Der nachhaltige Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa: Die Entstehung eines völker- und europarechtlichen Umweltregimes [1 ed.] 9783428514106, 9783428114108

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verdeutlichen Hochwasser, Dürre und Wasserverschmutzung in vielen Regionen der Erde die N

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German Pages 396 Year 2005

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Der nachhaltige Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa: Die Entstehung eines völker- und europarechtlichen Umweltregimes [1 ed.]
 9783428514106, 9783428114108

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GÖTZ REICHERT

Der nachhaltige Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard HeB Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum, Joachim Vogel sämtlich in Tübingen

Band 76

Der nachhaltige Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa Die Entstehung eines völker- und europarechtlichen Umweltregimes

Von Götz Reichert

Duncker & Humblot . Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrutbar.

D21 Alle Rechte vorbehalten

© 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-11410-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern Karzn und Gottfried Reichert und meiner Schwester Katja

Vorwort Den entscheidenden Impuls für das Thema der vorliegenden Studie, die im Sommersemester 2003 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen wurde, erhielt ich während meiner Tätigkeit bei der Weltbank in Washington CD.C.). Als Mitarbeiter der Rechtsabteilung konnte ich unmittelbar erleben, welche Herausforderung internationale Konflikte um Nutzung und Schutz grenzübergreifender Süßwasserressourcen in vielen Regionen der Erde darstellen. Von der Konzeption bis zur Fertigstellung der Arbeit haben mich zahlreiche Menschen begleitet, denen ich zu Dank verpflichtet bin: An erster Stelle danke ich besonders meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum, der mir an seinem Lehrstuhl eine akademische Heimat gab und mich auf vielfältige Weise fOrderte. Bei aller Freiheit, die er mir hinsichtlich Themenwahl und Gestaltung der Dissertation gewährte, konnte ich mir seiner engagierten Unterstützung stets gewiss sein. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Martin Nettesheim für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Interesse für das internationale Gewässerrecht weckte Dr. Salman M. A. Salman, der mir während meiner Zeit bei der Weltbank nicht nur Vorgesetzter und Kollege, sondern auch Lehrer und Freund war. Dr. Rainer E. Enderlein von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa lud mich nach Genf in den Völkerbundspalast ein, wo er sich viel Zeit nahm, meine Fragen über das Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen zu beantworten. Sowohl seine Informationen über Entwicklung und praktische Umsetzung des Übereinkommens als auch die diesbezüglichen Dokumente, die er mir freundlicherweise zur Verfügung stellte, waren mir sehr hilfreich. Die Hague Academy of International Law ermöglichte es mir durch ein Stipendium im Rahmen des Centre for Studies and Research in International Law and International Relations, vier Wochen im Haager Friedenspalast und dessen Bibliothek zu forschen. Dieses umfassende Bildungserlebnis wird mir durch den intensiven und freundschaftlichen Gedankenaustausch mit Menschen aus verschiedenen Regionen der Erde in guter Erinnerung bleiben. Hierfür danke ich insbesondere Mohamed Amr, Gabriel Eckstein, Maria Manuela Farrajota, Mariangela Gramola, Leonard Hammer, Matthew Happold, Antoinette Hildering, Natalia Ochoa-Ruiz, Maria Querol und Luther Rangreji. Gerne denke ich an die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls von Professor Graf Vitzthum zurück. Mit Dr. Alexander Proelß teilte

8

Vorwort

ich vorübergehend nicht nur ein Büro, sondern auch manche Erfahrung und Erkenntnis, durch die die Arbeit an einer Dissertation zu einer intellektuellen Entdeckungsreise wird. Ihm und Dr. Stefan Talmon danke ich für viele anregende Gespräche und Diskussionen. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Rechtsanwalt Ian Rudolph, der nicht allein durch die Lösung des einen oder anderen Computerproblems die Entstehung dieser Arbeit begleitete. Die Publikation wurde großzügig durch einen finanziellen Beitrag der Reinholdund-Maria-Teufel-Stiftung unterstützt. Dem Stiftungszweck, wissenschaftliche Arbeiten auf den Gebieten der Rechtswissenschaft und der Biologie zu fördern, hoffe ich durch die interdisziplinären Passagen dieser umweltrechtlichen Studie gerecht zu werden. Frankfurt am Main, im Dezember 2004

Götz Reichert

Inhaltsübersicht Einleitung ............................................................................

27

1. Teil

Grundlagen und Vorläufer nachhaltigen Schutzes greDZÜbergreifender Gewässer

37

I. Kapitel: Regelungsgegenstand: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern ... . ... ... .. .... . ...........................................................

37

A. Soziokulturelle Rahmenbedingungen ............................................

37

B. Ökologische Rahmenbedingungen ..............................................

45

C. Ökonomische Rahmenbedingungen ......................... ...... ..............

80

D. Zwischenergebnis ...............................................................

89

2. Kapitel: Regelungsinteresse: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen .. . . . . .

90

A. Regelungskompetenz: Souveränitätsrechtliche Zuordnung von Gewässern. . .. . . .

91

B. Regelungsproblem: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen .......... . .....

92

C. Regelungsinteresse: Interessenkonflikte. Interdependenz und Regelungsbedarf ..

94

D. Zwischenergebnis...... . .................................... .. ............... ...

102

3. Kapitel: Regelungsansätze: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung ......

105

A. Extreme Ausgangspositionen... ... . .............................................

106

B. Koexistenz: Kompetenzwahrende Regelungsansätze ............................

117

C. Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets 134 D. Zwischenergebnis... ... ...... . ....... ... .. . . . ..... .. ......... .. .... .. ....... . ...

160

10

Inhaltsübersicht

2. Teil

Rechtsinstrumente nachhaltigen Schutzes greDZÜbergreifender Gewässer Einleitung: Nachhaltiger Gewäs5erschutz - Konturen eines ökosystemorientierten

Leitbilds .......... . . .. ........... . .................... ......... ....................

4. Kapitel: Nachhaltiger Gewäs5erschutz auf völkerrechtlicher Ebene - dargestellt

am Beispiel der Donau und des Rheins ...........................................

162

162

173

A. Nachhaltiger Gewässerschutz: Regionaler Rahmen und subregionale Konkretisierung. ...... ... ... . .... . . .... . .. . . . ........ .. ............ .. ..... .................. 173 B. Regelungsinteresse nachhaltigen Gewässerschutzes .............................

184

C. Institutionalisierte Kooperation: Internationale Gewässerschutzkommissionen ...

188

D. Regelungsgegenstand nachhaltigen Gewässerschutzes . ...................... ....

211

E. Prinzipien nachhaltigen Gewässerschutzes ......................................

221

F. Maßnahmen nachhaltigen Gewässerschutzes ....................................

235

G. Wissensmanagement und nachhaltiger Gewässerschutz ..........................

271

H. Zwischenergebnis ...............................................................

276

5. Kapitel: Nachhaltiger Gewäs5erschutz auf europarechtlicher Ebene - Die Was-

serrahmenrichtlinie ............................................................... 278 A. Hintergrund: Die Entwicklung des europarechtlichen Gewässerschutzes (1973 2000) ........ ......... ........ ... ... .......... .... ... . .. . ........... ......... ...

279

B. Regelungsinteresse, Art. 1 WRRL ...............................................

287

C. Regelungsgegenstand: Nationale und internationale Flussgebietseinheiten, Art. 3 WRRL ........................... .... .................................... . ...... 292 D. Umweltziele, Art. 4 WRRL ........................ .... ............. ..... ..... ..

295

E. Wissensmanagement: Gewässeranalyse und -überwachung, Art. 5 bis Art. 8 WRRL .......................................................................... 304

F. Maßnahmenprogramme, Art. 11 WRRL ......... .. .. . ......... ......... .........

306

G. Bewirtschaftungspläne, Art. 13 WRRL ..........................................

318

H. Partizipation der Öffentlichkeit, Art. 14 WRRL .................................

320

I. Umsetzung der WRRL: Common Implementation Strategy . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 322

J. Zwischenergebnis .................................. ..... ........................ 324

Inhaltsübersicht

11

6. Kapitel: Das völker- und europareclltliche Regime nachhaltigen Gewässer-

schutzes ............................................................................ 327 A. Zum Begriff des "Regimes" .....................................................

329

B. Die Umsetzung der WRRL durch völkerrechtliche Kooperationsstrukturen ......

340

c. Zwischenergebnis ...............................................................

349

Ergebnis und Ausblick......... ...................................................... 351 Karte: GreDZÜbergreifende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl) .................. 359 Literaturverzeicbnis ................................................................. 361 Sachverzeichnis ........, .............,.... ..... . ..... ... ..... .... .. ... ... ... .... .. ... .. 391

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................

27

1. Teil

Grundlagen und Vorläufer nachhaltigen Schutzes greDZÜbergreifender Gewässer

37

1. Kapitel: Regelungsgegenstand: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern...................................... ... ......... . .........................

37

A. Soziokulturelle Rahmenbedingungen ............. .. . . .. . ........... . ..... .... . ..

37

I. Kulturfunktionen von Gewässern ....................... .. ..................

38

ll. Elemente von Wasserkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

1. Mythische und religiöse Aspekte .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

2. Naturphilosophische Aspekte ............ .... ................... . . .......

41

3. Naturethische Aspekte............................... . ...................

42

4. Wissenschaftliche und technologische Aspekte ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

Soziokulturelle Implikationen für das Gewässerschutzrecht .................

44

B. Ökologische Rahmenbedingungen ..............................................

45

I. Wasservorkommen und Wasserkreislauf ....................................

45

ll. Naturfunktionen von Gewässern............................................

47

1. Regelungsfunktion .. .. . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .

47

m.

a) Stoffhaushalt und Selbstreinigungsfähigkeit ..........................

47

b) Energie- und Klimahaushalt ..........................................

48

2. Lebenserhaltungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

3. Lebensraumfunktion: Süßwasserökosysteme ..... . ... ... .... .... .........

50

a) Süßwasserseen .......................................................

51

b) Fließgewässer ........................................................

52

c) Boden- und Grundwasser.............................................

54

d) Feuchtgebiete ........................................................

57

e) Küstengewässer......................................................

57

14

Inhaltsverzeichnis III. Gewässerbelastungen .......................................................

58

1. Physikalische Gewässerbelastungen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

a) Veränderung der Gewässennorphologie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

b) Hochwasser..........................................................

61

c) Niedrigwasser........................................................

61

d) Thennische Gewässerbelastung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

e) Klimawandel .........................................................

62

f) Eintrag partikulärer Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

2. Chemische Gewässerbelastungen ........................................

64

a) Erscheinungsfonnen chemischer Gewässerbelastungen ...............

64

aa) Sauerstoffm.angel ................................................

64

bb) Eutrophierung ...................................................

65

cc) Versauerung .....................................................

66

dd) Versalzung .......................................................

67

ee) Toxizität.........................................................

69

b) Einzelne Schadstoffgruppen ..........................................

71

aa) Phosphor ........................................................

71

bb) Stickstoff........................................................

72

cc) Metalle und Metalloide ..........................................

73

dd) Chlorierte Kohlenwasserstoffe ...................................

73

ee) Mineralöl ........................................................

75

3. Biologische Gewässerbeiastungen .......................... : . ... . . . . . . . ..

77

a) Gewässerbelastung durch organisches Material .......................

77

b) Hygienische Gewässerbelastung ......................................

77

c) Gewässerbelastung durch gebietsfremde Arten........................

78

IV. Ökologische Implikationen für das Gewässerschutzrecht ....................

79

C. Ökonomische Rahmenbedingungen .............................................

80

I. Gewässer als natürliche Ressourcen .........................................

80

11. Ressourcenökonomie und optimale Allokation..............................

81

III. Die Ökonomie externer Effekte .............................................

83

1. Externe Effekte und suboptimale Allokation .............................

83

2. Internalisierung externer Effekte: "Leviathan" oder "unsichtbare Hand"?

84

a) Hobbes' "Leviathan": Ordnungspolitische Instrumente...............

84

b) Smiths "unsichtbare Hand": Marktorientierte Instrumente ............

85

aa) Das Coase-Theorem .............................................

86

bb) Der Handel mit Nutzungs- und Belastungsrechten ................

86

Inhaltsverzeichnis

15

IV. Ökonomische lmplikationen für das Gewässerschutzrecht .. ............ . ... .

88

D. Zwischenergebnis..................................................... . .... . ... .

89

2. Kapitel: Regelungsinteresse: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen .... . .

90

A. Regelungskompetenz: Souveränitätsrechtliche Zuordnung von Gewässern. . . . . . .

91

B. Regelungsproblem: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen ...... . .........

92

C. Regelungsinteresse: Interessenkonflikte, Interdependenz und Regelungsbedarf . .

94

I. Zwischenstaatliche Interessenkonflikte . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .

95

ll. Zwischenstaatliche Interdependenz und kollektiver Regelungsbedarf .. . ... ..

100

D. Zwischenergebnis............. . ... .. ............ . .... . ....... . .... . ........... . .

102

3. Kapitel: Regelungsansät2e: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung ......

105

A. Extreme Ausgangspositionen..... . ........ . .... . ............. . ....... . ........ . .

106

I. Absolute territoriale Souveränität und Integrität .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

ll. Community of Interests - Die gemeinschaftliche und optimale Nutzung . .. . .

110

1. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei navigatorischen Nutzungen . .....

111

2. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei nicht-navigatorischen Nutzungen

114

B. Koexistenz: Kompetenzwahrende Regelungsansätze .............. . .............

117

I. Das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer ...

119

ll. Das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen .... . .....

125

ill. Bewertung kompetenzwahrender Regelungsansätze .. .. . ... . .... . . . .. .. .. .. .

131

C. Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets 134 I. Ausprägungen partiellen Gewässerschutzes im Rheineinzugsgebiet (1950 1986) ....... . ........ . .... . .... . .. .. ... . ... .. ............ . .... . ....... . .... .

136

1. Völkerrechtliche Instrumente zum Schutz des Rheins. .. ..................

137

a) Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR) . ....................................................... 137 b) Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung ... . .. . . .. .. . ...... . . .... . ... . . .. ... ... ... . . ..... . .. .... . ....... 139 c) Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride.................... .. ........ . ... . ............ . ... .. .... . ... . 141 2. Völkerrechtliche Instrumente zum Schutz von Mosel und Saar ...........

145

3. Völkerrechtliche Instrumente zum Schutz des Bodensees ... . ............ .

148

a) Übereinkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung . ........ . . . . ... . . .... . .. .. ... . ........... . .. ... . . ... .. . .. . ..... 148

16

Inhaltsverzeichnis b) Übereinkommen über die Regelung von Wasserentnahmen aus dem Bodensee ............................................................. 150 c) Übereinkommen über die Schifffahrt auf dem Bodensee ..............

151

II. Bewertung partiellen Gewässerschutzes .....................................

153

1. Merkmale partiellen Gewässerschutzes ..................................

153

a) Materielle Regelungen: Partieller Regelungsansatz ...................

153

b) Prozedurale Regelungen: Institutionalisierte Kooperation.............

154

2. Krise partiellen Gewässerschutzes und Neuorientierung ..................

156

a) Das Aktionsprogramm Rhein und Lachs 2000 .........................

156

b) Der Aktionsplan Hochwasser.........................................

159

D. Zwischenergebnis...............................................................

160

2. Teil

Rechtsinstrumente nachhaltigen Schutzes greDZÜbergreifender Gewässer

162

Einleitung: Nachhaltiger Gewässerschutz - Konturen eines ökosystemorientierten Leitbilds ........................................................................... 162 4. Kapitel: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene - dargesteUt am Beispiel der Donau und des Rheins ........................................... 173 A. Nachhaltiger Gewässerschutz: Regionaler Rahmen und subregionale Konkretisierung ............................................................................. 173

I. Regionaler Rahmen: Gewässerschutz durch die UN IECE ...................

174

1. Soft lAw: UN I ECE-Empfehlungen und -Leitlinien zum Gewässerschutz .

174

2. Das UN I ECE-Gewässerübereinkommen .................................

175

II. Subregionale Konkretisierung: Spezifische Gewässerschutzübereinkommen

179

1. Die Entstehung des Donauschutzübereinkommens .......................

180

2. Die Entstehung des Rhein-Übereinkommens.............................

182

B. Regelungsinteresse nachhaltigen Gewässerschutzes .............................

184

C. Institutionalisierte Kooperation: Internationale Gewässerschutzkommissionen ...

188

I. Ausprägungen institutionalisierter Kooperation zum nachhaltigen Gewässer-

schutz ...... ...... ... ........... ... ...... ... ..... ... .... .... .... ............

189

1. Zusammensetzung und Entscheidungsfindung von Gewässerschutzkommissionen ... . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Zusammensetzung und Entscheidungsfindung der IKSD ..............

190

b) Zusammensetzung und Entscheidungsfindung der IKSR ..............

192

Inhaltsverzeichnis

17

2. Koordinierungs- und Expertengremien von Gewässerschutzkommissionen 195 a) Koordinierungs- und Expertengremien der IKSD

195

b) Koordinierungs- und Expertengremien der IKSR

198

3. Sekretariate von Gewässerschutzkommissionen ..........................

199

a) Das IKSD-Sekretariat . . ........ . ........ . ...................... .... ..

199

b) Das IKSR-Sekretariat.................. . ..............................

200

4. Partizipation von Drittstaaten. zwischenstaatlichen Organisationen und NRO ..................................................................... 200 a) Partizipation im Rahmen derIKSD ...................................

201

b) Partizipation im Rahmen der IKSR ...... ... . .. ....... ... ..... ...... .. 203 5. Infonnation der Öffentlichkeit .................................. .. .......

204

a) Infonnation der Öffentlichkeit im Rahmen der IKSD .................

205

b) Information der Öffentlichkeit im Rahmen der IKSR ..... ... ..... . .. . . 206 11. Bewertung institutionalisierter Kooperation zum nachhaltigen Gewässerschutz . ...... ..... . ... ...... ..... .... .............. ......... ..... ... ........ 206 1. Klassische Funktionen von Gewässerschutzkommissionen ...............

207

2. Gewässerschutzkommissionen als epistemische Gemeinschaften . ...... .. 208 D. Regelungsgegenstand nachhaltigen Gewässerschutzes .. ...... ...... ... ..........

211

I. Konzeptionen: Drainage Basin oder Watercourse? ..........................

211

11. Umsetzung: Regelungsgegenstand von Gewässerschutzübereinkommen .....

215

1. Regelungsgegenstand des UN IECE-Gewässerübereinkommens ..... ... ..

215

2. Regelungsgegenstand des Donauschutzübereinkommens .................

218

3. Regelungsgegenstand des Rhein-Übereinkommens .................... , ..

219

E. Prinzipien nachhaltigen Gewässerschutzes .......................... ... .........

221

I. Allgemeine Rechtsnatur und Bedeutung von Prinzipien..................... 221 11. Einzelne Prinzipien nachhaltigen Gewässerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Das Vorsorge- und das Vorbeugeprinzip .......................... ... .....

227

2. Das Ursprungsprinzip ..... .. . . ...........................................

230

3. Das Verursacherprinzip ..................................................

231

4. Das Verschlechterungsverbot ............................................

234

5. Das Verlagerungsverbot ..................................................

234

F. Maßnahmen nachhaltigen Gewässerschutzes ........ ... ............. .. ..........

235

I. Schutz von Ökosystemen 2 Reichert

236

18

Inhaltsverzeichnis 11. Schutz der Wasserqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Das Emissionsprinzip ....................................................

239

a) Punktquellen: Haushalte und Industrieanlagen ........................

240

aa) Schadstoffeinleitung durch Haushalte ............................

240

bb) Schadstoffeinleitung durch Industrieanlagen .....................

241

(1) Emissionsgrenzwerte ........................................

241

(2) Der Stand der Technik .......................................

243

(3) Die Umweltverträglichkeitsprüfung ..........................

247

(4) Störfallvorsorge und Anlagensicherheit ......................

254

b) Schadstoffeinleitung durch die Binnenschifffahrt .....................

256

c) Diffuse Quellen: Die beste Umweltpraxis .............................

257

2. Das Immissionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Der kombinierte Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 263 III. Schutz der Wasserquantität .................................................

265

IV. Schutz des Grundwassers ...................................................

266

V. Schutz vor Hochwasser .....................................................

268

G. Wissensmanagement und nachhaltiger Gewässerschutz ..........................

271

I. Pflicht zur Wissensgewinnung ..............................................

271

1. Pflicht zur Gewässerüberwachung .......................................

272

2. Pflicht zur Gewässererforschung .........................................

273

11. Pflicht zum Wissensaustausch ..............................................

274

1. Allgemeine Informations- und Berichtspflichten .........................

274

2. Warn- und Alarmpflichten ...............................................

275

H. Zwischenergebnis ...............................................................

276

5. Kapitel: Nachhaltiger Gewässerschutz auf europarechtlicher Ebene - Die WasserrahmenrichtIinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 A. Hintergrund: Die Entwicklung des europarechtlichen Gewässerschutzes (19732(00) ........ ...... ... ... .... ..... ... ... ....... ..... ........ ..... .......... ..... 279 B. Regelungsinteresse, Art. 1 WRRL ...............................................

287

C. Regelungsgegenstand: Nationale und internationale Flussgebietseinheiten, Art. 3 WRRL .......................................................................... 292 D. Umweltziele, Art. 4 WRRL .....................................................

295

I. Der "gute Zustand" von Oberflächengewässern, Grundwasser und Schutzgebieten .................................................................... 296 1. Der "gute Zustand" von Oberflächengewässern ..........................

296

2. Der "gute Zustand" von Grundwasser ....................................

298

3. Schutzgebiete............................................................

299

Inhaltsverzeichnis

19

II. Ausnahmen ............. .'........ . ............................ .. ........... . 300

m.

Rechtsverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 303

E. Wissensmanagement: Gewässeranalyse und -überwachung, Art. 5 bis Art. 8 WRRL . .. . ..... .. .. . ... .. . .. . . ... . .. .. .. . .. ... ... ... .. . .. . ..... . . . .... . ... . ..... 304 F. Maßnahmenprogramme, Art. 11 WRRL .......... .. .. .. .... .. .. .. ...... .... .....

306

I. Grundlegende Maßnahmen, Art. 11 Abs. 3 WRRL ........................ . .

307

1. Schutz der Wasserqualität .............. .. ................. . ..... . ........

307

a) Umsetzung gemeinschaftlicher Gewässerschutzvorschriften . ... . .....

307

aa) Gewässerschutzvorschriften nach Art. 10 WRRL ............. .. ..

308

bb) Gewässerschutzvorschrlften nach Anhang VI Teil A WRRL ......

309

b) Maßnahmen in Bezug auf Schadstoffeinleitungen . . .......... .. .......

310

aa) Allgemeine Anforderungen an Schadstoffeinleitungen . . . . . ... . . . 310 bb) Strategien gegen Wasserverschmutzung, Art. 16 WRRL .. .. ......

310

cc) Strategien gegen Grundwasserverschmutzung, Art. 17 WRRL .. ..

312

dd) Vorkehrungen gegen irreguläre Schadstoffeinleitungen ....... . . . . 313 2. Schutz der Wasserquantität . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

314

a) Der Grundsatz der Kostendeckung, Art. 9 WRRL .. .. ... . .. ... . .......

314

b) Sonstige Maßnahmen . .. . ... .. ..... . ...... .. ... . . .. ............ ... .. . . 316 3. Maßnahmen gegen sonstige Gewässerbelastungen .......................

316

II. Ergänzende Maßnahmen, Art. 11 Abs. 4 WRRL ............ .. .......... .. ..

317

m.

Erfolgskontrolle, Art. 11 Abs. 5 WRRL ... .............. . ...................

317

IV. Verschlechterungs- und Verlagerungsverbot, Art. 11 Abs. 6 WRRL .. ........

318

G. Bewirtschaftungspläne, Art. 13 WRRL ...... .. ... . ... . ... . . .. . . ... . .. . .. .... .. . . 318 H. Partizipation der Öffentlichkeit, Art. 14 WRRL ...... .. ............ ... ..........

320

I. Umsetzung der WRRL: Common Implementation Strategy . .. ..... . ..... .. .. . ...

322

J. Zwischenergebnis. .. .... . ................. .. .... . ........... . ..... . ..... . ..... . . 324

6. Kapitel: Das völker- und europarechtliche Regime nachhaltigen Gewässer-

schutzes .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 327

A. Zum Begriff des ,,Regimes" .. . ....... . .............. ... ................ .. .......

329

I. Das Regime in der Vdlkerrechts- und der Politikwissenschaft . . .... . ........

330

II. Das Regime als völker- und europarechdicher Regelungsverbund ... . ..... . . 338 B. Die Umsetzung der WRRL durch völkerrechtliche Kooperationsstrukturen ... . ..

340

I. Die Eignung von Gewässerschutzkommissionen zur Umsetzung der WRRL 340 2·

20

Inhaltsverzeichnis II. Die Umsetzung der WRRL in grenzübergreifenden Einzugsgebieten ........

342

1. Die Umsetzung der WRRL in den Einzugsgebieten von Donau und Rhein 342 2. Die Umsetzung der WRRL im Einzugsgebiet der Maas ..................

344

C. Zwischenergebnis ...............................................................

349

Ergebnis und Ausblick............................................................... 351 Karte: GreDZÜbergreifende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl) .................. 359 Literaturverzeichnis ................................................................. 361 Sachverzeichnis...................................................................... 391

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABlEG Abs. Abschn. AEPWS/EG AJIL

APR Art.

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz, Absätze Abschnitt Accident Emergency Prevention and Warning System Expert Group oftheICPDR American Journal of International Law Aktionsprogramm Rhein Artikel; Article, Articles

ASCE

American Society of Civil Engineers

Aufl. AUll..R AVR

Auflage American University International Law Review Archiv des V6lkerrechts

Bd.

best available technique; best available technology Band, Bände

BEP BGBl.

Bundesgesetzblatt

BR-Drucks. BT-Drucks.

Drucksachen des Bundesrates Drucksachen des Deutschen Bundestages

BullEG BYll.. bzw. ca. CEIC CIS

Bulletin der Europäischen Gemeinschaften

BAT

CJIELP CSD

best environmental practices

British Yearbook of International Law beziehungsweise circa Conseil Europeen de l'Industrie Chimique Common Strategy for the Implementation of the Water Framework Directive Colorado Journal of International Environmental Law and Policy Commission on Sustainable Development

crs

Consolidated Treaty Series

dass. DDT

Dichlordiphenyltrichlorethan

DEF

Danube Environmental Forum

ders.

derselbe

d.h. dies.

das heißt dieselbe, dieselben

CWR.JIL

Case Western Reserve Journal of International Law dasselbe

22

Abkürzungsverzeichnis

DPRP

Dissertation Document Die Öffentliche Verwaltung - Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft Danube Pollution Reduction Programme

DRPC DVBl.

Danube River Protection Convention Deutsches Verwaltungsblatt

ebd.

ebenda Ecological Expert Group of the ICPDR European Environmental Bureau European Environmental Law Review

Diss. Doc. DÖV

ECO/EG EEB EELR EG EGV

EIA EMIS/EG endg. engl. EPDRB EPll.. etc. EU EUDUR EuGH EuR EUREAU

EUV EuZW EWG f. FAO ff. FFH-Richtlinie Fn. frz. GBl.B-W griech. GWP-CEETAC

GYBll.. HCH HdUR HELCOM

Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft environmental impact assessment Emissions Expert Group of the ICPDR endgültig englisch Environmental Programme for the Danube River Basin Encyclopedia of Public International Law et cetera Europäische Union, European Union Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht Europäischer Gerichtshof Europarecht European Union of National Associations of Water Suppliers and Waste Water Services Vertrag zu Gründung der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wrrtschaftsrecht Europäische Wirtschaftgemeinschaft folgende Food and Agriculture Organization of the United Nations fortfolgende Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Fußnote französisch Gesetzblatt für Baden-Württemberg griechisch Global Water Partnership Central and Eastern Europe Technical Advisory Committee German Yearbook of International Law "(-Hexachlorcyclohexan (Lindan) Handwörterbuch des Umweltrechts Helsinki Commission

Abkürzungsverzeichnis

HJIL h.M. Hrsg. HS lAD

IAWR ICI ICLQ ICPDR (s.a. IKSD) i.d.F. IDI i.d.R. i.e. IGH IGKB IHP/UNESCO IHWZ IKSD (s.a. ICPDR) IKSD-GO IKSE IKSM IKSMS

IKSR IKSR-GFO ILA ILC ILM ILSA-nCL IMO 10 IPCC i. S. d. i. S. v. IUCN i.V.m. IWAC JLE

23

Harvard Journal ofInternational Law herrschende Meinung Herausgeber. Herausgeberin Halbsatz Internationale Arbeitsgemeinschaft Donauforschung Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly International Commission for the Protection of the Danube River in der Fassung Institut de Droit International in der Regel id est Internationaler Gerichtshof Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee International Hydrological Programme of UNESCO Internationale Hauptwarnzentralen im Rahmen der IKSR Internationale Kommission zum Schutz der Donau Geschäftsordnung der IKSD Internationale Kommission zum Schutz der EIbe Internationale Kommission zum Schutz der Maas Internationale Kommissionen zum Schutz von Mosel und Saar gegen Verunreinigung; Internationale Kommission zum Schutz der Mosel und der Saar Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung; Internationale Kommission zum Schutz des Rheins Geschäfts- und Finanzordnung der IKSR International Law Association International Law Commission International Legal Materials International Law Students Association - Journal of International & Comparative Law International Maritime Organization International Organization Intergovemmental Panel on Climate Change im Sinne des im Sinne von International Union for the Conservation of Nature and Natural Resources in Verbindung mit International Water Assessment Centre Journal of Law and Economics

Abkürzungsverzeichnis

24 kg I sec km km2 km3 KOM KSZE lat. LAWA LBP lit.

un.. MOPA mg/l

Kilogramm pro Sekunde Kilometer Quadratkilometer Kubikkilometer Europäische Kommission Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa lateinisch Länderarbeitsgemeinschaft Wasser land-based pollution litera Leiden Journal of International Law Mines Domaniales de Potasse d' Alsace

MLIM/EG

Milligramm pro Liter Monitoring, Laboratories and Information Management Expert Group oftheICPDR

MoP m. w. N.

Meeting of the Parties mit weiteren Nachweisen

NABU

Naturschutzbund Deutschland

n. Chr. n.F.

nach Christus

NGO Nr.

NRF NRJ NRO

NuR

neue Fassung Non-govemmental Organization Nummer Natural Resources Forum Natural Resources Journal Nichtregierungsorganisation

NVwZ

Natur und Recht - Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OECD OSPAR

Organization for Economic Co-operation and Development Oslo-Paris

Para. PeB PeDD

Paragraph polychlorierter Biphenyle polychlorierte Dibenzodioxine

PeDF PCIJ

polychlorierte Dibenzofurane Permanent Court of International Justice

PCU PER

Programme Co-ordination Unit l,l,2,2-Perchlorethen

PMTF

Programme Management Task Force persistent organic pollutant

POP PTB

persistente, toxische und bioakkumulierbare Stoffe

RBDI

Revue beige de droit international

RBM/EG

River Basin Management Expert Group ofthe ICPDR Regional Environmental Center for Central and Eastem Europe

REC

Abkürzungsverzeichnis RECIEL RGZ RIAA RIRS Rn. Rs. S. s.a. SIEG s.o. sog. Sp. span. SRÜ StIGH s.u. TETRA TllJ TNMN ToR u.a. UAbs. UBA UdSSR UN UN/ECE UNCED UNCHE UNDP

UNEP

UNESCO UNFCCC UNTS US U.S. USA usw. u.U.

UVP

v. v.Chr. vgl. WCD

25

Review of European Community & International EnvironmentaI Law Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Report of International Arbitral Awards Review of International Relations Studies Randnummer; Randnummern Rechtssache Seite, Seiten; Satz siehe auch Strategie Expert Group of the ICPDR siehe oben sogenannte, sogenannter, sogenanntes Spalte, Spalten spanisch Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen Ständiger Internationaler Gerichtshof siehe unten Tetrachlorkohlenstoff Texas International Law Journal Trans-National Monitoring Network im Rahmen der IKSD Terms of Reference und andere; unter anderem Unterabsatz Umweltbundesamt Union der sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United Nations Economie Commission for Europe United Nations Conference on Environment and Development United Nations Conference on the Human Environment United Nations Development Programme United Nations Environment Programme United Nations Edueational, Scientifie and Cultural Organization United Nations Framework Convention on Climate Change United Nations Treaty Series United States United States Reports United States of America und so weiter unter Umständen Umweltverträglichkeitsprüfung versus vor Christus vergleiche World Commission on Dams

26 WCED WHG WHO WMO WRRL WSSD WuB WWF YBIEL YBILC YIIL ZaöRV z.B. ZfW Ziff. zit. ZKR z.T. ZUR

Abkürzungsverzeichnis World Cornmission on Environment and Development Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) World Health Organization World Meteorological Organization Wasserrahmenrichtlinie World Surnmit on Sustainable Devlopment Wasser & Boden World Wide Fund for Nature Yearbook ofInternationai Environmental Law Yearbook of the International Law Commission Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift ftir Wasserrecht Ziffer zitiert Zentralkornmission für die Rheinschifffahrt zum Teil Zeitschrift ftir Umweltrecht

Einleitung Die Krise der Gewässer Zu Beginn des 21. Jahrhunderts rückt Wasser - conditio sine qua non allen Lebens - in den Blickpunkt weltweiten Interesses I. Gewässerverschmutzung, Überschwemmungen und Wassermangel nehmen in vielen Erdregionen zu und beeinträchtigen die Nutzung von Süßwasserökosystemen durch den Menschen. Ein Sechstel der Weltbevölkerung - über eine Milliarde Menschen - hat keinen Zugang zu sauberem Wasser2 • Auch in Europa haben in der jüngeren Vergangenheit verschiedenartige Katastrophen die mannigfaltigen Gefährdungen von Binnengewässern in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit treten lassen. Erinnert sei nur an die Verschrnutzung des Rheins durch den Sandoz-Unfall im November 1986 und der Theiß durch das Baia-Mare-Unglück im Januar 2000, an die Überflutung weiter Landstriche entlang von Donau und EIbe im August 2002 sowie an die europaweite Dürre mit ihren schwerwiegenden Folgen für Mensch und Natur im Sommer 2003. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich der Zustand vieler Gewässer der Erde in einer ernsthaften Krise befindet, die im Wesentlichen auf anthropogene Ursachen zurückzuführen ist3 • Vor diesem Hintergrund haben die Vereinten Nationen im Rahmen ihrer Millenniums-Deklaration vom September 2000 das Ziel proklamiert, bis zum Jahr 2015 den Anteil von Menschen mit unzureichender Trink- und Abwasserversorgung zu halbieren und auf Dauer die nicht tragbare Ausbeutung der Wasserressourcen der Erde zu beenden4 • Diese Zielsetzung bestätigte der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (World Summit on Sustainable Development - WSSD), der vom 26. August bis zum 4. September 2002 in Johannesburg abgehalten wurdes. Darüber hinaus hat die Volkergemeinschaft 1 Zur internationalen Diskussion von Gewässerproblemen vgl. Salman, From Marrakech through The Hague to Kyoto: Has the Global Debate on Water Reached a Dead End?, in: Water International, 2003, S. 491 ff. (1. Teil) und Water International, 2004, S. 1 ff. (2. Teil). 2 World Bank, World Development Report 2003: Sustainable Development in a Dynamic World - Transforming Institutions, Growth, and Quality of Life, 2003, S. 2; Deutscher Bundestag (Hrsg.), Globalisierung der Weltwirtschaft - Schlussbericht der Enquete-Kommission, 2002, S. 360. 3 Zu diesem Ergebnis kommt der von der UNESCO erarbeitete erste Weltwasserbericht der Vereinten Nationen, vgl. UNESCO, Water for People - Water for Life: The United Nations World Water Development Report (Executive Summary), 2003, S. 4. 4 Resolution der UN-Generalversammlung 55/2 vorn 18. September 2000. s Report of the World Sumrnit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August-4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/20, S. 1 ff. Zu den Ergebnissen des

28

Einleitung

2003 zum ,,Internationalen Jahr des Süßwassers" erklärt und dazu aufgerufen, das Bewusstsein für die Bedeutung von Wasser zu schärfen sowie durch Aktivitäten auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene den umsichtigeren Umgang mit Wasser zu fdrdern 6 .

Der gewässerrechtliche Paradigmenwechsel Das steigende Bewusstsein der weltweiten Wasserproblematik ist mit einem Umbruch des Rechts der Nutzung und des Schutzes von Süßwasserressourcen verbunden. Nach Jahrzehnten einer inkonsistenten und stagnierenden Rechtsentwicklung ist das seit dem Gipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992 allgemein anerkannte Postulat der Nachhaltigkeit im Begriff, innerhalb nur weniger Jahre zum Paradigma des Gewässerrechts zu werden. Zu beobachten ist dieser Wandel sowohl auf universeller als auch auf regionaler und nationaler Ebene. So manifestierte sich die Forderung nach einem nachhaltigen Umgang mit Gewässern u. a. in der auf dem Rio-Gipfel verabschiedeten Agenda 21 7 sowie im Plan of Implementation 8 des Johannesburg-Gipfels und fand auch in dem als universelle Rahmenkonvention konzipierten Übereinkommen der Vereinten Nationen über das Recht der nicht-navigatorisehen Nutzungen internationaler Wasserläufe von 1997 (UN-Gewässerübereinkommenl ihren Niederschlag. Von besonderer Dynamik ist die Entwicklung des Gewässerrechts in Europa, das seit dem Fall des Eisernen Vorhangs "eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer erlebt. Basierend auf dem unter der Ägide der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (United Nations Economic Commissionfor Europe - UN IEeE) als regionale Rahmenkonvention 1o ausgearbeiteten Übereinkommen Johannesburg-Gipfels im Allgemeinen vgl. Beyerlinl Reichard, The Johannesburg Summit: Outcome and Overall Assessment, in: ZaöRV, 2003, S. 215 ff. Zu den Gipfelergebnissen speziell in Bezug auf den Umgang mit Süßwasserressoureen vgl. Epiney, Sustainable Use of Freshwater Resources, in: ZaöRV, 2003, S. 377 ff. 6 Resolution der UN-Generalversammlung 55/196 vom 20. Dezember 2000. 1 Agenda 21, Kapitel 18 (Protection 0/ the quality and supply 0/ /reshwater resources: Application 0/ integrated approaches to the development, management and use 0/ water resources), Text in: Robinson (Hrsg.), Agenda 21 & The UNCED Proceedings, Volume IV, 1993, S. 357 ff. 8 Plan of Irnplementation of the World Summit on Sustainable Development, Teil IV (Proteeting and Managing the Natural Resouree Base of Economic and Social Development), Text in: Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August-4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/20, S. 6 (22 ff.). 9 Convention on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses, Adopted by the UN General Assembly and Opened to Signature, May 21, 1997, Text in: ILM 36 (1997), S. 700 ff. 10 Zum Verhältnis des regionalen UN 1ECE-Gewässerübereinkommens von 1992 zum universellen UN-Gewässerübereinkommen von 1997 vgl. Tanzi, The Relationship between the 1992 UN 1ECE Convention on the Proteetion and Use of Transboundary Watercourses and

Einleitung

29

zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen von 1992 (UN/ECE-Gewässerübereinkommen)ll wurden auf subregionaler Ebene innerhalb eines Jahrzehnts verschiedene Gewässerschutzübereinkommen u. a. bezüglich Maas (1994)12, ScheIde (1994)13, Donau (1994)14, Oder (1996)15, der portugiesisch-spanischen Grenzgewässer (1998)16 und des Rheins (1999)17 abgeschlossen, die dem gewässerpolitischen Leitbild der Nachhaltigkeit verpflichtet sind. In diesem Zusammenhang sind z. B. auch die Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz der EIbe (IKSE)18 und die von der BundesrepuInternational Lakes and the 1997 UN Convention on the Law of the Non Navigational Uses of International Watercourses - Report of the UN I ECE Task Force on Legal and Administrative Aspects, 2000. 11 Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen vom 17. März 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 6. Oktober 1996, Text in: BGBl. 199411, S. 2334 ff. 12 Agreement on the Protection of the River Meuse vom 26. April 1994 zwischen der Französischen Republik, dem Königreich der Niederlande und den belgischen Regionen Flandern (Unterzeichnung am 17. Januar 1995), Wallonien und Briissel, völkerrechtlich in Kraft getreten am l. Januar 1998, Text der englischen Übersetzung in: ILM 34 (1995), S. 851 (854 ff.). Dieses Übereinkommen wird durch das am 3. Dezember 2002 in Gent unterzeichnete Maas-Übereinkommen abgelöst werden, sobald Letzteres in Kraft tritt. 13 Agreement on the Protection of the River Scheldt vom 26. April 1994 zwischen der Französischen Republik, dem Königreich der Niederlande und den belgischen Regionen Flandern (Unterzeichnung am 17. Januar 1995), Wallonien und Briissel, völkerrechtlich in Kraft getreten am l. Januar 1998, Text der englischen Übersetzung in: ILM 34 (1995), S. 851 (859 ff.). 14 Übereinkommen über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen) vom 29. Juni 1994 zwischen Deutschland, Österreich, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, der Ukraine und der Europäischen Gemeinschaft, völkerrechtlich in Kraft getreten am 22. Oktober 1998, Text in: BGBl. 199611, S. 875 ff. IS Vertrag über die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung (Oder-Übereinkommen) vom 1l. April 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Polen, der Tschechischen Republik und der Europäischen Gemeinschaft, völkerrechtlich in Kraft getreten am 28. April 1999, Text in: BGBl. 199711, S. 1708 ff. 16 Convention on Cooperation for the Protection and Sustainable Use of the Waters of the Luso-Spanish River Basins vom 30. November 1998 zwischen der Portugiesischen Republik und dem Königreich Spanien (portugiesisch-Spanisches-Grenzgewässerübereinkommen), Text der englischen Übersetzung in: Luso-American Foundation (Hrsg.), Shared Watersystems and Transboundary Issues - With Special Emphasis on the lberian Peninsula. Proceedings of the Conference held at FLAD in Lisbon, Portugal - March 11 and 12, 1999,2000, S. 429 ff. 17 Übereinkommen zum Schutz des Rheins (Rhein-Übereinkommen) vom 12. April 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft, völkerrechtlich in Kraft getreten am l. Januar 2003, Text in: BGBl. 200111, S. 850 ff. 18 Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz der EIbe (EIbe-Übereinkommen) vom 8. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Tsche-

30

Einleitung

blik Deutschland mit den Niederlanden l9 , Polen2o und Tschechien 21 abgeschlossenen Grenzgewässeriibereinkommen zu nennen. Zu dieser völkerrechtlichen Entwicklung tritt im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts die am 22. Dezember 2000 in Kraft getretene sog. Wasserrahmenrichtlinie (WRRLf2 hinzu. Sie strebt durch die umfassende Revision der nationalen Wassergesetzgebungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Nachhaltigkeit des Umgangs sowohl mit rein innerstaatlichen als auch mit grenzübergreifenden Gewässern an23 •

Die rechtlichen und außerrechtlichen Fragestellungen

Diese Neuorientierung des Gewässerrechts in Europa ist Gegenstand der vorliegenden Studie. In ihrem Mittelpunkt stehen grenzübergreiJende Gewässe~ und die diesbezüglichen Normen des Völkerrechts und des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Konfrontiert mit der fundamentalen und noch im Fluss befindlichen Umgestaltung eines Rechtsgebiets ist die Rechtswissenschaft zunächst vor die Aufgabe gestellt, den Bestand der relevanten Normen zu ermitteln, zu systematisieren, dogmatisch einzuordnen und zu interpretieren. Um den hierfür erforderlichen Zugang zu den gewässerrechtlichen Regelungen gewinnen zu können, ist die Kenntnis ihrer grundSätzlichen Zielsetzung unentbehrlich. Folglich gilt es, das chischen und Slowakischen Föderativen Republik und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, völkerrechtlich in Kraft getreten am 30. Oktober 1992, Text in: BGB!. 1992 n, S. 943 ff. 19 Ergänzendes Protokoll zu dem am 8. April 1960 unterzeichneten Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Regelung der Zusammenarbeit in der Emsmündung (Erns-Dollart-Vertrag) zur Regelung der Zusammenarbeit zum Gewässer- und Naturschutz in der Ernsmündung (Ems-Dollart-Umweltprotokoll), völkerrechtlich in Kraft getreten am 24. September 1997, Text in: BGB!. 1997 n, S. 1703 ff. 20 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässem vom 19. Mai 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 26. September 1996, Text in: BGBl. 1994 n, S.6Off. 21 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässem vom 12. Dezember 1995, Text in: BGB!. 1997 n, S. 925 ff. 22 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, Text in: ABlEG Nr. L 327 vom 22. Dezember 2000, S. 1 ff.; zuletzt geändert durch die Entscheidung Nr. 2455/2001 lEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2001 zur Festlegung der Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG, Text in: ABlEG Nr. L 331 vom 15. Dezember 2001, S. 1 ff. 23 Zur Umsetzung der WRRL in der Bundesrepublik Deutschland vgl. das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz - WHG) in der seit dem 21. August 2002 geltenden Fassung, Text in: BGBl. 2002 I, S. 3246 ff. 24 S.U. Karte: Grenzübergreifende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl).

Einleitung

31

neue Leitbild der Nachhaltigkeit näher zu betrachten und in seinen Grundzügen herauszuarbeiten. Hiervon ausgehend ist dann danach zu fragen, auf welche Weise die Instrumente des Völker- und des Europarechts die Zielsetzung der Nachhaltigkeit zu verwirklichen suchen. Welche verschiedenen Nonntypen welcher rechtlichen Qualität enthalten sie? Welche materiellen Regelungen treffen sie? Welche prozeduralen Mechanismen stellen sie zur Verfügung? Darüber hinaus ist zu beachten, dass hinsichtlich grenzübergreifender Gewässer, die zumindest teilweise im Territorium eines oder mehrerer Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelegen sind, Völkerrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht gleichennaßen Anwendung finden. Insofern soll auch das Verhältnis beider Rechtssphären zueinander geklärt werden. Insbesondere ist zu eruieren, ob völker- und europarechtliche Regelungen vollkommen unabhängig voneinander operieren oder ob sie in abgestimmter Weise jeweils spezifische Funktionen für den Gewässerschutz in Europa erfüllen. Um das Wesen des gewässerpolitischen Paradigmenwechsels in Europa adäquat zu erfassen genügt es jedoch nicht, sich auf die positivrechtliche Analyse der völker- und europarechtlichen Nonnen zu beschränken, die seit wenigen Jahren mit dem Ziel des nachhaltigen Schutzes grenzübergreifender Gewässer entstehen. Vielmehr kann ein tieferes Verständnis des Rechtsgebiets letztlich nur dadurch gewonnen werden, dass die Ursachen der grundlegenden Umgestaltung des gewässerrechtlichen Instrumentariums in die Betrachtung einbezogen werden. Zentraler Ansatzpunkt ist dabei die Funktion des Rechts als Instrument zur Verwirklichung von Interessen und Zielen. Bedarf nach neuen Regelungen entsteht dann, wenn sich das bestehende Recht als ineffizient zur Erreichung bestimmter Zielsetzungen erweist oder aber weil es mit neuen Anforderungen konfrontiert wird. Stellt man die Frage, aus welchen Impulsen und Bedürfnissen heraus eine umfassende Neuorientierung grenzübergreifenden Gewässerrechts in Europa erfolgt, richtet sich der Blick - erstens - auf die vorangegangene Rechtsentwicklung. Deren Untersuchung ist insofern von unverzichtbarem Erkenntniswert, als durch sie die spezifischen Zielsetzungen und Ausprägungen unterschiedlicher Regelungsansätze verdeutlicht werden können, die als Vorläufer das im Entstehen begriffene Recht positiv oder negativ beeinflussen - sei es, dass das neue Recht bereits vorhandene Elemente aufgreift und weiterentwickelt oder aber, indem es sich deutlich abgrenzt und bewusst neue Wege einschlägt. Im Kontrast mit dem Alten heben sich die Charakteristika des Neuen plastisch hervor. Doch die bloße Gegenüberstellung der neuen Regelungskonzeption nachhaltigen Gewässerschutzes mit ihren gewässerrechtlichen Vorläufern ist für sich genommen eine zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung dafür, die Ursachen des gewässerpolitischen Wandlungsprozesses zu ergründen. Um ihre rechtlichen Ausprägungen zu verstehen und ihre Effizienz in Hinblick auf die von ihr verfolgten Ziele kritisch bewerten zu können, ist es unerlässlich, sich die Bedingungen zu vergegenwärtigen, die dem untersuchten Recht vorgegeben sind und in deren Rahmen es sich bewegt. Die Notwendigkeit, gerade auf dem Feld des

32

Einleitung

Umweltrechts die Beziehung zwischen Sein und Sollen, Faktizität und Nonnativität bzw. Wirklichkeit und Recht zu beachten, ist nicht zu bestreiten25 • Daher darf sich die vorliegende Untersuchung nicht auf die Sphäre des Rechtlichen beschränken, sondern muss - zweitens - das Blickfeld dariiber hinaus auch auf die außerrechtlichen Grundlagen erweitern, die als nonnprägende Faktoren für Gestalt und Wirksamkeit des Rechts der Nutzung und des Schutzes grenzübergreifender Gewässer maßgeblich sind. Hier können grundSätzlich zwei Bereiche unterschieden werden: Da es sich um die Regelung grenzübergreifender Sachverhalte handelt, sind zum einen die Mechanismen zu beachten, die die Rechtsbildung durch mehrere Staaten in Bezug auf gemeinsame Ressourcen bestimmen. Zum anderen ist insbesondere auf die soziokulturellen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen einzugehen, die allgemein dem Umgang des Menschen mit Gewässern vorgegeben sind. Die Studie legt ganz bewusst großen Wert auf die Erörterung dieser unmittelbar im Regelungsgegenstand begründeten Rahmenbedingungen. Dabei geht es nicht um die - von der rechtswissenschaftlichen Untersuchung losgelöste - Darstellung von Fakten und Daten. Vielmehr ist die interdisziplinäre Erfassung des Regelungsgegenstandes unerlässlich, um der Kernaussage des neuen gewässerpolitischen Paradigmas selbst gerecht werden zu können: Nachhaltiger Umgang mit Gewässern verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der Gewässer in ihrer Gesamtheit zu erfassen sucht, um alle relevanten Faktoren in die Regelungskonzeption einbeziehen zu können. Neben der Berücksichtigung soziokultureller und ökonomischer Aspekte setzt Nachhaltigkeit somit insbesondere eine ökosystemorientierte Betrachtungsweise voraus, die Gewässer als Ökosysteme versteht, die selbst wiederum integrale Bestandteile eines komplexen, interdependenten und dynamischen Gefüges aus Hydro-, Geo-, Bio-, Atmo- und Anthroposphäre bilden. Da sich nachhaltiges Gewässerrecht seinem Anspruch nach auf die dem Umgang mit Gewässern vorgegebenen Rahmenbedingungen bezieht, sind sie auch zum Ausgangspunkt diesbezüglicher rechtswissenschaftlicher Untersuchungen zu wählen. Denn ohne diese Grundlegung ist ein Verständnis des darauf bezogenen Normengefüges, das seinem Ansatz entsprechend die Komplexität seines Regelungsgegenstandes widerspiegelt, letztlich nicht möglich.

Der Gang der Untersuchung Angesichts der Bedeutung rechtlicher und außerrechtlicher Faktoren für das Verständnis des gewässerpolitischen Paradigmenwechsels in Europa gliedert sich die vorliegende Studie in zwei Teile: Während der 1. Teil- gleichsam "vor die Klammer gezogen" - die außerrechtlichen Grundlagen und rechtlichen Vorläufer nach2S Zur Notwendigkeit, ,,für das Begreifen nahezu jeder rechtswissenschaftlichen Frage" den zu Grunde liegenden Sachverhalt zu ermitteln, vgl. Graf Vitzthum. Der Rechtsstatus des Meeresbodens - Volkerrechtliche Probleme der Zuordnung und Nutzung des Grundes und Untergrundes der Hohen See außerhalb des Festlandsockels, 1972, S. 26 ff.

Einleitung

33

haltigen Schutzes grenzübergreifender Gewässer in Europa behandelt, liegt im

2. Teil der Schwerpunkt auf der Analyse der einschlägigen Instrumente des Volkerund des Europarechts.

Der 1. Teil wird - dem ganzheitlichen Ansatz des Nachhaltigkeitspostulats gemäß - durch eine umfassende Erörterung der Rahmenbedingungen für Nutzung und Schutz von Gewässern eröffnet, die jeder Regulierung von Gewässerbelastungen durch das Recht vorgegeben sind. Zu diesem Zweck wird im Rahmen des 1. Kapitels der Regelungsgegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Grundlegend für den individuellen und kollektiven Umgang von Menschen mit Wasser und Süßwasserökosystemen sind die diesbezüglichen Wahrnehmungen und Erfahrungen sowie die daraus resultierenden Erkenntnisse und Werthaltungen, die als soziokulturelle Rahmenbedingungen bzw. als "Wasserkulturen" bezeichnet werden können. Daher soll zumindest ein kurzer Blick auf einzelne Elemente wie Mythen, Religion, Philosophie und Ethik geworfen werden, die Wasserkulturen mitprägen können. Aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für den nachhaltigen Gewässerschutz werden dessen ökologische und ökonomische Rahmenbedingungen jeweils gesondert behandelt. Die Darstellung der ökologischen Erscheinungsformen und Eigenschaften von Gewässern konzentriert sich zum einen auf die mannigfaltigen Funktionen, die Süßwasserökosysteme für Natur und Mensch erfüllen. Zum anderen gilt es, die vielfaltigen physikalischen, chemischen und biologischen Belastungen zu verdeutlichen, denen Gewässer aufgrund ihrer Nutzung durch den Menschen ausgesetzt sind. Da hierin die zentrale Herausforderung liegt, mit der sich das Gewässerrecht allgemein konfrontiert sieht, ist an dieser Stelle eine detaillierte Untersuchung der zu lösenden Probleme notwendig. Die anschließende Studie der ökonomischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern erfüllt eine doppelte Aufgabe: Sie analysiert nicht nur die vielfältigen Regelungsprobleme unter wirtschaftswissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern stellt zugleich verschiedene ökonomische Ansätze und Instrumente vor, die zumindest teilweise durch die neuen völker- und europarechtlichen Gewässerschutznormen aufgegriffen werden. Nach der Untersuchung der außerrechtlichen Rahmenbedingungen, die dem Umgang mit Süßwasserökosystemen allgemein vorgegeben sind, wendet sich das 2. Kapitel den spezifischen Herausforderungen grenzübergreifenden Gewässerschutzes zu. Die zentrale Frage lautet hier, unter welchen Bedingungen eine Zusammenarbeit der verschiedenen Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer möglich ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst die souveränitätsrechtliche Zuordnung von Gewässern zu klären und das Regelungsproblem grenzüberschreitender Gewässerbelastungen zu umreißen. Hieran anschließend werden die Strukturen zwischenstaatlicher Interessenkonflikte zwischen Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer offengelegt, um sodann die Voraussetzungen herauszuarbeiten, unter denen es zu zwischenstaatlichen Regelungen völker- und europarechtlicher Art kommen kann.

3 Reicher!

34

Einleitung

Die im 2. Kapitel vorgenommene Analyse des Zusammenhangs zwischen Interessen und zwischenstaatlichen Regelungen bezüglich Nutzung und Schutz grenzübergreifender Gewässer bildet die Grundlage für die im 3. Kapitel durchgeführte Untersuchung verschiedener Vorläufer nachhaltigen Gewässerrechts. Ausgehend von extremen Ausgangspositionen, die von absoluter territorialer Souveränität bzw. Integrität einerseits bis hin zu Forderungen nach der gemeinschaftlichen Nutzung grenzübergreifender Gewässer andererseits reichen, wird die Entwicklung des internationalen Gewässerrechts bis zur gegenwärtigen Umbruchphase nachgezeichnet. Hierbei ist zunächst auf das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer sowie das Verbot grenzüberschreitender Belastungen einzugehen, deren Konkurrenzverhältnis - wie das UN-Gewässerübereinkommen von 1997 zeigt - das internationale Gewässerrecht in vielen Regionen der Erde bis heute prägt. Im Gegensatz zu diesen kompetenzwahrenden Regelungsansätzen, die dem Koexistenzvölkerrecht zuzuordnen sind, steht die gewässerrechtliche Entwicklung in Europa. In dieser Hinsicht ist insbesondere auf die Kooperation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen den Staaten des Rheineinzugsgebiets im Rahmen internationaler Kommissionen zum Schutz von Rhein, Mosel, Saar und Bodensee zu verweisen. Die Defizite auch dieser einem partiellen Schutzansatz folgenden Form zwischenstaatlicher Zusammenarbeit wurden spätestens im November 1986 durch den Sandoz-Unfall mit seinen katastrophalen Folgen für das Ökosystem des Rheins offenbar. Diese Erfahrung trug maßgeblich dazu bei, den Umdenkungsprozess einzuleiten, dessen Konsequenz die Neuorientierung des Gewässerrechts in Europa ist. Der 2. Teil der Studie, der ganz der Untersuchung der neuentwickelten Instrumente zum nachhaltigen Schutz grenzbergreifender Gewässer in Europa gewidmet ist, skizziert einleitend die wesentlichen Konturen des neuen gewässerpolitischen Leitbilds, auf dem nunmehr der völker- und der europarechtliche Gewässerschutz basiert. Hierauf aufbauend werden dann im 4. Kapitel am Beispiel der beiden bedeutsamsten grenzübergreifenden Flüsse Europas - Donau und Rhein - zunächst die völkerrechtlichen Ausprägungen nachhaltigen Gewässerschutzes detailliert dargestellt. Da es sich um eine relativ junge Entwicklung handelt, besteht aus rechtswissenschaftlicher Sicht die Hauptaufgabe darin, den diesbezüglichen Normenbestand zu ermitteln, zu systematisieren und dogmatisch einzuordnen, um ihn dann interpretieren zu können. Dabei gilt es u. a. folgende Fragen zu beantworten: Welche Regelungsinteressen verfolgt nachhaltiger Gewässerschutz? Wie gestaltet sich die institutionalisierte Zusammenarbeit der Anrainerstaaten im Rahmen internationaler Kommissionen? Welche Komponenten von Süßwasserökosysternen sind als Regelungsgegenstand von den rechtlichen Schutzinstrumenten einzubeziehen? Welchen Prinzipien folgt nachhaltiger Gewässerschutz und welche Funktion kommt ihnen im Normengefüge zu? Schließlich ist danach zu fragen, welche Maßnahmen zur Verwirklichung des neuen gewässerrechtlichen Leitbilds ergriffen werden.

Einleitung

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Diesen Fragen wird auch im 5. Kapitel nachgegangen, das die Neuordnung des europarechtlichen Gewässerrechts im Sinne des Nachhaltigkeitspostulats durch die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft behandelt. Um sowohl die Vorgeschichte als auch die Dimension dieses gewässerpolitischen Paradigmenwechsel zu verdeutlichen, wird einleitend - wie zuvor im Bereich des Volkerrechts - in einem kurzen Überblick die vorangegangene Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutzes mit seinen unterschiedlichen Ansätzen nachgezeichnet. Vor diesem Hintergrund gilt es dann, die Regelungskonzeption der Wasserrahmenrichtlinie zu analysieren. Angesichts der regelungstechnischen Komplexität der Richtlinie sieht sich die rechtswissenschaftliche Analyse zunächst einmal vor die Herausforderung gestellt, die einzelnen Normen und ihr Zusammenspiel in Hinblick auf die Verwirklichung nachhaltigen Gewässerschutzes herauszuarbeiten. Dabei ist u. a. umfassend auf das Regelungsinteresse der Wasserrahmenrichtlinie, die nach ihr zu errichtenden Flussgebietseinheiten, ihre Umweltziele, das erforderliche Wissensmanagement, ihre Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne sowie die diesbezügliche Beteiligung der Öffentlichkeit einzugehen. Abschließend wird die gemeinschaftsweite Strategie zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie vorgestellt. Das 6. Kapitel führt die beiden Untersuchungsstränge des völkerrechtlichen und des europarechtlichen Gewässerschutzes zusammen und geht der Frage nach ihrem Verhältnis nach. Untersucht wird die These, dass beide Rechtssphären nicht mehr isoliert voneinander bestehen, sondern vielmehr im Wege eines Integrationsprozesses sukzessive ein völker- und europarechtliches Regime zum nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa bilden und dabei jeweils spezifische Funktionen erfüllen. In diesem Zusammenhang ist zunächst der Begriff des ,,Regimes" zu klären, der sowohl in der rechts- als auch in der politikwissenschaftlichen Erforschung internationaler Beziehungen zunehmend Verwendung findet. Von einer eigenständigen Definition des Regimebegriffs ausgehend erfolgt sodann die Überprüfung der These völker- und europarechtlicher Regimebildung, wobei der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wasserrahmenrichtlinie mittels völkerrechtlicher Kooperationsstrukturen - am Beispiel der Donau, des Rheins und der Maas illustriert - eine Schlüsselrolle zukommt. Insgesamt schlägt die vorliegende Untersuchung einen weiten Bogen, der sowohl die Rechtsinstrumente als auch die außerrechtlichen Grundlagen und rechtlichen Vorläufer des aktuellen Paradigmenwechsels hin zu einem nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa umfasst. Dieser weite Ansatz ist im Wesen der Regelungskonzeption gewässerrechtlicher Nachhaltigkeit begründet und erfüllt somit eine rechtswissenschaftliehe Funktion. Dennoch ist in mehrfacher Hinsicht eine Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes vonnöten, um der Gefahr seiner uferlosen Ausdehnung vorzubeugen: Im Fokus der Studie steht der Schutz grenzübergreifender Gewässer durch völker- und europarechtliche Regelungen, weshalb auf die nationale Wassergesetzgebung nicht eingegangen wird. Zudem können die Rechtsentwicklungen auf universeller Ebene und in anderen 3·

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Einleitung

Erdregionen allenfalls punktuell in die Darstellung einbezogen werden, zumal sie wie das UN-Gewässeriibereinkommen von 1997 verdeutlicht - in mehrfacher Hinsicht nicht dem Stand des europäischen Gewässerrechts entsprechen. Ferner konzentriert sich die Untersuchung ganz bewusst auf die Rechtsinstrumente, deren Schwerpunkt unmittelbar in der Regelung spezifisch gewässerpolitischer Fragestellungen liegt. Diejenigen Normen, die derartige Sachverhalte zwar mittelbar z. B. in Zusammenhang mit Fragen des Klima- und Meeresschutzes oder der Biodiversität - erfassen, werden nur dann beriicksichtigt, wenn es zur Verdeutlichung gewässerrechtlicher Entwicklungen sinnvoll erscheint26 • Die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes ignoriert nicht die zu diesen und weiteren Fragenkreisen bestehenden Bezüge und die daraus resultierende Notwendigkeit einer ganzheitlichen Durchdringung des Regelungsproblems grenzüberschreitender Gewässerbelastungen. Sie erfolgt vielmehr aus dem Bewusstsein heraus, dass die vorliegende Studie zur Erfüllung dieser Aufgabe lediglich einen Baustein beitragen kann.

26 Zum mittelbaren Gewässerschutz auf völker- und auf europarechtlicher Ebene z. B. Brnha I Maaß, Schutz der Süßwasserressourcen im Volkerrecht - Prinzipien, Instrumente, neuere Entwicklungen, in: Bruha/Koch (Hrsg.), Integrierte Gewässerpolitik in Europa - Gewässerschutz, Wassemutzung, Lebensraumschutz, 2001, S. 69 (105 ff.); Seidel, Gewässerschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht - Grundlagen, Regelungsdefizite und Reformperspektiven, 2000, S. 65 ff.

1. Teil

Grundlagen und Vorläufer nachhaltigen Schutzes grenzübergreifender Gewässer 1. Kapitel

Regelungsgegenstand: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern Recht - ob auf nationaler oder internationaler Ebene - kann nicht isoliert von denjenigen politischen Interessen und Machtkonstellationen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, technologischen Möglichkeiten und moralisch oder religiös begründeten Wertvorstellungen betrachtet werden, die es beeinflussen und prägen. Aufgrund dieser Bedingtheit ist zum Verständnis eines Rechtsgebiets ein Blick auf den Kontext, in den es eingebettet ist, erforderlich und lohnend. Im Folgenden werden daher die Faktoren dargestellt, die den Umgang des Menschen mit Wasser und den verschiedenen Süßwasserökosystemen - im Rahmen dieser Untersuchung als ,,Binnengewässer" bzw. "Gewässer" bezeichnet - beeinflussen und insofern für die Analyse und Bewertung diesbezüglicher Rechtsnormen relevant sind. Hierbei kommt neben anderen soziokulturellen Aspekten den ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen eine herausragende Bedeutung zu.

A. Soziokulturelle Rahmenbedingungen Wie Menschen mit Wasser und Süßwasserökosystemen umgehen, wird maßgeblich von ihren Nutzungsinteressen sowie den daraus resultierenden Erfahrungen, Erkenntnissen, Werthaltungen und Verhaltensmustern bestimmt, die sich in den verschiedensten Bereichen menschlichen Denkens und Handeins manifestieren: Mythen, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Technologie, Ökonomie, Moral und Recht. Zusammenfassend kann man diese soziokulturellen Bedingungen des individuellen und kollektiven Umgangs mit Wasser als "Wasserkultur" bezeichnen. Die einzelnen Elemente, die eine spezifische Wasserkultur konstituieren und dominieren, können sehr unterschiedlich sein. Sie sind selbst einem stetigen Wandel unterworfen, beeinflussen sich gegenseitig und werden maßgeblich von den jeweils vorherrschenden ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen bzw.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

dem Wissen um sie mitgeprägt: Menschen, die in wasserarmen Regionen der Erde einen erheblichen Teil ihrer Arbeitskraft für die Sicherstellung elementarer Wassernutzungsbedürfnisse einsetzen müssen, werden eine andere Wasserkultur entwickeln als Menschen in wasserreichen und wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaften, in denen die ständige Verfügbarkeit von Wasser bester Qualität in scheinbar unbegrenzter Menge als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, ohne dass man sich der dahinter stehenden Infrastruktur überhaupt bewusst ist. 1

I. Kulturfunktionen von Gewässern Die besonderen Eigenschaften von Wasser und Süßwasserökosystemen befähigen Gewässer, die unterschiedlichsten Funktionen wahrzunehmen. Angesichts dieser Multifunktionalität differenziert die nachfolgende Darstellung zwischen ökologischen Naturfunktionen einerseits2 und spezifisch den Nutzungsinteressen des Menschen dienenden Kulturfunktionen andererseits. Die Kulturfunktionen, die Wasser und Süßwasserökosysteme erfüllen, bilden die Grundvoraussetzung menschlicher Existenz und Aktivität. Menschen benötigen Wasser zum Trinken, zur Essenszubereitung und zur Reinigung. Wasser wird in vielfacher Weise als Rohstoff (Chemie- und Lebensmittelproduktion), Prozesswasser (Transport-, Wasch-, Lösungs-, Kühl- und Löschmittel) und zur Pflanzen- und Tierversorgung im Rahmen der Nahrungsproduktion (Bewässerung, Tränkwasser, Aquakulturen) eingesetzt. Ferner dient Wasser der Energieerzeugung, als Transportmedium im Rahmen der Schifffahrt (sog. navigatorische Nutzung), als Heilmittel und zur Erholung. In Hinblick auf den Eintrag anthropogener Stoffe erfüllen Süßwasserökosysteme eine wichtige Deponie- und Reinigungsfunktion mittels ihrer qualitativen Regenerationsfähigkeit3 • Aus völkerrechtlicher Sicht sei angemerkt, dass Oberflächengewässer - Flüsse und Seen - als Grenzen bzw. Begrenzungen eines Staatsgebiets fungieren können4 •

1 WBGU - Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (Hrsg.), Welt im Wandel: Wege zu einem nachhaltigen Umgang mit Süßwasser - Jahresgutachten 1997, 1997, S. 284 ff. 2 S.U. Natuifunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, B. 11. 3 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 49. 4 Vgl. allgemein Caflisch, Regulation of the Uses of International Watercourses, in: Salman/Boisson de Chazoumes (Hrsg.), International Watercourses: Enhancing Cooperation and Managing Conflict - Proceedings of a World Bank Seminar (World Bank Technical Paper No. 414), 1998, S. 3 (4 ff.). Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Volkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Volkerrecht, 2001, 5. Abschn., Rn. 18 f. Zu Flüssen als internationale Grenzen in der Judikatur des IGH vgl. Case Concerning Kasikilil Sedudu Island (Botswana v. Namibia), Urteil vom 13. Dezember 1999, in: ICJ Reports, 1999, S. 1045 ff.; Salman, International Rivers as Boundaries: The Dispute Over Kasikili I Sedudu Island and the Decision of the International Court of Justice, in: Water International, 2000, S. 580 ff.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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Weltweit und auch innerhalb Europas bestehen - je nach natürlichen und sozioökonomischen Gegebenheiten - große regionale Unterschiede in der Verfügbarkeit, Herkunft und Nutzungen von Süßwasserressourcen5 • Rein statistisch betrachtet stehen z. B. jedem Einwohner der Europäischen Union im Durchschnitt ca. 3.200 m3 Wasser pro Jahr zur Verfügung, wobei hiervon lediglich ca. 21% (672 m3) pro Kopf und Jahr tatsächlich aus dem Wasserkreislauf entnommen werden6 . Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die verfügbaren Wasserressourcen in Europa sehr unterschiedlich verteilt sind und in diesen Schätzungen zudem die Wassermengen noch nicht berücksichtigt wurden, die zur Aufrechterhaltung der Naturfunktionen von Süßwasserökosystemen erforderlich sind7 • Auch die Herkunft des entnommenen Wassers variiert regional deutlich: Während in der Europäischen Union insgesamt durchschnittlich 20% bis 30% aus Grundwasserquellen stammen, ist dieser Anteil in Ländern mit ausgedehnten Grundwasservorkommen wie beispielsweise Dänemark und Österreich signifikant größer, während etwa Belgien, die Niederlande und Finnland mehr als 90% ihres Wassers aus Oberflächengewässern beziehen8 • Betrachtet man die Verteilung der Wassernutzungen auf verschiedenen Wirtschaftssektoren in den Staaten der Europäischen Union, so entfallen durchschnittlich rund 10% auf die Industrie, 14% auf die privaten Haushalte, 30% auf die Landwirtschaft und 32% auf die Energieerzeugung (Wasserkraft und Kühlwasserl In Bezug auf einzelne Länder zeigen sich jedoch wiederum deutliche Unterschiede: So schwankt der Anteil der Industrie an der gesamten Wassernutzung zwischen 3 % in Griechenland und über 50% in Schweden. Der Verbrauch der privaten Haushalte beträgt zwischen 6,5% in Deutschland und über 50% im Vereinigten Königreich. Deutlich spiegeln sich klimatische und sozioökonomische Differenzen der verschiedenen Regionen auch bei der landwirtschaftlichen Wassernutzung wider: Während beispielsweise in Belgien, Deutschland und den Niederlanden der Anteil der Landwirtschaft am Wasserverbrauch deutlich unter 5% liegt, beansprucht sie in mediterranen Ländern wie Portugal, Spanien und Griechenland insbesondere durch intensive Bewässerung von Agrarflächen - zwischen 50% und 80% der insgesamt genutzten Wassermenge. 10

S European Environment Agency (Hrsg.), Sustainable Water Use in Europe - Part I: Sectoral Use ofWater, 1999, S. 5. 6 Ebd., S. 30. 7 Ebd., S. 6. 8 Ebd., S. 31. 9 Ebd., S. 37. 10 Ebd., S. 36 ff.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

D. Elemente von Wasserkulturen Angesichts der Verschiedenartigkeit von Gewässernutzungsinteressen sowie der damit einhergehenden Vielgestaltigkeit und Dynamik von Wasserkulturen mag zur Veranschaulichung potentieller Elemente von Wasserkulturen die nachfolgende Skizze genügen: 1. Mythische und religiöse Aspekte Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war öde und leer, Finsternis lag über der Urflut und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. (Genesis, 1,1-2)

Die ambivalenten Urerfahrungen der Menschheit mit Wasser spiegeln sich in ihren Mythen und Religionen wider. So findet der biblische Schöpfungsmythos von der Erschaffung der Welt aus dem Chaos des Wassers seine Parallelen in den Kosmogonien insbesondere des Vorderen Orients 11, wo die Hochkulturen Mesopotarniens an Euphrat und Tigris oder Ägyptens am Nil ihren wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg dem Zugang zum Flusswasser und der Beherrschung künstlicher Bewässerungsmethoden verdankten. In diesen Mythen zeigt sich Wasser einerseits als die zerstörerische Urgewalt, andererseits symbolisiert es Fruchtbarkeit und Leben. In Naturreligionen werden Wasser-, Fluss- und Quellgottheiten verehrt. Rituelle Waschungen und Bäder dienen in Weltreligionen wie Hinduismus, Islam und Judentum der Reinigung und Heilung von Körper und Seele. Die christliche Taufe ist das Zeichen der Umkehr, Erneuerung und Eingliederung in die Gemeinschaft der Gläubigen l2 • Dieser religiöse Bezug zu Wasser führt zum Schutz von ,,heilenden" bzw. "heiligen" Quellen und Flüssen vor Verschmutzung. Andererseits ist der Zusammenhang zwischen der religiös motivierten Einstellung zur Natur und ihrer Belastung nicht zu übersehen. Als bis heute die modeme Zivilisation insgesamt prägend erweist sich die weitgehende Entmystifizierung der Natur durch monotheistische Religionen, in denen die Natur als Schöpfung Gottes verstanden wird. Mit dieser Abkehr von den Gottheiten der Naturreligionen rückt der Mensch als Ebenbild Gottes in das Zentrum der Schöpfung und wird zu ihrem Beherrscher. Die Natur selbst ist damit nicht mehr heiliges Subjekt, sondern verfügbares Objekt.

11 Böhme, Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers - Eine Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Kulturgeschichte des Wassers, 1988, S. 7 (27). 12 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 289.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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2. Naturphilosophische Aspekte Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser, denn Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück. Thales von Milet (625 - 547 v. Chr.)

Mit der Entmystifizierung umfasst der Naturbegriff fortan dasjenige, was unabhängig vom menschlichen Gestaltungswillen entstanden ist, besteht und sich verändert l3 . ,,Natur" (lat.: natura - die Geburt; nasci - geboren werden, entstehen, sich entwickeln), "Umwelt,,14 und "Ökologie,,!5 werden so zu Gegenbegriffen von ,,Mensch", "Kultur", ,,Zivilisation", "Kunst" und "Geist,,16. Diese Gegenüberstellung befahigt und zwingt den Menschen, sein Verhältnis zu den Dingen zu reflektieren, die seiner Wahrnehmung nach von ihm selbst verschieden und unabhängig sind. Interessanterweise steht bereits am Anfang der abendländischen Philosophie die naturphilosophische Auseinandersetzung mit dem Wesen und der Bedeutung des Wassers. Mitbeeinflusst von vorderorientalischen Schöpfungsmythen sah Thales von Milet das Wasser zum einen als das Element an, aus dem alles Seiende entsteht und in das es vergeht: Über mythische Lehren von der Entstehung der Welt hinausgehend war für Thales aber - wie Aristoteles (384- 322 v. ehr.) berichtete!7 - das Wasser insbesondere der unvergängliche Urstoff (griech.: arche - der Anfang, der Ursprung, das Prinzip), aus dem alles Seiende letztlich selbst besteht. Die Überwindung des mythischen Naturverständnisses bei Thales reflektiert die Anfänge philosophisch-wissenschaftlichen Denkens im abendländischen Kulturkreis 18 . Wenn 13 In diesem Sinne bezeichnet ,,Natur" die Gegenstände der WIrklichkeit, das "von Natur her Seiende", die ,,Dinge der Natur" selbst. Im Gegensatz dazu bildet die ,,Natur der Dinge" - ihre Beschaffenheit und ihr Wesen - das zweite Bedeutungsfeld des Naturbegriffs. Mittelstraß, Natur, in: ders. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie - Bd. 2: H-O, 1995, S. 961; Mocek. Natur. in: Sandkühler (Hrsg.), Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften - Bd. 3 (L-Q), 1990. S. 508. 14 Während der Begriff der "Umwelt" extensiv verstanden die gesamte natürliche und soziokulturelle Umgebung des Menschen beinhalten kann, wird er im Rahmen der vorliegenden Untersuchung restriktiv nur im Sinne der natürlichen Umwelt verwandt. Der restriktive Umweltbegriff umfasst die Umweltmedien Luft, Boden und Wasser, die Biosphäre (Fauna und Flora). sowie deren Beziehungen untereinander und zum Menschen. V gl. z. B. Kloepjer, Umweltrecht. 1998. § 1, Rn. 16; Prinzip 2 der Erklärung der Stockholmer Umweltkonferenz der Vereinten Nationen von 1972, Text in: ILM 11 (1972); S. 1416 (1418): "The natural resources of the earth including the air, water. land. flora and fauna and especially representative sampies of the natural ecosystem must be safeguarded for the benefit of the present and future generations [ ... ]." IS Der Begriff "Ökologie" (griech.: oikos - das Haus, der Haushalt) bezeichnet hier seiner naturwissenschaftlichen Kernbedeutung entsprechend die Lehre vom "Haushalt der Natur". Bimbacher, Ökologie, in: Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie - Bd. 2 (O-Z), 1999, S. 978 (979). 16 Mocek, Natur, S. 508. 17 Aristoteles. Metaphysik, 1. Buch, 3. Kapitel, 1960, S. 23 f. 18 Detel. Das Prinzip des Wassers bei Thales, in: Böhnte (Hrsg.). Kulturgeschichte des Wassers, 1988, S. 43 (63).

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

auch das Element Wasser in der Naturphilosophie der nachfolgenden Jahrtausende nie wieder als arche allen Seins betrachtet wurde, so hat es doch stets Erkenntnisstreben und Kreativität des Menschen inspiriert. Wasser wurde so Gegenstand u. a. der Kunst 19, der wissenschaftlichen Forschung und der ethischen Wertediskussion. 3. Naturethische Aspekte Die in langem Schöpfertum der Natur hervorgebrachte und jetzt uns ausgelieferte Lebensfülle der Erde hat um ihrer selbst willen Anspruch auf unsere Hut2o •

Hans lonas (1903-1993)

Das moralische Verhältnis des Menschen zur Natur ist Gegenstand der Naturethik. Im Mittelpunkt naturethischer Reflexion steht die Frage, ob Maßstab für den guten, moralisch richtigen Umgang mit der Natur nur der Mensch selbst sein soll, oder aber, ob der Natur ein vom Menschen unabhängiger und zu respektierender Selbstwert zukommt. Öko- bzw. physiozentrische Ansätze der Naturethik schreiben der Natur einen eigenen moralischen Wert zu, der vom Menschen bei seinem Umgang mit ihr zu berücksichtigen sei 21 . So bezeichnete Albert Schweitzer (1875-1965) die Ehrfurcht vor dem Leben als ethisches Grundprinzip22 und fordert zur Venneidung anthropozentrischer Willkür die Achtung allen Lebens in der Natur. Hans Jonas vertrat die These, dass die Natur in sich selbst einen vom Menschen unabhängigen Wert trage: Sie sei "um ihrer selbst willen" zu respektieren. Im Gegensatz dazu postulieren anthropozentrische Positionen, dass Maßstab für die Beziehung zur Natur allein ihr Wert für den Menschen ist23 • Die ressourcenökonomische Begründung des Anthropozentrismus betont, dass die Natur die Voraussetzung zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse schafft, und leitet daraus die Forderung nach Schonung natürlicher Ressourcen als genuin anthropozentri19 Zur ästhetischen Dimension des Wassers z. B. Dickei, Poseidon und H 20 - Ästhetische Entwürfe des Wassers im Zeitalter seiner technischen Verfugbarkeit, in: Wasser, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Hrsg.), 2000, S. 246 ff. 20 lonas, Das Prinzip der Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 1979, S. 245. 21 Attfield, Biozentrismus, moralischer Status und moralische Signifikanz, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökophilosophie, 1997, S. 117 ff.; Barteis, Grundprobleme der modemen Naturphilosophie, 1996, S. 201. 22 ,,Ethik ist Ehrfurcht vor dem Leben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fOrdern. Böse ist, Leben schädigen, Leben vernichten. Das Leben ist etwas Heiliges." Schweitzer. HibbertVorlesungen: Die Religion im heutigen Geistesleben - IV. Vorlesung, in: Körtner I Zürcher (Hrsg.), Albert Schweitzer - Werke aus dem Nachlaß (6): Kultur und Ethik in den Weltreligionen, 2001, S. 268 (272). 23 Zu den ästhetischen, identitätsstiftenden und pädagogischen Funktionen der Natur für den Menschen Krebs, Naturethik - Eine kleine Landkarte, in: Nida-Rümelinl von der Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 1995, S. 179 (186 f.).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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sches Anliegen ab: Der Mensch müsse die Natur sowohl aus individuellem als auch - in Hinblick auf seine Mitmenschen und zukünftige Generationen - aus kollektivem Eigeninteresse schützen und bewahren. In Bezug auf die juristische Diskussion24 und Rezeption naturethischer Positionen in Hinblick auf gewässerrechtliche Normen stellt sich damit die Frage, ob die rechtlich gesteuerte Nutzung und der Schutz von Gewässern durch den Menschen nur an dessen unmittelbaren Bedürfnissen und Nutzungsinteressen orientiert sein sollen, oder ob und inwieweit auch die Bedeutung von Gewässern im Gesamtgefüge der Natur zu berücksichtigen ist. 4. Wissenschaftliche und technologische Aspekte A technical solution may be defined as one that requires a change only in the techniques of natural sciences, demanding little or nothing in the way of change in human values or ideas of morality. Garrett Hardin (geb. 1915)

In der modemen Zivilisation mit ihrem tendenziell entfremdeten Verhältnis zur Natur hat die wissenschaftliche Forschung großen Einfluss auf den Umgang mit Gewässern gewonnen. Aufgrund ihres Ansehens als objektiver Ratgeber stellt sie meist allgemein akzeptierte - Bewertungskriterien und Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung. Wie Menschen mit Wasser und Süßwasserökosystemen umgehen, hängt mithin maßgeblich vom Kenntnisstand insbesondere in naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Hydrologie, Physik, Chemie, Biologie oder Klimatologie ab. Als problematisch an der wissenschaftlichen Herangehensweise erweist sich allerdings ihre spezialisierungsbedingte Neigung, Fragen des Umgangs mit Gewässern aus dem Gesamtzusarnmenhang zu lösen und - unter Vernachlässigung anderer Einflussgrößen - auf Einzelaspekte zu verengen. Auf diese Weise mag es möglich sein, mit technischen Mitteln (..technical solutions") vorübergehend einzelne durch anthropogene Eingriffe in aquatische Ökosysteme verursachte Probleme zu beheben. So werden beispielsweise große Anstrengungen zur Optimierung technischer Konzepte zur Aufrechterhaltung der Trinkwasserqualität unternommen: verfeinerte Filtermethoden, Erschließung neuer Wasserquellen, Anschluss an Fernwassernetze. Anstatt an den eigentlichen Ursachen von Gewässerbelastungen anzusetzen, konzentriert man sich auf diese Weise allerdings allzu oft auf die bloße Bekämpfung von Symptomen25 • Insbesondere der Versuch, die steigende Wassernachfrage durch die aufwendige Erschließung immer neuer Wasserressourcen - etwa durch den Bau gigantischer Staudämme oder Bewässerungsanlagen - zu befriedigen, zeigt jedoch, wie durch die vermeintliche Lösung eines Problems eine Unzahl 24 Zur allgemeinen rechtstheoretischen Diskussion naturethischer Fragestellungen umfassend Schröter, Mensch, Erde, Recht: Grundfragen ökologischer Rechtstheorie, 1999. 2S WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 285 f.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

neuer und unkalkulierbarer Probleme geschaffen werden kann. Das Bemühen, alle erforderlichen bzw. erwünschten Funktionen von Süßwasserökosystemen dauerhaft aufrechtzuerhalten, wird dann stets wie der Versuch der Quadratur des Kreises erscheinen. Neue Wissenschaftsgebiete wie z. B. Hydrobiologie, Hydrogeologie, Limnologie und Limnoökologie (griech: limnos - der See) versuchen aus diesem Dilemma dadurch auszubrechen, dass sie die Erkenntnisse verschiedener Disziplinen zusammenführen und weiterentwickeln. Dies geschieht aus dem Bewusstsein heraus, dass gewässerbezogene Probleme nur durch einen umfassenden, interdisziplinären Ansatz angemessen gelöst werden können. Verständnis füt Gewässer kann letztlich nur gewinnen, wer sich müht, sie in der Gesamtheit ihrer ökologischen Erscheinungsformen, Eigenschaften und Funktionen zu erfassen. Wissenschaftliche Erkenntnisse können so der entscheidende Anstoß sein, Einstellungen zum Umgang mit Gewässern und diesbezügliche Rechtsnormen grundlegend zu revidieren26 •

ill. Soziokulturelle Implikationen für das Gewässerschutzrecht Die in einem Rechtskreis herrschende Wasserkultur ist Ausdruck der Nutzungsinteressen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster, die als soziokulturelle Rahmenbedingungen den Umgang mit Gewässern bestimmen und mithin auch das diesbezügliche Gewässerrecht prägen. Verändert sich die Wasserkultur, so wird über kurz oder lang auch das gewässerrechtliche Instrumentarium diesen Wandel nachvollziehen. Während in vorangegangen Epochen mythische und religiöse Aspekte Einfluss auf das Gewässerrecht ausübten, treten in der Gegenwart wissenschaftliche Erkenntnisse in den Vordergrund27 • Im weiteren Verlauf dieser Studie wird aufgezeigt, wie insbesondere der naturwissenschaftliche Erkenntnisfortschritt - oftmals angetrieben durch katastrophale Ereignisse wie Chemieunfalle, Überflutungen oder Dürren - zum tiefgreifenden Umbruch des Gewässerrechts in Europa beigetragen hat: Mit der Entwicklung eines interdisziplinären Ansatzes zur Erforschung von Gewässerproblemen, der Süßwasserökosysteme in ihrer Gesamtheit erfasst, geht auch ein Wandel des gewässerrechtlichen Leitbilds einher. Sowohl auf völkerrechtlicher als auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene werden partielle Schutzkonzeptionen28 , die sich zunehmend als unzureichend zur 26 Allgemein zur Bedeutung von Wissen für den Umgang mit Gewässern UNESCO, World Water Development Report, S. 28 f. 27 Zum Wissensmanagement im Rahmen des völkerrechtlichen Gewässerschutzes s.u. Wissensmanagement und nachhaltiger Gewässerschutz - 4. Kapitel, G. Zu den entsprechenden Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s.u. Wissensmanagement: Gewässeranalyse und -überwachung, Art. 5 bis Art. 8 WRRL - 5. Kapitel, E. 28 Zum partiellem Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene s.u. Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets - 3. Kapitel, C. Zu partiellen

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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Bekämpfung von Gewässerbelastungen erwiesen haben, durch ein ganzheitliches, ökosystemorientiertes und integriertes Gewässerschutzrecht abgelöst, das dem Nachhaltigkeitspostulat folgt29. Um die Interaktion des Menschen mit Gewässern effektiv steuern zu können, muss nachhaltiges Gewässerschutzrecht, das die ganzheitliche Erfassung seines Regelungsgegenstandes hinsichtlich aller relevanten Faktoren anstrebt, nicht nur dessen ökologische Beschaffenheit beachten. Vielmehr sind in das Regelungsgefüge auch die soziokulturellen Rahmenbedingungen zu integrieren. Dazu muss das Gewässerschutzrecht Mechanismen zur Verfügung stellen, die gewässerbezogene Nutzungsinteressen, Werthaltungen und Verhaltensmuster einerseits wahrnehmen und andererseits auch im Sinne der gewässerrechtlichen Zielvorstellungen beeinflussen. Nachhaltiges Gewässerschutzrecht versucht dies u. a. durch eine größere Partizipation der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen sowohl im Rahmen des V6lkerrechts 30 als auch des Europäischen Gemeinschaftsrechts 31 zu erreichen.

B. Ökologische Rahmenbedingungen The more c1early we can focus our attention on the wonders and realities of the universe about us, the less taste we shall have for destruction. Rachel L Carson (1907 -1964)

hn Folgenden werden wichtige ökologische Rahmenbedingungen dargestellt, die dem Umgang des Menschen mit Gewässern vorgegeben sind. Vorgestellt werden die mannigfaltigen Eigenschaften, Erscheinungsformen und Naturfunktionen von Wasser und Süßwasserökosystemen. Aus der Nutzung von Gewässern im Rahmen ihrer Kulturfunktionen ergeben sich ihre anthropogenen Belastungen - und die Notwendigkeit gewässerrechtlicher Normen auf nationaler und internationaler Ebene.

