechtigten zu zahlen hat, festgesetzt wird. a) Drohende Ansprüche der weiteren Berechtigten
Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 1579 I 2 sind: Der Pflichtige muß nicht nur dem Berechtigten unterhaltspflichtig sein, sondern auch anderen in § 1579 I 2 genannten Personen. Solche Personen sind entweder der neue Ehegatte des Pflichtigen und/oder? dessen minderjährige unverheiratete Kinder. Häufig wird die Situation gegeben sein, daß sowohl ein neuer Ehegatte als auch minderjährige unverheiratete Kinder existieren. Die minderjährigen unverheirateten Kinder des Pflichtigen können Kinder von dessen altem oder neuem Ehegatten sein8 • Nichteheliche Kinder des Pflichtigen sind aber keine Kinder i. S. d. § 1579 I 29 , ihre Unterhaltsansprüche sind "sonstige Verpflichtungen" i. S. d. § 1579 11, die ja jedenfalls - auch bei der Billigkeitsentscheidung nach S. 2 - zu berücksichtigen sind, wenn es auch interessant und ungeklärt ist, wie die Konfliktsituationen beim Zusammentreffen der Unterhalts anspruche aller denkbaren Beteiligten einschließlich der unehelichen Kinder bewältigt wurde. 1o 7 Die Wiederheirat ist keine kumulative, sondern eine alternative Voraussetzung, vgl. Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm. 12 zu § 1579. 8 Planck / Unzner aaO. 9 Staudinger / Engelmann (7./8. Aufl.), Anm. 1 b) 8) zu § 1579; OLG Rostock, SeuffArch. Nr.220 = S.407; a. A. betr. das uneheliche Kind der pflichtigen Frau Planck / Unzner aaO. 10 Die Entscheidung OLG Rostock SeuffArch. 70, Nr. 220 = S. 407 betraf den folgenden Sachverhalt: ein unselbständiger Schneider mit einem Jahresverdienst von 1500 M wird von seiner ehemaligen Frau, von der er schuldig geschieden wurde, auf Unterhalt verklagt. Der Schneider lebt bei der Mutter (keine neue Ehe!) seiner fünf unehelichen Kinder. Das OLG entschied, daß die Ansprüche der unehelichen Kinder genau wie andere Verpflichtungen i. S. d. § 1579 I 1 nur abgemindert befriedigt werden könnten. Leider ist dies nicht die im Text angedeutete komplexere Lage. Allerdings sagt das Gericht auch, daß der Unterhaltsanspruch der unehelichen Kinder gem. § 1708 I BGB a. F. unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Vaters ist und daß die geschiedene Frau kein Vorrecht gem. § 1609 BGB vor den unehelichen Kindern hat. Insoweit scheinen die unehelichen Kinder des pflichtigen Mannes materiell sogar besser ausgestattet zu sein als die übrigen Beteiligten. "Sonstige Verpflichtungen" i. S. d. § 1579 I 1 sind eben unflexiblere Posten als "die wirtschaftlichen Verhältnisse und Bedürfnisse der sämtlichen Beteiligten" nach § 1579 I2.
4 M. Schmitt
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2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938
Nach einhelliger Auffassung ist es allerdings nicht ausreichend, daß der Pflichtige den genannten Beteiligten den Unterhalt abstrakt schuldet, d. h. daß der Anspruch lediglich existiert. Vielmehr muß der Pflichtige dem Kind und/oder der neuen Frau den Unterhalt tatsächlich gewähren oder zu gewärtigen haben, demnächst in Anspruch genommen zu werden. Das letztere ist allerdings auch ausreichendY So konnte vermieden werden, daß zunächst eine Entscheidung gem. § 1579 I 1 getroffen wurde, deren Änderung gem. §§ 323 ZPO; 1579 I 2 BGB kurze Zeit später notwendig geworden wäre. b) Gefährdung des standesgemäßen Unterhalts des Pflichtigen
§ 1579 I 2 ist aber nicht schon dann anwendbar, wenn die Unterhaltsansprüche der dort genannten Personen drohen, sondern auch nur unter der zusätzlichen in Satz 1 genannten Voraussetzung, daß der Pflichti ge infolge der Mehrfachbelastungen seinen eigenen standesgemäßen Unterhalt gefährdetP Ist dies nicht der Fall, muß er allen unverkürzt das zahlen, was ihnen zusteht, also regelmäßig auch standesgemäßen Unterhalt. Diese Voraussetzung der Gefährdung des standesgemäßen Unterhalts stellt klar, daß § 1579 I 2 nur die Situation der verminderten Leistungsfähigkeit des Schuldners meint. Wenn der Pflichtige nach Erfüllung aller Pflichten dem Berechtigten ohne Gefährdung seines eigenen standesgemäßen Unterhalts noch etwas leisten kann, mag dieser Betrag auch unter dem standesgemäßen Unterhalt liegen, muß er dies auch, gem. § 1578 BGB, tun. § 1579 12 kann dann aber die Verpflichtung bewirken, einen Mehrbetrag zu zahlen,13 den Pflichtigen also zwingen, seinen standesgemäßen Unterhalt zu beschneiden, kurz: künftig "etwas" bescheidener zu leben.
11 Vg!. die Leitentscheidung des Reichsgerichts RGZ 72, 199 (202) = RG JW 1910, 14 ff. = RG Warneyer 1910, 157; vg!. auch Staudinger / Engelmann (7./8. Aufl.) , Anm. 1 a) IX) zu § 1579; Goldmann / LilienthaI, S.93 - dort Anm.21); Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm.10 zu § 1579; Warneyer (6. Auf!.), Anm.1O zu § 1579; RGRK-Erler (7. Aufl.) , Anm.7 zu § 1579. 12 Einhellige Meinung: z. B. RG, LZ 1917, 1255 = Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 = S.332; RGZ 101, 206; RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1914, Nr.256; vg!. auch für viele Neumann (6. Auf!.), Anm. 1 c) zu § 1579 und Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm.9 zu § 1579. 13 RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 = S.332.
§ 7: Der typische Interessenkonflikt
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§ 7 Die typische Situation - die Auflösung des Interessenkonflikts der bedürftigen Beteiligten 1. Die typische Situation
Der gem. § 1578 "eigentlich" Pflichtige befindet sich bei dem durch § 1579 I 2 geregelten Fall etwa in folgender Lage: -
Zunächst hat er Verpflichtungen gegenüber irgendwelchen Gläubigern: Banken, Bauunternehmern, Konsumgüterverkäufern u. ä. m.
-
Weiter hat er eigenen Bedarf: er benötigt Mittel, um seinen eigenen standesgemäßen Unterhalt decken zu können.
-
Hierzu kommt der Unterhaltsanspruch des von ihm geschiedenen Ehegatten.
-
Außerdem ist der Mann, wenn er wieder geheiratet hat, was zumindest heute der Regelfall ist,l seiner neuen Frau gem. § 1360 BGB zum Unterhalt verpflichtet.
-
Hat der Pflichtige unverheiratete minderjährige Kinder, muß er auch diesen Unterhalt gewähren, §§ 1601 ff. BGB.
-
Es ist auch nicht von vornherein undenkbar, daß der Pflichtige auch noch sonstigen Verwandten, etwa seinen Eltern oder verheirateten oder erwachsenen Kindern oder Enkeln, unterhaltspflichtig ist.
schuldlos -
Bedenkt man all diese Möglichkeiten "kostenintensiver" Verpflichtungen, ist es von vornherein nicht nur plausibel, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Mittel des Pflichtigen häufig nicht ausreichen, um allen Ansprüchen gerecht zu werden. 2. Die Notwendigkeit, diesen Interessenkonflikt aufzulösen Theoretisch wäre es möglich gewesen, eine klare Rangfolge der Ansprüche, insbesondere der Unterhaltsansprüche, aufzustellen. Der Gesetzgeber ist dieser Idee nicht gefolgt, jedenfalls nicht in dem hier zur Diskussion stehenden Hauptfall, sondern forderte in § 1579 I 2 eine Billigkei tsentscheidung. Auszuscheiden sind zunächst nur die Unterhaltsansprüche der nicht in § 1579 I 2 genannten Verwandten. Diese Unterhaltsansprüche sind ohnehin nur theoretischer Natur. Aus § 1603 ergibt sich nämlich, daß eine 1 Während der Gesetzgebungsarbeiten zum 1. EheRG wurde ermittelt, daß 84 Ofo der geschiedenen Männer wieder heiraten. Vgl. BTDrucks.7/650, S. 142, i. e. auch unten § 18, Fn. 59.
