Der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist: Verfassungsrechtliche Grundlagen und praktische Durchsetzung [1 ed.] 9783428499038, 9783428099030


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Der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist: Verfassungsrechtliche Grundlagen und praktische Durchsetzung [1 ed.]
 9783428499038, 9783428099030

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VOLKER SCHLETTE

Der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 790

Der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist Verfassungsrechtliche Grundlagen und praktische Durchsetzung

Von Volker Schiette

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schiette, Volker:

Der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist : verfassungsrechtliche Grundlagen und praktische Durchsetzung / von Volker Schiette. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 790) ISBN 3-428-09903-6

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09903-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die stark erweiterte Fassung des Habilitations vortrages, den ich am 20. Januar 1999 vor der Habilitationskommission der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen gehalten habe. Meinen Lehrstuhlkollegen und -kolleginnen Herrn Privatdozenten Dr. KarlEberhard Hain, Frau Nicola Rowe und Herrn Christian Winterhoff danke ich für fruchtbare Diskussionen der Thematik. Meine Frau Dr. Ines Klinge hat trotz starker beruflicher Belastung das Manuskript kritisch durchgesehen und zahlreiche weiterführende Anregungen gegeben, wofür ich ihr ebenfalls herzlich danke. Nicht zuletzt schulde ich Herrn Professor Dr. Norbert Simon Dank für die Aufnahme der Untersuchung in die „Schriften zum öffentlichen Recht". Göttingen, im Mai 1999

Volker Schiette

Inhaltsverzeichnis

Α. Einleitung

13

Β. Die Verankerung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist im deutschen Recht

19

I. Einfachgesetzliche Regelungen

19

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

23

1. Die verfassungsrechtliche Herleitung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist

23

2. Der Inhalt des verfassungsrechtlichen Gebots

28

a) Einzelfallbezogene Beurteilung der Verfahrensdauer

28

b) Unbeachtlichkeit des Überlastungs-Arguments

29

c) Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz

30

d) Weitere Präzisierungen anhand der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR

32

C. Die Realisierung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist I. Präventive Instrumente im schwebenden Verfahren

40 42

1. Einstweiliger Rechtsschutz

42

2. Beschwerde zu höheren Gerichten

44

a) Außerordentliche („Untätigkeits-")Beschwerde zum Rechtsmittelgericht .. aa) Der Streit um die grundsätzliche Zulassung der Beschwerde

44 44

(1) Ablehnende Stimmen

45

(2) Argumente für eine Zulassung der Beschwerde

46

8

Inhaltsverzeichnis bb) Die Ausgestaltung der Beschwerde im einzelnen

50

(1) Statthaftigkeit in zwei Fallkonstellationen

51

(2) Zulässigkeitsvoraussetzungen

52

(3) Begründetheit

53

(4) Entscheidungsinhalt

54

(5) Kein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren

55

b) Beschwerdeverfahren außerhalb des Instanzenzuges

55

aa) Verfassungsbeschwerde

55

bb) Individualbeschwerde gem. Art. 34 EMRK

57

II. Sanktionierung und Kompensation eines Verstoßes

58

1. Unmittelbare Relevanz überlanger Verfahrensdauer für den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung?

60

2. Anspruch auf Entschädigung

62

a) Entschädigungsklage vor innerstaatlichen Instanzen, insbes. Amtshaftungsklage

63

aa) Schuldhafte Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht

63

bb) Kausalität und Schaden

66

b) Entschädigung durch den EGMR

68

D. Zusammenfassung

74

Literaturverzeichnis

75

Sachverzeichnis

83

Abkiirzungsverzeichnis Α. Α.

Anderer Ansicht

a. a. Ο.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AöR

Archiv des öffentlichess Rechts

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArchVR

Archiv des Völkerrechts

Art.

Artikel

AsylVerfG

Asylverfahrensgesetz

Aufl.

Auflage

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

Bd.

Band

BFH

Bundesfinanzhof

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGE

Entscheidungen des Schweizer Bundesgerichts

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BImSchG

Bundes-Immissionsschutzgesetz

BK

Bonner Kommentar

BR

Bundesrat

BT

Bundestag

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

ders.

derselbe

Diss.

Dissertation

DÖV

Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

Drs.

Drucksache

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

DStZ

Deutsche Steuer-Zeitung

DV

Die Verwaltung (Zeitschrift)

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

EG

Einführungsgesetz / Europäische Gemeinschaft(en)

10 EGMR

Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

ff.

folgende

FGO

Finanzgerichtsordnung

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GG

Grundgesetz

GKG

Gerichtskostengesetz

GOG

Gerichtsorganisationsgesetz (Österreich)

GS

Gedächtnisschrift

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

ggf.

gegebenenfalls

HbStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

h. M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

i. d. R.

in der Regel

i. e.

im einzelnen

i. S.

im Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

Jur.

Juristische(r)

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

Juristenzeitung

Lit.

Literatur

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

MünchKomm

Münchener Kommentar

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

ÖJZ

Österreichische Juristenzeitung

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OWi

Ordnungswidrigkeit

PKH

Prozeßkostenhilfe

RBDI

Revue beige de droit international

Abkürzungsverzeichnis RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

REDP

Revue européenne de droit public

RFDA

Revue française de droit administratif

RFDC

Revue française de droit constitutionnel

Rn.

Randnummer

RR

Rechtsprechungs-Report

Rspr.

Rechtsprechung

RUDH

Revue universelle des droits de Γ homme

S.

Seite

s.

siehe

SächsVBl

Sächsische Verwaltungsblätter

SGb

Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift)

SGG

Sozialgerichtsgesetz

StPO

Strafprozeßordnung

s. o.

siehe oben

s. u.

siehe unten

u. a.

und andere / unter anderem

v.

von/vom

VB

Verfassungsbeschwerde

VB1BW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

Verf.

Verfasser

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VerfGHG

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (Österreich)

VerwArch

Verwaltungsarchiv (Zeitschrift)

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

Vorb.

Vorbemerkung

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

ζ. B.

zum Beispiel

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ζ. T.

zum Teil

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozeß

11

Α. Einleitung

, JDie Gerichtshöfe sollen keine Rennbahnen sein, wo der Richter einziges Bestreben dahin geht, diese mit den Parteien so schnell als möglich zu durchlaufen. Die Gerechtigkeit soll nicht auf Kurierpferden durchreiten und nur den an ihr teilhaben lassen, der die flüchtige Gottheit zufällig bei den Flügeln faßt."

Diese eindringliche, bildhafte Warnung vor übereilten Judikaten hat der Zivilrechtler Ludwig Friedrich Griesinger im Jahre 1820 an die Gerichtsbarkeit adressiert.1 Seinerzeit gab es offenbar durchaus Veranlassung, den ungestümen Tätigkeitsdrang der Richter zu zügeln. In unseren Tagen kann davon keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Betrachtet man die aktuelle Gerichtspraxis, mutet die poetisch formulierte Metapher Griesingers eher als Sarkasmus denn als ernstgemeinter Ratschlag an. Seit einiger Zeit nimmt die Dauer gerichtlicher Verfahren immer mehr zu. Sicherlich wird über die Verfahrensdauer geklagt, seit es Gerichte gibt.2 Die gegenwärtige Zustandsbeschreibung gibt jedoch besonderen Anlaß zur Sorge. Bevor über eine Streitsache rechtskräftig entschieden ist, vergehen heute häufig Jahre, bei voller Ausschöpfung des Instanzenzuges nicht selten auch Jahrzehnte. Dieser Befund gilt für viele Staaten; vor allem gilt er aber - neben Italien3 - für Deutschland.4 Die Verfahrensdauer ist gewissermaßen die Achillesferse des ansonsten nahezu perfekten deutschen Rechtsschutzsystems.5 Betroffen sind sämtliche Gerichtszweige,6 wobei die Verfahren in der Finanz-7 und Verwaltungsgerichtsbar1

Ludwig Friedrich Griesinger, Über die Justizorganisation der neuem Zeit, 1820, S. 39. So der Hinweis von Meyer-Ladewig, Vereinfachung und Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren, DVB1. 1979, 539; Sendler, 125 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit: Woher - wohin? VB1BW 1989,41,48. 3 Zur italienischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. etwa die Angaben bei Grawert, Grenzen und Alternativen des gerichtlichen Rechtsschutzes in Verwaltungsstreitsachen. Rechtsvergleichender Bericht: Bundesrepublik Deutschland - Italien, DVB1. 1983,973, 976 f. 4 Auch ausländische Beobachter weisen häufig auf die Länge der Verfahren vor deutschen Gerichten hin, vgl. nur Miehsler/Vogler, in: IntKomm EMRK, 1986, Art. 6 Rn. 326. S. a. Priebe, Die Dauer von Gerichtsverfahren im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes, FS v. Simson, 1983, S. 287, 288: „Spezifisch deutsches Problem". 2

5 Meyer-Ladewig, 1990,257, 262. 6

Europäischer Menschenrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, SGb

Zahlenangaben zur Ordentlichen Gerichtsbarkeit bei Vollkommer, Die lange Dauer der Zivilprozesse und ihre Ursachen, ZZP 81 (1968), 102, 124 ff.; zur Arbeitsgerichtsbarkeit bei Grunsky, Der Beschleunigungsgrundsatz im arbeitsgerichtlichen Verfahren, RdA 1974, 201, 202. Auch das BVerfG braucht für seine Entscheidungen ζ. T. sehr lange, vgl. etwa BVerfG,

14

Α. Einleitung

keit8 durchschnittlich am längsten dauern. Manchmal stirbt der Kläger sogar noch vor Abschluß des Prozesses!9 Angesichts solcher Zustände scheint es so, um das eingangs genannte Bild wieder aufzunehmen, als habe Justitia ihre „Kurierpferde" mittlerweile gegen einen störrischen Esel eingetauscht, der die Rennbahn nur widerwillig betritt und bestenfalls gemächlichen Schrittes durchmißt, so daß viele Zuschauer längst die Arena verlassen haben, wenn die Gerechtigkeit dann vielleicht endlich doch ihren sprichwörtlichen Lauf nimmt. Für den Bürger, der vor Gericht sein Recht durchsetzen will, kann sich ein solches „Warten auf Gerechtigkeit"10 als psychisch außerordentlich belastend erweisen und auch erhebliche vermögensrechtliche Einbußen bewirken. Durch die im Laufe der Zeit erfolgende faktische „Etablierung des Unrechts"11 kann das betroffene Recht letztlich sogar gänzlich zunichte gemacht werden. Einige wenige Beispiele mögen genügen, dies zu verdeutlichen: Strafverfahren, die sich über Jahre hinziehen, unterlaufen die Unschuldsvermutung, vor allem, wenn sie auf erhöhtes Medieninteresse stoßen; sie können deshalb und aus anderen Gründen für das private und berufliche Leben des Betroffenen katastrophale Folgen haben, die schwerwiegender sind als die Bestrafung selbst. Ein langwieriger zivilrechtlicher Rechtsstreit kann eine Forderung völlig entwerten, etwa wenn der Beklagte zwischenzeitlich insolvent wird; auch kann es sein, daß der auf das Geld dringend angewiesene Kläger während des sich hinziehenden Prozesses seinen Betrieb mangels Liquidität schließen muß.12 Beschl. v. 18. 2. 1998, JZ 1998, 674 (Verfahrensdauer über 10 Jahre), mit zu Recht kritischer Anmerkung von Ossenbühl, JZ 1998,678 ff. 7 Zu den teilweise katastrophalen Zuständen in der Finanzgerichtsbarkeit vgl. etwa Stökker, Verfahrensrechtliche Konsequenzen für den Kläger aus der überlangen Dauer von Steuerprozessen, DStZ 1989, 367; Klein, Zu den Ursachen der Überbelastung der Finanzgerichte, DStZ 1988, 600. Die Geschäftsberichte der Finanzgerichte stellen ζ. T. selbst fest, daß unerträgliche Zustände herrschen, so daß „der Verfassungsverstoß und der Verstoß gegen Art. 6 I EMRK tägliche Praxis in der Finanzgerichtsbarkeit" seien (vgl. Stöcker, DStZ 1989, 368). S. in diesem Zusammenhang auch den Sachverhalt der Entscheidung des BVerfG, Kammerbeschi. v. 7. 1. 1992, NJW 1992, 1497: Verfahrensdauer allein vor dem erstinstanzlichen Finanzgericht 13 Jahre! 8 Zur Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. etwa Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 173; Sendler, VB1BW 1989, 41, 49; Meier, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz und seine Folgen aus erstinstanzlicher Sicht, NVwZ 1998, 688, 690; ferner den Fall BVerwG, Urt. v. 18. 10.1990, NJW 1991,1370 (18 Jahre Verfahrensdauer). 9 Vgl. nur BFH, Urt. v. 16. 1. 1998, NJW 1998,1511. 10 Kirchhof, Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Verfahrensdauer und die Rechtsmittel, FS Doehring, 1989, S. 439; Kloepfer, Verfahrensdauer und Verfassungsrecht, JZ 1979, 209; Wilfinger, Das Gebot effektiven Rechtsschutzes in Grundgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention, 1995, S. 2. π Wilfinger, S. 2.

Α. Einleitung

Wenn jahrelang vor dem Verwaltungsgericht um eine Baugenehmigung oder um eine gewerbliche Genehmigung gestritten werden muß oder ein solcher Streit auch nur droht, kann dies das Vorhaben hinfällig machen: Die verstreichende Zeit durchkreuzt die Finanzierungsplanung; außerdem werden, je länger der Prozeß dauert, wesentliche Veränderungen der ursprünglichen privaten oder beruflichen Rahmenbedingungen immer wahrscheinlicher. Und der Rechtsstreit um die Erlaubnis einer bestimmten beruflichen Tätigkeit kommt, wenn er sich über längere Zeit hinschleppt und einstweiliger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann, einem faktischen Berufsverbot gleich, zumal während der Schwebezeit eine endgültige berufliche Umorientierung wenig sinnvoll ist. In jedem Fall bewirkt das schwebende Gerichtsverfahren einen Zustand der beruflichen, wirtschaftlichen und/oder privaten Unsicherheit und Prekarität, dessen psychische Belastungswirkung mit zunehmender Verfahrensdauer ansteigt und zu Zermürbung und Verbitterung, womöglich sogar zu gesundheitlichen Schäden führen kann. Dies alles macht deutlich, daß die lange Dauer von Gerichtsverfahren das „Fundamentalproblem des ganzes Rechtsschutzes"13 ist. Das gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß eine zu erwartende längere Verfahrensdauer ein Anreiz ist, es auch in aussichtslosen Fällen auf einen Prozeß ankommen zu lassen, um Zeit zu gewinnen,14 und daß die Verfahrensdauer umgekehrt in dem Sinne abschreckend wirken kann, daß erst überhaupt nicht versucht wird, berechtigte Ansprüche durchzusetzen.15 Dabei dürften sich beide Tendenzen - das Führen aussichtsloser Prozesse hier, das Absehen von einer Klage in offensichtlich begründeten Fällen dort - rein quantitativ gesehen mehr oder weniger neutralisieren, so daß die ζ. T. geäußerte Hoffnung (oder Furcht?), aufgrund ihrer langatmigen Verfahrensweise erwiesen sich die Gerichte als „Promotor ihrer eigenen Arbeitsentlastung" bzw. als „Instrumente ihre Selbstentmachtung",16 kaum berechtigt erscheint.

12

Vgl. die Beispiele bei Otto, Der Anspruch auf ein Verfahren innerhalb angemessener Zeit, Jur. Diss. Mainz 1994, S. 18. 13 Sendler, Zum Instanzenzug in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1982, 157, 164; ders., Möglichkeiten zur Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, DVB1. 1982,923; ders., VB1BW 1989,41,48. 14 Vgl. für den Bereich des Zivilprozesses Vollkommen ZZP 81 (1968), 102, 107: Verschlechterung der Zahlungsmoral, Prozeß als Mittel zu „billigem Kredit". Für den verwaltungsgerichtlichen Bereich s. Finkelnburg, Das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, FS BVerwG, 1978, S. 169, 175, mit dem Hinweis, daß manche Behörden offen auf eine lange Verfahrensdauer und die Unfähigkeit der Verwaltungsgerichte zu schneller Rechtsschutzgewährung spekulieren; s. ferner BRDrs. 30/96, S. 24 (gegen belastende VAe werde zunehmend nur deshalb geklagt, um den während des Klageverfahrens eintretenden Suspensiveffekt auszunutzen). is Vgl. die Schilderung von Sendler, VB1BW 1989,41,48 f. 16 Sendler, VB1BW 1989,41,48 f.

16

Α. Einleitung

Die einzelnen Faktoren, die sich verfahrensverlängernd auswirken, sind im wesentlichen bekannt: Hohe Klagefreudigkeit der Bürger und dementsprechend starke Belastung der personell und sachlich knapp ausgestatteten Gerichte, umständlicher und veralteter gerichtsinterner Arbeitsablauf, zu langer Instanzenzug, der den Rechtsstaat zum „Rechts wegestaat"17 mutieren läßt, übergroße Komplexität des materiellen und des Prozeßrechts, aber auch mangelnde Tatkraft und Entscheidungsfreude von Richtern - um nur die wichtigsten Schlagworte zu nennen.18 Unklar und umstritten ist allerdings, in welchem genauen Umfang die genannten Faktoren jeweils für Verfahrensverlängerungen verantwortlich sind, was nicht zuletzt am Fehlen verläßlicher rechtstatsächlicher Erkenntnisse liegen dürfte. Demgemäß ist die Diskussion darüber, welche Maßnahmen am besten dazu angetan sind, spürbare Verfahrensverkürzungen zu erreichen, ein rechtspolitischer Dauerbrenner. Vorgeschlagen werden u. a. die Reduzierung des Instanzenzuges,19 die Umstellung vom Kollegial- auf das Einzelrichterprinzip, 20 die Erhöhung der Gerichtsgebühren, 21 eine personelle Aufstockung der Richterschaft, 22 der Ausbau vorprozessualer Schlichtungsmechanismen,23 eine effizientere Organisation der Gerichtsverwaltung,24 eine Entschlackung des materiellen Rechts.25 Dabei sind die Jahrreiß, in: Recht - Staat - Wirtschaft, Bd. 2, S. 203, 213 f; Papier, Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt, HbStR VI, 1989, § 154 Rn. 4. 18 Vgl. näher etwa Baumgärtel, Eine Rechtstatsachenuntersuchung über die Ursachen der zu langen Prozeßdauer, JZ 1971, 441 ff.; Dombert, Zeitnaher, effektiver Rechtsschutz?, SächsVBl. 1995, 73 ff.; Henke, Judica perpetua oder: Warum Prozesse so lange dauern, ZZP 83 (1970), 125 ff., 133, 144 ff.; Kirchhof, FS Doehring, S. 439, 444 ff.; Kloepfer, JZ 1979, 209. 19 Kloepfer, JZ 1979, 209, 216; Meyer-Ladewig, DVB1. 1979, 539, 543; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 42 f.; Pitschas, Der Kampf um Art. 19 IV GG, ZRP 1998, 96,99 f.; Sendler, DVB1. 1982,157 ff. 20 Pitschas, ZRP 1998, 96, 100, 103; Scholz, DVB1. 1982, 607, 611 f.; vgl. auch Weber, Vier Augen sehen mehr als zwei, ZRP 1997, 134 ff. (Beibehaltung des Kammerprinzips, aber Reduzierung der Kammer auf zwei Berufsrichter). - Dagegen Schäfer, Kein Geld für die Justiz - Was ist uns der Rechtsfrieden wert? DRiZ 1995,461,468 f., unter Bezugnahme auf das „Condorcet-Theorem". 21 Stöcker, DStZ 1989, 367, 374 f. 22 Meyer-Goßner/Ströber, Reform des Rechtsmittelsystems in Strafsachen, ZRP 1996, 354, 357, mit dem zutreffenden Hinweis, daß die Kosten der Justiz den Staatshaushalt nur eher gering belasten (weniger als 1 %) und daher eine Ressourcenerhöhung durchaus finanzierbar sei; im selben Sinne Finkelnburg, FS BVerwG, S. 169, 176; Stöcker, DStZ 1989, 367, 374. 23 Dazu vor allem Pitschas, ZRP 1998, 96,97; dies befürwortend auch Kloepfer, JZ 1979, 209, 216; Schäfer, DRiZ 1995,461,470. 24 Dombert, SächsVBl. 1995, 73, 76; Eifert, Das neue Steuerungsmodell - Modell für die Modernisierung der Gerichtsverwaltung? DV 1997, 75 ff.; Hoffmann-Riem, Wahrheit, Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Effizienz - das Magische Viereck der Dritten Gewalt? JZ 1997, 1, 4 ff.; der s., Optimierung durch Reorganisation der Gerichtsverwaltung, DV 1997, 481 ff.; ders., Justiz 2000 - Reform der Gerichtsverwaltung am Beispiel Hamburgs, DRiZ 1998, 109 ff.; Sc huppe rt, Optimierung von Gerichtsorganisation und Arbeitsabläufen:

Α. Einleitung

Unterschiedlichkeit der diversen Reformvorschläge sowie die Dauer der Reformdebatte ein deutliches Indiz dafür, daß dem Problem offenbar nur schwer beizukommen ist und es die Patentlösung - wie so häufig - nicht gibt. Die wohl erfolgversprechendste Maßnahme, eine deutliche Erhöhung der Richterstellen, wird sich schon aus finanziellen Gründen im gebotenen Umfang bis auf weiteres nicht realisieren lassen, zumal Deutschland bereits jetzt das Land mit der weltweit höchsten „Richterdichte" ist. 26 Ob von der kürzlich in Kraft getretenen Umstrukturierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz27 ein wesentlicher Beschleunigungseffekt ausgehen wird, ist gegenwärtig noch nicht abzusehen. Da sich die Reform auf die Rechtsmittelinstanzen konzentriert, wird sich jedenfalls in der ersten Instanz, dem hauptsächlichen zeitlichen Engpaß der Verwaltungsjustiz,28 kaum etwas ändern.29 Der rechtssuchende Bürger wird sich dementsprechend auch weiterhin mit dem Problem langer Verfahrensdauer konfrontiert sehen. Die anhaltende rechtspolitische Debatte hilft ihm nicht, wenn die Mühlen der Justiz in seinem Fall zu langsam oder überhaupt nicht mahlen. Die Fragen, die sich dann für ihn stellen, sind an das geltende Recht gerichtete, konkret einzelfall- und gegenwartsbezogene Fragen: Gewährt das Recht überhaupt einen Anspruch auf eine überschaubare Verfahrensdauer? Wie kann dieser Anspruch ggf. durchgesetzt werden, d. h., welche konkreten Möglichkeiten gibt es, drohende Verfahrensverzögerungen und damit verbundene Nachteile abzuwehren oder zumindest eine Kompensation aufgrund langer Verfahrensdauer tatsächlich eingetretener Nachteile zu verlangen? So häufig das Problem überlanger Verfahrensdauer rechtspolitisch erörtert wird, so selten setzen sich - vom Strafrecht abgesehen - Literatur und Rechtsprechung mit den angesprochenen Fragen näher auseinander. Hier Klarheit zu schaffen, ist aber nicht nur für den einzelnen Rechtssuchenden von zentraler Bedeutung; auch eine fruchtbare rechtspolitische Diskussion kann sich nur von der sicheren Basis der lex lata aus entwickeln. Die folgenden Ausführungen, die sich schwerpunktmäßig mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren befassen, mit geringen Modifikationen aber auch auf sozial- und finanzgerichtliche Verfahren sowie Zivilprozesse Herausforderung für die richterliche Unabhängigkeit, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform der Justizverwaltung, S. 215 ff.; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 212 f. 25 Kirchhof, FS Doehring, S. 439,446 ff.; Rößler, DStZ 1986,475. 26 Blankenburg, Droht die Überforderung der Rechtspflege? ZRP 1992,96 f. 27 Übersicht ζ. B. bei Bader, Das sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, DÖV 1997, 442 ff.; Schenke, „Reform ohne Ende" - Das sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG), NJW 1997, 90 ff. 28 Vgl. nur Schenke, NJW 1997, 81, 92. 29 So auch Quaas, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz aus anwaltlicher Sicht, NVwZ 1998, 701, 702 . Dahingehend auch erste Erfahrungsberichte von Verwaltungsrichtern, vgl. Meier, NVwZ 1998, 688,692,694.

2 Schiette

18

Α. Einleitung

und Verfahren vor dem BVerfG übertragbar sind, wollen einen Beitrag zur längst überfälligen Klärung leisten. Wie bereits angedeutet, sind dabei die Frage nach der grundsätzlichen Existenz eines Anspruchs auf Entscheidung in angemessener Frist (B.) und die Frage nach dessen praktischer Realisierung (C.) zu unterscheiden.

Β. Die Verankerung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist im deutschen Recht I . Einfachgesetzliche Regelungen Für das Verwaltungsverfahren enthält das einfache Recht seit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz von 1996 eine ausdrückliche Regelung der zeitlichen Dimension: Nach § 10 S. 2 VwVfG ist jedes Verwaltungsverfahren „einfach, zweckmäßig und zügig" durchzuführen, und im Hinblick auf wirtschaftlich bedeutsame Verfahren schreibt § 71b VwVfG vor, daß die Behörde „die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen" zu treffen hat, um das Verfahren „in angemessener Frist" abzuschließen.1 In Bezug auf das Widerspruchsverfahren läßt sich § 75 VwGO (Untätigkeitsklage) entnehmen, daß ein durchschnittliches Verfahren nicht länger als drei Monate dauern soll.2 Derart explizite Normierungen, die i. ü. nicht nur objektives Recht darstellen, sondern für die privaten Verfahrensbeteiligten auch entsprechende subjektive (Verfahrens-)Rechte begründen,3 existieren für das gerichtliche Verfahren nicht. Einzige Ausnahme bildet § 9 Abs. 1 S. 1 ArbGG, der für den Arbeitsgerichtsprozeß festlegt, daß dieser „in allen Rechtszügen zu beschleunigen" sei.4 Das deutsche Prozeßrecht enthält lediglich einzelne verstreute Regelungen, aus denen sich inzidenter schließen läßt, daß dem einfachen Gesetzgeber an der zügigen Durchführung der Verfahren gelegen ist. Der Zweck dieser Normen, zumeist Regelungen über die Präklusion verspäteten Vorbringens5 oder vergleichbare Vor1 Zu beiden Vorschriften ausführlich Ziekow, Die Wirkung von Beschleunigungsgeboten im Verfahrensrecht, DVB1. 1998, 1101 ff. 2 Vgl. auch die inhaltlich übereinstimmenden Sondervorschriften in § 27 EGGVG, § 88 SGG, § 46 FGO und § 14a BImSchG. 3 Näher (für die Regelungen des VwVfG) Ziekow, DVB1. 1998, 1101, 1108 f. 4 Die Vorschrift wird offenbar auch in der Praxis ernst genommen. Jedenfalls dauerten die Verfahren vor den Arbeitsgerichten bis vor einigen Jahren (zu der seit ca. 1990 durch vermehrten Geschäftsanfall auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit deutlich ansteigenden Verfahrensdauer vgl. BR-Drs. 55/99) durchschnittlich weniger lange als vor den ordentlichen Gerichten, vgl. Grunsky, RdA 1974, 201, 202, mit ausführlichen statistischen Angaben. Insofern erstaunt es etwas, wenn in der arbeitsrechtlichen Literatur durchgehend die (vermeintlich) geringe Bedeutung des § 9 Abs. 1 S. 1 ArbGG hervorgehoben wird, vgl. nur Germelmann/ Matthes/Prutting, ArbGG, 2. Aufl. 1995, § 9 Rn. 5 ff.; Grunsky, a. a. O.; ders., ArbGG, 7. Aufl. 1995, § 9 Rn. 2 ff. - S. neben § 9 ArbGG noch § 36 Abs. 3 S. 5 AsylVerfG, der für besondere, nicht verallgemeinerungsfähige Fallkonstellationen eine Entscheidung innerhalb einer Woche anordnet (sie!). 2*

Β. Die Verankerung im deutschen Recht

20

Schriften, 6 ist es allerdings weniger, im Interesse der Verfahrensbeteiligten Verzögerungen durch das Gericht, als vielmehr einer Verschleppung des Prozesses durch die Parteien selbst vorzubeugen. Nur ganz wenige Vorschriften haben zum Ziel, unmittelbar dierichterliche Tätigkeit mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung zu beeinflussen.7 Die Lehre faßt diese Vorschriften ζ. T. unter der Bezeichnung ,3eschleunigungsgrundsatz" zu einer eigenen Prozeßmaxime zusammen, ohne diese allerdings dogmatisch näher zu konturieren. Noch am deutlichsten wird die richterliche Pflicht zur Entscheidung in angemessener Frist in der wenig beachteten Vorschrift des § 839 Abs. 2 S. 2 BGB ausgesprochen, wenn dort, als Ausnahme zum Spruchrichterprivileg des Satzes 1, eine Amtshäftung des Richters für eine „pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes" angeordnet wird.8 Eine wirklich explizite Verpflichtung zu zeitnaher gerichtlicher Entscheidung fließt nur über das Völkerrecht in die deutsche Rechtsordnung ein. Es handelt sich um Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, der jedermann einen Anspruch darauf gibt, daß „seine Sache ... innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird". Die Vorschrift ist, wie die gesamte EMRK, durch das Zustimmungsgesetz zur EMRK in innerstaatliches deutsches Recht transformiert worden und wirkt daher nicht bloß auf völkerrechtlicher Ebene, sondern besitzt zugleich Rang und Qualität (zumindest) eines einfachen Bundesgesetzes.9 5 §§ 296, 296a, 528 ZPO, §§ 87b Abs. 3,128a VwGO. 6 Ζ. B. §§ 95,227,272, 282 ZPO, § 244 Abs. 3 S. 2 StPO, § 34 GKG, § 92 Abs. 2 VwGO, § 81 AsylVfG. 7 Vor allem § 216 Abs. 2 ZPO („unverzügliche" Terminsbestimmung), § 300 ZPO (Pflicht zur Entscheidung bei Entscheidungsreife), § 87 VwGO (Erledigung der Sache in einer einzigen mündlichen Verhandlung), § 116 VwGO (Fristen für die Urteilsverkündung). Vgl. a. § 8 GKG (keine Kostenerhebung, wenn unrichtige, d. h. auch verzögerliche, Sachbehandlung durch das Gericht), sowie § 2le Abs. 2, 3 S. 1 GVG (Änderung des Geschäftsverteilungsplans innerhalb des laufenden Jahres u. a. bei zutage tretender Überlastung eines Richters oder Spruchkörpers). S. ferner § 121 StPO (Höchstdauer der Untersuchungshaft 6 Monate), wo aber primär die Dauer des vorgerichtlichen Ermittlungsverfahrens geregelt wird. 8