I. Wasservorkommen und Wasserkreislauf

Ob in Flüssen, Seen, Sümpfen, Ozeanen, oder den Eismassen der Pole und Gletscher, ob tief im Erdreich oder als Wolken, Nebel, Regen, Eis oder Schnee der Atmosphäre - Wasser (H20) kennt viele Erscheinungsformen. Das gesamte Schutzansätzen im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s.u. Hintergrund: Die Entwicklung des europarechllichen Gewässerschutzes (1973 - 2(00) - 5. Kapitel, A. 29 Zum nachhaltigen Gewässerschutz durch Völkerrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht s.u. Rechtsinstrumente nachhaltigen Schutzes grenzübergreifender Gewässer - 2. Teil. 30 s.u. Partizipation von Drittstaaten, zwischenstaatlichen Organisationen und NRO und 1nformation der Öffentlichkeit - 4. Kapitel, C. 1.4. und 5. 3l s.u. Partizipation der Öffentlichkeit, Art. 14 WRRL - 5. Kapitel, H.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Wasservorkommen auf dem ,,Blauen Planeten" Erde wird auf konstant ca. 1,386 Mrd. km3 geschätzt32 und setzt sich aus 97,5% Salz- und 2,5% Süßwasser zusammen33 . Bemerkenswert ist der geringe Anteil der potentiell nutzbaren Süßwasserressourcen am Gesamtwasservorkommen (Grundwasser: 0,76%, Süßwasserseen: 0,007%, Flüsse: 0,0002%) bzw. am absoluten Süßwasservorkommen (Grundwasser: 30,06%, Süßwasserseen: 0,26%, Flüsse: 0,006%)34. Die Erkenntnis, dass es sich bei den einzelnen Erscheinungsformen des Wassers jeweils nur um Teile eines zusammenhängenden Ganzen, eines stetigen Kreislaufs handelt, ist essentiell für das Verständnis der Ressource: Angetrieben von der Energie der Sonne verdunstet Wasser aus den Meeren, Flüssen, Seen, Sümpfen, Böden und der Biomasse, kondensiert in der Atmosphäre und schlägt sich als Regen, Eis oder Schnee auf der Meeres- und Landoberfläche der Erde nieder, von wo aus der Kreislauf von Neuem beginnt. 3s Die Zirkulation verwandelt zum einen das Salzwasser der Meere durch Verdunstung und nachfolgende Kondensation in Süßwasser. Zum anderen unterliegen die verschiedenen hydro sphärischen Komponenten einem fortwährenden Erneuerungsprozess, so dass Wasser eine quantitativ regenerierbare Ressource darstellt36 • Der Zeitraum, in dem das Wasser ausgetauscht und erneuert wird, variiert in den einzelnen Reservoiren stark: So beträgt z. B. die mittlere Verweildauer des Wassers in Permafrost und Polareis ca. 10.000 Jahre, in den Weltmeeren 2.500 bis 3.300 Jahre, in Grundwasservorkommen zwischen 300 und 1.400 Jahren, 8 bis 17 Jahre in Seen und ca. 12 bis 16 Tage in Flüssen37 • Diese quantitative Regenerationsfahlgkeit im Rahmen des Wasserkreislaufs unterscheidet das Wasser von anderen Ressourcen (wie z. B. Erdöl oder Kohle) und trägt wesentlich zu seiner Bedeutung als multifunktionales Umweltmedium bei.

32 Shiklomanov. Appraisal and Assessment of World Water Resources, in: Water International, 2000, S. 11. 33 Gleicle, The World's Water 2000-2001 - The Biennial Report on Freshwater, 2000, S. 21. Bei einem Salzgehalt (sog. Salinität) von weniger als 5%0 spricht man von Süßwasser, vgl. Guderian/Gunkel (Hrsg.), Handbuch der Umweltveränderungen und Ökotoxikologie, Bd. 3A: Aquatische Systeme: Grundlagen - Physikalische Belastungsfaktoren - Anorganische Stoffeinträge, 2000, S. 457. 34 Shiklomanov, World Fresh Water Resources, in: Gleick (Hrsg.), Water in Crisis A Guide to the World's Fresh Water Resources, 1993, S. 13. 35 Liebseher, Wasserkreislauf, in: ders. (Hrsg.), Lehrbuch der Hydrologie, Bd. 1: Allgemeine Hydrologie - Quantitative Hydrologie, 1996, S. 72 ff. 36 Baumgartner, Die Hydrosphäre der Erde: Wasservorkommen und Wasserumsätze, in: Liebscher (Hrsg.), Lehrbuch der Hydrologie, Bd. I: Allgemeine Hydrologie - Quantitative Hydrologie, 1996, S. 86. 37 Marcinek, Die Erde - der Wasserplanet, in: ders./Rosenkranz (Hrsg.), Das Wasser der Erde - Eine geographische Meeres- und Gewässerkunde, 1996, S. 15 (33); Shiklomanov, World Water Resources, S. 11 f.

1. Kap.: Rahrnenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

47

ß. Naturfunktionen von Gewässern Die globalen, regionalen und lokalen Wasserkreisläufe integrieren Hydrosphäre, Geosphäre (Lithosphäre - Gesteinsschicht; Pedosphäre - Bodenschicht), Biosphäre und Atmosphäre zusammen mit der Anthroposphäre (Lebens- und Einflussbereich des Menschen) zu einem komplexen Gesamtgefüge sich wechselseitig beeinflussender Wrrkbereiche, in denen Wasser aufgrund seiner besonderen Eigenschaften (u. a. hoher Schmelz-, Verdunstungs- und Siedepunkt; hohe Wärmekapazität; große Lösungsfähigkeit von Gasen, anorganischen Salzen und organischen Stoffen)38 vielerlei Funktionen erfüllt. 1. Regelungsfunktion

a) Stoffhaushalt und Selbstreinigungsfähigkeit Durch seine Lösungs- und Transporteigenschaften fungiert Wasser als eine bedeutende Regelgröße im Stoffhaushalt der Erde. Die Fähigkeit des Wassers, durch verschiedene Prozesse im Verlauf der hydrologischen Zirkulation gasformige, anorganische und organische Stoffe zu lösen, macht es zum Transportmedium der Kohlen-, Sauerstoff-, Stickstoff- und Phosphorkreisläufe39 und liefert auf diese Weise Nährstoffe zu den aquatischen und terrestrischen Lebensgemeinschaften der Biosphäre. Bei großen Niederschlagsmengen trägt Wasser zudem Erdmaterial ab (Erosion), wodurch es die Morphologie der Erdoberfläche prägt. Ferner verdünnt Wasser belastende Schadstoffe und ist auch zu einer Selbstreinigung (qualitative Regenerationsfähigkeit) durch bestimmte aquatische Organismen (sog. Saprobien: Bakterien, Algen, Wünner, Krebse) fähig, die tote organische Substanzen abbauen und mineralisieren40 • Diese Mineralisation ist die Umkehrung der Photosynthese: Während es im Rahmen photosynthetischer Prozesse chlorophyllhaltiger Pflanzen zum Aufbau organischer Biomasse aus Kohlendioxid (C0 2 ) und anorganischen Nährstoffen mittels Lichtenergie und unter Freisetzung von Sauerstoff (02 ) kommt41 , werden bei der Mineralisation organische Stoffe unter Verbrauch von Sauerstoff in anorganische Substanzen umgewandelt, die ihrerseits wieder der Photosynthese zur Verfügung stehen42 •

38 Baumganner, Wasser als Stoff, in: Liebscher (Hrsg.), Lehrbuch der Hydrologie, Bd. 1: Allgemeine Hydrologie - Quantitative Hydrologie, 1996, S. 43 ff. 39 Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (15 ff.). 40 Bliefert, Umweltchemie, 1997, S. 290 ff. 41 Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 449. 42 Klee, Angewandte Hydrobiologie: Trinkwasser - Abwasser - Gewässerschutz, 1991,

S.116.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

b) Energie- und Klimahaushalt Auch fUr den Energiehaushalt und das Klimasystem der Erde stellt der Wasserkreislauf eine bedeutende Regelgröße dar. Zentrale Energiequelle der Erde ist die Sonne, die den Kreislauf des Wassers aus Verdunstung, Kondensation und Niederschlag antreibt. Ozeane, Wasserdampf, Wolken, Schnee und Eis beeinflussen ihrerseits die Aufwännung und Abkühlung der Erde. Die mittlere Oberflächentemperatur der Erde von 15 0 C wird dadurch konstant gehalten, dass die Atmosphäre einen Großteil der von der Erde emittierten langwelligen Wannestrahlung nicht wieder in den Weltraum entweichen lässt, sondern absorbiert und teilweise zur Erdoberfläche zucückstrahlt43 • Dieser natürliche Treibhauseffekt, der Leben auf der Erde erst ermöglicht, wird vor allem durch das Absorptionsvermögen der Treibhausgase Wasserdampf und Kohlendioxid bewirkt. Gefahrdet wird das globale Klimasystem hingegen u. a. durch anthropogene Kohlendioxid-, Stickoxid-, Ozon- und Methanemissionen. 44 So kann heute mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass durch die Emission anthropogener Treibhausgase ein Klimawandel eingeleitet wurde, der vor allem durch die Erwännung der Erdatmosphäre gekennzeichnet ist45 • Demzufolge ist die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde im Verlauf des 20. Jahrhunderts um ca. 0,6 0 C gestiegen46 • Man schätzt, dass bis zum Jahr 2100 nochmals eine Temperaturerhöhung um 1,4 bis 5,8 0 C zu erwarten ist - was den höchsten Anstieg innerhalb der letzten 10.000 Jahre darstellen wÜTde47 . Die Hydrosphäre wirkt sowohl verstärkend als auch abmildernd auf den Wandel des Klimas ein. So führt beispielsweise Wasserdampf als das wichtigste Treibhausgas einerseits - bedingt durch eine Erwännung der oberflächennahen Luftschichten - zur erhöhten Wasserverdunstung, was wiederum eine Steigerung des atmosphärischen Wasserdampfgehalts und des damit verbundenen Treibhauseffektes bewirkt. Andererseits trägt Wasser etwa im Rahmen chemischer Prozesse in der Atmosphäre (Zerstörung der Treibhausgase Ozon und Methan), durch Wannespeicherung (insbesondere der Ozeane) und durch die Reflexion der Sonneneinstrahlung an Wolken, Eis- und Meeresoberflächen auch zur Abkühlung und Stabilisierung des Erdklimas bei48 • Umgekehrt haben Erderwännung und Klimawandel auch deutliche Auswirkungen auf die HYdro- und Kryosphäre (Eis- und Schneeschicht der Erde): Die Gebirgsgletscher der Erde schwanden während des 20. Jahrhunderts, in dessen letzten Drittel die schneebedeckten Flächen weltweit WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 60. Hellmann, Lehrbuch der Hydrologie, Bd. 2: Qualitative Hydrologie - Wasserbeschaffenheit und Stoff-Flüsse, 1999, S. 378. 45 IPCC, Climate Change 2001: The Scientific Basis - AReport of Working Group I of the IPCC (Summary for Policy Makers), 2001, S. 10. 46 Ebd., S. 2. 47 Ebd., S. 13. 48 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 62. 43

44

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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um ca. 10% abnahmen - zwei Trends, die sich aller Voraussicht nach zukünftig verstärken werden49 . Während die Eismassen der Antarktis in Folge größerer Niederschlagsmengen eher zunehmen werden, wird für die Arktis ein weiteres Abschmelzen vorausgesagt. Eisschmelze und thermische Ausdehnung werden den Meeresspiegel, der seit 1900 um ca. 10 bis 20 cm gestiegen war, zwischen 1990 und 2100 schätzungsweise nochmals zwischen 9 und 88 cm ansteigen lassenso mit verheerenden Folgen für Inseln und die Küstenregionen der Kontinente. Einhergehend mit der erwärrnungsbedingten Zunahme der durchschnittlichen WasserdamptKonzentration in der Atmosphäre hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Niederschlagsmenge über den Landflächen der nördlichen Hemisphäre sukzessive erhöht. Zudem kam es - neben dem Auftreten außergewöhnlicher Phänomene wie z. B. EI Niflo - zu einer allgemeinen Intensivierung des Wettergeschehens, was sich in verschiedenen Erdregionen durch zunehmend heftige Stürme, starke Regenfalle mit Hochwasser und langandauernde Dürreperioden äußerte. Es ist davon auszugehen, dass derart extreme Wetterereignisse im 21. Jahrhundert verstärkt auftreten werden. sl

2. Lebenserhaltungsfunktion Veränderungen des Klimas modifizieren Verdunstungs- und Niederschlagsmuster und bestimmen damit das regionale und lokale Wasservorkommen. Von besonderer Bedeutung ist dies für die Biosphäre, stellt doch Wasser für alles Leben eine nicht-substituierbare Ressource dar. Die Photosynthese der Pflanzen ist ohne Wasser nicht möglich. Auch der menschliche Körper, der selbst zu über 60% aus Wasser besteht, kann zwar bis zu 30 Tage ohne Nahrung, aber nur 3 Tage ohne Wasser auskommen. Die Wassermenge zur Deckung der Grundbedürfnisse eines Menschen wird - abhängig von den jeweiligen klimatischen Bedingungen - mit 50 bis 100 Liter pro Tag veranschlagts2, wobei allein mindestens 1,5 bis 8 Liter auf das überlebensnotwendige Trinkwasser entfallens3 . Ausgehend von einem täglichen Grundbedarf von 100 Litern Wasser pro Kopf wird angenommen, dass es in Ländern, in denen jährlich pro Einwohner weniger als 1.670 m 3 Wasser vorhanden sind, zu vorübergehenden oder regelmäßigen Problemen bei der Wasserversorgung kommt ("water stress"). Bei weniger als 1.000 m3 spricht man von chronischem Wassermangel ("water scarcity"), der die menschliche Gesundheit und die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes deutlich beeinträchtigt. Sinkt die pro Einwohner verfügbare Wassermenge unter 500 m3 im Jahr, herrscht absoluter Wasser-

49

IPCC, Climate Change 2001: Tbe Scientific Basis, S. 4 und S. 16.

50

Ebd., S. 4 und S. 16. Ebd., S. 4 f. und S. 15 f. Gleicle, Tbe World's Water 2000-2001, S. 11. Galle" Lehrbuch Umweltschutz: Fakten - Kreisläufe - Maßnahmen, 1999, S. 137.

51 52 53

4 Reichert

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

mangel ("absolute water scarcity,,).S4 Im Jahr 2000 lebten in 62 Ländern der Erde über zwei Milliarden Menschen, denen täglich weniger als 50 Liter Wasser zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse zur Verfügung standen55 • Weltweit haben über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2025 - bedingt durch Bevölkerungswachstum, steigenden Wasserverbrauch und Klimawandel - ca. fünf Milliarden Menschen insbesondere in Afrika und Asien unter "water stress" leiden werden56 • 3. Lebensraumfunktion: Süßwasserökosysteme

Zukünftige - beispielsweise durch den Wandel des Weltklimas ausgelöste - Änderungen des Wasserhaushalts könnten zur Verschiebung von Vegetationszonen, Veränderung von ÖkosystemenS7 und zum Aussterben ganzer Arten führen. Lebewesen sind von der Verfügbarkeit von Wasser abhängig und ganz wesentlich geprägt, haben sie doch im Laufe der Evolution zahllose Anpassungsstrategien entwickeln müssen, um ein Überleben unter den verschiedensten hydrologischen Bedingungen zu ermöglichen. Die ersten Organismen haben sich vor mehr als drei Milliarden Jahren im Wasser des Urozeans entwickelt. Für mehr als zwei Milliarden Jahre der Erdgeschichte war das Leben auf den aquatischen Lebensraum beschränkt, bevor es den ersten Pflanzen und Tieren gelang, das Land zu erobern. Im Laufe der Evolution haben Organismen nach Meer und Land schließlich auch die Binnengewässer (Süßwasserseen, Flüsse, Boden- und Grundwasser, Feuchtgebiete und Küstengewässer) besiedelt. Die aquatischen Lebensräume der Meere und Binnengewässer stehen durch den Wasserkreislauf und mannigfaltige Stoffeinträge nicht nur in Wechselbeziehung mit terrestrischen Ökosystemen und der Atmosphäre. Vielmehr sind Salz- und Süßwasserökosysteme insofern eng miteinander verbunden, als sie sich in den Mündungsgebieten der Flüsse überschneiden. Beide Lebensräume sind Gegenstand der Hydrologie, die sich dementsprechend in die Teildisziplinen Ozeanologie und Limnologie aufteilt. Folgende - von Süßwasser geprägte - limnische Lebensräume gilt es zu unterscheiden:

54 LeRoy, Troub1ed Waters: Population and Water Scarcity, in: CJIELP, 1995, S. 299 (305 f.). 55 Gleick, The World's Water 2000-2001, S. 1l. 56 IPCC, Climate Change 2001: Impacts, Adaptations, and Vulnerability, AReport of Working Group II of the IPCC (Summary for Policy Makers), 2001, S. 9. 57 Unter "Ökosystemen" versteht man räumliche Struktureinheiten der belebten Umwelt, bestehend aus dem Lebensraum (Biotop) und den mit ihm und untereinander hochgradig vernetzten Lebensgemeinschaften (Biozönosen). Die Lebensgemeinschaften eines Ökosystems sind aus individuellen Organismen und Artenpopulationen aufgebaut. Guderian I Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 447.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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a) Süßwasserseen Von Bedeutung für das Ökosystem stehender Gewässer ist die Gesamtheit der untereinander vernetzten biotischen und abiotischen Einflüsse. Zu den biotischen durch Lebewesen bedingten - Faktoren gehören u. a. die Populationsdichte von Pflanzen und Tieren. Biotische Größen hängen wiederum von abiotischen Bedingungen ab, zu denen insbesondere die geographische Lage, Größe, Tiefe und Gestalt des Seebeckens, Quantität und Qualität des aus dem Einzugsgebiet zufließenden Wassers, die Nährstoffsituation und die klimatischen Verhältnisse zu zählen sind. Seen sind nicht in sich geschlossene, autarke Ökosysteme, sondern sie stehen in enger Verbindung mit ihrem Wassereinzugsgebiet und der Atmosphäres 8 . Prägend für die Lebensbedingungen innerhalb eines Sees ist dessen räumliche Differenzierung. Im Jahresverlauf wechseln sich thermisch bedingte Stagnationsperioden mit der Ausbildung charakteristischer Schichtungen des Wasserkörpers im Sommer und Winter mit Zirkulationsperioden im Frühjahr und Herbst ab, in denen es zu einer völligen Durchmischung des Sees kommt (sog. jahreszeitliche Sukzession)s9. Zudem führen die mit der Tiefe abnehmenden Licht- und Temperaturverhältnisse zu variierenden Zusammensetzungen von Gasen, Stoffen und Organismen in den einzelnen Bereichen eines Sees60• Dabei ist zwischen den Lebensräumen der Uferregion (Litoral), des Gewässergrundes (Benthal) und des sog. Freiwasserraums (Pelagial) zu unterscheiden61 • Das Litoral - die flache Uferregion eines Sees - gliedert sich einerseits in ständig überflutete Bereiche (Sublitoral) und andererseits in Zonen, die nur bei hohen Wasserständen überflutet werden (Eulitoral). Es bildet sich eine artenreiche Ufervegetation aus, die den Lebensraum vieler Tierarten bietet (z. B. Brutplatz für Vögel, Laich- und Aufwuchsgebiet für Fische). Gewässerökologisch fungiert die Ufervegetation als Pufferzone: Sie reduziert Stoffeinträge in das Gewässer über die Prozesse der Sedimentation (Ablagerung biogener und mineralischer Materialien), Mineralisation (Abbau organischer Stoffe) und Nährstoffassimilation (Verringerung von Nährstoffen). Im Gegensatz zum Uferbereich ist die Besiedlung des Seegrundes (Profundal) vergleichsweise gering. Da mangels Lichts die Nährstoffproduktion mittels Photosynthese nicht möglich ist, sind die Organismen dort auf einen ständigen Eintrag von organischem Material als Nahrung angewiesen. Dieser Lebensraum wird von Sedimentfressern (z. B. Insektenlarven) und Filtrierern (z. B. Muscheln) dominiert. Daneben treten auf der Suche nach Nahrung auch Fische auf, die diesen Lebensraum an die Stoff- und Energiekreisläufe des darüber liegenden Freiwassers anbinden. 62 58 Marcinek/ Mietz, Unsere Erde - Der Wasserplanet, in: Brockhaus-Redaktion (Hrsg.), Brockhaus - Die Bibliothek: Mensch - Natur - Technik, Bd. 3: Lebensraum Erde, 1999, S. 47 (80). 59 Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (10 ff.). 60 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 50. 61 Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (21).



1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

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Der Freiwasserraum eines Sees (Pelagial) unterteilt sich in durchleuchtete Schichten (Epipelagial) und nicht durchleuchtete Zonen (Hypopelagial)63. Die Lebensgemeinschaften des Pelagials bestehen vorwiegend aus freischwebendem Plankton, das sich aus einzelligen Algen (Phytoplankton), Bakterien (Bakterioplankton) sowie Kleinkrebsen und Rädertieren (Zooplankton) zusammensetzt. Das Phytoplankton bildet seine lebende Substanz durch die Photosynthese: Pigmente (insbesondere Chlorophyll) absorbieren das einfallende Licht, das als Energiequelle für die Produktion von Biomasse aus Wasser, Kohlendioxid und den im See verfügbaren anorganischen Nährstoffen dient. Diese autotrophe (selbsternährende) ,,Primärproduktion" bildet die Basis der Nahrungskette im See. Da mit zunehmender Tiefe das verfügbare Licht abnimmt, ist die Primärproduktion auf die oberflächennahen Wasserzonen des Epipelagials beschränkt. Im Rahmen der heterotrophen (fremdernährenden) "Sekundärproduktion" ernähren sich die meisten Bakterien von den im Wasser gelösten organischen Substanzen und bauen diese ab. Von Phytound Bakterioplankton lebt das Zooplankton, das selbst wiederum von planktonfressenden Fischen konsumiert wird. In den Tiefen des nicht durchleuchteten Hypopelagials, in dem Photosynthese nicht möglich ist, sind die Organismen vollständig auf das vorhandene organische Material angewiesen. Bei dessen Abbau wird Sauerstoff verbraucht, was in nährstoffreichen Seen zu einer völligen Aufzehrung des gelösten Sauerstoffes und zum Absterben der sauerstoffabhängigen Organismen führen kann64 • Insgesamt zeigt sich, dass die in einern stehenden Gewässer enthaltene Biomasse und die Artenzusammensetzung der Lebensgemeinschaften insbesondere von der Menge der verfügbaren Nährstoffe (sog. Trophie) abhängig ist. Die den Gesamtzustand eines Sees somit wesentlich prägende Nährstoffzufuhr wird ihrerseits durch die Zuflüsse aus dem Wassereinzugsgebiet des Sees beeinflusst6s . b) Fließgewässer Der Begriff ,,Fließgewässer" umfasst sehr verschiedenartigen Gewässertypen von kleinen Rinnsalen und Bächen bis hin zu kilometerbreiten Strömen mit ausgedehnten Überschwemmungsgebieten. Zudem können auch künstliche Gewässer wie Gräben und Kanäle Bestandteile von Fließgewässersystemen sein. 66 Fließgewässer sind offene Ökosysteme, die durch einen permanenten Wasser- und Stoffeintrag aus dem Oberlauf und Abfluss in den Unterlauf gekennzeichnet sind. Entscheidend für das Verständnis des Ökosystems von Fließgewässern ist, dass sie nicht nur aus einern fließenden Wasserkörper bestehen67 . Vielmehr bilden Bäche 62 63

64 6S 66 67

Ebd., S. 1 (24 f.). Ebd., S. 1 (25). WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 50 f. Ebd., S. 51. Marcinek/Mietz, Der Wasserplanet, S. 47 (74). Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (26).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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und Flüsse eine Einheit mit der Umwelt, in die sie eingebettet sind. Flüsse stehen von der Quelle bis zur Mündung in enger Wechselbeziehung zu Grundwasser, Boden und Atmosphäre, und bieten Lebensraum für eine reiche Pflanzen- und Tierwelt. So stellt die unter dem Freiwasserkörper eines Flusses liegende, teilweise durchströmte Sedimentschicht des Gewässerbetts aus Sanden und Geröll (Interstitial) für die Organismen des Flusses einen wichtigen Lebens- und Refugialraum dar. Aufgrund der intensiven Vemetzung von Fluss und Umland sind auch Uferregion und Auen, die durch gelegentliches Hochwasser überflutet werden, als räumliche Komponenten des Fließgewässerökosystems anzusehen. Da aber die Gewässereigenschaften eines Flusses nicht nur durch Stoffeinträge aus diesen gewässernahen Räumen bestimmt wird, ist es unumgänglich, das gesamte Wassereinzugsgebiet in die Betrachtung einzubeziehen68 . In der Hydrologie versteht man unter einem Einzugsgebiet das ,,in der Horizontalprojektion gemessene Gebiet, aus dem Wasser einem bestimmten Ort zufließt,,69. Integraler Bestandteil des Ökosystems von Fließgewässern ist folglich die gesamte - durch die Wasserscheiden begrenzte Landfläche, aus der ein Fluss Wasser bezieht. Wahrend das oberirdische Einzugsgebiet dem Niederschlagsgebiet entspricht, beschreibt das davon u.U. abweichende unterirdische Einzugsgebiet den Wasserzufluss durch Boden- und Grundwasser7o• Die von der Quelle bis zur Mündung auftretende Veränderung der Gewässerstruktur (Gefälle, Strömungsverhältnisse, Geschiebe) geht mit einer entsprechenden ModifIkation der Lebensbedingungen einher. Folglich erfasst man die unterschiedliche Ausprägung des Ökosystems eines Fließgewässers ausgehend von der spezifIschen Gewässermorphologie und differenziert entlang des Flusslaufs zunächst zwischen dem Quellbereich (Krenal), dem Oberlauf mit sehr starkem Gefälle (Rhithral) und dem Mittellauf (Epipotamal) eines Flusses mit den Auen als gewässerbegleitende, regelmäßig überflutete Nasswälder, in denen sich Altarme und Altwasser befInden. Im Anschluss an den durch Feuchtwiesen und Marschen charakterisierten Unterlauf (Meta- und Hypopotamal) erreicht der Fluss schließlich das gezeitenbeeinflusste Flusswattgebiet (Ästuar) im Mündungsbereich zum Meer. 71 Im Gewässerverlauf nehmen Gefälle, Strömung, Geschiebe, Lichtdurchlässigkeit und der Sauerstoffgehalt kontinuierlich ab, wohingegen Wassertemperatur und die mitgeführte Wasser- und Stoffmenge zunehmen. Der für die Lebensbedingungen in einem fließenden Gewässer ausschlaggebende Sauerstoffgehalt ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung zonenspezifIscher LebensgemeinEbd., S. 1 (26). Definition nach DIN 4049 (Hydrologie, Teil 1: Grundbegriffe, Nr. 2.3). Bahadir/Palarl Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, 2000, S. 359; Hellmann, Lehrbuch der Hydrologie, Bd. 2: Qualitative Hydrologie - Wasserbeschaffenheit und Stoff-Flüsse, 1999, S. 52. Eng!.: drainage basinl area, catchment area, river basin: ,,Area having a common outlet for its surface runoff... UNESCO I WMO. International Glossary of Hydrology, 1992, S. 86. 70 Marcinekl Mietz. Der Wasserplanet, S. 47 (73). 71 Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (36). 68

69

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

schaften. Der Oberlauf eines Flusses mit seiner starken atmosphärischen Sauerstoffdurchmischung ist in der Regel sauerstoffgesättigt, wohingegen mit steigender Wassertiefe im Unterlauf sich derartige Austauschprozesse verringern. Die Wassertrübung nimmt ebenso zu wie der Gehalt an partikulären und gelösten organischen Substanzen. Sie stellen für Organismen eine wichtige Nahrungsquelle dar, bei deren Abbau Sauerstoff verbraucht wird. 72 Insgesamt ist das Ökosystem eines fließenden Gewässers als Einheit zu verstehen (sog. Fließgewässerkontinuum, eng!.: river continuum)73, in dessen Gesamtverlauf sich ein ökologisches Gleichgewicht einstellt. Die Besiedlung der verschiedenen Gewässerabschnitte durch Flora und Fauna hat eine möglichst effiziente Nutzung der insgesamt im Fluss vorhandenen Energie zum Ziel, wobei das Optimum des Energieumsatzes zugleich ein Maximum an ökologischer Stabilität bedeutet, das störende Einflüsse mit einem Höchstmaß an Pufferkapazität kompensiert. In diesem Zusammenhang ist das hohe Selbstreinigungspotential von Fließgewässern hervorzuheben: Organische Verbindungen in anthropogenen Abwässern, die das ökologische Gleichgewicht stören, werden mit Hilfe von Bakterien, Protophyten bzw. Protozoen (einzellige Pflanzen bzw. Tiere) und Sauerstoff oxidiert bzw. mineralisiert und anschließend sedimentiert74• Eine Unterbrechung des Fließgewässerkontinuums z. B. durch Staudämme und exzessive Schadstoffeinleitung führt hingegen zu einer tiefgreifenden Störung dieser ökologischen Balance75 . c) Boden- und Grundwasser Boden- und Grundwasser sind die am wenigsten beachteten und verstandenen Komponenten der Hydrosphäre, obwohl sie als Lebensraum vieler Organismen und für die Wasserversorgung von Natur und Mensch eine wichtige Rolle spielen. Grundsätzlich ist zwischen dem Grundwasser der Sättigungszone unterhalb des Grundwasserspiegels und dem darüber liegenden Bodenwasser der ungesättigten Bodenschicht zu unterscheiden. In den Hohlräumen und Poren der Bodenschicht können - je nach Bodenart pro Kubikmeter zwischen 10 und 400 Liter Wasser gespeichert sein. Dieses Bodenwasser bildet nicht nur die Lebensgrundlage für unterirdische Biozönosen, sondern ist für die Aufrechterhaltung von Stoffkreisläufen und die Stabilität terrestrischer Ökosysteme insgesamt bedeutsam. Bodenwasser fungiert als Lösungs- und Transportmittel für eine Vielzahl von Stoffen und dient den Pflanzen zur Deckung ihres Wasser- und Nährstoffbedarfs. Da unter der Bodenoberfläche aufgrund des Licht72 73 74

75

Ebd., S. 1 (32). Ebd., S. 1 (39).

Marcinekl Mietz. Der Wasserplanet, S. 47 (76 f.). Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (41).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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mangels Photosynthese nicht möglich ist, sind die meisten im Boden lebenden Organismen (Bakterien, Pilze, WünDer, Insekten) auf organische Substanzen als Nahrungsquelle angewiesen. Organische Verbindungen werden auf diese Weise abgebaut und verwertet - ein Prozess, der zur Selbstreinigung von Boden- und Grundwasser entscheidend beiträgt.76 Die Sättigungszone77 unterhalb des Grundwasserspiegels fiihrt in zusammenhängenden Hohlräumen Grundwasser, dessen Bewegung der Schwerkraft unterliegt. Unterirdisches Wasser dieser Boden- oder Gesteinsschichten kann unterschiedlicher Herkunft sein: Versickerung von Niederschlag, Infiltration aus Oberflächengewässern, anthropogene Einleitungen, Kondensation von Wasserdampf im Boden und aus dem Erdinnern aufgestiegenes sog. ,juveniles" Wasser78 . Daneben ist noch das sog. "fossile" Grundwasser79 zu nennen, das keine Verbindung zu anderen Komponenten der Hydrosphäre hat und derart isoliert bereits seit Zehntausenden von Jahren aus dem Wasserkreislauf ausgeschieden sein kann. Die geologische Situation prägt die Erscheinungsformen und Neubildung des Grundwassers: Je nach Speicherkapazität und Wasserdurchlässigkeit kann man zwischen grundwasserleitenden Gesteinsformationen8o einerseits und wenig bis völlig undurchlässigen Schichten andererseits unterscheiden, die übereinandergelagert auftreten können (sog. Grundwasserstockwerke). Dabei wird die Grundwasserzone (Grundwasserkörper) nach unten hin durch eine undurchlässige Sohlschicht (Grundwassersohle) und nach oben durch eine an die Grundwasseroberfläche anschließende Deckschicht (Grundwasseriiberdeckung) abgegrenzt. Ist die Grundwasseriiberdeckung wasserdurchlässig, so dass das Grundwasser mit der Atmosphäre kommunizieren kann, tritt ein Druckausgleich zwischen Luft und Wasser ein. Der Grundwasserspiegel 8 ) stellt sich infolgedessen in derjenigen Tiefe ein, in der der atmosphärische Druck ebenso groß ist wie der entgegengesetzte Wasserdruck in den Kapillarräumen des sog. "ungespannten" Grundwasserleiters82 . Im Gegensatz dazu steht ein "gespannter" Grundwasserleiter, der nach oben durch eine undurchlässige Grundwasseriiberdeckung abgeschlossen wird, mangels Druckausgleichs unter einem höheren Wasserdruck83 . Die undurchlässige Grundwassersohle verhinWBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 52 f. "Sättigungszone" (eng!.: saturated zone): ,,Part of the water-bearing material in which all voids, large and small, are filled with water." UNESCO/WMO. Glossary, S. 257. 78 ,,Juveniles Wasser" (eng!.: juvenile water): "Water derived from the interior ofthe Earth that has not previously existed as atmospheric or surface water." Ebd., S. 172. 79 "Fossiles Grundwasser" (eng!.: fossil groundwater): "Water infiltrated into an aquifer during an ancient geological period under climatic and morphological conditions different from the present and stored since that time." Ebd.. S. 121. 80 "Grundwasserleitende Gesteinsformation" (eng!.: aquifer): ,,Permeable water-bearing formation capable of yielding exploitable quantities of water." Ebd.. S. 15. 8! "Grundwasserspiegel" (engl.: water table, groundwater surjace/table): "Surface within the zone of saturation of an unconfmed aquifer over which the pressure is atmospheric." Ebd, S. 334. 82 Marcinek/ Mietz, Der Wasserplanet, S. 47 (86). 76 77

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

dert die vertikale Versickerung des Grundwassers und lenkt es in durchlässigere Seitenschichten, aus denen es an Quellen wieder zu Tage tritt oder direkt in Oberflächengewässer (Flüsse, Seen, Ozeane) eingespeist wird. Grundwasservorkommen können eine geographische Ausdehnung von bis zu 100.000 km2 erreichen. Dementsprechend können auch die Wassermengen sehr groß sein, die in grundwasserführenden Gesteinsschichten gespeichert werden, was zu langsamen (meist horizontalen) Grundwasserbewegungen und langen Verweildauern führt. 84 Grundwasser enthält Stoffe, deren Zusammensetzung und Konzentration von der Art des zugeführten Wassers und der durchsickerten Boden- und Gesteinsschichten abhängig ist. Zu natürlichen Stoffen tritt eine Vielzahl anthropogener Substanzen unterschiedlichster Art. 8S In diesem Zusammenhang ist auf die Gefahr der langandauernden Verschmutzung von Grundwasservorkommen hinzuweisen, die von der Einleitung von Schadstoffen ausgeht: Sind grundwasserführende Schichten erst einmal chemisch belastet, kann aufgrund der Tatsache, dass die durchschnittliche Verweildauer des Grundwassers zwischen 300 und 1.400 Jahre beträgt86, nicht von ihrer schnellen Selbstreinigung im Zuge des natürlichen Wasserkreislaufs ausgegangen werden. Insgesamt sind die Lebensbedingungen in der Sättigungszone relativ konstant, was u. a. auch auf die kaum schwankende Temperatur des Grundwassers zurückzuführen ist. Es herrschen mikroskopisch kleine, wurmförmige und augenlose Tiere vor, die durch eine geringe Stoffwechselrate und lange Entwicklungszeiten gekennzeichnet sind. Durch ihre Nahrungsaufnahme regulieren sie einerseits die Bakteriendichte, tragen aber andererseits durch die Zerkleinerung größerer Partikel auch zu einem intensiven bakteriellen Abbau organischer Stoffe bei. Auf diese Weise sorgen intakte Lebensgemeinschaften für die Selbstreinigung des Grundwassers. Allerdings macht sie ihr langsamerer Lebensrhythmus auch anfaIliger für Störungen des sensiblen ökologischen Gleichgewichts. 87 Darüber hinaus erfüllen Boden- und Grundwasser wichtige Funktionen auch für oberirdische Ökosysteme. Pflanzen sind zur Deckung ihres Wasserbedarfs vorwiegend auf die Wasseraufnahme über ihre Wurzeln aus der ungesättigten Bodenschicht angewiesen, deren Wassergehalt wiederum von der darunter liegenden gesättigten Grundwasserzone abhängt. Fällt der Grundwasserspiegel, so entzieht das Austrocknen der darüber liegenden Bodenschicht der terrestrischen Flora und Fauna 83 ..Gespannter Grundwasserleiter" (engl.: confined aquifer): ,,Aquifer overlain and underlain by an impervious or aImost impervious formation." UNESCO I WMO, Glossary, S. 56. 84 Foster; Essential Concepts for Groundwater Regulators, in: SaIman (Hrsg.), Groundwater: Legal and Policy Perspectives - Proceedings of a World Bank Seminar (World Bank Technical Paper No. 456), 1999, S. 15 (16). 85 Kotulla, Rechtliche Instrumente des Grundwasserschutzes - Eine systematische Analyse des EG-, Bundes- und Landesrechts, 1999, S. 16. 86 s.o. Wasservorkommen und Wasserkreislauf-I. Kapitel, B. I. 87 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 53.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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die Lebensgrundlage. Umgekehrt verändern steigende Grundwasserstände die Vegetation insofern, als es zur Entstehung von Feuchtgebieten kommt88 • d) Feuchtgebiete Feuchtgebiete nehmen schätzungsweise bis zu 6% der gesamten Landoberfläche der Erde ein und treten sowohl im Binnenland als auch im Küstenbereich (Wattenmeer, Flussmündungen, Marschland, Mangroven) in mannigfaltiger Form auf. Zu den bedeutendsten Süßwasserfeuchtgebieten gehören die Verlandungsbereiche der Seen und Flüsse, Flussauen, Feuchtwiesen, Feuchtwälder, Moore, Sümpfe, Süßwasserquellen und Oasen. Gemeinsam ist ihnen die enge Wechselbeziehung mit dem Wasser, ihre Bedeutung für den Wasserhaushalt und ihre Funktion als einzigartige Lebensräume für eine spezifische Pflanzen- und Tierwelt im Übergangsbereich zwischen terrestrischen und aquatischen Ökosystemen. In Mitteleuropa sind die flussbegleitenden Auenlandschaften, die durch periodische Überflutung geprägt sind, die fruchtbarsten und artenreichsten Ökosysteme überhaupt. Die Gewässer der Auen bilden hervorragende Biotope für Amphibien und Reptilien, viele Insekten verbringen in ihnen ihr Larvenstadium, Fische nutzen sie als Laichgründe. Vögel nisten auf den Sand- und Kiesbänken ebenso wie im Röhrichtgürtel, der die Ufer der Flüsse und ihrer Altarme säumt. Auwälder mit ihren an Hochwasser angepassten Baumarten bieten Lebensraum für Insekten, Vögel und Säugetiere. Neben dieser Habitatfunktion erfüllen Feuchtgebiete auch eine wichtige Regelungsfunktion im Wasser- und Stoffhaushalt89 • Das von ihnen aufgenommene Niederschlags- und Schmelzwasser wird gespeichert und mit zeitlicher Verzögerung wieder abgegeben (Retentionsfunktion), so dass Hochwasserspitzen und die damit verbundenen Schäden abgeschwächt werden. Bei Stürmen dämpft die Vegetation von Feuchtgebieten die Wellenenergie und vermindert auf diese Weise Erosion (Pufferfunktion). In ihren stehenden Gewässern können Schwebstoffe ab sinken, so dass sie als Sediment- und Schadstoffsenken fungieren. Zur Verbesserung der Wasserqualität trägt auch die Vegetation von Feuchtgebieten bei, die Schad- und Nährstoffe bindet (Filter-, Deponie- und Reinigungsfunktion). Derart gereinigtes Wasser fließt nicht nur Oberflächengewässern zu, sondern trägt auch zur Neubildung von Grundwasser bei.

e) Küstengewässer Küstengewässer im ökologischen Sinne sind die Übergangszonen zwischen den Binnengewässersystemen des Festlands und den Meeren. Bereits der gezeiten88 89

Kotulla, Grundwasserschutz, S. 17 f. Ebd., S. 53 f.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

beeinflusste Unterlauf eines Flusses im Mündungsbereich zum Meer (sog. Ästuar) wird den Küstengewässern zugerechnet. Dieser Lebensraum ist durch die Vermischung von Süß- und Salzwasser (Brackwasser) sowie - u. a. gezeitenbedingt durch eine hohe Dynamik und extreme Schwankungen der Lebensbedingungen charakterisiert. Die Zahl genuiner Pflanzen- und Tierarten im Brackwasser ist im Vergleich zu Ozeanen und Binnengewässern gering. Zudem stellt der Salzgehalt des Brackwassers hohe Adaptionsansprüche an limnische und marine Organismen. Infolgedessen sind Küstengewässer hochsensible Ökosysteme, die schnell und mit teils irreversiblen Folgen auf Belastungen reagieren. Hierbei kommt dem Eintrag von Schadstoffen durch die ins Meer mündenden Fließgewässer eine besondere Bedeutung zu.90

ID. Gewässerbelastungen Die Wechselbeziehung des Wasserkreislaufs mit Geosphäre, Biosphäre, Atmosphäre und Anthroposphäre bewirkt, dass die einzelnen Komponenten der Hydrosphäre einer Vielzahl quantitativer und qualitativer Einflüsse ausgesetzt sind91 • Diese Interaktion ist einerseits eine unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Süßwasserökosystemen. Andererseits stellt sie auch die Quelle von Belastungen insbesondere anthropogenen Ursprungs dar, die Süßwasserökosysteme schwerwiegend beeinträchtigen oder gar vollständig zerstören können. Obwohl man sich belastender Einflüsse auf limnische Lebensräume schon seit den AnHingen limnologischer Forschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewusst ist, wurde bislang eine abschließende Definition des naturwissenschaftlichen Begriffs "Belastung", "Beeinträchtigung" oder "Verschmutzung" von Wasser und Süßwasserökosystemen nicht erarbeitet92 • Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird dann von einer "Gewässerbelastung" ausgegangen, wenn ein Süßwasserökosystem seine mannigfaltigen Natur- oder Kulturfunktionen ganz oder teilweise nicht mehr erfüllen kann. Wann eine Belastung vorliegt, ist mithin nur mit Blick auf spezifische Gewässerfunktionen im Wege einer wertenden Beurteilung feststell bar. Deutlich wird dies beispielsweise bei der Bewertung der Wasserqualität, die anband einer Vielzahl von Parametern vorgenommen werden kann: Von der jeweiligen Funktion bzw. Nutzung des Gewässers (z. B. Schifffahrt, Bewässerung oder Trinkwassergewinnung) hängt es ab, welcher Wert eines Parame90 Schlungbaum I BaudJer, Struktur und Funktion der Küstengewässer, in: Guderian I Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 45 (56 f.). 91 Umfassende Darstellung von Einflussfaktoren auf den Wasserkreislauf bei Liebscher, Wasserkreislauf, S. 72 (75 ff.). 92 Gunkel, Definition und Benennung der Hauptbelastungsfaktoren limnischer Systeme, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 80. Zum juristischen Begriff der "grenzüberschreitenden Belastung" s.u. Regelungsproblem: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen - 2. Kapitel, B.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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ters als akzeptabel bzw. erstrebenswert angesehen wird und ab wann eine Belastung aufgrund einer Beeinträchtigung der Natur- oder Kulturfunktionen eines Gewässers vOrliegt93. Die einzelnen Belastungsfaktoren selbst können prinzipiell unter zwei Aspekten betrachtet werden: Zum einen nach ihrer Herkunft, zum anderen nach ihrer belastenden Wirkung auf das Süßwasserökosystem94 • Stellt man auf die Herkunft der verschiedenen Belastungsfaktoren ab, so kann eine verursacherbezogene Zuordnung entsprechend der Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturfunktionen - nach Gewässerbelastungen natürlichen und anthropogenen Ursprungs vorgenommen werden. Bei den anthropogenen Belastungsquellen kann man wiederum nach Wasserverbrauchern bzw. -verschmutzern wie Industrie, Landwirtschaft und privaten Haushalte unterscheiden. Ferner ist - neben der Entstehung von Belastungen in situ (z. B. Sauerstoffmangel durch den Abbau organischer Stoffe innerhalb des Gewässers) - zwischen den direkt identifizierbaren Einwirkungen von sog. Punktquellen (z. B. Schadstoffeinleitung der Industrie und der kommunalen Abwasserentsorgung) einerseits, und von nicht konkret zurechenbaren sog. diffusen Quellen des gesamten Gewässereinzugsgebiets (Stoffeinträge insbesondere aus landwirtschaftlich genutzten Flächen und dem Straßenverkehr) andererseits zu differenzieren.

Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Betrachtung der verschiedenen Arten von Belastungen nicht auf deren Herkunft, sondern ganz auf die funktionale Beeinträchtigung des Süßwasserökosystems durch physikalische, chemische und biologische Belastungsfaktoren. Je nach Region treten Gewässerbelastungen in sehr unterschiedlichen Formen auf. Ausschlaggebend sind Faktoren wie Klima, Wasserdargebot und der Charakter der betroffenen Ökosysteme einerseits sowie Art bzw. Intensität ihrer Nutzung andererseits. Während beispielsweise in ariden Gebieten Afrikas oder Südeuropas Fragen der Wasserquantität im Vordergrund stehen, ist man in den industrialisierten Staaten Mittel- und Nordeuropas vorwiegend mit qualitativen Gewässerproblemen konfrontiert, die wiederum regional stark unterschiedlich ausgeprägt sein können. Die folgende Darstellung konzentriert sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen - auf typische Belastungen grenzübergreifender Gewässer des europäischen Kontinents. 1. Physikalische Gewässerbelastungen a) Veränderung der Gewässermorphologie Natürliche, unberührte Gewässer treten nur noch in wenigen, anthropogen nicht beeinflussten Naturräumen auf. Die zunehmend intensive Nutzung von Wasser durch den Menschen hat im Verlauf der Geschichte tiefgreifende Eingriffe in die 93 94

WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 86. Gunkel, Hauptbelastungsfaktoren limnischer Systeme, S. 80 (82).

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

morphologische Struktur insbesondere von Fließgewässern bewirkt. Ackerbau und Viehhaltung führten früh sowohl zur Trockenlegung von Flussauen und Feuchtgebieten, um landwirtschaftliche Nutzfläche zu gewinnen (sog. Melioration), als auch zum Bau von Bewässerungsreservoirs, Viehtränken und Hochwasserschutzanlagen. Neben dem Ausbau von Fließgewässern aus Gründen der Binnenschifffahrt (Eintiefung, Begradigung, Schleusenbau) setzte mit dem Beginn der Wasserkraftnutzung ein massiver Gewässerverbau durch Staudämme, Mühlen, Säge-, Hammerund Wasserkraftwerke zur Energieerzeugung ein. Seit der Industrialisierung werden den Gewässern zudem große Mengen an Prozess- und Kühlwasser entnommen, die meist stark verschmutzt oder erwärmt wieder eingeleitet werden. Anfallendes Wasser soll mittels Kanalisierungen und Begradigungen möglichst schnell abgeleitet und vom Gewässersystem aufgenommen werden. Insgesamt resultiert das Bemühen, Gewässern eine nutzungsorientierte und funktionsgerechte Gestalt zu geben, in ihrer weitreichenden Denaturierung: Begradigung, Gewässerbettausbau, Uferverbau, Eindeichung und Kanalisierung führen neben der Erosion des Gewässerbetts bzw. der Uferregionen und der Verschlechterung der Wasserqualität insbesondere zur Zerstörung von Süßwasserbiotopen. Letzteres ist auch die Folge der Trockenlegung von Feuchtgebieten, so dass mittlerweile ein großer Teil des aquatischen Artenbestands gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht ist95 • Einen besonderen Belastungsfaktor stellen sog. Querbauwerke in Form von Dämmen dar, die die Durchgängigkeit von Fließgewässern aufheben96 • Im Widerspruch zu seinem ursprünglichen Charakter als Fließgewässerkontinuum kommt es auf diese Weise zu einer künstlichen Zerstückelung des Süßwasserökosystems in voneinander isolierte Teillebensräume97 • Neben der Vernetzung eines Gewässers mit seinen Zuflüssen, Altarmen, angrenzenden Feuchtgebieten und terrestrischen Lebensräumen ist jedoch auch die Verbindung der einzelnen Flussabschnitte untereinander für die Fu~onsfähigkeit des Süßwasserökosystems essentiell, da die gesamte limnische Biozönose auf die Durchgängigkeit des Fließgewässers angewiesen ist. Ungehinderte Wanderungsmöglichkeiten erlauben die Wiederbesiedlung verödeter Gewässerabschnitte und einen genetischen Austausch innerhalb der Arten. Ferner sind viele Gattungen auf einen stetigen Wechsel der Lebensräume angewiesen, da sie optimale Nahrungs- und Laichbedingungen nur in unterschiedlichen Gewässerabschnitten vorfinden. Bei Fischarten, die zum Laichen aus dem Meer aufsteigen (anadrom: Forellen, Lachse) bzw. ins Meer abwandern (kata95 Gunkel, Auswirkungen des technischen Gewässerausbaus, in: Guderian I Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 109 (113). 96 Zu den ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen von Dämmen vgl. Warld Cammissian an Dams (WCD), Darns and Development - A New Frarnework for DecisionMaking, 2000. Zum Bericht der WCD und Dämmen im grenzübergreifenden Kontext Salman, Darns, International Rivers and Riparian States: An Analysis of the Recornrnendations ofthe World Cornrnission on Darns, in: AUILR, 2001, S. 1477 ff. 97 Born, Unterbrechung der Durchgängigkeit von Fließgewässern, in: Guderian I Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 141 (142). S.o. Fließgewässer - 1. Kapitel, B. 11. 3. b).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässem

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drom: Aale) erfordert dies die Durchwanderbarkeit eines Fließgewässersystems von den Quellregionen der Zuflüsse bis zur Mündung des Hauptstroms ins Meer. 98 Um eine allmählich Renaturierung von Süßwasserökosystemen zu erreichen, wird zunehmend der Rückbau von Gewässerausbauten diskutiert99 - insbesondere dann, wenn deren wirtschaftlicher Nutzen aufgrund unvorhergesehener Betriebs- und Folgekosten zweifelhaft ist 1OO •

b) Hochwasser Als weitere Konsequenz der Veränderung der Gewässermorphologie durch ihren technischen Ausbau und die Trockenlegung von Feuchtgebieten ist die Fähigkeit von Süßwasserökosystemen stark beeinträchtigt, Wasser zu speichern und zurückzuhalten (sog. Retention) 101. Begünstigt durch die Eindeichung von Fließgewässern, verdichtete Böden, versiegelte Oberflächen und gesteigerte Abflussgeschwindigkeiten kommt es mangels ausreichender Retentionskapazitäten gehäuft zu extremen Überschwemmungs- und Hochwasserereignissen, denen man mittlerweile durch die Wiedergewinnung gewässernaher Überflutungsflächen (sog. Polder) entgegenzuwirken sucht 102 • Verstärkt wird das Hochwasserrisiko ferner durch klimatische Veränderungen: Trends in der Niederschlagsentwicklung in Europa zeigen neben einer Abnahme der Regenmengen in Süd- und Südosteuropa eine deutliche Intensivierung der Niederschläge in Mittel- und Nordeuropa an 103 • Hochwasserkatastrophen an großen europäischen Flüssen - wie etwa das ..Weihnachtshochwasser" des Rheins 1993/1994, das ..Oderhochwasser" im deutsch-polnischen Grenzgebiet im Sommer 1997 oder die sog. ,,Jahrhundertflut" an Donau und EIbe im Sommer 2002 - bestätigen diese Beobachtung. Weiträurnige und grenzüberschreitende Überflutungen verdeutlichen die Gefahren, die von Hochwasser sowohl für Leben und Gesundheit von Menschen als auch für ihre ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen ausgehen. Sie reichen von der Zerstörung von Siedlungsgebieten, Industrieanlagen und der Infrastruktur bis hin zur Freisetzung und flächendeckenden Verteilung großer Mengen von Schadstoffen. c) Niedrigwasser Verliert ein Süßwasserökosystem durch Verdunstung oder anthropogene Wasserentnahme mehr Wasser, als ihm durch Niederschläge oder Zufluss wieder zugeBorn, Durchgängigkeit, S. 141 (142 ff.). Gunkel, Auswirkungen des technischen Gewässerausbaus, S. 109. 100 Gleick, The World's Water 2000-2001, S. 113 ff. 101 Liebseher, Wasserkreislauf, S. 72 (78). 102 Gunkel, Auswirkungen des technischen Gewässerausbaus, S. 109 (116). 103 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 109. Allgemein zu Gewässerbelastungen aufgrund klimatischer Veränderungen s.u. Klimawandel- 1. Kapitel, B. ID. 1. e). 98

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führt wird, kann es zu vielfältigen Belastungen kommen. In Fließgewässern bewirkt die Reduktion des Wasservolumens und der Wassertiefe bei Niedrigwasserführung einerseits eine Einengung des Lebensraums aquatischer Organismen. Andererseits wird der Wanneaustausch des verminderten Wasserkörpers mit der Luft erleichtert, was zu extremen Temperaturschwankungen verbundenen mit Sauerstoffmangel führt. Wird verschmutztes Abwasser in das Gewässer eingeleitet, kommt es zudem aufgrund der ungünstigeren Verdünnungsverhältnisse bei Niedrigwasser zu einer deutlichen Verschlechterung der Wasserqualität. 104 Übermäßige Wasserentnahme ist bei Grundwasservorkommen mit negativen Konsequenzen für die grundwasserabhängige Wasserversorgung von Natur und Mensch verbunden: So führen fallende Grundwasserspiegel zum einen zum Versiegen wichtiger Trinkwasserquellen, zum anderen kann Meerwasser in Küstennähe in überbeanspruchte Boden- und Gesteinsschichten des Festlands eindringen (engl.: saltwater intrusion) und sich mit dem verbliebenen Grundwasser vermischen lOS. Darüber hinaus wird durch das Austrocknen der über dem Grundwasser liegenden Bodenschicht oberirdischen Ökosystemen die Lebensgrundlage entzogen. d) Thermische Gewässerbelastung Die thermische Belastung von Gewässern beruht vor allem auf der Einleitung aufgeheizten Kühlwassers aus Industrieanlagen und Kraftwerken. So fallen beispielsweise pro Kilowattstunde (kWh) erzeugten Stroms zusätzlich 1,5 kWh Abwärme an. Zu deren Ableitung stellt Wasser aufgrund seiner hohen Wannekapazität das wirkungsvollste und kostengünstigste Kühlmittel dar. Die durch die Einleitung von Kühlwasser bewirkte Erhöhung der Wassertemperatur resultiert zum einen in einer verminderten Löslichkeit des Sauerstoffs in Gewässern, zum anderen wird die Stoffwechselaktivität und damit der Sauerstoffverbrauch aquatischer Organismen angeregt.l06 Das verringerte Sauerstoffangebot und der gesteigerte Sauerstoffbedarf durch thermische Belastung können auf diese Weise zu erheblichen Sauerstoffdefiziten in Süßwasserökosystemen führen. e) Klimawandel Da die einzelnen Klimaelemente (Sonneneinstrahlung, Lufttemperatur, atmosphärischer Feuchtgehalt, Wind, Bewölkung und Niederschlag) die Prozesse inner104 Meyer; Mindestwasserfiihrung von Gewässern und hydraulischer Streß, in: Guderianl Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 160 (163 f.). lOS European Environment Agency (Hrsg.), Groundwater Quality and Quantity in Europe, 1999, S. 9 und S. 39; dies. (Hrsg.), Sustainable Use of Europe's Water? - State, Prospects and Issues, 2000, S. 12 f. 106 Meyer; Auswirkungen von KühIwassereinIeitungen in Fließgewässer, in: Guderianl Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 179.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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halb von Ökosystemen mit beeinflussen und steuern 107, kann eine Änderung des Klimas nicht ohne Konsequenzen auch für Süßwasserökosysteme bleiben. Der Einfluss von Klimaänderungen ist komplex und lässt sich nicht in linearen Ursache-Wrrkungs-Relationen beschreiben. Allein der Bereich optimaler Lebensbedingungen für aquatische Organismen bezüglich Temperatur, Strahlungsklima, Fließgeschwindigkeit und Nährstoffangebot variiert je nach Art deutlich. So kann beispielsweise die klimabedingte Erwärmung der Gewässertemperatur sich für eine Organismenart förderlich, für die andere jedoch schädlich auswirken. Ändern sich Klimafaktoren im Rahmen der natürlichen Schwankungsbreite, bleibt das Gesamtsystem im Gleichgewicht. Durch Überlastung dieser Elastizität bei der Überschreitung kritischer Schwellenwerte wird die Balance jedoch zerstört 108• Generell wirkt das Klima in zweierlei Weise auf Süßwasserökosysteme ein. Zum einen kommt es zu direkten atmosphärischen Einwirkungen, etwa durch die Beeinflussung der Lebensbedingungen aquatischer Organismen durch Klimafaktoren wie Lufttemperatur, Strahlung und Wind, oder durch Stoffeinträge in Form atmosphärischer Deposition 109 • So ist die Erhöhung der Lufttemperatur primär mit einer Erwärmung oberer Gewässerschichten verbunden, was zu den typischerweise mit thermischen Belastungen verbundenen Konsequenzen insbesondere für den Sauerstoffhaushalt führt llO • Zum anderen beeinflussen Klimafaktoren indirekt das Gewässersystem innerhalb eines Einzugsgebiets in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Klimabedingter Wassermangel kann zu Niedrigwasser bis hin zur völligen Austrocknung und Zerstörung von Süßwasserbiotopen führen 1l1 . Die quantitative Wasserabnahme wirkt sich insofern auf die Wasserqualität aus, als es zum einen zur Erhöhung von Stoffkonzentration in Gewässern u. a. mit der Gefahr ihrer Versalzung kommen kann. Umgekehrt bewirkt die Zunahme extremer Niederschlagsereignisse erosionsbedingte Zerstörungen des Gewässerbetts und Stoffeinträge aus dem gesamten Einzugsgebiet. Extreme Niederschlagsereignisse gehen so mit stoßartigen Spitzenbelastungen von Oberflächengewässern mit Schadstoffen einher 1l2 .

f) Eintrag partikulärer Substanzen

Träger von Schadstoffen sind meist partikuläre Substanzen, die aus diffusen Quellen (Erosion von landwirtschaftlichen Nutzflächen, Entwaldungsgebieten und Hellmann, Lehrbuch der Hydrologie, S. 379. Becker; Auswirkungen von Klimaänderungen auf aquatische Systeme, in: Guderianl Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 194 (195). 109 Ebd, S. 194 (206). 110 s.o. Thermische Gewässerbelastung - 1. Kapitel, B. rn. 1. d). 111 s.o. Niedrigwasser-I. Kapitel, B.rn. 1. c). 112 s.o. Hochwasser-I. Kapitel, B.rn. 1. b). 107

lOS

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Abraumhalden) in Gewässer eingetragen werden 1\3. Die Ablagerung schadstoffbelasteter Partikel am Gewässerboden führt zur Bildung teilweise extrem belasteter Sedimente. Zudem können hohe Sedimentfrachten wertvolle Habitate wie die Gewässersohle, Laichgrunde und küstennahe Ökosysteme zerstören 1l4 . Als Schwebstoffe im Wasser vermindern partikuläre Substanzen auch die Eindringtiefe des Lichtes 1l5 , was sich negativ auf die photosynthetische Primärproduktion auswirkt. Ferner können aquatische Organismen unmittelbar durch mechanische Einwirkungen partikulärer Substanzen auf empfindliche Membranen und Blattoberflächen oder mittelbar durch die Störung der Nahrungsaufnahme (z. B. beim Filtrieren des Wassers) geschädigt werden 1l6 . 2. Chemische Gewässerbelastungen

Die chemische Belastung von Süßwasserökosystemen wird durch den Eintrag einer Vielzahl fester und gelöster Stoffe verursacht, deren belastende Wirkung sich insbesondere in Sauerstoffmangel, Eutrophierung, Versauerung, Versalzung und Toxizität manifestiert. Im Folgenden werden zunächst die Haupterscheinungsformen chemischer Gewässerbelastungen dargestellt, um anschließend bedeutsame Schadstoffe, die u.U. zu mehreren Belastungsformen beitragen können, näher zu betrachten. a) Erscheinungsformen chemischer Gewässerbelastungen aa) Sauerstoffmangel Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist der Stoffwechsel der meisten aquatischen Lebewesen aerob (sauerstofthaltig), so dass sie zum Leben auf die Anwesenheit elementaren Sauerstoffs angewiesen sindlI? Der Sauerstoffgehalt des Wassers ist stark von Temperatur, Luftdruck und Salzgehalt abhängig und beträgt bei Sättigung zwischen 13 mg/l (bei 4°C) und 8,4 mg/l (bei 24°C). Weiter mitbestimmend für den Sauerstofthaushalt in Gewässern ist - neben atmosphärischem Sauerstoffeintrag l18 - die Freisetzung von Sauerstoff bei der Photosynthese durch chlorophyllhaltige Pflanzen und einige Bakteriengruppen. Dabei kann einerseits \13 Partikuläre Substanzen werden in Nordamerika mittlerweile aus verschiedenen Gründen als Hauptbelastungsfaktor von Fließgewässem angesehen. Für Europa fehlen derzeit noch entsprechende Untersuchungen und Daten. Gunkel, Gewässerbelastung durch den Eintrag mineralischer Stoffe, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 265. 114 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 91. 11S Ebd, S. 90. 116 Gunkel, Gewässerbelastung durch den Eintrag mineralischer Stoffe, S. 265 (267). 117 Bliefen, Umweltchemie, S. 291. 118 Gunkel, Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (8).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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z. B. Algenwachstum eine Übersättigung des Gewässers mit Sauerstoff bewirken. Andererseits wird im Rahmen gegenläufiger Prozesse wie der Atmung und dem Abbau organischer Verbindungen Sauerstoff verbraucht, was wiederum zur mangelnden Sauerstoffversorgung der Organismen führen kann 119. Viele aquatische Organismen stellen hohe Anspruche an die Verfügbarkeit von Sauerstoff im Wasser, wobei der Sauerstoffbedarf verschiedener Arten variiert. Ferner können sich Pflanzen und Tiere bis zu einem gewissen Grad etwa durch Umstellung auf anaeroben (sauerstofffreien) Stoffwechsel, Kiemenatmung und Ventilation an sinkende Sauerstoffkonzentrationen im Wasser anpassen. Generell ist jedoch davon auszugehen, dass bei einem Sauerstoffgehalt von weniger als 4 mg 11 aquatische Lebensgemeinschaften bereits erheblich durch Sauerstoffmangel geschädigt werden. 12O Sauerstoffgehalt und Sauerstoffbedarf eines Gewässers dienen mithin als aussagekräftige Indikatoren seines ökologischen Zustandes. In diesem Zusammenhang bezeichnet der sog. biochemische Sauerstoffbedarf (BSB s) die Menge an gelöstem elementaren Sauerstoff, die aquatische Mikroorganismen beim Abbau organischer Stoffe bei 20° C Wassertemperatur und Dunkelheit innerhalb von fünf Tagen verbrauchen 12l , wobei ein Gewässer mit einem BSB s von über 2 mg 11 als belastet und mit einem BSB s von über 5 mg 11 als schwer belastet anzusehen ist l22. Im Gegensatz dazu beschreibt der chemische Sauerstoffbedarf (CSB) die Sauerstoffmenge, die zur vollständigen chemischen Oxidation vorwiegend organischer Stoffe mit Hilfe starker Oxidationsmittel benötigt wird 123 • Da durch die verwendeten Oxidationsmittel auch Substanzen angegriffen werden, die auf biologischem Wege nur schwer oder gar nicht abbaubar sind (Alkohol, Essigsäure u. a.), ist der CSB höher als der BSB s. Die Differenz zwischen CSB und BSB s entspricht daher den mikrobiell nicht abbaubaren Stoffen im Wasser l24.

bb) Eutrophierung Eine Hauptursache von Sauerstoffmangel in Gewässern ist deren Eutrophierung. Als Trophie bezeichnet man das Nährstoffangebot in einem Gewässer. Je nach Grad der Trophie unterscheidet man oligotrophe (nährstoffarme), mesotrophe (mäßig nährstoffreiche), eutrophe (nährstoffreiche), polytrophe (stark nährstoffbelas119 Baumgartner, Wasser als Stoff, in: Liebscher (Hrsg.), Lehrbuch der Hydrologie, Bd. I: Allgemeine Hydrologie - Quantitative Hydrologie, 1996, S. 43 (52). 120 Schönborn, Auftreten von Sauerstoffdefiziten in Gewässern, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 329 (330). 121 Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 429. 122 European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union at the Turn ofthe Century, 1999, S. 172. 123 Bliefen, Umweltchemie, S. 295. 124 Ebd, S. 297. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht - Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, 2000, S. 235.

5 Reichert

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tete) und hypertrophe (sehr stark nährstoffbelastete) Gewässer l2S • In diesem Zusammenhang versteht man unter Eutrophierung die langfristige stetige Zunahme der photosynthetischen Primärproduktion von Biomasse durch übermäßige Zufuhr natürlicher und anthropogener Nährstoffe 126 . Eng mit der Eutrophierung verknüpft ist die Beschleunigung von Abbauprozessen durch Saprobien aufgrund des erhöhten Nahrungsangebots (Saprobisierung)127. Es kommt zu einer positiven, sich verstärkenden Rückkopplung: Durch den Abbau von Biomasse im Rahmen der Saprobisierung werden Fäulnis- und Nährstoffe freigesetzt, die ihrerseits die Trophie eines Gewässers steigern 128 • Die belastenden Folgen der Eutrophierung werden vor allem bei langsam fließenden und stehenden Gewässern akut. Wahrend der Sommermonate kommt es bei einer übermäßigen Nährstoffanreicherung der obersten, warmen Gewässerschicht insbesondere mit Phosphat- und Stickstoffverbindungen zu einem vermehrten Pflanzen- bzw. Algenwachstum. Der Abbau der absterbenden und nach unten sinkenden Biomasse verbraucht Sauerstoff. Da die wärmeren oberflächennahen Gewässerschichten leichter sind, findet kein Wasseraustausch und Sauerstoffeintrag in die unteren Schichten statt. wo es schließlich zu Sauerstoffmangel kommt. 129 Eutrophierungsbedingtes Pflanzenwachstum und Sauerstoffmangel können auf diese Weise zum Massensterben aquatischer Organismen und letztlich zum Zusammenbruch des gesamten Süßwasserökosystems führen. cc) Versauerung Ein auslösendes Moment der umweltpolitischen Diskussion in den 6Oer-, 70erund 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts war das durch den sog. "sauren Regen" verursachte Waldsterben und die Versauerung von Böden und Gewässern. Nachdem zunächst vor allem Seen in Nordamerika und Skandinavien durch saure Deposition als Folge grenzüberschreitender Luftverschmutzung stark geschädigt wurden, ist heute nahezu jedes europäische Land mit der Versauerung seiner Böden und Gewässer konfrontiert 130. In diesem Zusammenhang versteht man unter Versauerung den Verlust der Neutralisierungskapazität von Boden und Wasser, messbar als Zunahme des Säuregehalts (Acidität) bzw. den entsprechenden Verlust der basischen Eigenschaften (Alkalität)l3l. Als Maßeinheit des Säure-BaseGuderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 458. Bahadir/PaIar/Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, S. 410. 127 Bliefert, Umweltchemie, S. 290. 128 Klapper, Eutrophierung limnischer Gewässer, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 270 (272). 129 Galler, Lehrbuch Umweltschutz, S. 146. 130 SteinbergIJüttner, Belastung von Gewässern durch saure Depositionen, in: Guderianl Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 338 (339). 131 Ebd., S. 338 (340); Schwoerbel, Einführung in die Limnologie, 1999, S. 34. 125

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Verhältnisses im Wasser dient der sog. pH-Wert: Auf einer Skala von 1 bis 14 ist bei einem pH-Wert von 7 das Verhältnis ausgeglichen (Neutralität), während höhere Werte die alkalische und tiefer liegende Werte die saure Reaktion des Wassers anzeigen. 132 Die Versauerung von Süßwasserökosystemen wird zu einem großen Teil durch den atmosphärischen Eintrag saurer Depositionen verursacht. Die insbesondere aus der Verbrennung fossiler Stoffe resultierenden Schwefel- und Stickoxidemissionen (S02, NO x) reagieren in der Atmosphäre in Verbindung mit Wasser zu anorganischen Säuren: Schwefelsäure (H2S04), schwefliger Säure (H2S03), Salpetersäure (HN03) oder salpetriger Säure (HN02)133. Wahrend unbelastetes Niederschlagswasser einen pH-Wert zwischen 5,3 und 5,5 hat, kann "sauerer Regen" einen pH-Wert von unter 3,7 aufweisen. Aufgrund der zunehmenden Versauerung kommt es durch die Auswaschung von Nährstoffen zu Mangelkrankheiten bei Pflanzen (Waldsterben)134. Ferner werden vermehrt toxische Metallionen (Aluminium, Kupfer, Cadmium, Zink und Blei) aus Böden und Sedimenten in Oberflächengewässer und Grundwasser freigesetzt, die die limnische Flora und fauna schädigen 135 • Es werden z. B. negative Veränderungen des zellularen Ionenhaushalts, des Eiweißstoffwechsels und der Reproduktionsfähigkeit aquatischer Organismen beobachtet 136• Letztlich führt die Versauerung zum Artensterben in Süßwasserökosystemen: Eine Untersuchung von mehr als 1.500 Seen in Norwegen hat ergeben, dass in über 70% der Seen mit einem pH-Wert unter 4,3 keine Fische mehr existieren 137.

dd) Versalzung Von Alters her stellt Versalzung eine Bedrohung der Natur- und Kulturfunktionen von Süßwasserökosystemen dar. Der Untergang bedeutender Hochkulturen, deren ökonomisches Fundament eine von künstlicher Bewässerung abhängige Landwirtschaft bildete, war eng mit der sukzessiven Versalzung der genutzten Böden verbunden. Auch heute noch sind weltweit ca. ein Drittel der künstlich bewässerten Flächen durch Versalzung beeinträchtigt bzw. in ihrer Nutzbarkeit gefahrdet, wobei der Flächenverlust durch Bodenversalzung langfristig nicht durch die Er132 In chemischer Hinsicht ist Versauerung eine Verschiebung des Anionen I KationenGleichgewichts im Wasser: Der pH-Wert misst die Wasserstoffionen-Konzentration in einer wässrigen Lösung. Die Ionenreaktion des Wassers wird durch die Zahl der Ir" -Ionen (Anionen) angegeben, ausgedrückt als negativer Logarithmus "pH" (Wasserstoffionen-Exponent). Klee, Angewandte Hydrobiologie, S. 17 ff. 133 Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, S. 239. 134 Schwoerbel, Limnologie, S. 347. 135 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 257. 136 Schwoerbel, Limnologie, S. 351. 137 Klee, Angewandte Hydrobiologie, S. 21.

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schließung neuer Bewässerungsflächen auszugleichen sein wird 138. Salzbelastete Böden sind insbesondere in ariden und semiariden Regionen verbreitet, wo es durch künstliche Bewässerung und den verdunstungsbedingten Aufstieg von Wasser aus tieferen Bodenschichten zu einer Anreicherung der Bodenoberfläche mit Salzen kommt und der Niederschlag nicht ausreicht, um diese in tiefere Bodenschichten zu verfrachten 139 • Neben Böden sind auch Oberflächengewässer und das Grundwasser durch Versalzung belastet. So bewirkt die übermäßige Entnahme von Grundwasser, dass in küstennahen Gebieten Meerwasser in grundwasserführende Boden- und Gesteinsschichten eindringen und sich mit dem verbliebenen Grundwasser vermischen kann l40. Im Gegensatz dazu sind die Hauptquellen der Salzbelastung von Seen und Flüssen in Mittel- und Osteuropa neben der Tausalzstreuung auf den Straßen insbesondere die salzhaltigen Abwässer der Chemie-, Lebensmittel und Lederindustrie, sowie des Bergbaus zur Gewinnung von Steinkohle, Kochsalz und Kali. Gerade der Kalibergbau im Elsass und in Thüringen hat zu einer außergewöhnlich hohen Versalzung des Rheins bzw. von Werra und Weser geführt. 141 Es gibt verschiedene Methoden, die Salzbelastung von Gewässern zu erfassen. Die Salinität bezeichnet den Gesamtanteil der Salze im Wasser (in Promille)142. Von größerem Aussagewert im Zusammenhang mit ökosystemaren Wirkungen der Gewässerversalzung ist jedoch die Ionenkonzentration und -zusammensetzung der verschiedenen im Wasser gelösten Salze l43 , wobei üblicherweise auf den Chloridgehalt (mg/l Cr) abgestellt wird l44. Neben der unmittelbaren Gefährdung für die Trinkwasserversorgung des Menschen stellt die Versalzung von Gewässern auch eine Bedrohung von Süßwasserökosystemen dar. Die Salzbelastung aquatischer Organismen äußert sich u. a. in der Verminderung der Stoffwechselleistung und in Gewebeschäden. Zusätzlicher osmotischer Stress wird durch schwankende Einleitung salzhaltigen Abwassers verursacht. Je nach Intensität der Salzbelastung reichen die Schädigungen von Süßwasserökosystemen von der Beeinträchtigung besonders sa1zempfindlicher Arten (Salinität: 0,6 - 1%0; Chloridgehalt: 200400 mg /1 Cr) bis hin zum völligen Zusammenbruch des Ökosystems von Gewässern (Salinität: > 8%0; Chloridgehalt: > 4.400 mg / I Cr), so dass diese nur noch zur Schifffahrt und zum Abwassertransport nutzbar sind. 145 Da ein biochemischer 138 Postel, Redesigning Irrigated Agriculture, in: Worldwatch Institute (Hrsg.), State ofthe World 2000, 2000, S. 39 (40). 139 WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 255 Cf. 140 s.o. Niedrigwasser-I. Kapitel, B. m. 1. c). 141 Bliefen, Umweltchemie, S. 289; Herbst, Versalzung von Gewässern, in: Guderianl Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 380 (381). 142 Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 457. 143 Anionen: Bor, Chlorid, Hydrogencarbonat, Sulfat; Kationen: Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltpolitik - Wasserwirtschaft in Deutschland, 1998, S. 98. 144 Herbst, Versalzung von Gewässern, S. 380 (382 f.).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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Abbau von Salzbelastungen weder im Rahmen der Selbstreinigung natürlicher Gewässer noch durch Kläranlagen erfolgtl46, ist eine Sanierung limnischer Ökosysteme nur durch die Verdünnung salzbelasteter Gewässer mit weniger salzhaltigem Wasser möglich. Wahrend Seen bis zum vollständigen Wasseraustausch eine lange Regenerationszeit benötigen, ist bei Fließgewässern durch Verringerung bzw. Einstellung der Einleitung salzbelasteter Abwässer in relativ kurzen Zeiträumen mit einer Erholung des Süßwasserökosystems zu rechnen. 147

ee) Toxizität Die schädigende Wirkung chemischer Stoffe auf Organismen wird als Giftigkeit bzw. Toxizität bezeichnet 148. Ob und wie ein Stoff toxisch wirkt hängt zum einem vom Schädigungspotentialund der Intensität bzw. Konzentration des Giftstoffes (Toxikum) und zum anderen von der spezifischen Empfindlichkeit des betroffenen Organismus ab 149. Zudem ist zu beachten, dass sich toxische Stoffe in ihrer Wrrkung auf einen Organismus gegenseitig verstärkend (synergistisch) oder abschwächend (antagonistisch) beeinflussen können I 50. Die Anzahl toxisch wirkender Stoffe ist groß. Allein von den ca. 50.000 naturfremden und damit potentiell belastenden Stoffen - sog. Xenobiotika l5l - sind 5.000 bis 10.000 von toxischer Relevanz. Auch die toxischen Effekte auf aquatische Organismen sind vielfältig: In physiologischer Hinsicht können Giftstoffe prinzipiell alle Stoffwechselprozesse schädigen. Beeinträchtigt werden etwa die Photosynthese bei Pflanzen, die Atmung, die Enzymaktivität und der Hormonhaushalt l52 . Morphologische Wirkungen toxischer Stoffe verändern die äußere und innere Struktur von Organismen. Es treten Gewebeschäden direkter (Verätzung) oder indirekter Art (Veränderungen Ebd, S. 380 (390 ff.). Sampl, Gewässerschutz, in: Fiedler/Grosse/Lehmann/Mittag (Hrsg.), Umweltschutz - Grundlagen, Planung, Technologien, Management, 1996, S. 143 (155 f.). 147 Ebd, S. 143 (156); Herbst, Versalzung von Gewässern, S. 380 (395). 148 Manahan, Environmental Chemistry, 2000, S. 695; Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 458. 149 Ebd., S. 90 (91). ISO Ebd., S. 90 (93). 151 ,,xenobiotika" sind ,,naturfremde, vom Menschen hergestellt oder verstärkt in die Umwelt freigesetzte Stoffe". Guderian I Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 460. JS2 Gunkel, Toxische WIrkung auf aquatische Organismen, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Umweltveränderungen und Ökotoxikologie, Bd. 3B: Aquatische Systeme: Biogene Be1astungsfaktoren - Organische Stoffeinträge - Verhalten von Xenobiotika, 2000, S. 273 (282 f.). Für Störungen des Hormonhaushalts werden in neuesten Forschungen verschiedene Umweltchemikalien verantwortlich gemacht. Insbesondere an Kläranlagenausläufen treten sie in Konzentrationen auf, die bei Fischen zu östrogenen Wirkungen wie z. B. Störung der Spermienproduktion führen. Fent, Stoffe mit hormonartiger WIrkung, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 351 (374). 145

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des Erbgutes) an Kiemen, Haut und im Magen-Darmtrakt etwa in Form von Geschwürbildungen auf. 153 Genotoxische Wirkungen schädigen das Erbgut von Organismen (Mutation)154. Die Folgen sind Veränderungen von Genen (mutagen), Geschwürbildungen (karzinogen) und Missbildungen bei Nachkommen (teratogen)lSS. Neben der unmittelbaren Einwirkung toxischer Stoffe auf individuelle Organismen und deren Zellen sind auch mittelbare auf Populationen, Biozönosen und ganze Süßwasserökosysteme zu verzeichnen. Ökotoxologie ist die Lehre vom Verhalten und der Wirkung von Schadstoffen in Ökosystemen und ihren Komponenten. Durch toxisch bedingte Schädigungen individueller Organismen wird die Populationsentwicklung aquatischer Arten beeinträchtigt, was sich negativ auf die Artenvielfalt und auf das Zusammenleben mehrerer Arten in limnischen Biozönosen auswirkt. Es kommt zur nachhaltigen Störung ökosystemarer Prozesse, was letztlich zur Destabilisierung des Ökosystems insgesamt führt. 156 Ein ökotoxischer Effekt von besonderer Bedeutung ist die Bioakkumulation toxischer Stoffe, da sie über die Nahrungsaufnahme zu einer direkten Gefährdung des Menschen führen kann. Bereits in den frühen 1960er-Jahren beschrieb die amerikanische Biologin Rachei L Carson am Beispiel des Insektizids DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) das Phänomen der Verbreitung von Schadstoffen in der Umwelt und ihrer Anreicherung in Organismen l57 . Während bei terrestrischen Lebewesen die Nahrungsaufnahme als Belastungspfad dominiert, werden aquatische Organismen überwiegend durch eine direkte Aufnahme toxischer Stoffe aus dem Wasser über Haut und Kiemen kontaminiert. Die Schadstoffe werden insbesondere im Fettgewebe der Organismen gespeichert und so bei längerer Exposition angereichert. 158 Es kommt zu Beeinträchtigungen der Reproduktionsfähigkeit aquatischer Organismen, was sich negativ auf Populationsentwicklung, Artenvielfalt, Biozönosen und das Süßwasserökosystem insgesamt auswirkt. Organische und anorganische Schadstoffe werden jedoch nicht nur in Organismen, sondern auch in Böden und Sedimenten angereichert (Geoakkumulation). Hier sind hochtoxische Schwermetalle und Schwermetallverbindungen (Quecksilber, Cadmium, Radionuklide), verschiedene Gruppen von Kohlenwasserstoffverbindungen (Öl, DDT, PCB) und Nährstoffelemente (phosphor und Stickstoff) zu nennen. GemeinGunkel, Toxische Wirkung auf aquatische Organismen, S. 273 (283). Westendorf, Genotoxische Wirkung, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 342. 155 Gunkel, Beeinträchtigung und Schädigung der aquatischen Organismen und Ökosysteme, in: Guderian 1Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 90 (96). 156 Gunkel, Beeinträchtigung und Schädigung, S. 90 (iOO). 157 Carson, Der stumme Frühling, 1963, S. 18 ff. Der toxischen Wirkung von DDT auf aquatische Organismen ist das 9. Kapitel gewidmet (Der Tod zieht in die Flüsse ein, S. 126 ff.). Rachel Carsons Buch Silent Spring erregte große Aufmerksamkeit und gilt heute allgemein als wichtiger Anstoß für die umweltpolitische Diskussion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vgl. Gore, Earth in the Balance - Ecology and the Human Spirit, 1992/2000, S. 3. 158 Schwoerbel, Limnologie. S. 368. 153

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sam ist diesen Schadstoffen, dass sie durch Wasser schwer lösbar sind und von aquatischen Organismen kaum abgebaut werden können. 159 Bio- und Geoakkumulation ermöglichen auch einen weiträumigen, ökosystemübergreifenden Schadstofftransfer. Neben der Ortsveränderung von Organismen geschieht dies zum einen durch anthropogenen Schadstoffeintrag im Rahmen künstlicher Bewässerung und Düngung landwirtschaftlicher Flächen mit Klärschlamm, der ein Depot für nahezu alle Schadstoffe darstellt l60. Zum anderen sind die in den Sedimenten und im Wasser von Süßwasserökosystemen angereicherten Schadstoffe eng an den Wasserkreislauf gekoppelt, so dass sie beispielsweise durch die Überschwemmung gewässernaher Flussauen, die Versickerung ins Grundwasser und die Mündung belasteter Flüsse ins Meer in andere Ökosysteme verfrachtet werden l61 . b) Einzelne Schadstoffgruppen Die Zahl von Schadstoffen, die Gewässer belasten können, ist unübersehbar. Im Folgenden wird eine Auswahl der wichtigsten Schadstoffgruppen kurz vorgestellt, die zur Belastung grenzübergreifender Gewässer in Europa besonders beitragen. aa) Phosphor Der Eintrag von Phosphorverbindungen in Gewässer hat eutrophierende, sauerstoffzehrende und toxische Auswirkungen auf Gewässer. Phosphor ist ein wichtiger Pflanzennährstoff, der zumeist in anorganischen Phosphatverbindungen als Salze der Phosphorsäuren vorkommt l62 . Hauptquellen der Phosphatbelastung sind neben dem Eintrag erodierten Bodenmaterials von landwirtschaftlich genutzten Flächen insbesondere Privathaushalte (Fäkalien- und Waschmittelrückstände) und die Industrie, wobei der Anteil der einzelnen Sektoren in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union sehr unterschiedlich ist l63 • Allein in Deutschland wurden in den 1990er-Jahren ca. 37.000 Tonnen Phosphor pro Jahr in Oberflächengewässer eingeleitet l64 . Allerdings konnten in den letzten zwei Jahrzehnten des 159 Müller, Geoakkumulation, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 309 (312 f.). 160 Ebd, S. 309 (310). 161 Gunkel, Beeinträchtigung und Schädigung, S. 90 (100). 162 Bahadir I Palar I Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, S. 894 und S. 896. 163 Während in Deutschland Phosphateinträge zu 43% von der Landwirtschaft und zu 31 % von den Haushalten verursacht werden, dominieren industrielle Quellen in Ländern wie Schweden (Papierindustrie) und den Niederlanden (Düngemittelproduktion). European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 166. 164 Umweltbundesamt (Hrsg.), Daten zur Umwelt - Der Zustand der Umwelt in Deutschland 2000,2001, S. 207 f.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

20. Jahrhunderts Phosphateinträge in Teilen der Europäischen Union zum einen dadurch verringert werden l6S , dass in der Landwirtschaft zunehmend erosionsmindernde Anbaustrategien und gezieltere DÜDgungsmethoden eingesetzt werden. Zum anderen ist das Phosphat in Waschmitteln, das der Wasserenthärtung dient l66 , weitgehend durch andere Substanzen ersetzt worden l67 . bb) Stickstoff Im Gegensatz dazu ist bei europäischen Gewässern kein Rückgang der hohen Konzentrationen von Stickstoffverbindungen zu verzeichnen l68 , die ebenso wie Phosphor auch eutrophierende, sauerstoffzehrende und toxische Auswirkungen auf Gewässer haben. Im Verlauf der 1990er-Jahre wurden allein in Deutschland jährlich ca. 820.000 Tonnen Stickstoff in Oberflächengewässer eingeleitet l69 . Von den drei im Boden am häufigsten vorkommenden Stickstoffverbindungen ist die Gewässerbelastung durch Nitrate (Salze der Salpetersäure) besonders problematisch. Die in organischem und mineralischem Dünger enthaltenen Stickstoffverbindungen werden durch mikrobielle Oxidation in wasserlösliche Nitrate umgewandelt (Nitrifikation)170. Aufgrund seiner chemischen Eigenschaften wird Nitrat im Boden kaum absorbiert, sondern rasch ausgewaschen, so dass es in landwirtschaftlich überdÜDgten Gebieten zu einer erheblichen Nitratanreicherung im Grundwasser kommt l7l , die die Trinkwasserqualität stark beeinträchtigt: Nitrat (N03) kann einerseits im Magen-Darmtrakt krebserregende Nitrosamine bilden, andererseits durch Bakterien in Nitrit (N02 ) umgewandelt werden, das den Sauerstoffgehalt im Blut vermindert und insbesondere für Säuglinge lebensgefährlich ist l72 • Ferner werden Süßwasserökosysteme auch durch die sauerstoffzehrende Wirkung von Stickstoffverbindungen wie Ammonium (N14) belastet, bei deren Nitrifikation Sauerstoff in erheblichen Mengen verbraucht wird, was zum Absterben aquatischer Organismen führen kann 173 • Ähnlich schädlich kann sich auch die Umwandlung von Ammonium zu toxischem Ammoniak (NH3) auswirken l74 .

165 European Environment Agency (Hrsg.), Nutrients in European Ecosystems, 1999, S. 21; dies., Environment in the European Union, S. 166 und S. 175; dies., Sustainable Use of Europe's Water?, S. 16. 166 Bahadir IPalar I Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, S. 894 f. 167 European Environment Agency (Hrsg.), Nutrients, S. 129 f. 168 Ebd.. S. 10; European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 164 und S. 176; dies., Sustainable Use ofEurope's Water?, S. 16. 169 Umweltbundesamt (Hrsg.), Daten zur Umwelt, S. 207 f. 170 Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 446. 171 Bahadir IPalar I Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, S. 820. 172 Bender/Sparwasser/Engel. Umweltrecht, S. 235. 173 Gunkel. Struktur und Funktion limnischer Ökosysteme, S. 1 (31). 174 Bender/Sparwasser/Engel. Umweltrecht, S. 235.

