Das Wunderbare, die Idylle und der Krieg: Aufsätze zu Erich Maria Remarque und zur Lyrik des Ersten Weltkriegs [1 ed.] 9783737016766, 9783847116769, 9783847016762


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Das Wunderbare, die Idylle und der Krieg: Aufsätze zu Erich Maria Remarque und zur Lyrik des Ersten Weltkriegs [1 ed.]
 9783737016766, 9783847116769, 9783847016762

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Veröffentlichung des Universitätsverlages Osnabrück bei V&R unipress Krieg und Literatur / War and Literature Vol. XXIX (2023)

Herausgegeben von Claudia Junk und Thomas F. Schneider Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Erich Maria Remarque-Archiv / Forschungsstelle Krieg und Literatur

Wissenschaftlicher Beirat / Advisory Committee Prof. Dr. em. Alan Bance, University of Southampton, Great Britain Dr. Fabian Brändle, Zürich, Schweiz Dr. Jens Ebert, Historiker und Publizist, Berlin, BR Deutschland Prof. Dr. em. Frederick J. Harris, Fordham University, New York, USA Prof. Dr. Christa Ehrmann-Hämmerle, Universität Wien, Österreich Prof. Dr. em. Walter Hölbling, Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich Prof. Dr. em. Bernd Hüppauf, New York University, New York, USA Prof. Dr. em. Holger M. Klein, Universität Salzburg, Österreich Dr. Holger Nehring, University of Stirling, Great Britain Prof. Dr. em. Hubert Orłowski, Uniwersytet Poznan, Polska PD Dr. Matthias Schöning, Universität Konstanz, BR Deutschland Prof. Dr. Benjamin Ziemann, University of Sheffield, Great Britain

Alice Cadeddu / Claudia Junk / Thomas F. Schneider (Hg.)

Das Wunderbare, die Idylle und der Krieg Aufsätze zu Erich Maria Remarque und zur Lyrik des Ersten Weltkriegs

Herausgeber / Editor Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Erich Maria Remarque-Archiv/Arbeitsstelle Krieg und Literatur Universität Osnabrück, Markt 6, D-49074 Osnabrück Herausgebergremium / Editorial Board Claudia Junk, Thomas F. Schneider Redaktion / Editing Claudia Junk, Hannes Albers Gestaltung / Layout Claudia Junk, Thomas F. Schneider Titelbildnachweis Matthias Laurenz Gräff. Der Weg zurück. Öl auf Leinwand, 120 x 160 cm, 2006. »Ein Geschenk für Remarque« zum 125. Geburtstag des Autors am 22. Juni 2023. Krieg und Literatur / War and Literature erscheint einmal jährlich. Preis pro Heft EUR 45,00 / Abonnement: EUR 40,00 p.a (+ Porto) © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Birkstraße 10, D-25917 Leck / Printed in the EU. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-8471-1676-9 | ISBN (E-Book) 978-3-8470-1676-2 ISBN (V&R eLibrary) 978-3-7370-1676-6 | ISSN 0935-9060

Inhalt

7 Nina Nowara-Matusik Das Wunderbare in Die Traumbude von Erich Maria Remarque 17 Felix Stefan »Die Schönheit der Jugend kann nicht einmal der Krieg zerstören« Idyllische Motive in Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück 37 Paweł Meus »Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muss auf das, was geschehen wird« Der Frontraum des Ersten Weltkrieges aus der Perspektive ­deutscher Schriftsteller anhand von Romanen von E. M. Remarque, L. Renn, E. Jünger, A. Zweig und A. Hein 67

Sven Jürgensen »Was man vergisst, das fehlt einem später im Leben [...]. Und was man nicht vergisst, macht es einem zur Hölle« 90 Jahre nach der Bücherverbrennung

89 Anna Szóstak Zwischen Vergebung und Verdammnis Das Böse als systemisches Problem in Erich Maria Remarques Der Funke Leben im Lichte der Konzepte von Jean Améry und ­Primo Levi

113 Alexandra Juster Erich Maria Remarques Die Nacht von Lissabon und Arc de Triomphe Widerläufige Erinnerungsdiskurse 129 Brian Murdoch Patrols, Listening Posts, and Sentry-Duty Experience and ­Imagination in English and German Poetry of the First World War

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Rezensionen / Reviews Anne Hartmann, Reinhard Müller (eds.). Tribunale als Trauma. Die Deutsche Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbandes. (Ebert) Harald Jähner. Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den ­Kriegen. (Amos) Jürgen Serke. Die verbrannten Dichter. Lebensgeschichten und Dokumente. (Ebert) Eingegangene Bücher / Books Received Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe / Contributors to this Edition

Nina Nowara-Matusik

Das Wunderbare in Die Traumbude von Erich Maria Remarque

Theoretische Vorüberlegungen Der Romanerstling (1920) von Erich Maria Remarque behandelt eine eher simple Geschichte der Freundschaft zweier künstlerisch talentierter Menschen, des Malers und Dichters Fritz Schramm und des angehenden Kapellmeisters Ernst Winter, mit einem ebenfalls eher stereotyp ausgeführten Motiv eines Mannes (Ernst Winter) zwischen zwei Frauen (Elisabeth Heindorf und Lanna Reiner). Dabei lässt sich an den deutlichen Anleihen dieser Geschichte bei der Biographie des Schriftstellers Remarque kaum vorbeisehen. Dieser Zusammenhang wurde von der Forschung bereits mehrmals eingehend erörtert, wobei der von Thomas F. Schneider herausgegebene Briefwechsel Remarques (Ernst Winter sei laut diesem Interpretationsvorschlag die Porte Parole des Autors) mit seinem Osnabrücker Freund Friedrich Hörstemeier (der für die Figur des »Onkels Fritz« gestanden haben soll) das biographisch orientierte Deutungsparadigma um neue Impulse bereichert hat.1 Somit werden auch der Romanhandlung eine Glaubwürdigkeit und ein Realitätsbezug verliehen, welche – zieht man auch die genauen Ortsangaben (Osnabrück, Leipzig), sowie Zeit- und Epochentypisches heran (allen voran das Ambiente der Goldenen Zwanziger) –, das Werk als einen weitgehend realistischen Roman etikettieren lassen. Allerdings lässt es sich dabei nicht übersehen, dass bereits der Romantitel eine gerade entgegengesetzte Interpretationsrichtung suggeriert, wenn nicht sogar die hypostasierte Realitätskompatibilität des Textes unterläuft. Die Traumbude mag

1 Thomas F. Schneider. »Anhang«. Erich Maria Remarque. Die Traumbude. Ein Künstlerroman. In der Fassung der Erstausgabe mit Anhang und einem Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020, 203.

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selbstverständlich – betrachtet man dieses Kompositum aus linguistischer Perspektive – als eine erträumte, ersehnte Wohnung verstanden werden, und somit als eine ideale bzw. eine Welt von Idealen, die der Maler Fritz zu leben weiß und welche sein junger Freund Ernst erst zu leben erlernen muss, sie kann ja aber auch als eine metonymische Entsprechung einer im weitesten Sinne traumhaften, also nicht realen Welt, aufgefasst werden, ja, gar eine Realitäts- und Weltentrücktheit selbst suggerieren. Somit deutet sich also unverkennbar bereits im Titel eine grundsätzliche Mehrdeutigkeit an, die mit solchen Attributen wie traumhaft, geheimnisvoll, fantastisch, übernatürlich, märchenhaft und nicht zuletzt wunderbar umschrieben und greifbar gemacht werden kann. Diese hypostasierte Mehrdeutigkeit rückt so den Roman in die Nähe eines Märchengebildes, weniger jedoch im Sinne einer konkreten Gattung2 als vielmehr einer poetologischen und stofflichen Kategorie. Bekanntlich stellt das Märchen einen Text dar, der durch das Wunderbare gesättigt ist3 bzw. »aus der wirklich vorstellbaren Welt unversehens und bruchlos in die magische Welt [führt]«.4 Auf die Zusammengehörigkeit der beiden Termini weist ebenfalls Tzvetan Todorov hin, wenn er feststellt: »Man verbindet im allgemeinen die Gattungen des Wunderbaren mit der des Märchens«.5 Dabei räumt er aber sowohl dem Märchen als auch dem Wunderbaren den Rang einer Gattung zu, die mit solchen wesensverwandten Gattungen wie das Phantastische und Unheimliche diverse Konstellationen eingehen kann. Einen über die Gattungsfrage hinausreichenden Zugang zum Wunderbaren bieten dagegen die Herausgeber einer neueren einschlägigen Veröffentlichung, wenn sie auf die Möglichkeit verweisen, den Begriff als »ästhetisch-künstlerisches Phänomen«6 auszulegen. Damit wird zwar eine operationable Denkfigur zur Verfügung gestellt, sie bedarf aber in Bezug auf literarische Texte, von denen hier die Rede ist, einer Konkretisierung. Daher wird im Folgenden in Anlehnung an Todorov und unter Verzicht auf genrespezifische Abgrenzungen das Wunderbare als eine solche poetisch-stoffliche Erscheinung aufgefasst, die zwar den Gesetzen der gewöhnlichen (laut Todorov »natürlichen«) Welt eindeutig widerspricht, zugleich aber nicht im Sinne eines außergewöhnlichen Faktums, sondern als eine Offensichtlichkeit wahrgenommen wird. Allerdings ist 2 Für ein gattungsorientiertes Herangehen an den Roman siehe Nina Nowara-Matusik. »Die Traumbude von Erich Maria Remarque. Versuch einer gattungsorientierten Annäherung«. Alice Cadeddu, Renata Dampc-Jarosz, Claudia Junk, Paweł Meus, Thomas F. Schneider (eds.). Erich Maria Remarque aus heutiger Sicht. Göttingen: V+R unipress, 2021, 35–46. 3 Janusz Sławiński. »Baśń«. Janusz Sławiński (ed.). Słownik terminów literackich. Wrocław, Warszawa, Kraków 2002, 61–62. 4 Ivo Braak. »Volksmärchen«. Ders. Poetik in Stichworten. Berlin, Stuttgart 2001, 213–217. 5 Tzvetan Todorov. Einführung in die fantastische Literatur. Frankfurt/Main 1992, 51. 6 Stefanie Kreuzer, Uwe Durst, Caroline Frank. »Einleitung. Spielarten des Wundbaren in Kunst und Kultur«. Dies. (eds.). Das Wunderbare. Dimensionen eines Phänomens in Kunst und Kultur. Paderborn 2018, 7–26, hier 8.

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hier stets eine textinterne Perzeption des Wunderbaren richtungsweisend, nicht die der Leserin bzw. des Lesers. Dieses Spezifikum des Wunderbaren lässt sich ebenfalls wie folgt charakterisieren: Obzwar es sich um eine Wundererscheinung bzw. eine märchenhafte Begebenheit handelt, wird diese Besonderheit von den Figuren eben nicht als solche wahrgenommen, weil sie sich harmonisch in die ihnen bekannte Welt einfügt, ohne Angst, Erstaunen (dies sei wiederum laut Todorov ein Merkmal des Unheimlichen) oder eine In-Frage-Stellung des Erlebten auszulösen. Demzufolge wird hier auch der Terminus Märchen nicht im gattungsnormativen Sinne verwendet. Er meint vor allem Märchenstoffe und -figuren sowie deren diverse Verbindungen, die in eine realistisch anmutende Romanhandlung eingewoben werden, und so im Zusammenspiel mit dieser Ebene möglicherweise eine eigenartige Bedeutung bekommen. In den nachfolgenden Ausführungen wird daher das Ziel verfolgt, den Erscheinungsformen des Wunderbaren sowie den Märchenstoffen in der Traumbude nachzugehen, um anschließend deren Verflechtungen und ihre semantische Aufladung zu beleuchten.

Wunderbare Merkmale des erzählten Raumes Bereits in den ersten Zeilen des Romans lässt sich das Bemühen erkennen, den Effekt einer Wirklichkeitsferne zu erzeugen und so dem Wunderbaren quasi den Weg zu ebnen. In der ersten Episode sieht man nämlich den Protagonisten Fritz Schramm auf einem Spaziergang durch ein Städtchen, der ihn gleichsam von einer realen in eine traumhafte Dimension hinüberführt: Durch blühende Gärten wehte der Maienwind. Aus überhängendem Flieder auf alten Mauern kam schwerer, süßer Duft. Langsam schritt der Maler Fritz Schramm durch die alten Gassen der kleinen Stadt. Hier und da blieb er stehen, wo ein kleiner Erker oder ein alter Giebel, der gar zu traumvoll vor dem Abendhimmel stand, sein Künstlerauge fesselte. (Remarque, Traumbude, 2020, 7).

Es ist nicht bloß der Topos Locus amoenus, der hier beschworen wird, sondern es wird eine illusorische Welt aufgebaut, die eine hypnotische Wirkung entfaltet. Die synästhesieähnlichen Ausdrücke (die »blühenden Gärten«, der »überhängende Flieder«, der »schwere, süße Duft«) erzeugen den Effekt einer von allen Seiten kommenden und durch mehrere Sinnesorgane perzipierten Alternativwirklichkeit, die in die realistische Handlungskulisse gleichsam einsickert. Verstärkt wird dieser Eindruck einige Zeilen später, als der Maler einer der weiblichen Hauptfiguren des Romans, Elisabeth, begegnet und sie auf folgende Art und Weise wahrnimmt:

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In dem tiefblauen Raum wob die Dämmerung. Am Flügel brannten zwei dicke Kerzen. Ihr Schein ließ die weißen Tasten blendend erschimmern, brachte einen sanften Goldton in den Raum und umträumte den blonden Scheitel und das zarte Profil eines jungen Mädchens, das am Flügel saß, mit märchenhaftem Glanze. (Remarque, Traumbude, 2020, 9)

Die vielen Epitheta und die spielerischen Lichteffekte verleihen dem Handlungsraum ein malerisches, zugleich aber auch ein mehrdeutiges Gepräge, das ihn gleichsam in einem Dazwischen situiert. Man könnte sogar meinen, man habe mit einem Gemälde zu tun, und nicht mit einer realen Szene. Frappant ist in dem angeführten Zitat allerdings auch noch die Personifizierung der einbrechenden Dunkelheit: »In dem tiefblauen Raum wob die Dämmerung«. Evoziert wird damit das Vorstellungsbild einer webenden Person, womöglich einer Frau, die sich nicht bloß auf der rhetorischen Ebene als ein der wunderbaren Poetik des Romans zusprechendes stilistisches Mittel abtun lässt, sondern auch, oder vor allem, den Status einer autonom handelnden Figur bekommt. Diese Vermutung bestätigen ebenfalls weitere Textpassagen, in denen von der Dämmerung die Rede ist. Allen voran zeigt sie sich allerdings als ein konstitutives Element der Traumbude, der Dachwohnung des Malers Fritz. So heißt es etwa: »Die Dämmerung träumte im Rosenduft des braunen Dachzimmers, als sie eintraten. Entzückt blieben sie stehen.« (Remarque, Traumbude, 2020, 29); »Die Dämmerung wob ganz tief durch den Raum [...].« (Remarque, Traumbude, 2020, 32); »Endlich nahm ihm die Dämmerung den Pinsel aus der Hand.« (Remarque, Traumbude, 2020, 42); »Die Dämmerung wob blauer durch die Traumbude« (Remarque, Traumbude, 2020, 65); »Das Feuer glimmt, der Wind singt, die Dämmerung träumt.« (Remarque, Traumbude, 2020, 97); »In den Winkeln hockte die Dämmerung, und Gläser und Steine blitzten traumhaft daraus hervor.« (Remarque, Traumbude, 2020, 170). Freilich erscheint die personifizierte Dämmerung nicht nur in der Wohnung des Malers; ähnliche Vorstellungsbilder begleiten auch andere Romanepisoden. So wird in einer Szene mit Ernst und Lanna wie beiläufig erwähnt: »Die Dämmerung wob aus ihren Stimmen ein silbernes Band über blauen Träumen.« (Remarque, Traumbude, 2020, 137). Und etwas weiter heißt es ähnlich: »Sie saß im letzten Abendgold, durch das schon blau die Dämmerung webte.« (Remarque, Traumbude, 2020, 137). Eine Schlüsselrolle scheint dabei der personifizierten Dämmerung in einer seltsamen, traumähnlichen Vision von Fritz zuzukommen, in welcher der Protagonist eine Wiederbegegnung mit Lou, seiner toten Geliebten, imaginiert: Über uns das weiße Windsegel, unter uns unergründbare Tiefe. Wir fliegen über die weißgekrönten Wogen. Jetzt sehen wir nur Meer, Bläue und Glanz! Fern ein dunkler Streifen: Unsere Sonneninsel. Da liegen wir im weißen

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Sand und sind nichts als Sonne und Welle. Der weiche Sommerwind weht uns alle Gedanken aus den Seelen […]. Auf grünen Wiesen webt die Däm­ merfrau. Ich halte dich fest im Arm. Wir schreiten langsam und versunken unserm Hause zu. (Remarque, Traumbude, 2020, 99–100)

Es handelt sich hierbei um die einzige Stelle im Roman, an der die Dämmerung eindeutig als eine »Dämmerfrau« apostrophiert wird. Und kennzeichnenderweise wird sie auch diesmal mit dem Gestus des Webens in eine assoziative Nähe gebracht. Damit liegt die Schlussfolgerung nahe, dass es sich hier eben auch um eine Wunderfigur handelt, möglicherweise einen fabelhaften Archetypus einer Weberin, wie sie wohl am besten im Bild der germanischen Norne oder griechischen Parze verewigt und als solcher erkennbar gemacht wurde. Eine Schicksalsgöttin also, die Menschenschicksale webt und so verbindet, die Fäden aber auch genauso gut zerreißen und so Menschen auseinandergehen lassen kann. Eine ähnliche Funktion scheint im Roman die Dämmerfrau zu spielen: Einerseits ist sie eine Grenzfigur, die zwischen der realen und märchenhaften Welt ein Verbindungsglied darstellt, andererseits markiert sie die unterschwellige Präsenz einer ursprünglichen und unfassbaren Dimension des Seins, wie sie wohl am besten im Märchen versprachlicht und veranschaulicht werden kann. Daher ist es auch symptomatisch, dass die Traumbude, das Atelier das Malers, im Grunde genommen einen märchenhaften Raum darstellt, in dem die Dämmerfrau ihren angestammten Platz hat. Diese märchenhafte Beschaffenheit dieses Ortes unterstreichen aber auch explizite Formulierungen, wie das Prädikat »Märchenbude« (Remarque, Traumbude, 2020, 68) oder der intertextuelle Bezug auf Schneewittchen, eines der populärsten Grimmschen Märchen: Als sich nämlich eines Tages der Maler in seinem Spiegel beschaut, kommt ihm wie zufällig die bekannte Phrase »Spieglein, Spieglein an der Wand« (Remarque, Traumbude, 2020, 143) in den Sinn. Allen voran sind es aber Dingsymbole, die der Wohnung des Künstlers eine wunderbare Dimension verleihen: das »Märchendachfenster«, »die vielen Bilder an der Wand«, die »lächelten und nickten« (Remarque, Traumbude, 2020, 170) sowie das »süße Bild« – ein Porträt der verstorbenen Geliebten. Das »Märchenfenster« (Remarque, Traumbude, 2020, 146, 170) markiert dabei im doppelten Sinne einen (Übergangs-)Ort des (zum) Wunderbaren: Ein Fenster ist als solches ein Ort der Transgression, und ein Märchenfenster verstärkt ja noch zusätzlich diese Auslegungsmöglichkeit. Dabei handelt es sich aber wieder einmal nicht um einschneidende Transgressionen des Realen bis hin zum Wunderbaren: Vielmehr veranschaulicht das märchenhafte Fenster das harmonische Nebeneinander dieser Ordnungen bzw. die Möglichkeit, das Wunderbare als eine hypothetische Seins-Dimension zu erkennen.

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Diese Möglichkeit wird jedoch allen voran mittels des »süßen Bildes« suggeriert, dem Porträt der verstorbenen Geliebten des Malers. Nicht nur, dass die Augen auf dem Gemälde als »Märchenaugen« etikettiert werden, sondern es wird immer wieder auf die Lebendigkeit der porträtierten Frau hingewiesen. An mehreren Textstellen, die auf das Gemälde rekurrieren, heißt es etwa: »es schien, als ob die schönen Augen lächelten und der rote Mund zuckte« (Remarque, Traumbude, 2020, 30), »Und es war, als ob die schönen Augen schimmerten und leuchteten und der rote Mund lächelte« (Remarque, Traumbude, 2020, 34); »so daß es schien, als ob es lebte. Es war, als ob die schönen Augen leuchteten und der rote Mund lächelte« (Remarque, Traumbude, 2020, 65); »Und es war, als ob die süßen Augen leuchteten und der rote Mund lächelte.« (Remarque, Traumbude, 2020, 176). Diese suggestive Wunderwirkung der Traumbude scheint dabei später gleichsam auf das Porträt des verstorbenen Malers überzugehen – als sich nämlich die Freunde des Künstlers in seiner Wohnung versammeln, heißt es in einem ähnlichen Ton: »es war, als ob das Bild lebte, die braunen Märchenaugen leuchteten und der gütige Mund lächelte«. (Remarque, Traumbude, 2020, 193). Die Als-ob-Konstruktion, die die zitierten Aussagen sichtbar modalisiert, verhindert so eine eindeutige, ontologische Bestimmung des gerade Erlebten und lässt die Traumbude als einen wunderbaren Raum wahrnehmen, in dem die Gesetze der realen Welt aufgeweicht werden. Die Traumwohnung des Malers steht so in nuce für eine Manifestationsweise des Wunderbaren, wie sie nicht nur mittels einer spezifischen Raumgestaltung exemplifiziert wird, sondern auch in der Figurengestaltung zum Vorschein kommt.

Wunderbares in der Figurengestaltung Kennzeichnenderweise sind es gerade die weiblichen Hauptfiguren, bei deren Konzeption und Charakterisierung eine Poetik des Wunderbaren in einem auffallenden Umfang zur Verwendung kommt. Dies lässt sich wohl am ehesten damit erklären, dass die Protagonistinnen weitgehend als Projektionsflächen für männliche Phantasien konzipiert werden: Es ist ein Gemeinplatz der feministischen Forschung, der sich seit Silvia Bovenschens einflussreicher Studie zu Frauenbildern in der Literatur und Kultur an zahlreichen literarischen Beispielen nachweisen und verfolgen lässt7. Von einem »märchenhaften Glanze«, welcher der Figur der klavierspielenden Elisabeth immanent ist, war bereits die Rede. Frappant ist dabei, dass auf diese Eigenschaft der Frauenfigur – einen ungewöhnlichen, gleichsam unirdischen 7 Vgl. Silvia Bovenschen. Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt/Main 2003.

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Nimbus – ebenfalls am Ende des Romans hingewiesen wird: Als sich der lange Zeit irrende Ernst endlich glücklich mit seiner Geliebten verbindet, macht kennzeichnenderweise der hetero- und extradiegetische Er-Erzähler auf »Elisabeths Madonnenantlitz« (Remarque, Traumbude, 2020, 7) aufmerksam. Dieses Gestaltungsprinzip bekommt also ebenfalls auf der kompositorischen Ebene des Romans ein besonderes Gewicht, weil es einen markanten Rahmen darstellt, der die erste und die letzte Episode mit Elisabeth als wichtiges Handlungselement strukturell verbindet. Diese subtilen Texthinweise korrespondieren im weiteren Verlauf der Handlung mit der Strategie, mittels mehr oder weniger expliziter Bezüge zu Märchenstoffen die Figur Elisabeth als eine gleichsam in einem Zwischenreich beheimatete zu kreieren. Solch ein identifikatorisches Angebot findet sich etwa in einer Passage, in der Elisabeth aus der Perspektive von Ernst dargestellt wird: Ihm war, als ob eine Elfe, ein Waldkind in das Zimmer gekommen sei. So verschwistert erschien sie ihm mit der Natur. Ein Allkind, ganz unberührt von Zweifel und Denken, Kausalität und Notwendigkeit – ganz reines, der Natur hingegebenes Gefühl – Weltgüte in einen Menschen gebannt. (Remarque, Traumbude, 2020, 63)

Lässt man die aus feministischer Sicht äußerst stereotyp anmutende Gleichsetzung des Weiblichen mit der (irrationalen) Natur außer Acht – eine misogyne Traditionslinie, die seinerzeit nicht nur Remarque repetierte und fortgeschrieben hat8 –, so ist die sich hier deutlich abzeichnende Affinität Elisabeths zu einem magischen Naturwesen von besonderer Bedeutung. Allerdings muss dieser Befund etwas differenziert werden. Ähnlich wie anderen Märchenwesen, wie etwa Kobolden, Feen oder Wichtelmännchen, wohnt nämlich auch den Elfen eine Ambivalenz inne, die sie jenseits des Guten und des Bösen situieren lässt. Dieser moralischen Mehrdeutigkeit wird Elisabeth als eine personifizierte Elfe beraubt: Sie steht eindeutig für das Gute, das zusätzlich noch durch das Vorstellungsbild eines Kindes bekräftigt wird. Ganz im (neo-)romantischen Sinne – der Vorstellung folgend, dass besonders Kinder dazu prädestiniert seien, den Kontakt zu einer außergewöhnlichen, dem Durchschnittsmenschen nicht zugänglichen Realitätsdimension aufzunehmen – und auf für viele Märchentexte typische Art und Weise, in denen kindliche Protagonisten gleichsam das Wunderbare im Sinne des moralisch Richtigen wirkungsfähig und sinnfällig machen (wie etwa in Die Bezauberungen der

8 Siehe dazu etwa in Bezug auf Arnold Zweig: Nina Nowara-Matusik. »Der Künstlerdiskurs in der Erzählung Pont und Anna von Arnold Zweig – Versuch einer feministischen Re-Lektüre«. Krzysztof Kłosowicz (ed.). Arnold Zweig zum fünfzigsten Todestag. Berlin 2019, 101–112.

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Nacht von Sophie Tieck-Bernhardi), wird die Figur Elisabeth zu einer in diesem Sinne schönen Seele stilisiert. Durch den Rückgriff auf das märchenhafte Gewand wird sie so zur Trägerin des Guten per se, einer universellen Idee, die ähnlich wie das Märchen – folgt man den Brüdern Grimm – »überall zu Hause sein könne«.9 Mit dem märchenhaft-kindlichen Erscheinungsbild Elisabeths zeichnet sich eine gedankliche Verbindung zu Goethes Mignon ab. Diese Assoziation stellt sich bei Ernst explizit ein, als Elisabeth zu seiner Begleitung Mignons weltbekanntes Lied Kennst du das Land… aus Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre singt. Mignon als Elisabeths neuer Name erhält sogar den Rang eines Leitmotivs. Als nämlich der Maler Fritz den Vorschlag macht, Elisabeth Mignon zu nennen, stimmen ihm alle zu; freilich erscheint sie als Mignon besonders oft in den Phantasien von Ernst. Bekanntlich stellt Goethes Mignon den Typus einer Kindfrau dar; das »zarte, phantastische Geschöpf«10 exemplifiziert aber auch das sich dem rationalisierenden und so zwangsläufig vereinnahmenden Gestus Wilhelms widersetzende Prinzip des Geheimnisvollen und Unergründeten: »Wilhelm Meisters Mignon erzeugte eine fast unübersehbare Nachkommenschaft von geheimnisvollen, märchenhaft süßen, dämonisch verführenden Zwitterfiguren.«11 Eben jene »märchenhafte Süße« bleibt gerade bei Elisabeth zurück, während der rätselhafte und verführerische Zug reduziert wird. Auch ihr Zwitterwesen wird im Laufe der Handlung einer Vereinheitlichung unterzogen: War sie anfangs noch einem unwissenden, quasi geschlechtlosen Kind ähnlich, so reift sie im Laufe der Handlung zu einer wissenden bzw. lebenserfahrenen Persönlichkeit – einer Frau, um Ernst vergeben und so ihn mit sich selbst und der Welt versöhnen zu können. Märchenhafte Züge sowie eine Aura des Wunderbaren begleiten schließlich auch die zweite weibliche Hauptfigur des Romans, Lanna Reiner, eine erfolgreiche Opernsängerin auf der Höhe ihrer Zeit, mit der Ernst während seines Musikstudiums in Leipzig liiert ist. Und markanterweise macht sich das Wunderbare an dieser Figur ebenfalls auf eine ähnliche Art und Weise bemerkbar, wie man es bereits bei Elisabeth feststellen konnte. Als nämlich die Sängerin in der Wohnung des Malers Fritz erscheint und so in die Romanhandlung eingeführt wird, geht von ihr »ein eigenartiges Fluidum« (Remarque, Traumbude, 2020, 57) aus. Das Wunderbare manifestiert sich so als eine scheinbar banale Begleiterscheinung, um dann aber um weitere frappierende, märchenaffine Details bereichert zu werden. Im äußeren Erscheinungsbild der »märchenhaft schön[en]«, schwarzhaarigen Sän9 Jakob Grimm, Wilhelm Grimm. »Vorrede der Brüder Grimm zum ersten Band«. Dies. (eds.). Deutsche Sagen. Erster Band. Frankfurt/Main 1981, 9– 21, hier 9. 10 Ernst und Erika von Borries. Deutsche Literaturgeschichte. Band 3. Die Weimarer Klassik, Goethes Spätwerk. München 1991, 123. 11 Arthur Eloesser. Die Deutsche Literatur vom Barock bis zur Gegenwart. Band 2. Von der Romantik bis zur Gegenwart. Berlin 2012 [1931].

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gerin werden nämlich auffallend oft zwei Merkmale akzentuiert, welche der Figur eine ungewöhnliche und geheimnisvolle Aura verleihen: »die dunklen Augen«, die ebenfalls als »groß und beherrschend« (Remarque, Traumbude, 2020, 112) bezeichnet werden, um schließlich als »Augensterne« (ebd.) auf sich aufmerksam zu machen, sowie ihr lächelnder Mund. Dabei nimmt Lannas eigenartiges Lächeln erzähltechnisch eine herausgehobene Stellung ein: Es handelt sich nämlich um ein »seltsames Lächeln« bzw. um »feines, rätselhaftes Lächeln« oder auch »unergründliches Lächeln« (Remarque, Traumbude, 2020, 134) »gemischt aus Sünde, Trauer, Sehnsucht« (Remarque, Traumbude, 2020, 113, 123). Damit weist »das seltsame, betörende Lächeln« (Remarque, Traumbude, 2020,165) die Figur der Sängerin in die Nähe eines märchenhaften, geheimnisumwitterten Geschöpfs, wie es wohl am besten in der Gestalt der (ägyptischen) Sphinx versinnbildlicht wird. Diese Suggestion, dass Lanna eine in diesem Sinne mehrdimensionale Figur ist, verstärken auch einige Textstellen, die sich auf ihre erotische Ausstrahlung beziehen. Besonders ausdrucksstark ist in diesem Kontext eine Episode, die den mit sich selbst ringenden, sogar zu Selbstmord neigenden Ernst, der sich von Lanna befreien will, in die Mitte stellt: »Eine weiche Erinnerung überhuschte ihn an schwellende, seidene Kissen und eine Flut rabenschwarzen Gelocks über zwei dunklen Augen.« (Remarque, Traumbude, 2020, 167). Und etwas weiter heißt es ähnlich: »Aber eine jähe rote Flut brandete alle Bedenken hinweg, und phosphoreszierend leuchtete das dunkle Haar.« (Remarque, Traumbude, 2020, 168). Als Ernst schließlich kapituliert und in die Wohnung der Opernsängerin gelangt, offenbart sich ihm das folgende Bild: Lanna lag auf der Ottomane. Ihr nackter Leib war von einem grünseidenen Umhang nur teilweise bedeckt. Eine Hand hing herunter mit einem Buche. Ihr üppiges Haar war gelöst, umwogte das blasse Gesicht mit den glänzen­ den Augen und fiel wie schwarze Nacht auf die grüne Seide. (Remarque, Traumbude, 2020, 169)

Wiederholt wird in den zitierten Passagen auf eine Wassermetaphorik rekurriert (2-mal »Flut«, »umwogte«), die in der Apostrophe »›Komm!‹, eine Stimme wie durch Meereswogen« (Remarque, Traumbude, 2020, 142), kulminiert. Dass Ernst Lannas Anziehungskraft als einen lockenden Ruf empfindet, lässt sie in Verbindung mit dem Wortfeld ›Wasser‹, den grünen Lichteffekten, ihrem blassen Antlitz, ihren langen, schwarzen Haaren und nicht zuletzt ihrem verführerischen Gesang auf der Opernbühne als ein märchenhaftes Wasserwesen wahrnehmen, halb Mensch und halb Fisch, das sich inbrünstig die Vermählung mit einem Mann herbeiwünscht, weil es nur dadurch eine menschliche Seele erlangen und so erlöst werden kann. Lanna als Wasserfrau – eine Undine etwa – wird dabei

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eindeutig moralisch abgewertet: Im Gegensatz zu der ›Heiligenfigur‹ Elisabeth ist sie für Ernst ein »Dämon seines Blutes« (Remarque, Traumbude, 2020, 181), von dem er sich erst gewaltsam und infolge einer inneren Erschütterung (mitten im Liebesrausch bekommt er die Nachricht von dem Tod seines besten Freundes) trennen kann. So erwächst die Figur Lanna zu einer Figuration einer wunderbaren Verführerin par excellence, einer Lilith und Mona Lisa,12 wie sie in der Literatur gerade der Jahrhundertwende reichlich vertreten war und auch in der Weimarer Republik nichts an ihrer Popularität eingebüßt hat.

Fazit Die Durchsetzung des Romans mit märchenhaften und wunderbaren Elementen ist alles andere als augenfällig; erst eine textnahe Lektüre macht auf deren unterschwellige Präsenz und Koinzidenz aufmerksam. Hingestreut an diversen Textstellen, zunächst den Eindruck eines rhetorischen Ornaments erweckend, offenbart aber das Wunderbare so seine Wirkungsweise, in dem es sich der realen Welt dezent anschließt. Es handelt sich folglich um eine poetische Doppelbödigkeit, die auf einen Zusammenklang der beiden Ordnungen hinzielt, welche fast nahtlos ineinander übergehen. Die märchenhaften Einlagen dienen aber nicht bloß der Illustration und einer rhetorischen Mehrfachbenennung der grundlegenden Fragen des Romans, wie etwa der Liebes- und Kunstthematik. Indem das Reale und Wunderbare beinahe eine textuelle Symbiose eingehen, versinnbildlichen sie so die (erfüllte) Sehnsucht nach der Ganzheit, die die Protagonisten unaufhörlich begleitet: Den geheimnisvollen Weg »vom Ich zum Du« (Remarque, Traumbude, 2020, 19, 82, 127), das Wiederfinden von sich selbst und der Welt im Anderen, jene Allverschwisterung (vgl. Remarque, Traumbude, 2020, 191), von der fast alle Figuren des Romans schwärmen und welcher sie mehr oder weniger bewusst zustreben. Somit wird das Wunderbare zum Signum eines Ideals: Einer allumfassenden Ganzheit, die alle Dissonanzen des irdischen Daseins harmonisch aufzulösen vermag, und dabei ausgesprochen romantischen Ursprungs ist. Es wäre daher wohl nicht verfehlt zu behaupten, dass der Roman so den Willen offenbare, die Welt im Sinne von Novalis zu romantisieren – ob aber nach der Erschütterung des Ersten Weltkriegs das so verstandene (Neo)Romantisch-Wunderbare nach wie vor den Schlüssel aller Kreaturen darzustellen vermöge, sei allerdings dahingestellt.

12 Vgl. Irmgard Roebling (ed.). Lulu, Lilith, Mona Lisa. Frauenbilder der Jahrhundertwende. Pfaffenweiler 1989.

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»Die Schönheit der Jugend kann nicht einmal der Krieg zerstören« Idyllische Motive in Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück

Leid und Krieg auf der einen, Harmonie und Frieden auf der anderen Seite? So könnte plakativ der Unterschied zwischen den Romanen Erich Maria Remarques und der literarischen Gattung der Idylle beschrieben werden. Unvereinbar, ein diametraler Gegensatz. Was jedoch auf den ersten Blick noch widersprüchlich erscheint, erweist sich bei genauerer Betrachtung als eine Möglichkeit, das Werk des Schriftstellers aus einem repetitiven Prozess rudimentärer literaturwissenschaftlicher Arbeiten herauszulösen und einen neuen Zugang zu seinen Romanen zu ermöglichen. Ist die Prosa Remarques meist noch gebunden an die Darstellung einer Katastrophensituation, so wird die Idylle grundsätzlich mit einem harmonischen, naturnahen Zustand assoziiert, der das exakte Gegenteil einer Krise abbildet. In der literarischen Tradition stehen seine Romane somit weit entfernt von der Gattung der Idylle, und doch lassen sich idyllische Motive – gerade in diesen Krisenmomenten – nachweisen. Damit soll ein vollkommen neuer Interpretationsansatz vorgestellt werden, der in der literaturwissenschaftlichen Forschung bis heute noch an keiner Stelle aufgegriffen worden ist, obwohl die zahlreichen, detaillierten Naturdarstellungen in den Romanen Remarques eine solche Verknüpfung nahelegen würden. Mit Blick auf das ›Heimat‹- und ›Jugend‹-Motiv in Im Westen nichts Neues1 und Der Weg zurück2 wird diese Verbindung besonders deutlich. Die Hauptfiguren beider Werke verkörpern den Typus des einfachen Soldaten, der aus den Jugendjahren gerissen, von den Erlebnissen an der Front des Ersten Weltkrieges 1 Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014, 5. Aufl. 2 Erich Maria Remarque. Der Weg zurück. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014.

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psychisch zerstört wurde und sich in der Gesellschaft nicht mehr zurechtfinden kann. Der Raum der Heimat fungiert in beiden Werken als ein harmonischer Kontrast zum menschenverachtenden Geschehen an der Front und ist darüber hinaus eng an die eigene Jugend der Protagonisten geknüpft. Mit idyllischen Motiven, wie einer blühenden Naturkulisse oder stilisierten Jugenderinnerungen, wird die Heimat so zu einem Schutzrefugium idealisiert, welches die negative Konnotation der Front zusätzlich verstärkt, und zudem die fortschreitende psychische Verrohung der beiden Figuren nachzeichnet. Obligatorisch für diesen Raum ist dabei sein artifizieller Charakter, denn erst durch die grausamen Erlebnisse in den Schützengräben wird die heimatliche Landschaft von den Soldaten glorifiziert und als ein erstrebenswertes Ziel – ein Idyll – wahrgenommen. So werden die idyllischen Erinnerungen der jungen Protagonisten zu einem Ausdruck ihrer Unschuld inmitten der menschenverachtenden Realität des Krieges. Bezogen auf eben diese Realität merkt bereits Wilhelm von Sternburg in seiner Remarque-Biografie an, dass die Soldaten von den Mechanismen des Krieges, der Erkenntnis der Ausweglosigkeit einer Flucht aus dem Raum der Front, zu menschlichen Maschinen degradiert würden, deren Menschlichkeit dem Überlebenskampf und dem Töten des Feindes zum Opfer gefallen sei.3 Die Erfahrung des Krieges hat somit zu einer Versachlichung des Individuums geführt. Dieser ›Entmenschlichung‹ werden die idyllischen Motive zusätzlich gegenübergestellt, um der voranschreitenden Verrohung und Versachlichung der Protagonisten entgegenzuwirken. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch Unterschiede in der Darstellung und Funktion der idyllischen Motive in Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück. Während für Paul Bäumer die heimatliche Landschaft primär eine Projektion der eigenen Hoffnungen, einer imaginierten, idealisierten Vergangenheit, darstellt und er sich nur temporär in diesem Raum aufhält, lebt Ernst Birkholz in eben jenem Raum der Jugend und muss sich daher aktiv mit seinen utopischen Erwartungen an diesen auseinandersetzten. Ist in Im Westen nichts Neues die Vorstellung einer idyllisch verklärten Heimat noch Ausdruck der Trauer über die verlorene Jugend und Motiv einer unerreichbaren Zukunft, so wird das Idyllische in Der Weg zurück im Verlauf der Handlung zum Symbol eines Neuanfanges.

3 Wilhelm von Sternburg. »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009, 2. Aufl., 171f.

Idyllische Motive in Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück

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Die Idylle Bevor die beiden Romane Remarques auf ihre idyllischen Motive hin untersucht werden können, muss zunächst der Idyllen-Begriff an sich definiert werden. Als eine literarische Gattung existierte die Idylle in der deutschsprachigen Literatur zwar nur zwischen der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, jedoch lassen sich ihre Ursprünge bereits in der antiken Dichtung lokalisieren. Aufgrund ihrer komplexen Historie verfügt die Idylle daher über ein recht heterogenes Spektrum an Motiven und Strukturmerkmalen. Etymologisch leitet sich Idylle aus dem altgriechischen Wort εἰδύλλιον/eidyllion ab, dem Diminutiv zu εἶδος/eidos (griech. äußere Erscheinung, Form, Gestalt),4 als Bezeichnung für eine zwischen ca. 280–260 v. Chr. verfasste Gedichtsammlung des griechischen Autors Theokrit.5 Die in Hexametern abgefassten Gedichte zeichnen sich durch eine intensive Verwendung verschiedener Naturmotive aus, sind jedoch in Form und Inhalt nicht näher definiert. Zwar gilt die Lyrik Theokrits als Ursprung des Idyllen-Begriffs, gattungsgeschichtlich wird sie jedoch der Bukolik (griech. Bukulos; dt. der Hirte),6 der Hirten- und Schäferdichtung, zugeordnet. Als fundamentales Merkmal dieser antiken Gattung gilt die Idealisierung des einfachen Landlebens der Hirten in einem stilisierten, zivilisationsfernen Naturraum, der mit Motiven des Topos des locus amoenus ausgestattet ist. Die wenigen Figuren innerhalb des Raumes sind dabei ebenso artifiziell wie ihre Umgebung. So wetteifern die bukolischen Hirten in einem Wechselgesang über die Schönheit der sie umgebenden Natur und werden damit der realen Alltagswelt enthoben und in einen Raum versetzt, der sich ausschließlich der Rezeption von Kunst widmet. Lokalisierte Theokrit den Ort der Handlung noch in seiner Heimat Sizilien, so löste in seiner Nachfolge der römische Dichter Vergil in seinem zehn Gedichte umfassenden Sammelwerk eclogae/Eklogen (ursprünglich bucolica)7 die Bukolik von jeder realen Landschaft ab und versetzte sie in ein rein imaginäres Reich: Arkadien. Als dichterische Verwirklichung der Vorstellung eines verlorenen Urzustandes der Menschheit – dem »goldenen Zeitalter« –, in dem diese friedlich mit und in der Natur existierte und zu dem der Mensch wieder zurückstreben sollte,

4 Fälschlicherweise wird eidos in älteren Fachbüchern häufig mit »Bild« übersetzt, was zur irreführenden Übersetzung von eidyllion als »Bildchen« geführt hat. Vgl. dazu: Florian Schneider. Im Brennpunkt der Schrift. Die Topographie der deutschen Idylle in Texten des 18. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft 496), 11f. 5 Nils Jablonski. Idylle. Eine medienästhetische Untersuchung des materialen Topos in Literatur, Film und Fernsehen (Dissertation). Stuttgart: Metzler, 2019, 24f. 6 Gabriele Raudszus. »Bukolik«. Hardenbergs Lexikon der Weltliteratur Bd. 1 (1989), 507. 7 Zur Problematik des Titels bei Vergil vgl.: Nicholas Horsfall. »Some problems of titulature in Roman literary history«. Bulletin oft the Institute of Classical Studies (1981), 28, 108f.

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wird Arkadien zum neuen Schauplatz der bukolischen Dichtung.8 Die Ursprünge der Bukolik bei Theokrit und die Weiterentwicklung der Gattung in den Eklogen Vergils gelten als Grundlage für die Entstehung der Idylle im 18. Jahrhundert. Werden die beiden Termini – Bukolik und Idylle – lange Zeit noch synonym gebraucht, ändert sich dies mit den Idyllen (1756) des Schweizer Dichters Salomon Gessner, dem einflussreichsten Werk der Gattung, das schließlich den Idyllen-Begriff als eine eigenständige Bezeichnung etablierte. Zahlreiche bukolische Motive, wie der dichtende Hirte oder der Kontrast von Stadt und Land, prägen die Idyllen Gessners und offenbaren deutlich den Einfluss der antiken Vorbilder. Neben allgemeiner Anerkennung stand die idealisierte Darstellung der Natur allerdings bei einigen Zeitgenossen stark in der Kritik. So verurteilte Hegel die »belanglose Nichtigkeit der Hirtenidylle«9 und auch Goethe kritisierte die Unglaubwürdigkeit der mythischen Hirten.10 Was die Kritiker forderten, war eine realistische Idylle, die das primitive Spiel mit der Schönheit der Natur in ein praktisches Handeln überführen sollte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wandelte sich daher der Anspruch an die Funktion der Gattung, die von nun an eine gesellschaftskritischere Aufgabe übernehmen sollte. Auch die idealisierte bukolische Darstellung des einfachen Hirtenlebens verlor ihre Bedeutung und wurde schließlich von bürgerlichen Motiven abgelöst. Zu den bekanntesten Vertretern einer solchen Neuausrichtung gehörte Johann Heinrich Voß, dessen Idyllen Die Leibeigenschaft (1775) und Luise (1795) die Gattung der bürgerlichen Idylle begründeten. Mäßigkeit und Besonnenheit avancierten nun zum Hauptmotiv des neuen Idyllen-Konzepts.11 Neben den literarischen Produktionen rückten gegen Ende des 18. Jahrhunderts vermehrt theoretische Texte in den Fokus eines allgemeinen Interesses. Auf die Bescheidenheit als ein gattungsspezifisches Merkmal einer bürgerlichen Idylle bezieht sich etwa Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik (1804) und charakterisiert die Gattung als »epische Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung«.12 Als eine der drei sentimentalischen Dichtarten bezeichnet hingegen Friedrich Schiller in seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) die Idylle und bringt diese in Verbindung mit seiner Definition des Ideals. Die Idylle habe demnach die Aufgabe, das Individuum in einen Zustand der Unschuld zurückzuführen und das verlorene Ideal der Natur wieder auferstehen zu lassen. Jedoch sucht Schiller diesen Zustand nicht in der Vergangenheit, wie es die Vorstellung des goldenen 8 Elisabeth Frenzel. »Arkadien«. Dies. (ed.). Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart: Kröner, 1988, 3. Aufl., 27. 9 Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vorlesung über die Ästhetik I. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1986, 336. 10 Thomas Lange. Idyllische und exotische Sehnsucht. Formen bürgerlicher Nostalgie in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Kronberg: Scriptor, 1976, 161. 11 Gerhard Hämmerling. Die Idylle von Geßner bis Voß. Theorie, Kritik und allgemeine geschichtliche Bedeutung. Frankfurt/Main, Bern: Peter Lang, 1981, 209f. 12 Jean Paul. Vorschule der Ästhetik. Hamburg: Meiner, 1990 (Philosophische Bibliothek 425), 258.

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Zeitalters bei Vergil vorsieht, sondern er lokalisiert ihn in der Zukunft. Das Prinzip des verlorenen, vorkulturellen Arkadiens wird ersetzt durch die Vorstellung einer elysischen Ferne, zu der der Mensch streben solle.13 Mit Schiller wandelt sich die Idylle von einer Gattung zu einer ›Empfindungsweise‹, einer Idee, und zugleich markiert seine Abhandlung den voranschreitenden Verlust der Autonomie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Diese komplexe Entwicklung und Historie der Gattung ist verantwortlich für die Heterogenität des Idyllen-Begriffes, der eine einheitliche Definition praktisch unmöglich macht. Gemein ist allen Idyllen zunächst die Vorstellung eines hermetisch von der Außenwelt abgegrenzten Raumes, der eine heile Welt im Kleinen präsentieren und beim Rezipienten einen vollkommenen Glückszustand evozieren soll.14 Obligatorisch ist dabei, dass der Raum nur von außen betrachtet als ein solcher wahrgenommen werden kann und in direkter Konfrontation zur Realität steht. Schauplatz der Handlung ist häufig die aus der Bukolik übernommene idealisierte Landschaft, die eine unschuldige, reine Natur präsentieren soll.15 Jedoch ist die Idylle nicht an einen bestimmten Ort gebunden, sondern sie wird durch die subjektive Wahrnehmung des Betrachters generiert.16 Die absolute Sublimierung des Raumes führt zum einen dazu, dass er vom betrachtenden Subjekt nie betreten werden kann, und zum anderen ist die Zerstörung in der Existenz der Idylle inkludiert. Dieser Endlichkeit steht jedoch paradoxerweise eine innere Zeitlosigkeit konträr gegenüber. Wie Michael Bachtin anmerkt, resultiert die Abschwächung der Zeitgrenzen in der Idylle aus ihrem besonderen Zusammenspiel von Zeit und Raum. So würde das idyllische Leben immer gebunden sein an ein Heimatland, das generationenübergreifend keine Veränderung erfährt, da jede Lebensreihe auf die nächste folge. Der Ort war, ist und wird immer diese vertraute Landschaft der Vorväter sein, und dies führe letztlich zu einer Art ›Verschmelzung‹ der einzelnen Generationen, vom Neugeborenen zum Verstorbenen.17 Handlung und Anzahl der Figuren sind dabei beschränkt, sodass die wenigen Menschen, die den Raum bevölkern, in Harmonie und ohne gesellschaftliche Standesgrenzen miteinander

13 Friedrich Schiller. »Über naive und sentimentalische Dichtung«. Rolf Peter Janz (ed.). Friedrich Schiller. Theoretische Schriften. Frankfurt/Main: DKV, 2009 (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 32), 748ff. 14 Helmut J. Schneider. »Ordnung der Kunst und Ordnung der Häuslichkeit. Arkadische Topik, Idylle und das deutsche bürgerliche Epos des 19. Jahrhunderts«. Sabine Schneider, Marie Drath (eds.). Prekäre Idyllen in der Erzählliteratur des deutschsprachigen Realismus. Stuttgart: Metzler, 2017, 17. 15 Babara Thums. »Wissen vom (Un)reinen: Zum diskursiven Zusammenspiel von Idylle und ­Moderne«. Gunhild Berg (ed.). Wissenstexturen. Literarische Gattungen als Organisationsformen von Wissen. Frankfurt/Main: Peter Lang, 2014, 146f. 16 Jan Gerstner, Christian Riedel. »Einleitung: Idyllen in Literatur und Gegenwart«. Dies. (eds.). Idyllen in Literatur und Medien der Gegenwart. Bielefeld: Aisthesis, 2018, 8. 17 Michael M. Bachtin. Chronotopos. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2014, 3. Aufl., 161f.

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koexistieren. Sie trinken, speisen und vergnügen sich gemeinsam.18 Ein sich wiederholender Kreislauf, der dem Subjekt das Gefühl von Stillstand vermittelt. Zwei grundlegende Probleme bei der Definition der Idylle bestehen allerdings darin, dass die Merkmale zum einen selten konzentriert in einem Text auftreten und zum anderen nicht auf die Idylle als literarische Gattung beschränkt bleiben.19 Mit dem Adjektiv idyllisch hat sich zudem schon früh ein Begriff etabliert, der zwar nachweislich aus dem Substantiv hervorging, dessen Beziehung zur Gattung jedoch ambivalent ist. Problematisch ist, dass der Terminus einerseits die Gattungsmerkmale der Idylle bezeichnet, sich andererseits auch außerhalb derselben in literarischen und nicht-literarischen Produktionen realisiert. Hinzu kommt, dass das Idyllische die Idylle auch zeitlich überdauert hat, was in der Moderne zu einer Trivialisierung der beiden Begriffe geführt hat.20 Insbesondere das Adjektiv idyllisch hat sich im 20. und 21. Jahrhundert außerhalb literarischer Produktionen verbreitet und sich dabei von der traditionellen Gattung immer weiter entfernt. Dies bestätigt auch die Definition des Wortes im Duden, der für idyllisch zwei Bedeutungsvorschläge liefert: »a) wie in einem Idyll, den Eindruck eines Idylls erweckend; b) zur Idylle (1) gehörend, für eine Idylle (1) charakteristisch. Gebrauch: Literaturwissenschaft«.21 Mit der Spezifizierung Literaturwissenschaft in Vorschlag b) wird noch einmal deutlich, dass der Begriff in der Moderne nicht nur sekundär mit einer literarischen Tradition assoziiert, sondern hauptsächlich in Bezug auf einen schönen Zustand oder Ort verwendet wird. Trotz der sich wandelnden Konnotation ist eine vollständige Trennung des Adjektivs idyllisch von der Idylle nicht möglich. Das Idyllische ist sowohl elementarer Bestandteil der Gattung als auch ein Gegenstand außerliterarischer, alltäglicher Entitäten. Mit Schillers Definition der Idylle als eine ›Empfindungsweise‹ kann idyllisch möglicherweise als Bindeglied zwischen der Gattung und der ›Idee‹ fungieren und das Phänomen der breiten Rezeption beschreiben.

Die Romane im Spiel mit der Idylle Die erschütternde Realität des Krieges, die zur schrittweisen Desillusionierung der anfänglichen Euphorie der autodiegetischen Erzähler, im Besonderen in Im Westen nichts Neues, führt, ist in beiden Romanen eng an den Raum der Front gebunden. 18 Renate Böschenstein. »Idyllisch/Idylle«. Karlheinz Barck et al. (eds.). Ästhetische Grundbegriffe Bd.3: Harmonie – Ideal. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2001, 121 u. 127. 19 Renate Böschenstein. Idylle. Stuttgart: Metzler, 1977, 2. Aufl., 4f. 20 Renate Böschenstein. »Idylle heute«. L. Der Literaturbote 19 (2004), 73, 36f. 21 Dudenredaktion (o.J.). idyllisch. auf Duden online. (https://www.duden.de/rechtschreibung/idyllisch, Zugriff am 13.03.2023).

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Die Merkmale, die die Front als einen anti-idyllischen Raum, eine Art locus terribilis, markieren, werden bestimmt von der anhaltenden Anwesenheit des Todes, dem die Soldaten praktisch schutzlos ausgeliefert sind. »Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muß auf das, was geschehen wird. […] Ebenso zufällig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben« (Remarque, Westen, 91f.). In diesem Ausschnitt spiegeln sich direkt zwei Eigenschaften wider, die die Front zu einem Raum der Angst und Verzweiflung werden lassen: Die Abgeschlossenheit, aus der es durch eigenständiges Handeln kein Entkommen gibt, und die Abhängigkeit des eigenen Lebens vom Zufall. Beide Eigenschaften offenbaren die Machtlosigkeit des einzelnen Soldaten. Neben der allgegenwärtigen Todesangst setzt der Hunger den jungen Männern zusätzlich zu, was sich dementsprechend auch auf ihre Psyche auswirkt. Mit Ratten kämpfen sie in den dreckigen Gräben um die letzten Brotkrumen und aus Verzweiflung trinken sie sogar das Kühlwasser der Maschinengewehre, getrieben vom primitiven Überlebensinstinkt, der das Menschliche in ihnen allmählich verblassen lässt.22 Der animalische Urinstinkt wird überlebenswichtig und das Individuum verschwindet in der Masse, der Anonymität, was die Soldaten schließlich entmenschlicht. Mit Blick auf das Sujet-Modell des russischen Literaturwissenschaftlers Juri Michailowitsch Lotman kann so auch eine Veränderung in der Wahrnehmung des Raumes seitens der Protagonisten nachgewiesen werden. Lotmans Modell setzt dabei die Begrenztheit des Raumes voraus und basiert zunächst topologisch nur auf einer Relation.23 Die modellierte Welt wird in zwei sich komplementär ergänzende Felder aufgeteilt, die von einer impermeablen Grenze getrennt werden, die in der Handlung einzig vom Protagonisten überschritten werden kann. Überschreitet der Held eine solche Grenze, entsteht eine Handlung.24 Der Gegensatz zwischen den beiden komplementären Feldern entfaltet sich dabei auf drei Ebenen. Primär wird der Raum topologisch durch Oppositionen wie ›fern vs. nah‹ oder ›innen vs. außen‹ unterschieden, die wiederum jeweils mit semantischen Gegensatzpaaren wie ›gut vs. böse‹, ›vertraut vs. fremd‹ oder ›künstlich vs. natürlich‹ verbunden sind. Diese topologisch-semantische Ordnung wird zuletzt von topographischen Gegebenheiten konkretisiert, so z. B. ›Stadt vs. Wald‹ oder ›Himmel oder Hölle‹.25 Auf die Raumkonstellation in Im Westen nichts Neues angewendet, ergibt sich daraus die Opposition von Front und Heimat bzw. die Erinnerung an diese. Interessanterweise verändern und erweitern

22 Remarque, Westen, 92ff. 23 Andreas Mahler. »Topologie«. Jörg Dünne, Andreas Mahler (eds.). Handbuch Literatur & Raum. Berlin, Bosten: De Gruyter, 2015 (Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie 3), 23f. 24 Juri Michailowitsch Lotman. Die Struktur des künstlerischen Textes. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1973, 360f. 25 Matías Martínez, Michael Scheffel. Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H.Beck, 2012, 9. Aufl., 156f.

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sich die topologischen und semantischen Eigenschaften der beiden Felder im Verlaufe des Romans und zeichnen so die Entwicklung des Protagonisten Paul Bäumer nach. Ist die Front zunächst noch als topologisch ›fern‹, semantisch ›fremd‹ konnotiert und die Heimat als Opposition dazu ›nah‹ und ›vertraut‹, wandelt sich diese Festlegung mit der Zeit ins Gegenteil. Die Front ist nun der unmittelbare, vertraute Raum, die Heimat ist fern und fremd geworden. Zusätzlich bilden sich noch weitere semantische Gegensatzpaare heraus, die die Front als ›böse‹ und ›künstlich‹, der heimischen Landschaft als ›gut‹ und ›natürlich‹ gegenüberstehen. Der topographische Gegensatz manifestiert sich in der Konfrontation von friedlicher Kleinstadt und zerstörtem Land. Somit wird die Front durchgehend negativ konnotiert und die heimische Landschaft erscheint in Opposition dazu idyllisch. Bernhard Schlick bezeichnet die Vorstellung von Heimat als eine Utopie, die primär als Projektionsfläche für unterschiedliche Sehnsüchte, vor allem jener nach einer heilen Welt, fungiere. Diese Sehnsucht sei demnach am größten, wenn sich das Subjekt sehr weit räumlich entfernt von einer gewohnten Umgebung befinde, sodass aus dem Verlangen nach Rückkehr schließlich Heimweh würde.26 Ebenso verhält es sich mit der Heimat bzw. der Erinnerung an diese in Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück. Sowohl Paul Bäumer als auch Ernst Birkholz sind durch den Krieg aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen und in eine ferne Welt transportiert worden. Mit der Heimat verbinden sie eine Zeit der Unschuld und des vermeintlichen Glücks. Unschuld meint in diesem Fall die literarische Stilisierung der Kindheit zu einem Schutzrefugium vor der Außenwelt, zu welchem Erwachsene keinen Zugang haben.27 Ein solch romantisierendes Kindheitsbild erinnert dabei stark an den Goldenen Zeitalter-Mythos und kann somit als Bestandteil der idyllischen Welt bezeichnet werden. In seinen Eigenschaften unterscheidet sich dieser Raum jedoch stark von der Front, da sich in ihm Wirklichkeit und Imagination vermischen. So ist die Heimat zwar der reale Ort, an dem Paul und Ernst ihre Kindheit verbracht haben und in den sie zwischenzeitlich auch wieder zurückkehren, Paul nur temporär, Ernst mit dem Ende des Krieges endgültig, jedoch konstruiert sich die Vorstellung des Raumes zu einem Großteil aus den Erinnerungen, die sie mit ihm verbinden. Ist die Landschaft in ihrer Vorstellung geprägt von Naturmotiven, friedlicher Atmosphäre und glücklichen Erfahrungen, zeigt sich die Realität weitaus weniger idyllisch. Diese Ambivalenz zwischen idealisierter Erinnerung und der ernüchternden Wirklichkeit führt zu einem Bruch mit der eigenen Jugend und der Erkenntnis, dass der Krieg ihnen 26 Bernhard Schlick. »Heimat als Utopie«. Ders (ed.). Vergewisserungen. Über Politik, Recht, Schreiben und Glauben. Zürich: Diogenes, 2005, 26f. 27 Davide Giuriato. »Kindheit und Idylle im 19. Jahrhundert (E. T. A. Hoffmann, A. Stifter)«. Sabine Schneider, Marie Drath (eds.). Prekäre Idyllen in der Erzählliteratur des deutschsprachigen Realismus. Stuttgart: Metzler, 2017, 119.