Auf diese Vorschrift wird ausführlich zurückzukommen sein, s. u. S. 63 ff. Im selben Sinne § 26 Abs. 2 DRiG, der klarstellt, daß sich die Dienstaufsicht über die Richter auch auf den zeitlichen Aspekt ihrer Tätigkeit erstrecken kann, dazu u. S. 49 f. 9 Für einfachen Gesetzesrang die ganz h. M. in Rspr. und Lit., vgl. etwa BVerfG, Beschl. 26. 3. 1987, E 74, 358, 370; Beschl. v. 29. 5. 1990, E 82, 106, 114 (mit dem Zusatz „ständige Rspr."); BVerfG, NJW 1993, 3255, 3256; Bernhardt, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsordnung, EuGRZ 1996, 339; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl. 1994, S. 407; Hilf, Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention im deutschen Recht, in: Mahrenholz /Hilf/ Klein, Entwicklung der Menschenrechte innerhalb der Staaten des Europarates, 1987, S. 19, 39 f.; Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, EuGRZ 1994, 16, 18, 25 f.; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 62 f. - Bisweilen wird sogar versucht, die EMRK innerstaatlich auf Übergesetzesrang (Dronsch, Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention im deutschen Normensystem, Diss. Göttingen 1964, S. 117 ff.; Guradze, Der Stand der Menschenrechte im Völkerrecht, 1956, S. 172 ff.; Ress,

I. Einfachgesetzliche Regelungen

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Die Vorschrift darf schon deshalb nicht unterschätzt werden, weil ihr sachlicher Anwendungsbereich wesentlich umfassender ist, als es der deutsche Wortlaut nahelegen könnte, der lediglich „strafrechtliche Anklagen" sowie „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" in Bezug nimmt. In den authentischen Fassungen in englischer bzw. französischer Sprache ist von „civil rights" / „droits civils" die Rede, und die Konventionsorgane gehen mittlerweile 10 davon aus, daß darunter weit mehr zu verstehen ist als das klassische Zivilrecht kontinentaleuropäischer Prägung. Die seit etwa zehn Jahren immer mehr expandierende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zusammenfassend, 11 läßt sich festhalten, daß sämtliche privatnützigen Rechtspositionen, insbesondere solche eigentumsrechtlicher und allgemein-vermögensrechtlicher Natur, und alle damit nicht nur ganz entfernt zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 E M R K unterfallen, ganz gleich, ob sie ihre Rechtsgrundlage in formal zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften finden, ob klassisches hoheitliches Handeln im Spiel ist oder nicht, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt am Streit beteiligt ist oder die Angelegenheit in die Zuständigkeit der Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört. 12 Das bedeutet, daß auch Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Vertragsstaaten, in: Irene Maier [Hrsg.], Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 227, 273 f., 287), Verfassungsrang (Bleckmann, Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention? EuGRZ 1994, 149 ff.; Kleeberger, Die Stellung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1992, passim; Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 1965, S. 43 ff.) oder gar Überverfassungsrang (Baumann, FS Eb. Schmidt, 1961, S. 525, 529 f.; Klug, GS Hans Peters, 1967, S. 434, 439 ff.) zu heben. 10 Zur früher sehr restriktiven Tendenz der Europäischen Kommission für Menschenrechte („cautious approach") vgl. etwa Weh, Für und Wider den „cautious approach" / civil rights und strafrechtliche Anklage (Art. 6 EMKR) in der Rechtsprechung der Straßburger Organe, EuGRZ 1985,469 ff., m.w.N. 11

Ausführliche Darstellung der allerdings ζ. T. wenig kohärenten Rechtsprechung bei Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 1998, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 574 ff.; Dugrip, V applicabilité de Γ article 6 de la CEDH aux juridictions administratives, RUDH 1991, 336 ff.; Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 35 ff.; Kley-Struller, Art. 6 EMRK als Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt,# 1993, S. 7 ff., 27 ff.; Meyer-Ladewig, SGb 1990, 257, 258 ff.; Picard, La juridiction administrative et les exigences du procès équitable, in: Sudre (Hrsg.), Le droit français et la Convention européenne des droits de l'homme, 1994, S. 217, 230 ff.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1997, S. 154 ff. 12 Vgl. ζ. B. EGMR, Urteil Ringeisen ./. Österreich, 16. 7. 1971, amtl. Sammig. Reihe A Nr. 13, § 94; König ./. Deutschland v. 28. 6. 1978 (Plenarentsch.), Reihe A Nr. 27, EuGRZ 1978, 406, NJW 1979, 477, § 90; Deumeland ./. Deutschland, 29. 5. 1986 (Plenarentsch.), Reihe A, Nr. 100, EuGRZ 1988, 20, § 60; Procola . / . Luxemburg, 28. 9. 1995, Reihe A, Nr. 326, § 38; Raffinerien Stran und Stratis Andreadis ./.Griechenland, 9. 12. 1994, Reihe A Nr. 301-B, § 39; Werner ./. Österreich, 24. 11. 1997, § 38. Einer allgemeinen Definition des Begriffs „civil rights" ist der EGMR allerdings stets ausgewichen, ζ. T. hat er eine klare Begriffsbestimmung sogar ausdrücklich abgelehnt, vgl. nur Urteil Deumeland, § 61.

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

zahlreiche, wenn nicht gar die Mehrzahl der Verwaltungsstreitsachen der Vorschrift unterliegen, etwa Klagen auf Erteilung oder auf Aufhebung von Baugenehmigungen und gewerblichen Erlaubnissen, 13 Klagen auf Enteignungsentschädigung,14 Staatshaftungsklagen, 15 vermögensrechtlich geprägte Streitigkeiten aus dem Beamtenverhältnis 16 oder aus verwaltungsrechtlichen Verträgen, 17 berufsständische 18 sowie sozialrechtliche 19 Streitigkeiten. Diese insgesamt äußerst extensive Rechtsprechung 20 ist nach einigem Zögern von der Literatur und den innerstaatlichen Gerichten ganz überwiegend akzeptiert worden. 21

13 Benthem ./. Niederlande, 23. 10. 1985 (Plenarentsch.), Reihe A Nr. 97, EuGRZ 1986, 229, NJW 1987, 2141, §§ 34 ff.; Pudas ./. Schweden, 27. 10. 1987, Reihe A Nr. 125-A, EuGRZ 1988, 488, NJW 1989, 2181, §§ 35 ff.; Tre Traktörer Aktiebolag ./. Schweden, 7. 7. 1989, Reihe A Nr. 159, RUDH 1989, 170, §§ 37 ff.; Skärby ./. Schweden, 28. 6. 1990, Reihe A Nr. 180-B, RUDH 1990, 440, § 29; Fredin ./. Schweden, 18. 2. 1991, Reihe A Nr. 192, RUDH 1991, 89, §§ 62 f.; Zander ./. Schweden, 25. 11. 1993, Reihe A Nr. 279-B, §§ 22 ff.; Ortenberg ./.Österreich, 25. 11. 1994, Reihe A, Nr. 295-B, §§ 25 ff. w Zimmermann und Steiner ./. Schweiz, 13. 7. 1983, EuGRZ 1983, 482, §§ 6 - 8 , 22; Beaumartin ./.Frankreich, 24. 11. 1994, Reihe A, Nr. 296-B, § 28. 15 Tornasi ./.Frankreich, 27. 8. 1992, Reihe A Nr. 241-A, §§ 121 f.; Allenet de Ribemont ./. Frankreich, 10. 2. 1995, Reihe A Nr. 308, §§ 42 f.; Aksoy ./. Türkei, 18. 12. 1996, § 92; Cazenave de la Roche ./. Frankreich, 9. 6. 1998, §§ 42 f.; Assenov u. a. ./. Bulgarien, 28. 10. 1998, § 110. 16 Vgl. etwa die vier Urteile des EGMR vom 2. 9. 1997, Abenavoli./. Italien, § 16; Lapalorcia ./. Italien, § 21; Nicodemo ./. Italien, § 18; De Santa ./. Italien, § 18; ferner Couez ./ . Frankreich, 24. 8. 1998, § 24; Le Calvez ./. Frankreich, 29. 7. 1998, § 57; Mavronichis ./. Zypern, 24. 4. 1998, §§32 f.; Benkessiouer. /. Frankreich, 24. 8. 1998, §§ 27 ff. 17 Raffinerien Stran und Stratis Andreadis ./. Griechenland, Urt. v. 9. 12. 1994, Reihe A, Nr. 301-B, § 40; Doustaly. /. Frankreich, 23. 4. 1998, § 36. ι» König ./. Deutschland, 28. 6. 1978, §§ 86 ff.; Albert und Le Compte ./. Belgien, 10. 2. 1983 (Plenarentsch.), Reihe A Nr. 58, EuGRZ 1983, 190, §§ 27 ff.; H. ./. Belgien, 30. 11. 1987, Reihe A Nr. 127-B, §§ 40 f.; Kraska ./.Schweiz, 19. 4. 1993, Reihe A Nr. 254B, § 25; De Moor ./. Belgien, 23. 6. 1994, Reihe A, Nr. 292-A, §§ 42 ff.; Gautrin u. a. ./. Frankreich, 20. 5. 1998, § 33. 19 Deumeland ./.Deutschland, § 60 ff.; Feldbrugge ./. Niederlande, 29. 5. 1986, Reihe A, Nr. 99, §§ 26 ff.; Salesi ./. Italien, 26. 2. 1993, Reihe A Nr. 257-E, § 19; Schuler-Zgraggen ./. Schweiz, 24. 6. 1993, Reihe A, Nr. 263, § 46; Schouten und Meldrum ./. Niederlande, 9. 12. 1994, Reihe A, Nr. 304, §§ 47 ff.; Kerojärvi ./.Finnland, 19. 7. 1995, Reihe A Nr. 322, § 36; Paskhalidis u. a. ./.Griechenland, 19. 3. 1997, § 30. 20 Nach einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Meinung soll Art. 6 EMRK wegen des grundlegenden Charakters der dort garantierten Rechte sogar noch weiter ausgelegt und auf sämtliche gerichtliche Verfahren erstreckt werden, in denen über (beliebige) Rechte und Pflichten des einzelnen entschieden wird, vgl. Buergenthal/Kewenig, ArchVR 13 (1966/ 67), 393,407; Klecatsky, ÖJZ 1967, 113, 116. 21 Krit. etwa Papier, Justizgewähranspruch, HbStR VI, 1989, § 153 Rn. 10; wohl auch Picard, in: Sudre (Hrsg.), Le droit français et la Convention européenne des droits de l'homme, 1994, S. 217, 230 ff., 238 ff., mit Nachw. aus der Rspr. des französischen Conseil d'Etat. Der Conseil d'Etat hat der Straßburger Rspr. von allen innerstaatlichen Gerichten wohl am längsten und energischsten Widerstand entgegengesetzt. In den letzten Jahren ist allerdings auch er immer mehr auf die Linie des EGMR eingeschwenkt, vgl. z. B. Andriantsimbazovina,

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Mit Art. 6 Abs. 1 EMRK existiert somit - und das wird vielfach übersehen - im deutschen Recht eine Vorschrift, die, jedenfalls in der extensiven Auslegung, die sie durch den EGMR gefunden hat, den innerstaatlichen Gerichten für die meisten der von ihnen zu entscheidenden Streitigkeiten eine zügige Verfahrensführung und Entscheidung ausdrücklich und rechtlich bindend vorschreibt, und die dem einzelnen Rechtsschutzsuchenden einen korrespondierenden Rechtsanspruch verleiht. 22 Für die verbleibenden Lücken23 und zur Begründung einer innerstaatlichen Bindung auch des einfachen Gesetzgebers selbst bedarf es freilich zusätzlich einer (umfassenden) Gewährleistung auf verfassungsrechtlicher Ebene, deren Herleitung und Gehalt im folgenden näheres Augenmerk zu schenken ist.

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben 1. Die verfassungsrechtliche Herleitung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist Von den Sonderregelungen für Freiheitsentziehungen in Art. 104 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2 GG abgesehen,24 enthält das Grundgesetz für den Rechtsschutz keine ausdrückliche Regelung des zeitlichen Moments. Dem Wortlaut nach eröffnet Art. 19 Abs. 4 GG nur ganz allgemein den Rechtsweg gegen (behauptete) Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt, und der Justizgewährleistungsanspruch für Streitigkeiten der Bürger untereinander - notwendiges Korrelat von Selbsthilfeverbot, Friedenspflicht und staatlichem Gewaltmonopol - ist im GG überhaupt nicht ausdrücklich geregelt.25 Jurisprudence administrative et Convention européenne des droits de l'homme 1995-1996: l'adaptation progressive au droit européen des droits de l'homme, RFDA 1997, 1246 ff. 22 Auf völkerrechtlicher Ebene bindet Art. 6 EMRK sogar sämtliche Emanationen staatlicher Gewalt, also nicht nur die Judikative, sondern insbesondere auch den das Gerichtsverfahrensrecht regelnden Gesetzgeber. 2 3 Ζ. B. werden von den Konventionsorganen Asylrechtsstreitigkeiten nach wie vor aus dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK herausgehalten (Nachw. bei OVG Greifswald, Beschl. v. 30. 3. 1998, NVwZ 1998, 1100 f.). Gleiches gilt - wegen des vermögensrechtlichen Einschlags allerdings inkonsequent - für abgabenrechtliche Streitigkeiten, vgl. EGMR, Urt. Schouten und Meldrum ./. Niederlande, 9. 12. 1994, Reihe A Nr. 304, § 50; s. a. BFH, BStBl. II 1992, 148, 150; Laule, Die Europäische Menschenrechtskonvention und das Steuerrecht, EuGRZ 1996, 357, 364 f.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz, S. 160. Für Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK im Bereich des Abgabenrechts aber Stöcker, DStZ 1989, 367, 368 f. 24

Dort wird eine „unverzügliche" richterliche Entscheidung gefordert, eine Forderung, die sich allerdings weniger auf die richterliche Tätigkeit selbst als auf die vorgelagerte Frage bezieht, in welchem Zeitrahmen die Exekutive einen Richter einzuschalten hat. 2 5 Er wird aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG, bisweilen auch unter Bezugnahme auf Art. 103 Abs. 1 GG, abgeleitet, vgl. BVerfG, Plenumsbeschl. v. 11.6. 1980, E 54, 277, 291; BVerfG, Beschl. v. 12. 2. 1992, E 85, 337, 345; Beschl. v.

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

Das bedeutet aber keineswegs, daß sich der temporäre Aspekt des Rechtsschutzes außerhalb des „Lichtkegels rechtsstaatlicher Anforderungen" 26 befände, das Grundgesetz also hinsichtlich des Zeitmoments indifferent wäre und keine Vorgaben machte. Art. 19 Abs. 4 GG fordert - ebenso wie der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch für den Bereich zivilrechtlicher Streitigkeiten - effektiven Rechtsschutz, d. h. Rechtsschutz, der so ausgestaltet ist, daß die (behauptete) Rechtsverletzung wirksam sanktioniert werden kann.27 Für diese Effektivität ist aber das Zeitmoment von ganz elementarer, kaum zu überschätzender Bedeutung.28 Ergeht die verbindliche, die Rechtslage klärende gerichtliche Entscheidung erst nach langer Zeit, so ist sie, wie eingangs an verschiedenen Beispielen bereits deutlich gemacht wurde, für den Kläger auch bei Obsiegen häufig wertlos, ja geradezu gleichbedeutend mit einer vollständigen Rechtsschutzverweigerung29 - »justice delayed, justice denied", wie es die Engländer auf eine prägnante Formel bringen.30 Der (materiell) Obsiegende wird faktisch zum Verlierer und der Unterlegene, der möglicherweise von Anfang auf den Zeitgewinn durch den Prozeß gesetzt hat, darf sich als wirklicher Sieger fühlen. 31 Recht ist eben ein Gut, das zeitabhängig und zeitbezogen ist. Nur das aktuell oder innerhalb überschaubarer Zeit durchsetzbare Recht beantwortet die Gegenwartsfrage an das Recht; verspätete Antworten gehen ins Leere. 32 2. 3. 1993, E 88, 118, 123; Urt. v. 14. 5. 1996, E 94, 166, 226; Kammerbeschi. v. 6. 5. 1997, NJW 1997, 2811, 2812; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 19 ff.; Papier, in: HbStR VI, § 153 S. 1221 ff. 26 Bullinger, Verwaltung im Rhythmus von Wirtschaft und Gesellschaft, JZ 1991, 54,55. 27 Ständige Rspr. des BVerfG, vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 16. 1. 1980, E 53, 115, 127 ff.; Beschl. v. 20. 4. 1982, E 60, 253, 296 f.; Beschl. v. 17. 3. 1988, E 78, 88, 99; Beschl. v. 2. 3. 1993, E 88, 118, 123; Urt. v. 14. 5. 1996, E 94, 166, 226; Beschl. v. 30. 4. 1997, E 96, 27, 39; aus der Lit. vgl. nur Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 30; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 383 jeweils m.w.N. 28 So auch Pitschas, ZRP 1998, 96, 99 f. („entscheidendes Element der Justizgewährung"); Sachs, Effektive Rechtsschutzgewährleistung in einer einheitlichen Verwaltungsprozeßordnung, ZRP 1982,227,231 („wesentlicher Bestandteil"). 29 In diesem Sinne auch Germelmann/Matthes/Prutting, ArbGG, 2. Aufl. 1995, § 9 Rn. 3; Rosenberg /Schwab, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., S. 451; Stöcker, DStZ 1989, 367, 373. 30 Vgl. im selben Sinne das französische Rechtssprichwort Justice rétive, justice fautive" und die lateinische Parömie , justitiae dilatio est quaedam negatio". Es ist bezeichnend, daß Vergleichbares im Deutschen nicht existiert, hier allenfalls die Redeweise vom berüchtigten „kurzen Prozeß" geläufig ist, wo gerade umgekehrt der Sorge um eine überstürzte gerichtliche Entscheidung Ausdruck verliehen wird. Auch Sendler, DVB1. 1982, 923, 926, weist darauf hin, daß in der deutschen Gerichtsbarkeit offenbar verbreitet das unbewußte Gefühl, „was zügig gemacht sei, könne nicht gut sein", den Arbeitsablauf beherrsche.

31 Vgl. a. Sendler, DVB1. 1982, 923, 932 f.: „Bittere Wahrheit", der man nur ungern ins Auge sieht. 32 Kirchhof, FS Doehring, S. 439,440. S. a. Winkler, Zeit und Recht, S. 187: „Die Analyse einer bestimmten Rechtsordnung zeigt in allen Schichten und auf allen Ebenen ihrer Erzeugung und Erzeugtheit, ihrer Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit die Zeit als ein wesentliches Element." S. 311: „Die Zeit ist dem Recht ... wesensgemäß immanent. ... Sie

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

25

Wird das „Rechtsabweichungsintervall",33 also die Zeitspanne zwischen Rechtsverletzung und gerichtlicher Beseitigung der Rechtsverletzung, zu lang, so läuft dies auf Rechtlosigkeit, Vernichtung des materiellen Rechts, kurz, Unrecht hinaus: „Une circonstance essentielle à la justice, c'est de la faire promptement et sans différer, la faire attendre, c'est injustice".34 Das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes muß nach alledem, soll es nicht leerlaufen, notwendigerweise auch das Gebot eines Rechtsschutzes in angemessener Frist beinhalten. Darüber besteht heute Einigkeit,35 wenn sich diese Erkenntnis in Deutschland auch erst recht spät Durchbruch verschafft hat. So war das BVerfG noch im Jahre 1977 der Auffassung, die Verfahrensdauer sei verfassungsrechtlich grundsätzlich ohne Bedeutung, abgesehen allein von Fällen ganz offenkundiger Verschleppung.36 I. e. immer noch unterschiedlich beantwortet wird die Frage nach dem zutreffenden Anknüpfungspunkt im Verfassungstext. Neben Art. 19 Abs. 4 GG wird ζ. T. zusätzlich oder gar primär auf die materiellen Grundrechtsgarantien Bezug genommen, die in ihrer verfahrensmäßigen Dimension das Gebot effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutzes bereits unmittelbar enthalten sollen.37 Der Gehalt des haftet... allem Rechtlichen in Form und Inhalt, in allen Schichten seiner Existenz sowie in allen seinen Konkretisierungen nach Sinngehalten und Erzeugungsformen mehrfach und unterschiedlich abstrakt und konkret erkennbar an." 33 Kloepfer, JZ 1979, 209, 210. 34 La Bruyère (zit. bei Kopp, BayVBl. 1980, 263, 267; Baumbach/Lauterbach, ZPO, Titelblatt). Im selben Sinne Kinhhof, FS Doehring, S. 439, 444; Kopp, BayVBl. 1980, 263, 267; Vollkommer, ZZP 81 (1968), 102, 105; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 2 f. 35 S. nur Brenner, Allgemeine Prinzipien des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in Europa, DV 1998, 1, 18; Kirchhof, FS Doehring, S. 439, 448 ff.; Kloepfer, JZ 1979, 209, 212 f.; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, 4. Aufl. 1992, Art. 19 Rn. 64; Krüger, in: Sachs, GG, 2. Aufl. 1998, Art. 19 Rn. 143; Lerche, Zum „Anspruch auf rechtliches Gehör", ZZP 78 (1965), 1, 17 f.; Papier, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht, NJW 1990, 8, 9 f.; ders., HbStR VI, § 153 Rn. 5, § 154 Rn. 77 f.; Pitschas, ZRP 1998, 96, 99 f.; Priebe, FS v. Simson, S. 287, 296; Sachs, ZRP 1982, 227, 231; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 1996, Art. 19 IV Rn. 83; Stöcker, DStZ 1989, 367, 372; Ziekow, Urteilsanmerkung, JZ 1998, 947 f.; ders., Die Beschleunigungsbeschwerde im Verwaltungsprozeß, DÖV 1998, 941, 942; BVerfG, Kammerbeschi. v. 6. 5. 1997, NJW 1997,2811, 2812; Kammerbeschi. v. 19. 3. 1992, NJW 1992, 2472; BVerfG, Beschl. v. 20. 4. 1982, E 60, 253, 269; Beschl. v. 16. 12. 1980, E 55, 349, 369; Berliner VerfGH, Beschl. v. 17. 6. 1996, JR 1997, 100 f.; VGH München, Beschl. v. 11. 8. 1977, BayVBl. 1978,212,213. 36 BVerfG, Beschl. v. 4. 10. 1977, E 46, 17, 28 f. - Es hat den Anschein, als ob man in Deutschland erst nach dem Urteil „König" des EGMR aus dem Jahre 1978, in dem eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen zu langer verwaltungsgerichtlicher Verfahrensdauer festgestellt wurde (s. u. S. 58), auf den zeitlichen Aspekt der Rechtsschutzgarantie aufmerksam wurde. Dementsprechend gibt es, von beiläufigen Äußerungen abgesehen, vor dieser Zeit in der deutschen Literatur keine Stellungnahmen zu dieser Thematik. 37 So, mehr oder weniger deutlich, das BVerfG in einer Reihe von Entscheidungen, zumeist in bezug auf Art. 14 GG, vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 3. 7. 1973, E 35, 348, 360 ff.; Beschl. v. 10. 5. 1977, E 45, 297, 333; Beschl. v. 10. 10. 1978, E 49, 252, 256 f. (einschrän-

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

Art. 19 Abs. 4 GG verengt sich dann im Extremfall auf die bloße Eröffnung des Rechtswegs.38 Teilweise wird auch auf Art. 103 Abs. 1 GG verwiesen; das dort garantierte rechtliche Gehör beinhalte das Erfordernis „rechtzeitigen" Gehörs. 39 Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird bemüht; dieses verbiete - insbesondere durch das Teilgebot der Erforderlichkeit - Belastungen, die durch eine kürzere Verfahrensdauer hätten vermieden werden können. 40 Der Hinweis auf die materiellen Grundrechte und die dem zugrundeliegende These eines „von Art. 19 Abs. 4 GG emanzipierten grundrechtsimmanenten Rechtsschutzanspruchs" 41 überzeugt nicht. 42 Zwar spricht durchaus einiges für die Annahme, daß die Grundrechte für ihren jeweiligen Anwendungsbereich die Rechtsschutzgarantie gewissermaßen bereits „in sich" tragen. Ebenso dürfte kaum bestreitbar sein, daß Rechtsschutz keine von den materiellen Rechten losgelöste abstrakte Größe ist und nur um seiner selbst willen garantiert wird. 4 3 Das alles ändert aber nichts daran, daß die Rechtsschutzkomponente der (materiellen) Grundrechte durch die Regelung in Art. 19 Abs. 4 GG bewußt und ausdrücklich aus ihrem jeweiligen Normbereich ausgelagert und (für den Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt) zusammenfassend und in Gestalt einer lex specialis „hinter die Klammer" gezogen worden ist. 4 4 Dadurch ist der Rückgriff auf die einzelnen makend aber Beschl. v. 20. 4. 1982, E 60, 253,296 ff.); ferner Kopp, BayVBl. 1980, 263, 267 f.; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 36; Sachs, ZRP 1982, 227, 228; Stöcker, DStZ 1989, 367, 373; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 87 ff. - In Ansätzen verfolgt auch der EGMR diese Linie, vgl. zuletzt Urteil Matos e Silva, Lda. u. a. ./. Portugal, 16. 9. 1996, § 92 (überlange Dauer eines Enteignungsverfahren als Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Eigentumsrechts in Art. 1 1. Zusatzprotokoll). 38 Dahingehend deutlich BVerfGE 49, 252, 257. 39 In diesem Sinne etwa Kloepfer, JZ 1979, 209, 213; Stöcker, DStZ 1989, 367, 373; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 118 f.; dahingehend auch Hummer, Justizgewährung und Justizverweigerung in verfassungsrechtlicher Sicht, Diss. Marburg 1972, S. 161 ff. 40 Kloepfer, JZ 1979, 209, 214; Stöcker, DStZ 1989, 367, 374; BVerfG, Beschl. v. 4. 10. 1977, E 46, 17, 29 f. (für beamtenrechtl. Disziplinarverfahren). - Kloepfer, JZ 1979, 209, 212 f., Stöcker, DStZ 1989, 367, 373, ferner Ziekow, DÖV 1998, 941, 944 f., ziehen zudem Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, der erstgenannte auch das Sozialstaatsprinzip, heran. 41 Bethge, Grundrechts Verwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, NJW 1982, 1, 6. 42 Anderes mag nur jenseits des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG, also etwa für zivilprozessuale Streitigkeiten, gelten, was hier aber keiner näheren Erörterung bedarf. 43 So der Hinweis von Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 85. 44

In diesem Sinne etwa Bethge, NJW 1982, 1, 6 f.; Haag, „Effektiver Rechtsschutz" grundrechtlicher Anspruch oder Leerformel?, Diss. Konstanz 1986, S. 91 f.; Krebs, in: v. Münch, GG, Art. 19 Rn. 48; Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60, 83; Lorenz, Grundrechte und Verfahrensordnungen, NJW 1977, 865, 870; v. Mutius, Grundrechtsschutz contra Verwaltungseffizienz im Verwaltungsverfahren?, NJW 1982, 2150, 2155 f.; Papier, HbStR VI, § 154 Rn. 15. - Über diese Verklammerungswirkung hinaus hat Art. 19 Abs. 4 GG i. ü. eigenständigen Gehalt insofern, als er Rechtsschutz nicht nur für Grundrechtsverletzungen, sondern auch für Verletzungen aller sonstigen einfachgesetzlich begründeten Rechte verfassungsrechtlich verbrieft, vgl. Papier, HbStR VI, § 154 Rn. 1.