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cc) Metalle und Metalloide Die schädigende WIrkung von Metallen und Metalloiden (Halbmetalle) auf Organismen und Biozönosen von Süßwasserökosystemen manifestiert sich auf vielfältige Weise. Gemeinsam ist Metallen wie z. B. Arsen, Blei, Cadmium, Chrom, Eisen, Kupfer, Mangan, Nickel, Quecksilber und Zink jedoch, dass sie nicht im Rahmen natürlicher Prozesse abgebaut werden, sondern sich durch Geo- und Bioakkumulation in Sedimenten und aquatischen Organismen anreichern, wo sie ihre teilweise stark toxischen WIrkungen 17S entfalten können. Metalleinträge in Ökosysteme haben sich in Folge anthropogener Aktivitäten erhöht. Geologische Charakteristika des Einzugsgebiets haben z. B. zur Metallbelastung von Gewässern insofern beigetragen, als "saurer Regen" in Nord- und Mitteleuropa zu einer verstärkten Freisetzung von Metallionen aus metallhaltigen Gesteinsschichten führte. Hauptbelastungsquellen sind jedoch die Einleitungen metallhaltiger Abwässer der Industrie und Privathaushalte, Sickerwasser und Auswaschungen von Deponien und Abrauinhalden, die Düngung mit Klärschlamm sowie stoßartige Spitzenbelastungen bei Unfällen. 176 Anthropogene Metallbelastungen sind nach Höchstwerten in den 1970er- und 1980er-Jahren in Mitteleuropa z. B. durch die Einführung bleifreien Benzins deutlich zurückgegangen. Allerdings wird für die Länder der Europäischen Union insgesamt im Zeitraum zwischen 1990 und 2010 ein weiterer Anstieg etwa der Kupfer- (8%), Cadmium- (26%) und Quecksilberemissionen (30%) prognostiziertl 77 •

dd) Chlorierte Kohlenwasserstoffe Ein außergewöhnlich breites Anwendungsspektrum in Industrie und Landwirtschaft umfassen die unzähligen Stoffe, die aus der Gruppe der chlorierten Kohlenwasserstoffe 178 stammen: Lösungs- und Reinigungsmittel, Pharmazeutika, Desinfektionsmittel, Additive in Mineralölen, Flammenschutzmittel, Weichmacher für Kunststoffe und Pflanzenschutzmittel (Insektizide, Herbizide, Fungizide usw.). Eine herausragende ökonomische Bedeutung hatten aufgrund ihrer günstigen Eigenschaften (fehlende elektrische Leitfähigkeit und Brennbarkeit, hohe Lösungsfähigkeit) bis in die 1980er-Jahre die leichtflüchtigen chlorierten Kohlenwasser175 Gloxhuber, Anorganische Verbindungen, in: ders. (Hrsg.), Toxikologie, 1994, S. 72 (118 ff.); Manahan, Environmental Chemistry, S. 190 ff. 176 Streit, Metalle und Metalloide, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3A, S. 398 (400). In European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 125. 178 "Chlorierte Kohlenwasserstoffe" bilden eine Untergruppe der Halogenkohlenwasserstoffe, die diejenigen Derivate der Kohlenwasserstoffe umfassen, bei denen Wasserstoffatome durch Halogene ("Salzbildner": Flour, Chlor, Brom, Iod) substituiert sind. Hulpke I Koch I Nießner (Hrsg.), Römpp-Lexikon Umwelt, 2000, S. 374 ff.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

stoffe. Zu ihnen zählen auch Stoffe, deren Anwendung aufgrund ihrer schädlichen Umwelteigenschaften und Toxizität mittlerweile in den Ländern der Europäischen Union verboten ist, wie z. B. Trichlormethan ("Chloroform"), Tetrachlorkohlenstoff ("TETRA") und 1,1,2,2-Perchlorethen (,,PER"). Diese gut wasserlöslichen Verbindungen zeichnen sich durch ein hohes Diffusionsvermögen - z. B. auch durch Beton - aus, wodurch sie leicht zwischen den Umweltmedien Boden, Wasser und Luft wechseln können l79 • Zwar zeigen die Restriktionen in Herstellung und Anwendung leichtflüchtiger chlorierter Kohlenwasserstoffe insofern Wrrkung, als ihre Konzentrationen in vielen Flüssen abnehmen. Keine Entwarnung kann jedoch in Hinblick auf die Trinkwassergewinnung aus Grundwasser gegeben werden, da die über kontaminierte Böden eingetragenen Verbindungen sich in diesem Milieu als außerordentlich persistent erweisen. 180 Auch schwerflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe zeichnen sich durch ihre große Beständigkeit in der Umwelt aus, so dass sie zur Gruppe der sog. persistent organic pollutants (POPs) zu zählen sind l8l . Bedingt durch ihre geringe Wasserund hohe Fettlöslichkeit einerseits und schlechte biologische Abbaubarkeit andererseits kommt es zur Geoakkumulation schwerflüchtiger chlorierter Kohlenwasserstoffe in Sedimenten und Bioakkumulation in Fettgeweben von Organismen, die dann über die Nahrungskette bis hin zur menschlichen Muttermilch weitergegeben werden 182. Über Schwebstoffe in der Atmosphäre werden sie weltweit in Regionen verteilt, die weit entfernt von ihren ursprünglichen Herstellungs- und Anwendungsorten liegen. Trotz Verboten in den meisten Industrieländern sind POPs heute noch in zahllosen sog. Senken (Altstandorte, Deponien, aquatische Sedimente) gegenwärtig 183 , so dass auch in Zukunft von ihnen Umweltbelastungen besonders für Grundwasservorkommen l84 ausgehen werden l85 . Von den 1940erbis zu den 1970er-Jahren haben schwerflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe eine wichtige wirtschaftliche Rolle gespielt. Weite Anwendung fanden insbesondere Insektizide wie Lindan (-y-Hexachlorcyc1ohexan - HCH) und DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan). Da vor allem DDT bei Menschen zunächst nur eine geringe akute Toxizität zeigte, wurde es im und nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Parasitenbekärnpfungsmittel bei Millionen von Soldaten, Flüchtlingen und Gefangenen angewandt 186. In den darauffolgenden Jahrzehnten setzte man sehr große Mengen DDT in der Landwirtschaft ein. Nachdem jedoch die ökotoxikologischen Galler, Lehrbuch Umweltschutz, S. 169. Kettrup I Heiniseh, Gewässerbelastungen durch leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe LCKW, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 205 (218). 181 European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 119. 182 Hulpke/Koch/Nießner (Hrsg.), Römpp-Lexikon Umwelt, S. 192. 183 Kettrup I Heinisch, Gewässerbelastungen durch schwerflüchtige Kohlenwasserstoffe SCKW, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 220. 184 European Environment Agency (Hrsg.), Groundwater, S. 8, S. 38 und S. 91. 185 European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 120. 186 Carson, Der stumme Friihling, S. 18. 179

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1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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Eigenschaften von DDT (z. B. Fischsterben l87 , Verdünnung der Eierschalen fischfressender Vöge1 188) allmählich erkannt wurden, kam es zu einem weitgehenden Herstellungs- und Anwendungsverbot in den Industrieländem l89 . Seit 1989 ist in Deutschland auch die Herstellung, Anwendung und das Inverkehrbringen polychlorierter Biphenyle (PCB) verboten l90. PCB zählen zu den stabilsten organischen Verbindungen und wurden als Kühlmittel, Hydraulikflüssigkeit, Imprägniermittel, Weichmacher in Kunststoffen und feuerfester Isolierstoff in Kondensatoren und Transformatoren eingesetzt 191 . Wie andere schwerflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe sind PCB kaum wasserlöslich und nur sehr schwer abbaubar. Sie reichem sich durch Geo- und Bioakkumulation an und werden durch den Wasserkreislauf und die Atmosphäre global verteilt, so dass heute eine Kontamination fast der gesamten Umwelt mit PCB vOrliegt192. In toxikologischer Hinsicht werden PCB mutagene, karzinogene und teratogene Wirkungen auf Organismen zugesprochen 193. Bei der Verbrennung von PCB entstehen als unbeabsichtigte Nebenprodukte hochtoxische polychlorierte Dibenzodioxine (PCDD) und Dibenzofurane (PCDF)l94. Der giftigste Vertreter dieser Stoffgruppe - 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo[1,4]dioxin - wurde 1976 durch einen schweren Unfall im italienischen Seveso als "Seveso-Dioxin" bekanne 9s . Aufgrund ihrer stark lipophilen Eigenschaften kommt es zur Anreicherung insbesondere in Fettgeweben von Organismen (Insekten, Krebsen, Fischen, Vögeln, Säugetieren) und entsprechenden Weitergabe in der Nahrungskette l96. Bereits in geringen Konzentrationen lösen Dioxine und Furane beim Menschen die sog. Chlorakne aus - eine schmerzhafte, schwer heilbare und zu entstellenden Narben führende Hautkrankheit 197 . ee) Mineralöl Unter Mineralöl versteht man flüssige bis teerartige Öle fossilen Ursprungs, die in geologischen Zeiträumen aus organischem Material gebildet wurden und aus Ebd, S. 126 ff. Löser; Agrochemikalien, in: Gloxhuber (Hrsg.), Toxikologie, 1994, S. 300 (301). 189 Kettrup/ Heiniseh, Schwerflüchtige Kohlenwasserstoffe - SCKW, S. 220 (222). 190 Ebd, S. 220 (236). 191 Bliefert, Umweltchemie, S. 312; Hulpke/Koch/Nießner (Hrsg.), Römpp-Lexikon Umwelt, S. 639. 192 Bahadir / Palar / Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, S. 868; Bliefert, Umweltchemie, S. 313. 193 Löser; Organische Verbindungen, in: Gloxhuber (Hrsg.), Toxikologie, 1994, S. 172 (254 f.); Kettrup/ Heinisch, Schwerflüchtige Kohlenwasserstoffe - SCKW, S. 220 (236). 194 Bahadir / Palar / Spiteller (Hrsg.), Springer-Umweltlexikon, S. 868. 195 European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 120. 196 Bliefert, Umweltchemie, S. 310. 197 Ebd; Löser; Organische Verbindungen, S. 172 (252). 187 188

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

ihren Lagerstätten unter erheblichem technischen Aufwand als sog. Rohöl gefördert werden. Rohöl ist ein Gemisch vieler chemischer Einzelstoffe, an dem - neben schwefel-, stickstoff- und sauerstoffhaltigen Verbindungen - Kohlenwasserstoffe einen Anteil zwischen 50% und 98% haben. 198 Im Rahmen eines Raffinationsprozesses wird Rohöl in Destillate mit unterschiedlichen Siedepunkten aufgeteilt (u. a. Benzin, Kerosin, Heizöl, Diesel, Schmieröle), die als Energieträger oder durch Weiterverarbeitung vielfältigen Verwendungen zugeführt werden. Diese Vielfalt spiegelt sich in den zahlreichen Eintragspfaden von Mineralöl und Mineralölprodukten in Süßwasserökosysteme wider. Bereits ihr Transport zu Lande (Ölpipelines, Tankwagen etc.) und auf dem Schiffsweg ist mit einem erheblichen Gefahrenpotential verbunden. So tragen beispielsweise in Osteuropa und Russland Leckagen unzureichend instandgehaltener Pipelines zu 50% der gesamten Öleinträge in die Umwelt bei 199 • Weltweit belasten Tankerunfälle nicht nur die Meeresumwelt, sondern zerstören häufig auch das sensible Ökosystem von Küstengebieten. Auch durch unsachgemäße Lagerung und Abfallbeseitigung gelangen Mineralöle in die Umwelt, wo sie nur langsam biologisch durch Bakterien und gewisse Pilzarten abgebaut werden2OO, so dass sie monatelang im Wasserkreislauf verbleiben und weiterverbreitet werden können. Durch unsachgemäßen Umgang kann Mineralöl auch Böden kontaminieren und auf diesem Weg schließlich ins Grundwasser eindringen20I • Ausgetretenes Mineralöl verklebt Vogelgefieder bzw. Tierfelle und behindert den Gasaustausch zwischen Pflanzen, Luft und Wasser. In toxischer Hinsicht reizt und zerstört es Schleimhäute und fördert die Bildung von Geschwüren. Durch biologischen Abbau des Mineralöls kommt es zu Stauerstoffmangel und den diesbezüglichen Belastungen von Süßwasserökosystemen. 202 Geoakkumulation von Kohlenwasserstoffen und anderen organischen Bestandteilen des Mineralöls in Sedimenten führt zur Ausbildung sauerstofffreier Sedimentschichten mit entsprechenden Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Biozönose. Ferner beeinträchtigen auch die Geruchs- und Geschmackstoffe des Mineralöls die Trinkwassergewinnung.2°3

198 Wunderlich, Gewässerbelastungen durch Mineralöl, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 157. 199 Ebd., S. 157 (162 f.). 200 Bliefert, Umweltchemie, S. 314 f. 201 European Environment Agency (Hrsg.), Groundwater, S. 8, S. 38 und S. 91. 202 s.O. Sauersto.ffmangel- 1. Kapitel, B. m. 2. a) aa). 203 Wunderlich, Mineralöl, S. 157 (165 ff.).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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3. Biologische Gewässerbelastungen

a) Gewässerbelastung durch organisches Material Organisches Material in Gewässern besteht aus einer Vielzahl chemischer Stoffgruppen bzw. Kohlenstoffverbindungen und tritt sowohl in partikulärer als auch in gelöster Form auf. Der Eintrag organischen Materials ist insofern für das Süßwasserökosystem wichtig, als es die Grundlage der heterotrophen Nahrungsnetze bildet204• Da der Abbau bzw. die Mineralisation organischer Stoffe den Verbrauch erheblicher Sauerstoffmengen erfordert, kommt es bei einem übermäßigen Eintrag organischen Materials insbesondere durch Industrie- und Haushaltsabwässer zu Sauerstoffmangel2os . Insgesamt lässt sich in europäischen Flüssen ein enger Zusammenhang zwischen ihrem Sauerstoffgehalt und der Menge organischen Materials feststellen: Seit 1970 konnte die Belastung mit organischem Material durch biologische Abwasserbehandlung in Kläranlagen deutlich verringert werden. WIihrend in Süd- und Osteuropa derzeit noch ca. 25% der Flüsse schwer mit organischem Material belastet sind, weisen in Nord- und Westeuropa durch eine effektive Entfernung organischen Materials weniger als 10% der Fließgewässer Sauerstoffmangel mit kritischen BSB s -Werten über 5 mg 11 auf206 •

b) Hygienische Gewässerbelastung Weltweit sind wasservermittelte Infektionen eine Hauptursache für - oft tödlich verlaufende - Krankheiten, wobei die Entwicklungsländer der Tropen und Subtropen besonders betroffen sind 207 • Gegenwärtig leidet ca. die Hälfte der Weltbevölkerung an wasserassoziierten Erkrankungen, die entweder durch den unmittelbaren Umgang mit verseuchtem Wasser (Trinkwasseraufnahme, Hautkontakt), oder indirekt durch Wlrts- und Übertragungstiere von Krankheitserregern ausgelöst werden. Krankheitserreger sind neben Bakterien (Salmonellen, Streptokokken, Staphylokokken) und Viren auch Pilze, Protozoen (Amöben), Trema- und Nematoden (Saug- und Fadenwürmer) bzw. Helminthen (Eingeweidewürmer). Sie lösen u. a. Typhus, Ruhr, Cholera, Milzbrand, Tuberkulose, Kinderlähmung, Meningitis, Diarrhöen, Pilzinfektionen, Malaria und Bilharziose aus. 208 Zu den potentiellen Belastungsquellen zählen die Einleitung unbehandelten Abwassers, defekte bzw. 204 Mutz. Diffuser Eintrag von partikulärem organischem Material (POM), in: Guderianl Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 1; Lorch, Eintrag und Umsatz gelöster Kohlenstoffverbindungen, in: Guderian I Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 15. 205 Lorch, Eintrag und Umsatz gelöster Kohlenstoffverbindungen, S. 15 (19); WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 91. 206 European Environment Agency (Hrsg.), Environment in the European Union, S. 172 f. W7 UNESCO, World Water Development Report, S. 11. WB WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 231 f.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

überlastete Kanalisationssysteme und Kläranlagen, der Oberflächenabfluss von Siedlungs- und Landwirtschaftsflächen und die Ausbringung organischen Düngers bzw. Klärschlamms 209 . Die hygienische Belastung europäischer Oberflächengewässer ist sehr unterschiedlich. Während Seen aufgrund ihrer Nutzung als Badestellen meist einer regelmäßigen bakteriologisch-hygienischen Überwachung mit entsprechenden Schutzrnaßnahmen unterliegen, weisen Fließgewässer nahezu durchweg eine mangelhafte hygienische Wasserqualität auf 10. Im Gegensatz dazu hat in Europa die Trinkwasserversorgung aufgrund hoher Investitionen in die diesbezügliche Infrastruktur insgesamt einen vergleichsweise hohen Standard. Wo dies (wie insbesondere in osteuropäischen Ländern) nur in unzureichendem Maß der Fall ist, sind hygienische Verunreinigungen des Trinkwassers jedoch nicht ausgeschlossen211 . c) Gewässerbelastung durch gebietsfremde Arten Gebietsfremde Arten sind neue Pflanzen- (Neophyten) oder Tierarten (Neozoen)212, die - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in ihnen zuvor nicht zugängliche Regionen gelangen und dort neue Populationen aufbauen213 . Neue künstliche Verbindungswege wie z. B. der Rhein-Main-Donaukanal, die zuvor voneinander isolierte Gewässersysteme verbinden, und der zunehmende weltweite Warenverkehr ermöglichen die Migration und den Transport von Organismen über weite Distanzen. Dabei überwiegt im Vergleich zur gezielten Einbürgerung aus ökonomischen Gründen das vom Menschen nicht beabsichtigte Eindringen von Neophyten und Neozoen in Süßwasserökosysteme, die dadurch zwangsläufig verändert werden. Ökosysteme und ihre Lebensgemeinschaften sind nie statisch, sondern im Laufe der Zeit vielen Veränderungen unterworfen. Zur Belastung wird das Auftreten gebietsfremder Arten jedoch dann, wenn das Gleichgewicht eines Ökosystems so gestört wird, dass es seine Funktionen nicht mehr seinem ursprünglichen Charakter gemäß wahrnehmen kann. Bei Vermischung mit gebietsfremden Arten können z. B. einheimische Arten als selbständige genetische Einheiten untergehen 214 . Häufiger 209 Lorch, Bakteriologisch-hygienische Belastung der Gewässer, in: Guderian/Gunke1 (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 28 (29). 210 Ebd, S. 28 (39 ff.). 2ll European Environment Agency (Hrsg.), Sustainable Use of Europe's Water?, S. 23 f. 212 Als Neophyten und Neozoen werden Arten bezeichnet, die nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus (1492 n. Chr.) in einem Gebiet neu auftreten, wohingegen man fiir die Zeit davor von Archäophyten bzw. Archäozoen spricht. Hulpke/Koch/Nießner (Hrsg.), Römpp-Lexikon Umwelt, S. 40 f. 213 Kinzelbach, Neozoen: Gebietsfremde Tierarten, in: Guderian/Gunkel (Hrsg.), Aquatische Systeme, Bd. 3B, S. 72 (73). 214 Ebd, S. 72 (83).

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

79

kommt es jedoch zum Artensterben durch Selektionsdruck und Verdrängung durch überlegene Neophyten und Neozoen, die sich oft aus Mangel an natürlichen Feinden in ihrem neuen Lebensraum ungehindert vermehren und ausbreiten können. Insgesamt kann der Verlust an Biodiversität zu einer völligen Zerstörung des ursprünglichen Süßwasserökosystems führen. Ein vielbeachtetes Beispiel hierfür ist die Vernichtung der einzigartigen Fischfauna des afrikanischen Victoriasees durch die Ansiedelung des Nilbarsches in der Mitte des 20. Jahrhunderts. 21S

IV. Ökologische Implikationen für das Gewässerschutzrecht Die globalen, regionalen und lokalen Wasserkreisläufe integrieren die Hydrosphäre mit der Geosphäre, Biosphäre, Atmosphäre und Anthroposphäre zu einem komplexen Gefüge sich wechselseitig beeinflussender Wirkbereiche, in dem Gewässer mannigfaltige Funktionen für Natur und Mensch erfüllen können. Die Interaktion bewirkt, dass die einzelnen Komponenten der Hydrosphäre einer Vielzahl quantitativer und qualitativer Einflüsse ausgesetzt sind, die sich teilweise belastend auf Gewässer auswirken. Aufgrund ihrer Regenerationsfähigkeit können Süßwasserökosysteme bis zu einem gewissen Grad die ganz überwiegend anthropogenen Gewässerbelastungen bewältigen und ihr Gleichgewicht stabilisieren. Bei Überschreitung kritischer Schwellenwerte wird diese Balance jedoch - u.U. irreversibel - zerstört, so dass Gewässer ihre Natur- und Kulturfunktionen nicht mehr oder nur unzureichend erfüllen können. Um die Natur- und Kulturfunktionen von Gewässern dauerhaft aufrechterhalten zu können, haben sich geWässerschutzrechtliche Normen an diesen ökologischen Rahrnenbedingungen zu orientieren. Aus der ökologischen Beschaffenheit von Gewässern lassen sich folgende grundsätzliche Anforderungen an ein gewässerschutzrechtliches Normensystem ableiten: Angesichts der ökologischen Vernetzung von Gewässern wird Gewässerschutz ob auf völker- oder gemeinschaftsrechtlicher Ebene - nur dann effektiv sein, wenn er nicht eine partielle216 , sondern eine ganzheitliche Schutzkonzeption verfolgt. Ganzheitlicher Schutz verlangt zum einen, das in räumlicher Hinsicht nicht nur z. B. der Hauptwasserkörper eines Flusses oder Sees, sondern das gesamte Gewässerökosystem samt seinem Einzugsgebiet vom Regelungsgegenstand umfasst wird217 • Zum anderen ist in sachlicher Hinsicht aufgrund der vielfaItigen ökologiWBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 260. Zum partiellem Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene s.u. Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets - 3. Kapitel, C. Zu partiellen Schutzansätzen im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s.u. Hintergrund: Die Entwicklung des europarechtlichen Gewässerschutzes (1973 - 2(00) - 5. Kapitel, A. 217 Zum räumlichen Schutzumfang völkerrechtlichen Gewässerschutzes s.u. Regelungsgegenstand nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, D. Zu den entsprechenden Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s.u. Regelungsgegenstand: Nationale und internationale Flussgebietseinheiten - 5. Kapitel, C. 215

216

80

1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

sehen Wechselbeziehungen die Beschränkung auf einzelne Gewässerbelastungen wie insbesondere die chemische Wasserverschmutzung weder sinnvoll noch möglich. Dementsprechend ist der Wandel des Gewässerschutzrechts in Europa durch die Ausweitung des Schutzumfangs auf Fragen z. B. der Wasserquantität oder des Hochwasserschutzes charakterisiert218 • Insgesamt ist das gewässerschutzrechtliche Instrumentarium an den natürlichen Abläufen innerhalb von Süßwasserökosystemen und insbesondere an deren natürlicher Regenerationsfähigkeit auszurichten. Hierzu können im Rahmen eines gewässerschutzrechtlichen Regelungsgefüges bestimmte Grundsätze wie z. B. das Vorsorge- und das Ursprungsprinzip sowie das Verschlechterungs- und das Verlagerungsverbot beitragen219 • Es liegt auf der Hand, dass ökosystemorientiertes Gewässerschutzrecht umfangreiches Wissen über das zu schützende Gewässerökosystem voraussetzt. Folglich sind Mechanismen erforderlich, mittels derer die notwendigen Kenntnisse gewonnen, verarbeitet und angewandt werden können22o •

C. Ökonomische Rahmenbedingungen Economics is the science which studies human behavior as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses. Lord Lionel Charles Robbins (1898 - 1984)

Bei der Ausgestaltung gewässerschutzrechtlicher Normen können die mit den ökologischen Voraussetzungen eng verbundenen ökonomischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern nicht ignoriert werden. Auf ihre wesentlichen Grundzüge wird daher im folgenden Überblick eingegangenen, wobei auch ökonomische Konzeptionen vorzustellen sind, die zunehmend zur Lösung von Umweltund Gewässerproblemen Eingang in nationales und internationales Recht finden. I. Gewässer als natürliche Ressourcen Aufgrund ihrer vielfältigen Kulturfunktionen stellen Gewässer für den Menschen natürliche Ressourcen221 dar, deren Nutzung seiner Bedürfnisbefriedigung 218 Zum sachlichen Schutzumfang völkerrechtlichen Gewässerschutzes s.u. Maßnahmen nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, F. Zu den entsprechenden Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s. u. Maßnahmenprogramme, Art. 11 WRRL - 5. Kapitel, C. 219 s.u. Prinzipien nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, E. 220 Zum Wissensmanagement im Rahmen des völkerrechtlichen Gewässerschutzes s.u. Wissensmanagement und nachhaltiger Gewässerschutz - 4. Kapitel, G. Zu den entsprechenden Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s.u. Wissensmanagement: Gewässeranalyse und -überwachung, Art. 5 bis Art. 8 WRRL - 5. Kapitel, E. 221 ,,Natürliche Ressourcen" sind die vom Menschen wirtschaftlich nutzbaren Komponenten der natürlichen Umwelt: die Umweltmedien Luft, Boden und Wasser, sowie Flora und

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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dient, einen Nutzen stiftet und daher in Fonn wirtschaftlichen Bedarfs als Wirtschaftsgut nachgefragt wird. Es gibt keine Ressource, die Gewässern an Nutzungsvielfalt gleichkommt222 • Zusätzlich zu ihrer Multifunktionalität werden Gewässer zudem - mit Ausnahme isolierter fossiler Grundwasservorkommen - im Rahmen des Wasserkreislaufs in gewissen Zeitabständen quantitativ und qualitativ erneuert. Im Gegensatz zu erschöpfbaren Ressourcen (wie z. B. Erdöl oder Kohle) sind sie daher prinzipiell regenerierbare Ressourcen, deren Ge- und Verbrauch lediglich zu relativer Knappheit führt. Bis heute wird Wasser daher von manchen als "freies Gut" (sog. Ubiquität)223 - vergleichbar der Luft - angesehen, das scheinbar unbegrenzt zur Verfügung steht. Wie die Untersuchung der ökologischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern gezeigt hat, ist die quantitative und qualitative Regenerationsfähigkeit von Süßwasserökosystemen jedoch nicht unbegrenzt: Bei Überbeanspruchung durch menschliche Gewässernutzung beinträchtigen die daraus resultierenden Belastungen nicht nur die Naturfunktionen von Gewässern, sondern über kurz oder lang auch ihre zivilisatorische Nutzbarkeit. Multifunktionale Gewässerressourcen, die grundsätzlich verschiedene Natur- und Kulturfunktionen erfüllen können ("alternative uses"), werden aufgrund ihrer begrenzten Regenerationskapazität ("scarce means") nicht alle von Mensch und Natur an sie gestellten Nutzungsbedürfnisse ("ends") in vollem Umfang befriedigen können. Diese Knappheit ist charakteristisch für die klassische Problemstellung der Ökonomie: das Spannungsverhältnis zwischen Bedürfnissen einerseits und knappen Mitteln zu ihrer Befriedigung andererseits.

D. Ressourcenökonomie und optimale Allokation

Die aus der begrenzten Regenerationsfähigkeit resultierende Knappheitssituation erfordert es, zwischen konkurrierenden Gewässernutzungsinteressen eine Wahl zu treffen: Wer soll Gewässer in welchem Umfang für welche Zwecke nutzen dürfen? Das Verteilungs-, Zuordnungs- bzw. Allokationsproblem stellt sich bei jeder knappen Wasserressource - vom einfachen Brunnen, den sich mehrere Individuen teilen, über die Nutzung im nationalen Rahmen (durch Wutschaftsunternehmen, Landwirtschaft und private Haushalte), bis hin zu grenzüberschreiFauna (restriktiver Umweltbegriff), s.o. Naturphilosophische Aspekte - 1. Kapitel, A. 11. 2. Als Rohstoffe werden sie in der WIrtSchaft entweder neben Arbeit und Kapital als Produktionsfaktoren oder zum Endverbrauch durch die Konsumenten verwandt. Hackl, Die Nutzung erschöpfbarer und erneuerbarer Ressourcen, in: BartellHackl (Hrsg.), Einführung in die Umweltpolitik, 1994, S. 141 (142). 222 s.o. Kultuifunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, A. I.; Natuifunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, B. 11. 223 Banei, Allgemeine Grundlagen der Umweltpolitik, in: ders.lHackl (Hrsg.), Einführung in die Umweltpolitik. 1994. S. 3 (19). 6 Rcichert

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

tenden Gewässern, bei denen die miteinander konkurrierenden Gewässernutzungsinteressen kollektiv durch Staaten repräsentiert werden. In diesen Konstellationen ist die Ökonomie originär mit dem Problem quantitativ knapper werdender Wasserressourcen und der damit einhergehenden Beeinträchtigung von Kulturfunktionen konfrontiert. Angesichts der Abhängigkeit der wirtschaftlich nutzbaren Wassermenge von ökologisch intakten Süßwasserökosystemen setzt sich jedoch zunehmend die Erkenntnis durch, dass quantitative und qualitative Aspekte der Gewässernutzung auch in ökonomischer Hinsicht nicht getrennt behandelt werden können. Die Ressourcenökonomie untersucht, welche Bedingungen eine ökonomisch optimale, d. h. effiziente Allokation von Gewässernutzungen unter denjenigen ermöglichen, die eine knappe Ressource nachfragen 224. Hierbei wird die klassische Annahme der Wrrtschaftswissenschaft zu Grunde gelegt, wonach das Handeln der an wirtschaftlichen Prozessen teilnehmenden Akteure auf die Maximierung ihres individuellen Interesses bzw. Nutzens abzielr2S • Auch in Hinblick auf die Nutzung von Gewässern mit quantitativ und qualitativ knapper Kapazität kann die Hypothese vom rational und egoistisch handelnden homo oeconomicus grundsätzlich auf diejenigen Akteure angewandt werden, deren Gewässernutzungsinteressen miteinander konkurrieren: Individuen, Wutschaftsunternehmen, oder - auf internationaler Ebene - Staaten. Wie die verschiedenen Wirtschaftsakteure dabei ihr individuelles ,,Interesse" bzw. ihren ,,Nutzen" definieren ist eine außerhalb der Ökonomie angesiedelte Wertungsfrage, die innerhalb von verschiedenen Wasserkulturen je nach spezifischen Bedürfnissen, Werthaltungen und Präferenzen226 unterschiedlich beantwortet werden kann. Bei der Allokation knapper Gewässerressourcen ist ökonomische Effizienz im Sinne des Rationalitätsprinzips dann gegeben, wenn mit möglichst geringem Aufwand an Kosten, Mitteln bzw. Gütern (sog. Input) ein bestimmtes Nutzen-, Zielbzw. Erfolgsniveau (sog. Output) erreicht wird (Minimumprinzip: minimaler Input, fixierter Output), oder mit einem bestimmten Input ein maximaler Output verwirklicht werden kann (Maximumprinzip: fixierter Input, maximaler Output)227. Optimale Effizienz tritt ein, wenn sich die Lage eines der betroffenen Wirtschaftsakteure nicht mehr verbessern lässt, ohne die eines anderen zu verschlechtern (sog. Pareto-Optimalität/28 • Das Ziel der Ressourcenökonomie ist es, die Aufteilung knapper Gewässerressourcen so zu gestalten, dass trotz begrenzter Regenerationskapazität ihre langfristige (intertemporale) Nutzbarkeit erhalten bleibt. Angesichts der Nutzungsvielfalt multifunktionaler Gewässerressourcen erfordert die Lösung des Allokationsproblems zunächst eine Entscheidung darüber, welchen 224

225

Bartel, Grundlagen der Umweltpolitik, S. 3 (6). BZurn, Volkswirtschaftslehre, 2000, S. 59 und S. 522.

226

s.o. Naturethische Aspekte - 1. Kapitel, A. 11. 3.

227

BZurn, Volkswirtschaftslehre, S. 7.

228

Ebd., S. 8.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

83

Gewässernutzungen unter den konkurrierenden Nutzungsinteressen Priorität einzuräumen ist. Dabei können außerhalb der ökonomischen Sphäre angesiedelte Elemente einer spezifischen Wasserkultur (z. B. religiöse und moralische Werthaltungen, wissenschaftliche Erkenntnisse) und insbesondere politische Machtkonstellationen zum Tragen kommen. Die moderne Wrrtschaftstheorie konzentriert sich auf mikroökonomischer Ebene auf die sich monetär - in Form von Zahlungsbereitschaft - artikulierende Nachfrage nach Gewässernutzungen als Bewertungsmaßstab?29 Neben anderen denkbaren Allokationsmechanismen (z. B. demokratische Entscheidungsverfahren, einseitige Zuweisung, ,,Das Gesetz des Stärkeren )23o, ermöglichen Märkte durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage unter Bildung eines Preises die Aufteilung knapper Gewässerressourcen unter konkurrierenden Nutzungsinteressen 231 . U

Die Ressourcenökonomie kommt zu dem Ergebnis, dass vollständig funktionierende Märkte grundsätzlich in der Lage sind, eine optimale Allokation von Ressourcen im Sinne der intertemporalen Erhaltung ihrer Nutzbarkeit zu verwirklichen232 . Als Allokationsmechanismus versagt der Markt jedoch dann, wenn seine Funktionsfähigkeit z. B. aufgrund fehlenden Wettbewerbs oder der Subventionierung des Wasserpreises gestört ist. Marktversagen liegt insbesondere dann vor, wenn der Wasserpreis die Grenze der quantitativen und qualitativen Regenerationsfähigkeit der Ressource nicht anzeigt und als Knappheitsindikator ausfällt. Zu niedrige Wasserpreise führen dazu, dass Nutzer die natürliche Regenerationskapazität von Gewässerressourcen langfristig überbeanspruchen, um kurzfristig ihren individuellen Nutzen zu maximieren233 . Aus der relativen wird eine absolute Knappheit - und Gewässer werden zu erschöpfbaren Ressourcen234 .

m. Die Ökonomie externer Effekte 1. Externe Effekte und suboptimale Allokation

Aus wirtschaftstheoretischer Sicht können anthropogene Gewässerbelastungen durch Überlastung der quantitativen und qualitativen Regenerationsfähigkeit von Gewässern als externe Effekte (Externalitäten) ökonomischer Aktivitäten interpretiert werden. Demzufolge treten negative Externalitäten dann auf, wenn die Kosten WBGU (Hrsg.), Nachhaltiger Umgang, S. 308 ff. Endres, Umweltökonomie - Eine Einführung, 1994, S. 2. 231 Zur Diskussion, ob die allgemeine Wasserversorgung als öffentliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge oder privatwirtschaftlich organisiert sein soll, vgl. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Globalisierung der Weltwirtschaft, S. 365 ff. 232 Feess, Umweltökonomie und Umweltpolitik, 1995, S. 217. 233 Zur Problematik unangemessener Wasserpreise UNESCO, World Water Development Report, S. 27 f. 234 Bartei, Grundlagen der Umweltpolitik, S. 3 (8). 229

230

1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

84

einer Tätigkeit nicht den jeweils handelnden Wirtschaftsakteur als Verursacher, sondern ,,Dritte" im weitesten Sinne treffen (eng!.: spill over effect)235. Versteht man in diesem Zusammenhang unter "Kosten" umfassend die Beeinträchtigung von Kultur- und Naturfunktionen von Süßwasserressourcen, können kostenbelastete ,,Dritte" andere Individuen, Gruppen, Wmschaftsunternehmen, Staaten oder prinzipiell auch zukünftige Generationen und letztlich auch die Natur selbst sein. In dieser Situation besteht für den Verursacher von Gewässerbelastungen zunächst kein Anreiz, die tatsächlich entstehenden Kosten seines Handeins zu minimieren: Wer seinen eigenen Nutzen durch übermäßige Wasserentnahme oder die Einleitung verschmutzten Abwassers maximieren kann, ohne alle damit verbundenen, anderweitig entstehenden Kosten bei seiner Kalkulation berücksichtigen zu müssen, handelt aus individueller Sicht ökonomisch rational. Auf diese Weise führen negative Externalitäten jedoch zu höheren Gesamtkosten und damit zu einem ökonomisch ineffizienten und suboptimalen Gesamtergebnis - mithin zur Fehlallokation von Gewässernutzungen. Der ökonomische Ansatz für eine Korrektur dieses ökonomisch wie ökologisch - unerwünschten Zustands besteht folglich darin, die externen Effekte bzw. Kosten in den ökonomischen Entscheidungsprozess einzubeziehen (sog. Internalisierung externer Effekte)236. 2. Internalisierung externer Effekte: "Leviathan"

oder "unsichtbare Hand"?

Die Wirtschaftswissenschaft hat für bestimmte ökonomische Situationen verschiedene ordnungspolitische und marktorientierte Strategien zur Internalisierung externer Effekte entwickelt237, die prinzipiell auch auf Gewässerbelastungen anwendbar sind. Da diese ökonomischen Konzeptionen den verschiedenen rechtlichen Ansätzen zur Lösung von Umwelt- und Gewässerproblemen zu Grunde liegen, werden sie im Folgenden in ihren Grundzügen kurz vorgestellt.

a) Hobbes' "Leviathan": Ordnungspolitische Instrumente Ordnungspolitische Instrumente erfordern die Intervention in wirtschaftliche Prozesse durch eine übergeordnete Entscheidungsinstanz - auf nationaler Ebene durch einen ordnend eingreifenden Staat, dessen Archetyp Thomas Hobbes (1588-1679) in die Metapher des alhnächtigen ,,Leviathans" zu fassen suchte 238 . Ebd., S. 3 (8). Endres, Umweltökonomie. S. 21; Feess, Umweltökonomie. S. 18. 237 Feess, Umweltökonomie. S. 18. 238 .. [B]y Art is created that great LEVIATHAN called a COMMON-WEALTH. or STATE (in latine CIVITAS). which is hut an Artificiall Man; though of greater stature and strength than the Naturall. for whose proteetion and defence it was intended; and in which the Sover235

236

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

85

Ordnungspolitische Instrumente legen die tatsächlichen Kosten der Gewässernutzung einseitig dem Verursacher von Gewässerbelastungen auf (sog. Verursacherprinzip).239 Dies kann in Rahmen von Vorschriften bzw. Auflagen (z. B. Festsetzung von Emissionsbegrenzungen)240 angestrebt werden, die gewässerbelastende Aktivitäten direkt reglementieren (engl.: command anti control, top-down approach) oder durch indirekt verhaltenslenkende Mittel wie z. B. Steuern (sog. Pigou-Steue~41) und haftungsrechtlichen Schadensersatz242. Allerdings wird sowohl die ökonomische als auch die ökologische Wirksamkeit ordnungspolitischer Instrumente angezweifelt, da sie marktorientierten Lösungsansätzen unterlegen seien (z. B. durch zu kostenintensiven Verwaltungsaufwand, fehleranfällige Bewertung externer Kosten)243 und letztlich nur störend in sich selbst regulierende Wirtschaftsabläufe eingriffen.

b) Smiths "unsichtbare Hand": Marktorientierte Instrumente Im Gegensatz zu ordnungspolitischen Instrumenten setzen marktorientierte Ansätze auf die Schaffung von Bedingungen, die - im Sinne des von Adam Smith (1723 -1790) gebrauchten Bildes der "unsichtbaren Hand,,244 - die Selbststeuerungskräfte von Märkten nutzen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang zum einen Verhandlungslösungen, zum anderen die künstliche Schaffung von Märkten für den Handel mit Nutzungs- und Belastungsrechten.

eignty is an Artificiall Soul, as giving life and motion to the whole body." Hobbes, Leviathan - Or the Matter, Forme, & Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall And Civill, 1651, S. 1. 239 s.u. Das Verursacherprinzip - 4. Kapitel, E. n. 3. 240 Zur Begrenzung von Schadstoffemissionen durch völkerrechtlichen Gewässerschutz S.u. Das Emissionsprinzip - 4. Kapitel, F. II. 1. Zu entsprechenden Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts S.U. Maßnahmen in Bezug auf Schadstoffeinleitungen - 5. Kapitel, F. I. 1. b). 241 Lenkungssteuern zur Internalisierung externer Effekte wurden erstmals in den 192OerJahren von Arthur C. Pigou propagiert. In der umweltpolitischen Diskussion der Gegenwart spielen sie als so~...Öko-Steuern" eine Rolle. Stiglbauer; Emissionen, Treibhauseffekt und Umwe1tzustand: Okologische Steuerpolitik, in: Bartel/Hack! (Hrsg.), Einführung in die Umweltpolitik, 1994, S. 159 (163). 242 Endres, Umweltökonomie, S. 55 ff.; Feess, Umweltökonomie, S. 115 ff. 243 Bartei, Hauptinstrumente der Umweltpolitik und ihre WIrkungen, in: ders.lHack! (Hrsg.), Einführung in die Umweltpolitik, 1994, S. 33 (37 f.). 244 ,,Every individual is continually exerting himself to find out the most advantageous employment for whatever capital he can command. It is his own advantage, indeed, and not that of society, which he has in view. But the study of his own advantage naturally, or rather necessarily, leads him to prefer that employment which is most advantageous to the society. [... ] [H]e is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention." Smith, An Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations, Book IV, Chapter II, 1791, S. 269 und S. 273.

1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

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aa) Das Coase-Theorem Nach dem von Ronald H. Coase entwickelten "Coase- Theorem,,24S können bei klar definierten, exklusiv zugeordneten und transferierbaren Eigentumsrechten an einer Ressource durch Verhandlungen zwischen dem Verursacher und dem Betroffenen darüber, wer die externen Kosten trägt, beide Seiten ihren individuellen Nutzen maximieren: Steht das Eigentumsrecht dem Betroffenen zu, so wird die Möglichkeit, die Ressource nutzen und belasten zu können, für den Verursacher einen Wert haben, dessen Höhe mit dem betroffenen Eigentümer auszuhandeln ist. Liegt umgekehrt das Recht zur Nutzung und Belastung der Ressource beim Verursacher, so wird die Reduzierung der Beeinträchtigung für den Betroffenen einen Nutzen haben, den er sich beim Verursacher auf dem Verhandlungsweg erwerben kann. Das Coase- Theorem postuliert, dass Verhandlungen - unabhängig davon, welcher Seite das Recht anfangs zustand - stets zu einer Internalisierung der externen Kosten und damit zu einem pareto-optimalen Gesamtergebnis flihren werden246• Die Verhandlungslösung des Coase-Theorems wendet sich damit gegen das ordnungspolitischen Instrumenten zugrunde liegende Verursacherprinzip, das die externen Kosten stets dem Verursacher anlastet247 • Allerdings wird der Anwendungsbereich des Coase- Theorems auf nationale~8 wie internationaler Ebene - auch in Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Gewässerkonflikten249 - als nicht sehr groß angesehen, da seine theoretischen Voraussetzungen (präzise definierte und eindeutig zugeordnete Rechtspositionen, überschaubarer Beteiligtenkreis, entsprechend niedrige Transaktionskosten in Form von Informations-, Verhandlungs- und Implementierungskosten) in der Realität meist nicht gegeben seien.

bb) Der Handel mit Nutzungs- und Belastungsrechten Ist der Kreis von Verursachern externer Kosten und davon Betroffener groß, wie es bei Umwelt- bzw. Gewässerbelastungen überwiegend der Fall ist, sind individuelle Verhandlungslösungen im Sinne des Coase- Theorems aufgrund zu hoher Coase, The Problem of Social Cost, in: JLE, 1960, S. 1 ff. Cooter! Ulen, Law and Economics, 2000, S. 83. 247 "The traditional approach has tended to obscure the nature of choice that has to be made. The question is commonly thought of as one in which A inflicts hann on B and what has to be decided is: how should we restrain A? But this is wrong. We are dealing with a problem of a reciprocal nature. To avoid the hann on B would inflict hann on A. The real question that has to be decided is: should A be allowed to hann B or should B be allowed to hann A?" Coase, Social Cost, S. 1 (2). 248 Stiglbauer, Ökologische Steuerpolitik, S. 159 (163). 249 Benvenisti, Collective Action in the Utilization of Shared Freshwater: The Challenges of International Water Law, in: AJIL, 1996, S. 384 (395 ff.); Bemauer, Managing International Rivers, in: Young (Hrsg.), Global Governance - Drawing Insights from the Environmental Experience, 1997, S. 155 (175 f.). 245

246

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

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Transaktionskosten nicht realisierbar. Für diese Konstellationen wird die künstliche Schaffung von Märkten für Nutzung- bzw. Belastungsrechte, die für viele potentielle Marktteilnehmer zugänglich sind, als Alternative vorgeschlagen. Durch die Festsetzung von Obergrenzen für bestimmte ressourcenbelastende Aktivitäten (z. B. maximal zulässige Höchstmengen der Wasserentnahme oder der Schadstoffeinleitung innerhalb eines bestimmten Flusseinzugsgebiets) wird eine künstliche Knappheit dieser belastenden Ressourcennutzungen erzeugt. Im Idealfall korrespondiert diese ökonomische Knappheit mit der ökologischen Regenerationskapazität der genutzten Ressource, so dass die - nun legitimierten, aber zugleich genau definierten und limitierten - externen Kosten, die durch Ressourcenbelastungen entstehen, vollständig in den Wirtschaftsprozess internalisiert werden. Das begrenzte Gesamtkontingent der Nutzungs-, Emissions- bzw. Belastungsrechte wird in Form einzelner Lizenzen oder Zertifikate unter interessierten Wlrtschaftsakteuren aufgeteilt (z. B. verkauft, versteigert, oder kostenlos überlassen)250. Die Lizenzen, die allein zur Ressourcennutzung bzw. -belastung berechtigen, sind transferierbar und können an einer speziellen Börse gehandelt werden. Durch Angebot und Nachfrage bildet sich auf diesem Markt ein Preis für Ressourcenbelastungen, auf dessen Grundlage die einzelnen Wirtschaftsakteure nun entscheiden können, ob es für sie selbst ökonomisch sinnvoller ist, Belastungsrechte zu kaufen, oder aber durch die Reduzierung ressourcenbelastender Effekte ihrer Aktivitäten ungenutzte Lizenzen am Markt gewinnbringend anbieten zu können. Idealerweise wird es so insgesamt zu einer ökonomisch optimalen Allokation von Gewässernutzungs- bzw. Belastungsrechten kommen, die die ökologische Regenerationsfähigkeit der Ressource nicht überbeansprucht. Im Bereich der Luftreinhaltung und des Klimaschutzes wird seit den 199OerJahren auf nationaler und internationaler Ebene251 versucht, den Marktmechanismus durch den Handel mit Nutzungs- bzw. Belastungsrechten zur Umwelt- bzw. Ressourcenschonung einzusetzen, um so möglichst kostengünstig externe Effekte ressourcenbelastender Tatigkeiten zu internalisieren. Die dabei zu Tage getretenen politischen, aber auch technischen und administrativen Probleme (z. B. hoher Wissens- und Informationsbedarf für die Bestimmung adäquater Belastungsobergrenzen und Belastungsrechte, Kontrollierbarkeit ressourcenbelastender Aktivitäten, Durchsetzbarkeit von Sanktionen)252 erklären, warum entsprechende ÜberlegunBartei, Hauptinstrumente der Umweltpolitik. S. 33 (36). Die Idee der Einrichtung von Märkten für den Handel mit ,,Emissionsrechten" (engl.: emission trading) hat im nationalen Rahmen insbesondere in den USA Anklang gefunden, wo durch den Clean Air Act 1990 der Handel mit sog. allowances für Kohlendioxid- und Stickoxidemissionen eingeführt wurde. Auf internationaler Ebene setzten die USA diesen Ansatz zur kostengünstigen Reduktion sog. Treibhausgase im Rahmen des Kyoto-Protokolls zum Klimarahmenübereinkommen der Vereinten Nationen durch, vgl. Kyoto Protoco1 to the United Nations Framework Convention on Climate Change, Text in: in: ILM 37 (1998), S. 32 ff.; United Nations Framework Convention on Climate Change, Text in: ILM 31 (1992), S. 851 ff. 252 OECD, International Emissions Trading Under the Kyoto Protoco1, 1999. 2SO 2Sl

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

gen für Gewässerressourcen sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen als unausgereift bzw. nicht realisierbar gelten2S3 •

IV. Ökonomische Implikationen für das Gewässerschutzrecht

Aus der ökonomischen Betrachtung multifunktionaler Gewässer als natürliche Ressourcen, die aufgrund ihrer begrenzten ökologischen Regenerationskapazität knappe Wirtschaftsgüter darstellen, lassen sich Erkenntnisse für das Verständnis des nationalen, gemeinschaftsrechtlichen und internationalen Gewässerschutzrechts gewinnen. Speziell in Bezug auf zwischenstaatliche Gewässernutzungskonflikte und völkerrechtlichen Gewässerschutz ist die ökonomische Eigenschaft grenzübergreifender Gewässer als Common-Pool-Ressourcen zu beachten, die von der "Tragik der Allmende" (eng!.: tragedy 0/ the commons) bedroht sind2s4• Allgemein sind die verschiedenen gewässerschutzrechtlichen Maßnahmen aus ökonomischer Sicht Instrumente, um externe Effekte in Form von Kosten anthropogener Gewässerbelastungen in den Wutschaftsprozess zu internalisieren und damit letztlich zu vermeiden. Das Gewässerrecht der Gegenwart setzt hierzu überwiegend auf ordnungspolitische Maßnahmen, die gewässerbelastende Aktivitäten unmittelbar regulieren2Ss • Die neuere Rechtsentwicklung lässt jedoch erste Ansätze erkennen, die Mechanismen des Marktes verstärkt für den ressourcenschonenden Umgang mit Gewässern einzusetzen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang der innovative Versuch im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutzes, Wasserpreise so zu gestalten, das sie die tatsächlichen Kosten der Gewässernutzung widerspiegeln und dem Nutzer als Verursacher entsprechender Gewässerbelastungen einen ökonomischen Anreiz zum Wassersparen bieten2s6 • Dies ist Ausdruck des sich im Umwelt- und Gewässerschutzrecht allgemein durchsetzenden Verursacherprinzips2S7, demzufolge der Verursacher von Gewässerbelastungen nur dann einen Anreiz hat, die Kosten seiner Gewässernutzung zu minimieren, wenn er sie nicht als externe Effekte auf Dritte verlagern kann, sondern selbst tragen muss.

253 Benvenisti, Collective Action, S. 384 (395 ff.); Bernauer; Managing International Rivers, S. 155 (187). 2S4 s.u. Zwischenstaatliche Interessenkonflikte - 2. Kapitel, C. I. 255 Zu den einzelnen Maßnahmearten des völkerrechtlichen Gewässerschutzes s.u. Maßnahmen nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, F. Zu den entsprechenden Regelungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts s.u. Maßnahmenprogramme, Art. II WRRL - 5. Kapitel, F. 256 s.u. Der Grundsatz der Kostendeckung, Art. 9 WRRL - 5. Kapitel, F. I. 2. a). 257 s.u. Das Verursacherprinzip - 4. Kapitel, E. 11. 3.

1. Kap.: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern

89

D. Zwischenergebnis Der Umgang des Menschen mit Gewässern wird durch eine Vielfalt von Faktoren bestimmt, die es bei der Untersuchung gewässerrechtlicher Normen zu berücksichtigen gilt. Neben soziokulturellen Aspekten wie wissenschaftlichen Erkenntnissen, technologischen Möglichkeiten und moralisch oder religiös begründeten Wertvorstellungen kommt den ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Gewässernutzung eine entscheidende Rolle zu. Die Erkenntnis, dass die Belastbarkeit der Natur im Allgemeinen und von Gewässern im Besonderen begrenzt ist, gehört zum Wissensschatz der Völker, deren Leben so eng mit der Natur verbunden ist, dass die Erschöpfung natürlicher Ressourcen als unmittelbare Existenzbedrohung erfahrbar wird - ein Wissen, das sich u. a. auch in der Herausbildung entsprechender Wasserkulturen manifestiert. Zu Beginn des Industriezeitalters warnte bereits Thomas Robert Malthus (1766-1834) vor Versorgungsschwierigkeiten für die wachsende Bevölkerung Englands aufgrund der Begrenztheit natürlicher Ressourcen2S8 • Heute sind Industriegesellschaften mit ihrem entfremdeten Verhältnis zur Natur gezwungen, sich in einem mühsamen Lernprozess die - wie im Jahr 1972 der Club 0/ Rome in seinem Bericht zur Lage der Menschheit formulierte - "gemeinsame, recht banale Ursache" von Umweltproblemen bewusst zu machen: ,,[U]nsere Erde ist nicht unendlich. Je mehr sich die menschliche Aktivität den Grenzen der irdischen Kapazität nähert, um so sichtbarer und unlösbarer werden die SChwierigkeiten,,259. Das Streben nach der Verwirklichung scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten gerät in Konflikt mit den begrenzenden Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern. Die von der Menschheit beanspruchten Kulturfunktionen von Gewässern können nur innerhalb der quantitativen und qualitativen Regenerationsfabigkeit von Süßwasserökosystemen verwirklicht werden, die aufgrund ihrer Endlichkeit knappe Ressourcen im ökonomischen Sinne darstellen. Bei Überbelastung dieser Regenerationsfabigkeit beeinträchtigen Belastungen nicht nur die Naturfunktionen, sondern über kurz oder lang auch die Kulturfunktionen von Gewässern. Insgesamt ist eine dauerhafte Gewässernutzung des Menschen mit ihren belastenden Auswirkungen nur bei hinreichender Beachtung der diesbezüglichen soziokulturellen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen gewährleistet.

258 Malthus. An Essay on the Principle of Population - Or a View on its Past and Present Effects on Human Happiness, 1826. 259 Meadows (Hrsg.), Die Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972, S. 74.

2. Kapitel

Regelungsinteresse: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen Der Wasserlauf ist von Natur aus eine Einheit, die nicht durch ideelle Grenzen in selbständige Teile auseinandergerissen werden kann. 1 Max Huber (1874-1960)

Die Untersuchung der soziokulturellen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern verdeutlicht, mit welchen Herausforderungen das Recht als Steuerungsinstrument menschlichen Verhaltens konfrontiert ist. Bereits auf nationaler Ebene sind die Schwierigkeiten erheblich, mit rechtlichen Mitteln den aus der Wassernutzung des Menschen resultierenden Belastungen für Kultur- und Naturfunktionen von Gewässern2 entgegenzuwirken3 • Erstreckt sich ein Süßwasserökosystem über das Gebiet mehrerer Staaten, verkompliziert sich die Problemlage weiter: Zahlreiche grenzübergreifende Gewässer wie Rhein und Donau durchziehen und verbinden viele Staaten des europäischen Kontinents4 - insgesamt wurden bislang in Europa mehr als 150 Flüsse, 20 Seen und über 50 Grundwasservorkommen als grenzüberschreitend identifizierts . Diese Gewässer werden ausgehend von den Territorien der in ihrem Wassereinzugsgebiet liegenden Anlieger- bzw. Anrainerstaaten (engl.: riparians) durch Industrie, Landwirtschaft und private Haushalte intensiv genutzt6 und belastet'. Angesichts der Bedeutung multifunktionaler Süßwasserressourcen im Allgemeinen und grenzHuber, Internationales Wasserrecht, in: Schweizerische Wasserwirtschaft, 1911, S. 1 (4). S.o. Kulturfunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, A. I.; Naturfunktionen von Gewässern - l. Kapitel, B. H. 3 Zum naturwissenschaftlichen Begriff der "Gewässerbelastung" und seinen physikalischen, chemischen oder biologischen Erscheinungsformen s.o. Gewässerbelastungen l. Kapitel, B. m. 4 s.u. Karte: Grenzübergreifende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl). S UN/ECE Task Force on Monitoring & Assessment (Hrsg.), Transboundary Rivers and International Lakes, 1996, S. 13 und S. 42 ff. (Annex II: Liste grenzüberschreitender Flüsse und Seen in Europa); dies., Inventory of Transboundary Groundwaters, 1999, S. 66; Enderlein, The EU Water Framework Directive within the context of joint protection policies, in: Bruha/Koch (Hrsg.), Integrierte Gewässerpolitik in Europa - Gewässerschutz, Wassernutzung, Lebensraumschutz, 2001, S. 129 (132). 6 s.o. Kulturfunktionen von Gewässern - l. Kapitel, A. 1. 7 s.o. Gewässerbelastungen - l. Kapitel, B. m. 1

2

2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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übergreifender Gewässer im Besonderen ist in Europa das zwischenstaatliche Konfliktpotential grenzüberschreitender Gewässerbelastungen erheblich. Im Folgenden werden - nach Darstellung der souveränitätsrechtlichen Zuordnung bzw. grundsätzlichen Regelungskompetenz bezüglich grenzübergreifender Gewässer und des Regelungsproblems grenzüberschreitender Gewässerbelastungen - ausgehend von den Strukturen zwischenstaatlicher Interessenkonflikte die Bedingungen herausgearbeitet, die zu einem Interesse an einer kollektiven Regelung zwischen den Anrainerstaaten führen. Die Analyse des Zusammenhangs zwischen Interessen und zwischenstaatlichen Regelungen des Umgangs mit grenzübergreifenden Gewässern bildet die Grundlage der daran anschließenden Untersuchung verschiedener Regelungsansätze bezüglich grenzüberschreitender Gewässerbelastungen in Europa.

A. Regelungskompetenz: Souveränitätsrechtliche Zuordnung von Gewässern Grundsätzlich steht einem Staat aufgrund seiner aus der territorialen SouveränitätS abgeleiteten Gebietshoheit9 die umfassende Hoheitsgewalt bzw. Regelungskompetenz über die natürlichen Ressourcen lO zu, die sich auf seinem Staatsgebiet ll befinden l2 • Infolgedessen ist der Staat nach innen die höchste Instanz zur Regelung aller Fragen, die mit Wasser und Süßwasserökosystemen verbunden sind (innere Souveränität), nach außen kann er über seine Süßwasserressourcen allein nach Maßgabe des Volkerrechts (Volkerrechtsunmittelbarkeit)13 grundsätzlich unabhängig von anderen Staaten oder einer übergeordneten Autorität entscheiden 8 Zum Begriff der "territorialen Souveränität" (engl.: territorial sovereignty) Brownlie, Principles of Public International Law, 1998, S. 105 ff. Der Inhaber der territorialen Souveränität hat grundsätzlich die ausschließliche Befugnis, Hoheitsakte im betreffenden Gebiet zu setzen, vgl. GrafVitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 16. 9 Zur Abgrenzung von "territorialer Souveränität" (umfassende Hoheitsgewalt über ein Gebiet) und "Gebietshoheit" (Hoheitsgewalt ohne Verfügungsbefugnis über ein Gebiet) Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 2; Yen/ross I Simma, Universelles Völkerrecht - Theorie und Praxis, 1984, §§ 1038 f. 10 Zum Begriff der "natürlichen Ressource" s.o. Gewässer als natürliche Ressourcen 1. Kapitel, C. I. 11 Zum Begriff des "Staatsgebiets" Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 7 und Rn. 15. 12 So speziell in Hinblick auf Wasserressourcen Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität - Reichweite und Schranken territorialer Souveränitätsrechte über die Umwelt und die Notwendigkeit eines veränderten Verständnisses staatlicher Souveränität, 1998, S. 28 ff. 13 Die Völkerrechtsunmittelbarkeit kann durch die völkervertragliche Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale oder supranationale Organisationen (z. B. Europäische Gemeinschaft) eingeschränkt werden. Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2001, 3. Abschn., Rn. 87.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

(äußere Souveränität)14 - die Intervention eines ,,Leviathans,,15 ist nach der Völkerrechtsordnung nicht vorgesehen. Die umfassende Hoheitsgewalt eines Staates über Süßwasserressourcen beinhaltet zum einen das Recht zu ihrer Nutzung, das auch das Recht zur Belastung von Gewässern bei nutzungsbedingter Beeinträchtigung ihrer Natur- und Kulturfunktionen einschließt. Zum anderen lässt sich aus der souveränitätsrechtlichen Zuordnung von Süßwasserressourcen auch das Recht zu ihrem Schutz vor Gewässerbelastungen ableiten. 16

B. Regelungsproblem: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen Die Anknüpfung an die räumliche Kategorie des Staatsgebiets zur Zuordnung von Souveränitätsrechten stellt eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft dar, die der Organisation menschlichen Zusammenlebens einen stabilen, entwicklungsfördernden Rahmen verliehen hat. Allerdings erfolgt die rechtliche Aufteilung des Raumes in voneinander abgegrenzte Souveränitätsbereiche gleichberechtigter 17 Staaten anband der unterschiedlichsten Kriterien. Sie kann das Resultat geographischer, kultureller und ethnischer Gegebenheiten, militärischer Auseinandersetzungen oder willkürlicher Festlegung sein. Orientiert sich jedoch die räumlich begrenzte Gebietshoheit eines Staates nicht an den spezifischen Dimensionen eines regelungsbedürftigen Sachverhalts, kann die Kompetenz zur Regelung eines Problembereichs ihren Regelungsgegenstand in räumlicher Hinsicht nur in Teilausschnitten erfassen. Die Folgen der Inkongruenz des realen Regelungsgegenstandes einerseits und der formalen Regelungskompetenz andererseits sind bei Umweltproblemen besonders augenfällig: Umweltbelastungen machen vor Staatsgrenzen nicht halt, sondern durchdringen den Raum grenzübergreifend. Auch Wasser und Süßwasserökosysteme (Süßwasserseen, Flüsse, Grundwasservorkommen, Feuchtgebiete und Küstengewässer/ 8 erstrecken sich über Grenzen hinweg 19, so dass Gewässerbelastungen - transferiert durch lokale, regionale und globale Wasserkreisläufe - negative Wirkungen außerhalb ihres Herkunftsgebiets entfalten. In diesem Sinne "grenzüberschreitende" Gewässerbelastungen können sich prinzi14 Zum Begriff der ,,inneren und äußeren Souveränität" Verdross I SimtrUl, Universelles Völkerrecht, § 35; Epping, Der Staat als die ,.Normalperson" des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, 1999, § 5, Rn. 6. IS s.o. Hobbes' " Leviathan": Ordnungspolitische Instrumente -1. Kapitel, C. m. 2. a). 16 Allgemein zu souveränitätsrechtlich begründeten Schutz- und Belastungsrechten über die Umwelt Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 93; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 26 ff. 17 Allgemein zur völkerrechtlichen Gleichheit der Staaten Hailbronner; Völkerrechtssubjekte, Rn. 91 ff. 18 s.o. Lebensraumfunktion: Süßwasserökosysteme - 1. Kapitel, B. 11. 3. 19 S.U. Kane: GrenzübergreiJende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl).

2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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piell sowohl im Gebiet anderer Staaten als auch in Nichtstaatsgebieten20 auswirken. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die Regelungsprobleme zwischen Staaten, die durch die Gewässerbelastungen entstehen, deren Ursprung im Hoheitsgebiet eines Staates liegt und die sich - unabhängig von geographischer Nähe bzw. unmittelbarer Nachbarschaft - im Hoheitsgebiet eines anderen Staates auswirken. Da Auswirkungen grenzüberschreitende Umwelt- und Gewässerbelastungen in Nichtstaatsgebieten spezifische Sach- und Rechtsprobleme aufwerfen 21 , bleiben sie im Rahmen dieser Untersuchung unberücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass im Völkerrecht - wie auch in den Naturwissenschaften22 - eine allgemeingültige Definition des Begriffs der ,,Belastung", ..Beeinträchtigung" oder ..Verschmutzung" von Gewässern nicht existiert23 • Viele zwischenstaatliche Rechtsinstrumente setzen beispielsweise den Begriff der ..Verschmutzung" einfach als gegeben voraus, ohne ihn selbst zu definieren 24• Definitionen im Rahmen völkerrechtlicher Verträge2S , durch internationale Organisationen26 oder etwa seitens der Völkerrechtswissenschaft - wie etwa durch die International Law Association (IlAl 7 und das Institut de Droit Interna20 Zum Begriff des ,,Nichtstaatsgebiets" Graf Vitzthum. Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 49 ff. (Küstenstaatliche Funktionsräume) und Rn. 59 ff. (Globale Staatengemeinschaftsräume ). 21 Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 73. Ebenso unter Hinweis auf die Untauglichkeit völkerrechtlichen Nachbarrechts zum Schutz der Umwelt in Nichtstaatsgebieten Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 95. 22 s.o. Gewässerbelastungen - 1. Kapitel, B. m. 23 Hinds, Umweltrechtliche Einschränkungen der Souveränität - Völkerrechtliche Präventionspflichten zur Verhinderung von Umweltschäden, 1997, S. 53 ff. 24 Vgl. z. B. das Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung vom 3. Dezember 1976, Text in: BGBI. 197811, S. 1054 ff. 25 Vgl. z. B. Art. 1 (d) Draft European Convention for the Protection of International Watercourses against Pollution des Europarates vom Februar 1974, Text in: Food and Agricultural Organization of the United Nations (Hrsg.), Sources of International Water Law, 1998, S. 53 ff.: ",[W]ater pollution' means any impairment of the composition or state of water, resulting directly or indirectly from human agency, in particular to the detriment of: its use for human and animal consumption; its use in industry and agriculture; the conservation of the natural environment, particularly of aquatic flora and fauna."; Art. 21 Abs. 1 UN-Gewässerübereinkommen vom 21. Mai 1997, Text in: ILM 36 (1997), S. 700 ff.: ,,,[P]ollution of an international watercourse' means any detrimental alteration in the composition or quality of the waters of an international watercourse which results directly or indirectly from human conduct." 26 Vgl. z. B. die von der OECD erarbeitete Definition von "Umweltverschmutzung": ,,[P]ollution means the introduction by man, directly or indirectly, of substances or energy into the environment resulting in deleterious effects of such a nature as to endanger human health, harm living resources and ecosystems, and impair or interfere with amenities and other legitimate uses of the environment." OECD. Recommendation of the Council on Principles Concerning Transfrontier Pollution, Text in: ILM 14 (1975), S. 242 (243). 27 Art. IX Helsinki Rules on the Uses ofthe Waters ofInternational Rivers vom 20. August 1966, Text in: ILA (Hrsg.), Report of the Fifty-second Conference held at Helsinki - August 14th to August 20th , 1966, 1967, S. 484 ff. (lLA Helsinki Rules): ,,[T]he term ,water pollu-

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

tional (IDll 8 - zeigen nach Art und Reichweite unterschiedliche Ansätze, die das konkrete Regelungsinteresse der beteiligten Staaten und den naturwissenschaftlichen Wissensstand ihrer Entstehungszeit widerspiegeln 29 • Angesichts der Tatsache, dass eine naturwissenschaftliche und völkerrechtliche Definition bislang nicht erarbeitet wurde, die Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen könnte (wobei zudem Machbarkeit und Sinn eines solchen Unterfangens zweifelhaft erscheinen), geht die vorliegende Untersuchung von einem möglichst umfassenden Verständnis des Begriffs der "Gewässerbelastung" aus. Um die Vielzahl der Sachverhalte denkbarer Gewässerbelastungen in all ihren physikalischen, chemischen oder biologischen Erscheinungsformen zu erfassen, die in der Staatenpraxis Anlass zwischenstaatlichen Regelungsbedarfs sind, setzt die hier verwendete Arbeitsdefinition an der Funktion des Völkerrechts an, zwischenstaatliche Interessenkonflikte zu regeln: Eine grenzüberschreitende Gewässerbelastung liegt folglich dann vor, wenn ein Staat subjektiv seine Interessen dadurch verletzt sieht, dass ein Gewässer seines Staatsgebiets aufgrund von Einwirkungen, die vom Hoheitsgebiet eines anderen Staates ausgehen, seine Natur- oder Kulturfunktionen ganz oder teilweise nicht mehr erfüllt. Ob und wieweit sich hieraus rechtliche Konsequenzen ergeben, ist eine hiervon zu diskriminierende Fragestellung, die nach den jeweils zwischen den beteiligten Staaten bestehenden - insbesondere vertraglich oder gewohnheitsrechtlich begründeten - Rechtsbeziehungen zu beurteilen ist.

c. Regelungsinteresse: Interessenkontlikte, Interdependenz und Regelungsbedarf

Grenzüberschreitende Belastungen durch die Nutzung grenzübergreifender Gewässer führen zu InteressenkonfIikten zwischen Staaten, die sie unter bestimmten Bedingungen kollektiv durch Völkerrecht und im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses gegebenenfalls durch Europäisches Gemeinschaftsrecht regeln. Ausgehend von der These, dass zwischenstaatliches Recht primär interessengeprägt ist, lässt sich aus rechtlicher Sicht die Berücksichtigung der Interessenstrukturen zwischen Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer insofern erkenntniserweiternd nutzen, als sie Rückschlüsse auf Wesen, Gestalt und Effektivition' refers to any detrimental change resulting from human conduct in the natural composition, content, or quality of the waters of an international drainage basin." 28 Art. lAbs. 1 der Resolution La pollution des fleuves et des lacs et le droit intematiolUll vom 12. September 1979 (Session d' Athenes), Text in: IDI (Hrsg.), Tableau des Resolutions adoptees (1957 -1991), 1992, S. 136 ff.: ,,Aux fins de la presente resolution, on entend par «pollution» toute alteration physique, chiminique ou biologique de la composition ou de la qualire des eaux resultant directement ou indirectement d'une action de l'homme qui porte atteinte aux utilisations legitimes de ces eaux et qui cause ainsi un dommage." 29 Ferner Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 1, Rn. 5; Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 153.

2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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tät der verschiedenen zwischenstaatlichen Regelungsansätze bezüglich grenzüberschreitender Gewässerbelastungen zulässt.

I. Zwischenstaatliche Interessenkonftikte Dem Gut wird die geringste Fürsorge zuteil, das sehr vielen gemeinsam gehört, da jeder hauptsächlich an sein eigenes, fast nie jedoch an das gemeinsame Interesse denkt. 3o Aristoteles (384-322 v. Chr.)

Aufgrund der souveränitätsrechtlichen Zuordnung kommt einem Staat eine umfassende Regelungskompetenz bezüglich des auf seinem Staatsgebiet gelegenen Teils eines grenzüberschreitenden Gewässers zu. Im Verhältnis zu anderen Anrainerstaaten ist er aufgrund seiner äußeren Souveränität grundsätzlich als alleiniger Interessen- und Rechtsträger anzusehen. Von innerstaatlichen Interessenkonflikten um grenzübergreifende Süßwasserressourcen ist insofern zu abstrahieren, als sie unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten irrelevant sind. Dies folgt aus der Grundstruktur des Vdlkerrechts, das sich - trotz der allmählichen Ausweitung des Kreises der Vdlkerrechtssubjekte und der Aufwertung von Individuen, transnationalen Wrrtschaftsunternehmen und nichtstaatlichen Organisationen (sog. Nichtregierungsorganisationen - NRO; eng1.: non-governmental organizations - NGOs) derzeit noch als das Recht charakterisieren lässt, das vorwiegend zwischenstaatliche Beziehungen regelel. In diesem Zusammenhang sei der Begriff des "Interesses" (lat.: inter esse - dazwischen sein, teilnehmen, von Wichtigkeit sein) als das an Werten orientierte Ausrichten des Wollens und Handeins eines Staates auf ein Ziel hin definiert32• Gewässerbezogene Wertentscheidungen und daraus abgeleitete Interessen und Zielsetzungen von Staaten können - abhängig von der jeweils vorherrschenden Wasserkultur33 - sehr unterschiedlich ausfallen34. Sie können auf Aristoteles, Politik, 2. Buch, 3. Kapitel, 1971, S. 94. GrafVitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Volkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Volkerrecht, 2001, 1. Abschn., Rn. 25 ff. Dessen ungeachtet haben innerstaatliche Interessenkonflikte bezüglich grenzüberschreitender Gewässer Einfluss auf die internationalen Beziehungen der Anrainerstaaten, die politik- und wirtschaftswissenschaftlich erforscht werden. Vgl. z. B. Durth, Grenzüberschreitende Umweltprobleme und regionale Integration - Zur Politischen Ökonomie von Oberlauf-Unterlauf-Problemen an internationalen Flüssen, 1996, S. 85 ff. ; Benvenisti, Collective Action, S. 384 (392). 32 Bleckmann, Allgemeine Staats- und Volkerrechtslehre - Vom Kompetenz- zum Kooperationsvölkerrecht, 1995, S. 1 f. m. w. N. Zur Begründung der Interessenjurisprudenz in der deutschen Rechtswissenschaft durch Rudolf von Jhering (1818-1892) und Philipp Heck (1858-1943) vgl. Rüthers, Rechtstheorie - Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts, 1999, S. 302 ff. 33 s.O. Soziokulturelle Rahmenbedingungen - 1. Kapitel, A. 34 s.o. Ressourcenökonomie und optimale Allokation - 1. Kapitel, C. 11. 30

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

eine möglichst intensive Nutzung der Kulturfunktionen von Gewässern flxiert sein, woraus sich u.U. ein ressourcenökonomisches Schutzinteresse an intakten Süßwasserökosysternen entwickelt. Neben diesem anthropozentrischen Nutzungs- und Schutzansatz wäre ferner aus naturethischer Sicht ein öko- bzw. physiozentrisch motiviertes Interesse von Staaten am Schutz des Gewässers um seiner selbst willen zumindest denkbar. 35 Sieht man auf internationaler Ebene die Anrainerstaaten als die zentralen Interessen- und Rechtsträger bezüglich grenzüberschreitender Gewässer an, so lassen sie sich - der wirtschaftswissenschaftlichen Hypothese des homo oeconomicus entsprechend - als rational und egoistisch handelnde Akteure beschreiben36 : Demzufolge ist das Verhalten von Staaten auf die Maximierung ihrer Interessen ausgerichtet, die sie jeweils mit unterschiedlich stark ausgeprägter Präferenz verfolgen37 • Durch die Anwendung der Theorie rationalen HandeIns (eng!.: rational choice) auf die internationalen Beziehungen zwischen Anrainerstaaten grenzüberschreitender Gewässer lässt sich sodann ein realitätsnahes Analysemodell diesbezüglicher Interessenkonflikte gewinnen. Interessenkonflikte zwischen den Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer entstehen nur dann, wenn durch die Interessenverfolgung eines Staates grenzüberschreitend diejenigen Natur- und Kulturfunktionen des Gewässers im Territorium anderer Anrainerstaaten beeinträchtigt werden, die diese auch tatsächlich als Beeinträchtigung ihrer eigenen Interessen am Gewässers ansehen38 • Als Folge grenzüberschreitender Gewässerbelastungen können die betroffenen Anrainerstaaten ihre eigenen gewässerbezogenen Interessen nicht mehr vollständig verwirklichen bzw. maximieren, obwohl ihnen prinzipiell hinsichtlich des auf ihrem Staatgebiet gelegenen Teils des grenzüberschreitenden Gewässers souveränitätsrechtlich die umfassende Regelungskompetenz zusteht. Ihre tonnale Rechtsposition erweist sich real als untauglich bzw. ineffektiv zur Maximierung ihrer Interessen - die Interessenverfolgung eines Staats steht im Konflikt mit den Interessen anderer Anrainerstaaten eines grenzübergreifenden Gewässers. Die Grundstruktur zwischenstaatlicher Interessenkonflikte aufgrund grenzüberschreitender Gewässerbelastungen, die nicht durch kollektive Regelungen der beteiligten Anrainerstaaten gelöst werden, lässt sich - idealtypisch vereinfacht - mittels ökonos.o. Naturethische Aspekte - 1. Kapitel, A. 11. 3. Allgemein zur Hypothese des rational und egoistisch handelnden 00100 oeconomicus s.o. Ressourcenökonomie und optimale Allokation - 1. Kapitel, C. 11. Zur wirtschaftswissenschaftlichen Anwendung dieser Hypothese auf internationale Beziehungen von Anliegerstaaten grenzüberschteitender Fließgewässer Durth, Grenzüberschteitende Umweltprobleme, S. 43 ff. 37 Vgl. Zangll Züm, Theorien des rationalen Handeins in den Internationalen Beziehungen - Versuch eines Überblicks, in: Kunz/Druwe (Hrsg.), Rational Choice in der Politikwissenschaft - Grundlagen und Anwendungen, 1994, S. 81 (82). 38 Zur Definition "grenzüberschreitender Gewässerbelastungen" im zwischenstaatlichen Kontext s.o. Regelungsproblem: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen - 2. Kapitel, B. 35 36

2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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mischer Modelle veranschaulichen. Dabei wird zunächst davon ausgegangen, dass die Anrainerstaaten jeweils ausschließlich an der individuellen Nutzenmaximierung der Kulturfunktionen der grenzüberschreitenden Süßwasserressource interessiert sind - anthropozentrisch oder gar ökozentrisch begründete Schutzinteressen bezüglich der Naturfunktionen des Gewässers bleiben vorläufig ausgeblendet. Im Rahmen dieses ökonomischen Modells stellt sich ein Fließgewässer als Ressource dar, zu der nur ihre Anliegerstaaten unter Ausschluss anderer Staaten Zugang haben (sog. partielle Ausschließbarkeit). In diesem Zusammenhang lassen sich grenzüberschreitende Gewässerbelastungen als externe Effekte bzw. negative Externalitäten39 beschrieben, die sich infolge der Gewässernutzung eines Anliegerstaates als Kosten in Form der Beeinträchtigung der Nutzungsinteressen anderer Anliegerstaaten auswirken. Bei Fließgewässern handelt es sich um einseitig gerichtete Externalitäten40 , die durch die Gewässernutzung der flussaufwärts liegenden Staaten (sog. Oberlieger) entstehen und die sich insofern bei den flussabwärts gelegenen Staaten (sog. Unterlieger) auswirken, als die qualitative (z. B. durch SChadstoffverschmutzung)41 oder quantitative (Hoch- oder Niedrigwasser)42 Regenerationskapazität des Süßwasserökosystems überbeansprucht ist. Dabei steht der Unterlieger in einer einseitigen Dependenzbeziehung zu den Oberliegern43 : Während der auf seinem Staatsgebiet gelegene Teil des grenzüberschreitenden Gewässers von der belastenden Gewässernutzung der flussaufwärts gelegenen Staaten beeinträchtigt wird, wirken sich umgekehrt Gewässernutzungen im Unterlauf eines Fließgewässers i.d.R. - von wenigen Ausnahmefällen abgesehen44 - nicht auf die Gebiete der Oberlieger aus. Infolgedessen führen einseitig gerichtete Gewässerbelastungen überwiegend für Oberlieger zu optimalen, für Unterlieger jedoch zu suboptimalen Ergebnissen hinsichtlich ihrer jeweiligen Nutzungsinteressen4s . Deutlich ist. dass in dieser Situation Oberlieger keinerlei Interesse daran haben, die bei Unterliegern verursachten Kosten zu berücksichtigen - eine Internalisierung der externen Effekte durch eine kollektive Regelung s.o. Externe Effekte und suboptimale Allokation - 1. Kapitel, C. m. 1. Durth, Grenzüberschreitende Umweltprobleme, S. 45. 41 s.o. Chemische Gewässerbelastungen - 1. Kapitel, B. m. 2. 42 s.o. Hochwasser und Niedrigwasser - 1. Kapitel, B. m. 1. b) und c). 43 Allgemein zur Ober-Unterlieger-Konstellation Bemauer; Managing International Rivers, S. 155 (162 ff.). 44 Vg1. zur selteneren Fallkonstellation eines einseitig flussaufwärts gerichteten externen Effekts der Gewässernutzung durch den Unterlieger bereits Art. II Abs. 5 der Resolution Reglementation internationale de l'usage des cours d'eau intemationaux en dehors de l'exerr:ice du droit de navigation des IDI vom 20. April 1911 (Session de Madrid), Text in: Wehberg (Hrsg.), Institut de Droit International - Tableau general des Resolutions (1873 - 1956), 1957, S. 81 f.: "Un Etat en aval ne peut pas faire ou laisser faire, dans son territoire, de constructions ou etablissements qui, pour l'autre Etat, produisent le danger d'inondation." 45 Zum ökonomischen Begriff der "Optimalität" ("optimale Effizienz", ,.pareto-Optimalität") s.o. Ressourr:enökonomie und optimale Allokation - 1. Kapitel, C. ll. 39

40

7 Reichert

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

zwischen den Anliegerstaaten über Art und Umfang ihrer jeweiligen Gewässernutzungen wird nicht erfolgen46. Auf diese Weise resultieren negative Externalitäten insgesamt - bezogen auf das gesamte Fließgewässer - in höheren Gesamtkosten und damit unter ökonomischen Gesichtspunkten in einem ineffizienten und suboptimalen Gesamtergebnis der Gewässemutzung durch alle Anliegerstaaten. Belastungen grenzüberschreitender Seen und Grundwasservorkommen können als mehrseitig gerichtete Extemalitäten dargestellt werden. Diese Gewässer sind ökonomisch ebenfalls durch die partielle Ausschließbarkeit von Nicht-Anrainerstaaten charakterisiert. Zusätzlich besteht zwischen den Anrainerstaaten eine ausgeprägte Konkurrenz bzw. Rivalität um die Gewässemutzung (sog. Nutzungsrivalität)47: Da ihre Nutzung durch einen Staat i.d.R. die Wassemutzungsinteressen aller Anrainerstaaten beeinträchtigt. befinden sich - im Gegensatz zu Fließgewässem - alle Staaten bei der gemeinsamen Ressourcennutzung in einem Verhältnis reziproker Abhängigkeit bzw. Interdependenz48 zueinander. Daher werden grenzüberschreitende Süßwasserressourcen wie Seen oder Grundwasservorkommen als Common-Pool-Ressourcen bezeichnet.49 Ebenso wie die sog. Open-Access-Ressourcen. die zwar allen Staaten zugänglich sind (wie z. B. die Fischbestände der Hohen See. die Ozonschicht oder das Weltklirna), aber um die gleichfalls Nutzungsrivalität besteht. sind Common-Pool-Ressourcen vom einem Schicksal bedroht. das Garrett Hardin als ..Tragik der Allmende" (engl.: tragedy 0/ the commons) beschrieb. Er griff hierfür die Metapher mittelalterlichen Weidelandes auf. dessen Nutzung allen Hirten einer Gemeinde offen steht: .,Picture a pasture open to all. It is to be expected that each herdsman will try to keep as many cattle as possible on the commons. [ ... ] As a rational being. each herdsman seeks to maximize his gain. [ ... ] [f]he rational herdsman conc1udes that the only sensible course for him to pursue is to add another animal to his herd. And another; and another ... But this is the conc1usion reached by each and every rational herdsman sharing a commons. Therein is the tragedy. Each man is locked into a system that 46 s.o. Externe Effekte und suboptimale Allokation sowie Internalisierung externer Effekte: "Leviathan" oder "unsichtbare Hand"? - 1. Kapitel, C. m. 1. und 2. 47 Bezeichnender Weise finden sich die etymologischen Wurzeln des Wortes ,,Rivale" im lateinischen Wort rivalis (Mitbewerber, Konkurrent, Gegenspieler), das ursprünglich ,,zum gleichen Bach gehörig" bzw. "Gewässernachbar" bedeutete (lat.: rivus - Bach, Kanal). Den Hintergrund dieses Bedeutungswandels bilden die Regelungen des römischen Rechts zur Wasserentnahme aus Bächen oder Kanälen (Digesten 43,20), in denen der Konkurrent am gleichen Wasserlauf als rivalis bezeichnet wird. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1999, S. 689. 48 ,,In common parlance, dependence means astate of being determined or significantly affected by external forces. Interdependence, most simply defined, means mutual dependence. Interdependence in world politics refers to a situation characterized by reciprocal effects among countries or among actors in different countries." Keohane I Nye, Power and Interdependence, 1989,S. 8. 49 Ostrom, Goveming the Commons - The Evolution of Institutions for Collective Action. 1990, S. 30; Benvenisti, Collective Action, S. 384 (388).

2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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compels him to increase his herd without limit - in a world that is limited. [ ... ] Freedom in a commons brings ruin to all.•.50 . Jeder Ressourcennutzer profitiert nur von seiner eigenen Nutzung, während die Kosten, die durch jede weitere nutzungsbedingteRessourcenbelastung verursacht werden, alle gemeinsam - und folglich den einzelnen Nutzer mittelbar nur zu einem entsprechenden Bruchteil - treffen. Den von den anderen Ressourcennutzern zu tragenden Kostenanteil wird der ökonomisch rational handelnde, individuelle Interessenmaximierung anstrebende Nutzer als Externalität nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigen bzw. internalisieren, ob er seine belastende Ressourcennutzung intensiviert: Da die Anrainerstaaten ausschließlich an der individuellen Nutzenmaximierung der Kulturfunktionen und nicht zugleich an einer langfristigen Erhaltung der Naturfunktionen der grenzüberschreitenden Süßwasserressource interessiert sind, nimmt das Unheil seinen Lauf: Kurzfristiges Streben des Einzelnen nach Interessenmaximierung überbeansprucht auf Dauer die limitierte RegenerationsfähigkeitSl der Common-Pool-Ressource zum Schaden aller. Die nutzungsbedingte Belastung von Seen und Grundwasservorkommen führt so für jeden einzelnen Anrainerstaat zu einer suboptimalen Verwirklichung seiner Interessen52• Sind alle Anrainerstaaten eines grenzübergreifenden Gewässers ausschließlich an der individuellen Nutzenmaximierung seiner Kulturfunktionen interessiert, ohne zugleich zumindest anthropozentrisch motivierte Schutzinteressen bezüglich seiner Naturfunktionen zu verfolgen, ist der zwischenstaatliche Konflikt sowohl bei einseitig (Fließgewässer) als auch bei mehrseitig gerichteten Gewässerbelastungen (Seen und Grundwasservorkommen) durch eine antagonistische Struktur unvereinbarer Interessen geprägt. Infolgedessen werden die Nutzungsinteressen der Unterlieger eines Fließgewässers bzw. aller Anrainerstaaten von Seen und Grundwasservorkommen beeinträchtigt, was insgesamt betrachtet zu einer suboptimalen Nutzbarkeit der Kulturfunktionen der betroffenen Süßwasserressourcen führt, ohne dass es zu einer kollektiven Regelung zur Verbesserung dieses ökonomisch und ökologisch unerwünschten Zustandes kommt.

Hardin, The Tragedy ofthe Commons, in: Science, 1968, S. 1243 (1244). Zur quantitativen Regenerationsfähigkeit von Gewässern s.o. Wasservorkommen und Wasserkreislauf - 1. Kapitel, B. 1.; zur qualitativen Regenerationsfähigkeit s.o. Stoffhaushalt und Selbstreinigungsjähigkeit - 1. Kapitel, B. 11. 1. a). Allgemein zur limitierten Regenerationsfähigkeit von Gewässern s.o. Ökologische Rahmenbedingungen - 1. Kapitel, B. und Zwischenergebnis - 1. Kapitel, D. 52 Zur tragedy of the commons speziell im Kontext grenzübergreifender Gewässer Bernauer, Managing International Rivers, S. 155 (170). 50

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

ß. Zwischenstaatliche Interdependenz und kollektiver Regelungsbedarf Under what conditions will cooperation emerge in a world of egoists without central authority?S3 Robert M. Axelrod

Unilateral können einzelne Staaten die Beeinträchtigung ihrer Nutzungsinteressen durch grenzüberschreitende Gewässerbelastungen nicht beseitigen. Auch die ordnende Intervention in zwischenstaatliche Beziehungen durch eine übergeordnete Autorität stellt angesichts der völkerrechtlichen Ordnung souveräner und gleichberechtigter Staaten keine Option dar. Dem Wesen des Völkerrechts als Konsensualrechtsordnung entsprechend erfordert die - primär vertragliche oder gewohnheitsrechtliche - Regelung zwischenstaatlicher Beziehungen die Zustimmung aller beteiligten Staaten54 • Da die Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen mit einer Einschränkung ihrer souveränitätsrechtlichen Stellung einhergeht, werden Staaten nur dann einem Verlust zuvor exklusiver Regelungskompetenzen zustimmen, wenn sie sich hiervon einen - wie auch immer von ihnen definierten Vorteil versprechen. Aus Sicht der Staaten müssen die Nachteile, die sich rechtlich in Form von Pflichten manifestieren (Kooperationskosten), durch die Vorteile überwogen werden, die sich aus einer durch zwischenstaatliche Zusammenarbeit verbesserten Interessenverwirklichung ergeben (Kooperations gewinn). Aufgrund des völkerrechtlichen Konsensprinzips wird daher ein Bedarf nach einer kollektiven Regelung grenzüberschreitender Gewässerbelastungen ausschließlich dann entstehen, wenn alle beteiligten Anrainerstaaten der Überzeugung sind, auf diese Weise ihre jeweiligen Interessen im Vergleich zum ungeregelten Zustand besser verwirklichen zu können. Ein derartiger Konsens setzt folglich voraus, dass zwischen den Anrainerstaaten trotz aller egoistischen Nutzungsinteressen eine Schnittmenge gemeinsamer bzw. kongruenter Interessen besteht. Allerdings ist Interessenkongruenz lediglich eine notwendige, nicht aber auch eine hinreichende Vorbedingung für die Entstehung kollektiven Handelns 55 . Die tragedy ofthe commons verdeutlicht die Hemmnisse, die der Entwicklung gemeinschaftlicher Lösungen zwischen den Anrainerstaaten grenzüberschreitender Gewässer entgegenstehen: Zunächst bedarf es einer ausreichenden Kenntnis der ökologischen Rahmenbedingungen, die die Nutzung der Kulturfunktionen von Süßwasserressourcen bestimmen. Sollte sich aus diesem Wissen ein ressourcenökonomisches Interesse der Anrainerstaaten am Schutz der Naturfunktionen des Gewässers bilden, könnten dennoch einzelne Staaten versucht sein, von den Schutzbemühungen anderer zu profitieren, ohne sich selbst daran durch die Eingehung rechtlicher Verpflichtungen und Übernahme von Kosten zu Axelrod, The Evolution of Cooperation, 1984, S. 3. Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, Rn. 25; lpsen, Regelungsbereich und Geltungsgrund des Völkerrechts, in: ders., Völkerrecht, 1999, § I, Rn. 42 ff. ss Olson, Die Logik des kollektiven Handeins - Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, 1968, S. 2. 53

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2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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beteiligen (sog. Trittbrettfahrer - engl.: free rider)56. Auch Interessen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Nutzung eines Gewässers stehen, können - sofern sie von den beteiligten Staaten als höherrangig bewertet werden einer zwischenstaatlichen Regelung entgegenstehen. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an lang andauernde, eventuell militärisch ausgetragene Konflikte, die - insbesondere, wenn sie kulturellen, ethnischen oder religiösen Ursprungs sind - eine Verständigung zwischen den Anrainerstaaten mangels wechselseitigen Vertrauens und Kooperationsbereitschaft utopisch erscheinen lassen. Folglich bedarf es selbst dann, wenn von allen Anrainerstaaten anerkannt wird, dass die Aufrechterhaltung der ökologischen Regenerationsfähigkeit des grenzübergreifenden SüßwasseTÖkosystems im Interesse aller Beteiligten liegt, oft weiterer Impulse, um bei allen eine Präferenz für eine gemeinsame Regelung grenzüberschreitender Gewässerbelastungen gegenüber ihren anderen Interessen zu erzeugen. Der Anreiz für Staaten zur kollektiven Problembearbeitung liegt im Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit. Wahrgenommene Interdependenz ist die Antwort auf die Frage, unter welchen Bedingungen es zur Kooperation von Egoisten kommt: Eine zwischenstaatliche Regelung wird dann im Interesse von Staaten sein, wenn sie davon ausgehen, dass ihre individuelle Interessenverfolgung langfristig vom Verhalten anderer Staaten abhängig ist und ein Ausbrechen aus dieser Interdependenzbeziehung - etwa als "Trittbrettfahrer" - als Option ausscheidet. Je umfangreicher und komplexer sich diese Interesseninterdependenz den Anrainerstaaten eines grenzübergreifenden Gewässers darstellt57 , desto eher werden sie bereit sein, gegenseitig souveränitätsbeschränkende Verpflichtungen hinsichtlich ihrer Ressourcennutzung einzugehen58 : "Tbe key to successful cooperation in the use of international water resources is therefore the maintenance of indefinite interdependence among the riparians. ,,59 Umweltkatastrophen wie die Verschmutzung des Rheins mit Schadstoffen durch den Sandoz-Unfall im Jahr 1986 oder die Jahrhundertflut an der EIbe im Jahr 2002 können das Bewusstsein reziproker Abhängigkeit und die Bereitschaft zur internationalen Kooperation wecken und fördern. Interdependente Interessen von Anrainerstaaten können sowohl in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Gewässernutzung stehen als auch unabhängig hiervon aus anderen Bereichen ihrer zwischenstaatlichen Beziehungen stammen. 56 Sauemheimer I Ködding, Internationale Aspekte der Umweltökonomie, in: Junkernheinrich I Klemmer I Wagner (Hrsg.), Handbuch zur Umweltökonomie, 1995, S. 69 (71). 57 Grundlegend zur politikwissenschaftlichen Konzeption ,,komplexer Interdependenz" in internationalen Beziehungen Keohane I Nye, Power and Interdependence, 1989. 58 Zur Interdependenz als Voraussetzung internationaler Kooperation bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen Young, Rights, Rules, and Resources in World Affairs, in: ders. (Hrsg.), Global Governance - Drawing Insights from the Environmental Experience, 1997, S. 1 (3 Cf.); Görrissen, Grenzüberschreitende Umweltprobleme in der internationalen Politik - Durchsetzung ökologischer Interessen unter den Bedingungen komplexer Interdependenz, 1993. 59 Benvenisti, Collective Action, S. 384 (392).