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die Zukunft genommen hat. Das Bild der Heimat erweist sich in diesem Kontext als eine Projektion ihrer Wünsche, die mit der Realität nur bedingt vereinbar ist. Besonders deutlich wird dies anhand der Fischfang-Episoden, die als wiederkehrendes Motiv in nahezu allen Romanen von Erich Maria Remarque aufgegriffen wird.28 Paul Bäumer erinnert sich dieser Aktivität, als er am Sterbebett seines Kameraden Franz Kemmerich steht. Es ist jetzt die schönste Zeit, wenn das Korn reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die Pappelallee am Klosterbach, in dem wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische züchten. (Remarque, Westen, 33)

Eine ähnliche Assoziation ruft das Jagen von Fischen auch bei Ernst Birkholz wach: Ich trage ein kleines Einmachglas in der Manteltasche und gehe den Pappelgraben entlang. Hier habe ich als Junge Fische und Schmetterlinge gefangen und unter den Bäumen gelegen und geträumt. Im Frühjahr hing der Graben voll Froschlaich und Algen. Helle, grüne Stauden von Wasser­ pest schwankten in den kleinen, klaren Wellen, langbeinige Schlittschuh­ läufer zackten zwischen den Stengeln der Schilfrohre und Schwärme von Stichlingen warfen in der Sonne ihre eiligen, schmalen Schatten auf den goldgefleckten Sand. (Remarque, Weg, 161)

In ihrer Erinnerung ist dieser Raum ein stark idealisierter, naturgeprägter Ort, der von seinen Motiven an einen locus amoenus erinnert und durch die zeitliche Komponente abgegrenzt vor ihnen liegt. Es ist eine heile Welt im Kleinen, die durch ihre harmonische Atmosphäre ein Glücksgefühl hervorruft. Das Jagen der Fische wird in diesem Zusammenhang an die Vorstellung einer kindlichen Unschuld geknüpft, die eng mit Schillers Definition des Naiven zusammenhängt. Es wird zu einem Symbol einer friedlichen Zeit, in der die Mechanismen der Erwachsenenwelt noch keinen Zugang in das Leben der Jugendlichen gefunden hatten. Sie fangen die Tiere nicht aus einem Zweck heraus, zum Beispiel um sie zu essen, sondern es ist ein Zeitvertreib, der das Motiv des Friedens verdeutlicht und zugleich zahlreicher unbeschwerter Augenblicke. Im Krieg hingegen musste jede Handlung zweckgebunden sein. Das Fangen von Fischen war dort kein romantisches Erlebnis, sondern höchstens eine Notwendigkeit, wenn es etwa darum

28 Zum Beispiel in: Erich Maria Remarque. Die Nacht von Lissabon. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014, 16. Aufl., 36f. oder Erich Maria Remarque. Schatten im Paradies. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011, 3. Aufl., 244.

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ging, genug Nahrung zum Überleben zu organisieren. Für die Protagonisten ist die Erinnerung an diese Aktivität im idealisierten Raum der eigenen Erinnerung ein Zeichen ihrer durch den Krieg verlorenen Unschuld. Es ist ein archaischer Zustand, der hier von Bäumer und Birkholz beschworen wird, und das Fangen der Fische verstärkt darüber hinaus die Bindung an die Natur, mit der sie vermeintlich einst im Einklang existierten. Zugleich kann dieser Moment aus der Retroperspektive nur als idyllisch empfunden werden, weil er dem Grauen der Realität gegenübergestellt wird. Es ist somit nicht nur die sublimierte Rückbesinnung auf einen verloren geglaubten Zustand, sondern ebenso der Beginn einer Prioritätenverschiebung. Das Einfache, das vermeintlich Alltägliche, was vor dem Krieg von den Soldaten als selbstverständlich, beinahe als eine Last empfunden wurde, blickt man auf die anfängliche Kriegseuphorie, die ein ›Abenteuer‹, ein ›Raus aus der Enge der heimatlichen Landschaft‹ versprach, wird nun zum hoffungsvollen Ziel. Die Hoffnung auf Ruhm ist der Ernüchterung gewichen und hat tiefe Wunden hinterlassen. Jean Pauls Charakterisierung der Idylle als ein »Vollglück […] in der Beschränkung« kann an dieser Stelle herangezogen werden, um die Sehnsucht der jungen Soldaten nach der einfachen Geborgenheit des Landlebens zu erklären. Die Heimat ist nun eine Wunschvorstellung, eine Projektion der kindlichen Harmonie, die durch das Idyllische idealisiert und heroisiert wird. Dies zeigt sich auch, wenn Birkholz bei seiner Rückkehr in eben diesen Raum versucht, das verlorene Gefühl der Geborgenheit wieder aufleben zu lassen, indem er sich der kindlichen Aktivität des Fischfanges widmet. Statt von dem erhofften Gefühl der Unbeschwertheit wird er jedoch schlagartig von einem Flashback überrascht, der ihn nicht zurück in seine Kindheit, sondern an die Front versetzt. Ab diesem Moment erkennt er den Raum seiner Jugenderinnerungen nicht mehr wieder. Statt die Natur zu genießen, analysiert er sie aus militärischer Sicht, vermisst den Raum und überlegt, wie er das Gelände nutzen würde, damit Truppen einen Angriff abwehren könnten.29 Selbst in seinem vermeintlichen Schutzrefugium ist er vor der Macht des Krieges, der nun schon seit einigen Wochen vorbei ist, nicht sicher. Sein Schicksal ist dabei kein Einzelfall, wie er nur einige Momente später feststellt, als Birkholz, noch mit einem Glas voll gefangener Fische in der Hand, seinen Kameraden Georg Rahe im Raum der einst gemeinsam verbrachten Jugend antrifft. Dieser hatte ebenfalls versucht, sich mit dem Fangen von Stichlingen vom Alltag abzulenken und so an die verlorenen Tage anzuknüpfen. In der anschließenden Konversation zwischen den Beiden entsteht der idyllische Raum ihrer gemeinsamen Erinnerungen noch einmal auf, ehe er erneut der enttäuschenden Realität gegenübergestellt wird und sich so als eine Projektion innerer Sehnsüchte zu erkennen gibt.

29 Remarque, Weg, 162ff.

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»Die Holzplätze rochen in der Sonne stark nach Harz und Teer, die Pappeln flimmerten, und kühl kam der Wind vom Wasser her – ich weiß alles noch– wie wir Laubfrösche suchten, wie wir Bücher lasen […]« »Es ist dann etwas anders geworden, Ernst, was?« sagt Rahe und lächelt […]. »Im Feld fingen wir die Fische dann auch anders«. (Remarque, Weg, 164)

Befindet sich Ernst Birkholz zum Zeitpunkt dieser Erinnerung mitten in diesem Raum seiner einstigen Jugend, so entsteht dieser Ort vor Paul Bäumers Augen zumeist inmitten einer Katastrophensituation. So schweift er in Gedanken auf einem nächtlichen Wachposten in unmittelbarer Nähe zum Kampfgeschehen in die Zeit seiner Jugend zurück und es offenbart sich ihm dabei eine Landschaft, die ihn alles rund um sich herum vergessen lässt. Zwischen Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine Rei­ he von alten Pappeln. […] Schon als Kinder hatten wir eine Vorliebe für sie, unerklärlich zogen sie uns an, ganze Tage verbrachten wir bei ihnen und hörten ihrem leisen Rauschen zu. Wir saßen unter ihnen am Ufer des Baches und ließen die Füße in die hellen, eiligen Wellen hängen. Der reine Duft des Wassers und die Melodie des Windes in den Pappeln beherrschte unsere Phantasie. Wir liebten sie sehr. (Remarque, Westen, 109)

Mit vier seiner fünf Sinne wird Bäumer sich der Landschaft in diesem Augenblick gegenwärtig. Er sieht die Schönheit der Natur, riecht das Wasser, hört das Rauschen des Windes und nimmt den Bach mit seinen Füßen haptisch wahr. Erneut wird das Bild eines locus amoenus entworfen, mit dem sich der autodiegetische Erzähler tief verbunden fühlt. Kennzeichen dieses Raumes, und auch der vorherigen Räume, ist der unmittelbare Naturzugang, der Ausschluss jeglicher Aggressionen sowie seine Abgeschlossenheit nach außen. Es ist die Kulisse von Theokrits Hirten, die hier aufgegriffen wird. Da Kindheit immer mit der Unschuld verbunden bleibt, wird dieser naive Zustand konstruiert, der frei von kulturellen und politischen Einflüssen ist und zugleich die Erwachsenen ausschließt, die eben diese enge Bindung an die Natur, wie sie Kinder verspüren, verloren haben. Der Raum wird so zu einem zeitlosen, statischen Ort, an dem die Ereignisse sich stetig wiederholen bzw. nie enden. Der Gegensatz zwischen lebendiger Landschaft der Jugend bzw. Heimat und dem versteinerten Raum der Front, wie es Hubert Rüter formuliert,30 verstärkt dabei zunächst den zerstörerischen Charakter des Krieges. In Im Westen

30 Hubert Rüter. Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Ein Bestseller der Kriegsliteratur im Kontext. Entstehung – Struktur – Rezeption – Didaktik. Bielefeld: transcript, 2009 (Modellanalysen: Literatur 4), 120.

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nichts Neues wird durch diesen Gegensatz der unmittelbare ›aktive› Krieg, das Geschehen an der Front, das Leid und der Tod noch stärker negativ konnotiert, in Der Weg zurück wird der Fokus hingegen auf die Folgen abseits der Kampflinien gerichtet. So befindet sich Ernst Birkholz zwar in einer vermeintlich sicheren Umgebung, der Krieg ist vorbei, jedoch sind die Erinnerungen noch so stark in ihm verankert, dass ihn das Erlebte auch noch nach Kriegsende begleitet. In beiden Fällen wird der Krieg als ein Bruch im Leben wahrgenommen, der zu einem plötzlichen Ende der Kindheit geführt hat. Innerhalb des idealisierten, mit idyllischen Motiven ausgestatteten Raumes der Heimat übernehmen die Pappeln eine zentrale Funktion. Auch sie sind in den Romanen Remarques ein wiederkehrendes Motiv31 und werden, wie die Aktivität des Fischfangs, zu einem Symbol der unschuldigen Jugend und Ausdruck einer letzten Hoffnung, in diesen Zustand zurückkehren zu können.32 Dies wird besonders kurz vor Bäumers Tod auf dem Schlachtfeld deutlich, als er resigniert seine letzten Gedanken der kleinen Hoffnung an ein Leben nach dem Krieg widmet. »Aber vielleicht ist auch alles dieses, was ich denke, nur Schwermut und Bestürzung, die fortsträubt, wenn ich wieder unter den Pappeln stehe und dem Rauschen ihrer Blätter lausche« (Remarque, Westen, 258). Seine Hoffnung wird nicht erfüllt und in dem Moment, wo er stirbt, zerbricht auch der idyllische Raum seiner Erinnerungen. Auch Ernst Birkholz projiziert seine Hoffnungen auf eine Wiedereingliederung und eine Rückkehr in die Gesellschaft und ein Leben vor dem Krieg auf die ihm vertrauten Pappeln aus seiner Jugend. In langer Reihe stehen die Pappeln neben dem Graben. Ihre Äste sind kahl, aber ein leichter, blauer Hauch hängt in ihnen. Eines Tages werden sie wieder grünen und rauschen, und die Sonne wird wieder warm und selig über diesem Stück Erde liegen, das so viele Erinnerungen meiner Jugend umfaßt. (Remarque, Weg, 161)

Zwar blühen die Pappeln bei seiner Ankunft im Raum der einstigen Jugend nicht so schön wie in seiner Erinnerung, jedoch bewahrt er sich die Hoffnung darauf, dass sie es ›eines Tages‹ wieder werden. Die Pappeln werden somit zu einem Spiegel ihrer Seele und sind zugleich Bestandteil des idyllischen Inventars in Remarques Romanen.

31 Zum Beispiel in: Erich Maria Remarque. Arc de Triomphe. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014, 10. Aufl., 149. oder: Erich Maria Remarque. Der schwarze Obelisk. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014, 10. Aufl., 23. 32 Bereits in den vorherigen Passagen, die in diesem Text herangezogen wurden, waren die Pappeln ein elementarer Bestandteil der Raumausstattung. So treten sie auch in Verbindung mit der Aktivität des Fische-Jagens auf und verstärken das idyllische Motiv der Sehnsucht.

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Beiden Protagonisten ist gemein, dass sie schließlich die Erinnerung an ihre Jugend als ein artifizielles Gebilde erkennen, das sich nur in Opposition zu den schrecklichen Erfahrungen an der Front konstituiert hat. Sobald sie diesen Raum, die Idylle, betreten wollen, zerfällt sie, da sie nur von außen betrachtet als eine solche wahrgenommen werden kann. Jedoch streben beide nicht in die Vergangenheit zurück, sondern in die Zukunft, womit in gewisser Weise die Schiller’sche Elysium-Idee verwirklicht wird. Bei Paul Bäumer zeigt sich dies, als er unmittelbar an die Erinnerung des heimatlichen Raumes anmerkt: Und selbst wenn man sie uns wiedergäbe, diese Landschaft unserer Jugend, wir würden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. […] Heute würden wir in der Landschaft umhergehen wie Reisende. (Remarque, Westen, 110f.)

Diese Erkenntnis, gewonnen bei der enttäuschenden Rückkehr in die Heimat während seines Fronturlaubs, führt dazu, dass sich Paul nicht mehr nach einer verlorenen Vergangenheit zurücksehnt, da er weiß, dass eine solche für immer verloren ist. Die neue Realität akzeptieren kann er zugleich aber auch nicht. »[I]n den Reflexionen Bäumers wird die Jugend immer wieder beschworen als eine endgültige entschwundene und nicht mehr realisierbare Lebensform« (Rüter, Remarque, 114). Dass Bäumer trotz dieser Erkenntnis auch kurz vor seinem Tod an die Pappeln seiner Jugend zurückdenkt und sich nicht mehr traurig über deren Verlust, sondern mit Vorfreude auf eine mögliche Zukunft zeigt, offenbart die emotionale Bedeutung des Heimat-Motives. Während seiner Fronteinsätze ist die Vorstellung eines fernen, idyllischen Raumes eine der wenigen Dinge, die in ihm die Hoffnung auf ein Leben nach dem Krieg bewahrt.33 Dieses Streben nach einem Wiedereintritt in diesen artifiziellen Raum kann zugleich als ein Widerstand gegen die Versachlichung des Individuums im Krieg gewertet werden. Im Krieg haben Kunst und Kultur keinen Platz, was die jungen Soldaten schon während ihrer Grundausbildung schmerzlich erfahren müssen.34 Poesie und künstlerische Freuden können sich nur in einer friedlichen Umgebung entfalten, da das Zweckmäßige, dem vermeintlich Unzweckmäßigen vorgezogen wird. In dieser Konstellation ist der einzelne Mensch nichts mehr wert, nur noch das Ziel, in diesem Fall die Vernichtung des Feindes, ist entscheidend. Dieser Entmenschlichung wird der Raum der Jugenderinnerungen entgegengesetzt als ein Zeichen der Hoffnung und Beweis dafür, dass selbst die anhaltende Indoktrination und die grausamen Erlebnisse an der Front nicht das rudimentäre, menschliche Gefühl nach Geborgenheit eliminieren können. Wäre Paul vollständig verroht, hätte er sich mit dem 33 Remarque, Westen, 258f. 34 Ebd., 25.

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Schicksal als ›Kanonenfutter‹ abgefunden und der Wunsch nach einem idyllischen Raum, einer Möglichkeit, dem Erlebten in Zukunft zu entkommen, würde nicht in ihm brennen. Bei Ernst Birkholz ist die Beziehung zum idyllischen Raum der Heimat noch ein wenig komplexer. Die anfängliche Euphorie über das Ende des Krieges und die Vorfreude auf die heimatliche Natur35 weichen beim Eintritt in diesen Raum sogleich der Ernüchterung. »Während Remarques Figuren zunächst die Rückkehr in das Schutzrefugium der Heimat herbeisehnen, entpuppt sich die wirkliche Rückkehr in die sozialen Zusammenhänge der Vorkriegszeit als ein Weg in unwirkliches Gelände«36). Der zunächst positiv konnotierte Begriff der Heimat wird so ins Negative verkehrt, was besonders am Ende der Fischfang-Episode zu erkennen ist, wenn Ernst selbstkritisch reflektiert: »War meine Erinnerung denn lebendiger als die Wirklichkeit« (Remarque, Weg, 167). Mit dieser Erkenntnis beginnt eine Wandlung im Leben von Ernst Birkholz, der seinen Blick nun nicht mehr in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft richtet. Anders als seine beiden Kameraden Georg Rahe und Ludwig Breyer, die aus Trauer über den Verlust der Jugend Suizid begehen, gelingt es Ernst nach einer Phase der Resignation und Hoffnungslosigkeit, sich langsam wieder in das Leben nach dem Krieg einzufinden. Dieser Prozess wird begleitet von einer sich wandelnden Konnotation der idyllischen Motive, die nun nicht mehr mit Trauer über einen Verlust, sondern mit der Hoffnung auf einen Neubeginn verbunden sind. Hatte er die heimatliche Landschaft während des Stichlinge-Jagens noch aus der Sicht eines Soldaten betrachtet, kann er im späteren Verlauf des Romans die Natur, die ihn umgibt, genießen, in ihr aufgehen und zugleich verbindet er sie auch nicht mehr mit einer verlorenen Jugend. Der gegenwärtige Augenblick wird zu einem Idyll. Die harten Rispen des Heidekrautes streifen mein Gesicht. […] Der Hund atmet ruhig neben mit, und weither kommt das schwache Läuten der Her­ denglocken herüber. Sonst ist es still. Wolken schwimmen langsam über den Abendhimmel. Die Sonne geht unter. Das dunkle Grün der Wachol­ derbüsche wird zu einem tiefen Braun, und ich spüre, wie der Nachtwind sich jetzt leise von den fernen Wäldern hebt. In einer Stunde wird er in den Birken wehen. (Remarque, Weg, 262)

35 Söhnke Post. »Die Heimkehr des Frontsoldaten. Literarische Repräsentation und Konfiguration von Kriegstraumata und Gewalterfahrungen am Beispiel von Erich Maria Remarques Der Weg zurück (1931)«. Mandy Dröscher-Teille, Til Nitschmann (eds.). Gewaltformen/ Gewalt formen. Literatur – Ästhetik – Kultur(kritik). Paderborn: Fink, 2021, 145. 36 Post, »Heimkehr«, 145.

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Wieder wird ein stark von der Natur geprägter Raum konstruiert, der abseits der Zivilisation in einem ursprünglichen Zustand vor ihm liegt. Innerhalb dieser Landschaft erinnert das Läuten der Herdenglocken an die bukolischen Hirten der antiken Dichtung und die untergehende Sonne fügt der Szene eine stimmungsvolle Lichtmetaphorik bei. Die Atmosphäre des Raumes ist harmonisch und wird durch die Beschreibung der einzelnen Sinneswahrnehmungen, die aus der Perspektive des homodiegetischen Erzählers geschildert werden, zusätzlich intensiviert. Der Rezipient befindet sich so unmittelbar in der Landschaft und erkennt in der veränderten Wahrnehmung des Naturraumes seitens des Erzählers, dass sich Birkholz’ Einstellung zum Leben zu wandeln beginnt. Innerhalb des Raumes ist es ruhig, wodurch erneut eine Opposition zur Aktivität an der Front hergestellt wird, die, an die Naturbeschreibung anschließend, für einen kurzen Moment in seiner Erinnerung wieder aufersteht.37 Es ist ein erster Schritt in der Entwicklung des Protagonisten, dass er die Natur in seiner Umgebung, die er noch von früheren Zeiten kennt, nicht mehr mit seiner Jugend assoziiert, sondern sich der Gegenwart zuwendet. Dies gelingt ihm allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht ganz, da noch immer der Krieg ein Teil seiner Erinnerung ist. Erst mit Beginn des 7. Kapitels, das unmittelbar an den Tod von Ludwig Breyer anschließt, steht seine Entwicklung vor einem Abschluss. Die seitenlange, von zahlreichen idyllischen Motiven geprägte Darstellung eines Naturraumes muss als ein Neubeginn im Leben von Ernst Birkholz interpretiert werden. Thomas F. Schneider bezeichnet daher den Tod der beiden Kameraden Rahe und Breyer in Verbindung mit dem darauffolgenden Naturereignis als einen ›lebensphilosophisch motivierten‹ Neuanfang.38 Indem Birkholz die Natur im Folgenden nun nicht mehr zweckrational wahrnimmt, verändert sich auch seine Beziehung zu ihr. Der hier konzipierte, stark idyllisch konnotierte Raum entfaltet seine Ausdruckskraft durch die Kombination von Flora und Fauna, die eine lebendige und zugleich ausgeglichene ruhige Landschaft an einem Sommernachmittag entstehen lassen. Die Wiesen leuchten im Glanz des Spätsommers. In Wiesen liegen – die Halme sind höher als das Gesicht, sie biegen sich, sie sind die Welt, nicht mehr da als sanftes Schwanken im Rhythmus des Windes. […] Hummeln summen wie kleine Flugzeuge über den Klee, und ein Marienkäferchen klet­ tert einsam und beharrlich zur höchsten Spitze eines Hirtentäschelkrautes hinauf. […] Schmetterlinge taumeln heran, so sehr dem Winde hingegeben, als schwämmen sie auf ihm, weiße goldene Segel der zärtlichen Luft. Sie 37 Remarque, Weg, 264. 38 Thomas F. Schneider. »Die Revolution in der Provinz. Erich Maria Remarque: Der Weg zurück (1930/31)«. Ulrich Kittstein, Regine Zeller (eds.). »Friede, Freiheit. Brot!«. Romane zur deutschen Novemberrevolution. Amsterdam: Rodopi, 2009, 258.

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verweilen an den Blüten, und plötzlich, als ich wieder die Augen hebe, sehe ich zwei still auf meiner Brust sitzen […] Der helle Himmel schwebt hinter den Gräsern, und eine Libelle steht mit schwirrenden Schwingen über meinen Schuhen. (Remarque, Weg, 333 f.)

Innerhalb des Raumes ist alles in Bewegung. Der Wind weht und biegt die Grashalme, die Insekten fliegen durch die Luft und auch der Himmel scheint zu ›schweben›. Die ›Segel‹ der Schmetterlinge als eine Metapher für ihre Flügel deuten in Verbindung mit der Bewegung der einzelnen Elemente einen Aufbruch an. Es ist der Aufbruch in ein neues Leben, ein Hinwegwehen der engen Bindung an die Jugend und der schmerzvollen Erinnerung an die Front. Der Krieg bleibt aber vorerst Bestandteil der Szenerie, wenn die Hummeln zu kleinen Flugzeugen werden, die den Raum durchqueren. Das Auftauchen der Schmetterlinge als ein Symbol der Verwandlung39 und der Libelle als ein Zeichen der Regeneration40 verstärken das Motiv des Abschieds vom früheren Leben und kündigen den Beginn eines Neuanfangs an. Keine menschlichen Einflüsse prägen den Raum, der in seiner Ursprünglichkeit vor Birkholz liegt und so einen Kontrast zur zivilisierten Stadt schafft. Alles scheint im Einklang miteinander zu sein, sodass dieser Zustand ewig bestehen bleiben könnte, ohne dass sich etwas an der harmonischen Stimmung verändert. Dies führt zum Gefühl der Zeitlosigkeit innerhalb des Raumes. Mit all seinen Sinnen nimmt Birkholz die Umgebung wahr, was zum einen die Emotionalität des Augenblicks steigert und zum anderen seine Verbundenheit mit der Natur hervorhebt. Insbesondere seine haptische Wahrnehmung nimmt einen elementaren Platz in der Beschreibung ein. Die Berührung der Insekten, die langsam an seinem Körper entlangwandern, der sanfte Hauch des Windes und das Gefühl der frischen Grashalme erfüllen ihn ganz.41 Birkholz selbst ist zunächst nur stiller Beobachter, verschmilzt jedoch schließlich mit der ihn umgebenden Natur. »Mein Körper, eben noch mein Körper, geht über in die Wiese. Seine Grenzen verschwimmen […]. Die lautlosen Ströme der Erde kreisen hinauf und hinab, und mein Blut kreist mit ihnen« (Remarque, Weg, 334f.). Es entsteht der absolute Einklang von Mensch und Natur, gefolgt von einer Art transzendentaler Erfahrung, in welcher er auch Dinge wahrnimmt, die er eigentlich gar nicht wahrnehmen kann. So spürt er das ›Strömen‹ des Wassers in der Erde, wie es sich seinen Weg durch den Boden, die Wurzeln und Wege bricht, ehe es, getragen durch Bäche und Flüsse, 39 Ralf Haekel. »Schmetterling«. Günter Butzer, Joachim Jacob (eds.). Metzler Lexikon literarischer Symbole. Stuttgart: Metzler, 2021, 3. Aufl., 556. 40 Pierre Kodijo Nenguie. Interkulturalität im Werk Alfred Döblins (1878–1957). Literatur als Dekonstruktion totalitärer Diskurse und Entwurf einer interkulturellen Anthropologie Band 1. Stuttgart: Ibidem, 2005, 321. 41 Remarque, Weg, 334ff.

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ins Meer gleitet. Dort steht es wieder auf und bahnt sich seinen Weg in die Wolken, wo es wieder als Regen der Erde entgegenströmt.42 Es wird ein Kreislauf der Natur beschworen, in dem sich nun auch Birkholz befindet. In diesem Zustand existiert keine Zeit. Als die Bewegung im Raum zunimmt, hat er das Gefühl, dass er langsam wieder in seinen Körper zurückkehrt. Das Kreisen beginnt erneut, aber es nimmt mich fort, es bringt mich heran und bleibt, es wird Schauer, Empfindung, Fühlen, Hände, Körper – […] lose, leicht und beschwingt spült die Erde meinen Körper wieder an – ich öffne die Augen –. (Remarque, Weg, 336)

Das idyllische Erlebnis ist verschwunden, aber das Gefühl des Glücks und der Leichtigkeit bleibt. Die Situation wirkt rückblickend wie eine Epiphanie, ein von einer höheren Macht geleitetes Ereignis. Im nächsten Augenblick bricht er unter Tränen zusammen. Zu stark wirkt die emotionale Kraft des idyllischen Raumes, der eine kathartische Wirkung auf ihn gehabt hat. Nun kann er mit seinen Erinnerungen, den Guten wie den Schlechten, abschließen und alles hinter sich lassen. Dies wird am Ende des Romans noch einmal aufgegriffen, als Birkholz wieder in einem idyllischen Naturraum, mit seiner Vergangenheit für immer abschließt. Ich habe auf einen Sturm gewartet, der mich retten und fortreißen müsste; doch nun ist er leise gekommen […]. Auch Wachsen ist Abschied […] und die Vergangenheit wird mich nicht mehr verfolgen. (Remarque, Weg, 372f.)

Das idyllische Ereignis ist nun nicht mehr an die Trauer über eine verlorene Kindheit gebunden, wie es noch zu Beginn der Fall war, sondern es wird positiv konnotiert. Durch die idyllischen Motive wird in Der Weg zurück der emotionale Wandel des Protagonisten deutlich, der sich aus den Schlingen seiner Vergangenheit befreien kann und in einem kathartischen Moment seinen Lebenssinn wiederentdeckt. Die Erfahrung innerhalb des idyllischen Raumes bewahrt ihn vor dem Selbstmord und schenkt ihm neue Hoffnung. So setzt er sich auch der kriegsbedingten Entmenschlichung entgegen. Offenbarte das Idyllische im ersten Abschnitt des Romans noch die Abgründe seiner Seele dahingehend, dass die Schönheit dem Grauen entgegengestellt und der Verlust der Jugend als endgültig offengelegt wurde, wandelt sich diese Konnotation im Verlaufe von Der Weg zurück. Am Ende werden die idyllischen Motive nur noch positiv wahrgenommen und als ein Zeichen des Aufbruchs in eine bessere Zukunft, in Richtung Elysium.

42 Remarque, Weg, 335f.

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Fazit In Momenten der Krise braucht der Mensch etwas, woran er noch glauben kann, was ihm Hoffnung gibt. Das gilt für unsere Gegenwart des 21. Jahrhunderts, in der Pandemie, Krieg und Inflation das Leben jedes einzelnen Individuums verändert haben, aber es gilt in einem noch größeren Maße für die Zeit zwischen 1914 und 1918, als das Leben von zahlreichen jungen Menschen entweder abrupt beendet oder nachhaltig zerstört wurde. In Erich Maria Remarques Romanen zum Ersten Weltkrieg wird diese Thematik eindrucksvoll auf literarische Weise aufgearbeitet. Eine vollkommen entgegengesetzte Intention liegt hingegen der literarischen Gattung der Idylle zugrunde, deren heterogene Merkmale im Kern eine heile Welt im Kleinen präsentieren sollen. Im vorliegenden Beitrag konnte aufgezeigt werden, dass beide Komponenten einander nicht zwangsläufig ausschließen, sondern vielmehr einen neuen Blickwinkel auf einzelne Szenen in den Romanen eröffnen, die wiederrum auch das »große Ganze« beeinflussen. So nehmen die Erinnerungen an die Landschaft der Jugend einen elementaren Platz in der erzählten Welt ein. In dieser formen sie durch idyllische Landschaftsbeschreibungen einen dem locus amoenus verwandten Raum und erschaffen zugleich die Vorstellung einer archaischen Naturkulisse, die sich deutlich von der grausamen Außenwelt, der Realität des Krieges, abgrenzt. Dieser Raum wird zusätzlich mit dem Attribut belebt verbunden und so der unbelebten, vom Menschen zerstörten Landschaft der Front gegenübergestellt. Hauptmotiv der Jugenderinnerungen ist die von Friedrich Schiller in seiner theoretischen Abhandlung beschriebene naive Natur, die das Individuum im Einklang mit sich und der Umgebung in einem Zustand der Unschuld darstellt. Eine solche Konstruktion ist in beiden Werken eng an die Vorstellung kindlicher Aktivitäten geknüpft, wie etwa das Fangen von Fischen oder das Umherstreifen in der Natur. Zugleich sind diese Aktivitäten bzw. die Erinnerung an sie auch die Verklärung einer so nie existenten Vergangenheit. Sie bleiben ein artifizielles Gebilde, was nur aus der Retroperspektive heraus als idyllisch empfunden wird. Beide Protagonisten sehnen sich nach einer elysischen Vorstellung von Kindheit, da ihnen ihre Jugend vom Krieg genommen wurde und sie nach einem Ziel in einer fernen Zukunft suchen. Während Paul Bäumer an der Illusion einer goldenen Kindheit bis zu seinem Tod festhält, gleichwohl er um diese Chimäre weiß, kann sich Ernst Birkholz von dieser lösen und erkennen, dass nur ein Schlussstrich mit der eigenen Vergangenheit und nicht die illusionistische Vorstellung einer Rückkehr in einen imaginierten Jugendraum ihm eine bessere Zukunft ermöglichen wird. Mit dem Überschreiten dieser Vorstellung wird die Idylle in Der Weg zurück schließlich zu einem Symbol des Aufbruchs, einer realen Hoffnung auf ein Leben nach dem Krieg.

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Der Raum der Heimat und die Erinnerung an die Jugend sind jedoch nicht die einzigen Momente in beiden Romanen, in denen idyllische Motive vermehrt auftreten. Insbesondere in Im Westen nichts Neues entstehen inmitten der Front häufig räumliche Enklaven, die sich durch ihre idyllischen Charakteristika deutlich von der Umgebung abgrenzen. So setzt die Handlung des Romans in medias res mit einem für die deutschen Soldaten unverhältnismäßigen Überangebot an Lebensmitteln ein.43 Dem Rezipienten, der zu diesem Zeitpunkt noch nichts über den grausamen Alltag des Krieges erfahren hat, erscheint es dabei zunächst seltsam, warum der autodiegetische Erzähler und seine Kameraden einen deftigen Bohneneintopf mit Speck sowie ein paar Zigarren auf eine derartige Weise zelebrieren. Erst im Verlaufe der Handlung wird schließlich klar, dass die Soldaten die Kleinigkeiten, die einfachen Dinge des Lebens nur in idyllischen Momenten erheben, da diese im Angesicht des Krieges einen kurzen Moment des Friedens versprechen. Erneut wird Jeans Pauls Charakterisierung der Idylle in die Moderne übertragen. So resümiert schließlich auch Paul Bäumer: So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die ein Soldat zum Glück braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man bedenkt. Vor ein paar Jahren noch hätten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast zufrieden. (Remarque, Westen, 124f.)

Erst durch die Entbehrung kann der Mensch sich wieder auf die grundlegenden Dinge im Leben konzentrieren und lernt verstehen, wie wenig es eigentlich braucht, um glücklich zu sein und das Leben als ein Idyll wahrzunehmen.

43 Remarque, Westen, 7ff.

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»Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muss auf das, was geschehen wird«* Der Frontraum des Ersten Weltkrieges aus der Perspektive deutscher Schriftsteller anhand von Romanen von E. M. Remarque, L. Renn, E. Jünger, A. Zweig und A. Hein

Für den gegenwärtigen, dank Medien kenntnisreichen und selbstbewussten Menschen des 21. Jahrhunderts1 muss die Feststellung, er sei von Zeit und Raum abhängig, als eine Binsenweisheit gelten. Diese Selbstverständlichkeit ist unterbewusst anerkannt und spornt im Alltag zu keinen erweiterten Überlegungen an. Dies trägt dazu bei, dass man meistens die vorhandene Realität passiv für eine nicht zu erheblich verändernde Welt hält, die ewig Geborgenheit bieten und sich an die Bedürfnisse der sich entwickelnden Menschheit angenehm anpassen muss. Man übersieht jedoch mehrmals die Tatsache, dass kein Sachverhalt ewig und durch Zeit-Raum-Verhältnis bedingt ist, d.h. geschichtsträchtige Ereignisse beeinflussen und verändern, im geringeren oder größeren Umfang, die Gestalt der von einzelnen Menschen wahrgenommenen Welt.2 Diese historischen Veränderungen werden, was jeder schon bei einer flüchtigen Beobachtung feststellen kann, sowohl * Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012 (kiwi 494), 75. 1 Es geht vor allem um einen Durchschnittsmenschen des Abendlandes, der in einer jahrelang sicheren, behaglichen, friedlichen, demokratischen und das Individuum achtenden Idylle lebte, und der seit einiger Zeit die sich anhäufenden und immer sichtbareren Notsituationen, angefangen von heftigen Umweltveränderungen, der Migrationskrise, einschließlich Existenzängsten, bewältigen muss. Die Perspektive prägt auch den Autor des Beitrages und stellt seinen Wahrnehmungsraum wesentlich dar, der die Grundlage der eingehenden Überlegungen ausmacht. 2 Vgl. Michel Foucault. »Andere Räume«. Karlheinz Barck (ed.). Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig: Reclam, 1992, 34. Der sich mit räumlichen Fragen befassende Philosoph Michel Foucault betont, dass sich Zeit und Raum unaufhörlich miteinander

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von inneren Faktoren3 wie gesellschaftliche Unzufriedenheit mit Entscheidungen der Regierenden oder solidarische Bewegungen zugunsten der Menschenrechte als auch von äußerlichen wie Naturkatastrophen oder Wirtschaft und Politik ins Wanken bringende militärische Konflikte beeinflusst. Bis vor Kurzem schien der selbstsichere moderne Mensch zu glauben, die zwar fragile, aber seit über 30 Jahren friedliche Ordnung in ›seiner Welt‹ als Zeugnis der beneidenswerten Stabilität bewahren zu können. Das Jahr 2022 hat ihn jedoch aus dem trügerischen Halbschlaf herausgerissen und ihm vergegenwärtigt, dass der offene Krieg in Osteuropa einen enormen und spürbaren Einfluss auf die breit verstandene räumliche Struktur weit über Europa hinaus ausübt. Der ›heftige Sturm‹ nach langer Zeit der relativen Friedensutopie belegt umso anschaulicher, dass der Krieg trotz der letzten ruhigen Zeit als ein unbestritten ständiges Element der bisherigen menschlichen Existenz fungiert.4 Aus diesem Grund ist eine Analogie zum Jahr 1914 herzustellen, als die Belle Époque plötzlich ihr Ende fand. Damals schienen ebenso viele Lebensbereiche wie beispielsweise Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Industrie oder Sport zu florieren. Parallel dazu ist die Zahl der mannigfachen politischen Strömungen gestiegen, die die Interessen unterschiedlicher, oft bisher in der Gesellschaft nicht repräsentierten Sozialgruppen vertraten.5 Eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft dieses Zeitalters ist, dass es generell vom Bürgertum dominiert wurde, dessen Vertreter einerseits zum damaligen Aufschwung ihren beachtlichen Beitrag geleistet, andererseits sich im Laufe der Zeit immer gelangweilter vom gewonnenen Wohlstand und von der stabilen Stagnation beschränkender Sitten gefühlt haben.6 Besonders junge Vertreter dieser sozialen Schicht haben sich nach Großtaten und einem gemeinsamen und bedeutsamen Erlebnis gesehnt, was unter anderem dem »sichtlichen Gegensatz zwischen den bürgerlichen Idealen des 19. Jahrhunderts und der politischen und

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durchschneiden und dieses Verhältnis besonders in der historischen Erfahrung des Abendlandes von Bedeutung ist. Als Auswirkungsraum der Faktoren in historischer Hinsicht sind an dieser Stelle die nationalen und regionalen Gemeinschaften sowie die ganze abendländische Welt gemeint. Vgl. Wolfgang Mack. »Krieg«. Gerd Jüttemann (ed.). Entwicklungen der Menschheit. Humanwissenschaften in der Perspektive der Integration. Lengerich: Pabst Science Publisher, 2014, 202. Wolfgang Mack bemerkt zutreffend, dass es kein Jahrhundert in der Menschheitsgeschichte gibt, das sich durch keinerlei Zeugnisse von geführten Kriegen auszeichnet. Vgl. Alexander Emmerich, Kay Peter Jankrift, Bernd Kockerols, Wolfdietrich Müller. Deutsche Geschichte. Menschen, Ereignisse, Epochen. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 2013, 172–194. Vgl. Jürgen Kocka. »Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert: europäische Entwicklungen und deutsche Eigenarten«. Jürgen Kocka (ed.). Bürgertum im 19. Jahrhundert: Deutschland im europäischen Vergleich. Band 1. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1988, 51–53.

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gesellschaftlichen Realität«7 entsprang. Obwohl gleich vor dem Kriegsausbruch noch einzelne Bedenken wahrzunehmen waren, löste die Mobilmachung die allgegenwärtige und durch nationale Parolen angestachelte Begeisterung über kommende Kampfhandlungen aus. Die zunehmende Euphorie basierte jedoch auf einem falschen Bild des künftigen Krieges, dessen Wurzeln hauptsächlich im letzten großen Krieg 1870/71 lagen. Dieser war jedoch in Form ganz anders als die anrückende militärische Auseinandersetzung, denn ein bisher herkömmlicher Volkskrieg mit kämpfenden Heeren wurde durch eine moderne technisierte Kriegsmaschinerie ersetzt.8 Erwähnenswert ist, dass es unter den Kriegsbejubelnden auch viele Schriftsteller gab, die die Aufbruchstimmung enthusiastisch begrüßten und in die Armee eingetreten sind.9 Ihre literarisch bearbeiteten Erfahrungen, die an der Front des Ersten Weltkrieges gesammelt worden waren, wurden dann zur Wiederspiegelung einer zeitlich und räumlich gefassten Wirklichkeit. Ihre Schilderungen weisen zwar unterschiedliche weltanschauliche Prägungen auf, aber legen zweifelsohne ein durchaus authentisches Zeugnis vom Ausmaß des Kriegselends ab.10 Beim Betrachten des gegenwärtigen Europa und dessen im Großen und Ganzen überlegter Reaktion auf den Krieg in der Ukraine,11 sollte man aus der Perspektive des zeitgenössischen Beobachters zur Überzeugung gelangen, dass es eine Lehre aus der Vergangenheit gezogen hat. Die Tatsache, dass der Krieg 2022 entfacht wurde und die Propagandamaßnahmen des Angreifers dem Vorgehen aus dem Jahre 1914 ähneln, lässt bedrückt schlussfolgern, dass nicht für alle historia vitae magistra est.12 Angesichts der aktuellen Ereignisse ist es wissenswert, den Krieg mit

7 Josef Wennemer. »Die Gestalt des Kriegers oder ›Die verlorene Generation‹. Zu den Menschenbildern in der Prosa über den Ersten Weltkrieg bei Ernst Jünger und Erich Maria Remarque«. Tilman Westphalen (ed.). Erich Maria Remarque (1898–1970). Bramsche: Rasch Verlag, 1988, 44. 8 Vgl. Hans-Ulrich Thamer. Der Erste Weltkrieg. Europa zwischen Euphorie und Elend. Augsburg: Weltbild, 2013, 33–35. 9 Vgl. Hubert Orłowski. »Pierwsza wojna światowa w literaturze niemieckiej lat 1919–1939«. Przegląd Zachodni (Poznań) 4 (1968), 368. 10 Vgl. Thomas F. Schneider. »Endlich die ›Wahrheit‹ über den Krieg. Zu deutscher Kriegsliteratur«. Heinz Ludwig Arnold (ed.). Text+Kritik (1994), 124: Literaten und Krieg, 42. 11 Vgl. Reinhard Rürup. »Der ›Geist von 1914‹ in Deutschland. Kriegsbegeisterung und Ideologisierung des Krieges im Ersten Weltkrieg«. Bernd Hüppauf (ed.). Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft. Königstein/Ts.: Forum Academicum, 1984, 4. 1914 haben alle Nationen Europas, vor allem Deutsche und Franzosen, schwärmerisch auf den Kriegsausbruch reagiert, ohne fernere Konsequenzen zu ahnen. 12 Vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. »Ukraine-Krieg 2022 – RusslandUkraine-Konflikt erklärt. News – Chronik – Hintergründe – Analysen«. https://www.lpb-bw.de/ ukrainekonflikt (29.09.2022). Die Grundlage sowohl des Krieges in der Ukraine als auch des Ersten Weltkrieges, wie es meist in der Geschichte war und bleibt, ist das imperialistische Denken des Aggressors, das mithilfe von Betrügen der eigenen Gesellschaft vollzogen wird. Vgl. Rürup, »Der ›Geist von 1914‹ in Deutschland«, 28.

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Augen derjenigen zu betrachten, die dessen erschreckende Macht selbst erfahren haben, obwohl dies vor über 100 Jahren stattfand. Der Erste Weltkrieg, der als erster moderner bewaffneter Konflikt wegen seines massenhaften und materiellen Charakters sowie des Verlustes seiner sinnstiftenden Idee die Gestalt der nachfolgenden kriegerischen Auseinandersetzungen unumkehrbar beeinflusst hat,13 sollte auch heute im allgemeinen Bewusstsein als lebendige Mahnung erhalten bleiben. Aus diesem Grund ist es gewünscht, das Wesen dieses Krieges näher zu betrachten. Da sich jedoch ein moderner Krieg in Bezug auf die komplexe Wirklichkeit weder darstellen noch vollständig begreifen lässt,14 ist es berechtigt, das Augenmerk auf seine grundsätzlichen Elemente zu lenken. Eines von ihnen ist die Front, die den Hauptschauplatz des Ersten Weltkrieges ausmacht und deren Darstellungen in den prosaischen Werken der deutschen Schriftsteller im Weiteren einer räumlichen Charakteristik unterzogen werden. Der Fokus auf den literarisch dargebotenen Raum scheint ebenso wegen der topologischen Wende (spatial turn) interessant zu sein, die eine besondere Rolle des Raumes als universelle Dimension des menschlichen Lebens und der sozialen Verhältnisse hervorhebt.15 Edward W. Soja – der Vorläufer dieser philosophischwissenschaftlichen Strömung, die in letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat – fordert Gleichrangigkeit zwischen dem räumlichen und temporalen Blickwinkel,16 was den Frontraum zum Kern dieser Erwägungen auch im literaturtheoretischen Kontext macht und seinen Einfluss auf die Menschen während eines aus der zeitlich-historischen Sicht bedeutenden Ereignisses zu hinterfragen ermöglicht. Im Einzelnen sollen folgende Fragen beantwortet werden: Wie und von wem wird die Front bei einzelnen Autoren beschrieben bzw. definiert? Welche Merkmale und Elemente des Frontraumes werden hervorgehoben? Ob und wie steht die Frontschilderung im Zusammenhang mit Autoren?

13 Vgl. Jerzy Święch. »Wojna a ›projekt nowoczesności‹«. Mieczysław Dąbrowski, Andrzej Makowiecki (eds.). Modernistyczne źródła dwudziestowieczności. Warszawa: nakł. Wydziału Polonistyki Uniwersytetu Warszawskiego, 2003, 9–11. 14 Vgl. ebd., 10. 15 Vgl. Marta Cobel-Tokarska. »Przestrzeń społeczna: świat – dom – miasto«. Elżbieta Tarkowska, Anna Firkowska-Mankiewicz, Tatsiany Kanash (eds.). Krótkie wykłady z socjologii. Przegląd problemów i metod. Warszawa: Wydawnictwo Akademii Pedagogiki Specjalnej, 2012, 45. 16 Vgl. Katarzyna Szalewska. »Czas przestrzeni. Problematyka spacjalna a współczesna teoria literatury«. Teksty drugie 1 (2014), 152.

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Die Frontgeneration und ihre Vertreter in der deutschsprachigen Literatur Die deutsche Kriegsliteratur, die vom Ersten Weltkrieg handelt, ist umfangreich und bietet deswegen ein vielseitiges Analysematerial. Die ersten zu ihr gehörenden Werke sind schon 1914 erschienen. Zunächst waren dies naive und sentimentale Gedichte auf Basis von Hurrapatriotismus und Feindschaft gegen die Gegner des Deutschen Reiches, die Hubert Orłowski als »Kriegskitsch« bezeichnet. Später haben expressionistische, dem Geist der Jugendbewegung entsprungene Werke Oberhand bekommen. Sie haben den Krieg zwar als gruselig und unbegreiflich, aber zugleich groß und fast heilig dargestellt.17 Parallel dazu ist der Bedarf der Daheimgebliebenen nach der Teilnahme am Frontgeschehen gestiegen, was zur Entstehung erster auf militärischen Fakten beruhender Kriegsdarstellungen in Zeitungen und Zeitschriften sowie nach kurzer Zeit auch in Buchform beigetragen hat.18 Diese Schriften haben aber den »Verlust der Individualität im langjährigen Stellungskrieg und in den ›Materialschlachten‹, die Dominanz der Technik gegenüber dem Menschen« sowie die »Unmöglichkeit des traditionellen ›Heldentums‹ und die damit verbundene Veränderung des klassischen Bildes vom ›Soldaten‹«19 oftmals verschwiegen. Allmählich ist auch das Bedürfnis nach authentischen Berichten der Frontkämpfer gestiegen, die zwar schon während des Krieges erschienen sind,20 aber hauptsächlich die ersten Nachkriegsjahre dominiert haben. Sie wurden in Form von Tagebüchern, Erinnerungen oder Briefsammlungen sowie taktisch-militärischen Abhandlungen und Büchern für die Jugend veröffentlicht.21 Nach 1918 sind generell Romane und Erzählungen entstanden, wobei Dramen und Dichtung zur Minderheit wurden. Dies ergab sich aus der Eigenschaft der Prosa, neue Aspekte zu beleuchten und die Ordnung der bisherigen Werte zu verändern, was die Lyrik wegen ihres Epigonentums nicht liefern konnte.22 Vor allem konnten aber Romane den Anspruch befriedigen, »die Schilderungen des Einzelerlebnisses zu gestalten«.23 Das Jahrzehnt nach dem Krieg bot den Autoren die Gelegenheit, dank ruhiger und distanzierter Überlegungen mal fotografischer, mal dichterischer Dokumen17 Vgl. Orłowski, »Pierwsza wojna światowa«, 367–368. 18 Vgl. Schneider, »Endlich die ›Wahrheit‹ über den Krieg«, 41. 19 Ebd., 42. 20 Ebd., 41. 21 Vgl. Orłowski, »Pierwsza wojna światowa«, 371. Laut Orłowski können diese Publikationen keinen Anspruch erheben, als Literatur schlechthin genannt wahrgenommen zu werden, denn sie beschreiben lediglich den Verlauf von militärischen Operationen oder erklären partielle Kriegshandlungen, aber versuchen nicht, den Krieg aus der von ihm unabhängigen, transzendenten Perspektive zu begreifen. 22 Vgl. ebd., 365. 23 Vgl. Schneider, »Endlich die ›Wahrheit‹ über den Krieg«, 42.

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tationen der Kriegswirklichkeit in ihren Werken zu schaffen.24 Die infolge dieses sukzessiven Prozesses eingetretene Wende Ende der zwanziger Jahre ist in die Blütezeit der Literatur über den Ersten Weltkrieg gemündet, deren Kern Romane der den Krieg aus eigener Erfahrung kennenden Schriftsteller gebildet haben. Da diese literarische Form der Anforderung genügt hat, den Sinn der Frontgeschehnisse mithilfe von Fronterlebnissen einfacher Soldaten nicht zu überschauen und zugleich gewisse Wahrhaftigkeit auf emotionaler und atmosphärischer Ebene zu gewährleisten,25 werden die Frontdarstellungen aus fünf Romanen dieser Zeit als Analysematerial verwendet. Diese sind Im Westen nichts Neues (1929)26 von Erich Maria Remarque, Krieg (1928) von Ludwig Renn, In Stahlgewittern (1920)27 von Ernst Jünger, Erziehung vor Verdun (1935) von Arnold Zweig und Eine Kompanie Soldaten. In der Hölle von Verdun (1929) von Alfred Hein. Sie wurden vom Autor dieses Beitrages subjektiv gewählt, wobei er sich zum Ziel genommen hat, die Kriegsdarstellungen der Schriftsteller unterschiedlicher Abstammung und Gesinnungen als Analysematerial zu verwenden. Alle obengenannten Autoren gelten als Mitglieder der Frontgeneration bzw. der so genannten »verlorenen Generation«,28 deren Mitglieder als junge Männer, 24 Vgl. Erhard Schütz, Jochen Vogt. Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Band 2. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1977, 56. 25 Vgl. Schneider, »Endlich die ›Wahrheit‹ über den Krieg«, 44. Schneider bemerkt, dass diese Werke nicht als Romane deklariert und von damaligen Lesern als Literatur in zweiter Linie verstanden wurden. Aus heutiger Sicht werden sie aber als Romane über den Ersten Weltkrieg par excellence bezeichnet. 26 Bevor Im Westen nichts Neues als Buch am 29. Januar 1929 im Berliner Propyläen-Verlag veröffentlicht wurde, war es vom 10. November bis zum 9. Dezember 1928 in der Vossischen Zeitung vorabgedruckt worden. 27 Obwohl Ernst Jünger sein Erstlingswerk bereits 1920 publiziert hatte, überarbeitete er es abhängig von seinen ideologischen und ästhetischen Veränderungen lebenslang. Die Diskrepanz vieler Fassungen (die letzte Version aus dem Jahre 1978 soll knapp 30% des ursprünglichen Textes aufweisen) kann Schwierigkeiten bei der Wahl der adäquaten Ausgabe für unterschiedlichste Analysen bereiten, weil sich die Schwerpunkte der Aussage geändert haben. Angesichts des Kommentars des polnischen Übersetzers von In Stahlgewittern, Wojciech Kunicki, dass in allen Fassungen des Buches der Schock der jungen Soldaten wegen der von ihren Erwartungen drastisch abweichenden Kriegswirklichkeit auffalle, soll der Frontalltag in allen Versionen ähnlich geschildert werden. Dies ist auch ausschlaggebend für die vorgenommene Analyse. Die sich in zahlreichen Fassungen von In Stahlgewittern verändernde Frage nach dem Sinn des Krieges ist bei der Raumanalyse eine zweitrangige Kategorie. Vgl. Wojciech Kunicki. »Posłowie« do W stalowych burzach (»Nachwort« zu In Stahlgewittern von Ernst Jünger). Warszawa: Czytelnik, 1999, 265 und 286. 28 Hubert Orłowski bedient sich in »Pierwsza wojna światowa« des Begriffes Frontgeneration, der eindeutig auf den die Mitglieder dieser Generation einwirkenden Frontaufenthalt hinweist. Der von Gertrude Stein ausgedachte und durch Ernest Hemingways Roman Fiesta in der deutschsprachigen Literatur etablierte Terminus verlorene Generation bezieht sich aber auf die Lage sowohl von Soldaten an der Front als auch von Heimkehrenden und Daheimgebliebenen, die nach dem Krieg vor allem innerlich zerstört waren und keinen Lebenssinn mehr sahen (Vgl. Christoph Deupmann. »Eine verlorene Generation? Literarische Befragungen eines Generationskonzepts in

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nicht selten als Schüler, oft freiwillig in den Krieg eingetreten waren und infolge von Fronterlebnissen ihre lebenslange Gesinnung formten. Für die künftigen Schriftsteller war auch die Fronterfahrung die Möglichkeit, die Perspektive der Kriegsbeschreibung zu gewinnen. An dieser Stelle ist es sinnvoll, die wichtigsten Tatsachen über die Autoren der analysierten Romane sowie die zentralen Punkte ihrer Werke näherzubringen. Diese Informationen sollen im Laufe der Raumanalyse dabei behilflich sein, die Stellungnahme der Autoren zur Front und zum Krieg selbst besser zu verstehen. Der bedeutendste Vertreter der Frontgeneration ist wegen seines weltweit bekannten Romans Im Westen nichts Neues Erich Maria Remarque. Er kam 1898 in einer ein bescheidenes Leben führenden Osnabrücker Familie zur Welt, wo sein sozialer Aufstieg nur durch eine Lehrerausbildung möglich war.29 Seine künstlerische Neigung hat er im Kreis von Freunden – im »Traumbuden-Kreis« – entwickelt, wo er mit Gleichgesinnten in günstiger Atmosphäre humanistische Ideen besprechen, Gedichte lesen und über Leben und Kunst philosophieren konnte.30 Die katholische Erziehung und das mystische Gemeinschaftsideal der römischen Kirche sowie die Erfahrung seiner frühen Jugend haben Remarques spätere Lebenseinstellungen geprägt31 und das Vorbild für die gewünschten sozialen Verhältnisse in seinen Werken gebildet. Vor allem sieht man das am Beispiel der Kameradschaft, die Remarque für einziges positives Element in der grauenhaften Kriegswirklichkeit hält.32 Remarque wurde 1916 zur Armee einberufen und war bis zur Verwundung durch Granatsplitter im Jahr 1917 an der Westfront eingesetzt.33 Sein Aufenthalt im Duisburger Lazarett lieferte ihm die Möglichkeit,

Heimkehrertexten nach dem Ersten Weltkrieg«. Claudia Junk, Thomas F. Schneider (eds.). Wenn Soldaten wie Gespenster sind. Literarische Verarbeitungen der Kriege des 20. Jahrhunderts. Osnabrück: Universitätsverlag Osnabrück, 2021, 51–52. Obwohl die zweite Bezeichnung die Tragik der ganzen Generation hervorhebt, scheint es im Rahmen einer räumlichen Analyse sinnvoller zu sein, den ersten Begriff in diesem Beitrag zu verwenden. 29 Vgl. Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 44. 30 Vgl. Wilhelm von Sternburg. »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 69. 31 Vgl. Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 44. 32 Für Erich Maria Remarque, wie für viele Frontsoldaten (darunter auch Schriftsteller mit Fronterfahrungen wie Alfred Hein) war die Kameradschaft eine besondere Gemeinschaft, die trotz der unmenschlichen Kämpfe, Missbräuche oder Verachtung seitens einiger Vorgesetzter und Mitsoldaten sowie Verlust der Freunde und des Lebenssinns als letzter unversehrter Wert galt. Sie hat auf dem sozialen Zusammenleben der Soldaten und ihrer Erinnerung anhand der gemeinsamen, durchaus extremen Kriegserfahrung beruht. Vgl. Thomas Kühne. »Kameradschaft«. Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (eds.). Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2009, 602–603 und Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 49. 33 Vgl. »Erich Maria Remarque: Ein Weltbürger wider Willen. Kurzbiographie in Daten«. Westphalen (ed.), Erich Maria Remarque, 8.

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eigene Erlebnisse mit Erinnerungen anderer Soldaten zu konfrontieren.34 Nach dem Krieg strebte er danach, ein bekannter Schriftsteller zu werden, was ihm nach Gelegenheitsarbeiten und journalistischer Tätigkeit mit der Veröffentlichung von Im Westen nichts Neues gelang.35 Seitdem konzentrierte er sich, vor allem in seinen Romanen, auf Antikriegsthematik und Beschreibung der Krisensituationen. Seine Werke zeichnen sich durch Pazifismus und den Fokus auf das Schicksal der Schwachen und Übersehenen aus. Dieses literarische Programm Remarques kann man schon in seinem Erfolgsroman erblicken, dessen Plot er anhand der Fronterlebnisse einer Soldatengruppe bildet. Sie besteht aus vier Schulfreunden, unter denen sich Paul Bäumer – der die Geschichte der einfachen Frontsoldaten berichtende IchErzähler – befindet, und Vertretern der hart arbeitenden Menschen, die schon im Zivilleben unterschiedliche Schwierigkeiten bewältigen müssen und lieber Prominente an die Front schicken würden.36 Die Gruppe dieser Soldaten bildet die von Remarque gelobte Kameradschaft, die im Roman Geborgenheit vermittelt sowie an das Gute im Menschen glauben lässt.37 Im Allgemeinen sorgen jedoch die beschriebenen Ereignisse an der Westfront für Skepsis und Pessimismus beim Leser,38 die angesichts des Schicksals des kurz vor Kriegsende gefallenen Paul Bäumers noch verstärkt werden. Er vertritt die Generation, die »vom Krieg entwurzelt und innerlich ausgehöhlt«39 wurde. Die kriegskritische Haltung ist auch dem 1889 in Dresden geborenen Ludwig Renn eigen, der dieses Pseudonym von der Hauptfigur und zugleich dem IchErzähler seines Erstlings Krieg übernommen hat. Noch als Arnold Vieth von Golßenau aus einer gutsituierten Familie zog der Schriftsteller 1914 begeistert in den Krieg, währenddessen er im Sommer 1916 zum Führungsoffizier einer Schanzkompanie ernannt wurde. Unter dem Einfluss des grauen Alltags von Grabenkämpfen und Materialschlachten hat Renn mit der Zeit aufgehört, an den Sinn des Krieges zu glauben. Infolgedessen hat er auch die Entscheidung gefasst, seine adlige Gesellschaftsklasse zu verleugnen und später in die Kommunistische Partei einzutreten, deren Doktrin er lebenslang treu blieb.40 Renns Buch stützt

34 Vgl. von Sternburg, »Als wäre alles das letzte Mal«, 77ff. 35 Vgl. »Erich Maria Remarque: Ein Weltbürger wider Willen. Kurzbiographie in Daten«, 8–9. 36 Vgl. Remarque, Im Westen nichts Neues, 12, 141–143. 37 Vgl. Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 50. 38 Vgl. Erhard Schütz, Jochen Vogt. Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Band 2. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1977, 58. 39 Alfred Antkowiak. Erich Maria Remarque. Leben und Werk. Berlin: Volk und Wissen Volkseigener Verlag, 1978, 22. 40 Vgl. Joanna Leek. »Einheit von Biographie und literarischem Werk bei Ludwig Renn mit besonderer Berücksichtigung des Romanes ›Krieg‹«. Studium zur Germanistik. Rocznik Germanistyczny 2 (Łódź) 2008, 13.