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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teriellen Grundrechte ausgeschlossen, womit zugleich einer überzogenen Materialisierung und Zersplitterung des gerichtlichen Verfahrensrechts vorgebeugt wird. 45 Die (primäre) Bezugnahme auf Art. 103 Abs. 1 GG verkennt, daß diese Vorschrift das Verfahren nicht vollständig abdeckt, und zwar insbesondere nicht die Zeit nach Gewähr rechtlichen Gehörs bis zum Urteilserlaß, daß es aber die Prozeßgesamtdauer ist, die maßgeblich über die Effektivität des Rechtsschutzes entscheidet, und nicht, in welchem Stadium und nach welcher Zeit rechtliches Gehör gewährt wird. 46 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip schließlich kann nur Ausschnitte der Problematik erfassen, nämlich die Konstellationen, in denen der überlangen Verfahrensdauer handfeste Eingriffswirkung zukommt47 - während Art. 19 Abs. 4 GG eine überschaubare Prozeßdauer auch in allen sonstigen Fällen garantiert. Richtige normative Grundlage für den Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit ist somit in erster Linie Art. 19 Abs. 4 GG; 48 nur für Teilbereiche kommt es zu Überschneidungen mit und Ergänzungen durch andere grundrechtliche Gewährleistungen. Hinzuweisen bleibt darauf, daß Rechtsschutz in angemessener Frist nicht lediglich eine individualschützende Dimension besitzt, sondern auch im öffentlichen Interesse gewährleistet sein muß, weil nur zeitnaher Rechtsschutz Rechtsfrieden und Rechtssicherheit garantiert und Selbsthilfe verhindert. In dieser objektiven Komponente - die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings von sekundärer Bedeutung ist - ist das Gebot eines Rechtsschutzes in angemessener Frist im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip verankert zu sehen.49

45 BVerfGE 60, 253, 297. 46 Allerdings ist zutreffend, daß Art. 103 Abs. 1 GG auch die notwendige Sachaufklärung gewährleisten will, die häufig umso schlechter möglich ist, je länger der Prozeß dauert. Insoweit steckt das Gebot zügigen Rechtsschutzes in der Tat auch in dieser Vorschrift, Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 118 f. Art. 103 Abs. 1 GG als sedes materiae für das zeitliche Moment vollständig ablehnend aber Röhl, NJW 1964, 273, 278; VerfGH München, Beschl. v. 28. 1. 1963, NJW 1963, 707 f. 47 Nur in diesem Fall dürfte i. ü. neben Art. 19 Abs. 4 GG ein Verstoß gegen materielle Grundrechte (unverhältnismäßiger Eingriff ζ. B. in Art. 12, 14 GG) in Betracht kommen, vgl. a. Kloepfer, JZ 1979, 209, 213 ff. 4

8 So auch Kirchhof, FS Doehring, S. 439,451. 49 In diesem Sinne, allerdings nicht ganz so deutlich, BVerfG, Beschl. v. 2. 3. 1993, E 88, 118, 124; BayVerfGH, Beschl. v. 8. 8. 1985, VerfGHE 38, S. 96, 100; Wieser, Arbeitsgerichtsverfahren, 1994, Rn. 428. In ähnlicher Weise betont der EGMR, daß das Gebot angemessener Verfahrensdauer auch dazu diene, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Justiz zu wahren, vgl. Urt. v. 23. 10. 1990, Moreira de Azevedo ./. Portugal, Reihe A Nr. 189, § 74; Urt. v. 27. 10. 1994, Katte Klitsche de la Grange . /. Italien, Reihe A, Nr. 293-B, § 61.

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

2. Der Inhalt des verfassungsrechtlichen Gebots Welchen konkreten Inhalt besitzt nun der verfassungsrechtliche Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist? Die „Angemessenheit" ist, das hat sie mit Begriffen wie „öffentliches Interesse", und „Billigkeit" gemeinsam, geradezu ein Paradebeispiel für einen unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen rechtlichen Maßstab. Die Schwierigkeiten bei der Handhabung werden dadurch verstärkt, daß in diesem Bereich die Diskrepanz zwischen Unschärfe der normativen Vorgabe und Konkretheit der jeweiligen Fallumstände ganz besonders groß ist. Zur Diskussion steht eine bestimmte Verfahrensdauer, rechnerisch u. U. exakt bis auf einen Tag festzulegen, und das sich so ergebende zeitliche Quantum muß unter den extrem unbestimmten Begriff der „Angemessenheit" subsumiert werden. Dabei gibt es nur zwei Entscheidungsmöglichkeiten die Verfahrensdauer ist angemessen oder sie ist unangemessen - , keine Zwischenlösung. Hier wird in ganzer Schärfe ein Problem offenbar, das auch in anderen Bereichen auftaucht, nämlich die Schwierigkeit, unbestimmte rechtliche Maßstäbe in eine ganz konkrete zahlenmäßige Größe umzusetzen.50 Diese Schwierigkeit darf nicht dazu verleiten, die verfassungsrechtliche Pflicht zu zügiger Entscheidung abzuschwächen oder gar zu negieren. Vielmehr müssen alle interpretatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, dem verfassungsrechtlichen Gebot so weit wie möglich Konturen zu verleihen - ohne dabei allerdings den Rahmencharakter der Verfassung aus den Augen zu verlieren und Gehalte in das Grundgesetz hineinzulesen, die dort nicht vorhanden sind. Bei näherer Betrachtung lassen sich Art. 19 Abs. 4 GG drei konkretisierende Aussagen zur Verfahrensdauer entnehmen, die durch die Rezeption der im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 EMRK vom EGMR entwickelten Grundsätze in einem vierten Schritt noch weiter präzisiert werden können. a) Einzelfallbezogene

Beurteilung der Verfahrensdauer

Art. 19 Abs. 4 GG statuiert keine feste Entscheidungsfrist. Das, was als „angemessene Frist" i. S. des Verfassungsrechts zu gelten hat, ist also nicht ein für alle Mal festliegend, sondern variabel und je nach den Umständen des konkreten Falls zu bestimmen.51 Angesichts der Vielgestaltigkeit der Streitsachen, die Bearbei50 Vergleichbare Problemstellungen gibt es ζ. B. bei Art. 79 Abs. 3 GG (Welchen zeitlichen Abstand dürfen die das Demokratieprinzip kennzeichnenden periodisch wiederkehrenden Wahlen maximal aufweisen?); bei Art. 2 Abs. 1, 14 GG (Welchen Prozentsatz darf eine Steuer nicht überschreiten? Für die Vermögensteuer hat das BVerfG kürzlich einen Satz von 50% postuliert, BVerfG, Beschl. v. 22. 6. 1995, E 93,121, 136 ff., was ihm viel Kritik eingebracht hat); oder bei Art. 8 Abs. 1 GG (Ab wievielen Teilnehmern kann von einer „Versammlung" gesprochen werden?). 51 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 6. 5. 1997, NJW 1997, 2811, 2812; Kammerbeschi. v. 14. 7. 1994, NJW 1995, 1277; Beschl. v. 16. 12. 1980, E 55, 349, 369; Berliner VerfGH,

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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tungsfristen unterschiedlichster Länge beanspruchen, wäre die Festlegung einer pauschalen Höchstdauer auch völlig unpraktikabel; zudem könnten gesetzliche Höchstgrenzen von der Praxis dahingehend (bewußt) mißverstanden werden, daß sie stets und ausnahmslos voll ausgeschöpft werden dürfen. In vergangenen Jahrhunderten wurden gesetzliche Maximalfristen als Mittel zur Verfahrensbeschleunigung im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit immer wieder erprobt - sie haben sich ausnahmslos nicht bewährt.52

b) Unbeachtlichkeit

des Überlastungs-Arguments

Art. 19 Abs. 4 GG stellt eines der wenigen grundgesetzlichen Leistungsrechte dar, 53 d. h. der Bürger besitzt einen unmittelbar aus dieser Vorschrift fließenden Anspruch auf effektiven, zeitnahen Rechtsschutz. Dem entspricht eine Verpflichtung des Staates, für eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Justiz zu sorgen, damit diese in der Lage ist, ihren Rechtsschutzauftrag zu erfüllen und insbesondere in überschaubarem Zeitrahmen zu entscheiden. Hieraus erhellt unmittelbar, daß das Argument der Überlastung der Gerichtsbarkeit nicht geeignet ist, das Gebot zügigen Rechtsschutzes aufzuweichen. 54 Geschäftsüberhänge zu vermeiden oder zumindest umgehend zu beseitigen, ist vielmehr verfassungsrechtliche Pflicht des Staates.55 Arbeitsüberlastung kann lediglich dazu führen, den konkret mit der Sache befaßten Richter von einer - staatshaftungsrechtlichen - Verantwortlichkeit zu befreien; eine unangemessene Verfahrensdauer wird dadurch aber nicht zu einer angemessenen. Gerichtsverwaltung und/oder Gesetzgeber sind in solchen Fällen von Verfassungs wegen gehalten, im Rahmen des Möglichen weiteBeschl. v. 17. 6. 1996, JR 1997, 100 f. - Fraglich daher Stöcken DStZ 1989, 367, 370, der für den erstinstanzlichen Steuerrechtsstreit eine absolute Grenze von zwei Jahren aufgestellt wissen will. Absolute Höchstgrenzen befürwortend auch Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 173 ff., der als Anhaltspunkt die Verjährungsfristen erwägt (was allerdings bei einer Regel Verjährung von 30 Jahren kaum der richtige Ansatzpunkt erscheint) und letztlich, für die Dauer des gesamten Instanzenzuges, auf die 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 S. 2 ZPO abstellt, was immer noch eine sehr lange Zeitspanne darstellt. Die (auf das vorgerichtliche Verfahren gemünzte) Drei-Monats-Frist des § 75 VwGO will er demgegenüber als Höchstgrenze für Untätigbleiben und Verzögerungen im laufenden Instanzenzug heranziehen. 52 Vgl. dazu Henke, ZZP 83 (1970), 125, 136 ff.; Vollkommen ZZP 81 (1968), 102, 110 f. - S. aber Art. 61 der französischen Verfassung von 1958 (Frist von einem Monat und in Eilfällen von einer Woche für die abstrakte Normenkontrolle), wo freilich eine besondere Konstellation betroffen ist (laufendes Gesetzgebungsverfahren). S. ferner §§ 59 Ab. 1, 63 Abs. 3 Österr. VerfGHG. 53 Buermeyer, Rechtsschutzgarantie und Gerichtsverfahrensrecht, 1975, S. 66; Kloepfer, JZ 1979, 209, 212; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 423; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 19IV, 1985, Rn. 7; Starck, Verfassungsauslegung, S. 32; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 29, 35 f. 54 Ebenso Blomeyer, Die Haftung des Staates für die Verzögerung von Zivilprozessen, NJW 1977, 577,578. 55 Sachs, ZRP 1982, 227, 232.

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

re Kapazitäten zu schaffen. Angesichts der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Normierung der staatlichen Leistungspflicht kann auch der Einwand fehlender Finanzmittel nur in extremen Situationen durchschlagen. Ggf. muß der Staat die Steuerlast erhöhen oder - die vorzugswürdige Variante - Finanzmittel aus solchen Bereichen abziehen, zu deren Alimentierung er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist. Das dürfte umso leichter fallen, als der Justizsektor im Vergleich zu anderen Haushaltsposten (Straßenbau, Bundeswehr, Subventionswesen etc.) prozentual kaum ins Gewicht fällt, eine spürbare Kapazitätserhöhung also nur einen vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand erforderte. 56 Das BVerfG hat eine Pflicht zur Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen bislang nur für das Strafverfahren anerkannt.57 Für den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG, d. h. insbesondere die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, kann aber nichts anderes gelten,58 denn es sind keine Gründe zu erkennen, warum der auf staatlichen Rechtsschutz angewiesene Bürger (Selbsthilfeverbot!) die Folgen einer von ihm nicht zu verantwortenden Überlastung der Gerichtsbarkeit tragen sollte.59

c) Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz Die Zeitkomponente stellt einen wesentlichen, aber nicht den einzigen Faktor effektiven Rechtsschutzes dar. Wirksamer Rechtsschutz hat nicht nur mit der für 56 S. o. S. 16 Fn. 22. - Eine Verpflichtung zur Schaffung der notwendigen Kapazitäten ablehnend Priebe, FS v. Simson, S. 287, 306, der zu Unrecht von einem uneingeschränkten Ermessen des Staats zur Verwendung seiner Haushaltsmittel ausgeht. 57 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. 12. 1973, E 36, 264, 271, 275 (bzgl. Dauer der Untersuchungshaft): „Der Staat kann sich Untersuchungsgefangenen gegenüber nicht darauf berufen, daß er seine Gerichte nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen. Es ist seine Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Er hat die dafür erforderlichen - personellen wie sächlichen - Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen. Diese Aufgabe folgt aus der staatlichen Pflicht zur Justizgewährung, die Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips ist." - Vgl. aber auch die Ausführungen in BVerfG, Beschl. v. 16. 12. 1980, E 55, 349, 369, die in genau entgegengesetzter Weise verstanden werden könnten, nämlich dahingehend, daß die Überlastung des Gerichts die „Unangemessenheit" der Verfahrensdauer ausschließt. 58 So mit großer Deutlichkeit Kloepfer, JZ 1979, 209, 212 f., 215; Kopp, BayVBl. 1980, 263, 268 Fn. 39; Sachs, ZRP 1982, 227, 232; im selben Sinne Finkelnburg, FS BVerwG, S. 169, 176 f.; Kirchhof, FS Doehring, S. 439, 449; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 144; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rn. 423; Ziekow, JZ 1998, 948; femer (unter Bezug auf Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) Stöcker, DStZ 1989, 367, 375. Ebenso die Rspr. des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK, s. die Nachw. u. S. 36 f. Fn. 91 ff. 59 So richtig Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 13; ähnliche Erwägungen in BVerfGE 36, 271,274.

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die Entscheidung benötigten Zeit, sondern auch mit dem Gehalt, der „Güte" von Entscheidungen zu tun. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet insbesondere auch, daß die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gründlich ermittelt, aufgearbeitet und nicht zuletzt auch in Ruhe durchdacht wird. Das alles braucht Zeit, und zwar umso mehr, je komplexer die Sache ist. 60 Das Gebot einer Entscheidung in angemessener Frist darf also keinesfalls als Gebot einer Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis mißverstanden werden. Gefordert ist der schnelle, nicht aber der „kurze" Prozeß, der genauso rechtsstaatswidrig wäre wie eine überlange Verfahrensdauer. 61 Damit tritt ein grundsätzliches, Art. 19 Abs. 4 GG immanentes Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz zutage.62 Dieses ist dahingehend aufzulösen, daß bei der Bestimmung der „Angemessenheit" der Entscheidungsfrist vor allem auch der voraussichtliche Umfang der tatsächlichen und rechtlichen Aufarbeitung des Prozeßstoffs einzufließen hat. Anzustreben ist die im berühmten „goldenen Schnitt"63 liegende ideale Prozeßdauer, bei der Gründlichkeit und Zügigkeit in gleicher Weise in Ansatz gebracht werden und eine inhaltlich möglichst „richtige" Entscheidung in möglichst kurzer Zeit erlassen wird. 64 Das Bestreben um Abkürzung der Prozesse darf keinesfalls in eine Verkürzung der Gerechtigkeit ausarten;65 ein auf der Gerichtsbarkeit lastender übermäßiger Zeitdruck wäre geradezu schädlich.66 Aus dem Vorstehenden erhellt unmittelbar, daß es in aller Regel verfehlt wäre, von der Justiz eine Entscheidung innerhalb weniger Wochen zu verlangen. Die angemessene Frist wird sich vielmehr - vom einstweiligen Rechtsschutz abgesehen 60

Weniger bedeutsam sind diese Gesichtspunkte - abgesehen von ganz einfach gelagerten Fällen - nur in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die per definitionem eine lediglich summarische Prüfung erfordern, dafür aber auch im Rechtsfolgenausspruch begrenzt sind, s. näher unten S. 42 ff. 61 Kirchhof, FS Doehring, S. 439. 62 Vgl. dazu etwa Grunsky, RdA 1974, 201, 203; Kloepfer, JZ 1979, 209, 210, der sogar von einem „Grunddilemma" der Rechtsprechung spricht; Kopp, BayVBl. 1980, 263, 267; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 37 („Dauerproblem" jeder Prozeßordnung); Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 4. - Zu beachten ist ferner, daß weitere verfassungsrechtliche Determinanten außerhalb Art. 19 Abs. 4 GG existieren, die zeitrelevant sind und einer allzu großen Beschleunigung entgegenstehen. Zu nennen ist vor allem das Gebot des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, das u. a. auch verlangt, dem Prozeßgegner ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen, um auf die Klage zu entgegnen (vgl. hierzu etwa Henckel, Das Recht auf Entscheidung in angemessener Frist und der Anspruch auf rechtliches Gehör - Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK und das deutsche zivilgerichtliche Verfahren, FS Matscher, 1993, S. 185,188 f.; Vollkommen ZZP 81 [1968], 102,103 f.). 63 Kloepfer, JZ 1979, 209, 211; Pitschas, ZRP 1998, 96, 98; Sendler, DVB1. 1982, 157, 164. 64 In diesem Sinne auch Vollkommen ZZP 81 (1968), 102, 110. 65 So bereits die Warnung von Anselm von Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Bd. II, 1825, S. 109. 66 Kloepfer, JZ 1979, 209, 212.

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i.d.R. nach Monaten zu bemessen haben, wobei, gerade bei umfangreicheren Sachen und Durchlaufen mehrerer Instanzen, auch die Jahresfrist deutlich überschritten werden kann. Das gilt umso mehr, als dierichterliche Entscheidung eben nicht nur auf äußerlich sichtbaren und in ihrem zeitlichen Ablauf exakt meßbaren Prozeßhandlungen beruht, sondern - bei größeren Sachen - in zumindest gleichem Maße auch einen inneren Prozeß des Nachdenkens erfordert, der durchaus eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen kann, ja sogar muß, soll am Ende eine wohlabgewogene Entscheidung stehen.67 Allerdings ist zu betonen, daß die Anforderungen „Schnelligkeit" und „Qualität" keineswegs immer konträr sind. Kommt etwa einer Beweiserhebung durch Zeugen streitentscheidende Bedeutung zu, so fordert auch das „Richtigkeitsprinzip" eine möglichst rasche Prozeßführung, um dem schwindenden Erinnerungsvermögen der Zeugen oder gar deren Tod und damit einer u. U. dramatischen Verschlechterung der Beweislage (mit der Folge einer unbefriedigenden Beweislastentscheidung) zuvorzukommen.68 Aufbauend auf diesen drei Konkretisierungsansätzen lassen sich weitere Präzisierungen unter Rückgriff auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR vornehmen. d) Weitere Präzisierungen anhand der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR Nachdem das Bundesverfassungsgericht die EMRK und die Urteile des EGMR lange Zeit ignoriert hatte, gab es diese Haltung in den 80er Jahren mehr und mehr auf, wohl nicht zuletzt angesichts des zunehmenden Umfangs der Rechtsprechung des EGMR und der verbreiteten Zustimmung, die dessen anspruchsvolle und konstruktive Judikatur fand. Der Sinneswandel kommt in aller Deutlichkeit im Beschluß vom 26. März 1987 zur Unschuldsvermutung zum Ausdruck, wo das BVerfG grundlegende Ausführungen zu Rang und Wirkung des Konventionsrechts macht und insbesondere feststellt, daß bei der Auslegung der Grundrechte des GG auch die Garantien der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen seien.69 Diese Rechtsprechung, die in der Sache nichts anderes ist als eine 67 Treffend Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 262: Richterliche Entscheidung ist nicht nur actio, sondern auch cogitatio. « So richtig Kloepfer, JZ 1979, 209, 210; Vollkommen TZ Ρ 81 (1968), 102, 106. Zu eindimensional daher die Auffassung von Grunsky, RdA 1974, 201, 203, jede Verfahrensbeschleunigung bedeute eine Gefahr für die Richtigkeit der Entscheidung. » BVerfG, Beschl. v. 26. 3. 1987, E 74, 358, 370: ,3ei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen ... Deshalb dient insoweit auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes." Bestätigt in BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990, E 82, 106, 115, 120; Beschl. v. 14. 11. 1990, E 83, 119, 128;

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indirekte Konstitutionalisierung der E M R K , 7 0 läßt sich dogmatisch überzeugend mit der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung begründen. 71 Sie ist vorliegend deshalb von besonderer Bedeutung, weil gerade die Garantie zügigen Rechtsschutzes in Art. 6 Abs. 1 E M R K einen Schwerpunkt der Rechtsprechung des E G M R darstellt. 72 Die Einbeziehung von Art. 6 Abs. 1 E M R K und der Rechtsprechung des E G M R in die verfassungsrechtliche Betrachtung führt zunächst zu einer inhaltlichen Bestätigung und Verstärkung des grundgesetzlichen Anspruchs auf zeitnahen Rechtsschutz. 73 Darüber hinaus erlaubt - und fordert - sie aber auch, die auf der Ebene der E M R K entwickelten Präzisierungsansätze der „angemessenen" Frist auf Art. 19 Abs. 4 GG (und den allgemeinen Justizgewähranspruch) zu übertragen. 74 Danach gilt auch im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG für die Bestimmung der zulässigen Entscheidungsfrist i. e. folgendes: Die notwendigerweise fallbezogene 75 Beurteilung wird durch ein Bündel von etwa fünf 7 6 Entscheidungsparametern determiniert, nämlich BVerfG, NJW 1993, S. 3255, 3256. Das Schweizer Bundesgericht hatte bereits im Jahre 1976 in diesem Sinne judiziert, vgl. BGE 1021 a, 279, 284. - Die Rspr. des BVerfG ist in der Literatur positiv (aber meist nur beiläufig) aufgenommen worden, vgl. etwa Henckel, FS Matscher, S. 185, 190; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl. 1997, Einl. Rn. 8, Art. 1 Rn. 12a; Kirchhof, FS Doehring, S. 439, 456 f.; Laule, EuGRZ 1996, 357, 359; Ziekow, DÖV 1998, 941,945. 70 Ebenso Ress, Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen der Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996, 350, 353. 71 Schiette, Les interactions entre les jurisprudences de la Cour européenne des droits de l'homme et de la Cour constitutionnelle fédérale allemande, RFDC 1996, 747, 758; Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung, AöR 114 (1989), 391,414 ff., jeweils m.w.N. 72

Der Gerichtshof erläßt jedes Jahr ungefähr 20 Urteile, die sich ausschließlich oder vornehmlich mit Fragen der Verfahrensdauer beschäftigen. Inzwischen liegt eine reichhaltige und fein ausdifferenzierte Judikatur zu dieser Problematik vor, die innerstaatlich und auf völkerrechtlicher Ebene konkurrenzlos ist. Zusammenfassende Darstellungen der Rspr., z. T. allerdings nicht ganz auf dem neuesten Stand, bei Peukert, Die überlange Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK) in der Rechtsprechung der Straßburger Instanzen, EuGRZ 1979, 261 ff.; ders., in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 6 Rn. 136 ff.; Priebe, FS v. Simson, 1983, S. 287 ff.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz, S. 173 ff. Vgl. a. Schiette, Chronique de jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme (année 1996), REDP 1998, 479, 499; ders., Chronique de jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme (année 1995), REDP 9 (1997), 195, 221; ders., Chronique de jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme (année 1994), 493,503 f. 7

3 Kirchhof,

FS Doehring, S. 439,457.

74

Das hat kürzlich das BVerfG ausdrücklich anerkannt, indem es die entsprechende Judikatur des EGMR bei Verfassungsbeschwerden gegen überlange Strafverfahren in Bezug genommen hat, BVerfG, NJW 1985,967; NJW 1992,2472 f.; NJW 1993, 3254 ff. 7 5 S. o. S. 28 f. 76 Bei vordergründiger Betrachtung stellt der EGMR lediglich auf drei Kriterien ab, 1. Umfang und Schwierigkeit der Sache, 2. Verhalten des Beschwerdeführers, 3. Verhalten der Justizbehörden (vgl. zuletzt F. E. ./. Frankreich, 30. 10. 1998, § 53; Pailot ./. Frankreich,

3 Schiette

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

- Umfang und Schwierigkeit der Sache, - Bedeutung und Eilbedürftigkeit der Sache, - die für den Kläger mit der Prozeßdauer verbundenen Belastungen, - der Umstand, in welchem Maße die Verfahrensverzögerungen vom beklagten Staat oder vom Kläger zu verantworten sind, - die absolute Dauer des Verfahrens in der fraglichen Instanz, bzw., wenn der gesamte Instanzenzug zur Debatte steht, die Gesamtverfahrensdauer unter Zusammenrechnung der jeweiligen Dauer aller Instanzen. Für jedes der genannten Kriterien hat der E G M R diverse präzisierende Anwendungsregeln entwickelt. Bzgl. der (Gesamt-)Verfahrensdauer und deren Berechnung ist zu beachten, daß es insoweit nicht nur auf den fachgerichtlichen Instanzenzug ankommt, sondern auch die Dauer eines eventuellen verfassungsgerichtlichen „ Z w i s c h e n v e r f a h r e n s " (Vorlage an das BVerfG im Wege der konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 G G ) 7 7 oder einer sich an den Instanzenzug anschließenden Verfassungsbeschwerd e 7 8 einzubeziehen ist. Hinzuzurechnen ist ferner ggf. die Dauer eines dem Erkenntnisverfahren nachfolgenden Vollstreckungsverfahrens. 79 Bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist zudem die Dauer des verwaltungsinternen Vorverfahrens (Widerspruchsverfahren) zu berücksichtigen, weil dieses unabdingbare Vorausset22. 4. 1998, § 61; Probstmeier. / . Deutschland, Urt. v. 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809, 2810; s. ferner Priebe, FS v. Simson, S. 287, 293; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 157, jeweils mit zahlr. Nachw. aus der Rspr.). Eine gründliche Analyse der Rspr., die nicht allein auf die vom Gerichtshof standardmäßig verwendeten Floskeln abstellt, fördert aber die nachstehende differenziertere Einteilung zutage. Der Gerichtshof selbst weist i. ü. deutlich auf den nicht abschließenden Charakter dieser Trias hin, indem er stets ausführt, es käme „insbesondere" auf die genannten Kriterien an. 77 Ruiz-Mateos ./. Spanien, 23. 6. 1993 (Plenarentsch.), Reihe A, Nr. 262, EuGRZ 1993, 453, §§ 34, 36; Probstmeier ./. Deutschland, 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809 ff. - Die Dauer eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH (Art. 177 EGV) muß dagegen außer Betracht bleiben, ebenso EGMR, Urt. v. 26. 2. 1998, Pafitis u. a. ./. Griechenland, § 93, eine Lösung, die unbefriedigend erscheinen mag, aber unumgänglich ist, weil das Verhalten europäischer Organe dem einzelnen Staat nicht zurechenbar ist. 78 Deumeland . / . Deutschland, 29. 5. 1986, § 77. Anders noch Buchholz ./. Deutschland, 6. 5. 1981, Reihe A, Nr. 42, EuGRZ 1981, 490, §§ 47 f.; Peukert, EuGRZ 1979, 261, 271. Differenzierend Matscher, Zum Problem der überlangen Verfahrensdauer in Zivilrechtssachen; Art. 6 Abs 1 EMRK und das österreichische Zivilgerichtliche Verfahren, FS Fasching, 1988, S.351, 369. 79 Silvia Pontes ./. Portugal, 23. 3. 1994, Reihe A Nr. 286-A, §§ 35 f.; Estima Jorge ./. Portugal, 21. 4. 1998, § 35; Robins . / . Großbritannien, 23. 9. 1997, Recueil 1997-V, § 28; Hornsby./. Griechenland, 19. 3. 1997, § 40. Vgl. a. Fricero, D. 1998, 75 f. Α. A. Matscher, FS Fasching, S. 351, 368 f., der von einem eigenständigen und daher auch unter dem zeitlichen Aspekt gesondert zu beurteilenden Verfahren ausgeht. Das verkennt aber die zahlreichen Verflechtungen zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren sowie den Umstand, daß der im Erkenntnisverfahren erstrittene Rechtsschutz erst mit der Vollstreckung effektiv wird.