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2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938
Unterhaltspflicht gar nicht besteht, wenn der Pflichtige durch Unterhaltsgewährung seinen eigenen standesgemäßen Unterhalt gefährdete,2 was aber bei der Konstellation des § 1579 I 2 immer der Fall, weil gerade Voraussetzung ist. Aber auch allein deshalb, weil z. B. Enkel, Eltern oder verheiratete bzw.erwachsene Kinder in § 1579 I 2 nicht genannt sind, gehen ihnen die dort genannten Verwandten und der neue Ehegatte jedenfalls vor. Natürlich geht ihnen auch der geschiedene berechtigte Ehegatte vor, denn um die Bemessung seines Unterhalts anspruchs geht es ja in § 1579 I 2, und gerade hierbei dürfen die "Ansprüche" der dort nicht genannten Verwandten keine Rolle spielen. Dann kann für sie aber auch nichts übrigbleiben. Das aufgrund der obigen Erwägungen zwingende Ergebnis wird in
§ 1609 BGB, der Rangregelung, die das BGB von Anfang an enthielt, positiv angeordnet. Gern. § 1609 11 1 stehen der (gegenwärtige) Ehegatte
und die minderjährigen unverheirateten Kinder auf derselben Rangstufe, den anderen Verwandten und Kindern geht der (gegenwärtige) Ehegatte vor. Auch hieraus ergibt sich übrigens logisch zwingend, daß die minderjährigen unverheirateten Kinder im Verhältnis zu den "anderen" Kindern "bevorzugt" unterhaltsberechtigt sind. Die bevorzugte Stellung der minderjährigen unverheirateten Kinder im Verhältnis zu anderen Kindern ergibt sich schon aus § 1603 11, der die Eltern zwingt, mit jenen auch in den Fällen der Mittelknappheit eben die knappen Mittel zu teilen. In § 1602 11 2 ist angeordnet, daß auch der geschiedene Ehegatte den anderen Verwandten und den verheirateten oder volljährigen Kindern vorgehe. Gern. § 160911 ist also klar, daß sowohl der gegenwärtige (neue) Ehegatte und die minderjährigen unverheirateten Kinder als auch der geschiedene Ehegatte den übrigen Kindern und Verwandten vorgehen. Weiter steht fest, daß der neue Ehegatte und die minderjährigen unverheirateten Kinder gleichbehandelt werden. über das Rangverhältnis von neuem Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern einerseits und geschiedenem Ehegatten andererseits sagt § 1609 11 aber gerade nichts. Man könnte nun aus der Tatsache, daß § 1609 11 2 nur einen Vorrang des geschiedenen Gatten vor den übrigen Verwandten und Kindern vorschreibt, § 1609 11 1 hingegen für den neuen Ehegatten nicht nur jenen Vorrang, sondern zudem den Gleichrang mit den minderjährigen unverheirateten Kindern postuliert, im Wege des Umkehrschlusses folgern, 2 Gerade das ist bei minderjährigen unverheirateten Kindern und Ehegatten - und das sind auch die gern. § 1579 12 Betroffenen - anders. Im Verhältnis zu diesen Personen hat der Pflichtige gesteigerte Unterhaltspflichten. Vgl. i. e. unten § 20, nach Fn.43.
§ 7: Der typische Interessenkonflikt
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daß dann eben ein solcher Gleichrang zwischen geschiedenem Ehegatten einerseits und unverheirateten minderjährigen Kindern (und somit auch dem gegenwärtigen Ehegatten) andererseits nicht bestehe. Der geschiedene Ehegatte hätte dann eine Rangstelle zwischen den Vorrangigen (die minderjährigen unverheirateten Kinder und der gegenwärtige Ehegatte) und den Nachrangigen (die anderen Verwandten und die volljährigen und/oder verheirateten Kinder) inne. Die ganz herrschende Auffassung hielt aber diese Auslegung des
§ 1609 11 für verfehlt. Diese Frage sei nicht in § 1609 11 geregelt, sondern in § 1579 I 2.3 § 1579 I 2 sei die Nachfolgeregel der geplanten Nachrang(Entwurf I) bzw. Gleichrangregelungen (Entwurf 11).4 Der "unflexible
Rang" wurde abgelöst von der "flexiblen Billigkeit".s
Wird aber jede positive Rangregelung vermieden, damit Raum für die Billigkeitsentscheidung ist, kann nicht im Wege des Umkehrschlusses aus dem scheinbaren Wortlaut des § 1609 11 eine solch rigide Regel gelesen werden. Folgendes kann also als Zwischenergebnis festgehalten werden: Bei Mittelknappheit des Pflichtigen kommen im Falle des § 1579 I 2 als "Nutznießer" der knappen Mittel "nur" der Pflichtige selbst, sein (nicht schuldig) geschiedener Gatte, sein gegenwärtiger Gatte und seine minderjährigen unverheirateten Kinder - gleich aus welcher Ehe - in Frage. Eine feste Rangfolge besteht unter diesen Berechtigten jedoch nicht.6 Der Begriff "Rang" war nach dem 1. 1. 1900 zunächst überhaupt unüblich. Es bestand vielmehr weitgehende Einigkeit darüber, daß eine Billigkeitsentscheidung des Gerichts, die weder nach der einen noch nach der anderen Seite präjudiziert sei,1 das Maß der Unterhaltsan3 Vgl. nur die zentrale Entscheidung RGZ 75, 433 = RG, JW 1911, 454 Nr. 24 und den sehr informativen Beschluß des LG Berlin, JW 1938, 1261 f. 4 Staudinger / Engelmann (7./8. Aufl.) Anm. 1. b) zu § 1579 und LG Berlin am in Fn. 3 angegebenen Ort. 5 Die Schaffung dieser Billigkeitsregel ging einher mit der Streichung des letzten Vorschlags einer positiven Rangregelung in Form einer Gleichrangregel, nachdem die Nachrangregel schon lange passe war. Vgl. im einzelnen oben § 3, nach Fn. 43, dort auch Fn. 46. 6 Für diese absolut herrschende Meinung vgl. nur Staudinger / Engelmann (7./8. Aufl.), Anm. 1 b) ß) zu § 1579: " ... Eine Bevozugung oder Zurücksetzung des geschiedenen Ehegatten gegenüber den übrigen Unterhaltsberechtigten kann hierin nicht erblickt werden." Und Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm. 3 c) ß): " ... Die rein theoretische Frage, ob in § 1579 I 2 eine ,Bevorzugung' oder ,Zurücksetzung' des geschiedenen Ehegatten den übrigen Berechtigten gegenüber liegt, ist im Einklang mit der herrschenden Auffassung (...) nach der einen wie der anderen Richtung zu verneinen ..." Beide Stellen bringen zahlreiche weitere Nachweise für die herrschende Meinung. So auch RGZ 75,433 und RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr. 213 = S.332. 7 Vgl. hierzu Fn. 6.
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2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938
sprüche der in § 1579 I 2 Genannten bestimme. Die Diskussion über eine feste Rangfolge fand zwar ihren Anfang in den Auseinandersetzungen über die Kriterien der Billigkeit. Diese Entwicklung begann aber erst später, was noch zu zeigen sein wird. Unmittelbares Ergebnis der Entscheidung nach § 1579 I 2 BGB ist nur die Festsetzung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten. Mittelbar ergab sich hieraus aber auch das Ausmaß der Ansprüche der übrigen dort genannten Beteiligten.8 Prozessual heißt das übrigens, daß sich die "anderen nach § 1579 I 2 Betroffenen" nicht auf die etwaige materielle Rechtskraft der Teile der "Entscheidungs gründe" des Gerichts berufen konnten, in denen ihre Ansprüche festgestellt wurden. In materieller Rechtskraft kann nur die unmittelbare Entscheidung nach § 1579 I 2 erwachsen, nämlich als Richterspruch, der über den Rechtsstreit der beiden Parteien, in der Regel des Berechtigten als Kläger und des Pflichtigen als Beklagter, befindet. Fällt allerdings der Anspruch des Berechtigten aufgrund der Billigkeitsentscheidung "zugunsten der übrigen Berechtigten hinreichend niedrig" aus, dann sind deren Ansprüche - in allerdings regelmäßig gekürztem Ausmaß - in praxi gesichert, so daß die Existenz der Entscheidungsgründe (ohne Rechtskraft) die Position der übrigen Unterhaltsgläubiger wohl ausreichend festigte. Wollten diese übrigen Berechtigten eine Feststellung ihrer Unterhaltsansprüche mit Rechtskraft erreichen, blieb es ihnen unbenommen, auf Seiten des Pflichtigen, der wie auch heute in aller Regel Beklagter gewesen ist, dem Prozeß beizutreten, § 66 ZPO, und dann gern. §§ 67; 25611 ZPO im Wege der Feststellungs(wider)klage den präjudiziellen Rechtsverhältnissen, die sie besonders interessierten, nämlich ihren Unterhaltsansprüchen, Rechtskraftwirkung zu verschaffen.9 8 Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm.3 c) y) zu § 1579 und PZanck / Unzner (4. Aufl.), Anm. 11 zu § 1579 meinen, zunächst werde der Unterhalt des ge-
schiedenen Gatten festgesetzt und dann würden die verbleibenden Mittel gern. §§ 1360, 1601 ff. (1609!) unter den übrigen Beteiligten verteilt. Dies war rechtlich nicht unproblematisch, denn nun kam die positive Gleichrangregel des § 1609 11 1 wieder zum Zuge. In der Billigkeitsentscheidung des § 1579 I 2 konnten aber die Ansprüche der übrigen Betroffenen (im Range?) unterschiedlich beurteilt werden. Hier Gleichrang, da Billigkeit! § 1609 11 schuf auch damals eigentlich unlösbare Friktionen - allerdings in bei weitem nicht so starkem Ausmaße wie heute. Praktisch hatte der gezeigte Bruch nur dann Bedeutung, wenn die restlichen Berechtigten nicht derselben Familie angehörten. In der neuen Familie teilen sich Pflichtiger, neuer Ehegatte und deren geminsame minderjährigen unverheirateten Kinder ohnehin alle zur Verfügung stehenden Mittel. Relevant war die Unstimmigkeit aber z. B. dann, wenn minderjährige unverheiratete Kinder aus der geschiedenen Ehe vorhanden waren. 9 Leider ist eine Entscheidung, die diesen gezeigten Weg beschritten hätte und vielleicht auch die in Fn. 8 näher beschriebene Widersprüchlichkeit aufgelöst hätte, nicht bekannt. Die Literatur äußert sich hierzu ebenfalls nicht.