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Bei Common-Pool-Ressourcen ergibt sich die wechselseitige Abhängigkeit weitgehend bereits aus den spezifischen Eigenschaften des Gewässers selbst: Anrainerstaaten grenzübergreifender Seen und Grundwasservorkommen, die aus ressourcenökonomischen Gründen langfristig an der Aufrechterhaltung der Naturfunktionen des Süßwasserökosystems interessiert sind, um die tragedy 0/ the commons zu verhindern, können dieses Interesse nur gemeinsam verfolgen. Im Gegensatz dazu sind die Oberlieger eines Fließgewässers bei der Verwirklichung ihrer Wassernutzungsinteressen i.d.R. nicht von grenzüberschreitenden Gewässerbelastungen der Unterlieger abhängig. In dieser Konstellation wird es einen Bedarf nach zwischenstaatlichen Arrangements nur geben, wenn die Oberlieger entweder ein ökozentrisches Interesse am Schutz des Gewässers in seinem Gesamtverlauf haben oder aber - was realistischer ist - zusätzliche, gewässerunabhängige Interessen involviert sind, bei deren Verfolgung die Oberlieger auf eine Zusammenarbeit mit den Unterliegern angewiesen sind. Ein Staat wird in Fragen der Nutzung greDZÜbergreifender Gewässer selbst dann zu Konzessionen und rechtlicher Selbstverpflichtung ohne unmittelbar gewässerspezifischen Vorteilsgewinn bereit sein, wenn er insgesamt durch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit individuelle Interessen besser verwirklichen kann. Insbesondere eine enge wirtschaftliche Verflechtung von Staaten stellt umfassende Interdependenzbeziehungen zwischen ursprünglich voneinander unabhängigen Bereichen ihrer zwischenstaatlichen Beziehungen her. So wird z. B. die sich stetig verdichtende wirtschaftliche, politischen und rechtliche Integration im Rahmen der Europäischen Union durch ein zunehmend komplexes Gefüge interdependenter Interessen angetrieben - eine reziproke Abhängigkeit, die eine weitgehende, souveränitätsbeschränkende Regelungsdichte zwischen den Mitgliedsstaaten der EU zur Verringerung grenzüberschreitender Gewässerbelastungen ermöglicht60. Umgekehrt erklärt geringe Interesseninterdependenz zwischen Anrainerstaaten und ein Überwiegen anderweitiger Kooperationshemmnisse die rudimentäre Ausgestaltung bzw. völlige Abwesenheit rechtlicher Regelungen hinsichtlich grenzüberschreitender Gewässer in vielen Erdregionen - ein Mangel, der an Flüssen wie Nil, Euphrat und Tigris die Gefahr militärischer Konflikte in sich birgt.

D. Zwischenergebnis Staaten streben bei der Nutzung grenzüberschreitender Gewässer die Maximierung ihrer individuellen Interessen an. Dem Wesen des Völkerrechts als Konsensualrechtsordnung entsprechend entsteht Bedarf nach kollektiven Regelungen bezüglich grenzüberschreitender Gewässerbelastungen nur dann, wenn zwischen den Anrainerstaaten eine Schnittmenge interdependenter Interessen besteht, die nicht 60 Zum Einfluss der Integrationsintensität zwischen Staaten auf die Lösung internationaler Gewässerkonflikte Bernauer, Managing International Rivers, S. 155 (174).

2. Kap.: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen

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notwendigerweise ausschließlich gewässerspezifisch sein müssen. Daraus lässt sich ein - en detail noch darzustellender61 - Zusammenhang zwischen Art und Ausmaß interdependenter bzw. kongruenter Interessen einerseits und der Qualität der zwischen den Staaten bestehenden Rechtsbeziehungen bezüglich der gemeinsam genutzten Süßwasserressource andererseits ableiten. Behält man die Interessen der beteiligten Anrainerstaaten im Blick, so können sie erkenntniserweiternd bei der Untersuchung von Wesen, Gestalt und Effektivität zwischenstaatlichen Gewässerrechts nutzbar gemacht werden. Dabei lassen sich die rechtsprägenden Interessen insbesondere aus den travaux preparatoires völkerrechtlicher Kodifikationen, aus den ErwägungsgrüDden und aus den gerade in neueren Verträgen des Umweltvölkerrechts explizit definierten Zielen erkennen. Diese interessenorientierte Perspektive beugt der Gefahr vor, keine klare Trennung zwischen denjenigen Rechtsbeziehungen vorzunehmen, auf die sich die Staaten de lege lata im Wege des Konsenses - vertraglich oder gewohnheitsrechtlich tatsächlich verständigt haben, und andererseits jenen Regelungsansätzen und -konzeptionen, die de lege ferenda - aus anthropozentrischen oder ökozentrischen Motiven - als wünschenswert angesehen werden, die aber (noch) nicht zu Rechtsverbindlichkeit erstarkt sind62 • Sicherlich besteht die Aufgabe völkerrechtswissenschaftlicher Arbeit nicht nur in der Ermittlung, Systematisierung, dogmatischen Einordnung und Interpretation des diesbezüglichen Normenbestands, sondern auch in der Entwicklung neuer Rechtskonzeptionen, die einen effizienteren Beitrag zur Vermeidung und Beilegung zwischenstaatlicher Konflikte leisten können63 • Innovative Ansätze können z. B. bereits in Form von rechtlich unverbindlichem soft law (Deklarationen, Absichtserklärungen, Empfehlungen usw.) auf internationaler Ebene durch Staaten oder internationale Organisationen formuliert, als anzustrebendes Leitbild der zukünftigen Rechtsentwicklung wachsende Anerkennung finden und sich schließlich zu geltendem Völkerrecht etwa durch völkervertragliche Kodifikation verfestigen64 • Versuche, z. B. bestimmten Prinzipien für die Beurteilung und Lenkung zwischenstaatlichen Verhaltens voreilig den Status gewohnheitsrechtlich geltenden Völkerrechts zuerkennen zu wollen, sind aber dann fehlgehend und u.U. kontraproduktiv, wenn sie in der Staatenpraxis nicht von entsprechenden Interessen der letztlich ausschlaggebenden Völkerrechtssubjekte getragen werden. Rechtspolitisch interessante Vorschläge bleiben wirkungslos, wenn ihnen die Umsetzung versagt bleibt. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Völkerrechtswissenschaft und -praxis besteht vielmehr darin, die rechtlichen Bedingungen zu ermitteln bzw. herzustellen, die den betroffenen Anrainerstaaten eine s.u. Regelungsansätze: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung - 3. Kapitel. Zu dieser grundsätzlichen Problematik der V6lkerrechtswissenschaft im gewässerrechtlichen Kontext bereits Berber; Die Rechtsquellen des internationalen Wassernutzungsrechts, 1955, S. 33. 63 Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 1, Rn. 3. 64 Zur Bedeutung von völkerrechtlich unverbindlichem soft law und seiner Abgrenzung zum rechtsverbindlichen hard law im Bereich des Umweltvölkerrechts ebd., § 9, Rn. 134 ff. 61

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Interessenbildung ermöglicht, aufgrund derer das Regelungsproblem umfassend identifiziert wird und es zur gemeinschaftlichen Erarbeitung von dem Regelungsgegenstand gerecht werdenden, wirkungsvollen Lösungen der durch grenzüberschreitende Gewässerbelastungen ausgelösten Interessenkonflikte zwischen Staaten kommen kann.

3. Kapitel

Regelungsansätze: Von Koexistenzzu Kooperationsorientierung Quid prohibetis aquis? Usus communis aquarum est; nec solem proprium natura nec aera fecit nec terneus undas. I Ovid (43 v.

ehr. -

17 n. Chr.)

Aufstieg und Untergang früher Hochkulturen sind eng mit den großen Strömen der Erde - wie Indus, Ganges, Nil, Euphrat und Tigris - verbunden. In wasserannen Erdregionen konnte schon bald der Wasserbedarf der wachsenden Bevölkerung nur durch die aufwendige Erschließung immer neuer Süßwasserressourcen befriedigt werden. Bau, Betrieb und Unterhalt komplexer Bewässerungssysteme an Flüssen erforderten ein hohes Maß an Wissen, Technologie und Organisation2 der Durst nach Wasser wurde zu einer Triebfeder kultureller Entwicklung. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass Konflikte um die Nutzung knapper Wasserressourcen zwischen Sippen, Stämmen, Volksgruppen und ersten staatsähnlichen Gemeinwesen bereits aus dem Altertum überliefert sind3 • Im Gegensatz zu ariden Gebieten Afrikas und Asiens bestand in den vergleichsweise wasserreichen Regionen Europas und Nordamerikas lange Zeit weder die Notwendigkeit aufwendiger Methoden zur Wassererschließung noch entstanden Wassernutzungskonflikte größeren Ausmaßes4 • Dies änderte sich ab dem 18. Jahrhundert, als durch technologische Innovationen im Rahmen der industriellen Revolution Wirtschaft und Handel aufblühten und infolgedessen auch die Nutzung von Gewässern intensiviert wurde. Zum einen nahm insbesondere auf den großen grenzübergreifenden Flüssen die Schifffahrt zu, zum anderen stieg mit fortschreitender Industrialisierung und wachsender Bevölkerung ab Mitte des 19. Jahrhunderts der Bedarf nach weiteren, nichtI "Was haltet ihr mich vom Wasser fern? Die Nutzung des Wassers ist eines jeden Recht. Die Natur hat weder die Sonne noch die Luft noch die klaren Wellen jemandem als Eigentum gegeben." Lateinischer Originaltext und deutsche Übersetzung in: von Albrecht (Hrsg.), Publius Ovidius Naso - Metamorphosen, 1994, VI, 349-350. 2 Berber; Rechtsquellen, S. 3. 3 BruJuic, Tbe Law of Non-navigational Uses of International Watercourses, 1993, S. 9; Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 1999, S. 31 ff. m. w. N. 4 Torka. Nichtnavigatorische Wassernutzungen: Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit - Von der Konfrontation über die Kooperation zu koadministrativen Formen der Zusammenarbeit, 1999, S. 36 f.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

navigatorischen Nutzungen von Süßwasserressourcen. Der Ausweitung technologischer Möglichkeiten entsprechend gewann Wasser eine immer größere Bedeutung u. a. als Rohstoff und Prozesswasser im Rahmen der industriellen Massenproduktion oder der Wasserkraftnutzung zur Erzeugung kinetischer und elektrischer Energies . Die verstärkte Beanspruchung hatte zwangsläufig belastende Auswirkungen auf die im Gebiet anderer Anrainerstaaten gelegenen Teile grenzübergreifender Gewässer. Die hierdurch ausgelösten zwischenstaatlichen Konflikte bilden seither den Gegenstand einer Vielzahl von (schieds-)gerichtlichen Entscheidungen, völkerrechtlichen Verträgen und wissenschaftlichen Untersuchungen, die insgesamt eine große Bandbreite rechtlicher Ansätze zur Regelung grenzüberschreitende Gewässerbelastungen erkennen lassen6 . Diese unterschiedlichen Regelungskonzeptionen lassen sich gedanklich einem Spektrum zunehmender Interdependenz und Kongruenz der Interessen der Anrainerstaaten eines grenzübergreifenden Gewässers zuordnen7 • Am einem Ende des Spektrums erzeugen grenzüberschreitende Gewässerbelastungen allenfalls einen Bedarf nach kompetenzabgrenzenden Regelungen, die eine friedliche Koexistenz der auf die Wahrung ihrer Souveränität bedachten Gewässernachbarn sichern. Wenn es Anrainerstaaten bei steigender reziproker Abhängigkeit ihrer jeweiligen Interessen gelingt, sich auf miteinander vereinbare oder gar gemeinsame Zielsetzungen zu einigen, kann sich eine Rechtsordnung urnfassender Kooperation entwickeln, die je nach Art der gemeinsam verfolgten Regelungsinteressen entweder allein auf die Nutzung der Kulturfunktionen von Gewässern oder aber auch auf den partiellen oder umfassenderen Schutz ihrer Naturfunktionen gerichtet sein kann.

A. Extreme Ausgangspositionen Bereits in der Anfangszeit der völkerrechtlichen Diskussion, nach welchen Grundsätzen die Beziehungen von Anrainerstaaten hinsichtlich gemeinsam genutzter Gewässer gestaltet sein sollten, wurden Konzeptionen vertreten, die das gesamte soeben vorgestellte Spektrum rechtlicher Ansätze zur Regelung grenzüberschreitender Gewässerbelastungen umspannte - vom Anspruch auf absolute Kom5 s.o. Kultuifunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, A. I. und Veränderung der Gewässernwrphologie - 1. Kapitel, B. III. 1. a). 6 Eine umfangreiche Zusammenstellung von Dokumenten zum internationalen Gewässerrecht findet sich bei Sohnle, Le droit international des ressources en eau douce: solidarite contre souverainere, 2002, S. 469 ff. Die Liste enthält Quellennachweise bezüglich 601 völkerrechtlicher Verträge (beginnend mit einem Grenzvertrag zwischen Österreich und Venedig vom 17. August 1755), 148 Deklarationen von Einzelstaaten, internationalen Konferenzen, internationalen Organisationen und wissenschaftlichen Vereinigungen sowie 39 Entscheidungen, Stellungnahmen usw. nationaler und internationaler (Schieds-)Gerichte. 7 s.o. Zwischenstaatliche Interdependenz und kollektiver Regelungsbedarj - 2. Kapitel, c. II.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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petenzwahrung bis hin zur Forderung nach weitgehender Kooperation. Die nachfolgende Darstellung bezieht sich auf die von Friedrich J. Berber Mitte des 20. Jahrhunderts auf Grundlage umfassenden Quellenstudiums entwickelten dogmatischen Kategorien 8, auf die bis heute in der völkerrechtlichen Literatur mehr oder weniger explizit rekurriert wird.

I. Absolute territoriale Souveränität und Integrität Frühe Konflikte an grenzübergreifenden Flüssen zeigen, dass die Anliegerstaaten jeweils ausschließlich an der individuellen Nutzenmaxirnierung der Kulturfunktionen des Gewässers interessiert waren. Durch einseitig gerichtete grenzüberschreitende Gewässerbelastungen seitens der überlieger wurden zwar die Nutzungsinteressen der Unterlieger beeinträchtigt, umgekehrt waren die überlieger jedoch i.d.R. in ihrer Gewässemutzung unabhängig. Kam es zwischen den beteiligten Anliegerstaaten mangels ausgeprägter Interesseninterdependenzen in anderen Bereichen ihrer Beziehungen, die die überlieger zur Einschränkung ihrer belastenden Wassemutzung bewegt hätten, nicht zu einer Einigung, so standen sich die jeweiligen Interessen an der weitgehenden Nutzung der grenzübergreifenden Gewässer unvereinbar gegenüber. Diese antagonistische Interessenstruktur spiegelt sich in den ersten von Anliegerstaaten vertretenen Argumentationen bei der Suche nach rechtlichen Kriterien zur Bewertung zwischenstaatlicher Wassernutzungskonflikte wider9 . Ausgangspunkt bildete jeweils die grundsätzlich umfassende Rechtsposition, die souveränitätsrechtlich einem Anliegerstaat an dem Abschnitt eines grenzübergreifenden Gewässers zukommt, der sich auf seinem Staatsgebiet befindet 1o• 8 Berber, Rechtsquellen, S. 13 ff. Die weit über den deutschen Sprachraum hinausreichende Wirkungsgeschichte von Berbers Arbeit ist neben ihrer wissenschaftlichen Qualität auch auf ihre Publikation in englischer Sprache zurückzuführen, vgl. Berber, Rivers in International Law, 1959. 9 Vgl. hierzu die zahlreichen Darstellungen in der völkerrechtlichen Literatur, z. B. Barberis, International Rivers, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Bd. 11,1995, S. 1364 ff.; Birniel Boyle, International Law and the Environment, 2002, S. 301 ff.; Bruluic. International Watercourses, S. 41 ff.; Caponera. Principles of Water Law and Administration - National and International, 1992, S. 212 ff.; Godana, Africa's Shared Water Resources: Legal and Institutional Aspects of the Nile, Niger and Senegal River Systems, 1985, S. 32 ff.; Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 103 ff.; Heintschei von Heinegg. Gewohnheitsrechtliche Grundsätze und Regeln des internationalen Umweltrechts, in: Ipsen. Völkerrecht, 1999, § 58, Rn. 4 ff.; lAmmers. Pollution of International Watercourses - A Search for Substantive Rules and Principles of Law, 1984, S. 556 ff.; lippe" Equitable Utilization, in: Garretson I Hayton I Olmstead (Hrsg.), The Law of International Drainage Basins, 1967, S. 15 ff.; Reimann. Süßwasserressourcen, S. 26 ff.; Ule. Das Recht am Wasser - Dargestellt am Beispiel des Nils, 1998, S. 114 ff. 10 s.o. Regelungskompetenz: Souveränitätsrechtliche Zuordnung von Gewässern - 2. Kapitel,A.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Den Interessen der Oberliegerstaaten eines Fließgewässers an einer uneingeschränkten Wassernutzung entsprach die Forderung, das eigene Staatsgebiet nach freiem Belieben ohne Rücksicht auf die Beeinträchtigung von Interessen anderer Staaten nutzen zu können. Ihre prononcierteste Formulierung fand diese rechtlich mit der absoluten territorialer Souveränität eines Staates begründete Position in einem Rechtsgutachten des Attorney General der Vereinigten Staaten Judson Harman aus dem Jahr 1895 zu einem Streit zwischen den USA und Mexiko um die Wasserentnahme amerikanischer Farmer aus dem nach Mexiko fließenden Rio Grande: "The fundamental principle of internationallaw is the absolute sovereignty of every nation, as against all others, within its own territory. [ ... ] [I]n my opinion, the rules, principles, and precedents of internationallaw impose no liability or obligation upon the United States. ,,11 Ebenfalls auf das Prinzip territorialer Souveränität berief sich die der sog. Hannon-Doktrin diametral entgegengesetzte Position der absoluten territorialen Integrität. Zum umfassenden Schutz der Nutzungsinteressen von Unterliegerstaaten grenzübergreifender Gewässer wurde ein völkerrechtliches Verbot jeglicher Einwirkung auf fremdes Staatsgebiet postuliert, das u. a. von Max Huber im bundesstaatlichen Kontext aus Anlass eines Wassernutzungskonflikts zwischen Schweizer Kantonen im Jahr 1907 vertreten wurde: ,,Jeder Staat muss Flüssen, über die er nicht [ ... ] die unbeschränkte Gebietshoheit ausübt, ihren natürlichen Lauf lassen; er darf das Wasser nicht zuungunsten eines oder mehrerer anderer am Flusse berechtigter Staaten ableiten, dessen Lauf unterbrechen, künstlich steigern oder verringern."12 Demzufolge ist Staaten jede Nutzung eines grenzübergreifenden Gewässers untersagt, die auch nur die leichteste Beeinträchtigung von Gewässerabschnitten bewirkt, die im Territorium anderer Anrainerstaaten gelegen sind - eine Qualifikation, die unwesentliche oder unerhebliche Belastungen erlauben würde, sieht das Prinzip territorialer Integrität in seiner absoluten Ausprägung nicht vor. Die Zusammenschau beider Extrempositionen verdeutlicht zum einen, dass sie derselben Ratio folgen. Ihre jeweiligen Vertreter gehen davon aus, durch absolutes Beharren auf den ihnen souveränitätsrechtlich grundsätzlich zukommenden Kompetenzen eine maximale Durchsetzung ihrer individuellen Interessen an der Nutzung des grenzübergreifenden Gewässers erreichen zu können. Zum anderen wird deutlich, dass beide Positionen rechtlich in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander stehen, denn aufeinandertreffende Forderungen nach absoluter territorialer Souveränität und absoluter territorialer Integrität schließen sich gegenseitig aus. Damit führen sie gerade den völkerrechtlichen Grundsatz ad absurdum, von dem sie sich ableiten: Das Wesen einer Rechtsordnung, die auf der gleichrangigen Souveränität aller Staaten aufgebaut ist, besteht gerade darin, diese souveränitätsrechtlichen Rechtspositionen miteinander in Beziehung zu setzen - völkerrechtlich rela11 Opinion of the US Attorney General Harmon to the US Secretary of State (December 13, 1895), Text in: Robb (Hrsg.), International Environmental Law Reports - Volume 1: EarIy Decisions, 1999, S. 543 (548 f.). 12 Zitiert nach Berber, Rechtsquellen, S. 19.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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tivieren sich einander entgegengesetzte Absolutheitsansprüche zwangsläufig gegenseitig 13 • Als Richter des Ständigen Schiedshofes beschrieb Max Huber - anlässlich eines Sachverhalts ohne unmittelbar gewässerrechtlichen Bezug - diese in der Natur territorialer Souveränität selbst angelegte Relativierung folgendermaßen: "Territorial sovereignty [ ... ] involves the exclusive right to display the activities of aState. This right has as corollary a duty: the obligation to protect within the territory the rights of other states [ ... ]. Territorial sovereignty cannot limit itself to its negative side, i.e. to excluding the activities of other States; for it serves to divide between nations the space upon which human activities are employed, in order to ensure them at all points the minimum protection of which international law is the guardian.,,14 Auf den Bereich des internationalen Gewässerrechts übertragen bedeutet dies, dass die territoriale Souveränität eines Staates sowohl das Recht zur Verfolgung seiner Interessen an der Nutzung der Kultur- und am Schutz der Naturfunktionen der Gewässer seines Staatsgebiets (positive Komponente)ls als auch zur integritätswahrenden Abwehr von Beeinträchtigungen dieser Rechtsausübung durch andere Staaten (negative Komponente) beinhaltet. Daher können die territoriale Souveränität und Integrität mehrerer Anrainerstaaten eines Gewässers nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Sie sind jeweils stets durch eine - der Souveränitätsposition der Staaten definitionsgemäß inhärenten - Pflicht zur Beachtung entsprechender Interessen und Rechtspositionen der anderen Staaten relativiert. Forderungen nach uneingeschränkter bzw. unbeeinträchtigter Verwirklichung individueller Gewässernutzungsinteressen an einem grenzübergreifenden Gewässer sind daher zwar faktisch bei überlegener Machtposition durchsetzbar, aber rechtlich nicht mit der territorialen Souveränität eines Staates zu begründen. Insgesamt konnten sich in der Staatenpraxis die extremen Positionen absoluter territorialer Souveränität bzw. Integrität nicht durchsetzen. So hielten selbst die USA letztlich nicht an der Harmon-Doktrin fest, die eher eine Verhandlungsposition in einem konkreten Gewässerkonflikt als die Äußerung einer Rechtsmeinung darstellte l6 . In diesem Sinne wird sie zwar bis in die Gegenwart - mehr oder weniger deutlich - vereinzelt insbesondere von Oberliegern bei Nutzungskonflikten an grenzübergreifenden Gewässern vertreten 17, der Status gültigen Völkerrechts wird der Harmon-Doktrinjedoch allgemein nicht zuerkannt. 13 Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 103 f.; Epiney, Nachbarrechtliche Pflichten im internationalen Wasserrecht und Implikationen von Drittstaaten - Aufgezeigt am Beispiel des Staudammprojekts ,,llisu" (Türkei), in: AVR, 2001, S. 1 (9). 14 lsland of Palmas Arbitration (Netherlands v. United States of America), Schiedsspruch vom 4. April 1928, in: RIAA, Bd. n, S. 829 (839). 15 s.o. Regelungskompetenz: Souveränitätsrechtliche Zuordnung von Gewässern 2. Kapitel, A. 16 McCaffrey, The Harmon Doctrine One Hundred Years Later: Buried, Not Praised, in: NRJ, 1996, S. 965 (997). Allgemein zur Hannon-Doktrin Krakau, Die Harmon Doktrin Eine These der Vereinigten Staaten zum internationalen Flußrecht, 1966. 17 Vgl. u. a. Ule, Das Recht am Wasser, S. 116 ff.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

ll. Community of Interests Die gemeinschaftliche und optimale Nutzung Mit der Ablehnung eines absoluten Verständnisses territorialer Souveränität und Integrität ist freilich noch keine Aussage über Art und Umfang der Pflicht getroffen worden, Interessen und Rechtspositionen anderer Anrainerstaaten eines grenzübergreifenden Gewässers zu beachten. Der in dieser Beziehung weitreichendste Ansatz transformiert die Rechtsposition territorialer Souveränität von Staaten an dem auf ihrem Gebiet gelegenen Teil eines grenzübergreifenden Gewässers in eine gemeinschaftliche Berechtigung aller Anrainerstaaten an der gesamten Süßwasserressource. Demzufolge steht die Ausübung von Kompetenzen hinsichtlich Nutzung und Schutz eines Gewässers nicht exklusiv einzelnen, sondern vielmehr kollektiv allen Anrainerstaaten als Rechtsgemeinschaft zu. Diese dem Grundsatz territorialer Souveränität entgegengesetzte Konzeption kann auf unterschiedliche Begründungen beruhen und verschiedene Ausgestaltungen der gemeinschaftlichen Berechtigung der Anrainerstaaten an grenzübergreifenden Gewässern umfassen. Hugo Grotius berief sich zur naturrechtlichen Rechtfertigung eines allen Völkern zustehenden Nutzungsrechts an Gewässern u. a. auf Ovids Metamorphosen: "Ovid nennt die Wellen ,öffentliche' Geschenke und nimmt dabei das ,öffentlich' in dem ungewöhnlichen Sinne, wonach gewisse Sachen nach dem Völkerrechte als öffentliche gelten. Vrrgil sagt deshalb, daß die Meereswellen jedem offenständen. Daher müssen die Länder, Flüsse und die im Eigentum befmdlichen Meeresteile allen zum Durchgange für gerechte Zwecke offenstehen.,,18 In diesem Sinne bestimmte Ende des 18. Jahrhunderts - dem Gedankengut der Französischen Revolution entsprechend - das Dekret des Provisorischen Exekutivrates der Französischen Republik vom 16. November 1792: "Der Wasserlauf der Flüsse ist das gemeinsame und unentziehbare Eigentum aller von ihm bewässerter Länder.,,19 Im Gegensatz zu diesen naturrechtlichen Ansätzen wird zur Begründung einer gemeinschaftlichen Berechtigung an grenzübergreifenden Gewässern aber auch auf die Interessenlage von Staaten abgestellt. Demnach sollen Staaten, die hinsichtlich eines Gewässers gemeinsame Interessen verfolgen, auch eine dieser Interessengemeinschaft gerecht werdende Rechtsgemeinschaft bilden, um auf diese Weise insgesamt ihre Interessen optimal verwirklichen können. Dem Wesen des Völkerrechts als Konsensualrechtsordnung gemäß obliegt die Bildung von Interessen und die hiervon geprägte Ausgestaltung zwischenstaatlicher Rechtsbeziehungen hinsichtlich eines grenzübergreifenden Gewässers originär den Anrainerstaaten. Sie werden nur dann einer weitgehenden Einschränkung ihrer souveränitätsrechtlichen Stellung durch eine kollektive Ausübung zuvor exklusiver Kompetenzen zustimmen, wenn diese kooperationsbedingten Nachteile (Kooperationskosten) von den Vorteilen der zwi18 Deutsche Übersetzung des lateinischen Originaltextes von 1625 in: Schätzel (Hrsg.), Hugo Grotius - De jure belli ac pacis -libri tres, 1950,2. Buch, 2. Kapitel (Von den Dingen, die allen Menschen gemeinsam gehören), §§ XII und XII1, S. 152. 19 Zitiert nach Berber, Rechtsquellen, S. 21.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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schenstaatlichen Zusammenarbeit überwogen werden (Kooperationsgewinn). Folglich wird es zur Bildung einer Rechtsgemeinschaft hinsichtlich einer gemeinsam genutzten Süßwasserressource nur dann kommen, wenn hierfür eine entsprechend hohe Kongruenz interdependenter Interessen zwischen den Anrainerstaaten besteht. 2o Dass dies maßgeblich von der Art der involvierten Interessen abhängt, bestätigt die fiiihe Staatenpraxis und Judikatur.

1. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei navigatorischen Nutzungen Aufgrund des zunehmenden Handels zwischen den Staaten Europas stand im 19. Jahrhundert zunächst die navigatorische Nutzung großer Flüsse als Schifffahrtswege im Vordergrund21 . Auf dem nordamerikanischen Kontinent war es bereits 1794 im Rahmen des sog. Jay-Treaty zwischen Großbritannien und den USA zu einer ersten vertraglichen Einigung über Schifffahrtsfragen gekommen22 . Die Forderung, die schiffbaren Abschnitte europäischer Flüsse auf Grundlage von Freiheit und Gleichheit allen Staaten zugänglich zu machen, entsprach dem Gedankengut der Französischen Revolution. Ihre völkerrechtliche Verankerung im Rahmen der restaurativen Neuordnung Europas in der Schlussakte des Wiener Kongresses vom 9. Juni 1815 (Teil Vll: Bestimmungen über die Schiffahrt auf den Strömen, Art. 108 -117) zeugt zudem von einem gemeinsamen Interesse der europäischen Staaten an einem ungehinderten Handelsverkehr auf grenzübergreifenden Flüssen: ,,Die Schiffahrt auf den [ ... ] Strömen soll im ganzen Laufe, von dem Punkt an, wo jeder derselben schiffbar wird, bis zu seiner Mündung gänzlich frei sein, und in Hinsicht des Handels Niemanden verwehrt werden können; wohlverstanden, dass man sich nach den Reglements richtet, welche [ ... ] auf eine für Alle gleichf"örmige und für den Handel aller Nationen möglichst günstige Weise abgefasst werden sollen.,,23 Diese Proklamation der freien Handelsschifffahrt bildete den Auftakt für die Einführung der Schifffahrtsfreiheit auf europäischen Flüssen, deren Konkretisierung besonderen Vereinbarungen überlas20

C.O.

s.o. Zwischenstaatliche Interdependenz und kollektiver Regelungsbedarj - 2. Kapitel,

2l Zu den Schifffahrtsregimen europäischer, afrikanischer und amerikanischer Flüsse Ca/Zisch, International Watercourses, S. 3 (6 ff.); Dahml Delbrückl Wolfrum, Volkerrecht Bd. 1/1: Die Grundlagen. Die Volkerrechtssubjekte, 1989, S. 387 ff. Allgemein zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung der navigatorischen Nutzung grenzübergreifender Flüsse Godana, Africa's Shared Water Resources, S. 21 ff.; Torka, Nichtnavigatorische Wassernutzungen, S. 35 ff. 22 Treaty of Amity, Commerce and Navigation vom 19. November 1794, Text in: crs, Bd. 52, S. 243 ff. 23 Art. 109 der Schlussakte des Wiener Kongresses vom 9. Juni 1815, Text in: Rauff (Hrsg.), Die Verträge von 1815 und die Grundlagen der Verfassung Deutschlands, 1864, S.4ff.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

sen 24 und nachfolgend zumindest teilweise bezüglich einzelner Flüsse umgesetzt wurde. Zu nennen sind in diesem Zusanunenhang neben der EIbe (Elbschiffahrtsakte vom 23. Juni 1821 und Elbschiffahrts-Additional-Akte vom 13. April 1844)25 insbesondere der Rhein (Mainzer Rheinschiffahrtsakte vom 31. März 1831 und Mannheimer Revidierte Rheinschiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868)26 und die Donau, für die durch den Pariser Frieden von 1856 eine Europäische Donau-Kommission eingerichtet und die Schifffahrtsfreiheit für alle Staaten vom unteren Flusslauf bis Braila eingeführt wurde27 • Begleitet durch die Unterstützung der Völkerrechtslehre, wie die Resolution von Heidelberg des IDI vom 9. September 1887 zeigt28 , setzte sich auf diese Weise in der europäischen Staatenpraxis der Grundsatz der Schifffahrtsfreiheit im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehr und mehr durch. Er wurde nach dem Ersten Weltkrieg prinzipiell auch durch den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 bestätigt (Teil Xll: Häfen, Wasserstraßen und Eisenbahnen, insbesondere Art. 327 - 364)29, der zudem EIbe, Oder, Memel und die Donau für ,,international" erklärte und damit die Freiheit der Schifffahrt nicht nur auf die jeweiligen Anrainerstaaten begrenzte3o• Während man grundsätzlich - unter geänderten Modalitäten - die bereits bestehenden internationalen Kommissionen für Donau 24 Art. 108 S. 1 der Schlussakte des Wiener Kongresses bestimmte: ,,Die Mächte, deren Staaten durch einen und denselben schiffbaren Strom getrennt sind, oder durch welche ein solcher Strom fließt, machen sich anheischig, Alles, was sich auf die Fahrt auf den Strömen bezieht, durch gemeinschaftliche Uebereinkunft festzusetzen." Für Rhein, Neckar, Mosel, Maas und ScheIde waren bereits in Anhängen besondere ,,Reglements in Bezug auf die Schiffahrt" als integrale Bestandteile der Schlussakte beigefügt, vgl. Art. 117 der Schlussakte des Wiener Kongresses. 2S Hannsma1l1l, EIbe, in: Kimminich/von LersnerlStorm (Hrsg.), HdUR, Bd. I, 1994, Sp. 476 (476 ff.) m. w. N. 26 Gloria, Das Staatsgebiet, in: Ipsen, Völkerrecht, 1999, § 23, Rn. 83 m. w. N. Allgemein zur historischen Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den Rheinanliegerstaaten vgl. da Silva/da Silva, Fragen zur grenzüberschreitenden Gewässerbewirtschaftung, in: Correial Kraemer (Hrsg.), Eurowater 2 - Dimensionen Europäischer Wasserpolitik, Bd. 2: Themenberichte, 1997, S. 325 (349 ff.). 27 Beyerlin, Donau, in: Kimrninich I von Lersner I Storm (Hrsg.), HdUR, Bd. I, 1994, Sp. 401 (402); Gloria, Das Staatsgebiet, § 23, Rn. 87 m. w. N. 28 Resolution Projet de reglement international de navigation fluvial vom 9. September 1887 (Session de Heidelberg), Text in: Wehberg (Hrsg.), Institut de Droit International, S. 70 ff. 29 ,,Die Staatsangehörigen der alliierten und assoziierten Mächte genießen ebenso wie ihre Güter, Schiffe und Boote in allen deutschen Häfen und auf allen deutschen Binnenschiffahrtsstraßen in jeder Hinsicht die gleiche Behandlung wie die deutschen Reichsangehörigen, Güter, Schiffe und Boote." Art. 327 S. 1 (Freiheit der Schiffahrt) des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919, Text in: Sonderdruck der Nr. 140 des Reichs-Gesetzblattes von 1919, S. 687 ff. 30 Art. 331: ,,Es werden für international erklärt: die EIbe [ .. . ]; die Oder [ ... ]; die Memel [ ... ]; die Donau von U1m ab; und jeder schiffbare Teil dieser Flussgebiete, der mehr als einem Staat den natürlichen Zugang zum Meere [ .. . ] vermittelt [ ... ]." Art. 332: ,,Auf den im vorstehenden Artikel für international erklärten Wasserstraßen werden die Staatsangehörigen, das Gut und die Flagge aller Mächte auf dem Fuß vollkommener Gleichheit behandelt [ . .. ]."

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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und Rhein beibehielt, wurde zusätzlich die Verwaltung der Schifffahrt der nunmehr internationalisierten Teile von EIbe, Oder, Memel und Donau neuzugründenden "internationalen Ausschüssen" bzw. Kommissionen unterstellet. Die Vorgaben des Versail1er Vertrages wurden im Rahmen eines 1921 auf den Verkehrskonferenzen von Barcelona ausgearbeiteten multilateralen Übereinkommens zur Regelung der Binnenschifffahrt vertieft32, das weitere Impulse zur Entwicklung der Schifffahrtsregime europäischer Flüsse gab 33 . Vor dem Hintergrund dieser Rechtsentwicklung fällte im Jahr 1929 der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) sein Urteil zur territorialen Zuständigkeit der internationalen Oderkommission. Polen hatte sich dagegen gewehrt, die - nach dem Versailler Vertrag noch festzulegende 34 - räumliche Zuständigkeit der Oderkommission auch auf die auf polnischem Staatsgebiet gelegenen schiffbaren Abschnitte der Oderzuflüsse Warthe und Netze zu erstrecken. Der StIGH lehnte die polnische Position mit dem ausdrücklichen Hinweis auf das aus den einschlägigen Bestimmungen der Schlussakte des Wiener Kongresses und des Versailler Vertrags klar ersichtliche gemeinsame Interesse der Anrainerstaaten an der freien Handelsschifffahrt ab, die insofern eine Interessengemeinschaft bildeten ("community of interests of riparian States"): "This community of interest in a navigable river becomes the basis of a common legal right, the essential features of which are the perfect equality of all riparian States in the use of the whole course of the river and the exc1usion of any preferential privilege of any one riparian State in relation to the others.,,35 Indem der StIGH die Interessengemeinschaft der Staaten an einer freien Schifffahrt als konstituierende Grundlage einer entsprechenden Rechtsgemeinschaft ansah, setzte er die umfassende Interessenkongruenz zwischen den 31 Art. 340 ff.: Sonderbestimmungen für Eibe, Oder und Memel; Art. 346 ff. : Sonderbestimmungen für die Donau; Art. 354 ff.: Bestimmungen über Rhein und Mosel. 32 Convention and Statute on the Regime of Navigable Waterways of International Concern vom 20. April 1921, Text in: FAO (Hrsg.), Sources of International Water Law, 1998, S. 7 ff. 33 Vertrag zum Abschluß der endgültigen Donauakte vom 23. Juli 1921, Text in: RGBI. 1922 I, S. 287 ff.; Elbschiffahrtsakte vom 22. Februar 1922, Text in: RGBI. 192311, S. 183 ff. Die Rechtsentwicklung zur Freiheit der Schifffahrt auf europäischen Flüssen wurde durch die Völkerrechtswissenschaft z. B. im Rahmen der Resolution Reglement pour la navigation des fleuves internationaw; des IDI vom 18. Oktober 1934 (Session de Paris) bestätigt, Text in: Wehberg (Hrsg.), Institut de Droit International, S. 76 ff. Einen Rückschlag erfuhr die Schifffahrtsfreiheit in Europa jedoch, als 1936 die deutsche Reichsregierung einseitig erklärte, dass sie durch die Bestimmungen von Teil XII des Versailler Vertrags nicht mehr gebunden sei und die auf deutschem Staatsgebiet gelegenen Abschnitte grenzüberschreitender Flüsse ausschließlich ihrer Souveränität unterstünden, vgl. Note vom 14. November 1936, Text in: RGBI. 193611, S. 361 f. Dahml Delbrückl Wolfrum, Völkerrecht - Bd. I/ 1, S. 388 ff.; Gloria, Das Staatsgebiet, § 23, Rn. 83, 87 und 88 m. w. N. 34 Art. 344lit. c des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919. 3S Case Relating to the Territorial lurisdiction of the International Commission of the River Oder (Czechoslovakia, Denmark, France, Germany, Great Britain, Sweden v. Poland), Urteil vom 10. September 1929, Pell, Series A, No. 23, S. 27.

8 Reichert

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Staaten in einen unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit einer entsprechenden Rechtsgemeinschaft mit hoher Regelungsintensität hinsichtlich der navigatorischen Nutzung grenzübergreifender Flüsse. Nach Rückschlägen während des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden Teilung Europas während des Kalten Krieges ist heute die weitgehende Freiheit der Schifffahrt auf großen europäischen Flüssen völkerrechtlich gewährleistet. Die frühe Einigung europäischer Staaten auf die mit der Schifffahrtsfreiheit verbundene Einschränkung ursprünglich exklusiver Souveränitätsrechte war möglich, da die navigatorische Mitnutzung des auf dem eigenen Staatsgebiet gelegenen Abschnitts eines grenzübergreifenden Flusses durch andere Staaten die eigenen Gewässernutzungsinteressen nicht erheblich tangiert und eine Öffnung der Schifffahrtwege im ganz überwiegenden ökonomischen Interessen aller handeltreibenden Staaten liegt, die insofern eine wahre Interessengemeinschaft darstellen. Die Bildung des gemeinsamen Interesses an der Schifffahrtsfreiheit und einer dementsprechenden Rechtsgemeinschaft in Form der Internationalisierung von Flüssen wird dadurch erleichtert, dass die Aufgabe von gewässerbezogenen Kompetenzen sachlich nur den vergleichsweise begrenzten Teilaspekt navigatorischer Nutzungen aus der sehr viel umfassenderen Rechtsposition der Anrainerstaaten hinsichtlich multifunktionaler Süßwasserressourcen betrifft. Neben diesem überschaubaren Sachbereich der Schifffahrt ist zudem der Regelungsgegenstand auf den schiffbaren Hauptstrom internationalisierter Gewässer beschränkt. Insgesamt wird so durch die Interessen- und Rechtsgemeinschaft bezüglich der Schifffahrtsfreiheit eine - sowohl für die einzelnen Staaten als auch für die Staatengemeinschaft insgesamt - optimale navigatorische Nutzung grenzüberschreitender Gewässer ermöglicht.

2. Interessen- und Rechtsgemeinschajt bei nicht-navigatorischen Nutzungen Da im Verlauf des 19. und des 20. Jahrhunderts neben der Schifffahrt auch die Nachfrage nach weiteren Gewässernutzungen stark anstieg, spielte spätestens nach Ende des Zweiten Weltkriegs die nicht-navigatorische Nutzung grenzübergreifender Gewässer durch Anrainerstaaten eine zunehmend wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang erarbeitete die ILA im Jahr 1956 im Rahmen ihrer Resolution von Dubrovnie6 ihr Leitbild für die de lege ferenda von den Anrainerstaaten anzustrebenden Rechtsbeziehungen für eine gemeinschaftliche und optimale Gewässernutzung. Es beruhte auf der durch den Wasserkreislauf bedingten hydrologischen Vernetzung von Gewässern, die in der völkerrechtlichen Diskussion schon früh als Ausgangspunkt für die Regelungen nicht-navigatorischer Nutzungen anerkannt 36 Resolution of Dubrovnik 1956 - Statement of Principles, Text in: International Law Association (Hrsg.), Report of the Forty-seventh Conference held at Dubrovnik - August 26th to September 1st , 1956, 1957, S. 241 ff.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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worden W~7: "SO far as possible, riparian States should join with each other to make full utilization of the waters of a river both from the viewpoint of the river basin as an integrated whole, and from the viewpoint of the widest variety of uses of the water, as to assure the greatest benefit to all." Zwei Jahre später formulierte die ILA in ihrer Resolution von New Yor12 8 diesen sog. Drainage-Basin-Ansatz als völkerrechtliches Prinzip: "A system of rivers and lakes in a drainage basin should be treated as an integrated whole (and not piecemeal)." Dabei definierte die ILA den Begriff "drainage basin" als "area within the territories of two or more States in which a11 the streams of flowing surface water, both natural and artificial, drain a common watershed terrninating in a common outlet or common outlets either to the sea or to a lake or to some inland place from which there is no apparent outlet to a sea". Kern des Drainage-Basin-Ansatzes ist die ökonomische Überlegung 39, dass die vielfältigen Kulturfunktionen eines grenzübergreifenden Gewässers meist nur durch eine umfassende Zusammenarbeit mehrerer oder aller Anrainerstaaten bezogen auf das gesamte Einzugsgebiet optimal nutzbar sind40 • So kann beispielsweise unter technischen Gesichtspunkten der beste oder einzig mögliche Standpunkt für den Bau eines Staudamms in einem Staat liegen, der an einem solchen Projekt entweder selbst nicht interessiert ist bzw. es nur mit der finanziellen oder technologischen Unterstützung anderer Anrainerstaaten realisieren kann. Finden die Anrainerstaaten hinsichtlich eines gemeinsamen Projekts einen Modus, sowohl dessen kooperationsbedingte Vorteile (Bewässerung, Energiegewinnung, Hochwasserschutz) als auch Nachteile (Kosten für Bau und Berieb, Einschränkung der souveränitätsrechtlichen Kompetenzen am Gewässer) untereinander aufzuteilen, so ist durch zwischenstaatliche Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg ein Kooperationsgewinn erzielbar, der zu einer insgesamt optimalen Ressourcennutzung für alle beteiligten Anrainerstaaten führen kann. 41 Auf diese Weise können Anrainerstaaten untereinander Interessengemeinschaften zur Optimierung der verschiedensten nicht-navigatorischen Nutzungen bilden. Nicht zu verkennen ist jedoch, dass sich auf Grundlage des Drainage-BasinKonzepts die Bildung und rechtliche Umsetzung gemeinsamer Interessen bezüglich nicht-navigatorischer Nutzungen eines grenzübergreifenden Gewässers sehr viel komplexer gestaltet und ein hohes Maß an Informationsaustausch, Planung 37 Vgl. Boume, The Development of International Water Resources: The ,,Drainage Basin Approach", in: Wouters (Hrsg.), International Water Law - Selected Writings ofProf. Charles B. Bourne, 1997, S. 3 (4) m. w. N. 38 New York Resolution on the Use of the Waters of International Rivers, Text in: International Law Association (Hrsg.), Report of the Forty-eighth Conference held at New YorkSeptember 1-7, 1958, 1959, S. vii ff. 39 Zu dem ökologisch motivierten Drainage-Basin-Ansatz im Rahmen nachhaltigen Gewässerschutzes s.u. Regelungsgegenstand nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, D. 40 International Law Association (Hrsg.), Report of the Forty-eighth Conference, S. 242. 41 Lipper, Equitable Utilization, S. 15 (38).



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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

und gegenseitigem Vertrauen zwischen den beteiligten Anrainerstaaten erfordert. Insbesondere sind im Gegensatz zur zwischenstaatlichen Kooperation bei navigatorischen Nutzungen nicht nur der Hauptwasserkörper eines Gewässers, sondern zumindest auch Teile seines Einzugsgebiets in die Regelung einzubeziehen. Da dies aber große Teile des Territoriums eines Staates umfassen kann, sind Staaten hinsichtlich einer entsprechenden Ausdehnung des Regelungsgegenstandes ihrer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit zwückhaltend. So existieren in der völkerrechtlichen Praxis z. B. für Kondominien - der denkbar weitreichendsten Form rechtlicher Kooperation, innerhalb der mehrere Anrainerstaaten gemeinsam die territoriale Souveränität über ein Gewässer oder auch Teile des dazugehörigen Einzugsgebiets ausüben können42 - nur wenige räumlich eng begrenzte Beispielsfalle43 • Insgesamt zeigt sich, dass Anrainerstaaten gemeinsamer Gewässer selbst bei großer Interessenübereinstimmung erhebliche Kooperationshemmnisse hinsichtlich der gemeinschaftlichen und optimalen Nutzung nicht-navigatorischer Gewässerfunktionen zu überwinden haben. Auch eine weitreichende Interessenkongruenz zwischen Anrainerstaaten, wie sie der Drainage-Basin-Ansatz voraussetzt, führt daher Ld.R. nicht zu umfassenden Rechtsgemeinschaften z. B. in Form von Kondominien. Vielmehr kommt es zu weniger intensiven Beschränkungen der territorialen Souveränität bzw. Integrität der einzelnen Anrainerstaaten eines grenzüberschreitenden Gewässers durch die Herausbildung einzelner materieller und prozeduraler Rechte und Pflichten. Vor diesem Hintergrund sind gewässerrechtliche Regelungsansätze zu unterscheiden, die zwischen den extremen Ausgangspositionen von absoluter territorialer Souveränität bzw. Integrität einerseits und der gemeinschaftlichen und optimalen Nutzung grenzübergreifender Gewässer andererseits angesiedelt sind. Während die ersten gewohnheitsrechtlich entwickelten Grundsätze des internationalen Gewässerrechts tendenziell auf die Wahrung einzelstaatlicher Kompetenzen bezüglich eines grenzübergreifenden Gewässers ausgerichtet sind44, führen völkervertragliche Regelungen von Gewässerkonflikten mit der Zeit zu Formen vertiefter Kooperation zwischen Anrainerstaaten, die über die Sicherung ihrer friedlichen Koexistenz hinausreichen4S • 42 Zum Begriff des ,,Kondominiums" vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 114 f.; GrafVitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 3; Hailbronner, Völkerrechtssubjekte, Rn. 128. 43 Eines der seltenen Beispiele für diese Art der gemeinschaftlichen Berechtigung an Gewässern besteht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg, die im Jahr 1984 vertraglich die Flüsse Mosel, Sauer und Our in ihrem Grenzverlauf zum gemeinschaftlichen Hoheitsgebiet erklärten und damit ein bereits seit 1815 bestehendes Kondominium zwischen den Niederlanden und Preußen bzw. deren Nachfolgerstaaten bestätigten. Vgl. hierzu den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze vom 19. Dezember 1984, Text in: BGB!. 1988 11, S. 415 ff.; Rudolfs, Das deutsch-Iuxemburgische Kondominium, in: AVR, 1986, S. 301 ff. 44 S.U. Koexistenz: Kompetenzwahrende Regelungsansätze - 3. Kapitel, B.

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B. Koexistenz: Kompetenzwahrende Regelungsansätze Mit der Überwindung unvereinbarer Ansprüche auf absolute territoriale Souveränität einerseits und absolute territoriale Integrität andererseits wird bei grenzüberschreitenden Umweltbelastungen im Allgemeinen und zwischenstaatlichen Gewässerkonflikten im Besonderen ein Ausgleich der aufeinandertreffenden Nutzungs- und Schutzinteressen erforderlich. Für die Regelung zwischenstaatlicher Souveränitätskonflikte dieser Art haben in materieller Hinsicht das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer (eng!.: principle of equitable utilization) sowie das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen (eng!.: obligation not to cause appreciable/significant/substantial/serious harm) eine herausragende Bedeutung erlangt. Insbesondere bei der Lösung der klassischen Konfliktsituation zwischen Ober- und Unterliegerstaaten an grenzüberschreitenden Fließgewässern dienen beide Prinzipien den Anrainerstaaten zur Verfolgung ihrer jeweiligen Wassernutzungsinteressen und der weitgehenden Wahrung ihrer souveränitätsrechtlich begründeten Kompetenzen: Während sich Unterliegerstaaten in dieser Konstellation typischerweise auf das nachbarrechtliche Schädigungsverbot berufen, um ihre u.U. bereits langandauernde intensive Wassernutzung vor Beeinträchtigungen durch Oberliegerstaaten zu schützen, versuchen diese ihre Ansprüche unter Verweis auf das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer durchzusetzen. Das nachbarrechtliche Schädigungsverbot und das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung sind gewohnheitsrechtlieh anerkannt und nunmehr im spezifisch gewässerrechtlichen Kontext u. a. auf regionaler Ebene in dem unter der Ägide der UN / ECE abgeschlossenen Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen (UN / ECE-Gewässerübereinkommen)46 von 1992 sowie im Rahmen der durch die ILC ausgearbeiteten47 univer4S s.u. Kooperation: Panieller Gewä.sserschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets 3. Kapitel, C. 46 Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen vom 17. März 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 6. Oktober 1996, Text in: BGBl. 199411, S. 2334 ff. S.u. Nachhaltiger Gewä.sserschutz aufvölkerrechtlicher Ebene - dargestellt am Beispiel der Donau und des Rheins - 4. Kapitel. 47 Zu den Arbeiten der ILC bezüglich des UN-Gewässerübereinkommens vgl. Handl, The International Law Commission's Draft Articles on the Law of International Watercourses (General Principles and Planned Measures): Progressive or Retrogressive Development of International Law?, in: CJIELP, 1992, S. 123 ff.; Nanda, The Law of the Non-Navigational Uses of International Watercourses: Draft Artic1es on Protection and Preservation of Ecosystems, Harmful Conditions and Emergency Situations, and Protection of Water Installations, in: ebd., S. 175 ff.; Wescoat, Beyond the River Basin: Tbe Changing Geography of International Water Problems and International Watercourse Law, in: ebd., S. 301 ff.; McCaffreyl Rosenstock, The International Law Commissions Draft Artic1es on International Watercourses: an Overview and Commentary, in: RECIEL, 1996, S. 89 ff.; Kroes, The Protection of International Watercourses as Sources of Freshwater in the Interest of Future Generations, in:

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

seilen Convention on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses (UN-Gewässerübereinkommen) 48 von 1997 kodifiziert. Um diese beiden materiellen Grundprinzipien des internationalen Gewässerrechts operationabel zu machen, werden sie durch gewohnheitsrechtlich anerkannte prozedurale Pflichten der Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer ergänzt49 , die zwischenzeitlich auch auf universeller Ebene insbesondere durch Art. 8 (General obligation to cooperate) und Teil m (Planned Measures Art. 11 ff.)sO UN-Gewässerübereinkommen kodifiziert sindsI. Hierzu zählt die Pflicht, andere Anrainerstaaten von denjenigen Ereignissen, Vorhaben oder sonstigen Einwirkungen auf das Gewässer zu informieren, die grenzüberschreitende Auswirkungen haben (Informations- bzw. Notifikationspflicht)s2. Zudem sind Brans I de Haan I Nollkaemper I Rinzema (Hrsg.), Tbe Scarcity of Water - Emerging Legal and Policy Responses, 1997, S. 80 (81 ff.). 48 Convention on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses, Adopted by the UN General Assembly and Opened to Signature, May 21, 1997, Text in: ILM 36 (1997), S. 700 ff. Aus der umfangreichen völkerrechtlichen Literatur zum UN-Gewässerubereinkommen vgl. u. a. Caflisch, Regulation of the Uses of International Waterways: Tbe Contribution of the United Nations, in: Glassner (Hrsg.), Tbe United Nations at Work, 1998, S. 3 ff.; Hey, Tbe Watercourse Convention: To What Extent Does it Provide a Basis for Regulating Uses of International Watercourses?, in: RECIEL, 1998, S. 291 ff.; Kahn, 1997 United Nations Convention on the Law of Non-navigational Uses of International Watercourses, in: CJIELp, 1997, S. 178 ff.; Kokott, Überlegungen zum völkerrechtlichen Schutz des Süßwassers, in: Götz I Selmer I Wolfrum (Hrsg.), Liber arnicorum Günther laenicke - Zum 85. Geburtstag, 1998, S. 177 (184 ff.); McCaffrey, Tbe UN Convention on the Law of the Non-Navigational Uses of International Watercourses: Prospects and Pitfalls, in: Salman/Boisson de Chazournes (Hrsg.), International Watercourses: Enhancing Cooperation and Managing Conflict - Proceedings of a World Bank Seminar (World Bank Technical Paper No. 414), 1998, S. 17 ff.; Schroeder-Wildberg, Tbe Negotiation Process of the International Water Convention: Balancing Upstream-Downstream Interests, in: BazI Hartje/Scheumann (Hrsg.), Co-operation on Transboundary Rivers, 2002, S. 35 ff.; Schwabach, Tbe United Nations Convention on the Law of Non-navigational Uses of International Watercourses, Customary International Law, and the Interests of Developing Upper Riparians, in: TILJ, 1998, S. 257 ff.; Tanzi, Tbe complementation of the preparatory work for the UN Convention on the Law of International Watercourses, in: NRF, 1997, S. 239 ff.; ders., Tbe UN Convention on International Watercourses as a Framework for the Avoidance and Settlement of Waterlaw Disputes, in: LJIL, 1998, S. 441 ff.; ders. I Arr:ari, Tbe United Nations Convention on the Law of International Watercourses - A Framework for Sharing, 2001; Wouters, Tbe Legal Response to International Water Conflicts: Tbe UN Watercourse Convention and Beyond, in: GYBIL 1999, Bd. 42, 2000, S. 293 ff. 49 Hierzu u. a. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 8, Rn. 122; Bimie I Boyle, Environment, S. 319 ff.; Bruhal Ma'!ß, Süßwasserressourcen, S. 69 (91 ff.); Nollkaemper, Tbe Legal Regime for Transboundary Water Pollution: Between Discretion and Constraint, 1993, S. 151 ff. so Von den in Teil m UN-Gewässerubereinkommen kodifizierten Normen sind in diesem Zusammenhang insbesondere zu nennen: Art. 11 (Information conceming planned measures), Art. 12 (Notification conceming planned measures with possible adverse eJfects) sowie Art. 17 (Consultations and negotiations conceming planned measures). 51 Hierzu Tanzi I Arr:ari, International Watercourse Convention, S. 181 ff.

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zum einen im Rahmen eines Dialogs mit dem betroffenen Anrainerstaat dessen diesbezügliche Ansichten zur Kenntnis zu nehmen (Konsultationspflicht), zum anderen besteht auch eine Pflicht der Anrainerstaaten, in guten Glauben über Gewässerkonflikte zu verhandeln (Verhandlungspflicht)53.

I. Das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer Unmittelbarer Ausdruck des Bemühens um einen fairen Ausgleich entgegengesetzter Souveränitäts- und Integritätsinteressen und der Wahrung entsprechender Kompetenzen ist das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer durch die Anrainerstaaten54 • Es beruht auf dem Grundgedanken, dass sich Anrainerstaaten eines Gewässers, das sich über mehrere Staatsgebiete hinweg erstreckt, so verhalten müssen, dass den jeweils anderen Anrainerstaaten eine Nutzung der gemeinsamen Ressource möglich ist, die ihre Interessen in angemessener Weise mitberüCkSichtigt55. Angestrebt wird folglich nicht die absolute Gleichheit z. B. in Hinblick auf die quantitative Allokation von Wasserressourcen, sondern unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen die insgesamt ausgewogene Mitnutzung (engl: equitable utilization)S6 eines greDZÜberS2 Boume. Procedure in the Development of International Drainage Basins: Notice and Exchange of Information, in: Wouters (Hrsg.), International Water Law - Selected Writings ofProf. Charles B. Boume, 1997, S. 143 (173). S3 Boume. Procedure in the Development of International Drainage Basins: The Duty to Consult and to Negotiate, in: ebd., S. 177 (193). 54 Aus der umfangreichen völkerrechtlichen Literatur zum Gebot der ausgewogenen Mitnutzung internationaler Ressourcen im Allgemeinen und grenzübergreifender Gewässer im Besonderen vgl. u. a. Barberis. International Rivers, S. 1364 (1367); Beyerlin. Umweltvölkerrecht. § 8, Rn. 124; Bimie I Boyle. Environment, S. 302 ff.; Bruha I Maaß. Süßwasserressourcen, S. '69 (84 ff.); Bruhtic. International Watercourses, S. 155 ff.; Dumer, Common Goods - Statusprinzipien von Umweltgütern im Volkerrecht, 2001, S. 74 ff.; Epiney. Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 (28 ff.); Fuentes, The Criteria for the Equitable Utilization of International Rivers, in: BYIL, 1997, S. 337 ff.; dies., Sustainable Development and the Equitable Utilization ofInternational Watercourses, in: BYIL. 1999, S. 119 ff.; Godana. Africa's Shared Water Resources, S. 50 ff.; Heintschel von Heinegg. Gewohnheitsrechtliche Grundsätze, § 58, Rn. 19 f.; Hinds. Volkerrechtliche Präventionspflichten, S. 74 ff.; Hunter I Salzman I Zaelke. International Environmental Law and Policy, 1998, S. 834 ff.; Lipper, Equitable Utilization, S. 15 ff.; Nollkaemper, Transboundary Water Pollution, S. 61 ff.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 163 ff.; Reimann. Süßwasserressourcen, S. 67 ff.; Reinicke. Die angemessene Nutzung gemeinsamer Naturgüter, 1991; Schiedermairl Rest. Internationales Wasserrecht, in: Kimminich I von LersnerlStorm (Hrsg.), HdUR, Bd. 1,1994, Sp. 1140 (1150 ff.); Ule. Das Recht am Wasser, S. 163 ff.; Utton. International Streams and Lakes Generally, in: Beck (Hrsg.), Waters and Water Rights, Bd. 5, 1991, S. 3 (23 ff.). ss Epiney. Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 (28). 56 In der deutschsprachigen Volkerrechtsliteratur wird der eng!. Begriff "equitable" unterschiedlich mit "billig", "gerecht", "fair", "gleichmäßig", "angemessen" oder "ausgewo-

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

greifenden Gewässers durch alle Anrainerstaaten. Die Wurzeln des völkerrechtlichen Equitable-Utilization-Prinzips - dessen Anwendbarkeit zwischenzeitlich auch auf andere Naturressourcen diskutiert wird57 - finden sich in der Rechtsprechung zu Gewässerkonflikten innerhalb föderal verfasster Staaten wie der Schweiz58 , den USA59 und Deutschland60• So stellte der Staatsgerichtshof 1927 im sog. Donauversinkungs-Rechtsstreit zwischen den Ländern Württemberg und Preußen einerseits und Baden andererseits unter Verweis auf das Völkerrecht fest, dass "die berechtigten Interessen der beteiligten Staaten [ ... ] in billiger Weise gegeneinander abgewogen werden" müssten. 61 Dieses Abwägungsgebot bildet den Kern des Prinzips der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer, das die !LA in Art. IV ihrer vielbeachteten - obgleich rechtlich unverbindlichen - Helsinki Rules on the Uses 0/ the Waters 0/ International Rivers (ILA Helsinki Rules) von 196662 folgendermaßen formulierte 63 : ,,Each basin State is entitled, within its territory, to a reasonable and equitable share in the beneficial uses of the waters of an international drainage basin." Indem die verschiedenen Nutzungen des grenzübergreifenden Gewässers durch die Anrainerstaaten abgewogen und in Einklang gebracht werden, wird das Ziel verfolgt, "to provide the maximum benefit to each basin State from the uses of the waters gen" übersetzt, ohne jedoch damit divergierende Bedeutungsinhalte zum Ausdruck bringen zu wollen. 57 Dumer, Statusprinzipien, S. 93 ff.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 173 ff. m. w. N. 58 Zu den Urteilen des Schweizerischen Bundesgerichts vom 12. 1anuar 1878 (Zürich gegen Aargau) und vom 9. Dezember 1892 (Aargau gegen Solothurn) vgl. Schindler, Tbe Administration of 1ustice in the Swiss Federal Court in Intercantonal Disputes, in: AIll.., 1921, S. 149 (169 ff.). 59 Kansas v. Colorado, 206 U.S. 46 (1907), S. 100: "We must consider the effect of what has been done upon the conditions in the respective states, and so adjust the dispute upon the basis of equality of rights as to secure as far as possible to Colorado the benefits of irrigation without depriving Kansas of the like beneficial effects of a flowing stream." Allgemein zur Rechtsprechung bzgl. Gewässerkonflikten zwischen US-Bundesstaaten vgl. Hackworth, Digest of International Law, Bd. I, 1940, S. 580 ff.; Utton, International Streams and Lakes Generally, S. 3 (18 ff.); Sherk, Dividing the Waters - Tbe Resolution ofInterstate Water Conflicts in the United States, 2000. 60 BroMe, International Watercourses, S. 155 m. w. N.; Cafliseh, International Watercourses, S. 3 (13). 61 RGZ 116, 1927, Anhang, S. 18 (31 f.). Hierzu Herdegen. Donauversinkung Case, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Bd. I, 1992, S. 1096 f.; MeCaffrey, International Groundwater Law: Evolution and Context, in: Salman (Hrsg.), Groundwater: Legal and Policy Perspectives Proceedings of a World Bank Seminar (World Bank Technical Paper No. 456), 1999, S. 139 (145 ff.). 62 Helsinki Rules on the Uses of the Waters of International Rivers vom 20. August 1966, Text in: ILA (Hrsg.), Report of the Fifty-second Conference held at Helsinki - August 14th to August 20th, 1966, 1967,S. 484 ff. 63 Umfassend zur Arbeit der ILA bezüglich greDZÜbergreifender Gewässer Boume, Tbe International Law Association's Contribution to International Water Resources Law, in: NRI, 1996, S. 155 ff.; Bogdanovie, International Law of Water Resources - Contribution of the International Law Association (1954 - 2000), 200 1.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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with the minimum detriment to each,,64. Die hierzu erforderliche Abwägung ist nach Art. V Abs. 1 ll..A Helsinki Rules im Einzelfall unter Beriicksichtung verschiedener Faktoren vorzunehmen, die Art. V Abs. 2 ILA Helsinki Rules in einer nicht erschöpfenden Liste präzisiert65 . Dabei sind gemäß Art. V Abs. 3 ILA Helsinki Rules die in der konkreten Konfliktsituation relevanten Kriterien grundsätzlich gleichberechtigt und im Rahmen einer Gesamtschau gegeneinander abzuwägen: "The weight to be given to each factor is to be determined by its importance in comparison with that of other relevant factors. In determining what is a reasonable and equitable share, all relevant factors are to be considered together and a conclusion reached on the basis of the whole." In der völkerrechtlichen Praxis ist das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer in zahlreichen bi- und multilateralen Verträgen zu spezifischen Gewässern66, dem europäischen UN I ECE-Gewässeriibereinkommen von 199267 sowie nunmehr auch auf universeller Ebene durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 des UN-Gewässeriibereinkommens von 1997 kodifiziert: "Watercourse States shall in their respective territories utilize an international watercourse in an equitable and reasonable manner." Durch Art. 6 UN-Gewässeriibereinkommen wird die nicht abschließende Liste von Abwägungskriterien nach Art. V ILA Helsinki Rules in nahezu identischer Form übernommen 68 • Die grundsätzliche Gleichrangigkeit 64 Kommentar zu Art. IV ll..A Helsinki Rules, in: ll..A (Hrsg.), Report of the Fifty-second Conference, S. 486 (487). 6S ll..A Helsinki Rules, Art. V Abs. 2: ,,Relevant factors which are to be considered include, but are not limited to (a) the geography of the basin, including in particular the extent of the drainage area in the territory of each basin State; (b) the hydrology of the basin, including in particular the contribution of water by each basin State; (c) the climate affecting the basin; (d) the past utilization of the waters of the basin, including in particular existing utilization; (e) the economic and social needs of each basin State; (f) the population on the waters of the basin in each basin State; (g) the comparative costs of alternative means of satisfying the economic and social needs of each basin State; (h) the availability of other resources; (i) the avoidance of unnecessary waste in the utilization of waters of the basin; G) the practicability of compensation to one or more of the co-basin States as means of adjusting conflicts among uses; and (k) the degree to which the needs of a basin State may be satisfied, without causing substantial injury to a co-basin State." 66 Vgl. die Nachweise bei Reinicke, Die angemessene Nutzung, S. 37 ff.; Ule, Das Recht am Wasser, S. 165 f. 67 UN/ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 2 Abs. 2lit. c: "The Parties shall, in particular, take all appropriate measures [ ... ] [t]o ensure that transboundary waters are used in a reasonable and equitable way, taking into particular account their transboundary character, in the case of activities which cause or are likely to eause transboundary impact [ ... ]." 68 Ebd., Art. 6 (Factors relevant to equitable and reasonable utilization): ,,1. Utilization of an international watercourse in an equitable and reasonable manner within the meaning of article 5 requires taking into aeeount all relevant faetors and eircurnstances, including: (a) Geographie, hydrographie, hydrologieal, elimatic, ecological and other faetors of a natural character; (b) The social and economic needs of the watereourse States eoncerned; (e) The population dependent on the watereourse in each watercourse State; (d) The effects of the use or uses ofthe watercourses in one watercourse State on other watereourse States; (e) Existing-

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

dieser Faktoren betont Art. 10 UN-Gewässerübereinkommen69 • Um das Ziel der ausgewogenen Mitnutzung eines grenzübergreifenden Gewässers durch alle Anrainerstaaten zu erreichen, wird das allgemeine Gebot nach Art. 5 Abs. 1 UN-Gewässerübereinkommen (equitable and reasonable utilization) ausdrücklich durch die Verpflichtung der Anrainerstaaten gemäß Art. 5 Abs. 2 (equitable and reasonable participation) zu einer aktiven Kooperation ergänzt'o: "Watercourse States shall participate in the use, development and protection of an international watercourse in an equitable and reasonable manner. Such participation includes both the right to utilize the watercourse and the duty to cooperate in the protection and development thereof, as provided in the present Convention." Diese Kooperationspflicht wird durch Art. 8 (general obligation to cooperate) untermauert. Die weite Anerkennung des Equitable-Utilization-Prinzips hat zwischenzeitlich auch der IGH in seinem Urteil von 1997 zum Rechtsstreit zwischen Ungarn und der Slowakischen Republik über das GabcOcovo-Nagymaros-Projekt an der Donau71 hervorgehoben and potential uses of the watercourse; (f) Conservation, protection, development and economy of the use of the water resources of the watercourse and the costs of measures taken to that effect; (g) The availability of alternatives, of comparable value, to a particular planned or existing use. 2. In the application of article 5 or paragraph 1 of this article, watercourse States concerned shall, when the need arises, enter into consultations in a spirit of cooperation. 3. The weight to be given to each factor is to be determined by its importance in comparison with that of other relevant factors. In determining what is a reasonable and equitable use, alI relevant factors are to be considered together and a conclusion reached on the basis ofthe whole." 69 Ebd., Art. 10 (Relationship between different kinds 0/ uses): ,,1. In the absence of agreement or custom to the contrary, no use of an international watercourse enjoys inherent priority over other uses. 2. In the event of a conflict between uses of an international watercourse, it shall be resolved with reference to articles 5 to 7, with special regard being given to the requirements of vital human needs." 70 Hierzu McCa.ffrey I Sinjela, The 1997 United Nations Convention on International Watercourses, in: AJIL, 1998, S. 97 ff.; Reimann, Süßwasserressourcen, S. 71 f. 71 Aus der umfangreichen völkerrechtlichen Literatur zu der für das internationale Umwelt- und Gewässerrecht bedeutenden Entscheidung des IGH zum GabiHkovo-NagymarosProjekt vgl. u. a. Boume, The Case Conceming the GabCikovo-Nagymaros Project: An Important Milestone in International Water Law, in: YBIEL, 1997, S. 6 ff.; Boyle, The GabCikovo-Nagymaros Case: New Law in Old Bottles, ebd., S. 13 ff.; de Castro, The ludgment in the Case Concerning the GabCikovo-Nagymaros Project: Positive Signs for the Evolution of International Water Law, ebd., S. 21 ff.; Stec I Eckstein, Of Solemn Oaths and Obligations: The Environmental Impact ofthe ICl's Decision in the Case Conceming the GabCikovo-Nagymaros Project, ebd, S. 41 ff.; Lammers, GabCikovo-Nagymaros Case Seen in Particular From the Perspective of the Law of International Watercourses and the Protection of the Environment, in: un.., 1998, S. 287 ff.; Sands, Watercourses, Environment and the International Court of lustice: The GabCikovo-Nagymaros Case, in: Saiman/Boisson de Chazoumes (Hrsg.), International Watercourses: Enhancing Cooperation and Managing Conflict - Proceedings of a World Bank Seminar (World Bank Technical Paper No. 414), 1998, S. 103 ff.; ders., International Courts and the Application of the Concept of "Sustainable Development", in: Frowein/Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Yearbook of United Nations Law, Bd. 3, 1999, S. 389 (390 ff.); Fitzmaurice, The Ruling of the International Court of lustice in the GabCIkovo-Nagymaros Case: A Critical Analysis, in: EELR, 2000, S. 80 ff.

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und hierbei u. a. explizit auf das wenige Monate zuvor durch die UN-Generalversammlung angenommene und noch nicht in Kraft getretene UN-Gewässeriibereinkommen verwiesen: ,,Modem development of international law has strengthened this principle for non-navigational uses of international watercourses as well, as evidenced by the adoption of the Convention of 21 May 1997 on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses by the United Nations General Assembly. The Court considers that Czechoslovakia, by unilaterally assuming control of a shared resource, and thereby depriving Hungary of its right to an equitable and reasonable share of the natural resources of the Danube [ ... ] failed to respect the proportionality which is required by internationallaw...n Augenfälligster Schwachpunkt des Gebots der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer ist seine inhaltliche Unbestimmtheit und Wertungsbedürftigkeie3 . Ob die Nutzungsinteressen der verschiedenen Anrainerstaaten jeweils in "gerechter", ,,fairer", "angemessener" bzw. "ausgewogener" Weise beriicksichtigt werden, ist keiner abstrakten Beurteilung zugänglich, sondern lässt sich nur unter Einbeziehung aller relevanten Aspekte anband des konkreten Einzelfalls bewerten. Die Tauglichkeit des Equitable-Utilization-Prinzips als objektiver Maßstab für die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit von Gewässemutzungen wird zudem dadurch beeinträchtigt, dass der zum Ausgleich der entgegengesetzten Souveränitäts- und Integritätsinteressen erforderlichen Abwägung zwangsläufig subjektive Wertungen immanent sind. Zwar können in Hinblick auf die lustitiabilität des Gebots durchaus gewisse Anhaltpunkte auf seine Verletzung hindeuten74: So ist zum einen zu fordern, dass im Rahmen des Abwägungsvorgangs alle relevanten Faktoren bzw. Interessen nicht nur formell zur Kenntnis genommen, sondern auch materiell beriicksichtigt werden. Hierbei können zur Orientierung die in Art. V ILA Helsinki Rules und Art. 6 UN-Gewässeriibereinkommen beispielhaft genannten Kriterien hilfreich sein. Zum anderen darf auch das Abwägungsergebnis insgesamt nicht offensichtlich unausgewogen sein. Letztlich können aufgrund dieser Anhaltspunkte jedoch nur grobe Verletzungen des Gebots - wie sie im Fall des Gabcfkovo-Nagymaros-Projekts durch den IGH festgestellt wurden - eindeutig erfassbar sein. Insgesamt spricht insofern vieles dafür, das Prinzip der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer in seiner Grundform weniger als eine im vollem Umfang justitiable Völkerrechtsnorm, sondern eher als eine Anweisung an die Anrainerstaaten zu verstehen, einen billigen und ausgewogenen Ausgleich zwischen ihren verschiedenen gewässerbezogenen Interessen zu erzielen. Insoweit ist auf Parallelen im Bereich des Seerechts hinzuweisen, demzufolge zur Abgrenzung der ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandssockels "eine der Bil12 Case Conceming the GabCikovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, in: IC] Reports, 1997, S. 7 ff., Para. 85. 73 Bimie I Boyle, Environment, S. 303; Epiney, Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 (30); Hey, Tbe Watercourse Convention, S. 291 (294); Reimann, Süßwasserressourcen, S. 69 f.; Tanzi I Arr:ari, International Watercourse Convention, S. 97. 74 Epiney, Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 (32).

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ligkeit entsprechende Lösung" ("equitable solution") anzustreben ist75 • Maßgeblich für die Ausgewogenheit der Mitnutzung von Süßwasserressourcen ist der subjektive Wille der Anrainerstaaten, so dass grundsätzlich Verhandlungsergebnisse, die von allen Betroffenen akzeptiert werden, als ausgewogen im Sinne des Gebots zu betrachten sind, selbst wenn andere Staaten in einer vergleichbaren Situation zu einem anderen Ergebnis gelangt wären76 • Vor diesem Hintergrund ist ferner ist zu beachten, dass das Equitable-Utilization-Prinzip seinem Ursprung und Wesen nach primär auf die Nutzung der Kulturfunktionen und nicht auf den Schutz der Naturfunktionen eines Gewässers ausgerichtet ist77 • Zwar ist die ökologische Integrität von Gewässern einer der Faktoren, der z. B. nach dem offenen Kriterienkatalog gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a UNGewässerübereinkommen ("factors of a natural character") in die Abwägung der unterschiedlichen Interessen der Anrainerstaaten einbezogen werden kann. Angesichts der grundsätzlichen Gleichrangigkeit der abzuwägenden Faktoren, wie sie auch Art. 10 UN-Gewässerübereinkommen hervorhebt, erscheint die Fähigkeit des Gebots allerdings von vornherein begrenzt, einen ausreichenden Schutz des Ökosystems grenzübergreifender Gewässer zu gewährleisten. Diesbezügliche Bedenken bestimmten auch die Diskussion innerhalb der n...C über die Ausgestaltung des Art. 5 UN-Gewässerübereinkommen78 • So wurde schließlich das in seiner Grundform offene und flexible Gebot zur ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer durch die Anrainerstaaten nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 insofern inhaltlich gebunden, als gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 im Ergebnis nicht nur eine ökonomisch optimale79, sondern auch eine ökologisch nachhaltige80 Gewässernutzung unter Beachtung des ausreichenden Schutzes des Gewässerökosystems anzustreben ist: ,,[A]n international watercourse shall be used and developed by watercourse States with a view to attaining optimal and sustainable utilization thereof and benefits therefrom, taking into account the interests of the watercourse States concerned, consistent with adequate protection of the watercourse." Im Rahmen dieses modifizierten bzw. qualifizierten Equitable-Utilization-Prinzips ist die Nachhaltigkeit der Nutzung und der Schutz der Naturfunktionen grenzübergreifender Gewässer folglich nicht nur ein Aspekt unter mehreren abzuwägenden Faktoren. Vielmehr ist demzufolge eine zwischen den Anrainerstaaten vereinbarte Nutzung einer gemeinsamen Süßwasserressource nur dann ausgewogen, wenn sie auch in ökologischer 7S Art. 74 Abs. 1 SRÜ (Abgrenzung der ausschließlichen WirtschaJtszone zwischen Staaten mit gegenüberliegenden oder aneiTUlndergrenzenden Küsten) und Art. 83 Abs. 1 SRÜ (Abgrenzung des Festlandssockel zwischen Staaten mit gegenüberliegenden oder aneiTUlndergrenzenden Küsten). Vgl. hierzu Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 56. 76 Ebenso Heintschel von Heinegg, Gewohnheitsrechtliche Grundsätze, § 58, Rn. 19. 77 Epiney, Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 (28). 78 Hierzu umfassend Tanzi I Arcari, International Watercourse Convention, S. 103 ff. 79 s.o. Ressourcenökonomie und optimale Allokation - 1. Kapitel, C. II. 80 S.U. Nachhaltiger Gewässerschutz - Konturen eines ökosystemorientierten Leitbilds 2. Teil, Einleitung.

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Hinsicht dem Erfordernis der Nachhaltigkeit entspricht81 • Angesichts der auch weiterhin primär nutzungs orientierten Grundstruktur des Gebots der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer ginge es jedoch zu weit, es bereits allein aufgrund seiner ökologischen Bindung als allumfassendes Leitprinzip des gewässerrechtlichen Wandels anzusehen 82 . Dies würde verkennen, das die Neuinterpretation des Gebots lediglich eine Konsequenz der umfassenderen Entwicklung hin zu nachhaltigem Gewässerschutz ist83 • Ferner ist Skepsis hinsichtlich der Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse bei der Anwendung des Equitahle-Utilization-Prinzips in der Staatenpraxis angebracht. Entscheidend bleibt letztlich der Wille der beteiligten Anrainerstaaten, im Rahmen der Abwägung den Schutz der natürlichen Gewässerfunktionen als Teil der von ihnen zu verteidigenden Integritätsinteressen zu betrachten84 •

n. Das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen Der Grundsatz, dass kein Staat auf seinem Hoheitsgebiet Aktivitäten entfalten bzw. zulassen darf, die zu erheblichen grenzüberschreitenden Umweltbelastungen und somit zur Verletzung der Integritätsinteressen von Nachbarstaaten85 führen können, gehört zu den Grundpfeilern des allgemeinen Umweltvölkerrechts und ist heute in der Staatenpraxis und Völkerrechtslehre als geltendes Gewohnheitsrecht anerkannt86. Wegweisend für die Durchsetzung des nachbarrechtlichen Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen (No-Signijicant-Harm-Prinzip)87 war der Trail-Smelter-Schiedsspruch von 1941. Das amerikanisch-kana81 Ebenso Tanzi I Arcari, International Watercourse Convention, S. 115: ,,[I]t can comfortably be said that, through to the actual wording of Article 5, the Convention does not envisage sustainability simply as one of the factors for the assessment of the equitable character of a given utilisation, but as a value inherent in the equitable utilisation itself." 82 So aber wohl Rothenberger. Die angemessene Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen arn Beispiel von Flüssen und speziellen Ökosystemen - Eine vergleichende Betrachtung zum modemen Verständnis eines klassischen völkerrechtlichen Nutzungsprinzips, 2003. 83 Zur Nachhaltigkeit s.u. Rechtsinstrumente nachhaltigen Schutzes grenzübergreijender Gewässer - 2. Teil. 84 Ebenso Reimann, Süßwasserressourcen, S. 7l. 85 ZUJIl weiten Begriff des ,,Nachbarn" im Völkerrecht vgl. Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 113 m. w. N. 86 Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 8, Rn. 116; Bryde, Umweltschutz durch allgemeines Völkerrecht?, in: AVR, 1993, S. 1; Buekl Verheyen, Umweltvölkerrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2002, § 1, Rn. 27; Epiney, Das "Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen": Relikt oder konkretisierungsfahige Grundnorm?, in: AVR, 1995, S. 309 (318) m. w. N.; Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 94 f.; Heintsehel von Heinegg, Gewohnheitsrechtliche Grundsätze, § 58, Rn. 17; Hunter I Salzman I Zaelke, International Environmental Law and Policy, S. 345 ff.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 114 ff. m. w. N.

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dische Schiedsgericht kam angesichts grenzüberschreitender Luftverschmutzung, die ausgehend von einer Metallschmelze im kanadischen Ort Trail im US-Bundesstaat Washington Schäden verursacht hatte, zu folgendem Schluss: "The Tribunal [ ... ] finds that [ ... ], under the principles of internationallaw, [ ... ] no State has the right to use or permit the use of its territory in such a manner as to cause injury by the fumes in or to the territory of another or the properties or persons therein, when the case is of serious consequences and the injury is established by c1ear and convincing evidence.,,88 In diesem Zusammenhang ist auch das Korfu-KanalUrteil des IGH von 1949 zu nennen, durch das die völkerrechtliche Verantwortlichkeit Albaniens für die Zerstörung britischer Kriegsschiffe bejaht wurde, da Albanien Kenntnis von der Verminung des Kanals von Korfu gehabt habe. Der IGH begründete dabei seine Entscheidung mit der allgemeinen Verpflichtung von Staaten, "not to allow knowingly its territory to be used for acts contrary to the rights of other States"S9. Heute geht der IGH unzweifelhaft von der allgemeinen Geltung des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen aus, wie sein Nuklearwaffen-Gutachten von 1996 zeigt: "The existence of the general obligation of States to ensure that activities within their jurisdiction and control respect the environment of other States or of areas beyond the national control is now part of the corpus of internationallaw relating to the environment. ,,90 Auch die Judikatur speziell zu den Rechten von Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer ließ sich vom No-Signijicant-Harm-Prinzip leiten. So verwies im fOderalen Kontext der Staatsgerichtshof in seinem bereits erwähnten Donauversinkungs-Urteil auf die von der deutschen Reichsregierung bei internationalen Vertragsverhandlungen vertretene Auffassung, es gäbe in Bezug auf grenzübergreifende Gewässer den völkerrechtlichen Grundsatz, "daß kein Staat auf seinem Ge87 Aus der umfangreichen völkerrechtlichen Literatur zum nachbarrechtlichen Verbot erheblicher grenzüberschreitender Belastungen der Umwelt im Allgemeinen und grenzübergreifender Gewässer im Besonderen vgl. u. a. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 8, Rn. 116; Bruhal Maaß, Süßwasserressourcen, S. 69 (79 ff.); BruJulc, International Watercourses, S. 194 ff.; Dumer, Statusprinzipien, S. 61 ff.; Epiney, Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, S. 309 ff.; dies., Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 (21 ff.); Heintschel von Heinegg, Gewohnheitsrechtliche Grundsätze, § 58, Rn. 17 f.; Hinds, Völkerrechtliche Präventionspflichten; Hunter I Salzman I Zaelke, International Environmental Law and Policy, S. 345 ff.; Lester, Pollution, in: Garretson/Hayton/Olmstead (Hrsg.), The Law of International Drainage Basins, 1967, S. 89 ff.; Nolllwemper, Transboundary Water Pollution, S. 24 ff.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 114 ff.; Reimann, Süßwasserressourcen, S. 63 ff.; Schiedermairl Rest, Internationales Wasserrecht, Sp. 1140 (1148 ff.); Ule, Das Recht am Wasser, S. 144 ff.; Utton, International Streams and Lakes Generally, S. 3 (23 ff.); Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 94 f. und Rn. 104 f. 88 Trail Smelter Arbitration (Canada v. United States of America), Schiedsspruch vom 11. März 1941, in: RIAA, Bd. III, S. 1938 (1965). 89 The Corfu Channel Case (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland v. Albania), Urteil vom 9. Aprill949, in: ICJ Reports 1949, S. 4 (22). 90 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Gutachten vom 8. Juli 1996, in: ICJ Reports, 1996, S. 226 ff., Para. 29.