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sich auf die »reine Vermittlung von Fakten«41 aus der Perspektive eines Gefreiten. Damit wird das Vorhaben des Autors umgesetzt, den jämmerlichen Kriegsalltag eines Soldaten der Öffentlichkeit bewusst zu machen. Er bedient sich dabei eines klaren, einfachen und volksnahen Sprachstils sowie der absichtlich erklärenden Gespräche der Figuren, um die Atmosphäre der Frontkämpfe wiederzugeben und die richtigen Vorstellungen von der militärischen Wirklichkeit bei Lesern zu schaffen.42 Dieses Werk charakterisieren Nüchternheit und lapidarer Plot, die es zu einer Reportage machen. Der in Form von Tagebucheinträgen gefasste Verlauf der Beschreibungen und die geordnete Wiedergabe vieler Einsatzorte43 sollen hingegen das Ausharren der deutschen Soldaten und ihren stumpfen Gehorsam bis zum bitteren Kriegsende betonen.44 Einen Gegenpol zu beiden Antikriegsautoren bildet Ernst Jünger. Der 1895 in Heidelberg geborene zukünftige Prosaist wuchs in einem preußisch-protestantischen Elternhaus auf, das vom naturwissenschaftlich gebildeten und dominierenden Vater geprägt war. Die bürgerlichen Werte der Familie boten ihm einerseits einen scheinbar vernünftigen Lebensweg, andererseits trieben sie ihn in eine beklemmende Enge.45 In diesen Verhältnissen war im jungen Jünger die »unbändige Abenteuerlust«46 entstanden, aus der danach der Wunsch entsprang, über die Fremdenlegion nach Nordafrika aufzubrechen. Dies in erster Linie, und später auch die allgegenwärtige nationalistische Kriegseuphorie und das politische Pflichtbewusstsein haben ihn zum Entschluss bewogen, freiwillig in das 73. Füsilierregiment in Hannover einzutreten.47 Jünger hat zunächst innerhalb von dreidreiviertel Jahren am Stellungs- und Grabenkrieg und im Anschluss daran an vielen großen Schlachten des Ersten Weltkrieges teilgenommen. Parallel dazu hat er Offizierslehrgänge absolviert und eine schnelle Laufbahn erlebt, indem er 1915 erst zum Fähnrich und noch im selben Jahr zum Leutnant befördert wurde. Seit 1917 bis zum Lungenschuss 1918, der ihn einsatzunfähig machte, diente er als Kompanieführer. Nach dem Kriegsende gehörte er zum Offizierskorps der Reichswehr, aus der er 1923 ausgeschieden ist. Seit diesem Moment hat sich Jünger 41 Vgl. Schütz/Vogt, Einführung in die deutsche Literatur, 59. 42 Vgl. Leek, »Einheit von Biographie«, 73–74. 43 Die einzelnen Phasen des Kriegseinsatzes werden schon im Inhaltsverzeichnis chronologisch genannt. Er beginnt mit langen Vormärschen, erstarrt im Stellungskrieg vor Chailly, erreicht seine Höhepunkte in der Somme-Schlacht 1916 und in der Aisne-Champagne-Schlacht 1917 mit kurzer Unterbrechung wegen der Verwundung, nach denen der erneute Stellungskrieg 1917/18, die März­ offensive 1918 und der endgültige Zusammenbruch erfolgen. 44 Vgl. Leek, »Einheit von Biographie«, 72. 45 Vgl. Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 44. 46 Christian Sternad. »›Im Schlagschatten des Todes‹. Ernst Jüngers literarische Bewältigung der Todesnähe in den ›Stahlgewittern‹ und ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹«. Oxford German Studies 44 (2015), 1, 45. 47 Vgl. ebd., 42–45.

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für die publizistische Tätigkeit mit dem Schwerpunkt auf Politik engagiert und die eigene Kriegserfahrung zur Hauptform seiner literarischen Reflexion gemacht.48 Der Verlauf seiner immer national und militärisch geprägten Weltanschauung kommt am deutlichsten in den Stahlgewittern zum Ausdruck, die Jünger als Werk seines Lebens mehrmals, oft zeitbedingt, modifiziert hat.49 Die unveränderbare Eigenschaft des Buches bleibt jedoch die sich aus den Tagebuchnotizen ergebende Sachlichkeit, die einerseits die schonungslose Brutalität des Krieges,50 andererseits den sich durch heroische Taten bewährenden Soldaten darstellt.51 Dank der ausführlich genannten Etappen des Dienstes52 und des Verzichts auf den literarisch-emotionalen Plot zugunsten der dokumentarischen Wiedergabe von Kriegsgeschehnissen authentifiziert sich Jünger als glaubwürdiger Zeuge der Tapferkeit und Ausdauer der deutschen Soldaten trotz jeglicher Widrigkeiten. Aus dieser Perspektive, die jedoch die Kriegsrealität zielgerichtet gestaltet, versucht er den Leser zu überzeugen, dass der Krieg die Negation des verfaulten Bürgertums darstellt und dem Menschen durch das Versöhnen mit der wilden Natur das ›wirkliche Leben‹ ermöglicht.53 Jüngers Beschreibungen zeigen gleichlaufend die Welt aus der Perspektive eines jungen Menschen, der vom Krieg als Abenteuer und von eigener Führungsposition in der militärischen Hierarchie begeistert ist.54 Der älteste der Autoren, deren Werke der räumlichen Charakteristik unterzogen werden, ist Arnold Zweig, der als Sohn eines jüdischen Sattlers 1887 in Glogau (heute Głogów, Polen) zur Welt gekommen ist und seine Jugend in Kattowitz (heute Katowice, Polen) verbracht hat. Nach dem Abschluss eines Medizinlyzeums hat er verschiedene Fächer an renommierten deutschen Universitäten studiert. Schon als bekannter Schriftsteller wurde er 1915 zum Militärdienst einberufen und hat am Ersten Weltkrieg teilgenommen. In den letzten Kriegsjahren war Zweig Mitarbeiter in der Presseabteilung des Deutschen Heeres an der Ostfront. Infolge der Kriegserfahrungen, die ihn u.a. durch Serbien, Belgien und Verdun geführt hatten, 48 Vgl. Helmut Kiesel. »Vorwort«. Helmut Kiesel (ed.). Ernst Jünger. Krieg als inneres Erlebnis. Schriften zum Ersten Weltkrieg. Stuttgart: Klett-Cotta, 2016, 8–11. 49 Vgl. Wojciech Kunicki. »Posłowie«. Ernst Jünger: W stalowych burzach. Warszawa: Czytelnik, 1999, 265–290. 50 Vgl. Sternad, »›Im Schlagschatten des Todes‹«, 52. 51 Vgl. Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 46, 48. 52 Die Titel der einzelnen Kapitel im Inhaltsverzeichnis und ihre Formulierung heben die Schilderungen von Jünger hervor, der sich als Teilnehmer und guter Beobachter zeigt. Sie lauten wie folgt: In den Kreidegräben der Champagne, Von Bazancourt bis Hattonchâtel, Les Eparges, Douchy und Monchy, Vom täglichen Stellungskampfe, Der Auftakt zur Somme-Schlacht, Guillemont, Am SaintPierre-Vaast, Der Somme-Rückzug, Im Dorfe Fresnoy, Gegen Inder, Langemarck, Regniéville, Noch einmal Flandern, Die Doppelschlacht bei Cambrai, Am Cojeul-Bach, Die große Schlacht, Englische Vorstöße, Mein letzter Sturm, Wir schlagen uns durch. 53 Vgl. Wennemer, »Die Gestalt des Kriegers«, 48. 54 Vgl. Ernst Jünger. In Stahlgewittern. Stuttgart: Klett-Cotta, 1994, 89–90.

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änderte er nach Kriegsende seine Gesinnung einer deutlich preußisch-nationalen in eine strikt pazifistische. Angesichts des steigenden Antisemitismus ist er zu Beginn der 1930er Jahre aus Deutschland nach Palästina emigriert, wo er vom Zionismus enttäuscht wurde. Als Anhänger des Marxismus hat er sich in der DDR niedergelassen, wo er zu den prominentesten Kulturpersönlichkeiten zählte und dank seiner hohen Position in unterschiedlichen Bewegungen für den Frieden plädieren konnte. Ein wesentlicher Teil des literarischen Schaffens von Arnold Zweig macht die Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg aus, die im Romanzyklus Der große Krieg der weißen Männer enthalten ist.55 In dessen Rahmen entstand der Roman Erziehung vor Verdun, der vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse an der Westfront die miserable Lage einfacher Soldaten und die Winkelzüge vieler Ranghöherer entlarvt. Als auktorialer Erzähler berichtet Zweig vom Armierungssoldaten namens Werner Bertin, der selbst Unrecht seiner Vorgesetzen erleidet und dazu noch auf eine Verschwörung stößt, die zum Tod eines unschuldigen Unteroffiziers beigetragen hat. In der Darstellung des ungleichen Kampfes gegen das korrupte Heeressystem, den er zusammen mit dem Bruder des gefallenen Unteroffiziers unternimmt, hebt Zweig die sozialen Ungleichheiten hervor. Diese werden angesichts einer Sondersituation wie Krieg besonders auffallend. Indem Zweig eine verwickelte Intrige konstruiert, gelingt es ihm nicht nur, einen interessanten Plot zu schaffen, sondern vor allem den Krieg selbst und die in dessen Laufe entstandenen korrupten Mechanismen zu kritisieren.56 Zur Frontgeneration ist auch ein Autor zu zählen, der nach seinem frühzeitigen Tod im Dezember 1945 in Vergessenheit geraten ist. Alfred Hein wurde 1894 in Beuthen (heute Bytom, Polen) geboren. Seine Kindheit und Jugend waren einerseits vom oberschlesischen Industriegebiet, wo sich die karge Landschaft von Kohlewerken und Hütten mit der frommen und arbeitsamen Volkstümlichkeit verflochten hat, andererseits vom Elternhaus, in dem der Vater – Lehrer und lokaler Heimatforscher – für die national-regionale Erziehung des Sohnes gesorgt und die Mutter in ihm künstlerische Empfindsamkeit geweckt hat, geprägt. Nach Schulabschluss und Veröffentlichung erster Gedichte hat Hein in hiesigen Betrieben gearbeitet, was er für einen monotonen bürgerlichen Alltag gehalten hat. Aus diesem Grund hat er den Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit hoffnungsvollem Enthusiasmus begrüßt und sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet.57 Er war hauptsächlich an der Westfront als Meldeläufer eingesetzt und hat nebenbei Gedichte und Erzäh55 Vgl. Marek Robert Górniak. »Arnold Zweig«. Jacek Leszczyna, Dariusz Rott (eds.). Słownik pisarzy śląskich. Band 3. Katowice: Wydawnictwo Uniwersytetu Śląskiego,: 2010, 120–122. 56 Vgl. Arnold Zweig. Erziehung vor Verdun. Berlin: Aufbau-Verlag, 1959, 29ff, 57ff, 72ff, 78ff. 57 Vgl. Paweł Meus. »Hein, Alfred«. Joanna Rostropowicz (ed.). Schlesier von den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart/Ślązacy od czasów najdawniejszych do współczesności. Band 6. Oppeln/Opole: Fundacja Nauki i Kultury na Śląsku, 2022, 108–109.

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lungen für Soldatenzeitungen verfasst. Infolge der grausamen Frontrealität hat Hein die anfänglichen Ansichten über den Krieg revidiert und nach dessen Ende die Meinung vertreten, dass sich zwar eine ähnliche Tragödie nicht wiederholen soll, aber die Überlebenden durch die Kriegserfahrung gestärkt worden waren. Sie sollten, so Hein weiter, einen ›friedlichen Kampf‹ um die Erneuerung der universellen Werte als Grundlage der Nachkriegsordnung führen. Als Beispiel dafür hat er die Kameradschaft genannt, die er als Gemeinschaft der guten und selbstlosen Menschen verstanden hat. In seinen Werken hat Hein ununterbrochen versucht, den nationalen Patriotismus mit dem mystischen Pazifismus zu verbinden.58 Dies gelang ihm dank der Darstellung der Welt aus der durchaus deutsch-nationalen Perspektive, die er von seinem Vater übernommen und während seiner beruflichen Tätigkeit bei der Reichszentrale für Heimatdienst59 entwickelt hatte. Diese Darstellung ist gleichzeitig mit stark affektiven Elementen des Expressionismus ausgestattet. Heins wichtigster Roman Eine Kompanie Soldaten. In der Hölle von Verdun spiegelt diese Charakteristika wider, indem er einerseits eine genaue und komplexe, andererseits emotionale Darlegung der Kriegsrealität liefert. Den Kern dieses Werkes macht die Titel-Kompanie aus, die der Autor zur Hauptheldin gemacht hat. Ihre durch verschiedene Lebenserfahrungen geprägten Mitglieder gelten als Repräsentanten unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten und sind in der Regel anderer Auffassung. Trotz vieler Gegensätze bildet diese Gruppe eine einheitliche Gemeinschaft, die sich auf die Idee der Kameradschaft stützt.60 Sie kann gemeinsam den Schrecken der Westfront überstehen und in der Einheit ihre Kraft finden. Unter den Soldaten der Kompanie hat Hein den Schicksalen zweier Figuren, die seine autobiographischen Züge tragen, mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die erste ist der Kompanieführer, der alle vorbildhaften Eigenschaften eines guten Führers vertritt sowie Verantwortung, Solidarität mit Kameraden und Selbstlosigkeit verkörpert. Die zweite ist ein junger Meldeläufer61, der im Einsatz trotz Schwierigkeiten und Ängsten die Verwandlung von einem naiven Jungen 58 Vgl. Renata Dampc-Jarosz, Paweł Meus. »Zwei Stimmen für ein ›neues Zeitalter der ernsten Arbeit und des Fortschritts‹. Der Beitrag von Max Herrmann-Neiße und Alfred Hein zur Erziehung der deutschen Jugend nach dem Ersten Weltkrieg«. Claudia Junk, Thomas F. Schneider (eds.). Krieg in Comic, Graphic Novel und Literatur II. Osnabrück: V&R unipress, 2019, 110–111. 59 Die Reichszentrale für Heimatdienst war eine von 1918 bis 1933 existierende Informations- und Bildungsbehörde, wo Alfred Hein als Abteilungsleiter zunächst in Königsberg und später in Halle a.S. gearbeitet hat. Diese Institution sorgte in der Weimarer Republik dafür, die deutsche Gesellschaft über außenpolitische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Fragen im Geiste des Staatganzen überparteiisch aufzuklären. Vgl. Johannes Karl Richter. Die Reichszentrale für Heimatdienst. Geschichte der ersten politischen Bildungsstelle in Deutschland und Untersuchung ihrer Rolle in der Weimarer Republik. Berlin: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 1963, 39–42, 57, 104, 113. 60 Vgl. Alfred Hein. »Vorwort«. Ders. Eine Kompanie Soldaten. In der Hölle von Verdun. Minden i. W.: Wilhelm Köhler, 1931, 7–8. 61 Alfred Hein war selbst als Meldeläufer an der Westfront während des Ersten Weltkrieges eingesetzt.

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in einen mutigen und selbstsicheren Mann erlebt.62 Hein hat in seinem Roman, dessen Plot vom auktorialen Erzähler geschildert wird, die Grausamkeit des Krieges nicht verschwiegen, jedoch dabei versucht, den Sinn dieser dramatischen Erfahrung zu finden.63

Literarische Charakteristik der Front Die Front des Ersten Weltkrieges war sowohl für die Befehlshaber als auch für die an ihr kämpfenden Soldaten eine enttäuschende Überraschung, weil der Krieg flott entschieden werden und nicht Tausende von Toten bringen sollte. Ihre Kriegsvorstellungen, wie bereits erwähnt, waren eingangs noch im 19. Jahrhundert verankert. Die Wirklichkeit erwies sich als ganz anders, so dass diese militärische Auseinandersetzung zum ersten modernen Krieg mit Materialschlachten wurde. Auch dessen Hauptraum – die Westfront – fungiert bis heute im allgemeinen Gedächtnis als Ort der unvorstellbaren Katastrophe, wo sich Menschen mit jeglichen Waffen in extrem großem Umfang gegenseitig vernichtet haben.64 Angesichts der Frontgröße und ihrer zerstörerischen Kraft kann die von Erich Maria Remarque erblickte und im Titel dieses Beitrages angeführte Analogie als die kürzeste Charakterisierung der Front fungieren. Remarque schreibt: Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muss auf das, was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gewitter der Granatenbogen und leben in der Spannung des Ungewissen. Über uns schwebt der Zufall. Wenn ein Geschoss kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin es schlägt, kann ich weder genau wissen noch beeinflussen.65

Seine Worte verweisen andeutungsweise auf die wichtigsten Merkmale dieses Raumes, die während der Kämpfe bzw. Artillerieangriffe zum Vorschein kommen. Er ist vor allem von der äußerlichen Welt getrennt und zwingt die Soldaten durch seine Geschlossenheit zu bestimmtem Verhalten. Sie müssen nämlich an der Front bleiben und den aus allen Richtungen fliegenden Geschossen, deren Ziele nicht vorauszuahnen sind, die Stirn bieten. Die Zufälligkeit des Schicksals, die in jedem 62 Vgl. Paweł Meus. »Erich Maria Remarques und Alfred Heins Kriegsromane. Versuch einer vergleichenden Analyse«. Alice Cadeddu, Renata Dampc-Jarosz, Claudia Junk, Paweł Meus, Thomas F. Schneider (eds.). Erich Maria Remarque aus heutiger Sicht. Osnabrück: V&R unipress, 2021, 58. 63 Vgl. Arno Lubos. Geschichte der Literatur Schlesiens. Band 2. München: Bergstadtverlag Wilh. Gottl. Korn, 1967, 385. 64 Vgl. Volker Vehnor. »Die Schlacht vor Verdun 1916: Eine Bestandsaufnahme«. Krzysztof Kłosowicz (ed.). Arnold Zweig zum fünfzigsten Todestag. Berlin: Peter Lang, 2019, 125. 65 Remarque, Im Westen nichts Neues, 75.

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Soldaten starke Unsicherheit verursacht, verstärkt nur negative Gefühle. Diese lassen den Frontraum als kein heldenhaftes Feld der Ehre mehr, sondern wie ein Gefängnis verstehen, wo man überwiegend auf das Unbekannte und Unvorstellbare passiv wartet. Die Soldaten stehen unter großem Druck, weil gerade ihr Leben aufs Spiel gesetzt ist, und sie selbst keinen Einfluss auf den Verlauf der nächsten Momente haben. Das Einzige, was ihnen überlassen bleibt, ist das Harren auf die Gnade des wechselhaften Schicksals. Die Front übernimmt also die Kontrolle über jeden Menschen, der völlig von ihren Werkzeugen – Geschützen, Granaten, Minen, und anderen Waffenarten – abhängt. Das Fehlen am aktiven Handeln muss sich desto spürbarer und deprimierender auf gesunde und starke Männer auswirken. Außerdem lässt sich der massenhafte Charakter der Front als Raum anhand der Pluralform der Aussage feststellen. Der in Im Westen nichts Neues von den Geschehnissen berichtende Paul Bäumer stellt nicht nur seine Empfindungen dar, sondern gilt an dieser Stelle als Vertreter aller Frontsoldaten, die sich der Todesgefahr stellen müssen. Obwohl die große Zahl der Soldaten außerhalb der Front viel Nützliches tun könnte, spielt es in ihrem Rahmen keine Rolle, ob das nur ein Mann oder eine größere Gruppe ist. Jeder muss bloß untätig warten und das einzige erlaubte Zeichen der eigenen Initiative ist nur das sich Ducken bei Ausbrüchen der Geschosse. Paul Bäumer drückt in seinem Bericht auch die persönlichen Ansichten aus. Als Beispiel davon kann folgender Textabschnitt gelten: Für mich ist die Front ein unheimlicher Strudel. Wenn man noch weit entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, fühlt man schon die Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel Wider­ stand. Aus der Erde, aus der Luft strömen uns Abwehrkraft zu, – am meisten von der Erde. Für niemand ist die Erde so viel wie für den Soldaten.66

Bäumer spricht vor allem als Soldat, der die ungezügelte Kraft der Front selbst erfahren hat und sich der in diesem Raum auf jeden Menschen lauernden Gefahr bewusst ist. Er weiß, dass die Front eine wilde Erscheinung ist, die den Einzelnen in einen vernichtenden Abgrund verschlingen will. Aus Angst vor dieser Bedrohung denkt Bäumer an die Stabilität, die sowohl ihm als auch anderen Soldaten nur der feste Boden sicherstellen kann. Die Erde gibt einen grundsätzlichen Schutz, sei es in den Schützengräben oder in einem einfachen Trichter, wo man den Angriff abwarten kann. Die Gefahr, beschossen werden zu können, kommt also aus allen Richtungen außer von unten. Obwohl die zitierte Aussage persönlich ist, kann ihre Botschaft sehr allgemein wahrgenommen werden. Der Grund dafür liegt darin, 66 Ebd., 45.

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dass Remarque in den Worten von Bäumer die natürliche Eigenschaft der Front vermittelt. Sie ist nämlich ein Raum, der sich jeden Menschen unterordnet und zur Passivität zwingt. Obwohl ein intimes Bekenntnis, auf das »für mich« hinweist, wird es auf das kollektive »uns« ausgedehnt. Auf diese Weise wird die allgemeine Auswirkung der Front auf jedes Individuum belegt, weil der Berichtende es am eigenen Beispiel bestätigt. Neben den allgemeinen und auf Assoziationen basierenden Charakteristiken der Front gibt es in Remarques Roman die Schilderungen, in denen dieser Raum während der Kämpfe bzw. Angriffe, d.h. in seiner Aufschwungsphase detailliert beschrieben wird. In einer von ihnen wird die Front folgendermaßen dargestellt: Sie ist in ständiger Bewegung, durchzuckt vom Mündungsfeuer der Batterien. Leuchtkugeln steigen darüber hoch, silberne und rote Bälle, die zerplatzen und in weißen, grünen und roten Sternen niederregnen. Französische Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden. Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue hoch, überall, und dazwischen wieder die grünen, roten und blauen. […] Das Gewitter der Geschütze verstärkt sich zu einem einzigen dumpfen Dröhnen und zerfällt dann wieder in Gruppeneinschläge. Die trockenen Salven der Maschinengewehre knarren. Über uns ist die Luft erfüllt von unsichtbarem Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschos­ se; – dazwischen orgeln aber auch die großen Kohlenkästen, die ganz schweren Brocken durch die Nacht und landen weit hinter uns. Sie haben einen röhrenden, heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft, und ziehen hoch über dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn. Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen darüber hin wie riesige, am Ende dünner werdende Lineale. Einer steht und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger. Er wird unsicher, geblendet und taumelt.67

In der angeführten Szene ist die Front ein alles überwältigendes Gebilde, das sehr regsam und intensiv ist. Remarque macht in Bäumers Bericht darauf aufmerksam, dass sie ihre Macht auf die unterschiedlichsten Waffenarten stützt, die unaufhörlich und in großen Mengen gebraucht werden. Durch sie wird die Front gebildet, weil die fliegenden Geschosse und die dabei entstandenen Geräusche und Lichter die 67 Ebd., 47–48.

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hektische Atmosphäre herstellen sowie den nervösen und gefährlichen Charakter dieses Raumes bestimmen. Überall sind Elemente, die die an der Front verbleibenden Menschen in Windeseile töten können und deswegen jeden zur ständigen Bewegung zwingen, es sei denn, er versteckt sich gerade. Die Aufregung der Front ist darüber hinaus von der Tageszeit unabhängig, denn es wird sogar in der Nacht gekämpft, und selbst die Helligkeit der Ausbrüche reicht dafür aus, die nächtliche Finsternis zu erleuchten. Die an der Front anwesende Stimmung wirkt sich auf die Sinne der Soldaten aus und beherrscht sie. Anhand der von Remarque angedeuteten Begrenzung der Soldaten kann man fünf Frontdimensionen feststellen. Zu ihnen gehören: die Größe, das Licht, die Luft, die Geschwindigkeit des Handelns und der Klang.68 Die allerseits in der Luft fliegenden Geschosse machen die Front zu einem riesigen Raum, der kein Ende zu haben scheint, und mit homogenen Licht- und Klangimpulsen die innerhalb des Frontraumes verbleibenden Menschen beeinflusst, indem sie ihnen das geschwindte Handeln aufdrängen. Auf diese Weise muss sich der Mensch dem Frontraum völlig unterordnen. Dies scheint der im Namen von Remarque und seinen Kameraden sprechende Paul Bäumer zu bestätigen. Durch eine flüssige und die Vielfalt der Frontelemente berücksichtigende Wiedergabe der Frontgeschehnisse stellt er sich als Augenzeuge vor, der selbst den Frontaufenthalt erfahren und danach das begründete Recht darauf hat, als Stimme der Generation vom Frontraum und dessen Auswirkung auf den Menschen glaubwürdig zu berichten. Der Erzähler konzentriert sich in erster Linie auf die auffallende Überaktivität der Front, die mithilfe ihrer Dimensionen die menschlichen Sinne betäubt und die Soldaten zu den von ihr abhängigen Objekten macht. Remarques Definition kann durch die sehr expressionistische Beschreibung der Front erweitert werden, die Alfred Hein zu Beginn seines Romans liefert und diesen Raum mit einem zerstörerischen Himmelskörper vergleicht: Vom Kanal bis zu den Vogesen, das war nicht die Erde mehr, die sie alle liebten und die sie alle irgendwo zärtlich Heimat nannten, das war ein herabgefallenes Riesenstück eines erlöschenden Sternes, der sich im letzten Aufruhr befand, dampfend an allen Enden Meteore sprühte, die den Tod brachten, und der, eine Wüste des Schreckens und der Pein, nicht mehr von dieser Welt sein konnte.69

68 Der Frontraum und dessen Dimensionen in Remarques Schilderungen werden in einem anderen Text vom Autor dieses Beitrages ausführlicher analysiert. Vgl. Paweł Meus. »›Im unheimlichen Strudel‹. Front als Raum im Roman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque«. Thomas F. Schneider (ed.). Remarque und die Medien. Literatur, Musik, Film, Graphic Novel. Osnabrück: V&R unipress, 2018, 23–32. 69 Hein, Eine Kompanie Soldaten, 9.

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Dem Frontraum wird vom Autor eine besonders regsame Rolle zugewiesen, denn er kann sich selbst durch seine sich in ständiger Bewegung befindenden Elemente schaffen. Dieser Raum hebt auf diese Weise die herkömmliche Ordnung auf, die das Wohl der Menschheit und die Erzeugnisse ihrer Arbeit im Mittelpunkt erhält und dem Frieden eigen ist. Der Frontraum führt hingegen eine abscheuliche Dekonstruktion mit seiner Existenz ein. Wegen seines destruktiven Potentials wird er als fremd wahrgenommen und bildet für einen einzelnen Frontsoldaten ein unbegreifliches, verwüstetes Land. Es ist ein vollkommen unbekanntes Gebiet, was Hein mithilfe des Vergleiches mit einem von fern kommenden und verbrennenden Stern veranschaulicht. Dieser bringt eine bisher unbekannte und unvorstellbare zerstörerische Kraft mit, die nicht nur ihn selbst als Quelle, sondern vor allem alle mit ihm in Berührung kommenden Objekte zerstört. Überdies verläuft dieser Vorgang unkontrollierbar wie im Falle eines hinstürzenden Himmelskörpers. Hein hebt an dieser Stelle in erster Linie hervor, dass die Front für ihn die Vernichtung des Raumes der menschlichen Existenz durch ihre Fremdheit und ihren zerstörerischen Charakter darstellt. Sie ist nämlich das Gegenteil der Heimat, die man für das Bekannte, Sichere und das Gedeihen Fördernde halten kann. Der auktoriale Erzähler, der über einen breiten Blickwinkel verfügt und in seine Aussage die Erfahrungen der Augenzeugen miteinbezieht – »sie alle liebten« und »sie alle […] Heimat nannten« –, bezeichnet die Front als eine Wüste, wo es keine Existenzbedingungen gibt. Sie wird schon am Anfang eindeutig als Ort des Todes und weiterhin jeglichen Elends definiert.70 Des Weiteren macht er mit seiner anschaulichen Beschreibung auf den beeinträchtigenden und unausweichlichen Einfluss des Frontraumes aufmerksam. In Bezug auf die Größe kommt das Land, in dem sich die Front befindet, hauptsächlich einem einzelnen Frontsoldaten unermesslich vor. Er nimmt es von seinem Inneren aus wahr und muss dann feststellen, dass die Front für ihn zu seiner ganzen Welt wird. Angesichts des aus Heins Erzählweise resultierenden ungleichen Größenverhältnisses scheint es auch zwangsläufig zu sein, dass sich der einzelne Mensch, genauer ein Soldat, dem Frontraum unterordnen muss. Dies bedeutet für ihn, dass er sich einerseits von seinem herkömmlichen Leben sowie den damit verbundenen Vorstellungen und Verhaltensmustern, was Hein räumlich mit dem Begriff Heimat bezeichnet, trennen muss und er andererseits er dazu gezwungen ist, sich dem Leid des Krieges innerhalb des Terminus Wüste auszusetzen. Diese wüste Wirklichkeit zeichnet sich durch Isolierung von der ganzen menschlichen Welt aus, deswegen zwingt sie jeden der in ihrem Inneren verbleibenden Soldaten eine extraordinäre Existenzform auf, die mit Entfremdung und zusätzlicher Belastung für ihn verbunden ist.

70 Hein kehrt zum Motiv des heimat- und friedlosen Landes zurück. Vgl. ebd., 195–196.

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Heins Frontcharakterisierung deutet außerdem die bedeutende Verortung dieses Raumes sowohl in territorialer als auch bewusstseinsbezogener Hinsicht an. Der Autor nennt nämlich zwei diesen Raum ausmachende Bezugspunkte – den Ärmelkanal und die Vogesen. Die zwischen ihnen entstandene Linie spaltet das Westeuropa, das vor dem Ersten Weltkrieg für das Zentrum der damaligen abendländischen Welt gehalten wurde, in zwei feindliche Teile auf, die auch die Völker des ganzen Kontinents zu zwei gegnerischen Parteien machen. Die Frontlinie zwischen Deutschland und Frankreich, die an der Spitze jeder dieser Parteien stehen, verläuft in der Mitte des kulturell und zivilisatorisch einheitlichen Gebietes, das wegen des Waffenkonflikts seine Einheit verliert. Die Front ist deswegen ein abgrenzender Raum, der über eine territoriale Spaltungskraft verfügt und ein kohärentes Gefüge in gegenseitig feindselige Teile durch ihren zerstörerischen Charakter verwandelt. Der Widerwille beider Gegner kommt dann im Inneren der Front zum Ausdruck, wo die Soldaten der gegnerischen Parteien in höllischen Verhältnissen kämpfen müssen. Diese Menschen erfahren da den Stellungskrieg, der sich an einem sich kaum verschiebenden Ort, in einem mit Schützengräben und Geschosstrichtern erfüllten Raum abspielt. Die Erstarrung des Krieges in einem begrenzten Bereich und die ständige Gefährdung prägen die Fronterfahrung der Kämpfenden und werden zur kollektiven Erfahrung der Generation, die als Zeitzeugen gelten soll. Ihre Kriegswahrnehmung bestimmt die allgemeine Vorstellung des Ersten Weltkrieges, indem sie anhand der eigenen Erlebnisse den Raum der Westfront zum Hauptspielplatz des ersten modernen Waffenkonflikts macht. Einer dieser Zeugen ist Alfred Hein, der zu Beginn seines Romans den wesentlichen Raum des Ersten Weltkrieges zwischen dem Ärmelkanal und den Vogesen platziert. Als Frontsoldat konnte Hein auch die Front von innen sehr gut erforschen und in diesem Raum ablaufende Prozesse beobachten, was folgender Textabschnitt bestätigt: Alles an Sinn und Herz saugt das Tosen wieder in sich ein. Die Front bleibt auch die Nacht lang in Fiebererregung. Hüben und drüben eine unruhige Geschäftigkeit in den Gräben. Dauernd krachen Handgranaten, wenn Leuchtkugeln ihre Scheine werfen und darin sich Patrouillen, Horch­ posten, Drahtverhauzerschneider, Schipper zeigen. Manchmal plumpsen auch Minen mit dumpfer Wucht nieder. Die parallel laufende Linie der Hauptgräben wird zur Aufnahme von nachrückenden Reserven für den Sturm dauernd von lotrecht verlaufenden Gräben unterbrochen, hie und da ein kühner Sappenvorsprung, der nur noch 10 bis 15 Meter vom Feind

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entfernt ist. Diese Vorsprünge halten nur drei Mann besetzt, die dauernd mit Handgranaten und angelegtem Gewehr auf der Lauer liegen.71

Der im Roman sprechende auktoriale Erzähler beurteilt die Front als eine Kraft, die mithilfe des fürchterlichen Geräusches ihre Hegemonie erkennbar und alles, was der Erzähler für sinnvoll und wichtig hält, zunichte macht. Sie zeichnet sich zuallererst durch ungesunde Nervosität aus, die an vielen Stellen zu beobachten ist und das Verhalten aller an der Front Eingesetzten zwangsläufig beeinflusst. Sie müssen extrem schnell und effizient handeln, was dem Wort »Geschäftigkeit« zu entnehmen ist. Damit geht die Anstrengung sowohl des Gehörs als auch der Sehkraft einher, weil die pausenlosen Ausbrüche von Geschossen menschliche Sinne schwächen und dadurch bei Soldaten Belastung verursachen. Die hier von Hein geschilderte Auswirkung der Front auf das Empfindungsvermögen ähnelt dem Einfluss der Frontdimensionen in der Schilderung von Remarque. Diese Analogie lässt behaupten, dass die Front sowohl bei Remarque als auch bei Hein ein aktiver Raum ist, der durch verfügbare Kanäle den Menschen belastend beeinflusst. Heins Beschreibung rückt unmittelbar die Anwesenheit unterschiedlichster Waffenarten in den Vordergrund, deren ständiger Gebrauch die Soldaten, wie im Bericht von Remarque, der unvermeidlichen Lebensgefahr aussetzt. Die Besonderheit der Charakterisierung bei Hein ist, dass er sehr viele Menschen in sie miteinbezieht, die als Soldaten verschiedene Dienste verrichten. Dies macht die Front zu einer aus zahlreichen kleinen Elementen zusammengesetzten Maschinerie, in der jeder Soldat zu einer bestimmten Abteilung gehört, die eine besondere Aufgabe erfüllen muss. Des Weiteren wird neben der personenbezogenen Komplexität auf die komplizierte räumliche Struktur der Front hingewiesen, die aus einzelnen, aber verbundenen Linien besteht und eine einzigartige Welt darstellt. Sie muss einerseits stabil sein, um den Soldaten das Funktionieren im Krieg zu ermöglichen, andererseits weist sie aber ihre Schwäche auf, wenn die Laufgräben nach der Beschießung unpassierbar werden. In Bezug auf den Front­aufbau ist zu erwähnen, dass die kämpfenden Soldaten ihren Gegnern sehr nahe sind, wodurch Hein auf die widersprüchliche Vereinigung dieses Raumes verweist. Die Todfeinde sind zwar einige Meter entfernt und stellen einerseits eine wesentliche Bedrohung dar, andererseits soll man die besondere Nähe nutzen, um die eigene Einflusszone an der Front zu verbreiten. Auf Basis des zitierten Abschnittes kann man daher annehmen, dass Hein mithilfe der Frontdarstellung versucht, hauptsächlich das Schicksal der Menschen wiederzugeben, die im Inneren dieses Raumes kämpfen müssen, denn sie ertragen den andauernden Beschuss, erledigen ihre Aufgaben unter unvorstellbarem Druck, versuchen die Frontlinie trotz Hindernissen zu errei71 Ebd., 236.

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chen oder kämpfen in der Nähe des Gegners. Dies alles tun sie aber, indem sie ihr Leben an der Front aufs Spiel setzen. In Heins Schilderung gilt also der Frontraum als Platz, wo Menschen der Kriegswirklichkeit sehr aktiv die Stirn bieten sollen. Eine sich auf Vergleiche stützende Definition der Front liefert auch Arnold Zweig, der in Erziehung vor Verdun philosophisch-wissenschaftliche Assoziationen verwendet. Seinen Roman beginnt er mit der düsteren Feststellung, dass das menschliche Schicksal seit Anbeginn der Zeit mit dem Krieg unabwendbar verflochten ist: Die Erde ist eine gelbgrün gefleckte, blutgetränkte Scheibe, über die ein unerbittlich blauer Himmel gestülpt ist wie eine Mausefalle, damit die Menschheit den Plagen nicht entrinne, die ihre tierische Natur über sie verhängt.72

Mit diesen Worten führt Zweig als auktorialer Erzähler den Leser in sein Werk ein und bemerkt durchaus nüchtern, dass das Kämpfen dem Wesen der Menschen aller Epochen eigen ist. Es soll den tierischen Elementen entspringen, die jedem Menschen während der Existenz auf der Erde unverzichtbar innewohnen. Die Erde ist Zweig zufolge eine Art Gefängnis, wo man mit den Trieben der eigenen, zum Teil wilden Natur kämpfen soll. Wenn die negativen Dränge nicht gezähmt werden, kommt es zu Katastrophen, zu denen auch Kriege gehören. Zweig weist darauf hin, dass gerade die unbändigen Menschen am Krieg schuld sind. Gleichzeitig erwähnt er, dass der Krieg die Menschheit während ihrer gesamten Geschichte begleitet. Davon legen die ungezählten Stellen von Blutvergießen ein stummes Zeugnis ab. Die Erde fungiert also als ein natürlicher Raum des Krieges, und Menschen gelten als Schöpfer der Front. Diesen Hauptraum des Ersten Weltkrieges beschreibt Zweig nicht selten anhand der Gebiete, wo vor Kurzem die Kampflinie verlief, und der von ihr hinterlassenen Spuren. Eine bündige Definition der Front taucht bereits in der ersten Szene des Romans auf, wo es heißt, dass sie als »die Schluchten, die ehemaligen Wälder […], die aus lauter zerhackten Trichterfeldern bestehen«,73 zu verstehen ist. Aus rein räumlicher Sicht ist sie ein Terrain, dessen Struktur durch Kämpfe verändert wurde. Es erfüllt deswegen seine gründliche natürliche Rolle als Wald oder Acker nicht mehr, sondern bewahrt die Spuren von geschlagenen Schlachten in Form von Trichtern auf. An dieser Stelle ist zu vermerken, dass der Erzähler die bedeutsame Lage des von sich beschriebenen Kriegsraumes im Ersten Weltkrieg betont, indem er auf Frankreich und die in diesem Land verlaufende Westfront hinweist. Er schreibt: 72 Arnold Zweig. Erziehung vor Verdun. Berlin: Aufbau-Verlag, 1959, 9. 73 Ebd., 10.

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Zwar ist der Krieg zwischen den Europäern, der seit zwei Jahren wütet, im Südosten des Erdteils entstanden; dennoch trägt Frankreich, sein Volk, sein Land und sein Heer, die Hauptlast der Verwüstung; und obwohl gerade jetzt auch in der Bukowina erbittert gefochten wird, an den Flüssen Etsch und Isonzo, schlägt man sich doch am wildesten an den Ufern der beiden französischen Flüsse Somme und Maas. Und die Schlacht rechts und links dieses letzteren Gewässers ging um den Besitz der Festung Verdun.74

Das Charakteristische an Zweigs Beschreibungen ist eine die Erzählweise prägende Perspektive, anhand derer der Frontraum sehr oft erst nach den Kämpfen und dem Weiterrücken der wesentlichen Frontlinie, das allerdings sehr genau, geschildert wird. Dies ist wahrscheinlich mit dem Protagonisten des Romans – Werner Bertin – verbunden, der nicht direkt an der Front kämpft, sondern seinen Dienst meistens in einiger Entfernung von den Hauptgefechten verrichtet. Da sich der Erzähler vor allem auf Bertins Schicksal konzentriert, berichtet er dann von den vom Protagonisten betretenen Räumen, d.h. von denen, die vor Kurzem die Front ausgemacht haben. Als Beispiel kann folgender Absatz dienen: Wie ein vom Aussatz zerfressenes Stück Haut unterm Mikroskop, eine Wunde an der anderen, zackiger Schorf und Eiter, entblößte sich der Boden. Sein Zustand war mürb und wie verbrannt, Reste von Wurzeln durch­ äderten ihn wie Würmer. In einem Trichter lag ein Bündel verdorbener Handgranaten. Richtig, dachte Bertin, hier war ja überall mal Wasser drin. Stoffetzen flatterten an Drahtgemenge, ein Ärmel mit Knöpfen, Patronen­ hülsen, die Reste eines Maschinengewehrgurts, überall Menschenkot und Haufen von Blechbüchsen, nirgendwo menschliches Gebein.75

Wie alle bisher angebrachten Charakteristiken des Frontraumes ist auch diese mit einer Metapher versehen. Sie beruht auf wissenschaftlichen Assoziationen und vergleicht das Terrain mit der »kranken Haut«. Zweig will auf diese Weise zeigen, dass der Krieg eine Krankheit der Menschheit ist, und die Front die Widerspiegelung der Symptome, d.h. Aufhebung der natürlichen Ordnung des friedlichen Lebens darstellt. Hier haben sich Menschen einander getötet, wovon die defekten Granaten und Trichter nach schweren Geschossen zeugen. Im Laufe der Kämpfe wurde der Raum zerstört und mit chaotisch zerstreuten Waffenresten, Abfällen oder Fragmenten von Kleidungsstücken bedeckt, womit betont wird, dass die Front selbst durch in ihrem Inneren stattfindende Kämpfe eine destruktive Auswirkung 74 Ebd., 8–9. 75 Ebd., 114.

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hat. So wie die aussätzige Haut einen Organismus entstellt, kann das mit Trichtern bedeckte Frontgelände als räumliche Negation der geordneten Menschenwelt gelten, die das Gedeihen der Menschen ermöglichen soll. Im allgegenwärtigen Chaos sticht aber das Fehlen von Leichen ins Auge. Dies ergibt sich leider nicht aus der Tatsache, dass an diesem Ort niemand ums Leben gekommen ist, sondern daraus, dass die verwesenden Leichen die Lebenden mit dem unerträglichen Gestank zu stören begannen, was Zweig darauffolgend erwähnt.76 Das dargelegte Bild des Frontraumes erfolgt also anhand einer nachträglichen Bestandsaufnahme, ist dabei so genau, dass es die Möglichkeit gibt, die vernichtende Kraft der Front hervorzuheben. Zweigs Roman bietet außer vielen Schilderungen von Stellen, die Spuren der bereits beendeten Kämpfe aufweisen, auch Aufzeichnungen, die während der Angriffe gemacht werden. Eine solcher Stellen ist die Szene, wenn der Protagonist die Gefechte von der vorderen Position aus beobachten kann: Draußen stand der Graben voller Menschen, alle nach rückwärts blickend. Ein orgelartiges Brausen und vielstimmiger Donner erfüllte die Nacht; übers Feld aber, im Nebenabschnitt, sprangen Flammen. Ein Platzregen von feurigen Entladungen ging nieder, methodisch ausgeschüttet über die Anmarschwege und wohlbekannten Senken und Höhen des Geländes. In wolkenartigen Säulen schleuderten die Geschosse ihre feurigen Gase und den Boden empor. Ihr Anheulen, die überwältigende Flut bösartigen Fauchens, ihr Gellen und Knattern, ihr rasendes Krachen ließen Bertins Herz erzittern, während er gleichzeitig begeistert Süßmanns Arm preßte, hingerissen von der Wucht, mit der der menschliche Zerstörungstrieb sich austobte – Wonnen der Allmacht im Bösen.77

Es ist der erste Aufenthalt von Bertin vorne an der Front, deswegen nimmt er alles mit verstärkter Aufmerksamkeit wahr, anders als der erfahrene Süßmann, der mit der Frontwirklichkeit seit längerer Zeit vertraut ist. Bertin kann viele Menschen sehen, die Angst haben, denn sie schauen rückwärts, Richtung Ausgang. Dieses negative Gefühl kann von belastenden Impulsen der Front verursacht werden, die sich auf menschliche Sinne auswirken. Auch in diesem Bericht wiederholen sich die Beobachtungen, die Remarque und Hein in ihren Werken betont haben, dass die Front auf Sinne, und hauptsächlich auf das Gehör und die Sehkraft Einfluss ausübt. Zweig hebt dazu die psychische Reaktion auf die sensuellen Reize der Front hervor. 76 Vgl. ebd. 77 Ebd., 198–199.

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Obwohl der nächste Autor – Ernst Jünger – im Laufe der Ereignisse, die er in seinem tagebuchartigen Roman abbildet, verschiedene Phasen des Krieges und dadurch auch variierende Frontgestalten beschreibt, bleibt auch bei ihm das Wesen des Frontraumes beständig. Sowohl die Szenen in den Kreidegräben der Champagne und im Stellungskampf als auch in den blutigen Schlachten an der Somme oder bei Cambrai liefern trotz der Gesinnung des Schriftstellers, der den Krieg eher affirmiert, nüchterne Darstellungen des elenden Kriegsalttages. Jünger schreibt ebenfalls über ein zerstörtes Terrain und tote Soldaten, was folgendes Zitat mit der Beschreibung eines Morgens während der Schlacht an der Somme zeigt: Der Hohlweg erschien nur noch als eine Reihe riesiger, mit Uniformstü­ cken, Waffen und Toten gefüllter Trichter; das umliegende Gelände war, soweit der Blick reichte, völlig von schweren Granaten umgewälzt. Nicht ein einziger armseliger Grashalm zeigt sich dem suchenden Blick. Der zerwühlte Kampfplatz war grauenhaft. Zwischen den lebenden Verteidigern lagen die toten. Beim Ausgraben von Deckungslöchern bemerkten wir, daß sie in Lagen übereinandergeschichtet waren. Eine Kompanie nach der anderen war, dicht gedrängt im Trommelfeuer ausharrend, niedergemäht, dann waren die Leichen durch die von den Geschossen hochgeschleuderten Erdmassen verschüttet worden, und die Ablösung war an den Platz der Gefallenen getreten. Nun war die Reihe an uns.78

Die Szene spiegelt den Moment wider, in dem die Soldaten ihre Positionen an der Front einnehmen und sich am Anfang ihres Einsatzes mit dem Gelände vertraut machen können. Es stellt einen großen Trichter dar, der Spuren des Kampfes –  neben Waffen und zerfetzten Uniformen vor allem menschliche Leichen – umfasst. Der an diesem Platz stattgefundene Kampf musste sehr heftig gewesen sein, worauf die Anknüpfung an das Fehlen jeglicher unversehrten Elemente der natürlichen Welt hindeutet. Der Erzähler betont, dass sogar kein Halm zu finden ist, der das Feuer der Geschosse überstanden hat. So zeigt er die Zerstörungskraft der Front, die bis auf die kleinsten Wesen alles vernichtet. Damit legt Jünger ein unabänderliches Zeugnis vom destruktiven Charakter des Frontraumes ab und bestätigt mit seiner Beschreibung die Berichte der Autoren wie Remarque oder Zweig. Bei der genauen Betrachtung dieses Raumes aus der Nähe, die man anhand der Teilnahme des Erzählers am Eintritt an die Front mit den ablösenden Soldaten feststellen kann, hebt er das Zusammensein von Lebendigen und Toten hervor. Dies lässt die Front als einen außergewöhnlichen Raum erscheinen, wo die Grenze zwischen Leben und Tod verwischt. Der Erzähler muss deswegen zugeben, dass die 78 Jünger, In Stahlgewittern, 101–102.

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Landschaft grauenhaft ist, und Soldaten der direkten Gefahr ausgesetzt sind, was sie selbst am Beispiel der Toten aus den vorherigen Kompanien erkennen können. Dazu kommt noch das Bewusstsein, dass die Leichen durch Geschosse geschändet und mit Erde ohne Würde, geschweige denn eine Beerdigung, begraben werden. Die Angst vor einem solchen Tod muss Zweifel und Hemmung unter den Ablösenden hervorrufen. Im Gegensatz dazu steht jedoch das Gemeinschaftsgefühl, das Jünger mithilfe der ersten Person Plural »wir« im letzten Satz andeutet. An der Front werden die Soldaten zu einer einheitlichen Gruppe, die eine gemeinsame Pflicht erfüllt. Nach einer vollkommenen Einheit kann man noch ein Stück weiter suchen, und zwar im kollektiven Tod, der alle Soldaten im Kampf vereint. Durch eine gekonnte Wortauswahl macht Jünger die Soldaten zu »Verteidigern«, die das Terrain heroisch beschützen sollen, als ob es ein Teil ihrer Heimat wäre. Der Fall ist aber ganz umgekehrt, denn deutsche Soldaten besetzen das französische Gebiet, worauf viele Stellen im Roman hindeuten. Für den Autor ist jedoch der errungene Raum das »Feld der Ehre«, auf dem man zusammen kämpfen soll. Als Hinweis drauf kann man die kühne Bemerkung im letzten Satz des zitierten Fragments verstehen, dass gerade die Zeit, der Meinung des Autors nach vom Schicksal bestimmt, für seine Kompanie kommt, sich als Held zu bewähren. Die umgestellte Wahrnehmung, nach der die Front eine eroberte Fläche ausmacht, die zum Eigentum der Angreifer geworden ist, zeigt Jüngers Gesinnung. Er erkennt im deutschen expansionistischen Krieg gegen Frankreich die Gelegenheit, ein heldenhaftes Abenteuer zu erleben. In Jüngers Bericht sticht auch das Selbstbewusstsein des Erzählers ins Auge, das sich durch schlichte Sachlichkeit auszeichnet. Dieser Stil, den man dem bereits angebrachten Zitat entnehmen kann, weist auf einen Vorgesetzten hin, der den Raum sehr genau beobachtet und seine Beschaffenheit im Kampf nutzen will. Dies kommt auch in der sehr langen und ausführlichen Beschreibung der Front zum Vorschein, die sie im Herbst 1915 darstellt: Um in die vorderste Linie, kurz »der Graben« genannt, zu gelangen, betreten wir einen der zahlreichen Annäherungswege oder Laufgräben, deren Aufgabe es ist, den gedeckten Anmarsch in die Kampfstellung zu ermöglichen. Diese oft sehr langen Gräben führen also auf den Gegner zu, sind aber, damit sie nicht der Länge nach bestrichen werden können, zickzackförmig oder in schwachen Bogenlinien geführt. Nach viertelstün­ digen Anmarsch schneiden wir die zweite Linie, die der ersten parallel läuft und in der Widerstand fortgesetzt werden soll, wenn der Kampfgraben genommen ist. Der Kampfgraben unterscheidet sich schon auf den ersten Blick von den schwachen Anlagen, die zu Beginn des Krieges entstanden sind. Er ist längst

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kein einfacher Graben mehr, sondern zieht sich in doppelter oder dreifacher Mannstiefe unter dem Niveau dahin. Die Verteidiger bewegen sich also wie auf der Sohle eines Schachtes; wenn sie das Vorgelände beobachten oder feuern wollen, ersteigen sie auf Stufen oder breiten hölzernen Leitern den Postenauftritt, eine lange Bank, die derart in die Erde gestochen ist, daß der auf ihr Stehende den gewachsenen Boden um Kopfeshöhe überragt. Der einzelne Schütze steht in seinem Postenstand, einer mehr oder weni­ ger befestigten Nische, den Kopf durch eine Sandsackpackung oder durch einen Stahlschild gedeckt. Der eigentliche Ausblick findet durch winzige Scharten statt, durch die der Gewehrlauf geschoben wird. Die großen Erdmengen, die aus dem Graben gehoben wurden, sind hinter der Linie zu einem Wall aufgetürmt, durch den zugleich die Rückendung gebildet wird; in diesen Erdwall sind Maschinengewehrstände eingebaut. Auf der Stirnseite des Grabens dagegen wird die Erde stets sorgfältig verzogen, damit das Schußfeld offen bleibt.79

Anhand des Zitats kann man feststellen, dass der beschriebene Frontabschnitt eine komplizierte Struktur ausmacht. Sie besteht aus vielen Elementen, deren Aufbau und Funktion mit Berücksichtigung aller Details vom Erzähler präzise geschildert werden. Sie weisen eine gewisse Entwicklung der Gräben im Vergleich zum Kriegsbeginn auf, weil sie in diesem Moment ein System von Befestigungen sind, die den Soldaten mehr Sicherheit bieten und deswegen einen effizienteren Kampf gewähren können. Diese Entfaltung des Frontraumes ergibt sich aus der Evolution des Krieges, der in der Phase des beide Seiten des Waffenkonflikts zerstörenden Stellungskampfes nach dem Versagen der Offensivmaßnahmen erstarrt ist. Da der erhoffte rasche und extreme Ansturm bereits in ersten Monaten des Krieges gescheitert ist, nimmt er eine statische Form an, in der die Übermacht dank einer komplexen Befestigungsanlage zu erreichen ist.80 Dies scheint auch der erzählende Jünger zu wissen, indem er sich auf die pragmatische Nutzung der Front fokussiert. Dieser Blick offenbart ihn als Vorgesetzten, dessen Beschreibungen auf der Erfahrung und dem Wissen eines früher ausgebildeten Soldaten basieren. Auch die umgangssprachliche Bezeichnung »der Graben« bestätigt seine Glaubwürdigkeit als Frontsoldaten, der den Frontraum als Werkzeug im Kampf versteht. Jüngers Frontschilderung zeigt also die praktische Rolle dieses Raumes und das vom Erzähler gesammelte Wissen, wie man die mit dieser Rolle verbundenen Aufgaben erfüllen soll.

79 Ebd., 42. 80 Vgl. Gerd Krumeich. Der Erste Weltkrieg. Die 101 wichtigsten Fragen. München: C.H.Beck, 2014, 41.

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Ludwig Renns Bericht vom Krieg weist dieselbe Erzählweise wie Werke von Remarque oder Jünger auf, weil er auch in Form eines Tagebuches aus der Perspektive des Protagonisten verfasst ist. Ein wesentliches Merkmal, das Renns Roman von allen in diesem Beitrag erörterten Büchern unterscheidet, ist die Schlichtheit der Überlieferung. Renn meidet jegliche Kommentare und bietet nur die Widerspiegelung der monotonen und anstrengenden Kriegswirklichkeit. Aus diesem Grund ist es auch schwer, bei ihm eine multidimensionale Beschreibung des Frontraumes zu finden. Sie ist eher in der Handlung verstreut und beinhaltet keine Beurteilung oder Deutung seitens des erzählenden Romanautors. Nichtdestotrotz kann man im tagebuchähnlichen Werk Stellen finden, die die Front während des langen Kriegseinsatzes des Protagonisten schildern. Sie machen aber nur einen Hintergrund für die Verankerung der Episoden, die dem Autor wichtiger als reine Beschreibungen zu sein scheinen. Im der Schlacht an der Somme gewidmeten Kapitel tauchen jedoch die Szenen auf, anhand derer die Front zu charakterisieren ist. Eine von ihnen findet in der Nacht statt, wenn die Soldaten bei trübem Wetter die Front betreten: Ein Leichengestank begleitete uns ein Stück. Dann senkte sich der Boden, ohne daß man erkennen konnte, was da war. Ich glitt aus und fuhr auf den Hosen die nasse Lehmbahn hinunter in einen flachen Graben. Ganz in der Nähe mußte wieder eine Leiche liegen. Beim Weitertasten stieß ich auf Schotter und dann an Eisenbahnschienen. Ein Stück ging es noch querfeldein. Dann bogen wir nach links auf eine Straße. »Bleiben Sie mal hier, Renn, und sehen Sie, ob die Kompanie beisam­ men ist!« Sie latschten gebückt an mir vorbei.81

Das Zitat zeigt wahrscheinlich einen der typischen Wege zur Frontlinie, auf dem man auf die aufgegrabene Erde stößt. Sie wird ständig sowohl von den Soldaten beim Aufbauen der Schützengräben als auch durch Geschosse deformiert. Aus diesem Grund bleibt der nasse Lehm oben und erschwert die Bewegung, die durch die nächtliche Finsternis schon sehr mühsam ist. Darüber hinaus umfasst die hier dargestellte erste Frontzone viele Leichen, die der Erzähler vor allem am Geruch der Verwesung erkennt. Dies macht sie zu einem großen Friedhof und zugleich einem Land der Gefahr, das man schnell verlassen sollte. Der Protagonist ist sich dessen bewusst, deswegen führt er den Befehl aus und beaufsichtigt die mit ­Schwierigkeiten vorrückende Kompanie, damit sie ihr Ziel ohne Verluste erreichen 81 Ludwig Renn. Krieg. Berlin: Aufbau-Verlag, 1951, 158.

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kann. Renn zeigt also den Eingang zur Front als ein räumliches Hindernis, das man überwinden soll. Er stellt dadurch die zu erfüllende Aufgabe in den Vordergrund. Die Front ist dann nur ein Raum, der die zu bewältigenden Bedingungen herstellt. Renn verzichtet aber nicht ganz auf typische Beschreibungen, wie folgendes Zitat belegt: Wir standen im engen Graben, die halbe Kompanie hinter uns. Es schoß immer heftiger. Wir kletterten nach vorn aus dem Graben. Der Wald war dicht und voll abgebrochener Äste. Nach wenigen Schritten hingen wir in Stacheldraht fest, der in dem Astgewirr nicht zu sehen war. Es klirrte und klapperte in den Bäumen. Äste sprangen ab. Draußen vorm Waldrand, da und dort leichtes Aufblitzen auf der Wiese und kleine Rauchwolken am Boden im grauen Dämmerlicht. Das Krachen und Knacken hallte und rauschte im Stahlhelm, daß man kein Geräusch bestimmen konnte. Ich sah nur, daß es Schrapnelle und Granaten waren. Wieder kamen wir in Draht. Am Boden sah ich den Mantel eines Maschinengewehrs und ein schmutziges Gesicht mit Stahlhelm. Der Posten stand in einem mit Astwerk zugedeckten Erd­ loch.82

Es wird ein unter Beschuss stehender Frontabschnitt geschildert, in dessen Zentrum sich ein Wald befindet. Er grenzt an eine Wiese und ist von Geschossen umgeben, die die Regeln dieses Raumes bestimmen. Sie verursachen den Lärm, das Licht und den Rauch, die die Sinne der Soldaten beeinflussen und das Gefühl der Bedrohung in ihnen hervorrufen. Die Geschosse beschädigen auch die natürliche Landschaft, womit die zerstörerische Kraft der Front hervorgehoben wird. Überdies sticht in diesem Zitat ins Auge, dass die Bewegung sowohl von der der Sicherheit der Soldaten dienenden Dunkelheit der Nacht als auch vom Vordringen des Gegners behindernden Drahtverhau beeinträchtigt wird. Der Erzähler zeigt hier einen üblichen Kriegsalltag, zu dem der schnelle und heimliche Gang sowie das Ertragen der belastenden Faktoren gehören. Er verschweigt auch die Spuren der vorherigen Kämpfe nicht, die als Waffenreste und Leichen zum Vorschein kommen und parallel auf die lauernde Gefahr hindeuten. Interessanterweise erwähnt Renn diese Elemente gleichgültig als typisch für den Frontraum und konzentriert sich generell darauf, dass die Soldaten ihre Posten relativ sicher beziehen und sich mit auseinanderliegenden Ästen tarnen können. In seiner Schilderung des Frontraumes kann man daher vor allem die charakteristischen Elemente, die bei anderen Autoren auftauchen, wie tote Menschen, die zerstörte Natur und allge82 Ebd., 161.

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genwärtige Geschosse sowie die mühsame Ausdauer der Soldaten im Kampf um das Überleben erblicken.