§ 7: Der typische Interessenkonflikt
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Die auf grund des bisher Gesagten notwendige und in § 1579 I 2 angeordnete Billigkeitsentscheidung führte nicht zu einer automatischen Quotelung der Ansprüche. lO Eine solche notwendigerweise gleichmäßige Kürzung der Ansprüche wäre ja im Ergebnis einer vom Gesetzgeber gerade vermiedenen positiven Gleichrangregel gleichgekommen. Die Kriterien der Billigkeit konnten vielmehr zu ganz anderen Ergebnissen, nämlich zu zum Teil "erheblich ungleichmäßigen" Kürzungen, führenY
3. Kriterien der Billigkeitsentscheidung und ihre möglichen Auswirkungen § 1579 I 2 BGB ordnet als Rechtsfolge an, daß sich die Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Gatten gegenüber dem schuldlos geschiedenen Gatten auf das}enige beschränkt, was mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie auf die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Beteiligten der Billigkeit entspricht.
Wie die vorhandenen Mittel unter die Beteiligten zu verteilen sind, hat, wie dargestellt, der Richter zu entscheiden, indem er den Unterhalt des geschiedenen berechtigten Ehegatten festsetzt. Hierbei muß er sich von dem Kriterium der Billigkeit leiten lassen, wobei die Bedürfnisse der (sämtlichen)12 Beteiligten sowie deren Vermögens- und Erwerbsverhältnisse vom Wortlaut des Ge.setzes besonders hervorgehobene Gesichtspunkte sind. Um zu einer - billigen - Entscheidung zu kommen, mußte der Richter also eine verständige Abwägung der Interessen dieser sämtlichen in § 1579 I 2 genannten - Beteiligten vornehmenP 10 Nur in der Regel mußten sich die Beteiligten eine entsprechende Herabsetzung des ihnen an sich zukommenden Unterhalts gefallen lassen; RG, LZ 1917, 1255 (1256). Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und z. B. deren dringend notwendige Ausgaben waren aber auf jeden Fall zu berücksichtigen. Vgl. auch RGZ 75, 433 und RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 = S.332. 11 Die Position des Richters wird besonders deutlich bei Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm.3 c) ß) zu § 1579, hervorgehoben: "Die Festsetzung nach Grundsätzen der Billigkeit läßt dem richterlichen Ermessen freien Spielraum. Eine alle Fälle umfassende Regelung ist mit Recht vermieden worden. Sie müßte zu Komplikationen führen und bei der Verschiedenheit der Sachverhalte leicht versagen." 12 Die Verhältnisse aller Beteiligten sind entscheidend, vgl. nur Kuhlenbeck (2. Aufl.), Anm.4 zu § 1579 und die in Fn. 13 genannten FundsteIlen. 13 RGZ 75,433 (= JW 1911,454); Planck / Unzner (4. Auf!.) Anm. 8 zu § 1579; RG, LZ 1917, Nr.1255 = RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 = S. 332.
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2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938
Dabei hatte er trotz seines weiten Ermessensspielraums14 der Beurteilung des Einzelfalls, seiner Einzelfallsbilligkeitsentscheidung15 also, die erschöpfende Würdigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse zugrunde zu legen. 16 Er durfte also keinen der möglichen Gesichtspunkte bei der Abwägung außer acht lassen, vergessen. Die Interessen der Betroffenen werden hauptsächlich von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen bestimmt. Dies sind, grob gegliedert, die Vermögens- und die Erwerbsverhältnisse. Sind z. B. die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse schlecht (die vermögenslose geschiedene Frau ohne Berufsausbildung sucht in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vergeblich nach einer Erwerbstätigkeit), oder können günstige Verhältnisse schlechterdings nicht vermutet werden (vermögenslose, schulpflichtige Kinder können nichts haben), dann sind die Beteiligten im Sinne des Unterhaltsrechts besonders bedürftig. Sie sind natürlich um so weniger bedürftig, je vermögender sie sind und/oder je mehr sie durch ihre Arbeit verdienen. Die Regel bei § 1579 ist die, daß alle negativen, aber auch positiven wirtschaftlichen Aspekte der Lage des jeweils einzelnen Betroffenen ausgeleuchtet werden und in die Billigkeitsentscheidung Eingang finden. Unter "normalen" Umständen (= keine Mittelknappheit) werden ja dem Unterhaltsberechtigten und auch dem Pflichtigen gewisse Aktivposten nicht negativ angerechnet. Aber auch gewisse persönliche Umstände, z. B. hohe Arzt- und Pflegekosten wegen schwerer Krankheit, beeinflussen die Interessenlage des Unterhaltsberechtigten nachhaltig. Selbstverständlich prägen die angedeuteten wirtschaftlichen Verhältnisse und persönlichen Umstände nicht nur die Position der verschiedenen Berechtigten, sondern auch die des Unterhaltspflichtigen. Bereits aufgrund dieser kurzen Hinweise mag deutlich gewoden sein, welch vielschichtige und schwierige Arbeit der Richter mit dieser Interessenabwägung zum Zwecke der Billigkeitsentscheidung zu verrichten hatte. Einige Kriterien aus dem Gebiet der "wirtschaftlichen Verhältnisse" haben Literatur und insbesondere Rechtsprechung herausgearbeitet und hierdurch ein beachtliches Ausmaß an Rechtssicherheit erreicht. Dadurch wurde dem Richter die Arbeit zwar erleichtert, denn er wußte, was er alles zu berücksichtigen hatte, nicht aber abgenommen, 14 Vgl. oben Fn.11 und RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 S'.332. 15 RGZ 75, 433 legt diesen Terminus nahe. 16 RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 S.332.
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§ 7: Der typische Interessenkonflikt
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denn die Bewertung der Kriterien mußte im Einzelfall immer wieder er vornehmen. a) Das Antasten des Vermögensstammes der Beteiligten; die Vermögensverhältntsse
Das Vermögen der Betroffenen ist eines der entscheidenden Kriterien für die Verteilung der knappen Mittel durch den Richter. Eine besondere Rolle spielt hier der Vermögensstamm. 17 Nach herrschender Meinung mußte der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens grundsätzlich nicht verwerten, um seiner Unterhaltspflicht zu genügen, nicht einmal in der Situation des § 1579 I 1.18 Es war also durchaus denkbar, daß der vermögende Pflichtige ohne Einkünfte trotz großer Not des Bedürftigen gar nichts zahlen mußte. War, wie in den häufigsten Fällen, die geschiedene Frau der unterhaltsberechtigte Teil, so durfte diese nach dem Grundsatz des § 1578 ihren Vermögensstamm unangetastet lassen. 19 Sie galt also trotz ihres un-, ter Umständen ansehnlichen "Substanzreichtums" als bedürftig im Sinne des Unterhaltsrechts. Auch der als Ausnahme zu § 1578 für die Situation der Mittelknappheit geschaffene § 157911 änderte an der gezeigten Rechtslage ja nur dann etwas, wenn die Verwertung des Berechtigtenvermögens nicht wirtschaftlich sinnlos war.20 Ein Zugriff auf die Vermögenssubstanz der Hauptbeteiligten galt demnach grundsätzlich als Tabu. Dies war unter den Voraussetzungen des § 1579 I 2 anders. Offensichtlich erschien es den Gerichten in Anbetracht der von § 1579 I 2 ins Auge gefaßten Situation unbillig, die Vermögenssubstanz als Bewertungs17 Die Einkünfte aus dem Vermögen spielen hier keine herausragende Rolle. Sie bestimmen allerdings das Maß des Bedarfs der verschiedenen Berechtigten und das "primäre" Leistungsvermögen des Pflichtigen. Diese "Zahlen" stehen allerdings schon fest, bevor sich der Richter der Situation der Mittelknappheit (zu geringe Einkünfte - aus Vermögen - bei dem Pflichtigen) bei mindestens zwei Berechtigten (deren Einkünfte zur Unterhaltsbestreitung nicht genügen) und somit dem Zwang einer Abwägung plus Billigkeitsentscheidung gegenübersieht. 18 Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm.2 d)~) zu § 1579; Planck / Unzner (4. AufI.), Anm.2 zu § 1579; KG, OLGE 21, 241; Neumann (2. Aufl.), Anm. 1 b) zu § 1579; RG, JW 1911, 454 (Nr.23); Staudinger / Engelmann (7./8. AufI.) Anm. 1 a) zu § 1579; Fischer / Henle (2. AufI.), Anm.6 zu § 1579; Meisner, Anm.2 zu § 1579; RGRK-Erler (7. Aufl.), Anm.2 zu § 1579; a. A. sind Enneccerus, Kipp und Woltt (9.-11. AufI.), § 36 111., S.123 und Brandis, DJZ 1910, Spalten 875 und 876. 19 Schlechter ging es da von vornherein dem Mann, der schuldlos geschieden - grundsätzlich seine Substanz zu verwerten hatte, bevor er sich, dann gänzlich mittellos, an seine ehemalige Frau wenden konnte. 20 VgI. i. e. RGZ 97, 276 ff.
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posten unberücksichtigt zu lassen. Immerhin geht es bei § 1579 I 2 um mindestens drei und nicht nur zwei Bedürftige, häufig dürfte der Lebensbedarf von zwei (Teil-)Familien auf dem Spiel gestanden haben. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit durfte da das Stammkapital der Beteiligten eben nicht einfach außer Betracht bleiben. § 1579 I 2 spricht bezüglich des Pflichtigen auch von der Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse und nicht nur von Einkünften wie § 1579 I 1. Folglich war man sich einig, daß der Pflichtige in der § 1579 I 2 zugrundeliegenden Situation unter Umständen (andere Gesichtspunkte führten im Rahmen der Abwägung möglicherweise doch zu einem anderen Ergebnis) auch sein Stammkapital angreifen mußte, um seinen Unterhaltspflichten in billiger Weise nachkommen zu können?!