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biet Maßnahmen treffen dürfe, die auf den Wasserlauf im Gebiet eines anderen Staates zu dessen Nachteil einschneidend einwirken. Es liegt hier eine bereits allgemein anerkannte Regel des Vdlkerrechts vor.'.91 Der StlGH traf 1937 in seinem Maas-Urteil bei der Auslegung eines Vertrags von 1863 zwischen Belgien und den Niederlanden über die Ableitung von Wasser aus der Maas folgende allgemeine Feststellung: ,,As regards such canals, each of the two States is at liberty, in its own territory, to modify them, to enlarge them, to transform them, to fill them in and even to increase the volume of water in them from new sourees, provided that the diversion of water at the treaty feeder and the volume of water to be discharged therefrom to maintain the normal level and flow in the Zuid-Willemsvaart is not affected,,92. Im Lac-Lanoux-Schiedsspruch von 1957 billigte das Schiedsgericht das Vorhaben des Oberliegers Frankreich, Wasser des Flusses Font-Vive, der den französischen Pyrenäensee Lanoux mit dem französisch-spanischen Grenzfluss Carol verbindet, zur Elektrizitätsgewinnung abzuleiten: Das Wasser werde nach seiner Nutzung wieder quantitativ vollständig und qualitativ ohne erhebliche Veränderungen seiner Eigenschaften dem Fluss Carol zugeführt, so dass die Rechte des Unterliegers Spanien nicht verletzt seien93 • Die bereits im Nuklearwaffen-Gutachten hervorgehobene allgemeine Geltung des No-Signijicant-Hann-Prinzips bekräftigte der IGH auch in Hinblick auf das internationale Gewässerrecht in seinem Urteil über das GabCfkovo-Nagymaros-Projekt94• Das Verbot grenzüberschreitender Umweltbelastungen hat seinen Niederschlag in den Arbeiten u. a. von OECD, ILA, IDI und ILC gefunden9s und wurde auch durch internationale Deklarationen propagiert. In dieser Hinsicht ist neben Prinzip 21 der Stockholm-Deklaration von 197296 und Prinzip 21 lit. d der World Charter Jor Nature von 198297 insbesondere Prinzip 2 der Rio-Deklaration von 199298 zu nennen: "States have, in accordance with the Charter of the United Nations and the principles of internationallaw, the sovereign right to exploit their own resources pursuant to their own environmental and developmental policies, and the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do RGZ 116, 1927, Anhang, S. 18 (31). Diversion of Water from the Meuse Case (Netherlands v. Belgium), Urteil vom 28. Juni 1937, in: PCU Series AlB, No. 70 (1937), S. 4 (26). 93 Lac Lanoux Arbitration (France v. Spain), Schiedsspruch vom 16. November 1957, in: RlAA, Bd. xn, S. 281 (303). 94 Case Concerning the GabClkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, in: lCJ Reports, 1997, S. 7 ff., Para. 53. 9S Vgl. die diesbezüglichen Nachweise bei Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 115. 96 Declaration ofthe United Nations Conference on the Human Environment (sog. "Stockholm-Deklaration"), Text in: ILM 11 (1972), S. 1416 ff. 97 Resolution der UN-Generalversammlung vom 28. Oktober 1982, UN Doc. A I Res 137 17, Text in: ILM22 (1983),455 ff. 98 Tbe Rio Declaration on Environment and Development (sog. ,,Rio-Deklaration"), Text in: ILM 31 (1992), S. 876 ff. 91

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of their jurisdiction." Die allgemeine Anerkennung des Verbots wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass seine dogmatische Herleitung umstritten ist99 und teilweise auf das Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität, auf den Grundsatz "sic utere tuo ut alienum non laedas" ("Gehe mit deinen Dingen so um, dass du einen anderen nicht schädigst. "), auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs oder auf das Prinzip der guten Nachbarschaft gestützt wird 1OO• Trotz seiner grundsätzlichen Anerkennung sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des nachbarrechtlichen Schädigungsverbots klärungsbedürftig 101 • Hierbei kommt dem in den meisten Formulierungen des Verbots explizit enthaltenen Erfordernis der ,,Erheblichkeit" bzw. "Wesentlichkeit" von Umweltbelastungen ("appreciable", "significant", "substantial" bzw. "serious" harm) als tatbestandseinschränkender QualifIkation eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen des Erheblichkeitskriteriums erfolgt der Ausgleich zwischen den Souveränitätsinteressen des emittierenden und den Integritätsinteressen des hiervon betroffenen Staates 102. Versuche der Staatenpraxis und der V6lkerrechtslehre, den unbestimmten Rechtsbegriff der ,,Erheblichkeit" mittels allgemeingültiger Kriterien zu konkretisieren, sind bislang jedoch wenig erfolgreich. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang u. a. der technische Standard der emittierenden Anlagen, die Quantität und Qualität der emittierten Schadstoffe sowie die nationalen Umweltstandards des betroffenen Staates. Umstritten ist auch, ob und inwieweit bereits vorhandene Vorbelastungen oder die besondere Empfindlichkeit des betroffenen Gebiets die Erheblichkeitsschwelle senken 103 • Verbreitet wird jedenfalls die Auffassung vertreten, dass die Erheblichkeit von grenzüberschreitenden Umweltbelastungen aus der immissionsorientierten Sicht des beeinträchtigten Staates zu beurteilen ist 104 • Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Unbestimmtheit des Erheblichkeitskriteriums die Schutzwirkung des No-Signijicant-Harm-Prinzips mindert und seine Effektivität in der Praxis beeinträchtigt 105 • 99 Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 8, Rn. 117; Epiney, Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, S. 309 (319 ff.) m. w. N.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 117 m. w. N. 100 Eine Abgrenzung des Prinzips "sie utere tuo ut alienum non laedas" vom Verbot des Rechtsmissbrauchs und dem Grundsatz der guten Nachbarschaft unternimmt Binds, Das Prinzip "sie utere tuo ut alienum non laedas" und seine Bedeutung im internationalen Umweltrecht, in: AVR, 1992, S. 298 (301 ff.). 101 Hierzu umfassend Epiney, Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, S. 309 (324 ff.). 102 Graf Vitzthum. Raum und Umwelt im Volkerrecht, Rn. 94, Fn. 246. 103 Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 120 m. w. N. 104 Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 8, Rn. 119; Epiney, Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, S. 309 (336 ff.) m. w. N.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 119 m. w. N. lOS Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 8, Rn. 121; Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Volkerrecht, Rn. 94.

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Trotz seiner konzeptionellen Schwächen ist das nachbarrechtliche Schädigungsverbot neben dem Gebot der ausgewogenen Mitnutzung das zweite Grundprinzip, das das internationale Gewässerrecht über lange Zeit hinweg maßgeblich geprägt hat. Als einflussreich hat sich hierbei die Formulierung des Verbots im Rahmen von Art. X Abs. 1 der !LA Helsinki Rules erwiesen: "Consistent with the principle of equitable utilization of the waters of an international drainage basin, aState (a) must prevent any new form of water pollution or any increase in the degree of existing water pollution in an international drainage basin which would cause substantial injury in the territory of a co-basin State, and (b) should take an reasonable rneasures to abate existing water pollution in an international drainage basin to such an extent that no substantial damage is caused in the territory of a co-basin State. " Das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Gewässerbelastungen ist nunmehr sowohl auf regionaler Ebene im UN I ECE-Gewässerübereinkommen von 1992 106 als auch universell im UN-Gewässerübereinkommen von 1997 verankert. Art. 7 Abs. 1 UN-Gewässerübereinkommen kodifiziert das Verbot in folgender Form: "Watercourse States shall, in utilizing an international watercourse in their territories, take all appropriate measures to prevent the causing of significant harm to other watercourse States. " Das nachbarrechtliche Schädigungsverbot war die am heftigsten umstrittene Norm während der Ausarbeitung des UN-Gewässerübereinkommens und seine endgültige Fassung stellt in mehrfacher Hinsicht eine Kompromissformel dar, die die unterschiedlichen Interessen von Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer zu vereinbaren sucht. Die Diskussionen innerhalb der ILC waren von der Frage geprägt, in welchem Verhältnis No-Signijicant-Harm-Prinzip einerseits und Equitable-Utilization-Prinzip andererseits zueinander stehen sollten 101. Den Hintergrund dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung bildet die unterschiedliche Interessenlage insbesondere bezüglich der quantitativen Wassernutzung in der klassischen Konfliktsituation zwischen Ober- und Unterliegerstaaten an grenzübergreifenden Fließgewässern 108 , wie sie beispielsweise zwischen den Anrainerstaaten des Nil 109 sowie von Euphrat und Tigrisllo besteht. In beiden Fällen sehen die 106 UN I ECE-Gewässeriibereinkommen, Art. 2 Abs. 2lit. a: "The Parties shall, in particular, take all appropriate measures [ . .. ] [t]o prevent, control and reduce pollution of waters causing or likely to cause transboundary impact [ ... ]." 107 Zur grundsätzlichen Problemstellung Utton, Which Rule Should Prevail in International Water Disputes: That of Reasonableness or that of No Harm?, in: NRJ, 1996, S. 635 ff. 108 s.o. Zwischenstaatliche Interessenkonflikte - 2. Kapitel, C. I. Zu der sich wandelnden Rolle des internationalen Gewässerrechts bezüglich Konflikten zwischen Ober- und Unterliegerstaaten vgl. Wouters, The Relevance and Role of Water Law in the Sustainable Development of Freshwater - From ,,Hydrosovereignty" to "Hydrosolidarity", in: Water International, 2000, S. 202 ff. . 109 Zu den Wassernutzungskonflikten am Nil vgl. z. B. Dellapenna, The Nile as a Legal and Political Structure, in: Brans/de Haan/Nollkaemper/Rinzema (Hrsg.), The Scarcity of Water - Emerging Legal and Policy Responses, 1997, S. 121 ff.; UZe, Das Recht am Wasser; Reimann, Süßwasserressourcen, S. 342 ff.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Unterliegerstaaten Ägypten bzw. Syrien und Irak ihre seit dem Altertum bestehende Nutzung der Ströme durch die in jüngerer Zeit erhobenen Ansprüche von Oberliegerstaaten wie Äthiopien bzw. der Türkei gefährdet. Während sich Unterliegerstaaten in dieser Konstellation typischerweise auf das nachbarrechtliche Schädigungsverbot berufen, um ihre intensive Gewässernutzung vor Beeinträchtigungen zu schützen, versuchen Oberliegerstaaten ihrer Ansprüche unter Verweis auf das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer durchzusetzen. Der 1991 von der ILC angenommene Entwurf zentraler Bestimmungen des UN-Gewässerübereinkommens (1991 ILC Draft Articles) 1I1 formulierte das nachbarrechtliche Schädigungsverbot - mit Ausnahme des Erheblichkeitskriteriums - ohne Einschränkungen: "Watercourse States shall utilize an international watercourse in such a way as not to cause appreciable harm to other watercourse States." Auf diese Weise fand das Equitable-Utilization-Prinzip seine Grenze im No-Signijicant-Harm-Prinzip, dem folglich Vorrang eingeräumt wurde, wie der Special Rapporteur der ILC Stephen C. McCaffrey in diesem Zusammenhang hervorhob: "A watercourse State's right to utilize an international watercourse in an equitable and reasonable manner has its limits in the duty of that State not to cause appreciable harm to other watercourse States. [ ... ] [U]tilization of an international watercourse [system] is not equitable if it causes other watercourse States appreciable harm." 112 Nachdem diese Dominanz des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Gewässerbelastungen auf erhebliche Kritik gestoßen war, wurde es in Rahmen eines weiteren Entwurfs von 1994 (1994 ILC Draft Articles)1l3 in mehrfacher Hinsicht modifiziert. So sah Art. 7 Abs. 1 1994 ILC Draft Articles nunmehr folgende Fassung des No-Signijicant-Harm-Prinzips vor: "Watercourse States shall exercise due diligence to utilize an international watercourse in such a way as not to cause significant harm to other States." Abgesehen von der lediglich graduellen Abänderung des Erheblichkeitskriteriums von "appreciable" zu "significant" wurde damit das No-Signijicant-Harm-Prinzip von einer absoluten Pflicht, grenzüberschreitende Gewässerbelastungen im Ergebnis zu verhindern, zu einer Sorgfaltspflicht ("due diligence") herabgestuft, sich unter den gegebenen Umständen nach besten Kräften so zu verhalten, dass Schäden für andere Anrainerstaaten vermieden werden. Durch die Einführung eines zusätzlichen Absatzes wurde ferner das Verhältnis zwischen dem No-Signijicant-Harm-Prinzip und dem Equitable-Utilization-Prin110 Zu den Wassernutzungskonflikten an Euphrat und Tigris insbesondere in Zusammenhang mit dem sog. "GAP"-Projekt der Türkei in Südostanatolien vgl. z. B. Epiney, Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 ff.; Reimann, Süßwasserressourcen, S. 336 ff. 111 Draft Articles on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses, in: United Nations (Hrsg.), YBll..C 1991, Bd. n/2, 1994, S. 66 ff. 112 Draft Articles on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses, Artic1e 8 (Obligation not to cause appreciable harm) - Commentray, in: United Nations (Hrsg.), YBll..C 1988, Bd. n/2, 1990, S. 22 (36), Para. 2. 113 Draft Artic1es on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses, in: United Nations (Hrsg.), YBll..C 1994, Bd. n/2, 1997, S. 89 ff.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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zip modifiziert 114• Diese Modifikation blieb auch in der endgültigen Fassung des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Gewässerbelastungen durch Art. 7 Abs. 2 UN-Gewässerübereinkommen erhalten: "Where significant hann nevertheless is caused to another watercourse State, the States whose use causes such hann shall, in the absence of agreement to such use, take all appropriate measures, having due regard for the provisions of Article 5 and 6, in consultation with the affected State, to eliminate or mitigate such hann and, where appropriate, to discuss the question of compensation." Diese Kompromissformel sucht die beiden widerstreitenden Grundprinzipien des internationalen Gewässerrechts miteinander zu versöhnen, indem das Schädigungsverbot insbesondere durch Verweis auf das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung (,,having due regard for the provisions of Article 5 and 6") relativiert wird. Demzufolge stellen erhebliche grenzüberschreitende Belastungen nicht mehr per se eine unausgewogene und damit verbotene Gewässernutzung dar, sondern sind vielmehr ein Kriterium unter anderen, das im Rahmen einer umfassenden Abwägung zu berücksichtigen ist. Daher spricht vieles für die Schlussfolgerung, dass im Rahmen des UN-Gewässerübereinkommens letztlich das Equitable-Utilization-Prinzip den Vorrang gegenüber dem No-SignijicantHann-Prinzip errungen hat l15 • Keinesfalls kann jedoch aus dem UN-Gewässerübereinkommen allgemein ein gewohnheitsrechtIich anerkannter Vorrang des Gebots der ausgewogenen Mitnutzung vor dem Verbot erheblicher Gewässerbelastungen abgeleitet werden 116•

ill. Bewertung kompetenzwahrender Regelungsansätze Die beiden klassischen Grundprinzipien des internationalen Gewässerrechts haben sich aus dem Bedürfnis heraus entwickelt, die aufgrund der intensivierten Nutzung grenzübergreifender Gewässer zunehmenden Interessenkonflikte zwischen Anrainerstaaten zu lösen. Im Vordergrund stand dabei die Nutzung der Kulturfunktionen von Gewässern und ihre quantitative Allokation. Die dieser Entwicklung zu Grunde liegende Konfliktkonstellation zwischen widerstreitenden Nutzungsinteressen von Ober- und Unterliegerstaaten hat auch die Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen dem Equitable-Utilization-Prinzip einerseits und dem No-Signijicant-Hann-Prinzip andererseits bei der Ausarbeitung des UN-Gewässerübereinkommens dominiert. 114 1994 ILC Draft Articles, Art. 7 Abs. 2: "Where, despite the exercise of due diligence, significant harm is caused to another watercourse State, the State whose use causes the harm shall, in the absence of agreement to such use, consult with the State suffering such harm over: (a) The extent to which such use is equitable and reasonable taking into account the factors listed in article 6; (b) The question of ad hoc adjustments to its utilization, designed to eliminate or mitigate any such harm and, where appropriate, the question of compensation." 115 Ebenso McCaffrey, UN Convention, S. 17 (22); a.A. Kokott, Süßwasser, S. 177 (I 95). 116 Bruha I Maaß, Süßwasserressourcen, S. 69 (86 f.).

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Angesichts der wachsenden Problematik grenzüberschreitender Gewässerbelastungen ist jedoch auch nach der Bedeutung beider Prinzipien für den Schutz von Süßwasserökosystemen zu fragen. In dieser Hinsicht wird allgemein das nachbarrechtliche Schädigungsverbot im Vergleich zum Gebot der ausgewogenen Mitnutzung als das tauglichere Instrument angesehen 117. So bietet das inhaltlich unbestimmte und kaum kalkulierbare Equitable-Utilization-Prinzip für sich genommen keinerlei Gewähr dafür, dass ökologische Gesichtspunkte im Rahmen der Abwägung mit prinzipiell gleichrangigen ökonomischen oder sozialen Faktoren angemessen berücksichtigt werden 11 8. Dieser dem Abwägungsgebot immanenten Schwäche versucht das UN-Gewässerübereinkommen zwar insofern zu begegnen, als zum einen das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 generell an das Nachhaltigkeitserfordernis gebunden ist ll9 und zum anderen Teil IV UN-Gewässerübereinkommen (Protection, Preservation and Management - Art. 20 ff.) spezifische Umweltschutzvorschriften enthält l20 • In seiner gewohnheitsrechtlieh entwickelten Grundform vermag das Gebot jedoch prinzipiell auch erhebliche grenzüberschreitende Gewässerbelastungen im Rahmen einer Gesamtschau mit weiteren Faktoren zu rechtfertigen. Im Vergleich zum inhaltlich offenen und stark wertungsabhängigen EquitableUtilization-Prinzip erscheint das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Belastungen auf den ersten Blick in der Tat für den ökologischen Schutz von Gewässern geeigneter zu sein. Selbst wenn es jedoch gelänge, greifbare Kriterien für die Bestimmung der maßgeblichen Erheblichkeitsschwelle zu entwickeln, ist das Verbot für sich genommen aus ökologischer Sicht unzureichend. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang zum einen, ob und inwieweit Anrainerstaaten grenzüberschreitende Beeinträchtigungen der auf ihrem Territorium gelegenen Gewässerökosysteme als Verletzung ihrer Integritätsinteressen und mithin als Schaden im Sinne des No-Signijicant-Harm-Prinzips auffassen. Zum anderen ist auf den potentiell weiten Schadensbegriff des No-Signijicant-Harm-Prinzips zu verweisen, der nicht nur die Naturfunktionen, sondern - den nutzungsbezogenen Ursprüngen des Prinzips entsprechend - grundsätzlich auch alle Kulturfunktionen eines Gewässers umfasst l21 • Insofern ist es denkbar, dass Staaten auch ökologisch schädliche Gewässernutzungen (übermäßige Wasserentnahme, Bau von Staudämmen usw.) gegenüber konkurrieEbd., S. 69 (87). Bimiel Boyle, Environment, S. 310. 119 S.o. Das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreiJender Gewässer 3. Kapitel, B. I. 120 Von den in Teil IV UN-Gewässerübereinkommen kodifizierten Normen sind insbesondere zu nennen: Art. 20 (Protection and preservation 0/ ecosystems), Art. 21 (Prevention, reduction and control 0/ pollution), Art. 22 (Introduction 0/ aUen or new species) sowie Art. 23 (Protection and preservation 0/ the 11UJrine environment). Hierzu Bimie I Boyle, Environment, S. 313 ff.; McCajJrey, UN Convention, S. 17 (23 ff.); Tanzi I Arcari. International Watercourse Convention, S. 225 ff. 121 Kokott, Süßwasser, S. 177 (195). 117

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3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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renden Nutzungsansprüchen anderer Anrainerstaaten unter Berufung auf das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Beeinträchtigungen rechtfertigen. Insgesamt haben sich das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung und das nachbarrechtliche Schädigungsverbot als unzureichend erwiesen, der zunehmenden Zerstörung grenzübergreifender Gewässerökosysteme adäquat zu begegnen. In ihren gewohnheitsrechtlichen Grundformen stellen sie mangels hinreichender Bestimmtheit keine eindeutigen Kriterien zur Verfügung, anband derer das Verhalten von Staaten ausgerichtet bzw. Volkerrechtsverletzungen festgestellt und mit Sanktionen geahndet werden könnten 122 • Wie die Schadenszentriertheit des No-SigniJicant-Hann-Prinzips verdeutlicht, ist Gewohnheitsrecht im Bereich des völkerrechtlichen Umwelt- und Gewässerschutzes zudem tendenziell repressiv 123 , obgleich angesichts potentiell irreversibler Umweltschäden oftmals präventive Schutzmaßnahmen erforderlich sind J24. Der gravierendste Mangel jedoch, der beiden Grundprinzipien des internationalen Gewässerrechts unabhängig davon anhaftet, ob ihre Geltung gewohnheitsrechtlich oder völkervertraglich anerkannt ist, besteht darin, dass sie von ihrem Ursprung und Grundansatz her primär auf die Nutzung der Kultur- und nicht auf den Schutz der Naturfunktionen grenzübergreifender Gewässer ausgerichtet sind. Im Fokus sowohl des Equitable-Utilization-Prinzips als auch des No-SigniJicant-Hann-Prinzips stehen die individuellen Interessen der einzelnen Anrainerstaaten, ihre souveränitätsrechtlich begründeten Kompetenzen in Bezug auf ein grenzübergreifendes Gewässer möglichst weitgehend zu bewahren. Das Regelungsinteresse beider Prinzipien liegt primär im Ausgleich konkurrierender Interessen und damit einhergehend in der Abgrenzung von Souveränitäts- und Kompetenzsphären, um auf diese Weise die friedliche Koexistenz der Anrainerstaaten zu ermöglichen l2S • Dieser kompetenzwahrende Ansatz ist ausschließlich auf Interessengegensätze fixiert und daher blind für die gemeinsamen Interessen, die alle Anrainerstaaten am Schutz grenzübergreifender Gewässer haben J26• 122 Dellapenna, Treaties as InstrunJents for Managing Internationally-Shared Water Resources: Restricted Sovereignty vs. Comrnunity ofProperty, in: CWRJIL, 1994, S. 27 (34 f.). 123 GrafVitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, Rn. 91. 124 Zum präventiven Gewässerschutz s.u. Das Vorsor;ge- und das Vorbeugeprinzip 4. Kapitel, E. ll. 1. 125 Grundlegend zur Entwicklung vom Koexistenz- zum Kooperationsvölkerrecht Friedmann, The Changing Structure of International Law, 1964, S. 60 ff. V gl. ferner Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, Rn. 20; Woifrum, Entwicklung des Völkerrechts von einem Koordinations- zu einem Kooperationsrecht, in: Müller-Graff / Roth (Hrsg.), Recht und Rechtswissenschaft - Signaturen und Herausforderungen zum Jahrtausendbeginn, 2000, S. 421 ff. Allgemein zum Zusammenhang zwischen zunehmender Interdependenz einerseits und dem dadurch bedingten Wandel zwischenstaatlicher Interessenstrukturen und Rechtsordnungen andererseits Bleckmann, Staats- und Völkerrechtslehre, S. 55 f. und S. 759 ff.; tiers., Völkerrecht, 2001, Rn. 724 ff. Zu koexistenz- und kooperationsrechtlichen Regelungsansätzen bezüglich grenzüberschreitender Gewässer Reimann, Süßwasserressourcen, S. 103 ff.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Verkannt wird dadurch jedoch, dass mit der zunehmend intensiven Gewässernutzung die qualitative und quantitative Regenerationsfabigkeit von Süßwasserökosystemen an ihre Grenzen stößt. Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen beeinträchtigen die Nutzbarkeit von Süßwasserressourcen durch die einzelnen Anrainerstaaten. Gewässerrechtliche Prinzipien, die sich auf die kompetenzwahrende Abgrenzung von Souveränitätssphären beschränken, verlieren ihre Fähigkeit zur Verwirklichung einzelstaatlicher Interessen. Allmählich wandelt sich das Regelungsinteresse der Anrainerstaaten weg von der möglichst maximalen Nutzung der Kulturfunktionen hin zu einem ressourcenökonomisch motivierten Schutz der Naturfunktionen von Gewässern. Die zunehmende Interdependenz der Anrainerstaaten in Bezug auf Nutzung und Schutz des grenzübergreifenden Gewässers führt zur Bildung gemeinsamer Interessen. Je mehr sich die aus der territorialen Souveränität abgeleitete formale Rechtsposition des einzelnen Anrainerstaates über den auf seinem Staatsgebiet gelegenen Teil eines grenzübergreifenden Gewässers real als ineffektiv zur Interessenverwirklichung erweist, desto größer wird der Zwang zur diesbezüglichen Kooperation l27 .

c. Kooperation: Partieller Gewässerschutz Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets

Besteht zwischen den Anrainerstaaten eine hinreichende Schnittmenge kongruenter bzw. gemeinsamer Interessen bezüglich Nutzung und Schutz von Süßwasserressourcen, so werden sie sich verstärkt zu einem teilweisen Souveränitätsverzicht im Rahmen zwischenstaatlicher Kooperation bereit finden, sofern dem keine anderweitigen Kooperationshemmnisse entgegenstehen 128. Der völkerrechtlich nicht definierte Begriff der "Kooperation" soll in diesem Zusammenhang als koordiniertes Handeln mehrerer Staaten verstanden werden, mit dem die Verwirklichung gemeinsamer Interessen und Ziele angestrebt wird l29 . Hauptinstrument zur Begründung und Ausgestaltung zwischenstaatlicher Kooperation ist auch im gewässerrechtlichen Bereich der völkerrechtliche Vertrag. Der vergleichsweise frühen vertraglichen Regelung schifffahrtsrechtlicher Fragen 130 folgten erst mit zeitlicher 126 Brunnee I Toope, Environmental Security and Freshwater Resources: A Case for international Ecosystem Law, in: YBIEL, 1994, S. 41 (53 f.); dies., Environmental Security and Freshwater Resources: Ecosystem Regime Building, in: AJIL, 1997, S. 26 (38). 127 S.o. Regelungsinteresse: Grenzüberschreitende Gewässerbeiastungen - 2. Kapitel. 128 S.o. Zwischenstaatliche Interdependenz und kollektiver Regelungsbedarj - 2. Kapitel, C. ll. Allgemein zur Definition des Begriffs "Kooperations völkerrecht " Bleckmann, Staatsund V61kerrechtslehre, S. 761 f. 129 In diesem Sinne auch Wolfrum, Von einem Koordinations- zu einem Kooperationsrecht, S. 421 (425). 130 S.o. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei navigatorischen Nutzungen - 3. Kapitel, A.ll.2.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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Verzögerung völkerrechtliche Verträge hinsichtlich der nicht-navigatorischen Nutzung von Kultur- und dem Schutz von Naturfunktionen grenzübergreifender Gewässer. Zwar enthielten zwischenstaatliche Vereinbarungen bereits im 19. Jahrhundert vereinzelt Bestimmungen hinsichtlich quantitativer 131 und qualitativer 132 Aspekte grenzüberschreitenden Gewässerschutzes, aber erst ab dem frühen 20. Jahrhundert ist aufgrund der steigenden Beanspruchung und Belastung von Gewässern eine Zunahme völkervertraglicher Instrumente festzustellen, die ein ressourcenökonomisch motiviertes Regelungsinteresse der Staaten am Schutz der Naturfunktionen gemeinsam genutzter Süßwasserressourcen zum Ausdruck bringen. Auf dem nordamerikanischen Kontinent schuf u. a. bereits der Boundary Waters Treaty vom 11. Januar 1909 133 mit der Errichtung der International Joint Commission einen institutionellen Rahmen für die Kooperation zwischen den USA und Kanada bezüglich Nutzung und Schutz ihrer Grenzgewässer 134 • Im Gegensatz dazu behinderte in Europa die durch die beiden Weltkriege geprägte gesamtpolitische Lage in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Entstehung völkerrechtlich fundierter Zusammenarbeit auch im Bereich des Gewässerschutzes. Während die anschließende Teilung des Kontinents in West und Ost während des Kalten Krieges bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 ein unüberwindbares Kooperationshindernis hinsichtlich grenzüberschreitender Flüsse wie Donau, EIbe und Oder darstellte, schuf in Westeuropa die politische Stabilität der Nachkriegsära günstigere Voraussetzungen für die Entwicklung internationalen Gewässerschutzes. Beispielhaft für die allmähliche Herausbildung entsprechender Volkerrechtsnormen ist die Zusammenarbeit der Staaten des Rheineinzugsgebiets nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der eine Vorreiterrolle bezüglich des grenzübergreifenden Gewässerschutzes in Europa zugeschrieben werden kann. Sie zeichnete sich zunächst durch die Regelung einzelner, als besonders dringlich empfundener Aspekte grenzüberschreitender Belastungen von Oberflächengewässern aus und ist insofern durch einen partiellen Regelungsansatz geprägt, der bis zu einer Neuorientierung Ende der 1980er-Jahre das internationale Gewässerschutzrecht in Europa kennzeichnete. Im Folgenden wird am Beispiel des Rheineinzugsgebiets die Entwicklung partieller 131 Vgl. z. B. den Vertrag von Den Haag zwischen den Niederlanden und Belgien zur Regelung der Aufteilung des Wassers der Maas vom 12. Mai 1863, Text in: Robb (Hrsg.), International EnvironmentaI Law Reports, S. 572 ff. 132 Vgl. z. B. den Grenzvertrag von Bayonne zwischen Frankreich und Spanien vom 26. Mai 1866, Text in: crs, Bd. 132, S. 359 ff.; Bruhac, International Watercourses, S. 194 m.w.N. 133 Treaty between the United States and Great Britain Respecting Boundary Waters between the United States and Canada vom 11. Januar 1909, Text in: AJIL, 1910, Supplement (Official Documents), S. 239 ff. 134 Vgl. u. a. Huber; Internationales Wasserrecht, in: Schweizerische Wasserwirtschaft, 1911, S. 1 (6 ff.); Utton. Canadian International Waters, in: Beck (Hrsg.), Waters and Water Rights, Bd. 5, 1991, S. 51 ff.; Brown Weiss u. a.. International EnvironmentaI Law and Policy, 1998, S. 604 ff.; Hunter/Salzman/Zaelke. International EnvironmentaI Law and Policy, S. 845 ff.; Beyerlin. Umweltvölkerrecht, § 11, Rn. 210 f.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Kooperationsformen bezüglich grenzüberschreitender Gewässerbelastungen in ihren wesentlichen Grundzügen herausgearbeitet. I. Ausprägungen partiellen Gewässerschutzes im Rheineinzugsgebiet (1950 -1986) Der Rhein entspringt mit seinen Quellflüssen Vorder- und Hinterrhein in den Schweizer Alpen, durchfließt den Bodensee und mündet nach 1.320 km in die Nordsee. In seinem Einzugsgebiet von ca. 185.000 km2 - das sich über das Territorium von neun Staaten erstreckt (Italien, Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Niederlande)135 -leben insgesamt 50 Millionen Menschen, von denen 20 Millionen ihr Trinkwasser aus dem Rhein beziehen. Von Alters her bildet der Rhein mit seinen Nebenflüssen wie Aare, Ill, Neckar, Main, Mosel, Saar und Ruhr eine wichtige Lebensader des europäischen Kontinents, die im Verlauf der Jahrhunderte immer stärker als Schifffahrtsweg, Nahrungs- und Trinkwasserquelle, zur Wasserentnahme und Abwassereinleitung von Landwirtschaft bzw. Industrie genutzt wurde 136. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden Flussbett und -verlauf, Ufer und Auen des Rheins im Rahmen der von Johann Gottfried Tulla konzipierten ,,Rheinkorrektion" durch Begradigungen, Kanalisierungen und Eindeichungen stark verändert und weitgehend denaturiert. Die erhöhte Fließgeschwindigkeit des Flusses und der Verlust von Überschwemmungsflächen ließ das Hochwasserrisiko anwachsen. Querbauwerke wie Schleusen und Wasserkraftwerke resultierten in einer künstlichen Trennung von Flussabschnitten, deren negative Auswirkung 137 auf das Gesamtökosystem des Rheins beispielsweise durch den Verlust der gesamten Lachspopulation sichtbar wurde, obwohl diese bereits seit 1885 durch ein Übereinkommen über die Lachsfischerei völkerrechtlich geschützt gewesen war 138 • Zudem erhöhten Bevölkerungswachs13S s.u. Karte: Grenziibergreijende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl). Ca. l00.()()() km 2 des Rheineinzugsgebiets liegen in Deutschland, jeweils ca. 20.()()() bis 30.()()() km2 in der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden, und jeweils ca. 2.500 km2 in Österreich und Luxemburg. Die Staatsgebiete Italiens, Liechtensteins und Belgiens haben nur einen sehr geringen Flächenanteil am Gesamteinzugsgebiet des Rheins. Schulte-Wülwer-Leidig / Wieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein. Entwicklung eines ganzheitlichen, nachhaltigen Gewässerschutzes in internationaler Kooperation, in: Barandat (Hrsg.), Wasser Konfrontation oder Kooperation. Ökologische Aspekte von Sicherheit am Beispiel eines weltweit begehrten Rohstoffs, 1997, S. 298. 136 Zur navigatorischen Nutzung des Rheins s.o. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei navigatorischen Nutzungen - 3. Kapitel, A. ll. 1. Allgemein zur historischen Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den Rheinanliegerstaaten vgl. da Silval da Silva, Gewässerbewirtschaftung, S. 325 (349 ff.). 137 Zu den ökologischen Folgen dieser Gewässerbelastungen s.o. Veränderung der Gewässermorphologie undHochwasser-1. Kapitel, B. lli. 1. a) und b). 138 Vertrag betreffend die Regelung der Lachsfischerei im Stromgebiet des Rheins vom 30. Juni 1885 zwischen der Schweiz, Deutschland, Luxemburg und den Niederlande, Text in: RGBl. 1886, S. 192 ff.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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tum und wirtschaftlicher Aufschwung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Schadstoffbelastung in einem zuvor nie gekannten Ausmaß, was zu Toxizität, Versalzung, Eutrophierung und Sauerstoffmangel des Rheinwassers führte139 und dem Fluss den traurigen Ruf der ,,romantischsten Kloake Europas" eintrug. 14O Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Gewässerbelastungen wurde immer deutlicher, dass einseitige Bemühungen einzelner Staaten zum Schutz des Rheins und seiner Zuflüsse nicht erfolgversprechend waren. Im Laufe der 1950erund 1960er-Jahre kam es daher zur Einrichtung internationaler Fluss- bzw. Gewässerschutzkommissionen für den Rhein, seine gren,züberschreitenden Nebenflüsse Mosel und Saar sowie für den Bodensee l41 .

1. Völkerrechtliche Instrumente zum Schutz des Rheins a) Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR) Um der weiteren Verschlechterung der Wasserqualität des Rheins entgegenzuwirken, ergriffen im Jahr 1950 die Niederlande, die als Unterlieger besonders von den vielfältigen grenzüberschreitenden Belastungen des Rheins betroffen waren, die Initiative zur Bildung der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR). Diesem zunächst informellen Gremium der Rheinanliegerstaaten Schweiz, Frankreich, Deutschland, Luxemburg und der Niederlande wurde am 29. April 1963 durch die Unterzeichnung der am 1. Mai 1965 in Kraft getretenen Berner Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR-Vereinbarung)142 eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage gegeben. Später trat aufgrund einer am 3. Dezember 1976 unterzeichneten und am 1. Februar 1979 in Kraft getretenen Zusatzvereinbarung die damalige Europäische Wtrtschaftsgemeinschaft (EWG) als weitere Vertragspartei hinzu l43 . s.o. Chemische Gewässerbelastungen - 1. Kapitel, IV. 2. IKSR (Hrsg.), Zustand des Rheins gestern - heute - morgen, 2001, S. 2; Nollkaemper; The River Rhine: from Equal Apportionment to Ecosystem Protection, in: RECIEL, 1996, S. 152 (153); Schulte-Wülwer-Leidig I Wieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (299 f.). 141 Allgemein zur geschichtlichen Entwicklung des internationalen Schutzes des Rheins vgl. Dieperink, The Clean-up of the Rhine as a Successful International Effort, in: Baz I Hartje I Scheumann (Hrsg.), Co-operation on Transboundary Rivers, 2002, S. 67 ff. 142 Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung vom 29. April 1963 mit Unterzeichnungsprotokoll, Text in: BGBl. 1965 11, S. 1433 ff. 143 Zusatzvereinbarung zu der am 29. April 1963 unterzeichneten Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung vom 3. Dezember 1976, Text in: BGBl. 197911, S. 87. Zur Beteiligung der damaligen EWG an der IKSR Kamminga, Who Can Clean up the Rhine: The European Community or the Inter139 140

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

In räumlicher Hinsicht ist die IKSR gemäß Art. 1 der IKSR-Vereinbarung für den Schutz des Hauptstroms des Rheins zwischen dem Untersee des Bodensees bis zur Mündung des Flusses in die Nordsee zuständig. Ihr sachlicher Aufgabenbereich umfasst die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Untersuchungen zur Ermittlung von Art, Ausmaß und Ursprung der Verunreinigung des Rheins, die Ausarbeitung von Vorschlägen gewässerschützender Maßnahmen und die Vorbereitung weiterer völkerrechtlicher Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien l44 • Folglich hat die IKSR keine eigene Kompetenz zum Erlass von Maßnahmen, die die Vertragsparteien völkerrechtlich binden würden. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind zudem dadurch beschränkt, dass für die Beschlussfassung der Kommission Einstimmigkeit erforderlich ist l4s . Nach Art. 3 Abs. 1 der IKSRVereinbarung setzt sich die IKSR aus den Delegationen der Vertragsparteien bestehend aus jeweils höchstens vier Mitgliedern zusammen, die einmal jährlich zu einer ordentlichen Tagung zusammentreten l46 • Grundsätzlich steht jeder Vertragspartei eine Stimme ZU 147 , wobei zu berücksichtigen ist, dass die EWG bzw. EG bei Fragen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, für ihre Mitgliedstaaten abstimmt 148 . Die IKSR kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben Sachverständige l49, wissenschaftliche Institutionen 1so und "besonders geeignete Persönlichkeiten"lsl hinzuziehen sowie gemäß Art. 7 der IKSR-Vereinbarung für die Bearbeitung bestimmter Themenbereiche Arbeitsgruppen einsetzen. Ferner ist die Zusammenarbeit der IKSR mit weiteren zwischenstaatlichen Kommissionen für den Rhein und seine Zuflüsse sowie mit anderen Gewässerschutzorganisationen vorgesehen I S2. Zum Sitz des Sekretariats der IKSR wurde durch das Unterzeichnungsprotokoll der Vereinbarung Koblenz bestimmt. Nachdem sich in den ersten beiden Jahrzehnten die IKSR ganz auf den Aufbau eines Messnetzes zur Überwachung der Wasserqualität des Rheins konzentriert und den dramatischen Anstieg der Gewässerbelastung verfolgt hatte, ohne aber Maßnahmen hinsichtlich der stetig zunehmenden Verschmutzungsproblematik erarbeitet zu haben, verlagerten sich ab 1972 die Aktivitäten zum Schutz des Rheins auf die politische Ebene der zuständigen Fachminister der IKSR-Vertragsparteien, die seither in regelmäßigen Konferenzen zusammentreten (sog. ,,Rhein-Ministerkonferenzen"). Sie erteilten der IKSR den Auftrag, drei völkerrechtliche Übereinnational Rhine Comrnission?, in: Zacklin/Caflisch (Hrsg.), The Legal Regime of International Rivers and Lakes, 1981, S. 371 (379 ff.). 144 IKSR-Vereinbarung, Art. 2 Abs. 1lit. abis lit. c. 145 Ebd., Art. 6 Abs. 3 i.d.F. der Zusatzvereinbarung vom 3. Dezember 1976. 146 Ebd., Art. 5 Abs. 1. 147 Ebd., Art. 6 Abs. 1. 148 Ebd., Art. 6 Abs. 2 i.d.F. der Zusatzvereinbarung vom 3. Dezember 1976. 149 Ebd., Art. 3 Abs. 2. 150 Ebd., Art. 8. 151 Ebd., Art. 9. 152 Ebd., Art. 10.

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kommen vorzubereiten, die der Bekämpfung der thermischen und chemischen Belastung des Rheins sowie seiner Versalzung durch Chloride dienen sollten. Während eine vertragliche Regelung der Wlirmebelastung l53 angesichts des vermehrten Baus von Kühltürmen für Kraftwerke und Industrieanlagen zunehmend für entbehrlich gehalten wurde und man diesbezügliche Arbeiten 1989 endgültig einstellte, mündeten die Verhandlungen bezüglich der Verunreinigung des Rheins mit chemischen Schadstoffen und Chloriden am 3. Dezember 1976 in der Unterzeichnung entsprechender völkerrechtlicher Übereinkommen. lS4 b) Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung Das am 1. Februar 1979 zwischen den IKSR-Vertragsparteien einschließlich der EWG völkerrechtlich in Kraft getretene Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung (Rhein-Chemie-Übereinkommen)155 strebt die Verbesserung der Wasserqualität des Rheins durch die Verminderung oder völlige Beendigung der Ableitung bzw. Emission bestimmter Schadstoffe an 156. Zu diesem Zweck folgt das völkerrechtliche Rhein-Chemie-Übereinkommen im Wesentlichen dem Regelungsansatz der gemeinschaftsrechtlichen Gewässerschutz-Richtlinie vom 4. Mai 1976 151 , indem es zwischen zwei Schadstoffgruppen mit unterschiedlichem Gefährdungspotential für die Wasserqualität unterscheidet. Gemäß Art. 1 Abs. 1 des Rhein-Chemie-Übereinkommens ist zum einen die Ableitung von Schadstoffen, die nach Anhang I (sog. "schwarze Liste")158 insbesondere aufgrund ihrer Toxizität, Langlebigkeit oder Bioakkumulation als besonders gewässerschädigend einzustufen sind, schrittweise unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der "verfügbaren technischen Mittel" vollkommen zu bes.o. Thermische Gewässerbelastung - 1. Kapitel, B. m. 1. d). Beyerlin, Rhein, in: Kimminich/von LersnerlStonn (Hrsg.), HdUR, Bd. 11, 1994, Sp. 1724 (1725 f.); Kiss. Tbe Protection of the Rhine Against Pollution, in: Utton/Teclaff (Hrsg.), Transboundary Resources Law, 1987, S. 51 (60); Schulte-Wülwer-LeidigIWieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (301). 155 Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung vom 3. Dezember 1976, Text in: BGBl. 1978 11, S. 1054 ff. Hierzu u. a. Lammers, Pollution, S. 187 ff. 156 Für eine eingehende Darstellung des Emissionsansatzes s.u. Das Emissionsprinzip 4. Kapitel, F. 11. 1. 157 Richtlinie 76/464/EWG des Rates vom 4. Mai 1976 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft, Text in: ABlEG Nr. L 129 vom 18. Mai 1976, S. 23 ff. S.u. Hintergrund: Die Entwicklung des europarechtlichen Gewässerschutzes (1973 - 2000) - 5. Kapitel, A. 158 Anhang I des Rhein-Chemie-Übereinkommens zählt hierzu organische Halogen-, Phosphor- und Zinnverbindungen, krebserregende Stoffe, Quecksilber und Quecksilberverbindungen, Kadmium und Kadmiumverbindungen. Mineralöle und beständige Kohlenwasserstoffe. 153

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seitigen (sog. phasing-out). Zum anderen muss die Ableitung der in Anhang 11 (sog. "graue Liste")159 genannten Stoffe zumindest verringert werden. l60 Hierzu stellt das Rhein-Chemie-Übereinkommen für die Ableitung beider Schadstoffkategorien das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung durch die zuständigen nationalen Behörden der Vertragsparteien auf, die individuelle Emissionsgrenzwerte 161 festzusetzen haben 162. Im Falle von Schadstoffen der "schwarzen Liste" sind regelmäßig nationale Bestandsaufnahmen entsprechender Ableitungen in die oberirdischen Gewässer des Rheineinzugsgebiets vorzunehmen und der IKSR mitzuteilen 163. Die in den Genehmigungen enthaltenen Emissionsgrenzwerte dürfen die Werte nicht überschreiten, die auf Vorschlag der IKSR für die einzelnen Stoffe unter Berücksichtigung der besten verfügbaren Technologien durch einstimmige Annahme der Vertragsparteien völkerrechtsverbindlich festgelegt werden 164. Im Gegensatz dazu verbleibt die Regelungskompetenz für Stoffe aus Anhang 11 ganz auf nationaler Ebene. Bezüglich dieser zweiten Schadstoffkategorie verpflichtet das Rhein-Chemie-Übereinkommen die Vertragsparteien lediglich, nationale Programme aufzustellen, die sie im Rahmen der IKSR mit dem Ziel einer gegenseitigen Abstimmung zu beraten haben 165 . Diese nationalen Programme haben für Stoffe der "grauen Liste" u. a. Ziele für die Qualität des Rheinwassers zu enthalten, an denen die in den individuellen Ableitungsgenehmigungen festzulegenden Emissionsnormen auszurichten sind l66 . Die Vertragsparteien sind verpflichtet, die nach dem Rhein-Chemie-Übereinkommen relevanten Ableitungen zu kontrollieren und die Belastung des Rheinwassers mit den Stoffen der schwarzen und grauen Liste zu messen. Hierüber haben sie der IKSR jeweils jährlich Bericht zu erstatten, die dann die Zusammenfassung der Kontrollergebnisse in einem Jahresbericht veröffentlicht 167. Abgesehen von dem im Rhein-Chemie-Übereinkommen angelegten Genehmigungsverfahren für die reguläre Stoffableitung sind die Vertragsparteien zudem 159 Anhang 11 des Rhein-Chemie-Übereinkommens nennt spezifische Metalle bzw. Metalloide und ihre Verbindungen, Biozide, geschmacks- und geruchsbeeinträchtigende Stoffe, organische Siliziumverbindungen, Phosphor und anorganische Phosphorverbindungen, nichtbeständige Mineralöle und Kohlenwasserstoffe, Zyanide, Auoride und Stoffe mit negativen Auswirkungen auf die Sauerstoffbilanz des Gewässers. 160 Zu den ökologischen Auswirkungen dieser Stoffe s.o. Chemische Gewässerbelastungen - 1. Kapitel, B. ffi. 2., insbesondere Toxizität - 1. Kapitel, B. ffi. 2. a) ee) und Einzelne Schadstoffgruppen - 1. Kapitel, B. ffi. 2. b). 161 Zum Begriff ,,Emissionsgrenzwert" s.u. Emissionsgrenzwerte - 4. Kapitel, F. 11. 1. a) bb) (1). 162 Rhein-Chemie-Übereinkommen, Art. 3 Abs. 1 (Stoffe nach Anhang I) und Art. 6 Abs. 4 (Stoffe nach Anhang 11). 163 Ebd., Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2. 164 Ebd., Art. 3 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 14 i.V.m. Anhang IV. 165 Ebd., Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3. 166 Ebd., Art. 6 Abs. 5 und Abs. 6. 167 Ebd., Art. 8 und Art. 9.

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verpflichtet, in Fällen des "plötzlichen erheblichen Ansteigens der Stoffe aus den Anhängen 1 und 11" oder bei Unfällen, deren ,,Auswirkungen geeignet sind, die Güte des Wassers ernstlich zu bedrohen", die IKSR und potentiell betroffene Anrainerstaaten hiervon zu unterrichten 168 • Im Übrigen kann die IKSR - ihrer beratenden Rolle entsprechend - zum einen Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers vorschlagen, um der Verunreinigung des Rheins vorzubeugen 169 , zum anderen steht es ihr frei, Empfehlungen an die Vertragsparteien zu richten, um die Durchführung des Rhein-Chemie-Übereinkommens zu verbessern 170. Für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung oder Durchführung des Übereinkommens stellt Art. 15 LV.m. Anhang B des Rhein-Chemie-Übereinkommens ein Schiedsverfahren zur Verfügung. Bei seiner Umsetzung konnte das Rhein-Chemie-Übereinkommen die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllen: ,,[I]t soon became c1ear that this was a regulatory failure,,171. Als besonders schwierig erwies sich die detaillierte Festsetzung von Grenzwerten der "schwarzen Liste" im Rahmen der IKSR, die für jeden einzelnen Stoff eine Vertragsänderung nach einstimmiger Annahme durch die Vertragsparteien verlangte. Der diesbezügliche Verhandlungs- und Ratiftkationsprozess war zu schwerfällig und langwierig, um den ökologischen Erfordernissen und dem technischen Fortschritt gerecht werden zu können. Koordinationsschwierigkeiten mit dem parallel verlaufenden und vergleichbar mühsamen Festsetzungsverfahren von Emissionsgrenzwerten im Rahmen der Gewässerschutz-Richtlinie 76/464/EWG und ein genereller Mangel an politischem Willen trugen dazu bei, dass insgesamt nur für eine relativ geringe Zahl von Stoffen Grenzwerte festgesetzt werden konnten, die sich angesichts der Einleitung immer neuer Stoffe zudem schon bald als technisch veraltet und inadäquat zur Verminderung der chemischen Verunreinigung des Rheins herausstellten. 172

c) Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride Äußerst kontrovers gestalteten sich die Bemühungen der IKSR-Vertragsparteien, die Salzbelastung des Rheins 173 einzudämmen 174• Die Versalzung des Flusses Ebd., Art. 11. Ebd., Art. 7 Abs. 2. 170 Ebd., Art. 12 Abs. 2. 171 Nollknemper, The River Rhine, S. 152 (155). 172 de Villeneuve, Western Europe's Artery: The Rhine, in: NRJ, 1996, S. 441 (450); Nollknemper, The River Rhine, S. 152 (155); Schulte-Wülwer-Leidig I Wieriks. Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (303). 173 Zu den Ursachen und ökologischen Folgen der Salzbelastung von Gewässern s.o. VersaIzung - 1. Kapitel, B. ill. 2. a) dd). 168 169

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durch Chloride ist seit Jahrzehnten ein Hauptstreitpunkt zwischen den Rheinanliegerstaaten, der insbesondere die französisch-niederländischen Beziehungen belastet. Chloride werden durch viele kleine und einige größere Emittenten aller Anrainerstaaten in den Rhein abgeleitet, wobei über ein Drittel der Gesamtbelastung auf die elsässischen Kaligruben Mines DOTrUlniales de Potasse d'Alsace (MDPA) bei Mühlhausen zurückzuführen ist. Bei der Produktion des als Agrardünger eingesetzten Kalis fällt als Abfallprodukt insbesondere Kochsalz (NaCl) in großen Mengen an, das in den Rhein abgeleitet wird. Diese einseitig flussabwärts gerichtete Gewässerbelastung führt zu einer klassischen Ober-Unterlieger-Konstellation, die u. a. die Trinkwassergewinnung in Deutschland und den Niederlanden erheblich beeinträchtigt bzw. verteuert und zur Verseuchung der Sedimentablagerungen im Rotterdamer Hafenbecken beiträgt. Besonders betroffen ist die niederländische Landwirtschaft, die zudem zur Bewirtschaftung ihrer künstlich dem Meer abgetrotzten Anbauflächen auf zusätzliche Süßwasserzufuhr durch den Rhein angewiesen ist, um die Bodenversalzung durch eindringendes Meerwasser auszugleichen. 175 Die politische Brisanz der internationalen Bemühungen, die Salzbelastung des Rheins zu reduzieren, zeigt sich in der Umsetzung des am 3. Dezember 1976 von den IKSR-Vertragsparteien mit Ausnahme der EWG unterzeichneten Übereinkommens zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride (Rhein-Chlorid-Übereinkommen)176, das aufgrund innenpolitischer Widerstände in Frankreich erst zusammen mit einem ergänzenden Briefwechsel zwischen den Vertragsparteien vom 29. April, 4. und 13. Mai 1983 177 am 5. Juli 1985 völkerrechtlich in Kraft treten konnte. Nach seiner Präambel orientiert sich das Rhein-Chlorid-Übereinkommen an der Ziel vorgabe, die Güte des Rheinwassers stufenweise so zu verbessern, dass an der deutsch-niederländischen Grenze der Gehalt von 200 mg 11 Chlorid-Ionen (Cr) nicht überschritten wird I78 • Um durch eine verstärkte Zusammenarbeit der Vertragsparteien die Verunreinigung des Rheins durch Chlorid-Ionen zu bekämpfen 179, sieht das Rhein-ChloridÜbereinkommen insbesondere zwei Vorgehensweisen vor. Zum einen sind nach Art. 3 Abs. 1 alle Vertragsparteien verpflichtet, in ihrem Hoheitsgebiet die erfor174 Zum Verhandlungs- und Ratifizierungsprozess unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Hintergrunde vgl. Bernauer; The International Financing of Environmental Protection: Lessons from the Efforts to Protect the River Rhine against Chloride Pollution, in: Environmental Politics, 1995, S. 369 ff. Ferner Lammers. Pollution, S. 183 ff. 175 Kiss. The Protection ofthe Rhine, S. 152 (154). 176 Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride vom 3. Dezember 1976, Text in: BGBl. 197811, S. 1065 ff. 177 Briefwechsel zwischen der französischen Staats sekretärin für Umweltfragen (Brief vom 29. April 1983) und dem deutschen Bundesminister des Inneren (Brief vom 4. Mai 1983), abgedruckt in: BGBl. 198411, S. 1018. 178 Rhein-Chlorid-Übereinkommen, 4. Erwägungsgrund der Präambel. 179 Ebd., Art. 1 Abs. 1.

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derlichen Maßnahmen "zur Verhinderung einer Steigerung" der im Rheineinzugsgebiet abgeleiteten Chlorid-Ionen-Mengen zu treffen. Hierzu setzt Anhang TI Mittel- und Maximalwerte bezüglich einzelner Stromabschnitte für die zulässigen nationalen Frachten von Chlorid-Ableitungen über 1 kg I sec fest. Zum anderen sieht Art. 2 Abs. 1 die Verringerung der Ableitung von Chlorid-Ionen in den Rhein um zumindest 60 kg I sec im Jahresdurchschnitt vor, was einer jährlichen Entlastung um 630.720 Tonnen entspricht. Dieses Ziel sollte durch die Reduzierung der NaCIAbleitungen der elsässischen Kaligruben in zwei Stufen erreicht werden. Frankreich war nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.Y.m. Anhang I des Übereinkommens ursprünglich verpflichtet, in einer erste Phase 20 kg I sec Chlorid-Ionen für eine Dauer von zehn Jahren zu verringern, indem die gelösten Rückstandssalze der Kaliproduktion in eine speicherfähig Kalkgesteinsschicht bei Mühlhausen in 1.500 bis 2.000 Meter Tiefe eingebracht werden sollten (sog. "Verpressung"). Die hierzu erforderlichen Gesamtkosten von 132 Millionen Französischen Francs sollten von Deutschland (30%), den Niederlanden (34%) und der Schweiz (6%) durch die Zahlung eines Pauschalbetrags an Frankreich mitgetragen werden (Art. 7 Abs. 2). Für die zweite Phase verpflichtete sich Frankreich gemäß Art. 2 Abs. 3, das Gesamtziel einer Chorid-Ionen-Verringerung um 60 kg I sec im Jahresdurchschnitt bis spätesten zum 1. Januar 1980 entweder durch weitere Verpressung im elsässischen Untergrund oder durch andere Mittel zu erreichen. Hinsichtlich der technischen Modalitäten und Kosten der entsprechenden Maßnahmen hat Frankreich gemäß Art. 2 Abs. 4 ein Gesamtkonzept auszuarbeiten, über dessen Finanzierung alle Vertragsparteien beraten 180. Für den Fall, dass erhebliche Gefahren für die Umwelt und insbesondere das Grundwasser auftreten, kann Frankreich das Einbringen oder die Rückhaltung der Chlorid-Ionen vorrübergehend unterbrechen lassen l81 • Das Rhein-Chlorid-Übereinkommen implementiert zudem ein System zur Überwachung der Salzbelastung des Rheins. Demnach verpflichtet Art. 12 die Vertragsparteien, die Chlorid-Ionen-Konzentration im Rheinwasser durch Messungen zu kontrollieren und die Ergebnisse der IKSR mitzuteilen. Stellt die IKSR eine anhaltend steigende Tendenz an Chlorid-Ionen-Frachten oder Chlorid-Ionen-Konzentrationen fest, so ersucht sie die Vertragspartei, in deren Territorium die Ursache dieser Entwicklung liegt, die erforderlichen Gegenmaßnahmen zu ergreifen 182 • Treten hierbei Schwierigkeiten auf, so kann die IKSR sechs Monate nach der Feststellung steigender Chlorid-Verschmutzung auf Antrag einer Vertragspartei einen unabhängigen Sachverständigen beiziehen, um den Regierungen Bericht zu erstatten l83 . Ferner sind die Vertragsparteien verpflichtet, die IKSR und potentiell betroffene Vertragsparteien zu unterrichten, wenn sie ein plötzliches erhebliches Ansteigen von Chlorid-Ionen feststellen oder von einem Unfall Kenntnis erlangen, der geeig180 181

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Ebd., Art. 7 Abs. 3. Ebd., Art. 4. Ebd., Art. 9. Ebd., Art. 10 Abs. 1.

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net ist, die Wasserqualität des Rheins ernstlich zu bedrohen l84. Für den Fall von Streitigkeiten über die Auslegung oder Durchführung des Rhein-Chlorid-Übereinkommens stellt Art. 13 i.V.m. Anhang B den Vertragsparteien ein Schiedsverfahren zur Verfügung, das im Wesentlichen dem des Rhein-Chemie-Übereinkommens entspricht. Das Ratifizierungsverfahren des Rhein-Chlorid-Übereinkommens erwies sich als schwere Belastung der französisch-niederländischen Beziehungen. Elsässische Gemeinden und Umweltschutzgruppen protestierten massiv gegen die vorgesehene Verpressung der Salzrückstände, da sie insbesondere eine Gefährdung der grundwasserabhängigen Trinkwasserversorgung der Region befürchteten l8S . Vor diesem Hintergrund lehnte die französische Nationalversammlung im Dezember 1979 die Ratifizierung des Übereinkommens ab, wodurch sich die Niederlande veranlasst sahen, vorübergehend ihren Botschafter aus Frankreich zurückzubeordern. Unterdessen klagten niederländische Bauern und Wasserversorgungsunternehmen erfolgreich gegen die MDPA und Frankreich vor französischen und niederländischen Gerichten l86 • Erst der Regierungswechsel in Frankreich von 1981 und der ergänzende Briefwechsel zwischen den Vertragsparteien im Jahr 1983 schufen die Voraussetzungen für die französische Ratifizierung des Rhein-Chlorid-Übereinkommens, das schließlich 1985 in modifizierter Form in Kraft trat. Demzufolge verschob man zum einen den Beginn der Chlorid-Verringerung auf einen späteren Zeitpunkt, um dem verspäteten In-Kraft-Treten des Übereinkommens Rechnung zu tragen, zum anderen wurde es Frankreich auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens ermöglicht, die Verpressung der salzhaltigen Rückstände an ökologisch unbedenklichen Orten seines Staatsgebiets vorzunehmen l87 • Die unterirdische Entsorgung blieb jedoch in Frankreich weiter unter ökologischen Gesichtspunkten umstritten. Mit einer völkerrechtlich verbindlichen Erklärung vom 11. Dezember 1986 188 billigten die Vertragsparteien des Rhein-Chlorid-Übereinkommens Frankreich daher zu, der Verpflichtung der ersten Phase ab 5. Januar 1987 zur Verringerung von Chlorid-Ionen um 20 kg / sec im Jahresdurchschnitt auch auf anderem Wege - insbesondere durch die vorläufig oberirdische Lagerung der SalZfÜckstände - nachzukommen. Im weiteren Verlauf lehnten die Niederlande jedoch die von Frankreich 1988 vorgeschlagene Gesamtkonzeption für die zweite Phase der Chlorid-Reduktion ab, wonach bis 1998 die MDPA 60 kg / sec im Jahresdurchschnitt oberirdisch lagern und danach die bis dahin angefallenen Salzrückstände nach und nach wieder in Ebd., Art. 11. S.o. Boden- und Grundwasser-I. Kapitel, B. 11.3. c). 186 Hierzu umfassend Lammers, Pollution, S. 196 ff.; Kiss, The Protection of the Rhine, S. 51 (71 ff.); de Villeneuve, The Rhine, S. 441 (447 f.). 187 Beyerlin, Rhein, Sp. 1724 (1727). 188 Erklärung vorn 11. Dezember 1986 der Delegationsleiter der Regierungen, die Vertragsparteien der Vereinbarung vorn 29. April 1963 über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung sind, Text in: BGBI. 198911, S. 1046 f. 184

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den Rhein ableiten sollte. Schließlich einigten sich die Vertragsparteien im Rahmen eines Zusatzprotokolls zum Rhein-Chlorid-Übereinkommen vom 25. September 1991 189 auf eine deutlich veränderte Konzeption. Der nach langwierigen Verhandlungen erzielte Kompromiss soll nach dem in der Präambel des Zusatzprotokolls zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragsparteien des Rhein-Chlorid-Übereinkommens "eine abschließende internationale Regelung der Reduzierung der Chloridbelastung des Rheins" darstellen, da "weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Chloridfracht des Rheins auf der gesamten Rheinstrecke weder ökologisch notwendig noch aus technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten vertretbar sind"l90. Diese abschließende Regelung besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: Erstens verpflichtete sich Frankreich gemäß Art. 1 Nr. 1 des Zusatzprotokolls, in den Zeiten, in denen die Chloridkonzentration des Rheins an der deutsch-niederländischen Grenze den Orientierungswert von 200 mg /1 überschreitet, zusätzlich zu der seit dem 5. Januar 1987 stattfindenden Reduzierung um 20 kg/sec Chlorid-Ionen eine weitere ,,regulierende Reduzierung" auf französischem Hoheitsgebiet entsprechend Anhang I des Zusatzprotokolls durchzuführen. Die durch die regulierende Reduzierung anfallenden Chloridmengen werden vorübergehend oberirdisch gelagert und können gemäß Art. 2 nach Verringerung der Produktion der MDPA und gemäß den von den Vertragsparteien auf der Basis eines Vorschlags der IKSR später festzulegenden Modalitäten in ökologisch vertretbarer Weise in den Rhein eingeleitet werden - allerdings unter Beachtung des Orientierungswerts von 200 mg /1 Chlorid-Ionen an der deutschniederländischen Grenze und der im Jahresmittel zulässigen nationalen ChloridIonen-Fracht Frankreichs gemäß Anhang II des Rhein-Chlorid-Übereinkommens. Im Gegenzug verpflichten sich die Niederlande nach Art. 3 i. V.m. Anhang 11 des Zusatzprotokolls, dadurch auf eigenem Staatsgebiet Maßnahmen zur Begrenzung der Chloridbelastung im zur Trinkwassergewinnung genutzten Usselmeer zu treffen, dass das salzhaltige Wasser des Wieringermeerpolders nicht mehr ins Usselmeer, sondern ins Wattenmeer abgeleitet wird. Auf diese Weise wird die Notwendigkeit von Chlorid-Reduktionen insbesondere durch die MDPA verringert, was Frankreich und den Niederlanden letztlich als die kostengünstigere Lösung erschien. 191 2. Völkerrechtliche Instrumente zum Schutz von Mosel und Soor Die internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung grenzüberschreitender Gewässerbelastungen im Rheineinzugsgebiet beschränkt sich nicht auf den Hauptwas189 Zusatzprotokoll vom 25. September 1991 zum Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride, unterzeichnet am 3. Dezember 1976 in Bonn, Text in: BGBL 199411, S. 1303 Cf. 190 Ebd., 5. und 6. Erwägungsgrund der Präambel. 191 Vgl. Bernauer. International Financing, S. 369 (380 Cf.); Nollkaemper; The River Rhine, S. 152 (154).

10 Reichert

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

serlauf des Rheins zwischen Bodensee und NordseemÜDdung. Vielmehr wurden in den friihen 1960er-Jahren auch für den Bodensee sowie für Mosel und Saar internationale Kommissionen gebildet, in deren Rahmen seitdem der Gewässerschutz sowohl zwischen den jeweiligen Anrainerstaaten als auch mit den anderen Gewässerschutzkommissionen des Rheineinzugsgebiets koordiniert wird. Die Mosel ist mit einer Gesamtlänge von 545 km und einem Einzugsgebiet von ca. 28.000 km2 der größte westliche Nebenfluss des Rheins. Sie entspringt in den französischen SüdVogesen und bildet nach 303 km auf französischem Territorium für 35 km die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Luxemburg, bevor sie nach weiteren 207 km auf deutschem Hoheitsgebiet bei Koblenz in den Rhein mündet 192 • Größter Zufluss der Mosel ist die 246 km lange Saar, die in Frankreich entspringt, bei SaargemÜDd das deutsche Staatsgebiet erreicht und bei Konz in die Mosel fließt l93 . Der am 27. Oktober 1956 von Deutschland, Frankreich und Luxemburg unterzeichnete Vertrag über die Schiffbarmachung der Mosel 194 sieht in Art. 55 die allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien vor, zur Reinhaltung der Mosel und ihrer Zuflüsse die erforderlichen Maßnahmen zu treffen und zu diesem Zweck "für die Errichtung einer zweckdienlichen Zusammenarbeit ihrer zuständigen Behörden" zu sorgen. Eine vergleichbare Regelung bezüglich der Saar enthält Art. 8 der Anlage 8 des deutsch-französischen Vertrags zur Regelung der Saarfrage vom selben Tag 19S • Zur Umsetzung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen gründeten die drei Anrainerstaaten der Mosel durch ein am 20. Dezember 1961 unterzeichnetes Protokoll (Mosel-Protokoll)196 die Internationale Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigung. Am selben Tag unterzeichneten Deutschland und Frankreich ein nahezu identisches Protokoll (Saar-Protokoll/ 97 zur Gründung einer entsprechenden Kommission für die Saar. Beide Protokolle traten gemeinsam am 1. Juli 1962 völkerrechtlich in Kraft. Nach Art. 2 der beiden Protokolle haben die Kommissionen die Aufgabe, eine Zusammenarbeit zwischen den nationalen Dienststellen der Anrainerstaaten zum Schutz 192 Beyerlin, Mosel, in: Kimrninich/von LersnerlStonn (Hrsg.), HdUR, Bd. I, 1994, Sp.1408. 193 Ders., Saar, in: Kimminich/von LersnerlStonn (Hrsg.), HdUR, Bd. 11,1994, Sp. 1757 (1758). 194 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiftbannachung der Mosel vom 27. Oktober 1956, Text in: BGB!. 195611, S. 1838 ff. 195 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage vom 27. Oktober 1956, Text in: BGB!. 1956 II, S. 1589 ff. 196 Protokoll zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und des Großherzogtums Luxemburg über die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigung, Text in: BGB!. 1962 II, S. 1103 ff. 197 Protokoll zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Saar gegen Verunreinigung, Text in: BGB!. 196211, S. 1106 ff.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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von Mosel bzw. Saar gegen Verunreinigung herbeizuführen. Zu diesem Zweck können die Kommissionen alle notwendigen Untersuchungen zur Ermittlung von Art, Ausmaß und Ursprung der Verunreinigung vornehmen und den nationalen Regierungen alle geeigneten Maßnahmen gegen Gewässerverunreinigung vorschlagen. Zudem befassen sie sich mit allen anderen Angelegenheiten, die ihnen von den beteiligten Anrainerstaaten einvernehmlich übertragen werden. Die Kommissionen treten zumindest einmal im Jahr zusammen l98 und bestehen aus Regierungsdelegationen mit höchstens vier Mitgliedern 199. Beschlüsse können im Rahmen beider Kommissionen nur einstimmig gefasst werden2OO, wobei jede Delegation über eine Stimme verfügt201. Zur Bearbeitung spezifischer Themenkomplexe können Arbeitsgruppen eingesetzt werden, die neben Delegierten auch Sachverständige umfassen können, die von den einzelnen Regierungen ernannt werden202. Gemäß Art. 9 der beiden Protokolle stellen die Kommissionen die von ihnen für erforderlich gehaltenen Verbindungen mit allen für den Gewässerschutz zuständigen Stellen her. Streitigkeiten über die Anwendung oder Auslegung der Protokolle sind nach Art. 11 im Falle der Saar auf diplomatischem Wege zu regeln, für die Mosel findet Abschnitt VII (Schiedsverfahren) des Vertrags über die Schiffbannachung der Mosel Anwendung. Die Wasserqualität der Saar ist insbesondere durch Sauerstoffmangel gefährdet, der durch hohe Arnrnonium- und Chloridableitungen verursacht wird203 . Die Mosel wird zudem durch Nitrit, Phosphate und verschiedene SchwermetaIle204 mit eutrophierenden, sauerstoffzehrenden und toxischen Auswirkungen sowie durch die Abwärme des französischen Kernkraftwerks Cattenom belasteeos. Zur Verringerung dieser Gewässerbelastungen arbeiten die Arbeitsgruppen beider Kommissionen beispielsweise im Rahmen eines gemeinsamen Messnetzes zur Kontrolle der Gewässerqualität beider Flüsse eng zusammen. Um ihre Aktivitäten sowohl untereinander als auch mit anderen Gewässerschutzkommissionen wie insbesondere der IKSR besser koordinieren zu können, verfügen die Internationalen Kommissionen zum Schutz von Mosel und Saar gegen Verunreinigung (IKSMS) seit Januar 1991 über ein gemeinsames Sekretariat mit Sitz in Trier. 206

Mosel-ISaar-Protokoll, Art. 5 Abs. 1. Ebd., Art. 3 Abs. I und Abs. 2. 200 Ebd., Art. 7. 201 Ebd., Art. 6. 202 Ebd., Art. 8 i.V.m. Art. 3 Abs. 3. 203 S.o. Sauerstoffmangel und Versalzung - 1. Kapitel, B. III. 2. a) aa) und dd); Stickstoff1. Kapitel, B. III. 2. b) bb). 204 s.o.Plwsplwr, Stickstoff, MetalleundMetalioide-1. Kapitel, B. III. 2. b)aa), bb)undcc). 205 S.o. Sauerstoifmangel, Eutrophierung, und Toxizität - 1. Kapitel, B. III. 2. a) aa), bb) und ee); Thermische Gewässerbelastung - 1. Kapitel, B. III. 1. d). 206 Beyerlin, Mosel, Sp. 1408 (1409 ff.). 198

199

10"

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

3. Völkerrechtliche Instrumente zum Schutz des Bodensees Das Einzugsgebiet des Bodensees von insgesamt 11.500 km2 erstreckt sich über das Staatsgebiet Deutschlands (Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg), Österreichs (Bundesland Vorarlberg), der Schweiz (Kantone Thurgau, St. Gallen, Graubünden und die Appenzeller Halbkantone Außer- und Innerrhoden), Liechtensteins und zu einem geringen Anteil Italiens, wobei die beiden letzten Staaten keine unmittelbaren Anrainer sind. Nach dem Genfer See207 ist der 63 km lange und bis zu 14 km breite Bodensee mit einem Gesamtvolumen von über 48,5 km3 und einer Oberfläche von 571,5 km2 der zweitgrößte Binnensee Mitteleuropas. Sein Hauptzufluss ist der Rhein, der den See in Ost-West-Richtung durchfließt. 208 a) Übereinkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung Obwohl bislang keine gebietsrechtliche Zuordnung des Bodensees durch völkerrechtlich eindeutig festgelegte Staatsgrenzen erfolgte 209 , haben die Anrainerstaaten im Laufe der Zeit mittels zahlreicher Übereinkommen ein umfangreiches Nutzungsregime geschaffen210 , das auch den Gewässerschutz umfasst. Aufgrund der vielfältigen und intensiven Nutzung des Bodensees treten seine verschiedenen Kulturfunktionen (z. B. Fischerei, Trinkwasserversorgung, Abwassereinleitung und Schifffahrt) untereinander und mit den Naturfunktionen des Gewässers 211 in Konflikt. Während bereits 1867 eine "internationale Schiffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee" vereinbart wurde und es hinsichtlich der Fischerei 1893 zu einer internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der sog. Bregenzer Übereinkunft und der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei zwischen der Schweiz, Liechtenstein, Österreich-Ungarn, Bayern, Württemberg und 207 Zum völkerrechtlichen Schutz des Genfer Sees vgl. Ferrier; Towards Sustainable Management of International Water Basins: The Case of Lake Geneva, in: RECIEL, 2000, S. 52 ff. 208 Orbig, Bodensee, in: Kimminich/von LersnerlStorm (Hrsg.), HdUR, Bd. I, 1994, Sp. 326; Scherer; Wasser als Grenze - Kooperation statt Konfrontation. Einige grundsätzliche Anmerkungen zur grenzüberschreitenden Umweltpolitik, in: Barandat (Hrsg.), Wasser - Konfrontation oder Kooperation. Ökologische Aspekte von Sicherheit am Beispiel eines weltweitbegehrten Rohstoffs, 1997, S. 333 (343). 209 Zu den hierzu vertretenen Positionen (Realteilungs- und Kondominiumstheorie) Hailbronner; V6lkerrechtssubjekte, Rn. 141. 210 Graf Vitzthum. Raum und Umwelt im V6lkerrecht, Rn. 19. Umfangreiche Darstellung der internationalen Zusammenarbeit hinsichtlich Nutzung und Schutz des Bodensees sowohl zwischen den Anrainerstaaten als auch durch Nicht-Regierungsorganisationen bei Blatter; Lessons from Lake Constance: Ideas, Institutions, and Advocacy Coalitions, in: ders.1 Ingram (Hrsg.), Reflections on Water - New Approaches to Transboundary Conflicts and Cooperation, 2001, S. 89 ff. 211 Zu den Naturfunktionen von Seen s.o. Süßwasserseen - 1. Kapitel, B. 11. 3. a).

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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Baden kam (Regelungen über Schonzeiten, Fanggeräte USW.i I2, traten Fragen des Gewässerschutzes erst Mitte des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund. Insbesondere die eutrophierende und sauerstoffzehrende Nährstoftbelastung des Sees aufgrund von Phosphor- und Stickstoffeinleitung213 durch Kommunen und die Landwirtschaft führte schließlich 1959 zur Gründung der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB). Die IGKB wurde anschließend durch das Übereinkommen zum Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung (IGKBÜbereinkommen) auf eine völkerrechtliche Grundlage gestellt, das am 27. Oktober 1960 von Österreich, den deutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg sowie für die Schweiz von Vertretern des Eidgenössischen Politischen Departements sowie der Kantone St. Gallen und Thurgau unterzeichnet wurde und am 10. November 1961 in Kraft trar l4 . Durch das IGKB-Übereinkommen verpflichten sich die Vertragsparteien, auf dem Gebiet des Gewässerschutzes für den Bodensee zusammenzuarbeiten215 , den See vor weiterer Verunreinigung zu schützen und seine Wasserqualität nach Möglichkeit zu verbessern216 . Geplante Wassernutzungen, die die Interessen eines anderen Anliegerstaates an der Reinhaltung des Bodensees beeinträchtigen könnten, sind anzuzeigen und erst nach Konsultation ausführbar 17 • Der Institutionalisierung dieser Zusammenarbeit dient die IGKB, deren sachlicher Aufgabenbereich gemäß Art. 4 des Übereinkommens die fortlaufende Beobachtung der Wasserqualität zur Feststellung des Zustands des Bodensees und der Ursachen seiner Verunreinigung umfasst. In diesem Zusammenhang berät die IGKB die Anliegerstaaten über Maßnahmen zur Bekämpfung und Verhütung von Gewässerverunreinigungen, spricht Empfehlungen aus und behandelt alle diesbezüglichen Fragen. Zu diesem Zweck verabschiedet die IGKB seit 1967 sog. "Richtlinien für die Reinhaltung des Bodensees", die im Laufe der Jahre wiederholt aktualisiert wurden218 . Ferner werden in ihrem Rahmen die von einzelnen Vertragsparteien geplanten Wassernutzungen erörtert. Die Anliegerstaaten sind verpflichtet, die von der IGKB empfohlenen Gewässerschutzmaßnahmen "sorgfältig zu erwägen und sie nach der Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts nach besten Kräften durchzusetzen,,219. Wie die internationalen Kommissionen zum Schutz von Rhein, Mosel und Saar verfügt somit auch die IGKB über keine eigene Kompetenz zum Erlass von Maßnahmen mit unmittelOrbig, Bodensee, Sp. 326 (329). s.o. Sauerstoffmangel und Eutrophierung - 1. Kapitel, B. III. 2. a) aa) und bb); Phosphor und Stickstoff-I. Kapitel, B. III. 2. b) aa) und bb). 214 Übereinkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung, Text in: GBl.B-W 1962, S. 1 ff. 215 Ebd., Art. 1 Abs. 1. 216 Ebd., Art. 1 Abs. 2. 217 Ebd., Art. 1 Abs. 3. 218 Vgl. Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (Hrsg.), Richtlinien für die Reinhaltung des Bodensees (Stand 23. Mai 2(01), 2001. 219 IGKB-Übereinkommen, Art. 6 Abs. 1. 212 213

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

bar bindender WIrkung für die Vertragsparteien. Selbstverständlich steht es aber jeder Vertragspartei frei, im Einzelfall durch eine einseitige Erklärung Empfehlungen der IGKB als rechtsverbindlich anzuerkennen 22o. Die IGKB setzt sich aus den Delegationen der Vertragsparteien zusammen, wobei der Bundesrepublik Deutschland Beobachterstatus zukommt221 und das Fürstentum Liechtenstein auf informeller Basis Vertreter entsendet. Beschlüsse der IGKB, bei denen jede Delegation über eine Stimme verfügt222, werden grundsätzlich einstimmig gefasst223 . Sowohl die nationalen Delegationen als auch die IGKB insgesamt können Sachverständige hinzuziehen22\ die zur Bearbeitung technisch-wissenschaftlicher Fragestellungen Ausschüsse bilden und ihre Ergebnisse nach Verabschiedung durch die Kommission veröffentlichen225 . Ferner sieht Art. 8 Abs. 2 des IGKB-Übereinkommens eine Zusammenarbeit der IGKB mit internationalen Einrichtungen für Schifffahrtsund Fischereifragen und insbesondere mit der IKSR vor. Die IGKB hat sich seit ihrer Gründung neben der Uferrenaturierung und der Schadensabwehr bei Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen in besonderem Maß auf die Reduktion von Phosphoreinleitungen in den Bodensee konzentriert. Zu diesem Zweck haben die Anliegerstaaten ca. vier Milliarden Euro für den Bau von Abwasserleitungen und Kläranlagen rund um den Bodensee zur Abwassersammlung und -reinigung investiert, was seit Anfang der 1980er-Jahre zu einem messbaren Rückgang der Belastung des Sees insbesondere mit Phosphor geführt hat.

b) Übereinkommen über die Regelung von Wasserentnahmen aus dem Bodensee Insgesamt werden aus dem Bodensee weit über dessen Einzugsgebiet hinaus mehr als vier Millionen Menschen vor allem in Süddeutschland und der Schweiz mit Trinkwasser versorgt. Die quantitativen Aspekte diese Gewässernutzung regelten Deutschland, Österreich und die Schweiz im Rahmen des Übereinkommens über Wasserentnahmen aus dem Bodensee vom 30. April 1966 (Bodensee-Wasserentnahme-Übereinkommenp26. Das Übereinkommen stellt eine völkervertragliche Konkretisierung des Equitable-Utilization-Prinzips dar27 , dessen Kern die AbwäEbd., Art. 6 Abs. 2. Ebd., Art. 3 Abs. 3. 222 Ebd., Art. 3 Abs. 2. 223 Ebd., Art. 5 Abs. 1. 224 Ebd., Art. 3 Abs. 4 und Abs. 5. 225 Orbig. Bodensee, Sp. 326 (328). 226 Übereinkommen über die Regelung von Wasserenlnahmen aus dem Bodensee nebst Schlussprotokoll vom 30. April 1966. Text in: BGBl. 196711, S. 2314 ff. 227 s.o. Das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer 3. Kapitel, B. I. 220 221

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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gung gegensätzlicher Nutzungsinteressen der Anrainerstaaten bildet. Sein räumlicher Regelungsbereich ist - neben dem Bodensee (Ober- und Untersee)228 selbstder ,,Bodenseeraum", der nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 2 den Großteil des hydrologischen Einzugsgebiets des Sees umfasst. In materieller Hinsicht enthält Art. 1 Abs. 2 des Bodensee-Wasserentnahme-Übereinkommens zunächst die allgemeine Pflicht der Vertragsparteien, bei Wasserentnahmen "den berechtigten Interessen der anderen Anliegerstaaten angemessen Rechnung zu tragen". Gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 sind berechtigte Interessen, deren Beeinträchtigung nicht durch zumutbare Ausgleichsrnaßnahmen oder Entschädigungen abgewendet oder ausgeglichen werden können, ,,in angemessener Weise" mit dem Interesse an der Wasserentnahme abzuwägen. Bei der Abwägung ist die Entwicklung der Lebens- und Wirtschaftverhältnisse im Bodenseeraum besonders zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang werden Kulturfunktion wie z. B. Schifffahrt, Fischerei und Energiewirtschaft hervorgehoben, wohingegen das Interesse am ökologischen Schutz der Naturfunktionen des Bodensees durch übermäßige Wasserentnahme229 allenfalls beim Stichpunkt ,,Landschaftsschutz" anklingt, der im Rahmen der nicht abschließenden Aufzählung abwägungsrelevanter Interessen des Art. 3 Abs. 1 S. 3 genannt wird. Der verfahrensrechtlichen Durchführung diese Interessenabwägung unter den Anliegerstaaten dienen verschiedene Kooperationspflichten. So haben sich die Anliegerstaaten gegenseitig über Wasserentnahmen unverzüglich zu unterrichten230 bzw. in bestimmten Fällen (Verwendung des Wassers außerhalb des Einzugsgebiets, Überschreitung einer bestimmten Entnahmemenge) zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben231 . Äußert ein Anliegerstaat Einwände, so soll zunächst im Rahmen eines sog. Konsultationsausschusses versucht werden, Interessenkonflikte zu lösen232. Scheitert dieser Versuch und kommen die Konfliktparteien auch auf diplomatischem Wege nicht zu einer Einigung233 , so sieht das Übereinkommen ein Schiedsverfahren vor34 •

c) Übereinkommen über die Schifffahrt auf dem Bodensee Neben der Verschrnutzung durch kommunale und landwirtschaftliche Abwässer und der - zumindest potentiellen - Gewässerbelastung durch Wasserentnahme stellt die Schifffahrt insbesondere durch kleine Motorboote eine zusätz228 229

230 231 232 233 234

Bodensee-Wasserentnahme-Übereinkommen, Art. 2 Abs. l. S.o. Niedrigwasser-I. Kapitel, B. ill. 1. c). Bodensee-Wasserentnahme-Übereinkommen, Art. 6. Ebd., Art. 7. Ebd., Art. 8. Ebd., Art. 9 Abs. 1. Ebd., Art. 9 Abs. 2 bis Art. 12.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

liehe Belastungsquelle für den Bodensee dar, was zur Beeinträchtigung der Ufer durch Landungsanlagen, der Störung von Flora und Fauna sowie der Einleitung von Motorenöl 235 fiihrt236. Dieser Problemkreis wird von zwei völkerrechtlichen Instrumenten geregelt, die unterschiedliche geographische Bereiche des Sees betreffen: Zum einen durch das Übereinkommen über die Schifffahrt auf dem Bodensee (übersee einschließlich Überlinger See) zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz vom 1. Juni 1973237 (Bodenseeschifffahrts-Übereinkommen), zum anderen durch den deutsch-schweizerischen Vertrag über die Schifffahrt auf dem Untersee und dem Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen vom selben Tag238 • Durch Art. 19 des Bodenseeschifffahrts-Übereinkommens wird eine Internationale Schifffahrtskommission für den Bodensee gegründet. die u. a. über alle Fragen der Bodenseeschifffahrt berät, diesbezügliche Informationen austauscht. Empfehlungen betreffend die Bodenseeschifffahrt an die Vertragsparteien richtet und Änderungen geltender Vorschriften vorschlägt239 . Die aus drei Vertretern pro Vertragspartei bestehende Kommission fasst ihre Beschlüsse einstimmig240 • Neben Regelungen zur Schifffahrtsfreiheit und der Zulassung bzw. Führung von Fahrzeugen auf dem Bodensee sehen die beiden Verträge insbesondere den Erlass einheitlicher Schifffahrtsvorschriften vor. So können u. a. zum Schutz der Umwelt nach Art. 5 Abs. 2 lit. e LV.m. Art. 5 Abs. 4 des Bodenseeschifffahrts-Übereinkommens Maßnahmen zur Beschränkung der Schifffahrt ergriffen werden (Verbot bestimmter Fahrzeugarten, Beschränkung der Schifffahrt für bestimmte Bereiche oder Zeiten), deren Übernahme für den Untersee nach Art. 6 des deutsch-schweizerischen Vertrags vorgesehen ist. Auf dieser Rechtsgrundlage wurden zwischenzeitlich u. a. Abgasvorschriften für Motorboote erlassen241 • Wie die anderen völkerrechtlichen Instrumente zum Gewässerschutz im Rheineinzugsgebiet sieht auch das Bodenseeschifffahrts-Übereinkommen für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung bzw. Durchführung des Übereinkommens oder der darauf beruhenden Schifffahrtsvorschriften ein Schiedsverfahren u.U. im Rahmen einer Schiedskommission vor42 •

s.o. Mineralöl- 1. Kapitel, B. ill. 2. b) ee). Hierzu umfassend Blatter, Lake Constance. S. 89 (92 ff.). 237 Übereinkommen über die Schiffahrt auf dem Bodensee nebst Zusatzprotokoll vom 1. Juni 1973, Text in: BGB!. 197511, S. 1406 ff. 238 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Schiffahrt auf dem Untersee und dem Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen vom 1. Juni 1973, Text in: BGB!. 197511, S. 1412 f. 239 Bodenseeschifffahrts-Übereinkommen, Art. 19 Abs. 2lit. abis lit. d. 240 Ebd .• Art. 19 Abs. 4 und Abs. 5. 241 Orbig, Bodensee, Sp. 326 (329). 242 Bodenseeschifffahrts-Übereinkommen. Art. 20 bis 23. 235

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3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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D. Bewertung partiellen Gewässerschutzes

Anband der internationalen Kooperation zum grenzübergreifenden Gewässerschutz im Rheineinzugsgebiet in den ersten Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden im Folgenden die grundlegenden Merkmale partiellen Gewässerschutzes zusammenfassend herausgearbeitet und vor dem Hintergrund ihrer schließlich zutage getretenen Regelungsdefizite bewertet. 1. Merkmale partiellen Gewässerschutzes Die völkerrechtlichen Instrumente, die für Rhein, Mosel, Saar und Bodensee vereinbart wurden, lassen gemeinsame Regelungstendenzen sowohl hinsichtlich ihres materiellen Regelungsgehalts als auch in Bezug auf die verfahrensrechtliche bzw. prozedurale Ausgestaltung der gewässerrechtlichen Kooperation zwischen den Anrainerstaaten erkennen. a) Materielle Regelungen: Partieller Regelungsansatz Bei den materiellen Regelungen, die den unmittelbaren Umgang der Anrainerstaaten mit den Gewässern bestimmen, steht das Interesse an der Nutzung bestimmter Kulturfunktionen im Vordergrund, die durch unzureichende Wasserqualität aufgrund grenzüberschreitender Verschmutzung bedroht sind243 • Dementsprechend ist ihr Regelungsinteresse überwiegend auf den Schutz der Gewässer vor chemischer Verunreinigung gerichtet. Gewässerbeeinträchtigungen physikalischer oder biologischer Art244 , die eventuell bereits zur Entstehungszeit der Übereinkommen vorhanden waren, wurden von den Anrainerstaaten des Rheineinzugsgebiets entweder nicht erkannt oder zumindest nicht als regelungsbedürftig angesehen. Neben diese sachliche Fokussierung auf den Teilbereich chemischer Gewässerbelastung tritt eine Begrenzung des Regelungsgegenstandes hinzu. Diese zeigt sich zum einen dadurch, dass für Bodensee, Rhein, Saar und Mosel - obwohl sie unter ökologischen Gesichtspunkten zusammenhängende Bestandteile des Gesamtgewässersystems im Rheineinzugsgebiet darstellen - von den jeweiligen Anrainerstaaten spezifische Übereinkommen geschaffen wurden. Zum anderen konzentrieren sich die Maßnahmen gegen Gewässerverunreinigungen insbesondere auf die Beseitigung bzw. Verringerung von Schadstoffeinleitungen in den oberirdischen Hauptwasserkörper der jeweiligen Gewässer. Zwar werden vereinzelt Nebenflüsse und Grundwasservorkommen in den räumlichen Regelungsbereich der Übereinkommen mit einbezogen, sofern ihrer Verschmutzung Bedeutung für das Vgl. Rhein-Chemie-Übereinkommen, 2. bis 5. Erwägungsgrund der Präambel. s.o. Physikalische Gewässerbelastungen und Biologische Gewässerbelastungen 1. Kapitel, B. ID. 1. und 3. 243

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

Hauptgewässer zugeschrieben wird24s , im Großen und Ganzen bleibt jedoch das Gesamtökosystem der Gewässer mit seinen verschiedenen im Rahmen des Einzugsgebiets durch den Wasserkreislauf miteinander verbundenen Elementen (Neben- und Zuflüsse, Boden- und Grundwasservorkommen, Auen und Feuchtgebiete)246 weitgehend unberücksichtigt.247 Aufgrund der doppelten Begrenzung - zum einen des Regelungsinteresses auf die Beseitigung bzw. Reduzierung der Einleitung einzelner Schadstoffe, zum anderen des Regelungsgegenstandes auf Oberflächengewässer - lässt sich der dominierende Regelungsansatz der untersuchten Übereinkommen insgesamt als partieller Gewässerschutz bezeichnen. b) Prozedurale Regelungen: Institutionalisierte Kooperation Durch die Gründung internationaler Kommissionen zum Schutz von Rhein, Mosel, Saar und Bodensee gegen Verunreinigung haben die Anrainerstaaten ihre materiellen und prozeduralen Rechtsbeziehungen bezüglich Nutzung und Schutz der jeweiligen grenzübergreifenden Gewässer in einen institutionalisierten Rahmen eingebunden, der einer dauerhaften und stetigen Weiterentwicklung ihrer gewässerrechtlichen Kooperation dient. Dabei weisen IKSR, IKSMS und IGKB große Gemeinsamkeiten sowohl in ihrem organisatorischen Aufbau als auch hinsichtlich der ihnen übertragenen Aufgaben und Kompetenzen auf. So setzen sie sich jeweils paritätisch aus den Delegationen der beteiligten Vertragsparteien zusammen248 • Bei der Fassung von Beschlüssen kommt jeder Delegation eine Stimme ZU 249 und ist stets Einstimmigkeit erforderlich2so. Für die Bearbeitung 245 So bezieht sich im Rahmen des Rhein-Chemie-Übereinkommens die Genehmigungspflicht hinsichtlich der Ableitung von Stoffen der "schwarzen Liste" ausdrücklich nicht nur auf den Rhein selbst, sondern auf die oberirdischen Gewässer des Rheineinzugsgebiets. vgl. Rhein-Chemie-Übereinkommen, Art. 1 Abs. 1 lit. a und Art. 3 Abs. 1. Ferner kann die IKSR bei Bedarf Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers vorschlagen. um der Verunreinigung des Rheinwassers durch Stoffe der "schwarzen" und "grauen Liste" vorzubeugen, vgl. RheinChemie-Übereinkommen, Art. 7 Abs. 2. 246 s.o. Lebensraumfunktion: Süßwasserökosysteme - 1. Kapitel, B. 11. 3. 247 Einen sowohl in sachlicher als auch in räumlicher Hinsicht anders definierten Regelungsgegenstand hat hingegen das Bodensee-Wasserentnahme-Übereinkommen bezüglich des Bodensees, das quantitative Fragen der Gewässernutzung ohne ausgeprägt gewässerschützende Zielrichtung regelt und hierzu ausdrücklich auf weite Teile des hydrologischen Einzugsgebiets des Bodensees Bezug nimmt. S.o. Übereinkommen über die Regelung von Wasserentnahmen aus dem Bodensee - 3. Kapitel. C. I. 3. b). 248 IKSR-Vereinbarung, Art. 3 Abs. 1; Mosel-ISaar-Protokoll. Art. 3 S. 1 und S. 2; IGKBÜbereinkommen, Art. 3 Abs. 2. 249 IKSR-Vereinbarung, Art. 6 Abs. 1. wobei zu berücksichtigen ist, dass die EWG bzw. EG bei Fragen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, für ihre Mitgliedstaaten abstimmt, vgl. IKSR-Vereinbarung, Art. 6 Abs. 2 i.d.F. der Zusatzvereinbarung vom 3. Dezember 1976; Mosel-I Saar-Protokoll, Art. 6; IGKB-Übereinkommen, Art. 3 Abs. 2. 250 IKSR-Vereinbarung, Art. 6 Abs. 3 i.d.F. der Zusatz vereinbarung vom 3. Dezember 1976; Mosel-I Saar-Protokoll, Art. 7; IGKB-Übereinkommen, Art. 5 Abs. 1 S. 1.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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spezifischer Themen können Sachverständige hinzugezogen bzw. Arbeitsgruppen gebildet werden2S1 . Zudem ist in den verschiedenen Übereinkommen die direkte Zusammenarbeit von IKSR, IKSMS und IGKB untereinander und mit anderen für den Gewässerschutz zuständigen Organisationen des Rheineinzugsgebiets vorgesehen252. Die den Kommissionen übertragenen Aufgaben und Kompetenzen lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen: Erstens sind IKSR, IKSMS und IGKB mit der Untersuchung bzw. Überwachung der Wasserqualität betraut. Dem Regelungsinteresse der verschiedenen Übereinkommen zum Schutz vor chemischen Gewässerbelastungen entsprechend haben sie Informationen und Daten über Art, Ausmaß und Ursprung von Verunreinigungen der Gewässer zu sammeln und auszuwerten2S3 . Zweitens obliegt es den Fluss- bzw. Gewässerschutzkommissionen, Vorschläge für gewässerschützende Maßnahmen auszuarbeiten, die - nach einstimmiger Beschlussfassung - den Vertragsparteien zur Annahme empfohlen werden. In diesem Zusammenhang enthalten die Übereinkommen zum einen den allgemeinen Auftrag, näher zu konkretisierende Maßnahmen zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen vorzuschlagen2S4, zum anderen sehen sie für spezifische Sachverhalte (z. B. Ausarbeitung von Unfall-Meldeverfahren2ss , Vorbereitung weiterer völkerrechtlicher Vereinbarungen)2s6 ein entsprechendes Tätigwerden der Kommissionen vor. Insgesamt zeigen Zusammensetzung und Mandat der Kommissionen, dass ihnen insbesondere die Rolle eines beratenden Expertengremiums zugewiesen ist, das die naturwissenschaftlich-technischen Fragen des Regelungsproblems grenzüberschreitender Gewässerverunreinigung bearbeitet, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage für weitere Gewässerschutzmaßnahmen der Anrainerstaaten zu schaffen. Das zwei stufige Entscheidungsverfahren für Gewässerschutzmaßnahmen, das neben der Einstimmigkeit innerhalb der Kommissionen die gesonderte Annahme der Kommissionsvorschläge durch die einzelnen Vertragsparteien vorsieht, belässt die endgültige Entscheidungskompetenz bei den einzelnen Vertragsparteien. Allgemein fungieren IKSR, IKSMS und IGKB als Foren dauerhafter Kooperation, die über fachliche Problembearbeitung hinaus insbesondere die Vertrauensbildung 251 IKSR-Vereinbarung, Art. 3 Abs. 2, Art. 7, Art. 8, Art. 9; Mosel-/Saar-Protokoll, Art. 3 S. 3, Art. 8; IGKB-Übereinkommen, Art. 3 Abs. 5. 252 IKSR-Vereinbarung, Art. 10; Mosel-/Saar-Protokoll, Art. 9; IGKB-Übereinkommen, Art. 8 Abs. 2. 253 IKSR-Vereinbarung, Art. 2 Abs. llit. a; Rhein-Chemie-Übereinkommen, Art. 5 Abs. 4 (Stoffe der "schwarzen Liste"); Mosel-I Saar-Protokoll, Art. 2 S. 2 lit. a; IGKB-Übereinkommen, Art. 4 lit. a und lit. b. 254 Vgl. z. B. IKSR-Vereinbarung, Art. 2 Abs. llit. b; Mosel-/Saar-Protokoll, Art. 2 S. 2 lit. b; IGKB-Übereinkommen, Art. 4lit. c. 25S Rhein-Chemie-Übereinkommen, Art. 11; Rhein-Chlorid-Übereinkommen, Art. 11. 256 IKSR-Vereinbarung, Art. 2 Abs. I lit. c; Rhein-Chemie-Übereinkommen, Art. 14 Abs. 2; IGKB-Übereinkommen, Art. 4 lit. e.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

zwischen den beteiligten Anrainerstaaten eines grenzübergreifenden Gewässers fördern können. Auch Staaten, die - wie im Rheineinzugsgebiet - einen vergleichbar hohen sozioökonomischen Entwicklungsstand haben, benötigen Zeit und Erfahrung für das gegenseitige Kennen- und Verstehenlernen ihrer gewässerbezogenen Probleme und Ziele 2s7 - das Beispiel der konfliktträchtigen Chloridverunreinigung des Rheins zeigt dies deutlich. In diesem Zusammenhang ist die Rolle der handelnden Personen nicht zu unterschätzen, die durch z.T. langjährige Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Gewässerkommissionen untereinander neben einer gemeinsamen Sicht der Probleme und möglicher Lösungsstrategien auch Gemeinschaftsgeist entwickeln können2S8 , was der zwischenstaatlichen Kooperation nur förderlich sein kann. 2. Krise partiellen Gewässerschutzes und Neuorientierung

Die ausgeprägte Institutionalisierung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Kommissionen nach Ende des Zweiten Weltkriegs kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die völkerrechtsverbindliche Festsetzung und Umsetzung materieller Regelungen zum Schutz von Rhein, Mosel, Saar und Bodensee vor chemischen Gewässerbelastungen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Die mehrfache Modifikation des Rhein-Chlorid-Übereinkommens bis zur Einigung auf einen allseits akzeptierten Kompromiss sowie die schleppende Festsetzung völkerrechtlich verbindlicher Grenzwerte für Schadstoffe der "schwarzen Liste" des Rhein-Chemie-Übereinkommens verdeutlichen beispielhaft die Problematik völkerrechtlicher Entscheidungsfmdung auch bei institutionalisierten Verfahrensweisen. Darüber hinaus wurden zunehmend Zweifel an der Effektivität der mühsam getroffenen Regelungen geäußert, die trotz ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit für sich genommen nicht zu einem adäquaten Schutz der betroffenen Gewässer vor grenzüberschreitenden Belastungen zu führen schienen2s9 • a) Das Aktionsprogramm Rhein und Lachs 2000 Diese Bedenken wurden spätestens am 1. November 1986 auf spektakuläre Weise bestätigt, als in Schweizerhalle bei Basel ein Brand im Chemikalienlager 257 So hinsichtlich der Zusammenarbeit der Rheinanliegerstaaten im Rahmen der IKSR HuisnumlWierikslde long. Co-operation on Management of Transboundary Waters - The Case of the River Rhine, in: Landsberg-Uczciewekl Adriaanse/Enderlein (Hrsg.), The international Conference - Management of Transboundary Waters in Europe - 22 - 25 September 1997, Mrzezyno, Poland, 1998, S. 97 (102 ff.); Schulte-Wülwer-LeidigIWieriks. Grenzüberschreitender Gewässerschutz arn Rhein, S. 298 (302). 258 "Within the IGKB, intense feelings of cornrnunity have been buHt. These feelings of cornrnunity are not only based on a cornrnon view of the problem [ ... ]; they are also based on an atrnosphere offriendship." Blatter; Lake Constance, S. 89 (103). 259 de Villeneuve. The Rhine. S. 441 (450).