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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zung für die Anrufung des Verwaltungsgerichts ist; 80 in ähnlicher Weise ist bei Strafverfahren die Dauer des dem Prozeß vorausgehenden Ermittlungsverfahrens von Bedeutung.81 Was die Eilbedürftigkeit angeht, so folgt aus der Judikatur des Straßburger Gerichtshofs, daß es bestimmte Arten von Verfahren gibt, die typischerweise besonderer Beschleunigung bedürfen, vor allem Verfahren, in denen über einstweiligen Rechtsschutz oder über Prozeßkostenhilfe entschieden wird, 82 ferner Verfahren, in denen der bloße Zeitablauf vollendete Tatsachen schaffen kann,83 in denen Beweisverlust droht oder dem schwer erkrankten oder betagten Kläger nur noch eine kurze Lebensspanne verbleibt.84 I. ü. gilt: Je größer die Bedeutung der Sache für den Kläger, desto zügiger muß entschieden werden. Darum bedürfen ζ. B. auch arbeitsrechtliche Streitigkeiten,85 Angelegenheiten von erheblicher finanzieller Tragweite86 oder Strafverfahren, bei denen es um hohe Strafen geht,87 besonderer Beschleunigung. Das Kriterium der Belastungswirkung wird vor allem in Strafprozessen relevant. Während dieses Kriterium von den deutschen Gerichten häufiger herangezogen wird, 88 ist es in der Rechtsprechung des EGMR nur gelegentlich und inzidenter anzutreffen, vornehmlich in bezug auf ältere oder gesundheitlich angeschlagene Be80 König ./. Deutschland, § 98; X. ./. Frankreich, 31. 3. 1992, Reihe A Nr. 234-C, § 31; Dörr, in: Sodan / Ziekow, VwGO, Rn. 592; Peukert, EuGRZ 1979, 261,269. si Reinhardt und Slimane-Kaïd ./. Frankreich, 31. 3. 1998 (Große Kammer), § 93; Peukert, EuGRZ 1979, 261, 269 f. 82 Hierzu liegen auch Judikate deutscher Gerichte vor, vgl. OLG Celle, Beschl. v. 5. 3. 1985, MDR 1985, 591, 592; VGH München, Beschl. v. 6. 8. 1996, NVwZ-RR 1997, 501 (für PKH-Verfahren); s. a. van Els, Right delayed ist right denied. Der Beschleunigungsgrundsatz im Unterhaltsprozeß, FamRZ 1994, 735, 738. 83 Wie etwa Sorgerechts-, Adoptions- und ähnliche Streitigkeiten, vgl. Hokkanen . /. Finnland, 23. 9. 1994, Reihe A, Nr. 299-A, § 72; Paulsen-Medalen und Svensson ./. Schweden, 19. 2. 1998, § 39; Matscher, FS Fasching, S. 351, 365; Thienel, Die angemessene Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 MRK) in der Rechtsprechung der Straßburger Organe, ÖJZ 1993, 473, 485; van Eis, FamRZ 1994, 735. 84 Vallée ./. Frankreich, 26. 4. 1994, Reihe A, Nr. 289-A, § 47; Karakaya ./. Frankreich, 26. 8. 1994, Reihe A, Nr. 289-B, § 43; Pailot ./. Frankreich, 22. 4. 1998, § 68; Henra ./. Frankreich, 29. 4. 1998, § 68; Leterme ./. Frankreich, 29. 4. 1998, § 68; Richard ./. Frankreich, 22. 4. 1998, § 64 (sämtliche Fälle zu Entschädigungsklagen von Aids-erkrankten Hämophilen); Styranowski./. Polen, 30. 10. 1998, § 57 (hohes Alter). S. a. BVerfG, Beschl. v. 16. 12. 1980, E 55, 249, 269 (Rudolf Heß). 85 Buchholz . / . Deutschland, 6. 5. 1981, Reihe A, Nr. 42, EuGRZ 1981, 490, § 52; Trevisan ./. Italien, 26. 2. 1993, Reihe A Nr. 257-F, § 18, m.w.N.; Thienel, ÖJZ 1993, 473, 485. S. a. § 9 Abs. 1 ArbGG. 86 Ruiz-Mateos ./. Spanien, 23. 6. 1993, § 52; Doustaly ./. Frankreich, 23. 4. 1998, § 48; F. E. ./.Frankreich, 30. 10. 1998, § 57. 87 Portington ./.Griechenland, 23. 9. 1998, § 34. 88 Z. B. BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 19. 4. 1993, NJW 1993, 3254, 3255; Beschl. v. 14. 7. 1994, NJW 1995, 1277 f.; BGH, Beschl. v. 21. 12. 1998, NJW 1999, 1198 f. 3*

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

schwerdeführer. 89 Der Gerichtshof verwendet es eher auf der Rechtsfolgenseite, zur Begründung einer Entschädigung wegen immaterieller Beeinträchtigung für den Beschwerdeführer, ein Weg, der den innerstaatlichen Gerichten i.d.R. verschlossen ist. 90 Von besonderer praktischer Relevanz und häufig im Zentrum des Interesses stehend ist die Frage, welche Seite die Verzögerungen zu verantworten hat. Hier ist zunächst der Hinweis wichtig, daß es nicht auf subjektives Verschulden des Klägers bzw. der staatlichen Organe ankommt.91 Ausschlaggebend ist vielmehr allein die objektive Zurechenbarkeit der Verzögerung, wobei der Gerichtshof unausgesprochen eine Zurechnung nach Verantwortungssphären vornimmt. Dementsprechend fallen zunächst alle Arten von Pflichtwidrigkeiten der Justizorgane in den Verantwortungsbereich des Staates, ζ. B. zögerliche Aktenanforderung oder Terminierung, nicht erforderliches Abwarten des Ausgangs anderer Verfahren, Duldung allzu gemächlichen Arbeitens von Sachverständigen oder einer hinhaltenden Prozeßführung der Gegenseite, Unterlassen einer Verfahrensverbindung oder -trennung, unnötige Verfahrensunterbrechungen, unerklärliches „Liegenlassen" der Streitsache über längere Zeit, schleppende Verkündung und/oder Zustellung des Urteils, etc. 92 Verantwortlich ist der Staat aber auch für alle sonstigen in seiner Sphäre angesiedelten Verzögerungsgründe, etwa mehrfache Richterwechsel, mögen diese auch unvermeidlich gewesen sein,93 eine zu verwickelte und langatmige Verfahrensgestaltung durch den Gesetzgeber94 und insbesondere auch eine Überlastung der Gerichtsbarkeit, gleichgültig, worauf sie beruht.95 Mit dem Überla89 Vgl. etwa Urt. v. 30. 10. 1998, F. E. ./.Frankreich, § 57. 90 S. i. e. unten, S. 63 ff., 68 ff. 91 Vgl. a. Matscher, FS Fasching, S. 351, 359. 92 Matscher, FS Fasching, S. 351, 361 ff.; Priebe, FS v. Simson, S. 287, 294; Thienel, ÖJZ 1993, 473, 484 f. Vgl. ζ. B. die Urteile König ./. Deutschland, §§ 104 f., 110; Buchholz ./. Deutschland, 6. 5. 1981, § 60; Eckle ./. Deutschland, 15. 7. 1982, §§ 84, 92; Billi./. Italien, 26. 2. 1993, Reihe A Nr. 257-G, § 19; Beaumartin ./. Frankreich, 24. 11. 1994, Reihe A, Nr. 296-B, § 33; Hentrich ./. Frankreich, 22. 9. 1994, Reihe Nr. 296-A, § 61; Allenet de Ribemont ./. Frankreich, 10. 2. 1995, Reihe A Nr. 308, §§ 54 ff.; Pailot ./. Frankreich, 22. 4. 1998, § 69; Portington ./. Griechenland, 23. 9. 1998, § 33; Reinhardt und SlimaneKäid ./. Frankreich, 31. 3. 1998, § 100; Casenave de la Roche ./. Frankreich, 9. 6. 1998, §50. 93 Lechner und Hess ./.Österreich, 23. 4. 1987, Reihe A Nr. 118, § 58; Matscher, FS Fasching, S. 351, 364; Thienel, ÖJZ 1993,473,485. 94 Urteil König ./. Deutschland, § 100; Eckle ./. Deutschland, 15. 7. 1982, Reihe A Nr. 51, EuGRZ 1983, 371, § 84; Podbielski ./. Polen, 30. 10. 1998, § 38; Matscher, FS Fasching, S. 351, 358; Thienel, ÖJZ 1993,473,482 f. 95 Ständige Rspr. des EGMR, unter Hinweis darauf, daß den Staat eine Pflicht zur hinreichenden personellen und sachlichen Ausstattung seiner Gerichte treffe, vgl. ζ. B. Urteil Mavronichis ./. Zypern, 24. 4. 1998, § 39; Zana ./. Türkei, 25. 11. 1997 (große Kammer), § 83; Pammel ./. Deutschland, 1. 7. 1997, § 68; Probstmeier ./. Deutschland, 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809, 2810; Duclos ./. Frankreich, 17. 12. 1996, § 55; Muti ./. Italien, 23. 3. 1994, Reihe A Nr. 281-C; Hentrich ./. Frankreich, 22. 9. 1994, Reihe Nr. 296-A, § 61; Schouten

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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stungsargument wird der Staat allenfalls insoweit gehört, als es naturgemäß immer eine gewisse Zeit dauert, bis im Falle plötzlich eintretender Überlastung der gesetzgeberische oder administrative Handlungsbedarf erkannt und befriedigt wird. Ergreift der Staat in solchen Fällen unverzüglich geeignete Gegenmaßnahmen, ist er für die bis dahin aufgelaufenen Verzögerungen aus der Verantwortung befreit, jedenfalls sofern der eingetretene Geschäftsüberhang nicht vorhersehbar war. 96 Die zumeist vorliegende chronische Überlastung kann dadurch aber nicht gerechtfertigt werden.97 Dem Kläger sind Verzögerungen, die auf der vollen Ausschöpfung von Fristen oder der Inanspruchnahme bestehender Rechtsbehelfe beruhen, grundsätzlich nicht zur Last zu legen, weil dieses Verhalten nach Prozeßrecht erlaubt ist. 98 Anders ist es aber, wenn ohne nachvollziehbaren Grund Rechtsbehelfe eingelegt, Verfahrensunterbrechungen beantragt oder ständig neue Beweisanträge gestellt werden oder mehrfach der Prozeßbevollmächtigte gewechselt wird. Die hierdurch bedingten Verfahrensverlängerungen, die auf einen offenkundigen Mangel an Bereitschaft hinweisen, zur zügigen Abwicklung des Verfahrens beizutragen, bleiben bei der Berechnung der Gesamtverfahrensdauer außer Betracht.99 Umfang und Schwierigkeit der Sache bestimmen sich nach Art und Quantität der durch die Streitsache aufgeworfenen Rechtsfragen, dem Ausmaß einer eventuell erforderlichen Beweiserhebung und der Anzahl der Prozeßparteien und Streitgegenstände.100 Die Zeitvorgaben für komplexe Streitfälle müssen deshalb großzü-

und Meldrum ./. Niederlande, 9. 12. 1994, Reihe A Nr. 304, § 67; Massa ./. Italien, 24. 8. 1993, Reihe A Nr. 265-B, § 31; Scuderi ./. Italien, 24. 8. 1993, Reihe A Nr. 265-A § 16; Dobbertin . / . Frankreich, 25. 2. 1993, Reihe A Nr. 256-D, § 44; Zimmermann und Steiner./. Schweiz, 13. 7. 1983, Reihe A Nr. 66, EuGRZ 1983,482, § 29; Buchholz . /. Deutschland, 6. 5. 1981, §51. 96 Buchholz ./. Deutschland, 6. 5. 1981, § 51; Deumeland ./. Deutschland, 29. 5. 1986, § 82; Probstmeier ./. Deutschland, 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809, 2810; Zimmermann und Steiner ./. Schweiz, 13. 7. 1983, § 29; Guincho ./. Portugal, 10. 7. 1984, Reihe A Nr. 81, § 40; s. a. Thienel, ÖJZ 1993,473,483. 97 So ausdrücklich Urteil Probstmeier, a. a. O.; s. a. Mavronichis ./. Zypern, 24. 4. 1998, § 39; Thienel, ÖJZ 1993,473,483. 98 Vgl. die Urteile Eckle ./.Deutschland, 15. 7. 1982, § 82, König ./.Deutschland, § 103; s. a. Matscher, FS Fasching, S. 351, 360; Stöcker, DStZ 1989, 367, 370. Läßt das Prozeßrecht insoweit zu viel zeitlichen Spielraum, ist vielmehr wieder der Staat in der Verantwortung, vgl. Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 169. In ähnlicher Weise entbindet auch die im Zivilprozeß geltende Dispositionsmaxime den Staat nicht davon, für einen zügigen Verfahrensablauf zu sorgen und Prozeßverschleppungen der Gegenseite zu verhindern, Buchholz ./. Deutschland, 6. 5. 1981, § 50; Scopelliti./. Italien, 23. 11. 1993, Reihe A Nr. 278 § 25; Ciricosta und Vioa ./. Italien, 4. 12. 1995, Reihe A Nr. 337-A, § 30; Pafitis u. a. ./. Griechenland, 26. 2. 1998, § 93; Henckel, FS Matscher, S. 185, 187. Im deutschen Recht wird dies vor allem durch Präklusionsvorschriften verwirklicht, die in der Praxis aber nur sehr zurückhaltend gehandhabt werden. 99 Priebe, FS v. Simson, S. 287, 304. Vgl. aus der Judikatur des EGMR etwa Buchholz . /. Deutschland, 6. 5. 1981, §§ 56,63.

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Β. Die Verankerung im deutschen Recht

giger bemessen werden, um oberflächliche (und damit u. U. falsche) Entscheidungen zu verhindern, die dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ebensowenig entsprechen würden wie eine zu lange Prozeßdauer. 101 Fristverlängernd wirkt sich insbesondere aus, wenn neue, bislang ungeklärte Rechtsprobleme, zumal solche von allgemeiner Bedeutung, zur Beurteilung anstehen, oder wenn der Fall Auslandsberührung hat und dadurch ζ. B. eine zeitraubende Einvernahme von Zeugen im Ausland erforderlich wird bzw. Fragen der Anwendung von ausländischem Recht - oder EG-Recht - auftauchen. 102 Gleiches gilt, wenn mehrere Verfahren, womöglich noch in verschiedenen Rechtswegen, untrennbar ineinandergreifen. 103 Wichtig ist schließlich der Hinweis, daß die genannten Kriterien nicht in einem besonderen Rangverhältnis stehen, sondern je nach Fallkonstellation das eine oder andere Kriterium größeres Gewicht besitzt. Der Gesamtverfahrensdauer kommt dabei allerdings eine ausgeprägte Indizwirkung zu; bei erheblichen Zeitspannen i.d.R. 10 Jahre und mehr für den gesamten Instanzenzug - spricht eine starke Vermutung für einen Verstoß gegen das Gebot zügigen Rechtsschutzes, und den beklagten Staat trifft eine erhöhte Darlegungslast, die lange Verfahrensdauer plausibel zu erklären. 104 In solchen Fällen „anormal langer" 105 Verfahrensdauer ist es auch ohne Bedeutung, wenn einzelne Verzögerungen dem Beschwerdeführer zurechenbar sind. 106 Man kann dem Rekurs auf die genannten Kriterien und ganz allgemein der Entscheidung zugunsten eines fallbezogenen „relativen Konzepts"107 zur Bestimmung der zulässigen Verfahrensdauer nicht vorwerfen, ein solcher Ansatz entfalte kaum präzis konturierende Kraft, sondern bewirke ein Zerfließen des verfassungsrechtlichen Gebots in uferlose und unvorhersehbare Kasuistik.108 Derartige Kritik würde verkennen, daß sich das Gebot eines Rechtsschutzes in angemessener Frist ebenso wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip, mit dem es nicht ohne Grund das „Angemessenheits"-Erfordernis teilt, abstrakten und „absoluten" Festlegungen entzieht und 100 S. ζ. B. Urteil König ./. Deutschland, § 102; Erkner und Hofauer ./. Österreich, 23. 4. 1987, Reihe A Nr. 117, § 67; Poiss, 23. 4. 1987, Reihe A Nr. 117, § 56; Matscher, FS Fasching, S. 351, 357 f.; Priehe, FS v. Simson, S. 287, 293. Vgl. a. Stöcker, DStZ 1989, 367, 369; Thienel, ÖJZ 1993,473,481. ιοί S. soeben o. S. 30 ff. 102 Vgl. etwa Ruiz-Mateos ./. Spanien, 23. 6. 1993, § 52; Süßmann ./. Deutschland, 16. 9. 1996 (Große Kammer), EuGRZ 1996, 514, §§ 50, 58; Pafitis u. a. ./. Griechenland, 26. 2. 1998, §91. 103 Matscher, FS Fasching, S. 351, 358, mit Nachw. aus der Rspr. des EGMR. !04 in diesem Sinne etwa Eckle . / . Deutschland, 15.7. 1982, § 80; Estima Jorge . /. Portugal, 21. 4. 1998, § 45; vgl. a. Matscher, FS Fasching, 1988, S. 351, 357; Thienel, ÖJZ 1993, 473,480. 105 Deumeland . / . Deutschland, § 90. 106 Deumeland . / . Deutschland, §§ 80, 90. 107 Villiger, Handbuch der EMRK, Rn. 448. 108 Dahingehend aber Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 169.

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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daher notwendigerweise auf eine Einzelfallbetrachtung hinauslaufen muß. I. ü. zeigt die Rechtsprechung des EGMR, daß sich mit dem von ihm entwickelten griffigen Kriterienbündel, das eine Beurteilung des beanstandeten Verfahrensgangs aus allen erdenklichen Blickwinkeln und wenn nötig bis in das letzte Detail, ermöglicht, gut arbeiten läßt und konsensfähige Ergebnisse erzielt werden kön-

109 Der Gerichtshof, der im Bereich der sonstigen Konventionsrechte häufig sehr zerstritten ist und nicht selten nur mit ganz knapper Mehrheit entscheidet, gelangt hinsichtlich des Gebots auf Rechtsschutz in angemessener Frist fast immer zu einstimmigen oder nahezu einstimmigen Entscheidungen. Als die Regel bestätigende Ausnahme vgl. lediglich das Urteil Deumeland . /. Deutschland (9 : 8), wo die abweichenden Richter aber bereits die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 EMRK verneinten und daher zur Angemessenheit der Frist überhaupt nicht Stellung nehmen mußten. Vgl. a. Süßmann . / . Deutschland, 16. 9. 1996 (Beurteilung der angefochtenen Verfahrensdauer als angemessen mit 14 zu 6 Stimmen).

C. Die Realisierung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist

Die praktische Umsetzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist bereitet erhebliche Schwierigkeiten.1 Zum einen liegt dies daran, daß der Anspruchsinhalt prima facie unbestimmt ist und stets der Konkretisierung anhand der Umstände des Einzelfalls - orientiert an den soeben genannten zahlreichen und sehr verschiedenen Kriterien - bedarf. Um den Anspruch mit Leben zu erfüllen, muß der Rechtsanwender also konstruktive Arbeit am Sachverhalt leisten. Für den klagenden Bürger als juristischem Laien ist kaum erkennbar, welches in concreto die zulässige Prozeßdauer ist. Bestenfalls hat er diesbezüglich eine vage - aber möglicherweise falsche - Vorstellung. Zu welchem Zeitpunkt Schritte zur Durchsetzung des Anspruchs unternommen werden können, ggf. müssen, ist also zunächst weitgehend unklar. Vor allem aber sind auf Anhieb kaum adäquate rechtliche Mittel ersichtlich, um den Anspruch durchzusetzen oder einen eingetretenen Verstoß wirksam zu sanktionieren: Ist die zulässige Verfahrensdauer überschritten, so ist die verstrichene Zeit unwiederbringlich verloren; eine „Naturalrestitution" - also etwa eine Wiederholung des Verfahrens, nunmehr in angemessener Frist - wäre ganz offenkundig ein ungeeignetes Mittel, weil sie die Gesamtverfahrensdauer weiter verlängern würde. Es können also nur indirekte Sanktionen in Betracht kommen, etwa Entschädigungsansprüche auf der Sekundärebene oder Fiktionswirkungen zugunsten des Klägers, wobei sich beträchtliche Schwierigkeiten daraus ergeben, daß es um einen verfahrensmäßigen Verstoß geht, der nicht unbedingt auf die materiell-rechtliche Ebene durchschlägt, und daß das Verhalten der Judikative und/oder des Gesetzgebers in Rede steht, welches haftungsrechtlich schwer angreifbar ist. Angesichts der auftauchenden Schwierigkeiten könnte es nur auf den ersten Blick erfolgversprechender erscheinen, präventiv gegen drohende Verfahrensverzögerungen vorzugehen, denn auch hier ergeben sich sofort Probleme, einmal, weil jeder zusätzliche Rechtsbehelf wiederum Zeit kostet, zum zweiten, weil die Rechtsbehelfe der VwGO, ebenso wie die der sonstigen Verfahrensordnungen, auf Situationen dieser Art nicht zugeschnitten sind. In der Literatur finden sich kaum Lösungsansätze. Abgesehen vom strafrechtlichen Bereich fehlen nähere Ausführungen fast völlig.2 Die im Strafrecht entwik1

So auch die Feststellung von Schmidt-Aßmann, in: Schoch / Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Einl. Rn. 157.

C. Realisierung des Anspruchs

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kelten Grundsätze3 passen aber für die übrigen Rechtsgebiete und insbesondere für das Verwaltungsrecht allenfalls bedingt und bieten zudem keinen Ansatzpunkt, drohenden Verzögerungen vorbeugend zu begegnen. Die hier klaffende Lücke in der dogmatischen Aufarbeitung des Anspruchs auf zeitgerechten Rechtsschutz ist umso bedenklicher, als der verfassungsrechtliche Anspruch theoretisch bleibt, wenn es keine Handhabe gibt, drohenden Verzögerungen zu begegnen und eingetretene Verzögerungen zu sanktionieren. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, am Beispiel des Verwaltungsprozesses Mittel und Wege aufzuzeigen, welche die lex lata, ggf. vorsichtig rechtsfortbildend ergänzt, zur Verfügung stellt, um das Recht auf zeitnahe gerichtliche Entscheidung auch in praxi wirksam werden zu lassen. Zu unterscheiden ist zwischen Möglichkeiten, die sich in der noch laufenden Instanz bieten und geeignet sind, drohenden Verzögerungen zuvorzukommen oder wenigstens weitere Verzögerungen abzuwehren (I.) und solchen Möglichkeiten, die, i.d.R. nach Abschluß des erstinstanzlichen oder des gesamten Verfahrens, dazu dienen, einen eingetretenen Verstoß zu sanktionieren und die vom Kläger erlittenen Belastungen zu kompensieren (Π.). Dabei erscheint der klarstellende Hinweis wichtig, daß die im folgenden vorgestellten Instrumente nicht geeignet sind, eine umfassende Lösung des Problems langer Verfahrensdauer zu liefern. Sie bieten Abhilfe nur im konkreten Einzelfall, ohne an der Situation generell langer Verfahrensdauer an sich Wesentliches ändern zu können. Und gesetzt den Fall, daß das gesamte Rechtsschutzsystem wegen Überlastung jeden Augenblick zu implodieren droht, nutzen diese systemimmanenten Prozeduren ohnehin nichts. Sie schaffen nicht die erforderlichen zusätzlichen Ressourcen, sondern binden sogar weitere Kapazitäten. Trotz ζ. T. gegenteiliger Behauptungen ist aber kaum anzunehmen, daß das deutsche Justizsystem kurz vor einem Kollaps steht - es ist zwar stark belastet, aber doch nicht hoffnungslos überlastet.4 2 Vgl. als einzige Ausnahme die Bonner Dissertation von Otto, Der Anspruch auf ein Verfahren innerhalb angemessener Zeit, insbes. S. 72 ff., allerdings mit sehr eigenwilligem, an absoluten Verfahrenshöchstdauern orientiertem Ansatz. Bzgl. der Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde vgl. neuerdings auch Ziekow, DÖV 1998, 941 ff. 3 Dazu i. e. u. S. 60 f. 4

Ebenso die Einschätzung von Otto, S. 1; noch optimistischer Dury, Justiz vor dem Kollaps?, DRiZ 1999, 160 ff. Man betrachte zum Vergleich nur die Situation vor dem Reichskammergericht im 18. Jahrhundert, wie sie von Goethe (Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 12. Buch) eindrücklich geschildert wird: „Ein ungeheurer Wust von Akten lag aufgeschwollen und wuchs jährlich, da die siebzehn Assessoren nicht einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend Prozesse hatten sich aufgehäuft, jährlich konnten sechzig abgetan werden, und das Doppelte kam hinzu." Daß sich die Prozesse vor dem Reichskammergericht ζ. T. über mehrere Generationen hinschleppten (Troller, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, 1945, S. 86: „Die Prozesse lebten länger als die Menschen und wurden von Generation zu Generation vererbt.") verwundert angesichts dessen nicht. In den Vorinstanzen war die Situation häufig nicht viel besser, vgl. i. e. und mit Nachweisen, Vollkommen ZZP 81 (1968), 102, 122.

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C. Realisierung des Anspruchs

I. Präventive Instrumente im schwebenden Verfahren 1. Einstweiliger Rechtsschutz Als geradezu ideales Mittel, zügigen Rechtsschutz zu gewährleisten, bietet sich zunächst der einstweilige Rechtsschutz an, der, wie man weiß, in Deutschland und gerade auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (noch) besonders gut ausgebaut ist und auch in recht großzügiger Weise gewährt wird - nicht zuletzt wohl auch im Hinblick auf die lange Dauer der Hauptverfahren. 5 Angesichts dessen könnte man auf den ersten Blick sogar versucht sein, das Problem überlanger Verfahrensdauer als Scheinproblem abzutun: Ist eine Sache eilbedürftig, werden die gebotenen Maßnahmen eben im Wege vorläufigen Rechtsschutzes erlassen (§ 123 VwGO) bzw. die Belastung im Wege der aufschiebenden Wirkung (§§ 80, 80a, 80b VwGO) „eingefroren". Dem Rechtsschutzbegehren des Klägers scheint so Genüge getan, womit zugleich dem Hauptverfahren jedes Beschleunigungserfordernis genommen wäre.6 Diese Annahme würde die Leistungsfähigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes aber gründlich überschätzen. Ganz abgesehen davon, daß die Voraussetzungen einstweiligen Rechtsschutzes nicht stets vorliegen und außerdem die Entscheidung über die Gewähr einstweiligen Rechtsschutzes ihrerseits verzögert werden kann und das Zeitproblem dann unversehens auch in diesem Verfahren auftaucht, ist einstweiliger Rechtsschutz aus mehreren Gründen ungeeignet, das Zeitproblem wesentlich zu entschärfen. Zum einen darf einstweiliger Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung nicht vorwegnehmen. Es kann also gegenüber dem, was im Hauptverfahren begehrt wird und erreichbar ist, nur ein Minus zugesprochen werden.7 Von diesem Grundsatz werden zwar Ausnahmen zugelassen, die die Rechtsprechung zudem immer extensiver interpretiert, wohl auch deshalb, weil effektiver, zeitnaher Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren häufig nicht zu erlangen ist.8 In jedem Falle setzt einstweiliger Rechtsschutz, der in seinen Wirkungen der Hauptsacheentscheidung vollständig oder annähernd gleichkommt, aber voraus, daß eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache spricht.9 Kann diese hohe Wahrscheinlich5 Vgl. dazu nur Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 49 ff., m.w.N. 6 Besonders deutlich Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 40, 139, 171, 187. Dahin tendierend ferner Finkelnburg, FS BVerwG, S. 169, 176; Haag, Effektiver Rechtsschutz, S. 41; Priebe, FS v. Simson, S. 287, 302; BVerfG, Beschl. v. 16. 12. 1980, E 55, 349, 369; VGH München, Beschl. v. 11. 8. 1977, BayVBl. 1978,212,213. 7 Vgl. nur Brühl, JuS 1995, 916, 919; Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 13, jeweils mit zahlr. w. Nachw.

» Übersicht bei Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 14 ff. Dabei ist i. e. sehr umstritten, was überhaupt unter „Vorwegnahme der Hauptsache" zu verstehen ist, eine Frage, die vorliegend keiner näheren Erörterung bedarf.

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keit nicht bejaht werden, kommen entsprechende Maßnahmen also von vornherein nicht in Betracht. Zum zweiten ändert die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in vielen Fällen überhaupt nichts daran, daß der Kläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache in einer rechtlich unsicheren, dauerhafte Planungs- und Investitionsentscheidungen verhindernden Schwebelage bleibt,10 denn einstweiliger Rechtsschutz zugunsten des Klägers präjudiziert nicht immer das Obsiegen in der Hauptsache. Erfolgt dort Klageabweisung, drohen sogar Schadensersatzansprüche (§ 123 Abs. 3 VwGO)! Schließlich darf nicht vergessen werden, daß in den zahlreichen Verfahren mit Drittbeteiligung einstweiliger Rechtsschutz generell völlig untauglich ist, die Bedeutung des Zeitfaktors im Hauptsacheverfahren zu reduzieren. Einstweiliger Rechtsschutz für eine Partei (ζ. B. den Bauherrn) entfaltet hier geradezu unausweichlich eine erhebliche Belastungswirkung für den beigeladenen Drittbeteiligten (den Nachbarn) - oder umgekehrt. Das Zügigkeitserfordernis bzgl. der Hauptsacheentscheidung wird auf diese Weise keinesfalls vermindert, möglicherweise sogar noch erhöht. Anzumerken bleibt, daß alle soeben genannten Einwände auch für Vorschläge gelten, die darauf hinauslaufen, einstweilige Sicherungsmaßnahmen zur Beseitigung bereits eingetretener Verfahrensverzögerungen im Hauptverfahren als das Mittel der Wahl anzusehen.11 Kurz zusammengefaßt: Einstweiliger Rechtsschutz kann für sich genommen den Anspruch auf effektiven, zeitnahen Rechtsschutz nicht erfüllen. 12 Vorläufige Maßnahmen sind lediglich geeignet, die Verwirklichung dieses Anspruchs positiv zu beeinflussen, und auch dies nur in bestimmten Fällen, in begrenztem Umfang und in Zusammenschau mit dem Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren. Das Gebot, letzteres mit der erforderlichen Zügigkeit zum Abschluß zu bringen, wird durch vorläufigen Rechtsschutz insgesamt gesehen nur wenig beeinflußt. Höchstens für Einzelfälle wird sich sagen lassen, daß einstweiliger Rechtsschutz die „angemessene" Entscheidungsfrist des Hauptsacheverfahrens nennenswert verlängert. 13 9 Brühl, JuS 1995, 916, 919; Kopp/Schenke, Rn. 14; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 1036. Das Gericht muß also u. U. bereits tief in die rechtliche Beurteilung einsteigen, was die Frage aufwirft, ob hier nicht eine Denaturierung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorliegt, das eben nur vorläufige Entscheidungen aufgrund einer summarischen Prüfung ermöglichen soll. Vor allem auch ergibt sich die weitere Frage, warum dann nicht gleich (in derselben kurzen Frist) zur Hauptsache entschieden wird! 10 Dies deutlich betonend auch Grunsky, RdA 1974, 201, 205; EGMR, 28. 6. 1978, König ./. Deutschland, § 105. » So etwa Kirchhof, FS Doehring, S. 439, 452 f.; Schmidt-Aßmann, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Einl. VwGO Rn. 159; Stöcker, DStZ 1989, 367, 377 f.; Ziekow, DÖV 1998,941, 951; BFH, Beschl. v. 13. 9. 1991, NJW 1992,1526, 1528. 12 So deutlich auch Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rn. 422. 13 In diesem Sinne wohl auch EGMR, König ./. Deutschland, §§ 105, 111; Wilfinger, fektiver Rechtsschutz, S. 171.

