Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700: Gesellschaft, Kultur, Institutionen 9783205106982, 3205063899, 9783205063896


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German Pages [472] Year 1986

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Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700: Gesellschaft, Kultur, Institutionen
 9783205106982, 3205063899, 9783205063896

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R. J. W. EVANS DAS WERDEN DER HABSBURGERMONARCHIE 1550-1700 GESELLSCHAFT, KULTUR, INSTITUTIONEN

FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES DONAURAUMES Band 6

R. J. W. Evans

Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700 Gesellschaft, Kultur, Institutionen

1986 H E R M A N N B Ö H L A U S NACHF. WIEN · KÖLN · G R A Z

Gedruckt mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Aus dem Englischen übertragen von Marie-Therese Pitner Titel der englischen Originalausgabe: The Making of the Habsburg Monarchy 1550-1700, erschienen bei Oxford University Press

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Evans, Robert J. W.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700 : Gesellschaft, Kultur, Institutionen / R. J. W. Evans. [Aus d. Engl, übertr. von Marie-Therese Pitner.] Wien ; Köln ; Graz : Böhlau, 1986. (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes ; Bd. 6) Einheitssacht.: The making of the Habsburg monarchy 1550-1700 (dt.) ISBN 3-205-06389-9 NE: GT

Oxford University Press © R. J. W. Evans 1979 Alle Rechte der deutschen Ausgabe 1986 bei: Hermann Böhlaus Nachf. Gesellschaft m. b. H., Graz-Wien ISBN 3-205-06389-9 Satz: Fotosatz Raggl, Landeck Druck: Remapnni, Wien

Für meine Eltern

Inhalt Vorwort Anmerkungen zu Begriffen und Namen Abkürzungen Prolog

9 13 16 19

Teil 1 Die allgemeine 1. 2. 3. 4.

Entwicklung

Trügerische Hoffnung, 1550-1600: Renaissance und Reformation 1600-1650: Die religiöse und politische Krise 1600-1650: Die soziale und geistige Krise Die Konsolidierung, 1650-1700: Leopold I. und seine Monarchie

25 49 75 99

Teil 2 Das Z e n t r u m und die e i n z e l n e n 5. 6. 7. 8.

Gebiete

Österreich: Das habsburgische Herzland Böhmen: Beschränkte Annahme Ungarn: Beschränkte Zurückweisung Das Deutsche Reich und die Habsburger: Beschränkte Hegemonie

125 151 177 203

Teil 3 Die intellektuellen 9. 10. 11. 12.

Grundlagen

Die Anatomie der katholischen Gelehrsamkeit Der Kompromiß mit der gelehrten Magie Der Angriff auf die Magie des einfachen Volkes Das Universalunternehmen

Epilog Anmerkungen Politische und militärische Chronologie .

227 249 271 295 313 317 413

Stammtafel Karten 1. Mitteleuropa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert 2. Die habsburgischen Gebiete um 1700 Verzeichnis der wichtigeren Varianten der Ortsnamen Zur Aussprache Ausgewählte Bibliographie Neuere Literatur zur deutschen Ausgabe Register

416 418 419 421 425 427 445 449

Vorwort Viele Historiker verschiedenster Nationalität haben versucht, die Hintergründe des Nieder- und Untergangs der Habsburgermonarchie zu analysieren. Bis heute jedoch hat sich keiner ernsthaft mit den Ursachen auseinandergesetzt, die zum Aufstieg der Habsburger geführt haben. Daher dieses Buch als ein Versuch, und daher auch seine Grenzen. Das erste Wort zu diesem Thema wird zweifellos auch nicht das letzte sein. Selbstverständlich war der Zeitraum, dessen Behandlung ich mir zur Aufgabe gestellt habe, bereits Thema mehrerer aussagekräftiger Zusammenfassungen.. Auch gab es einige eindrucksvolle ältere Studien, die sich in erster Linie mit der Außenpolitik befaßten. Einer besonders lebendigen Tradition erfreuen sich Kirchen-, Verfassungs-, Rechts- und Kulturgeschichte. Daneben gibt es auch gute Arbeiten jüngeren Datums über die wirtschaftliche Entwicklung. Unzählige Werke, darunter viele hervorragende wissenschaftliche Periodika, die bereits auf eine lange Tradition zurückblicken können, befassen sich mit örtlicher Geschichtsschreibung. Dennoch fehlen all diesen Arbeiten meiner Meinung nach drei wesentliche Elemente. Erstens, eine umfassende Darstellung der Gegenreformation in Mitteleuropa und der sie begleitenden sozio-ökonomischen Veränderungen, die den Rahmen für die Neustrukturierung der Machtverhältnisse und die Entstehung neuer Verhaltensweisen bildeten. Zweitens, eine ausgewogene Darstellung der Monarchie als Ganzes, wobei vor allem ein Augenmerk auf die Wechselbeziehungen zwischen den Regierungen in den Ländern und der Zentralregierung gelegt werden sollte. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Konsolidierung des Habsburgerreiches wesentlich auf einer Reihe bilateraler Vereinbarungen zwischen den Herrschern und den Mächtigeren ihrer Untertanen basierte. Der dritte Punkt betrifft das Verständnis der geistigen Entwicklung von der Renaissance zum Barock, denn der Machtzuwachs des Herrscherhauses war mindestens in gleichem Maße von der Gesinnung abhängig wie von Institutionen. So können also in dieser Studie drei Dimensionen unterschieden werden, die der dreifachen Gliederung des Textes entsprechen (man verzeihe die grobe geometrische Metapher): ein Längsschnitt, ein Querschnitt und ein tieferes Ausloten der Materie. Das Thema des Buches erlaubt aber keine isolierte Betrachtung, und die politischen, sozialen und kulturellen Fäden, die ein zufälliges Nebeneinander von Gebieten zu einem ziemlich mächtigen und stabilen Gemeinwesen gewoben haben, dürfen nicht voneinander losgelöst werden. Auch können die chronologischen Grenzen lediglich als annäherungsweise Richtlinien aufgefaßt werden. Daher die Anfangs- und Abschlußdaten, die eine präzise Identifikation mit Regierungszeiten oder Epochen scheuen. Das Buch stellt, wie bereits der Untertitel andeutet, nur eine

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Vorwort

Art der Betrachtung eines ungeheuer reichen und komplexen Gewebes dar. Viele der gezogenen Schlüsse müssen als höchst vorläufig angesehen werden. Ziel des Buches ist eine einigermaßen umfassende Einführung, nicht jedoch ein komplettes Bild, was keiner besonderen Betonung bedarf. Der Leser mag überrascht sein, welche Bedeutung ich einigen Themen beimesse, so etwa der Magie, die ich in einem sehr weiten Sinn definiere. Nicht weniger bewußt wird sich der Leser allerdings der Tatsache sein, wieviel ich ausgelassen habe. Bei einigen Themen — Volkskultur ist ein gutes Beispiel dafür — mögen meine Versäumnisse vielleicht dadurch entschuldigt werden, daß bis heute kein entsprechendes Korpus an Sekundärliteratur vorliegt. Auf anderen Gebieten vollziehen sich die Auslassungen viel bewußter. So habe ich kaum über Kriege, Armeen, Diplomatie und Außenpolitik geschrieben, teilweise weil Informationen darüber bereits andernorts gefunden werden können, teilweise auch weil die weniger geläufigen sozialen und geistigen Bereiche ein umfangreicheres und zusammenhängenderes Erklärungsmuster zu bieten scheinen. Es ist offenkundig von großer Bedeutung, daß Spanien Kaiser Ferdinand II. zu einem kritischen Zeitpunkt im Jahre 1620 Verstärkung schickte, während Frankreich gleichzeitig nichts unternahm, um den Aufständischen in Böhmen zu helfen; daß sowohl die Türken als auch Ludwig XIV. sich in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts verkalkulierten; daß Prinz Eugen und der Herzog von Marlborough einer Meinung waren. Wesentliche Gründe für die weitreichenden Folgen, die diese Ereignisse zeitigten, liegen aber auch in der Entwicklung Mitteleuropas selbst - je zufälliger ein Ereignis, desto weniger kann oder soll der Historiker darauf bauen. Als Oswald Redlich, der angesehene österreichische Kenner jener Zeit, ein zweibändiges Werk über die Politik der Habsburger vom Westfälischen Frieden bis zum Tode Karl VI. schrieb, nannte er oder sein Verleger das erste Buch Die Weltmacht des Barock 1648—1700 und das zweite Das Werden einer Großmacht 1700—1740. Diese beiden durchaus zutreffenden Titel entbehren nicht einer zweifelsohne unbewußten Ironie. Wie die „Weltmacht des Barock" der „Großmacht" der österreichischen Armee den Weg bereiten konnte, ist eines der Hauptthemen dieser Untersuchung. Bei den Vorbereitungen für dieses Buch wurde mir von vielen Seiten große Unterstützung zuteil. Geographisch spannt sich dieser Bogen von den Mitarbeitern der Bodleian Library in Oxford, die sich so überaus hilfreich und einfühlsam zeigten, bis zum Priester von Gheorgheni (dem ehemaligen Gyergyoszentmiklös), der mir ein seltenes Exemplar der Geschichte seiner Gemeinde — der armenischen Katholiken in Siebenbürgen - zur Verfügung stellte. Viele Kollegen in England und im Ausland haben mich in großzügiger Weise mit Rat und Tat unterstützt. Es würde nicht angehen, hier nur einige wenige namentlich anzuführen, während andere nicht genannt würden. Das meiste aber verdanke ich meiner Familie. Brasenose College, Oxford Mai 1978

R. J. W. E.

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Vorwort

Vorwort zur deutschen Ausgabe Für das Zustandekommen der deutschen Übersetzung meines Buches möchte ich an erster Stelle meinen Kollegen und Freunden in Österreich, ganz besonders Herrn Prof. Moritz Csäky (Graz) und Frau Prof. Grete Klingenstein (Graz), die sich in so liebenswürdiger Weise dafür eingesetzt haben, meinen Dank aussprechen. Ich danke auch meiner Übersetzerin, die eine sehr schwierige, hohe Anforderungen stellende Arbeit zu leisten hatte, sowie dem Verlag Böhlau für seine Bereitwilligkeit, in vieler Hinsicht meinen Wünschen zu entsprechen. Im Anschluß an die „Ausgewählte Bibliographie" habe ich in dieser Ausgabe Hinweise auf neuere Literatur zu Themen, die in diesem Buch behandelt werden, hinzugefügt. Brasenose College, Oxford Juli 1985

R. J. W. E.

Anmerkungen zu Begriffen und Namen 1. Für das politische Gebilde, dessen Konsolidierung der Gegenstand dieses Buches ist, gibt es keinen eigenen Namen. Damals wie heute wurde es oft „Österreich" genannt, doch ist diese Bezeichnung, zumindest wenn sie über die diplomatischen und militärischen Beziehungen zwischen der Dynastie und dem übrigen Europa hinaus erweitert wird, unrichtig und irreführend. Ich habe den Bezeichnungen „Habsburgerländer" und „Habsburgermonarchie" den Vorzug gegeben. Man mag einwenden, daß es durchaus möglich sei, diese Ausdrücke bis 1700 ebenso auf die Gebiete der spanischen Krone anzuwenden. Dem muß entgegengehalten werden, daß dies normalerweise weder der Fall war noch ist.„Habsburgermonarchie" ist in der Tat ein Ausdruck des 19. Jahrhunderts par excellence, dennoch wirkt er hier nicht anachronistisch. Das gleiche gilt für die Bezeichnung „Habsburgerreich", die ich jedoch nicht verwendet habe, um jeglicher Verwechslung mit dem „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" vorzubeugen, an dessen Spitze im hier untersuchten Zeitraum ebenfalls die Habsburger standen, und dem weite Teile ihrer eigenen Besitzungen lehenspflichtig waren. Einige mit dieser Doppelherrschaft einhergehende Probleme werden in den Kapiteln fünf und acht behandelt. Gleichzeitig muß man sich auch der Tatsache bewußt sein, daß die Bezeichnungen „Böhmen" und „Ungarn" auch für die Zeitgenossen keine eindeutigen, einfachen Begriffe waren. Einige diesbezügliche Schwierigkeiten werden in den Kapiteln sechs und sieben angesprochen. Dem Leser dürfte eine geographische Freiheit meinerseits auffallen: Da der Ausdruck „Mitteleuropa" im Englischen kein präzises Gebiet bezeichnet, habe ich aus der Not eine Tugend gemacht, indem ich es politisch mit der Habsburgermonarchie und kulturell mit der Welt der kaiserlichen Gegenreformation im 17. Jahrhundert, die auch einen großen Teil Süddeutschlands umfaßte, gleichgesetzt habe. 2. Viele mitteleuropäische Orte, von den größten Städten bis hin zu den kleinsten Dörfern, trugen und tragen in verschiedenen Umgangssprachen zwei oder mehr Namen. Hier wurden, wenn möglich, alle Ortsnamen verdeutscht, was jedoch kein Werturteil über die damaligen politischen oder kulturellen Zustände bedeuten soll. Der deutschsprachige Leser möge beachten, daß die Nachbarvölker sogar für österreichische Orte manchmal ein ganz anderes Vokabular verwenden. So heißt das oberösterreichische Schlägl auf Tschechisch Drkolnä, das kärntnerische Klagenfurt auf Slowenisch Celovec, und Wien ist den Magyaren unter dem Namen Becs bekannt. In Böhmen und Mähren war zumindest zu Beginn des Betrachtungszeitraums das Tschechische die erste Landessprache; Schlesien mit seinem vorherrschend deutschen Charakter stellte einen Sonderfall dar. Im

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Anmerkungen zu Begriffen und Namen

habsburgischen Ungarn des 16. und 17. Jahrhunderts bediente man sich bei offiziellen Anlässen des Lateinischen und — in beschränktem Maße — des Ungarischen, während Deutsch in vielen Städten die normale geschriebene Sprache war. In Kroatien wurde Latein und Kroatisch verwendet; in Siebenbürgen Ungarisch und Latein, während Deutsch die offizielle Sprache bei den sächsischen Bürgern war. Andere Landessprachen (Rumänisch, Ruthenisch, Serbisch, Slowakisch) besaßen keinen formalen gesetzlichen Status. Am Ende dieses Buches befindet sich ein Verzeichnis der wichtigsten nichtdeutschen Ortsnamenvarianten; unbedeutendere Abweichungen werden lediglich im Index angeführt. Ein weiterer Anhang enthält Hinweise für die Aussprache tschechischer und ungarischer Worte. 3. Ein ähnliches Problem stellt sich bei den mitteleuropäischen Personennamen. Auch hier kann die, wenn auch unbeabsichtigte,Bevorzugung einer Form gegenüber einer anderen als politisches oder kulturelles Urteil aufgefaßt werden. Nach reiflichen Überlegungen habe ich mich entschlossen, nahezu immer die landesübliche Form der Vornamen anzuführen, auch wenn diese manchmal etwas eigentümlich klingen sollte (wie ζ. B. Jifi und Istvän), doch ist die Auswahl unter den rivalisierenden Varianten (deutsch oder tschechisch, ungarisch oder kroatisch, usw.) keinesfalls zwingend. Für Böhmen habe ich in den meisten Fällen die deutsche Form des Familiennamens angegeben, woraus aber nicht auf die Nationalität der Familie geschlossen werden kann, und ab ca. 1650 habe ich auch den deutschen Vornamen den Vorzug gegeben. Für Ungarn habe ich die meisten Familien nach der magyarischen Version geschrieben. Man muß daran erinnern, daß viele Humanisten des 16. und Kleriker des 17. Jahrhunderts eher auf lateinische als entsprechende landesübliche Namen hörten. Und auch ein letztes Wort über Adelstitel. Das im Deutschen gebräuchliche „von" bedarf keiner näheren Einführung und wurde hier beibehalten (ich habe „von" dort weggelassen, wo der in Frage kommende Adelige noch einen zusätzlichen Adelstitel führt). „Von" wird im Tschechischen durch die Präposition „z" wiedergegeben, was einem Genetiv entspricht, gefolgt von der Abwandlung des nachfolgenden Prädikats. Solche Formen wurden so gut wie möglich ins Deutsche übertragen: „z Vrtby" als Vrtba aber „z Lobkovic" als Lobkowitz an Stelle des ursprünglichen „Lobkovice". Deutsche wie auch tschechische Adelige (vor allem letztere) können Historiker wegen der Trennung des Familiennamens vom Adelstitel gelegentlich verwirren. Die Familie Borita ζ Martinic ζ. B. wurde allmählich als „Martinitz" bekannt. Derartige Fragen, die hier jedoch weit weniger Probleme aufgeben als beispielsweise in England oder in Frankreich, seien am besten den Genealogen überlassen. In Ungarn bediente man sich einer etwas anderen Praxis, abgesehen von der Umkehrung von Vor- und Familiennamen, die von deutschsprachigen Historikern allerdings nicht beibehalten wird. Im Ungarischen wird der Adel durch einen oder mehrere adjektivisch gebrauchte „Vornamen" zum Ausdruck gebracht, die aus dem ursprünglich zugeteilten Gebiet abgeleitet und nur bei formellen Anlässen verwendet werden. So wird der Rebellenführer Ferenc (Franz) Räkoczi, der sein Prädikat von einem kleinen Dorf im Nordosten namens Felsövadäsz ableitet, im Ungarischen als felsövadäszi grof (später herceg) Rä-

Anmerkungen zu Begriffen und Namen

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koczi Ferenc bezeichnet. Solche Vornamen werden in der Wissenschaft kaum verwendet, außer zur Unterscheidung zwischen den einzelnen Zweigen gewisser Familien. Hier werden sie nur im Index angeführt.

Abkürzungen Archive, Bibliotheken, Periodika und einige wichtige bibliographische Werke Acta SS. Α DB Anal. Praem. AÖG AUC, Phil, et Hist. AUC, HUCP Aug. BCH Bt BL Bod. CCH CCM CL CMM Coli. Franc. CsCH DNB Egy. Kt. HHStA HJ HZ ItK Jbb. f . Natö. u. Stat. Jb. d. St. Klnb. Jb. f . Lk. v. Nö JGGPÖ LK MHVSt MIÖG

MIT MKSz MOöLA MÖStA

siehe Bibliographie: Acta Sanctorum Allgemeine Deutsche Biographie Analecta Praemonstratensia Archiv für österreichische Geschichte (ursprünglich: Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen) Acta Universitatis Carolinae, Philologica et Historica Acta Universitatis Carolinae, Historia Universitatis Carolinae Pragensis Augustiniana Siehe Zibrt in Bibliographie A Becsi Magyar Törteneti Intezet tvkönyve (Jahrbuch des Wiener Ungarischen Historischen Instituts) British Library, British Museum, London Bodleian Library, Oxford Cesky Casopis Historicky, 1895-1948; vgl. CsCH Casopis Ceskeho Muzea (ursprünglich: Casopis Muzea Krälovstvi Ceskeho) Cesky Lid Casopis Matice Moravske (Bde. LXXVIII-LXXXVI mit dem Titel Sbornik Matice Moravske) Collectanea Franciscana Ceskoslovensky Casopis Historicky (seit 1953) Dictionary of National Biography Egyetemi Könyvtär (Universitätsbibliothek), Budapest Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Historisches Jahrbuch Historische Zeitschrift Irodalomtörteneti Közlemenyek Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg (neue Folge seit 1961) Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich (ursprünglich: Blätter des Vereines f . Lk. v. Nö) Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte des Protestantismus in Österreich Leveltäri Közlemenyek Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark (vgl. ZHVSt) Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung (zwischen 1923 und 1942: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung) Α Magyar Irodalom Törtenete, Hg. I. Soter, I-VI (Budapest 1964-1966) Magyar Könyvszemle (neue Folge seit 1892) Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs

Abkürzungen

MVGDB MVGStW NDB OL ÖNB OSN OSzK

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien Neue Deutsche Biographie Orszägos Leveltär (Staatsarchiv), Budapest Österreichische Nationalbibliothek, Wien Ottüv Slovnik Nautny, I - X X V I I I (Prag 1 8 8 8 - 1 9 0 9 ) Orszägos Szechenyi Könyvtär (Ungarische Nationalbibliothek), Budapest ÖVjschr.f. Kath. Theol. österreichische Vierteljahresschrift für Katholische Theologie RMK Regi Magyar Könyvtär, Hg. Käroly Szabö, I—III (Budapest 1879-1898) SbAPr Sbornik Archivnich Praci Sb. d. bayr. Akad. d. Sitzungsberichte der bayrischen Akademie der Wissenschaften, Wiss., ph.-ph.-h. Kl. philosophisch-philologisch-historische Klasse Sb. d. k. Akad. d. Sitzungsberichte der kaiserlichen (später: österreichischen) AkaWiss., ph.-h. Kl. demie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse SbH Sbornik Historicky SbH (Rezek) Sbornik Historicky (Hg. A. Rezek), 1 8 8 3 - 1 8 8 5 SbHKr Sbornik Historickiho Krouzku SbMM siehe CMM Str. Strahov Bibliothek, Prag Str. Kn. Strahovskä Knihovna Stud. u. Mitt. Studien (ursprünglich: Wissenschaftliche Studien) und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cisterzienserorden Szäzadok Sz Törtenelmi Szemle TSz TT Törtenelmi Tär (ursprünglich: Magyar Törtenelmi Tär) UK Universitni Knihovna (Universitätsbibliothek, nun Teil der Nationalbibliothek), Prag VCAVSIU Vistnik Ceske Akademie pro VSdy, Slovesnost a Umini Vjschr. f . S. u. WGesch. Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VKCSN VSstnik Krälovski Ceske Spoleinosti Nauk (tHda filosofickohistoricko-filologickä) Zbl. f . Biblw. Zentralblatt für Bibliothekswesen ZHVSt Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark (seit 1906; früher: MHVSt) Zschr. f . Kath. Theol. Zeitschrift für Katholische Theologie ZVGAS Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertum Schlesiens (später: Zeitschrift für Geschichte und Altertum Schlesiens)

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Abkürzungen

Orden Can. Reg. = Canonici Reguläres O. Barn. = Ordo Barnabitarum O. Carm. (Disc.) = Ordo [Fratrum] Carmelitarum (Discalceatorum) O. Cart. = Ordo Cart(h)usiensis O. Cist. = [Sacer] Ordo Cisterciensis O. Crucig. = Ordo Crucigerorum (cum Rubea Stella) Ο. E. S. A. (Disc.) = Ordo [Fratrum] Eremitarum Sancti Augustini (Discalceatorum) O. F. M. (Conv.) = Ordo Fratrum Minorum (Conventualium) O. F. M. Cap. = Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum O. F. M. Obs. = Ordo Fratrum Minorum Observantiae O. Minim. = Ordo Minimorum Ο. P. = Ordo Praedicatorum O. Praem. = Ordo Praemonstratensis O. S. B. = Ordo Sancti Benedicti O. S. M. = Ordo Servorum Mariae O. S. P. = Ordo Scholarum Piarum O. S. P. P. E. = Ordo [Fratrum] Sancti Pauli Primi Eremitae O. Teut. = Ordo Teutonicus S. J. = Societas Jesu

Chorherren (Augustiner-Chorherren) Barnabiten (unbeschuhte) Karmeliter Kartäuser Zisterzienser Kreuzherren (mit dem Roten Stern) (Unbeschuhte) Augustiner-Eremiten

Minoriten Kapuziner Franziskaner (Observanten) Paulaner Dominikaner Prämonstratenser Benediktiner Serviten Piaristen Pauliner (Pälosok) Deutscher Orden Jesuiten

Prolog Drei große Veränderungen formten Mitteleuropa in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts um: eine war allmählich, die zweite plötzlich und die dritte wie ein plötzlicher Schlag mit allmählich sich ausbreitenden Folgen. Zuerst war es der Einbruch der Renaissance, welche in die kultivierte Umgebung des Königs Matthias Corvinus von Ungarn bereits vor 1500 Eingang gefunden hatte. Bald jedoch schlugen die wiedergefundenen Werte der klassischen Kultur tiefere Wurzeln. Männer wie Konrad Celtes belebten die Universitäten von Freiburg bis Krakau mit diesem neuen Gedankengut; wohlhabende Bürger förderten den Handel mit Büchern und Kunstwerken; Herrscher und die Mächtigeren ihrer Untertanen übernahmen diese neue Geisteshaltung - wenn auch nicht immer den Überschwang des Corvinischen Hofes. Einheimische Talente begannen sich zu regen: Janus Pannonius und dann Bohuslav Lobkowitz, zwei der großen neulateinischen Dichter; Cuspinian, Gelenius und andere Gelehrte; der Architekt Benedikt Rejt und die Maler der Donauschule; weiters die Künstler, die sich um Kaiser Maximilian I. scharten. Stil und Charakter der Renaissance waren jedoch international; ein katholischer Humanismus, der sich, obwohl auf allerlei Reformen drängend, in dem vorgegebenen Rahmen des Glaubens bewegte. Um 1520 griff eine zweite internationale Bewegung die traditionellen Werte und Verhaltensweisen weitaus heftiger an, die Reformation. Das Luthertum verbreitete sich rasch. Obwohl es im wesentlichen in einer Vielzahl von ortsgebundenen Ängsten und Unzufriedenheiten wurzelte - in den Plagen des türkischen Vormarschs, im Vermächtnis der hussitischen Lehren, der städtischen Kritik an der Reichskirche, im eingefleischten Abweichlertum der Alpentäler, in den chiliastischen Erwartungen einiger volkstümlicher Prediger - , zeigt seine Entwicklung dennoch im gesamten Gebiet einen bemerkenswert ähnlichen Verlauf. Innerhalb eines Jahrzehnts ertönten überall protestantische Lehren, von vorsichtigen Behauptungen der „sola-fides-Lehre" aus dem Umfeld der Burg in Ofen oder Prag bis zu den schwülstigen Predigten, die Wiedertäufer von abgelegenen Tiroler Kanzeln herab hielten. Anfänglich schien die Botschaft der Reformation jeglicher weltlichen Kultur gegenüber feindlich gesinnt, die leidenschaftliche und radikale Haltung verurteilte den Humanismus nicht weniger als die mönchische Scholastik. Sehr bald jedoch fanden Humanisten und Reformatoren bei manchen Aktivitäten, von der Bibelexegese bis hin zu allgemeinen Erziehungsfragen, ein gemeinsames Anliegen, wobei diese Begegnung wesentlich mehr war als nur ein zeitlich rein zufälliges Zusammentreffen. In diesen unsteten Jahren trat auch eine politische Wende ein, das Herannahen des habsburgischen Zeitalters. Nachdem sich die Habsburger 1519 in der Person

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Prolog

Karl V. die Herrschaft über Deutschland und Spanien gesichert hatten, waren sie gerüstet, die außerordentlich vorteilhafte Situation nach der Schlacht von Mohäcs 1526 auszunützen. Der unglückliche Zufall, der den kinderlosen Ludwig II. von Böhmen und Ungarn in den Sümpfen an der mittleren Donau durch das Heer Solimans des Prächtigen zugrunderichtete, erlaubte es den Habsburgern in der Person von Karls jüngerem Bruder Ferdinand, dieses Doppelkönigtum den österreichischen Erblanden anzuschließen. Und Ferdinand, einer der scharfsinnigsten und beharrlichsten Charaktere der Dynastie, ging bereitwillig daran, sein Erbe in Ordnung zu bringen. Bis jetzt gab es im Herzen Europas eine „Monarchie" nur potentiell. Wo die Reichsregierung (die zu guter Letzt ebenfalls Ferdinand anheimfiel) einen Konflikt mit den separatistischen Wünschen deutscher Fürsten und eine enge Verbindung mit den spanischen Interessen bedeutete, forderte die Herrschaft über Österreich eine minutiöse Aufmerksamkeit gegenüber jeglicher Unzufriedenheit in den einzelnen Ländern. Während die böhmische Krone alle Probleme eines Landes mit sich brachte, das seit langem in grollender Isolation von seinen Nachbarn leben mußte, zog die ungarische Krone ihren Träger in lähmende Feldzüge gegen die Osmanen und verstrickte ihn in die seltsamen Erscheinungsformen des ungarischen Nationalbewußtseins. Das Ausmaß des Erfolges, sich diese verschiedenen Elemente zunutze zu machen, sollte in hohem Maße von der Politik abhängen, die Habsburg gegenüber Renaissance und Reformation einschlug. Um 1550 trat Mitteleuropa mit seiner neuen geistigen, religiösen und politischen Ausgangsposition in eine anhaltende und äußerst komplexe Ubergangsphase ein, eine Ära von 150 Jahren, die gleichzeitig „frühmodern" war, wie Historiker westlich von Wien sagen würden, und „spätfeudal", wie Kollegen aus dem Osten heute behaupten. Nirgendwo sonst haben Moderne und Feudalzeit sich nicht nur überschnitten, sondern sind sogar miteinander verschmolzen. Zwei verschiedene Entwicklungsströme wetteiferten darum, den örtlich begrenzten Horizont und den altehrwürdigen Partikularismus zu verändern. Der eine versuchte, Mitteleuropa verstärkt in die großen kontinentalen Entwicklungen einzubinden, der andere tendierte dazu, ein selbständiges mitteleuropäisches Staatengebilde zu schaffen, welches der Außenwelt gegenüber unabhängig sein sollte, im Inneren jedoch eine wechselseitige Abhängigkeit aufweisen würde. Zunächst waren während des 16. Jahrhunderts Renaissance und Protestantismus die dominierenden Strömungen, durch und durch international in einer verhältnismäßig offenen Gesellschaft. Die Macht der Habsburger und die damit verbundene eigene Souveränität über diese Gebiete, schienen im wesentlichen rein formal zu sein, ein räumlicher und genealogischer Zufall. Letzten Endes jedoch ist es der habsburgischen Autorität und im Zusammenhang damit einer verhältnismäßig geschlossenen Gesellschaft gelungen, sich fest zu etablieren, indem sie den Sieg über die letzten Reste der Renaissance und die Ruinen des Protestantismus davontrugen. Nichtsdestoweniger errang die Dynastie diesen Sieg lediglich dank einer universalen (imperialen) Ideologie und dank einer erneuerten kosmopolitischen (katholischen) Kirche. Die geistigen Strömungen und Glaubensrichtungen jedoch, die für den Moment bezwungen waren, sollten später ironisch erweise unter dem Deckmantel nationaler (d. h. örtlicher) Opposition wiederkehren. Dies sind in etwas verwirrender Kürze die Hauptlinien des historischen Prozes-

Prolog

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ses, den zu beschreiben und analysieren dieses Buch den Versuch unternimmt. Letztlich wurde die Monarchie durch Barock und Gegenreformation geschaffen, und die entscheidenden Jahre für ihre Entstehung liegen im 17. Jahrhundert. Für nahezu hundert Jahre nach 1526 blieb die Autarkie einzelner Gebiete noch sehr groß: Landtage, Verwaltungseinrichtungen, gesellschaftliche Strukturen, traditionelle Loyalitäten, alte Denkweisen. Weder Ferdinand noch seine unmittelbaren Nachfolger setzten Taten, um diese ernsthaft zu bedrohen. Aus dem gleichen Grund sind die dynamischen Elemente, die auf die Geburt eines neuen Gemeinwesens hindeuten, in geringerem Maße erfaßbar; die Anfänge der kulturellen Symbiose, die mannigfaltige subtile Anziehungskraft des habsburgischen Hofes. Da aber die Wurzeln des Barock in der Renaissance und jene der Gegenreformation in der von Luther ins Leben gerufenen Bewegung gesucht werden müssen, so muß auch unsere Untersuchung vor 1600 beginnen, mit dem kurzen Goldenen Zeitalter voll Frieden und Wohlstand, das alles in allem expansiv war, als die Donauländer mit dem Segen ihrer Herrscher Maximilian II. und Rudolf II. dem Westen Europas vielleicht näher kamen als zu irgendeinem früheren oder späteren Zeitpunkt.

Teil 1 Die allgemeine Entwicklung

KAPITEL 1

Trügerische Hoffnung, 1550-1600: Renaissance und Reformation Um die Mitte des 16. Jahrhunderts waren die österreichischen Habsburgerländer ihrem Wesen nach protestantisch. Dies kann keine präzise Aussage sein, viel eher soll angedeutet werden, was sie in religiöser Hinsicht nicht waren. Katholischer Brauch verlief sich, liturgische Gewänder wurden verstaut oder verkauft, die Verehrung von Reliquien und heilige Gebräuche kamen in Verruf, die Sakramente wurden nicht länger hochgehalten. Die Reformation griff in Stadt und Land um sich. Während sich die Städter bereitwillig diesem freieren Klima anpaßten, verstärkten die Grundherren ihren Einfluß auf die ländliche Kirche, indem sie deren Güter teilweise durch Lehen oder regelrechten Kauf an sich brachten. Die Bauern ihrerseits zeigten keine große Anhänglichkeit gegenüber dem alten Priesterstand. Dort, wo sich die Grenzen zwischen Stadt und Land verwischten, in Bergbausiedlungen, unter der umherziehenden Bevölkerung der Handwerker und Händler, kam es zu einem besonders drastischen Vorstoß der Neuerungen. Die Autorität der katholischen Lehre verebbte rasch. Überall, von der Auswahl der Vornamen bis zu den Inschriften auf Grabsteinen, griff die neue Mode Platz. Visitationen in der Erzdiözese Salzburg zeigten beklagenswerte Zustände auf. Eine 1549 abgehaltene Provinzialsynode stieß, obwohl alles versammelt war, was in der Hierarchie der alten Kirche Rang und Namen besaß, und bindende Dekrete über Disziplin, Dogma und allgemeine Ordnung erlassen wurden, auf Widerstand von allen Seiten oder wurde überhaupt ignoriert. Die Hl. Schrift wurde überall in volksnaher Sprache gepredigt, und landessprachliche Bibeln gingen von Hand zu Hand. „Überall" heißt hier mit Ausnahme jener großen Gebiete, denen keine wie auch immer geartete geistliche Betreuung zuteil wurde. 1 Das deutlichste Zeichen war, daß die Klöster, jene Horte katholischer Tradition und Privilegien, verkümmerten und dies nicht nur in Ungarn, wo die Türkenkriege viele Klöster verwüstet und habgierigen Adeligen freie Hand bei der Zerstörung der verbliebenen gelassen hatten, und in Böhmen, wo die Mönche mit Mühe die hussitischen Unruhen überlebt hatten und ihre Lage immer noch gefährdet war. Selbst in Österreich mit seinen zahlreichen wohlhabenden Klöstern war die Lage ähnlich. 1563 gab es in Niederösterreich 122 Klöster mit 463 Mönchen, 160 Nonnen, 199 Konkubinen, 55 Ehefrauen und 443 Kindern. 2 Zwanzig Jahre nach der ersten Salzburger Synode wurde von dem italienischen Dominikaner Ninguarda eine weitere geplant. Die Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens geht jedoch aus den Beobachtungen dieses Mönchs hervor, der von abgrundtiefen Mißständen unter dem Ordensklerus berichtet. Die meisten Ordenshäuser waren nun weitestgehend verlassen

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Die allgemeine Entwicklung

oder beheimateten lediglich letzte Reste einer Kolonie von Italienern. Als Ninguardas Ordensbruder Kardinal Commendone 1569 das große Kloster St. Florian visitierte, konnte er dort nicht einmal jemanden finden, der Latein sprach. Das gleiche ereignete sich 1578 in Wilten bei Innsbruck. In Vorau lebten 1528 sechzehn Chorherren, 1545 nur mehr ein einziger. In Lambach sank die Zahl der Mönche zwischen 1534 und 1554 von neun auf einen einzigen. Die Prämonstratensergründung Schlägl wies im Jahre 1566 ebenfalls nur mehr einen einzigen Bewohner auf, den verheirateten lutherischen Prior. Im selben Jahr fand der neue Administrator von Göttweig dort überhaupt keine Mönche mehr vor. 3 Es herrschte nicht nur ein Klima der Laxheit, dem die Ideale der Keuschheit und der Askese fremd waren, sondern viele Geistliche nahmen auch aus Überzeugung die protestantischen Lehren an. Klosterneuburg mit all seinen angeschlossenen Pfarren war unter dem humanistischen Prior Hübner und seinem Nachfolger Hintermayr eindeutig protestantisch, ebenso wie Wilhering in Oberösterreich. In Admont, inmitten der entlegenen steirischen Alpen, lehrte der Rektor der Klosterschule den lutherischen Katechismus mit voller Zustimmung seines Abtes, der 1568 wegen Förderung weltlicher Lehren abdanken mußte. Zwei weitere Benediktineräbte wurden in Garsten abgesetzt, wobei einer von ihnen lediglich einige Mitbrücfer zurückließ und sein Leben als Gastwirt beschloß. Wenige Klöster konnten sich ihrer eigenen, frei gewählten Leitung rühmen. Selbst Rein, das älteste Haus der Zisterzienser, berief einen weltlichen Administrator. Die Wahl fiel oft auf Verschwender, wie Steingaden in Zwettl oder Jakob von Sternowitz, der das, was Strahov an Gütern rund um Prag verblieben war, verjubelte. Einige Besitzungen, wie Ossegg und Saar, die an den örtlichen Bischof kamen, wurden innerhalb der Kirche veräußert, andere außerhalb, wie beispielsweise Schlierbach, das an die Familie Jörger verkauft wurde. Fast alle der Hunderten von Klöstern in Ungarn wurden verlassen und säkularisiert, und dies nicht nur unter osmanischem Druck. Ungarns bedeutendste historische Ordensgemeinschaft, die Benediktiner in Pannonhalma, löste sich auf, schon lange bevor die Türken in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts ihren auf einem Berggipfel gelegenen Sitz besetzten. 4 Die wichtigsten politischen Nutznießer des protestantischen Vormarsches waren die Stände: der Adel und die Städte. Durch die Befreiung von der Konkurrenz des Klerus verlieh ihnen diese neue Religion ein großes Maß an Stärke und Selbstvertrauen im Umgang mit dem nach wie vor katholischen Fürsten. Es wird oft behauptet, daß sie die Säkularisierung zu diesem Zweck ganz bewußt vorangetrieben hätten. Allerdings wird genauso oft die Gegenbehauptung aufgestellt, daß die Stände lediglich als ein Ventil für eine echte, weitverbreitete Enttäuschung fungiert hätten. Keine dieser beiden Annahmen wird allerdings der Komplexität dieses Prozesses gerecht. In Wirklichkeit griff Verwirrung um sich, und viele Neuerungen entstanden aus reinem Mißverständnis, da sich die Gebräuche von Pfarre zu Pfarre unterschieden. Pfarrer und Gemeinden ließen sich auf dem Weg von einem alten zu einem neuen Brauch an verschiedenen Plätzen nieder, wobei sie sich von einer Mischung aus Überzeugung und Bequemlichkeit leiten ließen. Keine zentrale Kontrolle war in der Lage, die auseinanderlaufenden Fäden zusammenzufassen, da die Dynastie, ohnehin geschwächt durch diese unerhörte Entzauberung geheiligter Autorität, sich

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mit dem hohen Klerus nicht über die geeigneten Mittel zur Bekämpfung dieser Strömung einigen konnte. Auf der anderen Seite bezogen die Kräfte der Opposition keine klare Stellung, ihre Führer zauderten, und ihre im Grunde nur landesbezogenen Standpunkte hoben einander auf. Als die Zeit verstrich, erwies sich die Hoffnung auf eine Einheit der Lehre unter den Protestanten immer mehr als Illusion, obwohl, wie wir später sehen werden, eine einheitliche Renaissance-Kultur davon eher zu profitieren als darunter zu leiden schien. Das Luthertum erfreute sich unter der deutschsprachigen Bevölkerung eines großen Zulaufs, und bald begannen Prediger aus Sachsen ihre südlichen Nachbarn zu überzeugen, der strengen Lehre von Wittenberg zu folgen. Niederösterreich und vor allem das wichtige Wien waren bald gewonnen, aber erst in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts hielten es die protestantischen Wortführer für nötig, auf eine formale Anerkennung der neuen Religion zu drängen. Am Landtag des Jahres 1568 erzwangen sie von Maximilian II. die Zusicherung der freien Ausübung des lutherischen Glaubens für den Adel und dessen Untertanen. Kirchenführer, unter ihnen David Chytraeus, erarbeiteten nun eine Agenda, eine neue Form des Gottesdienstes, die der Herrscher vier Jahre später bewilligte. Tatsächlich jedoch hat die Bewegung damit keine großen formalen Fortschritte erzielt, da für Maximilian die Legalisierung ein Gnadenakt war und er sich weigerte, diese auch auf die Städte auszudehnen. Weiters behinderten Streitigkeiten innerhalb des lutherischen Lagers eine Entfaltung, und es gelang nicht, eine vollständige Organisation aufzubauen. 5 Unterdessen verfolgten die Oberösterreicher jenseits der Enns einen ähnlichen Kurs, ohne jedoch willens zu sein, sich mit Wien zu einigen. Tatsächlich fochten die Stände in Linz einen Kampf an drei Fronten: gegen den Bischof des benachbarten Passau, gegen den habsburgischen Herrscher und gegen ihre anmaßenden Landsleute in Niederösterreich. Auch sie erhielten von Maximilian mündliche, jedoch keine vertraglichen Zusicherungen und vergeudeten viel Energie mit Disputationen über die Ubiquität und die Erbsünde. 6 Weiter im Süden waren die innerösterreichischen Gebiete Steiermark, Kärnten und Krain zum Zeitpunkt des Todes Kaiser Ferdinands fast zur Gänze protestantisch gesinnt. Unter der Herrschaft von Maximilians jüngerem Bruder Karl forderten sie die volle rechtliche Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses. Eine langwierige und harte Auseinandersetzung folgte. Diese führte 1572 zur Pazifikation und sechs Jahre später zu einem bitteren Landtag in Bruck an der Mur, wo die Stände drohten, jegliche Zusammenarbeit mit dem Herrscherhaus abzubrechen. Schließlich erhielten auch sie die geforderten Zusagen, die eine lutherische Glaubensausübung sowohl in den Städten als auch auf dem Land zuließen, obwohl auch diese Zusicherung wiederum nur mündlich erfolgte und widersprüchliche Auslegungen ermöglichte. 7 Die deutschsprachige Bevölkerung Böhmens schloß sich bereitwillig der Lehre Luthers an. Hier wirkten einige der bedeutendsten Mitstreiter des Reformators, allen voran Johann Mathesius, dieser geistvolle Apostel der Bergarbeiter im Erzgebirge. Natürlich war aber ganz Böhmen klassisches evangelisches Territorium, und bald zeigte sich, daß es dieser neuen Strömung gelang, die unterschwellig vorhandenen Kräfte des hussitischen Erbes zu nutzen. Sogar in Österreich zog das Luthertum

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nicht nur die deutschsprachige, sondern auch breite Schichten der slowenischen Bevölkerung in Krain und entlang des Drautales an. Viele Tschechen nahmen eine lutherische Gesinnung an, obwohl sie sich im Grunde immer noch den altehrwürdigen „Utraquisten" zugehörig fühlten. Auf dem stürmisch verlaufenden Landtag des Jahres 1575 versprach Maximilian angesichts eines vorübergehenden Zusammenschlusses der protestantischen Kräfte, deren Glaubensausübung nicht zu behindern. Seine Haltung war verfassungsgemäß nicht bindend, was dazu führte, daß die Lage weiterhin verworren blieb. Orthodoxe Lutheraner beider Sprachgruppen stehen neben den traditionelleren Hussiten auf der einen Seite und Vertretern der strengeren Lehre der Böhmischen Brüder auf der anderen. 8 Auch in Ungarn fand die Lehre von Wittenberg zunächst bei der deutschsprachigen Bevölkerung Aufnahme. In Siebenbürgen nahm die fest gefügte Gemeinschaft der Sachsen diese Lehre an, nicht ohne jedoch über Jahrzehnte hinweg bei wesentlichen theologischen Punkten zu schwanken. Gleiches gilt für die meisten deutschen Siedler in Oberungarn. Zur gleichen Zeit folgten auch viele Slowaken der evangelischen Linie, und die Magyaren unterzogen die Lehre einer sorgfältigen Prüfung, bevor sie im allgemeinen zu radikaleren Lösungen schritten.9 Das Luthertum war also in Mitteleuropa auf großen Widerhall gestoßen, in keinem der Gebiete herrschte jedoch je volle Einheit der Lehre, ganz zu schweigen von einem allgemeinen Einvernehmen zwischen den einzelnen Gebieten, was eine politische Vorherrschaft gesichert hätte. Viele seiner bedeutenden Theoretiker, wie Chytraeus von Rostock, dem wir bereits begegnet sind, waren ausländische Prediger, und ihre Anstrengungen, den weltlichen Stützen des Glaubens - adeligen Schutzherren, Stadträten, Zünften - eine geistliche Orthodoxie aufzuzwingen, führten zu weiteren Spannungen. Ab den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts begannen die Lutheraner darüber hinaus die Konkurrenz der Schweizer Ideen zu spüren. Zu diesem Zeitpunkt führten die anfänglich individuellen Anfragen zu strittigen Punkten an Bullinger, Bucer oder Beza allmählich zu dem umfassenden Glaubensbekenntnis des Calvinismus. Die größten Erfolge hatte der Calvinismus in Ungarn zu verzeichnen. Um 1570 hatte er die Disputationen unter der magyarischen Bevölkerung weitestgehend für sich entschieden, vor allem in der großen Tiefebene, wo die Grenzen der habsburgischen, der osmanischen und der siebenbürgischen Macht häufig wechselten und nur vage geklärt waren. Die Anhänger dieser Lehre organisierten in Zentren wie etwa Debrecen eine Reihe von Synoden, und ihre Führer Kälmäncsehi, Meliusz, Huszär und vor allem Szegedi Kis waren Männer mit hervorragenden geistigen Fähigkeiten. 10 Einige sahen in Ungarns Umschwung vom Augsburger zum Helvetischen Bekenntnis eine offenkundige Reaktion auf die deutschen Wurzeln des Luthertums, ja sogar auf die deutsche Sprache, die nur wenige Ungarn fließend beherrschten. Die Wahrheit hingegen ist komplizierter. Zahlreiche Magyaren besuchten weiterhin die Universität in Wittenberg, bis deren Orthodoxie der sächsischen Regierung verdächtig wurde, während ihre Loyalität später in gleichem Maße Heidelberg und Basel wie den hugenottischen Patriarchen des internationalen Calvinismus galt. Die Zugehörigkeit der Ungarn zu diesem neuen Glauben war übrigens nicht klar umrissen. Im Westen des Landes wurden die Disputationen über Eucharistie und Vorher-

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bestimmung noch lange unterschwellig fortgeführt. Selbst der kämpferische Osten ging seine eigenen Wege unter lokaler Führung mit einer bodenständigen Theologie, die nur langsam von der Klarheit des Helvetischen Bekenntnisses durchdrungen wurde. 11 Auch in Böhmen nahm in zunehmendem Maße eine beträchtliche Minderheit den Calvinismus an. Zu Ende des Jahrhunderts erreichte dieser Calvinismus mit dem Aufstieg des aus dem schlesischen Troppau gebürtigen Amandus Polanus, der seinem Schwiegervater Grynaeus als führender Theologe in Basel folgte, seinen Höhepunkt. Vor allem bei den Böhmischen (oder Tschechischen) Brüdern, die allein noch die ursprünglichen Züge des radikalen Hussitentums bewahrt hatten, war der Schweizer Einfluß besonders stark zu spüren. Die Brüdergemeinde verfügte über eine straffe, selbständige Organisation, ein wohlverankertes Mitspracherecht, genau definierte Regeln für das persönliche Verhalten und hatte darüber hinaus eine Abscheu vor Halskrausen und Zeremonien. Klare Beweisführung der Lehre oder eindeutige politische Bindungen lagen ihnen fern. Aus diesem Grund haben sie auch nie alle Forderungen des westeuropäischen Calvinismus angenommen, und noch weniger haben sie ihre eigene Identität in den Dienst irgendeiner gemeinsamen protestantischen Sache gestellt. 12 In Österreich fiel den Calvinisten, obwohl ihre Zahl geringer war, ein erhebliches politisches Gewicht zu, da die Mächtigsten aus den Reihen des Adels begierig die Idee eines Glaubens aufgriffen, der ihrem Programm der Ständeherrschaft größere Wirkung verlieh. Georg Erasmus Tschernembl, der diese Gruppe nach 1600 anführen sollte, brachte seine Begeisterung für die französischen und holländischen Glaubensbrüder offen zum Ausdruck. 13 Neben diesen großen Konfessionen blühte auch eine Unzahl von Sekten. In Mitteleuropa entwickelten sich diese Ableger der Reformation in zwei verschiedene Richtungen. Die volksnahen Wiedertäufer, die während der bewegten zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts weit verbreitet waren, zogen sich danach in defensive Fanatikergemeinden zurück und führten ein bäuerliches Leben, geprägt von Selbsthilfe und Disziplin. In Mähren wurden die Wiedertäufer offen geduldet, und auch andernorts dürften sie, obwohl Beweise hiefür nur sehr vereinzelt vorliegen, in beträchtlicher Anzahl überlebt haben, von der gut dokumentierten Gefolgschaft des Jakob Hutter bis zu radikalen Gruppen, die oft sogar den Zeitgenossen verborgen blieben. Beobachter jedoch waren sich der Vielzahl der Lehren voll bewußt. Ein böswilliger Chronist beschreibt allein in Mähren 25 verschiedene Glaubensrichtungen, darunter ausgesuchte Namen wie Adamiten, Stablarier, Clankularier, Deklaranten, Dämonier, Konkubiten und Grubenhameriten. 14 Die zweite Richtung des Sektierertums stand unter der Führung intellektueller Extremisten, vor allem solcher, die die Lehre der Dreifaltigkeit verwarfen. Die Entwicklung dieser Gruppe schritt unter dem Einfluß von italienischen Auswanderern etwas langsamer voran und stieß in erster Linie im östlichen Ungarn auf ähnliches Gedankengut. Hier trat vor allem der bemerkenswerte Ferenc David, der zunächst Katholik, später Lutheraner und danach Calvinist gewesen war, vehement für eine gänzliche Abkehr von den traditionellen Glaubensinhalten ein. In Siebenbürgen gewannen die Unitarier zusehends an Einfluß und erlangten sogar ein gewisses Ansehen, obwohl sie nach wie vor nach Kohäsion trachteten. In den achtziger Jahren

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des 16. Jahrhunderts kam es zu einer Aufsplitterung in eine exklusive dogmatische Sekte einerseits, die unter dem Einfluß von David einer Art jüdischem Christentum anhing, und andererseits in eine breitere Bewegung eines rationalen Skeptizismus.15 Letztere unterhielt Verbindungen zu gleichgesinnten Gruppen im benachbarten Polen und streckte im geheimen ihre Fühler auch zu den Nonkonformisten in den Habsburgerländern aus. Zu den fortschrittlichen Freidenkern unter den mitteleuropäischen Sektierern zählten David, Palaeologus, Francken und Dudith, die, in ihrer Zeit äußerst umstritten, heute jedoch aus der Vergessenheit wachgerufen werden mußten. Kühn paßten sie den Protestantismus an die philosophischen Ideale der Renaissance an und erweiterten damit die gesamte Basis der theologischen Disputation. 16 So umfaßten die Länder der österreichischen Habsburger im 16. Jahrhundert ein weites Spektrum religiöser Richtungen, von den schwäbischen Vorlanden und Tirol, wo der Katholizismus nach schweren Erschütterungen mehr oder weniger unversehrt überlebt hatte, 17 bis hin nach Siebenbürgen, wo durch extreme Uni tarier aufgezeigt wurde, wozu ein Umdenken innerhalb zweier Generationen führen kann. Selbstverständlich rührte diese Vielzahl teilweise von den unterschiedlichen Umständen und Verhaltensweisen der verschiedenen konfessionellen Gruppen her. Für jede protestantische Kirche war der Unterricht von zentraler Bedeutung. Ziel war es, die eigene Botschaft so weit wie möglich in der Landessprache zu verbreiten. Nach der Mitte des Jahrhunderts, einer Zeit, die durch große Zuversicht gekennzeichnet war, wurden durch die Reformation Debatten aller Art gefördert, die in einem - sei es auch noch so losen - Zusammenhang mit der Auslegung der Hl. Schrift standen. Teile des Erziehungswesens verblieben katholisch. Die Wiener Universität war dem Gesetz nach nicht autonom, Prag nur zum Teil. Pfarr- und Klosterschulen überlebten dort, wo sie einen modus vivendi mit dem herrschenden Klima fanden. 18 Allerdings wurden sie nun durch ein Netzwerk von viel lebendigeren Institutionen verdrängt. Das lutherische Österreich zog Zuwanderer aus den deutschen Akademien an und war auf dem besten Weg, ein System zu errichten, welches zwar noch unausgegoren, doch voll der Verheißungen schien. Die Ständeschulen in Linz und Wien sowie die Stiftsschule in Graz verfolgten mit beträchtlicher Effizienz achtbare pädagogische Ziele, während der fähigere Klerus, wie einem Visitationsbericht aus dem Jahre 1580 zu entnehmen ist, das Interesse auf örtlicher Ebene anregte. 19 In Böhmen wetteiferten die Protestanten unterschiedlichster Prägung um die Weiterentwicklung der Bürgerschule, die dort ein ungewöhnlich positiver Faktor der städtischen Gesellschaft wurde. Die Böhmischen Brüder konzentrierten ihre Aufmerksamkeit unterdessen vor allem auf kleinere Zentren, die bereits von ihren Kongregationen beherrscht wurden. Orte wie Fulnek, Walachisch-Meseritsch und Eibenschütz gewannen auch außerhalb der Landesgrenzen wegen ihres aufgeklärten Unterrichts in Kombination mit einem hohen Maß an Frömmigkeit großes Ansehen. 20 In Ungarn führten die Calvinisten das Feld an, errichteten eigene verdienstvolle Hochschulen in Debrecen, Särospatak, Papa und Großwardein und wehrten in Siebenbürgen die Herausforderung durch die Unitarier ab. 21