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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des schweizerischen Pharmakonzerns Sandoz ausbrach und mit dem Löschwasser mangels Auffangbecken mehrere Tonnen toxischer Stoffe - Insektizide, Fungizide und Herbizide - in den Rhein gelangten. Zusammen mit dem Versagen der Warnund Alarmvorkehrungen führte der Sandoz-Unfall dazu, dass innerhalb kürzester Zeit das aquatische Ökosystem des Flusses auf einer Länge von über 200 km vollständig zusammenbrach260• Insbesondere das massive Fischsterben und weitere Chemieunfälle bei Hoechst, BASF und Bayer erregten große öffentliche Aufmerksamkeit von der Schweiz bis zu den Niederlanden, woraufhin rasch die internationalen Anstrengungen zum Schutz des Rheins verstärkt wurden. Das im Anschluss an den Sandoz-Unfall im Rahmen der IKSR zügig entwickelte und am 1. Oktober 1987 von der 8. Rheinministerkonferenz beschlossene Aktionsprogramm Rhein (APR) kann rückblickend insofern als Wendepunkt in der europäischen Gewässerschutzpolitik bezeichnet werden, als es durch eine konsequente Abkehr vom partiellen Regelungsansatz vergangener Übereinkommen eine tiefgreifende Neuorientierung der internationalen Kooperation zum Schutz europäischer Gewässer einleitete261 • Das APR, das auch Mosel und Saar mit einbezog262, setzte den Rheinanliegerstaaten zunächst drei ehrgeizige Ziele, die es in drei Phasen bis zum Jahr 2000 zu erreichen galt263 : Erstens sollte das Ökosystem des Flusses in einen Zustand versetzt werden, der es früher vorhandenen Arten wie z. B. dem Lachs ermöglichen sollte, wieder im Rhein heimisch zu werden. Zweitens sollte der Rhein auch in der Zukunft der Trinkwasserversorgung dienen. Drittens wurde die Verringerung der Schadstoffbelastung von Flusssedimenten mit dem Ziel angestrebt, sie jederzeit an Land aufspülen oder ins Meer einbringen zu können. Vor dem Hintergrund einer verstärkten Belastung der Nordsee mit ausgedehnten Algenteppichen im Jahr 1988, für deren Entstehung u. a. auch die übermäßige Nährstoffeinleitung durch den Rhein verantwortlich gemacht wurde, fügte man 1989 dem APR als viertes Ziel die Stabilisierung des Zustands der Nordsee hinzu. Zur Umsetzung dieser Ziele sah das APR neben der Reduzierung der Schadstoffbelastung aus Punktquellen (Industrie, Kommunen) und diffusen Quellen (Landwirtschaft) u. a. die hydrologische, morphologische und biologische Verbesserung des Lebensraums der Tier- und Pflanzenwelt des Rheins und seiner Auen vor. Hierzu sollte bis 1995 die Einleitung von 45 sog. "prioritären Stoffen" um mindestens 50% reduziert wer260 Zu haftungsrechtlichen Fragestellungen des Sandoz-Unfalls Boos-Hersberger, Transboundary Water Pollution and State Responsibility: The Sandoz Spill, in: 1997 Annual Survey of International & Comparative Law - Golden Gate University School of Law, 1997, S. 103 ff. 261 IKSR (Hrsg.), Das Aktionsprogramm Rhein, 1987. Umfassend zum Aktionsprogramm Rhein Inner, The Implementation of the Rhine Action Programme - The German Experience, in: Landsberg-Uczciewekl Adriaanse I Enderlein (Hrsg.), The International Conference - Management of Transboundary Waters in Europe - 22 - 25 September 1997, Mrzezyno, Poland, 1998, S. 113 (115 ff.); Schulte-Wülwer-LeidigIWieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (304 ff.). 262 Beyerlin, Rhein, Sp. 1724 (1729). 263 APR, Nr. 2.1.

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

den 264 • Eine Zwischenbilanz für das Jahr 1992 zeigte, dass diese Zielsetzung für die meisten Stoffe sehr viel rascher und umfassender als ursprünglich erhofft erreicht werden konnte265 • Der Konkretisierung des im APR anvisierten Ziels, das Ökosystem des Rheins zu verbessern, dient das Programm Lachs 20()(j266. Es sieht zum einen die Wiederherstellung des Hauptstroms des Rheins als Rückgrat seines Ökosystems vor, zum anderen sollen ökologisch wichtige Bereiche geschützt, erhalten und verbessert werden. Wichtigster Gradmesser für den angestrebten Zustand des Rheins ist die Rückkehr des Lachses, der als Leitart pars pro toto die ökologische Funktionsfähigkeit des gesamten Gewässersystems symbolisiert. Die Wiederansiedlung von Lachsen erfordert neben einer Verbesserung der Wasserqualität auch die Rehabilitation des Ökosystems, wofür insbesondere die Durchwanderbarkeit des Flusses von seinen Zuflüssen bis zur Mündung des Hauptstroms ins Meer z. B. durch den Abbau von Wehren oder die Errichtung sog. Fischtreppen wiederherzustellen ist267 • Erste Erfolge derartiger Maßnahmen zeigten sich innerhalb weniger Jahre. Obwohl Lachse bereits 1995 bis zu den untersten Staustufen des Oberrheins nachgewiesen werden konnten268 , wird das Programm ,,Lachs 2000" jedoch so lange fortgeführt, bis das Ziel einer sich selbst erhaltenden Lachspopulation erreicht ist269 • Insgesamt haben das Aktionsprogramm Rhein und Lachs 2000 die von ihnen anvisierten Ziele überwiegend erreicht und z. T. sogar übertroffen. Das mag auf den ersten Blick umso überraschender erscheinen, als beide Programme sich regelungstechnisch deutlich von den vorangegangenen Instrumenten zum partiellen Schutz des Rheins unterscheiden. Im Gegensatz insbesondere zum Rhein-ChernieÜbereinkommen handelte es sich in beiden Fällen nicht um völkerrechtliche Verträge, sondern lediglich um rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen der beteiligten Rheinanliegerstaaten. Ferner enthielten sie vergleichsweise allgemein gehaltene Zielsetzungen und Prinzipien, deren konkrete Umsetzung ganz den nationalen Behörden der Vertragsparteien überlassen blieb. Dennoch ging von beiden Ebd., Nr. 3.1.B.2. LV.m. Anhang B. IKSR (Hrsg.), Aktionsprogramm Rhein - Bestandsaufnahme der punktuellen Einleitungen prioritärer Stoffe 1992, 1994, S. 11 f. 266 IKSR (Hrsg.), Ökologisches Gesamtkonzept für den Rhein ,,Lachs 2000", 1991; dies. (Hrsg.), Programm für die Rückkehr von Langdistanz-Wanderfischen in den Rhein (Lachs 2(00), 1994; Hierzu Wieriks, Prerequisites for Effective River Basin ManagementThe Case of the River Rhine, in: Landsberg-Uczciewekl Adriaanse/Enderlein (Hrsg.), The International Conference - Management of Transboundary Waters in Europe - 22 - 25 September 1997, Mrzezyno, Poland, 1998, S. 121 (127 f.). 267 Zur ökologischen Bedeutung der Durchwanderbarkeit von Fließgewässersystemen für aquatische Organismen s.o. Veränderung der Gewässermorphologie - 1. Kapitel, B. III. 1. a). 268 IKSR (Hrsg.), Das Makrozoobenthos des Rheins 1990-1995 im Rahmen des Programms ,,Lachs 2000",1996, S. 5. 269 IKSR (Hrsg.), Zustand des Rheins, S. 6. 264 265

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

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Programmen ein starker politischer Druck aus, der den Mangel an Rechtsverbindlichkeit kompensieren konnte. Vor dem Hintergrund der Erfahrung des mühsamen Verfahrens zur völkerrechtlich verbindlichen Festsetzung von Grenzwerten im Rahmen des Rhein-Chemie-Übereinkommens erwiesen sich beide Programme mit ihrer Definition klar nachprüfbarer Ziele, dem von ihnen erzeugten politischen Druck und ihrer Flexibilität letztlich als erfolgreicher. 27o

b) Der Aktionsplan Hochwasser Weitere Impulse, die internationale Kooperation im Rheineinzugsgebiet auf die Rehabilitation des Ökosystems hin auszurichten, gingen von ungewöhnlich starken Hochwasserereignissen in den lahren 1993/1994 und 1994/1995 aus. Ursache für die Zunahme der Hochwasserbedrohung am Rhein ist die stetige Ausdehnung des menschlichen Siedlungs- und Nutzungsraums, mit der durch Ausbau, Begradigung und Eindeichung des Flusses ein Rückgang der natürlichen Retentionsflächen um mehr als 85% einherging 271 • In Verbindung mit Bodenversiegelung und -verdichtung führen diese Veränderungen bei starken Niederschlägen zu einer Beschleunigung von Hochwasserwellen und zu einem Anstieg des Hochwasserscheitels, so dass die durch den Menschen genutzten ehemaligen Überschwemmungsgebiete in den Auen des Rheintals einem großen Schadensrisiko ausgesetzt sind272 • Hochwasserschutz steht im Spannungsfeld divergierender lokaler Interessen. Während Anlieger ein individuelles Interesse daran haben, durch Maßnahmen wie insbesondere den Bau von Deichen ihre eigenen Flächen vor Überschwemmungen zu schützen, wird dadurch das Problem flussabwärts verlagert und aufgrund der kumulierten Hochwassermengen bis hin zur Unkontrollierbarkeit verstärkt273 • Auch im internationalen Kontext ist der Interessenkonflikt dieser Ober-Unterlieger-Konstellation274 nur durch überregionale Konzepte lösbar, die das Gewässer in seinem Gesamtverlauf betrachten und insbesondere die Schaffung bzw. Wiedergewinnung von Retentionsflächen im Oberlauf des grenzüberschreitenden Gewässers vorsehen. Unter dem unmittelbaren Eindruck des lahrhundertshochwassers 1994/1995 erhielt die IKSR durch die sog. ,,ArIer Erklärung" der Rheinminister vom 4. Februar 1995 den Auftrag, für das Einzugsgebiet des Rheins einen Aktionsplan zur Verbeslrme" Rhine Action Programme, S. 113 (117 f.). Zur Retentionsfunktion von Feuchtgebieten in Zusammenhang mit Hochwasserbelastungen s.o. Feuchtgebiete undHochwasser- 1. Kapitel, B. 11. 3. d) und IV. 1. b). 272 IKSR (Hrsg.), Hochwasserschutz am Rhein - Bestandsaufnahme, 1997, S. 8 f.; IKSR (Hrsg.), Rhein 2020 - Programm zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins, 2001 (Rhein-Programm 2020), S. 9, Text des Rhein-Programms 2020 über die Homepage der IKSR (http://www.iksr.org) beziehbar. 273 IKSR (Hrsg.), Hochwasserschutz, S. 8. 274 s.o. Zwischenstaatliche lnteressenkonflikte - 2. Kapitel, C. I. 270 271

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1. Teil: Grundlagen und Vorläufer

serung der Hochwasserprävention (u. a. mittels Meldesystemen zur Hochwasservorhersage)275 und zur Verringerung hochwasserbedingter Schäden auszuarbeiten276. Der schließlich von der 12. Rheinministerkonferenz am 22. Januar 1998 beschlossene Aktionsplan Hochwasser - dem wie bereits schon dem Aktionsprogramm Rhein und Lachs 2000 nicht der Status eines völkerrechtlich verbindlichen Vertrags zukommt - bezweckt, in mehreren Phasen bis zum Jahr 2020 im gesamten Einzugsgebiet des Rheins den Schutz von Menschen und Gütern vor Hochwasser zu verbessern und kombiniert diese Zielsetzung insbesondere mit der ökologischen Reaktivierung von Überschwemmungsgebieten277 .

D. Zwischenergebnis Ein weiter Weg liegt zwischen der Harmon-Doktrin und den internationalen Anstrengungen zur Wiederansiedlung von Lachsen im Rhein. Im Rahmen der vorangegangenen Untersuchung wurde das breite Spektrum der Konzeptionen durchschritten, die die Entwicklung des internationalen Gewässerrechts hervorgebracht hat. Die verschiedenen Regelungsansätze verdeutlichen den tiefgreifenden Wandel, den die rechtsprägenden Interessen der Anrainerstaaten grenzübergreifender Gewässer im Laufe der Zeit erfahren haben. Während sich die anfänglich vertretenen Extrempositionen absoluter territorialer Souveränität und Integrität in der Staatenpraxis nicht durchhalten ließen, wurde die optimale Nutzung von Gewässern im Sinne einer community of interests in Europa letztlich nur im Zusammenhang mit der Schifffahrtsfreiheit angestrebt. Zwischenstaatliche Interessenkonflikte über nicht-navigatorische Nutzungen grenzübergreifender Gewässer erzeugten zunächst einen Bedarf nach kompetenzabgrenzenden Regelungen, die einen Interessenausgleich insbesondere bei Konflikten über die Wasserverteilung ermöglichen sollten, um so eine friedliche Koexistenz der auf die Wahrung ihrer Souveränität bedachten Anrainerstaaten zu sichern. Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch in Europa aufgrund der zunehmend intensiven Gewässernutzung und der damit verbundenen grenzüberschreitenden Verschmutzung von Flüssen und Seen internationale Konflikte ausgelöst wurden, erwiesen sich souveränitäts- bzw. kompetenzorientierte Ansätze als unzureichend für die Interessenverwirklichung der Anrainerstaaten. Die wachsende Interdependenz erzwang eine engere Kooperation, die zu einer größeren Regelungsdichte gewässerrechtlicher Normen führte. Wie bereits zuvor in Nordamerika kam es in diesem Entwicklungsstadium internationalen Gewässerrechts in Europa 275 IKSR (Hrsg.), Bestandsaufnahme der Meldesysteme und Vorschläge zur Verbesserung der Hochwasservorhersage im Rheineinzugsgebiet, 1997. 276 Nollkaemper, The River Rhine, S. 152 (157); Schulte-Wülwer-LeidigIWieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (308 ff.). 277 IKSR (Hrsg.), Zustand des Rheins, S. 7 f.; dies. (Hrsg.), Rhein 2020, S. 10 f.

3. Kap.: Von Koexistenz- zu Kooperationsorientierung

161

mit der Enichtung von Gewässerschutzkommissionen z. B. für Rhein, Mosel, Saar und Bodensee zu einer Institutionalisierung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. In materieller Hinsicht konzentrierte sich die Arbeit der Kommissionen überwiegend auf die Beseitigung bzw. Reduzierung der chemischen Verunreinigung von Oberflächengewässern, um der Beeinträchtigung ihrer Kulturfunktionen entgegenzuwirken. Diese partielle Konzeption, die durch die Begrenzung sowohl ihres Regelungsinteresses als auch dementsprechend ihres Regelungsgegenstandes charakterisiert war, bediente sich zudem eines schwerfälligen Rechtsetzungsverfahrens, das insbesondere auf die völkerrechtlich verbindliche Festlegung detaillierter Emissionsstandards hin ausgerichtet war. Die Defizite partiellen Gewässerschutzes wurden z. B. im Einzugsgebiet des Rheins spätestens durch die katastrophalen Folgen des Sandoz-Unfalls 1986 sowie der lahrhunderthochwasser 1993/94 und 1994/95 augenfällig. Zwar hatte bereits in der Vergangenheit eine allmählich Verschiebung des Regelungsinteresses der Anrainerstaaten weg von der möglichst maximalen Ausschöpfung individueller Gewässernutzungen hin zu einem ressourcenökonomisch motivierten Schutz grenzübergreifender Gewässer vor Belastungen stattgefunden278 , die sich in einer entsprechenden Entwicklung der gewässerrechtlichen Regelungsansätze von souveränitätswahrendem Koexistenzvölkerrecht hin zu verstärkter zwischenstaatlicher Kooperation niederschlug. Jedoch führte erst das unübersehbare Versagen des partiellen Gewässerschutzes dazu, einen fundamentalen Umdenkungsprozess einzuleiten. Bereits die Maßnahmenprogramme für den Rhein zeigen erste Konturen dieser Neuorientierung. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 wurden in Europa zahlreiche gewässerrechtliche Instrumente entwickelt, die einen neuen Regelungsansatz erkennen lassen. Die rechtlichen Ausprägungen und Erscheinungsformen dieses fundamentalen Wandels zwischenstaatlicher Kooperation, der seitdem das internationale Gewässerrecht in Europa erfasst hat, werden im 2. Teil der Untersuchung dargestellt und analysiert.

278

s.o. Regelungsinteresse: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen - 2. Kapitel.

11 Rcichcrt

2. Teil

Rechtsinstrumente nachhaltigen Schutzes grenzübergreifender Gewässer Einleitung

Nachhaltiger Gewässerschutz Konturen eines ökosystemorientierten Leitbilds Challenge and response - die Antwort auf die Ineffektivität sowohl kompetenzwahrender Rechtsprinzipien als auch partieller Kooperationsformen im Rahmen völkerrechtlicher Verträge zum Schutz grenzübergreifender Gewässer besteht in der Hinwendung zu umfassenderen Regelungskonzeptionen. Auslösendes Moment dieses Paradigmenwechsels im internationalen Gewässerrecht 1 ist das zunehmende Bewusstsein, dass die Nutzbarkeit von Gewässern langfristig nicht gewährleistet ist, wenn die Rahmenbedingungen, die dem Umgang des Menschen mit Wasser und Süßwasserökosystemen vorgegeben sind, nicht hinreichend in gewässerrechtlichen Normen Berücksichtigung finden. Diesem Bewusstseinswandel liegt insbesondere die naturwissenschaftliche Erkenntnis zu Grunde2 , dass zum einen Süßwasserökosysteme über den Wasserkreislauf nicht nur mit anderen Elementen der Hydrosphäre vernetzt sind, sondern sie zudem zusammen mit Geosphäre, Biosphäre, Atmosphäre und Anthroposphäre ein komplexes Gefüge sich reziprok beeinflussender Wrrkbereiche bilden. Zum anderen zeigt der Anstieg von Gewässerbelastungen, wie sehr die Fähigkeit von Süßwasserökosystemen begrenzt ist, sich in quantitative~ und qualitativer4 Hinsicht zu regenerieren. 5 Immer deutlicher 1 So u. a. de Castro, The Future of International Water Law, in: Luso-Arnerican Foundation (Hrsg.), Shared Watersystems, S. 149 (179). Zum Paradigmenwechsel im Umgang mit Gewässern allgemeinen Gleick. The Changing Water Paradigm - A Look at Twenty-frrst Century Water Resources Development, in: Water International, 2000, S. 127 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Riedei, Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: Stober (Hrsg.), Recht und Recht - Festschrift für Gerd Roe1lecke zum 70. Geburtstag, 1997, S. 245 ff. 2 Zur Bedeutung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse im Allgemeinen und interdisziplinärer Ansätze im Besonderen für den Umgang mit Gewässern und die diesbezüglichen Rechtsnormen s.o. Wissenschaftliche und technologische Aspekte - 1. Kapitel, A. H. 4. 3 Zur quantitativen Regenerationsfahigkeit von Gewässern s.o. Wasservorkommen und Wasserkreislauf - 1. Kapitel, B. I. 4 Zur qualitativen Regenerationsfahigkeit von Gewässern s.o. Stoffhaushalt und Selbstreinigungsj"tihigkeit - 1. Kapitel, B. H. 1. a).

Einleitung: Nachhaltiger Gewässerschutz

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wird, in welchem Maße die Nutzung der vielfältigen Kulturfunktionen6 eines Gewässers unmittelbar von einem entsprechenden Schutz seiner Naturfunktionen7 vor anthropogenen Belastungen abhängt. Folglich ist der Herausforderung der ökologischen Komplexität von Gewässern mit einer adäquaten normativen Antwort zu begegnen, die aquatische Ökosysteme in der Gesamtheit ihrer Erscheinungsformen und der sie beeinflussenden Faktoren erfasst. Dass sich eine Fokussierung auf einzelne Teilelemente eines Gewässers verbietet, die das Gesamtgefüge, in das es eingebunden ist, unberücksichtigt lässt, hat die Erfahrung mit partiellen Regelungsansätzen gezeigt. Bereits durch das am 22. November 1978 unterzeichnete und zugleich in Kraft getretene Agreement on Great Lakes Water Qualitl zwischen den USA und Kanada wurde insofern ein umfassenderer bzw. ökosystemorientierter Ansatz9 verfolgt, als es der Zweck des Vertragswerks ist, ,,[ ... ] to restore and maintain the chemical, physical and biological integrity of the waters of the Great Lakes Basin Ecosystem" (Art. II: Purpose) 10. Ökosystemorientiertes Gewässerschutzrecht in diesem Sinne erfordert keineswegs zwingend aus ökozentrischen Motiven einen absoluten Schutz von Süßwasserökosystemen vor jeglicher menschlicher Beeinflussung, sondern ist Ausdruck der Überzeugung, dass die Bewahrung der ökologischen Funktionsfähigkeit natürlicher Ressourcen die Grundvoraussetzung für ihre dauerhafte Nutzbarkeit durch den Menschen darstellt. Dieser im Kern anthropozentrische Ansatz ll liegt dem Bemühen um die Vereinbarkeit der Nutzung natürlicher Lebensgrundlagen einerseits mit ihrem ausreichenden Schutz andererseits zu Grunde, das spätestens seit der Konferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992 (United Nations Conference on Environment and Development - UNCED)12 und der auf ihr verabschiedeten sog. Rio-Deklaration 13 unter dem Schlagwort der ,,Nachhaltig-

s.o. Zwischenergebnis - 1. Kapitel, D. s.o. Kulturfunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, A. I. 7 s.o. Naturfunktionen von Gewässern - 1. Kapitel, B. 11. 8 Agreement Between Canada and the United States of America on Great Lakes Water Quality vom 22. November 1978, Text in: UNTS, Bd. 1153, 187. 9 Zu den Grundzügen des sog. ökosystemorientierten Ansatzes im internationalen Gewässerrecht u. a. Brunnee I Toope, International Ecosystem Law, S. 41 (55 ff.). 10 Vgl. hierzu Valiante I Muldoon I Botts, Ecosystem Governance: Lessons from the Great Lakes, in: Young (Hrsg.), Global Governance - Drawing Insights from the Environmental Experience, 1997, S. 197 ff.; MacKenzie, Integrated Resource Planning and ManagementThe Ecosystem Approach in the Great Lakes Basin, 1996; Utton, Canadian International Waters, S. 51 (94 f.); Rothenberger; Angemessene Nutzung, S. 90 ff. 11 Zur Abgrenzung zwischen anthropozentrischen und ökozentrischen Positionen in der naturethischen Diskussion s.o. Naturethische Aspekte - 1. Kapitel, A. 11. 3. 12 Vgl. die sechsbändige Dokumentation der Rio-Konferenz durch Robinson (Hrsg.), Agenda 21 & The UNCED Proceedings, 1993. 13 The Rio Declaration on Environment and Development, Text in: ILM 31 (1992), S. 876 ff. 5

6

11·

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2. Teil: Rechtsinstrumente

keit" bzw. ,,nachhaltigen Entwicklung" (engl.: sustainable development, frz.: developpement durable)14 die umweltpolitische Diskussion auf internationaler und nationaler Ebene bestimmt. Bestätigt wurde die Bedeutung des Nachhaltigkeitskonzepts 2002 in Johannesburg auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (World Summit on Sustainable Development - WSSD)lS. Im deutschen Forstrecht lässt sich der Begriff der Nachhaltigkeit bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zuriickverfolgen. Nach diesem forstrechtlichen Nachhaltigkeitsgrundsatz darf Wäldern im Interesse stetiger Erträge nicht mehr Holz entnommen werden, als nachwachsen kann 16 . Die Grundzüge der Nachhaltigkeitskonzeption der Gegenwart wurden maßgeblich auf internationaler Ebene im entwicklungs- und umweltpolitischen Kontext entwickelt 17. Der zu Beginn der 1970er-Jahre verstärkt wahrgenommene Konnex zwischen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung einerseits und Umweltschutz andererseits wurde zunächst vor allem als Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie aufgefasst. So fordert zwar das Prinzip 2 der Stockholm-Deklaration 18 , die 1972 auf der Konferenz der Vereinten Nationen in Stockholm (United Nations Conference on the Human Environment - UNCHE) angenommen wurde, dass die Umwelt "for the benefi.t of present and future generations" geschützt werden müsse. Andererseits betont Prinzip 10, dass umweltschützende Maßnahmen das gegenwärtige und zukünftige Entwicklungspotential der Entwicklungsländer und die Schaffung besserer Lebensbedingungen nicht behindern oder gar gefährden dürften. Hierin zeigt sich deutlich die den Nord-Süd-Konflikt mitprägende Skepsis der Entwicklungsländer gegenüber Umweltschutz, die ihn tendenziell als hemmenden Faktor für ihren eigenen Ent14 Obwohl der deutsche Begriff der ,.Nachhaltigkeit" im Vergleich etwa zu seinen englischen und französischen Äquivalenten wenig eingängig ist und von manchen deutschsprachigen Autoren plastischer mit ,,Bestandsfähigkeit", ,,Dauerhaftigkeit" oder ,,zukunftsfähigkeit" übersetzt wird, soll er - der allgemeinen Übung folgend - im Rahmen diese Studie verwandt werden. IS Vgl. die auf dem Johannesburg-Gipfel verabschiedete ,)ohannesburg Declaration on Sustainable Devlopment" sowie den ,,lmplementation Plan of the World Sumrnit on Sustainable Development", Text in: Report ofthe World Sumrnit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August-4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/20, S. 1 ff. und S. 6 ff. Zu den Ergebnissen des Johannesburg-Gipfels im Allgemeinen vgl. Beyerlin/ Reichard, The Johannesburg Sumrnit, S. 215 ff. Zu den Gipfelergebnissen speziell in Bezug auf den Umgang mit Süßwasserressourcen Vgl. Epiney, Sustainable Use, S. 377 ff. 16 Kahl, Der Nachhaltigkeitsgrundsatz im System der Prinzipien des Umweltrechts, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Voßkuhle (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 111 (116) m. w.N. 17 Zur Entstehungsgeschichte des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung u. a. Epiney / Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1998, S. 24 ff. und S. 36 f.; Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 4, Rn. 33 ff.; Beaucamp, Das Konzept der zukunftsfähigen Entwicklung im Recht - Untersuchung zu völkerrechtlichen, europarechtlichen, verfassungsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Relevanz eines neuen politischen Leitbildes, 2002, S. 17 ff. 18 Dec1aration of the United Nations Conference on the Human Environment, Text in: ILM 11 (1972), S. 1416 ff.

Einleitung: Nachhaltiger Gewässerschutz

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wicklungsprozess einstufen und in ihm primär ein Anliegen bereits entwickelter Staaten sehen. Dass ökonomische Entwicklung langfristig von der Erhaltung der ökologischen Lebensgrundlagen abhängt und daher nur gemeinsam mit und durch umweltschützende Maßnahmen zu verwirklichen sein wird, wurde seit Beginn der 1980er-Jahre auf internationaler Ebene durch verschiedene SoJt-Law-Dokumente anerkannt. So stellte die International Development Strategy for the Third United Nations Development Decade von 1980 fest: "It is essential to avoid environmental degradation and give future generations the benefit of a sound environment. There is need to ensure an economic development process which is environmentally sustainable over the long run and which protects the ecological balance,,19. Erste Versuche einer Konkretisierung des Nachhaltigkeitsansatzes stellen die von IUCN, UNEP und WWF gemeinsam entwickelte World Conservation Strategy von 198020 und die World Chaner for Nature von 198221 dar. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Konzept der nachhaltigen Entwicklung 1987 durch den unter der Leitung der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland erarbeiteten sog. ,,Brundtland-Bericht" der World Commission on Environment and Development (WCED) bekannt, der sie als die Entwicklung definierte, "that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs,,22. Spätestens seit dem Rio-Gipfel von 1992, in dessen Folge die Kommission der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development - CSD) eingerichtet wurde, ist Nachhaltigkeit als Leitmotiv internationaler Entwicklungs- und Umweltschutzpolitik allgemein anerkannt. Sein anthropozentrischer Charakter kommt in Prinzip 1 der Rio-Deklaration zum Ausdruck: "Human beings are at the centre of concerns for sustainable development. They are entitled to a healthy and productive life in harmony with nature." Die Prinzipien 3 und 4 verdeutlichen die untrennbare Verflechtung von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung mit dem Umweltschutz: "The right to development must be fulfilled so as to equitably meet the developmental and environmental needs of present and future generations" (Prinzip 3). ,,In order to achieve sustainable development, environmental protection shall constitute an integral part of the development process and cannot be considered in isolation from it" (Prinzip 4). Zwischenzeitlich hat auch der IGH in seinem Urteil zum Gabcikovo-Nagymaros-Projekt von 1997, das schwere Eingriffe in das Ökosystem der Donau zum Gegenstand hatte, nachhaltige Entwicklung zwar nicht als rechtsverbindliche, aber zumindest als völkerrechtsrelevante Konzeption 19 Resolution der UN-Generalversammlung vom 5. Dezember 1980, UN Doc. A / Res / 35/56, Text in: ll..M 20 (1981), S. 480 (489). 20 Text in: Hohmann (Hrsg.), Basic Documents of International EnvironmentaI Law Volume 1: The Important Declarations, 1992, S. 79 ff. 21 Resolution der UN-Generalversammlung vom 28. Oktober 1982, UN Doc. A / Res / 37/7, Text in: ll..M 22 (1983), 455 ff. 22 World Commission on Environment and Development (WCED), Our Common Future, 1987, S. 43.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

erwähnt: ,,[!be] need to reconcile economic development with protection of the environment is aptly expressed in the concept of sustainable development'.23. Der damalige IGH-Vizepräsident Christopher Gregory Weeramantry ging in einem Sondervotum sogar soweit, im Gegensatz zur Mehrheit des Gerichts nachhaltige Entwicklung als "principle with normative value" zu bezeichnen24 . Die dauerhafte Harmonie zwischen Mensch und Natur - dieses Ideal nachhaltiger Politik ist seit dem Rio-Gipfel weder auf den entwicklungspolitischen noch auf den internationalen Zusammenhang begrenzt, sondern wird als maßgebliches Leitbild für das Verhältnis zwischen Mensch und Natur im Allgemeinen angesehen. Der zwischenzeitlich geradezu inflationäre Gebrauch des Begriffs der Nachhaltigkeit in den verschiedensten Politikbereichen und die unübersehbare Flut an Veröffentlichungen zu dieser Thematik zeigen jedoch die Schwierigkeit des Unterfangens, Nachhaltigkeit näher zu definieren. Zwischenzeitlich finden neben der ökologischen Dimension des Nachhaltigkeitsbegriffs auch dessen ökonomischen und sozialen Aspekte und deren wechselseitigen Beziehungen verstärkt Beachtung25 • Um der inhaltlichen Konturlosigkeit der Konzeption entgegenzuwirken sowie die allzu starke Relativierung von Umweltbelangen durch soziale und ökonomische Interessen zu verhindern wird in der rechtswissenschaftlichen Diskussion jedoch vereinzelt eine Reduzierung bzw. Konzentration des Nachhaltigkeitsbegriffs auf seine umweltschützende Zielsetzung gefordert26. In jedem Fall bleibt das wesentliche Element des Konzepts die in der Definition der WCED zum Ausdruck kommende generationenübergreifende Perspektive nachhaltiger Entwicklung27 , der zufolge gegenwärtige Generationen eine Pflicht zur Bewahrung der Lebensgrundlagen für sich selbst und zukünftige Generationen (" intra-generational equity" und "intergenerational equity,,)28 haben. In ökol~gischer Hinsicht bedeutet dies insbesondere angesichts der früher in diesem Ausmaß unbekannten Irreversibilität anthropogener Umweltbelastungen, dass durch den Schutz der Naturfunktionen der Umwelt deren Nutzbarkeit durch die Menschheit dauerhaft - im Sinne auch eines ,,Nachweltschutzes" - aufrechtzuerhalten ist.

23 Case Concerning the GabCikovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, in: IC] Reports, 1997, S. 7 ff., Para. 140. 24 Ebd., S. 85. 2S World Bank, World Development Report 2003, S. 14; Beaucamp, Zukunftsrähige Entwicklung, S. 18 ff. m. w. N. 26 Kahl, Nachhaltigkeitsgrundsatz, S. 111 (126 ff.); Epiney, Sustainable Use, S. 377 (379). 27 Epiney I Scheyli, Strukturprinzipien, S. 45 ff. m. w. N. 28 Hierzu grundlegend Brown Weiss, In Fairness to Future Generations: International Law, Common Patrimony, and Intergenerational Equity, 1989; dies., Our Rights and Obligations to Future Generations for the Environment, in: AJIL, 1990, S. 198 ff. Vgl. auch D'Amato, Do we Owe a Duty to Future Generations to Preserve the Global Environment?, in: ebd., S. 190 ff.; Gündling, Our Responsibility to Future Generations, ebd., S. 207 ff.; Brown Weiss u. a., International Environmental Law and Policy, S. 59 ff.

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Um eine präzisere Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs zu gewinnen, werden mittlerweile die verschiedensten Konzeptionen und Prinzipien - wie z. B. die Solidarität innerhalb der Generationen, das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und in jüngster Zeit auch "good govemance,,29 - als wesentliche Aspekte nachhaltiger Entwicklung diskutiert3o. Gemeinsam ist ihnen, dass sie dem Umweltschutz und damit indirekt auch einer nachhaltigen Umweltnutzung dienen. In Hinblick auf eine inhaltliche Präzisierung ist es allerdings kontraproduktiv, in diesem Konglomerat unterschiedlichster Ansätze bereits unverzichtbare bzw. konstituierende Elemente des Nachhaltigkeitsprinzips zu sehen. Ebenso müßig erscheint es, dessen materiellen Bedeutungsgehalt in all seinen möglichen Facetten bereichsübergreifend und allgemeingültig definieren zu wollen. Vielmehr gilt es, zwischen der allgemeinen Zielsetzung der Nachhaltigkeitskonzeption einerseits und den Mitteln zu ihrer Verwirklichung andererseits strikt zu differenzieren 3l . Es muss genügen, Nachhaltigkeit als abstraktes Leitbild zu begreifen, das sich in seinen einzelnen Aspekten letztlich nur in konkreten Problembereichen erschließen lässt. Aufgrund dieser Offenheit kann dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung für sich genommen derzeit noch keine normative Wirkung in dem Sinne zukommen, dass aus ihm spezifische Rechte und Pflichten ableitbar wären. Es kann weder als allgemeiner Rechtsgrundsatz noch als Gewohnheitsrecht Anspruch auf völkerrechtliche Geltung erheben32. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die vorliegende Untersuchung darauf, das Ideal der Nachhaltigkeit und die rechtlichen Mittel zur ihrer Verwirklichung im spezifischen Kontext grenzübergreifender Gewässer zu untersuchen. Zunächst gilt es, erste Konturen "nachhaltigen Gewässerschutzes" herauszuarbeiten, bevor dann die rechtlichen Ausprägungen zur seiner Verwirklichung auf völker- und europarechtlicher Ebene eingehender betrachtet werden. Grundzüge nachhaltigen Gewässerschutzes sind aus drei SoJt-Law-Dokumenten erkennbar, die im Zusammenhang mit den Gipfeln in Rio und Johannesburg verabschiedet wurden: Erstens die Dubliner Erklärung vom Januar 199233 , die der Vorbereitung des Rio-Gipfels diente, zweitens das 18. Kapitel der Agenda 21 34, die 29 Zum Begriff "govemance" im Zusammenhang mit nachhaltiger Gewässernutzung vgl. UNESCO, World Water Development Report, S. 30 f. 30 Vgl. z. B. Hohmann, Bedeutung des Prinzips der bestandsfähigen Entwicklung für die Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts - eine Skizze, in: Epiney I Scheyli (Hrsg.), Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung - Volker- und europarechtliche Aspekte, 1999, S. 23 (25 ff.). 31 Ebenso Epiney I Scheyli, Strukturprinzipien, S. 76. 32 So auch die h.M., vgl. u. a. GrafVitzthum, Raum und Umwelt im Volkerrecht, Rn. 161; Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 4, Rn. 37; Beaucamp, Zukunftsfähige Entwicklung, S. 148; Bimie I Boyle, Environment, S. 95 ff.; a.A. Hohmann, Bedeutung des Prinzips der bestandsfähigen Entwicklung, S. 23 (30) m. w. N. 33 International Conference on Water and the Environment, The Dublin Statement and Report of the Conference - Development Issues for the 21 st Century (26-31 January 1992, Dublin, Ireland), 1992 (Dubliner Erklärung).

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2. Teil: Rechtsinstrumente

im Juni 1992 in Rio de Janeiro als völkerrechtlich unverbindlicher Aktionsplan verabschiedet wurde3s , drittens der ebenfalls unverbindliche Johannesburg lmplementation Plan 36 , der im September 2002 durch den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg angenommen wurde. Zentraler Ausgangspunkt dieser Dokumente ist das Bewusstsein der Abhängigkeit der ökonomischen Nutzung von Gewässern von ihrem ökologischen Schutz. So postuliert das 1. Prinzip der Dubliner Erklärung: ,,Fresh water is a finite and vulnerable resource, essential to sustain life, development and the environment. Since water sustains life, effective management of water resources demands a holistic approach, linking social and economic development with proteetion of natural ecosystems [ ... ]." Nach Agenda 21 soll es das generelle Ziel einer gleichsam auf nationaler wie internationaler Ebene zu verfolgenden Gewässerpolitik sein, ,,[ ... ] to make sure that adequate supplies of water of good quality are maintained for the entire population of this planet while preserving the hydrological, biological and chemical functions of the ecosystems, adapting human activities within the capacity limits of nature [ ... ]"37. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden unter ,,nachhaltigem Gewässerschutz" die Zielsetzung verstanden, durch den Schutz der Naturfunktionen eines Gewässers seine mannigfaltigen Kulturfunktionen dauerhaft für gegenwärtige und zukünftige Generationen aufrechtzuerhalten38 • Zur Erreichung des so definierten Ziels nachhaltigen Gewässerschutzes kommen u. a. folgenden Aspekten eine hervorgehobene Bedeutung ZU39 :

Ganzheitliche, ökosystemorientierte bzw. integrierte Gewässerbewirtschaftung: 40 Angesichts anthropogener Belastungen von Wasser und Süßwasserökosys34 Agenda 21, Kapitel 18 (Proteetion 0/ the quality anti supply 0/ Jreshwater resourr:es: Application 0/ integrated approaches to the development, management anti use 0/ water resourr:es), Text in: Robinson (Hrsg.), Agenda 21 & The UNCED Proceedings, Bd. 4, S. 357 ff. 3S Vg1. die kritische Würdigung des 18. Kapitels der Agenda 21 durch McCaffrey, The Management of Water Resources, in: Campiglio I Pineschi I Siniscalo I Treves (Hrsg.), The Environment after Rio -International Law and Economics, 1994, S. 149 ff. 36 Plan of Irnplementation of the World Summit on Sustainable Development (Johannesburg Irnplementation Plan), Teil IV {Ptotecting and Managing the Natural Resource Base of Economic and Social Development), Text in: Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August-4 September 2002, UN Doc. A I CONF.199/20, S. 6 (22 ff.). 37 Agenda 21, Kapitel 18, Abschn. 18.2. 38 Vg1. auch die von der American Society of Civil Engineers (ASCE) und der UNESCO erarbeitete Definition nachhaltiger "Wasserressourcensysteme": "Sustainable water resource systems are those designed and managed to fully contribute to the objectives of society, now and in the future, while maintaining their ecological, environmental, and hydrological integrity." ASCE, Sustainability Criteria for Water Resource Systems, 1998, S. 44. Hierzu Loue/es, Sustainable Water Resources Management, in: Water International, 2000, S. 3 ff. 39 V g1. Rieu-Clarke, Reflections on the Normative Prescriptions of Sustainable Development in Recent Transboundary WaterTreaty Practice, in: Water International, 2000, S. 572 (573). 40 Zur ganzheitlichen, ökosystemorientierten bzw. integrierten Gewässerbewirtschaftung im Rahmen nachhaltigen Gewässerschutzes auf völker- und europarechtlicher Ebene s.u.

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ternen ist der Agenda 21 zufolge eine ganzheitliche, ökosystemorientierte bzw. integrierte (lat.: integrare - wiederherstellen, ergänzen, in ein größeres Ganzes einbeziehen) Gewässerbewirtschaftung erforderlich: ,,Integrated water resources management is based on the perception of water as an integral part of the ecosystem, [ ... ] whose quantity and quality determine the nature of its utilization. To this end, water resources have to be protected, taking into account the functioning of aquatic ecosystems [ ... ].,,41 "Such integration must cover all types of interrelated freshwater bodies, inc1uding both surface water and groundwater, and duly water quantity and quality aspects. ,,42 Gewässerbewirtschaftung in diesem Sinne soll bezogen auf das gesamte Einzugsgebiet eines Gewässers umgesetzt werden43 : "The complex interconnectedness of freshwater systems demands that freshwater management be holistic (taking a catchment management approach)."44 Gewässererforschung und Gewässerüberwachung: 45 Ökosystemorientiertes Gewässerrecht erfordert umfassendes Wissen über Funktionsweise, anthropogene Belastungen und den Zustand seines E,egelungsgegenstandes. Daher bildet die ständige Erforschung und Überwachung von Gewässern die praktische Voraussetzung nachhaltigen Gewässerschutzes: "Water resources assessment, inc1uding the identification of potential sources of freshwater supply, comprises the continuing determination of sources, extent, dependability and quality of water resources and of the human activities that affect those resources.,,46. Wasser als Wirtschajtsgut: 47 Das 4. Prinzip der Dubliner Erklärung hebt die ökonomischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern48 als wichtige Faktoren nachhaltigen Gewässerschutzes hervor: "Water has an economic value in all its competing uses and should be recognized as an economic good. [ ... ] Past failure to recognize the economic value of water has led to wasteful and environmentally damaging uses of the resource. Managing water as an economic good is an Regelungsinteresse nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, B.; Regelungsinteresse. Art. 1 WRRL - 5. Kapitel, B. 41 Agenda 21, Kapitel 18. Abschn. 18.8. 42 Ebd., Abschn. 18.3. 43 Dubliner Erklärung, 1. Prinzip; Agenda 21, Kapitel 18, Abschn. 18.9.; Johannesburg Implementation Pan, Teil IV, 26. 44 Agenda 21, Kapitel 18, Abschn. 18.36. 45 Zur Gewässererforschung und Gewässerüberwachung im Rahmen nachhaltigen Gewässerschutzes auf völker- und europarechtlicher Ebene s.u. Wissensmanagement und nachhaltiger Gewässerschutz - 4. Kapitel, G.; Wissensmanagement: Gewässeranalyse und -überwachung, Art. 5 bis Art. 8 WRRL - 5. Kapitel, E. 46 Agenda 21, Kapitel 18, Abschn. 18.23. Vgl auch Johannesburg Implementation Plan, Teil IV, 25. (d) und 27. 47 Zum Einsatz ressourcenökonomischer Instrumente im Rahmen nachhaltigen Gewässerschutzes auf europarechtlicher Ebene s.u. Der Grundsatz der Kostentleckung, Art. 9 WRRL 5. Kapitel, F. I. 2. a). 48 s.o. Ökonomische Rahmenbedingungen - 1. Kapitel, C.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

important way of achieving efficient and equitable use, and of encouraging conservation and protection of water resources." Kern der Forderung, Wasser bzw. die aufgrund ihrer begrenzten quantitativen und qualitativen Regenerationsfähigkeit erschöpfbaren Naturfunktionen von Gewässern grundsätzlich als knappes Wirtschaftsgut zu behandeln, ist die Überlegung, dass der Verursacher von Gewässerbelastungen dann keinen Anreiz hat, die Kosten seiner Nutzung zu minimieren, wenn er sie nicht selbst tragen muss und als externe Effekte auf andere verlagern kann49 . Der ökonomische Ansatz für eine Korrektur dieses - ökonomisch wie ökologisch - unerwünschten Zustands besteht darin, externe Effekte bzw. Kosten in den ökonomischen Entscheidungsprozess einzubeziehen bzw. zu internalisierenso. Hierzu dienen z. B. kostendeckende Preise für den Bezug von WasserS!.

Partizipation der Öjfentlichkeit: s2 Eine wichtige Rolle im Rahmen einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung wird der Öffentlichkeit zugeschriebenS3 : "Water development and management should be based on a participatory approach, involving users, planners and policy-makers at all levels."s4 Durch die Partizipation möglichst vieler Beteiligter, die Einfluss auf ein Gewässer ausüben, sollen zum einen alle Nutzungsinteressen und -anforderungen, die an ein Gewässer gestellt werden, erfasst, mit in diesbezügliche Entscheidungsprozesse einbezogen und bei Konflikten zum Ausgleich gebracht werden. Zum anderen kann die hierzu erforderliche Unterrichtung der Öffentlichkeit einen Wandel der allgemeinen Wasserkult~S hin zu einem nachhaltigeren Umgang mit Gewässern fOrdern s6 . Die im Rahmen der Dubliner Erklärung, der Agenda 21 und des Johannesburg Implementation Plans skizzierten Elemente, die zur Verwirklichung nachhaltigen Gewässerschutzes beitragen, beruhen auf der Erkenntnis, dass sowohl im nationalen als auch im grenzübergreifenden Zusammenhang die Naturfunktionen von Gewässern zu schützen sind, um die Nutzbarkeit ihrer vielfältigen Kulturfunktionen auf Dauer aufrechterhalten zu können. Hierzu bedarf es eines entsprechend umfassenden Verständnisses des Regelungsgegenstandess7 , das die Rahmenbedingungen der Gewässernutzung in ihrer komplexen Gesamtheit erfasst. "Ganzheitliche", s.o. Externe Effekte und suboptimale Allokation - 1. Kapitel, C. III. 1. s.o. Internalisierung externer Effekte: "Leviathan" oder "unsichtbare Hand"? - 1. Kapitel, C. III. 2. 51 Johannesburg Implementation Plan, Teil IV, 26. (b). 52 Zur Partizipation der Öffentlichkeit im Rahmen nachhaltigen Gewässerschutzes auf völker- und europarechtlicher Ebene s.u. Partizipation von Drittstaaten, zwischenstaatlichen Organisationen und NRO und Information der Öffentlichkeit - 4. Kapitel, C. I. 4. und 5.; Partizipation der Öffentlichkeit, Art. 14 WRRL - 5. Kapitel, H. 53 Agenda 21, Kapitel 18, Abschn. 18.9Iit. c und Abschn. 18.19. 54 Dubliner Erklärung, 2. Prinzip. 55 S.o. Soziokulturelle Rahmenbedingungen - 1. Kapitel, A. 56 Vgl. auch Johannesburg Implementation Plan, Teil IV, 25. (b). 57 s.o. Regelungsgegenstand: Rahmenbedingungen des Umgangs mit Gewässern, 1. Kapitel. 49

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Einleitung: Nachhaltiger Gewässerschutz

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"ökosystemorientierte" bzw. "integrierte" Regelungsansätze - die Begriffe werden meist synonym verwandt - haben die Interaktion der einzelnen Komponenten des Wasserkreislaufs untereinander, mit der Geo-, Bio- und Atmosphäre ihres Einzugsgebiets und mit den dort lebenden Menschen zu berücksichtigen. Auch bezüglich grenzübergreifender Gewässer ist ein verändertes Bewusstsein über die ökologischen und ökonomischen Bedingungen des Umgangs mit Wasser und Süßwasserökosystemen die Voraussetzung einer gewandelten Wasserkultur. Von Anrainerstaaten erfordert dies eine Neuausrichtung ihres Regelungsinteresses58 , das mittels völker- bzw. europarechtlicher Regelungen das Ideal nachhaltigen Gewässerschutzes zu verwirklichen sucht. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass angesichts komplexer Süßwasserökosysteme nachhaltiger Gewässerschutz höchste Ansprüche an die Regelungen stellt, die den Umgang des Menschen mit Gewässern effektiv beeinflussen und lenken sollen. Die Aufgabe nachhaltigen Gewässerschutzes besteht einerseits gerade in der Schaffung eines Ordnungsrahmens, der Gewässern und ihrer Rolle sowohl im Gesamtgefüge der Natur als auch in der Interaktion mit der Anthroposphäre angemessen ist. Andererseits sind in der Komplexität von Süßwasserökosystemen und ihrer vielfaItigen Verflechtungen und Wechselwirkungen mit anderen Teilen der Natur bereits auch die Grenzen dieses gewässerrechtlichen Leitbildes angelegt: Aufgrund der Unvollkommenheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit wird das Wissen über Wasser und Süßwasserökosysteme letztlich stets unvollständig bleiben59 , was für sich genommen bereits die Entwicklung rechtlicher Instrumente, die dieser ökologischen Komplexität uneingeschränkt gerecht werden, kaum realisierbar erscheinen lässt60 • Trotz der apriori begrenzten Erreichbarkeit dieses gewässerpolitischen Ideals wäre es allerdings allzu leichtfertig, ganzheitliche, ökosystemorientierte bzw. integrierte Konzeptionen nachhaltigen Gewässerschutzes einfach als ,,holistische Rhetorik" abzutun. Derlei Kritik würde entsprechende Entwicklungstendenzen des positiven Gewässerrechts übersehen und verkennen, dass seit Beginn der 199OerJahre auch in Europa explizit die Verwirklichung dieses Ansatzes zum Schutz grenzübergreifender Gewässer mittels verschiedener völker- und europarechtlicher Instrumente angestrebt wird, die auch das nationale Gewässerrecht der meisten europäischen Staaten weiter umgestalten werden. Volkerrechtlich hat sich das unter der Ägide der UN IEeE ausgearbeitete Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen vom 17. März 1992 (UNIECE-Gewässerübereinkommenl 1 als Katalysator für die Entwicklung s.o. Regelungsinteresse: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen, 2. Kapitel. s.o. Wissenschaftliche und technologische Aspekte - 1. Kapitel, A. 11. 4. 60 Epiney, EG-rechtliche Impulse für einen integrierten Umweltschutz, in: Nationale und internationale Perspektiven der Umweltordnung - Symposium am 30. September 1999 im Umweltbundesamt/Berlin, 2000, S. 47 (51 f.); Schröder, Europarecht und integriertes Umweltrecht, NuR, 2000, S. 481 (486): ,,Es dürfte nicht möglich sein, die Komplexität der Umwelt im Recht abzubilden und gleichzeitig ein vollzugsfähiges Instrumentarium zu schaffen." S8 S9

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2. Teil: Rechtsinstrumente

entsprechender Rechtsinstrumente in Europa erwiesen62 • Als regionale Rahmenkonvention bildet das UN I ECE-Gewässeriibereinkommen die Grundlage für verschiedene Verträge zum Schutz spezifischer Gewässer des europäischen Kontinents, die seitdem abgeschlossen wurden. Auf der Ebene des Europäischen Gemeinschaftsrechts ist die am 22. Dezember 2000 in Kraft getretene Wasserrahmenrichtlinie (WRRLl 3 das zentrale Instrument zur Erreichung eines ökosystemorientierten Schutzes sowohl rein innerstaatlicher als auch grenzübergreifender Gewässer in der Europäischen Union64 • Es bleibt die Frage zu beantworten, wie völker- und europarechtliche Instrumente das Leitbild nachhaltigen Schutzes grenzübergreifender Gewässer Europas in rechtliche Kategorien zu transfonnieren und zu konkretisieren suchen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wäre die bloße Zusammenschau der unzähligen nationalen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Normen, die in irgendeiner Form das menschliche Verhalten regeln, das für den Zustand von grenzübergreifenden Gewässern relevant sein könnte, wenig erkenntniserweiternd6s • Ein unüberschaubares Konglomerat auch nur entfernt gewässerrelevanter Normen stellt für sich genommen noch kein kohärentes Regelungswerk dar. Daher konzentriert sich die nachfolgende Untersuchung auf die gewässerspezifischen Rechtsinstrumente, die explizit für sich in Anspruch nehmen, das Leitbild nachhaltigen Schutzes grenzübergreifenden Gewässer in Europa verwirklichen zu wollen. Im Folgenden wird nach der Darstellung und Analyse völkerrechtlicher Instrumente im 4. Kapitel im Rahmen des 5. Kapitels auf die gewässerrechtlichen Entwicklungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts eingegangen. Den Bezügen zwischen den völkerund europarechtlichen Rechtsordnungen zum Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa ist das 6. Kapitel gewidmet.

61 Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen vom 17. März 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 6. Oktober 1996, Text in: BGBI. 199411. S. 2334 ff. 62 S.U. Nachhaltiger Gewässerschutz au/völkerrechtlicher Ebene - dargestellt am Beispiel der Donau und des Rheins - 4. Kapitel. 63 Richtlinie 20001 60 lEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Text in: ABlEG Nr. L 327 vom 22. Dezember 2000. S. 1 ff.; zuletzt geändert durch die Entscheidung Nr. 2455/2001 lEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2001 zur Festlegung der Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG. Text in: ABlEG Nr. L 331 vom 15. Dezember 2001. S. 1 ff. 64 S.U. Nachhaltiger Gewässerschutz au/ europarechtlicher Ebene - Die Wasserrahmenrichtlinie - 5. Kapitel. 6S Vgl. z. B. die umfangreiche Untersuchung rechtlicher Instrumente. die unmittelbar oder mittelbar für den Schutz des Grundwassers in Deutschland von Bedeutung sind. bei Kotulla, Rechtliche Instrumente des Grundwasserschutzes - Eine systematische Analyse des EG-, Bundes- und Landesrechts. 1999.

4. Kapitel

Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene dargestellt am Beispiel der Donau und des Rheins A. Nachhaltiger Gewässerschutz: Regionaler Rahmen und subregionale Konkretisierung Nachdem in Europa auf der Ebene des Völkerrechts die Defizite kompetenzwahrender und partieller Regelungsansätze deutlich geworden waren 1, wandte man sich der Entwicklung umfassenderer Konzeptionen zum Schutz grenzübergreifender Gewässer zu. Neben den Arbeiten im Rahmen der IKSR, die maßgeblich unter dem Eindruck des Sandoz-Unfalls initiiert wurden, ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Rolle der UN IECE hervorzuheben. Das UN I ECE-Gewässerübereinkommen von 1992 stellt eine nicht unmittelbar auf spezielle Gewässer anwendbare Rahmenkonvention dar, die ihre Vertragsparteien verpflichtet, im Umgang mit grenzübergreifenden Gewässern bestimmte Prinzipien und Maßnahmen zu verwirklichen, welche dem Leitbild nachhaltigen Gewässerschutzes folgen. Sie bildet die Grundlage für mehrere bi- und multilaterale Übereinkommen zum Schutz spezifischer Gewässer des europäischen Kontinents, die in der Zwischenzeit u. a. für Maas, ScheIde, Donau, Oder, die portugiesisch-spanischen Grenzgewässer und den Rhein abgeschlossen wurden. Auch die bereits 1990 getroffene Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz der EIbe und die von der Bundesrepublik Deutschland mit den Niederlanden, Polen und Tschechien abgeschlossenen Grenzgewässerübereinkommen sind im Zusammenhang mit dieser Rechtsentwicklung zu erwähnen 2 • Im Folgenden wird zum einen das UN I ECE-Gewässerübereinkommen in seinen wesentlichen Grundzügen dargestellt und zum anderen analysiert, inwieweit subregionale Übereinkommen zum Schutz bestimmter europäischer Gewässer diesen Anforderungen gerecht werden. Die Untersuchung konzentriert sich hierbei auf die beiden Übereinkommen zum Schutz der Donau und des Rheins, denen jeweils schon allein in Hinblick auf die Größe ihres Einzugsgebiets und der Vielzahl der involvierten Anrainerstaaten eine herausragende Bedeutung für den grenzüberschreitenden Gewässerschutz in Europa zukommt.

1 s.o. Koexistenz: Kompetenzwahrende Regelungsansätze und Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets - 3. Kapitel, B. und C. 2 s.o. Einleitung m. w. N.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

I. Regionaler Rahmen: Gewässerschutz durch die UN IEeE Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa UN IECE ist eine pan-europäische Organisation von mehr als fünfzig überwiegend europäischen Mitgliedsstaaten3, die sich nicht ausschließlich mit rein wirtschaftlichen Fragen internationaler Zusammenarbeit befasst. Während des Ost-West-Konflikts des Kalten Krieges war die UN I ECE eines der wenigen internationalen Foren, in dessen Rahmen den Staaten beider politischer Blöcke eine konstruktive Zusammenarbeit in Fragen von grenzüberschreitender Bedeutung möglich war. Vor diesem Hintergrund kann auch die Kooperation von UN I ECE-Mitgliedsstaaten im gewässerpolitischen Bereich auf eine lange Geschichte zurückblicken. 1. Soft Law: UN/ECE-Empfehlungen und -Leitlinien zum Gewässerschutz Zeugnis dieser jahrzehntelangen Zusammenarbeit sind die zahlreichen Entscheidungen, Empfehlungen und Leitlinien zum Gewässerschutz im nationalen oder grenzüberschreitenden Kontext, die die UN IECE in den vergangenen Jahrzehnten an ihre Mitgliedstaaten gerichtet hat. Diese völkerrechtlich unverbindlichen SoftLAw-Instrumente4 , die vor Abschluss des UN I ECE-Gewässerubereinkommens im Rahmen der UN IECE verabschiedet wurden, reichen zurück bis zum Jahr 19765 und umfassen u. a. die Grundsatzerklärung der UN I ECE über die internationale Zusammenarbeit bezüglich geteilter Wasserressourcen von 19826 , die Grundsatzerklärung bezüglich der Zusammenarbeit im Bereich grenzübergreifender Gewässer von 19877 und den Verhaltenskodex bei unfallbedingter Verschmutzung grenzüberschreitender Binnengewässer von 19908 • Ohne auf deren Inhalt an dieser Stelle im Einzelnen eingehen zu können, ist festzuhalten, dass diese Soft-LAw-Instrumente maßgeblichen Einfluss auf gewässerrechtliche Übereinkommen hatten, die bis zum Beginn der 1990er-Jahre abgeschlossen wurden. Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass völkerrechtliche Übereinkommen der UN I ECE-Mit3 Ferner sind auch einige außereuropäische Staaten wie u. a. die USA, Kanada und Israel Mitglieder der UN I ECE, vgl. United Nations (Hrsg.), Tbe Econornic Comrnission for Europe in the Age ofChange, 1998, S. 102. 4 Zum Begriff des soft law s.o. Zwischenergebnis - 2. Kapitel, D. S Recommendations to ECE Governments on Long-term Planning of Water Management von 1976, ECE/ENVWA/2, Text in: United Nations (Hrsg.), Two Decades of Co-operation on Water - Declarations and Recommendations by the Econornic Comrnission for Europe, 1988, S. 39 ff. 6 ECE Decision on International Co-operation on Shared Water Resources, ebd., S. 8 ff. 7 ECE Decision Regarding Co-operation in the Field of Transboundary Waters, ebd., S. 25 ff. s ECE/ENVWA/16, Text in: United Nations (Hrsg.), Code of Conduct on Accidental Pollution of Transboundary Inland Waters, 1990.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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gliedsstaaten bezüglich grenzübergreifender Gewässer die Prinzipen der UN I ECE nur selektiv und unvollständig umsetzten bzw. eher politischen und ökonomischen Opportunitätsgesichtspunkten folgten, die möglichst geringe Änderungen der nationalen Gesetzgebung erforderten. 9

2. Das UN / ECE-Gewässerübereinkommen Die politischen Umwälzungen in Europa nach dem Fall der Berliner Mauer führten zum Auseinanderbrechen verschiedener mittel- und osteuropäischer Staaten einschließlich der Sowjetunion. Mit der Gründung neuer Staaten auf dem europäischen Kontinent, die zwischen 1990 und 1995 die Anzahl der UN IECE-Mitgliedstaaten von 34 auf 55 ansteigen ließ, war zwangsläufig die Entstehung zusätzlicher Grenzen verbunden, so dass zuvor rein innerstaatliche Flüsse, Seen und Grundwasservorkommen zu grenzüberschreitenden Gewässern wurden 10. Der daraus resultierende gesteigerte Kooperationsbedarf und das Ende der Ost-West-Konfrontation schufen günstige Bedingungen fiir den Abschluss völkerrechtlich verbindlicher Verträge zum Schutz grenzübergreifender Gewässer in Europa, die auf den insbesondere seit dem Sandoz-Unfall 1986 gemachten Erfahrungen mit der Entwicklung umfassender Regelungsansätze sowohl innerhalb der UN I ECE als u. a. auch der IKSR aufbauen konnten. Bereits auf einer Umwelttagung der KSZE im November 1989 in der bulgarischen Hauptstadt Sofia wurden die europäischen Staaten ermutigt, neben einzelnen Abkommen eine entsprechende Rahmenkonvention fiir ganz Europa zu erarbeiten, die nicht unmittelbar Schutz und Nutzung eines bestimmten Gewässers regelt. Das schließlich am 17. März 1992 unterzeichnete UN I ECE-Gewässerübereinkommen, das am 6. Oktober 1996 völkerrechtlich in Kraft getreten ist und mittlerweile von 33 Vertragsparteien einschließlich der Europäischen Gemeinschaft ll ratifiziert wurde 12, ist daher von allgemeiner Natur. Das UN I ECE-Gewässerübereinkommen differenziert zwischen denjenigen Verpflichtungen, die jede einzelne Vertragspartei beim Umgang mit grenzüberschreitenden Gewässern zu beachten hat (Teil I: Bestimmungen für alle Vertragsparteien, Art. 2 bis 8), und jenen, die von Vertragsparteien einzuhalten sind, die als Anrai9 Enderlein, The Role of International Water Law in Fostering Co-operation: The European Experience, in: BazflHartje I Scheumann (Hrsg.), Co-operation on Transboundary Rivers, 2002, S. 53 (55). 10 Bosnjakovic. Regulation of International Watercourses under the UN IECE Regional Agreements, in: Water International, 2000, S. 544. 11 Beschluss 95/308/EG des Rates vom 24. Juli 1995 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen im Namen der Gemeinschaft, Text in: ABlEG Nr. L 186 vom 5. August 1995,

S. 42 ff.

12 Stand: 30. Januar 2002. Neben der Europäischen Gemeinschaft selbst haben auch ihre Mitgliedsstaaten - mit Ausnahme von Irland und dem Vereinigten Königreich - das UN I ECE-Gewässerübereinkommen ratifiziert.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

nerstaaten an dasselbe grenzüberschreitende Gewässer angrenzen (Teil II: Bestimmungen für die Anrainerstaaten, Art. 9 bis 16) 13. Diese Differenzierung erscheint zunächst zwar plausibel, entpuppt sich aber auf den zweiten Blick als regelungstechnisch wenig geglückt, da die Verpflichtungen aus Teil I häufig nur im Rahmen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit gemäß Teil 11 zu verwirklichen sind, so dass es im Aufbau des UN / ECE-Gewässerübereinkommens mehrfach zu Wiederholungen und Durchbrechungen kommt 14 • Vor diesem Hintergrund lässt sich die Unterscheidung dahingehend verstehen 15, dass Teil I schwerpunktmäßig die materiellen Vorgaben bezüglich Prinzipien und Maßnahmen für den nachhaltigen Umgang der einzelnen Vertragsparteien mit grenzübergreifenden Gewässern enthält. Nach Teil 11 sind Anrainerstaaten verpflichtet, bi- oder multilaterale Übereinkommen bezüglich spezifischer Gewässer dahingehend abzuschließen bzw. bereits bestehende Verträge so anzupassen, dass sie nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Grundsätzen des UN /ECE-Gewässerübereinkommens stehen 16. Ferner haben sie ihre zwischenstaatliche Zusammenarbeit zum Schutz grenzüberschreitender Gewässer im Rahmen gemeinsamer Gewässerschutzkommissionen zu institutionalisieren 17. Insgesamt sollen den Vertragsparteien durch das UN / ECE-Gewässerübereinkommen zum einen klare Leitlinien für den Umgang mit grenzübergreifenden Gewässern an die Hand geben werden, zum anderen ist ihnen angesichts der ökologischen, sozioökonomischen und politischen Spezifika der einzelnen Gewässer und ihrer Anrainerstaaten genügend Freiraum und Flexibilität für die Entwicklung individueller Lösungen zu belassen. Um die subregionale Umsetzung und Durchführung des UN / ECE-Gewässerübereinkommens begleiten und überprüfen zu können, sieht Art. 17 Abs. 1 die Einrichtung einer in regelmäßigen Abständen einzuberufenden Tagung der Vertragsparteien vor (eng!.: Meeting 0/ the Parties - MoP), die ihre Arbeitsweise durch eine eigene Geschäftsordnung regelt l8 . Das MoP kann im Konsens 19 Änderungen des UN / ECE-Gewässerübereinkommens beschließen und zusätzliche Maßnahmen zu seiner Umsetzung treffen 20, wobei bei der Beschlussfassung jeder Vertragspartei 13 Vgl. die Legaldefinitionen der Begriffe "Vertragspartei" und ,,Anrainerstaaten" nach Art. 1 Abs. 3 und Abs. 4 des UN I ECE-Gewässerübereinkommens. 14 Vgl. insbesondere UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 2 Abs. 6, Art. 5 und Art. 6. IS Ebenso Brunnee I Toope, International Ecosystern Law, S. 41 (74). 16 UN/ECE-Gewässerübereinkommen, 8. Erwägungsgrund der Präambel, Art. 2 Abs. 6 und Art. 9 Abs. l. 17 Ebd., Art. 9 Abs. 2 S. l. 18 Zur neuesten Fassung der nach Art. 17 Abs. 2 lit. d zu erlassenden Geschäftsordnung des MoP vgl. Rules of Procedure for the Meetings of the Parties to the Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Text in: ECEI MP.WAT 15, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties of the Convention - Report of the Second Meeting held at Tbe Hague, Netherlands, frorn 23 to 25 March 2000, Annex Ill, S. 37 ff. 19 UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 21 Abs. 4 S. l. 20 Ebd., Art. 17 Abs. 2 lit. e und lit. f.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

177

eine Stimme zukommt21 . Seit dem l. MoP im Juli 1997 in Helsinki haben die Vertragsparteien vielfältige Aktivitäten entwickelt, um die internationale Zusammenarbeit zur Umsetzung des UN I ECE-Gewässerübereinkommens zu verbessern. Hierbei dient das MoP als Forum zum einen für den ständigen Austausch der von den Vertragsparteien gesammelten Erfahrungen beim Abschluss bi- oder multilateraler Übereinkommen zum Schutz einzelner Gewässer, zum anderen zur fortgesetzten Weiterentwicklung und Verbesserung diesbezüglicher Verfahren und Konzeptionen22• Es wurden Arbeitspläne verabschiedet, die die geplanten Aktivitäten der Vertragsparteien in der Zeit zwischen den Tagungen nach Schwerpunktbereichen aufgeschlüsselt festlegen 23 • Hierzu zählen u. a. die Beratung von Anrainerstaaten bei der Entwicklung neuer Gewässerübereinkommen, die Überwachung der Umsetzung des UN I ECE-GewässerUbereinkommens, die Entwicklung von Strategien für eine integrierte Bewirtschaftung von Gewässern und der mit ihnen verbundenen Ökosysteme sowie die Ausarbeitung eines völkerrechtlichen Instruments zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor hygienischen Gewässerbelastungen24• Letzteres wurde gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization - WHO) entwickelt und als Protocol on Water and Health to the 1992 Convention on the Protection anti Use 0/ TransbouTUklry Watercourses and International Lakes am 17. Juni 1999 von 36 Staaten unterzeichnet2s • Ziel des Protokolls ist es, "to promote at all appropriate levels, nationally as weIl as in transboundary and international contexts, the protection of human health and wellbeing, both individual and collective, within a framework of sustainable development, through improving water management, including the protection of water 21 Ebd., Art. 18 Abs. 1. Die EG übt in Angelegenheiten ihrer Zuständigkeit ihr Stimmrecht mit der Anzahl von Stimmen aus, die der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten entspricht, welche Vertragsparteien des UN I ECE-Gewässerübereinkommens sind. Üben ihre Mitgliedstaaten jeweils ihr Stimmrecht aus, erfolgt keine Stimmabgabe durch die EG, vgl. Art. 18 Abs. 2. 22 Ebd., Art. 17 Abs. 2 lit. a und lit. b. 23 Programmschwerpunkte von 1997 bis 2000: joint bodies; assistance to countries with economies in transition, integrated management 01 water and related ecosystems, land-based pollution control, water supply and human hea/th; vgl. Work Plan 1997 - 2000, Text in: ECE I MP.WAT 12, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties of the Convention - Report of the First Meeting held in Helsinki from 2 to 4 July 1997, Annex II, S. 19 ff. Programmschwerpunkte von 2000 bis 2003: implementation and compliance, integrated management 01 water and related ecosystems, monitoring and assessment, water and human health; vgl. Work Plan 2000 - 2003, Text in: ECEI MP.WAT 15, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties of the Convention - Report of the Second Meeting held at Tbe Hague, Netherlands, from 23 to 25 March 2000, Annex II, S. 23 ff. 24 s.o. Hygienische Gewässerbelastung - 1. Kapitel, B. m. 3. b) 2S Protocol on Water and Health to the 1992 Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes vom 17. Juni 1999, Text in: MP.WAT 12000/1. Hierzu Bosnjakovic, International Watercourses, S. 544 (547 ff.).

12 Reich.rt

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2. Teil: Rechtsinstrumente

ecosystems, and through preventing, controlling and reducing water-related disease,,26. Das Protokoll enthält insbesondere die Verpflichtungen, alle Maßnahmen zur Gewährleistung einer adäquaten Trinkwasserversorgung, angemessener sanitärer Anlagen, eines wirksamen Schutzes der als Trinkwasserquellen genutzten Wasserressourcen und der mit ihnen verbunden Ökosysteme vor Verschmutzung, der Reinhaltung von Badegewässern sowie entsprechender Überwachungssysteme zu ergreifen27 . Aus regelungstechnischer Sicht ist die völkerrechtliche Besonderheit hervorzuheben, dass die Unterzeichnung bzw. Ratifizierung des Protokolls nicht nur den Vertragsparteien des UN I ECE-Gewässeriibereinkommens offen steht. Die fortlaufende Zusammenarbeit der Vertragsparteien des UN I ECE-Gewässerübereinkommens zwischen ihren Tagungen wird zum einen durch ein kleines Sekretariat unterstützt, das beim Exekutivsekretär der UN IECE in Genf angesiedelt ist28 . Zum anderen wurden durch das MoP gemäß Regel 22 seiner Geschäftsordnung verschiedene task forces, Arbeitsgruppen und andere Einrichtungen gegründet, die die einzelnen Themenbereiche der Arbeitspläne bearbeiten und umsetzen sollen. In diesem Zusammenhang sind die Arbeitsgruppen für Legal anti Administrative Malters, Water Management, Monitoring anti Assessment und Water anti Health zu nennen29 . Ein Advisory Network on Legal Instruments dient dazu, durch Rechtsberatung die Umsetzung des UN I ECE-Gewässeriibereinkommens und seines Protokolls auf internationaler und nationaler Ebene zu unterstützen 30• Ferner wurde das International Water Assessment Centre (IWAC) mit Sitz in den Niederlanden eingerichtet, um u. a. für Vertragsparteien oder die von ihnen gegründeten internationalen Gewässerschutzkommissionen individuelle Systeme zur Überwachung und Bewertung des Zustands von Gewässern zu entwickeln und den diesbezüglichen Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien sowie ihrer Wissenschaftler zu fördern 3 !. Protocol on Water and Health, Art. 1. Ebd., Art. 4 lit. abis lit. d. 28 UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 19. 29 V gl. Terms of References of the Working Groups, Text in: ECE I MP. WAT 15, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties of the Convention - Report of the Second Meeting held at Tbe Hague, Netherlands, from 23 to 25 March 2000, Annex VI, S. 53 ff. 30 V gl. Services to Implement the Convention: Terms of References of the Advisory Service on Legal Instruments, MP.WAT 12000 113; Terms of Reference of the Advisory Network on Legal Instruments under the Convention, Text in: ECE/MP.WAT/5, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties of the Convention - Report of the Second Meeting held at Tbe Hague, Netherlands, from 23 to 25 March 2000, Annex IV, S. 49. 31 Vgl. Services to Implement the Convention: Terms of References of the Collaborating Centre on Monitoring and Assessment of Transboundary Watercourses and International Lakes, MP.WAT 12000 114; Terms of Reference of the International Water Assessment Centre (IWAC) under the Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes (Helsinki, 1992), Text in: ECE I MP.WAT 15, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties 26

27

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

179

Insgesamt wurde auf der Grundlage des UN I ECE-Gewässerübereinkommens ein organisatorisches Gefüge verschiedener Foren und Expertengremien geschaffen, das den Staaten Europas wertvolle Dienste hinsichtlich wissenschaftlicher, technischer und juristischer Fragestellungen nachhaltigen Gewässerschutzes im nationalen und im grenzüberschreitenden Zusammenhang leistet. Durch die vielfältigen in seinem Rahmen durchgeführten Aktivitäten kann das UN I ECE-Gewässerübereinkommen eine innovative Rolle sowohl für den umwelt- bzw. gewässerpolitischen Neuorientierungsprozess insbesondere der zentral- und osteuropäischer Staaten32 als auch für die generelle Harmonisierung und Weiterentwicklung europäischen Gewässerrechts im nationalen und internationalen Kontext spielen.

11. Subregionale Konkretisierung: Spezif"lSChe Gewässerschutzübereinkommen Im zwischenstaatlichen Bereich kann das UN I ECE-Gewässerübereinkommen seine Orientierungs- und Harmonisierungsfunktion durch die zentrale Verpflichtung der Anrainerstaaten grenzüberschreitender Gewässer nach Art. 2 Abs. 6 und Art. 9 Abs. 1 entfalten, die wesentlichen Vorgaben der regionalen Rahmenkonvention durch den Abschluss neuer völkerrechtlicher Verträge bzw. die Anpassung bereits existierender Übereinkommen auf subregionaler Ebene umzusetzen. Wie bereits erwähnt, ist eine derartige subregionale Konkretisierung des UN I ECE-Gewässerübereinkommens zwischenzeitlich u. a. für Maas und ScheIde, Donau, Oder, die portugiesisch-spanischen Grenzgewässer und den Rhein erfolgt. Die multilateralen Übereinkommen für die Donau von 1994 und den Rhein von 1999, die sich jeweils auf das UN I ECE-Gewässerübereinkommen berufen33 , sind in besonderer Weise geeignet, die Neuorientierung internationalen Gewässerrechts hin zu einem nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer darzustellen und zu untersuchen. Einerseits kommt beiden Flüssen schon allein aufgrund ihrer Länge, der Größe ihres Einzugsgebiets, der Anzahl ihrer Anrainerstaaten und der vielen Millionen Menschen, die von ihrer Nutzung abhängig sind, eine herausragende Bedeutung zu. Andererseits bieten sie sich aufgrund ihrer ökologischen, sozioökonomischen und politischen Unterschiede für eine vergleichende Untersuchung an.

of the Convention - Report of the Sec6nd Meeting held at Tbe Hague, Netherlands, from 23 to 25 March 2000, Annex V, S. 50 ff. 32 Denkschrift der Bundesregierung zum UN / ECE-Gewässerübereinkommen, BRDrucks. 120/94, S. 24. 33 Donauschutzübereinkommen, 5. Erwägungsgrund der Präambel; Rhein-Übereinkommen, 3. Erwägungsgrund der Präambel. 12°

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2. Teil: Rechtsinstrumente

1. Die Entstehung des Donauschutzübereinkommens Die Donau entspringt mit ihren beiden Quellflüssen Brigach und Breg im Schwarzwald im Südwesten der Bundesrepublik Deutschland. Mit einer Gesamtlänge von 2.850 km ist sie nach der Wolga der zweitlängste Fluss Europas und durchquert bzw. berührt die Staatsgebiete Deutschlands, Österreichs, der Slowakischen Republik, Ungarns, Kroatiens, der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), Rumäniens, Bulgariens, Moldawiens und der Ukraine, bevor sie in einem 4.300 km2 großem Delta im Schwarzen Meer mündet. Wichtige Nebenflüsse der Donau sind u. a. Inn, Drave, Theiß (Tisza), Morava und Prout. Das gesamte Wassereinzugsgebiet der Donau34, das von ca. 82 Millionen Menschen bewohnt wird, umfasst insgesamt 817.000 km2 und erstreckt sich zusätzlich zu den Territorien der unmittelbaren Flussanrainerstaaten auch auf Teilgebiete der Schweiz, Italiens, Polens, der Tschechischen Republik, Bosnien-Herzegowinas und Albaniens. 3s Die Donau ist schon seit dem frühen 19. Jahrhundert Gegenstand internationaler Kooperation 36• Allerdings richtete sich das Regelungsinteresse des Pariser Friedensvertrages von 1856, der Pariser Donaukonvention von 1921 und der Belgrader Donaukonvention von 1948 ausschließlich auf die navigatorische Nutzung des Flusses37 • Die intensive Nutzung der Donau führte jedoch zu schwerwiegenden Gewässerbelastungen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen, die - wie die Auseinandersetzung zwischen Ungarn einerseits und der Tschechoslowakei bzw. ihren beiden Nachfolgestaaten andererseits um das Gabez'kovo-Nagymaros-Projekt38 zeigt - ein erhebliches Konfliktpotential darstellen. Das erste völkerrechtliche Dokument, dass schwerpunktmäßig den ökologischen Schutz des Flusses in seinem Gesamtverlauf thematisierte, war die rechtlich unverbindliche Deklaration über die Zusammenarbeit der Donaustaaten in Fragen der Wasserwirtschaft der Donau, insbesondere zum Schutz des Donauwassers gegen Verschmutzung (sog. Bukarester Deklaration), die in der Endphase des Kalten Kriegs nach langjährigen Verhandlungen am 13. Dezember 1985 von der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und der Sowjetunion unterzeichnet wurde. Die Bukarester Deklaration hält die Unterzeichnerstaaten zur Erhaltung und Verbesserung der Wasserqualität der Donau, zu s.u. Karte: Grenzübergreijende Einzugsgebiete in Europa (Auswahl). Knopp I Pfündl, Deutschlands und Europas Erfahrungen in der Nutzung grenzüberschreitender Gewässer - dargestellt am Beispiel der Donau, in: Barandat (Hrsg.), Wasser Konfrontation oder Kooperation. Ökologische Aspekte von Sicherheit am Beispiel eines weltweit begehrten Rohstoffs, 1997, S. 316; Beyerlin, Donau, Sp. 401 f. 36 Zur historischen Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit an der Donau vgl. da Silva/ da Silva, Gewässerbewirtschaftung, S. 325 (361 ff.). 37 s.o. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei navigatorischen Nutzungen - 3. Kapitel, A. 11. 1.; Beyerlin, Donau, Sp. 401 f. 38 Case Concerning the Gaocikovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, in: IC] Reports, 1997, S. 7 ff. 34 3S

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

181

entsprechenden Kontrollrnaßnahmen sowie zur Bekämpfung von Hochwassergefahren an. Der am 1. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EWG einerseits und Österreich andererseits abgeschlossene Vertrag über die wasserwirtschaftliche Zusammenarbeit im Einzugsgebiet der Donau39 , mit dem eine Ständige Gewässerkommission eingerichtet wurde, sah bezüglich eines kurzen Flussabschnitts insbesondere Informations- und Konsultationspflichten h~nsichtlich geplanter Vorhaben mit grenzüberschreitenden Auswirkungen auf den Wasserhaushalt des Gewässers vor. Ferner waren Alarm-, Einsatz- und Meldepläne für die Abwehr von Unfall-, Hochwasser- und Eisgefahren aufeinander abzustimmen. 40 Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende der Ost-West-Konfrontation, die jahrzehntelang eine umfassende Zusammenarbeit aller Donauanrainerstaaten nahezu völlig verhindert hatte, wurden günstige Voraussetzungen für die Entwicklung des völkerrechtlich verbindlichen Schutzes der Donau geschaffen. Auf Anregung der KSZE-Umwelttagung vom November 1989 in Sofia, die auch die Ausarbeitung des UN I ECE-Gewässerubereinkommens mit initiiert hatte, verständigten sich die Donauanrainerstaaten im Februar 1991 u. a. auf die Entwicklung eines Übereinkommens über die wasserwirtschaftliche Zusammenarbeit zum Schutz der Donau. Um angesichts des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Staaten des ehemaligen Ostblocks bereits parallel zu den Vertragsverhandlungen und bis zum InKraft-Treten des Übereinkommens wirksame Schutzmaßnahmen ergreifen zu können, wurde auf einer Konferenz im September 1991 in Sofia das durch UNDP, UNEp, Weltbank, EG und andere internationale Institutionen als Donatoren finanzierte Donau-Umweltprogramm (Environmental Programme for the Danube River Basin - EPDRB) beschlossen. Als Hauptentscheidungs- und Überwachungsorgan des Donau-Umweltprogramms fungierte eine von der Europäischen Kommission geleitete und aus Vertretern der Donauanrainerstaaten, der Donatoren und von Nichtregierungsorganisationen (NRO) zusammengesetzte Task Force, die durch mehrere Arbeitsgruppen und eine sog. Programme Co-ordination Unit (PCU) unterstützt wurde. Das Donau-Umweltprogramm förderte u. a. den Aufbau von Programmen zur Gewässeruberwachung, zur Sammlung, Auswertung und zum Austausch von Daten sowie zur Entwicklung von Wam- und Alarmplänen. Mit der Unterzeichnung des Übereinkommens über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen, engl.: Danube River Protection Convention - DRPC)41 am 29. Juni 1994 wurden 39 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einerseits und der Republik Österreich andererseits über die wasserwirtschaftliche Zusammenarbeit im Einzugsgebiet der Donau vom 1. Dezember 1987, völkerrechtlich in Kraft getreten am 1. März 1991, Text in: BGBl. 1990 II, S. 791 ff. 40 Beyerlin. Donau, Sp. 401 ff. 41 Übereinkommen über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen) vom 29. Juni 1994 zwischen Deutschland, Österreich, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Molda-

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2. Teil: Rechtsinstrumente

eine Interims-Kommission und ein ihr zugeordnetes Interims-Sekretariat eingerichtet, die mit der Task Force und der peu des Donau-Umweltprogramms eine enge Kooperation eingingen, um neben einem möglichst reibungslosen Übergang eine Umsetzung des Donauschutzübereinkommens bereits vor seinem formellen In-Kraft-Treten zu ermöglichen. Diesem Zweck diente der im Dezember 1994 verabschiedete Strategie Action Plan for the Danube River Basin (SAPl 2 , der für den Zeitraum von 1995 bis 2005 folgende kurz-, mittel- und langfristige Ziele und Strategien zur Verbesserung des ökologischen Zustands des Donaueinzugsgebiets definierte: (1) die Reduktion der negativen Auswirkungen anthropogener Aktivitäten auf das Einzugsgebiet der Donau, auf das Ökosystem des Flusses sowie auf das Schwarze Meer, (2) die Erhaltung und Verbesserung der Verfügbarkeit und Qualität des Wassers im Einzugsgebiet der Donau, (3) die Kontrolle von Gefahren durch unfallbedingte Verschmutzung und (4) die Förderung der regionalen Kooperation zur Gewässerbewirtschaftung43 • Konkrete Maßnahmen und Projekte zum Schutz der Donau waren Gegenstand des im September 1997 gestarteten Danube Pollution Reduction Programme (DPRP), das im Juni 1999 abgeschlossen wurde. Mit dem In-Kraft-Treten des Donauschutzübereinkommens am 22. Oktober 1998 wurden die Task Force des Donau-Umweltprogramms und ihre Arbeitsgruppen in den organisatorischen Rahmen der nunmehr ständigen Internationalen Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) integriert, woraufhin im Oktober 2000 die PCU aufgelöst wurde. Das zentrale Instrument zur Verwirklichung des Donauschutzübereinkommens ist nunmehr das Joint Action Programmefor the Danube River Basin (January 2001-December 2005) (DonauAktionsprogramm 2005)44, das die von den Donaustaaten umzusetzenden Aktivitäten enthält.