Fazit Die gesammelten Beschreibungen der Front lassen eindeutig schlussfolgern, dass alle Autoren, unabhängig von vertretenen Ansichten sowie gewählten Perspektiven und Erzählweisen, diesen Raum als Kampfplatz sehen, wo es Tote, viele Geschosse und Trichter sowie von Menschen gebaute Befestigungsanlagen bzw. Kampfposten gibt. Diese Elemente haben die Struktur und das bisherige Funktionieren des Gebietes geändert, auf dem sich die Front erstreckt. Die zerstörte Landschaft steht hingegen allgemein für Elend und Leiden der Menschheit im Krieg. Keiner der Autoren verschweigt die Gefahr, der die Soldaten ausgesetzt sind, und die Belastung, die sich sowohl auf ihren Körper als auch auf ihre Psyche destruktiv auswirkt. Sie sind sich darüber einig, dass die Front ein Raum außerhalb des typischen, d.h. friedlichen Lebens ist, der als Hauptschauplatz des Krieges funktioniert, und wo der einzelne Mensch neben dem Kampf in der Armee des eigenen Staates vor allem ums Überleben ringen muss. Allen Darstellungen gemeinsam ist letztendlich die Verortung des Raumes, denn es ist bei allen Schriftstellern die Westfront, für die der Stellungskampf charakteristisch ist. Schon die Erzählweise weist aber Unterschiede auf, weil in den Werken von Remarque, Jünger und Renn der Ich-Erzähler aus der Perspektive eines Frontsoldaten von den Ereignissen berichtet. Er spricht ebenso in der ersten Person Plural und bedient sich des Pronomens »wir«, um das gemeinsame Schicksal aller Soldaten zu bestätigen. Die Perspektive bei diesen drei Autoren ist dennoch different, denn Remarque und Renn sprechen direkter und stellen sich eher als einfache Soldaten vor. Jüngers Aussagen zeichnen sich durch eine dezente Distanz und technische Fachbegriffe aus, die auf einen Vorgesetzten hinweisen. Die Romane von Hein und Zweig basieren auf der Überlieferung eines auktorialen Erzählers, der für eine holistische Perspektive sorgt. Wie bereits festgestellt, gestehen es alle Autoren zu, dass die Westfront des Ersten Weltkrieges als Platz der grauenhaften Erfahrung der ganzen Generation fungiert. Davon legen die Beschreibungen der Frontwirklichkeit ein aussagekräftiges Zeugnis ab. Die einzelnen Berichte legen aber auf unterschiedliche Stellen ihren Schwerpunkt. Obwohl Remarque sehr persönlich schreibt, überträgt er seine Beobachtungen zu Kriegsalltag und Beurteilung der Front repräsentativ auf alle Soldaten, in deren Namen er spricht. Dies authentifiziert auch seine verallgemeinerte Definition der Front als Raum der Destruktion, die zur Enttäuschung vom Leben führt. Der dieselbe Erzählweise nutzende Renn konzentriert sich in

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erster Linie auf prosaische Ereignisse, die er sehr schlicht und direkt darstellt. Dies lässt die Front bei Renn als Ort der Mühe und Gefahr während der Monotonie des Krieges verstehen. Jünger versucht hingegen mit seiner Sachlichkeit, den Kämpfen einen Sinn zu verleihen und die Front als Ort des Abenteuers und der Bewährung zu definieren. Zweigs Geschichte stützt sich auf Beobachtungen eines nichtkämpfenden Soldaten, der die zerstörerische Kraft der Front gründlicher wahrnehmen kann und sich ihrer Auswirkungen sowohl auf die Natur als auch auf die menschliche Psyche bewusster ist. Hein schaut auf die Front unter dem Gesichtspunkt der ganzen Kompanie, die er im Titel seines Romans nennt. Damit macht er seine philosophischen Überlegungen, mithilfe derer er die Front und ihr Wesen erklärt, zur allgemeinen Definition dieses Raumes. Er sieht ihn als einen der menschlichen Natur fremden Ort, der jedoch von Menschen geschaffen wurde und auf jeden innerhalb seiner Grenzen anwesenden bzw. handelnden Menschen einen belastenden Einfluss ausübt. Über 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg konnten die Ansichten der Autoren an vielen Stellen verblassen. Ihre Frontschilderungen bleiben jedoch unwiderlegbar und warnen so jede nächste Generation vor dem Krieg. Die zerstörte Natur und die unvorstellbare Belastung der Psyche, geschweige denn der Tod von unzähligen Menschen, sind eine ewige Mahnung, die jedoch seit 2022 durch einen neuen Krieg überschattet ist. Angesichts dessen sollen die angebrachten Frontbeschreibungen und ihre Interpretation den bereits nach dem Ersten Weltkrieg etablierten Aufruf »Nie wieder Krieg!« verstärken. Dieser auf dem Plakat aus dem Jahr 1924 von der bekannten Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz,83 die ihren Sohn selbst im Ersten Weltkrieg verloren hat, platzierte Satz soll die Menschheit unermüdlich ermahnen. Mag auch dieser Beitrag nochmals als Stimme des friedlichen Menschen der Gegenwart in die Welt rufen »Nie wieder Krieg!«.

83 Vgl. Waldemar Czachur, Peter Oliver Loew. »Nie wieder Krieg!« Der 1. September in der Erinnerungskultur Polens und Deutschlands zwischen 1945 und 1989. Wiesbaden: Harrassowitz, 2022, 14–15.

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»Was man vergisst, das fehlt einem später im Leben [...]. Und was man nicht vergisst, macht es einem zur Hölle«* 90 Jahre nach der Bücherverbrennung

I. Dass Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück von Erich Maria Remarque unter all den anderen Büchern, die die Moderne definierten und ausloteten, dass diese beiden Bücher vor 90 Jahren, am 10. Mai 1933 nicht auch in Osnabrück brannten, der Heimatstadt des weltbekannten Schriftstellers, lag weniger daran, dass die Osnabrücker solche Scheiterhaufen verhindert hätten, sondern eher daran, dass es in Osnabrück damals noch keine Universität gab. Zwar brannten auch in Städten ohne Universität die Scheiterhaufen, aber vorbereitet und getragen wurde diese »Aktion wider den deutschen Ungeist«, wie sie genannt wurde, von der »Deutschen Studentenschaft« und der »Hitlerjugend« – und Professoren und Studenten machten tüchtig mit. Das belegen zahlreiche Fotografien und Dokumente aus Berlin, München, Münster und anderen Städten. Diese Bilder erinnern immerhin daran, dass der Nationalsozialismus nicht nur weniger gebildete Leute anzog, sondern dass er auch die sich ihm zuneigenden Bildungseinrichtungen okkupiert hatte.1 * Dieser Beitrag ist die Überarbeitung eines Vortrags, den ich im Friedenssaal des historischen Rathauses der Stadt Osnabrück am 10. Mai 2023 anlässlich der Bücherverbrennung vor 90 Jahren gehalten habe. Der Untertitel ist Remarques Roman Arc de Triomphe, hg. von Thomas F. Schneider, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017, 151 entnommen. 1 So spricht Martin Heidegger, der am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war, in seiner berüchtigten Rektoratsrede Die Selbstbehauptung der deutschen Universität am 27.05.1933, also nur wenige Tage nach der Bücherverbrennung, von der »Kampfgemeinschaft der Lehrer und Schüler«. Hermann Heidegger (ed.). Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Frankfurt/Main: Vittorio Klostermann, 1983.

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Und fünf Jahre später brannte dann bekanntlich auch die Synagoge in Osnabrück unter glutrotem Himmel und dem Gejohle des Mobs. Aber warum haben die beiden bis dahin vorliegenden Romane Remarques die Nazis so aufgebracht und provoziert, dass sie diese Werke aus der Welt, aus ihrer Welt, schaffen wollten? Warum sollten sie am besten spurlos verschwinden, als seien sie nie dagewesen? Was war das so unerträgliche Widerwort gegen sie? War es das Antiheldische und Antinationale in seinen literarischen Figuren, mit denen er in seinen Texten den Gegenentwurf zu den überhöhten, kraftstrotzenden Skulpturen Arno Brekers geschaffen hatte, schon bevor dieser sich den Nationalsozialisten andiente?2 Das Anti-Antisemitische? Das fehlende Pathos, die Abwehr einer Anmaßung etwaiger Überlegenheit des Deutschen? Die radikale Diesseitigkeit, die keinen höheren Auftrag und Sinn verspricht? Diese Diesseitigkeit schildert Remarque im kläglichen Sterben in den Schützengräben, das die Kameraden auf der einen Seite sogar mit denen auf der anderen Seite verbindet. Wenn es einen Roman gibt, der sich einem ideologisch motivierten Gründungsmythos widersetzt, dann ist es Remarques Im Westen nichts Neues, der nicht dafür taugt, dem Krieg eine sinnstiftende Absicht zu unterlegen. Und wenn es einen Roman gibt, der etwaiger Kriegsbegeisterung den Elan bricht, dann ist es ebenfalls Remarques Im Westen nichts Neues, der seine Figuren nicht überhöht, sondern sie in einer dem Leser angemessenen Größe zeigt. Das gilt auch für ihr Sterben, das eher ein Verenden ist und kein Opfer für eine höhere Macht, in deren Auftrag sie ihr Leben einsetzten. Remarque zeigt einfache Soldaten, die in ihrem Sterben eher ihr Leben lassen, als dass sie ihr Leben gäben. Das verdeutlicht nicht nur der leise Tod Paul Bäumers am Ende des Romans Im Westen nichts Neues, sondern ebenso das Verenden eines Pferdes, dessen Qualen auch für die Soldaten, die es nicht erlösen können, unerträglich sind, obwohl sie sich schon längst an die Alltäglichkeit des Sterbens im Krieg gewöhnt haben.3 Remarque erzählt von einem Krieg, der keinen wachsen lässt, dem keiner gewachsen ist, sondern der alle zerstört: auch noch diejenigen, die mit dem Leben davonkommen. Die Davongekommenen bleiben auch dann noch heimatlos, wenn sie zum Ort ihrer Sehnsucht zurückkehren, von wo sie losgeschickt worden sind. In Der Weg zurück ist die namentlich nicht genannte Stadt »Osnabrück« eine Chiffre für diesen Ort der Heimatlosigkeit, der die Davongekommenen zwar anzieht, aber nicht ankommen lässt. So unvertraut ihnen die vertrauten Plätze, Straßen und Bauten der alten Stadt, so fremd sind sie sich selbst geworden. Sie finden sich auch da nicht mehr zurecht, wo sie die Wege gehen, die sie bereits schon vor 2 Felix Nussbaum weilte als Stipendiat in der Villa Massimo zu der Zeit, als sich auch Arno Breker dort aufhielt. 3 Die oscarprämierte Neuverfilmung des Romans Im Westen nichts Neues von Edward Berger aus dem Jahr 2022 unterlässt es denn auch, diese Szene ins Bild zu setzen.

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dem Krieg entlanggelaufen sind. Diese ruinierte Kriegsgeneration ließe sich von der ›Heimat‹4 nicht noch einmal zu den Waffen rufen – zu billig die Phrasen der ›Herrenrasse‹, zu teuer das Versprechen auf einen gleichwohl ungewissen Sieg. Die Konzepte des »Neuen Menschen« konnten auf sie nicht zurückgreifen – weder die »Züchtung« der ›Rasse‹5, wie sie den Nationalsozialisten vorschwebte, noch die Umerziehung zum »Sowjetmenschen« und zur »sozialistischen Persönlichkeit«, wie die Kommunisten ihr Ideal des Neuen Menschen nannten. Und auch das Bauhaus musste mit den Romanfiguren Remarques fremdeln.6 Inkompatibel mit solchen Entwürfen sind die Erfahrungen, die Remarques Figuren aus dem Krieg mitbringen, und völlig unbrauchbar für jede Art von Kollektiv. Ein neuer »Lebensraum im Osten« wäre mit solchen gebrochenen Typen nicht zu gewinnen und für das »Führerprinzip« wären sie nicht mehr ansprechbar – resistent für solche Indoktrinationen, denen die Einsamkeit einen abweisenden Kokon umgelegt hatte, der sie vor den Verführungen des Trupps7 schützte. Und so sinniert Ernst Birkholz gegen Ende des Romans Der Weg zurück: Es wird nicht die Erfüllung werden, von der wir in der Jugend geträumt und die wir nach den Jahren draußen erwartet haben. Es wird ein Weg sein wie die andern, mit Steinen und guten Strecken, mit aufgerissenen Stellen und Dörfern und Feldern; ein Weg der Arbeit. Ich werde allein sein. Vielleicht finde ich manchmal jemand für eine Strecke; für immer wohl nicht.8

4 Vgl. zum Missbrauch des Heimatbegriffs die Online-Tagung: Missbrauchte Heimat: Volkskultur im »Dritten Reich« der Akademie für Politische Bildung Tutzing, www.apb-tutzing.de/news/2021-0520/heimat-volkskultur-nationalsozialismus (Aufruf: 14.09.2023). 5 Vgl. vom Verfasser: Schwarz und Weiß sind keine Farben. Wie rassistisch ist die Philosophie? Wien: Passagen Verlag, 2023. 6 Schon im Mai 1919 schrieb der Maler und Bauhausmeister Lyonel Feininger an seine Frau Julia: »Was ich bis jetzt von den Schülern gesehen habe, sieht sehr selbstbewusst aus. Sie haben fast alle Jahre im Felde gestanden. Es ist ein ganz neuer Menschenschlag. Ich glaube sie wollen alle etwas Neues in der Kunst und sind nicht mehr so ängstlich und harmlos.« (zkm.de/de/5-der-neue-mensch Aufruf: 06.09.2023). 7 Unter dem Primat der Nützlichkeit begegnen sich die Menschen in der Welt des sich entfremdeten Geistes in Hegels Phänomenologie des Geistes. »Alles ist nützlich, ist die These in diesem Zusammenhang, so dass alles, was nicht nützlich ist, folglich vernichtet werden kann – auch der Mensch, der keinen Nutzen für die erbringt, die sich durch ihre wechselseitige Nützlichkeit aufeinander beziehen. In solcher Gesellschaft ist der Mensch ein ebenso nützliches wie brauchbares Mitglied im Trupp. So viel er für sich sorgt, gerad so viel muß er sich auch hergeben für die Anderen, und so viel er sich hergibt, so viel sorgt er für sich selbst, eine Hand wäscht die andere. Wo er aber sich befindet, ist er recht daran, er nützt andern und wird genützt.« Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Phänomenologie des Geistes. Ders. Gesammelte Werke (GW). In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Hamburg: Felix Meiner, 1968ff., Bd. IX, 305. 8 Erich Maria Remarque. Der Weg zurück. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017, 374.

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Wenn sich der Leser in solche suchende Unsicherheit einfindet, wird er taub für die pompösen Aufmärsche der Nationalsozialisten und deren Versprechen, die in Wahrheit nichts anderes sind als »Sümpfe der Phrasen«.9 Deswegen hätten sie zu gern am 10. Mai 1933 mit seinen Werken auch ihn gleich mit erledigt und verstummen lassen.

II. Im Prozess gegen Remarques Schwester Elfriede Scholz soll Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes, 10 Jahre später gesagt haben: »Ihr Bruder ist uns entwischt, Sie werden uns nicht entwischen.«10 Sie war ebenfalls eine Gegnerin der Nazis und äußerte lediglich, was die meisten dachten, nämlich dass der Krieg verloren sei. Sie wurde denunziert und wegen »staatsfeindlicher Äußerungen« angezeigt. Im Oktober wurde Elfriede Scholz vor dem Volksgerichtshof in Berlin unter Vorsitz von Freisler wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt und am 16. Dezember 1943 im Gefängnis Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil enthauptet. Die Ereignisse um die Ermordung der Schwester Remarques sind gut recherchiert und zeigen den totalitären Unrechtsstaat der Nazis in seiner niederträchtigen Brutalität, die deutlich in einem Zitat Freislers wird: Wenn Frau Scholz ihren Pessimismus zum Teil auch mit dem Einfluß ihres Bruders, dem Verfasser des berüchtigten Machwerks »Im Westen nichts Neues« begründen will, so kann sie das doch nicht entschuldigen, zumal sie nach eigener Aussage ihren Bruder seit 13 Jahren nicht gesehen hat. Vielmehr ist sie eine schamlose Verräterin an ihrem eigenen, unserem deutschen Blut, an unserer Front, an unserem Leben als Volk, eine defätis­ tisch hetzende Propagandaagentin unserer Kriegsfeinde. Für eine so ehr­ vergessene und deshalb für immer jeder Ehre bare Frau kann es, wenn wir uns nicht selbst aufgeben wollen, nur eine Strafe geben; die Todesstrafe.11

Einen Reflex auf diesen, kaum »Verhandlung« zu nennenden Prozess arbeitet Remarque in seinem 1954 erschienenen Roman Zeit zu Leben und Zeit zu sterben ein, den er vor Kriegsende in einer Stadt namens »Werden« ansiedelt, die unverkennbar die Züge seiner Heimatstadt trägt. Die Stadt ist schon ziemlich zerstört.

9 Ebd., 373. 10 Heinrich Thies. »Die Schwester des Verfemten«. DIE ZEIT, Nr. 37, 03.09.2020. 11 Claudia Glunz, Thomas F. Schneider (Hgg.). Elfriede Scholz, geb. Remark. Im Namen des Deutschen Volkes, Dokumente einer justitiellen Ermordung. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 1997, 159.

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Die Hauptfigur Graeber kauft einen Strauß Narzissen, den sie in Zeitungspapier einwickeln lässt: Dabei sah er die Zeitung, in die er gewickelt war. Neben den gelben Blüten stand das Bild eines Menschen mit aufgerissenem Mund. Es war die Photo­ graphie des Vorsitzenden des Volksgerichthofes. Er las den Text. Vier Leute waren hingerichtet worden, weil sie nicht mehr an den Sieg Deutschlands geglaubt hatten. Man hatte ihnen mit einem Beil die Köpfe abgehackt. Die Guillotine war längst abgeschafft worden im Dritten Reich. Sie war zu menschlich. Graeber zerknüllte die Zeitung und warf sie fort.12

Vom Tod seiner Schwester erfuhr Remarque erst 1946. Der Kontakt zu ihr war abgebrochen. Diese Nachricht war Anlass, ihr den Roman Der Funke Leben zu widmen. Er veröffentlichte ihn 1952, in dem Jahr, in dem er im Sommer seine zerstörte Heimatstadt besuchte. Remarque beauftragte den Anwalt Robert M. W. Kempner, sich bei der Westberliner Staatsanwaltschaft für eine strafrechtliche Verfolgung der noch lebenden Prozessbeteiligten einzusetzen. In der FAZ vom 2. Oktober 1970 berichtete Kempner wenige Tage nach dem Tod Remarques: Am Tage des Todes meines Freundes erhielt ich von der Generalstaats­ anwaltschaft beim Kammergericht in Berlin die Nachricht, die justitielle Ermordung seiner Schwester Elfriede durch den berüchtigten Volksge­ richtshof während des Krieges (1943) würde strafrechtlich nicht verfolgt werden. [...] Die Person ihres Bruders Erich Maria führte zu besonderen Gemeinheiten während des Verfahrens. Die Justizbehörde hielt es jetzt in ihrer Ablehnung für überflüssig, den noch lebenden Laienbeisitzer des Blutgerichts, den ehemaligen SA-Obergruppenführer Lasch überhaupt nur zu vernehmen. Remarque, ein Fanatiker des Rechts, hätte sich über den Bescheid empört, dessen Begründung schwer verständlich erscheint. Der Tod ist seiner Empörung zuvorgekommen.13

Erwähnenswert sind diese gut recherchierten Ereignisse des Unrechts, weil sie ziemlich weit in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis in die Jahre der sozial-liberalen Koalition unter Brandt und Scheel hineinreichen. Sie rücken noch näher an die Gegenwart heran, wenn daran erinnert wird, dass noch 1986 die Remarque-Dokumentationsstelle der Universität, so hieß das Osnabrücker Erich Maria Remarque-Friedenszentrum damals, gegen die Entscheidung der 12 Erich Maria Remarque. Zeit zu Leben und Zeit zu sterben. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2018, 338. 13 Glunz/Schneider, Elfriede Scholz, 158.

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Berliner Staatsanwaltschaft protestierte, »die Ermittlungen gegen Richter und Staatsanwälte des NS-Volksgerichtshofs endgültig einzustellen, ohne dass auch nur ein einziger Mörder in der Robe des Richters und Staatsanwaltes rechtskräftig verurteilt wurde.« In der Presserklärung hieß es damals, das sei »erschreckend und deprimierend.«14 Das letzte Dokument dieser Sammlung stammt aus dem Jahre 1996. Daher konnte nicht mehr vermerkt werden, dass das Urteil gegen Elfriede Scholz erst 1998 durch das »Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege«15 aufgehoben wurde. Mögen sich auch die Ereignisse während der Nazi-Zeit historisieren, so ragt doch dieses Datum schon fast in die Gegenwart hinein. Aber die Geschichte dieses Unrechts ist mit dem Jahr 1998 noch immer nicht beendet. Denn die Frage, was mit dem Leichnam von Elfriede Scholz geschehen war, konnte damals noch nicht beantwortet werden. Nach der Hinrichtung wurde der Körper an den Anatom Hermann Stieve überstellt. Hermann Stieve? Wer war dieser Hermann Stieve? Stieve, geboren 1886 in München und 1952 in Ost-Berlin gestorben, war ein deutscher Anatom, Gynäkologe und Professor für Anatomie und Histologie.16 Sicherlich ist nachvollziehbar, dass Anatomen und Pathologen nicht nach der Herkunft der Leichen fragen, die sie sezieren. Sie könnten anders vermutlich ihre Arbeit nicht machen. Es muss dabei aber mit rechten Dingen zugehen, und das war in der Nazizeit eben nicht der Fall. Man muss davon ausgehen, dass er wusste, was er tat, dass er nämlich die Leichen von Menschen sezierte, die in einem Unrechtsstaat durch kaum maskierte Willkür des Unrechts ermordet wurden. Sabine Hildebrandt von der University of Michigan in Ann Arbor sagt: Wir wissen aus Veröffentlichungen, dass er selber mindestens 450 Körper von Hingerichteten seziert hat. Im Ganzen hat die Anatomie an der Ber­ liner Friedrich-Wilhelms-Universität aus den Hinrichtungsstätten BerlinPlötzensee und Brandenburg-Görden wohl über 4000 Leichen bezogen.17

Unter diesen Leichen war auch der Leichnam von Elfriede Scholz und der ebenfalls enthaupteten Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek. Auch von den 18 enthaupteten Frauen der Widerstandsgruppe Rote Kapelle sezierte Stieve die 13 jüngeren. So Libertas Schulze-Boysen, die Ehefrau von Harro Schulze-Boysen. Das Ehepaar war am 22. Dezember 1942 hingerichtet worden. Nur in einem Fall soll er eine Ausnahme gemacht haben: Die Körper der Attentäter vom 20. Juli wollte er nicht sezieren. 14 Ebd., 159. 15 Vgl.: www.gesetze-im-internet.de/ns-aufhg/BJNR250110998.html (Aufruf: 14.09.2023). 16 Vgl.: wikipedia.org/wiki/Hermann_Stieve (Aufruf: 14.09.2023). 17 www.srf.ch/wissen/mensch/mensch-die-frauen-auf-dr-stieves-liste (Aufruf: 14.09.2023).

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Folgendes Zitat von ihm ist überliefert: Ich selbst habe alle Leichen, die der Anatomie in der Zeit der nationalso­ zialistischen Schreckensherrschaft überwiesen wurden, seziert und habe mich dabei bemüht, die erhobenen Befunde für meine wissenschaftlichen Arbeiten und dadurch zum Wohle der Menschheit zu verwerten.18

Das nennt man wohl zynisch! Mit diesen Erkenntnissen ist die unerträgliche Geschichte dieses Unrechts immer noch nicht beendet: Die Erben Stieves fanden 2016 Gewebeproben in seinem Nachlass, die sie der Charité übergaben, die wiederum Johannes Tuchel, den Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand,19 beauftragte, ihre Herkunft zu untersuchen. Tuchel fand heraus, dass Stieve dem Reichsjustizministerium systematisch bei der Spurenverwischung dieser Justizverbrechen geholfen hatte. Das NS-Justizministerium habe Stieve die Leichen kurz nach der Hinrichtung überlassen. Im Gegenzug sorgte Stieve für die Einäscherung und anonyme Bestattung. Erst am 13. Mai 2019 wurden die sterblichen Überreste dieser NS-Opfer auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt: Gewebeproben von Menschen, die wie Elfriede Scholz in Plötzensee ermordet worden sind. Damit gibt es nun endlich einen Ort der Trauer – über 75 Jahre nach ihrer Hinrichtung: »ein Grab in der Erde […] ein Grab in den Lüften« wie Celan in seiner Todesfuge dichtete. Das ist noch nicht lange her. Erst ein Jahr zuvor, im Jahre 2018, über 60 Jahre nach seinem Erscheinen, hat Thomas Schneider die Originalfassung des Remarque-Romans Zeit zu leben und Zeit zu sterben in deutscher Sprache zugänglich und damit gewissermaßen die lange Geschichte der Zensur rückgängig gemacht, die nicht 1945, sondern erst mit dem Erscheinen dieser Ausgabe endete. Jahrzehnte vor der sogenannten Wehrmachtsausstellung des Instituts für Sozialforschung thematisierte Remarque in diesem Roman auch die Verbrechen der Wehrmacht in Russland und schrieb damit gegen das Vergessen an. In ganz Deutschland, auch in Osnabrück, löste diese Ausstellung zu Beginn des neuen Jahrtausends heftige Debatten aus. Man kann sich daher vorstellen, dass Remarque wenige Jahre nach dem Krieg mit diesem Buch nicht nur Diskussionen und Streit provozierte, sondern auch bleiernes Schweigen, das sich nicht aus der Fassung bringen lassen wollte – auch nicht durch die Frage, wann zu Mord wird, was man 18 Wilhelm Bartsch. »Ein Meister aus Deutschland – der Anatom und Gynäkologe Hermann Stieve«. Ärzteblatt Sachsen-Anhalt 4, 2007, 52–55. 19 Johannes Tuchel. Hinrichtungen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee 1933 bis 1945 und der Anatom Hermann Stieve. Hg. von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Berlin 2019. Vgl.: Johannes Tuchel. »Justizmord bis zur letzten Stunde«. www.youtube.com/watch?v=eaeuhfLwn2E (Aufruf: 14.09.2023).

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sonst Heldentum nennt?20 Das Gespräch zwischen Graeber und seinem alten Religionslehrer Pohlmann findet in dieser Frage zwar die aporetische Zuspitzung. Das Zitat allein blendet aber aus, dass das Gespräch von der Frage nach der Schuld des Menschen bewegt wird, nach der Frage, ob die Schuld unausweichlich und deswegen konstitutiv für den Menschen ist, der unabhängig von seinem Tun wie von der Erbsünde belastet ist von einer Mitschuld. Der Lehrer weicht der Antwort auf diese Frage aus, auf die es aber eine Antwort geben muss, wenn sich diese Frage doch unausweichlich jedem stellt. Die Beantwortung dieser Frage überlässt Pohlmann aber jedem Einzelnen. Auch er hat keine Anleitung, kann sie nicht lehren. Es gibt keine allgemeingültige Antwort. Er lässt jedem mit seinem Gewissen bei der Beantwortung dieser Frage allein: »Ich kann es nicht für Sie entscheiden.«21 Er bestätigt allerdings die Frage Graebers, dass man auch in einem Büro zum Mitschuldigen werden könne, muss aber einräumen, dass niemand wisse, wo Schuld anfange und wo sie aufhöre.22 Vermutlich unwissentlich und unbeabsichtigt lässt Remarque hier die beiden Gesprächspartner Graeber und Pohlmann in Heideggers Sein und Zeit eintauchen, das er veröffentlichte – im Jahre 1927 –, kurz bevor Remarque mit Im Westen nichts Neues auf der Bühne der Weltliteratur erschien. In Sein und Zeit kommt Heidegger nämlich im Zusammenhang seiner Analyse des Gewissens auch auf die Schuld zu sprechen. Dort heißt es kurz und knapp: »Das Dasein ist als solches schuldig […]«23 – was immerhin verführerisch klingt, aber im Zusammenhang mit dem Gewissen, dem Man und der Sorge eigens dargelegt werden müsste, was hier allerdings zu weit führen würde. Interessant ist aber, dass sich Remarque und Heidegger aufgrund der Tatsache, dass der eine Mitglied der Partei wurde, die maßgeblich den anderen aus Deutschland vertrieb, vermutlich nichts zu sagen hätten, ihre Werke aber dennoch die Berührung nicht scheuen. Übrigens hat sich Hermann Stieve zu Lebzeiten für sein Tun während der NS-Zeit nicht verantworten müssen. Er erhielt sogar den Nationalpreis der DDR. Auch seine Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe wurde ihm, der Mitglied zahlreicher ehrenwerter Gesellschaften war, erst nach seinem Tode aberkannt – »der Tod ist ein Meister aus Deutschland«, dichtete Paul Celan in seiner Todesfuge.

20 Remarque, Zeit zu leben und Zeit zu sterben, 231. 21 Ebd. 22 In diesem Buch rückt Remarque seine Erzählung seltsam an die Bilder Felix Nussbaums heran: Themen wie Verfolgung und Angst, Verunsicherung und Vereinsamung, Verzweiflung und Identität finden in diesem Roman ins Wort, so wie sie bei Nussbaum ins Bild finden. Ohne dass sie sich begegnet wären, ohne dass sie sich gekannt hätten, erzählt der eine, was der andere zeigt. 23 Martin Heidegger. Sein und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer, 1984, 15. Auflage, 285.

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III. Zäh verfolgt die Vergangenheit die Gegenwart, bleibt ihr auf den Fersen und will nicht vergehen. Leuchtet also das Zwielicht der Scheiterhaufen, in denen die Bücher vor 90 Jahren verbrannten, immer noch in die Gegenwart oder wird es doch von der eintrübenden Dunkelheit des Vergessens überlagert und abgelegt – unzugänglich für die Erinnerung? »Was man vergisst, das fehlt einem später im Leben«, erklärt in dem Roman Arc de Triomphe ein Kellner – »ein Künstler im Nicht-Vergessen« – dem Liebespaar Ravic und Joan, während er ihnen einen Calvados serviert, seine unkonventionelle Auffassung: Wie soll einem etwas fehlen, das man vergessen hat? Fehlen kann doch nur das Erinnerte! Ein Mensch kann beispielsweise fehlen, der nicht mehr bei einem ist, der nicht mehr an-, sondern abwesend ist, so wie Ravics von den Nazis unter der Folter ermordete Frau, für die er sich an dem Täter rächen will. Gerade weil Ravic seine Frau nicht vergessen kann, fehlt sie ihm. Würde man, wenn man nichts vergäße, ein vollkommenes Leben ohne Erinnerungslücken führen? Wahrscheinlich denkt aber der Kellner an die eigene Kindheit, an die man sich so gern erinnern würde, um zu verstehen, wie man wurde, was man ist. Die Erinnerung an die Kindheit ist aber geprägt von Erinnerungslücken, die den Lebenslauf fragmentieren, der für jeden konstitutiv ist. So ist keiner vollständig das, was er ist, sondern Fragment seines Gewordenseins – nie vollständig bei sich, sondern stets auch zerrissen von den Fasern des Fehlens. Unterdessen bemerkt Ravic, ein »Künstler im Vergessen«, wie Joan ihn charakterisiert, entgegen dieser Zuschreibung: »Und was man nicht vergißt, macht es einem zur Hölle.«24 Er wird auch dann keine Erlösung finden, wenn er seine Frau gerächt haben wird, die ihn ablenkt von der Anwesenheit Joans, die ihn nie ganz bei sich und bei Joan sein lässt. Wie ein Keil schiebt sich die Erinnerung in die Gegenwart. Auch in unsere Gegenwart? Stehen auch die Gegenwärtigen vor dem Dilemma dieses Paradoxes? Zwischen dem, was fehlt und eine Lücke reißt, in der alles Vergessene verschwindet auf der einen, und der Hölle auf der anderen Seite? Macht das Erinnerte das Leben zur Hölle? Wenn die Nazis ihre Absicht erfolgreich vollstreckt hätten, hätten sie vor 90  Jahren nicht nur die Bücher verbrannt, sondern auch noch die Erinnerung daran vernichtet und damit das Gedenken unmöglich gemacht. Sie hatten mit den Büchern, Bildern und Noten nur wenig später auch damit begonnen, Menschen zu vernichten: Juden, deren Kultur und Religion verbrannt und dem Vergessen überlassen werden sollte; und mit ihnen Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten, Anarchisten und Sozialdemokraten, auch Konservative und Gläubige, die als höchsten Herrn nicht denjenigen anerkennen wollten, der sich selbst zum 24 Erich Maria Remarque. Arc de Triomphe. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017, 151.

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Herrn dieser Welt aufschwingen wollte. Sie alle wollten er und seine Bewegung vernichten – so, als habe es sie nie gegeben: in einem totalen Krieg. Alles, was gegen sie war, sollte aus dem Gedächtnis gelöscht werden, und zwar so total, dass auch noch die Vernichtung hatte vernichtet werden sollen: die Vernichtung der Vernichtung! Alle Spuren sollten verwischt werden. Hätten die Nazis ihr Ziel erreicht, dann wüssten wir heute nichts mehr von Remarque, nichts mehr von Felix Nussbaum, von Friedrich Vordemberge-Gildewart und auch nichts von Helene Cixous, deren Mutter Eve Klein, weil sie Jüdin war, vor der zunehmenden antisemitischen Stimmung in Osnabrück floh. Und auch von Hans Calmeyer wüsste man nichts. »[…] ich muss dich umlegen, damit du nichts erzählst […] Keine Zeugen hinterlassen. Alte nationalsozialistische Parole«, lässt Remarque den KZ-Aufseher Breuer in seinem Roman Der Funke Leben zu seinem Opfer Lübbe sagen, mit dem er zunächst noch eine Zigarette raucht, ihn noch ein paar Minuten leben lässt, bevor er ihn mit einem Hammer erschlägt.25 Diesen Roman veröffentlichte Remarque 1952 in einer Zeit, als die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus noch nicht zur Staatsräson gehörte und der Begriff »Erinnerungskultur« noch nicht erfunden war, dem man gleichwohl ein Wort Remarques aus dem Roman Der Funke Leben an die Seite stellen sollte, nämlich dass die Erinnerung kein »Kult« werden dürfe. In einem Gespräch zwischen zwei Lagerinsassen kurz vor der Befreiung gibt einer die Antwort auf die Frage, ob sie sich wiedertreffen sollten: »Nein […] wir sollen es nicht vergessen, aber wir sollen auch keinen Kult daraus machen. Sonst bleiben wir immer im Schatten dieser verfluchten Türme.«26 Auch die Prozesse gegen die Verantwortlichen der Konzentrationslager lagen damals noch in weiter Ferne. Der Prozess gegen Adolf Eichmann fand erst 1961 in Jerusalem statt, wenngleich das Diktum Adornos, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, bereits ausgesprochen war und Paul Celan seine Todesfuge bereits gedichtet hatte: »Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends // wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts // wir trinken und trinken/«. Und dann Remarques Der Funke Leben, ein Roman, der über einen Ort – Mellern – erzählt, den er erfand und verwob mit vorliegenden Daten und Erinnerungsfetzen aus dem eigenen Gedächtnis an seine Heimatstadt Osnabrück. Damit setzte er sich, der damals noch als Vaterlandsverräter galt, dem Vorwurf aus, er habe über etwas geschrieben, was er nicht selbst erlebt habe. Durfte er also diesen fiktiven Roman schreiben? Sicher eine Grenzüberschreitung zu einer Zeit, die noch nicht reif war für die Annahme der Verantwortung.

25 Erich Maria Remarque. Der Funke Leben. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2018, 446. 26 Ebd., 499.

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Die Fiktion war offensichtlich schneller und kam früher als die Dokumentation, war aber in Vergessenheit geraten, als 1998 der Börsenverein Martin Walser den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verlieh. Die Verleihung fand am 11. Oktober 1998 in der Paulskirche statt. Die nach wie vor umstrittene, aufbrausende Rede des verletzenden, aber auch verletzlichen Walsers, in der der Preisträger ebenso polemisch und mit dem Hammer – um an Nietzsches GötzenDämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt zu erinnern – seine unerhörten Auffassungen den Zuhörern in die Köpfe trieb, bezog sich mit keinem Wort auf Remarques Der Funke Leben. Und doch ist die Rede Walsers auch als ein stürmisches Echo auf die Warnung vor dem »Kult« zu lesen, die sich über 45 Jahre zuvor ebenso hell- wie weitsichtig in Remarques Roman Der Funke Leben findet: So, wenn Walser vor der »Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken« warnt, oder wenn er mahnt: Auschwitz eignet sich nicht, dafür Drohroutine zu werden, jederzeit ein­ setzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflicht­ übung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets.

Das hält er in ungezügelter, gleichwohl kalkulierter Wut »den Meinungssoldaten entgegen, wenn sie, mit vorgehaltener Moralpistole, den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen.«27 Dass die Erinnerung durchaus zum Geschäft neigen kann, hat schon Remarque in Der Funke Leben angedeutet: Die Amerikaner, die das Lager Mellern befreien, seien nämlich »verrückt nach Andenken aus dem Lager.«28 Und zu einem Geschäft gehören immer mindestens zwei. Deswegen lässt Remarque den Häftling Lebenthal, »der einen amerikanischen Füller aus der Tasche [zog]«,29 sagen: »Sie sammeln Andenken: Alles. Pistolen, Dolche, Abzeichen, Peitschen, Flaggen – es ist ein gutes Geschäft. Ich habe gründlich vorgesorgt. Mich eingedeckt.«30 Gewährleistet das Geschäft des ungefährdeten Gruselns das Andenken, so dass ohne solche Grundlage, ein Andenken unmöglich ist? Ob wohl Remarques Roman Der Funke Leben vor Imre Kertész’ Urteil bestehen konnte?31 27 Die Zitate sind dem Manuskript der Friedenspreisrede Walsers entnommen, das im Internet zu finden ist: hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/440/file/walserRede.pdf (Aufruf: 17.09.2023). 28 Remarque, Der Funke Leben, 497. 29 Ebd., 496. 30 Ebd., 497. 31 Kertész hat Spielbergs Spielfilm Schindlers Liste »Kitsch« genannt: »Für Kitsch halte ich auch jede Darstellung, die unfähig – oder nicht willens – ist zu verstehen, welcher organische Zusammenhang zwischen unserer in der Zivilisation wie im Privaten deformierten Lebensweise und der Möglichkeit des Holocaust besteht; die also den Holocaust ein für allemal als etwas der menschlichen Natur

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Dem Tabubruch Walsers ging der Tabubruch Remarques, Der Funke Leben, voraus.32 Zu der Zeit wurden die NS-Täter reihenweise freigesprochen, um sie in die Behörden wieder aufzunehmen. »Von den Opfern des Naziregimes sprach man nicht mehr – auch die bundesdeutsche Literatur weist da eine erschreckende Leerstelle auf«, bemerkt Fuld33 – und diese Leerstelle – die »Hölle«?! – thematisiert Remarque in seinem Buch, worüber er den Verleger Alfred Scherz verlor, der dieses Buch nicht veröffentlichen wollte, und den Verleger Witsch gewann, der sich »dem Diktat des Vergessens«34 nicht beugen wollte. Sich mit Remarques Werk zu beschäftigen, bedeutet zwangsläufig, sich mit dem großen Thema all seiner Werke zu befassen, das nach und nach aus dem Hintergrund hervortritt und die Struktur seiner Werke bestimmt. Noch nicht voll ausgeprägt in Im Westen nichts Neues drängt es aber seit Der Weg zurück aus der Kulisse immer weiter in den Vordergrund: Erinnern und Vergessen. Das verdeutlicht der kleine Dialog aus Remarques Roman Arc de Triomphe.

IV. Wie unscheinbar diese Alternative aber auch sein kann, wie beiläufig, fast unmerklich sich der Keil des Vergessens zwischen uns schiebt und wir mit ihm leben, ohne ihn doch zu fixieren, verdeutlicht eine Kleinigkeit: Nicht besonders wichtig, eher unscheinbar und alles andere als spektakulär, fängt sie doch erst zu sprechen an, wenn sie bemerkt wird: ein Straßenname zeigt, dass der Schatten des Vergessens bis in die Gegenwart, bis nach Osnabrück in ein gut situiertes Wohngebiet hineinreicht. Dass Straßennamen etwas bedeuten können, zeigt die Reaktion Remarques auf die Initiative der Stadt, eine Straße nach seiner ermordeten Schwester zu benennen. Am 31. Dezember 1968 schrieb er an die Stadt: Ich erhielt heute […] von Freunden die Nachricht, dass Sie aus Anlass des 25. Todestages meiner Schwester, Elfriede Scholz, beschlossen haben, eine Straße in Osnabrück nach ihr zu benennen. Ich bin tief ergriffen über diese

Fremdes festmacht, ihn aus dem Erfahrungsbereich des Menschen hinauszudrängen versucht. Doch für Kitsch halte ich auch, wenn Auschwitz zu einer Angelegenheit bloß zwischen Deutschen und Juden, zu etwas wie einer fatalen Unverträglichkeit zweier Kollektive degradiert wird.« DIE ZEIT Nr. 48, 19.11.1998. 32 Ein »unerhörter Tabubruch« ist Der Funke Leben für Werner Fuld. Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute. Berlin: Verlag Galiani, 2012, 288. 33 Ebd. 34 Ebd., 289.

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generöse und noble Geste und möchte Ihnen dafür von Herzen meinen Dank aussprechen.35

Die im Osnabrücker Stadtteil Eversburg gelegene, in mehreren Sackgassen endende Fritz-Berend-Straße zweigt von der Wilhelm-Kelch-Straße ab. Die Erläuterung unter diesem Straßennamen enthält folgende Informationen: Wilhelm Kelch, geb. am 16.10.1905, gest. am 27.02.1991 Oberbürgermeister von 1959 bis 1972 Ehrenbürger seit 1972

Aber wer war Fritz Berend? Ein entsprechender Hinweis, der diese Frage beantworten würde, findet sich an keinem der insgesamt fünf Schilder: Ein Zeichen, das aber nicht wissen lässt, was es bedeutet und wohin es zeigt. Es erklärt nicht die Auszeichnung, die mit einer Straßenbenennung verbunden ist. Ein Hinweis findet sich unauffälliger Weise nicht im Osnabrücker Theater, sondern in der Remarque-Biografie von Wilhelm von Sternburg Als wäre alles das letzte Mal. Er hat so sorgfältig recherchiert, dass er sogar über diesen Namen gestolpert ist: […] der letzte Theaterintendant vor der Machtergreifung Hitlers war der deutsche Jude Fritz Berend, und das »Osnabrücker Tageblatt« schrieb noch zur Spielzeiteröffnung 1932/33 über ihn: »dass hinsichtlich der Person des Intendanten keine Änderung erfolgt ist, wird allgemein begrüßt werden. Bewährte Kräfte erhält man gern.« Das sollte nur noch für vier Monate wahr bleiben.36

Auch die Osnabrücker Chronik erwähnt ihn nur kurz und erinnert daran, dass Kapellmeister Berend 1931 auch Intendant geworden sei, der dann die einjährige Theaterunion mit Münster geleitet habe, so dass er in dieser Zeit ebenfalls Intendant des dortigen Theaters geworden sei.37 Und dann: Nicht nur die Theaterunion mit Münster zerbrach 1933, der erfolgreiche jüdische Intendant Fritz Berend musste gehen, wurde allerdings in Münster

35 Erich Maria Remarque. Das unbekannte Werk. Band V: Briefe und Tagebücher. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 232. 36 Wilhelm von Sternburg. »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998, 50. 37 Gerd Steinwascher im Auftrag der Stadt Osnabrück (Hg.). Geschichte der Stadt Osnabrück. Osnabrück: Meinders & Elstermann, 2006, 680.

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noch bis 1936 gehalten. Auch der jüdische Kapellmeister musste Osnabrück verlassen.38

Es folgt lediglich noch eine Bemerkung darüber, dass das Theater auch in der Zeit des Krieges »außerordentlich«39 gut besucht und alles dafür getan worden sei, einen »geregelten Spielplan aufrechtzuerhalten«.40 In der Chronik findet sich kein Hinweis auf verfolgte Schauspieler und Musiker, kein Hinweis darauf, was aus den Juden im Ensemble wurde, kein Hinweis darauf, wie viele Mitglieder des Theaters in die NSDAP eintraten. In der gesamten Darstellung spielt das Theater nicht einmal eine Nebenrolle, so dass es eine Chiffre für eine Forschungslücke ist, die noch gefüllt werden muss. Das bestätigt indirekt auch das Buch Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück,41 in dem der Name »Fritz Berend« ungenannt bleibt. In dem Buch finden sich zwar Kapitel zu »Osnabrück im Nationalsozialismus oder das nationalsozialistische Osnabrück« von Gerd Steinwascher, »Kunst im nationalsozialistischen Osnabrück« von Thorsten Heese und »Die ›Möser-Woche‹ 1936. Justus Möser als Beispiel lokaler Heldenkonstruktion« von Martin Siemsen. Auch Remarque, Nussbaum und Calmeyer werden vorgestellt. Aber das Theater, die Aufführungspraxis des Symphonieorchesters und die Auswahl der Stücke, die Zusammensetzung des Orchesters wie des ganzen Ensembles, werden unberücksichtigt übergangen. Vor diesem Hintergrund gewinnen die Grußworte zu diesem Buch eine überraschende Bedeutung. Der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Griesert schrieb in seinem Geleitwort: Die Friedensstadt Osnabrück hat sich zur Aufgabe gestellt, die kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt zu fördern […] der Rat der Stadt [macht] deutlich, dass die fortgesetzte Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus, mit seinem physischem und psychischem Terror, mit seiner Ideologie, aber auch mit seiner Alltäglichkeit, wichtig für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt und unseres Landes ist. In unserem alltäglichen Tun sind wir aufgefordert, unsere Demokratie zu schützen.

Und Altoberbürgermeister und Ehrenbürger Hans-Jürgen Fip äußerte als Vorsitzender des Verkehrsvereins Stadt und Land Osnabrück e.V. in seinem Grußwort den Wunsch, »dass auf diesem Wege weitere Forschungen angestoßen werden 38 Ebd., 735. 39 Ebd., 754. 40 Ebd., 685. 41 Thorsten Heese und das Kulturgeschichtliche Museum Osnabrück (Hgg.). Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück. Bramsche: Rasch, 2015.

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können, die die noch bestehenden weißen Flecken der Osnabrücker NS-Geschichte mit Inhalt füllen werden«. Die nächste Gelegenheit dazu wurde allerdings verpasst. Die Jubiläumsbroschüre des Theaters aus dem Jahre 2019 über 100 Jahre Symphonieorchester überspringt die Zeit des Nationalsozialismus und nennt daher auch nicht Fritz Berend. Unerwähnt bleibt folglich, dass die meisten nicht-jüdischen Musiker nach 1933 freiwillig in die NSDAP eintraten. Die Broschüre zeigt zwar ein Foto aus dem Jahr 1926 mit den Orchestermitgliedern, erläutert aber nicht, wer auf dem Bild zu sehen ist. Die Allianz zwischen dieser bedeutenden Kulturinstitution der Stadt und den neuen Machthabern – ob erzwungen oder freiwillig – bleibt also unberührt. Erwähnt wird lediglich, die knapp »eineinhalbjährige Unterbrechung nach dem Bombenangriff im März 1944, bei dem neben vielen anderen Gebäuden die alte Stadthalle und das Theater zerstört wurden«. Lapidar stellt der Verfasser fest, dass »das Osnabrücker Symphonieorchester sofort nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein reges Musikleben [entfaltet]«. Die Frage, wer denn dieses Leben entfalten konnte, wenn doch zahlreiche Musiker des Orchesters ihre Anstellung verloren hatten, weil sie Juden waren, und andere als Nationalsozialisten zumindest verdächtigt oder belastet waren und in einem Entnazifizierungsprozess ihre Einstellungen überprüfen lassen mussten, wird nicht gestellt und nicht beantwortet: Juden konnten nicht mehr, Nazis durften nicht mehr spielen. In der Broschüre wird aber bemerkt, dass es nach »der Wagner-Lastigkeit des Spielplans im Nationalsozialismus […] erst 1959 mit Der fliegende Holländer wieder eine Wagner-Oper [gab]«. Was aus den jüdischen Mitgliedern des Orchesters zwischen 1933 und 1945 wurde, ob sie beschützt oder verdrängt wurden, ob sie fliehen konnten und überlebt haben oder ermordet wurden, diese Fragen stellt der Verfasser nicht. Und so bleibt auch der Name »Dr. Fritz Berend« ungenannt. Ein Hinweis auf Fritz Berend findet sich aber in der Synagoge, nämlich dass er, der im öffentlichen Dienst des Osnabrücker Stadttheaters beschäftigt war, beurlaubt worden sei. Nüchtern hält die Tafel fest: »Mit dem Boykott beginnt die Vernichtung der Existenz verschiedener Berufsgruppen.« Hingewiesen wird auch auf den Runderlass Görings, »dass alle jüdischen Inhaber eines öffentlichen Amtes ihr Amt nicht mehr ausüben dürfen.« Wer mehr erfahren möchte, kommt vermutlich nicht auf den Gedanken, den Amtlichen Stadtplan im Internet unter www.osnabrueck.de aufzurufen. Dort findet sich zu dem Straßennamen immerhin der überraschende Hinweis: Benannt nach: Fritz Berend Geb. 10.03.1889 in Hannover Gest. 29.12.1955 in Hampstead bei London Erster Kapellmeister (1926/27) und Intendant am Osnabrücker Theater (1931–1933) 1933 Dienstaustritt aufgrund seiner

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jüdischen Abstammung. Alte Straßenbenennung: Hans-Calmeyer-Straße. Benennung seit: 25.04.1989.

Bei der Benennung handelt es sich also genau genommen um eine Umbenennung. Seit dem 02.05.1989, so klärt der Amtliche Stadtplan im Internet auf, ist ein Platz am Westerberg in der Nähe des historischen Stadtzentrums nach Calmeyer benannt. Neben den Lebensdaten findet sich immerhin die Information, dass Calmeyer Rechtsanwalt gewesen und »Träger der ›Justus-Möser-Medaille‹« sei. Aber warum wurde die Hans-Calmeyer-Straße in Fritz-Berend-Straße umbenannt? In den Akten findet sich eine Telefonnotiz vom 22.02.1989, nach der Ratsherr Niebaum,42 Mitglied im Kulturausschuss, seine Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck brachte, wie der Name ›Hans Calmeyer‹ bei der Straßenbenennung behandelt worden sei. Es sei nach Ansicht von Herrn Niebaum keine ausreichende Ehrung für Herrn Calmeyer, wenn eine Straße in einem derartig rückwär­ tig gelegenen Bereich wie dem des Umlegungsgebietes Am Natruper Holz (Bebauungsplan Nr. 405) nach ihm benannt würde. Herr Niebaum schlug stattdessen vor, den Platz am Busdepot (Kreuzung Lotter Straße/Kirchen­ kamp/Roonstraße/Friedrichstraße) nach Calmeyer zu benennen […].

Die Notiz hält fest, dass die Hans-Calmeyer-Straße in Fritz-Berend-Straße umbenannt werden könne: »Fritz Berend war ein (jüdischer) Dirigent und Intendant in Osnabrück und wurde von dem nationalsozialistischen Regime vertrieben.« Man wird nicht sagen können, dass hier mit Fingerspitzengefühl vorgegangen wurde. Und so ist es dann gekommen: Die nach einem Ratsbeschluss im Jahre 1988 zunächst nach Hans Calmeyer benannte Straße wird nur ein Jahr später in Fritz-Berend-Straße umbenannt, um Calmeyer mit dem bekannten Platz in der Nähe der Innenstadt zu ehren. Über das erläuternde Hinweisschild für die FritzBerend-Straße wird intensiv diskutiert. Am 25.04.1989 beschloss der Rat neben den Lebensdaten auch den Hinweis aufzunehmen, dass er 1933 als Jude aus dem Dienst ausscheiden musste. Ungeklärt ist, warum dieser erläuternde Hinweis auf dem Straßenschild fehlt. Diese unauffällige Belanglosigkeit mag immerhin ein Indiz dafür sein, dass diese Zeit noch nicht fertig mit uns ist und wir noch nicht fertig mit dieser Zeit sind.

42 Peter Niebaum ist der erste Biograf von Hans Calmeyer. Vgl.: Peter Niebaum. Ein Gerechter unter den Völkern. Hans Calmeyer in seiner Zeit (1903–1972). Hg. von Rolf Düsterberg, Siegfried Hummel u. Tilman Westphalen. 2. korr. u. erweiterte Aufl. Bramsche: Rasch, 2003.

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In den Akten findet sich auch ein Programmflyer zu einem Projekt, das im Januar 1989 unter dem Namen »Entartete Musik« im Theater stattfand, das die Aufmerksamkeit auf Berend lenkte. Im Programm heißt es unter anderem: »Als Osnabrücker Erstaufführung werden sechs Lieder von Fritz Berend […] zu hören sein.« Danach verliert sich die Spur. Seine Lieder schienen verschollen. Aber sie wurden gefunden – von dem Osnabrücker Sascha Wienhausen in der Münchner Staatsbibliothek, wo sie aber nicht ausgeliehen werden dürfen. Anschließend klärte sich, das das Archiv des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums einige Akten über Fritz Berend aufbewahrt, darunter unter dem Stichwort »Zeitzeugen, Verschiedenes« eine Kopie der Noten der angesprochenen sechs Lieder von Fritz Berend.43 Es bleibt also noch etwas zu tun. Die Wissens- und Forschungslücken sind noch längst nicht geschlossen. Diese Zeit ist noch nicht fertig mit uns, und wir sind noch nicht fertig mit ihr. Auf die Suche nach Informationen und Lebensdaten, die sich zu Schicksalen verdichten, hat sich der mit der Bürgermedaille der Stadt Osnabrück ausgezeichnete Christian Heinecke gemacht. Es bleibt zu hoffen, dass das Theater, in dessen Symphonieorchester er spielt, ihn ermutigt, seine Ergebnisse zu veröffentlichen. Sie sind schmerzhaft, wenn wir uns ihnen, den Vergessenen, zuwenden, sie werden aber zur »Hölle«, wenn wir uns von ihnen abwenden und das Fehlen dieser Menschen vergessen. Seine Recherche ergibt ein ziemlich vollständiges und bisher völlig unbekanntes Bild über die Rolle der Symphoniker im städtischen Theater in der Zeit des Nationalsozialismus, das damals »Nationaltheater« genannt wurde.

V. Wie vorhin bereits gesagt, von der Fritz-Berend-Straße zweigt die Wilhelm-KelchStraße ab. Wilhelm Kelch war der Oberbürgermeister, der 1964 Remarque mit der höchsten Auszeichnung, der Justus-Möser-Medaille, ehrte: Das allerdings in Porto Ronco und nicht im Friedenssaal des Rathauses. Dafür reiste unter seiner Führung eine Ratsdelegation nach Ascona. Remarque wollte oder konnte für diese Ehrung nicht in seine Heimatstadt zurückkehren, verschob die Ehrung sogar, wie in einem seiner Briefe aus dieser Zeit nachzulesen ist. Das Zusammentreffen muss dann eine ziemlich zähe Angelegenheit gewesen sein. Kelch las damals den Text der Urkunde vor, Remarque sei in seinem reichen Lebenswerk jederzeit für Frieden und Freiheit und Menschenwürde eingetreten.

43 Mir ist dieser Aktenbestand erst wenige Tage vor dem 10. Mai 2023 bekannt geworden.

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Er hat den Krieg in seiner Grausamkeit und Sinnlosigkeit dargestellt und die Menschen zum Handeln im Sinne wahrer Humanität aufgerufen. Er hat zudem in weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gewordenen Werken seiner Vaterstadt Osnabrück liebevoll gedacht.

Was sich heute so harmlos und auch ein wenig steif anhört, – »seiner Vaterstand Osnabrück liebevoll gedacht«?! – war vor 59 Jahren überhaupt keine Selbstverständlichkeit. Formvollendet bedankt sich Remarque zwar anschließend in einem Brief an Oberbürgermeister Kelch für den Besuch – er wäre sehr glücklich, wenn der Delegation die Reise nur einen kleinen Teil der Freude bereitet habe, die sie ihm gemacht habe – und stellte ein Wiedersehen in Osnabrück in Aussicht – zu dem es aber nicht mehr kam. In seinem Tagebuch hielt er den großen Moment mit folgenden Worten fest: Kleine Reden, die Überreichung der Mösermedaille, eines Dokuments u. einer alten Landkarte von Osnabrück. Rührend und langweilig. Was soll man mit elf Leuten, mit denen man nichts zu reden hat, tun […] Mir grau­ te vor dem Abend […] Ich war sehr froh, als es vorbei war, – müde und gelangweilt. Und gerührt, – dass die Elf so weit gereist waren.44

Man kann sich darüber amüsieren und vermutlich hatten die Beteiligten sich nicht wirklich viel zu sagen. Aber die Botschaft liegt in der Geste und nicht im gesprochenen Wort! Für eine Ehrung, die eigentlich im historischen Rathaus der Stadt Osnabrück vorgenommen wird, ist nicht der Geehrte nach Osnabrück, sondern Osnabrück ins Tessin gereist. Die Delegation reiste wirklich weit – nicht nur räumlich zu Remarque an dessen Wohnort in Porto Ronco, sondern auch zeitlich zurück in die Entstehungszeit seiner Romane Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück, die in dem Gespräch auch erwähnt wurden. Und sie reisten zurück in das Jahr der Bücherverbrennung. Und damit ist diese Reise, mit der sich die Stadt durch ihre Repräsentanten offiziell zu ›ihrem‹ Schriftsteller bekannte, zugleich auch ein Akt der Distanzierung von der Vernichtung seiner Bücher durch die Nazis. Die Bücher, die 31 Jahre zuvor noch höchst offiziell gleichsam verflucht worden waren, sollten nun wegen ihres Inhalts gelesen werden, aber auch weil sie den Namen der Stadt Osnabrück in die Literatur der Welt und die Welt der Literatur trugen. Am 10. Mai des Jahres 1933 wurden nicht nur in Berlin die Bücher unerwünschter Autoren angesteckt, auch in 22 anderen, zumeist Universitätsstädten, brannten in Scheiterhaufen Bücher lichterloh: allein in Berlin 25.000 Stück, die mit Lastwa44 Remarque, Das unbekannte Werk, Band V, 505.

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gen herangefahren wurden. Im strömenden Regen sollen 70.000 Zuschauer diesem Spektakel auf dem Opernplatz jubelnd zugeschaut haben, das von der »Deutschen Studentenschaft« und der »Hitlerjugend« als »Aktion wider den undeutschen Geist« organisiert wurde.45 Begleitet von sogenannten »Feuersprüchen« wurden die Schriften von Marx und Kautsky, von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, von Tucholsky und Ossietzky und anderen mehr ins Feuer geworfen – darunter auch Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück: »Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque« – so lautete der Feuerspruch auf die Werke Remarques, der bei der johlenden Menge lautes Hurra-Gegröle ausgelöst haben soll. Auch in anderen Städten wie in Braunschweig gingen seine Werke in Flammen auf. Das war eine Aktion nicht nur gegen die Bücher der genannten Autoren, das war eine Aktion gegen das Kulturgut »Buch« und damit ein Angriff auf die Kultur und die Geschichte des Lesens. Werke, die das Narrativ der Nazis konterkarieren, sollten spurlos aus dem Weg geräumt werden. Sogenannte Schandpfahle, wie etwa auf dem Domplatz in Münster, wurden errichtet, auf denen auch Bilder des Schriftstellers Remarque zu erkennen sind. Gegen Mitternacht erschien der promovierte Germanist Joseph Goebbels und hetzte gegen das sogenannte »Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus«, das nun zu Ende gehe.46 Im Sinne des »neuen Geistes« wurde dieses schauerliche Spektakel mit dem »Horst-Wessel-Lied« beendet. Remarque, der keine Fahne gelten ließ, hinter der sich uniformierte Reihen schließen sollten, konnte sich nur angewidert abwenden und das Land verlassen. Er wollte auch weiterhin Figuren ohne Uniform erfinden, um sichtbar werden zu lassen, was Uniformen und Fahnen gerade verbergen: den zerbrechlichen Menschen, der mehr ist als ein kleines Rädchen in einem größeren Getriebe; der – um

45 An eben dieser Stelle, in der Mitte des damaligen Kaiser-Franz-Josef-Platzes, des heutigen Bebelplatzes, erinnert seit dem 20. März 1995 das Denkmal des israelischen Künstlers Micha Ullman an die Bücherverbrennung: »Das Denkmal ist ein 5 × 5 × 5 Meter großer unterirdischer Raum, der in den Bebelplatz eingelassen ist. Er befindet sich in Höhe der verfüllten Westrampe des Lindentunnels, die für die Errichtung auf einer Länge von 25 Metern abgebrochen wurde. An den Wänden des vollständig weiß getünchten Raumes befinden sich leere Regale für 20.000 Bände. Der leere Raum ist nicht zugänglich. Eine Glasplatte in der Pflasterung des Platzes ermöglicht Besuchern den Einblick.« https://de.wikipedia.org/wiki/Denkmal_zur_Erinnerung_an_die_B%C3%BCcherverbrennung (Aufruf: 17.09.2023). 46 Das hielt die Nationalsozialisten allerdings nicht davon ab, 1935 Kontakt zu Remarque in Porto Ronco aufzunehmen. Wilhelm von Sternburg schreibt, dass Robert Kempner, US-Anklagevertreter bei den Nürnberger Prozessen, mündlich berichtet habe, dass Hermann Görings Staatssekretär Körner den Schriftsteller überreden wollte, nach Deutschland zurückzukehren, »was dieser barsch abgelehnt haben soll.« (von Sternburg, »Als wäre alles das letzte Mal«, 244).