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2. Beschwerde zu höheren Gerichten Bleibt ein laufendes Verfahren längere Zeit in der Schwebe und droht dadurch der Anspruch des Klägers auf Entscheidung in angemessener Zeit mißachtet zu werden (oder ist gar bereits eine Verletzung eingetreten), so ist - außer der kaum erfolgversprechenden formlosen Bitte an das Gericht selbst, umgehend zu entscheiden - nur eine einzige Maßnahme denkbar, baldmöglichst ein Judikat zu erlangen, nämlich die Einschaltung einer übergeordneten Instanz mit dem Begehren, das säumige Gericht zum Tätigwerden zu verpflichten, oder die Sache selbst zum Abschluß zu bringen. Zu denken ist an eine Einschaltung des im Instanzenzug nächsthöheren Fachgerichts oder der Dienstaufsicht, aber auch an eine Anrufung von BVerfG oder EGMR. Da letzteres die Erschöpfung anderweitiger Rechtsbehelfe voraussetzt (§ 90 Abs. 2 BVerGG, Art. 35 EMRK), sind zunächst Rechtsbehelfe innerhalb der Fachgerichtsbarkeit zu prüfen.

a) Außerordentliche

(„ Untätigkeits-

")Beschwerde zum Rechtsmittelgericht

aa) Der Streit um die grundsätzliche Zulassung der Beschwerde Das österreichische Recht sieht in § 78 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) 14 eine spezielle Beschwerde vor, mit der Verfahrensverzögerungen gerügt werden können.15 Die deutsche VwGO regelt dierichterliche Untätigkeit dagegen ebensowenig wie die übrigen Verfahrensordnungen oder das GVG. 1 6 Rechtsmittel und In14 „(1) Beschwerden der Beteiligten wegen Verweigerung oder Verzögerung der Rechtspflege können, 1. soweit sie Richter eines Bezirksgerichts betreffen, beim Vorsteher des Bezirksgerichts, 2. soweit sie den Vorsteher eines Bezirksgerichts oder Richter des Gerichtshofes erster Instanz betreffen, beim Präsidenten dieses Gerichtshofes und 3. soweit sie den Präsidenten eines Gerichtshofes erster Instanz betreffen, beim Präsidenten des Oberlandesgerichtes angebracht werden. Alle nicht offenbar unbegründeten Beschwerden sind dem betreffendem Gericht oder richterlichen Beamten mit der Aufforderung mitzuteilen, binnen bestimmter Frist der Beschwerde abzuhelfen und darüber Anzeige zu erstatten, oder die entgegenstehenden Hindernisse bekanntzugeben. Mit der Aufforderung kann unter Umständen die Androhung von Disziplinarmaßregeln verbunden werden ...". Vgl. ferner den seit 1989 bestehenden „Fristsetzungsantrag" nach § 91 GOG (Antrag an das nächsthöhere Gericht, dem Ausgangsgericht, das mit einer Verfahrenshandlung in Verzug ist, für die Vornahme der Handlung eine Frist zu setzen), dazu Thienel, ÖJZ 1993,473,486, m.w.N. 15 Dabei handelt es sich freilich nicht um ein echtes Rechtsmittel, sondern eher um eine besondere Form der Dienstaufsicht, da ein Devolutiveffekt nur ausnahmsweise eintritt und i.d.R. nur ein hierarchisch höherstehender Richter desselben Gerichts zur Entscheidung berufen ist, vgl. a. Matscher, FS Fasching, S. 351, 372. 16 Bemerkenswerterweise existierten diesbezügliche Regelungen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts durchaus. Vgl. (für den Bereich des Zivilprozesses) die Justizverweigerungsbeschwerde an das Reichskammergericht (§ 16 RKGO v. 1495) bzw. an die nächsthöhere Instanz der Landesgerichtsbarkeit. Die Justizverweigerungsbeschwerde fand auch in Fällen der Verfahrensverzögerung Anwendung, dazu Henke, ZZP 83 (1970), 125, 128; Hummer, Justiz-

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stanzenzug sind für die Überprüfung tatsächlich ergangener, nicht aber für die Erzwingung unterbliebener richterlicher Entscheidungen konzipiert.17 Insbesondere ermöglichen die ein Beschwerderecht eröffnenden Vorschriften der VwGO dem Wortlaut nach kein Vorgehen gegen Verfahrensverzögerungen, sondern verlangen die Existenz einer expliziten richterlichen „Entscheidung", vgl. § 146 Abs. 1 VwGO. Ob im Verwaltungsprozeßrecht über die gesetzlich geregelten Fälle der „ordentlichen" Beschwerde hinaus praeter legem eine sog. „Untätigkeitsbeschwerde"18 als Sonderform der „außerordentlichen" Beschwerde konstruiert werden kann, ob richterliche Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung möglicherweise sogar mit einer ordentlichen Beschwerde anzugreifen ist, oder ob für solche Fälle keinerlei innerprozessuale Rechtsbehelfe anerkannt werden können, ist in Literatur und Rechtsprechung sehr umstritten.19 (1) Ablehnende Stimmen Die Problematik ist durch eine vor kurzem ergangene Entscheidung des OVG Münster, in der dieses die Zulässigkeit einer Beschwerde gegenrichterliche Untätigkeit kategorisch abgelehnt hat, 20 erstmals voll in das juristische Blickfeld getreten. Das OVG beruft sich zur Stützung seiner Ansicht in erster Linie auf das Schweigen des Prozeßrechts21 sowie den daraus (angeblich) folgenden Befund, gewährung, S. 14 ff.; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 8 ff. S. femer Art. 77 Reichsverfassung 1871 (Justizverweigerungsbeschwerde zum Bundesrat) und entsprechende Regelungen in den Landesprozeßgesetzeii (Beschwerde zum Obergericht), dazu Hummer, S. 25 ff.; Otto, S. 14 f., m.w.N. Der Vorschlag, entsprechende Normierungen in das GVG aufzunehmen, konnte sich nicht durchsetzen, Otto, S. 15; man hielt die Dienstaufsichtsbeschwerde (zu Unrecht, s. weiter unten im Text) für ausreichend. 17 Papier, HbStR VI, § 153 Rn. 23; Häsemeyer, Die Erzwingung richterlicher Entscheidungen, mögliche Reaktionen auf Justizverweigerungen, FS Michaelis, 1972, S. 134, 135, der hierin eine „erstaunliche, wenn nicht gar befremdliche Schwäche unseres gesamten Verfahrensrechts" sieht; vgl. a. Kloepfer, JZ 1979, 209. 18 Begriff bei Schmidt-Aßmann, Verfahrensgarantien im Bereich des öffentlichen Rechts, EuGRZ 1988, 577, 583; Schneider, Tendenzen und Kontroversen in der Rechtsprechung, MDR 1998, 252, 254; OLG Saarland, Beschl. v. 18. 4. 1997, MDR 1997, 1062. Anders Ziekow, JZ 1998, 950; ders., DÖV 1998,941 ff.: „Beschleunigungsbeschwerde".

Im Zivilprozeßrecht wird eine Beschwerdemöglichkeit dagegen überwiegend zugelassen. Die richterliche Untätigkeit wird dort der Aussetzung oder Anordung des Ruhens des Verfahrens oder, in PKH-Fällen, der Ablehnung des Antrags gleichgestellt, wodurch der Weg zu einer Beschwerde nach §§ 252, 567 ZPO (ggf. in analoger Anwendung) eröffnet ist, Vgl., mit Nachw. aus der Rspr., Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 77 ff.; Schneider, MDR 1998, 252, 255; Ziekow, DÖV 1998, 941, 946 f. Ähnlich vereinzelte Entscheidungen zum Strafverfahren (zu §§ 304 f. StPO), vgl. Otto, S. 83 f. 20 Beschl. v. 3. 12. 1997, JZ 1998, 947, bzgl. der Nichtbescheidung eines Antrags auf Prozeßkostenhilfe (Verfahrensdauer zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung: drei Jahre!). 21 OVG Münster, a. a. O.; darauf abstellend etwa auch H. H. Klein, Rechtsweg und Justizverweigerung, JZ 1963,591 (für finanzgerichtliche Verfahren).

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daß Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen Untätigkeitsbeschwerde völlig im Dunkeln lägen.22 Darüber hinaus äußert es die Auffassung, daß die Zulassung der Beschwerde einer dem Oberverwaltungsgericht nicht zukommenden Dienstaufsicht über das Verwaltungsgericht gleichkommen würde.23 Weitere Gegenargumente finden sich in der verwaltungsprozessualen Literatur, die, soweit die Problematik überhaupt behandelt wird, einer Beschwerdemöglichkeit mehrheitlich kritisch gegenübersteht. Verbreitet wird dieser mit dem Hinweis begegnet, daß der Kläger vermittels einer Dienstaufsichtsbeschwerde auf die ordnungsgemäße Erledigung derrichterlichen Amtsgeschäfte hinwirken könne, womit keinerlei Notwendigkeit für die Konstruktion eines weiteren Rechtsbehelfs bestehe. 24 Ferner wird behauptet, daß eine Beschwerde mit dem Ziel, das säumige Gericht zum Tätigwerden zu verpflichten, einen Eingriff in dierichterliche Unabhängigkeit bedeute, welche zwar die Überprüfung eines konkretenrichterlichen Tätigwerdens gestatte, nicht aber die Anweisung, in einer bestimmten Weise und zu einem bestimmten Zeitpunkt tätig zu werden. Die Entscheidung darüber, wann und in welcher zeitlichen Reihenfolge die diversen Streitsachen zu terminieren und auszuurteilen seien, bilde vielmehr gerade den Kernbereich derrichterlichen Unabhängigkeit und falle in das uneingeschränkte Ermessen des mit der Sache befaßten Gerichts.25 Schließlich wird kritisch hervorgehoben, daß die Beschwerdemöglichkeit ein zweites Gerichtsverfahren eröffne, das seinerseits die Gefahr von Verzögerungen berge.26 (2) Argumente für eine Zulassung der Beschwerde Bei näherer Betrachtung sind die genannten Gegenargumente alles andere als stichhaltig. Für den Fall, daß die verfassungsrechtlich zulässige Verfahrensdauer überschritten wird oder eine solche Überschreitung unmittelbar bevorsteht, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG das Vorhandensein prozessualer Möglichkeiten, hiergegen vorzuge22 A.a. O.; ähnlich OVG Bremen, Beschl. v. 10. 10. 1983, NJW 1984,992 f. 23 A.a. O. 24 Albers, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 56. Aufl. 1998, § 567 Rn. 5; Papier, HbStR VI, § 153 Rn. 23; ders., NJW 1990, 8, 10 ff.; dahingehend auch Hummer, Justizgewährung, S. 146 ff., 178. Die Dienstaufsichtsbeschwerde befürwortend ferner Baur, Richterliche Verstöße gegen die Prozeßförderungspflicht, FS Schwab, 1990, S. 53, 56 ff.; Peukert, EuGRZ 1979, 261, 264; Stöcker, DStZ 1989, 367, 372, ohne aber einen sonstigen Rechtsbehelf überhaupt ins Auge zu fassen. 25 Vgl. in diesem Sinne (allerdings vornehmlich mit Blick auf eine auf Untätigkeit gestützte Dienstaufsichtsbeschwerde) Weber-Grellet, (Irr-)Wege aus der Justizmisere, NJW 1990, 1777, 1778; s. a. Feiber, Justizverweigerung durch ein Gerichtspräsidium, NJW 1975, 2005, 2006; Schmidt-Räntsch, DRiG, § 25 Rn. 8. 26 Schmidt-Aßmann, EuGRZ 1988, 577, 583; ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rn. 159; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV Rn. 263.

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hen.27 Andernfalls bliebe das verfassungsrechtliche Gebot effektiven, zeitgerechten Rechtsschutzes eben doch theoretisch. Es geht also keinesfalls um bloße Dienstaufsicht, wie das OVG Münster meint, sondern um Individualrechtsschutz. Sonstige, der Beschwerde zum Rechtsmittelgericht gleichwertige Gegenmittel sind nicht ersichtlich. Ansprüche auf der Sekundärebene sind in einem neuen Gerichtsverfahren geltend zu machen und i.d.R. erst nach Abschluß des beanstandeten Verfahrens zu erheben, dessen Ausgang unbeeinflußt von ihrer Geltendmachung bleibt. Sie sind daher sowohl zu aufwendig als auch zu „verfahrensfern" 28, um als hauptsächliches Abwehrmittel eingesetzt werden zu können. Darüber hinaus sind sie auch keineswegs in jedem Fall verzögerter Entscheidung gegeben.29 Auch die Verfassungsbeschwerde, gestützt auf die Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG, ist ein verfahrensfernes Reaktionsmittel, das wegen des vorgeschaltenen Zulassungsverfahrens zudem nur ausnahmsweise greift. 30 Darüber hinaus ist sie kein „Rechtsweg" i. S. des Art. 19 Abs 4 GG 3 1 und sollte wegen der ihr zukommenden Subsidiarität (sowie der Überlastung des BVerfG) möglichst zurückhaltend eingesetzt werden. Das BVerfG hat selbst mehrfach betont, daß Feststellung und Beseitigung verfassungswidriger Verfahrensverzögerungen primär der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegt.32 Nach alledem bedarf es eines wirksamen fachgerichtlichen, innerprozessualen Rechtsbehelfs gegen Verfahrensverzögerungen. 33 Dem steht auch nicht entgegen, 27 So auch Kloepfer, JZ 1979,209,215,216; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 85 (als einziger auch die drohende Verletzung einbeziehend); Ziekow, JZ 1998, 948, ders., DÖV 1998, 941, 943. Im selben Sinne Vollkommer/Lisch, EWiR 1/98, S. 27, 28, unter Hinweis auf die Verpflichtungen aus der EMRK; ebenso, unter Bezugnahme speziell auf Art. 13 EMRK, Echterhölter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der juristischen Praxis, JZ 1956, 142, 146. Α. A. ohne nähere Begründung Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 263. 28 Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 139. 29 S. i. e. u. S. 63 ff. 30 S. u. S. 55 ff. 31 H. H. Klein, JZ 1963,591, 592; Ziekow, JZ 1998,948. 32 Vgl. BVerfG, NJW 1992,1497, 1498, NJW 1992,2472,2473. - Für Fälle der vorliegenden Art die Verfassungsbeschwerde empfehlend aber insbes. H. H. Klein, JZ 1963,591,592 f. 33 Vgl. a. BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 1978, E 49, 252, 258 ff., Beschl. v. 2. 3. 1982, E 60, 96, 99; Beschl. v. 7. 7. 1982, E 61, 78, 80; Beschl. v. 28. 9. 1982, E 61, 119, 121, wo für Verfassungsverstöße der Instanzgerichte die Lösung favorisiert wird, im Rahmen der jeweiligen Prozeßordnung ein fachgerichtliches Rechtsmittel zu entwickeln, um den Verstoß ,intern" beseitigen und eine Verfassungsbeschwerde vermeiden zu können. Bes. deutlich BVerfGE 49, 252, 259: „Der Weg über die Verfassungsbeschwerde ist ein vermeidbarer Umweg, wenn die Verletzung des Verfahrensgrundrechts durch eine grundrechtlich orientierte Handhabung der Prozeßvorschriften ausgeräumt werden kann". Meyer-Ladewig, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 124 Rn. 9, interpretiert diese Judikatur zu Recht in der Weise, daß sie ggf. auch die Entwicklung außerordentlicher fachgerichtlicher Rechts-

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daß Art. 19 Abs. 4 GG nach noch herrschender Auffassung grundsätzlich keinen Schutz gegen den Richter bietet, also keinen mehrinstanzlichen Rechtsschutz gewährleistet. 34 Dieser Befund kann nicht in bezug auf den untätigen Richter ins Feld geführt werden, 35 dessen Untätigkeit eben dazu führt, daß überhaupt kein Rechtsschutz gewährt wird. 3 6 In solchen Fällen besteht gerade nicht die Gefahr eines Rechtsschutzes ad infinitum, welche die h. M . immer wieder beschwört. Wird der von Art. 19 Abs. 4 GG geforderte verfahrensnahe Rechtsschutz gegen Verzögerungen durch das Gesetz selbst nicht gewährt, so bedarf es entsprechender richterlicher Rechtsfortbildung. 37 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfssystems eines bestimmten Gerichtszweigs, jedenfalls im Detail und soweit sie sich zugunsten des Bürgers auswirkt, unterliegt nicht dem Vorbehalt des Gesetzes. Eine Untätigkeitsbeschwerde kann daher - ebenso wie die außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzesverletzung, deren Existenz mittlerweile anerkannt ist 3 8 - auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung entwickelt werden. 39

behelfe fordert. - Vgl. allgem. zur „Funktionsverteilung" zwischen BVerfG und Fachgerichten BVerfG, Beschl. v. 30. 4. 1997, E 96, 27,40. 34 S. nur H. H. Klein, JZ 1963, 591, 592; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 125; Papier, HbStR VI, § 154 Rn. 12, 37; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 13. Aufl. 1997, Rn. 1009; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 96; BVerfG, Beschl. v. 17. 3. 1988, E 78, 88, 99; Beschl. v. 30. 4. 1997, E 96, 27, 39. Α. Α. neuerdings Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 147 ff., 255 ff.; 298 ff.; ders., Erosionserscheinungen des zivilprozessualen Rechtsmittelsystems, NJW 1995,1377, 1382 ff.; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 Abs. 4, Rn. 444 ff.; wohl auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV, Rn. 35, ebenso bereits H. Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, 1973, S. 101; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, 1973, S. 241 ff. 35 So aber BFH, Urt. v. 26. 10. 1962, JZ 1963, 261, 262; Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 143; Hummer, Justizgewährung, S. 144 f. 36 Richtig Ziekow, JZ 1998, 948; ders., DÖV 1998,941, 943. 37 So auch Kloepfer, JZ 1979, 209, 215. 38 Vgl. (für den Zivilprozeß) ζ. B. BGH, Beschl. v. 8. 10. 1992, Ζ 119, 372; BGH, Beschl. v. 4. 3. 1993, NJW 1993, 1865; BGH, Beschl. v. 8. 2. 1999, NJW 1999, 1404; Albers, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 567, Rn. 6 f.; Gummer, in: Zöller, ZPO, § 567, Rn. 18 ff.; Lötz, Die „greifbare Gesetzwidrigkeit" - eine den Wertentscheidungen des Grundgesetzes Rechnung tragende Rechtsschöpfung des BGH? NJW 1996, 2130 ff.; Voßkuhle, NJW 1995, 1377, 1380 f. Für den Verwaltungsprozeß s. Kopp/Schenke, VwGO, Vor § 124 Rn. 8a; Meyer-Ladewig, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Vorb § 124 Rn. 11. Ζ. T. wird die Untätigkeitsbeschwerde als Unterfall der außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit angesehen, vgl. Gummer, in: Zöller, ZPO, § 567, Rn. 18a; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. 9. 1983, NJW 1984, 985. Das ist zweifelhaft, einmal, weil dann nur ganz krasse Verstöße erfaßt wären, zweitens, weil es hier umrichterliche Untätigkeit, dort aber um eine explizite (wenn auch fehlerhafte) richterliche Entscheidung geht, und drittens, weil die Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit ζ. T. auch gegen Entscheidungen zugelassen wird, für die das Gesetz eine Beschwerde gerade ausschließt, es sich also (anders als bei der Untätigkeitsbeschwerde) um eine Rechtsfortbildung contra legem handelt. 39 Freilich wäre eine explizite Regelung nach dem Vorbild des § 78 Österr. GOG im Sinne der Rechtsklarheit und der, Abschreckungswirkung" vorzugswürdig.

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Der Hinweis auf dierichterliche Unabhängigkeit und die (vermeintliche) Ermessensfreiheit bei der zeitlichen Abwicklung des Rechtsstreits bildet kein überzeugendes Gegenargument. Das verfassungsrechtliche Gebotrichterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 GG) wirkt primär gegen Exekutive und Legislative und allenfalls in sehr geringem Maße im Innenbereich der Judikative;40 i. ü. wird dieses verfassungsrechtliche Gebot durch das ebenfalls verfassungsrechtliche Gebot einer Rechtsschutzgewährung in angemessener Frist (Art. 19 Abs. 4 GG) verfassungsimmanent begrenzt. Der einzelne Richter besitzt zeitbezogenes Ermessen bzgl. der Streitsache folglich nur insoweit, als ihm Art. 19 Abs. 4 GG Spielraum beläßt,41 m.a.W., Terminierung der mündlichen Verhandlung(en) und Erlaß des Urteils müssen sich stets im Rahmen des zeitlich Angemessenen halten. Bei einer Vielzahl von Streitsachen muß grundsätzlich die zeitliche Reihenfolge eingehalten werden, mit Ausnahme dringlicher Sachen, die vorzuziehen sind.42 Das „Liegenlassen" oder gar „Verwesen-Lassen"43 unangenehmer Fälle ist nicht Ausfluß richterlicher Unabhängigkeit, sondern amtspflicht- und verfassungswidrig. Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist kein geeigneter Ersatz für eine förmliche Untätigkeitsbeschwerde.44 Zwar ist die Dienstaufsicht über die Richter anders als jene gesetzlich ausdrücklich geregelt (vgl. § 26 DRiG), und sie erstreckt sich ausweislich der Regelung in § 26 Abs. 2 DRiG (Anhalten zu „unverzögerter" Erledigung der Amtsgeschäfte) auch auf den zeitlichen Aspekt derrichterlichen Tätigkeit.45 Jedoch handelt es sich bei der Dienstaufsicht um ein vornehmlich im öffentlichen Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege bestehendes Institut des justizadministrativen Innenrechts, dessen Instrumentalisierung für den Individualrechtsschutz systemfremd wäre 46 und dem Bürger keinen effektiven Rechtsschutz bieten können. Da es nicht primär um Individualrechtsschutz, sondern um dienstinterne Kontrolle des richterlichen Handelns durch die Justizverwaltung (= Exekutive) geht, besteht kein Anspruch des einzelnen auf dienstaufsichtliche Maßnahmen und besitzt der einzelne Beschwerdeführer im dienstaufsichtlichen Verfahren keinen Beteiligtenstatus.47 Und weil ein Konflikt mit derrichterlichen Unabhängigkeit weitaus greifbarer ist als bei einem förmlichen Rechtsmittel, wo ein Richter den anderen kontrolliert, 48 dürfen außerdem im Rahmen der Dienstaufsicht Weisungen 40 Deutlich BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 1961, E 12, 67,71. 41 Dahingehend auch BVerfG, Beschl. v. 16. 12. 1980, E 55, 349, 369. 42 So auch Blomeyer, NJW 1977,557, 558. 43 So drastisch, aber treffend Ossenbühl, JZ 1998,679. 44 So ausdrücklich Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 98; Weber-Grellet, NJW 1990, 1778; Ziekow, DÖV 1998, 941, 947. 45 Zu den historischen Vorbildern dieser Regelung, bei denen die Justizverweigung und Verzögerung z. T. noch wesentlich deutlicher als Gegenstand der Dienstaufsicht anerkannt war, vgl. Hummer, Justizgewährung, S. 26 ff. 46 Ähnlich Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 144.

47 Vgl. nur Hummer, Justizgewährung, S. 146; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 97 f. 4 Schiette

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C. Realisierung des Anspruchs

in keinem Fall erteilt werden.49 Nach überwiegender Meinung ist es ferner ausgeschlossen, Maßnahmen der Dienstaufsicht auf Einzelfälle zu zentrieren, weil dies auf eine Beeinflussung des konkreten Prozesses und damit ebenfalls auf eine Beeinträchtigung derrichterlichen Unabhängigkeit durch die Justizverwaltung hinausliefe; vielmehr soll nur dierichterliche Tätigkeit insgesamt oder für eine Gruppe von Fällen betrachtet beanstandet werden können.50 Eine Dienstaufsichtsbeschwerde könnte so bestenfalls dazu führen, daß das allgemeine Zeitmanagement des betroffenen Richters vorsichtig kritisiert wird, und selbst das wohl auch nur dann, wenn mehrere Beschwerden zu verschiedenen Verfahren eingereicht wurden. Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist daher weit entfernt davon, einen effektiven Rechtsbehelf im prozeßrechtlichen Sinne darzustellen.51 Eventuelle sich an die Dienstaufsicht später anschließende disziplinarrechtliche Schritte wirken sich nur höchst mittelbar, wenn überhaupt, auf das konkret auf dem Prüfstand stehende Verfahren aus52 und sind daher nicht dazu angetan, den „Minderwert" der Dienstaufsichtsbeschwerde im Hinblick auf den Individualrechtsschutz auszugleichen. Nach alledem steht fest, daß gegenrichterliche Untätigkeit ein echtes Rechtsmittel gegeben sein muß. Dies dient auch dem Vertrauen in die Justiz, weil so deutlich wird, daß die Justiz nicht nur die Verwaltung und die klagenden Parteien, sondern auch sich selbst auf Verzögerungen kontrolliert und kontrollieren läßt.53 Zugleich kann bereits im Vorfeld auf § 839 Abs. 2 S. 2 BGB gestützten Haftungsansprüchen gegen den Staat begegnet werden.

bb) Die Ausgestaltung der Beschwerde im einzelnen Trotz fehlender gesetzlicher Verankerung läßt sich die Beschwerdemöglichkeit in hinreichend rechtsklarer Weise näher ausgestalten.

48 Ähnlich Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 97. Das Verhältnis von Dienstaufsicht und richterlicher Unabhängigkeit ist ein Dauerproblem, das in vielen Konstellationen virulent wird, vgl. grundlegend Baur, Justizaufsicht undrichterliche Unabhängigkeit, 1954; s. а. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 21 ff. 4 * Vgl. nur Albers, in: Baumbach / Lauterbach, ZPO, § 26 DRiG, Rn. 6; BGH, Urt. v. б. 11. 1986, NJW 1987,1197, 1198. 50 BGH, Urt. v. 6. 11. 1986, NJW 1987, 1197, 1198; Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 141 f.; Hummer, Justizgewährung, S. 147; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 96 ff.; Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 28. Für Zulässigkeit auch einzelfallbezogener Dienstaufsicht, jedenfalls was die „unverzögerte" Amtsführung angeht, Albers, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 26 DRiG, Rn. 11; Rudolph, DRiZ 1985, 351 ff.

51 In diesem Sinne auch Meyer-Ladewig, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Vorb § 124 Rn. 3. 52 Ebenso Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 142. 53 Ähnlich Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 144 (allerdings um den Vorschlag der Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde de lege ferenda zu stützen).

I. Präventive Instrumente

(1) Statthaftigkeit

51

in zwei Fallkonstellationen

Was zunächst die Statthaftigkeit angeht, so sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Die Beschwerde ist einmal bei einer flagranten Justizverweigerung möglich, wenn es also der zuständige Richter ausdrücklich abgelehnt hat, zur Sache zu entscheiden oder wenn sich bei dem angegangenen und grundsätzlich zuständigen Gericht für die fragliche Streitsache überhaupt kein Richter findet, dem die Bearbeitung intern zugewiesen ist. Derartige Fälle eines klassischen „déni de justice" sind naturgemäß äußerst selten.54 Die Beschwerde ist zweitens und vor allem statthaft, wenn in einem anhängigen Verfahren die Entscheidung (ohne explizite Verweigerungshaltung) so verzögert wird, daß ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG droht oder bereits eingetreten ist. 55 Dabei ist unerheblich, ob ein schlichtes Unterlassen vorliegt, das Gericht also in der fraglichen Zeit überhaupt nicht tätig geworden ist und womöglich nach Jahren noch nicht einmal einen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hat, oder ob ein „qualifiziertes" Unterlassen festzustellen ist, die Entscheidung also durch zahlreiche ergebnislose Termine, Fristverlängerungen, Terminsvertagungen, unnötige Beweiserhebungen in immer weitere Ferne geschoben wird. 56 Wenn § 146 Abs. 2 S. 1 VwGO für prozeßleitende Verfügungen, insbes. Beschlüsse über eine Vertagung, die Beschwerdemöglichkeit ausdrücklich ausschließt, so ist dieser Ausschluß im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß damit nur einzelne Maßnahmen dieser Art der Beschwerde entzogen sind, nicht aber die aus einer Gesamtbetrachtung des Verfahrensablaufs resultierenden Verzögerungen, auch wenn diese u. a. gerade in derartigen Maßnahmen ihre Ursache haben. Eine andere Auslegung wäre auch mit der Ratio des § 146 Abs. 2 VwGO selbst kaum zu vereinbaren: § 146 Abs. 2 VwGO will einer Verzögerung der Sachentscheidung entgegenwirken, die dadurch eintreten könnte, daß gegen prozeßleitende Verfügungen Rechtsmittel eingelegt werden, und dient somit Beschleunigungszwecken.57 Eine Vorschrift, die ihrerseits den Prozeß beschleunigen soll, kann einer Beschwerde nicht entgegenstehen, mit der derselbe Zweck verfolgt wird. 54 Einen Anwendungsfall für die zweite Alternative schildert F eiber, NJW 1975, 2005 f. (vorläufige „Stillegung" eines ganzen richterlichen Dezernats, indem die entsprechenden Streitsachen im Geschäfts verteilungsplan nicht verteilt werden). 55 Kopp/Schenke, VwGO, Vor § 124 Rn. 8a, § 146 Rn. 16; VGH München, Beschl. v. 11. 8. 1977, BayVBl. 1978, 212, 213, wollen demgegenüber die Untätigkeitsbeschwerde auf Fälle der Rechtsverweigerung oder dieser gleichkommende Fälle extremer Verzögerung beschränken; ebenso z. T. die zivilrechtl. Lit. und Rspr. Wie hier großzügiger Sangmeister, Überlange Verfahrensdauer und Untätigkeitsbeschwerde, NJW 1998, 2952, 2953. 56 Vgl. zu letzterem die plastische Schilderung von Blomeyer, NJW 1977, 557, aus dem Bereich des Zivilverfahrensrechts. 57 Vgl. BVerwGE 86, 177; Meyer-Ladewig, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 146 Rn. 10. 4«

52

C. Realisierung des Anspruchs

In Ermangelung einer „Entscheidung" i. S. des § 146 VwGO - auch bei qualifiziertem Unterlassen ist der Ansatzpunkt für die Beschwerde nicht die einzelne konkreterichterliche Maßnahme, sondern das Hinauszögern der Sachentscheidung - handelt es sich stets um Anwendungsfälle der außerordentlichen Beschwerde.58 Der im Zivilprozeß verbreiteten Praxis, (stillschweigende) Ablehnungsentscheidungen zu konstruieren und auf diese Weise zur Statthaftigkeit der gesetzlich normierten ordentlichen Beschwerde zu gelangen,59 kann nicht gefolgt werden. Sie wird dem Umstand nicht gerecht, daßrichterliche Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung qualitativ etwas anderes ist als der Erlaß einer Entscheidung, und vor allem versagt sie häufig in Fällen qualifizierter Untätigkeit, wo die Aktivitäten des Richters schlechthin nicht als Ablehnung einer Entscheidung interpretiert werden können.60 Wann ein Verfassungsverstoß vorliegt oder unmittelbar bevorsteht, hängt vom konkreten Fall ab und ist anhand der og. Kriterien 61 zu bestimmen. Die Einbeziehung der drohenden Verzögerung erscheint aus zwei Gründen sinnvoll. Einmal ist es wegen der Unwiederbringlichkeit der verstrichenen Zeit wichtig, daß prozessuale Reaktionsmöglichkeiten möglichst rasch zur Verfügung stehen. Zum zweiten kann, gerade in der laufenden Instanz, der exakte Zeitpunkt, ab dem ein Verfassungsverstoß vorliegt, schwer zu bestimmen sein. Zugunsten des Klägers ist deshalb auch die vorgelagerte „Latenzzeit" beschwerderechtlich relevant zu machen. (2) Zulässigkeitsvoraussetzungen Eine besondere Beschwerdefrist besteht nicht.62 Der Zeitpunkt, ab dem eine eventuelle Frist zu laufen begänne, ist kaum genau festzulegen; außerdem wird der Kläger schon im eigenen Interesse bestrebt sein, die Beschwerde möglichst umgehend zu erheben. I. ü. ist nicht einzusehen, warum, wenn das Gericht selbst den Rechtsstreit monate- oder jahrelang vor sich herschiebt, der Kläger auf die Einhaltung fester Fristen, womöglich noch der knappen Zwei-Wochen-Frist des § 147 VwGO, 63 festgelegt werden soll. Äußerste zeitliche Grenzen für die Beschwerdeeinlegung errichtet das Institut der Verwirkung. Die lange Verfahrensdauer muß 58 Für außerordentliche Beschwerde wie hier Happ, in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1998, § 124 Rn. 13; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 182; wohl auch Sangmeister, NJW 1998, 2952, 2953. Unklar die Konstruktion von Meyer-Ladewig, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Vorbem. § 124 Rn. 36. 59

So auch für den Verwaltungsprozeß Geiger, in: Eyermann, § 102 Rn. 4; Ziekow, JZ 1998,949; ders., DÖV 1998, 941, 946 ff. 60 Zwar ist es hier bisweilen möglich, das prozeßverzögernde Tun des Richters direkt mit der ordentlichen Beschwerde anzugreifen, doch wären auf diese Weise nicht alle Fälle zu lösen. S.o.S, 33 f. « Anders Ziekow, JZ 1998, 950; ders., DÖV 1998, 941, 949 f. 63 Mangels Rechtsbehelfsbelehrung würde sich diese Frist ohnehin auf ein Jahr verlängern, vgl. §§ 58, 60 VwGO, so auch Ziekow, a. a. Ο., nach umständlicher Problematisierung.