2. Die Entstehung des Rhein-Übereinkommens Die Entwicklungsgeschichte der internationalen Kooperation zum Schutz des Rheins wurde bereits im Zusammenhang mit partiellen Ansätzen zum Schutz grenzübergreifender Gewässer dargestellt45 • Sie reicht bis zur Gründung der Interwien, der Ukraine und der Europäischen Gemeinschaft, völkerrechtlich in Kraft getreten am 22. Oktober 1998, Text in: BGBl. 199611, S. 875 ff. 42 EPDRB Task Force (Hrsg.), Strategie Action Plan for the Danube River Basin 1995 2005, 1994; DPRP (Hrsg.), Strategie Action Plan for the Danube River Basin 1995-2005 - Revision 1999, 1999. 43 EPDRB Task Force (Hrsg.), Strategie Action Plan for the Danube River Basin 1995 - 2005, 1994, S. v f. Hierzu umfassend Murphy, The Danube: A River Basin in Transition, 1998, S. 71 ff. und S. 81 ff.; Linnerooth-Bayerl MUTCott, The Danube River Basin: International Cooperation for Sustainable Development, in: NRJ, 1996, S. 521 (541 ff.). 44 ICPDR (Hrsg.), Joint Action Programme for the Danube River Basin (January 2001 December 2(05), 2001, Text über die Homepage der IKSD (http://www.icpdr.org) beziehbar.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

183

nationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (lKSR) im Jahre 1950 zurück, die 1963 mit der IKSR-Vereinbarung auf eine völkerrechtliche Grundlage gestellt wurde. Nachdem insbesondere der Sandoz-Unfall von 1986 sowie die Jahrhunderthochwasser von 1993/94 und 1994/95 die Defizite des Chemie- und des Rhein-Chlorid-Übereinkommens von 1976 aufgezeigt hatten, setzte mit der Verabschiedung von Maßnahmenprogrammen (Aktionsprogramm Rhein, Lachs 2000, Aktionsplan Hochwasser) ein Wandel der Gewässerpolitik zu umfassenderen Regelungsansätzen ein. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, beschlossen die Rheinanliegerstaaten auf der 11. Rheinministerkonferenz 1994 Leitlinien für die Ausarbeitung eines neuen Übereinkommens zum Schutz des Rheins, die sich an den Vorgaben des UN /ECE-GewässeIiibereinkommens orientierten46 . Nach jahrelangen Verhandlungen wurde schließlich am 12. April 1999 das Übereinkommen zum Schutz des Rheins (Rhein-Übereinkommen) von Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz und der EG unterzeichnet41 , das die IKSR-Vereinbarung von 1963, die diesbezügliche Zusatzvereinbarung von 1976 und das Rhein-Chemie-Übereinkommen desselben Jahres ablöst48 • Umgesetzt wird das neue Rhein-Übereinkommen durch das am 29. Januar 2001 auf der Rhein-Ministerkonferenz in Straßburg verabschiedete Rhein-Programm 2020 und den diesbezüglichen Arbeitsplan bis 200S-9 , die in verschiedenen Handlungsbereichen diejenigen Maßnahmen festlegen, die von den Rheinanliegerstaaten umzusetzen sind.

4S s.o. Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets 3. Kapitel, C. Allgemein zur historischen Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den Rheinanliegerstaaten vgl. da Silval da Silva, Gewässerbewirtschaftung, S. 325 (349 ff.). 46 Nollkaemper; The River Rhine, S. 152 (158); Schulz. Neues Übereinkommen zum Schutz des Rheins - Regelungen für eine internationale Flußgebietseinheit im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie, in: ZfW, 1999, S. 318 (321). 47 Übereinkommen zum Schutz des Rheins (Rhein-Übereinkommen) vom 12. April 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft, völkerrechtlich in Kraft getreten am 1. Januar 2003, Text in: BGBl. 2001 11, S. 850 ff. 48 Rhein-Übereinkommen, Art. 19 Abs. 1. Durch das neue Rhein-Übereinkommen werden gemäß Art. 1 lit. abis lit. e seines Unterzeichnungsprotokolls folgende völkerrechtlichen Instrumente nicht berührt: Rhein-Chlorid-Übereinkommen vom 3. Dezember 1976; diesbezüglicher Briefwechsel vom 29. April und 13. Mai 1983, völkerrechtlich in Kraft getreten am 5. Juli 1985; Erklärung vom 11. Dezember 1986 der Delegationsleiter der Regierungen, die Vertragsparteien der IKSR-Vereinbarung sind; Zusatzprotokoll zum Rhein-Chlorid-Übereinkommen vom 25. September 1991; Erklärung vom 25. September 1991 der Delegationsleiter der Regierungen, die Vertragsparteien der IKSR-Vereinbarung sind. Vgl. hierzu oben Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durr:h Chloride - 3. Kapitel, C. I. 1. c). 49 IKSR (Hrsg.), Arbeitsplan bis 2005, 2001, Text über die Homepage der IKSR (http://www.iksr.org) beziehbar.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

B. Regelungsinteresse nachhaltigen Gewässerschutzes50 Dass die Verwirklichung nachhaltigen Gewässerschutzes das prägende Regelungsinteresse des UN /ECE-Gewässerübereinkommens und der zur seiner Umsetzung abgeschlossenen Übereinkommen für Donau und Rhein bildet, lässt sich aus der vergleichenden Betrachtung der in den jeweiligen Präambeln niedergelegten Erwägungsgründe und aus den explizit definierten Zielen der Rechtsinstrumente erschließensI. Für das UN/ECE-Gewässerübereinkommen "zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen" von 1992 scheint auf den ersten Blick dem Begriff der Nachhaltigkeit keine hervorgehobene Bedeutung zuzukommen. Allerdings weist der Titel mit der Verbindung von "Schutz" und ,,Nutzung" von Gewässern bereits auf ein Kernelement des Nachhaltigkeitsgedankens hin. Darüber hinaus betont die Präambel die Rolle der UN / ECE bei der Förderung der internationalen Zusammenarbeit zur Verhütung, Bekämpfung und Verringerung grenzüberschreitender Wasserverschmutzung sowie zur nachhaltigen Nutzung grenzüberschreitender Gewässe~2. Ferner wird die Definition des Begriffs der ,,nachhaltigen Entwicklung" durch den Brundtland-Bericht von 1987 wörtlich durch Art. 2 Abs. 5 lit. c UN / ECE-Gewässerübereinkommen aufgegriffen, demzufolge Wasservorkommen so zu bewirtschaften sind, dass "der Bedarf der heutigen Generation gedeckt werden kann, ohne künftigen Generationen die Fähigkeit zu nehmen, ihren eigenen Bedarf zu decken". Gewässerschützende Maßnahmen haben sicherzustellen, dass "eine nachhaltige umweltverträgliche Bewirtschaftung der Wasservorkommen gefördert wird, einschließlich der Anwendung eines auf das Ökosystem bezogenen Konzepts"S3. Im Gegensatz zu der begrifflichen Zurückhaltung des UN / ECE-Gewässerübereinkommens, die auf dessen frühen Entstehungszeitpunkt wenige Monate vor dem Rio-Gipfel zurückzuführen sein dürfte, hebt das "Übereinkommen über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Donau" von 1994 nicht nur in seinem Titel das Ziel der ,,nachhaltigen Wasserwirtschaft" hervo~4. Die Vertragsparteien sind auf innerstaatlicher und internationaler Ebene zur Verstärkung, Harmonisierung und Koordinierung von Maßnahmen zur "nachhaltigen Entwicklung der Donau" verpflichtet, die auf die ,,nachhaltige Nutzung der Wasserressourcen" für kommunale, industrielle und landwirtschaftliche Zwecke sowie auf den Schutz der Umwelt und die Erhaltung so Allgemein zum Interesse an der Regelung zwischenstaatlicher Konflikte an grenzübergreifenden Gewässern s.o. - 2. Kapitel, D. Zum Regelungsinteresse auf europarechtlicher Ebene s.u. Regelungsinteresse, Art. 1 WRRL - 5. Kapitel, B. 51 Vgl. auch oben Regelungsinreresse: Grenzüberschreitende Gewässerbelastungen 2. Kapitel, Zwischenergebnis. 52 UN I ECE-Gewässerübereinkommen, 6. Erwägungsgrund der Präambel. 53 Ebd., Art. 3 Abs. 1 lit. i. 54 Donauschutzübereinkommen, 6. Erwägungsgrund der Präambel, Art. 2 Abs. 1 S. I, Abs. 3 S. 1 und Abs. 5.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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bzw. Wiederherstellung von Ökosystemen gerichtet ist55 . Das Rhein-Übereinkommen von 1999 ist insofern nicht nur in terminologischer Hinsicht am deutlichsten von der Zielsetzung nachhaltigen Gewässerschutzes geprägt, als es die ,,nachhaltige Entwicklung des Ökosystems Rhein" ins Zentrum seines Regelungsinteresses stellt56 . Alle drei Übereinkommen verdeutlichen, dass nachhaltiger Gewässerschutz mit einem ökosystemorientierten Regelungsansatz verbunden ist. Wahrend das UN / ECE-Gewässerübereinkommen und das Donauschutzübereinkommen jedoch pauschal ihre Vertragsparteien zum Schutz "der Umwelt", zur Erhaltung und Wiederherstellung von "Ökosystemen" bzw. zur Anwendung eines ökosystemorientierten Konzepts verpflichten57 , enthält das jüngere Rhein-Übereinkommen zusätzlich zu einer entsprechend allgemein gehaltenen Absichtserklärung58 eine detailliertere Ausarbeitung dieser umfassenden Konzeption. Demzufolge ist auf die nachhaltige Entwicklung des "Ökosystems Rhein" aus einer "ganzheitlichen Betrachtungsweise" heraus hinzuwirken, die "dem wertvollen Charakter des Stroms, seiner Ufer und Auen Rechnung trägt,,59. Nachhaltigkeit im gewässerrechtlichen Kontext setzt demnach den umfassenden Schutz des ökologischen Gesamtgefüges voraus, in das das Gewässer eingebettet ist - sowohl hinsichtlich seiner einzelnen Komponenten als auch der diesbezüglichen Verflechtung. Folglich bezweckt gemäß Art. 3 Abs. 1 Rhein-Übereinkommen (Zielsetzungen) die nachhaltige Entwicklung des Ökosystems Rhein insbesondere "die Erhaltung, Verbesserung und Wiederherstellung möglichst natürlicher Lebensräume für wild lebende Tiere und Pflanzen im Wasser, im Sohlen- und Uferbereich sowie in angrenzenden Gebieten,,60, den Schutz von Organismen und der Artenvielfalt61 sowie den Schutz der gewässennorphologisehen Integrität des Rheins in Hinblick auf dessen natürliche Fließgewässerfunktionen, Abflussverhältnisse und Auengebiete62. Dem ganzheitlichen Ansatz nachhaltigen Gewässerschutzes entsprechend ist das Interesse des UN /ECE-Rahmenabkommens und der Übereinkommen zum Schutz von Donau und Rhein auf die Regelung verschiedener anthropogener Gewässerbelastungen gerichtet. Eine hervorgehobene Stellung nimmt hierbei bei allen drei Übereinkommen das Ziel ein, die Wasserqualität vor der Einbringung chemischer Stoffe zu schützen63 , wobei zwischen der Belastung durch reguläre SchadstoffeinEbd., Art. 2 Abs. 3 S. 1 und S. 2. Rhein-Übereinkommen, 1. Erwägungsgrund der Präambel und Art. 3 Abs. 1. 57 UN I ECE-GewässeTÜbereinkommen, Art. 2 Abs. 2 lit. b und lit. d sowie Art. 3 Abs. 1 lit. i; Donauschutzübereinkommen, Art. 2 Abs. 2, 3 und 5. 58 Rhein-Übereinkommen, Präambel, 2. Erwägungsgrund. 59 Ebd., 1. Erwägungsgrund der Präambel. 60 Ebd., Art. 3 Abs. 1 lit. d. 61 Ebd., Art. 3 Abs. 1 lit. b. 62 Ebd., Art. 3 Abs. 1 lit. c. 55

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2. Teil: Rechtsinstrumente

leitungen einerseits und Unfällen andererseits differenziert wird. In diesen Zusammenhang sind auch die durch das Rhein-Übereinkommen ausdrücklich erwähnten Bestrebungen einzuordnen, die Nutzung des Rheinwassers zur Trinkwassergewinnung zu sichern und die Sedimentqualität für die schadlose Verbringung von Baggergut zu verbessern64 • Durch die Verbesserung der Wasserqualität soll zugleich die durch das UN I ECE-Gewässeriibereinkommen vorgegebene Zielsetzung indirekt verwirklicht werden, die Meeresumwelt und insbesondere die Küstengebiete, in die die Binnengewässer münden, vor der Verschmutzung vom Land aus (eng!.: land-based pollution - LBP) zu schützen65 . So nehmen das Donauschutz- und das Rhein-Übereinkommen auf die Abkommen zum Schutz des Schwarzen Meeres66 bzw. der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (sog. OSPAR-Übereinkommen)67 ausdrücklich Bezug68 und betonen jeweils den engen Zusammenhang beider Komponenten des Wasserkreislaufs69 • Neben der Wasserqualität, auf deren Schutz sich partielle Regelungsansätze beschränkt hatten7o, behandeln die Übereinkommen auch quantitative Aspekte der nachhaltigen Entwicklung von Gewässern, indem sie ihre Vertragsparteien zur ökologisch verträglichen und rationellen Wassemutzung sowie zur Erhaltung der Wasservorkommen verpflichten71, um auf diese Weise Gewässerbelastungen aufgrund eines unzureichenden Wasserdargebots zu bekämpfen72• Die durch übermäßige Wassermengen verursachte Hochwasserproblematik73 wird sowohl vom UN I ECE-GewässeTÜbereinkommen74 als auch vom Donauschutz-75 und 63 UN I ECE-GewässelÜbereinkommen, 3. Erwägungsgrund der Präambel und Art. 2 Abs. 2 lit. a; Donauschutzübereinkommen, 3. Erwägungsgrund der Präambel, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2; Rhein-Übereinkommen, 5. Erwägungsgrund der Präambel und Art. 3 Abs. llit. a. 64 Rhein-Übereinkommen, Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3. 6S UN I ECE-GewässelÜbereinkommen, 3. Erwägungsgrund der Präambel. 66 Convention on the Protection of the Black Sea Against Pollution vom 21. April 1992, Text in: ll..M 32 (1993), S. 1110 ff. 67 Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (OSPAR-Übereinkommen) vom 22. September 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 25. März 1998, Text in: BGBI. 199411, S. 1360 ff. Die Abkürzung "OSPAR" (Oslo-Paris) leitet sich von den vorangegangenen Abkommen von Oslo von 1972 und Paris von 1974 ab, die durch das OSPAR-Übereinkommen ersetzt wurden. 68 Donauschutzübereinkommen, 5. Erwägungsgrund der Präambel; Rhein-Übereinkommen, 3. Erwägungsgrund der Präambel. 69 Donauschutzübereinkommen, 3. und 6. Erwägungsgrund der Präambel und Art. 2 Abs. 1 S. 3; Rhein-Übereinkommen, 6. Erwägungsgrund der Präambel und Art. 3 Abs. 5. 70 s.o. Kooperation: Panieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets 3. Kapitel, C. 71 UN I ECE-GewässelÜbereinkommen, Art. 2 Abs. 2 lit. b; Donauschutzübereinkommen, Art. 2 Abs. 1 S. 1; Rhein-Übereinkommen, Art. 3 Abs. llit. e. 72 s.o. Niedrigwasser- 1. Kapitel, B. ill. 1. c). 73 s.o. Hochwasser - 1. Kapitel, B. ill. 1. b). 74 UN I ECE-GewässelÜbereinkommen, Art. 9 Abs. 21it. b LV.m. Art. 11 Abs. 1.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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vom Rhein-Übereinkommen76 aufgegriffen, wobei Letzteres auf die Bedeutung der Auengebiete als natürliche Überschwemmungs- bzw. Retentionsflächen hinweist77 . Auch hierdurch zeigt sich, wie sehr im Gegensatz zu partiellen Regelungskonzeptionen das UN I ECE-Gewässerübereinkommen und die zu seiner Konkretisierung auf subregionaler Ebene abgeschlossenen Abkommen zum Schutz von Donau und Rhein durch eine Ausweitung des Regelungsinteresses auf den Schutz der Naturfunktionen von Süßwasserökosystemen in ihrer Gesamtheit charakterisiert sind, um so die nachhaltige Nutzbarkeit ihrer vielfältigen Kulturfunktionen aufrechtzuerhalten. Allerdings ist das Regelungsinteresse des UN I ECE-Gewässerübereinkommens nach dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 auf die Verhütung, Bekämpfung und Verringerung "grenzüberschreitender" Beeinträchtigungen beschränkt. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass diese Einschränkung dem Anliegen nachhaltigen Gewässerschutzes an einem umfassenden Schutz von Gewässerfunktionen nicht gerecht wird. Ferner dürfte angesichts der Komplexität von Süßwasserökosystemen im konkreten Einzelfall oft nicht wissenschaftlich hinreichend sicher zwischen rein innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Gewässerbelastungen differenziert werden können. Daher ist es erforderlich, von einer alleinigen Fokussierung auf den grenzüberschreitenden Aspekt von Gewässerbelastungen Abstand zu nehmen, um den nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer garantieren zu können. Eine entsprechende Verlagerung des Regelungsinteresses lässt sich im Verlauf der Rechtsentwicklung seit Abschluss des UN I ECE-Gewässerübereinkommens beobachten. Wahrend dessen geWässerschützende Maßnahmen noch ausdrücklich an der grenzüberschreitenden Eigenschaft einer Gewässerbeeinträchtigung anknüpfen 78, strebt das Donauschutzübereinkommen insgesamt "einen wirksamen Gewässerschutz und eine nachhaltige Wassernutzung" an, "um dadurch auch grenzüberschreitende Auswirkungen zu vermeiden, zu überwachen und zu verringern,,79. Gewässerschützende Maßnahmen sind demzufolge nicht nur gegen grenzüberschreitende Belastungen zu ergreifen8o. Das Rhein-Übereinkommen verzichtet schließlich vollkommen auf die Erwähnung des grenzüberschreitenden Charakters von Gewässerbelastungen als tatbestandliche Voraussetzung von völkerrechtlichen Pflichten seiner Vertragsparteien zum nachhaltigen Schutz des Rheins. In der Zwischenzeit haben auch die Vertragsparteien des UN I ECE-Gewässerübereinkommens im Rahmen ihrer völkerrechtlich unverbindlichen Erklärung von Helsinki von 1997 ausdrücklich anerkannt, dass nachhaltiger Gewässerschutz im Rahmen des Übereinkommens nicht durch eine ausschließliche Fixierung auf spezifisch 75 Donauschutzübereinkommen, Art. 2 Abs. 1 S. 2; Art. 3 Abs. 2 lit. b; Art. 9 Abs. 1, 1. und 3. Spiegelstrieh; Art. 16 Abs. 2. 76 Rhein-Übereinkommen, Art. 3 Abs. 4. 77 Ebd., Art. 3 Abs. llit. c. 78 UN / ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 2 Abs. 1. 79 Donauschutzübereinkommen, Art. 5 Abs. 1 (Hervorhebung durch den Verfasser). 80 Ebenso Bimie I Boyle, Environment, S. 300.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

grenzüberschreitende Aspekte zu verwirklichen sein wird: "The problems that we are facing are not unique to transboundary waters. They should be seen in the context of integrated water management. Thus, our cooperation on transboundary waters will also help to improve the management of internal waters and ensure consistency in the proteetion and use of both internal and transboundary waters. We will apply, as appropriate, the principles of the Convention when drawing up, revising, implementing and enforcing nationallaws and regulations on water"Sl. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Regelungsinteresse von Staaten, die aufgrund ihrer Interdependenz bei der Bekämpfung von Gewässerbelastungen den nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer nur gemeinsam verwirklichen können, in zweifacher Hinsicht eine Ausweitung erfährt. Zum einen konzentriert sich nachhaltiger Gewässerschutz im Gegensatz zu partiellen Regelungsansätzen nicht auf den Schutz einzelner Naturfunktionen, sondern strebt die generelle Funktionsfahigkeit von Süßwasserökosystemen an. Dadurch tritt zum anderen die seit der Ära des Koexistenzvölkerrechts dominierende Fokussierung des Regelungsinteresses völkerrechtlicher Rechtsinstrumente auf rein grenzüberschreitende Belastungen, die von einem ökosystemorientierten Regelungsansatz ohnehin mit erfasst werden, mehr und mehr in den Hintergrund. Damit ist die Grundlage für eine weitreichende Kooperation der Anrainerstaaten gelegt, die dem Ansatz nach weniger auf den Ausgleich konträrer Nutzungsinteressen fixiert ist, sondern vielmehr der Verwirklichung gemeinsamer Interessen an Schutz und Nutzung grenzübergreifender Gewässer im Sinne einer community of interests dient.

C. Institutionalisierte Kooperation: Internationale Gewässerschutzkommissionen Um der weitreichenden Kooperation zum nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer einen institutionalisierten Rahmen zu verleihen, sieht Art. 9 Abs. 2 S. 1 UN I ECE-Gewässerübereinkommen die Schaffung sog. "gemeinsamer Gremien" (engl.: joint bodies) von Anrainerstaaten vor. Unter gemeinsamen Gremien ist nach der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 5 ,jede zweiseitige oder mehrseitige Kommission oder sonstige geeignete institutionelle Einrichtung für die Zusammenarbeit zwischen den Anrainerstaaten" zu verstehen. Anrainerstaaten sind verpflichtet, derartige organisatorische Strukturen im Rahmen der von ihnen nach den Vorgaben des UN I ECE-Gewässerübereinkommens abzuschließenden bzw. anzupassenden Übereinkommen einzurichten. Neben der Schaffung internationaler Gewässerschutzkommissionen u. a. für Eibe, Maas, Scheide sowie die Oder wurde auf subregionaler Ebene diese Verpflichtung durch die Gründung der Internationalen Kommission zum Schutz der Donau (IKSD; engl.: International Commissionfor the Protection of SI The Helsinki Declaration, Text in: ECE/MP.WAT /2, Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, Meeting of the Parties of the Convention - Report ofthe First Meeting held in Helsinki from 2 to 4 July 1997, S. 16.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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the Danube River - ICPDR) gemäß Art. 18 Abs. 1 S. 1 Donauschutzübereinkommen und durch die Weiterführung der bereits seit 1950 informell existierenden und 1963 völkerrechtlich durch die Rheinanliegerstaaten gegründeten82 Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) nach Art. 6 Abs. 1 Rhein-Übereinkommen erfüllt83 . Organisatorische Struktur und Arbeitsweise der IKSD sind in einem eigenen Statut niedergelegt, vgl. Art. 18 Abs. 2 Donauschutzübereinkommen i.V.m. Anlage IV (IKSD-Statut). Diese Regelungen werden u. a. nach Art. 12 IKSD-Statut im Rahmen einer Geschäftsordnung (IKSD-GO)84 ergänzt. Die entsprechenden Regelungen für die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins finden sich in den Artikeln 6 bis 15 des Rhein-Übereinkommens und werden gemäß Art. 7 Abs. 4 durch eine Geschäfts- und Finanzordnung (IKSR-GFO)8s konkretisiert. Die Gegenüberstellung beider Gewässerschutzkommissionen lässt vergleichbare Merkmale und Strukturen der institutionalisierten Kooperation zum nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer erkennen.

I. Ausprägungen institutionalisierter Kooperation zum nachhaltigen Gewä5serscbutz Im Folgenden werden vor dem Hintergrund des UN I ECE-Gewässerübereinkommens die IKSD und die IKSR in Hinblick auf ihre Zusammensetzung, ihr Entscheidungsfmdungsverfahren, ihre Koordinierungs- und Expertengremien, ihre Sekretariate sowie die Partizipation von Drittstaaten, zwischenstaatlichen Organisationen, NRO und der Öffentlichkeit an ihrer Arbeit näher untersucht. 1. Zusammensetzung und Entscheidungsfindung von Gewässerschutzkommissionen Hinsichtlich des organisatorischen Aufbaus, der Zusammensetzung und der Arbeitsweise von Gewässerschutzkommissionen enthält das UN I ECE-Gewässerübereinkommen keine näheren Vorgaben. Zwischenstaatliche Institutionen wie IKSD 82 s.o. Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR) 3. Kapitel, C. I. 1. a). 83 Am Rande sei angemerkt, dass sich der Wandel der Zusammenarbeit zwischen den Rheinanliegerstaaten von einem partiellen zu einem ökosystemorientierten Regelungsansatz auch in der Umbenennung der IKSR widerspiegelt, die nunmehr auch offIZiell nicht mehr auf den "Schutz des Rheins gegen Verunreinigung" beschränkt ist. VgJ. Rhein-Übereinkommen, Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. llit. b. 84 Revised Rules of Procedure of the ICPDR (IKSD-GO) vom 29. November 2001, Text über die Homepage der IKSD (http://www.icpdr.org)beziehbar. 85 Geschäfts- und Finanzordnung der IKSR vom 8. Juli 1998, letztlich geändert gemäß Beschluss der 67. Plenarsitzung der IKSR am 3. Juli 2001 in Luxemburg, Text über die Homepage der IKSR (http://www.iksr.org)beziehbar.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

und IKSR, die dem nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer verpflichtet sind, können in diesem Zusammenhang jedoch auf die jahrzehntelangen Erfahrungen mit internationalen Gewässerschutzkommissionen z. B. im Rheineinzugsgebiet autbauen 86•

a) Zusammensetzung und Entscheidungsfindung der IKSD Die durch das Donauschutzübereinkommen geschaffene IKSD setzt sich aus den Delegationen der Vertragsparteien (Deutschland, Österreich, Tschechien, die Slowakei, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, die Ukraine und die EG) zusammen, die jeweils aus höchstens fünf Mitgliedern bestehen87 • Der Vorsitz der IKSD wird von den Delegationen abwechselnd für ein Jahr ausgeübt, wobei die vorsitzende Delegation eines ihrer Mitglieder als Präsidenten der Kommission benennt88 • Die Kommission, die zur Erfüllung ihrer Funktionen und zur Verwirklichung ihrer Ziele die erforderliche Rechts- und Geschäftsfähigkeit hat, wird durch den Präsidenten nach außen vertreten89 • Auf Einladung des IKSD-Präsidenten tritt die IKSD mindestens einmal im Jahr zu einer ordentlichen Tagung in Form einer Plenarversammlung zusammen90 . Außerordentliche Tagungen sind durch den Präsidenten auf Verlangen von mindestens drei Delegationen einzuberufen91 . Zur Umsetzung der sich aus dem Donauschutzübereinkommen ergebenden Verpflichtungen erarbeitet die IKSD an die Vertragsparteien gerichtete Vorschläge und Empfehlungen92 • Grundsätzlich sind die Vertragsparteien gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. e Donauschutzübereinkommen verpflichtet, die von der Kommission vorgelegten Vorschläge zu berücksichtigen, um entsprechende Regelungen auf hohem Schutzniveau untereinander harmonisieren und diesbezügliche Maßnahmen abgestimmt durchführen zu können. Bei der Beschlussfassung innerhalb der Kommission steht jeder Delegation eine Stimme ZU93 • In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Europäische Gemeinschaft in den Bereichen ihrer Zuständigkeit das Stimmrecht anstelle ihrer in der Kommission vertretenen Mitgliedstaaten mit entsprechender Stimmenzahl ausübt94• Die IKSD ist beschlussfähig, wenn die Delegationen von mindestens zwei Dritteln der 86 s.o. Kooperation: Partieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets 3. Kapitel, C. 87 IKSD-Statut, Art. 1 Abs. 1; IKSD-GO, Art. 2.1. 88 IKSD-Statut, Art. 2 Abs. 1; IKSD-GO, Art. 3.1. 89 IKSD-Statut, Art. 10 Abs. 1 und Abs. 2. 90 Ebd., Art. 3 Abs. 1; IKSD-GO, Art. 4.1. 91 IKSD-Statut, Art. 3 Abs. 2; IKSD-GO, Art. 4.3. 92 Donauschutzübereinkommen, Art. 18 Abs. 1 S. 3. 93 IKSD-Statut, Art. 4 Abs. 1; IKSD-GO, Art. 5.1. 94 IKSD-Statut, Art. 4 Abs. 2; IKSD-GO, Art. 5.2.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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Vertragsparteien anwesend sind95 • Das Donauschutzübereinkommen kennt zwei Arten von Entscheidungen der Kommission: rechtlich verbindliche Beschlüsse einerseits und unverbindliche Empfehlungen andererseits. Beide Fonnen der Willensäußerung durch die IKSD werden grundsätzlich im Konsens angenommen. Sind alle Bemühungen zur Erzielung eines Konsenses ausgeschöpft, kann die Annahme auch durch eine Vierfünftelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Delegationen erfolgen96• Ein Beschluss wird innerhalb einer bestimmten Frist für die Vertragsparteien verbindlich, die ihm entweder zugestimmt oder ihre Ablehnung nicht ausdrücklich erklärt haben; andere Vertragsparteien können nachträglich einen Beschluss als rechtsverbindlich akzeptieren97 • In dringenden Fällen kann auf Vorschlag des IKSD-Präsidenten oder einer Delegation ein schriftliches Beschlussverfahren durchgeführt werden98 . Die Umsetzung der von der Kommission verabschiedeten Beschlüsse wird nach Art. 18 Abs. 4 Donauschutzübereinkommen u. a. durch umfassende Berichtspflichten der Vertragsparteien gemäß Art. 10 unterstützt, wonach die Vertragsparteien der Kommission die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen grundlegenden Infonnationen mitzuteilen haben. Hervorzuheben ist insbesondere Art. 10 lit. d, wonach die Vertragsparteien innerhalb einer vereinbarten Frist der IKSD Angaben über Art, Dauer und Kosten der Umsetzung von Kommissionsbeschlüssen auf innerstaatlicher Ebene mitzuteilen haben. Obgleich das Donauschutzübereinkommen an die mangelhafte Durchführung von Empfehlungen, Programmen und Maßnahmen, die von der IKSD beschlossen wurden, keine Sanktionen knüpft, wird allein schon durch diese Mitteilungs- und Offenlegungspflicht ein gewisser Rechtfertigungsdruck erzeugt. Auf der Basis der gemäß Art. 10 Donauschutzübereinkommen mitgeteilten Infonnationen prüft die IKSD nach Art. 18 Abs. 5 die gewonnenen Erfahrungen und unterbreitet. soweit zweckmäßig, den Vertragsparteien entweder Vorschläge zu Änderungen bzw. Ergänzungen des Übereinkommens oder erarbeitet die Grundlage zur Schaffung weiterer Regelungen bezüglich Schutz und Bewirtschaftung der Donau und der Gewässer ihres Einzugsgebiets. Politische Grundsatzfragen, die die Umsetzung des Donauschutzübereinkommens betreffen, werden nicht innerhalb der IKSD, sondern gemäß Art. 22 Donauschutzübereinkommen durch eine auf ihre Empfehlung hin zusammentretende Konferenz der Vertragsparteien entschieden. Sie ist im Gegensatz zur IKSD nicht bei Anwesenheit von zwei Dritteln, sondern erst von mindestens drei Vierteln der Vertragsparteien beschlussfähig99 • Ansonsten ist das Beschlussfassungsverfahren der Vertragsparteienkonferenz mit dem der IKSD nahezu identisch 100, wobei allerIKSD-Statut, Art. 4 Abs. 3. Ebd., Art. 5 Abs. 1; IKSD-GO, Art. 5.3. 97 IKSD-Statut, Art. 5 Abs. 2. 98 Ebd., Art. 4 Abs. 4; IKSD-GO, Art. 6. 99 Donauschutzübereinkommen, Art. 22 Abs. 4 S. 1. 100 Ebd., Art. 22 Abs. 4 und Abs. 5.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

dings Beschlüsse und Empfehlungen mit finanziellen Folgewirkungen nur im Konsens angenommen werden können 101. Streiten sich Vertragsparteien über Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens und scheitern Einigungsbemühungen, so ist die Streitfrage zur bindenden Entscheidung entweder dem IGH, oder aber einem Schiedsgericht gemäß Anlage V des Donauschutzübereinkommens (Schiedsveifahren) vorzulegen lO2• b) Zusammensetzung und Entscheidungsfindung der IKSR Die IKSR setzt sich nach Art. 7 Abs. 1 Rhein-Übereinkommen aus den durch hohe Ministerialbeamte gebildeten 103 Delegationen der Vertragsparteien des Rhein-Übereinkommens zusammen (Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz und die EG). Der Vorsitz der IKSR wird für drei Jahre abwechselnd von jeder Delegation wahrgenommen, wobei der Präsident der Kommission von der vorsitzenden Delegation benannt wird 104 . Die IKSR besitzt Rechtspersönlichkeit und im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die juristischen Personen nach innerstaatlichem Recht zuerkannt wird. Sie wird nach außen vom IKSR-Präsidenten vertreten 105. Die IKSR tritt einmal jährlich nach Einberufung durch den Präsidenten zu einer Plenarsitzung als oberstes beschlussfassendes Organ der Kommission zusammen 106 • Außerordentliche Plenarsitzungen werden vom Präsidenten auf eigene Initiative hin oder aber auf Verlangen von mindestens zwei Delegationen einberufen 107. Auf diesen Tagungen trifft die Kommission die Beschlüsse, die zur Verwirklichung der Ziele des Rhein-Übereinkommens und zur Erfüllung der ihr zu diesem Zweck durch Art. 8 Rhein-Übereinkommen übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Hierzu zählt nach Art. 8 Abs. 1 lit. a die Vorbereitung von Messprogrammen und Untersuchungen des Ökosystems Rhein, die gemäß Art. 5 Abs. 2 die Vertragsstaaten auf ihrem Hoheitsgebiet durchführen und deren Ergebnisse anschließend durch die Kommission ausgewertet werden. Zudem ist gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. b die Kommission beauftragt, Vorschläge für einzelne Maßnahmen und Maßnahmenprogramme zu erarbeiten, die nach Art. 5 Abs. 5 von den einzelnen Vertragsparteien umzusetzen sind. Die IKSR koordiniert ferner nach Art. 8 Abs. 1 lit. c die Warn- und Alarmpläne für den Rhein, in deren Rahmen die Vertragsstaaten ihrer Ebd., Art. 22 Abs. 6. Ebd., Art. 24 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a. Allgemein zur Regelung der Streitbeilegung durch gewässerrechtliche Verträge Rothenberger, Angemessene Nutzung, S. 250 ff. 103 Schulte-Wülwer-Leidig I Wieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (310). 104 Rhein-Übereinkommen, Art. 7 Abs. 3. lOS Ebd., Art. 6 Abs. 2. 106 Rhein-Übereinkommen, Art. 9 Abs. 1; IKSR-GFO, Art. 1.1. 107 Rhein-Übereinkommen, Art. 9 Abs. 2; IKSR-GFO, Art. 1.2. 101

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Pflicht nach Art. 5 Abs. 6 nachzukommen haben, bei gewässergefährdenden Störoder Unfällen und bei sich abzeichnenden Hochwasserereignissen unverzüglich die Kommission und die potentiell betroffenen Vertragsparteien zu unterrichten. Die Wrrksamkeit aller von ihr beschlossenen Maßnahmen bewertet die IKSR laut Art. 8 Abs. 1 lit. d insbesondere auf Grundlage der Berichte der Vertragsparteien und der Ergebnisse von Messprogrammen und Untersuchungen des Ökosystems Rhein. Diesen Zuständigkeitsbereich der IKSR können die Vertragsparteien nach Art. 8 Abs. 1 lit. e durch die Übertragung zusätzlicher Aufgaben erweitern. Hinsichtlich der Fassung, Rechtsverbindlichkeit und Durchführung von Kommissionsbeschlüssen, die gemäß Art. 8 Abs. 2 nach den in Art. 10 und Art. 11 festgeschriebenen Verfahren zu treffen sind, ist zwischen Beschlüssen auf Grundlage von Art. 8 Abs. 1 lit. b einerseits und den sonstigen Aufgabenbereichen andererseits zu differenzieren. Alle Beschlüsse der Kommission werden nach Art. 10 Abs. 1 einstimmig gefasst, wobei jeder Delegation eine Stimme zukommt 108 • Bei Beschlüssen über Maßnahmen i.S.v. Art. 8 Abs. llit. b, die in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaft fallen, übt die EG das Stimmrecht statt ihrer Mitgliedstaaten mit der entsprechenden Stimmenzahl aus 109 • Der einstimmigen Beschlussfassung steht die Stimmenthaltung von höchstens einer Delegation mit Ausnahme der EG - nicht entgegen, wobei auch Abwesenheit als Stimmenthaltung gewertet wird 11 0. Außerhalb von Plenarsitzungen können Beschlüsse in einem schriftlichen Verfahren gefasst werden, das im Gegensatz zu dem entsprechenden Verfahren der IKSD nicht ausdrücklich auf dringende Fragen beschränkt ist lll . Der diesbezügliche Antrag kann vom IKSR-Präsidenten oder einer Delegation mittels eines an alle Delegationen weiterzuleitenden Beschlussentwurfs gestellt werden 112. Der Entwurf gilt dann als abgelehnt, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten einstimmig angenommen wurde. Allerdings ist er in diesem Fall auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung zu setzten 113 • Gemäß Art. 11 Abs. 1 S. 1 werden die Beschlüsse der IKSR nach Art. 8 Abs. 1 lit. b über Vorschläge für einzelne Maßnahmen und Maßnahmenprogramme lediglich als Empfehlungen an die einzelnen Vertragsparteien gerichtet, die sie dann nach ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht umsetzen ll4 . Wie schon den Maßnahmen des Aktionsprogramms Rhein von 1987 und seines Nachfolgeprogramms Rhein 2020 kommt somit auch den Beschlüssen nach Art. 8 Abs. 1 lit. b keine Rechtsverbindlichkeit zu. Hieraus wird z.T. pauschal geschlossen, dass auch alle anderen Beschlüsse der IKSR bezüglich ihrer weiteren Aufgabenbereiche für die 108 109

llO 111 112 113

ll4

Rhein-Übereinkommen, Art. 10 Abs. 2. Ebd., Art. 10 Abs. 3. Ebd., Art. 10 Abs. 4. Ebd., Art. 10 Abs. 5; IKSR-GFO, Art. 2.1 S. 1. IKSR-GFO, Art. 2.1 S. 2 und S. 3. Ebd., Art. 2.2. Rhein-Übereinkommen, Art. 11 Abs. 1 S. 2 i.Y.m. Art. 5 Abs. 5.

J3 Reicher!

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2. Teil: Rechtsinstrumente

Vertragsparteien unverbindlich sind 115. Diese Auffassung kann letztlich jedoch nur damit begründet werden, dass die Rechtsverbindlichkeit der auf Art. 8 Abs. 1 lit. a, lit. c, lit. d und lit. e gestützten Beschlüsse nicht ausdrücklich festgelegt ist. Umgekehrt lässt sich jedoch aus dem ausschließlich in Art. 8 Abs. 1 lit. b explizit betonten Empfehlungscharakter diesbezüglicher Maßnahmenvorschläge auch schließen, dass in allen übrigen Fällen die Vertragsparteien des Rhein-Übereinkommens durch die Beschlüsse der IKSR rechtlich gebunden sind 116• Hierfür spricht zudem, dass nach Art. 11 ein besonderes Kontrollverfahren für die Durchführung von Kommissionsbeschlüssen ausdrücklich nur für die unverbindlichen Maßnahmenvorschläge nach Art. 8 Abs. 1 lit. b vorgesehen ist, das wohl für andere Beschlüsse aufgrund ihrer Rechtsverbindlichkeit nicht für erforderlich gehalten wurde l17 • Gemäß Art. 11 kann die Kommission auf verschiedene Weise die Umsetzung von Maßnahmenbeschlüssen nach Art. 8 Abs. 1 lit. b durch die Vertragsparteien kontrollieren und beeinflussen. Zunächst steht ihr die Möglichkeit offen, für die Durchführung der Beschlüsse einen konkreten Zeitplan und eine koordinierte Vorgehensweise der Vertragsparteien festzulegen 118. Sodann sind den Vertragparteien umfassende und regelmäßige Berichtspflichten auferlegt, die von der Art der von ihnen getroffenen gesetzgeberischen, verordnungsrechtlichen oder sonstigen Maßnahmen, bis hin zu den diesbezüglichen Umsetzungsproblemen reichen l19 . Falls Vertragsparteien Beschlüsse der IKSR nicht oder nur teilweise durchführen können, so sind sie zusätzlich verpflichtet, dies innerhalb einer bestimmten, von der Kommission im Einzelfall festzulegenden Frist unter Darlegung der Gründe mitzuteilen. Daraufhin ist jede Delegation berechtigt, diesbezügliche Konsultation zu beantragen, die innerhalb von zwei Monaten durchzuführen sind. Aufgrund der Berichte oder der Konsultationen kann die IKSR dann - wiederum unverbindliche 120 - Maßnahmen beschließen, um die Durchführung der Beschlüsse zu fördern l21 . Ferner haben die Vertragsparteien jährlich eine von der IKSR geführte Liste der Kommissionsbeschlüsse mit Angaben über den Stand ihrer entsprechenden Durchführungsmaßnahmen zu ergänzen 122 . Politische Grundsatzfragen bezüglich des Rhein-Übereinkommens werden dadurch entschieden, dass die Kommission auf Ministerebene zusammentritt. Die bereits seit 1972 regelmäßig tagende Rhein-Ministerkon!erenz123 setzt sich aus den Schulz. Schutz des Rheins, S. 318 (324). Ebenso Epiney / Felder, Überprüfung internationaler wasserwirtschaftlicher Übereinkommen im Hinblick auf die Implementierung der Wasserrahmenrichtlinie, UBA-Texte 17/02,2002, S. 75. 117 Insoweit keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Beschlussarten bei Schulz. Schutz des Rheins, S. 318 (324). 118 Rhein-Übereinkommen, Art. 11 Abs. 2 lit. a und lit. b. 119 Ebd., Art. 11 Abs. 3 lit. a, lit. bund lit. c. 120 Epiney / Felder, Implementierung der Wasserrahmenrichtlinie, S. 76. 121 Rhein-Übereinkommen, Art. 11 Abs. 4. 122 Ebd., Art. 11 Abs. 5. 11S

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zuständigen Fachministern der Vertragsstaaten der IKSR sowie dem für Umweltfragen zuständigen Mitglied der Europäischen Kommission zusammen. Bei Streitfragen über Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens können die Vertragsparteien gemäß Art. 16 Rhein-Übereinkommen ein im Anhang des Abkommens niedergelegtes Schiedsverfahren vor einem besonderen Schiedsgericht durchführen, sofern anderweitige Einigungsbemühungen erfolglos bleiben l24 •

2. Koordinierungs- und Expertengremien von Gewässerschutzkommissionen Angesichts der Aufgabenfülle, mit denen sich Gewässerschutzkommissionen aufgrund ihres umfangreichen Mandats konfrontiert sehen, ist eine interne Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie die Heranziehung von Experten unumgänglich. IKSD und IKSR weisen in dieser Hinsicht eine vergleichbare Auffächerung ihres Organisationsgefüges auf. a) Koordinierungs- und Expertengremien der IKSD Zwischen den Plenarversammlungen der IKSD können sowohl Beratungen der Deiegationsieiter12S als auch Treffen einer zu Koordinierungszwecken eingerichteten Steuerungsgruppe (eng!.: steering group) stattfinden 126, die sich aus den Delegationsleitern, dem IKSD-Präsidenten, dem IKSD-Exekutivsekretär und dem Vorsitzenden der sog. Programme Management Task Force (PMTF) zusammensetzt 121 • Die PMTF ist 1998 aus der ehemaligen Task Force des Donau-Umweltprogramms hervorgegangen und wurde durch die IKSD zusammen mit anderen internationalen Organisationen, Finanzinstitutionen, Donatoren und NRO als Sonderorgan gegründet, um die Kommission insbesondere in Hinsicht auf die finanziellen Implikationen ihrer Entwicklungsarbeit zu unterstützen 128 • Jede in der IKSD vertretene Delegationen hat die Möglichkeit. für die Behandlung bestimmter Fragen Sachverständige hinzuzuziehen 129 . Die Kommission insgesamt kann zum einen im Rahmen ihrer Untersuchungen, der Auswertung der 123 s.o. Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR) 3. Kapitel, C. I. 1. a). 124 Allgemein zur Regelung der Streitbeilegung durch gewässerrechtliche Verträge Rothenberger, Angemessene Nutzung, S. 250 ff. IlS IKSD-Statut, Art. 3 Abs. 3. 126 IKSD-GO, Art. 4.2. 127 Ebd., Art. 1.2 S. 2. 128 Ebd., Art. 1.5. S.o. Die Entstehung des Donauschutzübereinkommens - 4. Kapitel, A. II.l. 129 IKSD-Statut, Art. 1 Abs. 2.

13·

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2. Teil: Reehtsinstrumente

erzielten Ergebnisse und zur Überprüfung von Sonderfragen besonders geeignete Persönlichkeiten, wissenschaftliche Institutionen oder andere Einrichtungen beauftragen 130 • Zum anderen können aber auch zur Bearbeitung einzelner Arbeitsgebiete und spezieller Fragen - ständig oder ad hoc - Expertengruppen eingesetzt werden, die sich aus den von den Delegationen der Kommission bezeichneten Delegierten und Sachverständigen zusammensetzen 131. Sie unterstützen in enger Zusammenarbeit die Umsetzung des Donauschutzübereinkommens durch die IKSD I32 , die wiederum die Arbeit der verschiedenen Expertengruppen koordiniert 133 • Mandat, Zusammensetzung und Verfahren 134 der Expertengruppen werden in sog. Terms of Reference (ToR) festgelegt, auf deren Grundlage sie der Kommission Bericht erstatten und Empfehlungen bzw. Vorschläge insbesondere bezüglich ihres Arbeitsprogramms zur Annahme vorlegen 135. Seit dem In-Kraft-Treten des Donauschutzübereinkommens wurden insgesamt sechs Expertengruppen ins Leben gerufen, deren Aufgabenbereiche die Arbeitsschwerpunkte der IKSD widerspiegeln. Der ad hoc eingerichteten Strategie Expert Group (SIEG) kommt insbesondere in der Frühphase der Umsetzung des Donauschutzübereinkommens die Aufgabe zu, die Arbeit der Plenarversammlung oder der Steuerungsgruppe der Kommission hinsichtlich politischer, strategischer, rechtlicher und administrativer Fragen zu unterstützen 136• Sie setzt sich aus dem IKSDPräsidenten, dem IKSD-Exekutivsekretär und aus Experten zusammen, die von allen Vertragsparteien designiert werden, wobei die Teilnehmer je nach zu bearbeitender Fragestellung variieren können. Die bereits 1995 unter der Interims-Kommission eingerichtete Emissions Expert Group (EMISIEG) ist mit der Erarbeitung von Maßnahmen gegen die Gewässerverschmutzung des Donaueinzugsgebiets durch die Freisetzung von Schadstoffen betraut. Sie soll u. a. Verzeichnisse von punktuellen und diffusen Verschmutzungsquellen aufstellen bzw. aktualisieren und ein Aktionsprogramm zur Verschmutzungsreduzierung im Donaueinzugsgebiet entwickeln, das eine Liste prioritärer Stoffe enthält, die besonders dringend zu eliminieren oder reduzieren sind 137. Die 1996 ursprünglich als Gremium des DonauUmweltprogramms eingerichtete Monitoring, Laboratories and Information Management Expert Group (MUMIEG) dient dazu, Fragen der Überwachung des Gewässerzustands im Donaueinzugsgebiet zu bearbeiten und in diesem Zusam130

Ebd., Art. 8.

m Ebd., Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2.

IKSD-GO, Art. 8.1 S. 1. Ebd., Art. 8.2. 134 Ebd., Art. 8.3 (Vorsitz der Expertengruppe) und Art. 8.4 (Verfahren). 135 Ebd., Art. 8.2 und Art. 8.3. 136 Terms of Referenee for the Strategie Expert Group (SIEG ToR) vom 29. Oktober 1998. Die Terms of Referenee aller Expertengruppen sind über die Homepage der IKSD (http://www.iepdr.org) beziehbar. 137 Terms of Referenee for the Emissions Expert Group (EMlS/EG) of the ICPDR vom 29. Oktober 1998, Art. 2 (Objective - Mission Statement). 132 133

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

197

menhang Netzwerke zur grenzüberschreitenden Gewässerüberwachung bzw. von nationalen Überwachungslabors aufzubauen und grundlegende Daten dem Informationssystem der IKSD zur Verfügung zu stellen 138. Ziel der ebenfalls unter dem Donau-Umweltprogramm entstandenen Accident Emergency Prevention anti Warning System Expen Group (AEPWS/EG) ist es, die öffentliche Sicherheit und die Umwelt des Einzugsgebiets der Donau dadurch zu schützen, dass Unterliegerstaaten der Donau frühzeitig über plötzliche Veränderungen der Gewässereigenschaften (z. B. Verschmutzung, Hochwasser, Treibeis) mit grenzüberschreitenden Auswirkungen benachrichtigt werden. Hierzu soll die Expertengruppe die verschiedensten Unfallvorsorge- und Kontrollmaßnahmen insbesondere gegen grenzüberschreitende Belastungen durch wassergefahrdende Stoffe erarbeiten 139• Vor dem Hintergrund der am 22. Dezember 2000 in Kraft getretenen Wasserrahmenrichtlinie der EG I40 , die einen ökosystemorientierten Ansatz verfolgt, wurden im November desselben Jahres zwei weitere Expertengruppen der IKSD geschaffen. Die all-hoc Ecological Expen Group (ad-hoc ECO/EG) soll in Hinblick auf die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie die Aktivitäten der IKSD in Bezug auf die Erhaltung, Wiederherstellung und die nachhaltige Bewirtschaftung von Gewässerökosystemen und hiervon unmittelbar abhängiger terrestrischer Ökosystem bzw. Feuchtgebiete unterstützen. Hierzu hat sie u. a. die Bedeutung verschiedener Biotopelemente für das Süßwasserökosystem zu beurteilen, diesbezügliche Maßnahmen für die Verbesserung des ökologischen Gewässerzustands vorzuschlagen, ein Verzeichnis relevanter Habitate von Bedeutung für das gesamte Donaueinzugsgebiet aufzustellen, deren Zustand sie beurteilen soll, sowie die Schaffung eines Netzes von Schutzgebieten zu fOrdem l41 . Zusammen mit der ad-hoc Ecological Expert Group wurde auch die River Basin Management Expen Group (RBM/EG) eingerichtet, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Aktivitäten der IKSD zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie der EG im Einzugsgebiet der Donau zu unterstützen 142.

138 Terms of Reference for the Monitoring, Laboratories and Information Management Expert Group (MLIM/EG) ofthe ICPDR vom 29. Oktober 1998, Art. 2 (Objective -Mission Statement). 139 Terms of Reference for the Accident Emergency Prevention and Warning System Expert Group (AEPWS/EG) of the ICPDR vom 29. Oktober 1998, Art. 2 (Objective - Mission Statement). 140 s.u. Nachhaltiger Gewässerschutz auf europarechtlicher Ebene - Die Wasserrahmenrichtlinie - 5. Kapitel. 141 Terms of Reference of the ad-hoc Ecological Expert Group (ad-hoc ECO/EG) of the ICPDR vom 28. November 2000, Art. 2 (Objective - Mission Statement) und Art. 4 (Main Tasks ofthe Gd-hoc ECO/EG). 142 Terms of Reference for the River Basin Management Expert Group (RBM lEG) of the ICPDR vom 27. November 2000, Art. 2 (Objective - Mission Statement) und Art. 4 (Main Tasks of the Gd-hoc RBM / EG); ICPDR (Hrsg.), Danube Action Programme (2001- 2005), S.27.

198

2. Teil: Rechtsinstrumente

b) Koordinierungs- und Expertengremien der IKSR Die IKSR beschließt gemäß Art. 7 Abs. 5 Rhein-Übereinkommen u. a. über organisationsinterne Maßnahmen und ihre Arbeitsstruktur. Die Beschlüsse der IKSR werden durch eine vom IKSR-Präsidenten geleitete Koordinationsgruppe vorbereitet, die - vergleichbar der Steuerungsgruppe innerhalb der IKSD - die Aufgaben der IKSR koordiniert 143 , grundlegende Arbeitsprogramme erarbeitet, die Umsetzung der Beschlüsse überwacht und die Öffentlichkeitsarbeit der IKSR betreut l44 • Die von der Koordinationsgruppe erstellten Beschlussentwürfe basieren auf der Arbeit von sog. Arbeits- und Projektgruppen, die jeweils mit bis zu drei hochrangigen Beamten der Vertragsparteien sowie mit zusätzlichen Experten besetzt sind 14S. Die Vorsitzenden der Projekt- und Arbeitsgruppen, die jeweils nach Möglichkeit Mitglied einer Delegation sein sollen l46 , informieren die Koordinationsgruppe regelmäßig über den Stand der Arbeiten und erstatten der Kommission jährlich im Rahmen der Plenarsitzungen Bericht über die Arbeitsergebnisse 147 . Sie können für die Erledigung bestimmter Aufgaben Expertenkreise mit einem befristeten Mandat einsetzen 148 . Die von der Koordinationsgruppe eingesetzten Projektgruppen verfügen über ein zeitlich befristetes Mandat 149. So war die mittlerweile aufgelöste Projektgruppe "Programm zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins" (D) mit der Erarbeitung des entsprechenden Rhein-Programms 2020 beauftragt. Die Projektgruppe "Hochwasser" (H) dient der internationalen Abstimmung im Rahmen der Umsetzung und Konkretisierung des am 22. Januar 1998 beschlossenen Aktionsplans Hochwasser 1SO . Sie hat die Wirksamkeit der hierauf beruhenden Maßnahmen zu bewerten, die diesbezügliche Öffentlichkeitsarbeit zu betreuen und die Zusammenarbeit mit NRO in diesem Bereich zu gestaltenISI. Im Gegensatz zu den Projektgruppen werden die Arbeitsgruppen ohne zeitliche Befristung durch die Plenarversammlung der IKSR eingesetzt 1S2 • Die Arbeitsgruppe Gewässerqualität (A) hat u. a. die Entwicklung der Wasser-, Schwebstoff- und Sedimentqualität sowie der Schadstoffrückstände in Organismen zu überwachen. Ferner wertet sie Untersuchungsprogramme aus, entwickelt sie weiter und vergleicht regelmäßig den ZuIKSR-GFO, Art. 4.1. V gl. die Homepage der IKSR (http: 11 www.iksr.org). 145 Schulte-Wülwer-Leidig / Wieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (311). 146 IKSR-GFO, Art. 1.3 S. 3; Art. 4.2 S. 2. 147 Ebd., Art. 5.1 und Art. 5.2. 148 Ebd., Art. 5.3 S. 2. 149 Ebd., Art. 4.2 S. 1. 150 s.o. Der Aktionsplan Hochwasser - 3. Kapitel, C. 11. 2. b). 151 Vgl. die Homepage der IKSR (hup: IIwww.iksr.org). 152 IKSR-GFO, Art. 1.3 S. 2. 143

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4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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stand des Rheins mit den diesbezüglichen Zielvorgaben. Der Konkretisierung des ökologischen Gesamtkonzepts für den Rhein unter dem Aspekt des ökologisch ganzheitlichen Gewässerschutzes dient die Arbeitsgruppe Ökologie (B). Ihre Aufgabe ist es u. a., Leitlinien und Maßnahmenvorschläge für eine naturnahe Biotopvernetzung im Flusskorridor des Rheins zu erarbeiten und das Programm Lachs 2000 zu betreuen lS3 . Die Arbeitsgruppe Emissionen (C) erfasst u. a. punktuelle und diffuse Verschmutzungsquellen, schlägt diesbezügliche Reduzierungsmaßnahmen vor und bearbeitet ferner das Gebiet der Störfallvorsorge und Anlagensicherheit. IS4

3. Sekretariate von Gewässerschutzkommissionen Internationale Gewässerschutzkommissionen wie IKSD und IKSR werden von Sekretariaten unterstützt, denen die administrativen Aufgaben der Kommissionsarbeit anvertraut sind. a) Das IKSD-Sekretariat Durch das IKSD-Statut wurde ein Ständiges Sekretariat mit Sitz in Wien eingerichtetISS. An seiner Spitze steht ein Exekutivsekretär, der weitere Sekretariatsmitarbeiter fUr technische, administrative und sonstige Aufgaben bestellt lS6. Der Exekutivsekretär trägt die Verantwortung für die Verwaltung des IKSD-Sekretariats sowie für die Budgetplanung und die Finanzverwaltung der Kommission lS7 . Das Sekretariat unterstützt allgemein die Arbeit der IKSD und der Expertengruppen u. a. in Hinblick auf die Entwicklung ihrer jährlichen Arbeitsprogramme lS8 . Insbesondere läuft die gesamte schriftliche Kommunikation der IKSD über das Sekretariat lS9. Zudem ist der Exekutivsekretär für den Entwurf des jährlichen Tätigkeitsberichts zuständig, den die IKSD zusammen mit weiteren Berichten u. a. über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und Bewertungen den Vertragsparteien zu erstatten hat l60 . s.o. Das Aktionsprogramm Rhein und lAchs 2000 - 3. Kapitel, C. 11. 2. a). Vg1. die Homepage der IKSR (http: 11 www.iksr.org). ISS IKSD-Statut, Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2; IKSD-GO, Art. 7.1. IS6 IKSD-Statut, Art. Abs. 3 und Abs. 4; IKSD-GO, Art. 7.3 und Art. 7.4. IS7 IKSD-GO, Art. 7.6 S. 2 und S. 3. Zu Einzelfragen des Budgets, der Finanzverwaltung und der Kostenverteilung unter den Vertragsparteien des Donauschutzübereinkommens vg1. Art. 11 des IKSD-Statuts und die auf dieser Grundlage erlassene Finanzordnung der IKSD (Financial Rules - Financial Regulations) vom 29. Oktober 1998, Text über die Homepage der IKSD (http: //www.icpdr.org) beziehbar. IS8 IKSD-GO, Art. 7.6 S. 4 und Art. 8.1 S. 2. IS9 Ebd., Art. 7.7. 160 Donauschutzübereinkommen, Art. 9; IKSD-GO, Art. 4.13. 1S3

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2. Teil: Rechtsinstrumente

b) Das IKSR-Sekretariat Die IKSR, ihr Präsident und ihre Gruppen werden von einem zur Neutralität verpflichteten 161 ständigen Sekretariat mit unterstützt, das am Sitz der Kommission in Koblenz 162 angesiedelt ist. Das IKSR-Sekretariat wird von einem durch die Kommission ernannten Geschäftsführer geleitet 163 und durch den IKSR-Präsidenten beaufsichtigtl64. Der Geschäftsführer ist für die Arbeiten des Sekretariats und dessen Verwaltung einschließlich der Personalfiihrung verantwortlich. Zudem trägt er die Verantwortung für die Aufstellung des Haushaltsentwurfs und die Finanzverwaltung innerhalb der Kommission 165 . Die Sekretariatsmitarbeiter werden auf Vorschlag des Geschäftsführers vom IKSR-Präsidenten im Namen der Kommission eingestellt und entlassen l66. Das Sekretariat bereitet die Plenarsitzungen der IKSR sowie die Sitzungen der Koordinationsgruppe und der Arbeits- und Projektgruppen vor, lädt hierzu ein und erstellt die diesbezüglichen Beschlussprotokolle. Es wickelt den SchriftveI:kehr zwischen der Kommission und den Delegationen der Vertragsparteien ab und sorgt für die Weiterleitung von Informationen und Dokumenten 167. Ferner kann die Kommission dem Sekretariat weitere Aufgaben übertragen 168.

4. Partizipation von Drittstaaten, zwischenstaatlichen Organisationen und NRO Das UN I ECE-Gewässerübereinkommen sieht die Einbindung von Nichtvertragsparteien in die Zusammenarbeit von Anrainerstaaten grenzüberschreitender Gewässer vor. So sollen nach Art. 9 Abs. 3 UN I ECE-Gewässerübereinkommen die Küstenstaaten, die unmittelbar und erheblich von grenzüberschreitenden Gewässerbeeinträchtigungen betroffen sind 169 , von den Vertragsparteien aufgefordert IKSR-GFO, Art. 7.4. Unterzeichnungsprotokoll des Rhein-Übereinkommens, Art. 3. 163 Rhein-Übereinkommen, Art. 12 Abs. 1 und Abs. 3; IKSR-GFO, Art. 7.1. und Art. 7.5. 164 IKSR-GFO, Art. 3.4. 165 Ebd., Art. 7.6. Zu Einzelfragen des Haushalts, der Finanzverwaltung und der Kostenverteilung unter den Vertragsparteien des Rhein-Übereinkommens vgl. Rhein-Übereinkommen, Art. 13 (Kostenaufteilung); ebd., Art. 9 (Aufteilung der Kosten für den jährlichen Haushalt) und Art. 10 (Haushalt / Finanzordnung ). Art. 11 des IKSD-Statuts und die auf dieser Grundlage erlassene Finanzordnung der IKSD (Financial Rules - Financial Regulations) vom 29. Oktober 1998, Text über die Homepage der IKSD (http://www.icpdr.org) beziehbar. 166 IKSR-GFO, Art. 7.7 S. 2. Zu diesbezüglichen Arbeits- und Sozialfragen vgl. RheinÜbereinkommen, Art. 6 Abs. 3; ebd., Art. 7.7 und Art. 7.8. 167 IKSR-GFO, Art. 7.3. 168 Ebd., Art. 7.4. 169 s.o. Küstengewässer-I. Kapitel, B. 11. 3. e). 161

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4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

201

werden können, in einem bestimmten Ausmaß an den Aktivitäten der von ihnen geschaffenen Gewässerschutzkommissionen teilzunehmen. Gleiches gilt für jene gemeinsamen Gremien, die Küstenstaaten zum Schutz der Meeresumwelt geschaffen haben 170. Auf diese Weise soll die Arbeit von Meeres- und Gewässerschutzkommissionen harmonisiert und insgesamt gestärkt werden. Mit der gleichen Zielsetzung sind verschiedene Gewässerschutzkommissionen, die - wie z. B. die internationalen Kommissionen für den Bodensee, den Rhein sowie für Mosel und Saar - in demselben Einzugsgebiet eines grenzüberschreitenden Gewässers bestehen, zu Koordinierung ihrer Tatigkeiten aufgefordert. Allerdings enthält das UN I ECEGewässerübereinkommen neben dieser recht allgemeinen Forderung keine Regelungen, die die rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit verschiedener Gewässerschutzkommissionen näher spezifizieren. Im Gegensatz zu Drittstaaten und zwischenstaatlichen Gewässerschutzkommissionen ist nach dem UN I ECE-Gewässerübereinkommen die Einbindung von NRO in die internationale Kooperation zum nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer noch nicht vorgesehen.

a) Partizipation im Rahmen der IKSD Das Donauschutzübereinkommen bietet unterschiedlichen Nichtvertragsparteien die Möglichkeit. an der Arbeit innerhalb der IKSD teilzunehmen. Nach den Regeln der IKSD über die Partizipation und den Beobachterstatus von Nichtvertragsparteien (IKSD-Partizipationsregeln)l7l können diejenigen Donaustaaten im Sinne von Art. 1 lit. a Donauschutzübereinkommen und Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, die zwar das Donauschutzübereinkommen vor seinem InKraft-Treten am 22. Oktober 1998 unterzeichnet haben, für die es aber noch nicht in Kraft ist ("Signatory Party") 172, bereits aktiv mit bestimmten Rechten und Pflichten - mit Ausnahme des Stimmrechts 173 - an der Arbeit innerhalb der IKSD teilnehmen 174. Gleiches gilt für andere Staaten und Organisationen der regionalen Wutschaftsintegration, die dann im Einzelfall einvernehmlich von der Kommission als Teilnehmer mit konsultativem Status (,,Participant with consultative Status")175 gemäß Art. 28 Abs. 2 Donauschutzübereinkommen zur Mitwirkung eingeUN /ECE-GewässeTÜbereinkommen, Art. 9 Abs. 4. Legal Status of Participation and Observership under the DRPC (lKSD-Partizipationsregeln) vom 29. Oktober 1998, Text über die Homepage der IKSD (http: /I www.icpdr.org) beziehbar. 172 IKSD-Partizipationsregeln, Art. 1.1. Im Juni 2001 hatte die Ukraine mangels Ratifikation des Donauschutzübereinkommens den Status einer Unterzeichnerpartei, vgl. Summary Report on the 6th Steering Group Meeting of the ICPDR, 07 to 08 June 2001, Lovran - Croatia, S. 2. 173 IKSD-Partizipationsregeln, Art. 8. 174 Ebd., Art. 2. 175 Ebd., Art. 1.4. 170 171

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2. Teil: Rechtsinstrumente

laden werden können, wenn bei ihnen die Bereitschaft besteht, "to make a practical and valuable contribution to the implementation of the main principles and goals ofthe Convention" 176. Schließlich kann die Kommission gemäß Art. 18 Abs. 6 Donauschutzübereinkommen über die Zusammenarbeit mit internationalen und nationalen Organisationen oder anderen juristischen Personen beschließen, die mit Fragen des Gewässerschutzes und der Wasserbewirtschaftung allgemein oder speziell in Zusammenhang mit der Donau und den Gewässern ihres Einzugsgebiets befasst sind bzw. sich hierfür interessieren. Die Zusammenarbeit soll der Koordinierung und der Vermeidung von Doppelarbeit dienen. Zu diesem Zweck kann die IKSD zu den Ld.R. nichtöffentlichen Sitzungen I77 der Kommission und ihrer Expertengremien sowohl Staaten, die nicht Vertragsparteien des Donauschutzübereinkommens sind 178 als auch zwischenstaatliche Organisationen und NRO als Beobachter mit bestimmten Rechten und Pflichten 179 zulassen 180. Nach den Richtlinien der IKSD zur Gewährung des Beobachterstatus (lKSD-Beobachterstatus-Richtlinien)181 kann das diesbezügliche Zulassungs verfahren auf Antrag des Kandidaten und auf Einladung der IKSD eingeleitet werden l82. Die allgemeinen Bedingungen, nach denen Kandidaten der Status eines Beobachters eingeräumt werden kann, verlangen die Anerkennung der Ziele und grundlegenden Prinzipien des Übereinkommens, Vorhandensein spezialisierter technischer oder wissenschaftlicher Kompetenzen oder anderer Kompetenzen im Hinblick auf die Ziele des Übereinkommens, die Existenz einer strukturierten Verwaltung und die Befugnis, als akkreditierte Vertreter zu sprechen 183. Um das Donauschutzübereinkommen insbesondere auch in Hinblick auf den Drainage-BasinAnsatz l84 und die Wasserrahmenrichtlinie der EG 18S wirksam zu verwirklichen, setzen zusätzliche Kriterien für Partner innerhalb des Donaueinzugsgebiets u. a. Interesse und Engagement am Donauschutz und der Wasserbewirtschaftung sowie für Partner außerhalb des Einzugsgebiets die Unterstützung des Donauschutzübereinkommens und die Kenntnis der Aufgaben großer Flusskommissionen voraus l86. Ebd., Art. 5.1. IKSD-GO, Art. 4.7. 178 Im Juni 2001 hatte Bosnien-Herzegowina Beobachterstatus, vgl. Summary Report on the 6 th Steering Group Meeting of the ICPDR, 07 to 08 June 2001, Lovran - Croatia, S. 2. 179 Vgl. hierzu im Detail die IKSD-Partizipationsregeln. 180 IKSD-GO, Art. 4.8. 181 Detailed Guiding Criteria for Granting Observer Status (IKSD-Beobachterstatus-Richtlinien) vom 10./11. Juni 1999, Text über die Homepage der IKSD (http: 1/ www.icpdr.org) beziehbar. 182 Ebd., Art. 4.1. 183 Ebd., Art. 3.1. 184 s.u. Regelungsgegenstand nachhaltigen Gewässerschutzes - 4. Kapitel, D. 185 s.u. Nachhaltiger Gewässerschutz auf europarechtlicher Ebene - Die Wasserrahmenrichtlinie - 5. Kapitel. 186 IKSD-Beobachterstatus-Richtlinien, Art. 3.2. 176 177

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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Auf dieser Basis wurde bis Juni 200 1187 insgesamt neun zwischenstaatlichen Organisationen und NRO der Beobachterstatus im Rahmen der IKSD eingeräumt l88 • Mit der Einbindung der durch das Übereinkommen zum Schutz des Schwarzen Meeres gegen Verschmutzung geschaffenen Black Sea Proteetion Commission wird die Vorgabe von Art. 9 Abs. 4 UN I ECE-Gewässerübereinkommen erfüllt, mit denjenigen internationalen Gremien enger zusammenzuarbeiten, die für den Schutz der Meeresgebiete verantwortlich sind, in die das grenzüberschreitende Gewässer mündet.

b) Partizipation im Rahmen der IKSR Wie schon das Donauschutzübereinkommen, so sieht auch Art. 14 Rhein-Übereinkommen die Zusammenarbeit mit anderen Staaten, zwischenstaatlichen Organisationen, NRO und externen Experten vor. Insbesondere kann die Kommission als Beobachter Drittstaaten, die ein Interesse an der Arbeit der Kommission haben, zwischenstaatliche Organisationen, deren Arbeit in Zusammenhang mit dem Rhein-Übereinkommen steht, und NRO, soweit deren Interessen oder Aufgaben betroffen sind, anerkennen l89 • Die Bedingungen für die Zusammenarbeit sowie die erforderlichen Zulassungs- und Teilnahmekriterien sind in der IKSR-GFO geregelt l90. Beobachter haben zum einen die Möglichkeit, Informationen oder Berichte von Belang für die Ziele des Übereinkommens vorzulegen, zum anderen können sie eingeladen werden, an Sitzungen der IKSR ohne Stimmrecht teilzunehmen 191. Bis Juli 2001 hat die IKSR neben der belgischen Region Wallonien insgesamt sechs zwischenstaatlichen Organisationen 192 und zehn NR0 193 den Beobachtersta187 Vg1. Summary Report on the 6th Steering Group Meeting ofthe ICPDR, 07 to 08 June 2001, Lovran - Croatia, S. 15 f., Text über die Homepage der IKSD (http://www.icpdr.org) beziehbar. 188 V g1. die Homepage der IKSD (http://www.icpdr.org):BlackSeaProtection Commission, Donauschifffahrtskommission, Danube Environmental Forum (DEF), Global Water Partnership Central and Eastern Europe Technical Advisory Committee (GWP-CEETAC), Internationale Arbeitsgemeinschaft Donauforschung (lAD), International Hydrological Programme of UNESCO (IHP 1UNESCO), Ramsar Convention on Wetlands, Regional Environmental Center for CentraJ and Eastern Europe (REC) und World Wide Fund for Nature (WWF). 189 Rhein-Übereinkommen, Art. 14 Abs. 2. 190 Ebd., Art. 14 Abs. 6; IKSR-GFO, Art. 8. 191 Rhein-Übereißkommen, Art. 14 Abs. 4. 192 Vg1. IKSR (Hrsg.), Tätigkeitsbericht 1999/2000, 2001, S. 25 f.: Internationale Kommission zum Schutz der Eibe (IKSE), Internationale Kommission zum Schutz der Mosel und der Saar (lKSMS), OSPAR-Kommission, Internationale Kommission zum Schutz der Maas (lKSM), Zentra1kornmission für die Rheinschifffahrt (ZKR), Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (lGKB). 193 Vg1. IKSR (Hrsg.), Tätigkeitsbericht 1999/2000, S. 26 f.: Schweizerisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft Renaturierung des Hochrheins, Internationale Arbeitsgemeinschaft der

204

2. Teil: Rechtsinstrumente

tus zuerkannt. So wurde der Beobachterstatus - Art. 9 Abs. 4 UN / ECE-Gewässerübereinkommen entsprechend - der OSPAR-Kommission zuerkannt, die für den Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks zuständig ist. Der Koordinierung der Zusammenarbeit mit anderen Gewässerschutzübereinkommen des Rheineinzugsgebiets LS.v. Art. 9 Abs. 5 UN /ECE-Gewässerübereinkommen dient die Anerkennung der internationalen Kommissionen zum Schutz des Bodensees, der Mosel und der Saar. NRO müssen, um nach dem Anerkennungsverfahren gemäß Art. 8 IKSR-GFO den Status eines Beobachters zuerkannt zu bekommen, dieselben Zulassungskriterien erfullen, die auch schon im Rahmen des Donauschutzübereinkommens vorgesehen sind: Anerkennung der Ziele und grundlegenden Prinzipien des Übereinkommens, Vorhandensein spezialisierter technischer oder wissenschaftlicher Kompetenzen oder anderer Kompetenzen im Hinblick auf die Ziele des Übereinkommens, Existenz einer strukturierten Verwaltung und die Befugnis, im Namen ihrer Mitglieder als akkreditierte Vertreter zu sprechen l94 • Die Kommission tauscht mit NRO Informationen aus, soweit deren Interessen oder Aufgaben betroffen sind. Insbesondere holt die Kommission bei Beschlüssen, die erhebliche Bedeutung für NRO haben können, deren Stellungnahmen ein und informiert sie nach Beschlussfassung 195. NRO können der Kommission relevante Informationsdokumente und Vorschläge vorlegen, die im Ermessen des Geschäftsführers verteilt und im Ermessen der Sitzungsteilnehmer besprochen werden l96. Über die Einladung von anerkannten NRO und externen Experten als Beobachter zu Plenarsitzungen der IKSR beschließt die Koordinationsgruppe, wobei auf eine ausgeglichene Repräsentation der unterschiedlichen Interessen zu achten ist 197 • Arbeits- und Projektgruppen beschließen im Einvernehmen mit dem IKSR-Präsidenten über die Einladung von externen Experten oder sachverständigen Vertretern von NR0 198 •

5. Information der Öffentlichkeit Die Bedeutung der Partizipation der Öffentlichkeit für den Umweltschutz wurde auf internationaler Ebene insbesondere durch das 1998 unter der Ägide der UN / Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet (IAWR), European Union of National Associations of Water Suppliers and Waste Water Services (EUREAU), Conseil Europeen de l'Industrie Chimique (CEIC), Hochwassernotgemeinschaft Rhein - Gemeinde- und Städtebund, Umweltstiftung WWF Deutschland - Auen-Institut, Greenpeace International, NABU - Naturschutzstation, Rhein-Kolleg, Alsace Nature. 194 IKSR-GFO, Art. 8.1. Einzelheiten des Anerkennungsverfahrens sind in Art. 8.2 IKSRGFO festgelegt. 195 Rhein-Übereinkommen, Art. 14 Abs. 3. 196 IKSR-GFO, Art. 8.4. S. 1. 197 Rhein-Übereinkommen, Art. 14 Abs. 5; IKSR-GFO, Art. 8.5 S. I und S. 2. 198 IKSR-GFO, Art. 8.6.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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ECE im dänischen Aarhus abgeschlossene Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öfjentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsveifahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Übereinkommen)l99 anerkannt. Im Bereich des internationalen Gewässerrechts konzentriert sich die Beteiligung der Öffentlichkeit auf diesbezügliche Informationspflichten der Gewässerschutzkommissionen. So haben Anrainerstaaten nach Art. 16 UN I ECEGewässerübereinkommen sicherzustellen, dass Informationen über den Zustand grenzüberschreitender Gewässer sowie über bereits ergriffene oder geplante Gewässerschutzmaßnahmen und deren Wirksamkeit der Öffentlichkeit kostenlos zur Einsicht oder in Kopie gegen eine angemessene Gebühr zugänglich gemacht werden. In diesem Zusammenhang sind der Öffentlichkeit zumindest die Qualitätsziele für Wasser, erteilte Genehmigungen und Auflagen bezüglich der Gewässernutzung, die Ergebnisse der Gewässerüberwachung sowie Informationen darüber bekannt zu machen, inwieweit die Qualitätsziele für Wasser oder die Genehmigungsauflagen eingehalten wurden.

a) Information der Öffentlichkeit im Rahmen der IKSD Nach Art. 9 Abs. 4 S. 2 Donauschutzübereinkommen sind die Ergebnisse von Überwachungsmaßnahmen durch Publikationen der Öffentlichkeit vorzustellen. Ferner bestimmt Art. 14 Donauschutzübereinkommen, dass Informationen über den Zustand oder die Qualität der Fließgewässerumwelt im Donaueinzugsgebiet durch die Behörden der Vertragsparteien jeder natürlichen oder juristischen Person gegen Gebühr sobald als möglich zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese Person ihr Interesse begründen müsste 2OO • Allerdings besteht entgegen Art. 16 UN I ECE-Gewässerübereinkommen keine ausdrückliche Informationspflicht über erteilte Genehmigungen und Auflagen. Zudem kann der Antrag auf Informationszugang durch die Vertragsparteien beim Vorliegen bestimmter, recht weit gefasster Ausnahmetatbestände (z. B. Landesverteidigung, öffentliche Sicherheit, Geschäftsund Betriebsgeheimnisse) mit schriftlicher Begründung abgelehnt werden201 . Alle von der IKSD endgültig verabschiedeten Dokumente einschließlich des jährlichen Tätigkeitsberichts der Kommission 202 sind jedoch durch das Sekretariat und die Vertragsparteien den nationalen Verwaltungen, Wissenschaftlern und Forschungsinstituten, NRO und der Öffentlichkeit - erforderlichenfalls gegen Gebühr - zugänglich zu machen203 • 199 Convention on Access to Infonnation, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters (Aarhus-Übereinkommen) vom 25. Juni 1998; Text in: ll..M 38 (1999), S. 517 ff. Allgemein zum Aarhus-Übereinkommen Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 22, Rn. 592. 200 Donauschutzübereinkommen, Art. 14 Abs. 1. 201 Ebd., Art. 14 Abs. 3 und Abs. 4. 202 IKSD-GO, Art. 4.13.

2. Teil: Rechtsinstrumente

206

b) Information der Öffentlichkeit im Rahmen der IKSR Die Plenarsitzungen der IKSR sind ebenso nichtöffentlich wie die Sitzungen ihrer Koordinationsgruppe, Arbeits- und Projektgruppen und Expertenkreise. Zudem sind jeglicher Schriftwechsel und alle Dokumente nichtöffentlich, sofern die Kommission nichts anderes entscheidee04• Eine dem Donauschutzübereinkommen vergleichbare Pflicht, generell alle Dokumente zu veröffentlichen, die von der Kommission endgültig verabschiedet wurden, kennt das Rhein-Übereinkommen nicht. Zwar ist die IKSR gemäß Art. 8 Abs. 4 Rhein-Übereinkommen grundsätzlich verpflichtet, die Öffentlichkeit über den Zustand des Rheins und die Ergebnisse ihrer Arbeit zu informieren, wozu sie Berichte erstellen und veröffentlichen kann. Allerdings sind entgegen der Vorgaben durch Art. 16 UN /ECE-Gewässerübereinkommen weder ein generelles Zugangsrecht zur Kommissionsdokumenten, noch Form, Inhalt und Zeitpunkt der Veröffentlichungen näher spezifiziert2os . In der Praxis wird jedoch u. a. der gegenüber den Vertragsparteien abzugebende jährliche Tatigkeitsbericht der Kommission206 veröffentlicht.

ll. Bewertung institutionalisierter Kooperation zum nachhaltigen Gewässerschutz Nachdem es bezüglich der Binnenschifffahrt bereits im 19. Jahrhundert zu einer Institutionalisierung der Zusammenarbeit von Anrainerstaaten in Form zwischenstaatlicher Kommissionen gekommen W~7, wurden seit Ende des Zweiten Weltkriegs z. B. im Rheineinzugsgebiet internationale Gremien geschaffen208 , die zunächst mit dem partiellen Schutz grenzübergreifender Gewässer beauftragt waren. Die Kernaufgabe von Gewässerschutzkommissionen ist es, die zwischen den Anrainerstaaten bestehenden Regelungsprobleme aufgrund von Gewässerbelastungen im Einzelnen zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln, um die gemeinsamen Interessen der Anrainerstaaten an Nutzung und Schutz grenzübergreifender Gewässer zu verwirklichen. Angesichts der Verlagerung des Regelungsinteresses internationalen Gewässerrechts weg von partiellen und hin zu ökosystemorientierten Regelungskonzeptionen stellt sich die Frage, ob sich zur Verwirklichung eines nachhaltigen Schutzes von Süßwasserressourcen auch die Funktionen gewandelt haben, die zwischenstaatliche Gewässerschutzkommissionen erfüllen. 203

Ebd., Art. 9.

IKSR-GFO, Art. 11.1 und Art. 11.2. 205 Vgl. auch Schulz. Schutz des Rheins, S. 318 (325). 206 Rhein-Übereinkommen. Art. 8 Abs. 3. 207 s.o. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei navigatorischen Nutzungen - 3. Kapitel. A. 11. 1. 208 s.o. Kooperation: Panieller Gewässerschutz - Das Beispiel des Rheineinzugsgebiets. 3. Kapitel, C. 204

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

207

1. Klassische Funktionen von Gewässerschutzkommissionen

Vergleicht man die rechtliche Ausgestaltung der durch das Donauschutzübereinkommen von 1994 und das Rhein-Übereinkommen von 1999 geschaffenen Gewässerschutzkommissionen mit derjenigen der älteren internationalen Gremien im Rheineinzugsgebiee09, so scheinen hinsichtlich des organisatorischen Aufbaus und der wesentlichen Funktionen keine signifikanten Unterschiede erkennbar zu sein: Die fundamentale Aufgabe der Gewässerschutzkommissionen besteht darin, den Anrainerstaaten ein Forum zur Beratung aller von einem Gewässerschutzübereinkommen umfassten Themenbereiche zu bieten (Konsultationsfunktion)2Io, wobei nach Art. 10 UN I ECE-Gewässerübereinkommen die Konsultationen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, des guten Glaubens und der guten Nachbarschaft erfolgen. Das Organisationsgefüge der Gewässerschutzkommissionen besteht jeweils aus beschlussfassenden und paritätisch von den Vertragsparteien besetzten Kommissionen, die durch ein Sekretariat und mehrere Expertengremien unterstützt werden. Während das Sekretariat mit der verwaltungstechnischen Abwicklung der Kommissionsarbeit betraut ist (Administrationsfunktion), besteht die Aufgabe der Expertengremien darin, Regelungsprobleme zu identifizieren und Gewässerschutzmaßnahmen zu entwickeln (Erkenntnis- und Lemfunktion). Um adäquate und vom gemeinsamen Interesse der Vertragsparteien getragene Lösungen zur Bekämpfung von Gewässerbelastungen erarbeiten zu können, dienen Kommissionen als Foren sowohl zum Austausch der zur Problembearbeitung erforderlichen Informationen (Informationsfunktion) als auch zum Ausgleich von entgegengesetzten Interessenlagen der Anliegerstaaten (Konjliktlösungsjunktion). Auch nach dem Donauschutzübereinkommen und dem Rhein-Übereinkommen können die Beschlüsse der Kommissionen die einzelnen Vertragsparteien weiterhin nicht gegen ihren Willen völkerrechtlich binden: Zum einen werden Beschlüsse Ld.R. nur einstimmig von den Delegationen aller Vertragsparteien angenommen, zum anderen ergehen sie in den wesentlichen Fällen - vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. b Rhein-Übereinkommen - lediglich in Form eines Vorschlags mit Empfehlungscharakter, der für die Vertragsparteien nicht rechtsverbindlich ist (Beratungsfunktion). Die Umsetzung der so beschlossenen Maßnahmenvorschläge durch die einzelnen Anrainerstaaten wird durch Kommissionen ebenso koordiniert wie die Zusammenarbeit mit anderen Gewässerschutzorganisationen211 (Koordinationsfunktion). Schließlich ist die zentrale Bedeutung internationaler Gewässerschutzkommissionen für die Entwicklung gegenseitigen Vertrauens zwischen Anrainerstaaten nicht zu unterschätzen, indem sie einen stabilen Rahmen für eine dauerhafte Kooperation bilden (Vertrauensbildungsfunktion)212. 209 s.o. Ausprägungen partiellen Gewässerschutzes im Rheineinzugsgebiet (1950-1986)3. Kapitel, C. I. 210 UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 10; Donauschutzübereinkommen, Art. 4lit. a und Art. 1l. 211 Vgl. z. B. IKSR-Vereinbarung, Art. 10. Hierzu oben Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung (IKSR) -3. Kapitel, C. I. 1. a).