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Doch auch diesem Verlangen nach Bildung waren Grenzen gesetzt - die Universitäten zogen kaum Nutzen daraus-, und sicherlich fehlte es nicht an Vorurteilen. Letzten Endes erwuchs dieses Interesse an Bildung aus einer kämpferischen, oft selbstsüchtigen Kampagne gegen die alte Kirche und hatte die Absicherung unterschiedlicher Rechtfertigungen der neuen Religionen zum Ziel. Das erweiterte theologische Spektrum brachte aber naturgemäß auch eine grundsätzliche Erweiterung des Horizonts mit sich. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts spielte der mitteleuropäische Protestantismus in allen wichtigen intellektuellen Fragen mit. Diese Entwicklung kann bei Reformern wie Johann Honter unter den Siebenbürger Sachsen oder Valentin Trotzendorf in Schlesien beobachtet werden - tatsächlich legten die schlesischen Schulen den Grundstein für die beachtlichen humanistischen Errungenschaften dieses Gebietes. Am eindrucksvollsten kann der Weg der Böhmischen Brüder von zwielichtigen Sektierern zu leidenschaftlichen Erziehern, den Lehrern des Comenius, anhand der Arbeit von Jan Blahoslav, Esrom Rüdiger und anderen verfolgt werden. 22 Eine weitere praktische Folge, die sich aus dieser Vielfalt an Glaubensrichtungen ergab, war eine weitverbreitete de/acfo-Toleranz. Dies ist in erster Linie nicht der Reformation selbst, sondern vielmehr der Atmosphäre, in der sie wirksam wurde, sowie dem Fehlen eines einheitlichen Schwerpunktes zu verdanken. „In Religionssachen macht ein jeder was er will, und dadurch herrscht zwischen den Parteien ziemlicher Friede", beobachtet ein kritischer Katholik, und der gleiche Gedanke wird auch von einem Lutheraner aufgenommen: „In Österreich gibt es fast zu viel Religionsfreiheit, denn alle jene, die aus den übrigen deutschen Landen - aus welchen Gründen auch immer - vertrieben wurden, strömen ungestraft herein." „In Prag, dieser dichtbesiedelten und schmutzigen Stadt", bemerkt der hugenottische Herzog von Rohan im Jahre 1600, „gibt es keine deutsche Sekte, deren Spuren nicht zu finden wären." 23 Nach den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts kam es kaum zu religiösen Ausschreitungen, und ernsthafte Verfolgungen gab es das ganze Jahrhundert hindurch nur äußerst selten. Ferdinands 1547 beginnender und einige Jahre dauernder Kampf gegen die Böhmischen Brüder war die krasseste Ausnahme. Das traditionelle katholische Gebäude stand noch aufrecht, einerseits weil es sich des Schutzes der Dynastie erfreute, und andererseits - was von größerer Bedeutung war - weil keine protestantische Gruppe allein über die nötige Stärke oder Organisation verfügte, um es zu ersetzen. Diese amorphe politisch-religiöse Situation brachte es mit sich, daß es in der Praxis kaum eine effektive Zensur gab. Weltliche und kirchliche Autoritäten versuchten das Druckereiwesen unter Kontrolle zu bringen, doch waren die erzielten Erfolge vor Ende des Jahrhunderts sehr gering. 24 Die Buchproduktion entwickelte sich rasch, und zwar nicht nur in den manchmal großen Unternehmen, sondern in einer Unzahl von kleinen Betrieben, die sich auf weitgestreute Geldmittel stützten. Ungarn besaß neben den umherziehenden Druckern auch gediegene städtische Betriebe im lutherischen Bartfeld oder im calvinistischen Debrecen. In Böhmen gab es außer dem bereits über eine große Tradition und Erfahrung verfügenden Verlagswesen in Prag auch auf dem Land einige Betriebe. Aufgrund der Anwesenheit der Dynastie in Wien gewann hier die katholische Seite überproportionalen Einfluß, doch

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waren falsche Druckvermerke und Pseudonyme an der Tagesordnung, und Buchhändler, die ihre Regale mit eingeführter Literatur füllten, konnten auch behördlich mit Nachsicht rechnen. Die siebenbürgischen Arianer bedienten sich für ihre äußerst heterodoxen Ansichten sowohl heimischer als auch ausländischer Verleger. 25 Vor diesem Hintergrund erblickten einige bemerkenswerte landessprachliche religiöse Publikationen das Tageslicht. Die Böhmischen Brüder brachten in der kleinen mährischen Stadt Kralitz eine stattliche und maßgebende tschechische Ausgabe der Heiligen Schrift heraus (zunächst in sechs Bänden, später dann zusammengefaßt in einem einzigen Band). Gäspär Kärolyi arbeitete in einer kleinen Dorfkirche am Rand der staubigen Ungarischen Tiefebene unter großen Schwierigkeiten praktisch allein an der Fertigstellung der ersten vollständigen Ausgabe einer ungarischen Bibel. Im Zuge der Reformation wurde für Krain eine klassische Serie slowenischer religiöser Übersetzungen herausgebracht. Uberall sah man das gedruckte Wort als Verbündeten an. Bezeichnenderweise haben auch die innerösterreichischen Stände ihre Konzessionen von 1578 in Form eines Flugblattes, des sogenannten Brucker Libells, verwahrt, während die niederösterreichischen Stände unter Mißachtung des Gesetzes eine eigene Druckerei zum Druck der lutherischen Agenda gründeten. 26 Soweit wir bisher gesehen haben, ergab sich die Koexistenz aus einem labilen Gleichgewicht der Kräfte. In diesem Licht betrachtet, war Toleranz grundsätzlich etwas Äußerliches. Sie verriet eine Vorherrschaft der weltlichen Kräfte und trotz der beharrlichen Beteuerungen der wetteifernden Kirchenmänner einen Mangel an tiefer und entschiedener Frömmigkeit oder Hingabe. In jedem Fall leiteten Koexistenz und Toleranz aber ihre Stärke teilweise auch aus örtlichen Gegebenheiten ab. Die Vielvölkergesellschaften Mitteleuropas waren in dieser Zeit für überstürzte, zersetzende Leidenschaften vielleicht weniger empfindlich, was einen einschneidenden Unterschied zu den Erfahrungen des 19. Jahrhunderts bedeutet. Das nachhussitische Böhmen hatte seine eigene Art des Kompromisses gefunden, wohingegen Breslau, die Hauptstadt Schlesiens, in leidlicher Harmonie einem katholischen Bischof, einem lutherischen Bürgertum sowie einer kryptocalvinistischen, wenn nicht überhaupt völlig unorthodoxen Intelligenz eine Heimstätte bot. 27 Viele Aristokraten in Ungarn unterhielten noch in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts sowohl einen katholischen Priester als auch einen protestantischen Prediger. Schlesische Pastoren teilten nicht nur ihre Gotteshäuser mit den ortsansässigen Katholiken, sondern erhoben auch weiterhin die Hostie und trugen liturgische Gewänder. Einige siebenbürgische Extremisten versuchten sich in einer theoretischen Verteidigung der Toleranz - jene des Palaeologus ist am besten ausgearbeitet - , wodurch auch ihr persönliches Verhalten widergespiegelt wird. So konvertierte der in unverbesserlicher Weise unentschiedene Francken anläßlich vier verschiedener Gelegenheiten zum Katholizismus. Selbst in den von den Türken besetzten Gebieten der ungarischen Ebene entfaltete sich ein lebhaftes protestantisches geistiges Leben. 28 Da den Habsburgerländern eine Verwicklung in die bitteren Fehden, die den Westen des Kontinents spalteten, erspart blieb, neigte man hierorts dazu, jene Aspekte aus der konfessionellen Auseinandersetzung herauszuhalten, die mit den humanistischen Prinzipien übereinstimmten, die von allen Gruppierungen begierig aufgenommen wurden, als das allgemeine Bildungsniveau stieg. Eine umfassende

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gemeinsame Basis bestand in der bereitwilligen Empfänglichkeit für die klassische Gelehrsamkeit und für eine Welt der gelehrten Forschung, wobei die internen Auseinandersetzungen keine grundsätzlich dogmatischen waren. Große Bibliotheken wurden angelegt, die der Wißbegier der Spätrenaissance gerecht wurden. Job Hartmann von Enenkel beispielsweise erwarb 8.000 Bücher. Theologische Werke machten meist nur einen geringen Teil der Sammlungen aus, wie etwa jener der Ungarn Johannes Sambucus und Boldizsär Batthyäny, des emigrierten italienischen Historikers Giovanni Brutus und des einflußreichen kaiserlichen Beamten Wolf Rumpf. 29 Erasmus erfreute sich allseits steigender Beliebtheit. Nicht zuletzt hatte er viele Verbindungen zu Mitteleuropa geschaffen und einen Großteil seiner letzten Lebensjahre in der habsburgischen Universitätsstadt Freiburg verbracht. Philipp Melanchthon errang noch zentralere Bedeutung, wobei seine Wertschätzung seitens einflußreicher einheimischer Protestanten bei weitem die Angriffe überwog, die von Predigern der rivalisierenden Flacianischen Richtung wegen seiner gemäßigten Haltung erhoben wurden. Seine Schriften hatten vor allem in Breslau und den anderen schlesischen Städten, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts so viel zur deutschen Kultur beitrugen, großen Einfluß. 30 In Ungarn wurde der vorherrschende Calvinismus durch ein starkes laizistisches Element, welches sich sowohl auf aus dem Reich kommende Philippistische Ideen als auch auf den italienischen Humanismus von Padua stützte, davor bewahrt, doktrinär zu werden. Letzterer erwies sich vor allem in Siebenbürgen - der Kanzler Farkas Kovacsoczy ist ein gutes Beispiel - als besonders einflußreich, wo er auch dem säkularisierenden Druck der Unitarier zugrundelag. 31 Noch bemerkenswerter ist das Verhalten der katholischen Seite. Die katholische Kirche war nun ein Kopf ohne Körper. In den höheren Rängen aber befanden sich Männer, die ihren protestantischen Zeitgenossen hinsichtlich des Spektrums ihrer Interessen nicht nachstanden. Inmitten der rauhen Wirklichkeit eines umkämpften Ungarn entfaltete die Hierarchie eine durch und durch der Renaissance entsprechende Kultiviertheit. Nikolaus Oläh, zwischen 1553 und 1568 Primas des Landes, stand in Briefkontakt mit Erasmus und trug selbst Material über klassische Baudenkmäler und Topographie zusammen. Auch sein Nachfolger, der bedeutende Diplomat Kardinal Antal Verantius, war ein überaus schöpferischer Autor, dessen Vorliebe der Geschichte galt. Gleiches läßt sich von seinen Schützlingen Ferenc Forgäch und Miklos Istvänffy sagen, deren Chroniken uns heute lebendige und ausgewogene Quellen für jene Zeit liefern. 32 Istvänffy (1538 - 1605), Dichter und Latinist, Gelehrter und Sammler, veranschaulicht viele der wesentlichen Züge des späten Humanismus. In den siebziger und achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts gehörte er dem Kreis katholischer Literaten um die Bischöfe Liszti und Radeczi an. „Liszti", so schrieb ein Vertrauter, „ist Nikodemit: seine Art, über Religion zu denken, unterscheidet sich von jener, darüber zu sprechen." Der ebenfalls dem Episkopat angehörende Zacharias Mossoczy, der als erster das ungarische Recht kodifizierte, legte eine der für die damalige Zeit so kennzeichnenden polyglotten Bibliotheken an. 33 Diese Art des lauen Katholizismus stand damals keineswegs im Einklang mit Rom. Zwischen 1553 und 1600 besuchte kein einziger ungarischer Prälat den Papst,

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jene hingegen, die in letzterem Jahr nach Rom reisten, Andräs Monoszloi und Faustus Verantius, traten für Mäßigung ein. Faustus, Antals Neffe, ein Mann von ungewöhnlicher intellektueller Begabung, nahm mit wenig Begeisterung ein Bistum an, wobei sein Mißtrauen gegenüber dem Gedankengut der orthodoxen Gegenreformation in keiner Weise einzigartig im Episkopat war: Ein späteres Beispiel ist Demetrius Näprägi. 34 Auch bei den führenden Katholiken im übrigen Mitteleuropa machte sich derselbe Geist der Anpassung bemerkbar. Viele versammelten sich am Hof Stefan Bäthorys, zunächst in Siebenbürgen und dann, nachdem Bäthory die polnische Krone erlangt hatte, in Krakau. Der Bogen spannt sich von Brutus, mit seinen internationalen Kontakten, zu eher örtlichen Größen, wie dem Arzt und Dichter Ferenc Hunyadi. 35 In Prag weigerte sich Erzbischof Antonin Brus, obwohl er am Konzil von Trient im Zensurkomitee den Vorsitz geführt hatte, irgendwelche strengeren Verbote zu erlassen, und seine eigene Bibliothek verrät einen Mann von weitem Horizont. Mehrere Amtsträger des Bistums Breslau hatten ähnliche Neigungen. In Österreich wurden Wiener Bischöfe, von Faber bis Neubeck, vielleicht nur durch Geldmangel daran gehindert, den gleichen Renaissance-Pomp zu entfalten, wie er von ihren Metropoliten in Salzburg an den Tag gelegt wurde. 36 Wie viele spätere monastische Historiker beklagen mit gewissem Unglauben (wenn sie nicht überhaupt schweigend darüber hinweggehen) die Vielzahl von Äbten des 16. Jahrhunderts, die von humanistischer Passivität angesteckt waren! Wie viele Kirchenfürsten waren nach Tridentiner Maßstäben bemerkenswert empfänglich für häretische Werte! Der prominenteste Bannerträger des Katholizismus war ganz offensichtlich die Dynastie selbst. Resultierte nicht die gesamte Spannweite der unterschiedlichen Konfessionen aus habsburgischer Schwäche? Sicherlich besaß das Herrscherhaus bis dato wenige Waffen, mit deren Hilfe es die Irrlehre bekämpfen konnte, wir müssen jedoch seine Stellung im Zusammenhang mit dem Klima der Mäßigung beurteilen, welches ich bereits umrissen habe. Obwohl Ferdinand I. in seiner Bindung an Rom nicht wankte, hatte er, wie sein Bruder Karl, für die anmaßenden päpstlichen Forderungen nichts übrig. Die allmählich zunehmende Macht, die er in seinen Gebieten ausübte - vor allem nachdem er die deutschen Protestanten und ihre Glaubensbrüder in Böhmen 1546/47 in die Schranken gewiesen hatte - , zielte darauf ab, die Stellung der Dynastie (oder zumindest seines eigenen Zweiges) über Parteien und Länder hinweg zu festigen. Darüber hinaus hatte Ferdinand ein einigermaßen offenes Ohr für humanistische Töne: Mehrere seiner Ratgeber liebäugelten ganz offen mit den Ideen des Erasmus und begrüßten einen Gedankenaustausch. Es war daher nur eine logische Folge, wenn seine Politik am Konzil von Trient in dem Bemühen gipfelte, den Angehörigen des Klerus die Eheschließung und den Laien die Kommunion unter beiderlei Gestalten zu ermöglichen. Diese beiden eindrucksvollen symbolischen Akte, einer ein moralischer, der andere ein dogmatischer, beide Ausdruck des allgemeinen Widerstandes gegen die alte Kirche, waren nicht einfach ein Zeichen der Schwäche, sondern wahrhaft ein Schritt in Richtung eines Ausgleichs im Bereich der Adiaphora (in Philippistischem Sinn). Zum Zeitpunkt seines Todes im Jahre 1564 hatte Ferdinand sogar die Achtung des radikalen Anglikaners Edmund Grindal gewonnen. 37

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Diese Politik wurde von Ferdinands ältestem Sohn fortgeführt. Kaiser Maximilian II. lebt in der Erinnerung als toleranter Herrscher fort, der in jungen Jahren die Lutheraner so sehr bevorzugte, daß er der Apostasie verdächtigt wurde. Im späteren Verlauf seines Lebens bewahrte er sich eine frostige Reserviertheit sowohl gegenüber dem Papst als auch gegenüber seinem Schwager Philipp II., und in der Stunde seines Todes soll er die katholischen Sterbesakramente verweigert haben. Er mißbilligte die spanische Politik in den Niederlanden, die Greuel der Bartholomäusnacht und die Exkommunikation von Königin Elisabeth. 38 Was bislang vergessen wurde, sind die Folgen dieses Verhaltens: Maximilians Patronat über einen Hof, der seiner Zusammensetzung und Gesinnung nach ganz Ausdruck gebildeter Mäßigung war. Er hatte viele Begabungen, darunter auch die Fähigkeit, Loyalität zu erwecken, war zu einem scharfsinnigen Urteil in persönlichen Angelegenheiten fähig und besaß ein außergewöhnliches geistiges Auffassungsvermögen. Maximilians Herrschaft stellt deshalb den Höhepunkt des orthodoxen Humanismus in Österreich dar, an dessen Spitze seine eigene Umgebung stand, eine Bruderschaft, die von einem Kritiker sehr passend als Hofchristen bezeichnet wurde. 39 Trotz unterschiedlicher Herkunft war sich diese Gruppe in ihrem Widerwillen gegen konfessionelle Spitzfindigkeiten einig. Selbst der Befehlshaber des kaiserlichen Heeres, Lazarus von Schwendi, und die wichtigsten Ratgeber, Seid und Zasius, predigten die süße Vernunft. 40 Einige waren Gemäßigte aus Überzeugung, andere aus Mangel an Überzeugung. Vielleicht ist diese Unterscheidung nicht so wichtig (ähnlich wie die Grenzen, die wir aus Bequemlichkeit in die fließende religiöse Karte Mitteleuropas eingetragen haben). Eher teilten sie den unbestimmten Wunsch, die tiefere Verbindung zwischen klassischer und christlicher Bildung zu enträtseln, um so mehr, als Maximilian selbst ein ernstzunehmendes Interesse an kirchlicher Historiographie hatte. 41 Der Wiener Humanismus in den sechziger und siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts beruhte auf konventionellen Prinzipien, dem Primat des Latein als einem Instrument des gewählten Ausdrucks und zur Wiederherstellung der Werte der klassischen Kultur. Viele seiner führenden Köpfe hatten Posten an der Universität inne, die nun als Institution direkt dem Hof unterstand und dessen katholischen Standpunkt teilte. Die Dichtkunst wurde mit regelmäßigen Sänger- und Dichterfesten gefördert, bei denen der Mathematiker Paul Fabritius, der Rechtsgelehrte Peter de Rotis, der Schriftsteller Elias Corvinus und andere den Vorsitz führten. Dem Erfolgreichen winkte die Gunst des Kaisers und der Titel einespoeta laureatus.42 Die Disputationen kreisten in erster Linie um Fragen der Literatur und der Inschriften, der Moral und der Erziehung und bewegten sich in streng aristotelischen Bahnen. Andreas Camutius, der Verfasser höchst formalistischer Werke über Verstand, Liebe und Adel, schildert, wie Maximilian in diese Disputationen einsteigen würde. Die Textbücher von Nikolaus Biesius sind voll ähnlichen Lobes auf seinen kaiserlichen Schutzherrn. Ein noch treffenderes Zeugnis kommt von Stefan Pighius, der drei Jahre als Lehrer des jungen Herzogs von Kleve, eines Neffen des Kaisers, in Wien verbrachte und dessen eigene Bücher dieselbe Mischung zwischen dem Geist der Klassik und der Lebensart der Renaissance aufzeigen, der er am habsburgischen Hof begegnete. 43

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Einige dieser Arbeiten waren von bleibendem Wert. Pighius und der Österreicher Lazius schrieben bedeutende Werke über die römische Geschichte; Sambucus und der abtrünnige Bischof Andreas Dudith erfreuten sich als Kenner des Griechischen europäischer Berühmtheit; gleiches gilt für Nicasius Ellebodius, einen der Humanisten in der nahegelegenen ungarischen Hauptstadt Preßburg, der weiterhin Pfründe der katholischen Kirche innehatte. 44 Man bemühte sich, den aufstrebenden Justus Lipsius für Wien zu gewinnen, und tatsächlich stattete jener dem Hofe einen ausgedehnten Besuch ab. In seiner sorgsam erstellten Autobiographie nannte er an erster Stelle unter den heimischen Größen den kaiserlichen Diplomaten Busbecq, dessen bekannter Bericht über das Osmanische Reich viele Exkurse über die Antike sowie linguistische Anmerkungen enthält 4 5 In der Tat geht das philosophische Interesse allmählich in eine viel allgemeinere Wißbegier über. Viele von Maximilians Schützlingen hatten die Stellung eines Leibarztes inne. Unter den hier bereits genannten sind es Camutius und Biesius. Einige, wie Guarinoni und Alexandrinus, erfreuten sich eines hervorragenden fachlichen Rufes, und Dr. Crato, der kultivierteste und anpassungsfähigste der schlesischen Lutheraner, wurde Maximilians unerschütterlicher Vertrauter. Ein weiterer Leibarzt, Rembert Dodoens, schrieb bahnbrechende Bücher über das Tier- und Pflanzenreich, ebenso wie auch der königliche Gartenmeister Charles de l'Escluse oder Clusius. Dr. Reisacher beschäftigte sich ebenso wie Dodoens und Fabritius, der eine der Schlüsselfiguren des geistigen Lebens in Wien war, mit Astronomie. Solch wissenschaftliche Forschungen gingen Hand in Hand mit einer Sammlerleidenschaft, die von Maximilian und anderen Habsburgern des 16. Jahrhunderts geteilt wurde, und mit dem damit im Zusammenhang stehenden manieristischen Stil der Künstler. Einer der großen Altertumskenner der Renaissance, Jacopo Strada, fungierte als kaiserlicher Berater in ästhetischen Fragen 4 6 Der Kreis um Maximilian war in höchstem Maße kosmopolitisch und zog vor allem Italiener und Niederländer an, die nach Anerkennung und ungestörten Arbeitsbedingungen suchten. Die Kontakte waren dementsprechend ausgedehnt. Besten Beweis hiefür erhalten wir, wenn wir kurz bei dem Hofbibliothekar Hugo Blotius verweilen. Blotius, ein Holländer, studierte und unterrichtete in Löwen, Paris, Orleans, Basel, Straßburg und Padua, bevor er sich nach 1575 in Wien niederließ. Hier stieß Blotius trotz einiger persönlicher Differenzen - er war ein eigensinniger Mann - auf eine ihm geistesverwandte Atmosphäre. In religiösen Belangen konnte er sich im Hintergrund halten — vielleicht hing er sein Leben lang einem gemäßigten Calvinismus an - , und die Hofbibliothek, die erst kürzlich von Busbecq und anderen um wertvolle griechische Manuskripte erweitert worden war, stellte eine bedeutende Fundgrube für Gelehrte dar 4 7 Blotius war augenscheinlich ein geehrtes Mitglied der humanistischen Gemeinschaft. Als solcher teilte er deren charakteristische Briefleidenschaft und führte sorgfältige Verzeichnisse mit Adressen und Titeln seiner Freunde. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts schrieben ihm Brieffreunde aus ganz Europa. 48 Einige waren alte Studentenbekanntschaften, wie der Rechtsgelehrte Hubert Giffen, dessen hundert noch vorhandene Briefe eine ereignisreiche Karriere dokumentieren, die in Prag endete. Andere waren österreichische Gelehr-

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te: Sambucus, Busbecq und Crato, der ihm zu Ansehen bei Hof verhalf; die Dichter Calaminus und Porschius, Frenzelius und Arconatus sowie auch adelige Gönner, darunter Schwendi, dessen Sohn er eine Zeitlang unterrichtete. 49 Derartige Posten als Privatlehrer waren für einen Akademiker sehr attraktiv, und Blotius unterrichtete auch Bischof Lisztis ungehobelten Neffen. Der Schüler selbst machte wenig Freude, doch brachte diese Stellung Kontakte mit Istvänffy, Ellebodius und ihren Freunden in Preßburg sowie mit den etwas isolierteren ungarischen Gelehrten und Adeligen auf dem Land. 50 Von den Böhmen kannte er den wortgewandten Schlesier Monau, Codicillus und Kocin in Prag und eine Anzahl von Humanisten in ländlichen Gebieten. Zu seinen deutschen Freunden zählten Camerarius in Nürnberg, Hans Herwart in Augsburg, Crusius in Tübingen, Chytraeus und Caselius in Rostock, Reineck und Horstius in Helmstedt, Gruter in Heidelberg; ferner Zwinger und einige weitere Gelehrte in Basel. Über weitere Entfernung hielt Blotius die Verbindung zu seinem Heimatland und zu Kollegen in Frankreich und England aufrecht. 5 1 Diese Namen, zu denen noch viele hinzugefügt werden könnten, sind freilich nur Indizien und kein vollständiger Beweis. Sie illustrieren die Bandbreite einer erhalten gebliebenen Korrespondenz, deren Zentrum in Wien lag. Erst eine Beschäftigung mit ihren Inhalten kann sie wieder zum Leben erwecken. Nicht daß diese Inhalte häufig spannend gewesen wären, die Anforderungen der eleganten Latinität schränkten den emotionalen Bereich stark ein. Sie vermitteln aber viele persönliche Informationen und nicht selten Kommentare zu politischen Zuständen und aktuellen Ereignissen, vor allem die Angst vor einer Verschlimmerung des konfessionellen Streits. Platonische Beteuerungen der Freundschaft und Anleitungen für Reisende geben ein authentisches Bild einer Art gebildeter Freimaurerei, die sich von London bis zur Grenze des Osmanischen Reiches erstreckte. Eine Flut von Besuchern wurde im Laufe der Zeit in Blotius' Unterkunft in der kaiserlichen Hofburg beherbergt. 52 Der allgemeine Fortschritt der europäischen Bildung spielt in diesen Briefen die größte Rolle, und obwohl Blotius selbst kein großer Neuerer war, sind sie Beweis für zeitgenössische Debatten über das Studium der Antike, der Geschichte und einiger Zweige der Naturphilosophie. Gleichzeitig wird den laufenden Veröffentlichungen aller Art große Aufmerksamkeit geschenkt. 1576 und 1577 beispielsweise suchte der tschechische Rechtsgelehrte Kocin nach Arbeiten von Bodin, darunter auch der Republik, und nach einer italienischen Ausgabe von Machiavelli, dem Matador des Papsttums. Autoren sandten Blotius ihre eigenen Werke, Buchdrucke; nahmen bei ihren Ansuchen wegen eines kaiserlichen Privilegs die Hilfe des Bibliothekars in Anspruch. Daneben mußte Blotius auch seinen beruflichen Verpflichtungen nachkommen. Diese reichten von der Bereitstellung genealogischen Materials, welches von Aristokraten angefordert wurde, bis zu einem Büchertransport für den verbannten Johannes Kepler, der sich auf dem Weg von der Steiermark nach Prag b e f a n d . " Die an Blotius gerichteten Briefe spiegeln einen anerkannten, weltoffenen Humanismus wider, der dem elitären Milieu von Hof und Akademie entsprach. Sie stehen in einer Reihe mit anderen zeitgenössischen Korrespondenzen: jener Languets, der Familie Camerarius in Nürnberg oder, als besonders glänzendes Beispiel, den Briefen von Justus Lipsius, dessen bewegter religiöser Stand so charakteristisch für

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diese Entwicklung war. 54 In den achtziger und neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts wurde Lipsius zur beherrschenden Figur in einem Mitteleuropa umspannenden Netzwerk von Beziehungen, dessen Zentrum in den Niederlanden lag. Seine Briefe, von denen viele publiziert und manche sogar gezielt im Hinblick auf eine spätere Publikation geschrieben wurden, bildeten eine Art Bibel der Spätrenaissance. 55 Diese Dokumente sind lediglich markante Punkte in einer weiten Landschaft, dem ausgedehnteren Horizont europäischer Kultur, in den die Habsburgerländer allmählich eingebunden wurden. Aus einem Gefühl der Solidarität mit dem Protestantismus heraus schritt diese Entwicklung unter Maximilian rasch voran und nahm unter Rudolf II., der den Hof seines Vaters erbte und das Ausmaß der Empfänglichkeit noch erhöhte, seinen Fortgang. Nur langsam wurden Zeichen des Verfalls im Rudolfinischen Zeitalter sichtbar. Die Entwicklung ging in Richtung gegenseitiger Anerkennung, des Findens von Gemeinsamkeiten im internationalen Rahmen der Renaissance. Sie manifestiert sich einprägsam im Wörterbuch des Calepinus. Kein Gelehrter des 16. Jahrhunderts, der etwas auf sich hielt, kam ohne dieses Standardwerk aus, das noch immer den Namen seines längst verstorbenen Schöpfers trug, der es ursprünglich nur als Wörterbuch des Lateinischen konzipiert hatte, welches aber in der Folge in einer hohen Anzahl von Auflagen unter mehreren Generationen von Herausgebern erschienen war. In jeder alten Bibliothek finden sich noch heute Zeugnisse seiner nachhaltigen Popularität. Nach und nach wurden griechische, italienische, spanische, französische und hebräische Entsprechungen hinzugefügt, im Jahr 1568 deutsche, zwei Jahre später holländische. 1585 wurde neuerlich ein großer Schritt unternommen, indem drei weitere Sprachen hinzukamen: Englisch, Ungarisch und Polnisch. Das so entstandene vielsprachige Werk wirft ein eigenes Licht auf die kulturelle und selbst auf die politische Geschichte. 56 Die ostmitteleuropäischen Sprachen - Polnisch steht hier auch für das nahverwandte Tschechisch - treten in der feinen internationalen Gesellschaft nicht später auf als das Englische. Trotzdem sind all diese neuen Sprachen noch immer nur ein Anhang an das Lateinische des Grundwörterbuches. Dabei handelt es sich keineswegs um Küchenlatein in eselsohrigen Quartobänden, sondern um ein humanistisches Latein, welches in massiven Folioeditionen verwahrt und durch eine immer größere Präzision der Definition und die Erweiterung des Vokabulars verfeinert wurde. Daher auch die Vorliebe für neulateinische Verse, deren mitteleuropäische Verfasser niemandem nachstanden: Bruschius aus Eger, Corvinus in Wien, der Schlesier Lange, Carolides in Prag, Simonides in Polen und Frischlin, der dazu berufen wurde, die Schule der Krainer Stände zu leiten. 57 In diesem wechselseitigen Prozeß der Anerkennung hatten die Habsburgerländer gewisse Vorteile. Ihre grundsätzliche Integrität im politischen Leben und die kulturelle Expansion unter ihrer dynastischen Führung waren in der Lage, Einwanderer aus spannungsgeladeneren Teilen des Kontinents anzuziehen. Dennoch überwogen die Vorteile der anderen Seite. Dem Buchhandel ζ. B. öffneten sich in jeder Hinsicht neue Horizonte. Ehrgeizige Autoren aus Böhmen oder Ungarn wechselten zu Verlegern in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Leser wurden von ausländischen Buchhändlern versorgt, die in Wien oder Prag ihre Niederlassungen errichteten und den Handel über die Grenzen hinweg ausdehnten. 58 Von noch grö-

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ßerer Bedeutung waren Studienreisen ins Ausland, wodurch die alten Universitäten in Wien, Prag und dem nahegelegenen Krakau, die trotz einer relativ toleranten Atmosphäre in den studentischen Einrichtungen und des hervorragenden Rufes einiger Professoren schon bessere Zeiten gesehen hatten, links liegengelassen wurden. 59 Um die Mitte des Jahrhunderts kam die höhere Bildung nicht nur unter den Adeligen, deren Söhne es sich leisten konnten, zunehmend in Mode, sondern auch in vielen Städten, wo öffentliche Fonds zu diesem Zweck eingerichtet wurden. Eine andere Möglichkeit für Bürger bestand darin, die Kosten für ein Studium durch private Lehrtätigkeit aufzubringen. Einige hatten derartige Tutorenstellen oft längere Zeit hindurch inne, wie etwa der aus Mähren stammende Opsimathes, der einen Großteil der Zeit zwischen 1598 und 1618 auf diese Art zubrachte. 60 So begegnen wir dem charakteristischen Zweigespann von Lehrer und Schüler, das den Weg nach Westen einschlug und vor allem solche Zentren aufsuchte, die den eigenen, ungebundenen Lebensumständen entsprachen. Das erste und bedeutendste Ziel war Wittenberg. Unzählige Studenten besuchten zumindest für kurze Zeit die Universität Luthers. Doch Wittenberg wurde das Opfer seiner eigenen Orthodoxie, und nach einem letzten hektischen Zwischenspiel unter dem reformfreudigen Kurfürsten Christian I. ging der gemäßigte Geist Melanchthons verloren. Viele Deutsche gaben sich mit den benachbarten Universitäten und Hochschulen in Sachsen, Brandenburg und dem Baltikum zufrieden: Jena, Leipzig, Frankfurt an der Oder, Königsberg und Danzig. 61 Die anderen Nationalitäten des Habsburgerreiches zog es zunehmend an die pfälzische Universität in Heidelberg mit ihrem Stab von hervorragenden Professoren und an die jüngeren Akademien in Marburg, Straßburg, Altdorf und Herborn. Sie alle waren zu Ende des 16. Jahrhunderts noch immer für eine Aussöhnung in religiösen Belangen und einen freien Meinungsaustausch offen und knüpften enge Verbindungen zu den Habsburgerländern. In Straßburg ermutigte der friedliebende Matthias Bernegger, ein gebürtiger Oberösterreicher, die Schüler aus seinem Heimatland zum Studium, in Altdorf zogen Rittershausen und Rem viele böhmische Besucher an, und Herborn übte auf viele Schlesier starke Anziehungskraft aus. Wer für einen offeneren Calvinismus eintrat, besuchte eher die Schweizer Universitäten. Eine beträchtliche Zahl von Tschechen nahm die Gastfreundschaft von Polanus in Basel in Anspruch, und mehrere Angehörige von Familien wie etwa den aus Mähren stammenden Zerotin hielten sich in Genf auf. 62 Ähnlich wie Wittenberg repräsentierte Genf jedoch ein Dogma, mit welchem die Mehrheit nicht identifiziert werden wollte. Dasselbe galt für die meisten katholischen Universitäten, obwohl es einige bedeutende Ausnahmen von dieser Regel gab. Allen voran Padua, das unter dem Schutz des weltmännischen Geistes von Venedig stets einen Zufluchtsort darstellte. Zahllose Rechtsgelehrte und Ärzte wurden hier ausgebildet, und es bestand die Möglichkeit zu akademischen Disputationen auf höchstem Niveau, die sich keineswegs, wie dies manchmal behauptet wurde, starr auf einen angewandten Aristotelianismus beschränkten. Viele Gelehrte aus dem Kreis um Blotius studierten in Padua, ζ. B. so gegensätzliche Denker wie Jessenius und Lobkowitz aus Böhmen oder Berzeviczy und Kakas aus Ungarn. 63 Ein längerer Aufenthalt in einer kulturellen Metropole, der jedoch unüblich

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war, hätte wohl eine bleibende Prägung mit sich gebracht. Im allgemeinen besuchten Studenten jedoch verschiedene Akademien und waren nicht durch eine einzelne Erfahrung, sondern eher durch den Gesamteindruck beeinflußt. Ein gutes Beispiel ist Albert Szenci Molnär, der ungarische Lexikograph, Übersetzer und Dichter, der von 1590 an Wittenberg, Heidelberg, Straßburg, Basel und Genf besuchte, dann nach Italien und wieder zurück nach Heidelberg ging und schließlich auf der Suche nach Arbeit nach Herborn und Altdorf kam. 64 Einige dehnten, obwohl das große Zeitalter der holländischen Universitäten erst später anbrach, ihre Route bis in die Niederlande, nach Frankreich und nach England aus. Wenn Oxford und Cambridge lediglich am Rande und in ungeklärtem Ausmaß Beachtung fanden, so ist dies kaum verwunderlich, zieht man die Anstrengungen einer Reise in Betracht, die diese Universitäten in die Route mit einbezog. Der junge schlesische Lehrer Paul Hentzner besuchte diese Universitäten in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts im Rahmen einer vier Jahre dauernden abenteuerlichen Fahrt über Straßburg, Basel, Genf, via Südfrankreich und Paris, nach Frankfurt am Main, Padua, Rom und Neapel. 65 So boten ausländische Universitäten berufsorientierte Kurse in Kombination mit weniger greifbarem Nutzen an. Das Diplom einer solchen medizinischen oder juridischen Fakultät wurde in steigendem Maße von Bedeutung für die zukünftige Karriere - es ist interessant zu beobachten, daß das extensive theologische Studium zu dieser Zeit wenige ernstzunehmende mitteleuropäische Theologen hervorbrachte - , und Jahre in der Fremde brachten Kontakte mit Persönlichkeiten verwandter Geisteshaltung mit sich, die unter Umständen auch Landsleute aus habsburgischen Gebieten sein konnten. Ihre Doppelrolle spiegelt die Anatomie des zeitgenössischen Reisens sowohl als praktische wie auch als theoretische Aktivität wider. Reisen wurde offensichtlich in einer zunehmend mobilen Welt immer notwendiger, bald gab es eine eigene Literatur, die den Wanderern Ratschläge bezüglich der optimalen Organisation einer Reise erteilte. Topographische Handbücher waren reichlich vorhanden. Ein bereitwilliger Belgier versorgte Kaiser Rudolf mit minutiös erstellten Itinerarien, die Angaben von Ortelius und anderen führenden Autoritäten überprüften. 66 Viele Reisen wurden freilich auch aus purer Neugier unternommen. Die große Zahl an abenteuerfreudigen Geistern, die nach Konstantinopel und ins Heilige Land zogen, verbanden den frommen Zweck mit unbändigem Streben nach dem Exotischen. Ein österreichischer Adeliger, der sich nicht mit den Sehenswürdigkeiten des Osmanischen Reiches begnügte, reiste nach Babylon, Goa und Ceylon, bevor er durch Persien, den Balkan und Polen heimkehrte. 67 Diese Reisenden der Renaissancezeit waren eine selbstbewußte Spezies. Reisen war für sie auch eine Kunst: die ars peregrinandi wie das passive Äquivalent, die schon besprochene ars epistolaria. Auf ihren Reisen sammelten sie kleine hodoeporica in Vers oder Prosa und freuten sich, wenn diese gedruckt wurden. Sie verbreiterten sich über die Verdienste ihrer Unternehmungen. „Nicht nur jene Männer sind weise", sinniert ein ungarischer Lehrer, bevor er nach Wittenberg und zum Rhein aufbrach, „die in den literae humaniores versiert sind, sondern vielmehr noch die, die ihr Wissen über die Dinge dieser Welt, das Theater des menschlichen Lebens, vergrößern und die Vielfalt der Religionen, Sitten, Lebensarten und all der anderen mannigfaltigen Dinge, die sich dem Reisenden bieten, beobachtet haben." 68 Solche

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Überlegungen, die die Erfahrung der großartigen Vielfalt der Schöpfung unterstreichen, gehören zum konventionellen Kanon humanistischer Lebensweisheit. Die Gebräuche des kultivierten Umgangs in den Jahrzehnten nach 1550 werden durch den Kult des Stammbuchs oder Albums treffend beleuchtet. Alben waren vor allem in der germanischen Welt und den angrenzenden Ländern beliebt. Sie waren eine Sammlung von Eintragungen, im allgemeinen aus einem Sinnspruch und einer Widmung bestehend, ein formalisiertes Schatzkästchen für Beziehungen und Freundschaften, die der Besitzer auf seinen Reisen geknüpft hatte. 69 Trotz der Formgebundenheit dieses Genres können uns die Stammbücher, die überlebt haben, viel über die gebildete Gesellschaft Mitteleuropas erzählen, über ihre Bestrebungen und Neigungen, ihre bevorzugten theologischen und klassischen Autoren und über ihren kosmopolitischen Hintergrund. Naturgemäß ist Latein bei den Eintragungen vorherrschend, doch das Gemisch von Sprachen erinnert an den polyglotten Calepinus, mit häufigen tschechischen und ungarischen Eintragungen. Geographisch spannt sich der Bogen von der intimen, harmonischen Atmosphäre des bürgerlichen Breslau bis zur heiteren Gesellschaft der Europäer in Konstantinopel, von den Erfahrungen eines bürgerlichen Mährers im bürgerlichen Prag bis zu denen eines anderen im London Jakob I. 70 Einige Stammbücher sind in erster Linie soziale Dokumente, voll von Gemeinplätzen und Adelswappen. Andere sind vor allem geistige Zeugnisse mit lateinischen und griechischen Zitaten von berühmten Professoren oder anderen strebsamen Gelehrten. 71 Zwei Alben können dazu herangezogen werden, das Thema des toleranten Humanismus in den Habsburgerländern und seine internationalen Verbindungen näher zu beleuchten. Der aufmerksame ungarische Theologe Imre tJjfalvi unternahm in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts ausgedehnte Reisen durch Deutschland und Schloß Freundschaft mit vielen Führern der Aussöhnungsbewegung, bevor er in Holland mit den entsprechenden holländischen Persönlichkeiten, den frühen Anhängern der Lehre des Arminius, zusammentraf. IJjfalvis Kontakte werfen ein klärendes Licht auf den Tenor des ungarischen intellektuellen Calvinismus um die Jahrhundertwende. 72 Im selben Jahrzehnt studierte ein junger mährischer Edelmann, Zdenfek Waldstein, zunächst in Schlesien, dann in Straßburg, wo ein breiter Querschnitt von Landsleuten zu seinen Kollegen zählte. Um seine Erziehung zu vervollständigen, reiste er dann durch die Niederlande, England und Frankreich nach Italien. Während sein faszinierendes Album Namen wie diejenigen von Lipsius, Scaliger, Grotius, Mornay, Pacius und anderen Größen enthält, besuchte der Lutheraner Waldstein auch Rom und studierte es vorurteilslos. 73 Es war dies also eine kulturelle Renaissance, einheitlich in ihren wesentlichen Zügen, jedoch verschieden in den Abstufungen ihrer Ausprägung. Sie erfaßte sowohl aktive wie auch passive Mitglieder der res publica litteraria, von der Elite der anerkannten Autoren, die darauf hoffen konnten, mit Lipsius in Briefkontakt zu treten, bis hin zu jenen, die bloß - und das in einem doppelten Sinn - mitkommen konnten. Der mitteleuropäische Humanismus erreichte seine Blüte spät und zeigte wenig wirkliche Originalität, jedoch eine starke Tendenz, zu harmonisieren, was andere

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andernorts geschaffen hatten. Er ruhte auf klassischen Fundamenten: Texte und ihre Übersetzung, Sprache und ihre philologische Verfeinerung, griechische medizinische und römische rechtliche Quellen und Grundlagen für das Studium der Bibel. Das Korpus griechischer, römischer und christlicher Autoritäten unterstützte ein im wesentlichen noch aristotelisches Weltbild, allerdings hatten fortgesetztes Sezieren und Neuauslegen der verschiedenen Teile ein äußerst schwankendes Gebäude hinterlassen. Vor allem der italienische Piatonismus hatte seine Ansprüche angemeldet, und selbst Ungarn brachte in Peter Lascovius seinen Pico della Mirandola des Kleinen Mannes hervor. 74 Die rasche Entwicklung der Bildung und gelehrter Debatten im 16. Jahrhundert warf eine Vielzahl neuer Fragen auf. Das ererbte Bild wurde erweitert, neuen Entdeckungen und Naturbeobachtungen gegenübergestellt und von seiner Peripherie her wachsender Kritik unterworfen. Darüber hinaus hatte es mit einer inneren Herausforderung zu kämpfen, da es immer schwieriger wurde, eine Übereinstimmung unter den traditionellen Autoren zu erzielen. Hier lag der entscheidende Punkt, denn die Humanisten suchten überwiegend Harmonie, nicht Widerspruch. Die meisten wären gerne für die concordia Piatonis cum Aristotele eingetreten, die Johann Jessenius, um ein böhmisches Beispiel zu zitieren, in seiner Ausgabe von Savonarolas Naturphilosophie ins Auge faßte. 75 Hier sind wir nun bei einem zentralen Problem der Denker der Spätrenaissance angelangt, der Aussöhnung von Gegensätzen in einer harmonischen Ordnung alles' Wissens. Mit diesem Ziel traten sie für Reformen der Logik ein, vom analytischen Ansatz des Ramus bis zur synthetischen Kunst des Lullus. Sie stritten über die Methoden und konstruierten Systeme, oft eine bewußte Mischung bekannter Elemente, wie in der Kosmologie des Tycho de Brahe oder der medizinischen Philosophie der Anhänger Paracelsus'. Solche Einheit in der Vielfalt könnte anhand von Sammlungen, organisierten Zurschaustellungen verschiedenster Gegenstände, aufgezeigt werden, anhand von Bibliotheken, die in zunehmendem Maße rationalisiert und katalogisiert wurden oder, in etwas aktiverer Form, anhand von Reisen. All das wirft ein Licht auf das Theatrum vitae humanae: diese Bezeichnung steht - sozusagen ein Programm für das gesamte Zeitalter - als Titel des bedeutendsten universellen Handbuchs jener Zeit. Theodor Zwingers Theatrum ging vielen ähnlichen Projekten voran, zu denen auch die nie verwirklichten Pläne Blotius' für ein biographisches Lexikon bedeutender Persönlichkeiten zählten.76 Es ist keineswegs ein Zufall, daß die irenische Theologie solche Geistesart anzog, vor allem in der Form einer stoischen Wiederbelebung, welche eine Brücke zwischen der heidnischen und der christlichen Moral zu schlagen schien. Religiöse Mäßigung gehörte zu einem umfassenderen Verständnis des metaphysischen „Mittelwegs", eines Weges, der kein Kompromiß, sondern allumfassend sein sollte. 77 Natürlich konnte kein einzelner Geist die gesamte Ordnung der Schöpfung erfassen. Selbst Zeitgenossen, abgesehen von einigen Fanatikern, stimmten dem zu. Einheit - diese Grundvoraussetzung - mußte gezeigt werden; Wissen, so nahmen die Menschen an, konnte sie nie erschüttern. Dennoch fühlten sie zunehmend, daß der Beweis dafür irgendwo verborgen sein müsse. In Verteidigung einer rationalen Sicht riefen sie nach dem Irrationalen. Das Ergebnis war eine verworrene Mischung aus

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rationaler Neugier und irrationaler Gläubigkeit und zog eine Flut okkulter Studien jeglicher Art nach sich. Der Okkultismus der Renaissance spielte eine lebendige Rolle in den neuplatonischen, theoretischen Betrachtungen, die in Mitteleuropa seit den Tagen der Kontakte zwischen Marsilio Ficino und Matthias Corvinus ihre Verfechter hatte. Astralmagie, Zauberei und Mystik waren ein wesentlicher Teil des platonischen Kultes, und der ernsthafte Glaube - wie paradox er auch späteren Kommentatoren erscheinen mag - an esoterische Offenbarung brachte einen weitverbreiteten Enthusiasmus für andere alte Mysterien mit sich: die ägyptischen Orakel des Hermes Trismegistus, Zarathustra, Orpheus, die Sibyllen, ja selbst die jüdischen Arcana der Kabbala, deren Verbreitung eine Folge der tieferen Einsicht in das Hebräische als der Sprache der protestantischen Theologen war. Der junge ungarische Humanist Pal Gyulai beispielsweise schrieb 15 71 einen philosophischen Dialog, den er Blotius mit der Bitte um seinen Kommentar zusandte. Seine Quellenangabe beginnt mit Orpheus, Hermes, Plato, Aristoteles, Plotinus, Iamblichus und Proclus und geht weiter mit Ficino, Pico, Agrippa, Albertus Magnus und G. B. Porta. Gyulais Landsmann Lascovius zitierte regelmäßig aus Plato und den Neuplatonisten, der Kabbala, Pymander und Asclepius, Pythagoras und Zarathustra. 78 Solche Fälle sind ebenso typisch wie die Beschäftigung mit der Astrologie, sowohl auf gelehrter als auch auf volkstümlicher Ebene. In der Tat gehörte die Idee eines sympathetischen Zusammenhangs zwischen Himmel und Erde zu den Vorstellungen, die wenige Zeitgenossen widerlegen konnten oder wollten. Zwar ist es fast selbstverständlich, daß viele Humanisten Horoskope ablehnten, doch selbst die praktische Astrologie fand breite Anerkennung unter den Gebildeten jener Zeit, wie Tycho oder Kopernikus' Schüler Rheticus, der den späteren Teil seines Lebens in Krakau verbrachte und in Ungarn starb. Himmlisches Eingreifen war ein Bestandteil vieler Systeme, so auch der verworrenen, doch einflußreichen Vorstellungen des Giordano Bruno, die auf Interesse in ganz Mitteleuropa stießen. 79 Die Astrologie ging langsam in die Alchimie über, und die Alchimie ihrerseits blühte, trotz all der damit verbundenen Schmähungen, in der gebildeten Gesellschaft nicht weniger als in den Händen des Scharlatans. Sie wurde vom Rudolfinischen Prag bis hin zum Siebenbürgen Zsigmond Bäthorys zu einer Leidenschaft. Der Dichter Corvinus beschäftigte sich in einem ausführlichen Briefwechsel mit seinem Förderer Batthyäny mit Transmutationen. Hieronymus Megiser, Lehrer, Historiker und Pionier der Linguistik, veröffentlichte Bücher über Alchimie und die Rolle des Gedächtnisses, über Prophezeiungen und Automaten. 80 Dies sind wiederum nur zufällige Beispiele, eine bloße Skizze zur ersten Orientierung. Ich habe das Thema der Magie bereits an anderer Stelle angeschnitten und werde mich im Verlauf des Buches noch ausführlich damit beschäftigen. In der Zwischenzeit muß der Hinweis genügen, daß es keinen klaren Unterschied zwischen Humanisten und Okkultisten gab. Diese beiden Strömungen wurden oft miteinander in Zusammenhang gebracht und nicht selten als identisch angesehen. Im Fall der Habsburger neigte die Nachwelt dazu, Magie lediglich mit Rudolf II. und seiner Umgebung in Verbindung zu bringen, doch auch an Maximilians angeblich so nüchternem Hof gibt es viele Anzeichen dafür. Auch an Maximilian wurden Widmungen in hermetischen Werken gerichtet, gleichgültig ob diese veröffentlicht wurden oder