I. Präventive Instrumente

53

auch zunächst beim Gericht erfolglos gerügt worden sein.64 Ansonsten sind §§ 147, 148 VwGO anzuwenden. (3) Begründetheit Für die Begründetheit der Beschwerde reicht der Umstand der Verzögerung allein nicht aus. Die Verfahrensdauer muß dem zuständigen Gericht in irgendeiner Weise zurechenbar sein, schon deshalb, weil die Stattgabe der Beschwerde durch das Beschwerdegericht ins Leere ginge, beruhte die Verzögerung auf Umständen, auf die das Ausgangsgericht keinen Einfluß hat. Freilich kann man vom Beschwerdeführer nicht verlangen, daß er den positiven Beweis der persönlichen Zurechenbarkeit erbringt; vielmehr ist es Sache der betroffenen Richter, gewissermaßen den Entlastungsbeweis anzutreten und einen plausiblen Grund zu benennen, warum die Sache bisher nicht entschieden worden ist. Das kann insbesondere der näher begründete Einwand unverschuldeter und durch Änderung der Geschäftsverteilung nicht abzuhelfender (vgl. § 21g Abs. 2, 3 GVG) Überlastung sein. In diesem Falle ist die Beschwerde unbegründet;65 für solche Fälle sind andere Gegenmittel zu ergreifen. 66 Je länger die Sache bereits anhängig ist, und je größer die Abweichung zur durchschnittlichen Verfahrensdauer anderer Sachen, desto weniger werden allerdings Rechtfertigungsgründe für die Verzögerung und insbesondere das Argument allgemeiner Überlastung mit Erfolg geltend gemacht werden können.67 Durch die Unbeachtlichkeit des Überlastungsarguments wird die Untätigkeitsbeschwerde i. ü. nicht zu einem stumpfen Schwert. Wenngleich die durch unverschuldete, chronische Geschäftsüberhänge bewirkten Verfahrensverzögerungen in der Praxis im Vordergrund stehen dürften, so sind doch auch Fälle, in denen die lange Verfahrensdauer (allein oder zumindest ζ. T.) auf das Konto des konkret zur Entscheidung berufenen Gerichts geht, keinesfalls selten.68 64 Ebenso Ziekow, JZ 1998,950. 65 Im Erg. ebenso Geiger, in: Eyermann, VwGO, § 102 Rn. 4; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 81 f.; VGH München, Beschl. v. 11. 8. 1977, BayVBl. 1978, 212, 213 (wo aber die bloße unsubstantiierte Behauptung der Überlastung für ausreichend gehalten wird); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. 9. 1983, NJW 1984, 985. Da die Überlastung nicht in den Risikobereich des Beschwerdeführers fällt, darf er in diesen Fällen nicht mit den Kosten der Beschwerde belastet werden, sofern die Länge der Verfahrensdauer für sich genommen eine Beschwerde rechtfertigte. « S. u. S. 55 ff. (Beschwerde an BVerfG oder EGMR); S. 62 ff. (Entschädigungsklage).

67 Dazu, daß eine überdurchschnittlich lange Verfahrendauer schon für sich genommen ein starkes Indiz für einen Verfassungsverstoß ist, s. bereits oben S. 38. 68 Das zeigen eine Reihe von Urteilen sowohl des BVerfG, vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschl. v. 6. 5. 1997, NJW 1997, 2811 f. („qualifizierte", pflichtwidrige Verfahrensverzögerung des Vormundschaftsgerichts dadurch, daß dieses der offenkundigen Prozeßverschleppung einer Partei nicht entgegengetreten ist), als auch des EGMR, vgl. die oben S. 36 Fn. 92 zitierten Urteile. In diesem Sinne ferner die Äußerungen von „Justiz-Insidern", besonders deutlich Schneider, MDR 1998, 252, 255: „Die Alltagspraxis zeigt, daß es ständig zu ver-

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C. Realisierung des Anspruchs

(4) Entscheidungsinhalt Zu klären bleibt der Entscheidungsinhalt im Falle der Begründetheit. Theoretisch existieren vier verschiedene Möglichkeiten, nämlich 1. die Anordnung, dem Verfahren (beschleunigten) Fortgang zu geben, 2. eine solche Anordnung ergänzt um die Setzung einer Frist, bis zu deren Ablauf das Ausgangsgericht entschieden haben muß, 3. eine Entscheidung durch das Beschwerdegericht selbst, sowie 4. die Überweisung der Sache zur Behandlung und Entscheidung an ein anderes Verwaltungsgericht oder jedenfalls einen anderen Spruchkörper. 69 Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache selbst (Avokation) ist im Beschwerdeverfahren zwar grundsätzlich möglich.70 Im vorliegenden Fall würde auf diese Weise das Ziel der Verfahrensbeschleunigung aber häufig verfehlt, da bei dem mit dem materiellen Streitgegenstand überhaupt nicht vertrauten Beschwerdegericht erneut Einarbeitungszeit fällig würde. Zudem würde der Umstand überspielt, daß es hier nur um einen Zwischenstreit (die zeitliche Dimension des Verfahrens) geht, dessen Gegenstand gerade nicht die Würdigung des materiellen Prozeßstoffs ist. 71 Vor allem würde so faktisch die Entscheidungsbefugnis der ersten Instanz beseitigt, was - solange die entsprechende Rechtsfolge gesetzlich nicht vorgesehen ist - in Konflikt mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) geriete. Die mögliche Gegenerwägung, daß das auf die Untätigkeitsbeschwerde hin entsprechend gemaßregelte Gericht der Sache und dem Beschwerdeführer nicht mehr unbefangen gegenübersteht, muß hinter diesen Argumenten zurückstehen und dürfte ohnehin in derartiger Pauschalität nicht zutreffen. meidbaren Verzögerungen und zum Hinausschieben der Beschlußfassung in entscheidungsreifen Verfahren kommt. Dabei geht es oft um Zeiträume, die für die Parteien nicht mehr tragbar sind." S. ferner Baur, FS Schwab, S. 53, 55: »Jeder, der lange Zeit als hauptberuflicher Richter tätig war, wird - wenn er ehrlich ist - bestätigen, daß die schleppende Prozeßführung auch durch bequeme oder unentschlossene Richter verursacht wird". Vgl. des weiteren die Ausführungen von Blomeyer, NJW 1977, 557 (Richter am OLG); Hanack, Prozeßhindernis des überlangen Strafverfahrens? JZ 1971, 705, 706 (für das Strafverfahren); Sendler, DVB1. 1982, 923, 924 f. (Präsident des BVerwG; „fehlende Selbstdisziplin, falsche Arbeitseinteilung und -technik"); Vollkommer (seinerzeit Landgerichtsrat), ZZP 81 (1968), 102, 132 f. 69 Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 3. 12. 1997, 947; Ziekow, JZ 1998, 950, die allerdings nur die drei erstgenannten Möglichkeiten sehen. Die vierte Möglichkeit wird von Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 147 f., und H. H. Klein, JZ 1963, 591, 592 f. (für die Verfassungsbeschwerde) befürwortet. Im Sinne von Lösung 2) vgl. § 78 Abs. 1 S. 2 Österr. GOG. Im Sinne von Lösung 3) in bestimmten Fällen die Justizverweigerungsbeschwerde vor dem Reichskammergericht, vgl. Hummer, Justizgewährung, S. 16; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 9 f. 70 Vgl. § 173 VwGO i. V. m. § 575 ZPO, sowie Kopp/Schenke, VwGO, § 150 Rn. 2; Meyer-Ladewig, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 146 Rn. 5. 71 Ziekow, JZ 1998, 950; ders., DÖV 1998, 941, 950 f., der allerdings die PKH-Fälle trotzdem direkt vom Beschwerdegericht entscheiden lassen will.

I. Präventive Instrumente

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Richtiger Entscheidungsinhalt ist die schlichte Anordnung an das Verwaltungsgericht, dem Verfahren Fortgang zu geben, und zwar ohne Vorgabe einer bestimmten Entscheidungsfrist, 72 die das Beschwerdegericht ohne genaue Kenntnis der anhängigen Streitsache sowie des Arbeitsanfalls in der ersten Instanz nicht festlegen kann. Die Abgabe der Sache an ein anderes Gericht könnte zusätzlichen Zeitverlust bedeuten, weil das Gericht sich mit der Sache neu vertraut machen muß. Die Einräumung einer entsprechenden Entscheidungskompetenz an das Beschwerdegericht könnte i. ü. für die erstinstanzlichen Gerichte die Versuchung begründen, sich unangenehmer Verfahren durch bloßes „Liegenlassen" zu entledigen. (5) Kein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren Angesichts des Umstandes, daß seit dem 6. VwGO-Änderungsgesetz Rechtsmitteln sehr häufig ein Zulassungsverfahren vorgeschaltet ist (vgl. §§ 124, 146 Abs. 4, 5 VwGO), bliebe schließlich zu überlegen, ob ein solches Zulassungsverfahren auch für die Untätigkeitsbeschwerde zu fordern ist. 73 Indes zählt § 146 Abs. 4 VwGO die zulassungsbedürftigen Beschwerdekonstellationen abschließend - und wie zu erwarten ohne Nennung der Untätigkeitsbeschwerde - auf; eine erweiternde Auslegung erscheint dogmatisch nicht zulässig. Außerdem wäre ein zweistufiges Beschwerdeverfahren zeitaufwendiger als das hergebrachte einstufige, was dem Sinn der Untätigkeitsbeschwerde, das Verfahren möglichst umgehend voranzubringen und weitere Zeitverluste zu vermeiden, evident zuwiderlaufen würde. Zwar kann über die Zulassung der Beschwerde und die Beschwerde selbst in einem Arbeitsgang entschieden werden,74 doch ist nicht gesagt, daß das Oberverwaltungsgericht dies auch tatsächlich tut. Rechtlich dazu verpflichtet ist es jedenfalls nicht.

b) Beschwerdeverfahren

außerhalb des Instanzenzuges

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aa) Verfassungsbeschwerde Sofern man eine Untätigkeitsbeschwerde zum Rechtsmittelgericht nicht anerkennt, stellt sich die Frage, ob der Kläger außerhalb des fachgerichtlichen Instanzenzugs Rechtsschutzmöglichkeiten besitzt. Und auch bei grundsätzlicher Aner72 Wie hier Meyer-Ladewig, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Vorbem. § 124 Rn. 36; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 82, 182. Für Fristvorgabe Happ, in: Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 13; ebenso die Ausgestaltung des „Fristsetzungsantrags" nach § 91 des österreichischen GOG. 73 Dafür Ziekow, JZ 1998, 949; ders., DÖV 1998, 941, 948 f., in Bezug auf überlange Verfahrensdauer im PKH-Verfahren. 74 Kopp/Schenke, VwGO, § 146 Rn. 15c; Ziekow, JZ 1998,949, jeweils m.w.N.

75 Richteranklage gem. Art. 98 Abs. 2 GG und Strafanzeige wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) kommen nur in ganz extremen Fällen in Betracht und wirken sich zudem im konkreten Verfahren nicht beschleunigend aus. Sie werden daher im folgenden nicht behandelt. Zu ihnen s. etwa Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 99 f., 101 ff.

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C. Realisierung des Anspruchs

kennung der Untätigkeitsbeschwerde taucht diese Frage in bestimmten Konstellationen auf, nämlich dann, wenn das Beschwerdegericht (zu Recht oder zu Unrecht) eine zurechenbare Verfahrensverzögerung verneint oder wenn es um Verzögerungen in der letzten fachgerichtlichen Instanz geht. Auch in solchen Fällen ist der Kläger nicht rechtsschutzlos. Er hat zunächst die Möglichkeit, gestützt auf Art. 19 Abs. 4 GG Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einzulegen.76 Zulässiger Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist jeder Akt der öffentlichen Gewalt und damit auch ein bloßes Unterlassen oder eine (sich verzögernd auswirkende) gerichtliche Entscheidung im laufenden fachgerichtlichen Verfahren. 77 Allerdings kann das BVerfG - anders als das Rechtsmittelgericht - nicht direkt in das laufende Verfahren mit Weisungen eingreifen, sondern den Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG lediglich feststellen. 78 Doch bereits mit der bloßen Feststellung eines Verstoßes kann der Kläger die berechtigte Hoffnung verbinden, daß der Prozeß vor dem Fachgericht nun zügiger vorankommt.79 - Voraussetzung für eine zulässige Verfassungsbeschwerde ist stets, daß die Verfahrensdauer in irgendeiner Form bereits vor den Fachgerichten gerügt worden ist. 80 Relativierend muß darauf hingewiesen werden, daß insbesondere wegen § 93a BVerfGG die Erfolgsaussichten einer solchen Verfassungsbeschwerde i.d.R. gering sind; außerdem kann das BVerfG nur bereits erfolgte Verstöße und nicht unmittelbar bevorstehende Verstöße ahnden. Ferner ist nicht zu verkennen, daß die Verfassungsbeschwerde hier in nicht sonderlich systemgerechter Weise dazu benutzt wird, auf laufende fachgerichtliche Verfahren Einfluß zu nehmen. Aus diesen Gründen würde es fehlgehen, die Statthaftigkeit der innerprozessualen Untätigkeitsbeschwerde mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfas76 Vgl. insbes. Hummer, Justizgewährung, S. 178 ff.; H H. Klein, JZ 1963, 591, 592 f.; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 141 ff.; s. a. Kloepfer, JZ 1979, 209, 215; Sangmeister, NJW 1998, 2952, 2953. Wenn das Landesverfassungsrecht eine Art. 19 Abs. 4 GG gleichwertige Garantie enthält und eine Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht vorsieht, kann auch dort Verfassungsbeschwerde eingelegt werden, Anwendungsfall: Berliner VerfGH, Beschl. v. 17.6. 1996, JR 1997,100 f. 77 So auch Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 141 f. 78 § 95 Abs. 1 BVerfGG. Vgl. a. H. H Klein, JZ 1963, 591, 592; BVerfG, Kammerbeschi, v. 6. 5. 1997, NJW 1997, 2811, 2812. In Ermangelung einer fachgerichtlichen Entscheidung kommt deren Aufhebung gem. § 95 Abs. 2 BVerfGG nicht in Betracht. Klein, a. a. Ο., ihm folgend Hummer, Justizgewährung, S. 182; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 143 f., befürwortet in geeigneten Fällen eine Analogie zu § 95 Abs. 2 BVerfGG dergestalt, daß das BVerfG den Rechtsstreit auch einem anderen Gericht zu Behandlung und Entscheidung überweisen kann. 79 Manchmal hat bereits die Einlegung der Verfassungsbeschwerde die Wirkung, daß das Ausgangsverfahren schlagartig mit größter Beschleunigung betrieben wird, vgl. den Fallbericht bei Kirchhof, FS Doehring, S. 439,450; s. a. Priebe, FS v. Simson, S. 287, 297. so BVerfG, Kammerbeschi. v. 7. 1. 1992, NJW 1992, 1497 f.; Sangmeister, NJW 1998, 2952,2953.

I. Präventive Instrumente

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sungsbeschwerde abzulehnen.81 Günstiger als die Untätigkeitsbeschwerde ist die Verfassungsbeschwerde nur insoweit, als mit ihr auch die allgemeine Arbeitsüberlastung der jeweils betroffenen Fachgerichtsbarkeit gerügt werden kann, weil nicht das Tun oder Unterlassen eines konkreten Richters, sondern der „öffentlichen Gewalt" als solcher (Richterschaft, Justizverwaltung, Gesetzgeber) zur Debatte steht und das Überlastungsargument im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG ohne Belang ist. 82 Das BVerfG hat sich in jüngster Zeit mehrfach mit Verfassungsbeschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer zu beschäftigen gehabt, wobei ζ. T. noch schwebende, ζ. T. auch bereits abgeschlossene Verfahren zur Diskussion standen. Die meisten Fälle sind nicht zur Entscheidung angenommen worden;83 in einigen wenigen Fällen hat das BVerfG die Beschwerden jedoch für begründet gehalten. Erstaunlicherweise betraf keiner dieser Fälle die Verwaltungs- oder Finanzgerichtsbarkeit, 84 obgleich dort die Verfahren durchschnittlich am längsten dauern.

bb) Individualbeschwerde gem. Art. 34 EMRK Wenn die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, bleibt nur eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, gestützt auf die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Gleiches gilt für die Fälle, in denen es - auch das kommt vor - um Verfahrensverzögerungen durch das BVerfG selbst geht.85 Das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung (Art. 35 EMRK) steht einer Beschwerdeerhebung während des laufenden innerstaatlichen Gerichtsverfahrens nicht entgegen, weil der Konventionsverstoß gerade durch das schwebende Verfahren begründet wird, sonstige innerstaatliche Abhilfemöglichkeiten nicht bestehen und ein Abwarten die Schwere des Verstoßes noch erhöhen würde. 86

81

Dahingehend aber etwa Hummer, Justizgewährung, S. 178 ff.; H. H Klein, JZ 1963, 591, 592 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 263. 82 S. o. S. 29 f. 83 Vgl. z. B. BVerfG, Kammerbeschl. v. 7. 3. 1997, NStZ 1997, 591; Kammerbeschl. v. 14. 7. 1994, NJW 1995, 1277; Kammerbeschl. v. 7. 1. 1992, NJW 1992, 1497 f.; Kammerbeschl. v. 9. 12. 1991, NJW 1992, 1498 f.; Vorprüfungsausschuß, Beschl. v. 24. 11. 1983, NJW 1984, 967 f.; Vorprüfungsausschuß, 29. 4. 1981, EuGRZ 1982, 75 f. 84 BVerfG, Kammerbeschl. v. 6. 5. 1997, NJW 1997, 2811 f. (überlange Verfahrensdauer vor dem Vormundschaftsgericht); Kammerbeschl. v. 28. 7. 1993, NJW 1994, 1853 f. (überlange Dauer eines PKH-Verfahrens vor der Zivilgerichtsbarkeit); Kammerbeschl. v. 19. 4. 1993, NJW 1993, 3254 ff. (überlange Dauer eines Strafverfahrens); Kammerbeschl. v. 19. 3. 1992, NJW 1992,2472 f. (überlange Dauer eines OWi-Verfahrens). « Süßmann ./. Deutschland, 16. 9. 1996 (Große Kammer), EuGRZ 1996,514; Probstmeier ./. Deutschland, 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809; Pammel./. Deutschland, 1. 7. 1997. 86 Matscher, FS Fasching, S. 351, 367, m.w.N.

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C. Realisierung des Anspruchs

Der EGMR wird außerordentlich häufig mit derartigen Beschwerden gegen überlange, noch nicht abgeschlossene Verfahren befaßt und hat bereits in zahlreichen Fällen einen Konventionsverstoß festgestellt, auch bei Beschwerden, die sich gegen Deutschland richteten.87 Seinerzeit großes Aufsehen erregte der Fall König, in dem es um die Entziehung einer ärztlichen Approbation und der Erlaubnis zum Betrieb einer Privatklinik ging und das von König gegen die entsprechenden Behördenmaßnahmen angestrengte verwaltungsgerichtliche Verfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs bereits über 10 Jahre gedauert hatte und immer noch vor der Berufungsinstanz anhängig war. 88 Wie das BVerfG ist der EGMR - vorbehaltlich des Zuspruchs eines Entschädigung89 - auf die bloße Feststellung des Verstoßes beschränkt. I. ü. ist das Verfahren vor den Straßburger Organen subsidiär zu innerstaatlichen Rechtsmitteln; die dort vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten müssen also ausgeschöpft sein, bevor in Straßburg Klage erhoben werden kann.90

II· Sanktionierung und Kompensation eines Verstoßes Überlange Verfahrensdauer stellt sich systematisch als Verfahrensfehler dar, 91 denn die aufgrund überlanger Verfahrensdauer schließlich ergangene gerichtliche Entscheidung ist in einem Verfahren getroffen worden, das anders als rechtlich vorgeschrieben verlaufen ist. Ein solcher Verstoß muß, wie häufig bei Verfahrensfehlern, nicht unbedingt negativ auf die materiell-rechtliche Ebene durchschlagen; 87 Insgesamt 6 Verurteilungen: König, 28. 6. 1978, Reihe A Nr. 27; Eckle, 15. 7. 1982, Reihe A Nr. 51, EuGRZ 1983, 371 (mehr als 17jährige Dauer eines Strafverfahrens, Ρ riebe, FS v. Simson, S. 287, 291: Fall aus dem „Gruselkabinett der Wirtschaftsstrafjustiz"); Deumeland, 29. 5. 1986, Reihe A, Nr. 100, EuGRZ 1988, 20 (sozialgerichtliches Verfahren, Dauer: mehr als 10 Jahre); Bock, 29. 3. 1989, Reihe A, Nr. 150 (mehr als neunjähriges Ehescheidungsverfahren), Probstmeier, 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809; Pammel, 1. 7. 1997 (überlange Verfahrensdauer vor dem BVerfG). 88 Die Entscheidung erging durch das Plenum des Gerichtshofs und wurde mit 15 Stimmen bei einer Gegenstimme getroffen. Diese Verurteilung wurde deshalb als besonders schmerzlich empfunden, weil sie die erste Verurteilung wegen überlanger Verfahrensdauer überhaupt war, es also ausgerechnet den rechtsstaatlichen „Musterschüler" Deutschland getroffen hatte! 89 S. u. S. 68 ff. 90 Vgl. Art. 35 EMRK. Zu den auszuschöpfenden innerstaatlichen Rechtsbehelfen gehört dementsprechend auch die Verfassungsbeschwerde, vgl. Schaupp-Haag, Die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges nach Art. 26 EMRK und das deutsche Recht, 1987, S. 85 ff.; Wilfinger, Effektiver Rechtsschutz, S. 152 f. 91 Ziekow, JZ 1998, 947, 949; BVerfG, Kammerbeschi. v. 7. 1. 1992, NJW 1992, 1497, 1498.

II. Sanktionierung und Kompensation

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möglicherweise ist die nach langer Zeit ergangene Entscheidung sogar inhaltlich besonders gelungen - wobei aber durchaus auch Fälle denkbar sind, in denen sich „Richtigkeit" der Entscheidung und Kürze des Verfahrens proportional zueinander verhalten, die verspätete Entscheidung also (möglicherweise) auch eine unrichtige Entscheidung ist. 92 Überlange Verfahrensdauer ist zugleich eine ganz besondere Form des Verfahrensfehlers: Während die meisten sonstigen Verfahrensmängel nachträglich geheilt werden können, sei es durch fehlerfreie Wiederholung, sei es durch erstmalige Vornahme der unterbliebenen Handlung, ist dies bei überlanger Verfahrensdauer nicht möglich. Die verstrichene Zeit ist unwiederbringlich; eine Wiederholung des Verfahrens unter Einhaltung der angemessenen Frist zu fordern, wäre schlicht abwegig. Auch das Recht kann die physikalische Tatsache nicht ignorieren, daß es unmöglich ist, die Uhren zurückzudrehen und ein zweites Mal bei Null zu beginnen. Die Verfahrenswiederholung hätte die alleinige Konsequenz, daß sich der Zeitaufwand weiter erhöhen würde. 93 Die genannten Eigentümlichkeiten erschweren die Sanktionierung eines Verstosses gegen das Gebot zeitgerechten Rechtsschutzes erheblich. Soll das verfassungsrechtliche Gebot in der Praxis aber nicht verpuffen, so darf eine Verletzung nicht ohne spürbare Rechtsfolgen bleiben. Diese müssen zum einen so beschaffen sein, daß von ihnen ein gewisser edukativer Effekt für künftige Verfahren ausgeht; sie müssen zum anderen geeignet sein, die in concreto vom Kläger erfahrenen Belastungen zu kompensieren. Die bloße Feststellung der Verfassungs- oder Konventionswidrigkeit, wie sie BVerfG bzw. EGMR aussprechen, mag in Bezug auf schwebende Verfahren wirkungsvoll sein, dort im weiteren Verlauf zu einer Beschleunigung beitragen und so auch zusätzliche zeitbezogene Einbußen des Klägers vermeiden. Stehen dagegen abgeschlossene Verfahren zur Diskussion, hat das Feststellungsurteil Wirkungen allenfalls für künftige Verfahren, weil sich das gemaßregelte Fachgericht weitere Verurteilungen ersparen will. Für den Kläger hat es aber keine unmittelbaren positiven Effekte, insbesondere bleibt die Frage nach einem Ausgleich erlittener Schäden offen. Überlange Verfahrensdauer kann theoretisch Sanktionen auf zwei verschiedenen Ebenen nach sich ziehen. Zum einen wäre denkbar, daß dem Verfassungsverstoß 92 S. bereits oben S. 32. 93 Darum ist der bisweilen unterbreitete Vorschlag, überlange Verfahrensdauer als Revisions- und/oder Wiederaufnahmegrund anzuerkennen (dahingehend BVerfG, Kammerbeschl. v. 7. 1. 1992, NJW 1992, 1497 f., für Revision), was i.d.R. eben gerade zum Wiederaufrollen des Verfahrens führen würde, verfehlt (ablehnend bzgl. Revision auch BFH, Beschl. v. 13. 9. 1991, NJW 1992, 1526 f.; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 76; Stökker, DStZ 1989, 367, 371). I. ü. fordern die einschlägigen Vorschriften für die Revision (vgl. §§ 132 Abs. 2 Ziff. 3, 137 Abs. 1 VwGO), daß die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht oder zumindest beruhen kann, was für überlange Verfahrensdauer i.d.R. zweifelhaft ist (ebenso BFH, a. a. O.; Grunsky, RdA 1974,201,204), und die in §§ 579, 580 ZPO i. V. m. § 153 VwGO abschließend aufgezählten Wiederaufnahmegründe passen sämtlichst nicht.

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dergestalt direkte Auswirkungen auf die materiell-rechtliche Ebene beigemessen werden, daß der Rechtsstreit o. w. zugunsten des Klägers entschieden wird. Das Ausgangsgericht, bzw. nach Abschluß einer Instanz das Rechtsmittelgericht und vielleicht auch das BVerfG, hätten also automatisch im Sinne des Klägers zu entscheiden, wenn die in concreto zulässige Verfahrensdauer überschritten wäre (dazu u. 1.). Zum zweiten wäre, kumulativ oder alternativ, denkbar, dem durch den übermäßig langen Prozeß belasteten Kläger einen auf Geld gerichteten Sekundäranspruch auf Ersatz der von ihm erlittenen materiellen, möglicherweise auch immateriellen Schäden zu gewähren (u. 2.).