208

2. Teil: Rechtsinstrumente

2. Gewässerschutzkommissionen als epistemische Gemeinschaften

Zusätzlich zu ihren klassischen Funktionen werden an internationale Gewässerschutzkommissionen mit dem Wandel zum gewässerpolitischen Leitbild nachhaltigen Gewässerschutzes neuartige Anforderungen gestellt. Nachhaltiger Gewässerschutz, der im Gegensatz zu partiellen Ansätzen den Schutz von Gewässerökosystemen in ihrer Gesamtheit als sein zentrales Regelungsinteresse definiert, lässt zumindest dem Ideal nach - zwischenstaatliche Souveränitätskonflikte deutlicher in den Hintergrund treten und stellt das gemeinsame Interesse der Anrainerstaaten an der dauerhaften Integrität der Natur- und Kultutfunktionen von Gewässerökosystemen in den Vordergrund. Da ökosystemorientiertes Gewässerrecht weit mehr als partielle Schutzansätze die möglichst umfangreiche Kenntnis des Regelungsgegenstandes und der kulturellen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit Süßwasserökosystemen bedingt, wächst die Bedeutung zwischenstaatlicher Gewässerschutzkommissionen. Sie bilden dauerhaft einen institutionellen Rahmen, der es den handelnden Personen (Vertreter der Anrainerstaaten, Experten, NRO-Vertreter usw.) ermöglicht, gemeinschaftlich Regelungsprobleme zu definieren und adäquate Gewässerschutzmaßnahmen zu erarbeiten. Wie die jahrzehntelange Zusammenarbeit innerhalb der IKSR erwiesen hat, sind damit günstige Voraussetzungen nicht nur für die Bildung gegenseitigen Vertrauens, sondern auch für die Entwicklung gemeinsamer Betrachtungsweisen und Interessen gegeben. Gewässerschutzkommissionen können auf diese Weise zum Motor der Rechtsentwicklung werden und die Rolle einer sog. "epistemischen Gemeinschaft" (engl.: epistemic community) wahrnehmen. Mit dem politikwissenschaftlichen Begriff der "epistemischen Gemeinschaft,,213 werden u. a. im Bereich der umweltvölkerrechtlichen Kooperation Gruppen bzw. Netzwerke von Experten gegebenenfalls unterschiedlicher Disziplinen (z. B. aus den Naturwissenschaften und der völkerrechtlichen Lehre bzw. Praxis) beschrieben, die in einem bestimmten Problembereich weitgehend übereinstimmende Auffassungen über Fakten, Ursachenzusammenhänge und Lösungsstrategien teilen und hiervon ausgehend gemeinsame Werte und Zielvorstellungen vertreten: ,,An epistemic community is a professional group that believes in the same cause-and-effect relationships [ ... ] and shares common values. As well as sharing an acceptance of a common set of facts, its members share a common interpretive framework, or ,consensual knowledge', from which they convert such facts [ ... ] to policy-relevant conclusions. [ ... ] An epistemic community's power re212 s.o. Prozedurale Regelungen: Institutionalisierte Kooperation - 3. Kapitel, C. 11. 1. b). Blatter, Lake Constance, S. 89 (103); HuismanlWierikslde long, The Rhine Case, S. 97 (102 ff.); Schulte-Wülwer-LeidigIWieriks, Grenzüberschreitender Gewässerschutz am Rhein, S. 298 (302). 213 Das Adjektiv "epistemisch" (engl.: epistemic) leitet sich etymologisch von epistemon (griech. - wissend, kundig) bzw. episteme (griech. - das Verstehen, die Wissenschaft) ab, vgl. Dudenredaktion - Wissenschaftlicher Rat (Hrsg.), Duden - Das große Fremdwörterbuch, 2000, S. 405.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

209

source [ ... ] is its authoritative claim to knowledge. [ ... ] By heeding an epistemic community's advice, governments may come to identify new policies or new policy objectives.,,214 Mittels ihrer auf Fachkompetenz beruhender Autorität21S können epistemische Gemeinschaften insbesondere dann entscheidenden Einfluss auf die Bildung gemeinsamer Interessen von Anrainerstaaten eines greDZÜbergreifenden Gewässers und der Entwicklung dementsprechender Normen gewinnen, wenn sie an der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit beteiligt sind. Beispielhaft hierfür ist die aktive Rolle der IKSR und ihrer Expertengremien bei der Entwicklung des Aktionsprogramms Rhein in Anschluss an den Sandoz-Unfall von 1986, mit dem das Leitbild nachhaltigen Gewässerschutzes für den Rhein formuliert und ein wesentlicher Beitrag zur Neuorientierung internationalen Gewässerrechts insgesamt geleistet wurde 216 . Zwischenstaatliche Kooperation zum ökosystemorientierten und nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer erfordert aufgrund der Komplexität und Dynamik des Regelungsgegenstandes einen kontinuierlichen Lernprozess, der letztlich nicht allein auf diplomatischer Ebene, sondern nur mit Hilfe einer aktiv als epistemische Gemeinschaft fungierenden Gewässerschutzkommission durchgeführt werden kann. Neue Erkenntnisse über das sich beständig verändernde Gewässerökosystem sowie Herausforderungen durch unvorhergesehene Gewässerbelastungen verlangen die schnelle und flexible Entwicklung bzw. Anpassung gewässerschützender Maßnahmen, die mit dem klassischen Instrument des völkerrechtlich verbindlichen Vertrags und den mit ihm verbundenen mühsamen Verhandlungs- und Ratifikationsprozessen - wie die Chemie- und Chloridübereinkommen im Rheineinzugsgebiet gezeigt haben - nicht zu leisten ist217 . Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen mit den zwar rechtlich unverbindlichen, aber umfangreichen Maßnahmenprogrammen im Anschluss an den SandozUnfall und mehrere Hochwasserereignisse im Rheineinzugsgebiet218 hat das entsprechende Regelungsverfahren Eingang in völkerrechtliche Übereinkommen zum nachhaltigen Gewässerschutz gefunden. So verzichtet das Rhein-Überein214 Haas. Saving the Mediterranean Sea - The Politics of International Environrnental Cooperation, 1990, S. 55 f. Vgl. auch ders., Epistemic Cornmunities and International Policy Coordination. in: ders. (Hrsg.), Knowledge, Power and International Policy Coordination - A special Issue of 10, 1992, S. 1 (3 f.); Ruggie. International Responses to Technology: Concepts and Trends, in: 10, 1975, S. 557 (569 f.). Zu epistemischen Gemeinschaften speziell im Bereich des internationalen Gewässerschutzes Brunnee I Toope. Environmental Security and Freshwater Resources: Ecosystem Regime Building, in: AJIL, 1997, S. 26 (34 f.). 215 Allgemein zum Einfluss naturwissenschaftlicher Forschung auf den Umgang mit Gewässern s.o. Wissenschaftliche und technologische Aspekte - 1. Kapitel, A. II. 4. 216 s.o. Krise partiellen Gewässerschutzes und Neuorientierung - 3. Kapitel, C. II. 2. 217 s.o. Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung und Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride - 3. Kapitel, C. I. 1. b) und c). 218 s.o. Das Aktionsprogramm Rhein und Lachs 2000 und Der Aktionsplan Hochwasser 3. Kapitel, C. II. 2. a) und b).

14 Reicher!

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2. Teil: Rechtsinstrumente

kommen auf die Nonnierung konkreter Gewässerschutzmaßnahmen, mit deren Ausarbeitung stattdessen die IKSR gemäß der generalklauselartigen Ermächtigung des Art. 8 Abs. 1 lit. b Rhein-Übereinkommen beauftragt ist219 • Der hierdurch gestiegene Einfluss der IKSR wird nicht dadurch geschmälert, dass die von ihr entwickelten Maßnahmen und Programme nach Art. 11 Abs. 1 RheinÜbereinkommen aufgrund ihres Empfehlungscharakters die Vertragsparteien völkerrechtlich nicht binden. Vielmehr wird hinsichtlich der Umsetzung von Maßnahmenvorschlägen durch die Vertragsparteien bewusst auf den politischen Druck gesetzt, den die IKSR aufgrund ihrer fachlichen Autorität als epistemische Gemeinschaft zu erzeugen vermag. Die rechtliche Unverbindlichkeit von Kommissionsbeschlüssen wird dadurch kompensiert, dass sowohl die IKSR als auch die IKSD die Umsetzung der Maßnahmenprogramme fortlaufend begleiten und kontrollieren (Kontrollfunktion). Dabei ist die von beiden Kommissionen ausgeübte Kontrollfunktion nicht darauf ausgerichtet, die Durchführung der Beschlüsse im Wege der Konfrontation zu erzwingen. Auf völkerrechtliche Sanktionsmechanismen kann deshalb verzichtet werden, weil die einzelnen Vertragsparteien aufgrund von Zeitplänen sowie umfassender Berichtspflichten über Art, Ergebnisse und Probleme ihrer Durchführungsmaßnahmen einem permanenten Rechtfertigungsdruck gegenüber den Kommissionen und den anderen Anrainerstaaten ausgesetzt sind. Zudem haben die IKSD nach Art. 18 Abs. 5 Donauschutzübereinkommen und die IKSR gemäß Art. 11 Abs. 4 S. 3 Rhein-Übereinkommen bei unzureichender Umsetzung ihrer Maßnahmenvorschläge die Möglichkeit, diesbezügliche Fördermaßnahmen zu beschließen. Obgleich auch sie lediglich politischen Druck zu erzeugen vermögen, können auf diese Weise die Kommissionsbeschlüsse den spezifischen Umsetzungsproblemen vor Ort angepasst und sachgerecht weiterentwickelt werden, um ziel- und ergebnisorientiert das gemeinsame Interesse aller Vertragsparteien an einem nachhaltigen Schutz von Gewässerökosystemen zu verwirklichen. Bedenken gegen den dominierenden Einfluss, den Gewässerschutzkommissi0nen in ihrer Eigenschaft als epistemische Gemeinschaften auf die Interessenbildung der Anrainerstaaten sowie die Entwicklung und Umsetzung gewässerschützender Maßnahmen haben, werden in Hinblick auf einen Mangel an Transparenz und demokratischer Kontrolle erhoben 22o • In der Tat ist weder nach dem UN I ECE-GewässeTÜbereinkommen noch nach den Abkommen zum nachhaltigen Schutz von Donau und Rhein auf internationaler Ebene die aktive Partizipation der allgemeinen Öffentlichkeit, die insbesondere nach der Agenda 21 als zentrales Mittel zur Verwirklichung nachhaltigen Gewässerschutzes angesehen wird221 , an der Zusammenarbeit von Anrainerstaaten vorgesehen. Dieses Defizit wird durch begrenzte Informationspflichten von Gewässerschutzkommissionen Schulz. Schutz des Rheins, S. 318 (326 f.). Vgl. BrunnielToope, Ecosystem Regime Building, S. 26 (35) m. w. N. 221 s.o. NachJUlltiger Gewässerschutz - Konturen eines ökosystemorientierten Leitbilds 2. Teil, Einleitung. 219

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4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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gegenüber der Öffentlichkeit nur teilweise ausgeglichen. Allerdings ist zu beachten, dass die von Gewässerschutzkommissionen vertretenen Maßnahmenvorschläge stets der endgültigen Entscheidung der in Europa i.d.R. demokratisch legitimierten Vertragsparteien unterworfen bleiben, denen es außerdem unbenommen ist, die Öffentlichkeit bei der Maßnahmenumsetzung auf nationaler Ebene stärker zu beteiligen. Zudem sehen - im Gegensatz zum UN I ECE-Gewässerübereinkommen - das Donauschutzübereinkommen und das Rhein-Übereinkommen die Möglichkeit vor, nicht nur Drittstaaten und zwischenstaatliche Organisation, sondern auch NRO an der Arbeit der Kommission partizipieren zu lassen, worin eine indirekte Beteilung von Teilen der Öffentlichkeit gesehen werden kann (Partizipations- und Transparenifunktion). Durch eine ausgeglichene Auswahl von NRO, die u.U. konträre Nutzungs- und Schutzinteressen vertreten (z. B. Industrieverbände im Gegensatz zu Umweltschutzorganisationen), können Gewässerschutzkommissionen Interessenkonflikte aufdecken und ein breites Spektrum an Faktoren erfassen, die für ihre Entscheidungsfindung relevant sind. Ferner bilden neben zwischenstaatlichen Organisationen auch NRO wie z. B. IUCN und WWF, die im Bereich des Gewässerschutzes tätig sind, selbst epistemische Gemeinschaften mit anerkannter Fachkompetenz222 , die durch ihre Einbindung in die Zusammenarbeit von Anrainerstaaten als Beobachter ein zusätzliches Korrektiv bilden und wertvolle Beiträge zum nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer leisten können.

D. Regelungsgegenstand nachhaltigen Gewässerschutzes Nachhaltiger Gewässerschutz setzt einen ganzheitlichen und ökosystemorientierten Regelungsansatz voraus. Inwieweit gewässerrechtliche Instrumente dieser Anforderung gerecht werden, kommt insbesondere in ihrem Regelungsgegenstand bzw. den von ihnen erfassten Komponenten des betroffenen Süßwasserökosystems zum Ausdruc~23. I. Konzeptionen: Drainage Basin oder Watercourse? Die durch den Wasserkreislauf bedingte Verflechtung von Flüssen und Seen mit ihrem Einzugsgebiet wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Ausgangspunkt der völkerrechtlichen Regelung nicht-navigatorischer Gewässernutzungen diskutiert224 und bildete schließlich die Grundlage des von der ILA 225 in ihren Re222 223 224

Brunnee I Toope. Ecosystem Regime Building, S. 26 (35). s.o. Lebensraumjunktion: SüßwasseTÖkosysteme - 1. Kapitel, B. 11. 3. Boume. The ,,Drainage Basin Approach", S. 3 (4).

22S Umfassend zur Arbeit der ILA bezüglich grenzübergreifender Gewässer Boume, The ILA's Contribution, S. 155 ff.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

solutionen von Dubrovnik 1956226 und New York 1958227 formulierten und durch das IDI in seiner Salzburger Resolution von 1961 228 aufgegriffenen Drainage-Basin-Konzepts, mit dem ursprünglich eine möglichst optimale Ausnutzung der Kulturfunktionen eines Gewässers durch die Zusammenarbeit der Anrainerstaaten eines Gewässereinzugsgebiets bezweckt wurde229 . Seine einflussreichste Ausarbeitung erfuhr das Drainage-Basin-Konzept im Rahmen der ILA Helsinki Rules von 1966, wonach völkerrechtliche Normen bezüglich grenzübergreifender Gewässer auf deren gesamtes Einzugsgebiet anzuwenden sind: "The general rules of international law [ ... ] are applicable to the use of waters of an international drainage basin [ ... ],0230. In diesem Zusammenhang ist "international drainage basin" definiert als "geographical area extending over two or more States deterrnined by the watershed limits of the system of waters inc1uding surface and underground waters, flowing into a common terrninus,,231. Seit den sog. Seoul Rules on International Groundwaters von 1986 bezieht die ILA in ihr Verständnis des relevanten Einzugsgebiets auch Grundwasservorkommen mit ein, die in keiner hydrologischen Verbindung zu Oberflächengewässern stehen232 . Mit den Regelungen zur Gewässerverschmutzung233 dehnte die ILA zudem den Anwendungsbereich des zunächst rein nutzungsorientierten Drainage-Basin-Konzepts früherer Resolutionen auch auf den völkerrechtlichen Schutz grenzübergreüender Gewässer aus. Diese schutzorientierte Dimension des Drainage-Basin-Konzepts hatte die ILA bereits 1980 durch einen medienübergreifenden Ansatz vertieft, der neben der Gewässerverschmutzung auch Belastungen mit einschließt, die sich entweder durch die Nutzung grenzübergreifender Gewässer in weiteren Bereichen der Umwelt anderer Staaten auswirken oder die sich umgekehrt in Gewässern durch die Nutzung anderer natürlicher Ressourcen niederschlagen234. 226 Resolution of Dubrovnik 1956 - Statement of Principles, Text in: International Law Association (Hrsg.), Report ofthe Forty-seventh Conference, S. 241 ff. 227 New York Resolution on the Use of the Waters of International Rivers, Text in: International Law Association (Hrsg.), Report of the Forty-eighth Conference, S. vü ff. 228 Resolution Utilisation des eaux internationales non maritimes (en dehors de la navigation) vom 11. September 1962 (Session de Salzbourg), Text in: 101 (Hrsg.), Tableau des Resolutions adoptees (1957 -1991), S. 28 ff. 229 s.o. Interessen- und Rechtsgemeinschaft bei nicht-navigatorischen Nutzungen - 3. Kapitel, A. ll. 2. 230 ll..A Helsinki Rules, Art. 1. 231 Ebd., Art. ll. 232 Rules on International Groundwaters, Art. 1: "The waters of an aquifer that is intersected by the boundary between two or more States are international groundwaters and such an aquifer with its waters fonns an international basin or part thereof.", Text in: ll..A (Hrsg.), Report of the Sixty-second Conference held at Seoul - August 24th to August 30th , 1986, S. 251 ff. Hierzu Reimann, Süßwasserressourcen, S. 353 ff. Umfassend zur Behandlung von Grundwasserressourcen im Völkerrecht Eckstein! Eckstein, A Hydrological Approach to Transboundary Ground Water Resources and International Law, in: AUll..R, 2003, S. 201 ff. 233 ll..A Helsinki Rules, Art. IX bis Art. XI.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

213

Wie die Beratungen innerhalb der ILC zur Ausarbeitung des 1997 durch die UNGeneralversammlung angenommenen UN-Gewässerübereinkommens 235 zeigen, traf die Anwendung des Drainage-Basin-Konzepts auf den Schutz grenzübergreifender Gewässer jedoch auf erhebliche Ablehnung insbesondere unter flussaufwärts gelegenen Anrainerstaaten: ,,1t was [ ... ] feared that the basin concept put too much emphasis on the land areas within the watershed, indicating that the physical land area of a basin might be governed by the rules of international water resources law,,236. In dieser Haltung zeigt sich die grundsätzliche Abneigung von Staaten gegen Regelungsansätze, die auch nur den Anschein einer ,,Internationalisierung" grenzübergreifender Ressourcen erwecken237 . Vergleichbar ablehnend wurde z. B. in den 1970er-Jahren die Konzeption der "gemeinsamen natürlichen Ressourcen" (engl.: shared natural resources) aufgenommen, die insbesondere im Rahmen eines von UNEP erarbeiteten Prinzipienkatalogs entwickelt wurde238 . Obwohl der Katalog lediglich einzelne materielle und prozedurale Kooperationspflichten enthielt, ohne die souveränitätsrechtliche Zuordnung von Ressourcen zu einzelnen Staaten grundsätzlich in Frage zu stellen, wurde er von der UN-Generalversammlung dennoch - nachdem zahlreiche Staaten ihre Bedenken geäußert hatten - nur unter Betonung seiner rechtlichen Unverbindlichkeit "zur Kenntnis genommen,,239. Vor diesem Hintergrund setzte sich innerhalb der ILC schließlich der Begriff des ,,internationalen Wasserlaufs" (engl.: international watercourse) durch240, nachdem 234 Draft Articles on the Relationship Between Water, Other Natural Resources and the Environment, Text in: ILA (Hrs.§.), Report of the Fifty-ninth Conference held at Belgrade August 17th , 1980, to August 23 , 1980, 1982, S. 374 f.; Hierzu Boume, The ILA's Contribution, S. 155 (190 ff.). 23S Convention on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses, Adopted by the UN General Assembly and Opened to Signature, May 21, 1997, Text in: ILM 36 (1997), S. 700 ff. 236 First report on the law of the non-navigational uses of international watercourses by Mr. Jens Evensen, Special Rapporteur, in: United Nations (Hrsg.), YBILC 1983, Bd. lI/I, 1985, S. 155 (167 f.), Para. 71. 237 Tanzi / Arcari, International Watercourse Convention, S. 22. 238 UNEP Draft Principles of Conduct in the Field of the Environment for the Guidance of States in the Conservation and Harmonious Utilization of Shared Natural Resources vom 19. Mai 1978, Text in: ILM 17 (1978), S. 1094 (1097 ff.). Zur Konzeption "gemeinsamer natürlicher Ressourcen" Reinicke, Die angemessene Nutzung, S. 8 ff.; Odendahl, Umweltpflichtigkeit, S. 158 ff. 239 "The General Assembly [ . . . ] 2. Takes note of the draft principles as guidelines in the conservation and harmonious utilization of natural resources shared by two or more States without prejudice to the binding nature of those rules already recognized as such in international law; [ ... ]." UN General Assembly Resolution 34/186 of 18 December 1979 on Cooperation in the Field of the Environment Conceming Natural Resources Shared by Two or More States, Text in: FAD (Hrsg.), Sources of International Water Law, 1998, S. 164 f. 240 Teclaff, Evolution of the River Basin Concept in National and International Law, in: NRJ, 1996, S. 359 (371).

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2. Teil: Rechtsinstrumente

zu Beginn der Beratungen zunächst noch vorgeschlagen worden war, als Regelungsgegenstand des Übereinkommens zumindest das ,,international river basin" zu wählen, das sich im Gegensatz zum Drainage-Basin-Konzept auf das Einzugsgebiet von Oberflächengewässern beschränkt241 . Das UN-GewässeTÜbereinkommen definiert "watercourse" nunmehr als "system of surface waters and groundwaters constituting by virtue 0/ their physical relationship a unitary whole and normally flowing into a common terminus,,242. Dieser Watercourse-Ansatz ist in verschiedener Hinsicht enger als das Drainage-Basin-Konzept. So schließt er zum einen diejenigen Grundwasservorkommen vom Regelungsgegenstand des UN-GewässeTÜbereinkommens aus, die keine direkte Verbindung zu Oberflächengewässern haben. Diesbezüglich verabschiedete die ILC zusammen mit ihrem Entwurf des Rahrnenübereinkommens eine rechtlich unverbindliche Resolution243 , in der sie Staaten empfiehlt, sich beim Umgang mit isolierten Grundwasservorkommen von den Prinzipien des vorgelegten Entwurfs leiten zu lassen244 • Zum anderen scheint die grammatikalische Auslegung des Begriffs "watercourse" und die bewusste Entscheidung der ILC, durch seine Verwendung jeden Anklang an das Drainage-Basin- Konzept zu vermeiden, auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass nur der Hauptwasserkörper der grenzübergreifenden Gewässer und der ihrer Neben- bzw. Zuflüsse den Regelungsgegenstand des UN-GewässeTÜbereinkommens bilden soll. Allerdings kann auch argumentiert werden, dass bei einer systematischen Auslegung unter Einbeziehung weiterer Normen des UN-GewässeTÜbereinkommens das Einzugsgebiet des internationalen Wasserlaufs durchaus von völkerrechtlicher Relevanz ist. So trifft die Vertragsparteien des UN-GewässeTÜbereinkommens sowohl die Verpflichtung, ,,[to] protect and preserve the ecosystems of international watercourses,,24S als auch ,,[to] prevent, reduce and control the pollution of an international watercourse that may cause significant harm to other watercourse States or to their environment [ ... ],,246. Dies könnte - bei einer entsprechend weiten Interpretation der Begriffe "ecosystem" und "environment" - gewässerbelastende Aktivitäten innerhalb des Einzugsgebiets umfassen, die sowohl mittelbar über den Wasserkreislauf Flüsse, Seen und Grundwasservorkommen schädigen als auch umgekehrt unmittelbare Belastungen der Gewässer, die sich auf demselben Wege in deren Einzugsgebiet auswirken. Folgte man dieser Argumentation247 , die 241 Umfassend zur Entwicklung des Watercourse-Konzepts innerhalb der n..C Wescoat, Beyond the River Basin, S. 301 (305 ff.). 242 UN-Gewässerübereinkommen, Art. 2lit. a (Hervorhebung durch den Verfasser). 243 Resolution on Confined Transboundary Groundwater, Text in: United Nations (Hrsg.), YBn..C 1994, Bd. 11/2,1997, S. 135. 244 Hierzu McCajfrey / Rosenstock, Draft Articles on International Watercourses, S. 89 (93); McCaffrey, International Groundwater Law, S. 139 (155 ff.); Tanzi, Relationship, S. 12 ff.; ders./ Arcari, International Watercourse Convention, S. 65 ff. 245 UN-Gewässerübereinkommen, Art. 20. 246 Ebd., Art. 21 Abs. 1 S. 1. 247 Vg1. Tanzi 1Arcari, International Watercourse Convention, S. 56 ff.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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sich zudem darauf stützen kann, dass sich das UN-Gewässerübereinkommen auf die vom ökosystemorientierten Nachhaltigkeitsansatz geprägte Rio-Deklaration und die Agenda 21 beruft248 , so ließe sich in der praktischen Anwendung der Unterschied zwischen Watercourse- und Drainage-Basin-Ansatz nahezu vollständig auflösen. Gegen die generelle Gleichsetzung beider Ansätze durch das UN-Gewässerübereinkommen spricht allerdings, dass die Begriffskonstruktion des "watercourse" als Kompromissformel gerade gegen den innerhalb der ILC äußerst umstrittenen Begriff des "drainage basin" entwickelt wurde. Daher ist z. B. Beyerlin zuzustimmen, der - wenn auch ohne nähere Begründung - vorsichtig feststellt, dass durch den Verzicht des Watercourse-Konzepts, die geographische Begrenzung des Regelungsgegenstandes durch die Wasserscheiden des Gewässereinzugsgebiets zu bestimmen, der Regelungsanspruch des UN-Gewässerübereinkommens ,,insofern etwas zurückgenommen" wird, "als sich nach diesem Ansatz regelmäßig wohl weniger Landanteile dem Wasserlaufsystem zuschlagen lassen als nach dem drainage basin-Ansatz,,249. Das Gewässereinzugsgebiet ist die Komponente im Rahmen des Wasserkreislaufs, in der Gewässerbelastungen ihren Ursprung haben und sich - von Meeresverschmutzung durch Flüsse abgesehen - zumeist auch auswirken. Zudem werden Art und Ausmaß von Gewässerbelastungen von der ökologischen Beschaffenheit des Einzugsgebiets bestimmt. Mithin kann die ganzheitliche Erfassung von Süßwasserökosystemen und ihren Belastungen nur durch das Drainage-Basin-Konzept geleistet werden, das im Gegensatz zum Watercourse-Ansatz unmittelbar und unzweideutig die ökologische Realität des Einzugsgebiets von Gewässern zum Regelungsgegenstand gewässerrechtlicher Normen wählt. Inwieweit das Drainage-Basin-Konzept, das aufgrund seiner Ökosystemorientierung zum Kernbestand nachhaltigen Gewässerschutzes zu zählen ist, durch das UN I ECE-Gewässerübereinkommen und die Abkommen zum Schutz von Donau und Rhein umgesetzt wurde, wird im Folgenden analysiert.

n. Umsetzung:

Regelungsgegenstand von Gewässerschutzübereinkommen 1. Regelungsgegenstand des UN / ECE-Gewässerübereinkommens Der Regelungsgegenstand des UN I ECE-Gewässerübereinkommens erschließt sich aus einer Zusammenschau verschiedener seiner Normen. Bereits der Titel des Übereinkommens verdeutlicht, das von ihm nicht nur Fließgewässer, sondern auch Seen erfasst werden. Neben diesen Oberflächengewässern ist zudem per Legaldefinition klargestellt, dass der Begriff "grenzüberschreitende25o Gewässer" auch 248 249

UN-Gewässeriibereinkommen, 8. Erwägungsgrund der Präambel. Beyerlin, Urnweltvölkerrecht, § 11, Rn. 174.

216

2. Teil: Rechtsinstrumente

Grundwasservorkommen umfasst, wobei diese nicht notwendigerweise mit Oberflächengewässern in Verbindung stehen müssen251 . Angesichts dieser Definition des Gewässerbegriffs durch das UN I ECE-Gewässerübereinkommen erscheint zunächst dessen Regelungsgegenstand - wie Patricia Bimie und Alan Boyle irrtümlicherweise annehmen - auf den Hauptwasserkörper von Oberflächengewässern und Grundwasservorkommen begrenzt und die anderen Komponenten von Süßwasserökosystemen unberücksichtigt zu sein: ,,[The 1992 UNECE Convention] requires only these waters, rather than the river basin or watershed, to be managed and conserved in an ecologically sound and rational way and used reasonably and equitably·.z52. Aus weiteren Normen ist jedoch ersichtlich, dass neben den so definierten Gewässern u. a. auch die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Ökosystemen angestrebt wird253 . Dies wird insofern konkretisiert, als durch das UN I ECE-Gewässerübereinkommen auch die "Umwelt grenzüberschreitender Gewässer" und die "Umwelt [ ... ], die durch solche Gewässer beeinflusst wird, einschließlich der Meeresumwelt" vor Beeinträchtigungen geschützt werden sol1254. Wie umfassend der Regelungsgegenstand des UN I ECE-Gewässerübereinkommens tatsächlich gefasst ist, zeigt sich an der zentralen Verpflichtung der Vertragsparteien zur "Verhütung, Bekämpfung und Verringerung grenzüberschreitender Beeinträchtigungen,,255. Nach der Legaldefinition des UN I ECE-Gewässerübereinkammens ist eine "grenzüberschreitende Beeinträchtigung" ,jede erhebliche nachteilige Auswirkung auf die Umwelt in einem Gebiet unter der Hoheitsgewalt einer Vertragspartei aufgrund einer durch menschliche Tätigkeiten verursachten Veränderung des Zustands grenzüberschreitender Gewässer, deren natürlicher Ursprung sich ganz oder zum Teil innerhalb eines Gebiets unter der Hoheitsgewalt einer anderen Vertragspartei befindet,,256. Folglich setzt eine "Beeinträchtigung" - abgesehen vom Tatbestandsmerkmal "grenzüberschreitend" - zum einen eine anthropogen verursachte Zustandsveränderung eines Gewässers voraus, die zum anderen erhebliche und nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt hat (engl.: significant adverse impact). Diese sind - der anthropozentrischen Orientierung257 des UN I ECE-Gewässerübereinkommens entsprechend - nicht im Sinne eines restriktiven 250 Im Sinne des UN I ECE-Gewässerübereinkommens ist ein Gewässer dann "grenzüberschreitend", wenn es "die Grenze zwischen zwei oder mehr Staaten kennzeichnet, überquert oder sich an diesen Grenzen befindet". UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 1 Nr. l. 251 Ebd., Art. 1 Nr. 1. 252 Bimie I Boyle, Environment, S. 300. 253 UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 2 Abs. 2 lit. bund Iit. d sowie Art. 3 Abs. 1 Iit. i. 254 Ebd., Art. 2 Abs. 6. 255 Ebd., Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 S. 1. Vgl. auch Brunnee I Toope, International Ecosystem Law, S. 41 (74). 256 UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 1 Nr. 2 S. 1. 257 Zur Abgrenzung zwischen anthropozentrischen und ökozentrischen Positionen in der naturethischen Diskussion s.o. Naturethische Aspekte - 1. Kapitel, A. 11. 3.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

217

Umweltbegriffs zu verstehen, sondern beinhalten extensiv definiert258 ,,Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und den Schutz des Menschen, auf die Pflanzen- und Tierwelt, auf Boden, Luft, Wasser, Klima, Landschaft und geschichtliche Denkmäler oder andere Bauwerke oder eine Wechselwirkung zwischen mehreren dieser Faktoren; hierzu zählen außerdem Auswirkungen auf das kulturelle Erbe oder auf wirtschaftlich-soziale Bedingungen infolge von Veränderungen dieser Faktoren,.259. Die weite Definition "grenzüberschreitender Beeinträchtigungen" und der vor ihnen zu schützenden "Umwelt" zeigt, dass die Umsetzung adäquater Maßnahmen die Einbeziehung des Einzugsgebiets erfordert. durch das Gewässerbelastungen aufgrund des Wasserkreislaufs vermittelt werden. Dementsprechend besteht nach dem UN /ECE-Gewässerübereinkommen für Anrainerstaaten auch die - von Birnie und Boyle übersehene - Verpflichtung, "abgestimmte Leitlinien, Programme und Strategien für die betreffenden Einzugsgebiete oder Teile davon auszuarbeiten, welche auf die Verhütung, Bekämpfung und Verringerung grenzüberschreitender Beeinträchtigungen sowie auf den Schutz der Umwelt grenzüberschreitender Gewässer oder der Umwelt gerichtet ist, die durch solche Gewässer beeinflusst wird, einschließlich der Meeresumwelt,,260. Zu diesem Zweck haben Anrainerstaaten das Einzugsgebiet oder Teile hiervon zu bestimmen, in dem ihre Zusammenarbeit erfolgen S01l261. Insgesamt lässt sich aus dieser Zusammenschau schließen, dass der Regelungsgegenstand des UN /ECE-Gewässerübereinkommens alle wesentlichen Erscheinungsformen von Süßwasserökosystemen innerhalb ihrer Einzugsgebiete umfasst 262 : Süßwasserseen, Fließgewässer und Grundwasser mit ihren jeweiligen Einzugsgebieten sind ausdrücklich in die Definition des Begriffs "Gewässer" einbezogen, Feuchtgebiete und Küstengewässer lassen sich unter die durch solche Gewässer beeinflusste "Umwelt" bzw. ,,Meeresumwelt" subsurnieren 263 . Im Gegensatz zu partiellen Regelungsansätzen, die sich auf den Schutz des Hauptstroms von Oberflächengewässern vor chemischer Verschmutzung beschränkten, wird mit diesem ganzheitlichen Verständnis des Regelungsgegenstandes die Voraussetzung 258 Zur Abgrenzung zwischen extensivem und restriktivem Umweltbegriff s.o. Naturphilosophische Aspekte - 1. Kapitel, A. II. 2. 259 UN I ECE-Gewässeriibereinkommen, Art. 1 Nr. 2 S. 2. 260 Ebd., Art. 2 Abs. 6 (Hervorhebung durch den Verfasser). Ludwig Krämer anerkennt im Gegensatz zu Bimie und Boyle zwar, dass das UN I ECE-Gewässeriibereinkommen auf dem Konzept des Einzugsgebiets beruht, er geht aber irrtümlich davon aus, dass dies nicht ausdrücklich durch das Übereinkommen angesprochen wird, vgl. Krämer, Dimensionen integrierter Gewässerpolitik, in: Bruha/Koch (Hrsg.), Integrierte Gewässerpolitik in Europa Gewässerschutz, Wassemutzung, Lebensraumschutz, 2001, S. 41 (53). 261 UN I ECE-Gewässeriibereinkommen, Art. 9 Abs. 1 S. 2. 262 s.o. Lebensraumfunktion: Süßwasserökosysteme - 1. Kapitel, B. II. 3. 263 Die rechtlich relevante Grenze zwischen Binnengewässern und dem Meer wird durch eine "gerade Linie" gebildet, "die über ihre jeweiligen Mündungen zwischen Punkten auf der Niedrigwasserlinie ihrer Ufer verläuft". UN I ECE-Gewässeriibereinkommen, Art. 1 Nr. 1.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

zur Verwirklichung eines ökosystemorientierten Konzepts für einen nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer geschaffen. Allerdings ist kritisch anzumerken, dass der Drainage-Basin-Ansatz insofern nur unvollkommen umgesetzt wurde, als nach dem UN I ECE-Gewässerübereinkommen die Kooperation von Anrainerstaaten ausdrücklich auch nur Teile des Einzugsgebiets umfassen kann. Da nicht ersichtlich ist, ob hierdurch nur der Fall fehlender Kooperationsbereitschaft einzelner Staaten innerhalb eines Gewässereinzugsgebiets berücksichtigt werden soll, ist davon auszugehen, dass das UN I ECE-Gewässerübereinkommen Anrainerstaaten die generelle Option einräumt, ihre Zusammenarbeit auf Teileinzugsgebiete zu beschränken. 2. Regelungsgegenstand des Donauschutzübereinkommens Regelungsgegenstand des Donauschutzübereinkommens ist gemäß Art. 3 Abs. 1 ausdrücklich das Einzugsgebiet der Donau, worunter nach Art. 1 lit. b "das ganze hydrologische Flussgebiet" zu verstehen ist, "soweit die Vertragsparteien daran Teil haben". Hierzu zählen neben den Oberflächengewässern und den Grundwasservorkommen auch die Umwelt bzw. Ökosysteme des Donaueinzugsgebiets264 , wobei eine Beziehung zwischen den terrestrischen Ökosystemen und dem hydrologischen System vorauszusetzen sein dürfte. Allerdings ist zu beachten, dass nach Art. 1 lit. a nur sog. ,,Donaustaaten" mit einem Anteil von mehr als 2.000 km2 am ganzen hydrologischen Einzugsgebiet die Möglichkeit eröffnet ist, von sich aus Vertragsparteien des Donauschutzübereinkommens zu werden. Damit ist in Hinblick auf die geringeren Anteile der Schweiz, Italiens und Polens das DrainageBasin-Konzept für das Gesamteinzugsgebiet der Donau nur unvollständig umgesetzt. Jedoch muss sich der Ausschluss von Staaten des Donaueinzugsgebiets dann nicht zwangläufig negativ auf dessen nachhaltigen Schutz auswirken, wenn aufgrund des geringen Flächenanteils ihr Einfluss in ökologischer Hinsicht zu vernachlässigen ist. Angesichts der großen Zahl politisch und sozioökonomisch äußerst heterogener Donaustaaten ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Beschränkung des Regelungsgegenstandes durch eine Erleichterung der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zwischenstaatlicher Kooperation aufgewogen werden kann. Zudem sollte nicht übersehen werden, dass die Vertragsparteien gemäß Art. 28 Abs. 2 Donauschutzübereinkommen "einvernehmlich jeden anderen Staat oder jede Organisation der regionalen Wlrtschaftsintegration" einladen können, nicht nur mit konsultativem Status an der Umsetzung des Übereinkommens mitzuwirken, sondern sogar diesem beizutreten, so dass eine Ausdehnung des Donauschutzübereinkommens auf das gesamte Donaueinzugsgebiet zumindest theoretisch möglich ist.

264

Donauschutzübereinkommen, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 S. 2.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

219

3. Regelungsgegenstand des Rhein-Übereinkommens Das Rhein-Übereinkommen enthält eine abschließende Definition seines Regelungsgegenstandes, vgl. Art. 2 (Geltungsbereich). Dieser besteht zunächst aus dem Hauptstrom des Rheins, allerdings nicht in seiner Gesamtlänge, sondern erst ab seinem Ausfluss aus dem Untersee des Bodensees bis zu seinem niederländischen Mündungsgebiet mit verschiedenen Armen und Kanälen in die Nordsee26s . Grundwasservorkommen werden nur erfasst, sofern sie in Wechselwirkung mit dem Rhein stehen266 • Gleiches gilt für aquatische und terrestrische Ökosysteme, wobei auch diejenigen mit eingeschlossen sind, deren ursprüngliche Wechselwirkung mit dem Fluss wiederhergestellt werden könnte 267 . Ferner umfasst der Geltungsbereich des Rhein-Übereinkommens das Einzugsgebiet des Rheins, "soweit dessen stoffliche Belastung nachteilige Auswirkung auf den Rhein hat,,268 oder "soweit es für die Hochwasservorsorge und den Hochwasserschutz am Rhein von Bedeutung ist,,269. Astrid Epiney und Andreas Felder schließen hieraus, dass das Einzugsgebiet nicht insgesamt, sondern nur in bestimmten Fallkonstellationen vom Rhein-Übereinkommen erfasst wird27o . Das naturwissenschaftlich begründete Argument, dass das Rhein-Übereinkommen schon deshalb das Rheineinzugsgebiet in seiner Gesamtheit mit einschlösse, weil seine stoffliche Belastung stets zumindest potentiell Auswirkungen auf den Rhein entfalten kann, lehnen sie unter Hinweis auf rein rechtssystematische Überlegungen ab. Demzufolge wäre die Aufzählung spezifischer Belastungsarten widersinnig und unnötig, wenn aufgrund einer entsprechend weitreichenden Auslegung einer Fallvariante letztlich doch das gesamte Rheineinzugsgebiet vom Anwendungsbereich des Abkommens umfasst sein sollte. In der Tat lassen Wortlaut ("soweit") und Systematik auf den ersten Blick eine entsprechend einschränkende Deutung des Rhein-Übereinkommens naheliegend erscheinen. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die beiden genannten Fallgruppen - stoffliche Gewässerbelastungen und Hochwasserproblematik - nicht alle Belastungsarten erfassten, deren Ursachen direkt im Zustand des Gewässereinzugsgebiets begründet sind. Bei genauerer Betrachtung entspricht diese Annahme jedoch nicht der ökologischen Realität: 265 Rhein-Übereinkommen, Art. 2 lit. a LV.m. Art. 1 lit. a. Demzufolge bezeichnet der Begriff ,,Rhein" im Sinne des Übereinkommens "den Rhein ab Ausfluss des Untersees und in den Niederlanden die Arme Bovenrijn, Bijlands Kanaal, Pannerdensch Kanaal, Ussel, Nederrijn, Lek, Waal, Boven-Merwerde, Beneden-Merwerde, Noord, Oude Maas, Nieuwe Maas und Scheur sowie den Nieuwe Waterweg bis zur Basislinie, wie in Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 11 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen definiert, das Ketelmeer und das Usselmeer". 266 Ebd., Art. 2 lit. b. 267 Ebd., Art. 2 lit. c. 268 Ebd., Art. 2lit. d. 269 Ebd., Art. 2 lit. e. 270 Epiney / Felder, Implementierung der Wasserrahmenrichtlinie, S. 120.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

Belastungen, die unmittelbar im Einzugsgebiet eines Gewässers ihren Ursprung haben, können auf natürlichem Wege nur über den Wasserkreislauf und in diesem Rahmen nur auf zwei Arten auf den Hauptwasserkörper eines Gewässers einwirken: zum einen in qualitativer Hinsicht durch den Austrag der verschiedensten Materialien, Substanzen bzw. Stoffe aus dem Einzugsgebiet, die sich in physikalischer71 , chemischer72 und biologischer73 Form belastend auf das betroffene Gewässer auswirken, zum anderen über die quantitative Beeinflussung des Wasserhaushalts u. a. durch Bodenverdichtung, Oberflächenversiegelung und die Beseitigung von Retentionsflächen im Gewässereinzugsgebiet, die zu Hochwasser führen274• Weitere zwingend an das Einzugsgebiet gebundene Gewässerbeeinträchtigungen sind hingegen nicht ersichtlich: Die verbleibenden Belastungsformen werden unabhängig vom Zustand des Einzugsgebiets entweder - wie der Eintrag von Schadstoffen über die Atmosphäre und klimabedingte Veränderungen des Wasserhaushalts275 - über den Wasserkreislauf vermittelt oder sie erfolgen gar - wie Gewässerausbau276, übermäßige Wasserentnahme 277 , die Direkteinleitung von Schadstoffen oder aufgeheizten Wassers 278 sowie die Einführung gebietsfremder Arten279 - unmittelbar an den Oberflächengewässem oder den Grundwasservorkommen selbst. Folglich können alle einzugsgebietsrelevanten Belastungsarten einer der beiden durch das RheinÜbereinkommen genannten Kategorien zugeordnet werden: entweder aufgrund ihrer qualitativen ("stoffliche Belastung") oder aber aufgrund ihrer quantitativen Wirkung (,,Hochwasserrelevanz"). Die Differenzierung zwischen ihnen ist daher keinesfalls als Einschränkung des relevanten Einzugsgebiets, sondern lediglich als KlarsteIlung seiner Bedeutung sowohl für qualitative als auch für bislang vernachlässigte quantitative Gewässerbelastungen zu deuten. Mithin ist das Einzugsgebiet des Rheins ab dem Untersee zum Regelungsgegenstand des Rhein-Übereinkommens zu zählen, das - im Gegensatz zu Epineys und Felders restriktiver Auslegung - klar durch die Wasserscheiden benachbarter Gewässereinzugsgebiete bestimmt werden kann. Obgleich das Rhein-Übereinkommen somit grundsätzlich auf das ökologische Gesamtgefüge des Gewässers anwendbar ist, wurde allerdings - wie auch schon beim Donauschutzübereinkommen - der ökosystemorientierte Drainage-Basin-Ansatz insofern durchbrochen, als der Teil des Rheineinzugsgebiets bis zum Ausfluss des Rheins aus dem Untersee aus s.o. Eintrag partikulärer Substanzen - 1. Kapitel, B. ill. 1. f). s.o. Chemische Gewässerbelastungen - 1. Kapitel, B. ill. 2. 273 s.o. Gewässerbelastung durch organisches Material und Hygienische Gewässerbelastung - 1. Kapitel, B. ill. 3. a) und b). 274 s.o. Hochwasser-I. Kapitel, B. ill. 1. b). 275 s.o. Klimawandel- 1. Kapitel, B. ill. 1. e). 276 s.o. Veränderung der Gewässermorphologie - 1. Kapitel, B. ill. 1. a). 277 s.o. Niedrigwasser- 1. Kapitel, B. ill. 1. c). 278 S.o. Thermische Belastung - 1. Kapitel, B. ill. 1. d). 279 S.o. Gewässerbelastung durch gebietsfremde Arten, 1. Kapitel, B. ill. 3. c). 271

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4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

221

dem Geltungsbereich ausgeschlossen ist. Die Frage, inwieweit sich diese durch das UN I ECE-Gewässerübereinkommen gedeckte Durchbrechung nachteilig auf den nachhaltigen Schutz des Ökosystems Rhein auswirkt, kann insofern nicht abstrakt beantwortet werden, als sie aus politischen und praktischen Erwägungen eventuell gerechtfertigt und auf andere Weise kompensiert werden kann.

E. Prinzipien nachhaltigen Gewässerschutzes Das UN I ECE-Gewässerübereinkommen und die Abkommen zum Schutz von Donau und Rhein sehen die Einhaltung bestimmter Prinzipien vor, die bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen für den nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer zu berücksichtigen sind. Die Differenzierung zwischen abstrakten Prinzipien einerseits und konkreten Maßnahmen andererseits ist charakteristisch für eine Regelungstechnik, die verstärkt bei Rechtsinstrumenten des jüngeren Umweltvölkerrechts zu beobachten ist. Da diese Entwicklung auch in europäischen Übereinkommen zum nachhaltigen Schutz grenzübergreifender Gewässer wie Donau und Rhein ihren Niederschlag findet, ist es angebracht, grundsätzlicher auf sie einzugehen. Zu den im Rahmen des UN I ECE-Gewässerübereinkommens genannten Prinzipien zählen zum einen jene Grundsätze, die bereits von kompetenzwahrenden Regelungsansätzen im internationalen Gewässerrecht her bekannt sind: Das Gebot der ausgewogenen Mitnutzung grenzübergreifender Gewässer und das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Belastungen28o . Zum anderen erweitert das UNI ECE-Gewässerübereinkommen deutlich das Spektrum der Grundsätze, die den Umgang der Vertragsparteien mit Gewässern leiten sollen. Es nennt zusätzliche Prinzipien (u. a. das Vorsorge- und das Verursacherprinzip)281, die die Entwicklung des internationalen und nationalen Umweltrechts insbesondere seit den Konferenzen der Vereinten Nationen 1972 in Stockholm und 1992 in Rio de Janeiro in zunehmenden Maße begleiten und entscheidend mitprägen. Bevor diese Prinzipien im Einzelnen untersucht werden, ist zunächst die grundsätzliche Frage zu eruieren, welche Bedeutung ihnen zukommt: Was ist das Wesen von Prinzipien? Welche Rechtsnatur haben sie? Welche Funktionen erfüllen Prinzipien bzw. welche Rolle spielen sie im Gefüge umwelt- bzw. gewässerschützender Normen? I. Allgemeine Rechtsnatur und Bedeutung von Prinzipien Wie die Prinzipienkataloge z. B. der Rio-Deklaration, der Commission on Sustainable Development282, des UNEp283 und vieler internationaler Übereinkommen 280 UN I ECE-Gewässerubereinkommen, Art. 2 Abs. 2 lit. a und lit. c. S.o. Koexistenz: Kompetenzwahrende Regelungsansätze - 3. Kapitel, B. 281 UN I ECE-Gewässerubereinkommen, Art. 2 Abs. 5 lit. a und lit. b.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

im Anschluss an UNCED 1992 zeigen, ist das modeme Umweltvölkerrecht von einem deutlichen Bemühen um die Formulierung von Prinzipien geprägt. Warnende Stimmen äußern gar Bedenken hinsichtlich einer kontraproduktiven Proliferation von Prinzipien im Umweltvölkerrecht und werfen die Frage auf, ob es sich hierbei um ein "pathologisches Phänomen" handelt284 . In der Tat mögen Juristen ein gewisses Unbehagen verspüren, wenn sie den festen Boden rechtsverbindlicher Rechte und Pflichten des völkerrechtlichen hard law verlassen und sich mit weniger greifbaren Normen in Form von soft law und Prinzipien konfrontiert sehen. Im vorliegenden Zusammenhang wird der Ausdruck ,,Norm,,285 als Oberbegriff verwandt, der allgemein Regeln (hard law, soft law, Prinzipien usw.) unabhängig von ihrem rechtlichen Status bzw. dem Grad ihrer Verbindlichkeit umfasst. Um Wesen und Funktion von Prinzipien, die auch im Bereich des Gewässerrechts an Bedeutung gewinnen, in der völkerrechtlichen Normenhierarchie verorten zu können, ist es sinnvoll, zunächst die Begriffe des soft law und des hard law zu klären und voneinander abzugrenzen. Rechtsverbindliche Völkerrechtsnormen des hard law enthalten grundSätzlich konkret anwendbare und durchsetzbare Aussagen darüber, ob ein bestimmtes Verhalten rechtlich erlaubt, geboten oder verboten ist. Auch Normen des soft law (z. B. die Deklarationen von Stockholm und Rio, die Dubliner Erklärung, die Agenda 21 und auch die Empfehlungen und Leitlinien der UN IECE zum Gewässerschutz) treffen Aussagen darüber, welche Verhaltensoptionen in einer Entscheidungssituation gewählt werden sollen. Vom hard law unterscheiden sich die Verhaltensnormen des soft law jedoch zum einen darin, dass sie zwar abstrakt in eine bestimmte Richtung argumentieren, sich i.d.R. aber nicht auf eine einzige, konkrete Verhaltensoption zur Verwirklichung des von ihnen anvisierten Zustands festlegen. Zum anderen divergieren Normen des soft law vom hard law insofern, als ihnen gerade nicht der Status rechtlicher Verbindlichkeit zugebilligt wird286 und sie Autorität nur auf282 Report of the Expert Group Meeting on Identification of Principles of International Law for Sustainable Development, Geneva, Switzerland, 26-28 September 1995, Prepared by the Division for Sustainable Development for the Commission on Sustainable Development, Fourth Session, 18 April- 3 May 1996, New York, UN Doc. EI CN.17 11996/17 1 Add.l vom 1. März 1996. 283 Final Report of the Expert Group Workshop on International Environmental Law Aiming at Sustainable Development, UN Doc. UNEP/IELlWS/3/2 vom 4. Oktober 1996. 284 Eine kritische Bestandsaufnahme der Prinzipiendiskussion bietet Beyerlin, ,,Prinzipien" im Umweltvölkerrecht - ein pathologisches Phänomen?, in: Cremer/Giegerich/Richter 1Zimmennann (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts - Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 31 (42 ff.). 285 Der Begriff ,,Nonn" leitet sich in etymologischer Hinsicht vom lateinischen Ausdruck norma ab, der in der römischen Antike ursprünglich ein Gerät zum Messen rechter Winkel bezeichnete, aber bald schon im übertragenen Sinne von ,,Richtschnur" bzw. ,.Regel" benutzt wurde. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 591. 286 GrajVitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, Rn. 68 und Rn. 152; Beyerlin, Umweltvölkerrecht, § 9, Rn. 134 ff.; Boyle. Some Reflections on the Relationship ofTreaties and Soft Law, in: ICLQ, 1999, S. 901 (902 ff.).

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

223

grund der Überzeugungskraft ihrer u. a. politisch, moralisch oder naturwissenschaftlich begründeten Argumentation gewinnen können. Entgegen seiner missverständlichen Bezeichnung umfasst soft law eben gerade keine rechtlichen, sondern lediglich politisch-moralische Normen. Gleichwohl sind Soft-Law-Instrumente für das verbindliche Recht nicht irrelevant: Thre außerrechtlichen Normen formulieren Leitbilder z. B. für den Umgang mit der Umwelt im Allgemeinen oder mit Gewässern im Besonderen. Auf diese Weise können sie entweder als Indiz für entstehendes Gewohnheitsrecht gewertet werden oder gar sukzessive - in Form von Gewohnheitsrecht oder vertraglicher Kodiflkation - zu Rechtsverbindlichkeit erstarken. Während eine klare Differenzierung zwischen hard law und soft law neben dem Grad ihrer Abstraktheit insbesondere durch das Merkmal der Rechtsverbindlichkeit zumindest formal möglich ist, bereitet die Einordnung von Prinzipien in dieses Normengefüge einige Schwierigkeiten. Die meisten der Prinzipien, die für das modeme Umweltvölkerrecht insbesondere seit der Stockholmer Umweltkonferenz von 1972 so charakteristisch sind, gewannen erst durch einflussreiche Soft-LawDokumente - wie z. B. die Deklarationen von Stockholm und Rio - an Bekanntheit und Bedeutung. Ebenso wie soft law zeichnen sich Prinzipien durch die Abstraktheit ihrer Formulierung aus, die - wie Ronald Dworkin herausarbeitete - im Gegensatz zu konkreten Rechten und Pflichten mehrere Verhaltensoptionen zulässt: ,,[A principle] states a reason that argues in one direction, but does not necessitate a particular decision,,287. Vor diesem Hintergrund könnte man zunächst dazu neigen, sie stets der Kategorie des soft law zuzuordnen288 . Allerdings ist nicht zu übersehen, dass Prinzipien in der völkerrechtlichen Diskussion vereinzelt bereits gewohnheitsrechtliche Geltung zuerkannt wird und sie zudem seit dem Rio-Gipfel von 1992 verstärkt Eingang in internationale Übereinkommen finden. Tauchten Prinzipien dort nur in Form von Erwägungsgründen im Rahmen rechtlich unverbindlicher Präambeln auf, könnte man sie problemlos als soft law charakterisieren. Das Beispiel des UN I ECE-Gewässerübereinkommens zeigt jedoch, dass sie zunehmend auch im operativen Teil völkerrechtlicher Übereinkommen verankert werden. Daher stellt sich die Frage, ob Prinzipien u.U. nicht auch mehr sein können als Normen des rechtlich unverbindlichen soft law. Verunsicherung und Zweifel über die Rechtsnatur von Prinzipien nähren sich somit zum einen aus der Tatsache, dass sie sowohl in Soft-Law-Dokumenten von lediglich autoritativer Bedeutung für die Weiterentwicklung des Völkerrechts als auch in verschiedenen Rechtsquellen des Völkerrechts (Gewohnheitsrecht, völker287 Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, S. 26. Vgl. auch Paradell-Trius, Principles of International Environmental Law: an Overview, in: RECIEL, 2000, S. 93 (96): ,,[p]rinciples do not directly prescribe conduct, but act as ,reasons' or ,considerations' inclining decisionmakers to choose a particular course of action". 288 Vgl. Boyle, Treaties and Soft Law, S. 901 f.: ,,An alternative view of soft law focuses on the contrast between ,roles', involving dear and reasonably specific commitments which are in this sense hard 1aw, and ,norms' or ,principles', which, being more open-textured or general in their content and wording, can thus be seen as soft."

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2. Teil: Rechtsinstrumente

rechtliche Verträge) ihren Niederschlag finden. Zum anderen lässt ihre Abstraktheit, die sie mit Normen des soft law teilen, es fraglich erscheinen, ob ihnen Rechtsverbindlichkeit im Sinne von hard law zukommen kann. 289 Größere Klarheit über das Wesen von Prinzipien lässt sich jedoch dann gewinnen, wenn man die Fixierung auf den Antagonismus zwischen abstraktem, rechtlich unverbindlichem soft law auf der einen Seite und konkretem, rechtsverbindlichem hard law auf der anderen Seite überwindet: Prinzipien können dann als ein Normtypus erfasst werden, der von soft law in hard law übergehen und insofern Norminhalte einer größeren Rechtsverbindlichkeit zuführen kann. Demzufolge können Prinzipien zunächst in Form von soft law abstrakte Maßstäbe über den Umgang z. B. mit Süßwasserökosystemen artikulieren, die - einem gewässerrechtlichen Leitbild folgend - gewisse Verhaltensoptionen entweder ablehnen oder befürworten, ohne aber unmittelbar eine bestimmte Vorgehensweise im konkretem Einzelfall vorzuschreiben. Sind gemeinsame Interessen nur durch zwischenstaatliche Normen zu verwirklichen, die einen Bedarf nach Regelungen mit einem größeren Grad an Rechtsverbindlichkeit erzeugen290, dann können Prinzipien durch gewohnheitsrechtliche Anerkennung oder völkerrechtliche Kodifizierung ihre Eigenschaft als soft law verlieren. So teilen die Prinzipien, die Eingang in den operativen Teil eines völkerrechtlichen Vertrags gefunden haben, dessen Rechtsnatur und können daher die Vertragsparteien bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages binden291 • V6lkervertragliches hard law, das rechtsverbindlich an kodifizierten Prinzipien auszurichten ist, lässt sich daher als "practical formulation of the principles" charakterisieren292 • Allerdings bleibt der hohe Abstraktionsgrad der von Prinzipien formulierten Maßstäbe auch weiterhin erhalten: ,,[U]nlike preambular paragraphs, principles embody legal standards, but the standards they contain are more general than commitments and do not specify particular actions. ,,293 Daher sind auch gewohnheitsrechtlich anerkannte oder kodifizierte Prinzipien insofern nicht operationalisierbar, als sich aus ihnen nicht direkt Rechte und Pflichten ableiten lassen, die vor internationalen Foren durchsetzbar sind294 • Sie entfalten ihre rechtsverbindliche Wirkung nur indirekt bei der Auslegung und Anwendung konkreter V6lkerrechtsnormen. Die angesichts dieser Charakterisierung und rechtlichen Einordnung verbleibende 289

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C. 11.

Paradell-Trius, Principles, S. 93 (94 f.). s.o. Zwischenstaatliche Interdependenz und kollektiver Regelungsbedarj - 2. Kapitel,

Ebenso Beyerlin, ,.Prinzipien", S. 31 (55). Vg1. Sands, Principles of International EnvironmentaI Law - Volume I: Frameworks, Standards and Implementation, 1995, S. 184 f. 293 Bodansky, The United Nations Framework Convention on Climate Change: A Commentary, in: YJIL, 1993, S. 451 (501). 294 Lang, Bedeutung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung für die Entwicklung des Umweltvölkerrechts, in: Epiney / Scheyli (Hrsg.), Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung - Völker- und europarechtliche Aspekte, 1999, S. 9 (19). 291

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4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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Unsicherheit über die Rolle rechtsverbindlicher Prinzipien im völkerrechtlichen Normgefüge hat Winfried Lang folgendermaßen formuliert: ,,Principles, even if they are part of the law, are norms of a general nature which give guidance to state behaviour, but are not directly applicable; the violation of such principles cannot be pursued in international courts unless they are made operational by means of more concrete norms. But whatever definition is chosen, whatever distinction one applies, nobody can deny that principles are important tools, but that their normativity in many cases remains a grey-zone phenomenon that policy-makers and lawyers have to live with,,29s. Vor dem Hintergrund dieses Unbehagens, dem umweltvölkerrechtliche Prinzipien trotz ihrer z. T. gewohnheitsrechtlich oder völkervertraglich anerkannten Rechtsverbindlichkeit auch weiterhin begegnen, erscheint ihr Bedeutungszuwachs seit dem Rio-Gipfel von 1992 bemerkenswert. Es stellt sich die Frage, warum insbesondere im umweltrechtlichen Bereich ein großer Bedarf nach dieser Normenkategorie besteht, die aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit nicht leicht zu handhaben ist. Es liegt nahe, die Antwort gerade in der Abstraktheit zu suchen, durch die sich Prinzipien von konkreteren Völkerrechtsnormen unterscheiden. Ein entscheidender Faktor für den Bedeutungsgewinn rechtsverbindlicher Prinzipien sowohl im Umweltrecht im Allgemeinen als auch im Gewässerrecht im Besonderen ist im Regelungsgegenstand selbst begründet. Ein gewässerrechtliches Normgefüge, das für sich beansprucht, seinen Regelungsgegenstand in seiner Gesamtheit zu erfassen und ökosystemorientiert zu sein, ist auf ein möglichst umfassendes Wissen über Süßwasserökosysteme angewiesen296. Diese zeichnen sich jedoch zum einen durch ihre Komplexität, zum anderen durch ihre fortwährende Veränderung aus, so dass die Erforschung von Süßwasserökosystemen trotz verstärkter Bemühungen - stets von einem gewissen Grad an wissenschaftlicher Unsicherheit begleitet sein wird. Die dem Regelungsgegenstand immanente Komplexität und Dynamik und der damit verbundene stetige Wandel des Wissens über ihn erfordern eine entsprechende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gewässerrechtlicher Normen. Das Beispiel des Rheins zeigt, dass konkrete Rechtsnormen, wie sie z. B. durch das Rhein-Chemie-Übereinkommen mühsam in Form von Emissionsbegrenzungen für bestimmte Stoffe völkerrechtsverbindlich festgelegt wurden, innerhalb kurzer Zeiträume nicht mehr der ökologischen Realität und dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen und sich folglich aufgrund mangelnder Anpassungsfähigkeit als untauglich zur Lösung des Regelungsproblems erweisen297 . In diesem Zusammenhang umreißen rechtsverbindliche Prinzipien den allgemeinen Rahmen für anerkannte sowie dem Regelungsgegenstand angemessene Verhaltensstandards und gewährleisten zudem 295 Ders., UN-Principles and International Environmental Law, in: Frowein/Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Yearbook of United Nations Law, Bd. 3, 1999, S. 157 (159). 296 s.u. Wissensmanagement und nachhaltiger Gewässerschutz - 4. Kapitel, G. 297 s.o. Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung - 3. Kapitel, C. I. 1. b).

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2. Teil: Rechtsinstrumente

die erforderliche Offenheit, das Regelwerk fortlaufend an neue Anforderungen anzupassen. Das Beispiel des Übereinkommens zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung macht noch einen weiteren Faktor sichtbar, der die Verbreitung umweltvölkerrechtlicher Prinzipien fördert. Der klassische Kodifikationsprozess des Völkerrechts, der mit schwerfälligen Vertragsverhandlungen und langwierigen Ratifikationsprozessen verbunden ist, versagt angesichts der Komplexität, Dynamik, und Dringlichkeit der zur regelnden Problematik. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hat es sich immer wieder erwiesen, dass Staaten gerade im umweltrechtlichen Bereich nur zögerlich konkreten und detaillierten Verpflichtungen zustimmen, sich jedoch vergleichsweise bereitwillig auf Prinzipien einigen, die zunächst nur die allgemeine Richtung internationaler Kooperation vorgeben298 • Rechtlich verankerte Prinzipien können so eine gesicherte Ausgangsbasis für die schrittweise Weiterentwicklung eines sich stetig verdichtenden Regelwerks konkreter Verpflichtungen für den völkerrechtlichen Schutz grenzübergreifender Gewässer bilden. Auf diese Weise tragen Prinzipien aufgrund ihrer Flexibilität und Offenheit dazu bei, den völkerrechtlichen Rechtsetzungsprozess einerseits weniger schwerfällig und zeitaufwendig zu gestalten und andererseits durch klare Leitlinien eine Rechtsentwicklung zu fördern, die in der Festsetzung konkreter, der spezifischen Problematik des Regelungsgegenstandes angemessener Maßnahmen mündet. Insgesamt lassen sich Prinzipien somit als Normen charakterisieren, die als Optimierungsgebote die möglichst weitgehende Realisierung eines bestimmten Leitbildes fordern 299 • Im Gefüge umwelt- bzw. gewässerschützender Normen kommt ihnen die Funktion zu, ein gewässerpolitisches Ideal in konkrete Maßnahmen für den Schutz von Süßwasserökosystemen zu transformieren. Sie konkretisieren Teilaspekte eines insbesondere zunächst im Rahmen von soft law entwickelten Leitbilds durch die abstrakte Formulierung einzelner Verhaltensmaßstäbe, die der weiteren Rechtsentwicklung zur Orientierung dienen. Zum einen stabilisieren Prinzipien hierdurch die zwischenstaatliche Interessens- und Willensbildung, zum anderen fungiert ihre inhaltliche Flexibilität als dynamisierendes Element, das eine Lähmung des Rechtsetzungsprozesses durch den Zwang zur verfrühten Einigung auf detaillierte und verbindliche Normen verhindert. Durch gewohnheitsrechtliche oder vertragliche Anerkennung erhalten abstrakte Prinzipien aufgrund ihrer Orientierungsfunktion unmittelbaren Einfluss auf die weitere Rechtsentwicklung, in deren Rahmen sie als wichtige Interpretationsmaßstäbe herangezogen und durch die schrittweise Einigung der beteiligten Staaten auf einzelne Maßnahmen zum Schutz grenzübergreifender Gewässer weiter konkretisiert werden können.

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Paradell-Trius, Principles, S. 93 (94). Beaucamp, Zukunftsflihige Entwicklung, S. 2 m. w. N.

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ll. Einzelne Prinzipien nachhaltigen Gewässerschutze5 Das UN I ECE-Gewässeriibereinkommen, das Donauschutzübereinkommen und der Prinzipienkatalog des Rhein-Übereinkommens3OO nennen verschiedene Prinzipien, die z.T. im nationalen und internationalen Umweltschutzrecht schon längere Zeit Anwendung in den verschiedensten Problembereichen fanden und die nunmehr zur weiteren Konkretisierung des Nachhaltigkeitsgedanken auch im Rahmen des völkerrechtlichen Gewässerschutzes fruchtbar gemacht werden. Demzufolge sollen geWässerschützende Maßnahmen im Einklang mit dem Vorsorge-, Vorbeuge-, Ursprungs- und Verursacherprinzip sowie dem Verschlechterungs- und Verlagerungsverbot stehen. Aufgrund ihrer Kodifizierung durch die genannten Gewässeriibereinkommen eriibrigt sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die Diskussion, ob diese Prinzipien im allgemeinen Umweltvölkerrecht bereits gewohnheitsrechtIichen Status erlangt haben. Vielmehr soll im Folgenden ihre inhaltliche Ausgestaltung und ihre Bedeutung für den nachhaltigen Gewässerschutz näher betrachtet werden.

1. Das Vorsorge- und das Vorbeugeprinzip Die Vermeidung grenzüberschreitender Beeinträchtigungen durch geeignete Maßnahmen ist neben der Bekämpfung bzw. Verringerung bereits eingetretener Gewässerbelastungen nach Art. 2 Abs. 1 ein Hauptziel des UN I ECE-Gewässerübereinkommens. Hierbei haben sich die Vertragsparteien gemäß Art. 2 Abs. 5 lit. a vom Vorsorgeprinzip (engl.: precautionary principle)301 leiten zu lassen, demzufolge ,,Maßnahmen zur Vermeidung möglicher grenzüberschreitender Beeinträchtigungen durch das Freisetzen von Schadstoffen nicht deshalb verzögert werden dürfen, weil für den ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Stoffen einerseits und der möglichen grenzüberschreitenden Beeinträchtigung andererseits ein vollständiger wissenschaftlicher Beweis nicht vorhanden ist". Ausgangspunkt des auch in Art. 2 Abs. 4 Donauschutzübereinkommen und Art. 4 lit. a RheinÜbereinkommen jeweils ohne nähere Definition genannten Vorsorgeprinzips ist der Gedanke, dass Umweltschutz dann am effektivsten ist, wenn durch Maßnahmen schon die Entstehung von Umweltbeeinträchtigungen vermieden wird, anstatt erst den Eintritt von Schäden abzuwarten. Das Vorsorgeprinzip wurde zunächst auf nationaler Ebene insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt302 und fand im Rahmen der internationalen Konferenzen zum Schutz der Nordsee in den 1980er-Jahren erstmals größere Beachtung im Bereich des Völkerrechts303 • InRhein-Übereinkommen, Art. 4 (Grundsätze). Allgemein zum Vorsorgeprinzip im Völkerrecht Trouwborst, Evolution and Status of the Precautionary Principle in International Law, 2002. 302 Sands, Principles of International Environmental Law, S. 208. 303 Epiney I Scheyli, Strukturprinzipien, S. 104, Fn. 56 m. w. N. 300 301

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2. Teil: Rechtsinstrumente

zwischen ist das Vorsorgeprinzip in umweltvölkerrechtlichen Abkommen vom Meeres- 304 bis hin zum Klimaschutz 30S verankert und in seiner bereichsübergreifenden Rolle bei der Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung als Prinzip 15 der Rio-Deklaration anerkannt: ,,In order to protect the environment, the precautionary approach shall be widely applied by States according to their capabilities. Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental degradation." Im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts wurde das Vorsorgeprinzip 1993 in Art. 174 Abs. 2 (ex Art. 130r Abs. 2) EG-Vertrag festgeschrieben, ohne es aber inhaltlich zu definieren306 • Vergleicht man die Formulierungen des Vorsorgeprinzips durch die Rio-Deklaration und das UN I ECE-Gewässerübereinkommen, so lässt sich trotz gewisser Unterschiede seine Grundstruktur erkennen307 : Auf der Tatbestandsseite des Prinzips wird zunächst eine Gefahr für die Umwelt vorausgesetzt, wobei bezüglich der Art der potentiellen Umweltbeeinträchtigung unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Während das Prinzip 15 der Rio-Deklaration pauschal alle Gefahren für die Umwelt umfasst, nennt das UN I ECE-Gewässerübereinkommen allein die "Freisetzung von Schadstoffen", was angesichts der Vielfalt möglicher Gewässerbelastungen als eine allzu enge Begrenzung des Vorsorgeprinzips auf das Problem der chemischen Gewässerverschmutzung erscheint. Hinsichtlich des relevanten Gefahrenpotentials sind nach der Rio-Deklaration nur dann Maßnahmen aufgrund des Vorsorgeprinzips zu ergreifen, wenn "schwerwiegende" (eng!.: serious) Schäden drohen, die eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder gar irreversibel sind. Das UN I ECE-Gewässerübereinkommen setzt gemäß Art. 2 Abs. 5 lit. a i.V.m. Art. 1 Abs. 2 in diesem Zusammenhang "erhebliche" (eng!.: significant) nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt voraus308 • Das den Anwendungsbereich des Vorsorgeprinzips einschränkende Erheblichkeitskriterium stellt einen unbestimmten und daher ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff dar, der den Entscheidungsträgem einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. Allerdings ist zu beachten, dass diesem nunmehr durch die allgemeine Zielsetzung der nachhaltigen Entwicklung Schranken gesetzt sind. Erheblich sind Umweltbelastungen daher 304 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (sog. OSPAR-Übereinkommen) vom 22. September 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 25. März 1998, Text in: BGBl. 199411, S. 1360 ff. 305 Vgl. Art. 3 Abs. 3 des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaveränderung (United Nations Framework Convention on Climate Change - UNFCCC) vom 29. Mai 1992, völkerrechtlich in Kraft getreten am 21. März 1994, Text in: BGBl. 1993 11, S. 1784 ff. 306 Krämer; E.C. Environmental Law, 2000, S. 16 f. Vgl. auch die Mitteilung der Kommission vom 2. Februar 2000 zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM(2ooo) 1 endg. 307 Zur Rolle des Vorsorgeprinzips im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gewässerverschmutzung Nollkaemper; Transboundary Water Pollution, S. 70 ff. 308 Reimann, Süßwasserressourcen, S. 229 f.; a.A. Epiney I Scheyli, Strukturprinzipien, S.120.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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im Sinne des Nachweltschutzes zumindest dann, wenn durch sie auch künftige Generationen beeinträchtigt werden können. Da aber Art und Ausmaß generationsübergreifender Auswirkungen naturwissenschaftlich nur schwer prognostizierbar sind, dürfte die Erheblichkeitsschwelle nicht allzu hoch anzusetzen sein, um dem Nachhaltigkeitspostulat gerecht werden zu können309 • Daher sind Umweltbelastungen in jedem Falle dann im Sinne des Vorsorgeprinzips erheblich, wenn sie aufgrund der Überbelastung der quantitativen oder qualitativen Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen Schäden verursachen, die entweder für immer irreversibel sind oder aber nur in sehr großen Zeiträumen überwunden werden können. Das zweite Tatbestandsmerkmal des Vorsorgeprinzips bezieht sich auf die Kausalitätsbeziehung zwischen der Umweltgefahr auf der einen und den hierdurch verursachten Umweltbelastungen auf der anderen Seite. Das in Art. 2 Abs. 5 Donauschutzübereinkommen und Art. 4lit. b Rhein-Übereinkommen erwähnte sog. Präventions- bzw. Vorbeugeprinzip, das sich im Gegensatz zum Vorsorgeprinzip bereits bis zum Trail-Smelter-Schiedsspruch von 194t3 10 zurückverfolgen lässt3l1 , verlangt vorbeugende Umweltschutzmaßnahmen nur dann, wenn der ursächliche Zusammenhang zwischen dem umweltschädlichen Verhalten einerseits und Umweltbelastungen andererseits feststeht. Das Vorsorgeprinzip stellt hingegen insofern eine Weiterentwicklung des Vorbeugeprinzips dar, als es von einem absoluten wissenschaftlichen Nachweis dieses Kausalitätszusammenhangs absieht und damit die Schwelle für die Erforderlichkeit vorbeugender Maßnahmen deutlich absenke 12. Grund dieser tatbestandlichen Ausweitung ist das zunehmende Wissen zum einen um die Komplexität, zum anderen um die Sensibilität und endliche Regenerationskapazität von Ökosystemen. Je mehr Kenntnisse über die Funktionsweise von Ökosystemen durch die naturwissenschaftliche Forschung erworben werden, desto deutlicher wird, wie komplex und schwer vorhersehbar ökologische Abläufe sind. Zudem waren die schädlichen Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur niemals zuvor mit derart schwerwiegenden und z.T. irreversiblen Folgen verbunden, die bis hin zur Auslöschung allen Lebens auf der Erde reichen können. Angesichts ökologischer Prozesse, die kaum mit letzter Sicherheit determinierbar sind, und der Gefährdungslage durch Umweltbelastungen dient das Vorsorgeprinzip dazu, die früh- bzw. rechtzeitige Ergreifung von Schutzmaßnahmen selbst bei fehlender naturwissenschaftlicher Gewissheit der Folgen umweltEpineyl Scheyli, Strukturprinzipien, S. 119. Trail Smelter Case (Canada v. United States of America) vom 11. März 1941, Text in: Robb (Hrsg.), International Environmental Law Reports, S. 231 (278 ff.). 311 Handl, Environmental Security and Global Change: The Challenge to International Law, in: Lang I Neuhold I Zemanek (Hrsg.), Environmental Protection and International Law, 1991, S. 59 (75); FreestoneI Hey, Origins and Development of the Precautionary Principle, in: dies. (Hrsg.), Precautionary Principle and International Law: The Challenge of Implementation, 1996, S. 3 (13). 312 Cameron I Abouchar, The Status of the Precautionary Principle in International Law, in: Freestone/Hey (Hrsg.), Precautionary Principle and International Law: The Challenge of Implementation, 1996, S. 29 (45). 309

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2. Teil: Rechtsinstrumente

schädlichen Verhaltens vorzuschreiben, wobei die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringer ausfallen, je gravierender seine Auswirkungen sind. Insgesamt wird deutlich, dass vorsorgendes Handeln eine entscheidende Rolle beim Schutz der Naturfunktionen von Ökosystemen zukommt, um die Nutzbarkeit ihrer Kulturfunktionen dauerhaft auch für zukünftige Generationen aufrechtzuerhalten313 . Das Vorsorgeprinzip ist daher ein zentrales Mittel zur Verwirklichung nachhaltigen Gewässerschutzes. Sind seine tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben, so kommen als Rechtsfolge verschiedene Instrumente zu seiner konkreten Umsetzung in Betracht. Zu nennen sind insbesondere die Anwendung der besten verfügbaren Technologien im Sinne des "Standes der Technik" und der besten Umweltpraxis sowie die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen314 • 2. Das Ursprungsprinzip Vorsorgenden Charakter hat auch das sog. Ursprungsprinzip, dem zufolge gemäß Art. 2 Abs. 3 UN / ECE-Gewässerübereinkommen ,,Maßnahmen zur Verhütung, Bekämpfung und Verringerung der Wasserverschmutzung [ ... ] an der Quelle" zu treffen sind. Das auch in Art. 4 lit. c Rhein-Übereinkommen erwähnte Prinzip ist in weiteren Umweltvölkerrechtsinstrumenten verankert und seit 1987 Teil des umweltrechtlichen Prinzipienkanons der Europäischen Gemeinschaft, vgl. Art. 174 Abs. 2 (ex 130r Abs. 2) EG-Vertrag315 • Sein Ziel ist es, die Entstehung und Verbreitung von Umweltbeeinträchtigungen zu verhindern bzw. einzudämmen. Es enthält zum einen eine räumliche, zum anderen eine zeitliche Komponente. Ebenso wie das Vorsorgeprinzip geht das Ursprungsprinzip von der Ratio aus, dass möglichst frühzeitige Maßnahmen wichtige Mittel effektiven Umweltschutzes sind. Während jedoch das Vorsorgeprinzip Richtlinien darüber aufstellt, ob überhaupt vorbeugende Schutzmaßnahmen ergriffen werden sollen, ist diese Fragestellung aus Sicht des Ursprungsprinzips - wie beim Vorbeugegrundsatz - bereits bejaht. Das Ursprungsprinzip konzentriert sich vielmehr zum einen auf die auch das Vorbeugeprinzip bestimmende Frage, wann (möglichst frühzeitig) Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Zum anderen geht es aber über das Vorbeugeprinzip hinaus, indem es insbesondere einen Maßstab darüber festschreibt, wo (möglichst am Entstehungsort der Belastung) diese Maßnahmen anzusetzen sind. 316 Das UrEpiney I Scheyli, Strukturprinzipien, S. 91 ff. s.u. Der Stand der Technik - 4. Kapitel, F. 11. 1. a) bb) (2); Die Umweltverträglichkeitsprüfung - 4. Kapitel, F. 11. 1. a) bb) (3); Diffuse Quellen: Landwirtschaft - Die beste Umweltpraxis - 4. Kapitel, F. 11. 1. c). 315 Krämer, E.C. Environmental Law, 2000, S. 18 f.; Burgi, Das Schutz- und Ursprungsprinzip im europäischen Umweltrecht, in: NuR, 1995, S. 11 ff. 316 Vgl. Epineyl Scheyli, Strukturprinzipien. S. 95 f. und S. 147 ff. 313

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4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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sprungsprinzip in der Version des UN I ECE-Gewässerübereinkommens ist eindeutig auf chemische Gewässerbelastungen ("Wasserverschmutzung") zugeschnitten. Angesichts der weiten Definition "grenzüberschreitender Beeinträchtigungen" durch Art. 1 Abs. 1 wäre es allerdings grundsätzlich auch denkbar, es auf andere Gewässerbelastungen anzuwenden, solange diese einer identifizierbaren Quelle zugerechnet werden können. 3. Das Verursacherprinzip

Anrainerstaaten haben sich gemäß Art. 2 Abs. 5 lit. b UN I ECE-Gewässerübereinkommen, Art. 2 Abs. 4 Donauschutzübereinkommen und Art. 4 lit. d RheinÜbereinkommen bei gewässerschützenden Maßnahmen vom Verursacherprinzip (engl.: polluter-pays-principle) leiten zu lassen, demzufolge in der Formulierung des UN I ECE-Gewässerübereinkommens "die Kosten für die Verhütung, Bekämpfung und Verringerung der Verschmutzung vom Verursacher zu tragen sind,,317. Im Gegensatz zum Vorsorge-, Vorbeuge- und zum Ursprungsprinzip beantwortet das Verursacherprinzip nicht die Frage, ob bzw. wann und wo Umweltschutzmaßnahmen ergriffen werden sollen, sondern wer ihre Kosten zu tragen hat. Das Verursacherprinzip beruht auf der ökonomischen Theorie, dass die Kosten anthropogener Umweltbelastungen, die nicht von ihrem Verursacher, sondern von Dritten bzw. der Allgemeinheit getragen werden, als externe Effekte in den Wirtschaftsprozess zu internalisieren sind318 . Die ersten Definitionen des Verursacherprinzips auf internationaler Ebene durch die OECD319 und die Europäischen Gemeinschaften320 317 Vgl. zum Verursacherprinzip im Zusammenhang mit dem völkerrechtlichen Schutz von Gewässern auch Bruha/ Moaß, Süßwasserressourcen, S. 69 (89 ff.). 318 s.o. Externe Effekte und suboptimale Allokation - 1. Kapitel, C. ill. 1. 319 "The principle to be used for allocating costs of pollution prevention and control measures to encourage rational use of scarce environmental resourees and to avoid distortions in international trade and investment is the so-called ,.polluter-Pays-Principle". This Principle means that the polluter should bear the expenses of carrying out [ ... ] measures decided by public authorities to ensure that the environment is in an acceptable state. In other words, the cost of these measures should be reflected in the cost of goods and services which cause pollution in the production and / or consumption. Such measures should not be accompanied by subsidies that would create significant distortions in international trade and investment". OECD, Guiding Principles Conceming International Economic Aspects of Environmental Policies, Text in: ILM 11 (1972), S. 1172 f. Zur Rolle der OECD bei der Entwicklung des Verursacherprinzips vgl. Brown Weiss u. G. , International Environmental Law and Policy, S. 523 ff.; Sands, Principles of International Environmental Law, S. 214 f. 320 ,,Die Kosten der Vermeidung und der Beseitigung von Umweltbelastungen hat grundsätzlich der Verursacher zu tragen. Allerdings sind [ .. . ] Ausnahmen bzw. Sonderregelungen denkbar, sofern sie keine erheblichen Verzerrungen in den internationalen Handelsbeziehungen und Investitionen zur Folge haben". Erklärung des Rates der Europäischen Gemeinschaften und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 22. November 1973 über ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz (,,1. Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften"), Text in:

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zu Beginn der 1970er-Jahre zeigen, dass anfangs ein entscheidendes Motiv hierfür in der Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrung und Handelshemmnissen im internationalen Wirtschaftsverkehr lag. Diese entstehen, wenn die Umweltkosten von Waren oder Dienstleistungen nicht in ihren Marktpreis einfließen, sondern letztlich als ,,indirekte Subvention,,321 durch Staaten bzw. die Allgemeinheit übernommen werden. Im Verlauf der weiteren Entwicklung des Verursacherprinzips trat dieser Aspekt jedoch hinter die umweltschützenden Effekte der Internalisierung von Umweltkosten zurück. Auf globaler Ebene wurde das Verursacherprinzip schließlich - wenn auch in stark relativierter Form - in Prinzip 16 der RioErklärung verankert: ,,National authorities should endeavour to promote the internalization of environmental costs and the use of economic instruments, taking into account the approach that the polluter should, in principle, bear the cost of pollution, with due regard to the public interest and without distorting international trade and investment." Wie bereits eingehend dargestellt322, ist Kosteninternalisierung grundsätzlich nicht auf eine nachträgliche Kostenzurechnung in Form von Haftungs- bzw. Zahlungspflichten für bereits entstandene Umweltschäden begrenzt, sondern kann durch verschiedene sowohl ordnungspolitische (z. B. Auflagen und Verbote bezüglich umweltschädigender Tätigkeiten oder Lenkungs- bzw. Pigou-Steuern)323 als auch marktorientierte Instrumente (z. B. Verhandlungslösungen nach dem CoaseTheorem oder der Handel mit Nutzungs- und Belastungsrechten)324 verfolgt werden. Ferner bedeutet die Einbeziehung von Umweltkosten in den Wutschaftsprozess nicht, dass sie zwangsläufig dem Verursacher zugerechnet werden müssten. Mit Ausnahme des Coase- Theorems, das einen wirtschafswissenschaftlichen Gegenentwurf zum Verursacherprinzip darstellt, liegt allerdings den meisten instrumenten zur Kosteninternalisierung der Gedanke zu Grunde, dass Wutschaftsakteure dann einen ökonomischen Anreiz zur Vermeidung, Beseitigung und Reduzierung von Umweltbeeinträchtigungen haben, wenn sie die durch ihre Aktivitäten verursachten Umweltkosten in ihre Kalkulation mit einbeziehen müssen. Obwohl die theoretische Begründung des Verursacherprinzips einleuchtend ist, stößt seine praktische Umsetzung auf erhebliche Schwierigkeiten325 • Insbesondere der Begriff der relevanten "Umweltkosten" ist nur schwer definierbar. Ohne nähere ABlEG Nr. C 112 vorn 20. Dezember 1973, S. 1 (6). Zur gemeinschaftsrechtlichen Entwicklung des Verursacherprinzips, das 1987 in Art. 174 Abs. 2 (ex Art. 130r Abs. 2) des EG-Vertrags aufgenommen wurde, vgl. Krämer; E.C. Environmental Law, 2000, S. 19 f. ; Sands, Princip1es of International Environmental Law, S. 215 f. 321 Kloepfer; Umwe1trecht, § 9, Rn. 79. 322 s.o. Internalisierung externer Effekte: "Leviathan" oder "unsichtbare Hand"? -1. Kapitel, C. III. 2. 323 s.o. Hobbes' "Leviathan": Ordnungspolitische Instrumente - 1. Kapitel, C. III. 2. a). 324 s.o. Smiths "unsichtbare Hand": Marktorientierte Instrumente - 1. Kapitel, C. III. 2. b). 325 Allgemein zu Umsetzungsproblemen des Verursacherprinzips Birnie / Boyle, Environment, S. 93 ff.

4. Kap.: Nachhaltiger Gewässerschutz auf völkerrechtlicher Ebene

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Spezifizierung fasst z. B. Prinzip 11 der UN I ECE-Erklärung zur Gewässerverschmutzung von 1980 hierunter pauschal alle direkten oder indirekten Kosten, die durch Verschmutzung verursacht werden: "Tbe general principle should be adopted that, as far as possible, the direct or indirect costs attributable to pollution should be born by the polluter,,326. Demgegenüber sind nach Art. 2 Abs. 5 lit. b UN I ECE-Gewässerübereinkommen "die Kosten für die Verhütung, Bekämpfung und Verringerung der Verschmutzung" vom Verursacher zu tragen, die somit dem finanziellen Aufwand für die staatlich festgelegten Gewässerschutzmaßnahmen entsprechen. Damit ist zum einen auch klargestellt, dass die Kostentragungspflicht nicht nur bereits entstandene Gewässerbeeinträchtigungen erfasst, sondern sich zudem auf die Aufwendungen für präventive Schutzmaßnahmen erstreckt327 . Zum anderen wird wiederum die grundsätzliche Ausrichtung des UN I ECE-Gewässerübereinkommens sichtbar, das sich trotz seines umfassenden Ansatzes tendenziell auf chemische Gewässerverschmutzung konzentriert, obwohl sich das Verursacherprinzip prinzipiell auf alle Gewässerbelastungen anwenden ließe, die einem bestimmten Verursacher zurechenbar sind. Weitgehend ungeklärt ist die Frage, ob das völkerrechtliche Verursacherprinzip generell nur eine Verpflichtung der Staaten darstellt, entsprechende Instrumente im innerstaatlichen Bereich einzusetzen, oder ob es bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen auch im Verhältnis der Staaten untereinander Anwendung findet 328 • Prinzip 16 der Rio-Deklaration, dem zufolge "national authorities" für die Umsetzung des Verursacherprinzips zuständig sind, spricht für einen auf die nationale Ebene beschränkten Anwendungsbereich. Allerdings wird vereinzelt bezüglich des UN I ECE-Gewässerübereinkommens behauptet, dass das in Art. 2 Abs. 5 lit. b festgeschriebene Verursacherprinzip Zahlungsverpflichtungen von Verursacher- bzw. Verschmutzerstaaten gegenüber den durch grenzüberschreitende Gewässerbelastungen beeinträchtigten Staaten begründe329. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar ist es gemäß Art. 2 Abs. 1 die zentrale Verpflichtung der Vertragsparteien des UN I ECE-Gewässerübereinkommens, Maßnahmen gegen grenzüberschreitende Beeinträchtigungen zu ergreifen. Aus dem Wortlaut des nicht abschließenden Maßnahmenkatalogs des Art. 3 Abs. 1, der mit Art. 2 systematisch in Zusammenhang steht (Teil]: Allgemeine Bestimmungen für alle Vertragsparteien), wird jedoch deutlich, dass diese Maßnahmen grundSätzlich jeweils von den einzelnen Vertragsparteien im innerstaatlichen Rahmen auszuarbeiten und umzusetzen sind. Bei dieser innerstaatlichen Umsetzung haben sich die einzelnen Vertragsparteien dann gemäß Art. 2 Abs. 5 neben dem Vorsorge- und Ursprungs326 ECE Declaration of Policy on Prevention and Control of Water Pollution, IncIuding Transboundary Pollution, Text in: United Nations (Hrsg.), Two Decades of Co-operation on Water - Declarations and Recommendations by the Economic Cornmission for Europe, 1988, S. 1 (6). 327 Epiney / Scheyli, Strukturprinzipien, S. 156 f. 328 Ebd., S. 158. 329 Reimann, Süßwasserressourcen, S. 232 f.

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2. Teil: Rechtsinstrumente

prinzip auch durch das Verursacherprinzip leiten zu lassen. für dessen zusätzliche Anwendbarkeit im Verhältnis zwischen Staaten kein Anhaltspunkt ersichtlich ist. 4. Das Verschlechterungsverbot Nach Art. 2 Abs. 7 UN I ECE-Gewässerübereinkommen darf die Anwendung des Abkommens ,,nicht zu einer Verschlechterung der Umweltbedingungen oder zu einem Anstieg grenzüberschreitender Beeinträchtigungen führen". Ähnliche Formulierungen finden sich in Art. 2 Abs. 6 Donauschutzübereinkommen