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nicht; auch er interessierte sich für Nostradamus, und eine Reihe von praktizierenden Astrologen, unter ihnen Fabritius und Reisacher, standen unter seinem Patronat; auch er umgab sich mit paracelsischen Ärzten und unterstützte umherziehende Goldmacher wie beispielsweise Thurneysser. 81 Selbst die Korrespondenz des puritanischen Blotius behandelt derartige Themen, da sich in der Bibliothek, für die er verantwortlich war, ebenfalls brisante Manuskripte über Zauberei (wie der gefeierte Picatrix, von dem sich auch Jacopo Strada rühmt, eine Kopie zu haben), über geheime Schriften, Alchimie, Traumdeutung usw. befanden. Rudolfs Besessenheit entsprang also offensichtlich nicht dem Nichts. Elias Preuss, einer seiner frühesten Astrologen, war Blotius gut vertraut, zumindest durch ihren gemeinsamen Freund Franciscus Hippolyti von Hildesheim, einen dem Okkultismus zugetanen Mathematiker, der dem Bibliothekar sogar anläßlich seiner Hochzeit einige Verse schrieb. Ein anderer Verfasser sogenannter carmina gratulatoria, ein gewisser Matthias Zuber, fand als Übersetzer griechischer alchimistischer Manuskripte ins Lateinische eine einwandfrei gelehrte Betätigung. 82 Die Überlappung von Humanismus und Magie im Europa des späten 16. Jahrhunderts stellt ein bemerkenswertes Phänomen dar, da diese beiden Traditionen so völlig unterschiedlich scheinen. Natürlich fand diese Auslegung nicht uneingeschränkte Zustimmung. Persönlichkeiten wie Blotius dürften große Vorbehalte gegenüber den mystifizierenden Neigungen ihrer Herren und gegenüber der Unreife einiger Verfechter des Okkultismus gehabt haben. Zuber hinterließ uns, während er über den widerspenstigen Hellenismen seiner alchimistischen Texte brütete, unterhaltsame Randnotizen, um seiner Meinung zum philologischen, wenn nicht philosophischen Gehalt der Texte Ausdruck zu verleihen. 83 Eine gleichermaßen bemerkenswerte Schöpfung dieser Zeit weist ähnliche Merkmale auf: der manieristische Stil. Dem Manierismus lag ein Widerspruch zugrunde. Häufig selbstsicher, virtuos, brilliant, extrovertiert - der wahre Höhepunkt der Vitalität der Renaissance - , zeigte er nichtsdestotrotz auch ein ganz anderes Bild: beunruhigt und entrückt, befangen und unsicher, reich an Symbolik. Nicht nur die seltsame Art manieristischer Maler gehört hierher - man denke an die heroischen, doch verzerrten, von Anspielungen strotzenden Gemälde Rudolfinischer Meister - , der Dualismus drang in jeden Aspekt der Kultur ein. Bebilderte Parabeln in Emblembüchern ζ. B. gehörten zum humanistischen Alltag und waren oft die Grundlage für Alben. Doch Embleme besaßen eine tiefere Bedeutung, die in der geheimnisumwitterten Stimmung der Zeit ihren Widerhall fand. Um in diese Welt der Embleme tiefer einzudringen, müssen wir nur die von Sambucus herausgegebene, volkstümliche Sammlung zur Hand nehmen und deren eigenartiges, gelehrtes Vorwort lesen. 84 Sambucus war die Zierde des Hofes von Maximilian und Rudolf, der gesellschaftliche Hintergrund des Manierismus war nämlich im wesentlichen ein höfischer. Fürsten und Adelige taten alles in ihrer Macht stehende zur prunkvollen Entfaltung des Manierismus, indem sie alle aristokratischen Möglichkeiten dieses mitteleuropäischen Treibhauses der Renaissance ausschöpften. Viele große Schlösser mit klassischem Portikus, Arkadenhöfen und originellen Interieurs, geben auch heute noch ein Zeugnis des Zeitgeschmacks: Prags Belvedere und Wiens Stallburg, OpoCno und

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Butschowitz, Neuhaus und Böhmisch-Krumau, die Schallaburg, die Rosenburg und Spittal an der Drau, Särvär und Särospatak . . . Gleichzeitig beschränkte sich dieser Trend nicht auf Schloßbesitzer, da auch die städtischen Gemeinden das Ihre dazu beitrugen. Im gesamten Raum der Monarchie setzten Bürger ihrem angesammelten Reichtum in öffentlichen Gebäuden, von der Grandeur des Landhauses in Graz bis zur Intimität der Rathäuser in Leutschau oder Bartfeld, und in charakteristischen, weiträumigen Plätzen, auf denen manchmal, wie ζ. B. in Teltsch in Mähren, die Zeit seit damals stillzustehen scheint, ein Denkmal. Die Entfaltung manieristischer Formen und humanistischer Denkweisen in den habsburgischen Gebieten fiel mit einem Zeitalter der Blüte zusammen, welches wie in Deutschland 85 um 1550 seinen Höhepunkt erreichte und für den Rest des Jahrhunderts weiterbestanden zu haben scheint. Der wirtschaftliche Aufschwung war auf eine Ausschöpfung der Rohstoffe zurückzuführen, in erster Linie der Metalle - Eisen aus der Steiermark und Quecksilber aus Idria, Silber aus Tirol und Böhmen, Kupfer und Gold aus Ungarn - , doch auch der Produkte wie ungarische Rinder und Wein, böhmischer Weizen und Flachs. Einige Waren wurden an Ort und Stelle verarbeitet und gehandelt. Üblicher und von größerer Bedeutung war, daß Außenstehende die Finanzierung übernahmen und die Waren in den großen Emporien Deutschlands vermarktet wurden. 86 Während die Österreicher ihre Bücher in Frankfurt veröffentlichten, erweiterten die Frankfurter ihren Handel mit Österreich; während Tschechen in Scharen die Universität in Altdorf besuchten, verstärkten die Nürnberger ihre wirtschaftlichen Kontakte zu Prag; während Schlesier und Bewohner der Lausitz durch Bayern und Schwaben reisten, weiteten süddeutsche Handelshäuser die heimische Textilindustrie aus. Der Export von Bier und Fischen aus Böhmen ging Hand in Hand mit deutschen Ausgaben ortsüblicher Werke über das Brauereiwesen und die Fischzucht, wobei letztere höchst angemessen - von einem katholischen Bischof gesammelt und Mitgliedern der Familie Fugger und deren ungarischen Teilhabern, den Thurzo, gewidmet wurden. 87 Das Unternehmertum und ein primitiver Kapitalismus basierten auf dem Verlagssystem, was für die Fugger, Thurzo und ihresgleichen große Gewinne bedeutete, doch brachte es auch für viele der durchschnittlichen Grundbesitzer oder Bürger und selbst für die schwer arbeitenden Bauern greifbaren Nutzen. Trotz des Aufstiegs der Atlantikküste und der Kolonialreiche expandierte der Handel innerhalb Europas im Verlauf des 16. Jahrhunderts, und das Herz des Kontinents wurde in einen umfassenderen kommerziellen Wirkungsbereich miteinbezogen. Selbst die Ungarn lieferten weiterhin, trotz aller Verheerungen durch die Türken, Mastvieh von den Weiden der Tiefebene (Alföld) an die Patrizier in Venedig. Der delikate Geschmack des Tokajer Ausbruchs wurde zu dieser Zeit erstmals erreicht, und die kleinen Weinexportzentren in dem Gebiet am Oberlauf der Theiß blühten wie nie zuvor. 88 Was ihre wirtschaftlichen und auch religiösen Fundamente betraf, war die Gesellschaft der Renaissance also verhältnismäßig offen. Tatsächlich wurde eine flexiblere Einstellung möglicherweise durch das Übergewicht von Geld im Vergleich zu Naturaltransaktionen gefördert. Bürgerliche Werte mischten sich mit höfischem Elitedenken. Der Adel, wie auch die Dynastie selbst, rechtfertigten sich durch humani-

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stisches Mäzenatentum: die Nädasdy und Batthyäny in Ungarn, die Rosenberg in Böhmen, die Zerotin in Mähren, die Herberstein und Starhemberg in Österreich waren Schutzherren von Gelehrten und Buchdruckern, unterhielten gebildete Geistliche und pflegten eine kultivierte Korrespondenz. 89 Aufstrebende Bürger suchten ihrerseits den Adel des Geistes, jenen wesentlichen humanistischen Ersatz für den Adel der Geburt. Die an Universitäten ausgebildeten Legionen von Rechtsgelehrten und Ärzten waren sich ihrer Stellung bewußt, doch fühlten sie, daß sie in einer expansiven Welt lebten, die großen Spielraum für einen Aufstieg bot. Dies geht auch aus dem Aufbau ihrer Stammbücher hervor, in denen der Adel sich zwar eines bevorzugten Platzes erfreute, ansonsten jedoch dieselben Konventionen wie alle anderen anerkennen mußte. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Renaissance und Reformation in Mitteleuropa gemeinsam dazu beitrugen, ein weitgehend tolerantes und einheitliches kulturelles Klima zu schaffen. Sie brachten auch den Höhepunkt einer jahrhundertealten Entwicklung der Integration mit sich, so daß die Habsburgerländer im manieristischen Zeitalter zu einem wesentlichen Träger der europäischen Kultur wurden. Was die Dynastie anbelangt, so war ihr Humanismus stärker ausgeprägt als ihr Katholizismus, während die kollektive Schwäche ihrer politischen Gegner gleichzeitig Grund und Ergebnis der Spaltung des protestantischen Lagers war, welche wir bereits verfolgt haben. Die manieristische Kultur befand sich aber in einem äußerst empfindlichen, ja zu empfindlichen Gleichgewicht. Während Zuversicht, Raffinesse und der Hunger nach Wahrhaftigkeit den Höhepunkt der Gelehrsamkeit und Virtuosität der Renaissance zu bezeichnen scheinen, trug diese Zeit auch schon den Keim des Niedergangs in sich. Auf geistigem Gebiet kam es weder zu einer erfolgreichen Synthese noch zu einer Verteidigung der alten Einheit des Christentums, auf materiellem Gebiet war die soziale Grundlage keineswegs gesichert. Diese Zerbrechlichkeit ist in Mitteleuropa besonders auffällig, wo diese Strömung erst so spät zu voller Blüte gelangte. Bereits zur Zeit Rudolf II. waren ihre Tage gezählt, wie die Unzahl von Flüchtlingen vor dem Fanatismus aus dem übrigen Europa verdeutlicht. 90 Am Hof gab die ruhelose Persönlichkeit des Kaisers den Ausschlag, und in einer Atmosphäre nagenden Zweifels wurde seine Umgebung der Wirklichkeit entrückt, esoterisch und zügellos. Rudolf selbst — ein vielsagendes Detail — unternahm nie eine Reise aus reinem Vergnügen. In den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage im gesamten Raum der Monarchie. Der Protestantismus hatte sich etabliert, doch wohin konnte das führen? Daß er sich, wenn überhaupt, durch Teilung vermehrte, war für alle offensichtlich. Das Patt zwischen der Dynastie und den Ständen konnte leicht zu einem politischen Zusammenbruch führen, und auch an Zeichen der Unbändigkeit fehlte es nicht. Keine dauernde wirtschaftliche Solidarität war erreicht worden. Die verschiedenen Interessen standen in Konflikt miteinander, umso mehr als steigende Preise und bedrohte Märkte eine Krise über Unternehmer und Rentiers brachten. Druck wurde auch auf die Masse der Bauern ausgeübt, die in diesem Kapitel kaum vorkamen, da sie auch in der Renaissancelandschaft kaum vertreten waren. Der

Trügerische Hoffnung, 1550—1600: Renaissance und Reformation

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Krieg gegen die Türken, der 1593 erneut aufflackerte, brachte Enttäuschung, Zahlungsunfähigkeit und ungeordnete Verhältnisse mit sich. Vor allem jedoch hatte eine katholische Wiederbelebung, die Jahrzehnte zuvor bereits begonnen hatte, im benachbarten Norditalien und in Bayern triumphiert, und Beobachter der Situation in Österreich sahen eine neue Chance für den Katholizismus kommen. „Unser größtes Glück ist, das in Oesterreich gar keine Religion mer ist. . . sonder ain jeder Predikant macht ime sondere Form. Das werden die Leut mit der Zeit merkhen und nach den allten Wegen zuetragen." 91 Der Protestantismus würde einer genaueren Definition und besseren Organisation bedürfen, um zu überleben, wie seine Führer im übrigen Europa bereits gezeigt hatten. Viele erwarteten nun eine Kraftprobe in den Habsburgerländern, zu der es dann auch anfangs des nächsten Jahrhunderts kommen sollte.

KAPITEL 2

1600—1650: Die religiöse und politische Krise Die Gegenreformation in den Habsburgerländern war im Grunde genommen nicht von innen heraus gewachsen. Wie beim Luthertum kann ihr Beginn ziemlich genau datiert werden. Der erste Antrieb hiezu kann in der Tat auch hier auf eine einzige Person zurückgeführt werden. In den frühen fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts führte Peter Canisius eine auserwählte Gruppe von Jesuiten nach Österreich. Er gründete in Wien ein Kollegium, welches sowohl die geistige Basis für den jungen Orden als auch eine Unterrichtsstätte für die katholischen Anliegen darstellen sollte. Danach ging er nach Böhmen und setzte sein Werk in Prag fort. Bald kehrte Canisius nach Deutschland zurück, hielt jedoch seine österreichische und böhmische Herde unter ständiger Kontrolle. Zum Zeitpunkt seines Todes im Jahre 1597 gab es bereits in Graz, Innsbruck, Olmütz und anderen Städten Niederlassungen des Ordens. 1 Diese frühen Jesuiten waren zum größten Teil Ausländer. So zählte zur ersten böhmischen, zwölf Mitglieder umfassenden Gruppe nur ein einziger Tscheche. Häufig kamen sie aus Bayern, dessen Herzöge Albrecht und Wilhelm in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein bedeutendes katholisches Reformmodell mit einer gut geschulten Universität in Ingolstadt, einem Index und einer strikten Ablehnung aller protestantischen Werte aufgebaut hatten. Das Papsttum beeilte sich nun, da es siegreich aus dem Konzil von Trient hervorgegangen war, seine mitteleuropäische Basis zu erweitern. Am kaiserlichen Hof wurde eine ständige Nuntiatur eingerichtet, und gleichzeitig bemühte man sich um die habsburgischen Nebenlinien in der Steiermark und in Tirol. Umherziehende Emissäre, wie der apostolische Gesandte Ninguarda, wurden entsandt, um die Interessen Roms im Reich wahrzunehmen. In Italien wurde zuerst das Collegium Germanicum und dann das Collegium Hungaricum gegründet, um direkte missionarische Verbindungen zu fördern. Auch Philipp II. von Spanien versuchte, seine österreichischen Kontakte auszunützen, um eine neue Glaubensorthodoxie voranzutreiben. Canisius, die Kurie und Madrid planten nichts anderes als eine vollständige Wiedereroberung. 2 Wie standen nun die Aussichten für ein derartiges Unterfangen? Diese Bewegung war bei weitem nicht in der Lage, wie es etwa dem Luthertum gelungen war, eine empfängliche Gesellschaft mit sich fortzureißen. Im Gegenteil, sie rief allseits Unwillen hervor, nicht zuletzt unter jener kleinen Minderheit, die weiterhin an dem alten Glauben festhielt und keinerlei Interesse daran hatte, den Dialog mit der Mehrheit der Gesellschaft abzubrechen. Die Vertreter der Gegenreformation mußten also versuchen, dieser kopflastigen Armee unwilliger Offiziere - politisierender Prälaten, einiger weniger adeliger Familien, einem Sauerteig von höfischen Intellektuellen —, die lediglich unter den einfachen Bauern und in einigen Städten über kläg-

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liehe Reste einer Mannschaft verfügte, neues Leben einzuhauchen. Kühn gingen sie an diese Aufgabe heran, bezogen extreme Positionen und vermieden jeglichen Waffenstillstand. Ihr Ansinnen erschöpfte sich natürlich nicht in rein taktischen Überlegungen: Sie verkörperten einen frischen geistigen Wind, der eine Herausforderung schmackhaft machte. Die erste Generation der Führer der Gegenreformation in den österreichischen Erblanden kam aus kleinen Verhältnissen. Der älteste, Georg Eder (1523-86), war ein bayrischer Rechtsgelehrter, der Rektor der Universität Wien wurde und in habsburgischen Diensten eine glänzende Karriere durchlief, wobei ihm seine unbestrittene Begabung und seine guten Verbindungen in München von größerem Nutzen waren als seine streitsüchtige Religiosität. Als Freund Canisius', welcher versuchte, ihm ein Bistum zu sichern, stellte Eder sein literarisches Schaffen, seine Korrespondenz und seine berufliche Uberzeugungskraft selbstlos in den Dienst der Sache Roms. 3 Sein geistlicher Gegenpart war der 1539 in Tirol geborene spätere Hofprediger der Erzherzöge in Wien, Georg Scherer, einer der ersten österreichischen Jesuiten und ein genialer und unermüdlicher Polemiker. Scherers zahlreiche Polemiken gegen lutherische Geistliche und abtrünnige Katholiken offenbaren ein erhebliches Maß an verworrenem Gedankengut seitens seiner Gegner. Seine gesammelten Werke gingen gegen Ende des Jahrhunderts in Druck. In den südlichen Gebieten waren zwei Weltpriester die treibende Kraft: Georg Stobäus und Martin Brenner, beide wie Eder in Deutschland geboren. Um die Mitte der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts erhielt jeder der beiden ein verarmtes und heruntergekommenes Bistum: Stobäus das Bistum Lavant in Kärnten, Brenner jenes von Seckau in der Steiermark, von wo aus sie ihre entschlossene missionarische und visitatorische Tätigkeit aufnahmen. 4 Der jüngste und bekannteste dieser Gruppe ist Melchior Klesl (1553-1630), der Sohn eines Wiener Bäckers, dem in kürzester Zeit eine ganze Reihe kirchlicher Berufungen zuteil wurde: Generalvikar der Diözese Passau für Niederösterreich, Domherr von Breslau, Propst des Wiener Domes (und daher auch Kanzler der Wiener Universität), Hofprediger, Bischof von Wiener Neustadt, dann Administrator und später Bischof von Wien. All diese Ämter bedeuteten nicht notwendigerweise einen Prestigegewinn (die Weihe zum Bischof des heruntergekommenen Wiener Bistums wurde bis 1614 verzögert) geschweige denn Reichtum, aber Klesls große Stärke lag in seiner eindrucksvollen Persönlichkeit und seiner Gabe zu klaren Aussagen, die in ihrer etwas trügerischen Konsistenz die Zweifel anderer zerstreuen konnten. 5 Keiner dieser Männer war volkstümlich, jeder jedoch verfügte über einen politischen Rückhalt. So wurde ihnen bis zu einem gewissen Grad offizielle Unterstützung zuteil, auch profitierten sie von protestantischen Ausschreitungen, die vielleicht ihren eigenen Provokationen zuzuschreiben waren. Eine erste Chance bot sich ihnen in der Steiermark, wo Erzherzog Karl, angespornt durch seine Vermählung mit einer bayrischen Wittelsbacherin, die Anliegen des Katholizismus ernster nahm als seine übrige Familie, und wo der hitzige Landtag des Jahres 1578 eine angespannte Situation geschaffen hatte. Der Fürst und die Stände entzweiten sich bald über die (bis heute ungeklärte) Frage, ob den Städten mündlich die volle Religionsfreiheit zugestanden worden war, und Karl ergriff die Gelegenheit, seine eigene Po-

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sition zu sichern, indem er, vor allem in Graz, erhöhten Druck auf die Bürger ausübte. Trotz Protesten im deutschen Reichstag, wies er einige Prediger, wie etwa den stürmischen Einwanderer Jeremias Homberger, aus seinem Land aus, beeinflußte die Zusammensetzung von Ratsversammlungen und versuchte, katholische Loyalitätseide zu erzwingen. Bis Ende der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts legte er, unterstützt von Stobäus, Brenner und einem tatkräftigen päpstlichen Nuntius, mit der Errichtung einer jesuitischen Universität den Grundstein für den weiteren Fortschritt. 6 Inzwischen unternahm Erzherzog Ernst auch in Niederösterreich unter dem Einfluß von Eder, Scherer und Klesl ähnliche Schritte. Erneut kam es zur Ausweisung einiger aufrührerischer Pastoren, allen voran Josua Opitz (ein weiterer Ausländer), der Wien verlassen mußte. Erneut wurde durch gesetzliche Maßnahmen Druck auf die städtischen Behörden ausgeübt und ein Keil zwischen Bürger und Adel getrieben. Die Regierung versuchte, durch ein Verbot des wöchentlichen Exodus zu den Schloßkapellen außerhalb der Stadt der Flut des Massenprotestantismus in der Hauptstadt Einhalt zu gebieten. 7 Man darf die Erfolge dieser ersten Phase der Gegenreformation in Österreich nicht überbewerten, auch wenn dies seitens vieler Historiker getan wurde, selbst seitens des herausragenden Wortführers der Protestanten, Johann Loserth. Zu einer Entscheidung kam es lediglich in dem unter der erfahrenen Herrschaft Erzherzog Ferdinands stehenden Tirol, wo allerdings besondere Umstände zu Buche standen. 8 Andernorts mußten selbst so verbindliche Protagonisten wie Eder insgeheim eingestehen, daß in Wirklichkeit die erzielten Fortschritte nur sehr gering waren. In den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts durchlebte Innerösterreich nach dem Tode Karls eine Zeit des Interregnums, in dessen Verlauf die meisten katholischen Gewinne wieder zunichte gemacht wurden. Wien und Niederösterreich gingen von Ernst auf den unschlüssigen Matthias über. Hinter den Kulissen kam von Kaiser Rudolf in Prag nahezu keine Unterstützung, und mit dem Wiederaufflackern der Kämpfe an der osmanischen Grenze schien es, als könnten die immer noch überwiegend protestantischen Stände, in deren Händen die Finanzen des Landes lagen, ihre Macht weiter ausdehnen. Zwar gibt es auch Anzeichen für eine umfassendere gegenreformatorische Strömung. Einige Klöster, vor allem jene nahe der bayrischen Grenze, fanden zu Disziplin und geistlicher Gesinnung zurück, leisteten sogar Pionierarbeiten auf dem Gebiet eines katholischen Druckereiwesens, und auch die jesuitische Mission hatte bescheidene Erfolge zu verzeichnen. Das allgemeine Bild jedoch blieb nicht sehr vielversprechend. Als der junge Erzherzog Ferdinand ganz zu Ende des Jahrhunderts den Kampf erneut aufnahm, fürchtete Bischof Brenner einen Aufstand ähnlich jenem in den Niederlanden. 9 Doch Brenner irrte, das Blatt begann sich zu wenden. Unter dem Einfluß seiner bayrischen Mutter Maria, einer äußerst tatkräftigen Witwe, seiner Erziehung in Ingolstadt sowie seiner kürzlich erfolgten Reise nach Italien, wo er in Loreto öffentlich geschworen hatte, die Häresien in all seinen Gebieten auszurotten, schlug Ferdinand einen weit unbarmherzigeren Weg ein, um die Protestanten aus allen innerösterreichischen Städten zu verbannen, ihre Schulen und Kirchen zu schließen und sie von jeglicher Verwaltung auszuschließen. Mit der Unterstützung umherziehender Kommissionen unter Stobäus, Brenner und ihrem kämpferischen episkopalen

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Amtsbruder Chrön von Laibach brach er den unkoordinierten Widerstand der städtischen Stände, indem er fügsame Lutheraner, wie Johannes Kepler, zur Flucht zwang und mit Gewalt gegen hartnäckige Verfechter der Lehre Luthers vorging, wie etwa Paul Odontius (wiederum kein Einheimischer), der uns einen anschaulichen Bericht über all die Leiden hinterließ, die er durchzustehen hatte. 10 Zur selben Zeit kam es in Oberösterreich zu einem ähnlichen Vorstoß. Hier gab ein großer Bauernaufstand, der 1597 niedergeschlagen wurde, den katholischen Autoritäten unter Landeshauptmann Löbl die Möglichkeit, in den Stadtgemeinden, gegen den gedämpften Widerstand des eingeschüchterten Adels, die Gegenreformation durchzuführen. In Niederösterreich beschwor Klesl in vergleichbarer Weise einen Konflikt herauf, welcher jedoch weit weniger verheerende Folgen nach sich zog. 11 Vorsicht ist immer noch geboten. Diese, während der Jahre um 1600, dem zweiten Abschnitt der Rekatholisierung Österreichs, ergriffenen Maßnahmen brachten keineswegs eine endgültige Entscheidung. In den ländlichen Gemeinden überlebte der Protestantismus nahezu unbeschadet. Obwohl mit dem Knüppel aus den Städten ausgetrieben, konnte er doch leicht zurückkommen. Ein langer und gefährlicher Weg lag vor jenen, deren Ziel die Wiederherstellung der katholischen Einheit war. Die grundlegende Bedeutung der Entwicklung in Österreich wird klar, wendet man sich jener Entwicklung zu, die sich analog in den böhmischen und ungarischen Gebieten vollzog. In Böhmen war die Ausgangslage noch ungünstiger. Nicht nur die Jesuiten mußten ins Land gerufen werden, auch die Säule der heimischen Hierarchie, der Bischofssitz von Prag, mußte erst wieder aufgerichtet werden. Der erste Erzbischof seit den Zeiten der Hussiten, Antonin Brus, erwies sich angesichts der großen Hindernisse, denen er sich bei seiner Amtsausübung gegenübersah, vielmehr als fähig und taktvoll, denn als religiöser Eiferer. Weder sein Nachfolger Martin Medek noch die wenigen loyalen Adeligen zeigten eine militante Veranlagung. Die Jesuiten gingen resoluter vor und entfalteten eine Vorliebe für das Prunkvolle. Ihr Prager Kollegium, das „Clementium ", bot Söhnen protestantischer Familien eine solide Erziehung und übte auf deren Eltern eine subtile missionarische Anziehungskraft aus. Eine Zierde der frühen Jahre des Kollegiums war Edmund Campion, der hier in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit beachtlichem Erfolg lehrte und predigte und ihnen dann die Früchte seines bewußt auf sich genommenen Märtyrertums überließ, das er unter einer blutdürstigen englischen Regierung zu erdulden hatte. Campions Decern Rationes gingen in den Habsburgerländern bald als hervorragendes, fundiertes Übersichtswerk über die Anliegen der Gegenreformation von Hand zu Hand. 1 2 Mähren, die Heimat sowohl von Brus als auch von Medek, bewahrte die katholischen Traditionen etwas besser, vor allem in dem Gebiet um den Bischofssitz Olmütz. Das gemäßigte konfessionelle Klima konnte dem alten Glauben sowohl dienlich als auch hinderlich sein, und die Jesuiten fanden hier fruchtbaren Boden für ein (1566 errichtetes) Kollegium, welches bald den Status einer Universität erhielt. Weiter im Norden, in Schlesien und der Lausitz, sahen die Dinge weit weniger vielversprechend aus, und einer der spärlichen verbliebenen Pfeiler der katholischen Gesellschaftsordnung, der leidgeprüfte Dekan von Bautzen, Johann Leisentritt, griff

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die Lutheraner kühn auf ihrem eigenen Gebiet der Dichtung von Kirchenliedern an, wobei er verzweifelte Ansuchen um wenigstens moralische Unterstützung an seine weit entfernten Vorgesetzten richtete.13 Ab den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts gab es gelegentlich Anzeichen dafür, daß die böhmische Gegenreformation an Stoßkraft gewann. Auf den Kirchengütern konnten ihre Werte mit zunehmender Freiheit verkündet werden, und die Bischöfe von Breslau trafen mit ihren episkopalen Amtsbrüdern in Prag und Olmütz zusammen, führten Visitationen durch, gründeten Seminare und holten Ordensgeistliche ins Land. Einige Klöster gaben Lebenszeichen von sich, und gegen Ende des Jahrhunderts brachten die Prämonstratenser drei Persönlichkeiten mit außerordentlicher geistiger Unternehmungskraft hervor. Zwei von ihnen, Sebastian Freitag, ein echter Edelmann der Renaissance und vormals Lehrer von Rudolf II., und Sebastian Fuchs, sein Nachfolger, konzentrierten ihr Augenmerk auf die kulturelle Mission. Ihre Abtei zu Bruck in Südmähren verfügte über eine Druckerpresse, ein Seminar sowie ein lebhaftes musikalisches Leben. 14 Der Dritte in dieser Reihe war der politisch ambitionierte Priester Johann Lohelius, sozusagen Böhmens Klesl. 1549 als Sohn armer Eltern in Eger geboren, trat Lohelius in das nahegelegene Kloster von Tepl ein—eines der ersten Klöster, wo es wieder zur Einführung einer gewissen Disziplin kam - , ging dann nach Prag, studierte mit Campion und übernahm das große, doch stark heruntergekommene Kloster Strahov. Seine bemerkenswert rasche Reform von Strahov sicherte ihm gemeinsam mit häufigen Visitationen, der Ausübung eines verstärkten Druckes bei den Kapitelwahlen, usw. in der Folge vermehrten Einfluß in ganz Böhmen. 15 In der Zwischenzeit nahmen sich auch einige Adelige der Sache an. Zu Ende der neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts setzte die Gegenreformation auf den Gütern von Jaroslav Martinitz ein und zudem konnte, was besonders wichtig war, auch eine auserwählte Gruppe hochrangiger Konvertiten, unter ihnen Vilem Slavata und Karl Liechtenstein, gewonnen werden. Martinitz, Slavata und Liechtenstein sollten in den späteren Ereignissen eine Schlüsselrolle spielen. Doch wollen wir diesen Ereignissen nicht vorgreifen. Um 1600 war Böhmen in überwältigendem Ausmaß protestantisch, lediglich zwei Städte hielten weiterhin an Rom fest. Die meisten Klöster kamen überhaupt nicht in Bewegung. Ein paar Bauern, die sich zur oberflächlichen Änderung ihrer Glaubenszugehörigkeit gezwungen sahen, änderten an der Situation anscheinend nicht mehr als die Überlegungen - materieller oder geistiger Art - einiger gebildeter Persönlichkeiten. Der Gewinn, den die Konversion eines Magnaten bedeutete, konnte übrigens ebenso schnell durch den Abfall eines anderen wieder zunichte gemacht werden, wie etwa der Fall des eifrigen Jifi Lobkowitz zeigt, der wegen politischer Anmaßung seine Tage in einem königlichen Gefängnis zubringen mußte. 16 Wie in Österreich, so brachten jedoch die Jahre um 1600 eine große Wende, und die beiden nächsten Jahrzehnte sollten von entscheidender Bedeutung sein. Hier verliehen ein Ordensgeistlicher und zwei Adelige, ein Bischof und ein Staatsmann, der katholischen Offensive erhöhten Nachdruck. Der allzeit aufdringliche und Ränke schmiedende Lohelius regte eine Reihe von Tridentiner Maßnahmen an, die in der wichtigen, im Jahre 1605 in Prag abgehaltenen Synode ihren Höhepunkt fanden. Der 1598 gegen starken örtlichen Wider-

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stand zum Bischof von Olmütz gewählte Franz Dietrichstein ging sofort zu einem provokanten Angriff auf die Häresie in Mähren über. Zdenfek Vojtfech Lobkowitz (der wie Dietrichstein Familienverbindungen nach Spanien besaß) schmeichelte sich bei Hof ein, und es gelang ihm, als böhmischer Kanzler, Rudolf davon zu überzeugen, seine protestantischen Ratgeber zu entlassen und die Erlässe gegen die Böhmischen Brüder 1602 zu erneuern. 17 Dutzende von Dörfern und kleinen Städten im ganzen Königreich hatten unter diesem Klima der Konfrontation zu leiden. In Braunau zum Beispiel, das sich mit seinem alten und geschwächten Kloster in eine Senke des Sudetengebirges schmiegte, wurde in eben diesem Jahr 1602 der zänkischen Wolfgang Seiender, dem wir später noch als Protagonisten des Jahres 1618 wiederbegegnen werden, als Abt eingesetzt. 18 Ungarns Fall liegt, im Detail betrachtet, etwas anders, überblicksmäßig jedoch verblüffend ähnlich. Hier schienen die anfänglichen Hindernisse unüberwindbar: Viele historische Diözesen waren von den Türken überrannt worden, der Primas selbst mußte sich von Gran in die verschlafene Marktgemeinde Tyrnau zurückziehen. Das übrige Gebiet wurde von Protestanten beherrscht und in Siebenbürgen sogar zeitweise durch eine Reihe einheimischer Fürsten, von denen einer (einmalig in den Annalen der europäischen Monarchie) sogar Unitarier war, der Habsburgerherrschaft entfremdet. Im Jahre 1560 holte Erzbischof Oläh die Jesuiten ins Land. Zwölf Missionare, unter ihnen lediglich ein einziger Ungar, lebten hier einige Jahre lang so recht und schlecht, bevor sie sich wieder zurückzogen. Als der Orden ein Jahrzehnt später in Siebenbürgen wieder Fuß faßte, gab er eine etwas bessere Vorstellung, die ihm zumindest ein Bannungsdekret der Stände eintrug. 19 Die Lage wandte sich zum besseren, als die Hierarchie zu aktiverer Unterstützung bereit war. Die erste bedeutende Persönlichkeit der Gegenreformation (da Olähs bescheidene Initiativen dem Anschein nach nur wenig Wirkung zeigten) war Kardinal Draskovich, der, nachdem er zunächst in den letzten Sitzungen des Konzils von Trient für Mäßigung eingetreten war, später nachdrückliche Kritik an den calvinistischen Anmaßungen übte. Härter als der aus adeliger Familie stammende Draskovich erarbeitete sich Miklos Telegdi seinen Weg von bäuerlicher Geburt zum Administrator des vakanten Primassitzes und untermauerte seine ungeschminkt polemischen Predigten durch den weitsichtigen Kauf einer Druckpresse für konfessionelle Literatur. 20 Sowohl Draskovich als auch Telegdi starben 1586, ihr Werk jedoch leitete eine erfolgreichere Ära für Ungarns Katholiken ein. Die nun stärker örtlich geprägten Jesuiten kehrten in den äußersten Nordwesten des Landes zurück. Der Jesuit Istvän Szänto schuf ein ernstzunehmendes Programm für die Wiedereroberung und arbeitete an einer ungarischen Bibel, um so mit Kärolyis calvinistischer Ubersetzung zu konkurrieren. Andere legten den Grundstein für ein neues katholisches Unterrichtswesen, auch wenn sie sich dabei stark an die Universität Graz jenseits der österreichischen Grenze anlehnen mußten. Einige Jesuiten blieben in Siebenbürgen hängen, und Alfonso Carrillo war in den neunziger Jahren der bedeutendste Ratgeber des pro-habsburgischen Fürsten Zsigmond Bäthory. 21 Mitglieder des Hochadels nahmen diese Priester unter ihren Schutz und stellten sich gelegentlich auch selbst in den Dienst der katholischen Sache: Bälint Balassi (besser bekannt als hervorragender Lyriker) übersetzte Campions Decern Rationes ins Ungarische; Miklos Pälffy

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brachte es als feuriger Befehlshaber in dem erneut aufflackernden Zermürbungskrieg gegen die Osmanen zu Ansehen. 22 Nichtsdestotrotz müssen sich Historiker der ungarischen Gegenreformation vor rückwirkender Uberinterpretation hüten. Noch um 1600 war jene Basis, von der die Gegenreformation ausging, noch immer schmäler als in den Erblanden oder Böhmen: eine Handvoll Adeliger; vereinzelte Weltgeistliche (einige von ihnen nahezu Analphabeten); abgesehen von den Jesuiten, die immer noch nur geduldet waren, kaum andere Ordensgeistliche; sowie einige wenige Bücher, doch gingen auch Telegdis Druckerei bald sowohl Geld als auch Autoren aus. In Siebenbürgen, wo die größten Anstrengungen unternommen worden waren, bröckelte die katholische Position ab, als Zsigmond Bäthory, dieser pathologisch unstete Charakter, über das Land Jahre eines derartigen Chaos' brachte, daß dem geneigten Leser eine Aufzählung hievon besser erspart bleibt. 23 Was um 1600 bestand, war eine Art Sprungbrett, das auf der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert von einer aufstrebenden Generation zielstrebiger Persönlichkeiten benützt werden konnte. Wie in Böhmen, sollten auch hier drei Persönlichkeiten das katholische Schicksal in der nächsten, so wichtigen Zeit bestimmen: ein Ordensgeistlicher und zwei Aristokraten, ein Bischof und ein Staatsmann. Der Geistliche war Peter Päzmäny (1570-1637), der, als Protestant geboren und durch Szänto bekehrt, in den Jesuitenorden eintrat, in Wien und Rom studierte und gerade am Beginn seiner Karriere als Mitteleuropas größter Polemiker stand. Der Bischof war Ferenc Forgäch (1564-1615), ebenfalls ein Konvertit, der bald Erzbischof von Gran werden und viele adelige Seelen in den Schoß der Mutter Kirche zurückführen sollte. Von besonderem Klang für die künftige ungarische Geschichte ist der Name des Staatsmannes: Miklos Esterhäzy, damals jedoch lediglich ein aus verarmten Verhältnissen stammender Jugendlicher, im Jahr 1600 ein Neuling in dem Glauben, dessen Stern bald genauso schnell wie sein eigener aufgehen sollte.24 Mehr noch als die mit ihnen vergleichbaren Persönlichkeiten im übrigen Mitteleuropa unterschieden Ungarns Gegenreformatoren nicht mehr zwischen Zuversicht und Tollkühnheit. Sie glichen die besondere Fragilität ihrer Lage durch besonders hochtrabendes Verhalten aus, und 1603/04 trieben sie König Rudolf zu drei aufsehenerregenden Schlägen gegen ihre Feinde: das Verfahren wegen Volksverhetzung gegen den prominenten lutherischen Magnaten Istvän Illeshäzy, die eigenwillige Erhebung einer Klausel zu einem statutenmäßigen Gesetz, wonach Verhandlungen über religiöse Klagen am Landtag verboten wurden und die Zwangsübernahme protestantischer Kirchen in Kaschau und einer Reihe kleinerer Orte. 25 Dieser mit so geringer allgemeiner Unterstützung (nicht einmal alle Katholiken stimmten zu) in dem schwächsten Gebiet der Krone unternommene direkte Angriff auf alle Abkommen, die im vorangegangenen Jahrhundert getroffen worden waren, stellte den dreistesten Schlag in der gesamten bisherigen mitteleuropäischen Kampagne dar und war gleichzeitig jener letzte Tropfen, der das Glas zum Überlaufen brachte. Die Antwort der Protestanten fiel dementsprechend aus, und ihr Protest führte, verstärkt durch allgemeinen Unmut über den brutalen und ergebnislosen Krieg gegen die Türken, zu dramatischen Ereignissen. Istvän Bocskai, ein ehemals loyaler General, stand an der

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Spitze einer Massenarmee, die von Siebenbürgen her das Land überrannte und die Habsburger zur Kapitulation zwang. In den Verträgen von Zsitvatorok und Wien (1606) kam es zu einer Einigung mit der Hohen Pforte, zur Anerkennung von Bocskai als Fürst von Siebenbürgen und zum Versprechen einer freien Ausübung der wichtigsten nicht katholischen Konfessionen. 26 Unter dem Schock dieses Fehlschlags in Ungarn brach die Regierung des kompromißlosen, visionären Rudolf und seines zwar ambitionierten, ansonsten jedoch nur mittelmäßig begabten Bruders Matthias gänzlich zusammen. Matthias, auf der Suche nach jeder nur möglichen Allianz gegen den Kaiser, mußte sich an die stärkste Macht in diesem Hexenkessel wenden, an die protestantischen Stände der Monarchie. In Ungarn standen der wieder eingesetzte Illeshäzy und György Thurzo an der Spitze der Opposition am Landtag im Jänner 1608. Als Gegenleistung für die Wahl Matthias' zum König, sicherte dieser den Ständen das verfassungsmäßige Recht der umfassenden protestantischen Religionsausübung zu und mußte auch anderen weitreichenden Konzessionen, darunter der Ausweisung der Jesuiten und Illeshäzys Ernennung zum Palatin, zustimmen. Rudolf seinerseits hatte immer versucht, dieses vizekönigliche Amt abzuschaffen. Die Stände Mährens und der österreichischen Herzogtümer stellten sich ebenfalls auf die Seite Matthias', um sich ihren Anteil zu sichern, nämlich die ausdrückliche Rückkehr zu jenem Ausübungskodex, auf den man sich in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit Maximilian II. geeinigt hatte, 27 Die Böhmen und Schlesier, die 1608 von Rudolf mit Versprechungen abgefunden worden waren, forderten sogar noch mehr. Im folgenden Jahr zwangen sie Rudolf, den berühmten Majestätsbrief zu unterzeichnen, der eine gänzliche Abschaffung der Mißstände bedeutete und gleichzeitig eine institutionelle Garantie dafür war, daß der Herrscher seinen Verpflichtungen nachkommen würde. Ein weiteres, gesondertes Ubereinkommen (porovnäni) regelte die verbliebenen Streitpunkte zwischen den einzelnen Parteien. Noch schlimmer kam es 1610/11, als Rudolf den mißlungenen Versuch seines jungen Cousins Leopold (dem Bruder von Ferdinand und Bischof von Passau) Vorschub leistete, einen militärischen Staatsstreich in Prag zu landen. 28 Obwohl Rudolf weit mehr an seiner wunderwirkenden Souveränität lag als an irgendeiner Offenbarungsreligion, war es doch der katholische Tempel, der durch seine samsongleiche Orgie der Selbstzerstörung zu wanken begann. Obwohl Bischof Klesl zu den engsten Vertrauten Matthias' zählte, ließen die opportunistischen Manöver des Erzherzogs alle Proteste seitens Roms außer Acht. Die kleine Minorität von Katholiken schien in verheerendem Ausmaß Gesicht und Einfluß verloren zu haben. Tatsächlich jedoch waren diese Niederlagen zwischen 1604 und 1611 ebenso wie die Erfolge vor 1600 eher scheinbarer als realer Natur. Es waren weiterhin die Katholiken, die die Politik bestimmten, und letzten Endes stärkte, wie wir noch sehen werden, die offene Autoritätskrise ihre Position sogar. Umgekehrt waren die Protestanten, die eine bleibende Anerkennung ihres Majoritätsstatus' erreicht zu haben schienen, nicht die wirklichen Sieger. Auch ihre Situation ist voll der Paradoxa. Nun, da sie zum ersten Mal ihre „Freiheiten" besaßen, fühlten sie das erste Mal die Notwendigkeit, deren Verteidigung zu organisieren. Und obwohl das katholische Lager vergleichsweise wenige Truppen aufbieten konnte, schwanden seine Streit-

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kräfte, abgehärtet durch viele Rückschläge, keinesfalls dahin. So mußten die Protestanten nun ihre eigene Massenmiliz neu ordnen, was sowohl Schwächen als auch Stärken aufdeckte. In Österreich gelang es, im Verlauf des 16. Jahrhunderts gewisse Fortschritte in Richtung einer unabhängigen lutherischen Kirche zu erzielen. Chytraeus, Polykarp Leyser und andere Theologen trugen zu deren Organisation bei. Noch wurde allerdings weder ein Superintendent bestellt oder eine wahre innere Disziplin geschaffen. Hiefür war einerseits die mangelnde Hilfsbereitschaft der Habsburger verantwortlich, der wirkliche Grund jedoch lag in der Auseinandersetzung zwischen den strebsamen Flacianern und den für Anpassung eintretenden Philippisten. Sollte Martin Luther in allem Recht behalten, vor allem was die völlige menschliche Erbärmlichkeit vor Gott betraf? Ein Klima der Mäßigung und der Niedergang der Flacianer um 1590 bedeuteten letzten Endes auch einen Sieg für die weltlichen Förderer und den laissez-faire Stil.29 Übrigens kamen die meisten militanten Prediger aus Deutschland in die habsburgischen Gebiete. Sie zogen rasch von Stadt zu Stadt und brachten eigene Rivalitäten mit ins Land. In der Steiermark war dies ein wesentlicher Faktor der mangelnden Einheit des protestantischen Widerstandes gegen die Erzherzöge. Das Fehlen örtlicher Kontinuität, verschärft durch unregelmäßige Ordinationen, schuf kein festes Gerüst, auf welches aufgebaut hätte werden können, als sich im Jahre 1608 die große Gelegenheit bot. In Oberösterreich standen die lutherischen Stände unter der Führung des Calvinisten Tschernembl. Unter der Enns waren sich die protestantischen Wortführer, die Verordneten, nie sicher, wie weit sie gehen konnten. 30 Überall verhinderten Unsicherheiten in Fragen der Lehre ein Zusammengehen. Die böhmischen Protestanten einigten sich 1575 dahingehend, daß sie verschiedener Meinung waren. Obwohl sie gewählte Vertreter zum Schutz des mit Maximilian abgeschlossenen Abkommens beriefen, war die Rolle dieser Defensoren weiterhin nur ungenügend geklärt. 31 Das einzige bestehende Konsitorium lag immer noch in Händen traditioneller Hussiten (Utraquisten). Es konnte daher kein Druck auf die lutherische Majorität ausgeübt werden, während die kritischen Böhmischen Brüder weiterhin das Vorhandensein der nötigen Disziplin bezweifelten. Als durch die Ereignisse von 1609 das Konsistorium in protestantische Hände überging, war es zu spät, den Schaden wieder gutzumachen. Selbst der Majestätsbrief, dieser politische Sieg, konnte die tiefen Spuren der Spaltung nicht verwischen. In seinem Schatten begannen Gruppen, wie die deutschsprachigen Lutheraner oder eingewanderte Calvinisten, ihre Eigenständigkeit zu stärken. 32 Im östlichen Ungarn war die Organisation der protestantischen Kirche so solide, wie es die unruhigen Zeiten erlaubten, die Kirchengemeinden waren in Seniorate gegliedert, die Seniorate ihrerseits in Superintendenturen mit gewählten Amtsträgern. Doch auch ihre Vereinbarungen waren nicht unumstritten, wie die Streitigkeiten um Imre Üjfalvi und später dann über den Puritanismus zeigten. Im habsburgischen Hauptgebiet dauerte der Prozeß etwas länger. Erst nach den Gesprächen von Csepreg im Jahre 1591 gingen die Calvinisten und Lutheraner des westlichen Grenzlandes getrennte Wege, und der modus vivendi des 16. Jahrhunderts überlebte auch noch in späterer Zeit in den Städten Oberungarns. Als letztes erfolgte die Organisation bei den Lutheranern der nordwestlichen

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Komi täte auf der Synode von Sillein im Jahre 1610 unter der Führung von Thurzo und dessen Kaplan EliäS Läni. 33 Die unterschiedlichen Führungsstile von Thurzo und Läni ergänzten einander. Der gebildete Renaissance-Magnat, Sohn eines abtrünnigen Bischofs, Pädagoge, liberale Kirchenmann und anpassungsfähige Staatsmann, der eine Vorliebe sowohl für eine kultivierte Korrespondenz wie für die schönen Künste hegte, arbeitete mit dem hartnäckigen Geistlichen hervorragend zusammen, der (als unmittelbarer Zeitgenosse Päzmänys) sehr wohl das Bedürfnis nach konfessioneller Polemik und nach genauerer Definition kirchlicher Interessen verstand. 34 Eine solche Harmonie jedoch war selten. Im allgemeinen führten Persönlichkeiten wie Thurzo das Regiment allein. Die protestantische Causa fiel in die Hände mächtiger Familien, wie der Jörger in Niederösterreich oder der Zerotin in Mähren, die 1608 ihr politisches Gewicht in die Waagschale warfen und das nächste Jahrzehnt einer vorübergehenden Blüte beherrschten. Als sich das weltliche Element schließlich durchsetzte, konnte der Trend zu doktrinärer Verschwommenheit nicht aufgehalten werden, und der fügsame Klerus war wenig anregend. Die kirchliche Organisation wurde zu einer Organisation der Stände, doch auch dies war kaum der Fall, da die Isolation der Städte, die von der Gegenreformation bereits vor 1600 erfaßt worden waren, wuchs und ihre Vertreter mit gewissen Ausnahmen in Ungarn keine bedeutende Rolle spielten. Angehörigen der niederen Schichten war es noch weniger möglich, einen aktiven Beitrag zu leisten, und ihre Vorgesetzten vergaßen bequemlichkeitshalber, daß Bocskais ursprüngliche Revolte lediglich mit Hilfe freibeuterischer Haiduken Erfolg gehabt hatte. Es war dies keine Zeit für Stadt- oder Volksprediger, sondern für Burgprediger. 35 Die Ereignisse der Jahre 1608/09 erfüllten die aristokratischen Führer der Protestanten mit einer Mischung aus Euphorie und Unbehagen. Plötzlich konnten sie über alle örtlichen Spaltungen hinweg blicken und hoffen, die Protestanten in einer größeren Allianz und, was gleichzeitig riskant und verlockend war, vielleicht sogar in einer großen mitteleuropäischen Konföderation zusammenzufassen. Während dieser entscheidenden Zeit wurde eine beeindruckende Reihe enger Kontakte geknüpft: Tschernembl, die stärkste Persönlichkeit von allen, in Oberösterreich; die Brüder Starhemberg in Niederösterreich; Budovec und Rosenberg in Böhmen; die Zerotin in Mähren; Illeshäzy und Thurzo in Ungarn. Einige, unter ihnen auch Tschernembl, beabsichtigten, dem nun gänzlich unabhängigen und calvinistischen Siebenbürgen einen Sonderplatz zuzuweisen. Alle unterhielten Verbindungen zum Westen und wurden zu einem integrierenden Bestandteil der internationalen Allianz, die von Heidelberg aus durch Christian von Anhalt geleitet wurde und in der Union der deutschen protestantischen Fürsten formale diplomatische Gestalt annahm. 36 Die Art dieser Allianz wurde von Historikern oft mißverstanden. Es handelt sich hiebei eher um einen letzten Tribut an den Einfluß der Kultur der Spätrenaissance als um eine solide politische Front. Einige Mitglieder lehnten sich aus echter Sympathie für die calvinistischen Ziele auf. So finden wir Elemente, die eine Auflehnung gegen die Tyrannei rechtfertigen, in den Aktivitäten von Bocskai und dem einflußreichen ungarischen Prediger Peter Alvinczi, von Tschernembl, den Starhemberg, von pro-helvetischen Böhmen und Mährern wie Budovec, Ruppa oder Opsi-

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mathes, ganz zu schweigen von dem ausgewanderten Polanus. 37 Andere leisteten der Krone auf viel begrenztere und herkömmlichere Weise Widerstand. Zwischen diesen beiden Auffassungen mußte es unweigerlich zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Die steirischen Lutheraner folgten dem Rat von Wittenberg und lehnten es ab, sich 1608 den Aufständischen anzuschließen, auch viele Österreicher hatten große Bedenken. Rosenberg in Böhmen steckte zurück, und als Karel Zerotin sich in Mähren ähnlich verhielt, wurde er von seinem Cousin Ladislav Velen umgangen. Nach dem Tod von Illeshäzy und Thurzo ging die Führung auf Thurzos feurigeren Sohn Imre über. Bocskai selbst machte sich durch die Exzesse seiner Truppen mindestens ebenso viele Feinde wie Freunde. 38 Es gelang also den protestantischen Ständen nie, den Separatismus zu überwinden. Die Mährer mißtrauten den Böhmen immer noch, die Oberösterreicher hielten sich von den Niederösterreichern fern usw. Vielleicht trugen sie durch die wachsenden nationalistischen Tendenzen und die Betonung der heimischen Kultur im Grunde sogar zur Verstärkung separatistischer Bestrebungen bei. Die Unzulänglichkeit der Zusammenarbeit wurde spätestens während des großen Aufstandes in den Jahren 1618 - 1 6 2 0 offenkundig, während die Kampflust der protestantischen Ideologie, worauf ich noch zurückkommen werde, ständig unter einem Hang zu Fatalismus und Chiliasmus litt. Trotz aller Schwächen war die protestantische Konföderation jedoch imstande, kurzfristig eine wirklich übernationale Gruppierung zu schaffen, als deren Höhepunkt vielleicht der Generallandtag in Linz 1614 anzusehen ist. 39 Humanistische Kontakte wurden nun in den Dienst politischer Ziele gestellt, einige Intellektuelle griffen aufgrund der geänderten Umstände zu schärferen Methoden und begannen eine lebhafte geistige Offensive. Derartige Kampagnen, wie der Pamphletkrieg gegen die Jesuiten, der seinen Anfang im Reich nahm, griffen rasch auf die Habsburgerländer über. 40 Der Zusammenprall so lange gebändigter protestantischer Energien mit den gefestigten Positionen der Gegenreformation bedrohte die gesamte ererbte Souveränitätsvorstellung in Mitteleuropa. Unter diesem Druck zweier bewaffneter Lager zerfiel der anfällige kaiserliche Hof. Der alternde Rudolf konnte die für ihn empörenden, noch nie dagewesenen protestantischen Forderungen nicht einfach hinnehmen, doch lag es ihm gleichermaßen fern, eine ähnlich fremde katholische Theokratie zu schaffen. In Wahrheit wurde das Rudolfinische Zeitalter von den Ereignissen überrollt, und seine geistige Führungsschicht sah sich einer Situation gegenüber, in der der Humanismus selbst, dieses öffentliche Bekenntnis zur Neutralität, als heterodox angesehen wurde. Von seinem Niedergang profitierte in erster Linie die Gegenreformation. 1591 wandte Justus Lipsius sich „von einem unbestimmten Glauben einer bestimmten Häresie zu", wie dies ein anglikanischer Korrespondent Blotius gegenüber zum Ausdruck brachte. Seine Konversion, die nahezu gleichzeitig mit jener von Heinrich IV. erfolgte, gab gebildeten Zeitgenossen zu denken. Plötzlich waren sowohl der bedeutendste protestantische Gelehrte als auch der unerschrockenste protestantische Fürst verloren. Briefe an Blotius dokumentieren diesen Umschwung. So etwa die Berichte seines Landsmannes Cornelius Werdenborch, der bei Jifi Lobkowitz in Diensten stand und den zukünftigen Kardinal Dietrichstein unterrichtete, oder die