Aber auch die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau mußte unter den Voraussetzungen des § 1579 I 2 ihr Stammkapital eher angreifen als sonst vorgesehen war. Selbst wenn die Frau nicht verpflichtet war, wegen § 1579 II ihr Stammvermögen zu verwerten, weil diese Verwertung unwirtschaftlich gewesen wäre, konnte der Richter aufgrund der Interessenabwägung nach § 1579 I 2 zu einem anderen Ergebnis kommen. Im einzelnen hieß dies: Gem. § 1578 konnte die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau grundsätzlich nicht auf die Verwertung ihres Stammkapitals verwiesen werden. Unter den Voraussetzungen des § 1579 II (z. B. i. V. m. § 1579 I 1, also im Fall der Mittelknappheit wegen "sonstiger Verpflichtungen" - das sind nicht nur Unterhaltspflichten) mußte die Frau ihren Vermögensstamm nur verwerten, wenn dies wirtschaftlich sinnvoll/vernünftig war.22 Obwohl aber im Einzelfall möglicherweise feststand, daß eine solche Verwertung wirtschaftlich sinnlos gewesen wäre, etwa weil der Vermögensstamm den Bedarf der Frau nicht dauerhaft gesichert hätte,23 mußte der Richter nun im Rahmen des § 1579 I 2 prüfen, ob unter den gegebenen Umständen (mehrere bis viele Bedürftige) der Frau auch ein wirtschaftlich unvernünftiger Einsatz ihrer Vermögenssubstanz zuzumuten wäre. 24 Denkbar war folgender Fall: 2S Der wiederv,erheiratete Herr Vogt hat ein Jahreseinkommen von 480000 M. 26 Der standesgemäße Unterhalt 21 RG, JW 1915, 662; Brandis, DJZ 1910, Spalte 875/876, der aber die Verwertbarkeit des Stammkapitals auch im Rahmen des § 1579 I 1 vorsah; Staudinger / Engelmann / Keidel (9. Aufl.), Anm. 1 b) ß) zu § 1579; Planck / Unzner (4. Auf!.), Anm.8 zu § 1579; RGRK-Hallamik (8. Aufl.), Anm.3 zu § 1579. 22 Vg!. RGZ 97, 276 ff. 23 So ausdrücklich RGZ 97, 276 ff. 24 Das ist die zweite wesentliche Erkenntnis von RGZ 97, 276 ff. 2S Der "Fall" ist eine Kombination aus den Beispielen II. 1.-3.) bei Cosack (7./8. Auf!.), im Anschluß an V. § 44. IH. 3. h), S. 128. 26 Die Zahlen stammen aus dem Inflationsjahr 1924.
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seiner jetzigen Frau beträgt 200 000 M, sein eigener 300 000 M. Der standesgemäße Unterhalt der vermögenslosen und erwerbsunfähigen geschiedenen Frau Vogt betrage 300000 M. Mögliches Ergebnis der Billigkeitsentscheidung nach § 1579 I 2 wäre eine Zahlung von 100 000 M an die unterhaltsber.echtigte geschiedene Frau, so daß den Neuvermählten eine Summe von 380 000 M verbliebeP Angenommen, die geschiedene Frau besäße ein Haus, das 600000 M wert ist, aber fast keine Erträge bringt, käme inan gern. § 1579 II unter Beachtung der vom Reichsgericht aufgestellten Grundsätze28 sicherlich nicht zu einer Verwertungspflicht. Gern. § 1579 I 2 wird die Frau aber "billigerweise" das Haus veräußern und den Erlös aufzehren müssen, bevor sie Unterhaltszahlungen geltend machen kann.29 Mit der Entscheidung RGZ 97, 276 ff. hat das Reichsgericht deutlich gemacht, daß der Entscheidung nach Billigkeit höchste Priorität gebührt. So geht nicht etwa § 1579 II der Vorschrift des § 1579 I 2 vor, wie es aus systematischen Gründen ja naheläge, sondern es ist genau umgekehrt. Erscheint ein unwirtschaftlicher Verbrauch der Vermögenssubstanz als billig, kann ihn der Richter gern. § 1579 I 2 zulässigerweise einkalkulieren, obwohl er gern. § 1579 II, bei richtigem.JO Verständnis dieser Norm, der Frau nicht zugemutet werden darf. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob dasselbe Ergebnis nicht auch erreicht worden wäre, wenn das Reichsgericht § 1579 II ganz wörtlich genommen hätte. Dann hätte die Frau in der Situation des § 1579 I 2 (Mittelknappheit bei Existenz von mindestens drei bedürftigen Unterhaltsberechtigten) immer zunächst ihr auch noch so kleines Stammkapital verbrauchen müssen. Häufig wird der Richter aufgrund der Billigkeitsentscheidung nach § 1579 I 2 zu genau dieser Anordnung gelangen. Häufig ist aber nicht immer. Und das entscheidende Kriterium, nämlich die Billigkeit, wird ins Spiel gebracht. Der Richter ist nicht von vornherein gezwungen, den Anordnungen des Gesetzes zu folgen, sondern darf, ja muß abwägen. Dem Reichsgericht ist also in seiner Entscheidung, wie schon angedeutet, zweierlei gelungen: Zum einen wird erklärt, daß § 1579 II nicht wörtlich extensiv auszulegen ist, in den Fällen des § 1579 I käme man dann nämlich häufig zu "unbilligen" Ergebnissen. Zum anderen wird aber das für die Frau geschaffene "Schlupfloch" sofort wieder auf "billige" Größe "zurechtgeTl Dieses Ergebnis schlägt Cosack aaO vor. Über die Billigkeit läßt sich hier sicher streiten. 28 Vgl. wieder RGZ 97, 276 ff. 29 Zu diesem Ergebnis gelangt Cosack aaO, allerdings ohne Hinweis auf § 1579 11. In der Entscheidung bei Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr. 246 = S. 390 f. fragt das Reichsgericht z. B., "ob die Klägerin, die vermögende Verwandte haben soll, nicht in der Lage ist, den ihr gehörigen Bauplatz im Werte von 10 000 M, ... , durch Aufnahme einer ... Hypothek nutzbar zu machen ..." . .JO - vom Reichsgericht in RGZ 97, 276 ff. entwickelten -
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schrumpft", indem § 1579 I 2 auch und gerade nach Prüfung des § 1579 II anzuwenden ist. So verstanden, deklamierte das Reichsgericht in diesem Urteil das Primat der Billigkeit im Geschiedenenunterhaltsrecht. Festzuhalten bleibt, daß nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts3! das Stammkapital der Parteien der §§ 1578; 1579, also die Vermögenssubstanz sowohl des Pflichtigen als auch des Berechtigten, eine im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 1579 I 2 relevante Vermögensposition darstellt. Mit dem Stammkapital der anderen möglichen Beteiligten kann aber nicht anders verfahren worden sein. In Literatur und Rechtsprechung wurde immer wieder von den "Vermögensverhältnissen aller bzw. der sämtlichen Beteiligten" gesprochen. 32 Deshalb durfte der Richter nicht außer acht lassen, ob bzw. daß der neue Ehegatte des Pflichtigen oder dessen minderjährige unverheiratete Kinder Kapital hatten. Auch hier konnte man nicht von vornherein eine Verwertungspflicht der Betroffenen zurückweisen, die sich ja zugunsten des geschiedenen Ehegatten ausgewirkt hätte. Auch hier hätte man, ähnlich wie im Rahmen des § 1579 II, die Kriterien der Wirtschaftlichkeit der Verwertung heranziehen müssen, so daß man bei dem Rückgriff auf Kindesvermögen zurückhaltender als bei dem Verbrauch von Erwachsenenvermögen hätte sein können.33 b) Die Erwerbsverhältnisse der Beteiligten
Neben den Vermögensverhältnissen sind nach § 1579 I 2 die Erwerbsverhältnisse der Beteiligten hervorgehobenes Kriterium für die Billigkeitsentscheidung gewesen. Unter den "Erwerbsverhältnissen" verstand man: die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit und zusätzlich das Vorhandensein bzw. die Möglichkeit und Gelegenheit eines aus der Benutzung dieser Tätigkeit entspringenden Erfolges, der den Erwerb selbst darstellt.34 3!
Hiervon abweichende Ansichten gibt es offensichtlich nicht.
Staudinger / Engelmann (7./8. Auf!.), Anm. 1 b) ß) zu § 1579; RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.213 = S.332; Sc h mi d t / Hedemann / Fuchs, Anm. 3 c) et) zu § 1579; Planck / Unzner (4. Auf!.), Anm. 8 zu § 1579; vg!. 32
auch oben Fn.12. 33 Man hätte z. B. darauf achten müssen, daß das Stammkapital der Kinder für deren Ausbildung und/oder "Aussteuer" ausreichte, und so als Grundstock für ihre spätere Existenz erhalten bleibt. 34 So wörtlich RG, Das Recht 1903, S. 155 = Nr. 803; vg!. auch Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm. 3 c) ß) zu § 1579, wonach der Begriff weit zu interpretieren ist.