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an Kant zu erinnern47 – nie nur Mittel, sondern immer auch Zweck ist; den zerbrechlichen Menschen: groß in seinem Leid, in seinem flüchtigen Glück, in seiner Einsamkeit, aber auch in seiner Liebe, die er nicht festhalten kann: die ihn ergreift und wieder fallen lässt. Remarque hat Menschen erfunden und ihnen eine Sprache gegeben, die sie sich selbst nicht hätten geben können – keine Sprache des Befehls und des Gehorsams, keine Sprache des Kollektivs, sondern eine Sprache, die am Rande ihrer selbst sogar auch noch dem eigenen Verstummen lauscht – besonders deutlich in den pointierten Formulierungen Ravics in Arc de Triomphe, die stets das Paradox anvisieren. Zu ihrer lauten, äußerlichen Dimension gehört der gut zitierbare, politische Jargon. In ihrer leisen Innerlichkeit aber löst sich seine Sprache von solcher Äußerlichkeit und findet zu ihrem dichterischen Ton, der seine Romane in den Kosmos der Weltliteratur hebt. Remarque erfand Menschen, die anonymen Mächten ausgesetzt sind, an denen sie verzweifeln, weil sie diesen zu widerstehen versuchen. Indem sie sich wehren, verstricken sie sich in ihren Umständen, aus denen sie sich zu lösen versuchen, und erkranken oder werden zu Opfern ihrer Zeit. So dichtete er Konflikte und Schicksale von der Gewalt klassischer Tragödien. In dieser Sprache können sich auch die heutigen Leser suchen und vielleicht auch etwas von sich finden. Wie in der kleinen Episode in Der Weg zurück: Ernst, der seiner Mutter nach seiner Rückkehr aus dem Krieg fremd geworden ist, geht mit einem Einmachglas am Pappelgraben entlang und erinnert sich daran, dass er hier früher Fische und Schmetterlinge gefangen und geträumt habe. Dieses Idyll wird jäh von der Erinnerung an den Krieg unterbrochen: Aber plötzlich durchfährt mich ein rasender Schreck – runter, runter, Deckung, du stehst ja ganz frei im Blickfeld! – ich zucke zusammen in wahnsinniger Angst, ich spreize die Hände, um nach vorn hinter einen Baum zu stürzen, ich zittere und keuche, dann atme ich auf, vorbei – und sehe mich scheu um – niemand hat mich gesehen. Es dauert eine Weile, bis ich mich beruhige.

Dieser Situation nähert sich sein Kriegskamerad Georg Rahe, der mit seiner Erinnerung nun abermals das Idyll unterbricht: »Im Felde fingen wir die Fische dann auch anders. Eine Handgranate ins Wasser, und schon schwammen sie mit geplatzten Schwimmblasen und 47 Kant sagt in seiner Kritik der Urteilskraft: »Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck und, indem er zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum seiner Stelle und Function nach bestimmt sein.« Akademie-Ausgabe, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1911, Band V, 375.

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weißen Bäuchen an der Oberfläche: Das war praktischer.« […] Er lächelt wieder. »Wir sind ein wenig reparaturbedürftig, mein Junge.«48 –

Das sagt ein Mensch, als spräche er mit einer Maschine, der gerade durch den Schrecken der Erinnerung klar wurde, dass sie ein Mensch ist.

48 Remarque, Der Weg zurück, 162.

Anna Szóstak

Zwischen Vergebung und Verdammnis Das Böse als systemisches Problem in Erich Maria Remarques Der Funke Leben im Lichte der Konzepte von Jean Améry und Primo Levi*

Erich Maria Remarques Roman Der Funke Leben aus dem Jahr 1952 ist ein Versuch, die Mechanismen von Gewalt und Grausamkeit sowie die Regeln, nach denen die Welt der nationalsozialistischen Vernichtungslager funktionierte, zu rekonstruieren, zu verstehen und zu erklären. Vor dem Hintergrund der Lagerliteratur ist er ein besonderer Versuch und gehört eher zur Literatur mit Lagerthematik,1 da er im engeren Sinne nicht dokumentarisch ist und aus einer anderen Perspektive als der eines ehemaligen Häftlings geschrieben wurde, wenn auch von einem Menschen, der ebenfalls sehr stark vom Faschismus betroffen war.2 Umso interessanter erschien es mir, dieses literarische Gedankenexperiment mit zwei unterschiedlichen, einander gegenüber polemischen philosophischen Positionen zu den Bedingungen der menschlichen Situation in einer Extremsituation zu konfrontieren, wie sie in den Büchern der ehemaligen KZ-Häftlinge, aber auch Denker – Jean Améry und Primo Levi – dargestellt werden. Ich möchte darüber nachdenken, wie diese unterschiedlichen Blickwinkel – von innen (Améry und Levi) und von außen (Remarque) – die Optik und die Bewertung der beschrie* Der ursprünglich auf Polnisch verfasste Beitrag wurde von Marek Krisch übersetzt. 1 Siehe Arkadiusz Morawiec. Literatura obozowa. Wstęp. Acta Universitatis Lodzensis. Folia Litteraria Polonica 2017, Nr. 4. 2 Die Schwester des Schriftstellers, Elfriede Scholz, wurde 1943 von den Nazis verhaftet und zum Tod durch das Fallbeil veruteilt. Das Urteil wurde am 16. Dezember 1943 vollstreckt. Der Schriftsteller, dessen Buch Im Westen nichts Neues bereits in den 1930er Jahren auf dem Index der verbotenen Werke stand und öffentlich verbrannt wurde, floh 1939 an Bord des Transatlantikliners »Queen Mary« aus Nazi-Deutschland in die Vereinigten Staaten. Siehe Julie Gilbert. Erich Maria Remarque und Paulette Goddard: Biographie einer Liebe. Düsseldorf, München: List, 1997.

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benen Ereignisse beeinflussen, und insbesondere die der Fragen bezüglich der menschlichen Verfassung in der unmenschlichen Realität des Lagers und der axiologischen Überprüfung von Haltungen und moralischen Entscheidungen, die unter solchen Bedingungen im weiten Horizont der systemischen Bedingungen getroffen werden. Ich möchte mich daher in erster Linie mit dem Wesen und dem Verständnis der Kategorie des Bösen und der Reaktion auf die Erfahrung dieses Bösen befassen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass der Zweite Weltkrieg und seine Schrecken in Form von Konzentrationsla­ gern und Massenvernichtung der Bevölkerung alle Interpretationsmuster sprengten und einen schrecklichen Präzedenzfall schufen, dem die Men­ schen nie zuvor begegnet waren.3

Die Realität der deutschen Vernichtungslager und die unbarmherzigen Regeln, die dort herrschten, waren für Außenstehende zweifellos ebenso schwer zu verstehen wie die Welt der Gefangenen in den sowjetischen Gulags, die von Gustaw HerlingGrudziński, einem Schriftsteller und Opfer eines ebenso grausamen Totalitarismus, als »eine andere Welt«4 bezeichnet wurde. Ist es jedoch, seinem Vorschlag folgend, auch möglich, die Realität des Gulags als eine Raumzeit außer Kraft gesetzter Werte, Prinzipien sowie sozialer und menschlicher Normen zu betrachten und –  folglich – in gewisser Weise zu rechtfertigen, anzunehmen, dass dies der einzige Weg war, um zu überleben und später zu einem normalen, gewöhnlichen Leben zurückzukehren? Ähnliche Fragen scheinen im Zentrum von Remarques Roman zu stehen. Ist eine Abstufung des Bösen akzeptabel, gibt es unüberwindbare Grenzen für das Böse? Wie definieren wir sie? Was liegt zwischen den Extremen der nicht selbstverständlichen Vergebung und der notwendigen Verdammnis? Und was haben Wertesysteme damit zu tun, wenn es unmöglich ist, nicht den Worten von Anthony Storr zuzustimmen, einem englischen Psychiater und Psychoanalytiker, der die dunkelsten Abgründe der menschlichen Psyche erforscht und von Jolanta Brach-Czaina in Szczeliny istnienia mit Worten zitiert wird, die sich auf das Verhalten und die Praktiken unserer Spezies beziehen: Dass der Mensch ein aggressives Geschöpf ist, lässt sich kaum leugnen. […] Kein anderes Tier findet Gefallen daran, anderen Vertretern seiner Art Grausamkeiten anzutun. Oft bezeichnen wir die abscheulichsten Beispiele 3 Joanna Hładyłowicz. »Wyjaśnić zło. Filozoficzna interpretacja eksperymentu więziennego Philipa Zimbardo«. Kultura i Wartości (2021), 31, 151–152. 4 Siehe Gustaw Herling-Grudziński. Inny świat. Zapiski sowieckie. London: Gryf Publications LTD, 1953, 234f. Das Buch erschien im Westen erstmals in englischer Übersetzung unter dem Titel A World Apart. A Memoir of the Gulag 1951, also ein Jahr früher als Remarques Roman.

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menschlicher Grausamkeit als tierisch oder bestialisch und suggerieren mit diesen Adjektiven, dass es sich um Verhaltensweisen handelt, welche für Tiere charakteristisch sind, die nicht so hoch entwickelt sind wie wir. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Manifestationen des extremsten »tierischen« Verhaltens auf den Menschen beschränkt sind und die Grausamkeit unse­ res Umgangs miteinander von nichts in der Natur übertroffen wird. [...] wir sind die grausamste, die unbarmherzigste Spezies, die je auf der Erde aufgetaucht ist, und obwohl wir vor Entsetzen erschaudern, wenn wir [...] von den Grausamkeiten lesen, die von Menschen gegen Menschen verübt werden, wissen wir tief in unserem Inneren, dass jeder von uns dieselben wilden Impulse in sich trägt, die uns zum Morden, zum Foltern, zum Krieg führen.5

Remarque teilt diese Ansicht in Der Funke Leben übrigens voll und ganz; auch er hält den Vergleich von Menschen mit Tieren für verletzend und beleidigend für letztere, denn selbst der Dschungel, der gemeinhin mit Gewalt und Grausamkeit assoziiert wird, ist ein Ort mit »einfachen Gesetzen [...], wo man tötete, um zu leben, und nicht lebte, um zu töten«.6 Mögliche Antworten auf die aufgeworfenen Zweifel und Fragen liefern die Überlegungen ehemaliger Häftlinge und zugleich Philosophen, die die Besonderheit dieser Phänomene und Formen bzw. Institutionen der Gewalt und Versklavung analysieren, welche die nationalsozialistischen Vernichtungslager darstellten und die selbst vor dem Hintergrund der blutigen Geschichte der Menschheit außergewöhnlich waren. Jean Améry (eigentl. Hans Mayer), ein voll assimilierter Wiener Jude, der sich mit der deutschen Kultur identifizierte, hielt im Vorwort zur weiteren Neuausgabe7 (von 1977) seines berühmten Werkes mit dem vielsagenden Titel Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten konsequent an der ursprünglichen These von der Unentfernbarkeit des Traumas fest, das aus dem erlittenen Unrecht mit systemischem Charakter resultiert, welches der Autor als unveräußerlichen Teil der menschlichen Natur anerkennt, und von der Unmöglichkeit, das Vertrauen in die Welt wiederzugewinnen, weil das, was einmal geschehen ist, immer wieder geschehen kann, und infolgedessen – unfähig oder nicht

5 Anthony Storr. Human Aggressions. Harmondsworth: Penguin 1982, 9, zit. nach: Jolanta BrachCzaina. Szczeliny istnienia. Warszawa: Wydawnictwo Dowody na Istnienie, 2018, 103f. 6 Erich Maria Remarque. Der Funke Leben. In der Originalfassung mit Anhang und einem Nachwort herausgegeben von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2018, 311. 7 Erstausgabe: Jean Améry. Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München: Szczesny Verlag, 1966, 159ff.

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willens, das Wesen der Ereignisse zu verstehen, geschweige denn, sie zu vergeben oder zu rechtfertigen, besteht: Kein Zweifel: Was immer wir erfuhren an Ungeheuerlichkeiten, es hebt das mir bis heute unerhellte und trotz aller fleißigen historisch-psychologischsoziologisch-politischen Arbeiten, die da erschienen und noch erscheinen werden, wohl prinzipiell unerhellbare Faktum nicht auf, daß zwischen 1933 und 1945 im Volk der Deutschen, einem Volke von hoher Intelligenz, industrieller Leistungskraft, kulturellem Reichtum ohnegleichen – im Volk der »Dichter und Denker« eben! – jenes sich vollzog, wovon ich in meinen Aufzeichnungen spreche.8

Auch wenn die Unerklärlichkeit der Verbrechen und des Terrors der Nazis die Möglichkeit der Vergebung in einer christlichen Geste der Demut und Versöhnung nicht ausschließt, wird sie in Amérys Werk ausdrücklich abgelehnt, und die Ressentiments wie auch der Wunsch nach Vergeltung werden ihn bis zu seinem tragischen, als Selbstmord betrachteten Tod begleiten. Primo Levi hingegen stimmt mit Amérys Sicht auf die Lagerrealität weitgehend überein, akzeptiert aber weder die Radikalität seiner Ansichten noch die Bezeichnung, die er sich selbst als verzeihender Mensch gibt. Die Haltung des Autors von Die Untergegangenen und die Geretteten ist nuancierter, obwohl beide das Böse, das sie dem System, der faschistischen Ideologie und den von ihr geschaffenen Bedingungen vorwerfen, die in den Menschen ihre schlimmsten Instinkte und Charakterzüge zum Vorschein bringen, genau betrachten und dokumentieren. Améry schaut auf das Lager mit dem Blick eines Intellektuellen, der vom Scheitern all dessen betroffen ist, woran er geglaubt hat und was für ihn das Fundament der Menschlichkeit war, wobei er ein wichtiges Thema aus den Augen verliert, auf das Levi polemisch hinweist: Aus seinen [Amérys] Schriften tritt ein anderes Interesse zutage, nämlich das des politischen Streiters an dem Übel, das Europa verpestete und die Welt bedrohte (und noch immer bedroht); das des Philosophen am Geisti­ gen, das in Auschwitz keinen Platz hatte; das des herabwürdigten Gelehrten, dem die Mächte der Geschichte das Vaterland und die Identität entrissen haben. Sein Blick ist nach oben gerichtet und bleibt nur selten auf dem gewöhnlichen Volk im Lager haften, auf seinem typischen Vertreter, dem

8 Jean Améry. »Vorwort zur Neuausgabe 1977«. Améry, Jenseits von Schuld und Sühne, 7–14, hier. 7f.

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»Muselmann«, dem zu Tode erschöpften Menschen, dessen Intellekt im Sterben liegt oder bereits tot ist.9

Levi gibt ihm darin Recht: »Vernunft, Kunst, Dichtung helfen nicht, den Ort zu dechiffrieren, aus dem sie verbannt sind«,10 er besteht jedoch darauf, das Alltäglichste und Realste nicht aus den Augen zu verlieren – den Lageralltag der gewöhnlichen Durchschnittshäftlinge, die im Lager nicht nur der existenziellaxiologischen, sondern überhaupt jeder Sanktion beraubt waren, weil sie bis an die äußersten Grenzen mit einem ständigen, brutalen und rücksichtslosen Überlebenskampf ausgefüllt waren. Ähnlich sah es Tadeusz Borowski, der in seinen Auschwitz-Erzählungen keine Illusionen zuließ – im Lager konnte man nur auf Kosten anderer überleben.11 Levi, aber auch Remarque, worauf ich noch zurückkommen werde, sind der gleichen Meinung, es war »ein Leben wie nach dem Entwurf von Hobbes, ein andauernder Krieg aller gegen alle«,12 allerdings mit einem wichtigen Vorbehalt: Ein Faustschlag, verabreicht von Vorgesetzten, konnte noch hingenommen werden, er war, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Akt höherer Gewalt. Dagegen konnte man Schläge von den eigenen Gefährten nicht hinnehmen, weil sie unerwartet kamen und außerhalb der Regel standen, und nur selten verstand ein zivilisierter Mensch darauf zu reagieren.13

Der Autor von Die Untergegangenen und die Geretteten distanzierte sich jedoch sehr stark von der Gleichsetzung von Opfern und Tätern (was Borowski zur Last gelegt wurde, indem man ihm moralischen Nihilismus vorwarf) und damit von radikalen Stimmen der Verurteilung eines, aus Sicht der normalen Welt, unmoralischen Handelns und Verhaltens der Häftlinge. Auch sie (und in dieser Hinsicht stehen seine Ansichten denen von Herling-Grudziński nahe) wurden von demselben System verdorben und geprägt, allerdings mit einem grundlegenden Unterschied zu Amérys Position: [...] beide [das Opfer und der Unterdrücker – Anm. A. Sz.] sitzen in der­ selben Falle, aber es ist der Unterdrücker und nur er, der sie aufgestellt hat

9 Primo Levi. Die Untergegangenen und die Geretteten. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. München, Wien: Hanser, 1990, 144f. 10 Ebd., 145. 11 Siehe Tadeusz Borowski. Wybór opowiadań. Einführung: Tadeusz Drewnowski. Warszawa: Wydawnictwo Kama, 1996, 236ff. 12 Levi, Die Untergegangenen und die Geretteten, 136. 13 Ebd.

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und zuschnappen läßt; wenn er daran leidet, ist es nur gerecht, daß er daran leidet, aber es ist ungerecht, daß auch das Opfer daran leiden muß, wie es gezwungenermaßen daran leidet, auch nach Jahrzehnten noch.14

Und wie sieht das in Der Funke Leben aus? Meine These, die ich versuchen werde, zu beweisen, lautet wie folgt: Remarque verbindet Elemente der Positionen beider Denker, geht aber einen noch anderen Weg – ohne direkt vom Trauma betroffen zu sein, wird er versuchen, das faschistische System im Fokus seiner endgültigen Form und Linse – des Lagers – aus zwei Blickwinkeln zu zeigen – dem der Opfer und dem der Täter. Jedes Mal versucht er auch, zu ihren tiefsten Beweggründen, Überzeugungen und Motiven vorzudringen, nicht um zu verdammen um des Verdammens willen (das liegt auf der Hand) oder um zu vergeben (das bleibt dem Leser, seinen Überzeugungen und seiner Weltanschauung überlassen), sondern um das Böse genauestens zu untersuchen, es zu sezieren, das Denken dahinter zu rekonstruieren. Denn nur dann wird es möglich sein, Stellung zum Bösen in seinen einzelnen Erscheinungsformen zu beziehen, wenn man es in seiner systemischen Gesamtheit betrachtet. In seinem Roman analysiert und betrachtet er akribisch die Haltungen, zeigt, wie das Böse gesehen und definiert wurde, was es eigentlich war und wie es sich manifestierte und realisierte, wie es von beiden Seiten erklärt und rationalisiert wurde. Wichtig ist, dass er dabei den Glauben an die Menschlichkeit der gegen die Regel verstoßenden Opfer nicht verliert, Verallgemeinerungen vermeidet und gleichzeitig die sich ihrer Taten bewussten Täter unmissverständlich verdammt. Das Böse hat bei Remarque, und das ist der Ausgangspunkt, ähnlich wie bei Améry oder Levi keinen metaphysischen, übermenschlichen Charakter. Die mit einer religiösen Weltanschauung verbundenen und den Glauben an die Leibnitzsche Theodizee – den Einfluss übernatürlicher Wesen auf die materielle Welt in Bezug auf das Problem der Vereinbarkeit des Glaubens an einen guten Gott und der unleugbaren Existenz des Bösen – propagierenden Vorstellungen werden hier vollständig zurückgewiesen. Das Böse wird außerhalb der Kategorien von Konfession und Moral und den damit verbundenen Konzepten von Schuld (Übertretung der mit Verboten und Geboten versehenen Glaubensregeln) und Sühne (Verdammnis während des Lebens und nach dem Tod – für die Ewigkeit) beschrieben und betrachtet – es nimmt also nicht die Gestalt des Satans an, wird nicht durch den göttlichen Zorn erklärt (dies ist z.B. bei Zofia Kossak-Szczucka, Autorin von Z otchłani: wspomnienia z lagru – Aus dem Abgrund: Erinnerungen aus dem Lager, einer Schriftstellerin und ehemaligen Insassin der Fall, die als orthodoxe Katholikin die Lager als Strafe Gottes für die sündige Menschheit ansah), sondern ist 14 Ebd., 20.

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materiell, greifbar und konkret. Wie Paul Ricœur interessiert sich Remarque für das Böse, das, wie der Autor von Symbolik des Bösen es ausdrückt, einen Skandal für das Denken und eine Herausforderung für den Glauben darstellt, das sich nicht in das moralische Böse einschließen lässt,15 d.h. das in Bezug auf konkrete ethische Paradigmen, wie den Begriff der Sünde, betrachtet wird. Er fragt also nicht nach dem Ursprung des Bösen in einem transzendenten Sinn und spekuliert auch nicht darüber; er interessiert sich für das Böse als Produkt des Menschen und seiner Zivilisation. Bei Ricœur, und diese Bemerkungen lassen sich auch auf die Annahmen von Remarque voll anwenden, verweist Das Böse als immanentes Element der menschlichen Existenz […] auf den Menschen und tritt in den Bereich der praktischen Philosophie, der Ethik und der Politik ein. In der Affirmation der menschlichen Freiheit erscheint das Moment des Bösen im Handeln, im Übel-Tun [Hervorhebung durch die Verf.]; der Mensch ist dank seiner Freiheit der Urheber des Bösen und nimmt es mit all seinen Konsequenzen an. Es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen dem Menschen und dem Bösen; es ist das Böse, das dem Menschen offenbart und gleichzeitig bewusst macht, dass er Freiheit besitzt, und dies wiederum ist mit dem Bewusstsein seiner vollen Verant­ wortung für die Folgen des Bösen verbunden.16

Es ist das wirkliche Böse, das Menschen anderen Menschen zufügen, das Böse, wie es von Brach-Czaina definiert und zusammengefasst wird: »Das Böse ist die Zufügung von Leid. Das Übel wird von demjenigen getan, der Leid verursacht. Wir sind alle Übeltäter«.17 Der Autor von Der Funke Leben analysiert es, wie bereits erwähnt, sowohl aus der Sicht der Opfer als auch der Täter, womit er zum Kern des Problems vordringt, seinen ontologischen Status hervorhebt und sein Wesen erläutert. Die Psychologie der einzelnen Figuren bestätigt die gestellte Diagnose, indem sie die Hauptthese des Buches untermauert, veranschaulicht und rechtfertigt. In den Analysen der einzelnen Fälle konfrontiert der Autor das reale Böse mit den Wertesystemen, in denen die Übeltäter und insbesondere seine Urheber aufgewachsen sind, die sie kennen und/oder zu denen sie sich zumindest deklarativ bekennen, und stellt sie ihnen gegenüber. Manchmal übernimmt der Erzähler zu diesem Zweck sogar die Rolle eines Anwalts des Teufels sui generis, der die Verbrechen aus der Perspektive der Verbrecher betrachtet, die trotz allem auch zur 15 Vgl. Paul Ricœur. »Skandal zła«. Znak (1990), 427, 48. 16 Sławomir Springer. »Paradoks ›zniewolonej woli‹ a problem zła w poglądach filozoficznych Paula Ricoeura«. Ryszard Wiśniewski (ed.). Studia z dziejów filozofii zła. Toruń: Wydawnictwo Uniwersytetu Mikołaja Kopernika, 1999, 178. 17 Brach-Czaina, Szczeliny istnienia, 101.

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Selbstreflexion und zur Relativierung ihres eigenen Verhaltens und ihrer Taten fähig waren, was de facto bedeutet, dass sie sich ethischer Normen bewusst und mit den Begriffen von Gut und Böse vertraut waren, denn – erinnern wir uns noch einmal an die Worte von Zofia Kossak-Szczucka: »Wie dem auch sei, diese beiden Merkmale zeichnen uns in der Tierwelt auf jeden Fall aus: die Grausamkeit und der Aufbau ethischer Systeme«.18 Die kontrastierende Gegenüberstellung gegensätzlicher Merkmale wird bei diesem Ansatz nicht nur zu einer Art anklagender Beweisführung, sondern verstärkt auch den Schockeffekt, den der Leser erfahren soll. Um diesen Effekt zu erzielen, bedient sich Remarque unter anderem eines Erzählverfahrens, das zwischen dem Bewusstsein der Verfolgten und dem der Täter wechselt und es ermöglicht, den Kontext zu erweitern, die verschiedenen Formen und Gesichter des Bösen zu zeigen, aber auch – von der Seite der Wertesysteme aus betrachtet – zu versuchen, an seine Quellen zu gelangen und seine Ursachen zu erklären. Die Handlung des Romans beginnt kurz vor der Befreiung des Lagers in Mellern im Jahr 1945, womit die zwölfjährige albtraumhafte Geschichte des Lagers endet. Remarque beginnt mit der Darstellung des Bösen auf einer elementaren Ebene, wie Brach-Czaina es definiert, d.h. das Böse als leidverursachendes Unrecht, Schaden, Verlust – physisch, moralisch, psychisch. Unter diesen Umständen ist es jedoch viel mehr als das, dessen ist sich der Autor bewusst – es ist ein vervielfachtes Leid von noch nie dagewesenem Ausmaß, der Schmerz und das Martyrium von Tausenden und Millionen von unschuldigen Opfern. Mit einer auf den ersten Blick schockierenden, leidenschaftslosen Ironie, die aber den Schrecken der dargestellten Tatsachen nur zu mildern scheint, wird dieses Unrecht von Anfang an auch jenseits des Individuums dargestellt, als Methode und Modus Operandi, als ein grässlicher, konsequent durchgeführter Plan und Handlungsschema: [...] das Konzentrationslager Mellern [war] nach zehn Jahren der Torturen etwas müder geworden; – selbst einem frischen, idealistischen SS-Mann wurde es mit der Zeit langweilig, Skelette zu quälen. Sie hielten wenig aus und reagierten nicht genügend. Nur wenn kräftige, leidensfähige Zugänge kamen, flammte der alte patriotische Eifer manchmal noch auf. Dann hörte man in den Nächten wieder das vertraute Heulen, und die SS-Mannschaften sahen ein bißchen angeregter aus, wie nach einem guten Schweinebraten mit Kartoffeln und Rotkohl. Sonst aber waren die Lager in Deutschland während der Kriegsjahre eher human geworden. Man vergaste, erschlug

18 Ebd., 104.

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und erschoß fast nur noch oder arbeitete die Leute einfach kaputt und ließ sie dann verhungern.19

Die so erreichte Distanz wird für den Schriftsteller und seinen Helden nicht nur zu einer Verteidigungsstrategie, die Ironie hat noch eine weitere, sehr wichtige Funktion – sie zeigt, wie das Böse zu einer banalen Alltagswirklichkeit geworden ist, aber nicht oder nicht ausschließlich in dem Sinne von Hannah Arendt, die sogar versuchte, das Gute in den Tätern zu sehen, und die Existenz des absolut Bösen in Frage stellte,20 was zu Recht als Versuch gesehen wurde, es zu relativieren und gleichzeitig einen Teil der Schuld von den Verbrechern zu nehmen.21 Das Böse ist bei Remarque nicht nur deshalb banal, weil es von scheinbar gewöhnlichen Menschen begangen wurde: Bei Arendt nahm das Böse die Gestalt des ansonsten bescheidenen Handelsvertreters Adolf Eichmann an, der zum allmächtigen, fast völkermordenden, kaltblütigen Planer und Vollstrecker des Holocaust wurde, während es in Der Funke Leben der fiktive Kommandant des Lagers Mellern, SSSturmbannführer Bruno Neubauer, ist, der vor der Machtübernahme durch die Nazis »Postsekretär mit knapp zweihundert Mark im Monat«22 war. Das Böse wird banal, weil es aufhört, als das Böse wahrgenommen zu werden. Im Gegenteil, es durchläuft sehr schnell einen Prozess der Veränderung des Wertzeichens, indem es den Platz des Guten ein- und dessen Eigenschaften annimmt. Denn, wie Victor Klemperer, Autor der berühmten Lingua Tertii Imperii, treffend feststellt, beruhte der Faschismus auf einer mehrstöckigen, demagogischen, aber höchst suggestiven Selbsttäuschung, die von seinem obersten Kodierer initiiert wurde und sich konsequent auf weitere Ebenen herabsenkt, wobei die Methode unverändert bleibt, nur ihre Grundlage sich ändert: […] ein gläubiger Fanatiker, ein Wahnsinniger, entwickelt oft im Dienst seines Wahns die größte Schlauheit, und erfahrungsgemäß gehen die ganz großen und dauernden Suggestionen nur von solchen Betrügern aus, die sich selber betrügen.23

19 Remarque, Der Funke Leben, 16f. 20 Siehe Hannah Arendt. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Mit einem einleitenden Essay und einem Nachwort zur aktuellen Ausgabe von Hans Mommsen. München, Zürich: Piper, 2011. Siehe auch Hannah Arendt. Über den Totalitarismus. Texte Hannah Arendts aus den Jahren 1951 und 1953. Übersetzung Ursula Ludz. Dresden: Hannah-Arendt-Institut, 1998. 21 Siehe u.a. Alexandra Gimbut. »Zło jest banalne, dobro radykalne«. Refleksje (2014), Nr. 10. 22 Remarque, Der Funke Leben, 58. 23 Victor Klemperer. LTI. Notizbuch eines Philologen. Stuttgart: Reclam, 2015, 130.

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Und er führt weiter aus: »Wie viele Begriffe und Gefühle hat sie geschändet und vergiftet!«.24 Und wenn wir dazu noch die Tatsache hinzufügen, dass Übereifer, Unterwürfigkeit und stumpfsinniger Gehorsam, der die Verantwortung an andere abgibt, die DNA totalitärer Systeme ist – dann ist das Bild des Ganzen schon sehr klar.25 Ich glaube, dies ist der Ursprung dieser eigentümlichen Mimikry oder Tarnung des Bösen, die es einer programmatischen Rationalisierung unterwirft, es alltäglich macht, es gewöhnlich, routinemäßig, pragmatisch, ja sogar langweilig werden lässt, obwohl es, was auch immer seine Beweggründe sein mögen, immer genauso degeneriert und unmenschlich ist: Daß ab und zu im Krematorium ein Lebender mit verbrannt wurde, lag eher an Überarbeitung und der Tatsache, daß manche Skelette sich lange nicht bewegten, als an böser Absicht. Es kam auch nur vor, wenn rasch Raum für neue Transporte geschaffen werden mußte durch Massenliquidierungen.26

Versuchen wir also, die Motive und ursprünglichen Gründe für diesen verbrecherischen Selbstbetrug in seinen jeweiligen Erscheinungsformen und Ausprägungen zu ergründen. Die von der starken Motivation des unverdienten sozialen Aufstiegs und der damit verbundenen materiellen Vorteile oder des hohen Status untermauerte Wahl des Bösen erklärt vieles, aber nicht alles. So rechtfertigt Neubauer sie nicht nur mit dem gängigsten Argument, dem Dienst am Vaterland, sondern mit dem fast schon atavistischen Wert des scheinbar selbstverständlichen Handelns zum Wohle der eigenen Familie, der Sorge um deren Wohlergehen, was das Böse an anderen, fremden Menschen nicht mehr zur Sünde, sondern zur Tugend macht. Dies zeigt sich deutlich in der schizophrenen Dualität seiner Herangehensweise und Bewertung der Tatsachen, ist er doch – verwenden wir die Ironie, wie es Remarque tut – der sanfteste Mensch unter der Sonne, unfähig, die Nagetiere zu töten, die er züchtet: Der Geruch der Tiere brachte eine vergessene Unschuld nahe. Es war [Neu­ bauers Garten – Anm. A. Sz.] eine kleine Welt für sich, von fast vegetativem Dasein, weit weg von Bomben, Intrigen und Daseinskampf, – Kohlblätter und Rüben und pelziges Zeugen und Geschorenwerden und Gebären. Neubauer verkaufte die Wolle; aber er ließ nie ein Tier schlachten.27

24 Ebd., 12. 25 Siehe u.a. Robert. O. Paxto. Anatomie des Faschismus. Aus dem Englischen von Dietmar Zimmer. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2006. 26 Remarque, Der Funke Leben, 17. 27 Ebd., 58.

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Das Erschreckendste ist, und diesen Eindruck hat Remarque voll und ganz erreicht, dass die Gefühle des Kommandanten sowohl für die flaumigen Kaninchen als auch für seine Familie so authentisch, natürlich und aufrichtig wie möglich sind, was zudem meine These bestätigt: Neubauer lehnt das Böse, das er anderen Menschen antut, ab, verdrängt und verleugnet es. Und das ist die Philosophie fast aller NSLagerverbrecher, denn »Was einen nicht berührte, konnte man immer mit großem Mut durchführen«.28 Als er nach der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten in der Ungewissheit über das Schicksal seiner Angehörigen nach Hause eilt, sind seine Gefühle so menschlich, normal, glaubwürdig: »Dieser Krampf im Magen! Selma! Freya! Das schöne Haus! Der ganze Bauch, die Brust, alles war Magen«.29 Die Trennung zwischen den Eigenen und den Fremden ist äußerst deutlich und verständlich, und der Bruch im damit verbundenen Wertesystem wird für Neubauer erst durch die Angst und die schockierende Ehrlichkeit der Frau angesichts der Tatsache, dass ihr Leben in unmittelbarer Gefahr ist, hergestellt: »Dir passiert nichts. Aber wir sitzen hier in der Falle.« »Das ist ja blühender Unsinn! Einer ist wie der andere. Wieso kann mir denn nichts passieren?« »Du bist sicher, da oben in deinem Lager!« »Was?« Neubauer warf seine Zigarre zu Boden und trampelte darauf. »Wir haben nicht solche Keller wie ihr hier.« Es war gelogen. »Weil ihr keine braucht. Ihr seid außerhalb der Stadt.« »Als ob das was ausmachte! Wo eine Bombe hinfällt, da fällt sie hin.« »Das Lager wird nicht bombardiert werden.« »So? Das ist ja ganz neu. Woher weißt du denn das? Haben die Ameri­ kaner eine Nachricht darüber abgeworfen? Oder dir speziell per Rundfunk Bescheid gesagt?« Neubauer sah auf seine Tochter. […] Aber Freya zupfte an den Fransen einer Plüschdecke, die über den Tisch neben der Chaiselongue gebreitet war. Dafür antwortete seine Frau. »Sie werden ihre eigenen Leute nicht bombardieren.« »Quatsch! Wir haben gar keine Amerikaner da. Auch keine Engländer. Nur Russen, Polen, Balkangesindel und deutsche Vaterlandsfeinde, Juden, Verräter und Verbrecher.« »Sie werden keine Russen und Polen und Juden bombardieren«, erklärte Selma mit stumpfem Eigensinn.30

28 Ebd., 51. 29 Ebd., 42. 30 Ebd., 47f.

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In Neubauers Fall ist es erst der Gedanke an die Möglichkeit des Scheiterns und des Zusammenbruchs des Systems, in dem er es sich so gut und bequem eingerichtet hat, der ihn zum Nachdenken anregt und ihn zwingt, seine sichere Zone der Bequemlichkeit und Verantwortungslosigkeit zu verlassen, die durch die Ideologie garantiert und gerechtfertigt schien: [Das Haus] hatte 1933 dem Juden Josef Blank gehört. Der hatte hundert­ tausend verlangt […]. Nach vierzehn Tagen im Konzentrationslager hatte er es für fünftausend Mark verkauft. Ich bin anständig gewesen, dachte Neu­ bauer. Ich hätte es umsonst haben können. Blank hätte es mir geschenkt, nachdem die SS ihren Spaß mit ihm gehabt hatte. […] Daß Josef Blank unglücklich im Lager gefallen war, ein Auge verloren, einen Arm gebrochen und sich sonst noch verletzt hatte, war ein bedauerlicher Zufall gewesen. […] Neubauer hatte es nicht befohlen. Er war auch nicht dabei gewesen. Er hatte Blank nur in Schutzhaft nehmen lassen […]. Das andere ging auf Kappe des Lagerführers Weber. […] Wozu dachte er plötzlich an diesen alten Kram? Was war los mit ihm? Das war doch alles längst vergessen. Man mußte leben. Hätte er das Haus nicht gekauft, dann hätte es jemand anderes von der Partei getan.31

Eine Ideologie, die auf dem Unfehlbarkeitsmodell eines Führers beruht, der neue Regeln und Normen aufstellt, führt dazu, dass bei den Tätern das Gefühl, das in vielen Religionen und ethischen Strömungen als Gewissen bezeichnet wird, ausgeschaltet oder zumindest gestört und verzerrt, auf jeden Fall aber verändert und modifiziert wird. Das Gewissen ist der innere Mechanismus zur Erkennung von Gut und Böse und zur Bewertung der Handlungen anderer, aber vor allem des eigenen Verhaltens unter diesem Gesichtspunkt, die Fähigkeit, die Diskrepanz zwischen diesem Verhalten und den in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld akzeptierten Normen zu erkennen.32 Sehr symptomatisch für einen solchen Prozess der Veränderung von Wertzeichen ist die Verwendung bereits vorhandener und verfügbarer ethischer Verhaltensmuster, wie das in der Kultur des deutschsprachigen und protestantischen Raums verwurzelte Arbeitsethos, das im Lager durch primitive Gewalt und Bestialität gegenüber den Häftlingen verwirklicht, aber durch höhere Gründe erklärt wird, die in solchen moralischen Tugenden wie Patriotismus oder Loyalität gegenüber der gewählten Doktrin und ihrem Gesetzgeber verankert sind. Es ist auch nicht unbedeutend, dass diese zynische Operation am Bewusstsein mit Hilfe 31 Ebd., 52f. 32 Siehe Jan Hartman. Etyka! Poradnik dla grzeszników. Warszawa: Wydawnictwo Agora, 2015, 248ff.

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des menschlichen Bedürfnisses nach Sinn und Würde durchgeführt wurde, das trotz der Tatsache, dass es ohne Anstrengung oder Verdienst erlangt wurde, nach dem Prinzip der creatio ex nihilo funktionierte, wobei die einzige Bedingung die blinde Loyalität gegenüber dem Führer war. Die unmittelbare Belohnung in Form eines höheren Selbstwertgefühls, eines Überlegenheitsgefühls und des Gefühls, besser als andere zu sein, war jedoch nur durch die ideologische Ausgrenzung und Entmenschlichung der anderen möglich, indem man sich ihnen gegenüber nach dem Prinzip der absoluten Überlegenheit positionierte, frühere Wertvorstellungen verwarf und sie durch die von der Ideologie vorgegebene Interpretation ersetzte. Das Bedürfnis, die eigenen Komplexe und Frustrationen abzubauen und das Selbstwertgefühl zu steigern, wird ausgenutzt, denn faschistische Politik speist sich aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit und der Viktimisierung, das aus einem immer verzweifelteren Kampf um das Gefühl kultureller, ethnischer, religiöser, geschlechtlicher oder nationaler Überlegenheit resultiert.33

Und damit wurden ihre falschen Prämissen, wie die wissenschaftlich nicht belegte Rassentheorie, relevant. Remarque zeigt dies sehr anschaulich und lebendig an fast klinischen Beispielen verschiedener Charaktere, darunter Niemann, vor dem Krieg ein rangniedriger Beamter ohne Karriereaussichten, der Inbegriff der Mittelmäßigkeit, der erst als SS-Mann die Möglichkeiten der durch die Ideologie gewonnenen Macht und des darauf basierenden Systems erkennt. Diese sind es, die ihn sehr schnell seine letzten Widerstände und Skrupel ablegen lassen: Er war immer ein gedrückter, verschubster Mensch gewesen, und er hatte sich anfangs fast gefürchtet, auf den Juden einzuschlagen. Als er ihn dann aber vor sich am Boden rutschen und um sein Leben betteln sah, hatte er plötzlich gespürt, wie er ein anderer wurde, kraftvoller, mächtiger, er hatte sein Blut gefühlt, der Horizont war weiter geworden, die demolierte, bürgerliche Vierzimmerwohnung des kleinen jüdischen Konfektionärs mit ihren grünen Ripsmöbeln hatte sich in die asiatische Wüste Dschingis Khans verwandelt, der Handlungsgehilfe Niemann war auf einmal Herr über Leben und Tod gewesen, Macht war da gewesen, Allmacht, ein scharfer Rausch, der sich ausbreitete und höher stieg, bis dann der erste Schlag ganz

33 Jason Stanley. Jak działa faszyzm. My kontra oni. Übersetzung ins Polnische: Antoni Gustowski, Aleksandra Stelmach; Einführung: Sławomir Sierakowski. Warszawa: Wydawnictwo Krytyki Politycznej, 2021, 112.

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von selbst kam auf den weich nachgebenden Schädel mit dem spärlichen, gefärbten Haar.34

Andere Faktoren, wie die Auswirkungen der systemischen Indoktrination auf die Gemüter, insbesondere auf die empfänglichen und anfälligen Gemüter der Jugendlichen, und die Verwüstungen und Zerstörungen, die sie in ihnen anrichtet, spielen ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Rolle in diesem Prozess der Verinnerlichung der Ideologie und ihrer Grundsätze. Dies wiederum ist der Fall von Schulte, der ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren [war], blond, mit grauen Augen und einem klaren, regelmäßigen Gesicht. Er hatte schon vor der Machtergreifung zur Hitlerjugend gehört und war dort erzogen worden. Er hatte gelernt, daß es Herrenmenschen und Untermenschen gab, und er glaubte es fest. Er kannte die Rassentheorien und die Parteidogmen, und sie waren seine Bibel. Er war ein guter Sohn, aber er hätte seinen Vater angezeigt, wenn er gegen die Partei gewesen wäre. Die Partei war unfehlbar für ihn; er kannte nichts anderes. Die Insassen des Lagers waren Feinde der Partei und des Staates und standen deshalb außerhalb der Begriffe von Mitleid oder Menschlichkeit. Sie waren geringer als Tiere. Wenn sie getötet wurden, so war das, als töte man schädliche Insekten. Schulte hatte ein völlig ruhiges Gewissen. Er schlief gut, und das einzige, was er bedauerte, war, nicht an der Front zu sein. Das Lager hatte ihn wegen eines Herzfehlers reklamiert. Er war ein zuverlässiger Freund, liebte Musik und Poesie und hielt Folter für ein unumgängliches Mittel, um Informationen von Verhafteten zu bekommen, weil alle Feinde der Partei logen. Er hatte in seinem Leben auf Befehl sechs Menschen getötet und nie darüber nach­ gedacht; – zwei davon langsam, um Mithelfer genannt zu bekommen. Er war verliebt in die Tochter eines Landgerichtsrats und schrieb ihr hübsche, etwas romantische Briefe. In seiner Freizeit sang er gern. Er hatte einen netten Tenor.35

Das uns interessierende Problem der Umkehrung oder Ersetzung von Bedeutungen, das von der Seite des ideologischen Faktors angegangen wird, bringt also eine weitere, scheinbar wichtigste Erklärung für die Natur des Bösen – seine Quelle ist die Ideologie selbst, die, wie Umberto Eco schreibt, weder kohärent noch konsequent war, aber eine außergewöhnliche Fähigkeit besaß, in den menschlichen 34 Remarque, Der Funke Leben, 233. 35 Ebd., 254f.

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Verstand einzudringen, weil sie gegen den Menschen das verwendete, was am menschlichsten war – Emotionen, Komplexe, Ambitionen, Wünsche, insbesondere die dunkelsten, die von der Kultur in das tiefe Unterbewusstsein gedrängt wurden: Dennoch, auch wenn politische Regime gestürzt, Ideologien kritisiert und demontiert werden können – hinter jedem Regime und seiner Ideolo­ gie steht eine Art des Denkens und Fühlens, eine Reihe von kulturellen Gewohnheiten, eine Wolke von dunklen Instinkten und unauslotbaren Trieben.36

In Der Funke Leben sind es auch Sadisten und Psychopathen wie Weber und Breuer, die Freude am Foltern und Töten haben, von denen es in den Lagern viele gab und für die das System die Bedingungen rechtfertigte und bereitstellte, um ihre kriminellen Neigungen und Fantasien auszuleben. Madelaine Albright schreibt von der erschreckenden Einfachheit dieser Gesetzmäßigkeiten, die den Umstand nutzten, dass »Respekt vor den Rechten anderer [...] ein hehres Ideal [ist]; doch Neid ist ein Gefühl, das tief aus dem Bauch kommt«37 und »Hitler hatte gezeigt, dass das rechtlich Zulässige nicht immer moralisch hinnehmbar ist«.38 Aber es ist nicht nur der Neid, es ist die ganze Palette von Reflexen, Gefühlen, Bedürfnissen und Trieben, die durch das System empfunden und verwirklicht werden – von der Gier und dem Opportunismus (Neubauer), über den zwanghaften erworbenen Fanatismus (Niemann) bis hin zum psychopathischen angeborenen Sadismus (Schulte, Breuer). Auf diese Weise haben die niedrigsten Instinkte und Emotionen, die an die Oberfläche gebracht und als Tugenden bezeichnet wurden, zur Entstehung eines der schrecklichsten totalitären Regime der Geschichte geführt. Und, wie Eco feststellt, sind sie immer noch bedrohlich und bereit, aus ihrem Schlummer zu erwachen, wenn man sie ruft, denn der Boden, auf dem sie wachsen, sind unsere artspezifischen Veranlagungen und Ausformungen der Psyche mit ihrer Neigung, Werte je nach Bedingungen und Anforderungen zu hierarchisieren und abzustufen. Dies bildet den Untergrund für Unterdrückungs- und Terrorsysteme, wie Levi in der Einleitung zu seinem im Hinblick auf die Diagnose des Faschismus und der Konzentrationslager bahnbrechenden, Buches Ist das ein Mensch? schreibt: [...] was die grausamen Details betrifft, fügt mein Buch dem, was den Lesern in der ganzen Welt über das alptraumhafte Thema der Vernich­ 36 Umberto Eco. Der ewige Faschismus. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. München: Carl Hanser Verlag, 2020, 16. 37 Madeleine Albright. Faschismus. Eine Warnung. Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke und Thomas Wollermann. Köln: DUMONT Buchverlag, 2018, 134. 38 Ebd., 125.

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tungslager bekannt ist, nichts Neues hinzu. Es wurde nicht geschrieben, um neue Anschuldigungen zu formulieren, sondern es wird Dokumente für eine objektive Untersuchung bestimmter Aspekte der menschlichen Seele liefern können. Es kommt vor, dass viele Menschen und Nationen mehr oder weniger bewusst glauben, dass »jeder Fremde ein Feind ist«. Diese Überzeugung schlummert meist in den Tiefen des Geistes wie eine latente Infektion; sie zeigt sich nur in sporadischen und unkoordinierten Handlungen, liegt aber nicht an der Wurzel des Gedankensystems. Wenn aber eine solche Situation eintritt, wenn ein bekanntes Dogma zur Prämisse eines größeren Syllogismus wird, dann steht am Ende der Kette ein Lager. Es ist das Produkt eines Weltbildes, das mit rigoroser Strenge zu seinen letzten Konsequenzen gebracht wurde: Solange das Weltbild existiert, bedrohen uns seine Auswirkungen. Die Geschichte der Vernichtungslager sollte ein unheilvolles Gefahrensignal für alle sein.39

Das Verständnis dieser Zusammenhänge lag natürlich außerhalb der Reichweite der meisten Häftlinge, die Reflexion kam, wie bei Améry und Levi, erst viel später, aber wer überleben wollte, musste so schnell wie möglich eine andere Lektion und ein anderes Wissen erlernen – die neuen Lagerregeln und -prinzipien, die darauf hinausliefen, sich von allen bisherigen Maßstäben und Urteilen zu lösen und zu akzeptieren, dass der höchste und oft einzige Wert einfach das Leben in seiner biologischen, elementarsten Form ist, auf die es dort reduziert wurde. Das verzweifelte Bemühen, es zu erhalten und zu retten, ist die Hauptantriebskraft für die Handlungen der Gefangenen und die Essenz ihrer Bewertungs- und Verhaltensmuster. So sieht sie auch der Häftling 509, Friedrich Koller, der Protagonist des Romans, ein Lagerveteran, der zu einer kleinen Gruppe von anderen, meist über niedrige Nummern verfügenden, »halbtoten, sterbenden und verhungernden Menschen«40 und damit nach der Lagerterminologie zu den schwer gemarterten, aber dennoch den Kampf um sich und ihr Leben nicht aufgebenden gehört, untergebracht im sogenannten »Kleinen Lager«, in dem die ältesten Häftlinge zusammenhielten und »lebten nicht länger, weil sie mehr zu essen hatten; sie lebten, weil sie sich einen verzweifelten Rest von Widerstand bewahrt hatten«.41 509 wollte, wie seine Kameraden im Elend, nur »atmen, Läuse töten, nicht denken«.42 Die Überlebenschance bestand darin, sich aller menschlichen Reflexe und Reaktionen zu entledigen, sogar, wie in seinem Fall, des eigenen Vor- und Nachnamens (auch zum Nutzen der Mitgefangenen, denn das Lager nahm sie systemisch weg), sich 39 Primo Levi. Czy to jest człowiek. Kraków: Wydawnictwo Literackie, 2008, 6. 40 Remarque, Der Funke Leben, 107. 41 Ebd., 22. 42 Ebd., 20.

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mit der Tatsache abzufinden, dass ihnen alles genommen worden war, auch oder gerade diese Reflexe. Das System, zu dem das Lager gehört, beraubt die Menschen ihres freien Willens und ihrer Hoffnungen oder kehrt deren Vektoren und Sinne um; wer von Hoffnungen oder Illusionen lebt, geht zugrunde, weil er nicht in der Lage und nicht willens ist, sich anzupassen: »eine getäuschte Hoffnung war immer ein schwerer Verlust an Energie«,43 und die »Jahre im Lager hatten sie dazu gebracht, sachlich zu denken«.44 Der Häftling 509, der vom Erzähler in der dritten Person beschrieben wird und – wie der Autor von Welt ohne Erbarmen, der seine persönlichen Gefühle in der ersten Person Singular schildert – eine ähnliche Haltung und Strategie einnimmt – er kapselt sich von allem ab, was außerhalb seiner Umgebung liegt, zu seiner ganzen Welt wird das Lager, in dem die Konzentration darauf die einzige Möglichkeit sein könnte, zu überleben, sowohl körperlich (ständige Aufmerksamkeit und wachsame Beobachtung) als auch geistig (der Gedanke an die Freiheit raubte ihm die Kraft, ließ ihn seine Wachheit verlieren): »Was außerhalb des Stacheldrahtes geschah, ging ihn nichts an«,45 »Man mußte rasch vergessen können, um die Kraft zum Weiterleben aufzubringen«.46 Alles trennte diese beiden Realitäten, alles war anders, selbst die Angst, als er die alliierten Bombardierungen einer in der Nähe liegenden Stadt beobachtete, »spürte [er] immer noch keine Furcht; alles das war viel zu weit weg von der engen Welt, die allein er noch kannte«.47 Der Kampf um eine Brotkruste war wichtiger geworden als alles andere, – und ebenso die Erkenntnis, daß Haß und Erinnerungen ein gefährdetes Ich ebenso zerstören konnten wie Schmerz.48

Hätten moralische Grundsätze sie zerstören können? Zweifellos wurde die Menschlichkeit in den Lagern hart bestraft. Trotz allem hat sie sich jedoch verteidigt. Bei Remarque wie bei Levi wird der Glaube an die Menschlichkeit nicht durch irgendeine mit dem Nationalsozialismus konkurrierende Idee oder Ideologie gerettet, sei sie nun an ein politisches, nationales oder religiöses System gebunden, sondern – paradoxerweise – durch einen anderen Menschen, ein Individuum, ein Wesen aus Fleisch und Blut, das selbst unter Bedingungen wie denen in den Lagern zu Aufopferung und Altruismus fähig ist. So ist der Protagonist des Romans – und er ist es, der die Position des Autors vertritt – Pazifist und Humanist, für den jeder 43 Ebd., 85. 44 Ebd., 79. 45 Ebd., 14. 46 Ebd., 16. 47 Ebd. 48 Ebd., 19.

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dogmatische Totalitarismus, und damit Faschismus und Kommunismus gleichermaßen das Böse ist, vor Hitlers Machtergreifung Redakteur bei einer Zeitschrift, die sich »für etwas [einsetzte], das jetzt ziemlich pompös und lächerlich klingt. Für Menschlichkeit, Toleranz und das Recht des Einzelnen auf eine eigene Meinung«.49 Er ist es, der uns erkennen lässt, dass es keine Welt unter dem Himmel ist, in der Gott wohnt. Der Himmel ist hochmütig und gefühllos, vielleicht sogar verächtlich gegenüber menschlichem Leid: Unbekümmert, als wäre nichts geschehen, stand die Sonne in goldener Glorie dahinter, und es wirkte fast gespenstisch, daß der Himmel mit sei­ nem Blau und Weiß genau so heiter war wie vorher und daß die Wälder und Höhenzüge rundum ruhig und unbeteiligt weiter im sanften Licht lagen […].50

Eine solche Überzeugung, gestützt durch die Lagererfahrung, erleichtert die Entscheidung, alle bekannten Maßstäbe und Normen abzulehnen – um zu überleben, muss man zuallererst der Hoffnung entsagen, denn sie raubt einem die Kraft, ist keine Chance, sondern eine weitere Täuschung: Er wollte nichts wieder in sich aufkommen lassen. Er hatte alle Hoffnung zerstampft und begraben. […] Er wollte weiter, wie vorher, gleichgültig die Sonne auf das schmutzige Pergament scheinen lassen, das als Haut über seinen Schädel gespannt war […]. Über ihm war jetzt der Himmel mit den Wölkchen der Flakgeschosse. […] Die Baracken dösten wie vorher in der Sonne.51

Die Natur, wenn man in ihr pantheistisch eine Manifestation des Göttlichen sehen würde, ist also nicht nur völlig unempfindlich gegenüber menschlichem Leid, sondern scheint manchmal sogar die Täter zu begünstigen und sich gegen die Gefangenen zu wenden,52 etwa wenn der Mond die Täter gnadenlos unterstützt, indem er die hilflosen Opfer auf dem Appellplatz beleuchtet, die sich nirgendwo verstecken können, oder wenn es den Gefangenen während der Enttrümmerung

49 Ebd., 390. 50 Ebd., 18. 51 Ebd., 20. 52 Es ist ein Motiv, das auch in der polnischen Literatur bekannt ist und bei Tadeusz Różewicz (siehe das Gedicht Księżyc świeci aus dem Band Czerwona rękawiczka, über dessen Entstehung der Dichter in der Skizze Do źródeł schreibt) und Kornel Filipowicz (siehe die Kurzgeschichte Krajobraz, który przeżył śmierć) auftaucht.

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und Bombardierung der Stadt verboten ist, in die Bunker hinabzusteigen oder auch nur ein provisorisches Versteck zu finden: Die Sonne! dachte Lewinsky. Diese verdammte Sonne! Sie gab alles unbarm­ herzig preis. Warum schoß man nicht die Sonne aus? Es war, als stände man nackt unter riesigen Scheinwerfern, fertig für die Zielvorrichtungen der Flugzeuge. Wenn nur eine Wolke käme, einen Augenblick nur!53

Nur das Lager scheint unveränderlich und unzerstörbar, wird zum ganzen Universum – es herrscht allmächtig und unumschränkt, es ist hier die Emanation und Verkörperung der grausamen und schrecklichen Gottheit, die die Ideologie geschaffen hat.54 Eine irrationale, abstrakte Ideologie, die nicht nur in eine ganz reale, kalte, geplante und institutionalisierte Form der Aggression und Zerstörung, in Gewalt und physische Vernichtung umgesetzt wurde, sondern auch die kognitive Reflexion ersetzte und verzerrte, den Blick auf die Realität und die Sicht auf die Welt entstellte. Denn das Böse der Lager ist ein reales Böses, aber gleichzeitig auch ein totales Böses, denn dahinter steht ein untrennbar damit verbundenes System, undurchdringlich für Argumente und rationales Denken, abgeschottet von der Welt wie das Lager selbst, ein System, das die Hauptquelle und der Motor der Unterdrückung ist, dessen einzelne Schergen nur Vollstrecker sind, Marionetten, die von seiner verborgenen Maschinerie bewegt werden (»Der Kolonnenführer blickte sich um. [...] Er hätte gerne um Weisungen telephoniert; aber der Telephondienst war unterbrochen. Er mußte tun, was er am meisten haßte und fürchtete: selbständig handeln.«55; »viele dachten einfach garnichts, weil sie es nie gelernt hatten, fast alle aber hatten das Bewußtsein, daß sie stets auf Befehl gehandelt hatten und dadurch von jeder persönlichen und menschlichen Schuld frei waren«56). Ein System, das auf blindem Gehorsam und Glauben beruhte, schloss eigenständiges Denken und Überlegen aus, ja verbot es sogar. »Sie geben sich keine Mühe, über uns nachzudenken. Sie glauben, daß wir so sind, wie sie wollen, fertig. Sie tun das überall. Sie wissen alles und alles immer besser«57 – fasst 509 zusammen. Und dieser Satz ist das Äquivalent zu »ihnen scheint«, bekannt auch aus dem auf denselben Prinzipien beruhenden kommunistischen Totalitarismus, der von Alexander Watt in Jenseits von Wahrheit und Lüge: mein Jahrhundert beschrieben wurde. Auch dort wurde den Menschen die Möglichkeit genommen, zu entscheiden und 53 Remarque, Der Funke Leben, 301. 54 Siehe Michael Hesemann. Hitlers Religion. Das Wahngebäude des Führers. München: Pattloch, 2004, 405ff. 55 Remarque, Der Funke Leben, 403. 56 Ebd., 463. 57 Ebd., 465.