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Mitteilungen, mit denen Giffen seine Hinwendung zur römischen Kirche und die Annahme eines höheren juridischen Postens in Prag ankündigte. Blotius' Nachfolger Sebastian Tengnagel steht bereits in enger Verbindung mit den Jesuiten und stellt sein Wissen in den Dienst der Verteidigung päpstlicher Forderungen. 41 Johann Matthias Wacker, eine der führenden Persönlichkeiten bei Hof, folgte seinem Freund Lipsius und vertrat nun einen entschiedenen Katholizismus, blieb jedoch auch weiterhin der Sorgfalt humanistischen Forschens treu (seine Korrespondenz enthält umfangreiche Abhandlungen über das klassische Wagenrennen). Sein Protege Schoppe ging noch weiter und wurde in den Jahren kurz nach 1598 von einem belesenen Jugendlichen zu einem fanatischen Propagandisten der Kurie. Die Briefe Scioppios, wie er sich umtaufte, an seine früheren Kollegen, welche die ersten Nachrichten über die Verbrennung Giordano Brunos enthalten, liefern ein verblüffendes Zeugnis seines Gesinnungswandels von freier theoretischer Betrachtung zu orthodoxem Zwang. 42 Ebenfalls 1599/1600, zu jenem historischen Wendepunkt, wurde der Kaiser dazu bewogen, viele seiner früheren, liberaleren Ratgeber, wie etwa Rumpf oder den gebildeten protestantischen Staatssekretär Myllner, zu entlassen. 43 Zum Zeitpunkt des Todes Rudolfs im Jahre 1612 wurden die letzten Reste dieses Umfeldes beseitigt. Die Protestanten, denen es nicht gelungen war, in der kaiserlichen Regierung eine Vorrangstellung zu behaupten, hatten sich schon nach einem neuen Betätigungsfeld umgesehen. Ehrgeizige Katholiken hatten sich bereits an Matthias gewandt. In Wahrheit waren die beiden Brüder sich in ihrer grundlegenden politischen und religiösen Einstellung nicht unähnlich, nur fehlte Matthias Rudolfs Gedankentiefe, dessen Geschmack, dessen Sinn für das Geheimnisvolle und die Würde - kurz gesagt all jene Qualitäten, die Rudolf zu einem so bemerkenswerten, wenn auch bemerkenswert erfolglosen Herrscher machten 44 Unter Matthias kam die dynastische Ideologie klar zum Vorschein, ein höfischer Katholizismus, der durch das Beispiel der Gegenreformation vor allem nach 1600 wiederbelebt wurde, jedoch nie mit dieser identisch war. Wie jeder Höfling wußte, hatte der Kampf zwischen Kaiser und Papst eine lange und verworrene Geschichte. Reformation und Gegenreformation gaben diesem nur eine neue Wendung. Werfen wir einen ersten Blick auf die wesentlichsten Fragen der Jurisdiktion und der Kontrolle. Die Habsburger des 16. Jahrhunderts hatten sich das Recht bewahrt, päpstliche Einmischungen zu verhindern, selbst in solchen Angelegenheiten, die von Rom als rein geistliche erachtet wurden. So stimmten sie den Tridentiner Beschlüssen nur begrenzt zu, obwohl Draskovich und andere für deren öffentliche Verkündigung eintraten, und lehnten die Inquisition und den Index zur Gänze ab. Nicht zuletzt deshalb, weil die Auffassung der Dynastie in der Schlüsselfrage der Kommunion unter beiderlei Gestalten in striktem Widerspruch zu de^m kompromißlosen Geist von Trient und dessen örtlichen Vertretern stand, die selbst über die zeitweiligen, bedingten Konzessionen des Papstes hinwegsahen. 45 Die Kaiser widersetzten sich dem wachsenden Einfluß der Nuntien, die als scharfsinnige Diplomaten und Sprachrohr päpstlicher Erklärungen auftraten, zu denen auch die jährliche Sammlung der für die Gläubigen erlassenen Richtlinien, die Bulle In Coena Domini, zählte. Auch Bischöfe boten Anlaß zu so manchen Spannungen. Obwohl man in den einzelnen Ländern äußerst notwendig eines wirkungsvollen episkopalen Stabes bedurft hätte (wir wer-

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den noch sehen, was für eine bedeutende Rolle dies schließlich bei der Wiedererrichtung der Ordnung in ganz Mitteleuropa spielte), forderten die Habsburger nahezu unannehmbare Unterwürfigkeit. Selbst in Tirol kam es zu Konflikten, um so mehr aber in den österreichischen Herzogtümern, die größtenteils zur deutschen Diözese von Passau gehörten. Bis in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein Waffenstillstand ausgehandelt wurde, kam es zu einem andauernden Kampf zwischen Klesl, als Generalvikar von Passau, und der Regierung. 46 Der wichtigste Streitpunkt war die Ernennung von Bischöfen, auf die ich später noch eingehen werde; selbst in den mageren Jahren des 16. Jahrhunderts durchaus kein nichtiges Problem, wie das Beispiel der Wahl von Ferenc Forgäch im Jahre 1587 zum Bischof von Veszprem zeigt. Höhere kirchliche Ämter waren in Ungarn, wo die Bezeichnung „geistliche Bank" für Bischöfe und Prälaten in außerordentlichem Maße zutrifft, mit besonderen konstitutionellen Konsequenzen verbunden. Die meisten von ihnen lediglich Titularwürdenträger, da ihre Diözesen entweder zur Gänze oder zumindest teilweise an die Ungläubigen verloren worden waren, saßen die Bischöfe in königlichen Ratsversammlungen und nahmen regen Anteil an der Regierung der Dynastie. 47 Rudolf fürchtete jegliche Konkurrenz so sehr (und hatte ein zusätzliches Einkommen so notwendig), daß er sich in den ersten zwanzig Jahren seiner Regierung weigerte, einen Erzbischof von Gran zu ernennen. Ein weiteres Problem war der Ordensklerus. Weder Rudolf noch Matthias empfanden große Sympathien für die Gesellschaft Jesu. Selbst in Graz und Innsbruck wird deren Einfluß auf die Dynastie häufig überbewertet 4 8 Und jede Wiederbelebung älterer Orden warf sofort die Frage der Souveränität auf. Was an klösterlichem Leben während des 16. Jahrhunderts überlebt hatte, stand eindeutig unter dem Einfluß der Habsburger. Die Obrigkeit konnte Wahlen beeinflussen, ja sogar eigene Vorsteher oder Verwalter einsetzen. Maximilian II. formalisierte diesen Status für seine niederösterreichischen Besitzungen, indem er 1568 den Klosterrat schuf, eine Institution, deren Tätigkeit noch immer etwas im Dunkeln liegt und deren Bedeutung noch nicht entsprechend erkannt wurde. Dieser Klosterrat stellt den ersten Schritt in Richtung einer kaiserlichen Kirchenpolitik dar, die sich weltlicher Sanktionen bediente. 49 Wie auch andere kaiserliche Institutionen, arbeitete der Klosterrat nur versuchsweise, unregelmäßig und ineffizient. Außerdem kam es zu Reaktionen, sei es seitens ganzer Gemeinden - wie der langandauernde und dennoch fruchtlose Widerstand von Klosterneuburg unter Probst Andreas Weissenstein - oder seitens strenger, ultramontaner Staatsmänner. Klesl führte gegen den Klosterrat und dessen Leiter Wolf Unverzagt einen erbitterten Kampf, den er mit ziemlichem Erfolg beendete, obwohl seine eigenen Entscheidungen in monastischen Fragen mindestens ebenso willkürlich waren. so Es gibt jedoch auch andere Anzeichen für eine aufstrebende Generation von „Hofchristen", die sicherlich dem Katholizismus dienten, mehr jedoch ihren Herren und am meisten, wozu sie unter Rudolf II. Möglichkeit genug hatten, sich selbst. In den qualifizierten Positionen der habsburgischen Regierung finden wir die Anfänge eines höfischen Etatismus, dessen Grundstein vielleicht von den bürgerlichen Ratgebern Ferdinand I. gelegt wurde. Diese Tendenz wurde in Österreich durch Löbl, den hartnäckigen Reformer Oberösterreichs, sowie durch Rechtsgelehrte wie An-

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dreas Erstenberger und Ruprecht Hegenmüller repräsentiert. In Böhmen vertraten Lobkowitz, seiner echten Begeisterung zum Trotz, und vor allem sein Stellvertreter Heinrich von Pisnitz bedenkenlos diese Richtung. In Ungarn spielte der bürgerliche Tiburtius Himmelreich, der an der Demarche von 1604 einigen Anteil gehabt hatte, eine weit über seine berufliche Stellung als Sekretär hinausgehende Rolle, während Istvänffy und selbst Faustus Verantius ähnliche Positionen einnahmen - sobald sie sich der Vergeblichkeit humanistischer Spekulation bewußt wurden. 51 Diese Männer waren keineswegs Vollzugsorgane einer konsequenten habsburgischen Politik und schon gar nicht jener des wankelmütigen Rudolf, vielmehr interpretierten sie diese auf halbbewußte Weise und legten so den Grundstein für die zukünftige Entwicklung. Im Grunde waren sie Konkurrenten des traditionellen römischen Katholizismus und, während sie dessen Verbündete zu sein schienen, machten sich dessen Energien für ihre eigenen Absichten zunutze. So woben päpstlicher und dynastischer Katholizismus, rein gedanklich getrennt, in diesen Jahren komplizierte Muster, wobei das Ausmaß der gegenseitigen Beeinflussung unklar bleibt. Unverzagt, Klesls Widersacher und Rudolfs Vertrauter, war nichtsdes to trotz ein Freund der Erzherzogin Maria in Graz; Himmelreichs Sohn György wurde Administrator des Klosters von Pannonhalma und widmete sich den Anliegen der Benediktiner; Lobkowitz und seine Frau Polyxena arbeiteten, während sie sich auch weiterhin kaiserlicher Gunst erfreuten, eng mit den Nuntien und den Jesuiten zusammen. Vor allem Klesl verfolgte eine doppelte Karriere. Als selbsternannter, allen Widrigkeiten trotzender Erneuerer der Disziplin innerhalb der österreichischen Kirche plante er auch die Politik Matthias', einschließlich des strategischen Rückzugs von 1606 bis 1609. Als fanatischer Kanzler der Universität, deren Übernahme durch die Jesuiten er vorbereitete, spielte er auch den Friedensstifter gegenüber der zunehmend bedrohlichen Haltung der deutschen Katholiken. Obwohl er 1590 eine bedeutende Predigt gegen die Kommunion unter beiderlei Gestalten hielt, praktizierte er sie noch ein weiteres Jahrzehnt hindurch. 52 Ein Urteil über Klesl, eine der fesselndsten Persönlichkeiten der mitteleuropäischen Geschichte, harrt jedoch noch einer umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung. Überhaupt sollten wir uns vor eindeutigen Aussagen hüten, wo wir nur über dürftige Beweise verfügen und wo die Einsicht unmittelbarer Zeitgenossen in die Ereignisse kaum tiefer war als die unsrige. Im gegenreformatorischen Wechselspiel zwischen Kirche und Staat erscheint jedoch wiederum das Jahr 1600 als Wendepunkt. Vor 1600 kam die katholische Erneuerung, wie wir gesehen haben, nur schrittweise voran, weitestgehend unabhängig von den Habsburgern, doch, wo immer dies möglich war, unter erzherzöglicher Ägide. Die Vertreter Roms brachen keinerlei Auseinandersetzung vom Zaun und brachten Maximilian und selbst Rudolf, was Historiker oft in die Irre führte, bewußt öffentliche Achtung entgegen. Wenn es nicht Anfälle von Wahnsinn waren, was dann war der Grund für die mangelnde Bereitschaft Seiner Majestät zur Zusammenarbeit? Tatsächlich hegte auch unser unvoreingenommenster Zeuge für die achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts, Georg Eder, keine Illusionen in bezug auf die halsstarrige Unzuverlässigkeit des Kaisers. 53 Mittlerweile bediente sich die Dynastie, getrieben von einer Mischung aus

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Gefühl und Berechnung, der Mittel der alten Kirche und hob die Stellung des Katholizismus als bevorzugte Religion nie zur Gänze auf. Nach 1600 änderte sich dieses Klima, und eine von Rom ausgehende, leidenschaftliche und schöpferische Bewegung erzielte unter offener Mißachtung der habsburgischen Schwäche entscheidende Vorstöße. Zu Einschränkungen und zur Arbeit als eigenständige Partei gezwungen, entwickelten ihre Anhänger eine politische Zielstrebigkeit in Ergänzung zu ihrer dogmatischen Bindung. In der gesamten Monarchie entstanden katholische Stände, eine andersdenkende Minderheit von Aristokraten, die mit dem ortsansässigen Klerus zusammenarbeitete. In Ungarn sammelten Forgäch und Päzmäny am Landtag von 1609 klug ihre Kräfte hinter der nationalen Opposition. Indem sie Thurzo als Kompromißkandidaten für das Amt des Palatins unterstützten, erhielten sie als Gegenleistung weitreichende Konzessionen für ihre Kirche, die zur Zeit Bocskais beinahe ausgerottet schien: Besitzungen wurden zurückgegeben, die gesetzmäßigen Rechte des Klerus garantiert und jesuitische Aktivitäten bald wieder schweigend geduldet. 54 Der streitbare Päzmäny folgte 1616, nachdem er ordnungsgemäß seiner Ordensgelübde enthoben worden war, Forgäch als Erzbischof nach. Zwei Jahre später trat sein inzwischen konvertierter Bruder Zsigmond die Nachfolge Thurzos als Palatin an. In Böhmen lehnten katholische Reaktionäre eine protestantische Gleichberechtigung strikte ab: Lobkowitz, Martinitz und Slavata weigerten sich standhaft, den Majestätsbrief oder die porovηάηί anzuerkennen. Gleiches gilt für Lohelius, der 1612 Erzbischof von Prag wurde und darüber hinaus die Macht erhielt, alle auf Gütern der Krone gelegenen Pfründe zu vergeben, ein Recht, das mit gleicher Entschlossenheit in Mähren von Kardinal Dietrichstein ausgeübt wurde. 55 Die politische Führung gewann aufgrund der inneren Stärke der Bewegung an Selbstvertrauen, wozu auch Synoden in Prag und Tyrnau sowie die organisatorischen Fähigkeiten Klesls in Österreich das Ihre beitrugen. Die Übertritte bedeutender Persönlichkeiten nahmen rasch zu. In Ungarn ζ. B., wo Päzmäny und sein hitzköpfiger Mitstreiter Baläsfi gegen die Sektierer wetterten, konnte der Klerus György Drugeth von Homonna, den härtesten Militärbefehlshaber des Landes, für sich gewinnen, während der aufsteigende Stern Esterhäzys unter Beweis stellte, wozu die Begeisterung einen Konvertiten befähigen konnte. 56 Klöster erfreuten sich eines steigenden Zulaufs (was weniger leicht als purer Ehrgeiz oder reine Modeerscheinung abgetan werden kann). Lohelius und sein Nachfolger als Prämonstratenserabt, Questenberg, verhalfen Strahöv zu neuer Bedeutung und weiteten sowohl dessen rechtliche und wirtschaftliche als auch dessen geistige Macht aus. Gleiches gilt für den kompromißlosen Benediktiner Seiender in Braunau und die Zisterzienseräbte in Österreich, wie Alexander a Lacu in Wilhering, Johann Seyfried in Zwettl und Simon Rupert in Lilienfeld. Nach einem Jahrhundert der Vernachlässigung kam es zu erneuter Bautätigkeit, so etwa am Felsen von Göttweig und in dem wenige Kilometer von Graz entfernt gelegenen Rein. 57 Einer einzigen Generation von Novizen, die direkt vom Collegium Germanicum in Rom kommend in das Kloster Heiligenkreuz eintraten, gelang es, neues Leben in eine ganze Reihe österreichischer Klöster zu tragen. Zu ihnen zählte auch der Rheinländer Anton Wolfrad, der später Klesl als Bischof von Wien nachfolgen sollte. Jesuitenkollegien wurden in Laibach, Klagen-

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furt und Leoben, in Görz und Triest, in Linz, Passau und Krems gegründet. Neue oder zu neuem Leben erweckte Orden erschienen auf der Bildfläche: die Kapuziner, die Augustiner, die Serviten, die Kamillianer und die Barmherzigen Brüder. 58 So behielt das katholische Lager weiterhin das Heft in der Hand, wobei protestantische Vermittler wie Thurzo übervorteilt und Gemäßigte in den eigenen Reihen, wie Bischof Näprägi oder Adam Sternberg, der Oberstburggraf von Prag, in den Hintergrund gedrängt wurden. Die protestantischen Stände, deren konstitutionelle Stellung sich vor so kurzer Zeit gebessert hatte, blieben die Antwort nicht schuldig. Nun mußte sich Matthias unter dem Druck seines kämpferischen voraussichtlichen Erben Ferdinand von Steiermark entscheiden und wurde in eine Allianz mit Rom gedrängt, wobei die Bedingungen von Rom diktiert wurden. Papst und Kaiser, vorübergehend vereint, trachteten jeder danach, die 1608/09 erzielten Vereinbarungen umzustürzen: die Kirche, weil ihr Glaube niemals durch erpreßte Dokumente eingeschränkt werden konnte, die Dynastie, weil die protestantischen Rechte im günstigsten Fall Verträge darstellten, denen man für eine begrenzte Zeit zugestimmt hatte, im ungünstigsten Fall sie diese als reine Gnadenakte seitens des Souveräns ansah. 1618 gipfelte ihre gemeinsame Kampagne in einer offenen Konfrontation. Zwei Zwischenfälle illustrieren die widersprüchliche Natur des katholischen Programms zu dieser Zeit: einerseits die Provokationen in Braunau und Klostergrab, die direkt zum Ausbruch der böhmischen Unruhen führten, auf der anderen Seite die willkürliche, durch Erzherzog Ferdinand veranlaßte Verhaftung Klesls, die jede friedliche Lösung dieses Konflikts unmöglich machte. Klesls Sturz, so dramatisch er auch als Tatsache ist (man stelle sich vor, Richelieu wäre von Gaston d'Orleans gefangengesetzt worden!), war durchaus logisch. Der alte Kardinal, der immer noch die Ziele einer früheren Phase der Gegenreformation verfocht, wurde von Männern aus dem Weg geräumt, die neue Auffassungen hinsichtlich der katholischen Politik vertraten. 59 Die böhmische Kontroverse, die zwar ebenso logisch war, bedarf nichtsdestotrotz einer kurzen Erklärung. Die Zerstörung protestantischer Kirchen in Braunau und Klostergrab wird üblicherweise lediglich als Vorwand für den Prager Fenstersturz angesehen. In gewissem Sinn war dies auch der Fall. Doch handelt es sich hiebei um ein schwerwiegendes und dauerndes Problem, da beide Orte zu Bastionen der Gegenreformation gehörten: Braunau zu dem örtlichen Kloster unter dem kompromißlosen Abt Seiender und Klostergrab zu Erzbischof Lohelius. 60 Die Protestanten beriefen sich, einer althergebrachten konstitutionellen Meinung folgend, darauf, daß das gesamte Kirchengut im Grunde der Krone gehörte. Diejenigen, die auf diesen Gütern lebten, erfreuten sich - gemäß den Bestimmungen derporovnäni von 1609 — freier Religionsausübung und durften öffentliche Gottesdienste abhalten. Die Katholiken und die Dynastie leugneten ihre Ansprüche mit der Begründung, die Kirchengüter stünden lediglich unter dem Schutz der Krone, zählten jedoch nicht zu deren Besitz. Mit anderen Worten berief sich die protestantische Seite auf die souveränen Rechte des Monarchen (sogar zeitgenössische calvinistische Autoren wie Melchior Goldast verteidigten kaiserliche Interpretationen des deutschen Rechts), während die Habsburger diese Rechte der Römischen Kirche zugestanden. 61 Dieses Paradoxon wäre weder bei Ferdinand I. noch bei Rudolf II. auf Gegenliebe gestoßen und konnte, wie das Schicksal Klesls

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nahelegte, auch nicht lange aufrechterhalten werden. Es hielt gerade lang genug, um den Protestantismus als politische Macht in Mitteleuropa zu zerstören. Es ist hier nicht der geeignete Ort, den Aufstand und den Krieg von 1618—1620 zu untersuchen (obwohl diese zweifellos einer zeitgenössischen Untersuchung würdig wären). 62 Auch als Aufständische demonstrierten die Protestanten weiterhin dieselbe ungeschickte Mischung aus Entschlossenheit und Zögern wie früher, dasselbe Streben nach Neuerungen, die sie als historisch gerechtfertigt ausgeben. Wir können diese Unsicherheit beim Prager Fenstersturz selbst, dieser tragikomischen Scharade erkennen, als man hoffte, die beiden bedeutendsten Vertreter (Martinitz und Slavata) des Königs (Ferdinand II.) mit mittelalterlichen Mitteln aus dem Weg zu schaffen, eines Königs, der erst jüngst mit überwältigender Mehrheit gewählt worden war. Wir erkennen sie in den teils forschen, teils kleinlauten Rechtfertigungen des Aufstandes. Der radikale Inhalt vieler Pamphlete wurde von den protestantischen Führern abgeschwächt, die so die Unterstützung der Bewegung in der Heimat verringerten, ohne eine echte gesamteuropäische Begeisterung für ihre Anliegen zu entfachen. Nach der Enteignung der Jesuiten und anderer prominenter Katholiken beeilten sie sich, ein Programm religiöser Toleranz zu proklamieren. Dem Aufstand kam auch militärisches Glück zu Hilfe, das in der bekannten Episode gipfelte, als es dem Generalissimus der Aufständischen, Graf Thum, um ein Haar gelungen wäre, Ferdinand in Wien gefangenzusetzen, und man kühne Erwartungen hegte. Ferdinand wurde abgesetzt, und Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz nahm die böhmische Krone an. Gabor Bethlen, Fürst von Siebenbürgen, besetzte einen Großteil Ungarns. Doch obwohl sich schließlich so etwas wie eine große mitteleuropäische Konföderation bildete, war die Taufe von Ruprecht von der Pfalz, dem neugeborenen Sohn des neuen Monarchen, fast ihre einzige gemeinsame Aktion. 63 Spaltungen zwischen Lutheranern und Calvinisten, zwischen dem Adel und den Städten sowie das Fehlen einer wirkungsvollen ausländischen Unterstützung machten in der Folge einen bleibenden Erfolg immer unwahrscheinlicher. Unterdessen konnte Ferdinand, nachdem Matthias gestorben war und Klesl in einem Tiroler Kloster festgehalten wurde, seine eigenen Stützen herbeirufen: den Papst, Spanien und vor allem Bayern mit seinen wohlausgebildeten Regimentern unter Graf Tilly. Der Sieg einer internationalen katholischen Armee am Weißen Berg im November 1620 leitete eine dritte Phase der Gegenreformation ein. Ferdinand II., seit 1596 Herrscher in Innerösterreich, seit 1617 König von Böhmen, seit 1618 König von Ungarn und seit 1619 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war plötzlich Herr im eigenen Haus. Sowohl der Kaiser als auch der Papst sahen in der Schlacht eine durch göttliche Vorsehung bewirkte Rettung, und man maß der wundersamen Rolle eines gewissen Karmelitermönchs und anderen himmlischen Vorzeichen große Bedeutung bei. Dies sei die letzte in einer Reihe göttlicher Fügungen, nachdem Engel durch ihr Eingreifen zunächst Martinitz und Slavata bei deren Sturz vom Hradschin vor dem sonst sicheren Tode bewahrt hatten. 64 Tatsächlich umgibt die Schlacht am Weißen Berg sowie auch den Prager Fenstersturz ein gewisser Hauch des Absurden: ein zwischen Behelfsarmeen auf einem nichtssagenden Plateau unmittelbar westlich von Prag ausgefochtenes, eineinhalbstündiges Scharmützel. Ich

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habe bereits auf die Desorganisation unter den Protestanten hingewiesen, die schon lange bevor es überhaupt zu einem Kampf gekommen war herrschte. Unter entsprechender Führung hätten die Protestanten sogar in Böhmen noch lange danach Widerstand leisten können. Warum wurde dann aber dieser Kampf zu einem Wendepunkt? (Zumindest in diesem Sinn ist die traditionelle Bezeichnung „Berg" gerechtfertigt, da es daraufhin mit den Protestanten „bergab" ging). Die Antwort darauf liegt in der Reaktion des neuen Kaisers. Ferdinands politische Ansichten unmittelbar nach dem Weißen Berg lassen sich in einer einfachen Gleichung zusammenfassen: Protestantismus ist gleich Untreue. Dies war seine eigene Identifikation von Häresie mit politischer Opposition. Obwohl er eine starke Anhänglichkeit gegenüber einigen auserwählten Ratgebern zeigte, behielt er die Entscheidungsmacht dennoch fest in seinen Händen. Schon vor 1600 hatte er begonnen, eine Theorie des konfessionellen Absolutismus zu entwickeln. Der katholische Monarch muß, im Staube vor Gott liegend, absolute Macht über seine eigenen Untertanen haben. Die gesetzmäßige Auffassung, daß die Protestanten niemals wirkliche öffentliche Rechte erhalten hätten - eine Meinung, der er bereits in der Steiermark anhing - , wurde nun durch eine theokratische unterstrichen, daß nämlich die Protestanten überhaupt keinen Platz in der Gesellschaft hätten. Diese Überzeugung, so entwaffnend einfach, sollte die habsburgische Grundeinstellung bis tief in das 18. Jahrhundert hinein prägen. Die praktische Durchführung jedoch war bei weitem nicht so einfach und führte oft zu verblüffenden Ergebnissen. Vielmehr wurde eine Grundhaltung der Regierung präzisiert, die religiöser gegenüber politischer Einheit den Vorrang einräumte. Ferdinand II. bestimmte die Ziele, jedoch waren weder er noch seine Nachfolger, alles in allem genommen, in der Lage, die Mittel zu bestimmen. 65 Diese neue Einstellung brachte eine Wende mit sich, die schlagartige Folgen zeitigte. Sie versetzte den gemäßigten Protestanten in der gesamten Monarchie den Todesstoß. Häufig wurde deren um 1620 noch vorhandene Zahl von Historikern gewaltig unterschätzt. In den böhmischen Landen unternahmen einige der führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, allen voran Karel Zerotin, in letzter Minute verzweifelte Versuche, den Bruch zwischen den Ständen und der Krone zu kitten. Gleiches versuchten in Schlesien Johann Christoph von Brieg und Hans Ulrich Schaffgotsch. Unter dem österreichischen Adel kam es zu einer verheerenden Spaltung, da man sich in der Frage der Loyalität gegenüber Ferdinand nicht einigen konnte, und viele, wie ζ. B. Enenkel, verweigerten eine Auflehnung. Die lutherischen Stände der Steiermark verhielten sich überhaupt abwartend. 66 In Ungarn wurde die Tradition der Thurzos sowohl von einem weiteren Mitglied dieser Familie - Szaniszlo Thurzö, der 1622 zum Palatin gewählt wurde - als auch von so berühmten Staatsmännern wie Peter Revay aufrechterhalten, während unter den protestantischen Intellektuellen eine beträchtliche Bereitschaft zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts und zur Unterwerfung unter den Kaiser bestand. Selbst viele der führenden Persönlichkeiten, die 1620 Bethlen unterstützen - Imre Thurzo, Gäspär IIleshäzy, Ferenc Batthyäny und seine temperamentvolle tschechische Frau (eine lutherische Lobkowitz) - , hätten wohl jedes aufrichtige Angebot Ferdinands angenommen. 67

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Doch die Habsburger entschlossen sich, diese Basis des guten Willens zu zerstören. Die Säuberungen nahmen in Böhmen mit einer Vergeltungsaktion ihren Anfang. Im Juni des Jahres 1621 wurden 27 Anstifter des Aufstandes hingerichtet und sämtliche Besitzungen aller übrigen Beteiligten konfisziert. Das symbolische Zugeständnis der Kelchkommunion auch für Laien wurde nun sofort endgültig rückgängig gemacht, und bald folgten weitere Maßnahmen. Es gibt Beweise, daß bereits Pläne existierten, denen zufolge die Protestanten vor die Alternative gestellt werden sollten, entweder zu konvertieren oder ins Exil zu gehen. 68 Die ersten Angriffe richteten sich gegen die wahren „Sektierer", die calvinistischen Prediger, die zumindest implizit der Volksverhetzung beschuldigt werden konnten und die ab Ende des Jahres 1621 des Landes verwiesen wurden. Bald teilten auch lutherische Geistliche, trotz etwas halbherziger sächsischer Intervention, deren Schicksal, und nach drei oder vier Jahren gab es praktisch keine öffentlichen protestantischen Gottesdienste mehr. Im nächsten Stadium, das 1625/26 erreicht wurde, wurde durch Reformkommissionen und schärfere Formen der höheren Gewalt verstärkter Druck auf die Bewohner der Städte ausgeübt. 1627 schließlich erließ Ferdinand eine neue Verfassung, durch die ausdrücklich der Ein-Religionen-Staat errichtet wurde, und einige Monate später stellte die Regierung dem protestantischen Adel eine Frist von sechs Monaten, diese Verfassung entweder anzuerkennen oder das Land zu verlassen. Die bäuerliche Bevölkerung sah sich natürlich mit denselben Aussichten konfrontiert, mit dem Unterschied allerdings, daß die meisten überhaupt keine Wahl hatten. 69 Diese methodische Kampagne war jedoch nicht nur durch die Ereignisse auf dem Weißen Berg möglich geworden. Sie war auch eng mit den überraschenden militärischen Siegen der Habsburger in Deutschland während der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts verbunden. Die erste Welle von Ausweisungen fiel mit der Besetzung der Pfalz und der Schlacht bei Stadtlohn zusammen, die zweite mit Wallensteins ungestümem Vorstoß an die Küsten des Baltikums. Planung war jedoch nicht gleichbedeutend mit Ausführung. Die Gegenreformation stieß auf verschiedenste Reaktionen, von widerwilliger äußerer Zustimmung bis zu erbittertem Widerstand. Nach den Maßstäben der damaligen Zeit griff die Gegenreformation überall hart durch. Eine schlechtgeführte, auf den eigenen Vorteil bedachte Regierung unter Karl Liechtenstein gab kein Pardon, während sich in diesem Zustand tatsächlichen Kriegsrechtes eine schamlose Soldateska auf Kosten der gesamten Bevölkerung bereicherte. Dieses Jahrzehnt ist reich an Greuelgeschichten. 70 Das System traf die Wohlhabenden am härtesten, viele mußten ihre Güter für einen Hungerlohn verkaufen und sich vor den jeweiligen Machthabern in den Staub werfen. Die Städte büßten als juristische Personen für die Sünden einzelner Bürger. Sie verstrickten sich hoffnungslos in Schulden, da die verbleibenden Bürger neben den Strafzahlungen wegen der Beteiligung am Aufstand auch noch Kriegsabgaben leisten mußten. 71 In Mähren, wo Kardinal Dietrichstein sowohl die politischen Aktionen als auch die geistige Mission leitete, nahmen die Ereignisse denselben Verlauf. Der Tag der Abrechnung brach nun auch für die Protestanten der Erblande an. Oberösterreich, das unter Tschernembl mit Böhmen gemeinsame Sache gemacht hatte, galt gleichfalls als erobertes Gebiet und wurde dementsprechend behandelt. Die neue Politik, verschlimmert durch Exzesse der bayrischen Besatzungstruppen, führte 1626 zu ei-

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nem Bauernaufstand, der jedoch lediglich die Vertreibung aller Protestanten beschleunigte.72 Der innerösterreichische Adel hatte in der Zeit von 1619/20 nur vereinzelt Verhandlungen geführt, die geänderte Situation jedoch lieferte Ferdinand einen bestens geeigneten Vorwand, sein bereits dreißig Jahre zuvor begonnenes Werk zu vollenden. Zwischen 1628 und 1630 gingen rund 800 Adelige aus der Steiermark, Kärnten und Krain ins Exil. In Niederösterreich, wo sich die Mehrzahl der Stände loyal verhalten hatte, wurden die religiösen Zugeständnisse formell nicht widerrufen. Die Regierung wies jedoch Prediger aus, schloß die offizielle Gegenreformation in den Städten ab und übte im allgemeinen starken Druck auf den protestantischen Adel aus, um diesen dazu zu veranlassen, mit dem Strom zu schwimmen. 73 In Ungarn lagen die Dinge anders. Der konfessionelle Pluralismus ruhte hier auf verfassungsmäßigen Garantien, die nicht so einfach durch einen verständnislosen Herrscher zerrissen werden konnten - wie dies mit dem Majestätsbrief ja im wahrsten Sinn des Wortes geschah. Von größerer Bedeutung war jedoch, daß der ungarischen Opposition mit siebenbürgischer Hilfe eine erfolgreiche militärische Verteidigung ihrer Positionen gelang. In den Jahren 1620/21 kam es beinahe zu einem vollständigen Abfall, und Ferdinand konnte die Situation nur dadurch retten, daß er mit dem unberechenbaren Bethlen in Nikolsburg in Mähren einen ungünstigen Frieden schloß. In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts besserte sich die Lage dank der klugen Diplomatie seitens Esterhäzys, der 1625 Palatin wurde, und dank geschickt taktierender Prälaten wie etwa Miklos Dallos, dem Bischof von Raab. Nach zwei weiteren Feldzügen, die keine Entscheidung brachten, einigte man sich mit Bethlen auf einen modus vivendi, und sein Tod im Jahre 1629 erlöste die Krone von ihrem gefährlichsten Gegner. Inzwischen wurde in den von den Habsburgern kontrollierten Gebieten weiterhin eine inoffizielle Gegenreformation durchgeführt. Päzmäny machte seinen Einfluß geltend, um die königlichen Städte, vor allem die Hauptstadt Preßburg, und die Bergbaugemeinden Oberungarns zu veranlassen, katholische Räte zu wählen, und es gelang ihm und den Jesuiten, weitere Mitglieder des Hochadels für den alten Glauben zurückzugewinnen: György Zrinyi, Ädäm Batthyäny, Mihäly Kärolyi, Miklos Wesselenyi, Andräs Balassa und sogar die Söhne von Szaniszlo Thurzo. 74 Dieser zielbewußte Angriff auf die Häretiker führte zu einer Schlußfolgerung von großer Bedeutung: Katholizismus wurde mit Loyalität gleichgesetzt. Es besteht kein Zweifel über die Ergebenheit Ferdinand II. gegenüber seiner Kirche und deren geweihten Vertretern. Viele Berichte legen ein Zeugnis von seiner großen Frömmigkeit ab. Zu seinem morgendlichen Alltag zählten Meditationen, der Besuch zweier Messen sowie das fünfmalige Küssen des Bodens, in Gedenken an die fünf Wunden Christi. Er folgte stundenlangen Prozessionen, bei denen er eine Kerze trug und selbst bei strömendem Regen barhäuptig ging. Einige Monate vor seinem Tod ersuchte er seinen Beichtvater immer noch um die Erlaubnis, das Stundengebet vor dem Ankleiden auslassen zu dürfen, wenn er um vier Uhr aufstehen mußte, um zu einer Reise aufzubrechen. 75 Dieser Beichtvater, Guillaume Lamormaini, zählte zu den engsten Vertrauten des Kaisers, das ideale Beispiel eines fortschrittlichen, internationalen Jesuiten, der in allen Teilen der Monarchie gelehrt und eine bedeutende Rolle als Gegenreformator gespielt hatte. Als Gegenleistung für Ferdinands Gunst

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verkündete Lamormaini die katholischen Tugenden seines Herrn und setzte Geschichten in Umlauf, die von dessen Abscheu vor protestantischer Sünde, dessen Freude über eine Konversion, dessen Güte und Achtung vor dem Priesterstand und dessen Liebe zur Jungfrau Maria und allen Heiligen, der Eucharistie und der Dreifaltigkeit Zeugnis ablegen. 76 Diese Virtutes Ferdinandi II legten auch den Grundstein für einen bedeutenden dynastischen Mythos, die Pietas Austriaca, eine konfessionelle Neuinterpretation traditioneller Richtlinien einer weisen Regierung in Ausdrücken des Absolutismus des 17. Jahrhunderts. Der Glaube und die christlichen Verdienste des Hauses Österreich seit den Tagen Rudolf I. wurden sowohl als visuelle wie als literarische topoi zur Schau gestellt. Im Prozeß der Zerschlagung eines Großteils der unmittelbaren Feinde hatten die Habsburger offensichtlich ihre Seele wiedergefunden, mehr noch, sie hatten eine Ideologie gewonnen. 77 In den euphorischen zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts schienen Dynastie und Kirche die idealen Partner. Jedwede mitteleuropäische Opposition, mit Ausnahme Siebenbürgens, war eingeschüchtert und wirkungslos; katholische Heere unter Tilly und Wallenstein besetzten jene Teile Deutschlands, die nicht unter der Herrschaft genehmer Verbündeter standen; Kirchen wurden gleichzeitig in Rom und Prag Unserer Lieben Frau vom Siege geweiht (letztere ein erst jüngst von den Lutheranern in Auftrag gegebenes und nun konfisziertes Bauwerk); die neue Congregatio de Propaganda Fide befaßte sich mit der Verbreitung des Glaubens in den Habsburgerländern; der päpstliche Gesandte Carafa leitete die Aktionen der Gegenreformation, war dabei jedoch nicht ganz so allmächtig, wie er gerne behauptete. Priester, von denen viele den neuen Orden angehörten, strömten, ausgestattet mit kaiserlichen Privilegien und der Zusicherung von Gütern, nach Österreich und Böhmen. Den Jesuiten wurde freie Hand gelassen, die bestehenden protestantischen Erziehungseinrichtungen auszustechen und ihre eigenen Institutionen nach Belieben auszubauen. 78 Der geistliche Stand Böhmens, der im Verlauf der Hussitenkriege abgeschafft worden war, wurde wieder eingesetzt, ja mehr noch, es wurde ihm sogar ein gegenüber dem Adel bevorzugter Platz zugewiesen. Mit dem Restitutionsedikt von 1629, in welchem die gänzliche Wiederherstellung all jener Kirchengüter proklamiert wurde, die seit 1555 im Reich verlorengegangen waren, schien die gewagte Strategie überall siegreich zu sein. Die Harmonie der Interessen war jedoch äußerst fragil. „Alle Katholiken sind loyal": jeder Kaiser wußte, daß dies keinesfalls selbstverständlich war. So hatten in Ungarn seit 1604 auch Katholiken gegen die Habsburger zu den Waffen gegriffen, einige waren sogar in den böhmischen Aufstand verwickelt gewesen. 79 Vielmehr mußten die Katholiken von der Notwendigkeit zur Loyalität überzeugt und „Orthodoxie" in politische Verläßlichkeit umgedeutet werden. Langsam nahm eine Entwicklung ihren Fortgang, die die Situation der Jahre vor 1620 umkehren sollte. Als eine Art einheimischer habsburgischer Absolutismus seine Flügel auszustrecken begann, wurde das Papsttum in die Rolle eines unliebsamen Klienten gedrängt. Ferner hatte der militärische Vormarsch im Reich ein Ausmaß erreicht, das von der Dynastie unmöglich gehalten werden konnte. Bayern ging daran, unabhängige Ziele zu verfolgen. Wallenstein, der so und so kein Freund der Wiener Politik war und dar-

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über hinaus von persönlichem Ehrgeiz zerfressen wurde, war ein Dorn in den Augen der Kurfürsten, die 1630 seine Entlassung von Ferdinand erzwangen. Wallensteins Abtritt als diktatorischer Generalissimus wurde postwendend von Gustav Adolf von Schweden ausgenützt, dessen Heere erneut in die umkämpften deutschen Gebiete eindrangen. Auch diese Ereignisse zeigten sofortige Wirkung auf das heimische Geschehen. Es war schwierig genug gewesen, die Unzufriedenheit in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu unterdrücken, die in weitverbreiteten Bauernaufständen und einem koordinierteren Widerstand in den nordöstlichen Teilen Böhmens, Mährens und Schlesiens, ganz zu schweigen von Ungarn, zum Ausdruck kam. Nun strömten sächsischeTruppen und mit ihnen auch viele Emigranten nach Böhmen. Obwohl ihre Besetzung nur kurze Zeit dauerte (und den protestantischen Interessen eher abträglich war), brachte dieser Rückfall die tiefgreifenden Spannungen innerhalb der Regierung ans Tageslicht. Wallenstein, der zurückgerufen wurde, um die von den Schweden und ihren Verbündeten drohende Gefahr abzuwenden, überwarf sich mit dem Hof und schmiedete ein Komplott mit böhmischen Unzufriedenen. Päzmäny und Esterhäzy entzweiten sich, wenn auch weniger offen, wegen der gegenüber Siebenbürgen verfolgten Politik. Die Jesuiten und die älteren Orden zankten sich über Eigentumsrechte an Besitzungen und kämpften um die Früchte kaiserlicher Gunst. Der Papst mißbilligte Ferdinands Politik in Italien, und seine Statthalter waren sich über die beste Art der Bekehrung widerspenstiger Untertanen nicht einig.80 Alles in allem brachten die Ereignisse der frühen dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts einen großen und in gewisser Weise anhaltenden Rückschlag für die Hoffnungen des Kaisers. Dann aber schlug 1634/35 das Pendel erneut aus. In der Schlacht von Nördlingen verzeichneten der Thronerbe und sein spanischer Cousin einen persönlichen Erfolg und bereiteten den Weg für den Frieden von Prag, der - wie sein Name vermuten l ä ß t - für die vielen zur Unterschrift bereiten Fürsten wiederum eine Schlichtung der Angelegenheiten im Sinne der Habsburger darstellte. Die Dynastie mußte sich nun aber in Deutschland darauf beschränken, das Erreichte zu behaupten, und während sie dort weiterhin unrealistische Ziele verfolgte, konnte die Gegenreformation in der Heimat nicht abgeschlossen werden. 1637 starb Ferdinand II. und hinterließ seinem Sohn einen nur bedingt ausgeglichenen Haushalt. Die Passiva dieses Haushaltes, den Ferdinand III. erbte, sind leichter aufzuzählen. In der internationalen Arena sah er sich einer immer ungünstiger werdenden Situation gegenüber. Das geschwächte Königreich seines spanischen Cousins konnte das ehrgeizige Frankreich nicht länger niederhalten, während die schwedische Macht eine direkte und unmittelbare Bedrohung darstellte. Bayern und die katholischen geistlichen Kurfürsten waren unzuverlässig, den Lutheranern konnte man nicht trauen. Die habsburgischen Armeen zeigten sinkende Moral und geringe Führungsqualitäten, woran auch die Übergabe des Kommandos an den jüngeren Sohn Ferdinand II., Bischof Leopold Wilhelm, wenig änderte. Die Steuerlasten und Aushebungen in den eigenen Ländern des neuen Kaisers brachten eine Zeit allgemeiner Wirren mit sich, die sich durch weitere Invasionen bald noch verschlimmerten. Ohne Unterbrechung standen von 1639 bis zum Westfälischen Frieden feindliche Truppen in Böhmen und Mähren, und zeitweise waren diese Gebiete von

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ihnen regelrecht überflutet. Mit leichtem Hohn schlugen die Schweden in den vierziger Jahren ihr Hauptquartier in Leopold Wilhelms Bischofsstadt Olmiitz auf. Unruhe herrschte unter der ansässigen Bevölkerung, nicht nur in Ungarn, wo der zwischen 1643 und 1645 wieder aufflackernde Krieg gegen Siebenbürgen dazu beitrug, frühere Antagonismen erneut aufleben zu lassen, sondern auch in den benachbarten Gebieten, wie dem östlichen Mähren, wo die Bewohner des Walachischen Hochlandes niemals wirklich unterworfen wurden. 81 So blieb die tatsächliche katholische Reform weit hinter dem idealistischen Programm der zwanziger Jahre zurück, und zeitweise schien die Vorsehung die Habsburger gänzlich im Stich zu lassen. Just vor der verheerenden Schlacht bei Jankau 1645 wurde die dort aufgestellte Statue des hl. Wenzel zerschmettert in der Kirche aufgefunden. Die breite Masse der Bauern schwankte zwischen Auflehnung und Häresie. Während der letzten Kriegsmonate, wie der Prager Erzbischof Harrach heimlich nach Rom mitteilte, besuchten viele Bauern die von den Schweden geförderten, unter freiem Himmel stattfindenden lutherischen Gottesdienste. 82 Die Aktiva waren zwar weniger greifbar, jedoch ebenso real. Der bemerkenswert zielstrebige Aufstieg Ferdinand II. von einem unbedeutenden Erzherzog zu einem kämpferischen Kaiser hatte jene Voraussetzungen geschaffen, die es seinem intelligenten und etwas wendigeren Erben erlaubten, das Erreichte, sobald wieder Frieden herrschte, zu konsolidieren. 83 Auch wenn die Gegenreformation nicht abgeschlossen war, war sie doch auf dem besten Weg zur dominierenden Glaubensrichtung zu werden. Hof und Hofkanzlei sowie die Klöster und Universitäten trugen das Ihre dazu bei, Verwaltungsposten waren fast ausschließlich mit Katholiken besetzt, selbst in Niederösterreich, Schlesien und Ungarn. Vor allem aber hatte Ferdinand III. einen großen Vorteil: Seine Regierung verkörperte nun die einzig denkbare Ordnungsmacht in ganz Mitteleuropa und mußte bei all denen auf Zustimmung stoßen, die für Frieden und Wiederherstellung der Ordnung eintraten. Eine neue Generation war im Schatten der umkämpften Monarchie herangewachsen. Als der schwedische General Königsmarck 1648 die Altstadt von Prag belagerte, waren die Verteidigungsanlagen mit einer bunt zusammengewürfelten Auswahl grimmig entschlossener jesuitischer Professoren, Studenten, Mönche und Bürger besetzt, die in Marianischen Kongregationen und Fronleichnams-Bruderschaften organisiert waren. 8 4 Der schließlich in Münster und Osnabrück in Westfalen ausgehandelte Vertrag bestätigte die habsburgische Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Die Dynastie verlor ihre politische Vorrangstellung im Reich, als die ideale Einheit von Kaiser und Reich in ihre Bestandteile zerfiel. Dies war schon der unbewußte Tenor aller deutschen diplomatischen Aktivitäten im Verlauf der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts, die in der Einberufung einer Konferenz der einzelnen Staaten gipfelten. Daran konnte auch die Uberzeugungskraft von Ferdinands Bevollmächtigtem und Freund Maximilian von Trauttmansdorff nichts ändern. 85 Im Gegenzug jedoch gewannen die Habsburger die ungehinderte Souveränität über die Erblande und Böhmen sowie die Ausgangsposition für einen gleichartigen, aber langfristigen Anspruch in Ungarn. Der Grundsatz cuius regio, eius religio, bereits der tiefere Beweggrund für die Handlungen Ferdinand II. nach 1620, wurde nun formal sanktioniert. Mit geringen

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Ausnahmen in Niederösterreich und erheblichen Ausnahmen in Schlesien (wie auch in Ungarn, das jedoch keine Partei des Friedensvertrages war) hatte der Kaiser freie Hand, um die Verdrängung des Protestantismus abzuschließen, während andere deutsche Herrscher die konfessionelle Landkarte anerkannten, wie sie sich zum mühsam vereinbarten Ausgangspunkt 1624 darbot. Auf der anderen von uns untersuchten Front stellt vor allem das Jahr 1648 selbst, weit mehr noch als die damit in Zusammenhang stehenden früheren Ereignisse, einen Meilenstein dar. Während Wien einen so mühsam gewonnenen Frieden feierte, schleuderte der Papst - wie allseits bekannt - den Kirchenbann gegen alle Verantwortlichen. Warum eine derart scharfe Verurteilung? Es fällt heute schwer, im nachhinein das Ausmaß seiner Enttäuschung zu ermessen, doch lag der Grund hiefür im wesentlichen nicht bei den Protestanten, sondern in dem Konflikt zwischen Rom und dem Kaiser, als dem Führer der deutschen Katholiken. Selbst das Restitutionsedikt, das ohne lange Beratungen erlassen wurde, hatte zu Spannungen geführt. Nun sah der Papst seinen weltlichen Einfluß zu Gunsten eines Kaisers dahinschwinden, der den Bannfluch der Kurie mit gleicher Münze zurückzahlte. 86 Da Spanien, Frankreich und England bereits an verschiedene nationale Kirchen verloren waren, war Mitteleuropa die letzte große Chance Roms gewesen, politischen Einfluß außerhalb Italiens auszuüben. Nun hatte das schwindelerregende Programm, das dort seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts verfolgt wurde, sein großes Ziel verfehlt. Das Papsttum erhielt durch das Vordringen des Glaubens zumindest eine Entschädigung. Für die böhmischen und österreichischen Protestanten jedoch gab es überhaupt keine Entschädigung. Westfalen war ihr Todesstoß. Bis dahin hatten sie ihre Hoffnungen in die Schweden und andere Mitstreiter gesetzt. 87 Als die Rückkehr der Protestanten in ihre Heimat nicht mehr als Kriegsziel angesehen wurde, wurden die Erwartungen der im Exil lebenden Protestanten immer abenteuerlicher. Manche traten für eine irenische Lösung ein, andere glaubten den Prophezeiungen eines tausendjährigen Reiches, wieder andere wandten sich einer Art von globalem Mystizismus zu. Ein solches Verhalten war nicht nur eine Reaktion auf die Entbehrungen des Krieges, sondern auch das Ergebnis einer inneren Entwicklung, sozusagen ein letztes Stadium im Niedergang der mitteleuropäischen Reformation. Jan Arnos Comenius und seine politisch ausgeschalteten Kollegen suchten Zuflucht in Norddeutschland oder Holland, in England, Siebenbürgen oder Polen. Sie nahmen Bruchstücke des schwer beschädigten Erbes des Späthumanismus mit sich, eines Erbes, das sich in der eigenartigen „Rosenkreuzer"-Atmosphäre, einer Mischung aus Radikalismus und Passivität, widerspiegelte, die sich in den Jahren vor 1618 im protestantischen Deutschland breit gemacht hatte. 88 In Kapitel vier werde ich mich mit der Geschichte nach 1648 befassen. Doch bereits dieser skizzenhafte Abriß der Ereignisse seit 1600 hat mehr Fragen aufgeworfen als dadurch beantwortet wurden. Die erste Generation von Katholiken des 17. Jahrhunderts - hartnäckige Staatsmänner oder Geistliche (oder beides) - hat viel erreicht. Woher nahmen sie ihr Vertrauen, woher ihre Initiative? Gleiches gilt für die entsprechende Generation von Habsburgern. Waren ihre Siege, trotz der in den Jahren 1609 und 1619 gezeigten Schwäche, bloß das Ergebnis einer höheren

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Gewalt? Warum gelang es dem Protestantismus nicht, die Stände zu einen? Was geschah mit den Städten? Spielten die Bauern irgendeine bedeutende Rolle beim Ausgang dieser Krise? Inwieweit erfolgten Ubertritte zur Römischen Kirche, vor allem vor 1620, rein formell, inwieweit wurden sie erzwungen? Es ist nun an der Zeit, einige Überlegungen über den sozialen und geistigen Hintergrund Mitteleuropas während jener Epoche anzustellen.