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Der Richter hatte also nicht nur den tatsächlichen Erwerb, sondern auch die unter Umständen nicht genutzte Erwerbschancel5 in seine Abwägung einzubeziehen. Das Reichsgericht hat aber auch in diesem Punkt nicht nur die gegenwärtigen Erwerbsverhältnisse, sondern daneben deren wahrscheinliche künftige Entwicklung so weit als möglich mitberücksichtigt, wohl um den für die Beteiligten ja immer lästigen Weg der Abänderungsklage vermeiden zu helfen.36 Der Hauptfall der "Rücksicht auf die Erwerbsverhältnisse" war in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur jener, daß der unterhaltsberechtigten geschiedenen Frau bei weitem stärkere Erwerbsbemühungen zugemutet wurden als im "Normalfall" des § 1578.37 Nach § 1578 I mußte sich die Frau sowohl auf die Pflicht zu eigener Erwerbstätigkeit als auch auf das tatsächliche Ergebnis eigener Erwerbstätigkeit nur dann verweisen lassen, wenn nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt hatten, Erwerb durch Arbeit der Frau üblich gewesen war. Dieses Privileg fiel unter der Regentschaft der knappen Mittel weg. Auch die Frau, wenn auch als Berechtigte, mußte nun, wie der Pflichtige und die anderen Beteiligten ja ebenfalls, alle Kräfte anspannen, um nämlich ihre Bedürftigkeit zugunsten der anderen zu verringern. Zur Illustration mag der Bataillonsfall,38 ergänzt durch einige zusätzliche Annahmen, dienen: Der geschiedene wiederverheiratete Mann hatte ein gemeinsames Kind mit der unterhaltsberechtigten geschiedenen Frau. Diese hatte eine Stelle in einem Bataillon, der erste Weltkrieg 3S Vg!. auch RGRK-ErZer (7. Auf!.), Anm.8 zu § 1579: hiernach darf dem Berechtigten auch das, was er bei Anspannung seiner Kräfte verdienen könnte, angerechnet werden. 36 Nach RG, LZ 1921,498 dort Nr.9 war bei der Anwendung des § 1579 12 zu untersuchen, ob nicht für die Zukunft mit einer wenigstens teil weisen Arbeitsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten zu rechnen sei und ob er nicht eine dieser Arbeitsfähigkeit entsprechende Beschäftigung finden könne, auch wenn er zur Zeit der Anhängigkeit des Prozesses z. B. krankheitshalber arbeitsunfähig sei. Sei nämlich die Änderung der Verhältnisse bereits in dem Rechtsstreit über die Unterhaltsrente vorauszusehen, so müsse sie in diesem Verfahren berücksichtigt werden. In RG Warneyer, Ergänzungsband, 1918, Nr. 141 = S.213 wurde im Rahmen einer Entscheidung nach § 1579 I 2 z. B. darüber gemutmaßt, ob die unterhaltsberechtigte geschiedene Frau nach dem Ende des 1. Weltkrieges, das zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des Unterhaltsprozesses offensichtlich noch nicht absehbar war, ihre augenblickliche Arbeitsstelle bei einem Bataillon verlöre. 37 RG, JW 1917, 288, a); RGZ 101, 206 (209); RG, Das Recht 1910, Nr.94; RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1918, Nr.141 = S.213; RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, S. 390 f. = Nr.246; KG, LZ 1917, Sp. 1280 f.; PZanck / Unzner (4. Auf!.), Anm.8 zu § 1579; Warneyer (6. Auf!.), Anm.9 zu § 1579; RGRKErZer (7. Auf!.), Anm.8 zu § 1579. 38 RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1918, Nr. 141 = S.213.
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war noch im Gange. Der Mann hatte in der Revision Herabsetzung der Unterhaltsrente der geschiedenen Frau verlangt. Als Argument führte er den Verdienst aus der Bataillonsarbeit der ehemaligen Ehegattin an. Das Reichsgericht führte aus, daß nach § 1578 BGB dieser Verdienst nicht hätte angerechnet werden dürfen. Denn nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt hätten, sei Erwerb durch Arbeit der Frau unüblich gewesen. Genaue Angaben über die Verhältnisse der Ehegatten machte das Reichsgericht nicht. Beispielhaft mag man sich vorstellen, der geschiedene Mann sei Fabrikant oder höherer Beamter gewesen. In diesen Verhältnissen war eine Erwerbsarbeit der Ehegattin im Jahre 1918 sicher die ganz große Ausnahme. Da aber die Voraussetzungen des § 1579 I 2 gegeben waren, rechnete das Reichsgericht den Verdienst aus unüblicher Erwerbsarbeit an und setzte die Unterhaltsrente herab . . Natürlich konnte auch bei dem Kriterium "ErwerbsverhäItnisse" nicht nur die berechtigte geschiedene Frau zusätzlich "in die Pflicht genommen" werden. Die Erwerbsverhältnisse der sämtlichen Beteiligten waren entscheidend,39 also mußten sich auch der Pflichtige, die minderjährigen unverheirateten Kinder und der neue Ehegatte "anstrengen". Allerdings dürften sich bei diesen übrigen Beteiligten regelmäßig nur geringe Möglichkeiten auf zusätzlichen Erwerb ergeben haben. Der Pflichtige konnte "nicht mehr als arbeiten". Die Kinder verdienten nichts (Schule) bis wenig (Lehre, höchstens einige zumutbare Gelegenheitsarbeiten). Der neuen Frau konnte man neben ihren regelmäßigen Tätigkeiten als Hausfrau und Mutter die zusätzliche Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wohl auch nur selten zumuten. Der noch am ehesten denkbare Fall "vermehrter Erwerbsanstrengungen der anderen Beteiligten" war der, daß die neue Frau tatsächlich einer Erwerbstätigkeit nachging und einen Verdienst erzielte. Zwar konnte man in diesem Fall nicht einfach sagen, die neue Frau sei nicht oder nur in vermindertem Maße bedürftig und somit entfalle ihr Anspruch nach § 1360 BGB (in der Fassung vom 1. 1. 1900), denn der Ehegatte schuldete nach § 1360 den ehelichen Unterhalt grundsätzlich unabhängig von der Bedürftigkeit der Ehefrau.40 Der Verdienst der neuen Frau war aber im Rahmen der Billigkeitsentscheidung des § 1579 I 2 zu berücksichtigen, es fragt sich nur wie. Fest steht jedenfalls, daß der Verdienst der zweiten Frau (bzw. der neuen, aktuellen Frau) nicht (einfach in voller Höhe) den Einkünften des Mannes hinzugezählt wurde, damit dann aus dieser Summe der Unterhalt der geschiedenen Frau berechnet werden konnte.41 In der 39 Vgl. hierzu oben bei Fn. 32, insbes. auch die in Fn. 32 angegebenen Zitate. 40 KG, LZ 1917, Sp.1280 ff. 41 OLG München, HRR 1940, 1380.
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zitierten Entscheidung führt das OLG München weiter aus, daß die zweite Frau das Anrecht habe, aus ihI'lem Verdienst zunächst ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Das heißt aber doch auch, daß das OLG davon ausgeht, daß die zweite Frau ihren Verdienst auch zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse verwendet, der Verdienst der Zweitfrau wird also zur Unterhaltsbestreitung der zweiten Frau und somit gegebenenfalls der neuen Familie eingesetzt. Folglich berechnet sich der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau zwar nicht aus einem erhöhten Betrage (etwa weil die neue Frau verdient), allerdings steigen die Chancen der geschiedenen Frau, ihren Unterhalt nicht beschnitten zu bekommen (weil die zweite Frau verdient und sich deshalb wenigstens zum Teil selbst versorgen kann). c) Zwei weitere bekannte Kriterien der Billigkeitsentscheidung
Gern. § 1617 BGB a. F. war das Kind, solange es dem elterlichen Hausstand angehörte, entsprechend seinen Kräften und Verhältnissen verpflichtet, den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäfte Dienste zu leisten. Das hieß aber nicht, daß in einem solchen Falle die Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Ehegatten gegenüber einem solchen bei ihm und gegebenenfalls seinem neuen Ehegatten wohnenden Kinde auch nur teilweise entfallen und somit § 1579 I 2 nicht mehr anwendbar gewesen wäre.42 Allerdings können solche gern. § 1617 geleisteten Dienste im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 1579 I 2 berücksichtigt werden,43 regelmäßig bedeuten sie ja für den Pflichtigen eine Kostenersparnis. In der zitierten Entscheidung verrichtete die achtzehnjährige Tochter des Pflichtigen vollständige Leistungen eines Dienstboten. Sie kostete also nicht nur Unterhalt, sondern brachte auch etwas ein. Dies konnte schon einmal Einfluß auf die Billigkeitsentscheidung haben, denn ob tatsächlich angefallene Kosten für einen Dienstboten vom Gericht als sonstige Verpflichtung i. S. d. § 1579 I 1 betrachtet worden wären und deshalb von vornherein hätten abgezogen werden können, darf zumindest bezweifelt werden, denn immerhin galt es, der Maxime des "vernünftigen Zins- und Tilgungsplans"44 gerecht zu werden. Immer wieder spielten freiwillige Zuwendungen Dritter an den Berechtigten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung eine Rolle. Grundsätzlich waren solche Zuwendungen auf den gesetzlich zu gewährenden Unterhalt nicht anzurechnen, weil sie sonst indirekt dem Unterhalts42 Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm. 12 zu § 1579; HGHK-Erler (7. Aufl.), Anm. 7 zu § 1579; HG, Puchelts Zeitschrift, Bd. 36 (1905), S.445. 43 HG, Puchelts Zeitschrift, Bd.36 (1905), S.445. 44 Vgl. statt vieler, Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm.8 zu § 1579.
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2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938
pflichtigen zugute gekommen wären, was ja gerade nicht gewollt war, sondern den Motiven des Zuwenders widersprochen hätte.45 Anderes galt aber auch in diesem Punkt im Rahmen der Interessenabwägung nach § 1579 I 2. Im Falle der Mittelknappheit wegen (zu) vieler Bedürftiger wurden Zuwendungen, die der Berechtigte von dritter Seite erhielt, angerechnet, d. h. sein Unterhaltsanspruch konnte sich verringern.ol6 In dem der zitierten Entscheidung des Reichsgerichts zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die unterhaltsberechtigte geschiedene Frau Hypothekenzinsen, die sie ihrer wohlhabenden Schwester schuldete, tatsächlich nicht gezahlt. Diesen Umstand bezeichnete das Reichsgericht ausdrücklich als im Rahmen des § 1579 I 2 berücksichtigungsfähig. Sollte nicht der geschiedene Unterhaltsberechtigte, sondern ein anderer der in § 1579 I 2 genannten Beteiligten, einschließlich des Pflichtigen, solche Zuwendungen erhalten, sind diese nach dem bisher Gesagten47 ebenfalls im Rahmen der Interessenabwägung zu beachten.