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eine Wahl zu treffen, und ideologischer Zwang und Manipulation traten an die Stelle der Rationalität des Schlussfolgerns und des Denkens. Der Autor von Der Funke Leben hat äußerst scharfsinnig und sehr treffend auf die Grundlagen des Faschismus hingewiesen, die in der Folge zur Einrichtung von Konzentrationslagern führten, was später von Forschern des Phänomens bestätigt wurde. Michał Podstawski erklärt dies wie folgt: Das Problem der individuellen Freiheit selbst wurde auf eine paradoxe Art und Weise gelöst, die jedoch sehr charakteristisch für die gesellschaftliche Kondition in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist. Die Freiheit als Selbstbestimmungsrecht war zu einer Last geworden, so dass man sie aus reiner Bequemlichkeit an den Verwaltungsapparat abzutreten hatte; zum wahrscheinlich ersten Mal in der Geschichte hatte man es also mit einer groß angelegten Bürok rat isier ung der Frei heit zu tun. Die Tendenz der Verwaltung, eine Politik des Ausschlusses und der Aneignung zu betreiben, ergab sich aus den bereits angedeuteten Verschiebungen im Staatsverständnis und suggerierte einfach eine Lösung des Dilemmas des Individuums mit den Mitteln der Macht [...]. [...] kann man sehr gut sehen, wie hochwirksam die vom Faschismus erzeugten Ersatzkonstrukte von Sinn waren.58

Remarques Roman ist ein Hinweis, eine Charakterisierung und Anklage des systemischen Bösen – eines formlosen, mächtigen Wesens, das die Köpfe formatiert und über die Menschen herrscht, dem wie dem biblischen Moloch Unschuldige zum Opfer gebracht werden, wodurch die Grundlagen dessen zerstört werden, was wir als Quintessenz des Menschseins zu betrachten gewohnt sind. Das Individuum hat in der Auseinandersetzung keine Chance gegen ihn, darin sind sich auch Améry und Levi einig. Es ist ein System, das bricht und zermalmt. Bei Améry ist es ein unumkehrbarer Prozess, der endgültig zerstört und Illusionen über die Natur des menschlichen Wesens nimmt. In Der Funke Leben ist Ruth Holland, die Geliebte von Bucher, des Lagerfreundes von 509, so unwiderruflich und endgültig zerbrochen. Sie weiß (anders als der Erzählerprotagonist von Welt ohne Erbarmen im Nachwort, der bereits frei ist und seine seelenrettende Strategie der »anderen Welt« unwissentlich Lügen straft, als er sich von einem Verständnis suchenden Mithäftling distanziert), dass die Annahme der Haltung, das Lagerleben von den Urteilen und Normen der normalen Welt auszuschließen, in der Freiheit nicht mehr funktionieren wird: 58 Michał Podstawski. Faszyzm jako uobecnienie myth rewolucji, czyli o modernistycznych strategiach społecznej suwerenności. Toruń: Wydawnictwo Adam Marszałek, 2012, 98f.

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»[...] bedeutet nichts, solange wir uns nicht so fühlen.« »Ich fühle mich so.« »Wenn wir herauskommen, nicht mehr.« »Noch mehr.« [...] Wissen lag auf ihr wie Blei. Sie glaubte nichts von dem, was er [Bucher, Anm. A. Sz.] so sicher erwartete [...].59

Levis Versuch, das Wesen dieses Systems zu verstehen, bringt dagegen den Glauben mit sich, dass nicht alles verloren ist, dass ein Heilmittel gefunden werden kann und soll. Die Erklärung ist eine Reflexion, eine Betrachtung des Bösen, aber auch des Guten, auf der Basis komplementärer Gegensätze, denn beide bleiben solange im Bereich abstrakter Begriffe, bis sie in die Tat umgesetzt und im individuellen menschlichen Schicksal konkretisiert werden. Im Schicksal des Anderen, mit dem man – gegen den Instinkt des Überlebens – die letzte Brotkruste teilt. Und das ist der Weg, den auch der Autor von Der Funke Leben wählt: nicht Rache, sondern Gerechtigkeit, nicht Vergeltung, sondern Analyse und Reflexion als Anfang von Wiedergutmachung und Hoffnung, beginnend mit einem Akt des Willens – Widerstand und Dissens, die Wiedergewinnung von Subjektivität und Würde. Die Häftlinge erkennen dies in dem Moment, in dem ihre Kolonne an den Deutschen vorbeizieht, die aus der bombardierten Stadt fliehen, und sie können nach Jahren der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung endlich die Existenz einer anderen, nicht greifbaren Kraft spüren – der Gerechtigkeit und des Glaubens an das Gute: Sie spürten kaum ein Gefühl von Revanche. Auch keinen Haß. Frauen und Kinder waren überall dieselben, und es waren gewöhnlich viel öfter die Unschuldigen, die von einem Verhängnis getroffen wurden als die Schul­ digen. Unter dieser müden Masse waren sicher viele, die nichts bewußt gewollt und nichts getan hatten, was ihr Schicksal rechtfertigte. Das war es auch nicht, was die Gefangenen spürten. Es war etwas ganz anderes. Es hatte nichts mit den Einzelnen zu tun; es hatte auch wenig mit der Stadt zu schaffen; nicht einmal viel mit dem Lande oder der Nation; es war eher das Gefühl einer ungeheuren, unpersönlichen Gerechtigkeit, das in dem Augenblick aufsprang, als die beiden Kolonnen einander passierten. Ein Weltfrevel war verübt worden und fast geglückt; die Gebote der Mensch­ lichkeit waren umgestoßen und fast zertrampelt worden; das Gesetz des Lebens war bespuckt, zerpeitscht und zerschossen worden; Raub war legal, Mord verdienstvoll, Terror Gesetz geworden; – und jetzt, plötzlich, in die­ sem atemlosen Augenblick, fühlten vierhundert Opfer der Willkür hier, 59 Remarque, Der Funke Leben, 414f.

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daß es genug war, – daß eine Stimme gesprochen hatte und daß das Pendel zurückschwang. Sie spürten, daß es nicht nur Länder und Völker waren, die gerettet werden würden; es waren die Gebote des Lebens selbst. Es war das, wofür es viele Namen gab, – und einer, der älteste und einfachste war: Gott. Und das hieß: Mensch.60

Natürlich kann eine solche Explikation als unberechtigter Optimismus eines Humanisten angesehen werden, der bis zum Schluss an die Unbezwingbarkeit und Stärke des menschlichen Geistes glaubt.61 Remarque zeigt jedoch, dass das wahre Böse besiegt werden kann, auch wenn dieser Sieg mit großen Anstrengungen und Kosten verbunden ist. Und immer, auch wenn er in der realen Dimension keine konkreten Ergebnisse bringt, bedeutet er Hoffnung und eine Chance auf Erneuerung. Denn erst der Sieg über das reale Böse öffnet das Feld für die Erneuerung, für die Erinnerung an die Kodizes und Maßstäbe, an die auch die Gefangenen einst glaubten. Das finale Duell zwischen 509 bzw. Friedrich Koller und Weber ist nicht nur ein reales Duell (Koller schießt auf Weber, der die Baracken mit den darin eingeschlossenen Häftlingen in Brand setzt, wird aber auch von Weber selbst tödlich getroffen), es ist ein Duell der Blicke, das die Züge der mittelalterlichen Psychomachia trägt, eines Aufeinandertreffens der Kräfte und Mächte des Guten und des Bösen, die über die individuellen Existenzen hinausgehen, obwohl sie von diesen personifiziert werden: 509 versuchte zu denken; er wollte noch einmal finden, worauf es ankam und was es war. Es sollte ihm mehr Kraft geben. Es hatte mit dem Einfachs­ ten im Menschen zu tun und ohne es würde die Welt zerstört werden, das wußte sein müdes Gehirn noch. Durch es würde auch das andere vernichtet werden, das absolut Böse; der Antichrist; die Todsünde gegen den Geist. Worte, dachte er. Sie sagten nur wenig. Aber wozu noch Worte? Er mußte ausharren. Es mußte sterben vor ihm. Das war alles.62.

Zwischen Vergebung und Verdammnis liegt also ein Erklärungsversuch, um sicherzustellen, dass sich ein solches Übel nie wieder ereignet, um es in Zukunft zu verhindern, was nicht Vergebung bedeutet, denn es handelt sich um ein unverzeihliches Böses und daher zweifellos um eines, das eine eindeutige Verdammnis, Stigmatisierung und Strafe verdient. Verständnis bedeutet auch nicht Rechtfertigung, sondern eine Vivisektion des Bösen, um zu zeigen, wie die Gemüter infiziert 60 Ebd., 200f. 61 Siehe Erich Maria Remarque. Ein militanter Pazifist. Texte und Interviews 1929–1966. Hg. und mit einem Vorwort von Thomas F. Schneider. Köln: Kiepenheuer und Witsch, 1994, 138f. 62 Remarque, Der Funke Leben, 475f.

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wurden, bis hin zu dieser Bereitschaft, eine verbrecherische Ideologie anzunehmen, die nicht nur alles freisprach, was bis dahin außerhalb des ethischen Grundrahmens lag, sondern dieses systemische Böse in den Rang von Tugend und Güte erhob. Die Umkehrung dieser Argumentation führt auch zu der Schlussfolgerung, dass kein anderes System, auch nicht mit den gegenteiligen, scheinbar positiven Wertetiketten auf seinen Bannern, dieses Böse ausrotten kann. Das kann nur ein Individuum, ein einzelner Mensch, diesmal nicht wehrlos, sondern ausgestattet mit dem Wissen, wie dieses Böse funktioniert, was seine Mechanismen und Formen sind, und wie man also versuchen kann, es zu neutralisieren und zu entschärfen, bevor es sich entwickelt, bevor es wieder zu spät ist. Und das ist die Botschaft von Der Funke Leben.

Alexandra Juster

Erich Maria Remarques Die Nacht von Lissabon und Arc de Triomphe Widerläufige Erinnerungsdiskurse

In diesem Beitrag soll am Beispiel der Romane Arc de Triomphe (1945) und Die Nacht von Lissabon (1961) von Erich Maria Remarque die Möglichkeit des widerläufigen Erinnerungsdiskurses nicht nur im Spannungsfeld zwischen Kollektiven oder Kollektiven und Individuen, sondern auch im allein individuellen Erinnerungsraum zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgezeigt werden. Nach einer kurzen Einführung zur aktuellen Erinnerungsdebatte wird zunächst auf Remarques persönliches Verständnis von Erinnerung und Vergessen verwiesen, um anschließend die Dialektik zwischen Erinnerungs- und Vergessensdiskursen im Zwiespalt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Schuld und Unschuld, am Beispiel der Figuren Ravic in Arc de Triomphe und Schwarz II in Die Nacht von Lissabon zu untersuchen.

Einführung Die jüngste Erscheinung im deutschen Sprachraum der Übersetzung von Michael Rothmans Arbeit zur multidirektionalen Erinnerung1 hat die Debatte zum Erinnerungsdiskurs und dessen unterschiedlichen Ausformungsmöglichkeiten erneut dynamisiert. Sie reicht von Rothmans Entgrenzung des Holocaustdiskurses mit der möglichen Erschließung von Verbindungsräumen zu anderen Kollektivtraumata wie Kolonialverbrechen und Sklaverei bis zu unterschiedlichen Erinnerungsmustern und Gegenerinnerungen zwischen Individual- und Kollektivgedächtnis. 1 Michael Rothberg. Multidirektionale Erinnerung. Holocaustdenken im Zeitalter der Dekolonisierung. Berlin: Metropol, 2021.

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Der aktuell wütende Krieg zwischen Russland und der Ukraine vor den Toren Europas befeuert zusätzlich den literarischen Erinnerungsdiskurs ukrainischer Schriftsteller wie Daryna Gladun, Serhij Zhadan, Oxana Sabuschko, Lesyk Panasiuk, Juri Andruchowytsch, Ljubko Deresch, Andrej Kurkov, Tanja Maljartschuk, Anatoli Rybakow,2 um nur einige zu nennen, gegen den Krieg und gegen das Vergessen der multikulturellen und historischen Vergangenheit der Ukraine. Somit gibt es zurzeit genügend Anlass, sich mit literarischen Erinnerungsdiskursen zu befassen, deren Dringlichkeit, nach dem Zweiten Weltkrieg wie heute, Anlass zu literarischer Produktion geboten hat und nun wiederum bietet. Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren auf Seiten der deutschen Bevölkerung vom Willen der Verdrängung und auf Seiten zahlreicher jüdischer, exilierter oder aus dem Exil heimkehrender Schriftsteller vom Wunsch der Vergangenheitsaufarbeitung geprägt. Dazu gehörten unter anderen die in Deutschland verbliebenen Autoren Ilse Aichinger, Jurek Becker, Wolfgang Borchert, Heinrich Böll, Günter Grass,3 Arno Schmidt und Paul Celan, die im Exil verbliebenen Autoren Erich Maria Remarque, Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Else Lasker-Schüler, Franz Werfel sowie die Rückkehrer aus dem Exil Willi Bredel, Anna Seghers, Arnold Zweig, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Stefan Heym, Bodo Uhse,4 um nur einige zu nennen. In ihren Werken beschäftigen sich die Autoren mit der Aufarbeitung der traumatischen Kriegsereignisse sowie deren Folgen und Auswirkungen auf die Gegenwart. Die Brennpunkte ihres literarischen Schreibens fokussieren die Suche nach der Schuld sowie die Frage nach der Beziehungsgestaltung zwischen Vergangenheit und Gegenwart.5 Dass die Aufarbeitung des Geschehenen keineswegs ein spontanes allgemeines Anliegen darstellte, sondern, im Gegenteil, durch den Verdrängungsmechanismus unterdrückt wurde, bringt Alfred Döblin mit großer Enttäuschung zum Ausdruck: »Man hat nichts gelernt und es ist alles, bis auf die Vertreibung von Hitler, gleich geblieben«.6 Hier setzt die Aufgabe der Literatur an, dem Verdrängungsdiskurs den Erinnerungsdiskurs entgegenzusetzen, um das kollektive Gedächtnis vor dem Vergessen der dramatischen Geschehnisse zu bewahren. Sie versucht dies, wie Horst 2 Siehe Clemens Hoffmann. »Ukranische Autoren und der Krieg – Schreiben im Ausnahmezustand«. SWR2, 22.02.2023 (https://www.swr.de/swr2/wissen/ukrainische-autoren-und-der-krieg-schreibenim-ausnahmezustand-swr2-wissen-2023-02-23-100.html (02.04.2023); Katharina Raabe, Kateryna Mishchenko (eds.). Aus dem Nebel des Krieges: Die Gegenwart der Ukraine. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2023; Yvonne Pörzgen. Ukrainische Gegenwartsliteratur. München: text-kritik, 2022. 3 Horst S. Daemmrich. Vergangenheit: Perspektiven in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2017, 9–10. 4 Ralf Schnell. »Deutsche Literatur nach 1945«. Wolfgang Beutin u.a. (eds.). Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin: Metzler, 2019, 486–487. 5 Daemmrich, Vergangenheit, 9. 6 Schnell, »Deutsche Literatur«, 487.

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Daemmrich hervorhebt, indem sie individuellen Erlebnissen eine geschichtliche Deutung beimisst, um »ein Geschichtsbewusstsein zu vermitteln, das im Konkreten das Allgemeine erfasst«.7 Denn wie Erich Maria Remarque gegenüber Robert van Gelder erläutert, bedeuten den Menschen große, anonyme Zahlen und Größen wenig. Eine literarische Botschaft könne nur eindrücklich durch individualisierende Fiktion vermittelt werden, möchte sie bei den Lesern wirksam greifen: Das Schwierige liegt darin, dass wir uns auf unsere Fantasie nicht stützen können. Wenn ich sage: Fünf Millionen kamen um, so sagt diese Zahl nichts. Fünf Millionen Tote kommen einem Todesfall nicht gleich […]. Wenn ich aber sage, fünf kamen um, dann könnte diese Schwierigkeit zum Schwinden gebracht werden. Und wenn ich mitteile, einer starb – ein Mensch, den ich für euch schuf, damit ihr ihn kennt und versteht […], dann habe ich euch vielleicht etwas erzählt, das ihr von den Nazis wissen solltet.8

Thomas Schneider betont ebenso die »Bedeutung der Individuation für die Erinnerung«,9 die Remarque in seinem Roman Im Westen nichts Neues (1929) besonders eindrücklich in der Szene zwischen Paul Bäumer und dem französischen Soldaten Duval illustriert: Bäumer und Duval treffen in einem Granattrichter aufeinander, Bäumer ersticht Duval, um sein eigenes Leben zu retten. Solange die Leiche anonym bleibt, ist die psychologische Möglichkeit der Überwindung dieses Erlebnisses gegeben. Sobald jedoch dieser anonyme Soldat einen Namen, eine Identität bekommt, graviert sich dessen Tod in das Gedächtnis des Überlebenden ein: Seine Uniform steht noch halb offen. Die Brieftasche ist leicht zu finden. Aber ich zögere, sie zu öffnen. In ihr ist das Buch mit seinem Namen. Solange ich seinen Namen nicht weiß, kann ich ihn vielleicht noch verges­ sen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein Nagel, der in mir eingeschlagen wird und nie mehr herauszubringen ist. Er hat die Kraft, alles in mir wieder zurückzurufen, es wird stets wiederkommen und vor mich hintreten können.10

7 Daemmrich, Vergangenheit, 11. 8 Robert van Gelder. Prominente plaudern. Wien: Humboldt, 1948, 256. 9 Thomas F. Schneider. »Literatur als Gedenkort. Der Unbekannte Soldat und Erich Maria Remarque«. Quaderns de Filologia: Estudis Literaris XXIV, 2019, 119–135, hier 126. 10 Erich Maria Remarque. Im Westen nichts Neues. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2013, 225–226.

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Jede personifizierte, erinnernde Erlebnisschilderung erfährt schließlich eine Verortung im kollektiven Gedächtnis, denn, wie Astrid Erll erklärt, hängen Gedächtnis, Erinnerung und Vergessen »auf individueller wie kollektiver Ebene eng miteinander zusammen […]«.11 Dieser Zusammenhang liefert, nach Maurice Halbwachs, dem Gedächtnis das Instrument, »um ein Bild der Vergangenheit wiederzuerstellen, das sich für jede Epoche im Einklang mit den herrschenden Gedanken der Gesellschaft befindet«.12 Für Astrid Erll besteht, zusammenfassend, über die Disziplinen hinweg weitgehend Einigkeit, dass Erinnern als ein Prozess, Erinnerungen als dessen Ergebnis und Gedächtnis als eine Fähigkeit oder eine veränderliche Struktur zu konzipieren« sei.13 Dabei seien Erinnerungen »subjektive, hochgradig selektive und von der Abrufsituation abhängige Rekonstruktionen«,14 die die eine Seite des Gedächtnisses bilden, während die andere Seite durch das Vergessen, als »notwendige Ökonomie des Gedächtnisses«15 ergänzt wird.16 Die Fähigkeit wiederum zu vergessen sei, nach Aleida Assmann, unabdinglich, um schmerzliche Erfahrungen zu überwinden und den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen zu sein.17 Das mit dem individuellen Gedächtnis eng verbundene kollektive Gedächtnis versucht Gegenwart und Vergangenheit zu verbinden, wobei es, nach Birgit Neumann, danach trachte, jene Gegebenheiten hervorzuheben, die zur Herausbildung einer kollektiven Identität beizutragen vermögen.18 Minoritäre Erinnerungsströme können dabei widerläufig zur dominanten Erinnerungsdoktrin verlaufen und, wie Neumann es definiert, ein »Gedächtnis zweiter Ordnung befördern«.19 Wie sehr die Gegenwart als Ausfluss der Vergangenheit zu verstehen sei, erläutert Christoph Hein: Ich jedenfalls bezweifle, dass es das Wesen der Vergangenheit ist, nicht Gegenwart zu sein. Im Gegenteil: Vergangenheit ist der unveränderbare, sichere und weitgehend auch gesicherte Teil unserer Gegenwart. […] Denn 11 Astrid Erll. Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Berlin: Metzler, 2017, 6. 12 Sabine Moller. »Erinnerung und Gedächtnis«. Docupedia-Zeitgeschichte, 12.04.2010. (http://docupedia.de/zg/Erinnerung_und_Gedächtnis (04.04.2023), 22f. 13 Erll, Kollektives Gedächtnis, 6. 14 Ebd. 15 Ebd., 7. 16 Vgl. Aleida Assmann, Jan Assmann. »Schrift und Gedächtnis«. Aleida Assmann, u.a. (eds.). Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München: Fink, 1993, 265–284. 17 Assmann, Schrift und Gedächtnis, 51. 18 Siehe Carsten Gansel. »Die ›Grenzen des Sagbaren überschreiten‹ – Zu ›Formen der Erinnerung‹ in der Literatur der DDR«. Rhetorik der Erinnerung – Literatur und Gedächtnis in den ›geschlossenen Gesellschaften‹ des Real-Sozialismus zwischen 1945 und 1989. Göttingen: V&R unipress, 2009, 75. 19 Ebd., 113f.

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Vergangenheit vergeht nicht, kann nicht vergehen, so wie die Toten nicht sterben und ein zweites Mal begraben werden können«.20

Remarque bringt diesen engen Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit mit etwas ›rustikalen‹ Worten in einem Interview mit Heinz Liepman für die Zürcher Woche auf den Punkt: »Man kann alten Dreck nicht vergraben, er fängt immer wieder an zu stinken«.21 In diesem Raum des Interagierens zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis, entsteht die individuelle Erinnerung, als ein Produkt von bewussten und unbewussten sinnlichen und geistigen Eindrücken,22 die nach dem Neuropsychologen Daniel L. Schacter durch die persönliche Perzeption der Vergangenheits- und Gegenwartserfahrungen determiniert werden: »Erinnerungen sind die hinfälligen, aber machtvollen Produkte dessen, was wir aus der Vergangenheit behalten, über die Gegenwart glauben und von der Zukunft erwarten«.23 Insbesondere in seinen Romanen Arc de Triomphe (1945) und Die Nacht von Lissabon (1961) beschäftigt sich Remarque mit den Fragen der Erinnerung und des Vergessens, die notwendigerweise Gegenwart und Vergangenheit eng miteinander verknüpfen.24 Wie in der Folge aufgezeigt werden soll, besteht in Arc de Triomphe ein widerläufiges Verhältnis zwischen vergeltender Erinnerung und resilientem Vergessen, während in Die Nacht von Lissabon die authentische gegen die verfälschte Erinnerung ankämpft. In der Folge soll die Möglichkeit der Dialektik widerläufiger Erinnerungen im individuellen Raum aufgezeigt werden, in dem Sinne, dass die Widerläufigkeit nicht nur im Spannungsfeld zwischen kollektiven Erinnerungen oder zwischen kollektiven und individuellen Erinnerungen stattfinden kann, sondern ebenso innerhalb der allein individuellen Erinnerung im Zwiespalt zwischen Erinnern und Vergessen sowie zwischen Wahrheit und Fiktion. Remarques persönliches Verständnis des Erinnerungs-und Vergessensdiskurses kommt deutlich zutage in dem knapp vor seinem Tod begonnenen Manuskriptfragment »Der Kranke«.25 Besonders beschäftigt ihn die Frage nach der 20 Siehe Daemmrich, Vergangenheit, 15. 21 Heinz Liepman. »Remarque und die Deutschen. Ein Gespräch mit Erich Maria Remarque«. Zürcher Woche Nr. 7, 30.11.1962. 22 Erll, Kollektives Gedächtnis, 6. 23 Daniel L. Schacter. Wir sind Erinnerung, Gedächtnis und Persönlichkeit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1999, 496. 24 Schneider, »Literatur als Gedenkort«, 123. 25 Erich M. Remarque. »Der Kranke«. Claudia Glunz, Thomas F. Schneider (eds.). RemarqueForschung 1930–2010: ein bibliografischer Bericht. Göttingen: V&R unipress mit Universitätsverlag Osnabrück, 2010.

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Authentizität der eigenen Erinnerung, die im zeitlichen Abstand stets Gefahr läuft, diesem Anspruch nicht mehr gerecht zu werden. So schreibt Remarque auf seinem Krankenbett: War nicht nur das wahr, was er empfand? Wer war der Zeuge, der einzige, wenn nicht er selbst? […] Er beginnt die Vergangenheit so zu leben in der Erinnerung, wie er es vielleicht gewollt hätte. […] Dabei fließen gewollte Erinnerung, Phantasie u. Gegenwart ineinander.26

Die Erinnerungsfähigkeit ist für Remarque ein Lebensbeweis, wohingegen das Vergessen dem Tod gleichkommt, weshalb die Erinnerung um jeden Preis aufrechterhalten werden muss, selbst um jenen des Wahrheitsverlusts: Die Jagd nach Erinnerung (als Jagd nach dem Leben) ist plötzlich: eine Jagd nach dem Tod, nach gelebtem gestorbenem Leben, nach Leichen der Erinnerungen. […] Nur der Traum, der selbstschöpferische, ist noch Zukunft, Leben, im »Ich«.27

Die authentische oder verfälschte Erinnerung ist der Lebenssaft, den es zu erhalten gilt, um dem tödlichen Vergessen der eigenen Vergangenheit zu entkommen: Sein Leben stirbt, weil er es vergisst. […] Um sich zu retten, erfindet er neues. Seine Phantasie, – aber sie muss so sein, dass sie wirklich wird oder ihm »so« vorkommt. In den wachen Nächten erfindet er, – u. versucht sie mit in den Schlaf zu nehmen […].28

Und weiter postuliert Remarque mit Nachdruck die Erinnerung als notwendigen Lebensbeweis: Ich breche die Verließe des Vergessens auf. Denn was ist das Leben? Nur, was man erinnert! Ich habe aber so vieles vergessen! […] Ich werde mir eine neue Erinnerung schaffen. Wer fragt danach, ob sie wahr ist, ob sie war? Was war, ist nicht wahr.29

26 Ebd., 16. 27 Ebd., 12. 28 Ebd., 11. 29 Ebd., 14.

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Diese Unverlässlichkeit der Erinnerung als fragiles Konzept illustriert Remarque sehr anschaulich am Beispiel der Erinnerung an Krieg und Tod, deren Authentizität den Toten selbst vorbehalten bleibe, ohne sie jedoch bezeugen zu können: Die Schwierigkeit mit dem Krieg ist, dass die Leute, die ihn wollen, nicht erwarten, in ihm zu sterben. Und die Schwierigkeit mit unserer Erinnerung ist, dass sie vergisst und verändert und verfälscht, um zu überleben. Sie macht den Tod zu einem Abenteuer, wenn der Tod dich verfehlt. Aber der Tod ist kein Abenteuer: Töten ist der Sinn des Krieges, - nicht überleben. Darum könnten nur die Toten uns die Wahrheit über den Krieg erzählen. Worte der Überlebenden können es niemals vollständig: Filme können es manchmal. Das Auge ist ein stärkerer Verführer als das Wort.30

Remarques persönliche Erfahrung als Flüchtender vor dem Nationalsozialismus und als Exilierter zwischen Verneinung und Bejahung, zwischen Depression und Euphorie, zwischen Ernüchterung und Illusion, zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Erinnern und Vergessen prägen seine Werke durch und durch und so auch die beiden Romane Arc de Triomphe und Die Nacht von Lissabon, die in der Folge vergleichend auf mögliche widerläufige, individuelle Erinnerungsdiskurse untersucht werden sollen. Es wird dabei nicht darum gehen, zu versuchen, individuelle Erinnerungsmuster mit dem kollektiven Erinnerungsdiskurs zu verbinden, sondern darum, die Widerläufigkeit der individuellen Erinnerung zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein und desselben Individuums aufzuzeigen. Des Weiteren soll auf die Bedeutungszuweisung der diegetischen Kontrastierung zwischen Vergangenheit und Gegenwart für die Betroffenen verwiesen werden, die sich zwischen Lebensverneinung und -bejahung, zwischen Schuldbelastung und -enthebung bewegt.

Arc de Triomphe Erinnerung zwischen Vergeltungs- und Resilienzbedürfnis Remarque verarbeitet in Arc de Triomphe das Thema des vertriebenen, heimatlosen deutschen Staatsbürgers, der vorläufig in Paris einen unsicheren Zufluchtsort findet und mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, wider seinen Willen, zum Staatsfeind mutiert.

30 Erich Maria Remarque. Das Auge ist ein starker Verführer. Typoskript: »The Eye is a Strong Seducer«. Nachlass Remarques, New York University, Fales Library, Remarque-Collection, Sigle R-C 1.305/001.

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Ravic, von Beruf Chirurg und mit echtem Namen Ludwig Fresenburg, wird 1933 gemeinsam mit seiner Geliebten Sybil in einem Konzentrationslager interniert, weil er zwei jüdischen Freunden geholfen hat. Nachdem Sybil durch den Nazi Haake auf grausamste Weise vor den Augen Ravics zu Tode gequält worden ist, gelingt es letzterem nach Frankreich zu entkommen und illegal als Chirurg einer Frauenklinik und Gynäkologe eines Pariser Bordells im Untergrund der Gesellschaft zu überleben. Dieses Schicksal teilt er mit den Insassen seiner dürftigen Bleibe, dem Hotel International, einem Hotel für »Réfugiés«, das keine Identitätsnachweise verlangt. Tagtäglich sucht Ravic die traumatische Erfahrung von Haakes Grausamkeiten an Sybil heim und behindert jeglichen Versuch, sich im Hier und Jetzt zu verankern. Die Vergangenheit holt ihn besonders nachts ein und ruft nach Rache. Tagsüber behindern nur übermäßiger Konsum von Calvados, zahlreiche schlecht bezahlte Operationen und Sorgen des Lebens im Untergrund die unaufhörliche Beschäftigung mit dem Trauma der Vergangenheit. Verstockt im Wunsch nach Rache an Sybils Peiniger Haake, fühlt sich Ravic außerstande, sein Herz zu öffnen, um ein neues Leben zu beginnen…bis er in einer der langen schlaflosen Nächte auf Joan Madou trifft. Wenn auch die komplizierte Liebesbeziehung zu Joan durch deren Selbstmord ein tragisches Ende nimmt, so kann Ravic zuletzt dennoch Resilienz an seinem Schicksal üben, denn es gelingt ihm, Haake im Pariser Bois de Boulogne zu ermorden. Die traumatische Erinnerung an Sybils Tod und das Verlangen nach Rache legen sich wie Blei über Ravics Leben: »Er saß Stunde um Stunde da, vergraben in der Finsternis der Vergangenheit, in der nur ein einziges schwaches Licht brannte: die Hoffnung auf Rache«.31 Die ständige Vergegenwärtigung des Traumas hält Ravic davon ab, sich der Liebe Joans zu öffnen und wird ihm letztendlich deren Verlust bescheren: War er nicht ein Narr, dass er einer Täuschung nachjagte, dem Reflex einer verknäuelten, schwarzen Erinnerung, einer finsteren Reaktion – dass er wieder zu wühlen begann in den Schlacken toter Jahre, aufgerührt durch einen Zufall, eine verfluchte Ähnlichkeit – dass er ein Stück verfaulter Vergangenheit, eine Schwäche kaum verheilter Neurose wieder aufbrechen ließ und alles dadurch in Gefahr brachte, was er in sich aufgebaut hatte, und den einzigen Menschen, in all dem Gleiten, der ihm verbunden war?32

Das Ankämpfen gegen die eigene Vergangenheit, die sich besonders in der Nacht breit macht, verlangt ungeheure Energie, die Ravic in Erschöpfungszuständen 31 Erich Maria Remarque. Arc de Triomphe. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1997, 246. 32 Ebd., 251.

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zurücklässt und ihn im unmäßigen Konsum von Calvados und in durchwachten Nächten Zuflucht suchen lässt. Er ist nicht nur äußerlich als Flüchtling getrieben, sondern auch innerlich, im eigenen Geiste, jenem Geist, der erfolglos gegen die aufwallenden Erinnerungen ankämpft.33 Rachegelüste und dunkle Erinnerungen versperren ihm den Weg zur Gegenwart. Ravic wird im Zwiespalt zwischen Rachelust und Resilienzbedürfnis zerrieben. Hat es denn noch Sinn, sich an Haake zu rächen? Wäre es nicht einfacher, die Vergangenheit ruhen zu lassen? Was geht es mich noch an, dieses Melodrama aus einer fast vergessenen Vergangenheit? Was geht mich selbst dieser Mensch noch an, dieses kleine, zufällige Instrument, dieses belanglose Werkzeug in einem Stück finsteren Mittelalters, einer Sonnenfinsternis in Mitteleuropa? Was ging es ihn noch an?34

Remarque verweist hier auf die Verantwortung des Einzelnen, dem Grauen nicht gleichgültig und apathisch den Rücken zuzukehren.35 So entschließt sich Ravic letztlich, Haake zu ermorden, und dies aus zweierlei Gründen: um seinen moralisch notwendigen Beitrag im Kampf gegen das Böse zu leisten und um durch die erfüllte Rache selbst zur Ruhe zu kommen. Nun erst öffnet sich ihm wieder die Türe zu einem neuen Leben: »Eine verklemmte, verschlossene, blutüberkrustete Tür in seiner Vergangenheit öffnete sich auf einmal leicht und lautlos, und ein Garten war wieder dahinter, und nicht ein Gestapokeller«.36 Die Erfüllung der Rache am Peiniger seiner einstigen Geliebten Sybil hat eine befriedende, abschließende Wirkung auf Ravic, der nun keinen Grund mehr sieht, sich gegen sein Schicksal zu wehren: Es war alles gut. Das, was gewesen war, und das, was kam. Es war genug. Wenn es das Ende sein würde, so war es gut. Er hatte einen Menschen geliebt und ihn verloren. Er hatte einen andern gehasst und ihn getötet. Bei­ de hatten ihn befreit. Der eine hatte sein Gefühl wieder aufbrechen lassen, der andere seine Vergangenheit ausgelöscht. Es war nichts zurückgeblieben, was unerfüllt war. Es war kein Wunsch mehr da; kein Hass und keine Kla­ ge. Wenn es ein neues Beginnen war, so war es das. Ohne Erwartung, die gestärkt und nicht zerrissen war, würde man anfangen. Die Aschen waren

33 Ebd., 301–304. 34 Ebd., 574. 35 Ebd., 575. 36 Ebd., 618.

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ausgeräumt, paralysierte Stellen lebten wieder, aus Zynismus war Stärke geworden. Es war gut.37

Hier kommt die heilende Wirkung des Vergessens zum Tragen, nachdem Ravic mit dem Trauma der Vergangenheit durch Rache abgeschlossen hat. Eine heilende Wirkung, die es Ravic erlaubt, sein Leben nun im Hier und Jetzt zu verankern um –  Bezug nehmend auf die Worte von Aleida Assmann – »schmerzliche Erfahrungen zu überwinden und den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen zu sein«.38 Mit der Ermordung des Nazis Haake erlangt Ravic nicht nur die Gewissheit, seine Geliebte Sybil gerächt zu haben, sondern auch das beruhigende Gefühl für sein Gewissen, seinen Beitrag zum Widerstand gegen das Grauen der Hitlerdiktatur geleistet zu haben: Das war es! Das hatte sie groß werden lassen, dass man müde wurde, dass man vergessen wollte, dass man dachte: was geht es mich noch an? Das war es! Einer weniger! Ja, einer weniger – das war nichts, aber es war auch alles! Alles!39

Es ist Ravic wichtig, der Apathie gegenüber der Nazidiktatur Absage zu leisten und so durch moralische Resilienz seine Psyche zu befreien. Entbunden von den Fesseln der Vergangenheit, kann er wieder in den Dimensionen der Gegenwart und der Zukunft denken. Remarque zeigt hier am Beispiels Ravics die Notwendigkeit der Vergangenheitsbewältigung, um sich der Gegenwart stellen zu können. Während das Vergessen Ravic den Blick in die Zukunft ermöglicht, erfüllt die Erinnerung für ihn nicht nur die Funktion der Registrierung und Bezeugung vergangener Erlebnisse, sondern gewährt ihm in seinem haltlosen Flüchtlingsdasein auch identitäre Verankerungspunkte, um in einem instabilen Raum überleben zu können. Denn Ravic ist dazu verdammt, als illegaler Flüchtling im Schatten der Gesellschaft zu leben, im Niemandsland zwischen Deutschland und Frankreich: Er muss ohne Identitätsausweise notdürftig in einem obskuren Hotel wohnen, er darf keinen Mietvertag abschließen, er darf nicht regulär arbeiten, er darf nicht heiraten, jegliche legale Existenz mit den ihr anhaftenden Rechten ist ihm untersagt: Ich lebe illegal in Frankreich […] Ich habe keine Papiere. Das ist der wirk­ liche Grund. Deshalb kann ich nie eine Wohnung nehmen. Ich kann auch nie heiraten, wenn ich jemand liebe. Ich brauche Ausweise und Visa dazu.

37 Ebd., 664. 38 Assmann, Schrift und Gedächtnis, 51. 39 Remarque, Arc de Triomphe, 575.

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Die habe ich nicht. Ich darf nicht einmal arbeiten. Ich muss es schwarz tun. Ich kann nie anders leben als jetzt.40

Wobei dieses sich in Schwebe befindliche Fortleben ständig bedroht ist, sollte es unglücklicherweise zu einer Ausweiskontrolle durch die Polizei kommen: »Wenn sie uns erwischt, gibt es ein paar Wochen Gefängnis und Ausweisung über die Grenze. Meistens in die Schweiz. Im Wiederholungsfalle sechs Monate Gefängnis«.41 Exilanten existieren in diesem Vakuum, indem sie sich an künstlich geschaffene Gewohnheiten klammern: »Eine kleine Insel ungewissen Daseins – so saßen sie da und wussten nicht wohin – und nur die Gewohnheit erhielt sie am Leben«.42 Halt- und Orientierungslosigkeit, das Gefühl der Leere, des Alleingelassenseins und der Einsamkeit dominieren die unsichere, schwankende, aussichtslose Gegenwart dieser ständig getriebenen Menschen, die Remarque metaphorisch mit einer zerrissenen Glasperlenkette vergleicht: «Das, was uns früher einmal zusammenhielt, ist heute zerstört. Wir sind heute auseinandergefallen wie eine Kette aus Glasperlen, deren Band zerrissen ist. Nichts ist mehr fest«.43 Der einzige trügerische Anhaltspunkt, der dem Entwurzelten zu verbleiben scheint, ist die Erinnerung an seine eigene Vergangenheit. Die Erinnerung mobilisiert hier die notwendige Energie, um Rache zu nehmen, denn solange letztere nicht vollzogen ist, kann mit der belastenden Vergangenheit nicht abgeschlossen werden, als Voraussetzung für die Freigabe neuer Energie zum Fortleben. Das durch Rache erzwungene Vergessen erscheint hier als Mittel der Lebensbewältigung unter Extrembedingungen, während die Erinnerung auf widerläufig traumatische Erlebnisse fixiert, aber auch Anhaltspunkte in der chaotischen Gegenwart schafft. Wenn erstere eine positive Auflösung durch den Mantel des Vergessens erfahren, so bedürfen letztere der Erinnerungswahrung. Beide Erinnerungskatgorien stehen im Konflikt zueinander und konfligieren zusätzlich mit dem Bedürfnis des Vergessens.

Die Nacht von Lissabon Authentische gegen verfälschte Erinnerung Josef Schwarz (Schwarz II), so heißt der unbekannte Ich-Erzähler des Romans, gelingt es, dank des gefälschten Passes des verstorbenen Josef Schwarz (Schwarz I), aus dem Konzentrationslager der Nazis zu fliehen. Um sein Leben nicht in Deutschland aufs Spiel zu setzen, ist Schwarz dazu verdammt, im Exil zu leben. 40 Ebd., 275. 41 Ebd., 69–70. 42 Ebd., 91. 43 Ebd., 112.

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Nach fünf Jahren Heimatlosigkeit im Ausland treibt ihn die Sehnsucht nach seiner in Osnabrück verbliebenen Frau Helen, unter hohen Gefahren, zurück. Helen lebt immer noch in derselben Wohnung, in der ihr Bruder, ein hoher Parteibonze der NSDAP, Schwarz (II) verhaften und ins Konzentrationslager hatte transportieren lassen. Helen, schwer an Krebs erkrankt, behält dies als Geheimnis für sich und beschließt, nun mit Schwarz (II) das Leben des Flüchtlings im Exil zu teilen: Über die Schweiz gelangen die beiden nach Paris, wo sie eine glückliche gemeinsame Zeit der erneuerten Liebe bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erleben. Plötzlich von deutschen Emigranten zu Kriegsfeinden Frankreichs degradiert, werden die beiden getrennt in Kriegsgefangenenlagern interniert. Sowohl Schwarz als auch Helen gelingt es zu fliehen und sich gemeinsam nach Marseille zu begeben, um von dort aus Lissabon zu erreichen. Helens unerwarteter Tod in Lissabon, als Folge ihres bis dahin geheim gehaltenen, unheilbaren Krebsleiden, entkräften alle Hoffnungen Schwarz’ (II) auf einen neuen Lebensanfang in den Vereinigten Staaten, die beiden Fahrkarten und Pässe für die Überfahrt nach Übersee verlieren damit gänzlich ihren Wert. Schwarz (II) schließt einen Pakt mit einem Unbekannten (Schwarz III) in den Straßen von Lissabon, der genauso, wie er es tat, verzweifelt versucht, sich zwei Pässe und zwei Fahrkarten für eine bessere Zukunft in den Vereinigten Staaten zu verschaffen: Er solle während der kommenden Nacht sein Zuhörer sein, dem er Schwarz (II) das Erlebte und Durchlebte bis ins kleinste Detail anvertraue, bevor er ihm am Morgen seine beiden Fahrkarten und Pässe schenke. Wie Heinrich Placke hervorhebt, geht es im Roman Die Nacht von Lissabon »um den schwierigen Prozess des Sich-Erinnerns und Aussprechens, ebenso aber auch um das Vergessen [...]«.44 So erklärt Schwarz II seinem Zuhörer Schwarz III: Ich begreife jetzt noch nicht, wie alles kam. Deshalb muss ich mit jemand darüber reden. Ich kenne niemand hier. Wenn ich mit jemand darüber rede, wird es noch einmal da sein. Es wird mir ganz klar werden. Und es wird bleiben. [...] Verstehen Sie?45

Im Kampf um das Leben und Überleben, das durch nichtige Umstände zunichte gemacht werden kann, befindet sich Schwarz im ständigen Spannungsfeld zwischen Vergessen und Erinnern als Überlebenstechniken: Das menschliche Gehirn hilft, den Schmerz traumatischer, vergangener Erlebnisse zu mildern, indem es das Gedächtnis fälscht. »Es versucht, das Unerträgliche zu mildern durch die Patina 44 Heinrich Placke. »Nazizeit, Exil und Krieg in E. M. Remarques Roman Die Nacht von Lissabon (1961) – das Sich-Erinnern und Aussprechen«. Ursula Heukenkamp (ed.). Schuld und Sühne. Amsterdam: Brill, 2001, 92. 45 Erich Maria Remarque. Die Nacht von Lissabon. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017, 16.

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des Vergessens«.46 Neben dieser Selbstschutzfunktion des Gedächtnisses, muss sich der Träger eines falschen Passes das Vergessen seiner ursprünglichen Identität antrainieren, um sicher zu gehen, sich in keiner Situation zu verraten: »Es war merkwürdig, als ich den Pass hatte«, sagte Schwarz III. »Ich getraute mich nicht, ihn zu benutzen. Es dauerte ohnehin ein paar Tage, ehe ich mich an den neuen Namen gewöhnte. Ich sagte ihn mir immerfort vor. Ich ging über die Champs-Élysées und murmelte meinen Namen und meine neuen Geburtsdaten. Ich saß im Museum und flüsterte, wenn ich allein war, einen imaginären Dialog; mit scharfer Stimme: ›Schwarz!‹, um sofort aufzuspringen und zu antworten: ›Das bin ich!‹ -, oder ich schnarrte: ›Name!‹, um sofort automatisch daherzuleiern: ›Josef Schwarz, geboren in Wiener Neustadt am 22. Juni 1898‹. Sogar abends vor dem Schlafengehen trainierte ich. Ich wollte nicht irgendwann von einem Polizisten nachts aufgeweckt werden und im Halbschlaf das Falsche sagen. Ich wollte meinen früheren Namen vergessen. Es war ein Unterschied, keinen Pass oder einen falschen zu haben. Der falsche war gefährlicher.«47

Das bewusste Vergessen hilft Schwarz, den Gefahren der Verhaftung und des Todes trotzend, Lissabon zu erreichen, in der Hoffnung, auf ein neues Leben in den Vereinigten Staaten, die jedoch durch Helens unheilbare Krankheit, gefolgt von ihrem Freitod, brutal zerstört wird. In diesem Moment mutiert das Vergessen als Überlebenstechnik zur Gefahr, Erlebtes allmählich bis zur Auslöschung zu verfälschen. Denn nun geht es für Schwarz nicht mehr darum, zu überleben, sondern darum, ohne Helen weiterzuleben, indem er sie in seiner Erinnerung fixiert: »Oder habe ich sie nicht nur verloren, sondern verliere sie jetzt noch einmal, durch die langsam erlöschende Erinnerung jede Sekunde ein wenig mehr? Ich muss sie halten, Herr, verstehen Sie das nicht?«48 Da die vergessende Verflüchtigung Helens ihrem zweiten Tod gleich käme, den Schwarz nicht mit seinem Gewissen verantworten kann, muss er sich auf die mündliche Vermittlung des Erlebten an einen neutralen Dritten als Garant des authentischen Erinnerungsdiskurses stützen:  Was geschieht mit den Toten, die wir lieben? [...] Werden sie nicht immer noch getötet? Wo anders sind sie denn als noch in unserer Erinnerung? Und werden wir da nicht alle zu Mördern, ohne es zu wollen? Soll ich das Gesicht dem Hobel der Zeit überlassen, das Gesicht, das ich allein kenne?

46 Ebd., 105. 47 Ebd., 23. 48 Ebd., 146.

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Ich weiß, dass es in mir verwittern muss und gefälscht wird, wenn ich es nicht herausbringe aus mir, es aufstelle, außer mir, so dass die Lügen mei­ nes weiterlebenden Gehirns es nicht umranken können wie Efeu und es zerstören, bis schließlich nur noch Efeu da ist und es zum Humus für den Schmarotzer Zeit wird! Ich weiß das! Deshalb muss ich es ja sogar vor mir selbst retten, vor dem fressenden Egoismus des Weiterlebenwollens, der es vergessen und zerstören will!49

Schwarz II sieht hier im unbändigen Überlebenswillen des Menschen die Gefahr der Erinnerungsverfälschung als moralische Belastung, die das zukünftige Leben zu beschatten droht, zermalmt zwischen dem egoistischen Willen zu vergessen, um zu leben, und der moralischen Verpflichtung des unverfälschten Erinnerns, um reinen Gewissens fortzuleben. Authentischer und verfälschter Erinnerungsdiskurs stehen sich in ein und derselben Person gegenüber. Wenn die kurzlebige authentische Erinnerung nicht fixiert wird, so kommt es notwendigerweise zu widerläufigen, mit der Zeit changierenden individuellen Erinnerungsdiskursen, die sich mit dem zeitlichen Abstand intensivieren, je weiter sie sich von der realen Erinnerung entfernen. Hier besteht die Gefahr, wie Remarque es selbst hervorhebt, »die Vergangenheit so zu leben in der Erinnerung, wie er es vielleicht gewollt hätte. […] Dabei fließen gewollte Erinnerung, Phantasie u. Gegenwart ineinander«.50 So entsteht ein widerläufiger Erinnerungsstrom zwischen dem wirklich Erlebten und der progressiv abgeänderten Version desselben im Gedächtnis ein und desselben Individuums.

Fazit Wie auch Thomas Schneider bemerkt, geht es hier um die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit der fließenden menschlichen Erinnerung51 und des Lebens selbst.52 In beiden Romanen, Arc de Triomphe und Die Nacht von Lissabon, spielt der widerläufige Gedächtnisdiskurs des Individuums, zwischen Erinnern und Vergessen eine zentrale Rolle, jedoch mit unterschiedlicher Finalität: Während für Ravic in Arc de Triomphe die Aufrechterhaltung der Erinnerung, einerseits, Haakes Grausamkeiten festhält und so zur Erfüllung der Rache führt, aber andererseits 49 Ebd., 165–166. 50 Ebd., 16. 51 Ebd., 181. 52 Thomas F. Schneider. »Käfig aus goldenen Tränen: Zu Erich Maria Remarques Die Nacht von Lissabon«. Erich M. Remarque. Die Nacht von Lissabon. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 2017, 361–380, hier 380.

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auch identitäre Anhaltspunkte liefert, sorgt sich Schwarz II in Die Nacht von Lissabon um die begrenzte Fähigkeit des menschlichen Gedächtnisses, authentische Erinnerungen unverändert aufzubewahren. Erst die erfolgte Vergeltung an Haake eröffnet Ravic die Möglichkeit, sich neuerlich der Gegenwart und Zukunft zuzuwenden, genauso wie für Schwarz II die Gewissheit der authentischen Erinnerungswahrung unabdinglich ist, um zu überleben, im Hier und Jetzt. Die Widerläufigkeit der Erinnerungsdiskurse knüpft gleichzeitig an den Schulddiskurs zwischen Schuldgefühl und Schuldenthebung an: Die Erfüllung der Rache an Haake symbolisiert für Ravic den Verantwortlichkeitsdiskurs gegenüber seinem eigenen Gewissen, seinen Beitrag zur Bekämpfung der Hitlerdiktatur geleistet zu haben. Für Schwarz II geht es darum, sich nicht des Verlustes der Erinnerung an Helen, gleichbedeutend mit einem doppelten Tod, schuldig zu machen. In beiden Romanen erscheint der Erinnerungsdiskurs temporär als zweigleisig und inhaltlich als widerläufig, indem er für die Vergangenheitsbewältigung das minutiöse, authentische Erinnern einfordert, um in der Gegenwart dem Vergessen oder der Erinnerungsverzerrung zu weichen. Anhand dieser widerläufigen Erinnerungsdiskurse vermittelt Remarque am Beispiel der Figuren von Ravic und Schwarz II die kontrastierende Gegenüberstellung zwischen dem Vergessen als Überlebensstrategie, einerseits, und dem Sicherinnern als Fortlebensstrategie, andererseits: Ravic kann sich erst nach erfüllter Rache an Haake dem Leben in der Gegenwart zuwenden, Schwarz II benötigt dazu die Gewissheit der authentischen Erinnerungsbewahrung an Helen. Die Resilienz des Vergessens weicht der Härte des Sicherinnerns. Die subtile Beschäftigung in den Romanen Arc de Triomphe und Die Nacht von Lissabon mit diesen grundsätzlichen Fragen der Traumabewältigung scheinen ein Versuch Remarques zu sein, eine Antwort auf die Frage, ›Wie kann ein Mensch nach tiefgreifend traumatischen Erlebnissen überleben und fortleben?‹ zu finden, wobei insbesondere die Fähigkeiten des Erinnerns wie des Vergessens eine entscheidende Rolle spielen.

Brian Murdoch

Patrols, Listening Posts, and Sentry-Duty Experience and Imagination in English and German Poetry of the First World War

The term ›the poetry of the First World War‹, although widely used and seemingly straightforward, is in fact too broad to be of more than limited value. To the English-speaking reader, for example, it implied for a long time only a narrow range of positively viewed English-language poems, mainly written by soldiers during the conflict, and essentially anti-war, or at least critical of that particular war. It took some time before anthologies in the English-speaking world adopted a wider perspective, either by including examples from other combatant nations, especially Germany, or by reflecting to any extent the overwhelming mass of material that was not critical of the war. Patriotic and nationalistic verse – the term ›poetry‹ too often begs a qualitative question – was nevertheless published in enormous quantities on both sides by men and women, by serving soldiers and civilians. Even the soldierpoets themselves produced material at all aesthetic levels, which included ironical or comical verse, often for regimental magazines, about aspects of their everyday lives in or away from the front. Nostalgic verses celebrating individual regiments or even army-camps were sometimes printed as postcards. The whole area of First World War poetry by women, too, patriotic or otherwise, and written either from home or on active service by nurses or ambulance drivers, has also been explored (for English-language material at least) only relatively recently.1 1 The definition of the term »poetry of the First World War« is raised in the introduction to the standard bibliographical reference work by Catherine W. Reilly. English Poetry of the First World War. New York: St Martin’s Press, 1978, xiii. Reilly notes that while the usual limitation is to poetry by serving soldiers between 1914 and 1918 and sometimes just by those killed, her range is poetry (»good, bad, and indifferent«) on the theme of the First World War by servicemen and civilians who experienced the war, published at any time during or after the war. Her work shows how broad this sweep can be with only one of the combatant nations. See also Tim Kendall’s introduction to his edited Oxford Handbook of British and Irish War Poetry. Oxford: OUP, 2007), 1–3, and Brian

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Even within the more circumscribed field of poetry written by serving soldiers about the experience of the war there is still a very wide range of subjects, styles and approaches. Poems may record objectively the experience of the central events of war, such as attacks or bombardments, and the expression of these experiences will necessarily have been written down and shaped either soon after, or perhaps at some distance of time from the event, although the effect of immediacy may be maintained. Precisely when a given war-poem was first written down is rarely clear, even in the case of poems of general reflection on the war itself and expressing emotion recollected in the small available moments of tranquillity. This investigation focusses upon a group of selected poems composed during the war, but set neither in battle nor away from the front. They draw upon familiar and routine (though still dangerous) tasks: the (night) patrol, (night) service at a listening post, and sentry-duty in the line.2 It is possible to demonstrate a wide variety of approaches, forms, styles, and attitudes to the war, and questions of experience, immediacy, imagination, plausibility, and even propaganda are also raised, as well as those of historical and modern reception. The poems examined are in German and English, and of course poems in the languages of other combatant nations could have been added. There are striking pieces, for example, by Albert-Paul Granier, one of whose Nocturne poems was apparently written at an observationpost on the Meuse in 1915, with the summary »Les sentinelles, à l’affût/tendent leurs muscles dans l’attente/énervant de l’inconnu« (the sentries on watch tense their muscles, strained by the wait for the unknown). Equally forceful are poems such as Marc de Larreguy’s Nuit de garde (Night Watch, dated February 1916), or in Italian, Giuseppe Ungaretti’s Veglia (Watch. December 1915). However, the amount of material in English and German alone is extensive and varied, and there is a risk that the material would soon become unmanageable.3 All the poems considered, Murdoch. German Literature and the First World War: The Anti-War Tradition. Collected Essays. Farnham: Ashgate, 2015, 1–21. Translations of passages cited here are my own. 2 A similarly thematic approach is taken by Franz K. Stanzel. »›The Beauty of the Bayonet‹: Hand-tohand Combat in English and German Poetry«. Franz Karl Stanzel, Martin Löschnigg (eds.). Intimate Enemies. English and German Literary Reactions to the Great War 1914–1918. Heidelberg: Winter, 1993, 83–93. See further the important study (with relevant references also to Stramm and Flex) by Ann P. Linder. »Landscape and Symbol in the British and German Literature of World War I«. Comparative Literature Studies 31 (1994), 351–69. 3 Albert-Paul Granier (1888–1917) was killed on an observation flight. The poem, originally from his Les Coqs et les vautours. Paris: Jouve, 1917, is in Tim Cross (ed.). The Lost Voices of World War I. Iowa City: University of Iowa Press, 1989, 316, with a translation. Marc de Larreguy de Civrieux (1895–1916) fell at Verdun; his poem is in: La Muse de Sang. Paris: Librairie du Travail, 1926, 26f. The poet-voice urges a young soldier to stay awake because he has been marked for death; there is no actual activity. Giuseppe Ungaretti’s (1888–1970) Veglia (Watch. December 1915) appeared first in his Allegria di Naufragi. Florence: Vallecchi, 1919, and has been much reprinted; it is included with a translation in George R. Kay (ed.). The Penguin Book of Italian Verse. Harmondsworth: Penguin, 1958, 366f. The imagery of the brief and staccato poem with its final assertion of attachment to life

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too, are by serving soldiers who may be presumed to have experienced patrols or watch duties at some stage. This effectively excludes work by civilians or by women, although an objective-narrative or even an apparently subjective poem on the theme composed entirely from the imagination would of course be possible.4 The patrols and observations in the poems examined here are, finally, all land-based, though (very different) air and sea patrols were also the subject of verse.5 It will become clear that there is no straightforward division between relevant poems in English and those in German beyond that of language. Ordinary soldiers on both sides would have had the same experience of something which would not, furthermore, have changed much throughout the entire war. The examples cover the whole period of conflict, and there are predictably some early examples in both languages of what may confidently be taken as imagined or embroidered narratives, patently intended as propaganda. Others (some, interestingly, more or less contemporary with these) may more readily be accepted as reflecting the actual experience of a (night) patrol or watch, whether or not it is presented objectively, or used as a basis for subjective or generalized speculation about (the) war. The poetic styles of these poems also vary considerably even when the overall attitudes are similar. Thus a concise and stark expressionist piece by August Stramm from the beginning of the war may be set beside Patrick MacGill’s deliberately light quatrains – he uses the term ›song‹ and justifies the style in a preface – from the end. Some of the poets considered have become part of a literary canon, others have not. In German, both August Stramm (1874–1915) and perhaps less so Walter Flex (1887–1917), are well-known, as are in English Robert E. Vernède (1875–1917) and Joseph Lee (1876–1949), as well as – albeit principally for a single poem – Arthur Graeme West (1891–1917). For others, however, we have few or no details: Hans Gerd Haase in German is now unknown, and Raymond Heywood in English may not have used his real name, but both are known to have published other is memorable. These are examples only, and other languages could be added, perhaps including the more generalised night-watch piece by the Flemish poet August van Cauwelaert (1885–1945) describing the Vuurpijlen (Fiery Arrows) observed by the silent men. Liederen van droom en daad. Bussum: van Dishoek, 191, 37f. 4 Thus during the First World War C[atherine] A. Renshaw, published a poem in an imagined firstperson voice about watching and waiting in the trenches: All Quiet on the Western Front in: England’s Boys. London: Erskine MacDonald, 1916, 9. 5 An air patrol is described by Paul Bewsher, The Dawn Patrol, in: More Songs by the Fighting Men. London: Erskine Macdonald, 1917, 16f., and in his collection The Dawn Patrol, and Other Poems of an Aviator. London: Erskine Macdonald, 1917, as well as in anthologies. I am indebted to Lucy London, too, for drawing my attention to The Song of the Contact Patrol by the Canadian Hartley Munro Thomas. Songs of an Airman and Other Poems. Toronto: McClelland, Goodchild & Stewart, 1918, 23f. Naval equivalents are less common, perhaps as less individual: see however E[dward] Hilton Young [later Baron Kennet]. A Muse at Sea. London: Sidgwick and Jackson, 1919, repr. 2016, including Drifter Patrol, 22.