KAPITEL 3

1600—1650: Die soziale und geistige Krise Die Jahrzehnte nach 1600 brachten in Mitteleuropa nicht nur einen militärisch-politischen Konflikt, sie waren auch Zeugen einer tiefergehenden materiellen und geistigen Krise. Die wirtschaftliche Depression zeigte früh den Umbruch an. Einige Ausformungen sind wohlbekannt: die Inflation im späten 16. Jahrhundert, die durch Ausgaben der Regierung noch verschärft wurde; spektakuläre Bankrotte in Süddeutschland und als Folge davon ein verringertes Kreditvolumen sowie Aufstände in den Niederlanden und in Frankreich, und auch im Reich rechnete man mit Unruhen. All dies zusammen untergrub das Vertrauen in die Zukunft und führte zu allgemeinen Schwierigkeiten im Handel. Die Länder der Habsburger waren besonders stark betroffen. Einige der kurzfristigen Ursachen waren auf den Krieg gegen das Osmanische Reich zwischen 1593 und 1606 zurückzuführen, der in Ungarn zu Verwüstungen, hohen Steuern, Abwertung und verringerten Ernten geführt hatte. Die größten Probleme mit längerfristigen Folgen ergaben sich jedoch gerade aus der vorhergehenden Ausweitung des Handels. Die mitteleuropäischen Länder waren gegenüber konjunkturellen Schwankungen besonders anfällig, nachdem sie in eine internationale Wirtschaft eingebunden worden waren, in der sie weder wettbewerbsmäßig noch geographisch eine starke Position einnahmen. 1 Wann und in welchem Ausmaß setzte nun diese Wirtschaftskrise ein? Dies ist eine äußerst komplexe Fragestellung. Vor allem dank der marxistischen Geschichtsschreibung verfügen wir heute über viel mehr klärende Schriften als früher, ein Konsens jedoch scheint gleich unerreichbar wie eh und je. Es kommt zunächst auf das Gebiet an, dessen Untersuchung man sich zur Aufgabe gestellt hat - so war die Situation in Böhmen günstiger als in Österreich und in Österreich günstiger als in Ungarn. Doch auch die Terminologie und die gewählten Schwerpunkte sind von Bedeutung. Eines ist jedoch, unabhängig davon, wie weit man die Vorläufer der Rezession zurückverfolgt und wie gewisse Sektoren (so wie in Deutschland) noch am Vorabend des Krieges florierten, sicher, nämlich, daß das Schicksal für die Unternehmer um 1600 eine verhängnisvolle Wende nahm. Der Bergbau, jener führende Industriezweig, veranschaulicht dies. Während der Silberbergbau in Böhmen und Tirol bereits unter der harten Konkurrenz der Neuen Welt zu leiden begann, kam nun auch die weitverzweigte steirische Eisenindustrie in Bedrängnis. Die Förderung am Erzberg, der zum Besitz der Krone zählte, ging stark zurück und bedrohte den Lebensunterhalt des in dem flußabwärts gelegenen Steyr blühenden Gießerei- und Hüttenwesens. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts sahen sich die Kupferminen in Oberungarn ähnlichen Schwierigkeiten gegenüber. Bald trugen der Krieg und die schwedische Konkurrenz zu ihrem Ruin bei. 2 Darüber hinaus bestanden auch über die Rolle der

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Gegenreformation in diesem Prozeß nie irgendwelche Zweifel. Die katholische Kirche verfolgte häretische Silberbergarbeiter in Schwaz und vertrieb Salinenarbeiter aus dem Salzkammergut sowie hartnäckig am Luthertum festhaltende Hüttenarbeiter in den Alpentälern. Ein Beispiel soll hier für viele andere stehen: Hans Steinberger, ein bedeutender Berater der Krone in Bergbaufragen der ganzen Monarchie, wurde 1599 von Erzherzog Ferdinand gefangengenommen, in die Verbannung geschickt und seine umfangreiche Bibliothek verbrannt.3 Die Gegenreformation ist hier eher ein Symptom denn ein Anlaß. Steinberger und seinesgleichen wurden ursprünglich zu Rate gezogen, um dem Niedergang, der vor allem die städtischen Gemeinden Mitteleuropas betraf, Einhalt zu gebieten. Die Rezession ließ das Pendel zum Nachteil der Städte ausschlagen, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts angewachsen, jedoch aufgrund der wirtschaftlich nicht gesicherten Situation besonders anfällig waren. Da sie weder über notwendige einschlägige Erfahrungen noch über ausreichende Kredite verfügten, waren sie in erhöhtem Maße vom internationalen Handel und Finanzwesen abhängig. Auch gelang es den Städten in den habsburgischen Gebieten nie, sich eine rechtliche oder konstitutionelle Grundlage zu schaffen, die es ihnen ermöglicht hätte, den im Spätmittelalter einsetzenden Handelsaufschwung zu bewältigen. Als sie sich nun wachsenden Schwierigkeiten gegenübersahen, hatten sie keinerlei politische Trümpfe zur Verfügung, die sie hätten ausspielen können. In Böhmen und Ungarn gab es zahlreiche privilegierte königliche Städte, die lediglich Untertanen der Krone waren, wir kennen sie vor allem unter den deutschen Bezeichnungen wie Kuttenberg, Neusohl, Pilsen, Kaschau usw. In Österreich gab es neben Wien, auf dessen besonderen Status ich später noch näher eingehen werde, auch andere, schon seit langem bestehende städtische Zentren.4 In jedem Land bildeten die Städte einen eigenen Stand und waren auch am Landtag vertreten. Im Lauf des 16. Jahrhunderts wurden jedoch keinerlei Fortschritte in Richtung Autonomie erzielt, ganz im Gegenteil, immer wieder wurden derartige Absichten vereitelt. Die Habsburger sahen die Städte als reine Einnahmequellen an, beuteten sie zu Steuerzwecken aus und zeigten auf der anderen Seite kein Verständnis für deren wachsende Probleme. Der Status einer Freistadt bedeutete lediglich Abhängigkeit gegenüber der neugegründeten Kammer und deren Beamten. Seit Beginn ihrer Herrschaft in Böhmen und Ungarn war die Dynastie bestrebt, die städtischen Privilegien einzuschränken und Ferdinand I. unternahm nach 1547, als die böhmischen Stände ihm während des Schmalkaldischen Kriegs - wenn auch zögernd - Widerstand leisteten, große Anstrengungen in diese Richtung. 5 Der Erfolg des von der Regierung auf die Städte ausgeübten Druckes - bemerkenswert im Vergleich zu den Mißerfolgen und dem hohen Maß an Unentschlossenheit auf anderen Gebieten war in erster Linie auf die Schwäche der Gegner zurückzuführen. Die Städte waren eine bunte Ansammlung teils größerer, vorwiegend jedoch kleinerer Gemeinden. Selbst Prag, die größte unter ihnen, war in vier verschiedene Städte aufgeteilt. Selten stimmten sie in ihren'Zielen überein, und selten zeigten sie Bereitschaft und Neigung zu Verhandlungen. Nur ungern bewilligten sie die Ausgaben für Delegationen, die an den Hof oder zum Landtag entsandt werden wollten. Schlimmer noch, sie sahen sich vom Adel im Stich gelassen, der keine Solidarität unter den weltlichen Ständen

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aufkommen ließ und den Bürgern nur eine unbedeutende Rolle in der Körperschaft mit ihren Kommissionen und Amtsinhabern zugestand. Bereits in einem früheren Stadium vermißt man sowohl hier als auch später in Fragen der Gegenreformation eine gemeinsame Front von Adel und Städten. 6 Der Herrenstand akzeptierte die These, daß die freien Städte der Kammer gehörten, da dies seinen eigenen wirtschaftlichen Vorteilen dienlich war. Er begrüßte nicht nur die Tatsache, daß die Städte einen überproportionalen Anteil an der Steuerlast trugen, er konnte auch auf Kosten der Städte Vorteile für sich herausschlagen. Der wichtigste Wirtschaftszweig für den Adel war die Bierbrauerei. Herrschaftliches Bier, das durch ein Netz eigener Schenken in den Dörfern vertrieben wurde, wurde während des 16. Jahrhunderts zur scharfen Konkurrenz der städtischen Brauer. In einigen Gebieten förderte der Adel das Handwerk, wie etwa das Textilwesen, die Töpferei, die Glasfabrikation oder die Metallverarbeitung und überwachte sogar den Bergbau auf den Eigengütern, indem er die Arbeitskraft seiner eigenen Bauern in Anspruch nahm, Handwerker aus anderen Gebieten anwarb und stets bemüht war, die Fertigungskosten der städtischen Produktion zu unterbieten. 7 Im allgemeinen bekämpfte der Adel die gesetzlich garantierten Handelsmonopole der Städte, wie die Bannmeile und anderes mehr. Die Städte leisteten so gut sie konnten Widerstand. Da ihnen aber ein starker Rückhalt im Landtag oder beim Monarchen fehlte, fochten sie einen aussichtslosen Kampf, um so mehr als sie ihre Gegner nicht mit gleichen Mitteln bekämpfen konnten. Als Konkurrenz zu einer freien Stadt konnte der Grundherr eine eigene, ihm untertänige Stadt setzen, die das Zentrum des Handels auf seinem eigenen Grund war, deren Einwohner in Verhältnissen ähnlich den meisten Stadtbürgern lebten, jedoch nur über äußerst rudimentäre Gemeinderechte verfügten. Solch ausgedehnte grundherrschaftliche Siedlungen wurden, auch wenn sie sich von Gebiet zu Gebiet geringfügig unterschieden und ihre Bevölkerung nur oberflächlich städtisch war, zu einem wesentlichen Bestandteil der wirtschaftlichen Verhältnisse in ganz Mitteleuropa. 8 Es gibt also - rufen wir uns den früheren Überblick über die Kultur des 16. Jahrhunderts in Erinnerung — zwei verschiedene Blickwinkel, aus denen wir die Städte, die um 1600 unter habsburgischer Souveränität standen, betrachten können. Von einer Richtung aus gesehen, deutet alles auf einen beträchtlichen Wohlstand und tatsächliche Vitalität hin: Zumindest Prag, Wien und Breslau waren auch im europäischen Vergleich große Städte. Mehrere andere Städte, vor allem in Böhmen, unterhielten ausgedehnte Verbindungen zum Ausland und vergrößerten sich bis zum Ausbruch des Krieges ständig. Selbst einige Städte auf verschiedenen herrschaftlichen Domänen schienen bereit, die Fesseln der Abhängigkeit abzuschütteln, ähnlich wie dies die königlichen Städte in den vorangegangenen Jahrhunderten getan hatten. 9 Von einer anderen Richtung aus können wir bereits jene Instabilität wahrnehmen, die alle städtischen Gemeinden im Verlauf des 17. Jahrhunderts in zunehmendem Maße schwächen sollte: Ab 1618 mußten sie Verfolgungen, Zerstörungen und Verschuldungen erdulden, und als sich ihre stark dezimierte Bevölkerung einer ständig steigenden Abgabenlast und behördlicher Einmischung gegenübersah, setzte ein stetiger Verfall der Städte ein. Straff organisierte städtische Verwaltungen überboten einander an Kleinlichkeit und im Mißbrauch der beschränkten Autono-

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mie, über die die Städte noch verfügten. Der Außenhandel hörte auf, die Kaufkraft verebbte langsam, und die Städte sanken hinter ihren malerischen, verfallenen Mauern in einen tiefen Schlaf, aus dem sie, im besten Fall, durch die Reden einiger kameralistischer Kommissionen ein Jahrhundert später wieder wachgerüttelt werden konnten. 10 Der wahre Grund jedoch lag tiefer: Die Städte Mitteleuropas waren nicht länger „bürgerlich". Sie verloren jedweden Anspruch, bestimmte bürgerliche Werte zu verkörpern und erschienen in einer organisch auf der Landwirtschaft basierenden Gesellschaft als Fremdkörper, ein Eindruck, der am meisten dort bestärkt wurde, wo Städter früher aus anderen Gebieten eingewandert waren und sich noch immer einer von ihrer Umgebung unterschiedlichen Umgangssprache bedienten, wie etwa in großen Teilen Nordungarns oder in Teilen des tschechischen Hinterlandes Böhmens. Im 17. Jahrhundert waren die städtischen Stände nicht genügend integriert, um auf nationaler Ebene selbst eine politische Rolle zu spielen und auch nicht unabhängig genug, um einen autonomen Status geltend zu machen. D i e Bürger konnten in der Verfassung nur als Gesamtheit Fuß fassen, ihre Forderungen nach Landbesitz oder Stimme im Landtag wurden kollektiv den Rechten eines einzelnen Adeligen angepaßt. 11 Und während ein Aristokrat sich unter privilegierten Bedingungen in einer Stadt niederlassen, dort in einem unbesteuerten „Freihaus" leben und sich als Herr über die ansässige Gesellschaft aufspielen konnte, suchten vereinzelt erfolgreiche Bürger (wie ein Eggenberg oder ein Henckel) ihrer Herkunft geradezu abzuschwören und Landedelleute zu werden - zumindest würden sie sich im 16. Jahrhundert so verhalten, bevor eine derartige Wendigkeit sich fast ausschließlich auf ausländische Bürger beschränkte. In den Habsburgerländern fehlten jene wappenführenden faineant Patrizier und jene Schatten früherer geistiger Lebenskraft, die ein Charakteristikum der fast ebenso heruntergekommenen Reichsstädte in Süddeutschland waren. 12 Zusammenfassend kann gesagt werden, daß es in der neuen Ordnung des 17. Jahrhunderts nur wenig Raum für die Städte oder für eine ernsthafte Nutzbarmachung der städtischen Ressourcen gab. Der durchschnittliche Bewohner einer Stadt wurde mehr oder weniger zum Bauern, der sich sowohl um seinen Kleinlandbesitz kümmerte als auch seinem Gewerbe nachging. Er war nicht in der Lage, Kredite aufzunehmen und lebte in ständiger Angst davor, daß sich die nächste kaiserliche Garnison hier niederlassen könnte. Ein zweiter großer sozialer Gegensatz trennte die Herren von den Bauern. Sowohl am Land als auch in den Städten waren die Verhältnisse den überwiegenden Teil des 16. Jahrhunderts hindurch noch einigermaßen stabil, und die große Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten barg Anzeichen einer allgemeinen Wohlfahrt. Die böhmischen Bauern nahmen zahlenmäßig zu und zahlten bescheidene Abgaben an die Grundherren sowie an die Regierung. Sie besaßen eine ansehnliche Menge an Kleidern und Möbeln, verfügten gemeinsam über einen beträchtlichen Besitz an Land und nahmen sogar regelmäßig heiße Bäder. 13 Nach den bewegten Zeiten, die in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichten, als die Ereignisse in Deutschland vor allem in Tirol gewisse Auswirkungen zeigten, schienen sich die Unruhen in Mitteleuropa weitestgehend auf Gebiete in Un-

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garn zu beschränken, wo die Türken eine ständige Bedrohung darstellten und die Erinnerung an den so blutig niedergeschlagenen Aufstand Dozsas im Jahre 1514 noch immer fortlebte. 14 Hier jedoch waren noch größere Veränderungen im Gange, die vor allem in der Zeit zwischen 1600 und 1650 deutlich wurden. Erneut erwuchsen sie aus wirtschaftlichen Möglichkeiten, nämlich der Ausweitung des Handels mit landwirtschaftlichen Gütern wie Weizen, Wein, Fisch, Rindern und Schafen - vor allem mit Deutschland. Das Entscheidende war nicht die Expansion als solche, die für den gesamten ländlichen Sektor einen Gewinn bedeuten konnte, sondern die vom Unternehmergeist eingeschlagene Richtung. Erst nach etwa 1570 kam es zu jenem großen Interessenkonflikt zwischen den Grundherren und den traditionell bäuerlichen Landwirten, einem Konflikt, der dadurch noch verstärkt wurde, daß sich die Geldrenten, die im Großteil der Monarchie die bedeutendsten Feudalabgaben darstellten, aufgrund der Inflation verringerten. Der Adel schlug verschiedene Wege ein, seine Position zu sichern. In Böhmen, jenem fortschrittlichen Gebiet, entwickelte der Adel eigene Techniken der Gutsverwaltung, um den Ertrag der Grundherrschaften zu erhöhen. Ausgebildete Verwalter wurden angestellt, um die Güter zu bewirtschaften und die Pächter zu überwachen, riesige Fischteiche wurden angelegt, um den berühmten heimischen Karpfen zu züchten. Der Adel unterstützte diese Aktivitäten durch die Schaffung von Handelsmonopolen, wo, vor allem in Brauereien und Destillerien, seine eigenen Ressourcen ausgeschöpft wurden. Seine eigenen Stadtgemeinden waren sowohl gegen die dörflichen wie auch gegen die städtischen Unternehmungen gerichtet. Wo immer es möglich war, fand der Adel die bäuerlichen Pächter ab und konfiszierten Gemeindeland und Rieselfelder. Um 1618 waren Familien wie die Smificky, die im Tal der Elbe ausgedehntes Land erworben hatten, zum Modell fortschrittlicher Landbesitzer geworden. 15 Ähnliche Methoden der Gutsherrschaft kamen auch in Österreich und Ungarn zur Anwendung, doch waren sie dort lediglich ein kleinerer Teil der Gesamtstrategie. In den Erblanden erreichte die Ausbeutung der Güter im allgemeinen nur eine Zwischenstufe (die von manchen als Wirtschaftsherrschaft beschrieben wird), wobei die Grundherren sich die bäuerliche Produktion zunutze machten und sie als ihre eigene vermarkteten. Einen noch schlimmeren Mißstand für die Pächter bedeutete die einseitige Abgabenerhöhung auf den Verkauf oder das Erbrecht der Pachthöfe sowie die noch effizientere Eintreibung anderer Belastungen. 16 Eine weitere Waffe in den Händen der Grundherren überall in den Habsburgerländern war die zwangsweise Arbeitsleistung, die normalerweise, wenn auch nicht ausnahmslos, unbezahlt war und die, bis sich schließlich der tschechische Terminus Robot allgemein durchsetzte, unter einer Reihe verschiedener Bezeichnungen bekannt war. Während die Robot in Böhmen und Österreich stark zunahm, fand sie ihre klassische Heimat in Ungarn, wo die landwirtschaftlichen Verhältnisse im großen und ganzen eher rückständig blieben. Aus Gründen, die noch keineswegs geklärt sind, begegneten die ungarischen Aristokraten der Bedrohung durch fallende Realrenten nach den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit einem drastischen Anstieg in der Inanspruchnahme der Robot, sowohl in Form der Feld- als auch der Hausarbeit. Auch waren sie die ersten, wenn auch nicht die einzigen, die die Zahlungen, die in Form von Natura-

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lien eingehoben wurden, erhöhten - vor allem des weltlichen Zehent (das „Neuntel") der Getreideernte. 17 Im 17. Jahrhundert hielt diese Entwicklung an, während, vor allem in Böhmen und Teilen Österreichs, Krieg und Verfolgung dazu beitrugen, die früheren Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten und innerhalb der Bauernschaft zu verwischen. Die breite Masse der ländlichen Bevölkerung fügte sich in eine - von Historikern heute oft so bezeichnete - „zweite Leibeigenschaft" (im Unterschied zur „ersten Leibeigenschaft" im frühen Mittelalter). Diese Bezeichnung hat zu großen Diskussionen geführt, die dieses Thema vielleicht gar nicht verdiente. Auf jeden Fall verschlechterten sich, mit Ausnahme der rein alpinen Gegenden, wo die Pächter über konstitutionelle Sicherstellungen verfügten, die Verhältnisse der Bauern so sehr, daß die Assoziation mit Leibeigenschaft nicht unangebracht ist. Dies wird auch durch eine wesentliche Begleiterscheinung der mannigfaltigen anderen Nöte bestätigt: die Einschränkung der ländlichen Bewegungsfreiheit. Vor 1600 unternahmen die Grundbesitzer gemeinsame Anstrengungen, die Bauern an die Scholle zu binden, obwohl schwer festzustellen ist, welche Erfolge sie dabei erzielten. In Ungarn erreichte die diesbezügliche Gesetzgebung auf dem Landtag des Jahres 1608 ihren Höhepunkt, als eine Abwanderung für all jene fast unmöglich wurde, die bereits Untertanen eines Herrn waren. Drastische Bevölkerungsverluste durch den letzten Türkenkrieg waren der entscheidende Anstoß zu solchen Verordnungen, und als nach 1620 ihre eigene Arbeitskraft abnahm, reagierten die Adeligen in Böhmen und Österreich in gleicher Weise und verschärften die bereits bestehenden Kontrollen des kommunalen und privaten Lebens ihrer Untertanen. 18 Der springende Punkt war die Idee der „Abhängigkeit". Wir täten falsch daran, uns die „zweite Leibeigenschaft" als rein ökonomische, oder selbst als ökonomischjuridische Größe vorzustellen. Die Bedeutung lag in der aufgezwungenen Autorität der Herrschaft, einem sowohl konkreten als auch abstrakten Begriff, der zugleich die traditionelle Einheit des ländlichen Gefüges wie auch eine Theorie der Gegenseitigkeit bezeichnete. 19 Während sich die Herrschaft im Verlauf des Mittelalters als komplizierter Nexus von Rechten und Pflichten zwischen dem Schutzherrn und dem Geschützten entwickelt hatte, änderte sie nun, zwar allmählich, doch radikal, ihre Funktion und wurde zu einer Summe hierarchisch geordneter Beziehungen zwischen Herrscher und Beherrschtem in eng begrenzten und geregelten örtlichen Gemeinschaften umgestaltet. Einige dieser Beziehungen nahmen in erster Linie ökonomische Formen an. Das Leben der Herrschaft wurde in Registern und Sammlungen niedergeschriebener Verfügungen verwahrt, die (zumindest in Ungarn) als Urbarien bezeichnet wurden - für den Historiker wertvolle Quellen über das häusliche Leben, für den ungebildeten Bauern drückende und verwirrende Schriftstücke. 20 Andere Beziehungen waren rechtlicher Natur. Die adeligen Grundherren, die allein eine volle Herrschaft ausüben konnten, festigten ihre Position in der Jurisdiktion sowohl gegenüber den Pächtern als auch gegenüber der Außenwelt. Sie beherrschten die örtlichen Gerichte, die in den Dörfern oder Gutshäusern abgehalten wurden, und die alten kommunalen Institutionen verloren an Bedeutung, wobei der Vorstand des Dorfes und seine Beamten mehr und mehr zu billigen Dienern der Herren wurden, zu deren

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Aufgaben es gehörte, die Ordnung und die Hochachtung vor den Herren aufrechtzuerhalten. Es mag sein, daß ältere Verfahren überlebt haben, doch wurden sie von einem aristokratischen Ethos unterwandert, und die, die vergleichsweise am meisten darunter zu leiden hatten, waren jene, die sich am Rande der grundherrschaftlichen Gesellschaft an Privilegien klammerten: Weinbauern, Bergarbeiter, Schiffer, Waldarbeiter sowie das umherziehende Volk. Obwohl immer noch Freisassen im Forstgericht in Buchlau im romantischen Hochland Südmährens vertreten waren, sprach das Gericht nun ein normal herrschaftliches Recht, und ihr einziges verbleibendes Geburtsrecht war, daß sie in der Zeit, in der das Gericht tagte, von der Robot befreit waren. 21 Die Landtage verabschiedeten, oft ohne jegliche Berechnung des unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteils, viele gegen die Bauern gerichtete Gesetze, während der Einfluß der Habsburger praktisch zu vernachlässigen war, und von dem theoretischen Recht, bei ihnen Berufung einzulegen, wurde im 17. Jahrhundert offenkundig nicht viel Gebrauch gemacht. All dies ging Hand in Hand mit Sanktionen nicht wirtschaftlicher oder gesetzlicher, sondern sozialer und moralischer Natur. Neue Auffassungen in bezug auf Eigentumsrechte und geänderte Erwartungen auf beiden Seiten; die absolute Herrschaft des Herrn und seiner Werte (wie bequem und praktisch, daß seine Leibeigenen ohne ausdrückliche Erlaubnis keine Waffen mehr tragen durften!); die Ausweitung der Robot in unzähligen immer ineffizienteren und entwürdigenderen Arten. 22 Natürlich ist das Bild des ländlichen Raumes in ganz Mitteleuropa von verwirrender Vielfalt, und wir wissen noch immer allzu wenig darüber. Doch sollten wir es nicht zu schwarz malen. Der Historiker bäuerlicher Immobilität in Ungarn stieß hier auf eine überraschend große Zahl an Bauern, die nie an die Scholle gebunden waren. Josef Pekafs wundervolle Erinnerung an das Leben rund um Schloß Kost in den belaubten Bergschluchten des „böhmischen Paradieses" zeigt, wie sich die Pächter immer noch ein gewisses Maß an Würde und an Sicherheit des Erbteils bewahrten. Die Weistümer, jene bemerkenswerten Aufzeichnungen über das österreichische Gewohnheitsrecht, wurden weiterhin verkündet, bis ins 18. Jahrhundert hinein kodifiziert, und Fälle, die sich darauf bezogen, wurden vor den Dorfrichter gebracht. So war es sogar für einen Marxisten möglich, ganz allgemein die Existenz einer zweiten Leibeigenschaft zu leugnen. 23 Nichtsdestoweniger können wir um 1700 von einer ziemlich systematischen Unterwerfung und Verarmung sprechen. Die Mehrzahl der ungarischen Leibeigenen zählte eindeutig zu den adstricti glebae. Auf Kost scheinen die Verhältnisse viel besser als in den meisten anderen Orten gewesen zu sein. Die Weistümer konnten kaum mit den Interessen der Gutsherren in Konfikt geraten, die Zuständigkeit der Gemeinde erstreckte sich, selbst in den Erblanden, lediglich auf Nebensachen, und Dorfberichte wie die schlesischen Schöppenbücher weisen unmißverständlich auf eine Anleitung von oben hin. 24 Die unternehmensgleiche Führung der Güter war, wo sie überlebte — wie etwa auf einigen Rinder züchtenden Gütern in Ungarn oder auf den großen Gütern in Böhmen — schlimm genug für die Bauern. Noch schlimmer aber war die wirtschaftliche Depression, die durch Kriege und hohe staatliche Besteuerung noch verstärkt wurde. Die ländliche Gesellschaft wurde auf ein tieferes Niveau hinabgedrückt. Auf Wallensteins altem Erbgut Friedland waren beispiels-

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weise um 1680 fünfzig Prozent der Einwohner landlose zahradnici.25 Es gab nur zwei Auswege, den positiven des Aufstandes oder zumindest des Ungehorsams, und, sollte sich dies als hoffnungslos herausstellen, die Alternative der Flucht, wodurch die Obrigkeit sich jedoch in Gestalt einer ruhelosen Armee von Landstreichern dem gleichen Problem gegenübersah. Bis jetzt bin ich auf die Konfrontation zwischen Adel und Bürgern, und zwischen Adel und Bauern eingegangen. Eine dritte und letzte soziale Opposition erwuchs aus dem adeligen Stand selbst, die Konfrontation zwischen dem Hochadel und den übrigen Privilegierten. Die Zahl der wirklich reichen und bedeutenden Familien war selbstverständlich immer begrenzt gewesen. Sie verfügten in den verschiedenen Epochen des Mittelalters über großen Einfluß, niemals jedoch war dieser so groß wie in den bewegten Zeiten des späten 15. Jahrhunderts. Nun kam es zu einer grundlegenderen Entwicklung, die stark in den ökonomischen Gegebenheiten und der sozialen Überlegenheit wurzelte und auf Dauer eine Kaste von Aristokraten hervorbrachte, die nahezu alle politischen Stränge in Händen hielt und für die gegenwärtige Beweisführung von doppelter Bedeutung ist. Diese Aristokraten arbeiteten im allgemeinen eher mit als gegen den Souverän, und sie weisen auch eine Reihe gemeinsamer Charakteristika auf, die die stark unterschiedlichen Traditionen und Milieus, aus denen sie hervorgingen, zum Verschwinden bringen. Die Hocharistokraten profitierten am stärksten von den Entwicklungen des 16. Jahrhunderts. Die großen Güter boten ein breiteres Spektrum für eine Handelstätigkeit als die kleinen. Sie konnten, wo dies notwendig war, mit den Unsicherheiten des Marktes fertig werden und waren in der Lage, Bauern, die von weniger flexibleren Nachbarn geflüchtet waren, an sich zu ziehen. Die Aristokraten erfreuten sich aufgrund ihrer ranghöheren Stellung in der expandierenden Organisation der Stände und aufgrund einer ausreichenden Gewalt (wenn diese auch nicht überbewertet werden darf), eines politischen Gewichtes. Diese Gewalt ermöglichte es ihnen, Hand an einige wehrlose Kirchengüter zu legen. Sie übten eine gesetzliche Kontrolle aus, da jede wirksame Gerichtsbarkeit in ernsthaften Angelegenheiten Sache der Landgerichte war, die nur an größere Herrschaften angeschlossen waren. 26 Aus denselben Gründen verlor der niedere Adel zunehmend an Bedeutung. Einige wenige wichtige Familien stiegen aus dieser Klasse empor - wie die TrCka und Smificky, die Thurzo, Illeshäzy und Esterhäzy —, der überwiegende Teil aber verschwand oder fiel, vor allem in Böhmen, wo diese Entwicklung am schnellsten fortschritt, in Armut. In Ungarn, dessen niederer Adel weiterhin starken Einfluß in der Komitatsverwaltung und daher in gewissem Sinn auch auf das Herrschaftsgericht oder iiriszek besaß, war die Situation am wenigsten eindeutig. Doch auch hier machten die Magnaten ihren Status geltend, indem sie am Landtag des Jahres 1608 als eigene Kammer anerkannt wurden und eine große Klientel an Gefolgsleuten und privaten Soldaten aufbauten. 27 In ganz Mitteleuropa legten die neuen prunkvollen Schlösser mit ihren prächtigen Arkaden Zeugnis von den Werten der Renaissance ab und bestätigten gleichzeitig auch die in kultureller und intellektueller Hinsicht wachsende soziale Kluft. 28 Eine Art aristokratischer Elite hatte daher gegen Ende des 16. Jahrhunderts ei-

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nen starken Zulauf. Wer konnte ihr also tatsächlich angehören? Hier lag breiter Raum für Zufälle. Im großen und ganzen waren dies nicht die bedeutendsten Familien des Mittelalters. Von diesen waren einige ausgestorben, entweder mit einem Schlage, wie die welkende Blüte der ungarischen Ritterschaft, die am Schlachtfeld von Mohäcs niedergemetzelt worden war, oder sie schwanden dahin, wie die österreichischen Schaunberg oder die böhmischen Rosenberg. Andere, wie die mächtigen Herren von RoZmitäl und Pernstein, vermochten es nicht, sich anzupassen, bis sie schließlich unter einem Schuldenberg zusammenbrachen. Einige eher mittlere Familien verzeichneten einen Aufstieg: Landadelige, die ihre Chance im Auge behielten und denen auch das notwendige Glück nicht versagt blieb. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür sind die aus Kroatien stammenden Batthyäny, die entlang der ungarisch-österreichischen Grenze einen Komplex an Gütern erwarben: Güssing im Jahre 1524, Rechnitz und Schlaining in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts, Körmend im Jahre 1604 und Bernstein im Jahre 1644. 29 Die Gunst der Habsburger war offensichtlich ein zusätzliches Zufallselement. So konnte die Dynastie ein öffentliches Amt, finanzielle Unterstützung oder Prestige (wie dies etwa Ferdinand I. für seinen Protege Ferenc Batthyäny tat) anbieten. Ihre Rolle war allerdings auf die einer Geburtshelferin beschränkt, indem sie einen Trend verstärkte, der ihr die Loyalität jener Günstlinge sicherte. Sie trug wenig dazu bei, Hochzeiten anzuregen (auch wenn sie solche wohlwollend zur Kenntnis nahm), die über die Grenzen hinweg eine „habsburgische" Aristokratie verbinden sollten: die Zrinyi mit den Rosenberg und Kolovrat, das Haus Lobkowitz mit Batthyäny, Hoyos, Starhemberg und Salm, die Familie Stubenberg mit Kinsky, Smificky, Erdody und die Pälffy mit den Fugger, Mansfeld, Puchheim . . . 30 Wieder einmal hatte das 16. Jahrhundert einen Prozeß in Bewegung gesetzt, der seinen Abschluß in den Jahrzehnten nach 1600 finden sollte, als die Möglichkeiten für die neue Aristokratie, vor allem in Böhmen und Mähren, zu einer wahren Flut anwuchsen. Hier umfaßte der Herrenstand um 1650 lediglich 85 Familien, denen ganze 62 Prozent der Bauernschaft unterstanden. In Ungarn unterhielten allein die Batthyäny eine Garnison von etwa 800 Soldaten, und der Verbrauch von Schloß Güssing belief sich auf 200.000 Laib Brot und mehr als 100.000 Liter Wein jährlich.31 Unsichere Zeiten erlaubten es einigen wenigen Karrieristen, ihre Familien auf die höchsten Sprossen der Leiter zu hieven, so etwa Karl Liechtenstein, Zdenfek Lobkowitz und dessen Sohn, Franz Dietrichstein, Martinitz und Slavata. Hinzu kamen noch ein oder zwei echte Emporkömmlinge: Eggenberg, Esterhäzy und—in seiner einzigartigen, eruptiven Art - auch Wallenstein, dieser ehrgeizige Sproß alten tschechischen Adels. Wer immer sich mit dem 18. Jahrhundert oder auch mit der Monarchie des 19. Jahrhunderts beschäftigt, stößt immer wieder auf diese Namen. Wiederum trieb die Politik der Habsburger die Entwicklung voran, indem sie ihre traditionelle Großzügigkeit ausdehnten. Die Mittel waren Armeekommanden und Hofämter, konfiszierte Güter und die in noch nie dagewesenem Umfang erfolgenden Nobilitierungen in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Sie trieben diese Entwicklung voran, aber sie verursachten sie nicht. Dieses Faktum wird durch ein weiteres Element des Triumphs der Hocharistokraten historisch belegt. Es ist dies die Einrichtung eines Erbsystems, das die Kontinuität der großen

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Güter und ihrer Eigentümer von Generation zu Generation sicherte. Während sich die Habsburger, ähnlich den herrschenden Fürsten in Deutschland, nur zögernd dem strikten Prinzip der Primogenitur im eigenen Haus zuwandten, bedienten sich die Mächtigen unter ihren Untertanen in der Monarchie eines entsprechenden Rechtsmittels, des Fideikommisses oder Majorats, das sich nach 1600 vom Mittelmeerraum ausgehend über ganz Mitteleuropa verbreitete und dadurch die frühere Unsicherheit des gewohnheitsmäßigen Erbrechts, besonders unter den Slawen, beseitigte. 32 Jedes Fideikommiß mußte vom Monarchen gebilligt werden - insofern konnte die Dynastie dem Hofadel ihre Gunst bezeugen - , seine Basis jedoch waren das bestehende Vermögen und der Status des Anwärters. Ab der Zeit der Herrschaft Leopold I. gab das Fideikommißgut innerhalb der Welt der Herrschaft den Ton an. Es ist ein bezeichnendes Detail, daß der Leibeigene nun gezwungen werden konnte, auf jedem Gut seines Herrn, und nicht nur an seinem Wohnsitz, die Robot zu verrichten. 33 So wurde das zeitweilige Gleichgewicht zwischen Monarch und Ständen, das das Zeitalter des Humanismus im 16. Jahrhundert ermöglicht hatte, nicht so sehr durch irgendeine zentralistische Politik des ersteren, als durch sich ändernde Machtverhältnisse innerhalb der letzteren erschüttert. Die divergierenden Interessen der Hocharistokraten machten sie geneigt, neue Verbündete zu suchen. Einerseits wandten sie sich wieder an die katholische Kirche, jenen Großgrundbesitz, der gegenüber der zunehmend heftigen Opposition ihrer weltlichen Mitstände einen Zufluchtsort bot. Die katholische Nobilität - fast ausnahmslos Aristokraten - von der vor 1600 nur mehr klägliche Uberreste existierten, wuchs rasch an. 1631 konnte Päzmäny ein kleines Handbuch über „bestimmte Gründe, welche viele führende Männer dazu bewegt haben, an den Busen der Römischen Kirche zurückzukehren" veröffentlichen 34 (Dieses Thema wird in Kürze behandelt). Auf der anderen Seite lehnten sich sowohl Hochadel als auch der führende Klerus vor allem im Verlauf jener ersten beiden gefährlichen Jahrzehnte des 17. Jahrhundets an die Dynastie an. Historiker waren seit jeher verwirrt ob der herausragenden Bedeutung jener Jahre des Bruderzwists, doch waren sie sicherlich die Rettung der Habsburger. Diese politische Krise erwies sich nämlich als Katalysator für eine neue Einstellung, die die Unentbehrlichkeit der Habsburger deutlich werden ließ. Die Kaiser wurden durch ihre eigene Schwäche gerettet, eine Behauptung, die nur dann paradox erscheint, wenn man die Habsburger als Herren des Schicksals Mitteleuropas betrachtet und nicht als Zentrumsbauern eines Schachspiels, die immer nur über eine begrenzte Autorität zur Lösung von Problemen verfügen. Daher beweist auch die Ähnlichkeit der Entwicklung in den verschiedenen Gebieten der Dynastie keineswegs einen uniformen Absolutismus, sondern vielmehr die Einheitlichkeit der zugrundeliegenden Voraussetzungen in den verschiedenen Teilen der Monarchie. Diese Ironie wird noch deutlicher, wenn wir uns in Erinnerung rufen, daß Rudolf II., abgesehen da-; von, daß er der ineffektivste aller habsburgischen Herrscher war, auch die geringste) Vorliebe für eine überhebliche Aristokratie hatte. Es war wahrscheinlich Rudolf, der seitens seiner Familie einer anderen Option im sozialen Gefüge am nächsten kam. Er förderte Mitglieder des Kleinadels, lebte ständig im vitalsten städtischen Zentrum seines Reiches und gestattete in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts sogar ernsthafte Verhandlungen mit den unzufriedenen Bauern. 35 Doch dies waren

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nur halbherzige Gesten. Die Habsburger schufen sich keine alternative Stütze ihrer Macht, und nach 1620 nahmen sie, nachdem sie sich aus der Sackgasse, in welche sie Rudolf und Matthias geführt hatten, befreit hatten, die von der neuen Aristokratie angebotene dauerhafte Allianz an. In der Zwischenzeit versank der Rest der Gesellschaft in einem Gefühl der Passivität, das von Phasen aktiver Revolte unterbrochen wurde, Revolten, die letztlich nur zu einer Festigung der herrschenden Allianz führten. Angehörige des niederen Adels und die entfremdeten Städte hatten kaum Erfolgschancen, obwohl die Gewalttätigkeit der Städte einen Teil der Krise nach 1600 ausmachte und wir mit einiger Berechtigung beide Elemente mit dem böhmischen Aufstand von 1618 und parallelen Strömungen im übrigen Raum der Monarchie in Verbindung bringen können. Zu einem Aufruhr kam es in Prag erstmals während des Einfalls von Passau im Jahre 1611 und erneut dann nach dem Prager Fenstersturz. Über das Ausmaß des Brodeins unter der Oberfläche des städtischen Lebens können wir nur Vermutungen anstellen. Selbst Wien war nicht zur Gänze unterwürfig. So stieß die Flucht der kaiserlichen Familie im Jahre 1683 aus der Stadt auf weitverbreitete Ablehnung. 36 Die Ereignisse des Jahres 1618 sind ähnlich schwer zu bewerten. Die Rädelsführer des Aufstandes waren keineswegs ausschließlich verarmte Ritter oder unzufriedene Händler—man denke nur an den unermeßlich reichen Smificky oder den vornehmen Schlick. Und nur wenige waren durch und durch Calvinisten. Nichtsdestoweniger spielten diese Gruppen eine entscheidende Rolle, besonders als der Aufstand zunehmend radikaler wurde. Sie waren es, die bereit waren, sich auf das pfälzische Abenteuer einzulassen, obwohl sie gerade dadurch ihre Operationsbasis verhängnisvoll schwächten. Zu den 27 im Jahre 1621 auf dem Altstädter Ring in Prag hingerichteten Verrätern zählten 17 Bürger, sieben Ritter und nur drei Hochadelige. 37 Nur in Ungarn konnten der niedere Adel und die städtischen Festungen des Calvinismus, wie das radikale Großwardein, durch eine unbeständige Allianz mit den Fürsten von Siebenbürgen, die eine solide Autorität und eine günstige Verhandlungsbasis boten, ihre Politik des Widerstands fortführen. 38 Die größere Gefahr lag in den Bauernaufständen. Letztlich war jedoch auch die ländliche Rebellion nicht in der Lage, sich dem Griff der neuen herrschenden Klasse zu entziehen, da sie, abgesehen von ihrem Mangel an einem inneren Zusammenhalt, üblicherweise sogar unzufriedene Ritter und Bürger gegen sich aufbrachte, die um ihr verbliebenes Eigentum fürchteten. Doch zeichnete sie das Gespenst der völligen Anarchie an die Wand und erreichte, immerhin bezeichnend, nach einer Phase verhältnismäßiger Ruhe während eines Großteils des 16. Jahrhunderts, ebenfalls in den Jahren um 1600 das Ausmaß einer Epidemie. Besonders eindruckswoll ist diese Entwicklung in den Erblanden, wo eine wachsende Unzufriedenheit zunächst in Oberösterreich und Krain zu isolierten Gewaltakten und dann zwischen 1594 und 1597 zu gemeinsamen Aufständen der Bauern in Ober- und Niederösterreich führte, die sich einer beachtlichen Sympathie seitens der örtlichen Städte erfreuten. Die von Panik erfaßten Grundherren übten strenge Vergeltung. 39 Gleiches geschah in Ungarn, wo ebenfalls nur eine oberflächliche Ruhe herrschte. Die Gedanken von Dozsas „Kreuzfahrern" lebten fort und erhielten zusätzliche

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Nahrung durch Armut, Plünderungen und den visionären Protestantismus. Sie führten um 1570 zu einer ersten Welle des Aufruhrs von Kroatien bis zum geheimnisvollen „Schwarzen Mann" von Debrecen. 4 0 In den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts brachte der wieder aufgeflammte Krieg gegen die Türken Unheil. Nicht nur in Form von Belastungen durch das Militär und durch die Aushebung von Rekruten (Faktoren, die zur Erhebung in Österreich beitrugen), sondern in vielen Gebieten auch durch völlige Verwüstung. Tausende von vertriebenen Bauern und enttäuschten Soldaten zogen als Banden von „Haiduken", irregulären Söldnern, durch das Land und entwickelten ihre eigene Ideologie des Widerstands. Das Ende des Krieges führte nur zu weiterem Unheil. In einem Anfall unkontrollierter Wildheit, der an die russische Zeit der Wirren erinnert (mit der er auch exakt zusammenfällt) unterstützten die Haiduken zunächst Bocskais Aufstand und rebellierten ein weiteres Mal, um ihre eigene persönliche Freiheit zu sichern. Ihre Gewalttätigkeit trug vielleicht mehr als alles andere dazu bei, die Habsburger und die bedeutendsten ungarischen Adeligen zusammenzuführen. 41 Böhmen blieb etwas länger von ernsthaftem Drangsal verschont, obwohl sich auf den großen Gütern gelegentlich Zwischenfälle ereigneten, wie etwa der Konflikt eines Dorfbewohners namens Kubata mit den Herren von Neuhaus, der in der Erinnerung der tschechischen Bevölkerung einiges Aufsehen erregte. Aber Böhmen war führend in dem Crescendo nach 1618. Ein „Klagelied des arbeitenden Volkes", herausgegeben im „bewegten Jahr 1620", zeigt bereits den Grad des Unmuts über die ständig steigenden Abgaben an. Im Lauf des nächsten Jahrzehnts brachte der Volksaufstand bleibendes Chaos über ganze Gebiete, vor allem im Nordosten. 42 In Oberösterreich brach 1626 mit Unterstützung einiger Städte und sogar Adeliger ein wahrhafter Bauernkrieg aus. Dieser wurde schließlich mit bemerkenswert abscheulichen Mitteln niedergeworfen. Doch nur sechs Jahre später lebte er wieder auf, als ausländische Feinde der Habsburger in greifbare Nähe kamen. Das nördliche Ungarn erlebte 1631—1632 eine Flamme des Aufruhrs, als die Leibeigenen sowie die Bewohner kleiner Städte in den Weinbau-Domänen entlang der oberen Theiß die Folgen des neuen ökonomischen, sozialen und religiösen Systems voll zu spüren bekamen 4 3 Ab 1648 zeigte, wie wir noch sehen werden, diese neue Ordnung ein höheres Maß an Stabilität. Ihre Grundfesten jedoch waren gerade in den ländlichen Gebieten, mit denen sie sich so entschieden identifiziert hatte, noch unsicher. Noch kam es in Österreich und Westungarn vereinzelt zu Aufständen. Weiter im Osten erhielt der Groll der Leibeigenen und Haiduken neue Nahrung durch politisch Unzufriedene und ging in die nächste Phase des militärischen Kampfes gegen die Habsburger über 4 4 In Böhmen brachte das Jahr 1680 den bislang größten Aufruhr, eine Kampagne, in deren Verlauf es zu Petitionen und vor allem passivem Widerstand unter der Führung eines Schmieds aus Friedland kam. Nachdem diese Revolte in gewissem Ausmaß beinahe das halbe Land erfaßt hatte, wurde sie rasch mit sinnloser, aber kennzeichnender Grausamkeit unterdrückt. 45 Der Bauernaufstand stellt so den Gegenpol zur Welt der Gegenreformation und der gefestigten Herrschaft dar, unter welche sich zu unterwerfen jeder einzelne durch die neue Obrigkeit gezwungen wurde. Zwei Fälle sind besonders aufschlußreich. Die Walachen, jene halbnomadischen

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Grenzsiedler im bergigen Ostmähren, wurden durch eine Reihe heftiger militärischer Offensiven in den dreißiger und vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts auf den Status der benachbarten Leibeigenen gedrückt. Die Choden, ein ihnen vergleichbarer Stamm im äußersten Westen Böhmens, die über ausgedehnte traditionelle Privilegien verfügten, wurden in ähnlicher Weise teils durch Schikanen, teils durch Waffengewalt ihrer Privilegien beraubt, was jene schließlich in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu einem letzten großen Aufstand veranlaßte. 46 Mit ihrer Forderung nach Konformität beschwor die Obrigkeit auch eine neue Art der bewußten Non-Konformität herauf, eine entwurzelte und völlig verarmte ländliche Bevölkerung. Ein erstes Anzeichen für diese Entwicklung sind die Haiduken. Als Opfer endloser Kriege und wirtschaftlicher Unterdrückung wurden sie zu einem Kennzeichen der ungarischen sozialen Landschaft. Ihre Zahl belief sich bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auf etwa 100.000. Einige erwiesen sich als unentbehrlich, indem sie, zumindest so lange, bis ihr Sold auslief, in den Diensten der Habsburger und Aristokraten kämpften. Andere stiegen, zumindest für eine gewisse Zeit, in die Ränge des niederen Adels auf. Die Mehrzahl jedoch zog als unstete und unzuverlässige Schar durch das Land und war jederzeit bereit, die Arbeit als Taglöhner mit einem Leben als Landstreicher und Volksverhetzer zu tauschen. Die Kriege des späten 17. Jahrhunderts, die erneut für viele Bauern in Ungarn den Ruin bedeuteten, verschlimmerten ihre Situation lediglich und leiteten das klassische Zeitalter der Banditen ein, sei es der betyär in den Wäldern nördlich des Plattensees oder der zbojnik der Karpaten. 47 Auch in Böhmen und Österreich beunruhigte die Ausbreitung der Armut Beobachter bereits vor 1600 und nahm nun, in einem Zeitalter des Kampfes und der Wirren, eine neue Dimension an. Wahrhafte Heere gefährlicher Vagabunden rotteten sich zusammen, wie die petrovSti genannten Banden, die nach 1648 wiederholt von der böhmischen Regierung verboten wurden. In Schlesien wurden Henker ausgesandt, um diese dingfest zu machen, und die zuverlässigere Bauernschaft lebte in Angst vor Brandstiftung und Überfällen. 48 Das eher kleine Kloster Baumgartenberg in Oberösterreich empfing 1696 mehr als 3000 Bettler, und insgesamt gab es in dem kleinen Gebiet achtmal so viele freiwillig oder unfreiwillig sozial Ausgestoßene. Ähnliche Zahlen könnten auch in den meisten anderen Teilen der Monarchie ermittelt werden, wo die örtlichen Beamten ständig zum Einschreiten gegen Banden von Verbrechern und Taugenichtsen gezwungen waren. 49 Der Staat der Gegenreformation trat mit einer aus Furcht resultierenden Unbarmherzigkeit den Unruhen von unten entgegen. Daneben lancierte er eine gleichartige Kampagne, um eine weitere Art des Andersdenkens zu bekämpfen, die geistigen Stützen des Widerstandes, die aus einem intellektuellen Pluralismus und aus humanistischer Skepsis erwuchsen. Regierung, Adel und katholische Kirche unternahmen auf dieser Front vor 1620 uneinheitliche Vorstöße, die später dann koordiniert und ausgeweitet wurden. In erster Linie waren sie gegen das Bildungs- und Druckereiwesen gerichtet. Hauptziele waren die beiden alten Universitäten von Prag und Wien. Das Prager Carolinum wurde ab 1609 auf ausdrücklichen Wunsch der Stände, die über seine