§ 8 Zurückbehaltung des notdürftigen Unterhalts der "neuen Familie"? Schon sehr früh konnte sich das Reichsgericht in einer vielbeachteten Entscheidung! mit der Situation der Mittelknappheit bei mehreren Berechtigten und Bedürftigen befassen. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde: die geschiedene unterhaltsberechtigte Frau verdiente mit Plätten wöchentlich 2 M und konnte auch nicht mehr verdienen. Der unterhaltspflichtige schuldig geschiedene Mann verdiente in der Woche 23,76 M. Er hatte wieder geheiratet. Die geschiedene Frau begehrte wöchentlichen Unterhalt in Höhe von 6 M. Landgericht und Berufungsgericht hatten die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hatte das Berufungsgericht zu § 1579 I 2 ausgeführt: " ... Von einem Wochenlohn von 24 M aber, der zur Bestreitung eines ehelichen Haushaltes knapp ausreiche, erscheine es unbillig, den verheirateten Beklagten zur Abgabe auch nur eines g,eringen Betrages an die Klägerin zu verurteilen."2 In der Revision meinte die Klä45 RGZ 72, 199 = JW 1910, 14 ff. (15); Warneyer (6. Aufl.), Anm. 17 zu § 1579; RG Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.246 = 5.390 f. = JW 1917, 288 dort b); KG, LZ 1917, 5p. 1280 f. 016 50 besonders deutlich das Reichsgericht in Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.246 = 5. 390 f. = JW 1917,288 - dort b); vgl. auch KG, LZ 1917, 5p.1280 f. 47 Vgl. die oben bei Fn.32 und bei Fn.39 entwickelten Grundsätze. ! Urt. v. 11. April 1901 in RGZ 48, 112 ff. = JW 1901, 351 f. 2 Vgl. RGZ 48, 112 ff. = JW 1901, 351 f.
§ 8: Notdürftiger Unterhalt der "neuen Familie"
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gerin, § 1579 I 2 spreche nur von einer möglichen Beschränkung ihres nachehelichen Unterhaltsanspruches, nicht aber von dessen gänzlichem Erlöschen. Das Reichsgericht folgte diesem an sich eingängigen Argument nicht, sondern bestätigte das Berufungsgericht wie folgt: "Von der thatsächlichen Grundlage aus, daß 24 M wöchentlich zur Bestreitung der notdürftigen Kosten des ehelichen Haushaltes des Beklagten erforderlich sind, läßt sich die Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes, daß es unbillig erscheine, den Beklagten zur Abgabe eines auch nur geringen Betrages an die Klägerin anzuhalten, rechtlich nicht beanstanden. Denn die infolge einer solchen Abgabe an die Klägerineintretende Schmälerung des notdürftigen Unterhalts des Beklagten und seiner zweiten Ehefrau würde gesetzlich nicht gerechtfertigt sein, und zwar umsoweniger, als der Anspruch der zweiten Ehefrau gegen ihren Ehemann auf Unterhaltsgewährung nach § 1360 BGB wesentlich unbeschränkt ist, während der Anspruch der geschiedenen Frau gegen den schuldigen geschiedenen Ehemann, wenn man jenen auch mit den Motiven zu dem Entwurfe des Bürgerlichen Gesetzbuches Bd. 4 S. 617 als eine Nachwirkung der früheren Ehe auffaßt, doch den §§ 1578 und 1579 entsprechend in verschiedenen Beziehungen beschränkt erscheint...." Dieses Urteil läßt den Schluß zu, daß aus den vorhandenen knappen Mitteln zunächst der notdürftige Unterhalt des Pflichtigen selbst, auch derjenige seiner neuen Frau und gegebenenfalls der der minderjährigen unverheirateten Kinder gedeckt wird. Der Schluß auf eine Vorrangstellung der neuen Familie in bezug auf den notdürftigen Unterhalt war also vom Reichsgericht selbst eröffnet worden. Es ist zwar auch nicht ausgeschlossen, das Reichsgerichtsurteil als Bestätigung einer Einzelfallbilligkeitsentscheidung der Vordergerichte zu werten, dennoch läßt der Wortlaut eher vermuten, daß das Reichsgericht den notdürftigen Unterhalt des Pflichtigen und seiner neuen Familie für durch Unterhaltszahlungen an den berechtigten geschiedenen Gatten unantastbar hält. Die Auffassung, daß der Pflichtige berechtigt sei, zunächst seinen eigenen notdürftigen Unterhalt und gegebenenfalls den seiner neuen Familie zu decken, fand sich auch in weiteren Urteilen und in der Literatur.3 3 Ganz deutlich Davidson, Anm.2 zu § 1579 und Endemann (8. u. 9. Aufl.) 167, Anm. 4 b) ß); die Möglichkeit des Vorwegabzugs des zur Deckung des notdürftigen Unterhalts erforderlichen Betrages im Rahmen des § 1579 I 2 wird aber auch von RGZ 75, 433 = JW 1911, 455; Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm. 3 c) ß) zu § 1579; DernbuTg (4. Aufl.), § 29 111. 2 b) und MeisneT, Anm.2 zu § 1579 eingeräumt. Beachte auch die viel später gefällte Entscheidung des LG Berlin, JW 1936, 2942. In diesem Beschluß entschied das LG wenn auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung - praktisch genauso wie das Reichsgericht in RGZ 48, 112 ff.
§
5 M. Schmitt
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2. Kap.: Der Mangelfall in Lit. u. Rspr. bis 1938 Hier gilt es aber zu unterscheiden.
Ausdrücklich sprechen sich nur Endemann4 und Davidson5 für eine Vorrangstellung der neuen Familie bezüglich des notdürftigen Unterhalts aus. Davidson verweist zur Bekräftigung seiner Meinung auf die Entstehungsgeschichte des § 1579.6 In den Protokollen wird an dieser von Davidson zitierten Stelle die Begründung eines Änderungsantrages wiedergegeben. Ziel des Änderungsantrages7 war es gewesen, die bereits vorgesehene Regelung des § 1579 I 1 durch eine Norm für den Tatbestand der Mittelknappheit bei/ wegen mehrerer Bedürftiger zu ergänzen, wonach dem Pflichtigen, seinem neuen Ehegatten und den minderjährigen unverheirateten Kindern insgesamt die Hälfte der den Genannten verfügbaren Einkünfte8 belassen werden sollte. In der Begründung führten die Antragsteller aus, daß die Situation der Mittelknappheit bei/wegen Vorhandenseins der genannten Beteiligten mit dem bisher gefundenen Regelungsinstrumentarium9 nicht befriedigend erfaßt sei. Insbesondere verwiesen die Antragsteller darauf, daß nach dem bereits existenten "Zurückbehaltungsrecht" der Pflichtige von seinen Einkünften den zur Deckung seines notdürftigen Unterhalts notwendigen Betrag behalten dürfe. Zum notdürftigen Unterhalt des Pflichtigen gehöre aber auch - mittelbar der notdürftige Unterhalt der gegenwärtigen Ehefrau und der minderjährigen unverheirateten Kinder, da der Pflichtige diesen Personen gegenüber in einem unterhalts rechtlich besonders einschneidendem Ausmaße verpflichtet sei,1° Hieraus ll ergäben sich Schwierigkeiten in der Berechnung des notdürftigen Unterhalts des Pflichtigen. Damit sei aber auch die Frage offen, wie denn nun welcher Betrag an die Genannten zu verteilen sei. Die Antragsteller empfählen der Kommission eine dem Durchschnitt aller Fälle gerecht werdende Regelung. 4 Endemann, aaO: "Bei beiderseitiger Not geht die eigene Not des Unterhaltspflichtigen vor." 5 Davidson, aaO: "Der nothdürftige Unterhalt des verpflichteten Ehegatten sowie des Kindes und des neuen Ehegatten darf unter keinen Umständen beeinträchtigt werden." 6 Davidson, aaO: "Kommiss. Prot. S. 8655 ff., in d. Ausg. von Archilles u.s.w. VI S. 292." 7 Protokolle, Bd. VI, S.292: Antrag XVII 2. a). 8 In aller Regel dürften das die Einkünfte des Pflichtigen gewesen sein. 9 Es bestand das "Zurückbehaltungsrecht" des späteren § 1579 I 1 BGB und die - später gestrichene - Gleichrangregel, die die minderjährigen unverheirateten Kinder und die Ehegatten (geschiedene und gegenwärtige) gleichstellte. 10 Den Grundsatz, mit den Kindern und dem Ehegatten fast alles teilen zu müssen, kennt auch das heutige Unterhaltsrecht. 11 Und aus anderen hier nicht näher darzustellenden Einzelheiten.
§ 8: Notdürftiger Unterhalt der "neuen Familie"
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Wie bekannt, entschied sich die Kommission für die Billigkeitsregel des
§ 1579 12 und nicht für die in dem Ergänzungsantrag vorgesehene Norm.