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poems. One relevant poem, from a German soldiers’ magazine, carries only the initials F. M. Of the German poets who survived the war, Hans Friedrich Blunck (1888–1951) later allied himself to the Nazis, while Paul Zech (1881–1946) was a socialist who died in exile, although their later views are not necessarily reflected in their war-time productions. The Irish writer Patrick MacGill (1890–1963) lived the longest of the English-language poets examined. The inclusion here of dates, however, serves to indicate that several fell during the war, and this highlights an additional problem in the critical assessment of war poetry. With poems published posthumously it is hard to say with certainty whether the version that has come to us is what would have been the final text, or whether it might have been revised. Different aspects of the problem are illustrated by two of the poets under consideration here, August Stramm and Arthur Graeme West, whose relevant poems appeared after the writers had been killed. Stramm, however, was an established poet who had published other comparable material, and although there are small typographical questions about his brief poem describing a patrol, it is very much in line with the rest of his work. Arthur Graeme West, however, published nothing in his lifetime, and there are only five poems in his posthumous papers (which include his diary, itself probably not intended for publication).6 One of West’s poems – that examined here – has nevertheless been widely anthologized and is of undeniably high quality, though it is impossible to say whether any of the lines would have been revisited or amended. Much attention has been paid in this critical-editorial context, of course, to the more extensive and more familiar poetry of Wilfred Owen, most of which was again published only posthumously, and the various drafts of his poems have been scrutinized in detail.7 West’s oeuvre is far more limited, and in the last analysis speculation is irrelevant: we have to take what we have. Stramm’s poem, one of his best-known, has been analysed in detail on numerous occasions, but it makes an ideal starting point.8 Beside the simple descriptive title, 6 On some of the issues in respect of the private diary, see Brian Murdoch. »Paul Bäumer’s Diary«. Brian Murdoch, Maggie Sargeant, Mark Ward (eds.). Remarque Against War. Glasgow: SPIGS, 1998, 1–23 (Collected Essays,119–39). A great many diaries are extant, some were published (long) after the writer’s death, and some were re-worked by the author (the classic example being that by Vera Brittain). 7 See Wilfred Owen. War Poems and Others. Ed. Dominic Hibberd. London: Chatto and Windus, 1973, with a section, pp. 145–50 on the making of Anthem for Doomed Youth. On the dates and textual problems, see also D. S. R. Welland.Wilfred Owen. London: Chatto and Windus, 1960. 8 Stramm was killed in Russia in September 1915. This poem was first published posthumously in the collection Tropfblut (Berlin: Sturm, 1915 and 1919; ed. Jörg Drews, Stuttgart: Reclam, 1977 and other reprints). The poem is readily accessible online and is found too in the important collection by Gottfried Benn. Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Munich: dtv, 1970, 133, where gellen has a lower-case initial, although elsewhere it has a capital. That collection also contains other comparable poems, such as Abendgang. On Stramm’s use of language see C. R. B. Perkins. »August

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Patrouille, ›patrol,‹ it contains only fourteen words, and it presents an apparently objective impression of a reconnaissance patrol, probably (as was usual) nocturnal.9 The poem is based upon the dangers inherent in the activity. It is brief enough to cite in full: Die Steine feinden Fenster grinst Verrat Äste würgen Berge Sträucher blättern raschlig Gellen Tod (The stones make themselves hostile/ window grins treachery/ branches strangle/ hills bushes leaf-rustle/ yelling/ death)

There are some typographical variations in different editions. The convention of beginning individual lines of verse with an upper-case letter is not always followed elsewhere by Stramm, while capitalization is also important in German to distinguish – as far as is possible – between (verbal) nouns and active verbs. The absence of punctuation makes the syntactic connections difficult to determine, although that the original had no full point at the end does not, perhaps, make a great deal of difference; later printings of the poem do have one. Some individual words are difficult: the initial Berge in the fourth line, for example, does not seem, as has been suggested, to be the object of the preceding verb, and Patrick Bridgwater thinks more plausibly of ›mountainous, looming bushes.‹ The penultimate line has Stramm: His Attempt to Revitalise the Language of Poetry«. New German Studies 4 (1976), 141–55. On this poem see Patrick Bridgwater. »The War Poetry of August Stramm«. New German Studies 8 (1980), 29–53, esp. p. 45f., and also in his book The Poets of the First World War. Beckenham: Croom Helm, 1985, 51f.; Bridgwater notes the walking rhythms of the opening, which increase in pace. See further Hans Ulrich Seeber. »Modernization, Violence and Modern Poetry: Comments on Wilfred Owen, August Stramm and Lascelles Abercrombie«. Stanzel/Loschnigg, Intimate Enemies, 121–36, especially 125f. on this poem; and my Collected Essays, 25f, Translating Stramm is difficult, although his work has been presented by poets of the stature of Michael Hamburger. Our poem is in: The Last Drop. Versions of August Stramm. Trans. Alistair Noon . Colchester: Intercapillary, 2009, 13 (online). For »feinden«, for example, Noon has »bristle«, which is less good than Bridgwater’s »menace«. Noon has »ridges« for »Berge«. Other poems by Stramm (without this) are translated by Jeremy Adler in one of the linguistically most wide-ranging of the modern anthologies, Cross’s Lost Voices of World War I, 124–43. 9 A memorable literary description of a patrol is of that undertaken by the narrator in the ninth chapter of Remarque’s Im Westen nichts Neues. Paul Bäumer goes out with other soldiers at night and is cut off and trapped in a shell-hole with a French soldier whom he kills; he has to wait until the next night to be able to return to his own trench. For contemporary comments (by R. Q. Gilson, who fell in 1916), see John Garth. Tolkien and the Great War. London: HarperCollins, 2003, 117–9.

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a capital, which might make it into a noun, ›yelling,‹ though it could also – since it is sometimes printed with a lower-case initial – be the verb-complement to the bushes which rustle their leaves ›and scream death‹. Such typographical niceties, however interesting, are not helpful in trying to establish authorial intention, especially with a brief piece published after the poet’s death. The poem makes no overt personal comment, and nothing may be extrapolated from it about the war as such except that the activity of the patrol is precisely one involving possibly mortal danger, and that only indirectly from (unspecified) human activity. The work uses the expressionist telegrammatic style, with few articles, as well as creating verbs such as feinden ›are enemies‹ (in place of anfeinden), and placing words in paratactic juxtaposition, such as »Berge Sträucher…«. It has been suggested that Stramm’s innovative use of language in a fragmented and sometimes difficult style reflects the breakdown in sense caused by the war, and Hans Ulrich Seeber has referred, indeed, to »stylistic violence« in this context. At the same time, however, Stramm’s piece is the most concise and controlled presentation of the actual experience of a patrol and its dangers. In form it almost has the effect of the haiku; it is not much longer and employs a similar technique of conveying an impression of the natural world, although in war that world is first potentially (feinden) then actively (würgen) hostile. The dangers are implicit in the natural features seen, but since the threats are in fact man-made, objects take on human qualities: windows grin, branches strangle. Those threats move through the senses from touching (the stones), to seeing or being seen (the windows), to being touched (the branches), and in the final three lines to hearing or being heard, although it is left open how gellen, to yell, is to be applied, and whether the final concept, death is potential or actual. Are the looming bushes rustling a screamed warning of death, or does their rustling betray the patroller and lead to death? The unresolved images emphasize the feeling of terror. There is an English-language parallel to this piece in another brief poem – fewer than forty words – in Raymond Heywood’s On Patrol. From two published volumes – both slim – of poetry published under that name we learn that the poet was a lieutenant in the Devonshire Regiment who served in France, Macedonia and Salonika. Some of the poetry was published after the war, and this seems to imply (though it need not necessarily be the case) that he survived. The notes in a recent anthology in which some of his poems are included suggest that the name may be a pseudonym, since it does not appear in the army lists.10 10 The poem first appeared in Raymond Heywood. The Greater Love: Poems of Remembrance. London: Elkin Mathews, 1919, and is cited here from Vivien Noakes (eds.). Voices of Silence. Stroud: Sutton, 2006, 92. Heywood also published Roses, Pearls and Tears. London: Erskine Macdonald, 1918. No further information is provided by Reilly, English Poetry, 168, although two editions of The Greater Love are noted. Martin Taylor. Lads. Love-Poetry of the Trenches. London: Duckworth, 2007, 237,

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In this poem the description of the patrol is retrospective, a past-tense recorded memory of a patrol, which is also more personal than Stramm’s objective and immediate presentation. The focus is upon one single image perceived whilst on patrol at night; there are no overt comments on that remembered image, but the implicit feelings are clear. The patrol recalled here by the soldier centres upon the dead, so that in a sense the poem begins where Stramm’s ends: »There were dead men on the wire/ Lying in the bloodied mire.« These dead men dominate the poem, though its viewpoint (in the literal sense) is now extended ironically, as the reader’s vision is made to follow that of the dead men, who do not really see. Their »cold and sightless eyes« were – the past tense is maintained – »staring wildly at the skies«, and with this the point of view shifts again, from the dead men up to the stars, which, like Stramm’s window, were grinning back at them »with hideous faces«. The moon, too, was mocking them and thus nature is commenting on the human activity of war. The soldier-voice of the poem who had been on patrol must have returned, but what he had observed was not the enemy, but the effects of war itself. He might have seen similar sights in battle or from the trenches, but the piece is about being on patrol, when the already dead confront the soldier directly and also dispassionately. Nature, actively inimical and dangerous in Stramm’s poem, is distant and no longer immediate, since the moon and stars, eternal and over all the armies, merely mock and pull faces. The piece is printed as seven lines but it is in effect six lines of three rhymed couplets. The first two couplets are regular, in a (roughly) trochaic tetrameter, but the final couplet is extended and distorted, so that what should be the final line changes the rhythm, and the rhyme is then placed in a separate line. The stress-pattern of that final line shifts to something closer to regular speech than to the rhythmic verse we have had so far: »And the moon was mocking them/ With grimaces.« The final emphasis (on the syllable »grim«) gives importance to the sense, rather than the (imperfect) rhyme element of the last word. Stramm’s poem is vivid, and Heywood’s seems even more clearly to reflect an actual experience, but it is always an open (and by no means clear-cut) question as to whether it can ever be determined that a given poem in this context is or is not Erlebnisdichtung. Two celebrated war-novels provide a very familiar illustration of the care which must be exercised in such judgements. Remarque’s Im Westen nichts Neues (All Quiet on the Western Front) was famously and illogically criticized for not being ›authentic‹, which seemed to mean that the author, while having served in the war, had not, like his principal narrator, been killed in its final weeks. The

suggests that he might have been in the 10th (service) battalion of the Devonshires but notes the absence of the name in lists. Internet war-records give no-one of that name in the Devonshire Regiment.

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earlier locus classicus is Stephen Crane’s The Red Badge of Courage, a compellingly realistic picture of the American Civil War whose author was not born until after that conflict. Heywood’s poem is convincing, partly through the apparently personal memory implied in the use of the past tense, which differs from the universal image in that by Stramm. Since we are not entirely sure even of Heywood’s identity, it is impossible to say for certain whether the events depicted are based on a specific incident, but he did serve, and the piece (which was written during the war, given the publication date) seems realistic in terms of actual experience. To an extent, of course, this does not matter anymore than it does with, say, love poetry, and certainly not at an increasing historical distance. With the poetry of the First World War Erlebnisdichtung is often assumed, although with the exception of some very obviously implausible propaganda pieces to be examined later, the question of (the extent of) personal involvement usually remains open.11 The dead men of Heywood’s poem appear in the same context in a far longer and fully descriptive evocation of the activity, once again in the past tense, in the poem The Night Patrol by (Arthur) Graeme West. The fifty-four lines of sometimes irregular blank verse carry the indication »France, March, 1916«, although the identifying place and date is occasionally omitted from the many anthologies in which it has appeared.12 The listing of time and place, coupled with the fact that West refers in his diary to such a patrol, provides this time support for the assumption of specific experience, the more so as the poem was not published in the lifetime of the poet, who was killed near Bapaume just over a year later. In his diary he uses the word »exciting« and refers to himself as having been »more interested than afraid.«13 The Night Patrol opens with direct instructions to a group of three soldiers, the narrator-voice amongst them, about a patrol they are to undertake for »about an 11 See (amongst many other examinations of the theme) Colin Lyas. »The Relevance of the Author’s Sincerity«. Philosophy and Fiction. Essays in Peter Lamarque (ed.). Literary Aesthetics. Aberdeen: Aberdeen University Press, 1983, 17–37. German criticism of literature related to the war distinguishes between Kriegserlebnis and Legendenbildung, experience and legend-making. 12 I cite it from the earliest of them, Frederick Brereton (ed.). An Anthology of War Poems with an introduction by Edmund Blunden. London: Collins, 1930, 161–3. Of the other anthologies in which it appears, see Dominic Hibberd and John Onions (eds.). Poetry of the Great War. An Anthology. London: Macmillan, 1981, 76f., with biographical and bibliographical notes, 226. After initial enthusiasm West became a pacifist (and corresponded with Bertrand Russell), though he continued to serve in France; he left prose material and the five poems, published as Diary of a Dead Officer. Posthumous Papers, edited initially by C. E. M. Joad. London: Allen and Unwin, 1918, and with a new introduction by Dominic Hibberd. London: Imperial War Museum, 1991. There is a reprint with introduction by Nigel Jones. Barnsley: Greenhill, 2007. See Tim Cross. »Scepticism Towards the First World War Before 1916: Gustav Sack and Arthur Graeme West.« Stanzel/Löschnigg, Intimate Enemies, 137–48; see 146 on the poem. 13 Hibberd/Onions, Poetry of the Great War, 197, draw attention to the diary comments in their notes to the poem. Their introduction has other material on West.

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hour.« They are given their orders, and the rest of the poem then looks back on the patrol in factual detail. There is no memory of fear, nor of any other emotion in the participants, and the matter-of-fact description gains in effect from the precise pictures of what is seen, heard and smelled, specifically the dead, who are presented objectively throughout. The blank verse is deliberately close to prose, and the instructions given at the start could indeed almost be a verbatim rendering: When you’re through, all three, Aim quarter left for fifty yards or so, Then straight for that new piece of German wire; See if it’s thick, and listen for a while For sounds of working; don’t run any risks; About an hour; now, over!

The men go into action over the sodden ground, and see, with difficulty as the flares go up, the debris from earlier attacks; the land is strewn With the wrecks of our attack, the bandoliers, Packs, rifles, bayonets, belts and haversacks, Shell fragments, and the huge whole form of shells Shot fruitlessly.

In the first of those lines, »with« is a simple anacrusis, while the accumulation of items in the next line is perhaps deliberately less regular metrically, itemizing dispassionately exactly what is there. We move, however, from materials, including shells which had not had an effect, to the human result of the earlier attack: »and everywhere the dead.« West’s diary entry refers to the bodies as four months old. Once again, different senses are brought into play: the bodies are seen indistinctly in the dark, looming up and becoming clearer from time to time. They also stink, and the smell of the corpses is strong as they are passed, and then the stench »dulled away/ To that vague factor, all encompassing, / Infecting earth and air.« The pools are slimy. The dead, however, become more distinct as the patrol uses them by noting the different attitudes in which they are lying to mark out a route back. One of the dead, however, lying outside the wire with his legs crossed like a Crusader on a tomb, prompts a specific thought in the narrator, and with this the inclusive narrative »we« gives way to the first-person singular, as the speaker reflects personally on the image. »I smiled at that,/ And thought of Elia and his Temple Church«, the reference is to Charles Lamb’s pseudonym – his Essays of Elia include one on the Temple Church in London – and to the Crusader effigies in that church. This personal reaction stands out as the only (mild) emotion expressed in

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the poem. Although the name Elia may not now be as readily recognized (if indeed at all), the line establishes the speaker as an individual with a personal and specific memory beyond the incident, and his smile might be at the memory of Lamb’s essay, or at the notion of a Crusader (without a tomb) in this very different war. As the party moves on, one member touches a corpse, and they come across the remains »of half-a-dozen men,/ All blown to bits,« something described as »vexing« to the three of them because they have to crawl »on belly and elbows« through them with no light apart from the flares. The description remains factual and specific as they crawl for ninety yards until the corpses give way to the »stakes and crosslines of the German wire.« They observe this, hiding behind (and associating themselves with) the last dead man, »Ourselves as dead.« They listen to the German troops – there is no reference to them as enemies – as flares go up; they hear talk, coughs, the noise of digging, and see another flare, and then return »past the remembered dead;/ Past him and him, and them and him«. The lines are powerful. The general memorial function is underlined, but the specific memory of these soldiers is the short term one of necessity so that they can find their way back. The dead have no names and no identity until they reach the Crusader (who echoes a formal memorial), and the patrol is over. They go through the wire »and home, and got our rum.« The patrol is uneventful, but the picture remains of three living men crawling through the dead whom they remember in this context not for their bravery or sacrifice, but for their positions as guides in an exercise which in the event is not particularly fruitful and the discoveries even banal. Although we go right up to the German line, we learn little about them and certainly they are not negatively presented. The three men on the patrol join the »lumpish dead« for a time as if dead themselves. The brief and perhaps now obscure reference to Elia and the Temple Church stays in the mind, but the poem depends for its overall effect on unemotional, but still personal historical narrative: this is how it was, and there were the stinking and anonymous dead, remembered at the time for utilitarian reasons, and memorialized in the poem forever. The German poem describing a patrol that comes closest to that by West is one by Walter Flex, a by no means unskilled poet who is known principally as the author of one of the first novels of the war written during the conflict, Der Wanderer zwischen beiden Welten (The Wanderer Between the Two Worlds). The quasi-autobiographical novel is patriotic without being nationalist in the sense that his later admirers, which included Hitler, imagined was the case. The title of this poem is once more simply Patrouille, and it is again descriptive, although there is

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some action, and the enemy is more prominent.14 The poem is, at 34 lines in rhyming couplets, only a little shorter than West’s, and it falls into four sections. Flex’s facility with language is clear in the sound-patterns and inner echoes (»Strauch und Nebelrauch«) and in the break-up of rhythms for effect. The opening presents us with a group of four grey soldiers crawling through the grey field, while mist shrouds »die falsche Welt« the deceitful world, which echoes the element of treachery seen already in Stramm. The action is in the present; the soldiers use their eyes and their ears to determine whether anyone is lying in wait. The poem has a few references to der Feind, the enemy, but these are neither identified nor characterized except as soldiers, and once more they are not vilified. The men in the patrol creep forward as silently as possibly, but there is the sudden crack of a twig which causes them to hold their breath. In the second section the greyness is suddenly broken with flashes of opposing fire; the patrol has identified where the enemy is, therefore, and must report this to the regiment. In the third section, however, they are still pressed to the ground, and when they return, the enemy fire »Trägt Gier nach unserm Herzblut warm«, is greedy for our warm heart’s blood – a consciously crafted but slightly florid line. The gunfire is like a swarm of hornets, or the cutting of a knife. The poem ends, however, with a quite separate reflective section (linked by rhyme to the description of the hail of fire described in the preceding section), which expresses the more general awareness acutely felt in the situation, that there is always – in the familiar phrase of the time – one bullet with your name on it, and the one that will kill you is the one you do not hear. The participants in the patrol have listened and heard danger in the noises from the twigs cracking to the whistling of the bullets, but what is unheard is the most dangerous of all. The fact that the enemy is not identified as British, French or Russian allows the poem to focus on the essential nature and implications of the patrol itself as a potentially fatal sortie in the mists. In this case we cannot make a link between poet and event, although Flex will certainly have experienced such patrols. Very different indeed from the poems so far examined, all of which might reflect actual experience, is an early German piece ostensibly about a patrol by the now virtually unknown Hans Gerd Haase which is very obviously a patriotic fiction. 14 The poem appeared first in Walter Flex. Sonne und Schild. Kriegsgesänge und Gedichte. Brunswick: Westermann, 1915, and was regularly anthologized. I cite from Carl Busse (ed.). Deutsche Kriegslieder 1914–16. Bielefeld und Leipzig: Velhagen and Klasing, 1916 = the second edition; the first went only to 1915, 73f. It is also in the collection Volk im Kriege. Gedichte. Jena: Diederichs, 1934, 19f. For Flex’s novel, which contains several poems, see The Wanderer Between the Two Worlds. Trans. Brian Murdoch. London: Rott, 2014, with an afterword on the author and on the different editions of the novel. The best introduction to Flex is that by Hans Wagener. »Wandervogel und Flammenengel«. Thomas F. Schneider, Hans Wagener (eds). Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum 1. Weltkrieg. Amsterdam, New York: Rodopi, 2003, pp. 17–30.

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Patrouillenritt (Mounted Patrol) appeared in an anthology in 1915 with the title Als der Weltbrand lohte. Das Echo des großen Krieges im Lied, (When the World was in Flames. The Echo of the Great War in Song), and other poems by the same writer were included in contemporary anthologies.15 Propagandistic pieces of this sort in English and German are found predictably at the beginning of the war, although it must be recalled that Stramm, who was dead by 1915, produced his poem at an equally early stage. Haase’s poem does not try to represent the nature (or dangers) of the patrol but gives, in eight quatrains of lively dactylic tetrameter, an adventurous narrative ostensibly set during one such patrol. The investigation of a suspicious barn leads almost coincidentally into a brief confrontation and the rapid defeat and capture of Russian soldiers before the patrol simply moves on. There appear to be nine men on this patrol, though this probably derives from the need for a rhyme. The propagandistic intent is clear in the presentation of swiftly defeated enemy soldiers, who are both identified and denigrated. Furthermore, there is no hint of any real danger to those on the patrol, even when they come under fire. Stirring narratives showing a craven and easily defeated enemy were regularly offered as reality when the war was still taken – and indeed referred to – as an adventure.16 The form is simple, and the staccato phrasing is this time intended to convey excitement. The tone is entirely positive as the patrol, »Frisch gesattelt!« (freshly saddled up), sets off on what sounds like a morning ride for pleasure amongst the silver poplars. The second stanza moves into the adventure-story mode, however: Schritt! Die Scheune im Gelände Ist verdächtig. Schnell vom Pferde Karabiner in die Hände Tief geduckt bis auf die Erde. (Wait! That barn in the fields looks suspicious. Quickly dismount, rifles in hand, keep low down on the ground).

The men move towards the barn, and suddenly there is firing, bullets whistle past »Aber keine trifft uns neune« (but none hits any one of the nine of us). The slightly

15 Patrouillenritt is cited from Albrecht Janssen, Felix Heuler (eds.). Als der Weltbrand lohte. Das Echo des großen Krieges im Lied, I. Würzburg: Rabitzsch, 1915, 189f. We may note that in the subtitle of the anthology the war is already being referred to as »great«, a word which is in any case ambiguous. There are poems by Haase in the first edition of Busse’s anthology Deutsche Kriegslieder in 1915. 16 As for example the two volumes in Reclam’s pocket library with the title Unsere feldgrauen Helden. Leipzig: Reclam, 1915, by the writer and later film director Robert Heymann (1879–1946), ostensibly from diaries. There are parallels in other languages.

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unusual form uns neune bears out the suspicion that the size of the patrol may have been determined by the need for a rhyme on Scheune, barn, and there is no hint of anxiety here as all the bullets miss their targets. The deliberately staccato tone continues – dismount, rifles aimed. The heads they have presumably spotted now disappear, and the patrol members retrieve their horses »Und nun Attacke« and now into the attack, »bis die Kerls sich vor uns winden«, until those fellows give way to us. These are not even given the dignity of the term »enemy« and only later are we told who these Kerls are. With a cry of »Hurraho!« the patrol reaches the barn and encounters twenty trembling Russians. The members of the patrol, so recently using their rifles, now grasp their bayonets and lances, but the Russians kneel and surrender as the poem dehumanizes and vilifies them completely: »Bringt die Hunde auf die Beine!/ Stumpf das Antlitz, feig die Mienen« (Get the dogs onto their feet! Dull features, cowardly bearing). Their weapons are taken and two of the patrol detailed to take them back, so that a patrol of nine has captured twenty men, and only two are needed to take them back in. The incident is finished and in the last quatrain the patrol simply continues its reconnaissance expedition with the morning light shining, the capture of twenty cowardly enemy soldiers simply incidental. Propaganda of this kind, designed to reinforce the idea that the worthless enemy may quickly be defeated, is not restricted to either side, nor indeed to this particular war.17 Comparable with Haase’s poem is another narrative piece by Hans Friedrich Blunck, an extremely prolific writer who rose to prominence in literary administration during the Nazi period. His patrol – the poem is simply called Patrouille – is again mounted and is involved in an equally imaginary incident which is, however, oddly grotesque in its presentation. Like Haase’s presentation of military superiority, it appeared at the very start of the war in a patriotic anthology, one of the many published by Eugen Diederichs in Jena, with the notably qualified title Der Kampf. Neue Gedichte aus dem heiligen Krieg (The Struggle. New Poems from the Holy War).18 This time the patrol rides out not at night but, as a plausible alternative, under cover of fog. The five strophes are made up of four rhymed lines in couplets, followed by a truncated but effective half-line, although the first strophe opens with an extra-metrical partial line: »Nebel füllt die Fennen« (fog covers the fens). The troop sets out in the mists and the first two strophes are descriptive and not 17 A similarly dismissive view of the Russian soldiers is found early in Flex’s Der Wanderer zwischen beiden Welten, but in the course of the novel this gives way to a more cautious respect. 18 Blunck did publish collections of poetry during the war – Sturm überm Land (Jena: Diederichs, 1916) – but this poem is cited from Der Kampf. Neue Gedichte aus dem heiligen Krieg. Jena; Diederichs, 1914, 53f. The anthology sold very well, as did many produced at the start of the war by this publisher. See Irmgard Heidler. Der Verleger Eugen Diederichs und seine Welt (1896–1930). Wiesbaden: Harassowitz, 1998, 395. On Blunck’s later career, see Ernst Loewy. Literatur unterm Hakenkreuz. Frankfurt/M/: Fischer, 1966, 290f.

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without effect. Water drips from the pine-trees, a distant shot is swallowed up by the thicket, then in the second strophe there is a burning village and above them an aircraft, both in the distance. These two strophes each end with the half-line: »Wo bleibt der Feind?« Where can the enemy be? Thus far the piece is straightforward, but this changes in the third strophe, when suddenly noises are heard – again the staccato effect is deliberate – and the soldiers see a smouldering fire. They ride up to it and see: »Gierig zerlumpt, wohl zwanzig Mann/ Um ein tanzendes Weib«. The line is striking, but opaque: ›eagerly ragged, about twenty men surrounding a dancing woman‹. This time it seems to be the French army. These are »verlorene Chasseurs, ein Toter dabei« (lost chasseurs and a dead man with them), and the bizarre scene is now matched with broken-up references to shouting and laughter. The woman, we are now told, is yellow-faced and bare-breasted, and nobody sees the patrol. The truncated last line of this strophe focusses on the dead man, who does, in a sense, acknowledge their presence and grins at them – the rictus sardonicus is a familiar motif throughout war literature. The final strophe has the members of the patrol moving in quietly with their lances, to the sound of curses, prayers and screams as the enemy soldiers are presumably dispatched. Precisely what has happened is unclear. The speaker wonders whether Ekel, disgust, had motivated them, literally directing their lances, and the poem concludes with a line which picks up the ending of the first two strophes, which had asked where the enemy was. This line asks: »War das der Feind?«, literally ›was that the enemy‹, implying ›is that what the enemy we are looking for is like?‹ Blunck was proud of his war-time ballads, but this piece seems to be another attempt in the earliest days of the war to dismiss the enemy as unprepared and decadent, whilst showing that the German army can and will deal with them summarily as a matter of course; »Wir trabten weiter zum Nebel hinein«, we trotted on further into the fog, says the speaker-voice, just as Haase’s patrol rounded up the cowardly Russians and then simply carried on. What is meant with the dancing and bare-breasted Weib is less than clear, but possibly she is an imagined mockery of Liberté (or Marianne) in the painting by Delacroix of Liberty leading the people, which was much used in the First World War, and in which the bare-breasted female figure turns towards her ragged followers (with some dead at her feet) in the July Revolution in 1830. In spite of its initial realism, any reflection of reality is improbable in this somewhat inept piece.19

19 Blunck reported that Eugen Diederichs had praised his war-time ballads: Dichter schreiben über sich selbst. Jena: Diederichs, 1941, 18. See on the use of Delacroix’s painting Marie-Monique Huss. »Belonging to a ›Grandiose‹ Family«. William Kidd, Brian Murdoch (eds.). Memory and Memorials. Aldershot: Ashgate, 2004, 41–60, esp. 44.

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In the same early anthology as that in which Haase’s propaganda-ballad appeared was, however, a poem by a better-known, and later directly anti-war writer, Paul Zech, which is more difficult to assess. His Kampflied der Patrouillenreiter (Battle-song of the Mounted Patrols) is, on the face of it, militaristic, but it differs from Haase’s crass adventure-story and Blunck’s grotesque one in expressing the view of the war as a personal testing, rather than the nationalist superiority assumed by Haase or Blunck. Zech’s mounted soldier is concerned (perhaps because we are again only in the early stages of the war) not with events, and not even with (potential) dangers, but rather with the tedium of patrolling, in contrast with the prospect of action in battle. The speaker is bored by the greyness (»Wieder in die graue Qual«, into the grey agony again), wanting instead a Sturm-signal, the signal to ride into battle, even against great odds, while he still can.20 There is a small note of defiant bravado in the dismissal of a possible »tausendfache Übermacht« (being outnumbered a thousand to one), but although this falls within the vocabulary of early militarism, superiority is not claimed. The desire for action, for testing in the storm of steel, was not uncommon on all sides in the early period. It is present in Flex’s prose and poetry, and of course in the poetry of Rupert Brooke, thanking God for having matched the young men with this hour. Closely related to the activity of the patrol as such is what could sometimes be its countermeasure: the setting up and manning of a listening post. John Brophy and Eric Partridge define this as »a concealed or underground position in NoMan’s Land where two or more men would keep vigil through the night with two or three reliefs.«21 Several poems in German and in English take this as their theme (usually with only one man involved), and again there are some noticeable variations in style and approach. Since most of them have as a narrative basis the fact that nothing actually happens, more opportunity is offered for reflection, and there is also, perhaps, a greater likelihood of reflected reality. A German and an English example – by an unknown and a known writer respectively – both underline the basic lack of activity. Auf Horchposten (At a Listening Post) appeared in a collection of poems taken from the weekly magazine of the 54th German Infantry Division, Im Schützengraben, (In the Trench) and is signed simply with the initials F.M.22 Four quatrains describe the speaker sitting 20 Als der Weltbrand lohte, 190f. (six quatrains). Zech was associated with the expressionist movement and later explicitly anti-war, who left Germany in 1933 eventually for Argentina, where he died. 21 John Brophy, Eric Partridge. The Long Trail [1930, rev. 1965]. London: Sphere, 1969, 157. 22 Im Schützengraben. Eine Sammlung von Gedichten aus der Feldzeitung des 54. Inf.-Div. Wiesbaden: n. pub., 1916, 13. The 54th Division was formed in March 1915 from a number of other units and was deployed on the Western and Eastern fronts. Its magazine appears to have been a weekly production. The collection has a brief preface signed by the editorial group, which hopes that the collection will awaken »liebe Erinnerungen,« happy memories. It also refers to the verses as sometimes unbeholfen, clumsy, and refers to the poems as written by and intended solely for fellow-soldiers in the Division.

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im Granatenloch, in a shell-hole, on a fine spring night. »Horche, ob kein falscher Feind/ Schleichend sich mir naht« (I listen in case some false enemy comes creeping towards me) – – to establish whether a patrol, in fact, is out observing his line. The verb schleichen, which might be pejorative in some contexts, is literal here, and the adjective falsch is alliterative and needed for the metre, though otherwise it is not very telling. In any case there is no sign of an enemy – »Doch kein Franzmann stellt sich ein« – no Froggie soldier shows up, Franzmann being the normal and not especially derogatory slang term, the equivalent of ›Jerry‹, perhaps, rather than ›Hun‹. At this point, the listener’s relief-soldier appears. As an aside we hear that bullets are flying overhead, and the speaker wonders if they are aimed at him, but in the last quatrain he simply returns to safety, thanks God, and sleeps peacefully. The poem is not of the highest quality, but it has a certain memorability in its simple presentation; the criticism of the enemy as falsch is probably only metri gratia, and the slang term for a French soldier is equally matter of fact. God does, however, seem to be on the speaker’s side. Comparable with this virtually anonymous piece is a short poem by Patrick MacGill, a prolific, interesting, but still somewhat neglected writer, whose Soldier Songs appeared in the last year of the war. The collection has an important preface on the nature of war poetry by serving soldiers and on the response to it by men who had served. MacGill is aware that words were always inadequate to convey the real feelings and experiences, and his songs have a deliberately comical, almost flippant tone, reflecting the soldier’s own attitude, which was often a kind of mental self-preservation. This description of the listening post duty is as uneventful as that in the German piece, but the speaker’s thoughts are a little different. The poem (from its opening line) is headed »I Oft Go Out At Night-Time«, which sounds as if the speaker is out for a nocturnal stroll, and there is a deliberately mock-archaic tone (»oft« and »night-time«, probably echoing Thomas Moore’s »Oft in the Stilly Night« of 1817). However, we hear in the first strophe that this is when »little lights of battle« dance in the air. The second ballad-meter quatrain sets the tone: I use my pick and shovel To dig a little hole, And there I sit till morning – A listening patrol.

The night is uneventful. The natural world is commented upon, but this time there is only a »silly little sickle« of a moon, and frogs are making love. The speaker can see the German saphead, the end of a covered trench, marked by a dead cow with its feet in the air. He cannot see the enemy, but in the penultimate strophe the guns are thundering and the bullets flying. This reminder of the seriousness of the war

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also brings us to the point of the piece: while all this is going on, good people lie abed in England, sleeping soundly »while we sit watching/ On listening-patrol.« The faint Shakespearean echo is interesting, with the irony that gentlemen in England now a-bed presumably would not think themselves accursed they were not here. The activity may appear uneventful, but it is not safe. The situation is treated lightly in the poetic form and in the words used – the battle-lights are only little, the deprecatory word used several times – but those at home can sleep soundly in spite of the big guns and the bullets here. The poem is simple and deliberately self-effacing, in parts apparently inconsequential (the frogs, the dead cow) and there is no visible enemy, but the war is nevertheless still very much in progress.23 The tonal contrast with Stramm’s patrol-poem is interesting. Two further and somewhat more demanding poems based on the listening post are provided first by the Scots poet and artist Joseph Lee, and secondly by Walter Flex once more. Lee’s The Listening Post is in seven strophes, all but the last of them quatrains, with the final line of each set in italics.24 The opening tells us in a matter-of-fact manner about four men lying in the grass listening and observing, but the final and typographically separate line is: »Four dead men are lying near«, the presence of the dead echoing the poems by West and Heywood. The first parts of each quatrain continue the unadorned description. The men are lying there to glean information about the enemy, but the speaker-voice comments in one of the italicized last lines: »That dead hand seemed to beckon me.« Four living men are listening, we are told, and four dead men are watching. The distinction between the »we four« of the basic narrative (it is there in three of the quatrains) and the thoughts or perceptions of the italicized poet-voice is striking. As the four continue listening, a flare goes up and »lights a ghostly cheek« – of the living or the dead? – and on that occasion the speaker wonders in the last line if the dead man spoke? The penultimate strophe stands out. It is all in the first person singular, and describes the activity without comment: 23 Patrick MacGill. Soldier Songs. London: Jenkins, 1918, 67f. The author’s introductory comments and the collection as a whole are of considerable interest in terms of reception. The best introduction to the Donegal poet is probably his book The Amateur Army. London: Jenkins, 1916, a work worthy of more attention that it has been given. His books sold well, all with several printings, and were, of course, read by civilians and soldiers alike. 24 Cited from Joseph Lee. Poems from the Great War. Dundee: University of Dundee, 2014, 59. There is a useful brief essay on the poems by Keith Williams, pp. xvii–xx, who categorizes this poem as »eerie«. It originally appeared in Lee’s second collection: Work-a-day Warriors. London: Murray, 1917. He had already published a collection of poems in the previous year. Bob Burrow. Fighter Writer. The Eventful Life of Sergeant Joe Lee, Scotland’s Forgotten War Poet. Derby: Breedon, 2004, 89, refers to a further poem called The Sea. A Night Watch Above, in which the speaker, whilst on watch in the trenches, lets his mind travel to earlier times at sea. On Lee, see for example David Goldie. »Was There a Scottish War Literature?« Kendall, British and Irish War Poetry, 153–3, esp. 161–3.

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Unto the earth my ear I keep I hear her breathing, long and deep The speeding shadows come and go Is that patrol friend or foe?

The final strophe adds an extra line to the quatrain pattern thus far established. Not only is the form different, but the rhythm is broken, and phrases from the opening strophe are interpolated: »open eye – attentive ear«. The speaker sums up: beneath the blackened sky he lies with three brave lads and the dead. »They do not hear the sounds I hear/ Nor see four dead men watching near!« Lee engages in dialogue with the dead in other poems, but here the individual on listening duty is separated from his fellows, who, though also listening and watching, do not have the same contact with the earth or with the dead, who are watching them. As far as the immediate events of the war are concerned, there is a flare, and the noise perhaps (but only perhaps) of an enemy patrol. But the sky has been blackened by the war, and the dead are always beside the living, whether they notice them or not, and they speak, perhaps, to the attentive ear of the listener. There is no comment on the enemy and this poem could apply to any of the combatant forces. The listening post poem by Flex is earlier, and where Lee’s poem is introspective and expressly personal, Flex demonstrates in an open statement the attitude of acceptance towards the war found also in his novel, which was – as indicated – patriotic without being nationalistic. Flex’s poem again has the simple title Auf Horchposten25 (At a Listening Post), but it is less closely focused upon the activity as such. Instead, Flex takes the concept as a starting point for a more far-reaching set of ideas, as he imagines »deutsche Wacht und Bruderwehr«, Germans on watch in an army of brothers, from the Vosges to Flanders. The poem – deliberately poetic in contrast with, for example, MacGill’s expressly simple approach – plays with the elements of this particular military duty; those on listening duty have to be silent, but their German hearts are singing in the night; they have to remain in place, but their hearts wander to Germany; they have to listen for the enemy, but their hearts are hearing German rivers rushing. The idea of Germany is dominant, but the enemy is simply Feind, without identification or qualification. In the final two quatrains, however, there is a change of tone, first reminding us of the conflict in a world that has neither sleep nor peace. The new sound is of the doors of the homeland slamming shut, but with German swords the golden doors of the earth will be thrown open. The last quatrain is enigmatic, and overall the military activity of listening becomes the basis for an extended poetic conceit. 25 Cited from Busse, Kriegslieder 1914–1916, 83. It is also in Als der Weltbrand lohte, 201f. I have made the connection with Rupert Brooke in my afterword to the translation of Flex’s novel.

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A poem, by Robert Vernède26, seems from its title, A Listening Post, to be specific, but is in fact more concerned with general sentry-duty. It seems, too, to be set at sunrise, with the sun a red ball, the grass wet with dew and a blackbird singing. The speaker and another rifleman stand guard ready »To shoot the first man that goes by«. The enemy as such is not named, but the rightness of the speaker’s cause is assumed. The blackbird does not know »that if we fail/ The world may lie in chains for years/ And England be a bygone tale/ And right be wrong, and laughter tears.« In spite of that implicit patriotism, the blackbird sings on, equally unaware that the humans, the supposed higher beings, are intent on murdering their fellows. The final quatrain hopes that one day God will resolve this philosophical conflict of a war deemed to be necessary, but which involves murder, and will provide sweetness to match the blackbird’s song. In the light of Vernède’s poem it is appropriate to end with further variations on the general theme of the sentry on watch. Solitary or shared sentry-duty is a routine activity in all wars, and the German collection Als der Weltbrand lohte, published in 1915, has an eight-page section of sentry-poems with titles like Posten, or Auf Vorposten. The narrative possibilities are easy to categorize: a sentry on watch might see no action at all, giving time for reflection; or he could be shot by an unnoticed sniper; or he might see and have to deal with anyone coming towards his line. The presentation might be objective or subjective, and as before, the narrative might reflect actual experience, or it may be imagined. Vernède’s poem is reflective and subjective, but comparable poems show us the sentry from outside. Indeed, one of the best-known examples of a sentry-duty poem, albeit one from another war and written, moreover, by a woman, is an imagined objective narrative. Ethel Lynn Beers’s poem (later set to music) The Picket Guard of 1861, known usually as All Quiet Along the Potomac,27 tells of a sentry on night watch who is killed by a sniper. However, the point of the poem, underlined ironically by the latter title, is that this single death of a private soldier, not of an officer, is not even deemed worth reporting. The theme, of course, is that of Im Westen nichts Neues, whether or not the English title of Remarque’s novel harked back to the Civil War poem. It is notable, though, that the rifleman who kills the picket guard is not identified or specifically criticized: the thrust of the poem is about the importance of all deaths in a war, particularly perhaps in a civil war.

26 R. E. Vernède. War Poems and Other Verses. London: Heinemann, 1917, 64f. 27 See Irwin Silber (ed.). Songs of the Civil War. New York: Columbia University Press, 1960, 128–30 (with notes on 118). Poems originating from different sides in the American Civil War are often interchangeable, with the monosyllabic colour of the uniform easily altered. Catherine Renshaw’s poem (above, note 3) has a related title. The broader motif of the dead all being on the same side is expressed in well-known poems by René Arcos and Wilfred Owen.

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Will (John William) Streets (1886–1916), who was wounded and listed as missing on the first day of the Somme and declared dead in May 1917,28 treated the theme of sentry-duty in the First World War objectively in his poem The Night Watch. A sentry is standing alone on a lonely moor beneath the eternal light of the stars. The indifferent immutability of the heavens is a more familiar topos than Raymond Heywood’s imputation of malevolence to the moon or the stars. The first of the four quatrains in this brief piece is simply scene-setting, the second opens with apparently natural sights or sounds, a meteor, a bird, but then a shot, and the sentry is dead. »Too late! A shot; and all is o’er.« The last two quatrains turn the incident into an allegory with personfications, however. Faith stands on watch through the »peril-haunted hour«, and Hope stands watch as well »amid the meteor-showers of death«, watching for Love. The overall effect is pessimistic: the sentry is killed, and this happens as Faith watches for Thought, and Hope watches for Love. Street’s poem has no named enemy, referring only to a fatal shot, and the Feindbild, the image of the enemy is – propaganda poems aside – equally unspecific in most of the non-propagandistic German and English poems. A slightly unusual case is presented, however, in a piece by the apparently prolific but now almost completely forgotten German poet Paul Lang, a Bavarian who published several volumes and who seems to have survived the war,29 who has his sentry killing a patrolling enemy soldier. The poem Auf der Wacht (On Watch) again presents a first-person narrative as a subjective experience, much as in Haase’s mounted patrol poem. It is once more an early poem, but it has one unusually specific element which may or may not indicate some basis in reality. The poem is brief, showing us first the speaker on guard at night, peering out and listening. Then in the second of the three quatrains the sentry hears a noise. The verse is unremarkable, but the enemy, while not directly vilified, seems at first glance to be presented slightly oddly, first as a snake and then as a tiger. The verb schleichen, to creep, crawl like a snake, however, is literally what someone approaching stealthily would have done, and has been seen already in this context: Jetzt trifft mein Ohr ein leises Laut… Nun hab’ die Schlange ich erschaut – Ich will dir deutsche Eichen Mit Tigersinn beschleichen!

28 J. W. Streets. The Undying Splendour. London: Erskine Macdonald, 1917, 31. The collection was published in May of that year, at the time he was officially listed as killed. 29 Als der Weltbrand lohte, 201. Although it is possible to find references to works by Paul Lang, his details are more elusive.

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(Now a faint sound reaches my ear, now I have spotted the snake – I want to creep up on your German oak-trees with the senses of a tiger).

How the last two lines, presumably the thoughts of the attacker, fit the sense is unclear, but the German oak-trees are presumably as much for the sake of rhyme as for national symbolism. The mixed animal imagery becomes clearer, however, in the final quatrain, when the enemy, the snake/tiger, is shot and turns out to be a Gurkha. The poem ends with the sentry continuing his watch (»die Stunde schreitet weiter« the hour goes on), listening in case there is another one coming. Streets’s sentry is shot, but here the sentry himself shoots the Gurkha. The specified enemy soldier might just possibly reflect experience or hearsay, or might have been chosen precisely to make the narrative more memorable or believable. 200,000 Gurkha soldiers fought in the First World War. Even here the enemy is not particularly vilified. Poems of sentry-duty include, however, one English-language counterpart to the images of the enemy offered in the propagandistic patrol-poems by Haase and Blunck, in a quite exceptionally bad, and once more patently (and crudely) imagined piece by A. E. Whiting-Baker,30 a second lieutenant. His poem appeared in a collection published as early as February 1915, of mostly patriotic pieces by soldiers and civilians. Night Outposts, which has the sub-hearing »British Expeditionary Force«, presents a young sentry, apparently just out of school (his last words echo Newbolt’s Vitaï lampada) who is shot by »a grim Hun« who chuckles as he does so. The caricature nature of this image and its terminology is compounded when »English sons« are thereupon urged to choke (printed in capital letters) the by now chuckling Hun. Furthermore, in defiance of logic but in the service of rhyme, they are to do so with »hands, sword and gun.« The reference to a »falscher Feind«, a deceitful enemy, in the German regimental collection does little more than supply an extra beat, and certainly does not fall into the same category as Whiting-Baker’s chuckling Hun. The presentation in a poem of the theme of a patrol or of listening duties is only to a limited extent subject to chronological divisions, and to national ones hardly at all. All combatant armies undertook these activities, and they continued 30 This poem is discussed in detail in Brian Murdoch. Fighting Songs and Warring Words. Popular Lyrics of the Two World Wars. London: Routledge, 1989, 29f. It is from a collection published in February 1915 called Lest We Forget. A War Anthology. Ed. H. B. Elliott. London: Jarrold, 1915; available online, 136. While many of the sentry-poems in the contemporary Als der Weltbrand lohte are also patriotic, there is little to match Whiting-Baker’s image of the enemy. Other poems in the English collection do refer to the stopping of »the Teuton wave« threatening the motherland (by A. W. Bustridge, 113). It is interesting in view of later racial designations that a poem by Judge Nizamat Jung (from the High Court of Hyderabad) praises Indian troops going to the war, telling them to face »the Western foemen« displaying on their faces the »Manhood of the Aryan race/ And its pristine chivalry«, 65.

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throughout the war unaffected by specific events. Different stages of the war might affect attitudes – Paul Zech’s early impatience for action is a case in point – but even these differences are limited. While it is easy enough, too, to spot the imaginary situations offered in overtly propagandistic pieces on both sides, which are principally from the early years of the war (where they exist side-by-side with more acceptable pieces), the question of Erlebnisdichtung can be more difficult in other cases, the more so as all the poems examined here are by soldiers known to have served. The precise time and circumstances of the writing of a given poem are often difficult, indeed impossible, to determine. In terms of form, too, there is a wide variety in English and German. West’s blank verse enables him to come close to ordinary speech, and the more conscious sound-patterning of Flex is also notable. Experimental and fragmented poetry like that of Stramm is very different from most other poems of the period, although the brevity of some of the other poems, such as that by Heywood, match it in some respects. Traditional forms, however, are used a great deal, in fact, with regular quatrains or couplets predominant. The simple song-forms adopted by MacGill were – as his preface indicates – deliberately chosen to make a point. The questions of intended audience and of contemporary and present reception are more complex, apart once again from poems plainly meant as contemporary patriotic propaganda. A poem written for and published in a trench or regimental paper (or for a newspaper at home, or even for a postcard) has from the start a different status to one published in a collection by an individual poet, or even in an anthology. Collections and anthologies had both a civilian and a military audience. Whether or not the poem was published during the poet’s lifetime or not is another matter, and there is a distinction, too, between works by already established poets and writers, and the extremely large body of poetry concerned with the war by now unknown poets. The question of reception even by different contemporary audiences – soldier or civilian – is also of interest. Qualitative judgements are necessarily based now both upon present reception and historical perspective, but it is important to know that even pieces as those by Haase, Blunck and WhitingBaker were intended for general consumption, were widely disseminated and read in anthologies that sold well. We can only guess at the extent to which they were accepted as reflections of reality, however, since with historical perspective it is difficult to read them today as anything but travesties. The preface to the collection cited of German Divisional poems, on the other hand, is more understandable in its hope that the poems might bring back happy memories to soldiers and former soldiers. MacGill’s introduction to his collection of deliberately simple pieces says more thoughtfully: »The feelings engendered in a man when a futile shell drops close to him and fails to explode is difficult to make manifest in words,« and for that reason he decided to use the form of songs; his listening post poem is a brief

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ballad. MacGill continued: »The soldier has in reality very few songs; he has many choruses which get worth from the mood that inspires them and the emotions which they invoke. None will outlast the turmoil in which they originated…«31 If the intended audience was, as this seems to imply, primarily soldiers or former soldiers, then this short-term view has not in fact proved to be entirely accurate. Patrols, listening posts, and sentry duty, then, all provided possibilities for different forms of expression in the poetry of the First World War. Those based upon imagined situations in which cowardly enemies are swiftly defeated are simple to identify. Others, however, make clear the human dangers involved, dangers which are abetted, ignored or mocked by nature, and their basis in experience is usually acceptable even if not supported by additional evidence. Reference to the enemy in the majority of these poems is made (if at all) in dispassionate terms. Only rarely are they even identified – a Franzmann, a Gurkha – and it is only in the early and patently propagandistic verse that they are condemned outright as Russian dogs, decadent chasseurs, or chuckling Huns. Some of the poems reflect simple fact. Patrols were sent out, listening posts and sentries kept watch. It was one of the everyday activities of the war, it was always dangerous, although sentry duty at least could provide space for thought. Even those poems in which activity or movement is limited, the reader nevertheless remains aware that the war is going on, and the sights, sounds and smells of death are never far away, making them as significant as war poetry as the reflection of battles. The unemotional presentation of the dead bodies in West’s poem and the fact that in their own historical time and specific context they were taken for granted and even used as markers cannot but shock a modern reader, just as much as that reader is still affected by the immediacy of the terror presented so succinctly in the patrol-poem by Stramm.

31 Soldier Songs, 9 and 14.

Rezensionen Reviews

Anne Hartmann, Reinhard Müller (eds.). Tribunale als Trauma. Die Deutsche Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbands. Protokolle, Resolutionen und Briefe (1935–1941). Göttingen: Wallstein, 2022 (akte exil. neue folge 3), 469 pp., 39,00 € [978-3-8353-5225-4]. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges lagern deutsche Dokumente, Akten und andere zeitgeschichtliche Zeugnisse in sowjetischen, heute russischen Archiven, zumeist in Moskau. Es gab immer wieder Zeitabschnitte in der politischen »Großwetterlage«, in denen der Zugang zu diesen Archiven auch ausländischen Forschern – meist in begrenztem Maße – zugänglich war. Noch bis in unsere Gegenwart hinein gibt es wohl immer noch unbekannte Dokumente aus sowjetischen Zeiten, die auch für die deutsche Geschichtsschreibung von außerordentlichem Wert sein dürften. Wie viele es sind und welcher Provenienz, lässt sich nur erahnen. So ist es außerordentlich zu begrüßen, wenn wieder einmal bislang Verschlossenes das Licht der Öffentlichkeit erreicht. Eine der neuesten Publikationen ist der Band Tribunale als Trauma. Die Deutsche Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbands. Protokolle, Resolutionen und Briefe (1935–1941). Er berührt eines der zentralen Themen und Probleme, denen sich die Exilforschung bereits mehrfach zuwandte. Auch mit dem vorliegenden Band ist das Mosaikbild nicht vollständig und wird es wohl auch nie sein. Einige wichtige, in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Steine des Mosaiks haben Anne Hartmann und Reinhard Müller beigetragen zum Verständnis der deutschen Exilliteratur und der VorPrägung deutscher Politik nach 1945 im sowjetischen Exil ab 1933. Leider haben die Herausgeber kein Vorwort verfasst, in dem sie die genaueren Umstände des Zugangs, die Art und Weise der Präsentation des Materials, des genauen Umfangs, die möglichen Auswahlkriterien und die Einordnung in die vorhandenen Archiv-Bestände darlegen. Auch eine Einordnung in beste-

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Rezensionen

hende Publikationen findet sich nur am Rande. Eine solche Quellenkritik und die Offenlegung des Zugangs sind nicht nur für den Leser hilfreich, sie sind in wissenschaftlichen Ausgaben durchaus Standard. Im Text »Statt eines Vorworts« findet der Leser wenig erhellende Informationen zur »Moskauer Spurensuche«, die die beiden Herausgeber zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Herangehensweisen unternahmen. Beide Herausgeber haben allerdings keine besonders umfangreiche wissenschaftliche Vita, die Edition historischer Dokumente betreffend. Und so hat die Ausgabe ein grundsätzliches Manko. Sie ist eine »best-of«Sammlung der recherchierten Akten, die – im heutigen Sinne – die vermeintlich spannendsten sind. Das erste Protokoll des Bands stammt aus dem Mai 1936, was impliziert, dass Stenogramme aus der Ära der Länderkommission und der Sowjet­ deutschen Kommission, aber auch aus der Anfangszeit der Deutschen Sektion (Januar 1935 bis Anfang 1936) nicht aufgenommen wurden. Eine vollständige Erfassung verbietet sich aus Gründen des Umfangs, aber auch des Inhalts. Neben den spannungsreichen gab es auch öde Versammlungen, langweilig bis zum Überdruss, wie vielfach beklagt wurde. (26)

Diese Art Auswahl verfälscht jedoch das historische Bild außerordentlich. Wenn es zahllose »langweilige« Versammlungen gab, muss die Historikerin definieren, was sie unter »langweilig« versteht und zumindest ein Beispiel davon geben. Oder angeben, wer über die Ödnis klagte. Vielleicht ist ja das, was Hartmann »langweilig« findet, für andere besonders interessant. Hartmann neigt mitunter zu Postulaten, wo Argumente am Platz wären. Solche Aussagen sind nicht falsch, aber wie alle Allgemeinplätze auch nicht wirklich richtig und weiterführend. Die Dokumente lassen sich als Chronik einer inneren Zerrüttung lesen, die einerseits Mythen der DDR-Literaturgeschichtsschreibung dekonstru­ iert, andererseits die Versteinerung der Akteure und ihr Schweigen in der Nachkriegszeit erklärt. (23)

Hier bspw. wäre ein bisschen mehr Erklärung sinnvoll, zumal die Auswahlbibliografie nicht von einer größeren Kenntnis der DDR-Literaturgeschichtsschreibung kündet. Außerdem gab es »die« DDR-Literaturgeschichtsschreibung nicht. Schlüssig unterteilt Hartmann den Band in drei Teile, die die Phasen Stalinscher Strukturierung des Literaturbetriebs bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion beleuchten. Diese leitet sie jeweils mit viel Sachkenntnis ein und

Reviews

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bemüht sich erfolgreich, historische Hintergründe begreifbar zu machen. Jede Einleitung beginnt mit einer beinahe feuilletonistischen, auch graphisch abgesetzten Übersicht von einer Seite. Alle Berichte bezeugen, wie wenig eigenständig die deutschen Schriftsteller waren oder sein konnten. Ihre Organisation war eben nur eine Sektion des Sowjetischen Verbandes. Und Hartmann zeigt, mit welcher Härte die Auseinandersetzungen geführt wurden und weist überzeugend nach, wie nachhaltig die eingenommenen und eingeübten Positionen der Protagonisten auch noch Jahrzehnte später waren. Ein Beispiel unter vielen ist die »Kontroverse Huppert – Gábor«. (145ff) Dass Stalin persönlich permanent in die Geschicke des Schriftstellerverbandes eingriff, weiß man seit langem. Und doch ist es immer wieder schockierend, wenn man die Beispiele dafür im Band nachliest, wie das Schicksal des Films Gesetz des Lebens und seines Regisseurs. (338ff) Wie wenig die sowjetische Führung, sprich: Stalin, auf Andere zu hören bereit war, besonders nicht auf Ausländer, zeigen die Verheerungen, die der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt auch in der Kultur und Literatur sowie bei ihren Protagonisten, insbesondere den deutschen auslöste. Immer wieder lässt Hartmann nachvollziehbar werden, was Simone Barck einmal so formuliert hat: »Die Protokolle offenbaren eine bisher kaum vorstellbare Vergiftung der Alltagsatmosphäre«. (23) Reinhard Müller hat dem Band eine »(kultur)politische Chronik 1933–1941: Skandale der Gleichzeitigkeit« beigefügt, deren Sinnhaftigkeit sich dem Rezensenten nicht erschließt, zumal sie nicht sauber zwischen nazideutschen und ­sowjetischen Ereignissen unterscheidet. Von ihm, dem ehemaligen Funktionär einer stalinistischen Splitterpartei, stammt auch in »Statt eines Vorworts« die irritierende Behauptung, die sich an den konservativen Mainstream anpasst, der »Moskauer Volksmund« hätte das Gebäude des Instituts für Marxismus-Leninismus »bei den drei Blinden« getauft. Deutschen Studenten, die in jener Zeit in Moskau studierten, ist die Bezeichnung unbekannt. Womöglich stammt sie eher aus der Nomenklatura der zu Ende gehenden Gorbatschow-Ära. Jens Ebert, Berlin

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Harald Jähner. Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen. Berlin: Rowohlt·Berlin, 2022, 557 pp., 28,00 € [978-3-7371-0081-6]. Während im Jahr 2014 in Deutschland der Rückblick auf den Ersten Weltkrieg verhältnismäßig flüchtig ausfiel, erfahren gegenwärtig die nachfolgenden, bereits von den Zeitgenossen wahlweise als »golden« oder »wild« apostrophierten 1920er Jahre eine ungleich größere Beachtung. Da die deutsche Gegenwart offenbar einer Projektionsepoche bedarf, erscheint die Wahl nur folgerichtig: Nach dem Ende des Kaiserreichs zeitigt die permanent umkämpfte erste deutsche Republik eine von außerordentlichem Innovationsgeist gekennzeichnete (Alltags-)Kultur samt quirligem Lebensgefühl, deren Faszination unverändert fortbesteht. Im Anschluss an Volker Kutschers gleichsam als Initiationszündung fungierende, mittlerweile auf neun Bände samt Fernsehserie angewachsene Romanreihe um einen in die Reichshauptstadt versetzten Kölner Kriminalkommissar (Der nasse Fisch. Gereon Raths erster Fall, 2008ff.) verbreiten diesen Mythos einer schillernden Zwischen-Zeit zahlreiche weitere Publikationen aus den Bereichen Belletristik und Sachbuch sowie Literaturverfilmungen und Spielfilme. Den damit einhergehenden Informationsbedarf bedient diese weit ausholende kulturgeschichtliche Überblicksdarstellung, deren griffiger Titel den Zeitgeist der 1920er Jahre in eingängiger Metaphorik bündelt ‒ und sogleich in Erinnerung ruft, was auf die tatsächlich rauschhafte Aufbruchstimmung der in kultureller Hinsicht so bedeutenden ersten deutschen Republik folgt: die belanglos-epigonale, stets politisch instrumentalisierte Kultur der NS-Zeit, einer Sattelepoche. Bereits ab 1930 kündigt sich dann der Wandel an: »Die Stimmung sank, die Erlösungsbereitschaft stieg, neue Arten des Höhenrausches wurden gesucht, mitreißendere, aggressivere, unheilvollere denn je.« (17) Anders als der hypernaturalistisch operierende Romancier Kutscher geht der Verf. differenzierter vor, indem er mittels eines trefflichen Vergleichs die Epoche als »Wackelbild, überraschend heutig und dann doch wieder auf bizarre Weise fremd« (12) auffasst, d. h. den aus zeitlicher Distanz ohnehin gegebenen »fremden Blick«, ein bewährtes Verfahren der Aufklärung, ausdrücklich zur Prämisse der Lesestrategie erklärt ‒ und als Beschluss des Vorworts ein didaktisches Moment der Lektüre impliziert (vgl.16f.). Das Wort »Lügenpresse« (16), bezogen auf die damals republik-affinen Zeitungen, stellt dann vollends einen unübersehbaren Bezug zur Gegenwart her. Problematisch erscheint freilich die beiläufig vertretene These, dass die Menschen zu Anfang der 1930er Jahre eine Wahl gehabt hätten, »[…] jeder für sich, nicht zuletzt in der Wahlkabine« (17). Gerade Anna Seghers’ in Rheinhessen angesiedelter Roman Der Kopflohn (Amsterdam, 1933), der die erbärmlichen Lebensverhältnisse in der grundsätzlich wohlhabenden Agrarregion kurz vor der »Machtergreifung« schildert, demonstriert exemplarisch, dass den