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potentielle Bedeutung wohl unterrichtet waren, in eine aggressiv protestantische Stellung genötigt. Mit der Schlacht am Weißen Berg brach diese Stellung mit ebensolcher Vollständigkeit wieder zusammen. Seine jesuitischen Konkurrenten nahmen es sofort gewaltsam unter ihre Fittiche und bewirkten einen entschiedenen Bruch mit seiner hussitischen Vergangenheit, den auch alle nachfolgenden Zänkereien unter den Katholiken über die Kontrolle nicht wieder rückgängig machen konnten. In Wien setzte der Umsturz früher ein, als nämlich Klesl versuchte, jesuitische Lehrer unterzubringen und weitreichende Verwaltungsreformen vorschlug. Das Programm des stürmischen Priesters wurde dann von seinem kaiserlichen Gegner durchgeführt, und nach 1620 vereinigte Ferdinand II. die Universität unter Leitung der Jesuiten mit der jesuitischen Akademie. 50 Die bestehende höhere Bildung in den Habsburgerländern mußte nicht nur gezähmt, sondern auch ausgeweitet werden und an die Stelle des im humanistischen Zeitalter so üblichen Studiums im Ausland treten. Bis 1600 blühten bereits jesuitische Universitäten in Graz und Olmütz. Danach kamen weitere Gründungen in Tyrnau (das im Gebiet jenseits der Leitha die Rolle von Graz übernahm) und Innsbruck hinzu, sowie universitätsgleiche Einrichtungen in Linz und Kaschau und ein vor allem in Österreich und Böhmen dichtes Netz von Kollegien. 51 Lediglich die Ungarn bewahrten sich, abgesehen von einer gewissen Freiheit zu reisen, in den zunehmend eingeengten und defensiven calvinistischen Akademien und einigen wenigen lutherischen Gymnasien eine bescheidene alternative Bildungsmöglichkeit. In den übrigen Gebieten wichen die protestantischen Institutionen zur Gänze dem neuen System, und der Bildungsstandard der Gesamtbevölkerung, vor allem in den Städten, sank. Auf Pfarrebene dürfte dieser Rückgang weniger stark zu spüren gewesen sein, obwohl es zur Abrundung dieses Bildes praktisch keine eingehenden Untersuchungen gibt. 52 Noch aufschlußreicher ist das Schicksal des Druckereiwesens. Wie bereits bekannt, nahmen die Gebiete der Habsburger sowohl an den intellektuellen Diskussionen im Reich wie auch später dann an den konfessionellen Auseinandersetzungen während der bitteren Jahre nach 1600, vor allem über die Jesuiten, regen Anteil. Eine Flut von Büchern und Pamphleten, deren Schärfe ständig zunahm, überschwemmte Mitteleuropa mit einer Vielzahl unterschiedlicher Meinungen. Das Hauptaugenmerk galt Böhmen, wo das Rudolfinische Prag ein vielschichtiges polyglottes Publikationswesen gefördert hatte. Einige Buchdrucker zeigten zunehmend offene Sympathie für die protestantische Causa, namentlich Samuel Adam Veleslavin (der Sohn des bedeutendsten humanistischen Verlegers des Landes) und Daniel Karl von Karlsberg. 53 Darüber hinaus entwickelte sich ein lebendiges Druckereiwesen in den einzelnen Ländern, so ζ. B. der Betrieb des Henik Waldstein und seines Assistenten Andreas Mizera in Dobrowitz oder jener des Martin Kleinwechter, der zwischen 1614 und 1620 mehr als 60 Werke in Königgrätz herausbrachte. Die gebotene Kost war zum Teil entschieden kühn und beißend. Ein Zeugnis hievon liefert die um 1600 erschienene Lazeh SpanSlskä, eine Satire über den Untergang der spanischen Armada. Die westungarischen umherziehenden Drucker, wie Johann Manlius und sein Nachfolger Imre Farkas, waren ähnlichen Sinns und brachten für ihre protestantischen Auftraggeber einen nicht enden wollenden Strom an kontroversiellen Themen hervor. 54

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Diese Entwicklung erreichte während des böhmischen Aufstandes und des ersten Feldzuges des Gabor Bethlen ihren Höhepunkt. Der Krieg zog eine Unzahl von bedeutenden Pamphleten nach sich, die von Nachrichtenblättern und Proklamationen bis zu Aufrufen mit allen emotionalen Registern reichten. Sie umfaßten besonders Rechtfertigungen der Stände und Schmähungen der katholischen Vorherrschaft, die meist Autor und Erscheinungsort verschwiegen oder ein so offensichtlich falsches Impressum wie „Zaragoza" trugen. In ganz Westeuropa suchte man nach Unterstützung durch Intellektuelle. Das Jahrzehnt vor 1620 erlebte tschechische Übersetzungen von John Jewel, William Perkins, Savonarola, De Dominis, Duplessis-Mornay oder Calvins Institutiones. Ubersetzt wurden auch Ausgaben der Klassiker der alten böhmischen Freiheit, die Verfassung Karl IV., Dalimil's „Chronik", die Geschichte der Hussiten. 55 Solche Literatur bedeutete eine offenkundige Bedrohung der Ordnung, und die Regierung bemühte sich verstärkt, sie auszuschalten. Von Anbeginn an waren Konfiskation und Bücherverbrennung die Methoden der österreichischen Gegenreformation. Bischof Brenner hat hier seinem Namen in der Tat alle Ehre gemacht. 56 Der erste bedeutende Vorfall in Böhmen ereignete sich 1602, als ein unbedeutender Autor und Verleger, genannt Sixt Palma Moöidlansky, ins Gefängnis geworfen und wegen des Verfassens von Flugblättern gegen die katholische Kirche und die Dynastie verbannt wurde. Im Jahre 1615 hatten Waldstein und Mizera wegen der Veröffentlichung einer politischen Schmähschrift vieles zu erdulden. Dann, nach 1620, ergab sich eine wirküche Chance für die Autoritäten und Ideologen der Gegenreformation: Carafa, Lamormaini und die Jesuiten sowie die Provinzkommissäre und alle übrigen nahmen die Gelegenheit wahr, nicht nur die Publikationen ihrer Gegner zu verbieten, sondern eigene herzustellen. 57 Zweifellos wünschten sie ursprünglich zu überzeugen, sie beeilten sich sogar für die habsburgische Causa satirisch Partei zu ergreifen. Die wirksameren Waffen jedoch waren plumper (wie dies andere zeitgenössische kirchliche Organisationen, so ζ. B. die Anglikanische Kirche, entdeckten). Der neuerstandene Katholizismus arbeitete mit Hilfe offizieller Druckereien, die eine monopolgleiche Stellung einnahmen, und unterdrückte jeden freien Buchmarkt. In Graz war bereits um 1600 die Widmanstetter Dynastie etabliert. In Wien waren Gregor Gelbhaar und Matthias Formica die einzigen bedeutenden Unternehmer, und ihre Betriebe wurden im Jahre 1640 vereinigt, als Cosmerovius von Gelbhaar die Funktion des Hofbuchdruckers übernahm und Formicas Witwe heiratete. 58 In Prag wurde die Druckerei des Veleslavin, des wichtigsten Druckers des Carolinums, konfisziert und verwandelte sich in ein streng kontrolliertes Jesuitenunternehmen. In Ungarn gründete die neue Universität von Tyrnau einen Verlag mit einer Ausstattung, die zum Teil auf Umwegen von den frühesten fehlgeschlagenen Versuchen Wiener Jesuiten, zum Teil über einen ergebenen und unternehmungslustigen königlichen Sekretär von einem berühmten Drucker des Rudolfinischen Prag stammten. Habent sua fata

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So erzwang ein System von Kontrollen sowohl von den Intellektuellen als auch von den unteren Schichten Konformität. Dies wurde noch durch die innere Disziplin der katholischen Kirche, vor allem der religiösen Orden, dieser führenden Schicht

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der Gegenreformation, unterstützt, die ihre eigene Zensur viel wirkungsvoller auf irrige Mitglieder anwandte, als dies einer weltlichen Regierung je möglich gewesen wäre. 60 Aber gerade so, wie die soziale Veränderung und der Zusammenbruch der Stände den Weg für ein Abkommen zwischen dem Hochadel und der Dynastie ebneten, so machten die Entwicklungen, die im 16. Jahrhundert ihren Anfang nahmen und später rasch voranschritten, auch die Intellektuellen zu einer freiwilligen Allianz bereit. Während es im Zeitalter des Humanismus und Protestantismus einen starken Zuwachs von an Universitäten ausgebildeten Bürgern gab, war diese Epoche zwar gerade noch in der Lage, eine neue gesellschaftliche Schicht hervorzubringen, jedoch nicht, diese vollständig zu emanzipieren. Wiederum sehen wir hier die schmale Grundlage der habsburgischen Renaissance, die in so hohem Maße von einer expandierenden Dynastie, vom Adel und deren Patronat abhängig war, um so mehr als die Städte daran scheiterten, dauerhafte materielle Unterstützung zu gewähren oder bürgerliche Werte beizusteuern. Welche Möglichkeiten gab es also unter diesen Umständen für einen ehrgeizigen Intellektuellen? Eine Möglichkeit war natürlich eine Karriere im Rahmen der Kirche und hier eher der katholischen als der protestantischen. Auf diesen komplexen Themenkreis werde ich später noch zurückkommen. Eindeutiger zu verfolgen sind die Art und Weise, wie sich die aufstrebenden weltlichen Disziplinen des Rechts und der Medizin an den Hof und den Adel anschlossen. In ganz Mitteleuropa ermutigte, wie bekannt, der Humanismus den Berufsstand der Juristen, die die römischen Verfahrensformen wiederentdeckten, schriftliche Protokolle und die detaillierte Beweisführung einführten, die von den komplizierteren Prozessen der Frühmoderne verlangt wurde. In den Habsburgerländern schienen die Rechtsgelehrten eine Zeitlang politisch fortschrittlich. Sie waren Protestanten, die von ihren Reisen ins Ausland moderne Ideen mitbrachten und die Verteidigung der Stände und Städte übernahmen. Beispiele sind die Wiener Schwarzentaler und De Rotis oder die böhmische Schule von VSehrd bis Kocin. 61 Um 1600 aber begann sich das Klima zu ändern, und eine andere Entwicklung bahnte sich an. Die gebildeten Juristen wandten sich verstärkt gegen das unlogische und widersprüchliche Gewohnheitsrecht und das traditionelle Wechselspiel der örtlichen Interessen, welches es widerspiegelte. Sie dienten nun, im allgemeinen als katholische Konvertiten, einzelnen Hocharistokraten, mit deren endlosen Rechtsstreitigkeiten, deren Landgericht und deren Fideikommiß. Vor allem dienten sie aber nun auch dem Herrscherhaus. Nicht nur konnten sie durch die habsburgischen Gerichte, vor allem durch den Reichshofrat, dessen Richterbank Doktoren vorbehalten war, und den 1548 gegründeten Appellationsgerichtshof in Prag, der zunächst vier, dann acht und schließlich zehn Doktoren beschäftigte und nach 1628 auch von all seinen adeligen Mitgliedern berufliche Qualifikationen forderte, zu Einfluß und hohen Ämtern gelangen, sondern auch im administrativen Bereich, etwa den Kanzleien (die letztlich auch in gewisser Weise juridische Funktionen ausübten), konnte ein juridisches Diplom sehr nützlich sein, 62 Einer der ersten, die mit der katholischen Ordnung Frieden schlossen, war Blotius' Freund Giffen. Andere folgten in den entscheidenden Jahren zwischen 1600 und 1630 oder 1640. Nehmen wir wahllos drei Beispiele heraus: Otto Melander (1571-1640), geboren in Hessen und ausgebildet in Wittenberg, der sich als lateini-

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scher Poet bereits einigen Lorbeer verdient hatte, war die graue Eminenz hinter der böhmischen konstitutionellen Revolution nach 1620; Matthias Prickelmayr (gestorben 1656), der Sohn eines Bauern, war während der Herrschaft Ferdinand III. österreichischer Kanzler; Isaac Volmar (1582-1662), aus einer schwäbischen protestantischen Familie, war eine Zeitlang Professor in Freiburg, beschloß sein Leben, wie Prickelmayr, als Freiherr und vertrat Österreich beim Westfälischen Frieden. 63 Mit Fortschreiten des 17. Jahrhunderts kamen diese erfolgreichen intellektuellen Juristen, wie etwa Melander, in zunehmendem Maße aus dem Deutschen Reich (auch auf diesen Punkt werde ich später noch zurückkommen). Einige fanden ihr metier im Wiederaufbau der juridischen Fakultät an den Universitäten in Wien und Prag bzw. im Neuaufbau solcher Fakultäten in Olmütz und Tyrnau. Abgesehen davon, daß sie zu schwierigen Fällen ihre Fachmeinung äußerten, waren diese dazu bestimmt, eine neue Generation von Rechtsgelehrten hervorzubringen, die der Kirche und dem Staat loyal gegenüberstehen sollten. Der Bayer Christoph Kyblin (1617-1678) beispielsweise, der für seinen Beitrag bei der Verteidigung Prags gegen die Schweden in den Adelsstand erhoben wurde, wurde zum führenden akademischen Rechtsgelehrten Böhmens. 64 Wir dürfen diese Situation nicht mißdeuten. Solche Persönlichkeiten erfreuten sich offensichtlich der Gunst der habsburgischen Regierung, die ihre Karriere erst möglich machte, und wurden, vor allem in den Kanzleien, gut bezahlt. Dieser Prozeß jedoch war ein zweiseitiger. Die Rechtsgelehrten wandten sich, wie die Aristokraten, der strengen höfischen Autorität als einem Ideal zu und formten dieses dann nach eigenem Gutdünken um. Indem sie sich dem System anschlossen, trugen sie zu dessen Funktionieren bei. Der Stempel, den sie den Formen der Rechtssprechung aufdrückten, unterstützte die Ziele der Regierung auf vielerlei Arten: Appellationsverfahren, Staatsanwälte, Kodifizierungsbemühungen. 65 Von wahrscheinlich nicht geringerer Bedeutung für die allgemeine Stabilität der Monarchie waren die entsprechenden, sehr langsam vor sich gehenden Veränderungen in den Grundbegriffen der Legalität. Ein charakteristisches Beispiel ist die Eliminierung der Fehde als einem legitimen Rechtsmittel, das, wenn auch nicht im selben Ausmaß, gleichermaßen den oberen und niedrigeren Schichten zur Verfügung stand. Die aristokratische Fehde, diese typische Facette im Mitteleuropa des 15. Jahrhunderts, wurde allmählich verdrängt. In den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts konnte Kaiser Maximilian II. den atavistischen Aufrührer Wilhelm von Grumbach bereits als einfachen Rebellen und Mörder brandmarken. Schon in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts gab es, dank der neuen Gefolgschaftsbindungen zwischen der Krone und den großen Vasallen, die Fehde im Reich, in Österreich und Böhmen überhaupt nicht mehr (ausgenommen vielleicht in der veränderten Form der in Kriegszeiten gestatteten Plünderung). Wie vorherzusehen überlebte sie gerade in Ungarn am längsten, in Ungarn, wo die Gefolgschaftsbindungen um so vieles schwächer waren. Dort konnte der bedeutende Aristokrat Imre Balassa der Regierung Leopold I. aufgrund des individuellen jus resistendi monatelang die Stirn bieten. Selbst nach den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts lebte die gerechte Fehde als ein kollektives de facto- Privileg des ungarischen Adels fort. 66 Auf niedrigerer Ebene berief man sich bis ins 17. Jahrhun-

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dert hinein innerhalb der Dorfgemeinschaften und auch gegen die Herren sporadisch noch auf die letzte Waffe der bäuerlichen Absage, doch da ihr die Obrigkeit die Rechtskraft raubte, wurde sie allmählich zu einer bloßen antisozialen Vendetta, obwohl Spuren dieses Geistes auf die aufstrebenden Volkshelden der rächenden Banditen übergingen. 67 Ein sprechendes Gegenstück zu dem Niedergang der Fehde ist der Angriff auf eine noch seltsamere Art der gewohnheitsmäßigen Selbsthilfe, die Schmähbriefe, die einen Missetäter, vor allem einen Schuldner, dazu bringen sollten, seine Schuld einzugestehen. Rechtsgelehrte und Kaiser verdammten gemeinsam diese traditionelle Praxis, die sowohl die ordnungsgemäßen Wege eines juridischen Rekurses als auch die Macht des Herrschers zur Zensur in Frage stellte. 68 Die gleiche Entwicklung wie bei den Juristen scheint sich auch bei den qualifizierten Ärzten vollzogen zu haben. Ich werde dieses Thema hier nur in einem kurzen Abriß behandeln, da die soziale Geschichte der mitteleuropäischen Medizin erst in ihren Kinderschuhen steckt. Auch die Doktoren der Medizin neigten im 16. Jahrhundert zu fortschrittlichen Ideen. Viele sogen den radikalen Aristotelismus Paduas in sich auf. Einer, Johann Jessenius, wurde zum obersten akademischen Wortführer des böhmischen Aufstandes, bis ihm schließlich 1621 die Zunge abgeschnitten und gevierteilt wurde. Danach zwang die veränderte Natur des Patronats sie in eine konservativere Rolle, die sie ohnehin in steigendem Maße zu begrüßen schienen. Erfolgreiche Ärzte konnten bis zur Mitgliedschaft in zwei einander überlappenden Körperschaften aufsteigen. Sie konnten in den Diensten des Hofes stehen, indem sie entweder die kaiserliche Familie selbst behandelten (als gut bezahlte Leibärzte) oder ganz allgemein die Hofbediensteten (als weniger gut bezahlte Hofärzte). Solche Leibund Hofärzte gehörten im allgemeinen der medizinischen Fakultät an, zu der darüber hinaus noch eine Anzahl unterrichtender Doktoren zählte — in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts waren es in Wien 35. 69 Der Hof und die Universitäten beherrschten gemeinsam die medizinische Praxis so vollkommen wie die höheren Juristen die Rechtspraxis, und ein System der Befehlsgewalt führte über beamtete Ärzte in den jeweiligen Gebieten bzw. Militärärzte bis zum örtlichen Apotheker und Bader. 70 Die führenden Ärzte waren sowohl einheimischen als auch ausländischen Ursprungs. Der einflußreichste Leibarzt aus der Zeit um die Mitte des 17. Jahrhunderts, Johann Wilhelm Mannagetta (1588—1666), beispielsweise kam aus einer Familie, die sich bereits in Niederösterreich etabliert hatte, und seine Nachkommen wandten sich, nachdem sie in den Freiherrenstand erhoben wurden, Diensten in der habsburgischen Verwaltung zu. Mannagettas Nachfolger in der öffentlichen Wertschätzung hingegen, Paul Sorbait, der Doyen der Wiener Fakultät, war der fünfte Sohn eines belgischen Holzfällers. Tatsächlich fanden Ausländer die Privilegien in einem zunehmenden Maße attraktiv. Zeugnis hiefür ist der Zustrom irischer Doktoren, wie Jacob Smith of Balroe, der ohne des Deutschen oder Tschechischen mächtig zu sein in Prag studierte, hier einen Lehrstuhl erhielt und den begehrten Posten eines Leibarztes erreichte. Was auch immer ihr Hintergrund war, die Angehörigen des medizinischen Berufsstandes schlossen sich der kaiserlichen Seite an, und wir werden sie in späteren Kapiteln unter deren intellektuellen Verfechtern wiederfinden. 71

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So weit haben wir zwei ineinander übergreifende Aspekte des neuen Systems illustriert, das unter den österreichischen Habsburgern im Lauf des frühen 17. Jahrhunderts Wurzeln schlug: einerseits langfristige materielle Interessen und andererseits Kontrollen. Es verbleibt aber ein weiterer Aspekt, der noch schwieriger zu analysieren ist: die geistigen und seelischen Faktoren, die die Menschen dazu bewogen, dem Staat der Gegenreformation zu dienen. Eine detailliertere Untersuchung der intellektuellen Welt des Katholizismus sei dem dritten Teil dieses Buches vorbehalten, doch muß bereits an dieser Stelle etwas über die tieferen Gründe für den Zusammenbruch der Protestanten gesagt werden. Es war dies keinesfalls bloß eine Geschichte von Unterdrückung und Exil, sondern, was im gegenwärtigen Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist, die Wiederbelebung der Loyalität zur Römischen Kirche stand auch in einem engen Zusammenhang mit der Furcht vor Anarchie und Extremismus. In den Jahren nach 1600 war der Protestantismus in dreifacher Hinsicht verwundbar, er konnte als entzweiender Faktor, als unhistorisch und radikal angesehen werden. Wie wir bereits im ersten Kapitel gesehen haben, war die bloße Tatsache, daß es in Mitteleuropa nicht eine einzige, sondern viele verschiedene Reformationen gab, von größter Bedeutung. Nun machten sich die negativen Seiten bemerkbar, als nämlich ein verschwommener, doch nahtloser Protestantismus mehreren scharf abgegrenzten und einander beschuldigenden Ausprägungen des Protestantismus wich, sahen sich die nicht engagierten Gemäßigten in einer schwierigen Lage. Eine Aufteilung in verschiedene kirchliche Körperschaften war 1617 (dem hundertsten Jahrestag des Wittenberger Thesenanschlages) mehr oder weniger besiegelt, 72 und dennoch verhinderten die vielen unterschiedlichen Meinungen innerhalb des Luthertums, des Calvinismus und der übrigen Erscheinungsformen des Protestantismus jedwede einheitliche Front, während die städtische Gemeinschaft, die bedeutendste Grundlage des protestantischen Zusammenhalts, allmählich aufhörte ein Aktivposten zu sein, als die Lebenskraft der Städte dahinschwand. Dies führt uns zur zweiten Schwachstelle, denn in dem gleichen Ausmaß, in dem das Pendel der Geschichte während des 16. Jahrhunderts zugunsten des Protestantismus ausschlug, schlug es in der nachfolgenden Zeit gegen den Protestantismus aus. Die Protestanten hatten die nach 1500 einsetzende Krise als Todeskampf einer korrupten Kirche hingestellt. Nun braute sich eine andere, nicht weniger ernste Krise zusammen, ohne daß die erste noch vollständig bewältigt worden wäre. Wenn der osmanische Vormarsch in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts den Zorn Gottes andeutete, warum konnte dann eine fortschrittliche Eliminierung der alten Bräuche diesen nicht besänftigen? Das Gleichgewicht in der Argumentation der Zeitgenossen, die über ein so viel größeres Geschichtsbewußtsein verfügten als die früheren Generationen, verschob sich angesichts einer neuerlich drohenden Türkengefahr und der allgemeinen Unordnung nach etwa 1590 erheblich. Viele Protestanten, vor allem Lutheraner, nahmen eher zu biblischen als zu praktischen Lösungen Zuflucht, zu Prophezeiungen und Mystik, zu Friedensutopien und den geheimnisvollen Offenbarungen der Rosenkreuzerbewegung. 73 Sie waren bestenfalls zu einem lediglich passiven Widerstand gegenüber den Angriffen der Gegenreformatoren fähig. Die alternative Antwort war der Kampf, und auch hier sind die Jahre um 1600

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ein Grenzstein, die letzte Phase in der humanistischen Emanzipation in den Habsburgerländern. Es wuchs eine Generation heran, die durch wahrhaft radikale Ideen aus dem Westen beeinflußt war, die durch die lebendige Atmosphäre an den Universitäten von Heidelberg, Altdorf, Herborn, Basel oder Straßburg vermittelt wurden. Wir finden nicht nur den säbelrasselnden Calvinismus eines (sagen wir) Tschernembl, sondern auch die anhaltende Propaganda der Arianer in Siebenbürgen und Polen. Luden solche Ideen nicht zur völligen sozialen Unordnung ein? Es war ein leichtes, allgemeine Unruhen mit häretischen Elementen in Verbindung zu bringen. Die Aufstände in Österreich in den neunziger Jahren des 16. und in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts verdankten einiges an ihrer Stärke den hartnäckigen und zwingenden Beschwerden von seiten der Lutheraner, so wie auch die Aufstände in Böhmen aus den vage wahrgenommenen hussitischen Traditionen schöpften. Und die extremeren Sekten, wie die Springerin Krain, die „Schwarzer Mann"-Bewegung in der ungarischen Tiefebene oder die Nikolaiten (MikuläSenci) (denen auch Sixt Palma angehörte) ermutigten jeglichen Nonkonformismus. 74 In Wirklichkeit jedoch spielten dererlei Dinge selten eine entscheidende politische Rolle. Die Bauern plünderten die Klöster vorwiegend, weil die Mönche sie materiell ausbeuteten, und Pastor MatouS Ulicky war im Jahre 1627 auch nicht der wahre Anführer der sans-culottes von Kourim. Was von Bedeutung war, war die Legende eines religiös inspirierten Aufstandes, die so viele Zeitgenossen durch Einschüchterung zu einem neuerlichen Überdenken der tröstlichen Wahrheiten der Römischen Kirche brachte. Kompromißlose Säuberungsaktionen der Gegenreformation in den Reihen der Wiedertäufer, „Rosenkreuzer" und ihresgleichen fanden weitverbreitete Zustimmung unter den Protestanten. 75 Die meisten mitteleuropäischen Konversionen, deren seelischen Hintergrund wir abwägen können, beruhten auf den eben angeführten drei Argumenten: der Protestantismus ist einseitig, innovatorisch und destruktiv. Natürlich waren dies nur Gemeinplätze der Gegenreformation, die mechanisch als topoi in den gedruckten Apologien wiederkehrten und manchmal von bedeutenden jesuitischen Polemikern wie Scherer, Päzmäny oder Jodocus Kedd den Konvertiten in die Feder diktiert wurden. Wären sie jedoch nicht für plausibel gehalten worden, hätte die katholische Kampagne nie Feuer gefangen. Manchmal sind auch die zugrundeliegenden Überzeugungen der Bekehrten zu erkennen, wie etwa in der tiefen Religiosität der letzten Gedichte Bälint Balassis oder in dem Selbstbewußtsein des höchst gelehrten Chorherrn Weissenstein in Klosterneuburg. 76 Am deutlichsten wird dies unmittelbar nach 1600 in Ungarn, wo die Aussichten des Katholizismus besonders düster waren. Päzmäny, der noch 1609 an dem hoffnungslosen Zustand der Kirche verzweifelte, konnte bereits zwei Jahrzehnte später seinem imaginären aristokratischen Gesprächspartner in Fragen der Unsicherheit, der unüberprüften Neuerung und der Spaltung des Luthertums und des Calvinismus eine Haltung zuschreiben, die in vielen umkämpften Burgen und Herrenhäusern den Klang der Wahrheit besessen haben dürfte. Und nicht nur hier. Der reformierte Geistliche Mihäly Veresmarty hat uns einen detaillierten Bericht über den „Seelenfang" hinterlassen, der ihn durch ein eingehendes Studium Campions und Bellarmins zu der gleichen Schlußfolgerung brachte. 77

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Ungarn ist auch bester Boden, um versuchsweise eine weitere Überlegung einzuführen, denn Ungarn war das letzte Gebiet der Monarchie, das noch in vollem Ausmaß an der Atmosphäre der Spätrenaissance teilhatte. Vielleicht haben letztlich der Charakter des Humanismus und des Manierismus, in deren spezifisch mitteleuropäischer Ausprägung, etwas mit dem schließlichen Wiedererstarken des Katholizismus in diesem Gebiet zu tun. Die Konvertiten zur Römischen Kirche hatten eine einsame und oft kühne Entscheidung zu treffen. In gewisser Weise entschieden sie sich jedoch, nichts zu verändern, d. h. sie hielten an einer Welt fest, die nun mit dem Protestantismus nicht mehr vereinbar schien. Das Wesen dieser Welt bestand (und ich vereinfache hier drastisch) in Ordnung und Einheit. Ordnung ist letztlich ein metaphysischer Begriff. Vielleicht übten die Wiederherstellung der Hierarchie und die Wiederbelebung scholastischer Methoden einen gewissen Eindruck auf die systematischen Humanisten aus, ebenso wie gerade das Studium des römischen Rechts, ganz abgesehen von der Qualität einiger der katholischen Kommentatoren, dazu neigte, sowohl geistige als auch materielle Voraussetzungen zugunsten der kaiserlichen Autorität zu schaffen. Sicherlich scheinen, auf niedrigerem Niveau, diese Jahre der Wirren die Rechtsgelehrten und Mediziner von den Verdiensten von Ordnung und Stabilität überzeugt zu haben. Gerade dieser Punkt wird durch ein kleines, vergessenes Werk eines gewissen Andreas Dalner „in inferioris Austriae Regimine advocatus" besonders beleuchtet, in welchem er 1599 das diabolische Übel der Volksverhetzung verdammte und dessen angemessene Bestrafung forderte. Ganz klar sieht er die öffentliche und private Gehorsamsverweigerung wörtlich als Werk des Satans an und macht viel Aufhebens um die jüngste Majestätsbeleidigung der Bauernführer. 78 Ordnung hatte auch eine ethische Seite, und die Suche nach Mäßigung und Gleichgewicht spiegelte sich in dem Kult des Stoizismus des späten 16. Jahrhunderts wider, jenem letzten großen Kompromiß der Renaissance zwischen christlicher und heidnischer Inspiration. Die stoische Moral der Disziplin und Resignation gewann in einem Klima der politischen Unsicherheit viele Anhänger. Ihre Botschaft der individuellen Unterwerfung unter einen starken, aber milden Herrscher vermochte es, all jene anzuziehen, die durch das in Brüche gegangene mitteleuropäische Gemeinwesen in Schrecken versetzt wurden. Diese neustoische Bewegung scharte sich um Lipsius, den inoffiziellen Präsidenten der literarischen Akademie, dessen Schriften über die Beständigkeit und die Staatskunst Dutzende von Auflagen erreichten. Einen besonderen Eindruck machten sie auf Ungarn, dessen Intellektuelle sich in den Tugenden der Gelassenheit und Selbstkontrolle im Kampf übten. Mehrere, wie Bocskais Anhänger Illeshäzy und Rimay, oder die Hofliteraten um Gabor Bethlen waren Protestanten. Die ersten magyarischen Ausgaben Lipsius' wurden von Bethlens Günstling Jänos Laskai übersetzt. 79 Als jedoch Lipsius selbst 1591 in den Schoß der Römischen Kirche zurückkehrte, fand sein neue Art der katholischen Andacht weite Verbreitung. Einige seiner Anhänger schlugen denselben Weg ein. Unter ihnen der gebildete Aristokrat Mihäly Forgäch, der, wie Päzmäny uns in einem für den Glauben werbenden Traktat berichtet, die Bibel, Calvins Institutiones und Lipsius' Politico beinahe auswendig kannte. Selbst Jesuiten freundeten sich mit dem Stoizismus an. Zeugnis hiefür liefert uns ein Band J.-B. Schellenbergs mit dem Titel „Seneca Christianus", der für einen weiteren aristokratischen Konvertiten,

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Ädäm Batthyäny, ins Ungarische übersetzt wurde. 80 Andere Anhänger zogen sich in eine verwirrte und unterwürfige Neutralität zurück, indem sie die Habsburger so lange wie möglich unterstützten. Gute Beispiele sind der Dichter Rimay sowie dessen hocharistokratischer Freund Revay. In allen Fällen war das Ergebnis ein fester theoretischer Standpunkt zugunsten der Achtung vor dem Fürsten und gegen eine Rebellion. Der Basilikon Doron des englischen Königs Jakob I. erschien bereits 1612 auf ungarisch, und Guevaras Horologium Principum, für Karl V. geschrieben, wurde sowohl von einem katholischen Aristokraten als auch von einem calvinistischen Pastor ins Ungarische übersetzt. 81 Die Aufrechterhaltung der Ordnung verschmolz in der Meinung der gebildeten Bevölkerung mit der Aufrechterhaltung der Einheit. Viele Humanisten fürchteten eine Zersetzung ihrer kosmopolitischen und lateinischen Werte, und um 1600 konnte die katholische Kirche bereits als deren bester Garant erscheinen. In einem Schreiben an einen schlesischen Freund verfaßte J. M. Wacker in Ausdrücken der geheiligten Einheit der Gelehrsamkeit eine typische intellektuelle Rechtfertigung seiner Konversion. 82 Einer der Hauptgründe, warum der Jesuitenorden in jener Zeit eine so große Anziehungskraft auf intelligente Jugendliche ausübte, lag zweifellos in der berauschenden Internationalität seiner Mitglieder. Die Eröffnung der Grazer Universität wurde mit Predigten in achtzehn verschiedenen Sprachen gefeiert, von denen vierzehn in der Muttersprache gehalten wurden. Am Prager Clementinum wurden vor 1618 nahezu ebenso viele Ausländer wie Tschechen unterrichtet. Unter den Mitgliedern des Kollegiums im weitentfernten Klausenburg fanden sich in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts achtzehn verschiedene Nationalitäten. Die mitteleuropäischen Karrieren einzelner Jesuiten wie Lamormaini und Hurtado Perez, Alfonso Carrillo und Martin Becanus, William Wright und Robert Turner bestätigten diesen Punkt auf das eindrucksvollste. 83 Eine derartige Migration (von 269 Professoren in Graz blieben lediglich vierzig bis zu ihrem Tode dort) unterstreicht das Fehlen kultureller Grenzen. Dies wurde dadurch unterstützt, daß den verschiedenen Volkssprachen in dem allumfassenden intellektuellen Gebäude stets ein, wenn auch nur untergeordneter, Platz zugestanden wurde. Und das Flair der Jesuiten beschränkte sich nicht auf Äußerlichkeiten. Eine wahrhaft humanistische Hingabe an die Klassik überlebte unter den Jesuiten im 17. Jahrhundert vielleicht besser als unter den örtlichen Protestanten, wie beispielsweise in dem Werk Bohuslav Balbins (dessen man sich so irreführend lediglich als eines böhmischen Patrioten erinnert) oder der ersten kritischen Ausgabe Cosmas' und Damians', den Patronen der Ärzte, die unter der Förderung J. W. Mannagettas 1660 in Wien erschien. 84 Auch Einheit besaß eine tiefere metaphysische Bedeutung, die in dem kosmologischen System der Renaissance mit seiner Annahme der Harmonie und der idealen Übereinstimmung und mit seinem Sinn für eine versteckte reale Welt eingebettet war, die erst durch Andeutungen und in der Symbolik zum Ausdruck kam. Hier haben wir möglicherweise die engste Verbindung zwischen der Krise des Humanismus und dem Entstehen einer neuen katholischen Geistesordnung, denn es läßt sich eine gewisse Kontinuität sowohl auf visuellem als auch auf literarischem Gebiet vom Manierismus des 16. Jahrhunderts bis zum Barock des 17. Jahrhunderts in den Ländern der Habsburger verfolgen. Dieses Thema ist, vor allem wenn man die verworrenen

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Umstände jener Zeit in Betracht zieht, sehr schwierig zu behandeln, und das Studium der Embleme, der Formen öffentlicher Schaustellungen usw. gehört in diesem Buch nicht zu unseren Hauptanliegen. 85 Es möge hier genügen, ein oder zwei Persönlichkeiten der Übergangszeit anzuführen: Christoph Lackner, einen Juristen und loyalen Bürgermeister in ödenburg, und den geachteten, aber schwermütigen Diplomaten Jänos Rimay, die beide produktive protestantische Autoren im komplizierten gebildeten Kanon des internationalen Manierismus waren, sowie ihre Zeitgenossen, die beiden katholischen Priester Mätyäs Nyeki Vörös und Bälint Lepes, die den Emotionalismus des Proto-Barock ausschöpften. Solche Beispiele sind vor allem in Ungarn zu finden, wo die literarischen Probleme des späten Humanismus in unseren Tagen immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. 86 Eine tiefverwurzelte Einheit, sei es im Weltbild des 16. oder des 17. Jahrhunderts, wurde nur durch die Zuflucht zum Okkultismus gewahrt, und dieses okkulte Interesse bildete, wie wir später noch sehen werden, den entscheidenden Bereich, in dem frühere mitteleuropäische Vorurteile vielmehr adaptiert als abgelegt wurden. Die Magie mußte in der Tat purifiziert und aufpoliert werden, so wie auch der Symbolismus, der die Habsburger der Renaissancezeit umgab, in der orthodoxen Gestalt der „Pietas Austriaca" wiederkehrte. Eine neue Synthese zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen wurde aus der religiösen und politischen Intoleranz heraus geboren. Doch werden wir auch weiterhin jenes alte Streben nach vollkommenem Wissen erkennen. Die Errungenschaften der habsburgischen Gegenreformation zwischen 1600 und 1650 waren vielleicht nicht gar so wunderbar, wie dies Enthusiasten vermuteten — ihre sozialen Determinaten und die materielle Unterstützung sind allzu deutlich. In jedem Fall waren sie zweifellos in starkem Maße von dem Glauben der Menschen an das Übernatürliche bestimmt.

KAPITEL 4

Die Konsolidierung, 1650-1700: Leopold I. und seine Monarchie Nach 1648 konnte die Gegenreformation in Mitteleuropa mit größerer Intensität auf einer stabileren Grundlage wieder aufgenommen werden und erfreute sich weiterhin der uneingeschränkten Unterstützung durch die Kaiser. Ferdinand III. war kein Freund großer Gesten, doch machte er kein Hehl aus seiner Hingabe an die neuen katholischen Ideale, vor allem die Verehrung der Gottesmutter. Als Dankopfer für die Befreiung von den Schweden ließ er auf Wiens prächtigstem Platz (Am Hof) eine herrliche Marienstatue errichten. Zur gleichen Zeit setzte er durch, daß alle Absolventen und Lehrer der Universitäten sowie alle Geheimen Räte einen Eid auf die Unbefleckte Empfängnis ablegen mußten. Solche Vereidigungen und die gesamte Entwicklung wurden unter seinem Nachfolger noch erweitert. 1 Leopold I., Ferdinands jüngerer Sohn, genoß eine Erziehung, die ihn darauf vorbereiten sollte, das geistige Erbe seines pluralistischen Onkels Leopold Wilhelm zu übernehmen. Als er aber als unerfahrener Jugendlicher unvermutet die Rolle des Kaisers übernehmen mußte, offenbarte er eine tiefe Religiosität, die in der Tat mit dem Ruf seines Großvaters wetteifern konnte. Er verrichtete Werke der Nächstenliebe, wobei er vor allem die Armen auf das reichlichste bedachte, er stattete den Klöstern seiner Hauptstadt drei- bis viermal pro Woche einen Besuch ab, an jedem Festtag wohnte er mehreren Gottesdiensten bei und nahm in den Tagen davor und danach an besonderen Litaneien teil, er unternahm regelmäßige, im voraus angekündigte Pilgerreisen zum Heiligtum der Jungfrau Maria in Mariazell.2 Wahre Demut spiegelt sich in Leopolds handgeschriebenem eigenen Gebetbuch wider („Domine Dominantium, qui me vilem et ingratum prae tantä hominum multitudine elegisti, et ovibus tuis dilectis imperare et praeesse voluisti. . ."), und die einfachen, ebenso persönlichen Predigten eines gewissen Domenico Signorini geben in etwas ungeschliffener, doch wortgewandter Weise Zeugnis von der frommen, ja sogar erhebenden Atmosphäre der Hofkapelle. Der Kaiser schenkte den Worten seiner Prediger stets große Beachtung, so jenen von Pater Boccabella in der Frühzeit seiner Regierung, der ihn über den Tod seines kleinen, erstgeborenen Sohnes hinwegtröstete oder später dann jenen des polternden Marco d'Aviano. 3 Unter der Ägide Ferdinand III. und Leopolds entwickelte der Katholizismus einen für die Friedenszeit charakteristischen modus operandi, wobei man sich die in Böhmen nach der Schlacht am Weißen Berg gemachten Erfahrungen zunutze machte. „Reformationskommissionen", die zu gleichen Teilen aus Priestern und Beamten bestanden, zogen in Begleitung von Soldaten durch die Lande. Diese Soldaten sollten die Bevölkerung in erster Linie abschrecken und nicht züchtigen, obwohl sie

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zweifellos gelegentlich, und dies vor allem in Böhmen, auch dazu eingesetzt wurden. 4 Die Kommissäre befahlen der Bevölkerung, sich der Kirche zu unterwerfen, und forderten hiefür auch Beweise in Form der berüchtigten Beichtzettel, die an jene verteilt wurden, die die verpflichtende Osterbeichte abgelegt hatten. Diese Beichtzettel, wenn auch faszinierende Quellen für den Historiker, geben sicherlich keine verläßliche Auskunft über das tatsächliche Ausmaß an Religiosität, um so mehr, als sie breiten Raum für etwaigen Betrug boten. 5 Sie waren, kurz gesagt, eine grobe Ungerechtigkeit, welche vor allem die unteren Schichten in Mitleidenschaft zog. Die Auswirkungen in den Städten waren unterschiedlich, und der Adel wurde mit größerer Toleranz behandelt, da die öffentliche Gegenreformation bei ihrer Durchsetzung auch auf die individuellen Aktivitäten bereitwilliger katholischer Grundherren angewiesen war. In Niederösterreich gab es, vor allem weil sich der Adel hier persönlicher Glaubensfreiheit erfreute, noch immer eine große Zahl von Häretikern. Als die Regierung 1652 das Recht des Adels, nicht katholische Gefolgsleute anzustellen, beschnitt, bezeichneten sich 235 Angehörige der Stände selbst als Protestanten. Der Wiederaufschwung des Katholizismus schritt nun rüstig voran. Für die Kampagne im nordwestlichen Teil des Landes verfügen wir über eine faszinierende Quelle. Hier verzeichnete eine Kommission unter dem Abt von Altenburg und unter Baron Windhag innerhalb von zwei Jahren über 22.000 Konversionen (wir erfahren sogar die Namen der Konvertiten) - in einigen Pfarren gab es bald mehr neue Anhänger des katholischen Glaubens als ehemalige Gläubige. 6 Mittlerweile brachten die böhmischen Behörden ihre ganze Überredungskunst auf, um die Bevölkerung für den Katholizismus zu gewinnen, ohne dadurch dem wirtschaftlichen Leben einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zuzufügen und ohne die Bauern zu einem Aufstand oder zur Flucht zu veranlassen. Zwei Protagonisten der Gegenreformation in den fünfziger Jahren waren Veteranen der Kriegszeit: Ernst Harrach, seit 1623 Erzbischof von Prag, ein wirkungsvoller und unverwüstlicher Prälat, sowie dessen fähiger Freund, der Kapuziner Valerian Magni. Dieser widmete sich unermüdlich der Organisation der Mission und behielt doch gleichzeitig noch verschiedene andere Karrieren im Auge. Der dritte in dieser Gruppe war ihr Generalvikar Juan Caramuel Lobkowitz, dieser halb spanisch-, halb tschechisch-stämmige Mönch, der einerseits äußerst zielstrebig war, andererseits auf Förmlichkeiten keinen großen Wert legte. 7 Während eine neue Flut taktischer Pläne und Befehle ihre Tatkraft bezeugt, wird dadurch auch der anhaltende Bedarf nach einer Führung offenkundig. Harrachs vertraulicher Bericht nach Rom aus dem Jahre 1657 zeichnet ebenso wie die schriftlichen Berichte seines Proteges Maximilian von Schleinitz in Leitmeritz das Bild einer immer noch vernachlässigten und verarmten Kirche. Der Protestantismus wurde in den Untergrund getrieben, es war jedoch nicht leicht, ihn völlig zu verscharren. 8 In den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde die Aufmerksamkeit verstärkt nach Osten und Norden gelenkt, nach Mähren, wo der Bischof von Olmütz Gruppen von Priestern aussandte, um die Häresie auf seinen Gütern auszumerzen, 9 und vor allem nach Schlesien. Schlesien stellt einen Sonderfall dar. Die Gegenreformation wurde hier ebenfalls von militanten Katholiken lange geplant und während der ersten Hälfte des Jahrhunderts Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt.

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Es kam zu zeitweiligen Verfolgungen auf den königlichen und bischöflichen Gütern und zu einer krassen Bevorzugung katholischer Beamter. Zunächst führte dies zu anhaltenden Beschwerden seitens der Protestanten, und erst nach 1650 wurden wirkliche Erfolge erzielt. Trotz nomineller Garantien an die schlesischen Lutheraner im Westfälischen Frieden kam es jetzt in den von den Habsburgern kontrollierten Erbherzogtümern (Glogau, Schweidnitz-Jauer, Oppeln-Ratibor) zur Schließung von 600 lutherischen Kirchen. Die Verhängung von Geldstrafen, die Besetzung höherer Posten ausschließlich mit Katholiken, die Ausweisung von Predigern, Dragonnaden und das Verbot von Hochzeiten und Begräbnissen nach protestantischem Ritus, all diese Maßnahmen waren vor allem in den stolzen kleinen Städten Oberschlesiens wie Troppau, Jägerndorf und Leobschütz ein schwerer Schlag für die Lutheraner. 10 1675 starb der letzte heimische Piastenfürst und seine Lehensgüter (LiegnitzBrieg-Wohlau) waren das Ziel eines neuerlichen Angriffs. Mehr als 100 lutherische Kirchen wurden geschlossen und die calvinistischen Gottesdienste in den Kapellen des ehemaligen Herrscherhauses eingestellt. Um 1700 verfügten die schlesischen Protestanten nur mehr über etwa 220 Gotteshäuser im Vergleich zu über 1500 ein Jahrhundert zuvor. In ihrer städtischen Hochburg Breslau und anderen halbgeschützten Gebieten verteidigten sie sich auf das entschlossenste. Andernorts hielten sie zwar an ihrer Lehre fest, doch fand dies kaum sichtbaren Ausdruck. Im gesamten Gebiet der Erbherzogtümer besaßen sie lediglich drei Kirchen, bekannt (ironischerweise) als Friedenskirchen, und selbst diese mußten aus Holz sein. 11 Die Lage in Ungarn war noch krasser als in Schlesien. György Räkoczis Krieg gegen die Habsburger führte 1645 im Vertrag von Linz zur vollen Bestätigung der bestehenden protestantischen Rechte. Unter diesen Umständen mußte die Gegenreformation zu indirekteren Methoden greifen und stützte sich hiebei vor allem auf wohlgesinnte Grundherren. Auf Stadträte und Zünfte wurde Druck ausgeübt, und man war bestrebt, die Lutheraner von den Calvinisten und die Geistlichen von ihren Gemeinden zu trennen. 12 Am leichtesten war es im Westen des Landes Erfolge zu erringen, wo die Dynastie und der hohe Adel den größten Einfluß ausüben konnten. Im späten 17. Jahrhundert waren die meisten Bewohner der Komitate wie ödenburg und Eisenburg bereits wieder zum Katholizismus übergetreten, und ein einigermaßen kultiviertes religiöses Leben blühte im Umfeld der Kirchen, die in neuem Glanz erstrahlten und reichlich mit liturgischem Gerät ausgestattet waren. Im Norden des habsburgischen Teils Ungarns schritt die Entwicklung lang: amer voran. Erzbischof Szelepcsenyi spricht in einem ausführlichen Bericht an Rom von 64.029 Bekehrungen in einem Zeitraum von nur 5 Jahren (1671—1675), doch darf an der Authentizität dieser so entwaffnend präzisen Statistiken gezweifelt werden. Als die Gegenreformation versuchte, sich härterer Methoden zu bedienen, wie etwa anläßlich der in den siebziger Jahren stattfindenden Prozesse gegen führende Prediger, waren die pastoralen Gewinne geradezu erbärmlich. 13 All jene Gotteshäuser, die in den letzten bitteren Jahrzehnten des Jahrhunderts beschlagnahmt wurden, brachten der römischen Kirche nur einen Gewinn an Mörtel und Stein, nicht jedoch an Seelen. Am Beispiel Ungarns kann die Unvollständigkeit der katholischen Erfolge am besten gezeigt werden. Die Protestanten befanden sich zwar in einem Belagerungszustand und ihre Sicherheit schwand zunehmend, doch noch immer verfügten sie

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über bedeutenden Rückhalt, und eine Reihe konstitutioneller Regelungen, die schließlich im Frieden von Szatmär (1711) gipfelten, machten letztendlich deutlich, daß eine vollständige Unterdrückung nicht möglich war. Um 1700 waren die entlegenen Teile des Landes noch kaum mit der Gegenreformation in Berührung gekommen, hingegen bedurfte es in den angeblich loyalen Gebieten, wie dem Bistum Raab, stets großer Wachsamkeit seitens des Klerus. Selbst die königliche Hauptstadt Preßburg, kaum 60 Kilometer von Wien entfernt, stellte eine ständige Herausforderung für die kirchliche Obrigkeit dar, und die deutschen Bürger in ödenburg, dem Schauplatz des entscheidenden Landtages von 1681, hielten weiterhin trotzig am Luthertum fest, dessen Einfluß bis über die nahegelegene österreichische Grenze hinweg wirksam blieb. 14 Auch andernorts sah sich der Staatskatholizismus um die Jahrhundertwende noch immer einer Opposition gegenüber. Die schlesischen Protestanten gewannen durch den Frieden von Altranstädt 1707 eine Atempause, als der schwedische König intervenierte, um die Bestätigung der sechzig Jahre zuvor gewährten kaiserlichen Privilegien zu erreichen. Nun konnten sechs weitere, wenn auch immer nur aus Holz gebaute Kirchen in den Erbherzogtümern errichtet werden. 15 In den übrigen böhmischen Gebieten sahen sich die hartnäckigen Häretiker durch die zwielichtigen „Buschprediger" ermutigt, die heimlich von Sachsen aus die Grenze überschritten, um in geheimen Versammlungen in entlegenen Wäldern und hochgelegenen Bergschluchten zu predigen. Konfessionsregister verraten, daß es viele Rückfälle unter den Bergwerksarbeitern Nordwestböhmens gab, und das Gebiet um Königgrätz im Osten sowie die Weingärten rund um Prag waren ein fruchtbarer Boden für Andersdenkende, die häufig Anhänger radikaler Sekten waren. Ihre Verfolgung, in der Spätzeit der Regierung Leopolds vorübergehend eingeschränkt, wurde unter Karl V I . mit unverminderter Härte wieder aufgenommen. 16 Selbst in Österreich überlebten einige Abtrünnige. Es gab solche sowohl in den unteren Schichten - in der Regel waren es Handwerker in den Alpentälern- als auch, was schwerwiegender war, in den höheren Schichten als vereinzelte adelige Freidenker. Obwohl Konvertit, äußerte beispielsweise Graf Sigismund Friedrich Sinzendorf 1678 den Wunsch, in lutherischer Erde begraben zu werden. Eine andere Konvertitin, immerhin eine Baronin namens Teufel, ließ ihren Kutscher nicht zur Beichte gehen, sondern Mist ausführen und brachte ihre Hunde in die Kirche, damit diese den Priester während der Messe anheulten.17 Der chronische Mangel an Weltpriestern war das gesamte 17. Jahrhundert hindurch eines der größten Probleme der Gegenreformation. Jeder zeitgenössische Bericht über die Lage des Katholizismus in Böhmen und Ungarn beklagt das Fehlen qualifizierter und fähiger Pfründner sowie die entsprechend dürftige Organisation der Pfarren, von denen viele seit den Jahren vor der Reformation keinen Priester mehr hatten und die finanziellen Mittel für einen solchen auch nicht aufbringen konnten. In den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts war mehr als die Hälfte der böhmischen Pfründen vakant. Im Raum von Chrudim zum Beispiel gab es für 165 Kirchen lediglich 21 Priester. In Ungarn, wo das Papsttum in seinem Kampf gegen den Personalmangel ständig Dispensen von den Tridentiner Beschlüssen erteilen

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mußte, war die Situation praktisch die gleiche.18 Eine Besserung der Personalstruktur innerhalb der Kirche konnte nur allmählich erreicht werden, und die bedeutendste Konsequenz hieraus war, daß der Ordensklerus im Prozeß der Rekatholisierung eine führende Rolle spielte. 1635 gehörte von 257 ortansässigen Priestern für 636 mährische Pfarren die Mehrzahl einem religiösen Orden an, und auch gegen Ende des Jahrhunderts scheint sich die Lage nicht merklich geändert zu haben. Zwischen 1694 und 1710 weihte der Prager Erzbischof 999 Ordensgeistliche gegenüber nur 674 Weltpriestern, wobei viele der Erstgenannten Aufgaben in den Kirchengemeinden übernahmen. 19 Die alten Orden, die Benediktiner, die Augustinerchorherren, die Zisterzienser und die Prämonstratenser, hatten bedeutenden Anteil an diesem Werk. Ihre Aktivität, mit ihren starken und unterschiedlichen örtlichen Wurzeln, soll später in Teil zwei im regionalen Kontext näher beleuchtet werden. Der Hauptstoß der Gegenreformation wurde jedoch von den neueren, organischer internationalen Bettelorden und Regularklerikern getragen, vor allem von der Societas Jesu, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre größte Ausdehnung sowie den Gipfel ihres Einflusses in Mitteleuropa erreichte. Die Jesuiten waren häufig als Missionare tätig und zogen teils allein, teils in Gruppen durch das Land. Gruppenweise befaßten sie sich mit den widerspenstigen Bauern im Norden Mährens oder dienten auf den Landgütern proselytischer Magnaten in Oberungarn. Einzelne wiederum, wie der asketisch heiligmäßige Albrecht Chanovsky und der rauhe, extrovertierte Kaäpar Dirig wirkten eher durch ihr persönliches Auftreten. 20 Einige wenige wurden Märtyrer für die heilige Sache, und ihre frommen Mitbrüder umgaben sie mit dem Glorienschein der Heiligkeit. Wieder andere bildeten Stoßtrupps für die Konfrontation mit den Protestanten in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts in Ungarn. Die Schärfe der Repressalien gegen ihre Häuser nach dieser Episode spricht für sich.21 Die tatsächliche Basis der Jesuiten lag jedoch hinter dieser Frontlinie, in einem dichten Netzwerk von Kollegien und sogenannten Residenzen, die über ganz Mitteleuropa, von Schwaben bis Agram und Szatmär, verstreut lagen. In den Erblanden hatten sie bereits um 1650 mit 14 Kollegien in allen größeren Städten Fuß gefaßt. 22 In Böhmen kam es im Laufe des Jahrhunderts zu einer Reihe von Neugründungen, deren beträchtlicher Reichtum aus den Berichten der Auflösungskommissionen 1773 ungefähr erschlossen werden kann. Nachdem die Situation in Schlesien weitestgehend unter Kontrolle gebracht worden war, wurden einige der hervorragendsten Denker des Ordens, unter ihnen beispielsweise Theodore Moretus und Christoph Scheiner, in die neuen Kollegien in Breslau, Neisse, Glatz, Glogau, Liegnitz, Oppeln, Sagan, Schweidnitz und Troppau entsandt. 23 In Ungarn breiteten sich die Jesuiten ab den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts rasch aus und versuchten gegenüber den Häretikern, die sich vor allem in den Provinzstädten verschanzten, an Boden zu gewinnen, wobei sie sich niemals durch anfängliche Schwierigkeiten entmutigen ließen. Gute Beispiele für ihre Ausdauer sind die in Raab und Kaschau errichteten Akademien. 24 Das für die Jesuiten charakteristische Ambiente waren die Städte, obwohl sie, wo immer sie sich niederließen, den Niedergang bürgerlicher Unabhängigkeit beschleunigten und ein Netz von Patronage und eigenen Verbindungen aufbauten. Nicht wegen der großen Zahl von Ordensmitgliedern nahmen sie eine dominierende