Sie wollte dem Richter den Freiraum lassen, dem Einzelfall gerecht zu werden. 12 Eine Auffassung der Kommission, daß zunächst der notdürftige Unterhalt vom Pflichtigen, dessen neuem Ehegatten und dessen minderjährigen unverheirateten Kindern zu decken sei, existierte also gerade nicht. Schon von daher erweist sich Davidsons historisches Argument als unzutreffend. Aber auch diejenigen, die den Ergänzungsantrag eingebracht hatten, können nicht der Auffassung gewesen sein, daß zunächst (in jeder Situation und vorrangig!) der notdürftige Unterhalt der Genannten zu sichern sei. Sie sollten ja lediglich die Hälfte der verfügbaren Einkünfte behalten dürfen. Wie der hier zur Diskussion stehende Fall aber zeigt,!3 reicht zu dem Zwecke der Sicherung des notdürftigen Unterhalts der Genannten die Hälfte des verfügbaren Einkommens häufig gerade nicht aus, es werden hierzu vielmehr alle verfügbaren Mittel benötigt. Daß aber der unterhaltsberechtigte geschiedene Gatte u. U. leer ausgehen könnte, hatte der Ergänzungsantrag als Konsequenz nicht vorgesehen. Auch das Argument der Befürworter des Ergänzungsantrages, wonach der notdürftige Unterhalt des Pflichtigen mittelbar den notdürftigen Unterhalt seiner Familie umfasse, führt nicht zu dem Schluß Davidsons, daß dieser notdürftige Unterhalt vorweg - also vorrangig - zu decken
sei.
Die Entstehungsgeschichte des § 1579 I 2 spricht also gegen eine Vorwegberücksichtigung des notdürftigen Unterhalts des Pflichtigen und seiner neuen Familie.14 Näher zu betrachten bleibt aber ein weiteres mögliches Argument, das einen gewissen Vorrang der neuen Familie als gesetzlich gewollt erscheinen läßt. Gem. §§ 1360 bzw. gem. 1603 II 1 hat der Pflichtige gegenüber seinem Ehegatten bzw. gegenüber seinen minderjährigen unverheirateten Kindern gerade in der Situation der Not eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Gegenüber dem geschiedenen Ehegatten besteht eine solch strenge Pflicht zur Solidarität nicht, vielmehr ist der Unterhaltsanspruch des schuldlos geschiedenen Ehegatten durch § 1579 - in der "Zweierbeziehung" durch § 1579 I 1 - gerade eingeschränkt. Hieraus Protokolle, Bd. VI, S.292 unten. RGZ 48, 112 ff. 14 Die Meinungs Davidsons verwundert. Spricht er sich doch selbst gegen die positive Rangregel, die die logische Konsequenz seiner Ansicht ist, aus. Auf S. 135 schreibt Davidson in Fn. *): "Es ist demgemäß nicht richtig, zu sagen, daß der geschiedene Ehegatte dem späteren Ehegatten und den minderj ährigen unverheiratheten Kindern nachstehe. ( ...) Eine feste Regel ist im Gesetz mit Absicht nicht aufgestellt." 12 13
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ließe sich vielleicht schließen, daß der Pflichtige der Strenge seiner Pflichten entsprechend zunächst die Unterhaltsansprüche der gem. §§ 1360 und 1603 II 1 Berechtigten zu erfüllen hätte. 1S Diesem Schluß kann aber nicht gefolgt werden. Träfe er nämlich zu, wäre der schuldlos geschiedene Ehegatte wohl in den häufigsten Fällen leer ausgegangen. Dies hatte der Gesetzgeber aber nicht gewollt. Neben diesem am Ergebnis orientierten rechtspolitischen Argument lassen sich aber noch zwei weitere Punkte, die gegen einen Vorrang sprechen, nennen. Zum einen hat sich der Gesetzgeber eindeutig gegen jegliche positive Rangregel ausgesprochen. 16 Er hat es vorgezogen, dem Richter in jedem Einzelfall eine Billigkeitsentscheidung abzuverlangen. Das oben dargestellte Verständnis von §§ 1360; 1603 II 1 einerseits und §§ 1578; 1579 andererseits würde aber di'e Abwägungsbefugnis und die entsprechenden Möglichkeiten des Richters ganz erheblich beschränken. Die so sehr erstrebte Entscheidungsgrundlage "Billigkeit" würde zurückgedrängt von der im Vergleich zur Beziehung zum geschiedenen Ehegatten zugegeben engeren familiären Bindung der durch §§ 1360; 1603 II 1 Berechtigten zum Pflichtigen. Die im Gesetz genannten Kriterien, nämlich die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Beteiligten, würden in der Interessenabwägung eine nur untergeordnete Rolle spielen können, da der notdürftige Unterhalt einiger Beteiligter von vornherein nicht zur Disposition stünde. Ene positive Rangregel wäre gegen den Willen des Gesetzgebers manifestiert. Zum anderen wäre aber das angedeutete Verständnis von §§ 1360; 1603 II 1 auch aus systematischen Gründen falsch. Die Rangfrage, genauer der Interessenkonflikt der verschiedenen möglichen Beteiligten und dessen Auflösung, ist Regelungsgegenstand von § 1579 I 2. Systematisch wäre neben § 1360 als Grundlage des Anspruchs des gegenwärtigen Ehegatten und neben §§ 1601; 1603 II 1 als Grundlage des Anspruchs der minderjährigen unverheirateten Kinder § 1578 als Unterhaltsanspruchsgrundlage des geschiedenen Ehegatten zu nennen. Stellt man nun den Unterhaltsbetrag der Summe nach fest, ergibt sich in den hier interessierenden Konfliktfällen immer, daß die vorhandenen Mittel nicht ausreichen. Wer in dieser Lage was bekommt, das besagen die Anspruchsgrundlagen, die ja regelmäßig den standesgemäßen Unterhalt gewähren, gerade nicht. Diese Konfliktsituation wird erst in § 1579 I 2 behandelt. 15 Das Reichsgericht benutzt diese Argumentation in RGZ 48, 112 ff.; dieser Gedanke führt auch zu der Annahme der Befürworter des oben dargestellten Engänzungsantrages, der notdürftige Unterhalt des Pflichtigen enthalte mittelbar auch den notdürftigen Unterhalt seiner Ehegatten und seiner minderjährigen unverheirateten Kinder. 16 Vgl. oben § 5.
§ 8: Notdürftiger Unterhalt der "neuen Familie"
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§ 1579 I 2 beschreibt den Einfluß mangelnder Leistungsfähigkeit auf die jeweiligen Unterhaltsansprüche aller dort genannten Beteiligten; die hiernach vorzunehmende Billigkeitsentscheidung konnte also gerade nicht nur eine Beschränkung des Unterhaltsanspruchs des Geschiedenen, sondern auch Beschränkungen der Unterhaltsansprüche der anderen genannten möglichen Beteiligten und des Bedarfs des Pflichtigen zur Folge haben. §§ 1360; 1603 II 1 verlieren wegen des Gesagten nicht ihre Funktion der Anordnung der gesteigerten Unterhaltspflicht. Daß diese gesteigerte Unterhaltspflicht besteht, gerade nach eventuellen Zahlungen an den geschiedenen Gatten gern. §§ 1578; 1579 12, kann nicht bestritten werden. Der Richter wußte di,es auch, wenn er die nach § 1579 I 2 vorgeschriebene Interessenabwägung vornahm. Der Pflichtige hatte das, was nach Begleichung aller unausweichlichen Verbindlichkeiten, und hierzu zählte etwa auch der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten, übrigblieb, mit den Mitgliedern seiner (neuen) Kleinfamilie zu teilen. Dieser Grundsatz konnte nur nicht dazu führen, der neuen Familie vorrangig den notdürftigen Unterhalt zu sichern und damit den geschiedenen Ehegatten an dem Postulat der Billigkeitsentscheidung des § 1579 I 2 vorbei von vornherein zu benachteiligen. Nach alledem kann man sagen, daß die Entscheidung des Reichsgerichts l7 vom Ergebnis her, daß die Unterhalt begehrende geschiedene Frau unter den obwaltenden Umständen nämlich nichts bekam, zwar möglich gewesen war,18 argumentativ aber insoweit in die Irre gegangen war, als die Richter den Schluß auf eine Vorrangstellung des Pflichtigen, seines neuen Ehegatten und seiner minderjährigen unverheirateten Kinder in bezug auf den notdürftigen Unterhalt nahegelegt hatten. Insoweit bedeutete Zustimmung zu diesem Urteil nicht auch Zustimmung zu dem hier widerlegten möglichen grundsätzlichen Schluß.19
Die später ganz herrschende Auffassung entspricht dem hier gefundenen Ergebnis. Die Entscheidung nach den Kriterien der Billigkeit konnte im Einzelfall so aussehen, daß der Anspruch des geschiedenen Ehegatten sogar erlosch. Dies war allerdings nicht zu verwechseln mit der "rein theoretischen" Frage nach "Bevorzugung" oder "Zurücksetzung" eines der Beteiligten.20 Man war sich im Gegenteil darüber einig, daß der 17
RGZ 48, 112 ff.