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politisch unbedarften, mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigten Menschen das Erstarken des Nationalsozialismus keinesfalls angelastet werden kann, vielmehr versagten die Eliten. Als Einstieg und komplementär zum kulturhistorischen Hauptteil umreißt der Verf. den basalen ereignisgeschichtlichen Hintergrund mit der zeitversetzten Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann bzw. Karl Liebknecht am 9. November 1918, dem zwei Tage später geschlossenen Waffenstillstand in Compiègne und dem sofort einsetzenden Widerstand seitens der Freikorps bzw. Spartakisten (»Als der Krieg nach Hause kam«, 21–73). Darauf folgt die ausführliche Darstellung der ersten Nachkriegszeit samt der mit äußerster Brutalität niedergeschlagenen Münchner Räterepublik (29–67), augenfälliges Exempel dafür, wie sehr die Republik von Anfang an gehasst und bekämpft wurde; mittelbar rekurriert der Verf. auf den von Arno J. Mayer ausgeführten Begriff eines zweiten Dreißigjährigen Krieges von 1914 bis 1945. Vor diesem Hintergrund finden nach der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs im Januar 1919 (42–50) die signifikanten Attentate auf republikanische Politiker Erwähnung (»Staatsdiener im Fadenkreuz«, 65–68); neben Matthias Erzberger (1921; 65) und Walther Rathenau (1922; 65) ist das der weniger bekannte Offizier und Kolonialismuskritiker Hans Paasche (1920; 66–68), der ein Gegenmodell zu dem bei der Rechten idolisierten Ernst Jünger verkörpert; ausführlich wird auch das Phänomen der heimkehrenden Soldaten und der marodierenden Freikorps behandelt (»Tagelöhner des Todes«, 51–65). An der Person des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert, den man als glanzlos und kleinbürgerlich verspottete (»Ebert, der Verachtete«, 68–74), zeigt sich, wie sehr der Talmiglanz des Kaiserreichs von breiten Schichten der Bevölkerung vermisst wurde. Der komplementäre Rahmen, der dann das ebenfalls und nicht minder wütend umkämpfte Ende der Weimarer Republik mit historischer Präzisierung schildert, findet sich dann am Schluss des Bandes erneut aufgenommen (»Das Ende: Reichskanzler Hitler«, 453–453). Diese Ausführungen zur durchweg kritischen bzw. instabilen politischen Lage und dann zur Darstellung der 1922/24 in atemberaubendem Tempo (auch dies ein Schlagwort der Epoche) ablaufenden Inflation (»Wenn das Geld stirbt«; 75–106) bilden jenen Hintergrund, der allerdings, in der Hauptstadt am deutlichsten manifest, je nach Sichtweise einen gesellschaftlichen Wandel signalisiert oder als Indiz für moralischen Verfall gilt. Dies gilt insbesondere, durch den Weltkrieg befördert, für die neue Stellung der Frau mit beträchtlich größerer Unabhängigkeit im Berufs- wie im Privatleben und ebenso für die nun entstehende, bereits von Siegfried Kracauer 1930 ausführlich beschriebene Angestelltenschicht (»Schicksale hinter Schreibmaschinen. Die Trägerschicht der neuen Zeit«, 151–175). Die demokratischen Verhältnisse spiegelt auch

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getreulich die allgemeine Tendenz zu zweckmäßiger gewordener Mode; bei den Frauen stehen dafür Bleistiftsilhouette und Frisur (»Politik mit der Haarschere: Der Bubikopf«, 310–315), wohingegen bei Männern ein trainierter, kantiger Körper zum Ideal wird. Androgynität und das Spiel mit Sexualitäten gehören insbesondere in Berlin mit seiner großen Szene für homosexuelle Männer und lesbische Frauen zum Alltag (»Zwischen Frau und Mann – Geschlechterzweifel«, 307–323). Zugleich entwickelt sich Berlin zur europäischen Hauptstadt der Prostitution, was zwar zahllose Ausländer anlockt, jedoch von vielen Deutschen als moralischer Niedergang empfunden wird (vgl. 97–100f.). Der zentrale (und möglicherweise spannendste) Teil des Bandes behandelt die gleicherweise fortschrittliche wie innovative (Alltags-)Kultur mit nicht zu übererschätzendem Einfluss, beispielsweise das auf Lebensreform ausgerichtete Bauhaus (115–134); von einiger Signifikanz ist der berühmte, 1925 von Marcel Breuer, Mies van der Rohe und Mart Stam gemeinschaftlich entwickelte Freischwinger (»Er entsprach der enormen Nervosität der Epoche«, 127); sodann die neu errichteten reformatorischen Wohnsiedlungen in Frankfurt (Ernst May), Berlin (Martin Wagner) und Stuttgart (Ludwig Mies van der Rohe), bei denen das Flachdach zum Signum politischer Progressivität gerät (vgl. 131–146). Mit diesen reformatorischen Tendenzen kontrastiert der zumeist in den Großstädten manifeste Prunk der Vergnügungs- bzw. Illusionsarchitektur (»Gebauter Rausch: Art déco«, 134–140). Hier rekurriert der Verf. auf den spatial turn, denn zumal in Berlin lässt sich die Zeit sehr präzise an ganz neuartigen (und nur scheinbar unbedeutenden) Orten ablesen, das sind beispielsweise die Halle des Sechstagerennens (vgl. 282–285) oder der zentrale Verkehrsknotenpunkt Alexanderplatz (vgl. 196–201). Nachdem er zwei Verse des Liedes »Wenn ich mir was wünschen dürfte« (aus dem Film Der Mann, der seinen Mörder suchte, 1931, Regie: Robert Siodmak) zitiert hat, resümiert der Verf. »So weise, so realistisch, so kokett konnte sie klingen, die Weimarer Republik.« (474), bevor ein »Epilog« nach Art eines filmischen Abspanns die weiteren Lebenswege einzelner Personen nach der »Machtergreifung« (475–486) schildert: So stirbt Philipp Scheidemann 1939 im dänischen Exil. Irmgard Keun kehrt nach der Okkupation der Niederlande nach Köln zurück und überlebt dort unter einer falschen Identität. Christian Schad leitet ab der Mitte der 1930er Jahre ein Brauerei . Siegfried Krakauer kehr aus dem amerikanischen Exil nicht zurück und lehrt an der Columbia Universietät. Unbestreitbar präsentiert der vorliegende Band »das aufregendste Gesellschaftstableau, dass Deutschland je gesehen hat« (68). Dem Verf. ist bravourös das Kunststück gelungen, ein Epochenbuch vorzulegen, das, weil die Geschichtserzählung so elegant wie gelehrt dargeboten wird, sich nicht nur allein als Vademecum zum besseren Verständnis historischer Kriminalromane eignet, sondern zugleich deren Hintergründe zu erhellen vermag. Zugleich aber, ungleich größeres Verdienst,

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lädt der Band permanent zur weiteren Beschäftigung mit der faszinierendsten Zeitspanne des Interbellum ein. Abzuwarten bleibt in diesem Zusammenhang übrigens auch, ob sich die an bedeutender Literatur überreiche Weimarer Republik als eigenes Forschungsgebiet innerhalb der deutschen Germanistik etablieren wird, was bereits für die Exilliteratur anläßlich des 50. Jahrestages der Bücherverbrennung nicht gelang. Thomas Amos, Frankfurt am Main

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Jürgen Serke. Die verbrannten Dichter: Lebensgeschichten und Dokumente. Göttingen: Wallstein, 2023, 364pp., Ill., 38,00 € [978-3-8353-5388-6]. Die Ausstellung des Solinger Museums zum Werk Jürgen Serkes im Jahr 2018 fasste in ihrem Titel seine Biographie prägnant zusammen. Mit Bezug auf sein Hauptwerk hieß sie Ein Leben für die verbrannten Dichter. Die ursprünglich als Fortsetzungsreihe 1976 im Stern veröffentlichte Sammlung literarischer und zeithistorischer Porträts machte seinerzeit so viel Furore, dass sie später mehrfach als Buch wieder aufgelegt wurde: Beltz 1977, S. Fischer 1980 und Gelberg 1992. Nun ist sie anlässlich des 90. Jahrestages der nationalsozialistischen Bücherverbrennung von 1933 erweitert, neu bebildert und durchgängig farbig gedruckt in einer imposanten, wunderbar gestalteten Ausgabe bei Wallstein erschienen. Bereits Format und Umfang verkünden: Hier haben wir ein literarisches Lesebuch bester Qualität vor uns. Ein Lesebuch, dass in jeder Bibliothek, auch jeder privaten stehen sollte. Unabhängig von Jahrestagen. Intellektuell und ästhetisch ein Genuss. Mit einer eindeutigen Warnung, die Augen vor politischen Fehlentwicklungen, vor dem Beschneiden individueller und gesellschaftlicher Freiheit nicht zu verschließen. Mehr noch, sich dem bewusst entgegenzustellen. In diesem Sinne ist das Buch über eine vergangene Literaturepoche heute wieder – leider – hochaktuell. Überholt war es nie. Auch das wohl ein Grund des Verlegers, Thedel von Wallmoden, es wieder aufzulegen. Sein Verlag ist ja bekannt dafür, sich verfemten, verkannten oder vergessenen Autorinnen und Autoren besonders anzunehmen. Von Wallmoden hat dem Band auch ein Vorwort beigegeben, das uns an seiner ersten Begegnung mit Serkes Texten teilhaben lässt. Spannend, seine persönliche Leseerfahrung im Rückblick miterleben zu können: Große Wirkung hatte bei der Lektüre auch, dass Serkes Artikel zwischen biografischem Bericht, erläuternder Vorstellung der Bücher und geschickter Textkollage einen Sog erzeugten, von dem ich noch heute sagen kann, dass er unbändige Neugier auf die Bücher der »verbrannten Dichter« weckte. Die Artikel boten gerade genug, um einen Eindruck von den Texten zu bekommen und zugleich so wenig, dass Lust auf mehr entstand. (9)

Serkes Artikelserie und die späteren Buchausgaben haben großen Anteil daran, dass die verbrannten Bücher nicht auch noch dem völligen Vergessen anheimfielen. Serke hat es sich bei der Auswahl aus der Unzahl in der NS-Diktatur verbotenen und verbrannten Dichterinnen und Dichter nicht leicht gemacht. Es sind nicht die »großen« Namen, die er uns präsentiert, die bis heute allgemein bekannt sind: Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Anna Seghers, Heinrich Mann, Karl Marx

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oder Sigmund Freud. Der Herausgeber hat mit feinem Gespür diejenigen herausgesucht, die es nach 1945 schwer hatten, wieder den ihnen gemäßen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung und im literarischen Leben einzunehmen. Da ist Else Lasker-Schüler, der der Verfasser dieser Zeilen nicht nur deswegen verbunden ist, weil er in einer nach ihr benannten Straße lebt. »Wer ist Else LaskerSchüler? Eine Frage, die in Deutschland nicht einmal Germanisten hinreichend beantworten können.« (27) Doch Serke kann seine eigene Frage beantworten: Else Lasker-Schüler ist »die Frau, die die Träume nach Israel entführte. Die Dichterin der schönsten deutschen Liebesgedichte.« (27) Sie führt, wie so viele andere in jener Zeit, ein Leben zwischen der Poesie der Phantasie und der Prosa des Alltags. Einen Leben mit und zwischen geliebten Männern. Die Enkelin eines Rabbiners und Tochter eines Bankiers stammt aus Elberfeld, der Heimat von Friedrich Engels. »In Berlin ist sie eine stadtbekannte Erscheinung. Um sie scharen sich die literarischen Talente. Das alte Café des Westens und später das Romanische Café sind ihre Heimat.« Aus dieser Heimat wird sie 1933 vertrieben, emigriert in die Schweiz und von dort nach Palästina, wo sie 1945 stirbt. Durch Serke erfahren wir so viel mehr als nur die Lebensläufe von Schriftstellerinnen und Schriftstellern oder die Genesis ihrer Werke. Immer wieder lässt Serke den Leser eintauchen in die faszinierende, kreative, innovative, lustvolle, aber auch beschwerliche und bedrohliche Zeit der letzten Jahrzehnte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts und fördert zahllose Anekdoten und unbekannte Episoden und Facetten ans Licht. Da ist Paul Zech: »In Südamerika, in Buenos Aires, sang Paul Zech sein Lied »vom verruchten Ausgestoßensein«. Der 1881 im westpreußischen Briesen geborene Dichter, der 1919 für seine Arbeiterliteratur aus den Händen Heinrich Manns den Kleist-Preis erhalten hatte, musste sich in der argentinischen Emigration als Hausierer, Nachtwächter und Klavierspieler in einer Hafenschenke sein Geld verdienen. »Von dem, was er im Exil schrieb, konnte er nicht leben.« (243) In den einzelnen Kapiteln setzt Serke immer wieder die Autorinnen und Autoren zueinander in Beziehung, lässt Verbindungslinien aufscheinen, literarische, politische und private. Paul Zech – das war für die ebenfalls aus Elberfeld kommende Else LaskerSchüler einer, »der mit der Axt seine Verse« schrieb: »Man kann sie in die Hand nehmen, so hart sind sie. Sein Vers wird zum Geschick und zum murrenden Volk.« (244)

Serke beleuchtet Netzwerke und Freundschaften, Zusammenarbeit und gegenseitige Anregung – Animositäten und Widersprüche natürlich auch. Im Laufe der Lektüre entsteht so ein gesellschaftliches Panorama. Der Verlag übertreibt nicht,

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wenn er es epochal nennt. Bei aller Individualität und Eigenheit von Künstlerinnen und Künstlern, es gibt auch übergreifende Positionen, wiederkehrende Ideen und gemeinsame Konzepte von der Welt und der Kunst. Fast alle beschriebenen Dichterinnen und Dichter sind irgendwo im linken Teil des gesellschaftlichen Spektrums zu verorten, die meisten nicht eindeutig. Die mehrfach in Regierungsverantwortung stehende Sozialdemokratie ist vielen zu staatstreu, zu behäbig, zu wenig an wirklichen Veränderungen interessiert. Da dies mehrfach betont wird, kann man vermuten, dass hier auch Serkes zeitgenössische Erfahrungen aus den Zeiten der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt hineinspielen. Den Tod von Ernst Toller, der bettelarm in den USA Selbstmord begeht, kommentiert Serke wie folgt: Viel früher hat Toller das Motiv zu seinem Selbstmord in die Worte gefasst: »Wer keine Kraft zum Traum hat, hat keine Kraft zum Leben.« Tollers Traum war nach 46 Jahren aufgebraucht. Gustav Noske, der Mann, der den Traum vom Sozialismus zerstört und die Revolution nach dem Ersten Weltkrieg niedergeschlagen hatte, durfte in Hitlers Deutschland bleiben und bekam von den Nazis Rente. (25)

Die Mitglieder der anderen großen Arbeiterpartei, revolutionärer als die SPD, die Kommunisten sind meist zu diszipliniert und verlangen von anderen zu viel Disziplin, was natürlich nicht die Sache der beschriebenen Künstlerinnen und Künstlern ist. Irgendwie sitzen sie stets zwischen allen Stühlen. Wo wir wieder bei Paul Zech wären: Brüder, laßt die Glocke toben,/Rote Fahnen, wir sind oben!

Das war ein Wunschtraum, der nicht Erfüllung ging. Sozialismus, in dem sich Karl Marx und Meister Eckhart vereinen: »Sozialrevolutionäre Schwingung zum Himmelreich auf Erden ist nur dann ein Heilsweg, wenn wir alle erst wieder wie die Kinder werden.« Das war die Vision Und wenn er sie mit der Wirklich koppelte, erklangen solche Verse: So schwarz ist keine Nacht wie die,/die uns im Berg zum Vieh erniedrigt hat. (244)

Serkes Sicht, wie kann es anders sein, ist hauptsächlich eine westdeutsche. Erstaunlich sensibel betrachtet er aber auch die Rezeption der verbrannten Dichterinnen und Dichter im »anderen« deutschen Staat, zumindest feinfühlender und verständiger als dies in neueren Publikation oftmals geschieht. Die Widersprüchlichkeit der beiden deutschen literarischen und politischen Gesellschaften und die deut-

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sche Geschichte macht er sinnfällig an Johannes R. Becher sichtbar. Nach 1945 hochgelobt und viel gelesen in der einen, zumeist unbekannt und/oder abgelehnt in der anderen Republik: Johannes R. Becher war im »Dritten Reich« ein Verfemter. Er blieb es im westlichen Teil Deutschlands über 1945 hinaus. Hass und Verachtung in der Bundesrepublik entzündeten sich an einem Gedicht, dessen erste Strophe so lautet: Auferstanden aus Ruinen/Und der Zukunft zugewandt,/Laß uns dir zum Guten dienen,/Deutschland, einig Vaterland. (261)

Der Text wurde in der Vertonung eines anderen Verfemten, dem Österreicher Hanns Eisler, die Nationalhymne der DDR. »Das Lied mit dem Text Johannes R. Bechers ging um die Welt.« (261) Dass Serke so tiefe, auf- und anregende Sichten auf die Autorinnen und Autoren zu verfassen in der Lage ist, verdankt er einer einfachen Idee. Thedel von ­Wallmoden bringt dies in seinem Vorwort auf den Punkt: Jürgen Serke und der Fotograf Wilfried Bauer hatten Autorinnen und Autoren aufgesucht, hatten mit ihnen gesprochen und sie fotografiert. Die Artikel erzählten von diesen Begegnungen. […] Viele der Autorinnen und Autoren lebten noch. Sie waren noch da, aber in den zwanzig Jahren seit Kriegsende hatte sich kaum jemand für ihre Werke und Schicksale interessiert. Sie waren präsent und zugleich waren sie vergessen. Es war ein Paradox: Jeder hätte diese Autorinnen und Autoren treffen können […] Aber die »verbrannten Dichter« spielten im literarischen Leben, […] jener Jahre keine Rolle.

Aufschlussreich bei Serke ist auch die von ihm recherchierte Publikationsgeschichte der verbrannten Bücher nach 1945 in beiden deutschen Staaten. Trotz aller Rettungsversuche vor dem Vergessen, die Bücherverbrennung hat nicht wieder gut zu machenden Schaden im literarischen Leben Deutschlands angerichtet. Serkes Band zeigt, wie viele hoffnungsvolle, kreative und innovative Stimmen verstummten oder sich zumindest nur noch leise zu Wort meldeten. Bis heute ist in manchen Kreisen die Vorstellung virulent, man würde durch die Vernichtung oder Veränderung der Überlieferung die Wahrheit aus der Welt schaffen können. Doch das ist seit Jahrhunderten widerlegt. Jens Ebert, Berlin

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Anja Ballis, Marlene Zöhrer (eds.). Astrid Lindgren und der Zweite Weltkrieg. Interdisziplinäre Annäherungen an Leben und Schreiben in Zeiten des Krieges. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2023 (Studien zur europäischen Kinder- und Jugendliteratur/ Studies in European Children’s and Young Adult Literature 12), 231 pp., 36,00 € [9783-8253-4920-2]. Children’s author Astrid Lindgren’s diaries began with the onset of hostilities in World War II on September 1, 1939. They were published under the title »War Diaries 1939–1945« in Sweden and Germany in 2015 and form the basis of the contributions united in this anthology, which deal with the entries from different academic disciplines. After taking stock of research on Astrid Lindgren, contributions are first devoted to describing the political situation in Sweden in the diaries. Subsequently, topics of the Second World War are examined, such as »Everyday Life and the Holocaust,« the ways in which Lindgren and Erich Kästner obtained information, and »Sweden as a Country of Exile and Translation.« A third section is devoted to Lindgren as a children’s book author and asks about publication conditions after the war as well as the autobiographical content and »school and educational ideal« in her early texts for children. Finally, the end of the war is examined as a »turning point in Swedish children’s literature« and the question is also explored as to what influence Astrid Lindgren had on Swedish children’s literature in the post-war period. Die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren begann mit Einsetzen der Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939, Tagebuch zu führen. Diese wurden unter dem Titel Kriegstagebücher 1939–1945 in Schweden und Deutschland 2015 publiziert und bilden die Grundlage der in diesem Sammelband vereinten Beitäge, die sich aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit ihren Aufzeichnungen beschäftigen. Nach einer Bestandsaufnahme der Forschung zu Astrid Lindgren widmen sich Artikel zunächst der Beschreibung der politischen Situation in Schweden in den Tagebüchern. Anschließend werden Themen des Zweiten Weltkriegs beleuchtet, wie beispielsweise »Alltag und Holocaust«, Möglichkeiten der Informationsbeschaffung bei Lindgren und Erich Kästner und

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»Schweden als Exil- und Übersetzungsland«. Ein dritter Abschnitt widmet sich Lindgren als Kinderbuchautorin und fragt nach Publikationsbedingungen nach dem Krieg, dem autobiographischen Gehalt sowie »Schule und Erziehungsideal« in den frühen Texten für Kinder. Abschließend wird das Kriegsende als »Zeitenwende in der schwedischen Kinderliteratur« beleuchtet und auch der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Astrid Lindgren auf die schwedische Kinderliteratur der Nachkriegszeit hatte. Andreas Braune, Tim Niendorf (eds.). Die Politik in der Kultur und den Medien der Weimarer Republik. Stuttgart: Frank Steiner Verlag, 2022 (Weimarer Schriften zur Republik 20), 264 pp., 52,00 € [978-3-515-13268-8]. The 20th. anthology concerning the »Weimar Republic« deals with media and cultural reappraisal of politics in the early 20th century. The new born democratic conditions mixed with technical innovations led to a wave of medialization and culturalization of politics. We have all kinds of different authors with different contributions all around the theme of politics in media and culture. To break it down, the anthology is wrapped around three thematic focal points: politics in newspapers and magazines, also images, photography and film as political tools and the final part is about literature and publishing in the context of politics. In diesem 20. Sammelband der »Weimarer Schriften zur Republik« wird die Rolle medialer und kultureller Aufbereitung von Politik für die Republik im frühen 20. Jahrhundert thematisiert. Die erstmaligen Zustände der parlamentarischen Demokratie, mitsamt seiner technischen Innovation, boten neue Möglichkeiten und ließen die Medialisierung der Politik vorantreiben. Unterschiedliche Autoren beschäftigen sich mit einer breit gefächerten Variation an Medien, welche Politik unterschiedlich zum Ausdruck brachten. Von Zeitungen und Zeitschriften angefangen, geht es über Bild, Fotografie und Film als politische Werkzeuge, bis hin zu Politik in Literatur und Publizistik. Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (ed.). Russlands verlorene Kriege. Historische Niederlagen eines Imperiums. Stuttgart: Berliner Wissenschaftsverlag, 2023 (osteuropa Vol. 73, Heft 3–4, 2023), 280 pp., Ill., 24,00 € [978-3-8305-5507-9; 0030-6428]. This issue of the academic journal »osteuropa« is dedicated to the wars fought by Russia and lost in various respects, which tend to be suppressed in the collective memory in Russia. These include, for example, the Crimean War (1853–1856), the defeat of the Tsarist Empire by Japan (1904/05) and the First World War (1914–1917/18), each of which had serious consequences for the political order within the country. No less momentous were the Winter War of 1939/40 against Finland and the two Chechen wars (1994–1996; 1999–2000). Russia’s current war of aggression against Ukraine (since 24.02.2022) is also taken into account, including the consequences for the critical population, which is subject to repression. Another thematic block is devoted to the war, the church and the country’s culture. Dieses Heft der wissenschaftlichen Zeitschrift osteuropa widmet sich der durch Russland geführten und in unterschiedlicher Hinsicht verlorenen Kriege, die in der kollektiven Erin-

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nerung in Russland eher verdrängt werden. Hierzu zählen z. B. der Krimkrieg (1853–1856), die Niederlage des Zarenreichs gegen Japan (1904/05) und der Erste Weltkrieg (1914– 1917/18), was jeweils gravierende Auswirkungen auf die politische Ordnung innerhalb des Landes hatte. Nicht weniger folgenreich waren der Winterkrieg 1939/40 gegen Finnland und die beiden Tschetschenienkriege (1994–1996; 1999–2000). Ebenso findet der aktuelle Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine (seit 24.02.2022) Berücksichtigung, auch die Folgen für die sich kritische äußernde Bevölkerung, die Repressionen ausgesetzt sind. Ein weiterer Themenblock widmet sich dem Krieg, der Kirche und der Kultur des Landes. Noyan Dinçkal, Sabine Schleiermacher (eds.). Kriegsgeschädigte und europäische Nachkriegsgesellschaften im 20. Jahrhundert. Paderborn: Brill Schöningh, 2023 (Krieg in der Geschichte 117), 280 pp., 79,00 € [978-3-506-72618-6]. In this volume we come across a discussion about different kinds of interaction with war victims in post-war societies of Europe. It is introduced by a preface of the two editors on the subject of the volume and a brief overview of the thematic focus of the chapters that follow in the book. The book is left with a total of ten chapters, which in turn are categorically divided into three parts: Social Policy and Symbolic Politics in Part I, Rehabilitation and Integration in Part II, and finally Media Representation and Memory Culture in Part III. There is a different author in charge for each chapter, from historians to political scientists, while the language wanders back and forth between English and German. Part I for example is about the differences in sociopolitical strategies of the BRD and DDR concerning war victims. The second part about rehabilitation contains an article about the psycho-pedagogical medical centre in Post-war Italy. The third part about media representation picks up the topic of war-disabled people in movies from 1945 to 1949. The volume also includes information on the authors and an index of abbreviations, persons and places. In diesem Band stoßen wir auf eine Auseinandersetzung mit Kriegsgeschädigten in europäischen Nachkriegsgesellschaften. Eingeleitet wird durch ein Vorwort der beiden Herausgeber zur Thematik des Bandes und einen kleinen Überblick bezüglich thematischer Schwerpunkte der im Buch folgenden Kapitel. Die insgesamt zehn Kapitel sind auf drei Kategorien aufgeteilt: Sozialpolitik und Symbolpolitik in Teil I, Rehabilitation und Integration in Teil II und schlussendlich Mediale Repräsentation und Erinnerungskultur im dritten Teil. Jedem Kapitel obliegt ein/e andere/r Autor*in mit anderen Hintergründen, von Historiker*innen bis Politikwissenschaftler*innen, während die Sprache zwischen deutsch und englisch wandert. So geht es in Teil I beispielsweise um die Herausstellung von Unterschieden in sozialpolitischen Strategien der BRD und DDR im Umgang mit Kriegsgeschädigten. Im zweiten Teil zur Rehabilitation finden wir einen Beitrag zum psychopädagogischen, medizinischen Zentrum in Nachkriegsitalien. Abschließend geht es in der medialen Repräsentation und Erinnerungskultur unter anderem um Spielfilme und den Umgang mit Kriegsversehrten

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von 1945–1949. Dem Band anbei sind ebenfalls Informationen zu Autor*innen und ein Abkürzungs-, Personen- und Ortsverzeichnis. friedensgutachten 2022 – Friedensfähig in Krisenzeiten. Bielefeld: transcript, 2022, 152 pp., 15,00 € [978-3-8376-6403-4]. The issue of »friedensgutachten 2022« is primarily dedicated to the Russian war of aggression on Ukraine and, in addition to the consequences for Ukraine itself, also highlights the effects on European security policy. Topics such as peaceful conflict management, sustainable peace in times of gender, diversity and violence, the question of disarmament instead of an arms race and peacekeeping through institutions are dealt with as well as transnational security risks. The respective sections are introduced with recommendations (for action) from the publishing institutions (BICC, HSFK, IFSH, INEF) and summarised in conclusions. Die Ausgabe »friedensgutachten 2022« widmet sich vor allem dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und beleuchtet dabei neben den Folgen für die Ukraine selbst auch die Auswirkungen auf die europäische Sicherheitspolitik. Themen wie eine friedliche Konfliktbearbeitung, nachhaltigem Frieden in Zeiten von Gender, Diversität und Gewalt, die Frage nach Abrüstung statt Wettrüsten und Friedenssicherung durch Institutionen werden ebenso bearbeitet wie transnationale Sicherheitsrisiken. Die jeweiligen Abschnitte werden mit (Handlungs-)Empfehlungen der herausgebenden Institutionen (BICC, HSFK, IFSH, INEF) eingeleitet und in Schlussfolgerungen zusammengefasst. Hermann Gätje, Sikander Singh (eds.). 1870/71 – Literatur und Krieg. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 2023, 161 pp., 59,90 € [978-3-7720-8754-7]. Numerous literary testimonies were not only produced for the First World War; already in the aftermath of the Franco-Prussian War of 1870/71, lyrical, narrative and dramatic works were created that were dedicated to the most diverse aspects of this war. The political conflict as well as the fighting, the economic and social effects up to the consequences for the individual found expression and description in the literary testimonies. The contributions collected here are devoted not only to the forms of representation but also to the representation and staging of war and the experience of war. Furthermore, the question is explored to what extent this literature conditioned or gave rise to later genres such as naturalism or expressionism. Nicht erst zum Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche literarische Zeugnisse angefertigt, bereits in Folge des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 entstanden lyrische, erzählerische und dramatische Werke, die sich den verschiedensten Aspekten dieses Krieges widmeten. Sowohl der politische Konflikt als auch die Kampfhandlungen, die ökonomischen und sozialen Auswirkungen bis hin zu den Folgen für den einzelnen Menschen fanden in den literarischen Zeugnissen Ausdruck und Beschreibung. Die hier versammelten Beiträge widmen sich neben den Darstellungsformen auch der Repräsentation und Inszenierung von Krieg und Kriegserlebnis. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, inwieweit

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diese Literatur spätere Gattungen wie Naturalismus oder Expressionismus beeinflusst oder hervorgebracht hat. Christian Goeschel. Mussolini und Hitler. Die Inszenierung einer faschistischen Allianz. Berlin: Suhrkamp, 2019, 475 pp., 28,00 € [978-3-518-42891-7]. The author examines the total of seventeen meetings between Hitler and Mussolini with regard to the staging of a »friendship,« although both dictators did not like each other personally at all. This staging served above all to demonstrate unity and power to the outside world and closeness to the people to the inside. Goeschel explores the question of what tactics and propagandistic techniques were used, to what extent, in addition to strains and inequalities, a mixture of admiration and envy contributed to this relationship becoming »a prototype of fascist diplomacy.« Goeschel also takes a look at the external impact of the dictators by examining the political and public reactions to the often pompously staged meetings, thus exploring the chronology of tensions and misunderstandings in the realm of political performance and power. In addition to an index of names, an extensive bibliography completes the volume. Der Autor untersucht die insgesamt siebzehn Treffen zwischen Hitler und Mussolini im Hinblick auf die Inszenierung einer »Freundschaft«, obwohl beide Diktatoren sich persönlich gar nicht mochten. Diese Inszenierung diente vor allem der Demonstration von Einheit und Macht nach außen und von Volksnähe nach innen. Goeschel geht der Frage nach, welche Taktiken und propagandistische Techniken benutzt wurden, inwiefern neben Belastungen und Ungleichheiten auch eine Mischung aus Bewunderung und Neid dazu beitrug, das diese Beziehung »ein Prototyp faschistischer Diplomatie« werden konnte. Goeschel wirft auch einen Blick auf auf die Außenwirkung der Diktatoren, indem er die politischen und öffentlichen Reaktionen auf die häufig pompös inszenierten Treffen beleuchtet, und untersucht so die Chronologie von Spannungen und Missverständnissen im Bereich der politischen Performance und Macht. Neben einem Namenregister ergänzt eine umfangreiche Bibliographie den Band. Tobias Hirschmüller, Frank Jacob (eds.). War and Communism. The violent consequences of ideological Warfare in the 20th century. Paderborn: Brill Schöningh, 2022 (War (Hi) Stories 11), 394 pp., 114,00 € [978-3-506-79368-3]. In this book Hirschmüller and Jacob address communism in relation to war in the 20th century. Thematically the theoretical framework of communism in context of war and the actual practical models in history are the center of this anthology. But it also deals with violent resistance against communism as an ideology. The whole publication thus is separated into four chapters: the theory of communism and war, communism at war, communism after war using two examples of countries and war as a response to communism. Der Sammelband von Hirschmüller und Jacob untersucht die Zusammenhänge zwischen Kommunismus und Krieg im 20. Jahrhundert. Verwiesen wird hierbei einerseits auf den theoretischen Rahmen von Kommunismus und seine praktischen Auslegungen im letzten

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Jahrhundert bezogen auf Krieg, andererseits auch auf Gewalt als Antwort auf Kommunismus. Dafür lässt sich der Beitrag in vier Abschnitte mit Unterkapiteln einteilen: Kommunismus und Krieg in der Theorie, Kommunismus als Kriegstreiber, Krieg und Nachwirkungen im Kommunismus an zwei Länderbeispielen und den Krieg als Antwort auf Kommunismus. Frank Jacob. East Asia and the First World War. Berlin: de Gruyter, 2022, 165 pp., 29,95 € [978-3-11-073708-0]. In one of his latest books Frank Jacob addresses the global impact of The First World War in East Asia. The War did not only leave his footprints in Europe, but in the whole world. Whether directly, indirectly or not at all involved, the event left his marks in different countries. Jacob‘s explanations are suitable for both the advanced and the inexperienced in the field of East Asian history. The author provides the reader with three examples of countries along with information that relates to their individual national histories as well as contextualizing them to The First World War. The respective chapters on China, Japan and Korea can be read individually as well as in a flowing passage, with the aim of awakening general interest in East Asian studies. Frank Jacob behandelt in einer seiner neuesten Monographie die globalen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges im Kontext Ostasiens. Nicht nur unmittelbar in Europa, sondern auf dem gesamten Erdball machten sich die Auswirkungen des Weltkrieges bemerkbar. Ob direkt beteiligt, indirekt oder gar überhaupt nicht, das Ereignis hinterließ globale Spuren in unterschiedlichen Ländern. Jacobs Ausführungen sind sowohl für Fortgeschrittene als auch Unerfahrene auf dem Gebiet der ostasiatischen Geschichte geeignet. Der Autor liefert dem Leser drei Beispiele von Ländern mitsamt Informationen, welche sich sowohl auf ihre individuelle nationale Geschichte beziehen, als auch die Kontextualisierung zum Ersten Weltkrieg. Die jeweiligen Kapitel zu China, Japan und Korea lassen sich einzeln genauso lesen wie in einem fließenden Durchgang, mit dem Ziel, das generelle Interesse für ostasiatische Studien zu erwecken. Wolfgang Jacobsen. Der Film im Nationalsozialismus. München: Richard Boorberg, 2021, 132 pp., 19,00 € [978-3-96707-528-1]. The movie is an influential medium and used as a political tool, especially in National Socialist Germany. In this book Jacobsen addresses the different propagandistic interpretations of the movie, which the National Socialists used for their selfish interests. The monography explores these different interpretations in eighteen chapters reaching from education of Hitler Youth to the representation of the idealized community between the »Führer« and the masses up to the antisemitic propaganda in movie productions, therefore inciting hatred. Related literature and registers of persons are attached. Dem Film als Medium kommt eine große Bedeutung zu. Die Nationalsozialisten wussten sich diesem als politisches Mittel zu bedienen. Die Monographie von Jacobsen untersucht die heterogene Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten des Mediums in nationalsozialistischer Propaganda und wie der Nationalsozialismus damit Geschichte begründet. Diese

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reicht in achtzehn Kapiteln von der Erziehung der Hitlerjugend, über die Darstellung der idealisierten Gemeinschaft zwischen »Führer« und »Volk«, bis hin zu Verbreitung von Hass anhand antisemitischer Pamphlete. Weiterführende Literatur und ein Personenregister sind zum Schluss hinzugefügt. Karl Kassenbrock. Nanno. Onderduiker im Rettungswiderstand. Kurt Reilinger (1917– 1945). Heidelberg u.a.: verlag regionalkultur, 2022, 143 pp., 11,00 € [978-3-95505-334-5]. »Onderduiker« were people who hid from arrest and deportation by the National Socialists in the Netherlands during World War II. From the German Reich, about 30,000 people had sought refuge in the neighboring country and were again in danger after the invasion of the Wehrmacht in May 1940. A young emigrant from Stuttgart, Kurt Reilinger, himself an »Onderduiker,« hid other persecuted people together with Palestine pioneers from the youth organization Hechaluz. Under the code name »Nanno« he finally helped them to escape to France and Spain. Karl Kassenbrock tells his story and that of the people he saved. »Onderduiker« waren Menschen, die sich während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden vor Festnahme und Deportation durch die Nationalsozialisten versteckten. Aus dem Deutschen Reich hatten etwa 30.000 Menschen Zuflucht im Nachbarland gesucht und waren nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 erneut in Gefahr. Ein junger Emigrant aus Stuttgart, Kurt Reilinger, selbst ein »Onderduiker«, versteckte gemeinsam mit Palästinapionieren der Jugendorganisation Hechaluz andere Verfolgte. Unter dem Decknamen »Nanno« verhalf er ihnen schließlich zur Flucht nach Frankreich und Spanien. Karl Kassenbrock erzählt seine Geschichte und die der von ihm geretten Menschen. Heike Klapdor. Mit anderen Augen. Exil und Film. München: edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag, 2021, 289 pp., Ill., 34,00 € [978-3-96707-472-7]. This work deals with the subject matter of movies done in exile. Those types of films were mostly done by German film makers, who fled from the repressive politics of the national socialist regime in Germany and established themselves as directors abroad. With the help of various film examples, the author discusses the diverse depiction of the term »exile« and by that tries to add new insights to a theory of exile movies. In the books seven chapters, Themes like gender identity, European refugee routes, cultural identity crisis, or the innocence of children are described in detail by the author. Films used as an example are mostly from the 1930s or 1940s, although productions from recent decades are also included. The appendix of the book features a list of illustrations, a bibliography together as well as an index of persons and films. Dieser Band befasst sich mit der Thematik des Exilfilms, bei denen es sich hauptsächlich um Filme deutscher Filmproduzent*innen handelt, welche aufgrund nationalsozialistischer Repression aus Deutschland flüchteten und sich im Exil als Regisseur*innen etablieren konnten. Die Autorin setzt sich anhand verschiedenster Filmbeispiele mit variierenden Darstellungen des Begriffs »Exil« auseinander und versucht so, zu einer

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Exilfilmtheorie beizutragen. Diese werden in sieben Kapiteln detailliert geschildert. Unter anderen werden Thematiken wie Geschlechteridentität, europäische Fluchtwege, kulturelle Identitätskrisen oder die kindliche Unschuld durch die Autorin aufgeführt. Bei den Beispielen für Exilfilme wird sich hauptsächlich an Produktionen der 1930er und 1940er Jahre orientiert, allerdings werden auch Spielfilme aus den letzten Jahrzehnten in Betracht gezogen. Am Ende dieses Werks sind ein Abbildungs- und Literaturverzeichnis, sowie ein Personen- und Filmregister auffindbar. Anne-Christin Klotz. Gemeinsam gegen Deutschland. Warschaus jiddische Presse im Kampf gegen den Nationalsozialismus (1930–1941). Berlin, Boston: de Gruyter Oldenbourg, 2022 (Europäisch-jüdische Studien – Beiträge 58), 518 pp., Ill., 102,95 € [978-311075586-2]. Research on public reactions to the Nazi seizure of power has largely ignored Jewish reactions from Eastern and East Central Europe. The author examines the origins and significance of knowledge about political and social developments among Jews in Poland, which was expressed primarily in Jewish daily newspapers, with the focus of her analysis on the Warsaw Yiddish press. A wide variety of topics are highlighted, such as »Jewish Journalism in the Context of Persecution and Surveillance in Poland and Germany«, »Writing about National Socialism and Anti-Semitism«, »Travelogues from Nazi Germany«, »The Fight against Nazi Germany« as well as the escalation in the »Crisis Year 1938 and the Outbreak of the Second World War«. In addition to the daily newspapers, the people are at the centre of the analysis, the circumstances and conditions under which they wrote and published. Biographies of the most important journalists and writers, an extensive list of sources and literature and an index complete the volume. In der Forschung zu öffentlichen Reaktionen auf die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurden jüdische Reaktionen aus Ost- und Ostmitteleuropa weitestgehend unberücksichtigt. Die Autorin untersucht Ursprünge und Bedeutung des Wissens über die politische und gesellschaftliche Entwicklung unter Juden in Polen, das sich vor allem in jüdischen Tageszeitungen ausdrückte, wobei der Schwerpunkt ihrer Analyse auf der Warschauer jiddischen Presse liegt. Unterschiedlichste Themenfelder werden herausgearbietet, wie beispielsweise »Jüdischer Journalismus im Kontext von Verfolgung und Überwachung in Polen und Deutschland«, »Schreiben über Nationalsozialismus und Antisemitismus«, »Reiseberichte aus Nazi-Deutschland«, »Der Kampf gegen Nazi-Deutschland« sowie die Eskalation im »Krisenjahr 1938 und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges«. Neben den Tageszeitungen stehen die Menschen im Zentrum der Analyse, die Umstände und Bedingungen, unter denen sie schrieben und publizierten. Biogramme der wichtigsten Journalist*innen und Schriftsteller*innen, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Index vervollständigen den Band.

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Silvia Mergenthal. A man could stand up. Masculinities in British and Australian literature of the Great War. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2022, 226 pp., 46,00 € [978-38253-4941-7]. The author Silvia Mergenthal examines different representations of masculinity and the inequality of male and female characters in British and Australian literature. Focusing on novels, it reaches from war literature of the First World War to novels written between both World Wars as well as literature from the last fifty years. Therefore it addresses modern aspects of manhood in context of war and the question of how the war is engraved in national concepts. It was often written at Anniversaries of World War I. Especially the Australian literature can be drawn upon to show the overlap of forms of national identity with forms of masculinity. Silvia Mergenthal untersucht unterschiedliche Darstellungen von Maskulinität und das Ungleichgewicht von männlichen und weiblichen Charakteren in britischen und australischen Romanen. Die besagte Literatur reicht von Kriegsliteratur des Ersten Weltkrieges über Romane aus der Zeit zwischen den Kriegen bis zu Literatur der letzten fünfzig Jahre. Diese stellt oftmals Bezüge zu modernen Aspekten des »Mann-Sein« im Krieg dar, sowie festgefahrene Bilder vom Krieg in nationalen Vorstellungen und entstand im Kontext von Jahrestagen des Ersten Weltkrieges. Vor allem die australische Literatur wird herangezogen, um die Überschneidungen von nationaler Identität mit Formen der Maskulinität zu verdeutlichen. Marco Mondini. Der Feldherr. Luigi Cadorna im »Grossen Krieg« 1915–1918. Berlin, Boston: de Gruyter Oldenbourg, 2022 (Transfer), 232 pp., 34,95 € [978-3-11-069342-3]. Even before the First World War, Luigi Cadorna was revered in Italy as a brilliant strategist and descendant of a line of heroes and patriots, which grew into a veritable personality cult in 1915 when he led the Italian army into the war against Austria-Hungary. With the help of original documents from military and civil archives, Marco Mondini not only traces his story but also sheds light on the history of Italy during the First World War. Beginning with Cadorna’s rise to power, Mondini looks at the commander’s war strategy up to his »fall« and the trial against him in 1918. The volume concludes with an index of persons. In Italien wurde Luigi Cadorna bereits vor dem Ersten Weltkrieg als brillanter Stratege und Nachkomme einer Linie von Helden und Patrioten verehrt, was sich 1915 zu einem wahren Personenkult steigerte, als er die italienische Armee in den Krieg gegen Österreich-Ungarn führte. Marco Mondini zeichnet mit Hilfe von Originaldokumenten aus Militär- und Zivilarchiven nicht nur seine Geschichte nach sondern beleuchtet dabei auch die Geschichte Italiens im Ersten Weltkrieg. Beginnend mit dem Aufstieg Cadornas widmet sich Mondini der Kriegsstrategie des Feldherrn bis hin zu seinem »Fall« und dem Prozess gegen ihn im Jahre 1918. Den Band beschließt ein Personenregister.

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Bogdan Murgescu, Ioana Pintilie (eds.). World War I and beyond. Human tragedies, social challenges, scientific and cultural responses. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2021, 201 pp., 44,00 € [978-3-8253-4812-0]. The anthology offers insights into a wide variety of topics related to the First World War. Three thematic foci deal with intellectuals’ confrontation with the hurdles of World War I, societies‘ handling of war traumas, and finally with nations and their handling of war and peace with a focus on Central and Eastern Europe. The contributions on intellectuals in the context of WWI range from ethnonationalism, to nationalism and loyalty to one’s state in wartime, as well as a specific example of Romanian mathematicians fighting for their scientific journal. Five contributions were created on the topic of dealing with war trauma in societies. In terms of content, they deal with environmental destruction caused by the World War, the beginning of the use of chemical weapons, psychological trauma and its handling in wartime societies, and the role of railroads and rail transport in their different usages. In the third part there are five contributions on the conflict of Croats in their loyalty to Austria-Hungary, the circumstances leading to the formation of Yugoslavia, the transition of a new political system after World War I, the conflicts around the Danube after World War I, and as a final contribution remarks on traitors within Romania during the war. All these essays provide a good insight into these topics without going into too much detail. Der Sammelband bietet Einblicke in unterschiedlichste Themen, welche um den Ersten Weltkrieg angesiedelt sind. In drei thematischen Schwerpunkten geht es um das sich Auseinandersetzen von Intellektuellen mit den Hürden des Ersten Weltkrieges, den Umgang von Gesellschaften mit Kriegstraumata und zuletzt um Nationen und ihre Handhabung von Krieg und Frieden mit Fokus auf Mittel- und Osteuropa. Die Beiträge zu Intellektuellen im Kontext des Ersten Weltkrieges reichen von Ethnonationalismus über Nationalismus und die Treue zum eigenen Staat in Kriegszeiten, sowie einem spezifischen Beispiel von rumänischen Mathematikern im Kampf um ihre wissenschaftliche Zeitschrift. Fünf Beiträge wurden zum Thema des Umgangs mit Kriegstraumata in Gesellschaften angelegt. Inhaltlich geht es hier um Umweltzerstörung durch den Weltkrieg, den Beginn der Chemiewaffennutzung, psychische Traumata und der Umgang mit ihnen in kriegsführenden Gesellschaften und die Rolle der Eisenbahn und des Schienenverkehrs in ihrem vielfältigen Gebrauch. Im dritten Teil befassen sich fünf Beiträge mit dem Konflikt von Kroaten in ihrer Loyalität zu Österreich-Ungarn, die Gegebenheiten zur Bildung Jugoslawiens, die Umstellung eines neuen politischen Systems nach dem Weltkrieg, die Konflikte um die Donau nach dem Ersten Weltkrieg, sowie als abschließenden Beitrag Ausführungen zu »Verrätern« innerhalb Rumäniens während des Krieges.

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Thomas Nauerth, Annette M. Stroß (ed.). In den Spiegel schauen. Friedenswissenschaftliche Perspektiven für das 21. Jahrhundert – Ein Lesebuch mit Texten von Egon Spiegel. Norderstedt: Books on Demand, 2022, 153 pp., 9,90 € [978-3-7562-2081-6]. This book provides the reader with a condensed contribution of texts by Egon Spiegel, which tackle peace studies perspectives in the 21st century. The centre of this »reader« are his theological and political science positions concerning the topic of non-violence. While doing so he delivers personal anecdotes and provides insight into his pedagogic and didactic approach to subject matters. Especially his recurring references to biblical passages, while dealing with current topics, are very interesting to read. Dieses »Lesebuch« liefert dem Leser einen komprimierten Beitrag von Egon Spiegel mit Texten zu friedenswissenschaftlichen Perspektiven im 21. Jahrhundert. Sowohl politikwissenschaftliche als auch theologische Sichtweisen bezüglich des Themas Gewaltfreiheit, kommen bei dem Universitätsprofessor für praktische Theologie zusammen und bilden die Basis für dieses »Lesebuch«. Es liefert auch Einblicke in seine pädagogische und didaktische Herangehensweise an die von ihm thematisierten Sachverhalte und birgt persönliche Anekdoten. Ebenfalls interessant sind seine wiederkehrenden Verweise auf Bibelstellen mit einschlägigen aktuellen Bezügen. Stephan Pabst (ed.). Buchenwald. Zur europäischen Textgeschichte eines Konzentrationslagers. Berlin, Boston: de Gruyter, 2023 (Medien und kulturelle Erinnerung 9), 546 pp., Ill., 89,95 € [978-3-11-077011-7]. This anthology is based on the conference »Buchenwald in Europe«, which took place in Weimar from 25 to 28 September 2019. Scholars from Germany, France, Poland, Spain, England, Hungary and Austria are dedicated to the post-1945 literature of former prisoners of the Buchenwald concentration camp, where people from 30 nations were imprisoned and suffered. The representation of the experience in the different narratives is the main subject of the contributions, whereby commonalities and differences between the national memories are worked out. Well-known authors such as Robert Antelme, Ernst von Salomon and Bruno Apitz are considered as well as Norwegian students and their narratives. A »Selected Bibliography on the Textual History of Buchenwald« and an index complete the volume. Dieser Sammelband basiert auf der Tagung »Buchenwald in Europa«, die vom 25. bis 28. September 2019 in Weimar stattfand. Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien, England, Ungarn und Österreich widmen sich der nach 1945 entstandenen Literatur ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, in dem Menschen aus 30 Nationen inhaftiert waren und gelitten haben. Die Repräsentation des Erlebten in den unterschiedlichen Narrativen ist dabei Hauptgegenstand der Beiträge, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den nationalen Erinnerungen herausgearbeitet werden. Dabei finden bekannte Autoren wie Robert Antelme, Ernst von Salomon und Bruno Apitz ebenso Berücksichtigung wie norwegische Studenten und deren

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Narrativ. Eine »Auswahlbibliographie zur Textgeschichte Buchenwalds« sowie ein Index vervollständigen den Band. Mark Edward Ruff. Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Erinnerungspolitik und historische Kontroversen in der Bundesrepublik 1945–1980. Paderborn: Brill Schöningh, 2022, 464 pp., 69,00 € [978-3-506-70154-1] This monography of Mark Edward Ruff deals with the controversies regarding the relationship between the catholic church and the NS-Regime between 1945 and 1980. The author tries to explain the former and ongoing controversies and discussions, while trying to state that the debate is contextualized by often thinking black and white and that there needs to be more critical thinking. Thus, one of his theses is that the controversies are often »proxy wars« about the positioning of the catholic church in the modern society. The book contains eight chapters from introduction to summary, whereby the main section is dedicated to different kind of controversies, which are gathered around the topic of the catholic church’s relation to national socialism. Mark Edward Ruffs Monographie handelt von den Kontroversen über das Verhältnis der katholischen Kirche zum damaligen NS-Regime in den Jahren 1945–1980. Ziel des Autors ist die Erklärung der damaligen und anhaltenden Kontroversen und Diskussionen, wobei er auch aufzuzeigen versucht, inwiefern die Debatte in einem Kontext von »Schwarz-WeißMalerei« stattfindet und anders über den Sachverhalt nachgedacht werden muss. So lautet eine These Ruffs, dass es sich bei den Kontroversen oft um »Stellvertreterkriege« handele, bei denen es um die »Positionierung der Kirche in der ›modernen‹ Gesellschaft« ginge. Acht Kapitel umfasst diese Monographie, von Einleitung bis Bilanz, wobei der Hauptteil sich unterschiedlichen Kontroversen der Nachkriegszeit widmet, in denen das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus im Mittelpunkt steht. Hermann Stresau. Als lebe man nur unter Vorbehalt. Tagebücher aus den Kriegsjahren 1939–1945. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021, 588 pp., 28,00 € [978-3-608-98472-9]. The book includes the diaries of Hermann Stresau, which he wrote during the years of 1939–45 in NS-Germany. The special thing about this collection are the perspectives of a citizen, who tried to see through the propagandistic lies of a regime. Stresaus analytical and intellectual character mingle with his unwavering humanity, as you can see in his considerations about the guilt of his homeland in the Second World War and his concern about the people who surround him. This becomes particularly visible once he started working in a fabric together with forced laborers from eastern Europe and France. The book contains an appendix with afterword, notations and editorial note, as well as newspaper clippings and pictures. Das Buch beeinhaltet die Tagebücher Hermann Stresaus aus den Jahren des nationalsozialistischen Deutschlands. Das Besondere dieser Sammlung sind die Perspektiven eines Bürgers, welcher stets versucht, durch die Propaganda seines Staates hindurchzusehen. Dabei vermischen sich der analytische und intellektuelle Charakter Hermann Stresaus mit

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seiner unumstößlichen Menschlichkeit. Überaus deutlich wird dies in seinen Überlegungen zur deutschen Kriegsschuld und der Sorge um die Menschen in seinem Umfeld, besonders als er anfängt, in einer Fabrik mit Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa und Frankreich zu arbeiten. Das Buch beinhaltet einen Anhang mit Nachwort, Anmerkungen und editorischer Notiz, sowie Zeitungsausschnitte und Bilder. Jakob Stürmann. Osteuropäisch – jüdisch – sozialistisch. Untersuchung einer vergessenen Berliner Exilgruppe der Weimarer Republik. Berlin, Boston: de Gruyter Oldenbourg, 2022 (Europäisch-jüdische Studien – Beiträge 57), 413 pp., 99,95 € [978-3-11-075587-9]. Since the founding of the Soviet Union in the 1920s, there has been a debate among Eastern European socialists in exile in Western Europe about claims to national sovereignty, which also took place within the individual groups. Jakob Stürmann examines the lives of Eastern European Jewish socialists in Berlin at the time and the changes in their affiliations in the Berlin migration area. Among other things, he explores the question of the extent to which life paths and self-understandings differed with regard to socialism and Jewishness and focuses on 46 people »who lived in Berlin for an extended period during the Weimar Republic, were of Jewish origin and came from the Russian Empire, where they were politicised through membership of a revolutionary socialist party. (3) They remained politically active during their exile and participated in debates in the Russian-, Yiddish- and German-speaking spheres of action of the socialist workers’ movement. The author traces their lives and analyses their everyday life, contacts and activities on the basis of numerous documents. The appendix contains biographical sketches, addresses of exile parties in Berlin and a list of sources and literature. In den 1920er Jahren wurde seit der Gründung der Sowjetunion unter den sich in westeuropäischen Exilzentren befindenden osteuropäischen Sozialist*innen eine Debatte über nationale Souveranitätsansprüche geführt, die auch innerhalb der einzelnen Gruppierungen stattfand. Jakob Stürmann untersucht örtlich und zeitlich begrenzt die Lebenswelten osteuropäisch-jüdischer Sozialist*innen im damaligen Berlin und die Veränderung ihrer Zugehörigkeiten im Berliner Migrationsraum. Er geht u.a. der Frage nach, inwieweit sich Lebenswege und Selbstverständnisse hinsichtlich Sozialismus und Judenheit unterscheiden und fokussiert dabei auf 46 Personen, »die während der Weimarer Republik für einen längeren Zeitraum in Berlin lebten, jüdischer Herkunft waren und aus dem Russländischen Reich stammten, wo sie durch eine Mitgliedschaft in einer revolutionär-sozialistischen Partei politisiert wurden.« (3) Sie blieben auch während der Exilzeit politisch aktiv und beteiligten sich an Debatten in den russisch-, jiddisch- und deutschsprachigen Handlungsräumen der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung. Der Autor geht ihren Lebenswege nach und analysiert anahand zahlreicher Dokumente ihren Alltag, ihre Kontakte und Aktivitäten. Im Anhang finden sich biographische Skizzen, Adressen von Exilparteien in Berlin sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis.

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Kazimierz Wyka. Leben als ob. Aufzeichnungen aus dem besetzten Polen. Paderborn: Brill Schöningh, 2022, 238 pp., 49,90 € [978-3-506-79362-1]. This book is the German translation of the classic by Kazimierz Wyka. In sketches, the Polish literary historian documents the everyday life under German foreign rule. He writes about dealing with exploitation, oppression, social degradation, intimidation, terror and murder and daily corruption. Due to his special way of writing and conveying irony, mockery and tragedy, the book quickly became a classic of Polish literature. Das vorliegende Buch ist die deutsche Übersetzung des Klassikers von Kazimierz Wyka. Skizzenweise dokumentiert der polnische Literaturhistoriker den Alltag unter deutscher Fremdherrschaft. Er schreibt über den Umgang mit Ausbeutung, Unterdrückung, sozialer Degradierung, Einschüchterung, Terror und Mord und die tägliche Korruption. Durch seine besondere Art des Schreibens und der Vermittlung von Ironie, Hohn und Tragik konnte das Buch in Polen schnell zum Klassiker polnischer Literatur avancieren.

Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe Contributors to this Edition

Dr. Thomas Amos; Dozent für Literatuwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt/Main (Deutschland); er promovierte im Fach Romanistik über Beziehungen zwischen Phantastik, Architektur und Manierismus; derzeit Habilitationsprojekt zum Ballett­libretto / lecturer in literary studies at the Goethe University in Frankfurt/Main (Germany) and received his doctorate in Romance studies on the relationship between fantasy, architecture and mannerism; currently his habilitation project on the ballet libretto. Jens Ebert, Dr. phil., studierte Germanistik und Geschichte in Berlin und Moskau und lebt als Publizist in Berlin. 1989–2001 Lehrtätigkeit an Universitäten in Berlin, Rom und Nairobi. Arbeiten für Presse, Rundfunk und Fernsehen. Veröffentlichungen zur Literatur-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts. mit Schwerpunkten auf Kriegs- und Antikriegsliteratur sowie Feldpost / studied German and History in Berlin and Moscow and lives as a journalist in Berlin. 1989-2001 taught at universities in Berlin, Rome and Nairobi. Works for the press, radio and television. Publications on the history of literature, culture and mentality of the 20th century. with a focus on war and anti-war literature and field post. Alexandra Juster, Dr. phil., ist Rechtsanwältin und Dozentin für deutsche Sprache und Literatur. Im September 2022 promovierte sie in neuerer deutscher Literatur an der Universität Salamanca in Spanien. Ihr Forschungsgebiet liegt in der deutschen Gegenwartsliteratur mit Fokus auf aktuelle soziale, geistige oder juristische Fragestellungen, die die moderne Gesellschaft bewegen / is a lawyer and lecturer in German language and literature. She received her PhD in recent German literature from the University of Salamanca in Spain in September 2022. Her research area is in contemporary German literature with a focus on current social, intellectual, or legal issues affecting modern society. Sven Jürgensen, Dr. phil., studierte und lehrt Philosophie an der Universität Osnabrück. Von 1990 bis 1999 war er freier Hörfunk- und Fernsehjournalist und promovierte 1994 mit einer Arbeit über den Freiheitsbegriff bei Hegel und Schelling. Von 1999 bis 2022 war er Pressesprecher der Stadt Osnabrück und übernahm 2023 die Leitung des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums / studied and teaches philosophy at the University of Osnabrück. From 1990 to 1999 he was a freelance radio and television journalist and received his doctorate in 1994 with a thesis on the concept of freedom

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Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe

in Hegel and Schelling. From 1999 to 2022 he was press spokesman for the city of Osnabrück and in 2023 took over the management of the Erich Maria Remarque Peace Center. Nina Nowara-Matusik, Prof. Dr. habil., ist Professorin am Instytut Literaturowznawstwa der Universität Slaski (Polen). Ihre Schwerpunkte sind u.a. Exilliteratur, Literatur seit 1945 sowie Poetik und Ästhetik. Zu ihren besonderen Forschungsgebieten gehört z.B. die deutsche Literatur in Oberschlesien / is a professor at the Instytut Literaturowznawstwa of the University of Slaski (Poland). Her areas of specialisation include exile literature, literature since 1945, and poetics and aesthetics. Her special areas of research include, for example, German literature in Upper Silesia. Paweł Meus, Dr. phil, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der schlesischen Universität Katowice/Sosnowiec (Polen). Er promovierte über Leben und Werk von Alfred Hein. Zu seinen Forschungsinteressen gehören die deutschsprachige Literatur Oberschlesiens, literarische Darstellungen des Ersten Weltkrieges und zeitgenössische Raum- und Erzähltheorien / is a research assistant at the Silesian University of Katowice/Sosnowiec (Poland). He wrote his doctoral thesis on the life and work of Alfred Hein. His research interests include the German-language literature of Upper Silesia, literary representations of the First World War and contemporary theories of space and narrative. Brian Murdoch, Prof. em., ist ein britischer Philologe und emeritierter Professor für Germanistik an der Universität von Stirling. Sein Spezialgebiet ist das Studium der frühen germanischen und keltischen Literatur, zu der er mehrere einflussreiche Werke verfasst und herausgegeben hat. Ein Schwerpunkt seiner Forschungen liegt auf der Literatur zum Ersten Weltkrieg / is a British philologist and Emeritus Professor of Germanistic at the University of Stirling. His specialty is the study of early Germanic and Celtic literature, on which he has written and edited several influential works. A major focus of his research is on the literature of World War I. Felix Stefan, M.A., schrieb seine Masterarbeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main zum Thema der Idylle bei Remarque / wrote his master’s thesis at the Johann Wolfgang Goethe University in Frankfurt/Main on the subject of the idyll in Remarque. Anna Szóstak, Prof. Dr. habil., promovierte 1995 in Geisteswissenschaften an der AdamMickiewicz-Universität in Poznan und habilitierte 2008 an der Schlesischen Universität in Katowice. Seit Oktober 2020 leitet sie das Labor für Literatur und Märchenforschung des 20. und 21. Jahrhunderts / received her PhD in humanities from Adam Mickiewicz University in Poznan in 1995 and her habilitation from Silesian University in Katowice in 2008. Since October 2020, she has headed the Laboratory for 20th and 21st Century Literature and Fairy Tale Research.