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Stellung ein. Im Jahr 1651 gab es im gesamten österreichisch-ungarischen Raum nicht mehr als 870 volle Mitglieder der Gesellschaft, d. h. Ordensangehörige, die dem Papst das vierte Gehorsamsgelübde abgelegt hatten. Im Jahre 1700 betrug diese Zahl 1300. Vielmehr bewegten sie sich in einer Einflußsphäre, die im wesentlichen auf zwei Grundelementen beruhte: dem ausgezeichneten Unterricht in ihren Kollegien sowie einer einfühlsamen Aufmerksamkeit gegenüber den emotionellen Bedürfnissen ihrer Zuhörerschaft. Einmal im Besitz eines Quasi-Monopols im Bereich der höheren Bildung, erfüllte der Orden seine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen, überall unterhielt er Gymnasien und in sechs (oder acht) Hauptzentren auch Universitäten. Hier wurde eine solide und im wesentlichen praxisorientierte Erziehung angeboten, die den Bedürfnissen des einzelnen Schülers entsprach, vorausgesetzt der Schüler wußte um seine eigene Stellung in Welt und Gesellschaft. 25 Adeligen wurde eine gottergebene Erziehung in kleinen Gruppen zuteil, die in hochtrabenden, theatralischen Disputationen gipfelte, wo sie die ehrerbietige Weisheit eines Professors als ihre eigene gelten lassen konnten. Gleichzeitig wurde auch für mittellose Studenten großzügig Vorsorge getroffen, wenn sie sich derer für würdig erwiesen. Etwa 100 derartige Stipendiaten studierten im späten 17. Jahrhundert in Graz, während ein französischer Geistlicher, zu Besuch in Wien, beklagte, daß so viele Angehörige des niederen Standes unterrichtet würden. Die Disziplin war streng, doch zweckmäßig. Während einerseits Zensoren strenge Richtlinien vorgaben und es dem namhaften Mathematiker Guldin beispielsweise nicht einmal erlaubt war, eine Uhr zu tragen, boten die gut subventionierten Universitätsdruckereien ihm und anderen Gelehrten die Möglichkeit zu Publikationen über die verschiedensten Themen. 2 6 Die Strategie der Jesuiten beruhte (wie ich bereits angedeutet habe) auf einer komplizierten Mischung aus Beschränkungen und Anreizen. Sie machten sich sowohl die Berechnung als auch den Eifer des einfachen Volkes zunutze, vor allem förderten sie die Bildung von Laiengesellschaften oder Kongregationen, in denen sowohl geistliches Schrifttum als auch das Drama und die Musik gepflegt wurden. A m bekanntesten waren die Marianischen Kongregationen, die gesondert innerhalb von allen gesellschaftlichen Schichten gegründet wurden, so daß es in größeren Städten oft zehn oder zwölf derartige Kongregationen gab. Sie dienten in erster Linie caritativen und geselligen Zwecken, setzten sich für eine allgemeine Verehrung der Gottesmutter ein und stellten gelegentlich auch militärische Legionen zur Verteidigung des Glaubens auf. 27 Steigende Macht trug sicherlich zum wachsenden Selbstvertrauen der Jesuiten bei, zu ihrer Auffassung der göttlichen Gnade und zur Betonung der charakteristischen, gehobenen Identität ihres Ordens. Die Arbeiten Matthias Tanners an einer weltumfassenden res gestae seiner Ordensbrüder, illustriert von den besten Künstlern des böhmischen Barock, geben diese Stimmung wieder. Dennoch verloren die Jesuiten niemals den Kontakt zur Basis. Generationen kluger und einsatzfreudiger Polemiker wandten sich von den Kanzeln herab oder durch das gedruckte Wort direkt an die Gläubigen. Allmählich wichen in den Predigten Angriffe auf den Protestantismus traditionelleren Themen, die bedeutendsten jesuitischen Polemiker jedoch blieben im Grunde ihres Herzens Gegenreformatoren, und das stete Bedürfnis nach solchen Persönlichkeiten läßt letztendlich die Unvollstän-

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digkeit ihrer Errungenschaften erkennen. Noch im frühen 18. Jahrhundert veröffentlichte Johann Kraus eine Reihe deutschsprachiger Schriften, in denen er gegen das Luthertum an der immer noch gefährdeten böhmischen Front wetterte. 28 Natürlich hatten die Jesuiten kein Monopol als Prediger oder Apologeten, geschweige denn als volkstümliche Sittenprediger. Als die Bettelorden zu neuem Leben erwachten, erwachte mit ihnen auch das Erbe der geistigen Kreuzfahrt, welches sie im Mittelalter verkörpert hatten. Dieser neue Auftritt der mitteleuropäischen Bettelmönche nach 1600 hing vor allem auch mit den strengeren Regeln zusammen, die zunächst im Italien der Gegenreformation entwickelt und dann, im allgemeinen von Zentren wie Wien, Prag oder Innsbruck aus, bis in die kleineren Niederlassungen im gesamten habsburgischen Gebiet verbreitet wurden. Hier kann ich mich nur den hervorstechendsten Merkmalen dieser Entwicklung widmen. 29 Die Dominikaner machten stetige, unspektakuläre Fortschritte, ohne jedoch jemals wieder jenes Prestige zu erreichen, über das sie in den Tagen vor der Reformation verfügt hatten. In Österreich und Böhmen kam es zu einer Wiederbesiedlung der meisten ihrer Klöster, die während des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger verödet waren. Vor 1700 ließen sie sich in fast dreißig böhmischen Zentren nieder, wobei ihr Hauptstützpunkt im wuchtigen Kloster St. Ägidius in der Prager Altstadt lag. Die ehemals stolze ungarische Provinz hingegen verfiel, trotz aller Wiedererrichtungsversuche seitens des einflußreichen Sigismund Ferrarius in Wien, in gänzliche Bedeutungslosigkeit. Im Bereich der Bildung sicherten sich die Dominikaner mit eigenen Schulen und einem Fuß in den Universitäten ihren Platz. Was ihre geistige Vormachtstellung sowie die Ausübung der Zensur anbelangt, so wurde ihnen durch die Jesuiten der Wind weitestgehend aus den Segeln genommen, wobei das kaiserliche Zugeständnis, demzufolge Mitglieder des Ordens vom Eid auf die Unbefleckte Empfängnis befreit wurden, von nebensächlicher Bedeutung war, um so mehr als die Habsburger keine Anstalten machten, die traditionellen inquisitorischen Pflichten des Ordens neu aufleben zu lassen. 30 Eine bedeutendere Rolle kam den Franziskanern mit ihren drei Zweigen zu, den Observanten, Minoriten und Kapuzinern, die seit Ende des Mittelalters miteinander konkurrierten. Obwohl die Teilung des Ordens zu unerfreulichen Auseinandersetzungen über gewisse Eigentumsrechte führte, war man sich der gemeinsamen Wurzeln dennoch bewußt, wie dies etwa die prächtige Chronik von Bernhard Sannig, einem der bekanntesten Mitglieder des Ordens in Böhmen, zeigt. Die Zeit der großen Erfolge der Observanten in Mitteleuropa war die Ära des hl. Johannes Capistrano. Voll der Begeisterung hatte er die Feldzüge gegen die Türken angefeuert, die in der Verteidigung Belgrads ihren Höhepunkt erreichten, wo Capistrano 1456 den Tod fand. Das Vermächtnis des gebieterischen Capistrano und seiner Ermahnungen machte es dem Orden möglich, trotz starker Anzeichen der Erlahmung selbst in Ungarn die Verheerungen des 16. Jahrhunderts zu überdauern. 31 Ab etwa 1590 setzte ein rascher Aufschwung ein: eine neue Kirche in Wien; die Bestätigung von Privilegien durch Rudolf II.; die innere Reform der ungarischen Ordenshäuser; 14 Märtyrer im Konvent Unserer Lieben Frau vom Schnee in Prag anläßlich des Passauer Angriffs im Jahre 1611, gleichsam um die anderen zu ermutigen. Gegen

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Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Österreich 24, in Böhmen 34 Mönchsklöster. Weiter im Osten erstreckte sich eine Kette von Missionsstationen von Kroatien bis zum entlegenen historischen Vorposten in Csiksomlyo im Schatten der Südkarpaten. Als Extremfall in der einen Richtung unterhielten die Observanten Gruppen von Priestern, die unter primitivsten Bedingungen im türkischen Teil Ungarns weitestgehend ungehindert arbeiteten (weitere 600 in Bosnien), in der anderen Richtung konnten sie sich solider Theologen von internationalem Ruf rühmen, vor allem in Prag, wo Sannig und Amandus Hermann riesige Sammelwerke moralischen und devotionalischen Charakters erarbeiteten. 32 Im mitteleuropäischen Sprachgebrauch werden die Observanten schlicht und einfach als „Franziskaner" bezeichnet. Auch ihre weniger strengen Ordensbrüder, im habsburgischen Gebiet stets Minoriten genannt, die zunächst etwas im Schatten standen, wurden bald zu einem integrierten Bestandteil der barocken Szenerie. Der Aufschwung der Minoriten in den Erblanden setzte 1621 ein, als anstelle eines Italieners ein Deutscher zum Provinzial ernannt wurde, und geht Hand in Hand mit der Wiederherstellung des bedeutenden Klosters am Wiener Minoritenplatz. Ungefähr gleichzeitig kehrte auch in die böhmischen Ordenshäuser wieder neues Leben zurück, in die prächtige Kirche des hl. Jakob in Prag, nach Leitmeritz und Königgrätz, nach Pardubitz, Bunzlau uvam. Erste Schritte in Richtung einer Wiederbesiedlung der ehemaligen ungarischen Provinz wurden von Polen aus unternommen. Innerhalb von 50 Jahren nahmen gut über 50 Häuser ihre Tätigkeit erneut auf, die meisten von ihnen auf traditionell franziskanischem Boden. 33 Noch größere Erfolge erzielten die jüngsten Mitglieder der Familie des hl. Franziskus, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Italien gegründeten Kapuziner. Vom Standpunkt der internationalen Gegenreformation aus, ging der Stern der Kapuziner fast ebenso spektakulär auf wie jener der Jesuiten. Bereits 1618 verfügten sie, nachdem sie erst 1574 ihren Aktionsradius auf außeritalienisches Gebiet erweitert hatten, über mehr als 1.000 Häuser und 15.000 Ordensangehörige. Ihre Fortschritte in Mitteleuropa waren ähnlich aufsehenerregend. Von Erzherzog Ferdinand von Tirol 1593 nach Innsbruck gerufen, ließen sie sich unter der energischen Führung des hl. Laurenz von Brindisi, der 1601 wie ein neuerstandener Capistrano das Kreuz auf die Schlachtfelder des Türkenkrieges trug, bald in Prag und Wien nieder. 34 Um 1625 gab es bereits 18 Klöster in Tirol, 12 in der Steiermark, 14 im übrigen Raum Österreichs und Böhmens. Im Verlauf des Jahrhunderts breiteten sie sich weiter aus, kamen 1654 nach Schlesien und 20 Jahre später, als schließlich genug Ordensbrüder über ausreichende Kenntnisse in den örtlichen Sprachen verfügten, nach Ungarn. Um die Jahrhundertwende hatten die Kapuziner sich in gut über 100 verschiedenen Orten in den Habsburgerländern etabliert und erfreuten sich aus zweifachem Grund eines besonderen Rufes: aufgrund ihrer Selbstverneinung und aufgrund der Inbrunst ihrer Predigten. Obwohl auch einige ihrer Ordensbrüder (vor allem Magni und Schyrl) sich in die Liste der Gelehrten ihrer Zeit eintrugen, fanden die hageren, bärtigen Bettelmönche in ihren Sandalen, mit den spitzen Kapuzen ihrer Mönchskutten vor allem als unerschrockene Diener des Evangeliums allgemeine Anerkennung. Von Laurenz von Brindisi bis Procopius von Templin und Marco d'Aviano traten sie als Vermittler zwischen der exklusiven Atmosphäre bei Hof, wo

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viele Kapuziner trotz gewisser Eifersucht seitens der Jesuiten Zutritt hatten, und der realen Welt der städtischen Armen auf, aus der die meisten von ihnen ursprünglich stammten. Keine andere Gruppe von Priestern unternahm größere Anstrengungen, die geistigen Werte des Barock auch dem einfachen Volk zugänglich zu machen. 35 Auch die anderen schon lange bestehenden Bettelorden, die Karmeliter und Augustiner, hatten sich während der Reformationszeit in mehr und weniger asketische Zweige aufgespalten. Weder die beschuhten noch die unbeschuhten Karmeliter, die gemeinsam über einige Dutzend Klöster verfügten, übten mehr als einen örtlichen Einfluß aus, obwohl die barfüßigen „Weißen Brüder" auf der Prager Kleinseite in ihrer Kirche Maria vom Siege eine berühmte, aus Spanien stammende und nach iberischer Art üppig gekleidete Votivstatuette des Kindes Jesu beherbergten. 36 Die Augustiner entfalteten ihre Tätigkeit auf breiterer Front, auch wenn sie lange Zeit brauchten, um sich von ihrem fast gänzlichen Niedergang während des 16. Jahrhunderts zu erholen (schließlich waren sie Luthers eigener Orden). Versuche, jene Handvoll Klöster, die überlebt hatte, und deren in erster Linie italienische Mönche zu reformieren, brachten nach 1600 nach und nach Erfolge. Die von der Steiermark und Baden bei Wien ausgehende Wiederbelebung erfaßte schließlich nahezu 40 Klöster des Ordens in Österreich und Böhmen (der Großteil davon ursprünglich mittelalterliche Gründungen). Darüber hinaus faßten die Augustiner auch in Ungarn in Lockenhaus und später in Ofen und Fünfkirchen Fuß. 37 Auch die barfüßigen Augustiner gingen, nachdem sie 1623 erst einmal in das Gebiet der Monarchie gerufen wurden, mit einer Energie zu Werke, die über ihre geringe Anzahl von Ordensangehörigen hinwegtäuschte. Obwohl die Vorhut, die ihre erste Kirche, St. Wenzel am Zderaz, in der Prager Neustadt übernahm, überwiegend aus Ausländern bestand, gelang es ihnen bald, ihre weniger strengen Mitbrüder aus der bedeutendsten Liegenschaft des Ordens, dem Augustinerkloster neben der kaiserlichen Hofburg, zu vertreiben und sie in einen schmutzigen Vorort vor den Toren Wiens zu verbannen. In der Tat erfreuten sich die barfüßigen Augustiner wie die Kapuziner der besonderen Gunst der Habsburger, und sie beglichen ihre Schuld in der Person Abraham a Sancta Claras, jenes großen Hofpredigers des Leopoldinischen Österreich, dessen unvergleichlicher Ruf durch 394 Ausgaben seiner zahlreichen Schriften vor dem Jahre 1800 bezeugt wird. Die Augustiner übernahmen eine Reihe von Funktionen, die von der Erziehung über die Missionsarbeit bis zu Tätigkeiten in den Pfarren reichten. 38 Verschiedene andere zu neuem Leben erweckte Mendikantenorden bevölkerten die Habsburgerländer in der Zeit der Gegenreformation, und jeder trug das Seine zu den unterschiedlichen Aktivitäten der Kirche bei. Einige widmeten sich besonderen Diensten der Anbetung. Die Serviten, die durch die Reformation vollständig ausgelöscht worden waren, kamen 1612 auf Einladung der Witwe Erzherzog Ferdinands nach Tirol und führten ihre extreme Art der Marienverehrung auch in anderen Gebieten der Monarchie ein, in Prag und in der am Stadtrand von Wien gelegenen Rossau sowie in Westungarn und im ländlichen Raum Mährens. 39 Die asketischen Minimen (Paulaner) verfügten mit ihrer konfiszierten ehemaligen lutherischen Kirche ab 1626 über ein zentral gelegenes Grundstück in Prag und kolonisierten zwanzig weitere Städte, alles in allem jedoch übten sie, ähnlich den rein kontemplativen

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Orden (Kartäuser, Kamaldulenser), nur einen bescheidenen, eher symbolischen Einfluß aus. 40 Etwas stärker im Lichte der Öffentlichkeit standen einige Zönobiten, die sich caritativen Aufgaben widmeten. Die Barmherzigen Brüder siedelten sich, von Italien kommend, 1605 auf den Liechtensteinischen Gütern an. Bald errichteten sie Spitäler in Wien und Prag (wo sie das Versammlungshaus der Böhmischen Brüder in der Altstadt erwarben). Darüber hinaus erhielten sie von Ferdinand II. das etwas kuriose Privileg des exklusiven Verkaufs von Eis in den Sommermonaten. Die Kamillianer pflegten die Verwundeten auf den ungarischen Schlachtfeldern. Die Trinitarier, gegründet mit dem Ziel, christliche Sklaven aus osmanischer Gefangenschaft zu erlösen, kamen mit ziemlicher Verspätung erst 1688 nach Österreich, in Kürze jedoch sammelten sie bereits in vielen mitteleuropäischen Städten Almosen für ihr Anliegen. 41 Abschließend seien noch einige Worte über die übrigen Gruppen eher weltverbundener Ordensgeistlicher (der terminus technicus für all diese ist „Regularkleriker") gesagt, die sich aus der italienischen Gegenreformation des 16. Jahrhunderts heraus entwickelt hatten. Es bedarf hier keiner umfassenden Darstellung, da die Jesuiten alle ähnlichen neugegründeten Orden in den Habsburgerländern bei weitem in den Schatten stellten. Obwohl die Barnabiten ab den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts über mehrere Häuser verfügten und auch einige bedeutende Persönlichkeiten hervorbrachten und die Theatiner später an den Abhängen des Prager Hradschins eine stattliche Kirche mit dazugehörigem Kloster errichteten, faßte keiner der beiden Orden wirklich Fuß. 42 Lediglich die Piaristen mit ihrer Mission einer flexiblen allgemeinen Erziehung errangen einen greifbaren Erfolg. Ihre ersten Gemeinschaften außerhalb von Italien wurden in Nikolsburg, Straßnitz, Leipnik, Leitomischl und Mährisch-Krumau in Mähren gegründet. Anschließend ließen sie sich auch in Österreich und Ungarn in vergleichbaren kleinen Städten nieder. Gegen Ende des Jahrhunderts öffnete sich ihnen, trotz lautstarken Widerstands seitens der eingebürgerten Jesuiten und Mendikanten, das Tor nach Wien. Die große Zeit der mitteleuropäischen Piaristen und ihrer herrlichen Kirche Maria Treu - man könnte sie mit Recht als die prächtigste Barockkirche Wiens bezeichnen - stand aber noch bevor. 43 Diese Orden waren die Stärke der internationalen Gegenreformation. Gemeinsam mit den Stiftsgeistlichen, denen wir in den nächsten Kapiteln begegnen werden, legten sie den Grundstein für die Wiedererrichtung der katholischen Kirche Mitteleuropas im Sinne einer großen kosmopolitischen Bewegung. Fast durchwegs stellten sie äußerst hohe Ansprüche an sich selbst und verbreiteten eine direkte und volksnahe Botschaft, die weder politische noch geographische Grenzen kannte. Viele der führenden Prediger, Asketen und Gelehrten, vor allem in den früheren Jahren, waren Ausländer. So auch Marco d'Aviano, dessen emotionelle Beredtsamkeit die Wiener Massen erschüttern konnte, obwohl sie kein Wort italienisch verstanden, oder die irischen Franziskaner (Hibernier), nach denen eine der Hauptstraßen Prags benannt ist. 44 Die kämpferische Kirche war aber auch eine Staatskirche. Historiker haben oft festgestellt, daß Leopold aufgrund seiner auf das Priesteramt ausgerichteten Erziehung ein sehr klerikaler Kaiser war. Oft wird dabei aber übersehen, daß er

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auch einen sehr gebieterischen Geistlichen abgegeben hätte. Das gesamte Gebäude des Katholizismus war starken Einflüssen seitens der Dynastie ausgesetzt. Die religiösen Orden bekamen einerseits eine väterliche, andererseits aber eine strenge Hand des Herrscherhauses zu spüren. In vielen Fällen zählten die Habsburger zu ihren ersten Förderern und Schutzherren, die sie zunächst zur Zeit Erzherzog Ferdinands von Tirol und seines gleichnamigen Neffen in der Steiermark nach Innsbruck und Graz und später dann, nach 1620 auch nach Wien und Prag brachten. Je deutlicher die Gunstbezeugungen - bei ihrem Tod hinterließen die Mitglieder des Herrscherhauses ihr Herz im wahrsten Sinn des Wortes den Augustinern und ihren Körper den Kapuzinern - , um so größer auch die Möglichkeit der Einmischung. Es gibt viele Beispiele dafür, wie die Dynastie ihren Willen durchsetzte, so ζ. B. bei der Einschränkung des Rechtes der freien Visitation von außen. Vor allem die Jesuiten verdankten der kaiserlichen Unterstützung so viel, daß sie dem öffentlichen Druck, vor allem seit ihre Position unter den übrigen Ordensgeistlichen so große Eifersucht hervorrief, kaum standhalten konnten. So bot ihre Kontrolle über die Universitäten, die gegen die Ansprüche des Erzbischofs von Prag, gegen die österreichischen Dominikaner, die Benediktiner u. a. verteidigt werden mußte, der Regierung breiten Raum für ein verstärktes Eingreifen. In den fünfziger Jahren wurden sowohl in Wien als auch in Prag weltliche Superintendenten eingesetzt, und die jesuitischen Zensoren mußten in Einverständnis mit der weltlichen Verwaltung arbeiten. Selbst die akademische Macht der Gesellschaft Jesu war niemals uneingeschränkt. Die Kaiser behielten sich das Recht der Verleihung akademischer Grade motu proprio vor und machten davon auch zeitweise Gebrauch. 4 5 Auch die Gegenreformation in den Diözesen war weit von jeder Theokratie entfernt. Die mitteleuropäischen Bischöfe waren keinesweg unabhängig von der Dynastie. Die Habsburger besetzten direkt die kleinen Bistümer, die im Verlauf des späten Mittelalters in den Erblanden gegründet worden waren: Wien, Wiener Neustadt und Laibach, Triest und das ehrwürdige, wenn auch unbedeutende Piben in Istrien sowie das wiedererrichtete Erzbistum Prag und die daraus nach 1650 hervorgegangenen Diözesen Leitmeritz und Königgrätz. Als Nachfolger des hl. Stephan beanspruchten die Habsburger auch in Ungarn das apostolische Recht der Ernennung von Würdenträgern sowie der Jurisdiktion für sich. Hier gab es eine Vielzahl unergründlicher und klingender Titularämter, wie etwa die Bistümer von Bosnien, Sirmien und Zengg, die tief in osmanischem Gebiet lagen, sowie auch näher gelegene reiche Pfründen und die erst jüngst errichteten Unierten Kirchen. 46 Auch sonst bemühten sich die Habsburger, wo immer sie konnten, alle nur denkbaren Beziehungen spielen zu lassen. Die auf österreichischem Gebiet liegenden kleinen Eigenbistümer Salzburgs - Gurk, Seckau und Lavant - standen stark unter ihrem Einfluß. Auch ihr Einfluß auf Salzburg selbst, auf Brixen, Trient und Konstanz war beträchtlich. Die drei heikelsten Bistümer waren Passau (zu dem, obwohl die Stadt jenseits der österreichischen Grenze lag, weite Teile Ober- und Niederösterreichs gehörten), Olmütz und Breslau. Dorthin entsandte die Dynastie Sonderkommissäre, um die angeblich unabhängigen Kapitel unter Druck zu setzen, im frühen 17. Jahrhundert zunächst ihre eigenen Erzherzöge, später dann zuverlässige Mitglieder des Hochadels zu wählen. 47

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Zu den vorrangigsten Pflichten der Bischöfe gehörte es, die Beschlüsse des Konzils von Trient durchzuführen. Dieser Aufgabe kamen sie durch die Abhaltung regelmäßiger Synoden - vor allem in Ungarn durch Seminare und Visitationen und, ganz allgemein, durch eine straffere episkopale Organisation nach. Die meisten der Tridentiner Beschlüsse jedoch erhielten keine offizielle Rückendeckung durch Gesetze der Monarchie, und die Regierung versuchte, die starrköpfigen Prälaten unter Kontrolle zu halten 48 und neben einer Reihe von ungarischen Primaten, den prunkliebenden, doch auch wieder verletzbaren Erzbischöfen von Salzburg, Harrach in Prag und Franz Dietrichstein und Karl Liechtenstein-Castelcorno in Olmütz zu bestehen. Liechtenstein mit seinen hochfliegenden Plänen (er ließ sich ein herrliches Palais in Kremsier erbauen und hielt Dutzende von Hofmusikern) war vielleicht der kämpferischste Gegner. Seine Auseinandersetzungen mit den Jesuiten über die Ausübung der Zensur führten zu unzähligen Scharmützeln, in die die Dynastie und die Kurie als Gegner mit hineingezogen wurden. 49 Tatsächlich waren all diese innenpolitischen Konflikte zwischen der weltlichen und der geistlichen Macht letztlich Konflikte zwischen Wien und Rom. Die chronischen Differenzen hinsichtlich der Ämterbesetzung, der Autorität und der geistlichen Immunität konnten oft nur durch eine Reihe von Kunstgriffen beigelegt werden. So neigte der Papst de facto dazu, die kaiserlichen Kandidaten für hohe Ämter anzuerkennen. Die Kaiser ihrerseits waren gewöhnlich bereit, die Veröffentlichung päpstlicher Bullen zu gestatten. Ansprüche auf Kirchengut wurden einerseits durch Kompromisse und andererseits durch die Bereitschaft der Habsburger geregelt, Güter an verdiente religiöse Institutionen zu ihren eigenen Bedingungen zurückzugeben, wie dies beispielsweise die Geschichte der früheren benediktinischen Besitzungen in Ungarn zeigt. 50 Das wichtigste Beispiel für einen derartigen Kompromiß war der sogenannte Salzvertrag in Böhmen, demzufolge der Papst, über örtliche Interessen hinweg, auf einen Großteil der seit der Zeit der Hussiten veräußerten Güter verzichtete und im Austausch dafür für jedes Faß Salz einen Viertelgulden an Steuern einheben durfte. Diese Salzsteuer reichte allerdings bei weitem nicht aus, um die ursprüngliche Autonomie des Klerus wiederherzustellen. 51 Diese Spaltung vertiefte sich unter der Herrschaft Leopolds noch weiter. Es kam zu Konflikten in Fragen der Ernennung von Kardinälen, und Spitzfindigkeiten in bezug auf Privilegien und Protokoll würzten die diplomatische Korrespondenz. Ein Teil dieser Schwierigkeiten resultierte gerade aus dem Glaubenseifer der Habsburger. Nuntien beklagen zeitweise Leopolds exzessive Frömmigkeit und seinen Fatalismus, auf der anderen Seite mischte die Dynastie sich weiterhin in geistliche Angelegenheiten ein: Gebete wurden angeordnet, Feiertage festgesetzt, Votivbilder gebilligt, usw.52 Einer Ironie des Schicksals gleich, verschlechterten sich die Beziehungen just in den achtziger und neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts, also gerade zur Zeit der großen politischen Allianz von Papst und Kaiser gegen die Osmanen. Die dem Klerus aufgebürdeten Steuern und Beschränkungen warfen grundsätzliche Fragen auf, und wenn die Regierung einmal einer Meinung mit dem Nuntius Buonvisi war, so setzte die Kritik örtlicher Kirchenmänner ein. Differenzen über die Kriegsziele führten zu weiteren Unstimmigkeiten, und Leopold machte im privaten Kreis kein Hehl aus seinem Ärger. Selbst Kirchensilber wurde beschlagnahmt. Der

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Kaiser konnte es sich auch leisten, in seinem Testament dem frommen Wunsch Ausdruck zu verleihen, daß dieses so bald wie möglich von seinem Nachfolger zurückgegeben werden sollte, von einem Nachfolger, der bald einen Krieg gegen den Heiligen Stuhl selbst führen sollte.S3 Abgesehen von einigen Jahren unmittelbar nach 1700 hatten diese Auseinandersetzungen keinen völligen Bruch zur Folge, dennoch waren sie von großer Bedeutung. Es wurde deutlich, daß die Zusammenarbeit zwischen den Habsburgern und der Kirche nicht das Ergebnis einer prästabilisierten Harmonie war, sondern in der Praxis ein Gleichgewicht zwischen zwei unsicheren Partnern, in dem jeder versuchte, seine Vorrangstellung zu unterstreichen. Dieses Gleichgewicht wurde aber durch eine dritte Gruppierung, die sich teilweise mit den beiden anderen überschnitt, gesichert, den Hochadel, der neben seinen Verbindungen zur Krone auch enge Kontakte zur Kirche unterhielt. Ein Großteil des hochrangigen Weltklerus entstammte den höchsten Gesellschaftsschichten, und wo immer es möglich war, kamen die Bistümer mit Fortschreiten des 17. Jahrhunderts - möglicherweise nach einem habsburgischen Zwischenspiel - in die Hand loyaler Familien: der Harrach, Kolovrat, Waldstein und Breuner in Prag; der Thun, Pötting und Lamberg in Passau; der Breuner, Trautson und Harrach in Wien usw. Demselben Paradigma begegnen wir in Konstanz, dessen Diözese weite Teile des habsburgischen Schwaben umfaßte. Auf Kardinal Andreas, den morganatischen Sohn Erzherzog Ferdinands, folgte hier ein Mitglied der Familie Fugger und auf diesen ein kaisertreuer Graf Waldburg. Salzburg mit seinen angeschlossenen Alpenbistümern büßte seine Unabhängigkeit durch einen Kompromiß weitestgehend ein, indem die Wahl nacheinander auf eine Reihe österreichischer, in erster Linie Tiroler Aristokraten fiel: Lodron, Thun, Kuenburg und später Firmian und Spaur. Außerhalb von Ungarn wurde es für Bürgerliche fast unmöglich, in das Episkopat oder in die damit verbundenen Domkapitel aufzusteigen. Was für ein Gegensatz zum Mittelalter oder selbst zu jenem kraftlosen 16. Jahrhundert, welches auf so bedeutende nichtadelige Bischöfe wie Faber, Nausea und Klesl, Brus und Medek, Liszti und Telegdi oder das einstige Findelkind Urban von Gurk verweisen kann! 54 Die Amtsinhaber der größten Bistümer besaßen Latifundien, die jedes Hocharistokraten würdig gewesen wären und bewirtschafteten diese zuweilen, jedoch bei weitem nicht immer, mit gleicher Effizienz. Olmütz und Gran seien hier als gute Beispiele genannt. Gleiches gilt für die größeren Klöster, selbst jene der weltscheuen Kartäuser, und für einige Niederlassungen der Bettelmönche. Dem wohlhabenden mährischen Kloster der Augustinereremiten in Alt-Brünn mit seinen ausgedehnten Besitzungen gelang es, sowohl die Hussiten als auch die Protestanten, wiederholte Zerstörungen während des Dreißigjährigen Krieges und die Säkularisierungen Joseph II. zu überstehen, bis es in jüngerer Zeit internationalen Ruf erlangte, als Bruder Gregor Mendel hier seine Versuche in der Vererbungslehre anstellte. 55 Solche Einrichtungen hatten klarerweise eine wirtschaftliche Bindung an das aristokratische Ideal, und auch in anderen Belangen bestanden enge Beziehungen zwischen dem Ordensklerus und dem Hochadel. In gleichem Maße wie die Habsburger unterstützten die Aristokraten die Einführung von Mönchsorden und sorgten für deren

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Unterhalt. So verdankten die Franziskaner ihr Wiedererstarken vor allem privaten Schutzherren. Fast alle Jesuitenkollegien in Böhmen wurden von einflußreichen Familien gegründet: den Rosenberg (Krumau), Lobkowitz (Komotau), Neuhaus und Slavata (Neuhaus), Waldstein (Gitschin), Vfesovec (Kuttenberg), Oppersdorf (Königgrätz), Schlick (Eger), Huerta (Klattau) oder JeniSek (Bfeznice). 56 Nicht selten nahmen junge Aristokraten die Kutte. In erster Linie schlossen sie sich dem Jesuitenorden an, so Chanovsky, ein Sproß alten böhmischen Adels, oder Baron Läszlo Sennyey, der Kanzler der Universität in Graz und Tyrnau wurde. Doch auch andere Ordensgemeinschaften erfreuten sich aristokratischen Zulaufs. 57 Töchter aus adeligen Familien traten häufig in Nonnenklöster ein, und elegante Damenstifte schmückten die österreichische barocke Szenerie, einige von ihnen an historischen Stätten, wie der hoch über Salzburg gelegene Nonnberg oder die Basilika des hl. Georg am Prager Hradschin.58 Auf Pfarrebene war die Verbindung zwischen dem katholischen Hochadel und seiner Kirche gleich eng, wenn auch etwas angespannter. Die große Macht ortsansässiger Grundherren ging über das Recht der Besetzung kirchlicher Posten bis zu finanziellen und sozialen Sanktionen gegenüber Priestern, die ihr Mißfallen erregt hatten. Dies war ein nicht unbedeutender Hemmschuh für die gegenreformatorischen Aktivitäten, vor allem in Böhmen, wo Visitationen, Bekehrungen und die kirchliche Rechtssprechung ganz allgemein häufig im Einvernehmen mit den Vertretern der Krone erschwert wurden und wo Kaplane kaum besser als Bauern behandelt wurden. Wallensteins bewußte Herablassung fand ihre Nachahmer.59 Der Einstellung des Hochadels zur Religion lag dasselbe politische Prinzip zugrunde mutatis mutandis - wie jener der Habsburger. Der barocke Katholizismus war in weit größerem Umfang als sein mittelalterlicher Vorgänger sowohl an die dynastische Regierung als auch an das festgewurzelte System der selbständigen Herrschaften gebunden. Tatsächlich schien die Kirche gelegentlich kaum mehr zu sein, als beim Gebet versammelte Grundherren. Wie die Habsburger jedoch über eine wahrepietas verfügten, so wurde der Katholizismus auch den tiefen geistigen Bedürfnissen ihrer mächtigsten Untertanen gerecht, und auch unter ihnen gibt es zahlreiche Beispiele echten Leopoldinischen Glaubenseifers. Aristokraten bedurften solch demonstrativer Frömmigkeit, um ihre Familien - im Tod wie im Leben - und die soziale Ordnung, an deren Spitze sie standen, zu legitimieren, vielleicht auch, um ihre eigene widernatürliche Machtstellung zu entschuldigen. Auf diesen Punkt werde ich noch mehrmals zurückkommen, und daher möchte ich hier als Beispiel nur den jungen Aristokraten Florian Jetfich Zd'ärsky anführen. Dieser konvertierte kurz vor dem Prager Fenstersturz, heiratete dann knapp vor der Schlacht am Weißen Berg die Tochter von Jaroslav Martinitz, wurde einige Jahre später in den Grafenstand erhoben und gründete 1623 das erste Loretto auf böhmischem Boden, und sein Sohn stiftete in demselben entlegenen Ort ein Franziskanerkloster.60 Sein Beispiel veranlaßte bald andere zur Nachahmung, allen voran die Lobkowitz, deren monumentales Lorettokloster hinter dem Hradschin eine der Perlen des Prager Stadtbildes darstellt. Die privilegierte Religion und die privilegierte Klasse gingen, trotz aller Unstimmigkeiten, sowohl eine Vernunftsehe als auch eine Ehe aus Überzeugung ein. Sucht man nach weiteren Beweisen da-

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für, so können wir diese in dem Verhalten jener finden, die sich gegen diese neue Ordnung auflehnten: die böhmischen Aufständischen im Jahre 1680, die ungarischen Kuruzen, enttäuschte österreichische Bauern und Kritiker der Regierungspolitik im Jahre 1683 - sie alle fielen mit gleichem Vergnügen über weltlichen wie auch geistlichen Besitz her. 61 Während der langen Regierung Leopold I. erlebte die Gegenreformation in Mitteleuropa, zumindest nach außen hin, ihre Blütezeit. Kirchliche und weltliche Mächte schmiedeten gemeinsam eine neue Form der Einheit. Historiker, die sich mit religiöser Soziologie befassen, haben erst kürzlich gezeigt, wie andere Gesellschaftsordnungen im frühmodernen Europa - sowohl katholische als auch protestantische versuchten, strikte Maßstäbe christlicher Moral und Observanz zu errichten. Sie sahen sich, vor allem was die widerstrebende einfache Landbevölkerung betraf, den gleichen Problemen gegenüber. 62 Bei den Habsburgern handelt es sich um einen Extremfall, da diese Strömung hier erst mit Verspätung einsetzte und die geographischen, sprachlichen, kulturellen und politischen Hindernisse besonders schwer zu überwinden waren. Dies ist auch der Grund dafür, warum die Errichtung einer einheitlichen Kirche für das gesamte Gebiet im Gegensatz zu den losen, mittelalterlichen Vereinbarungen und dem protestantischen Provinzialismus im 16. Jahrhundert in der Praxis besonders schwerfiel und nur unvollständig gelang. Die Basis jedoch war breit genug, um das Entstehen einer europäischen Großmacht unter Leopold zu ermöglichen. Was von Staatsmännern und Diplomaten bequemlichkeitshalber als „Österreich" bezeichnet wurde, begann nun, unabhängig von den beiden Reichen, die bis dato die habsburgische Souveränität stützten, zu agieren. Auf der einen Seite kam es in Spanien zu einem unwiderruflichen Niedergang, und obwohl Leopold, wie auch seine Vorgänger, eine spanische Gemahlin nahm, übernahm er in dieser Familienpartnerschaft in steigendem Maße die Rolle des dominierenden entfernten Cousins. In den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts übten erstmals die Österreicher in Spanien (wie der Jesuitenpater Neidhart) einen größeren Einfluß aus als die Spanier in Österreich. 63 Auf der anderen Seite bauten die deutschen Staaten nach dem Westfälischen Frieden ihre eigenen Armeen auf, verfolgten ihre eigene Diplomatie und verfügten über eigene Hilfsquellen. Die Monarchie der österreichischen Habsburger gedieh aber dergestalt, daß man vor Leopolds Tod im Jahre 1705 in der Lage war, gleichzeitig an drei verschiedenen Fronten Kriege zu führen. Die vom Leopoldinischen Österreich verfolgte Außenpolitik ist hinlänglich bekannt, wahrscheinlich mehr als jedes andere in diesem Buch behandelte Thema. Ich habe daher nicht die Absicht, Standardwerke in diesem Punkt zu ergänzen. 64 Leopolds Regierungszeit zerfällt günstigerweise in zwei gleiche Teile, die ihrerseits durch die dramatischen Ereignisse der frühen achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts getrennt werden. Auf Jahre einer zögernden Verteidigung, den Blick vorwiegend nach Westen gerichtet, abgelenkt jedoch durch Bedrohungen aus dem Osten, folgten Jahre der entschiedenen Aggression mit dem Blick nach Osten, jedoch abgelenkt durch Bedrohungen aus dem Westen. Die erste Periode sah einen ergebnislosen Krieg gegen die Türken, dann Kämpfe gegen ungarische Unzufriedene und schließlich den gemeinsamen Feldzug der Osmanen mit der Kuruzenarmee Thökölys, der

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1683 zur Belagerung Wiens führte. Mittlerweile suchte Österreich in Reaktion auf die hochfliegenden Ansprüche des französischen Monarchen eine vorübergehende Einigung mit Ludwig XIV. Die zweite Periode brachte fast uneingeschränkte Erfolge an der Donaufront, nämlich die Befreiung Ungarns und die Zurückdrängung der Türken bis in den nördlichen Balkan, obwohl ein erneuter Kuruzenaufstand unter Ferenc Räkoczi die Situation verkomplizierte. Inzwischen führten die Rivalitäten mit Frankreich zu einer entscheidenden Kraftprobe am Rhein und in der norditalienischen Ebene. Das Ergebnis, besiegelt in Rastatt (1714) bzw. Passarowitz (1718), war ein Österreich, das über ausgedehntere Besitzungen verfügte als irgendein anderer europäischer Staat und sich von Antwerpen bis zum rumänischen ölt, von Sizilien bis zu den eintönigen Sümpfen Niederschlesiens erstreckte. Wenn auch die diplomatische Geschichte sowie die einzelnen Feldzüge bekannt sind und einige Feldherren zu den schillerndsten Persönlichkeiten der mitteleuropäischen Geschichte zählen (Karl von Lothringen und der „Türkenlouis" von Baden, Ernst Rüdiger von Starhemberg und Prinz Eugen von Savoyen), so bleiben doch jene, die tatsächlich die Politik machten - in ihrem Mittelpunkt der Kaiser - im Dunkeln. Es mangelt aber nicht an Zeugnissen, an Hand derer es dennoch möglich ist, ein Bild von Leopold und seiner unmittelbaren politischen Umgebung zu zeichnen. Scharfsinnige Beobachter wie Nuntien, venezianische Botschafter, Gesandte aus Deutschland oder französische und englische Reisende berichten von ihren Eindrücken bei Hof. 65 Auch waren nicht alle zeitgenössischen Historiker bezahlte Lohnschreiber. In der Tat stammen die beiden besten Darstellungen der Leopoldinischen Regierung aus der Feder wohlwollender Protestanten. 66 Überdies sind wir im Besitz der kaiserlichen Privatkorrespondenz, tausender handgeschriebener mehrsprachiger Briefe an seine engsten Vertrauten, unter ihnen Gesandte, Statthalter, Priester und Bibliothekare. Von diesen wurde bis jetzt erst ein ganz geringer Prozentsatz veröffentlicht (die am häufigsten zitierte Ausgabe enthält eigenartigerweise die Briefe an Leopolds am wenigsten hervorragenden Freund), die übrigen blicken den Leser düster aus einem nahezu undurchdringlichen graphologischen Dschungel an, wobei das Lateinische kaum lesbarer ist als das Deutsche oder Italienische. Zu diesen Briefen kommen noch einige persönliche Erinnerungen hinzu, wie das kleine Tagebuch, das der Kaiser 1689 anläßlich seiner Reise zu einem Zusammentreffen mit den deutschen Kurfürsten in Augsburg führte. Es enthält genaue Angaben über die Anzahl der Messen, denen der Kaiser beiwohnte, sowie Details über die Sitzordnung (nicht jedoch über die gereichten Speisen) anläßlich des Festmahles. 67 Aus all diesen Quellen läßt sich der Charakter Leopolds klar erkennen. Frömmigkeit gepaart mit entwaffnender Fröhlichkeit, Freundlichkeit und Offenheit im Verein mit Gewissenhaftigkeit und Stolz. Er verkörpert einen gutinformierten, intelligenten und wißbegierigen Mann, der jedoch kein Freidenker war. Ehrlich und korrekt, doch auch kleinmütig und unentschlossen, gedankenvoll, unendlich hart arbeitend Zeugnis hievon geben die Briefe an seinen Sekretär Marx von Bergh — und in hohem Maße auf Ratschläge vertrauend, von denen er allerdings nicht abhing und die er ohne jegliche Verpflichtung zu behandeln wußte. 68 Wie zu erwarten, wurden die kaiserlichen Ratgeber fast ausschließlich aus den zwei großen Partnern der Dynastie ausgesucht, dem Adel und dem Klerus. Einige

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aus Deutschland kommende Bürgerliche bilden die einzig nennenswerte Ausnahme. In der Frühzeit der Regierung Leopolds stellte der Hochadel drei führende Politiker: Johann Ferdinand Porcia war zunächst Lehrer des jungen Leopold und später dann bis zu seinem Tod 1665 ein wenig einnehmender Obersthofmeister und erster Minister; Johann Weickard Auersperg, die mächtigste Persönlichkeit der letzten Regierungsjahre Ferdinand III., führte den neuen Kaiser zu einer geheimen Allianz mit Frankreich, stürzte jedoch über die eher plumpen Versuche, seinen Einfluß zu vergrößern, die in Intrigen um die Erlangung der Kardinalswürde gipfelten; Wenzel Eusebius Lobkowitz, eine Schlüsselfigur sowohl der militärischen als auch der zivilen Verwaltung, folgte Porcia als Obersthofmeister nach und unterstützte die Allianz mit Ludwig XIV. Als diese jedoch zusammenbrach, fiel auch Lobkowitz in Ungnade. 69 Durch den Sturz Lobkowitz' 1674 war der Weg frei für eine Gruppe weniger exponierter Vertrauter. Neben dem Emporkömmling Hocher gehörten hiezu der gewinnende neue Obersthofmeister Lamberg, der langjährige Präsident des Reichshofrates Schwarzenberg, der kultivierte General und Höfling Montecuccoli sowie mehrere böhmische Günstlinge des Kaisers, die allerdings in der historischen Literatur durchwegs vernachlässigt werden: Kanzler Nostitz, Großburggraf Martinitz oder der Botschafter Humprecht Johann Czernin, mit dem Leopold eine ausgedehnte italienische Korrespondenz unterhielt. 70 Auch hier kam es in den frühen achtziger Jahren zu einer Zäsur, als all diese Männer starben und eine neue Generation ihren Platz einnahm. Zu dieser zählten wieder ein Parvenu namens Strattmann, einige österreichische Hocharistokraten wie die Obersthofmeister Dietrichstein und Harrach, der erst kürzlich konvertierte Windischgrätz und Starhemberg, der Retter Wiens. Weitere Böhmen waren Kanzler Kinsky, Großburggraf Sternberg, Oberstkämmerer Waldstein und der scharfsinnige Diplomat Dominik Andreas Kaunitz. Der loyale ungarische Adel wurde durch Esterhäzy vertreten. Nach 1700 schließlich trat eine weitere Gruppe von Ratgebern in den Vordergrund, die der Regierung Joseph I.voranging. Zu ihr zählten der aus eigener Kraft emporgekommene Seilern, der Rheinländer Salm, der Böhme Vratislav, eine neue Generation der Starhemberg und der etwas bissige, doch unentbehrliche Prinz Eugen. 71 Der Klerus seinerseits übte etwas subtileren Einfluß auf die Politik aus, spielte hiebei jedoch weder jene düstere Rolle, die ihm von schlechtgesonnenen Zeitgenossen attestiert wurde, noch eine so untergeordnete Rolle, wie dies manchmal von positivistischen Gelehrten behauptet wurde. Besonders die Jesuiten wurden in der habsburgischen Umgebung offen gefördert - 1698 waren 15 Jesuiten bei Hof tätig. Die meisten waren mit rein geistlichen Funktionen betraut, was jedoch eine gelegentliche Einflußnahme auf den Kaiser nicht ausschloß. Genannt seien hier Leopolds gebildeter Lehrer Philipp Müller und später dann Franz Menegatti sowie der überzeugende Friedrich Wolff. 72 Die beiden Intimi des Kaisers jedoch waren keine Jesuiten, sondern Kapuziner. Emmerich Sinelli, wie es scheint der Sohn eines Fleischhauers aus Komorn in Ungarn, konnte auf eine steile Karriere zurückblicken, die ihren krönenden Abschluß fand, als Sinelli, zwar etwas widerwillig und von Gicht geplagt, fünf Jahre lang als Bischof von Wien tätig war. Zwischen 1668 und Sinellis Tod im Jahre 1685 schrieb Leopold eigenhändig 623 heute noch erhaltene Briefe an ihn (viele weitere dürften verlorengegangen sein). Sie zeigen deutlich, daß Pater

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Emmerich dem Kaiser in dieser Zeit näher stand als jeder andere. Stets suchte der Kaiser seinen Rat, sei es in so trivialen Fragen wie etwaigen Postenbesetzungen, oder sei es bei schwerwiegenden militärischen Entscheidungen. 73 Leopolds Zuneigung galt nach Sinelli in erster Linie dem feurigen Marco d'Aviano, der wieder einmal, einem neuen Capistrano gleich, eine Geißel der Türken und rückfälligen Christen war. Seine kritischen Briefe riefen bis zu seinem Tod 1699 stets apologetische und unterwürfige Reaktionen seitens des Kaisers hervor. Weiters sind noch der musikbegeisterte Franziskanerpater Hippolito da Pergine, sozusagen ein Marco d'Aviano in Moll, an den Leopold mit einigen Unterbrechungen in den achtziger und neunziger Jahren mehr als 200 Briefe schrieb (ebenso handgeschrieben und unveröffentlicht wie jene an Sinelli), und, von ganz anderem Schlag, der extravagante Kardinal Kollonitz, der in einer Person zugleich Priester, Aristokrat und Soldat war, zu nennen. 74 Die habsburgische Außenpolitik unter Leopold wurde also offensichtlich sowohl seitens der weltlichen als auch der geistlichen Hierarchie in der Monarchie gebilligt. Einzelheiten dieser Politik sowie die Schwankungen zwischen einer Orientierung nach „Ost" oder „West" oder zwischen einer „österreichischen Strategie" und einer „Reichsstrategie", sollen uns hier nicht näher berühren, da es sich hiebei letztendlich eher um Epiphenomena der innenpolitischen Entwicklung handelt. Aber wie wurde dieser internationale Status von jener Gesellschaft - oder dem Konglomerat von Gesellschaften - aufrechterhalten, deren Entwicklung im Verlauf der Gegenreformation ich bislang aufgezeichnet habe? Mit dieser Frage werden wir uns den Rest des Buches hindurch noch beschäftigen. Die Antwort darauf umfaßt bedeutende politische und kulturelle Dimensionen, die im wesentlichen den von Regierung und Hof gespielten Rollen entsprechen. Seit dem Mittelalter gab es bei den Habsburgern Ansätze zu einer Zentralverwaltung, an deren Spitze hohe Hofbeamte standen, allen voran der Obersthofmeister. Unter Ferdinand I. kam es dann zu einer Erweiterung und Umstrukturierung, und offizielle Körperschaften mit bezahlten Beamten wurden geschaffen. 75 Die ranghöchste Behörde war der Geheime Rat. Seine auserwählten Mitglieder traten, normalerweise unter dem Vorsitz des Obersthofmeisters, der immer noch der bestbezahlte habsburgische Beamte war, häufig (manchmal sogar täglich) zusammen, um den Kaiser in wichtigen Staatsangelegenheiten und Fragen, die sich aus vorgelegten schriftlichen Berichten ergaben, zu beraten. Trotz seiner Verbindungen zum Reich, unterstützte der Geheime Rat in der Zeit des 30jährigen Krieges ganz offen die österreichischen Interessen der Dynastie. Im späteren 17. Jahrhundert wurde dieser Geheime Rat durch den autokratischen Lobkowitz in die sogenannte Geheime Konferenz umgewandelt, die Leopold bei all seinen wichtigen Entscheidungen unterstützte. 76 Dem Geheimen Rat standen zwei ausführende Kanzleien zur Seite: eine für das Reich und eine für Österreich. Erstere übte unter der Leitung eines Vizekanzlers die oberste Kontrolle über die Reichsverwaltung aus, wobei ihr ein großes Sekretariat zur Verfügung stand. Letztere wurde - einem Symbol gleich 1620 gegründet und konzentrierte ihre Aktivitäten auf die habsburgischen Länder. Die österreichischen Kanzler Werdenberg, Prickelmayr, Hocher, Strattmann und