1. Unmittelbare Relevanz überlanger Verfahrensdauer für den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung? Für das Strafverfahren ist unstreitig, daß die überlange Verfahrensdauer, die gerade in diesem Bereich häufig erhebliche Belastungen für den Betroffenen mit sich bringt, Konsequenzen auch für den Inhalt der Entscheidung haben muß. Die durch die Überlänge hervorgerufenen zusätzlichen Belastungen des Beschuldigten werden strafmildernd berücksichtigt; in Extremfällen wird sogar von einer Bestrafung abgesehen und das Verfahren eingestellt.94 Auch im Hinblick auf den Finanzprozeß erwägen einige Autoren und Gerichte, die Überschreitung der zulässigen Verfahrensdauer durch die Verwirkung des staatlichen Steueranspruchs mit materiellrechtlichen Sanktionen zu belegen.95 Im Bereich des Strafrechts liegt es in der Tat nahe, die überlange Verfahrensdauer auf das Verfahrensergebnis durchschlagen zu lassen. Der Angeklagte soll für die ihm vorgeworfene Tat - sofern er sie tatsächlich begangen hat - durch die Zufügung eines Strafübels zur Rechenschaft gezogen werden. Sofern das Strafverfahren durch seine besondere Länge bereits per se eine strafähnliche Sanktionswirkung für den Angeklagten hat, spricht sehr viel dafür, das eine auf das andere Übel gewissermaßen „anzurechnen".96 Dieser Gedanke greift freilich dann ins Leere, wenn sich der Angeklagte als unschuldig erweist und freigesprochen wird; dann 94

Vgl. dazu i. e., mit zahlreichen weiteren Nachweisen, Imme Roxin, Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege, 2. Aufl. 1995, S. 45 ff., 144 ff., 216 ff.; Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren, 1991, passim. Aus der Rspr. vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 21. 12. 1998, NJW 1999, 1198 f. 95 Dafür mit Nachdruck Koepsell/Fischer-Tobies, Verfassungsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer vor den Steuergerichten - Tatbestand und Rechtsfolge, DB 1992, 1370, 1373; wohl auch Wagner, Überlange Verfahrensdauer - Zu den „Mißverständnissen" in der Rechtsprechung des BFH, DStR 19%, 1273, 1274; dies als Möglichkeit immerhin andeutend BVerfG, Kammerbeschi. v. 7. 1. 1992, NJW 1992, 1497, 1498; BFH, Urt. v. 3. 12. 1993, NJW 1994, 2828; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV, Rn. 83. Dezidiert ablehnend BFH, Beschl. v. 13. 9. 1991, NJW 1992,1526, 1527 f. 96

Vgl. i. e. I. Roxin, Schwerwiegende Rechtsstaatsverstöße, S. 218 ff., m.w.N.

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muß auch in diesem Bereich auf die unten näher geschilderten Mechanismen rekurriert werden. Eine derart enge Wirkungsbeziehung zwischen Verfahrensverzögerung und materiellem Entscheidungsinhalt besteht in anderen Rechtsgebieten nicht. Die Frage etwa, ob dem Kläger die vor dem Verwaltungsgericht eingeklagte Genehmigung zu erteilen ist oder nicht, liegt - unverändert bleibende Sach- und Rechtslage vorausgesetzt - auf einer völlig anderen Ebene als die Frage nach der Verfahrensdauer und den daraus resultierenden Belastungen des Klägers. Hat der Kläger keinen Anspruch auf Genehmigungserteilung, so ändert sich daran auch nach Ablauf von zehn oder zwanzig Jahren überhaupt nichts. Gleiches gilt für die Frage, ob der Kläger die bestrittene Steuerforderung zu zahlen hat oder nicht. In solchen und ähnlichen Fällen Verfahrensverzögerungen automatisch die Wirkung beizumessen, daß im Sinne des Klägers zu entscheiden ist, wäre materiell-rechtlich auch nicht ansatzweise begründbar und liefe auf eine bloße Fiktion hinaus.97 Ein zweifellos wichtiges, aber doch primär /orme/Z-rechtsstaatliches Verfahrensgebot würde auf diese Weise die materiell-Tcchtsstàatìichc Gerechtigkeitsidee überlagern. Das materielle Recht würde Geltungsanspruch und Durchsetzungskraft nach einer längeren Schwebezeit aus rein verfahrensmäßigen Gründen völlig verlieren. Man könnte versucht sein, eine solche Konstruktion mit dem Hinweis zu rechtfertigen, daß pflichtwidrige Verfahrensverzögerungen sonst überhaupt nicht wirksam sanktioniert werden könnten und kaum Anreiz für die Gerichte bestände, sich um eine zügige Verfahrensgestaltung zu bemühen. Dieser Gesichtspunkt kann aber aus zwei Gründen nicht überzeugen. Zum einen bestehen, wie sogleich zu zeigen ist, auf der Sekundärebene durchaus gewisse Sanktionsmöglichkeiten, die zwar nicht immer greifen mögen und auch nicht derart einschneidend und direkt wirken wie Sanktionen auf der Primärebene, die aber beirichtiger Handhabung auch nicht ohne jeden Effekt sein dürften. Zum anderen gibt es gerade im Verwaltungsrecht zahlreiche Konstellationen, in denen mit derartigen Fiktionsmustern schon deshalb nicht gearbeitet werden kann, weil die von ihnen für den Kläger ausgehende positive Wirkung als Kehrseite eine entsprechende Belastung Dritter nach sich ziehen würde. Das läßt sich wiederum am Beispiel der Baugenehmigung deutlich machen. Hätte die verzögerte Entscheidung über die Verpflichtungsklage des Bauwilligen zur Konsequenz, daß diesem spätestens im Rechtsmittelverfahren oder vor dem BVerfG die begehrte Genehmigung ohne weitere Sachprüfung, also ohne Rücksicht auf das materielle Recht und insbesondere evtl. entgegenstehende Belange des Nachbarn erteilt werden müßte, so wären dem Nachbarn damit unversehens seine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte entzogen. Es ist ganz offensichtlich, daß dies unter keinen Umständen hinnehmbar ist. Würde man zur Vermeidung dessen dem Nachbarn weiterhin eine

97 Ablehnend auch BVerwG, Urt. v. 18. 10. 1990, NJW 1991, 1370, 1371, allerdings beiläufig und ohne Begründung.

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C. Realisierung des Anspruchs

Klagemöglichkeit zugestehen, so wäre überhaupt nichts gewonnen, denn dasselbe Verfahren würde unter anderen Vorzeichen und mit zusätzlichem Zeitverlust weitergeführt, ohne daß die Fiktion der Baugenehmigung irgendeine dauerhafte Klärung herbeigeführt hätte. Entsprechende Probleme würden in allen sonstigen Fällen mit Drittbeteiligung auftauchen, etwa bei Konkurrentenklagen, und i. ü. fast immer auch im Rahmen von zivilrechtlichen Streitigkeiten. Nach alledem wird man ein Durchschlagen überlanger Verfahrensdauer auf den Inhalt der Entscheidung nur in besonders gelagerten Fällen der Verzögerung bejahen können, etwa dann, wenn - bei Fehlen jeder Drittbeteiligung - durch den Zeitablauf ein Verlust von Beweismitteln eingetreten ist und der Kläger materiell beweispflichtig ist. Hier erscheint es akzeptabel, die Verfahrensverzögerung als beweislastumkehrenden Umstand zu werten und eine Entscheidung im Sinne des Klägers zu treffen. 98 2. Anspruch auf Entschädigung Kann ein Verstoß gegen das Gebot einer Entscheidung in angemessener Frist auf der Primärebene in aller Regel keine Berücksichtigung finden, so gewinnt die Entschädigungsebene besondere Bedeutung. Verfahrensverzögerungen können auf die verschiedenste Weise schadensrechtlich relevant werden. So kann es, auch im Verwaltungsprozeß, zu Zinsverlusten kommen, etwa weil vom Staat eingeklagte und letztlich auch zugesprochene Geldbeträge während des schwebenden Prozesses nicht angelegt werden konnten99 und diese Schäden als gewöhnliche Verzugsschäden nicht ersetzbar sind. 100 Bei Fällen mit gewerblichem oder berufsbezogenem Hintergrund kann entgangener Gewinn oder Verdienstausfall in beträchtlicher Höhe auflaufen, etwa, wenn erst nach langer Zeit die begehrte Standortgenehmigung für eine Industrieanlage ausgeurteilt bzw. der Entzug einer Berufszulassung rückgängig gemacht wird, oder das Pachtverhältnis an einem Grundstück für aufgehoben erklärt wird, das erst jetzt neu (und mit höherem Zins) verpachtet werden kann. 101 Denkbar ist ferner, daß im Laufe 98 Dafür auch Stöcker, DStZ 1989, 367, 379 (auf den Gesichtspunkt der Beweisvereitelung abstellend). 99 Als Bsp. s. BGH, Beschl. v. 5. 2. 1998, NJW 1998,2288 f. 100

Klagt der Bürger vor dem Verwaltungsgericht Geld vom Staat ein, so kann er Zinsschäden nicht bereits im Ausgangsverfahren, gestützt auf § 288 Abs. 2 BGB, verlangen, weil diese Vorschrift (anders als § 291 BGB) nach überwiegender Meinung im Öffentlichen Recht nicht, auch nicht analog gilt, vgl., mit Nachweisen, Cybulka, Verzugs- und Prozeßzinsen im Verwaltungsprozeß, NVwZ 1983, 125 ff.; Zimmerling/Jung, Die Verzinsung öffentlichrechtlicher Geldforderungen, DÖV 1987, 94 ff.; krit. Wolff, Zinsen im öffentlichen Recht, DÖV 1998, 872, 873 ff. Anders liegen die Dinge nur für Forderungen aus verwaltungsrechtlichen Verträgen, § 62 S. 2 BGB i. V. m. § 288 Abs. 2 BGB. 101 Anwendungsfall für letzteres: Urteil Probstmeier ./. Deutschland des EGMR v. 1.7. 1997, NJW 1997, 2809 f.

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der Zeit erhebliche Wertverluste an dem streitbefangenen Gegenstand eintreten, etwa bei Grundstücken durch Konjunkturschwankungen oder Veränderungen der planungsrechtlichen Situation, oder bei Geldforderungen wegen hoher Inflationsrate. 1 0 2 Vereinzelt mögen die mit der Verfahrensverschleppung verbundenen Belastungen auch Gesundheitsschäden verursachen. SchließlichrichtenVerfahrensverzögerungen fast immer „immaterielle" Schäden an, zumeist in der Weise, daß die Betroffenen lange Zeit in einem Zustand erheblicher Unsicherheit gehalten werden, der umso schwerer zu ertragen ist, je größer die konkrete Bedeutung der Streitsache; manchmal vielleicht auch dergestalt, daß eine ständige negative Berichterstattung in den Medien das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.

a) Entschädigungsklage vor innerstaatlichen insbes. Amtshaftungsklage

Instanzen,

Zum Ausgleich der aufgezählten Schäden kommt als erstes eine auf § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG gestützte Amtshaftungsklage vor den innerstaatlichen Gerichten in Betracht. Daß damit ein weiteres, zusätzliche Zeit in Anspruch nehmendes Gerichtsverfahren eröffnet werden muß, nachdem bereits das Ausgangsverfahren unangemessen lang gedauert hat, mag grotesk erscheinen, zumal auch hier die Gefahr von Verzögerungen zumindest prima facie nicht ausgeschlossen werden kann - aber andere Möglichkeiten sind nicht ersichtlich. Für den Erfolg der Klage bedarf es der Überwindung mehrerer Problembereiche. 103 aa) Schuldhafte Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht Der Tatbestand der Amtshaftung ist am ehesten zu bejahen, wenn die Verzögerung des Ausgangsverfahrens darauf beruht, daß dieses durch den konkret damit befaßten Richter nachlässig betrieben wurde und o. w. schneller hätte erledigt werden können. 102 Soweit durch die Verzögerungen zusätzliche Prozeßkosten entstehen, sind diese vom Grundsatz her schadensrechtlich allerdings ohne Bedeutung, weil sie gem. § 8 GKG niedergeschlagen werden können. Freilich sind die Gerichte mit der Anwendung dieser Vorschrift sehr zurückhaltend und fordern insbesondere eine offensichtlich unrichtige Sachbehandlung, vgl. i. e. Baur, FS Schwab, S. 53, 58 f., Blomeyer, NJW 1977, 557, 558, Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 130 ff.; Scheffler, Überlange Dauer, S. 265, jeweils m.w.N. Deshalb dürften zumindest solche zusätzlichen Kosten, die durch überlastungsbedingte Verfahrensverzögerungen bewirkt werden, nicht unter § 8 GKG fallen. 103 In Literatur und Rechtsprechung wird zwar häufig darauf hingewiesen, daß überlange Verfahrensdauer Amtshaftungsansprüche auslösen könne; eine gründliche Behandlung der vielschichtigen Problematik steht aber bislang noch aus. Etwas ausführlicher lediglich Blomeyer, NJW 1977, 557 ff. (für den Zivilprozeß) und Scheffler, Überlange Dauer, S. 263 ff. (für den Strafprozeß).

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C. Realisierung des Anspruchs

Die zügige Verfahrensführung und Entscheidung ist Amtspflicht jedes Richters. Das wird durch die Regelung in § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB ausdrücklich klargestellt und ließe sich auch aus einer Gesamtschau einzelner Vorschriften der jeweils einschlägigen Prozeßordnung ableiten;104 es folgt aber bereits zwingend aus dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutzes. Die Pflicht obliegt dem Richter auch und gerade im Interesse des Bürgers, dessen einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Ansprüche durch die zügige Abwicklung des Rechtsstreits möglichst umgehend verwirklicht werden sollen. Sie ist also evidentermaßen drittbezogen.105 Um eine Amtspflichtverletzung des untätigen oder verfahrensverschleppend agierenden Richters zu bejahen, ist nicht der Nachweis erforderlich, daß gegen eine konkrete, der Verfahrensbeschleunigung dienende Vorschrift des jeweils einschlägigen Prozeßgesetzes verstoßen worden ist. 106 Der Hinweis auf die „Pflichtwidrigkeit" in § 839 Abs. 2 S. 2 BGB besitzt keine dahingehende eigenständige Bedeutung; der Amtspflichtverstoß liegt vielmehr unmittelbar in der „Verweigerung" oder „Verzögerung" der Entscheidung.107 Der in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB statuierte weitgehende Ausschluß der Staatshaftung für Richter (sog. Spruchrichterprivileg) tritt in Fällen überlanger Verfahrensdauer nicht ein, wie Satz 2 der Vorschrift ebenfalls klarstellt. Das ist eine sachgerechte Regelung,108 denn der Zweck des Spruchrichterprivilegs, eine Quasi-Anfechtung rechtskräftiger Urteile durch den Regreß-Prozeß zu vermeiden,109 greift 104 Vgl., für das Zivilrecht, Blomeyer, NJW 1977, 557,558. 10

5 Zum Vorstehenden etwa Blomeyer, NJW 1977, 557, 558 f.; Häsemeyer, FS Michaelis, S. 134, 139; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 113. Α. A. noch RG, Urt. v. 21. 7. 1937, RGZ 155, 219, 223 (Amtspflicht, die nur im Allgemeininteresse besteht). - Dasselbe Ergebnis läßt sich erzielen, wenn man, unter Bezugnahme auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 6 Abs. 1 EMRK, auf die Amtspflicht, keine deliktische Handlung zu begehen, abstellt (dafür Kühne, Anmerkung, EuGRZ 1983, 383; dies erwägend auch Scheffler, Überlange Dauer, S. 264), ein Weg, der allerdings insofern problematisch ist, als der Schutzgesetz-Charakter des Art. 6 EM KR wohl näherer Begründung bedürfte. 106 Dies fordernd aber Grunsky, RdA 1974, 201, 204; wohl auch Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 113 ff. 107 Daß das Merkmal „pflichtwidrig" in § 839 Abs. 2 S. 2 BGB redundant ist, wird schon daraus ersichtlich, daß es eine pflichtgemäße Verweigerung oder Verzögerung der richterlichen Amtsausübung schwerlich geben kann! 108 Ebenso Hagen, „Unrichtige Sachbehandlung" im Prozeß und Prozeßkostenrisiko, NJW 1970,1017,1022. 109

Vgl. Andresen, Grenzen des Spruchrichterprivilegs, Diss. Kiel 1977, S. 26 ff.; Blomeyer, NJW 1977, 557, 560; Merten, Zum Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB, FS Wengler II, 1973, 519, 524 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 101 f.; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 108 ff.; Papier, in: MünchKomm, BGB, Bd. 5, 1997, § 839 Rn. 318 f. Α. A. (Sicherung der Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Richter als alleiniger oder zumindest primärer Zweck) Coeppicus, Spruchrichterprivileg bei Anordnung einer Betreuung? NJW 1996, 1947, 1948 f.; Grunsky, Zur Haftung für richterliche Amtspflichtverletzungen, FS Raiser, 1974, S. 141, 151 ff.; Smid, Zum prozeßrechtlichen Grund des Haftungsausschlusses nach § 839 Abs. 2 S. 1 BGB, Jura 1990, 225, 226 ff. Die

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in diesen Fällen nicht. Das gilt sowohl für das schlichte wie für das „qualifizierte" Nichtstun (Anordnung überflüssiger Maßnahmen).110 Zur Debatte steht eben nicht das schließlich ergangene Urteil, sondern allein der Weg dorthin. Daß ggf. vorgenommene verzögernde Handlungen (Beweiserhebungen, Terminierungen etc.) in einem gewissen, möglicherweise auch inhaltlichen Zusammenhang mit dem Urteil stehen, muß jedenfalls im Bereich des § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB unerheblich sein,111 weil die Vorschrift sonst mehr oder minder leer liefe. Bisweilen wird die Meinung vertreten, die bloß fahrlässige Prozeßverschleppung sei von § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht erfaßt; gefordert sei vielmehr ein bewußter, mit dolus directus begangener Pflichtverstoß. 112 Diese minimalistische, die Vorschrift zur Bedeutungslosigkeit verurteilende Auslegung113 ist abzulehnen. Sie findet im Wortlaut keine Stütze und ist auch systematisch zweifelhaft, weil sie die in Satz 1 festgelegte Privilegierung des Spruchrichters fortschreibt, die Satz 2 für die dort genannten Fälle gerade nicht angeordnet wissen wollte. Es genügt also eine fahrlässige Verfahrensverzögerung, um Amtshaftungsansprüche auszulösen. Hinzuweisen bleibt darauf, daß aus § 839 Abs. 3 BGB eine Pflicht der betroffenen Prozeßpartei folgt, bereits im Hauptverfahren die drohende Verfahrensverschleppung unmißverständlich zu rügen, wobei eine formlose Gegenvorstellung ausreichend erscheint. Angesichts der Unklarheiten darüber, ob und in welchem Umfang eine förmliche Beschwerde zum Rechtsmittelgericht zulässig und erfolgversprechend ist, 114 wird man deren Einlegung (noch) nicht für erforderlich halten dürfen. Nach h. M. muß allerdings zumindest eine Dienstaufsichtsbeschwerde an die Justizverwaltung erhoben werden. 115 Im Falle einer dem Richter zurechenbaren Verfahrensverzögerung läßt sich somit der Tatbestand der Amtshaftung trotz der Regelung in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB und trotz zusätzlichen literarischen Störfeuers i.d.R. bejahen. Weitaus problematischer wird es, wenn die Verzögerung auf allgemeiner Überlastung des jeweiligen Gerichts oder gar der gesamten Gerichtsbarkeit beruht. Die Überlastung der Justiz schließt zwar wie dargelegt einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG nicht aus, weil die Vorschrift den Staat verpflichtet, der Geletztgenannte Meinung muß sich mit § 839 Abs. 2 S. 2 BGB schwer tun, weil auch eine bei Prozeßverzögerung eintretende Staatshaftung Druck auf die Richter auszuüben geeignet ist. 110 Α. A. Scheffler, Überlange Dauer, S. 264, m.w.N., mit der Behauptung, im letztgenannten Fall läge,Amtsausübung" i. S. des § 839 Abs. 2 Satz 1 vor. 111 Α. A. aber wohl Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 113 ff. Π2 Dahingehend Grunsky, RdA 1974, 201, 204; Scheffler, Überlange Dauer, S. 264, auf der Grundlage der (insoweit allerdings nicht eindeutigen) Entscheidung BGH, 19. 11. 1956, LM Nr. 5 zu § 839 BGB (G). 113 Vollkommen ZZP 81 (1968), 102, 132. 114 S. o. I.2.a). 115 Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 128 f.; Thomas, in: Palandt, BGB, § 839 Rn. 73, mit Nachw. aus der Rspr. Hiergegen zu Recht Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 25 Rn. 32. 5 Schiette

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richtsbarkeit die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen,116 doch ist eine Amtspflichtverletzung der konkret entscheidenden Richter, die die Geschäftsüberhänge nicht zu verantworten haben und möglicherweise bereits seit längerem am Rande ihrer persönlichen Kapazitätsgrenze arbeiten, schlechthin nicht zu begründen. 117 Das pflichtwidrige Handeln liegt hier auf einer höheren Ebene, nämlich bei der Justizverwaltung und/oder beim Gesetzgeber, welche es trotz entsprechender verfassungsrechtlicher Pflicht unterlassen haben, für eine Organisation und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, die eine Überlastung vermeidet oder jedenfalls innerhalb kürzester Zeit beseitigt. Soweit der (haushalts-)gesetzliche Rahmen der Justizverwaltung Spielraum für entsprechende Abhilfemaßnahmen gelassen hätte - was im Einzelfall freilich schwer zu beweisen sein dürfte - kann eine fahrlässige Amtspflichtverletzung aus dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens118 u. U. bejaht werden. 119 Äußerst schwierig wird es aber dann, wenn eine Verantwortung des Gesetzgebers auf dem Spiel steht. Dann gelangt man nämlich zum Problem der Haftung für legislatives Unrecht, 120 das bekanntlich von Rechtsprechung und h. M. in sehr restriktivem Sinne gelöst wird, wofür es auch nachvollziehbare Gründe gibt. 121 Amtshaftungsansprüche würden in diesem Falle von vorneherein ausscheiden. Ist in concreto eine schuldhafte Amtspflichtverletzung, etwa wegen Fehlverhalten eines Richters, zu bejahen, so ergeben sich weitere Schwierigkeiten auf der Rechtsfolgenseite. bb) Kausalität und Schaden Nicht selten stellen sich Kausalitätsprobleme, weil nicht genau zu klären ist, ob oder jedenfalls inwieweit die geltend gemachten Schäden nicht auch bei kürzerer Verfahrensdauer eingetreten wären. 122 Nur bisweilen läßt sich dies durch KausaΠ6 S. o. II.2.b). 117 Ebenso Blomeyer, NJW 1977, 557, 559; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 117 (die allerdings erst das Verschulden ausgeschlossen sehen wollen); Weber-Grellet, NJW 1990, 1777, 1778. ne Dazu etwa Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 24. 119 Dahingehend auch Blomeyer, NJW 1977, 557,559. 120 So auch Blomeyer, NJW 1977, 557, 559; Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 117. 121 Die Haftung scheitert spätestens am mangelnden Verschulden der einzelnen Abgeordneten, evtl. schon an der nicht vorhandenen Drittbezogenheit der Amtspflicht. U. U. läßt sich auch bereits die Existenz einer Amtspflicht ablehnen. Die komplizierte Problematik kann hier nicht i. e. aufgerollt werden, vgl. nur Detterbeck, Staatshaftung bei normativem Unrecht, JA 1991, 7, 10ff.; Fetzer, Die Haftung des Staates für legislatives Unrecht, 1994, passim; Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 51 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 103 ff., jeweils mit zahlr. w. Nachw. - Eine Haftung in Fällen der vorliegenden Art ohne weiteres bejahend aber Blomeyer, NJW 1977, 557, 560.

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litätsvermutungen oder dadurch entschärfen, daß noch eine weitere Amtspflichtverletzung angenommen werden kann, deren Kausalität zweifelsfrei ist. 123 Ebenso läßt sich die genaue Höhe des Schadens bisweilen kaum exakt bestimmen, sondern allenfalls „erahnen".124 Das gilt insbesondere dann, wenn entgangener Gewinn geltend gemacht wird. Hierüber kann u. U. eine Schadensschätzung (§ 287 ZPO i. V. m. § 173 VwGO) hinweghelfen. Häufig, und das ist das Hauptproblem in diesem Bereich, fehlt es aber überhaupt an jedem greifbaren materiellem „Justizverzögerungsschaden"125 und liegen lediglich immaterielle Beeinträchtigungen vor. Nun gelten §§ 253, 847 BGB, die eine Geldentschädigung für immaterielle Schäden gewähren, zwar durchaus für den Bereich der Amtshaftung, 126 und nach der erweiternden Auslegung dieser Vorschriften durch die Rechtsprechung können auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen einen Schmerzensgeldanspruch begründen. 127 Die fraglichen immateriellen Schäden werden sich indessen, vom strafjprozessualen Bereich abgesehen, nur ausnahmsweise als schmerzensgeldfähige Persönlichkeitsrechts- oder Gesundheitsverletzung darstellen.128 In den meisten Fällen geht es „nur" um die mehr oder weniger starken psychischen Belastungen durch die Schwebezeit, die einen Schmerzensgeldanspruch gem. §§ 253, 847 BGB nicht zu begründen vermögen. Zwischenergebnis: Eine Amtshaftungsklage ist nur in wenigen Fällen überlanger Verfahrensdauer erfolgversprechend, und zwar vor allem dann, wenn durch nachlässigerichterliche Prozeßführung klar identifizierbare und nachweisbare vermögensrechtliche Verzögerungsschäden entstanden sind. 129 Bei Verfahrensverzöge122 Vgl. a. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 549. 123 So kann, wenn eine zu Unrecht entzogene oder vorenthaltene Erlaubnis erst nach unangemessen langer Prozeßdauer (wieder) erteilt wird, eine Amtspflichtverletzung nicht nur in der Verfahrensdauer, sondern bereits in dem rechtsfehlerhaften Entzug bzw. Vorenthalten selbst gesehen werden, dessen Kausalität für den geltend gemachten Schaden außer Zweifel steht (vgl. BGH, Urt. v. 17. 3. 1994, NJW 1994, 3158; Urt. v. 21. 5. 1992, NJW 1992, 2218). Diesbezüglich wird es aber oft am Verschulden der handelnden Behörde fehlen. 124

So auch Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1994, S. 410. 125 Begriff von Hagen, NJW 1970,1017,1022. 126 Unstreitig, vgl. nur Maurer, Allgem. Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 44; Thomas, in: Palandt, BGB, § 839, Rn. 79. 127 Vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 253 Rn. 1; Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 847 Rn. 3, mit Nachw. 128 Beispiel: Das Verwaltungsgericht hat über den Entzug einer ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit zu entscheiden, und das von starkem Medieninteresse begleitete Verfahren wird unnötig langsam betrieben, so daß der Betroffene ständig im negativen Rampenlicht der Medien steht. 129 Veröffentlichte Entscheidungen, in denen für solche Fälle ein Schadensersatzanspruch zugesprochen worden wäre, existieren bislang nicht, was sicher nur ζ. T. darauf beruhen dürfte, daß solche Konstellationen selten sind. Vgl. in diesem Zusammenhang das Statement 5*

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rungen durch Überlastung wird ein Amtshaftungsanspruch demgegenüber kaum jemals zu realisieren sein. Auch Ansprüche aus Aufopferung oder enteignungsgleichem Eingriff kommen kaum jemals in Betracht. Sie scheiden i.d.R. schon deshalb aus, weil der notwendige Allgemeinwohlbezug des beanstandeten Handelns oder Unterlassens fehlt und es um nicht ersatzfähige bloße Vermögensschäden oder aber um immaterielle Schäden geht. In Erwägung zu ziehen ist der enteignungsgleiche Eingriff allenfalls bei Beeinträchtigungen des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs und sonstigen Eigentumsverletzungen. Wie der Amtshaftungsanspruch entfällt er aber von vorneherein gegenüber gesetzgeberischen Maßnahmen oder Unterlassun-

b) Entschädigung durch den EGMR Die innerstaatliche Amtshaftungsklage ist nicht der einzige Weg, eine finanzielle Entschädigung für Verfahrensverzögerungen zu erlangen. Eine solche kann auch vom Europäischen Gerichtshof in Straßburg zugesprochen werden, wofür Art. 41 EMRK eine ausdrückliche Rechtsgrundlage bietet.131 Allerdings kann vor dem EGMR keine isolierte Entschädigungsklage erhoben werden; die Gewährung von Entschädigung aufgrund Art. 41 EMRK ist stets nur unselbständige Nebenentscheidung in einem Verfahren, das in der Hauptsache gegen die Verletzung eines Konventionsrechts durch innerstaatliche Organe gerichtet ist. 132 In Fällen der vorliegenden Art wäre der EGMR mit der Behauptung einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK (Rechtsschutz in angemessener Frist) durch das innerstaatliche Gericht anzurufen. 133 von Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 49, zu § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB: „Oft übersehene und aus naheliegenden Gründen wenig praktizierte Vorschrift". 130 Ausführlich zum Ganzen Otto, Verfahren innerhalb angemessener Zeit, S. 121 ff.; Für überlange Strafverfahren ist an einen Anspruch nach dem StrEG zu denken, dessen Herleitung allerdings ebenfalls auf erhebliche Probleme stößt, vgl. i. e. Scheffler, Überlange Dauer, S. 267 ff. 131

Art. 41 EMRK begründet eine Schadensersatzhaftung allein auf völkerrechtlicher Ebene, ist also zwingend an das Verfahren vor dem EGMR geknüpft; innerstaatlich stellt er (anders als Art. 5 Abs. 5 EMRK) keine Basis für Schadensersatzansprüche dar, vgl. BGH, Beschl. v. 5. 2. 1998, NJW 1998, 2288 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 531 f. - Zur Rechtsnatur des Anspruchs (Schadensersatz oder Entschädigung) vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 554 ff.; Zwach, Die Leistungsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1996, S. 101 ff. 132 Vgl. a. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 535, der auf die insoweit zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch bestehenden Unterschiede hinweist. 133 Denkbar wäre auch, daß sich die Menschenrechtsbeschwerde nicht gegen das innerstaatliche Ausgangsverfahren, sondern gegen das (erfolglose) innerstaatliche Entschädigungsverfahren richtet und die Ablehnung einer Entschädigung vor dem EGMR als Verletzung des Rechts auf Eigentum (Art. 1 des 1. ZP) gerügt wird. Solche Fälle sind aber sehr selten.