18 RGZ 75, 433 = JW 1911, 454; Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs, Anm. 3 c) ß)
zu § 1579 BGB; Dernburg (4. Auf!.), § 29, III. 2. b); Meisner, Anm.2 zu § 1579; RGRK-Erler (7. Auf!.), Anm. 8 zu § 1579. 19 Die in Fn.18 genannten Autoren und das dort genannte RG-Urteil halten die Entscheidung, daß sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten "auf Null reduziert", lediglich für ein mögliches Ergebnis der Interessenabwägung nach § 1579 I 2. 20 So ganz deutlich Sc h m i d t / Hedemann / Fuchs aaO: " ... Für den ge-
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Pflichtige die zur Deckung seines eigenen notdürftigen Unterhalts notwendige Summe nicht vorweg von seinen Einkünften abziehen durfte.21 Dasselbe galt in bezug auf den notdürftigen Unterhalt des neuen Ehegatten bzw. der minderjährigen unverheirateten Kinder. 22 Grundsätzlich sollten sich alle Beteiligten vielmehr eine anteilige Kürzung ihrer Ansprüche gefallen lassen müssen.23 Festzuhalten bleibt also: In der Literatur und vor allem auch in der Rechtsprechung hat sich die von RGZ 48, 112 ff. eingeschlagene Richtung der Bevorzugung des Pflichtigen und seiner (neuen) Familie - zunächst - nicht durchgesetzt. Ein Erlöschen des Unterhalts anspruchs des geschiedenen Ehegatten war lediglich als ein mögliches Ergebnis der Billigkeitsentscheidung des Gerichts im Rahmen des § 1579 I 2 gesehen worden. Der Stachel für die Entwicklung von "Vorrangtheorien" war aber gesetzt.24 In der Darstellung der weiteren Diskussion in Literatur und Rechtsprechung wird gezeigt werden, daß das Problem nicht endgültig gelöst war, sondern im Ergebnis durchaus unterschiedliche "Rangtheorien" das Feld eroberten.
§ 9 "Mitschuld" des neuen Ehegatten des Pflichtigen an der Zerstörung der früheren Ehe als Billigkeitskriterium? Als Kriterien der Billigkeitsentscheidung wurden bisherl nur solche des wirtschaftlich-finanziellen Bereiches behandelt, was ja vom Text des § 1579 12 auch nahegelegt wird. Noch nicht erörtert wurden hingegen schiedenen Ehegatten kann diese richterliche Beurteilung dazu führen, daß es unbillig erscheint, den Unterhaltsschuldner für die Dauer der zu berücksich~ tigenden Verhältnisse zur Abgabe auch nur eines geringen Betrages an den geschiedenen Ehegatten zu verurteilen. Der geschiedene Ehegatte erhält in diesem Falle überhaupt nichts (RG 48,112; ...). - Die rein theoretische Frage, ob in § 1579 I 2 eine ,Bevorzugung' oder ,Zurücksetzung' des geschiedenen Ehegatten den übrigen Beteiligten gegenüber liegt, ist im Einklang mit der herrschenden Auffassung (...) nach der einen wie der anderen Richtung zu verneinen." 21 Staudinger / Engelmann / Keidel (9. Aufl.), Anm. 1 b) ß) zu § 1579; RG, LZ 1921, 498 - dort Nr.9; RG, Das Recht 1922, Nr.74 = S.17; Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm.8 zu § 1579. 22 RGZ 75, 433 = JW 1911, 454; RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr. 246 = S. 390 ff. 23 RGZ 75, 433 = JW 1911, 454; RG, LZ 1921, 498 - dort Nr.9; RG, Warneyer, Ergänzungsband, 1917, Nr.246 = S. 390 f.; RG, Das Recht 1922, Nr.74 = S.17. 24 Vgl. nur den "Rückfall" des LG Berlin, JW 1936, 2942. lOben § 7, nach Fn. 12, insbes. nach Fn. 17.
§ 9: "Mitschuld" des neuen Ehegatten
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mögliche Entscheidungsgrundlagen aus dem "sittlich-moralischen Kontext". Der Gesetzgeber hatte diese Momente in seinen Beratungen nur in der Phase berücksichtigt, als es galt,2 den geschiedenen Ehegatten jedenfalls nicht nachrangig zu behandeln. Besonders interessant ist hier die Frage, ob die Tatsache, daß der Pflichtige diejenige Person, mit der er die frühere, jetzt geschiedene Ehe gebrochen hatte, geheiratet hat, im Rahmen der Interessenabwägung und Billigkeitsentscheidung nach § 1579 I 2 BGB eine Rolle spielen durfte bzw. sogar mußte. Sollte es tatsächlich billig sein, daß der schuldlos geschiedene Ehegatte wegen des Unterhaltsanspruches des neuen Ehegatten des Pflichtigen, also des Ehebrechers und "Scheidungsgrundes", eine Kürzung seines Unterhaltsanspruches hinnehmen mußte? Hierzu hat sich das Kammergericht in einem zunächst meinungsbildenden Beschluß3 vom 3. März 1916 geäußert. Der zitierten Entscheidung des Kammergerichts lag keine unterhaltsrechtliche Streitigkeit zugrunde. Es ging vIelmehr um das Eheverbot des Ehebruchs gem. § 1312 BGB a. F.4, wonach der wegen Ehebruchs schuldig geschiedene Ehegatte die Frau bzw. den Mann, mit der bzw. dem er die Ehe gebrochen hatte, nicht heiraten durfte. Dennoch konnte es immer wieder vorkommen, daß die Ehebrecher heirateten. Zum einen liegen die Voraussetzungen des Eheverbotes des § 1312 nicht immer schon dann vor, wenn auch ein Ehebruch im Scheidungsverfahren eine Rolle spielte.s Zum anderen gab es aber auch die Befreiungsmöglichkeit nach § 1312 11, selbst in den schwersten Fällen und selbst gegen den Willen des schuldlos Geschiedenen.6 Im vom Kammergericht zu entscheidenden Fall hatte das Standesamt die Eheschließung wegen des Ehehindernisses des § 1312 abgelehnt. Das Amtsgericht aber hatte das Standesamt zur Vornahme der Eheschließung angewiesen. Mit der gegen diese Entscheidung des Amtsgerichts eingelegten Beschwerde hatte die frühere Frau des wieder heiratswilligen Ehebrechers beim Landgericht Erfolg. Das Landgericht hatte angenommen, daß durch die Anweisung des Amtsgerichts ein der Beschwerdeführerin zustehendes persönliches Recht beeinträchtigt worden sei. 2 Vgl. oben § 5, vor Fn.6. KG, OLGE 33, 335 ff. 4 § 1312: Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen einem wegen Ehebruchs geschiedenen Ehegatten und demjenigen, mit welchem der geschiedene Ehegatte den Ehebruch begangen hat, wenn dieser Ehebruch in dem Scheidungsurtheil als Grund der Scheidung festgestellt ist. Von dieser Vorschrift kann Befreiung erteilt werden. S Zu den einzelnen möglichen komplexen SachverhaIts- und Prozeßsituationen vgl. nur Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm. 1 c) zu § 1579. 6 Planck / Unzner (4. Aufl.), Anm. 6 zu § 1312. 3
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Mit diesen möglichen Verletzungen persönlicher Rechtspositionen der früheren Frau setzt sich nun das Kammergericht eingehend auseinander. Auch § 1312 könne kein Widerspruchsrecht hergeleitet werden. Denn selbst wenn die trotz des Eheverbots geschlossene Ehe nach § 13287 bis zur Beibringung nachträglicher Befreiung nichtig wäre, so fehle doch dem anderen Ehegatten der früheren Ehe jede Legitimation, die Nichtigkeit der neuen Ehe geltend zu machen und demgemäß auch der Eingehung dieser Ehe entgegenzutreten. Das Kammergericht beschäftigte sich aber auch eindringlich mit den der geschiedenen Frau aus §§ 1577 ff. erwachsenden Rechtspositionen und äußerte sich hierbei in einem obiter dictum zu dem Problem, ob der Ehebruch des Pflichtigen mit dem neuen Ehegatten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 1579 I 2 zu berücksichtigen war: "Allein mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils ist die bisherige Ehe aufgelöst worden (§ 1564 Satz 3) und dadurch wie § 1309 ergibt, dem geschiedenen Manne die Möglichkeit eröffnet, eine neue Ehe einzugehen. Andere Rechte, als die in §§ 1577 ff. vorgesehenen, stehen dem geschiedenen anderen Ehegatten als Wirkung der Scheidung nicht zu, auf die Geltendmachung dieser Rechte ist es aber ohne Einfluß, ob der geschiedene Mann mit einer Frau, mit der er die frühere Ehe gebrochen hat, oder mit einer anderen eine neue Ehe eingeht. Allerdings erfährt nach § 1579 s.atz 28 die Unterhaltspflicht des allein für schuldig erklärten Ehegatten für den Fall seiner Wiederverheiratung unter Umständen eine Einschränkung, diese tritt aber ein ohne Unterschied, ob der neue Ehegatte der frühere Ehebrecher ist oder nicht, und ist eine an die Wiederverheiratung geknüpfte Folge, ohne daß der geschiedene andere Ehegatte durch das Gesetz berechtigt worden ist, um der drohenden Einschränkung seiner Unterhalts ansprüche willen der Wiederverheiratung des früheren Ehegatten zu widersprechen. Übrigens kommt dieser Gesichtspunkt nicht in Betracht, da hier beide Eheleute bei der Scheidung als an ihr schuldig erklärt worden sind, somit ein Unterhaltsanspruch nicht besteht (§ 1578)."9 Folgerichtig hat das Kammergericht den Amtsgerichtsbeschluß bestätigt. Das Kammergericht hat also klargemacht, daß der schuldlos geschiedene Ehegatte nicht aus irgendwelchen Gründen einer "sittlich-moralischen Billigkeit" eine unterhaltsrechtliche Vorrangstellung vor der neuen Ehefrau des Pflichtigen, die seine frühere Ehebruchspartnerin 7 § 1328: Eine Ehe ist nichtig, wenn sie wegen Ehebruchs nach § 1312 verboten war. Wird nachträglich Befreiung von der Vorschrift des § 1312 bewilligt, so ist die Ehe als von Anfang an gültig anzusehen. 8 Gemeint ist § 1579 I 2. 9 Gerade dieser letzte Satz zeigt, wie sehr es dem Kammergericht auf das obiter dictum zu § 1579 I 2 angekommen sein muß, denn für seine Entscheidung in der S'