II. Sanktionierung und Kompensation

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Die Entschädigung wird zumeist direkt in dem die Konventionsverletzung feststellenden Urteil zugesprochen. Manchmal sieht der Gerichtshof aber auch von einem solchen Ausspruch ab, um einer eventuellen gütlichen Einigung der Parteien in diesem Punkt nicht vorzugreifen. Kommt die Einigung nicht zustande, wird die Entschädigung später in einem gesonderten (Leistungs-)Urteil gewährt. Voraussetzung einer Entschädigung ist stets, daß sie vom Beschwerdeführer ausdrücklich beantragt wurde; der Gerichtshof spricht nichts zu, was nicht beantragt wurde (ne ultra petita).134 Die Möglichkeit einer Entschädigung nach Art. 41 EMRK ist weit weniger exotisch, als es für den deutschen Juristen zunächst den Anschein haben mag, denn der Anspruch ist in der Form, wie er vom EGMR in einer reichhaltigen Rechtsprechung mittlerweile ausgestaltet worden ist, an wesentlich geringere Voraussetzungen geknüpft und auf der Rechtsfolgenseite wesentlich weitergehend als der deutsche Amtshaftungsanspruch. 135 Gemeinsamkeiten bestehen nur insoweit, als aufgrund beider Anspruchsgrundlagen keine Naturalrestitution, sondern lediglich Geldersatz verlangt werden kann. 136 Der Anspruch nach Art. 41 EMRK besitzt im Grunde nur eine einzige tatbestandliche Voraussetzung, nämlich die Verletzung eines (beliebigen) Konventionsrechts. Welches staatliche Organ gehandelt hat, ist angesichts des Umstandes, daß es um eine Haftung auf völkerrechtlicher Ebene geht, ebenso unerheblich137 wie die Frage, ob die Verletzung schuldhaft ist oder nicht und ob die Verletzung auf staatlichem Handeln oder Unterlassen beruht. Damit wird also - ganz anders als nach deutschem Recht - uneingeschränkt auch für legislatives und judikatives Unrecht gehaftet. 138 Das bedeutet, daß Entschädigung aufgrund Art. 41 EMRK auch dann zugesprochen werden kann, wenn der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK auf einer Überlastung der Gerichtsbarkeit beruht, die dem einzelnen Richter nicht zugerechnet werden kann, sondern darauf zurückzuführen ist, daß der Gesetzgeber es unterlassen hat, auf den zunehmenden Geschäftsanfall rechtzeitig und in geeigneter Weise zu reagieren. Auch auf der Rechtsfolgenseite ist die Entschädigung aufgrund Art. 41 EMRK wesentlich günstiger als die deutsche Staatshaftung. 134

Ossenbiihl, Staatshaftungsrecht, S. 533, mit Nachw. aus der Rspr. Dieser Umstand ist in Deutschland bis vor kurzem weitgehend unbemerkt geblieben. Ihn klar erkennend und betonend jetzt Ossenbiihl, Staatshaftungsrecht, S. 528 f. 135

136 Vgl. in bezug auf Art. 41 EMKR etwa Sharpe, Kommentierung von Art. 50, in: Pettiti/Decaux/Imbert, La Convention européenne des droits de l'homme, Commentaire article par article, 1995, S. 819, mit zahlr. Rspr.nachw. Aus neuester Zeit s. etwa Mehemi. /. Frankreich, 26. 9. 1997, § 43; Higgins u. a. ./.Frankreich, 19. 2. 1998, § 50. 137 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit trifft den Staat als solchen und wird durch das Handeln jedes beliebigen Staatsorgans begründet, vgl. a. EGMR, Urt. Zimmermann und Steiner./. Schweiz, 13. 7. 1983, §32. 13 8 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 536 f.

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C. Realisierung des Anspruchs

Zugesprochen wird nicht nur materielle, ggf. durch Schadensschätzung oder nach Billigkeit ermittelte Entschädigung.139 Auch immaterielle Einbußen werden entschädigt, und zwar ohne gegenständliche Begrenzung auf bestimmte Arten von Beeinträchtigungen. Insbesondere wird Entschädigung auch für die psychischen Beeinträchtigungen gewährt, die mit der langen Prozeßdauer typischerweise verbunden sind, nämlich die durch die zermürbende Unsicherheit über den endgültigen Prozeßausgang bewirkten Nervenbelastungen und Frustrationen. 140 Auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind entschädigungsrechtlich relevant. 141 Damit ist die Möglichkeit eröffnet, jedwede nicht ganz unerhebliche, durch eine Verfahrensverzögerung verursachte Belastungswirkung finanziell zu kompensieren. Der Gerichtshof macht von dieser Möglichkeit extensiv Gebrauch. Er hat in sehr vielen Fällen überlanger Verfahrensdauer immaterielle Entschädigung gewährt, und die zugesprochenen Summen haben meistens nicht nur symbolischen Wert, sondern erreichen ζ. T. erhebliche Beträge. Bis einschließlich 1998 sind etwa 80 einschlägige Entscheidungen erlassen worden, denen lediglich ca. 20 Fälle gegenüberstehen, in denen der Gerichtshof eine Entschädigung verweigert hat. 142 Die zugesprochenen Beträge schwanken zwischen 3.000 D M und weit über 100.000 DM, können also, gerade im Vergleich zu der in Deutschland praktizierten sehr restriktiven Schmerzensgeld-Rechtsprechung, gewaltige Beträge erreichen. Die meisten Urteile sprechen zwischen 5.000 und 20.000 DM zu. 1 4 3 Die auch bei Art. 41 EMRK auftretenden Kausalitätsprobleme bzgl. des materiellen Schadens144 verlieren durch diese Schwerpunktsetzung auf die immaterielle 139 Anwendungsfälle: Probstmeier ./. Deutschland, 1. 7. 1997, NJW 1997, 2809, 2811 (15.000 DM entgangener Gewinn, dessen Höhe mangels exakter Bestimmbarkeit geschätzt wurde); Estima Jorge . / . Portugal, 21.4. 1998, §§ 47 ff. (Schadensersatz wegen inflationsbedingter Entwertung der eingeklagten Forderung, nach Billigkeit bestimmt); Doustaly ./. Frankreich, 23. 4. 1998, §§ 51 ff. (500.000 FF Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns, bestimmt nach Billigkeit). 140 Ζ. B.: König ./. Deutschland, 10. 3. 1980 (Plenarentsch.), Reihe A Nr. 36 („incertitude prolongée", „source d'inquiétude permanente et profonde"); Hornsby ./. Griechenland, 1. 4. 1998, § 18 („sentiment d'incertitude et d'angoisse"; „profond sentiment d'injustice"); Couez ./. Frankreich, 24. 8. 1998, § 35 („angoisse et tension"); Styranowski ./. Polen, 30. 10.1998, § 63 („sentiment d'injustice"). 141 Doustaly. /. Frankreich, 23.4.1998, § 57 (100.000 FF für Beeinträchtigung des „guten Rufs"). 142 Vgl. i. e. die Urteilslisten bei Sharpe, Art. 50, in: Pettiti/Decaux/Imbert, S. 827 ff. (für die Zeit bis einschl. 1990); Dannemann, Schadensersatz, S. 369, 414 ff. (für die Zeit bis einschl. 1993); Zwach, Leistungsurteile, S. 251 ff. (für die Zeit bis einschl. 1995). Vgl. neuestens noch Mitap und Müftüoglu ./. Türkei, 25. 3. 1996, § 41; Mavronichis ./. Zypern, 24.4.1998, § 47; S. R.. / . Italien, 23.4. 1998, § 29; Benkessiouer. / . Frankreich, 24. 8.1998, § 41; Doustaly. / . Frankreich, 23. 4. 1998, §§ 55 ff. ι 4 3 Genaue tabellarische Übersicht bei Dannemann, Schadensersatz, S. 414 ff.; vgl. a. die Angaben bei Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 50 Rn. 47 ff. 144 Vgl. dazu etwa Callewaert, Zusprechung von Entschädigungen nach Art. 50 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, AJP/PJA 1997, 1525, 1526 f.;

II. Sanktionierung und Kompensation

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Entschädigung ebenso an Bedeutung wie die Frage, ob und in welcher Höhe ein materieller Schaden überhaupt entstanden ist. 1 4 5 Freilich bewirkt die ζ. T. offen aufgrund nicht näher begründeter ,3illigkeit" erfolgende Zusprechung von immaterieller Entschädigung, 146 daß die in concreto zu erwartende Entschädigung ex ante sehr schwer abschätzbar i s t . 1 4 7 Die Gewährung von „punitive damages", die auch ein präventiv sehr wirksames Mittel zur Verhinderung von Konventionsverletzungen im allgemeinen und Überschreitungen der angemessenen Verfahrensdauer im besonderen darstellen würde, lehnt der Gerichtshof a b , 1 4 8 wobei nicht zu verkennen ist, daß die extensive Rspr. zur immateriellen Entschädigung die Funktion von punitive damages jedenfalls ζ. T. mit wahrnimmt. 1 4 9 Entschädigung nach Art. 41 E M R K kann i. ü. auch dann beantragt (und zugesprochen) werden, wenn ein staatlicher Amtshaftungsanspruch gegeben wäre. In ständiOssenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 548 ff. Der Gerichtshof versagt demgemäß in Fällen überlanger Verfahrensdauer materiellen Schadensersatz außerordentlich oft, ζ. T. mit der etwas unklaren Begründung, es stehe ihm nicht zu, darüber zu „spekulieren", wie das Verfahren ohne den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK ausgegangen wäre, ζ. T. unter ausdrücklichem Hinweis auf die fehlende Kausalität, vgl. etwa Eckle ./. Deutschland, 21. 6. 1983, Reihe A Nr. 65, EuGRZ 1983, 553, §§ 19 f.; Ruiz-Mateos ./. Spanien, 23. 6. 1993, Reihe A Nr. 262, § 70; Schouten und Meldrum ./. Niederlande, 9. 12. 1994, Reihe A Nr. 304, § 75; Reinhardt und Slimane-Kaid ./.Frankreich, 31. 3. 1998 (große Kammer), § 112; Couez ./. Frankreich, 24. 8. 1998, § 35; Styranowski ./. Polen, 30. 10. 1998, § 63; Podbielski ./. Polen, 30. 10. 1998, § 44. 145 Vgl. a. Dannemann, Schadensersatz, S. 371, 410 ff., mit dem Hinweis, daß der Gerichtshof häufig auch dort allein auf immaterielle Entschädigung abgestellt hat, wo ein materieller Schaden zwar vorhanden, in seiner Höhe aber schwer bestimmbar war. - Vereinzelt wird pauschal eine Summe ausgeurteilt, die sowohl materielle wie immaterielle Schäden abdecken soll, vgl. etwa König ./. Deutschland, 10. 3. 1980, (pauschaler Schadensersatz in Höhe von 30.000 DM); ferner Bellet./. Frankreich, 4. 12. 1995, Reihe A Nr. 333-B, § 43; F. E. ./. Frankreich, 30. 10. 1998, § 63 (jeweils 1.000.000 FF wegen „perte de chances doublée d'un tort moral incontestable"); Allenet de Ribemont./. Frankreich, 10. 2. 1995, Reihe A Nr. 308, § 62 („globale", nach „Billigkeit" zugesprochene Entschädigung von 2.000.000 FF). 146 Übliche Floskel: „Compte tenu des circonstances de l'espèce, la Cour, statuant en équité, alloue au requérant...". S. z. B. Pailot ./.Frankreich, 22. 4. 1998, § 76; Podbielski./ . Polen, 30. 10. 1998, § 48.

1 47 Krit. hierzu etwa Wagner, EuGRZ 1983,485, die nicht zu Unrecht darauf hinweist, daß gerade wegen der durch die lange innerstaatliche Verfahrensdauer verursachten Rechtsunsicherheit wenigstens in bezug auf die Frage, was von einem Gang nach Straßburg zu erwarten ist, einigermaßen Sicherheit bestehen sollte. Krit. a. Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRKKommentar, Art. 50, Rn. 36, der vom Gerichtshof fordert, er möge seine Entscheidungen künftig auch im Hinblick auf die ausgeurteilte Entschädigung nachvollziehbar begründen. i4« S. vor allem Mentes u. a. ./.Türkei (Große Kammer), 24. 7. 1998, § 21. Vgl. a. Zwach, Leistungsurteile, S. 129 ff. Die Zusprechung von punitive damages befürwortend Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 50 Rn. 6. 1 49 So auch Flauss, La satisfaction équitable dans le cadre de la Convention européenne des droits de l'homme - Perspectives d'actualité, Vortrag vor dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes, 1996, S. 25.

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C. Realisierung des Anspruchs

ger Rspr. ignoriert der EGMR das anderslautende Tatbestandsmerkmal in Art. 4 1 1 5 0 und spricht Entschädigung unabhängig davon zu, ob möglicherweise auch innerstaatlich finanzieller Ausgleich hätte erlangt werden können.151 Statt der vom Wortlaut des Art. 41 geforderten Subsidiarität zum innerstaatlichen Ausgleich besteht also Alternativität zwischen europarechtlicher und nationaler Entschädigung.152 Dementsprechend muß auch der staatliche „Entschädigungsrechtsweg" nicht ausgeschöpft sein, damit der Anspruch aus Art. 41 greift. 153 Wird jemand durch überlange Verfahrensdauer in einem fachgerichtlichen Verfahren beschwert, so kann er, nach erfolgloser Anrufung des BVerfG, 154 also sogleich den EGMR anrufen und dort neben der Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK auch die Zahlung einer Entschädigung nach Art. 41 beantragen. Der innerstaatliche Amtshaftungsprozeß darf übersprungen werden, was schon angesichts des ansonsten eintretenden weiteren Zeitverlusts eine außerordentlich vernünftige Lösung darstellt. Wenn dem einzelnen Kläger der „Gang nach Straßburg", der schon rein geographisch kaum weiter ist als der nach Karlsruhe zu BGH und BVerfG, trotz dieser recht großzügigen Entschädigungspraxis sowie einer auch ansonsten ausgesprochen konstruktiven und individualschützenden Rechtsprechung nicht uneingeschränkt empfohlen werden kann, so liegt das schlicht und einfach daran, daß das Verfahren in Straßburg natürlich ebenfalls Zeit kostet. Rechnet man das dem Tätigwerden des Gerichtshofs bislang vorgeschaltete Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte hinzu, ergeben sich auch hier häufig Verfahrensdauern von mehreren Jahren - und für diese hat der Gerichtshof soweit ersichtlich noch nie Entschädigung gewährt! Immerhin gibt es aber auch Fälle, gerade im Einzugsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, wo die Straßburger Organe in geradezu mustergültig schneller Weise entschieden haben.155 150

„... und gestatten die innerstaatlichen Gesetze ... nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser... Maßnahme". 151 Nähere Darstellung der Rspr. des EGMR bei Sharpe, Art. 50, in: Pettiti / Decaux / Imbert, S. 811 f. 152 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 528, 543 f., der der ersichtlich gegen den Wortlaut der Konvention und der Absicht der ursprünglichen Vertragsstaaten operierenden Rspr. ein Begründungsdefizit vorwirft. Die fehlende Begründung läßt sich aber o. w. nachliefern: Würde der Gerichtshof Art. 41 beim Wort nehmen, müßte er stets in eine u. U. ausgesprochen diffizile und zeitaufwendige Prüfung des innerstaatlichen Staatshaftungsrechts einsteigen, ohne daß in Zweifelsfällen immer mit Sicherheit zu klären wäre, ob die innerstaatliche Klage wirklich hinreichend Aussicht auf Erfolg hat. 153 EGMR, De Wilde, Ooms und Versyp ./. Belgien, 18. 6. 1971, Reihe A Nr. 14, § 16; Ringeisen ./. Österreich, 22. 6. 1972, Reihe Nr. 15, §§ 14 ff.; Papamichalopoulos u. a. ./. Griechenland, 31. 10. 1995, Reihe A Nr. 330-B, § 40; Philis ./. Griechenland (Nr. 2), 27. 6. 1997, § 59; Sharpe, Art. 50, in: Pettiti / Decaux / Imbert, S. 812; de Schutter, La coopération entre la Cour européenne des droits de l'homme et le juge national, RBDI1997,21,40 f. 154 S. o. S. 55 ff. 155 Beispiele: F. E . . / . Frankreich, 30. 10. 1998: Gesamtverfahrensdauer gut ein Jahr; Verfahrensdauer vor dem Gerichtshof 5 Monate; Pailot ./. Frankreich, 22. 4. 1998, (insgesamt

II. Sanktionierung und Kompensation

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Im übrigen steht zu erwarten, daß die im November 1998 in Kraft getretene Strukturreform des Straßburger Rechtsschutzsystems, aufgrund derer die Kommission aufgelöst und als einzige Kontrollinstanz ein ständiger, nunmehr mit hauptamtlichen Richtern besetzter Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte geschaffen worden ist, die Kapazitäten des Systems deutlich erhöhen und zu einer spürbaren Verkürzung der durchschnittlichen Verfahrensdauer führen wird. 156

knapp 2 Jahre, 7 Monate vor dem Gerichtshof); Bellet./. Frankreich, 4.12. 1995 (insgesamt eineinhalb Jahre, 8 Monate vor dem Gerichtshof). 156 Vgl. dazu i. e. Schiette, Europäischer Menschenrechtsschutz nach der Reform der EMRK, JZ 1999, S. 219 ff.

D. Zusammenfassung Die lange Dauer von Gerichtsverfahren ist nicht nur ein rechtspolitisches Dauerund Reizthema. Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist ist vielmehr auch und gerade wesentlicher Bestandteil effektiven Rechtsschutzes und damit hartes rechtliches Gebot, dessen Beachtung für den einzelnen Rechtssuchenden von essentieller Bedeutung ist. Es geht daher fehl, die Frage zeitgerechten Rechtsschutzes schwerpunktmäßig auf der abstrakt-abgehobenen Ebene eines bloßen rechtspolitischen Desiderats zu diskutieren, die konkret-rechtlichen Implikationen des verfassungsrechtlichen Gebots, und insbesondere die Problematik seiner praktischen Durchsetzung im Einzelfall, hingegen zu vernachlässigen. Die vorstehenden Ausführungen haben diese konkret-rechtliche Seite näher beleuchtet und vor allem Möglichkeiten zur Realisierung des Anspruchs aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, daß solche Möglichkeiten aus in der Natur der Sache liegenden Gründen begrenzt sind: Ein einmal eingetretener Zeitverlust ist irreversibel, ein direkter Durchgriff auf die materielle Rechtslage zugunsten des Betroffenen muß wegen der rein verfahrensrechtlichen Dimension des Gebots i.d.R. ausscheiden, und sämtliche gegen eine Verletzung gerichtete prozessuale Maßnahmen kosten weitere Zeit. Es dürfte aber auch deutlich geworden sein, daß der von einer Verfahrensverzögerung Betroffene diese nicht völlig machtlos hinnehmen muß, sondern - in beschränktem Umfang - durchaus Abhilfe zu erlangen ist. Voraussetzung hierfür ist freilich, daß die innerstaatlichen Instanzen überlange Verfahrensdauer als Rechtsproblem ernster nehmen als bisher und die vorhandenen oderrichterrechtlich ohne große Schwierigkeiten konstruierbaren Möglichkeiten (Schadensersatz nach § 839 BGB bzw. Untätigkeitsbeschwerde) auch wirklich ausschöpfen. Sonst bleiben Reaktionsmöglichkeiten nur auf der Ebene der EMRK, die für sich betrachtet zwar effektiv sein mögen, häufig aber wiederum erst nach geraumer Zeit greifen und das interne Rechtsschutzsystem auf internationaler Bühne nicht gerade in bestem Licht erscheinen lassen.

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Sachverzeichnis Abstrakte Normenkontrolle 29 Adoptionsverfahren 35 Amtshaftung 20,50, 63 ff. Amtspflicht 64 Angemessenheit der Verfahrensdauer 28 ff. Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist s. Rechtsschutz in angemessener Frist Arbeitsgerichtliches Verfahren 19, 35 Arbeitsüberlastung s. Überlastung der Justiz Aufopferung 68 Außerordentliche Beschwerde 48, 52 Aussetzung des Verfahrens 45 Ausstattung der Gerichte 16 Avokation 54 Baugenehmigung 15, 22,61 Beamtenverhältnis 22 Beschleunigung des Verfahrens 19 f., 29, 31,54 Beschleunigungsbeschwerde s. Untätigkeitsbeschwerde Beschwerde 44 ff. Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit 48 Beweisantrag 37 Beweiserhebung 51,65 Beweislage, Verschlechterung durch überlange Verfahrensdauer 32 Beweislastumkehr 62 Beweisverlust 35 Condorcet-Theorem 16 Déni de justice 51 Dienstaufsicht 44,46,49 f. Dienstaufsichtsbeschwerde 46,49 f., 65 Dispositionsmaxime 37 Drittbeteiligung, Verfahren mit 43, 61 f. *

Drittbezogene Amtspflicht 63 f. Effektiver Rechtsschutz 24 ff., 47 Ehescheidungs verfahren 58 Eigentumsrecht 25 f. Einstellung des Verfahrens 60 Einstweiliger Rechtsschutz 35,42 ff. EMRK - Anwendbarkeit auf verwaltungsgerichtliche Verfahren 21 ff. - Bedeutung für die Auslegung der Grundrechte 32 f. - Entschädigung für überlange Verfahrensdauer 68 ff. - Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK 57 f. - Rang im deutschen Recht 20 Enteignungsentschädigung 22 Enteignungsgleicher Eingriff 68 Entgangener Gewinn 62 Entschädigung für überlange Verfahrensdauer - Entschädigung gem. Art. 41 EMRK 47, 68 ff. - Entschädigung nach § 839 BGB 47,63 ff. - Entschädigung aufgrund enteignungsgleichen Eingriffs/ Aufopferung 68 - mögliche Schadensposten 62 f. Ermittlungsverfahren, strafrechtliches 35 Europäische Menschenrechtskonvention s. EMRK Fiktionswirkungen 40, 61 Finanzgerichtliches Verfahren 13 f., 23, 57,

60 Gegenvorstellung 44,65 Gerichtsgebühren, -kosten 16, 20,63 Gerichtsorganisation, veraltete 16

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averzeichnis

Gerichtsverfahren, Ausgestaltung durch den Gesetzgeber 23, 36, 66 Gerichtsverwaltung 16 Gesamtverfahrensdauer s. Verfahrensdauer Geschäftsverteilung 53 Gesetzgeber 23, 29 f., 66,69 Gesetzlicher Richter 54 Gesundheitsschaden 15,63,67 Gewerbeerlaubnis 15,22 Grundrechte 25 f., 28, 32 Haushaltsgesetz 66 Immaterieller Schaden 63,67, 70 Individualbeschwerde gem. Art. 34 EMRK 57 f. Instanzenzug 13, 16,44 f. Judikatives Unrecht 69 , Justice delayed, justice denied" 24 , Justice rétive, justice fautive" 24 , Justitiae dilatio est quaedam negatio" 24 Justiz 2000 16 Justizgewährleistungsanspruch 23 Justizverwaltung s. Gerichtsverwaltung Justizverweigerung s. Rechtsschutzverweigerung Justizverweigerungsbeschwerde 44 Justizverzögerungsschaden 67 Kapazitätserweiterung 16, 30 Kapazitätsgrenzen 41 Kausalität 66 f. Klagefreudigkeit 16 Konkrete Normenkontrolle 34 Konkurrentenklage 62 „Kurzer" Prozeß 31 Legislative s. Gesetzgeber Legislatives Unrecht 66,69 Nachbarklage 61 f. Naturalrestitution 40,69 Ne ultra petita 69 Normatives Unrecht 66, 69 Normenkontrolle - abstrakte 29 - konkrete 34

Öffentliches Interesse 27 Österreich 44 Organisationsverschulden 66 Präklusionsvorschriften 19 f. Prozeßdauer s. Rechtsschutz in angemessener Frist, überlange Verfahrensdauer Prozeßkostenhilfe 35 Prozeßrecht s. Arbeitsgerichtliches Verfahren, Finanzgerichtliches Verfahren, Strafprozeß, Verfassungsbeschwerde, Verwaltungsprozeß, Zivilprozeß Prozeßleitende Verfügungen 51 Prozeß Verschleppung 20, 37, 53 Punitive damages 71 Rechtsbeugung 55 Rechtliches Gehör 26 f. Rechtspolitik 16 ff., 75 Rechtsschutz in angemessener Frist - und allgemeine Gerechtigkeitsidee 30 f.,

61 -

Anspruchscharakter 23 ff., 27 und effektiver Rechtsschutz 24 ff., 47 und einstweiliger Rechtsschutz 35,42 ff. und EMRK 20 ff., 32 ff. Inhalt des Angemessenheits-Erfordernisses 28 ff. - Kompensation eines Verstoßes 40 f., 58 ff. - und materielle Grundrechte 25 ff. - und rechtliches Gehör 26 f. - und Rechtsgeschichte 29,41 - undrichterliche Amtspflichten 64 - Sanktion eines Verstoßes 40 f., 58 ff. - verfassungsrechtliche Verankerung und verfassungsrechtlicher Gehalt 23 ff. - und Verhältnismäßigkeitsprinzip 26 f. Rechtsschutzverweigerung 51 Rechtsvergleichung 13, 29,44 Rechtswegerschöpfung 57 f., 72 Reichskammergericht 41 Revision 59 Richteranklage 55 Richterdichte 17 Richterliche Unabhängigkeit 46,49 Richterliche Untätigkeit - déni de justice 51 - „qualifizierte" Untätigkeit 51, 65

Sachverzeichnis Richterstellen, Erhöhung der 16 Richterwechsel 36 Ruhen des Verfahrens 45 Schaden, durch überlange Verfahrensdauer verursachter 14,62 f., 66 f. Schadensersatz s. Entschädigung Schmerzensgeld 67,70 Sorgerechtsstreit 35 Sozialrecht 22,58 Spruchrichterprivileg 20, 64 Staatshaftungsklagen 22 Steueranspruch, Verwirkung 60 Steuerrecht 23,60 Strafmilderung 60 Strafprozeß, -verfahren 35,40 f., 45,58, 60 Subsidiarität - der Verfassungsbeschwerde 47,56 - der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK 58, 72 Summarische Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz 31,43 Terminierung 36,46, 49,65 Überflüssige richterliche Maßnahmen 65 Überlange Verfahrensdauer - Empirische Angaben 13 f., 19 - und psychische Belastungswirkung 14, 34, 35 f., 67, 70 - als Quelle materieller und immaterieller Schäden 14 f., 62 f. - Rechtsfolgen im finanzgerichtlichen Verfahren 60,61 - Rechtsfolgen auf materiell-rechtlicher Ebene 58 ff. - Rechtsfolgen im Strafprozeß 60 - Rechtsfolgen im Verwaltungsprozeß 61 - Rechtspolitische Lösungsansätze 16 f. - Rechtsprechung des BVerfG 25,57 - Rechtsprechung des EGMR 32 ff., 58 - rechtssystematische Einordnung 58 - als Revisionsgrund 59 - Ursachen 16 - als Verfahrensfehler 58 f.

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-

und Verschlechterung der Beweislage 32 und Verschulden 36,53,65 und Wiederaufnahme des Verfahrens 59 f. Zurechenbarkeit 36 f., 53 s. a.: Entschädigung für überlange Verfahrensdauer, Rechtsschutz in angemessener Frist Überlastung der Justiz 29 f., 36 f., 41, 47, 53,57,65 f., 68,69 Unschuldsvermutung 14 Untätigkeit s.richterliche Untätigkeit Untätigkeitsbeschwerde im Verwaltungsprozeß - Begründetheit 53 - Entscheidungsinhalt 54 f. - grundsätzliche Zulässigkeit 44 ff. - Konstellationen 51 f. - Zulässigkeitsvoraussetzungen 52 f. Untätigkeitsbeschwerde im Zivilprozeß 45, 52 Untätigkeitsklage 19 Urteilsverkündung 36 Urteilszustellung 36 Verdienstausfall 62 Verfahrensaussetzung 45 Verfahrensbeschleunigung 19 f., 29, 31,54 Verfahrensdauer - Berechnung 33 ff. - Relatives Konzept zur Bestimmung der 28 f., 33 ff., 38 - s. a. Überlange Verfahrensdauer, Rechtsschutz in angemessener Frist Verfahrenseinstellung 60 Verfahrensfehler 58 Verfahrenshöchstdauer 29 Verfahrenskosten 16, 20,63 Verfahrenstrennung 36 Verfahrensunterbrechung 36 Verfahrensverbindung 36 Verfahrensverkürzung, rechtspolitische Diskussion 16 f. Verfahrensverzögerung, s. überlange Verfahrensdauer Verfassungsbeschwerde 34,47, 55 ff. Verkündung des Urteils 36 Verschleppung von Prozessen s. Prozeßverschleppung

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averzeichnis

Verschulden 36, 53,65 Vertagung 51 Vertrag 22 Verwaltungsprozeß - Reform 17 - Untätigkeitsbeschwerde 44 ff. - Verfahrensdauer 13 f. Verwaltungsprozeßrecht 17,20,22, 30,41 Verwaltungsverfahren 19 Verweigerung von Rechtsschutz, s. Rechtsschutzverweigerung, déni de justice Verwirkung 60 Verzögerung s. Prozeßverzögerung Verzögerungsschaden 62 f. Verzugsschaden 62 Völkerrecht 20 Vollstreckungsverfahren 34 Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 34 Vorbehalt des Gesetzes 48

„Warten auf Gerechtigkeit" 14 Wertverlust durch überlange Verfahrensdauer 63 Widerspruchsverfahren 19, 34 Wiederaufnahme des Verfahrens 59 Wirtschaftsstrafverfahren 58 Zeit und Recht 24 f. Zinsverlust durch überlange Verfahrensdauer 62 Zivilprozeß 14,15, 29,62 Zivilprozeßrecht 20,52 „Zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" i. S. des Art. 61 EMRK 21 ff. Zulassungsverfahren im Beschwerderechtszug 55 Zurechenbarkeit einer Prozeßverzögerung 36 f., 53 Zurechnung nach Verantwortungssphären 36 Zustellung 36