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Seilern wurden zu den entschiedensten Verfechtern einer ungeteilten habsburgischen Souveränität. 77 Doch all diese Institutionen waren weit davon entfernt, wirkungsvolle Instrumente einer Zentralisation zu sein. Anstatt mit den Jahren seine Position zu stärken, nahm die Bedeutung des Geheimen Rates stetig ab. Die Organisation wurde schwerfällig, und die Zahl an Nichtstuern und inkompetenten Räten war zu groß. Im Gegensatz zu dem kraftvollen Aufbruch, der den Geheimen Rat in seinen Anfängen in der Renaissancezeit auszeichnete, wurde er nun zum Hort einer durch Inzucht gekennzeichneten aristokratischen Clique, und die Gründung der Konferenz war lediglich eine vorübergehende Bemäntelung. 78 Noch schlimmer war, daß die beiden Kanzleien nicht Partner, sondern Gegner waren, die ständig über Kompetenzbereiche oder das Prestige bei Hof stritten. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts kam es zu keinerlei Klärung in dieser Auseinandersetzung, und es wäre anachronistisch, zu behaupten, die „österreichische" Kanzlei wäre ein landeseigenes Organ gewesen, das darauf zugeschnitten war, die Monarchie zu regieren. Ursprünglich wurde sie sicherlich nicht zu diesem Zweck geschaffen, um so mehr als ein Großteil der Beamten aus Deutschland kam. Vielleicht arbeitete sie aber eine Spur reibungsloser als die für das Reich zuständige Kanzlei, die immer noch, zumindest teilweise, unter die nominelle Jurisdiktion des Mainzer Erzbischofs fiel. Außerdem konnte keines dieser Gremien in Böhmen oder Ungarn wirklich Einfluß geltend machen, wo einheimische Kanzler eifersüchtig über ihre Rechte wachten. 79 Der Geheime Rat näherte sich seinem Ziel, übernationale Macht auszuüben, da er stets böhmische und manchmal auch ungarische Mitglieder hatte. Doch auch hier weigerten sich die traditionellen königlichen Räte, aus dem Machtbereich verdrängt zu werden. Daneben gab es zwei gewichtigere und charakteristischere zentrale Einrichtungen, die Hofkammer und den Hofkriegsrat. Die Hofkammer war für die habsburgischen Finanzen, sowohl die Regalien als auch die indirekten Steuern, zuständig, und an der Spitze ihrer verzweigten Bürokratie standen etwa fünfzehn Ratsmitglieder, zu denen stets auch eine Reihe fähiger und ambitionierter Bürgerlicher zählte. Seit ihrer Einrichtung im 16. Jahrhundert erweiterte die Hofkammer ihren Aktionsradius ständig. Bald hatte sie großen Einfluß auf die Wirtschaft der freien Städte, und nach 1620 wurde ihr die Oberaufsicht über die Einkünfte aus Böhmen übertragen, das immer noch (trotz des Krieges) der reichste Teil der Monarchie war. Darüber hinaus streckte sie ihre Fühler auch nach Ungarn aus. Nach der Vertreibung der Türken übernahm die Hofkammer weite Teile der Großen Tiefebene (die sogenannten Neo-Acquistica) und führte die Einkünfte, die aus der Ausbeutung dieses Gebietes oder aus Verkäufen erzielt wurden, den Schatztruhen der kaiserlichen Finanzkammern zu. Unter Leopolds Regierung erstellte die Hofkammer bereits „Budget"-Erklärungen von zumindest annähernder Genauigkeit. Vor allem in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts wurden unter der Führung von Hofkammerpräsident Christoph Abele, einem Emporkömmling, und nach den Plänen dreier berühmter kameralistischer Berater (Becher, Hörnigk und Schröder) Verfahrensbestimmungen erarbeitet, und man versuchte, die lange vernachlässigten industriellen Hilfsquellen der Monarchie zu erschließen. 80 Was immer die Finanzkammer an zusätzlichen Mitteln auftreiben konnte,

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wurde sofort vom österreichischen Heer, das ein zweites institutionelles Bindeglied zwischen den verschiedenen habsburgischen Gebieten darstellte, verschlungen. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurde es ständig ausgebaut, und Prinz Eugen konnte bei seinen Feldzügen schließlich über 60 Regimenter, plus Artillerie, Garnisonen usw. verfügen. Nach 1648 nahm die Armee die klassische „absolutistische" Form eines in Friedenszeiten stehenden Heeres an. Sie unterstand der Kontrolle des Hofkriegsrates, einer aus Generälen und Beamten bestehenden koordinierenden Behörde, die vom Rhein bis an die Save und Theiß ihre Verfügungen traf. Der Hofkriegsrat war auch, sozusagen als privates Imperium, für das gesamte Gebiet der Militärgrenze, jenen militärischen cordon sanitaire zuständig, der zunächst nur in Kroatien, später dann auch durch das Banat und Siebenbürgen, entlang der osmanischen Grenze verlief. Die Erlässe aus Wien waren hier Gesetz, und selbst Dorfgemeinschaften lebten entsprechend militärischer Disziplin. 81 Wiederum dürfen wir uns jedoch nicht zu vorschnellen Schlüssen verleiten lassen. Weder den Beamten der Finanzkammer noch den Offizieren der Armee gelang es, entscheidende Maßnahmen in Richtung Zentralisierung zu setzen. Selbst gemessen an den Maßstäben des frühmodernen Europa, arbeitete die Hofkammer ineffizient und funktionierte lediglich als schwaches kollegiales System, das mit einem chronischen Defizit zu kämpfen hatte und zusätzlich durch die persönlichen Interessen der einzelnen Mitglieder in ihrer Arbeit behindert war. Graf Sinzendorf, der ab 1656 vierundzwanzig Jahre lang das Amt des Hofkammerpräsidenten innehatte, wurde schließlich, nachdem bereits jahrelang diesbezügliche Gerüchte kursierten, überführt, etwa zwei Millionen Gulden an Regierungsgeldern unterschlagen zu haben. 82 Selbst dies führte zu keiner grundlegenden strukturellen Reform, und Becher und seine Amtskollegen waren, wie wir sehen werden, als Alchimisten möglicherweise höher eingeschätzt denn als Ökonomen, örtliche Kammern in Graz und Innsbruck bestanden mit nahezu unveränderten Kompetenzen bis ins 18. Jahrhundert hinein. Das gleiche gilt für Böhmen, vor allem die halbautonomen schlesischen Herzogtümer, auch wenn ihre komornici (Kämmerer) theoretisch die Befehle aus Wien erhielten. In Ungarn weigerte sich die kamara in Preßburg standhaft, Wien als höchste Instanz anzuerkennen.83 Neben bürokratischen gab es auch inner militärische Schwierigkeiten. Der Hofkriegsrat hatte, wenn er nicht gerade in Auseinandersetzungen mit der Hofkammer verstrickt war, mit demselben Problem der Autoritätsaufspaltung zu kämpfen, einem Problem, das durch die Errichtung des General-Kriegs-Commissariat-Amtes und ähnlicher schwülstiger logistischer Abteilungen während des Krieges gegen Ludwig X I V . nur noch verschlimmert wurde. Für die militärischen Angelegenheiten Innerösterreichs und häufig auch des kroatischen Grenzgebietes war ein untergeordneter Kriegsrat in Graz zuständig, der, im 16. Jahrhundert gegründet, ungehindert bis in die Zeit Maria Theresias hinein agierte. Die in Ungarn ausgehobenen Truppen sowie die notorisch widerspenstigen Grenzfestungen (vegvärak) setzten sich über alle Konventionen hinweg. Der Rest der Armee, um vieles kleiner als jene des französischen Widersachers, bestand in der Tat aus einer Unzahl unabhängiger Kommanden, und viele Regimenter wurden von Fremden aufgestellt und auch von diesen bezahlt. Unter diesen Umständen machte der Hofkriegsrat keine großen An-

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strengungen, solch buntem Haufen einen spezifisch „österreichischen" Stempel aufzudrücken. Grund hiefür waren nicht zuletzt die so entschieden unmilitärischen Kaiser sowie die kosmopolitische Zusammensetzung des Hofkriegsrates. Die Liste der Hofkriegsratspräsidenten zur Zeit Leopolds umfaßt Annibale Gonzaga, Montecuccoli, den Markgraf von Baden-Baden und Prinz Eugen. 84 Wer danach trachtete, die königliche Souveränität zu unterstützen, fand in der Rechtssprechung noch ein mögliches Betätigungsfeld. Diese schien aus zwei konvergierenden Richtungen unter zunehmende habsburgische Kontrolle zu kommen. Auf der einen Seite erfreute sich der kaiserliche Reichshofrat in Wien zu einer Zeit, als Deutschlands höchster Gerichtshof, das Reichskammergericht, durch konfessionelle und politische Auseinandersetzungen hoffnungslos lahmgelegt war, steigender Bedeutung. Obwohl die Mitglieder durchwegs von der Dynastie ernannt wurden und wenige Protestanten unter ihnen waren, war der Reichshofrat imstande, im ganzen Reich sowohl für Körperschaften als auch für Einzelpersonen als Gericht anerkannt zu werden. 85 Auf der anderen Seite erwarben die österreichische und die böhmische Hofkanzlei im Lauf des 17. Jahrhunderts das Recht, in bestimmten Fällen als Berufungsinstanz zu fungieren. Juridisch geschulte königliche Beamte fanden an einigen wenigen bestimmten Appellationsgerichten, vor allem in Prag, einen weiteren Spielraum für ihre Tätigkeit. Rasche und angemessene Strafen konnten über Verräter verhängt werden, was beispielsweise die ungarischen Aufständischen 1671 zu spüren bekamen. 8 6 Trotzdem war die Justiz noch weniger vereinheitlicht als der Beamtenapparat. Der Reichshofrat war deshalb einigermaßen erfolgreich, weil die Deutschen genügend Vertrauen in seine Unparteilichkeit haben konnten, d. h. gerade deshalb, weil er eine durch und durch reichseigene Behörde war und nicht einfach Ausdruck der habsburgischen territorialen Souveränität. In den Erblanden verlor er bis 1700 all seine Macht. Es gab auch wenig Bestrebungen der Dynastie, die Rechtssprechung in den eigenen Gebieten zu vereinfachen und die bunte Vielfalt örtlicher Rechtssprechungsverfahren zu vereinheitlichen. Wie bereits gezeigt, dürften Veränderungen in der Gesellschaft und in der Auffassung der Rechtsgelehrten wesentlich mehr zum Verfall der traditionellen Jurisprudenz beigetragen haben als irgendwelche Signale aus Wien. Bezeichnenderweise war man sich dort am stärksten konstitutioneller Probleme bewußt, wo der Souveränitätsanspruch des Monarchen am umstrittensten war, in Ungarn. Die Habsburger fanden nie einen Rechtsgelehrten, dem es gelungen wäre, das in häufigen Neuauflagen erschienene Corpus Juris Hungarici und das Tripartitum von Werböczi zu widerlegen. Zusammenfassend kann folgendes gesagt werden. Der politische Machtanspruch der Habsburger pendelte weiterhin etwas unbeholfen zwischen dem kaiserlichen und dem territorialen Machtbereich hin und her, unfähig und nicht gewillt, sich von einem Deutschland loszulösen, das immer noch lebenswichtig für ihre raison d'etre schien, bis jetzt unausgeformt in den Gebieten ihrer unmittelbaren Souveränität. Während einige Angehörige der Dynastie das Ideal einer Gesamtmonarchie heraufbeschworen, bewegte sich die Mehrzahl von ihnen in der Tat auf einer viel enger konzipierten Bahn. Letztlich war ein Regieren von Wien aus nicht möglich, ohne

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den örtlichen Interessen entgegenzukommen. Hochadel und Klerus konnten vordergründig auf den Sitzungen der Landtage, etwas substantieller in ständischen Einrichtungen und durch jegliche Art kaum institutionalisierbarer Kanäle, mit ihrem Herrscher über Fragen der Verwaltung, über die Einhebung direkter Steuern, über die Zahl der Rekruten für die Armee, über die Rechtssprechung und über die höheren Geheimnisse der Politik verhandeln. Hätte Habsburgs Vorherrschaft in Mitteleuropa nur auf Regierungsmaßnahmen beruht, so wäre sie in der Tat äußerst schwach gewesen. Statt dessen war die Zentralregierung in einer größeren Einheit zusammengefaßt, dem Hof. Politik war eng mit Kultur verknüpft. Die Rolle dieses expansiven barocken Kaiserhofes als Instrument einer gleichsam absolutistischen Herrschaft im frühmodernen Europa wurde lange von Historikern unterschätzt. 87 Das die Gegenreformation betreibende aristokratische Österreich ist das deutlichste Beispiel dafür, wie Wertmaßstäbe, die die höfische Umgebung des Souveräns für sich vereinnahmte, die Gesellschaft als Ganzes verändern konnten. Als der kaiserliche Hofstaat immer umfangreicher wurde - eine von traditionellen Würdenträgern streng beachtete Hierarchie - , traten zu den Herrschaftsfunktionen noch Prunk und Symbolik hinzu, wodurch die Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus geweckt (und auch widergespiegelt) wurde. Bei allen wichtigen Anlässen wurden sorgfältig und verschwenderisch organisierte Feste bei Hof gefeiert. Das Spektrum der Verfasser mittelmäßiger, aber einflußreicher Lobeshymnen auf die Habsburger reicht von Berger (1612) bis Glabotsnig (1699) und umfaßt auch dynastische Historiographen wie Khevenhüller und Gualdo Priorato. 88 In der Kunst fanden Mitglieder der Dynastie ihr eigentliches Betätigungsfeld. Mäzenatentum, ja sogar Teilnahme, war für sie ganz selbstverständlich ein wesentlicher Teil ihrer Herrschaftsausübung. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts förderten sie vor allem die Schönen Künste und folgten hiebei einer Tradition, die sich von Maximilian I. über Maximilian II. und Rudolf fortsetzte. Auch in Graz wurde die Kunst unter den Erzherzögen Karl und Ferdinand gefördert, was heute oft angesichts ihrer starken Gegenreformationsbestrebungen vergessen wird. Der jüngere Sohn Ferdinand II., Leopold Wilhelm, erbte diese Leidenschaft und legte eine außergewöhnliche Gemäldesammlung an, welche auf seinen Neffen, Kaiser Leopold, überging. 89 Obwohl Leopold Malerei und Bildhauerei sicherlich nicht vernachlässigte, war sein Hof vorwiegend auf zwei anderen Gebieten kreativ tätig. Eines davon war die Literatur, vor allem die italienische, da der Kaiser ebenso wie sein Vater ein passionierter Verfasser von Versen in seiner bevorzugten Sprache war. Das andere und bedeutendere Gebiet war die Musik. Sowohl Ferdinand III. als auch Leopold förderten die Musik in hohem Maße und waren selbst ausgezeichnete Komponisten und Interpreten. Leopolds Briefe sind voll von diesbezüglichen Bemerkungen und beinhalten praktische Angelegenheiten und auch so gelehrte Dinge wie ζ. B. Möglichkeiten der Beschaffung von Manuskripten von Palestrina. Auch die Musiker waren vorwiegend Italiener, obwohl es hier bedeutende Ausnahmen gegeben hat, wie ζ. B. den heimischen Musiker Johann Heinrich Schmelzer und die deutschen Organisten Froberger, Pachelbel, Kerll und Georg Muffat. 90 Literatur und Musik verschmolzen mit allen anderen Künsten zu den beiden

Die Konsolidierung, 1650—1700: Leopold I. und seine Monarchie

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großartigen Errungenschaften, die unsterblich mit dem Zeitalter des Barock in den habsburgischen Landen verbunden sind: der dramatischen Extravaganz der Oper und der monumentalen Architektur in den Jahren um 1700. Diesbezügliche Aufträge ergingen sowohl vom Kaiserhof als auch vom Hochadel und der Kirche. Auf die Bedeutung dieser Kunstrichtungen kann hier jedoch noch nicht näher eingegangen werden. Sie waren Ausdruck einer zugrundeliegenden Geisteshaltung, nämlich der Verpflichtung der Dynastie, ihres Hofes und in steigendem Maße auch der gesamten Bevölkerung zu einem eigentümlich gegenreformatorischen Weltbild, welches erst im letzten Abschnitt dieses Buches zur Sprache kommen wird. Zuvor muß freilich noch eine ganze Reihe von unterschiedlichen Problemen behandelt werden, die sich aus der Geschichte der Konsolidierung der habsburgischen Herrschaft in Mitteleuropa ergeben. Wenn die Einheit also nicht durch politische oder militärische Gewalt seitens des Herrschers erzwungen wurde, wie konnten dann die Interessen einer Zentralregierung mit denen der einzelnen Gebiete in Einklang gebracht werden? Wie weit verleugneten einige habsburgische Gebiete freiwillig ihre Identität? Wie weit paßten sich der internationale Katholizismus und die Kultur des Barock örtlichen Gegebenheiten an? Es folgen nun vier Fallstudien: die österreichischen Erblande, Böhmen, Ungarn und zuletzt das Reich, wo sich die habsburgischen Ansprüche auf Hegemonie - viel subtiler formuliert als während des 30jährigen Krieges - als überraschend durchschlagskräftig erweisen konnten.

Teil 2 Das Zentrum und die einzelnen Gebiete

KAPITEL 5

Österreich: das habsburgische Herzland Der Begriff „Österreich" stellt Historiker häufig vor Probleme. Ich habe diese Bezeichnung hier als Synonym für die Erblande, die nicht-böhmischen und nichtungarischen, unter unmittelbarer Herrschaft der Habsburger stehenden Gebiete verwendet. Dies ist allerdings nur eine Konvention, wenn sie auch durch die spätere Gründung der Republik Österreich, die im wesentlichen dasselbe Gebiet umfaßt, erhärtet wird. 1 Auf der einen Seite verstand man unter Österreich die gesamte Monarchie. Man setzte es mit der Dynastie der Habsburger gleich, einschließlich des spanischen Zweiges und in einem gewissen losen Zusammenhang auch mit den Besitzungen dieses „Hauses Österreich", zu denen die Gebiete in Norditalien und den südlichen Niederlanden gezählt werden konnten. In diesem Sinn wird der Begriff beispielsweise von dem Historiographen der Höfe in Wien und Madrid, Nikolaus Vernulaeus, in seinen apologetischen Arbeiten verwendet. 2 Auch im üblichen gedankenlosen Sprachgebrauch späterer Generationen von Ausländern begegnen wir bekanntlich dieser Auffassung des Begriffes. Im anderen Extrem war „Österreich" der Name eines einzelnen Herzogtumes, das sich entlang der Donau, zwischen den östlichen Ausläufern der Alpen, den Wäldern Südböhmens und den Vorbergen der Karpaten erstreckte. Seit Ende des Mittelalters war dieses Gebiet praktisch in zwei Teile geteilt, die durch die Enns voneinander getrennt waren. Im Lauf des 11. und 12. Jahrhunderts fand das Herzogtum unter der mächtigen Familie der Babenberger zu einer ausgeprägten Identität. Den Babenbergern gelang es, für das Herzogtum eine Reihe von Privilegien zu erwirken: volle gesetzliche Souveränität, erbliche Nachfolge, Befreiung von einem Großteil der Verpflichtungen gegenüber dem Kaiser und verschiedene zeremonielle Rechte. Nach 1282 übernahmen die Habsburger dieses an der Donau gelegene Herzogtum Österreich und dehnten nach und nach dessen Bedeutung und dessen Privilegien auch auf die anderen Gebiete, die sie in Mitteleuropa erwarben, aus, auf die Steiermark, Tirol usw. Etwa gleichzeitig ging man dazu über, Mitglieder des Herrscherhauses mit dem berühmten Titel eines „Erzherzogs" auszuzeichnen, anscheinend um deren gemeinsames Eigentum an verschiedenen unterschiedüchen Herzogtümern anzuzeigen (interessanterweise erlangte die Bezeichnung „Erzherzogtum" niemals die gleiche Bedeutung). 3 Nach Erlaß der Goldenen Bulle im Jahre 1356 beharrten die Habsburger mit wachsender Entschlossenheit auf ihren Ansprüchen. Obwohl man ihnen die Kurfürstenwürde versagte, wurden die Habsburger nichtsdestoweniger tatsächlich zu den unabhängigsten Herrschern im ganzen Reich. Es gelang ihnen, Urkunden vorzulegen, die ihre Handlungsweise rechtfertigten, das sogenannte Privilegium Maius, das von Karl IV. in den fünfziger Jahren des 14. Jahrhun-

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Das Zentrum und die einzelnen Gebiete

derts nicht anerkannt, später jedoch von dem Habsburgerkaiser Friedrich III. bestätigt wurde. 4 Das Privilegium Maius hatte aber einen schwerwiegenden theoretischen Nachteil: es war gefälscht. In der Praxis aber zeigte dies keine Auswirkungen, da kaum jemand an seiner Authentizität zweifelte und die Habsburger nach 1438 als Kaiser sowieso stets Druck ausüben konnten, um ihre eigenen Herrschaftsrechte gegenüber dem Reich zu sichern. Von viel größerer Bedeutung war, daß diese erzherzögliche Macht über den Komplex der Erblande bis weit in die Neuzeit hinein nicht eindeutig gefestigt werden konnte. Österreich bestand aus einer Vielzahl ungleichartiger Gebiete, die nach und nach zu dem Kerngebiet hinzukamen. Einige der Hindernisse, die auf dem Weg zu einer Einheit überwältigt werden mußten, gehen aus jeder Karte des alpinen Europa klar hervor. Berge behinderten die Kommunikation, nicht nur zwischen dem Norden und Süden, sondern auch zwischen dem Osten und Westen. Ein noch größeres Problem war das geschlossene Gebiet des Erzbistums Salzburg, das eine nahezu vollständige politische Barriere zwischen Tirol und den Donaugebieten errichten konnte. Wenden wir uns nun, beginnend im Osten, einem kurzen Überblick zu. Das blühendste Gebiet war das ziemlich stark besiedelte Niederösterreich, das von Wien aus verwaltet wurde, auch wenn Wien keineswegs im Zentrum dieses Landstriches lag. Es war von altersher in vier Viertel gegliedert: zwei Viertel lagen nördlich der Donau, diesseits und jenseits des Manhartsberges, und zwei weitere im Süden, getrennt durch die abschreckende Wildnis des Wienerwaldes. Ob der Enns entwickelte Oberösterreich seine eigene Charakteristik mit eigenen Institutionen, einem geltenden Gewohnheitsrecht und eigenen Ständen in Linz. Seine Position jedoch war schwächer und sein konstitutioneller Status nicht über jede Diskussion erhaben, wobei die Linie entlang der Enns lediglich eine grobe Ubereinkunft darstellte. Auch Oberösterreich zerfiel in einzelne Viertel mit etwas verschwimmenden Grenzen: Auf der einen Seite der Donau das Mühlviertel und das Machland gegen Böhmen, auf der anderen Seite das Hausruck- und das Traunviertel, die das Hochlandgebiet umfassen, das von Traun und Enns durchquert wird. 5 Zur nächsten Ländergruppe, die im allgemeinen ab dem späten 16. Jahrhundert als Innerösterreich bezeichnet wird (obwohl eine verwirrende frühere Nomenklatur sie noch zu Niederösterreich rechnet), zählen die Steiermark, Kärnten und Krain. Das ausgedehnte Gebiet der Steiermark, die 1282 an die Habsburger kam, war ein annähernd geschlossenes Territorium, dessen Zentrum in Graz lag. Wie Niederösterreich, versuchte auch die Steiermark eine beherrschende Stellung im Kreis der unmittelbaren Nachbarn einzunehmen, doch Kärnten und Krain, die 1335 dazugewonnen wurden, blieben weitestgehend selbständig, mit eigenen Hauptstädten (in Klagenfurt und Laibach), mit einer starken ortsgebundenen Loyalität, mit eigenen Gesetzen, einer eigenen Regierung und eigenen Sitten. Auch hier gab es Unterteilungen, so war Krain beispielsweise in „Ober-", „Unter-", „Mittel-" und „Innerkrain" geteilt. 6 Im Süden reichten Ausläufer des Gebietes bis an die Adria: die Grafschaft Istrien um Mitterburg, die 1374 hinzukam und nicht mit der zu Venedig gehörenden Küstenmarkgrafschaft Istrien verwechselt werden darf ; Triest und Fiume, die 1382 und 1466 annektiert, jedoch in ihren traditionellen Autonomien bestätigt wurden; und Görz (das östliche Friaul), das zwischen 1500 und 1518, nach dem

Österreich: Das habsburgische Herzland

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Tod des unabhängigen Herrschers und nach einem Krieg mit Venedig erworben wurde. Im Westen bildete Tirol ab 1363 ein fester gefügtes Gebiet, dessen Hauptstadt Innsbruck (nach Wien und Graz) den dritten bedeutenden Mittelpunkt der österreichischen Politik darstellt. Tirol jedoch war in zweifacher Hinsichtsui generis. Auf der einen Seite herrschte hier ein extremer Provinzialismus, ja ein Spießertum, wobei es kaum Kontakte zwischen dem Norden und dem Süden des Gebietes gab und jedes Tal seine eigene Loyalitätsstruktur aufwies, auf der anderen Seite war es gewissermaßen ungewöhnlich international, mit seiner Nähe zu Italien und den reichen süddeutschen Städten sowie seiner Kontrolle eines so wichtigen Alpenüberganges. 7 Weiter im Westen und Nordwesten kommen wir zum habsburgischen Besitz in Europas buntscheckigstem Gebiet, dem schwäbischen Teil des Reiches, einem unentwirrbaren Irrgarten von Herrschaften und territorialen Konfigurationen. Die Dynastie selbst hat hier in den hügeligen Niederungen der nördlichen Schweiz ihren Ursprung. Im 16. Jahrhundert schon ganz von den Ländern der Schweizer Eidgenossenschaft losgelöst, gewann sie im Lauf der Jahre mit dem vagen Versuch der Wiederbelebung eines „Herzogtums von Schwaben" eine Vielzahl anderer Besitzungen hinzu. Diese sind unter der Bezeichnung „Vorlande" bekannt (obwohl sich hier selbst Historiker über den genauen Sprachgebrauch nicht einig sind). 8 Am westlichen und östlichen Rand des Gebietes kam es zu leidlich klaren Abgrenzungen: gegen Westen der Sundgau und eine Oberherrschaft im Elsaß (bis 1648), mit dem Breisgau und der Stadt Freiburg diesseits des Rheins; gegen Osten, an Tirol anschließend, die Täler und Wälder Vorarlbergs, die von den Städten Bregenz, Feldkirch und Bludenz kontrolliert wurden. Dazwischen erstreckte sich das schwäbische Österreich, wo es zur genauen Orientierung eines detaillierten historischen Atlas' bedarf. Hiezu zählen die vier „Waldstädte" (Rheinfelden, Laufenburg, Säckingen, Waldshut) mit dem umliegenden Landgebiet, die Stadt Konstanz, die 1548 übernommen wurde, Teile des Schwarzwaldes, zu denen auch Triberg gehörte, die Grafschaften Hohenberg und Sigmaringen, die Landgrafschaft Nellenburg (ihrerseits wieder ein Puzzle an Enklaven und Exklaven), ein halbes Dutzend Städte entlang der oberen Donau, darunter die Markgrafschaft Burgau und schließlich die verwirrenden Herrschafts- und Eigentumsrechte, die als Landvogtei von Ober- und Niederschwaben bezeichnet wurden. Die Aufsplitterung dieses Gebietes stellt sicherlich einen Extremfall dar, doch auch im übrigen Österreich gab es vereinzelt eine ähnliche Entwicklung. Ganz allgemein kann gesagt werden, daß es noch häufig zu Grenzverschiebungen kam und einige Neuerwerbungen erst jüngsten Datums waren. Tirol rundete seine Grenzen erst im frühen 16. Jahrhundert ab: Rattenberg, Kitzbühel und Kufstein wurden 1504 von Bayern dazugewonnen, das Pustertal und Lienz 1500 von Görz und das Gebiet um Ampezzo 1516 von Venedig. Die Grenze zwischen Oberösterreich und Bayern war noch umstritten. Maximilian I. erwarb 1506 das Gebiet um den Mondsee (Michael Pachers berühmter Altar in St. Wolfgang stand also ursprünglich in einer bayrischen Wallfahrtskirche), und isolierte Teile des habsburgischen Besitzstandes lagen jenseits der Grenze, wie etwa die Festung Neuburg am Inn, wodurch ein Anspruch auf das Innviertel unterstützt werden konnte (dieses Gebiet wurde erst

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Das Zentrum und die einzelnen Gebiete

1779 von Joseph II. erworben). Daß auch Bayern weiterhin Interesse an Oberösterreich hatte, geht aus der Besetzung dieses Gebietes durch Herzog Maximilian in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts deutlich hervor. Auch die ungarische Grenze war noch keineswegs eindeutig festgelegt, vor allem nach den Kriegen zwischen Friedrich III. und Matthias Corvinus, als Teile des heutigen Burgenlandes für nahezu 200 Jahre an Niederösterreich verpfändet wurden. 9 Darüber hinaus gab es noch eine große Zahl von Enklaven. Einige von diesen unterstanden Herrschern, die nur dem Kaiser (und nicht den Habsburgern als Landesfürsten) verpflichtet waren: Schaunberg (in Oberösterreich) bis in die fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts, Hardegg (Niederösterreich), die Lande um Hohenems in Vorarlberg, zu denen ab 1613 auch Lustenau und Schellenberg-Vaduz hinzukamen. Seefeld in Niederösterreich blieb bis 1779 als kaiserliches Lehen in der Hand der Familie der Hohenzollern. 10 Die Mehrzahl der Enklaven jedoch war Kirchengut. österreichische Gebiete unterstanden nicht nur meist ausländischen kirchlichen Oberherren (Salzburg, Passau, Trient, Konstanz , Chur, dem umstrittenen Aquileia, und Teile Niederösterreichs sogar dem ungarischen Bistum Raab), sondern diese ausländischen Bischöfe hatten ab dem frühen Mittelalter auch Besitzungen in Österreich, in denen sie volle Souveränität ausübten. So besaß Salzburg Gröbming (Steiermark), Sachsenburg, Althofen, Hüttenberg und Friesach (Kärnten), Freising besaß Waidhofen an der Ybbs (Niederösterreich), Groß-Enzersdorf bei Wien, Innichen (Tirol) und die bedeutende Enklave von Bischoflack (Krain), Bamberg besaß Villach, Wolfsberg und Griffen (Kärnten). Der außergewöhnlichste Fall war das Fürstbistum von Brixen, das, obwohl selbst zur Gänze von österreichischem Gebiet umgeben, aus acht verschiedenen Landesteilen im südlichen Tirol - einige bis zu 80 Kilometer von der Bischofsstadt entfernt - und bedeutenden Besitzungen in Krain (Veldes) bestand. Zwei Dörfer in Vorarlberg unterstanden als exempte Gerichtsbezirke Abteien in Deutschland und der Schweiz.11 Diese Vielfalt wird durch einen Hinweis auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Sprachen unterstrichen. Selbst innerhalb der deutschen Mehrheit gab es seit langem bestehende Unterschiede bei Gebräuchen und Dialekten zwischen den Alemannen westlich und den Nachkommen bayrischer Stämme östlich des Arlbergs. Bis auf den heutigen Tag hat jede Gegend in Österreich ihre eigene Bauweise, und die einzelnen Gehöfte sind oft hinsichtlich des Aussehens und des verwendeten Materials sehr verschieden. Während das Deutsche über das gesamte Herrschaftsgebiet verstreut vorkam — selbst für so südlich gelegene Orte wie Fiume (St. Veit am Flaum) gab es eine eigene deutsche Bezeichnung - , hatten andere Völker ihre jahrhundertealten Siedlungsgebiete. Französisch wurde im Elsaß gesprochen, Rätoromanisch in abgelegenen Winkeln Vorarlbergs, Ladinisch in den Tälern Südtirols und Slowenisch von einer Minderheit in der Steiermark und Kärnten sowie einer überwältigenden Mehrheit der Bewohner der Krain. Italienisch wiederum wurde im südlichen Grenzgebiet von Bozen bis Fiume gesprochen, ausgenommen in Friaul, dessen Bevölkerung einen anderen romanischen Dialekt bewahrte. Ethnographen könnten noch weitere ethnische Elemente aufzeigen, wie etwa die Angehörigen des Walachen-Stammes in Istrien, die ein veraltetes romanisches Idiom sprechen.

Österreich: Das habsburgische Herzland

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In Wien wußte man wohl kaum viel von diesen istrischen Walachen, und so fochten die zentralen Behörden hier einen ungleichen Kampf, dessen Ziel es war, den Erblanden einigermaßen einen Zusammenhalt zu sichern. Wir haben bereits von den beiden Behörden gesprochen, die zumindest Ansätze einer österreichischen Wesensart in sich bargen, der österreichischen Kanzlei und der Hofkammer. Während der Kanzler und sein Stab ihre Tätigkeit im wesentlichen darauf beschränkten, den obersten Entscheidungen eine gewisse österreichische Dimension und der Tätigkeit der Landesverwaltungsbeamten und Richter eine gewisse habsburgische Dimension zu verleihen, verfolgte die Hofkammer eine viel umfassendere Politik, die in dem gesamten Gebiet Anwendung finden konnte. 12 Sie war für eine Anzahl wichtiger Industriezweige verantwortlich. Das Salz für den heimischen Markt wurde in Hall in Tirol, an der Istrischen Küste und vor allem in dem der Krone vorbehaltenen Salzkammergut (in Oberösterreich und den angrenzenden Teilen der Steiermark) gewonnen, wo väterliche Verwalter das Leben einer Arbeiterschaft regelten, die heimlich immer noch dem Luthertum zugetan war. Eigene Soleleitungen belieferten vom düsteren Hallstatt und von Aussee aus die Solepfannen in Ischl. Die steirische Eisenproduktion lag, unter amtlicher Oberaufsicht, in den Händen einer neuen und kompliziert organisierten Dachgesellschaft, der Innerberger Hauptgewerkschaft. Die reichen Quecksilbervorkommen in Idria in Krain wurden erschlossen, und Exporte gingen in alle Teile Europas. Die Wollmanufaktur, die sich vor allem in dem Raum um Linz konzentrierte, erreichte in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts einen monopol-ähnlichen Status und beschäftigte zu Beginn des 18. Jahrhunderts mehr als 4.000 Arbeiter. Einige der königlichen Wälder wurden sorgfältig gehegt, so vor allem der Wienerwald in den achtziger und neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts. 13 Einer derartigen Wirtschaftspolitik lagen in zunehmendem Maß kommerzielle Prinzipien zugrunde, sozusagen ein eigentümlich österreichischer Merkantilismus. Der einflußreichste Vertreter dieses Weges war Philipp Wilhelm von Hörnigk, dessen Buch Österreich über alles, wenn es nur will ein offenes Bekenntnis zur wirt-

schaftlichen Autonomie der Erblande war. Ein äußerst erfinderischer Verfechter derselben Idee war Johann Joachim Becher, der auf dem Land in Niederösterreich mit der Seidenraupenzucht begann und in Wien sogar ein Manufakturhaus errichtete. 14 Ein jüngerer Mitarbeiter Bechers, Wilhelm von Schröder, widmete sich in Theorie und Praxis demselben Bereich. Es gelang, das Interesse einiger Unternehmer zu wecken und durch die Gewährung von Sonderrechten an Außenstehende zusätzliches Kapital aufzubringen. Zu diesen Außenstehenden zählten einwandernde Handwerker, einige protestantische Händler und vereinzelte Hofjuden, vor allem der Kreditgeber und Bankier Leopold I., Samuel Oppenheimer, und dessen Nachfolger Samson Wertheimer. 15 Trotzdem waren die Erfolge der Regierung eher unbedeutend. Der Handel verblieb größtenteils in den Händen schwerfälliger und habgieriger Konzessionsinhaber, wobei dieses sogenannte Appaltsystem so unterschiedliche Produkte wie Tabak, Sensen, Austern und Faschingsmasken umfaßte. Selbst die Innerberger Hauptgewerkschaft war immer noch eine private Gesellschaft, und der Handel mit idrischem Quecksilber geriet gegen Ende dieser Periode ganz unter die Kontrolle holländischer Zwischenhändler. Bechers Pläne überlebten

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ihren Schöpfer nur kurze Zeit und trugen wohl kaum dazu bei, die vielen arbeitsfähigen Bettler der Hauptstadt zu beunruhigen. Das große Zeitalter des Kameralismus stand noch bevor. Erst im 18. Jahrhundert erreichten diese Ideen, von Zentren in Deutschland aus, Österreich, und auch dann führte dies nicht über Nacht zu einer wirtschaftlichen Einigung der Erblande. Daher gab es keine durchschlagende zentralisierte Ausformung einer österreichischen Identität. Ja, die Dynastie unternahm nicht einmal die grundlegendsten Schritte in diese Richtung. Die Nebenlinien des Herrscherhauses in Graz und Innsbruck kamen nur durch genealogischen Zufall zum Erlöschen: in Graz mit Ferdinand II., in Innsbruck, dessen Autonomie unter Ferdinands jüngerem Bruder noch länger bestand, 1665, als dessen Söhne ausstarben und es keine anderen männlichen Erben als Kaiser Leopold gab. Die morganatischen Söhne aus der Ehe Erzherzog Ferdinands mit Philippine Welser erhielten reiche Apanagen: Andreas im Rahmen der Kirche, Karl in den Vorlanden. Darüber hinaus gab es auch weiterhin einen eigenständigen Verwaltungsapparat mit Regierungen und Geheimen Räten in Graz und Innsbruck, den Kammern für Innerösterreich und Tirol und dem betriebsamen, unabhängigen Kriegsrat in Graz, dem der südwestliche Teil der Militärgrenze unterstand. 16 In entlegenen Gebieten galten die Erlässe der Landeshauptstädte häufig mehr als jene aus Wien. So wurden Anweisungen aus Graz über die Karawanken hinaus bis in die unfruchtbaren slowenischen Karstgebiete hinein befolgt. Innsbruck war für die gesamten Vorlande verantwortlich. Nur die österreichischen Herzogtümer standen direkt unter dem Einfluß des Kaisers. Man kann hier jedoch bei weitem nicht von einem „Trialismus" sprechen, da die meisten Beamten den Habsburgern stets in einer ausschließlich ortsgebundenen Funktion dienten und weder die Absicht hatten noch dazu ermutigt wurden, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Abgesehen von der gelegentlichen Bestellung eines Statthalters als unmittelbaren Vertreter des Souveräns besaß jedes Land, ob groß oder klein, seinen eigenen Landeshauptmann (in Niederösterreich: Landmarschall). Dieser hatte, vom Fürsten ernannt, die Aufgabe, Dekrete weiterzuleiten, den Vorsitz in den Gerichtshöfen zu übernehmen und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Er wurde dabei von einem Landesverweser (in Niederösterreich: Landuntermarschall), einer Reihe von Regierungsräten und den Verwaltern der örtlichen Regalien (Vicedome) unterstützt. Letztere verwalteten in erster Linie die Krongüter, übten jedoch auch Schutzrechte über Kirchengüter, Juden, Reisende und andere aus. 17 Die Landesregierungen waren mächtige Körperschaften, die später im Lauf des 18. Jahrhunderts Gubernien genannt werden sollten und unter Maria Theresia und Joseph II. die Aufgabe bekamen, das Reformprogramm im Raum der gesamten Monarchie, über regionale Interessen hinweg, durchzuführen. Vor 1740 jedoch war ihre Rolle eine andere. Sie wahrten die Interessen der Länder in einem konstitutionellen System, das weder als „absolutistisch" noch als ein bloßes Ubergangsstadium zu einer wirkungsvolleren gubernialen Kontrolle bezeichnet werden kann. Die landesfürstliche Souveränität war in zweifacher Weise von altersher eingeschränkt. Dieser Umstand erleichtert es, eine Erklärung dafür zu finden, warum die Habsburger in so begrenztem Ausmaß in die Ereignisse in den österreichischen Gebieten eingriffen. Zunächst einmal gab es das Landrecht, dessen Entwicklung im Spätmittelal-

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ter, wie das Werk von Otto Brunner in so überzeugender Weise zeigt, dazu beitrug, die einzelnen Länder zu unterscheiden bzw. sie von den Nachbarländern abzugrenzen. 18 Das Landrecht, dessen göttlicher Ursprung allgemein angenommen wurde, war für alle, selbst den Herrscher, bindend und war Ausdruck eines komplexen Systems von Rechten und gegenseitigen Verpflichtungen. Die zweite Einschränkung ging von den Garanten dieses Landrechtes aus, den Landständen, denen nur selten jene Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, die ihnen in der politischen Geschichte Mitteleuropas im 17. Jahrhundert zusteht. Die Stände umfaßten stets, wenn auch ihre Zusammensetzung von Land zu Land etwas differierte, den Klerus, den Adel und die Städte. In Tirol, Vorarlberg und Teilen der Vorlande wählten auch die Bauerngemeinden ihre Vertreter. Da die Prälaten in hohem Maße assimiliert waren, den Städten größtenteils keine Beachtung geschenkt wurde und den Bauern, da es ihnen an Zusammenhalt mangelte, nur marginale Bedeutung zukam, fiel in der Praxis dem Adel, entweder als einem einheitlichen, gemeinsamen Stand oder, was häufiger der Fall war, als getrennten Ständen von Herren und Rittern, eine dominierende Rolle zu. Die gesamte Zeit hindurch blieben diese Landstände der entscheidende Mittelpunkt des örtlichen Selbstverständnisses. Es ist aufschlußreich, daß die wenigen Gebiete (alle in Schwaben), wo es bislang keine Stände gegeben hatte, nun Zeugen von deren verspätetem Auftreten wurden. 19 Die Landtage verhandelten mit der Krone auf der Grundlage von Angebot und Gegenangebot, wobei abwechselnd die Vorschläge des Fürsten diskutiert und eigene Klagen vorgebracht wurden bzw. über Steuern und Fragen der Rekrutierung gestritten wurde. Der Dynastie lag es fern, auch nur irgendeine Einrichtung abzuschaffen, ja im Gegenteil, sie scheinen deren örtlichen Patriotismus sogar gefördert zu haben - vielleicht aus Angst vor einer Wiederbelebung der Generallandtage, die den Anhängern des Protestantismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert so zugute gekommen waren. Letztlich konnte eine zentralisierte Regierung leicht eine zentralisierte Opposition hervorrufen. Nach 1620 lag die wahre Stärke der Stände nicht mehr in den Landtagen als solches. Diese traten nur mehr unregelmäßig zusammen, waren schwach besucht, und die dort geführten Debatten waren nur mittelmäßig und wurden bald zur Routine. Die Interessen des Adels wurden vielmehr durch ständige Landesbehörden und Landesbeamte gewahrt. Die Landtage wählten zur Abwicklung der laufenden Agenden gut bezahlte, ihnen selbst unterstehende Abgeordnete, die Verordneten, die die Steuern eintrieben, die Deckung der Verteidigungsausgaben sicherten, Truppenkontingente aushoben usw. Darüber hinaus stellten die Stände Kandidaten für den Posten des Landeshauptmannes auf, der sowohl den Ständen als auch dem Herrscher gegenüber verantwortlich war. Zu seinen Aufgaben gehörte es, am Landtag die Rolle eines Bevollmächtigten des Fürsten zu übernehmen. So übte er eine doppelte Funktion aus, wobei die Loyalität dem Land gegenüber von großer Bedeutung war. Der Kontrollapparat in den einzelnen Ländern im 17. Jahrhundert, gemeinhin Landschaft genannt, war jedoch viel umfassender: verschiedenste Fachleute (vor allem Rechtsgelehrte), Beamte, Konzessionsinhaber, Zoll- und Finanzbedienstete, Lehrer und Ärzte, Buchdrucker und Architekten, ja selbst Maler und Köche standen unter der Kontrolle der Stände und wurden von diesen bezahlt. 20 Als

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die Verwaltung immer komplexer und die Besteuerung immer einfallsreicher wurde, wuchs sogar ihr Anteil an der Regierung. Gleichzeitig fand auch das Landrecht starke Befürworter sowohl in den Reihen des gebildeten Adels als auch unter den halbautonomen Justizbeamten, die der Landschaft verbunden waren. 21 Dieser Modus vivendi zwischen Hof und Land entsprach freilich nicht mehr jenem organischen mittelalterlichen Gleichgewicht. Die Kämpfe des 16. Jahrhunderts hatten ihre Spuren hinterlassen. Das Erbe einer gemeinsamen Machtausübung wich einer bewußten politischen Allianz. Die unausgesprochene Voraussetzung dafür war die strikte Aufrechterhaltung der Herrschaft, dieses Fundamentes der mitteleuropäischen Machtstruktur, dessen Konsolidierung in dieser Zeit wir bereits verfolgt haben. Obwohl das System der Herrschaften in Österreich immer noch gewisse bäuerliche Autonomie und Selbstachtung zuließ, wurde dadurch jedweder Einmischung von außen vorgebeugt. Die einzelnen Herrschaften waren die kleinsten Einheiten der Aufsplitterung, wobei ihre Grenzen im wesentlichen die regionale Geographie bestimmten. Die Liechtensteinischen Lande erstreckten sich zwischen Feldsberg und Eisgrub entlang der österreichisch-mährischen Grenze und nahmen von deren Existenz nahezu keine Notiz. Als die Esterhäzy und Batthyäny im Grenzgebiet südöstlich von Wien Güter erwarben, kam ipso facto das gesamte Gebiet wieder unter die Souveränität der ungarischen Krone. 22 Solche Vorgangsweisen wurden von den Habsburgern stillschweigend geduldet. Ihre eigenen Latifundien wurden mit vollstem Respekt vor dem genius loci bewirtschaftet. Die einzelnen Vicedome und Gutsverwalter stammten häufig aus dem niedrigen Adel der Umgebung, und die Gerichtshöfe fällten ihre Urteile aufgrund des Gewohnheitsrechtes, wobei es noch dazu eine Unzahl besonderer Zuständigkeitsbereiche gab: eigene Tribunale für Bergwerke und Weingüter, Wälder und Flüsse, Soldaten und Juden. 23 Von noch größerer Bedeutung war, daß die Dynastie den privaten Grundbesitz durch ständige Veräußerung von Krongütern förderte. In Niederösterreich wurde der Hauptteil des Kammergutes zwischen 1575 und 1625 verkauft, der Rest kam später zum Großteil an Prinz Eugen. In Oberösterreich gab es um 1650 mit Ausnahme des Salzkammergutes kaum mehr Krongüter. Die Hohenems in Vorarlberg waren eine der vielen mächtigen Familien, die von dieser Politik, oder besser, von diesem Fehlen einer Politik profitierten. Es gab immer weniger österreichische Bauern, die direkt dem Herrscher unterstanden, und die zu ihrem Schutz getroffenen provisorischen Maßnahmen fielen kaum ins Gewicht, verglichen mit dem Wohlwollen, das man den Interessen der Grundherren entgegenbrachte. Die unterschiedliche Entwicklung im habsburgischen und venezianischen Friaul nach 1500 ist besonders aufschlußreich. Das eine Gebiet wurde von einer Clique sogenannter strumieri Aristokraten beherrscht, das andere sicherte die Rechte der Bürger und Pächter. 24 Es mag merkwürdig scheinen, daß es in Österreich im 17. Jahrhundert weder eine starke Regierung noch eine starke Opposition gab. Beides war jedoch nicht notwendig, und die gelegentlichen Konflikte zwischen fürstlichen Kommissären und hartnäckigen Landtagen waren kaum mehr als bloße Spiegelfechterei. Unter der konstitutionellen Oberfläche verschmolzen die Interessen der Dynastie und des

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Adels in einer Reihe kunstgerechter Kompromisse, die mit dem Stempel der Gegenreformation besiegelt wurden. In Österreich, wie auch in den übrigen Teilen der Monarchie, war das wesentliche Bindeglied eine kleine, in sich fest gefügte, aufstrebende Gruppe adeliger Familien, deren Bund mit der gleichgesinnten Dynastie so lang ungestört bleiben sollte wie das Ethos des katholischen Barock vorherrschte. Die meisten waren ehemalige Protestanten und oft bedeutete eine Konversion nicht nur politischen Erfolg, sondern auch den Anspruch auf die Besitzungen weniger geschickter Mitglieder desselben Hauses. Die Basis für die Vorrangstellung all dieser Familien war zweifellos der Grundbesitz, der es ihnen ermöglichte die örtliche Verwaltung und Rechtssprechung zu beherrschen. Diese Familien hatten einen nahezu monopolgleichen Anspruch auf Ämter, wie jenes des Landeshauptmannes , eines Regierungsrates oder eines Landrates, der mit der Verwaltung der Regalien betraut war. Das örtliche Landgericht mit dem Blutbann stand unter ihrer Kontrolle, und die Sitzungen dieses Gerichtes, die ab dem 17. Jahrhundert in ihren eigenen Schlössern abgehalten wurden, unterstanden ihrer Oberaufsicht. 25 Die Güter des Hochadels wurden in den Stammgebieten und über deren Grenzen hinaus vergrößert. Sie waren so ein wesentlicher Faktor der Bemühungen, den extrem zentrifugalen Tendenzen des habsburgischen Mitteleuropa entgegenzuwirken. Viele Aristokraten erwarben in mehreren Ländern Güter, so auch in Böhmen und manchmal in Ungarn, oder sie erlangten zumindest das Einbürgerungsrecht, das in Österreich Landstandschaft, in Böhmen inkolät und in Ungarn indigenatus (oder honfiusitäs) genannt wurde und dessen es bedurfte, um dort ein Amt zu bekleiden oder Einfluß geltend zu machen. Ihre Vereinbarungen wurden mit einem oder mehreren Fideikommissen bestätigt, die üblicherweise für den ältesten Sohn galten, während andere Mitglieder der Familie für ein Amt am kaiserlichen Hof, in der Kirche, der Armee oder dem diplomatischen Dienst vorgesehen werden konnten. Die Kaiser waren mit diesem Vorgehen durchaus einverstanden, wies es doch gewisse Parallelen zu den Vorstellungen der Habsburger von ihrem eigenen Patrimonium auf, wo sie ein Familienerbgut Stück für Stück zusammenschweißten und später durch die Pragmatische Sanktion Karl VI. ausdrücklich für unteilbar erklärten. Manchmal führte dieses Wohlwollen selbst zu großen finanziellen und territorialen Zuwendungen. Doch waren diese nicht entscheidend, ebensowenig wie die offensichtliche Gunst des Herrschers und die Adelstitel, die eine Aristokratie schufen. Sie krönten vielmehr den Erfolg einiger weniger Familien, die meist bereits seit langem irgendwo in Mitteleuropa etabliert waren. So kam es also auch nicht zu einer wirklichen „Inflation" an Auszeichnungen. Zwischen 1620 und 1720 gab es 212 Erhebungen in den Niederösterreichischen Herrenstand 26 , wobei 103 der Ausgezeichneten aus dem Land selbst stammten und nahezu durchwegs bereits anerkannte Persönlichkeiten waren und die 109 von auswärts Dazugekommenen oft nur formal eingebürgert wurden. Jedoch die früher verhältnismäßig offene Gesellschaft, mit ihren regelmäßigen Auf- und Abbewegungen und den echten feudalen Verpflichtungen, wandelte sich nun in zunehmendem Maße zu einer exklusiven Kaste, welche die mächtigen Namen einiger Dutzend aristokratischer Familien bis zum letzten Augenblick der Monarchie fortbestehen ließ. Wie es keine „österreichische" Regierung gab, so gab es auch keinen „österrei-

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chischen" Adel. Doch die Erblande waren sozusagen der gemeinsame Nenner zwischen dem Reich und dem Rest der Monarchie, und als solcher nahmen sie einen wichtigen Platz in der Entwicklung dieser sozialen Elite ein. Die Verleihung von Adelstiteln und -prädikaten war eine sehr komplizierte Angelegenheit, mit feinen Bedeutungsunterschieden, die heute nur mehr schwer erfaßt werden können. Grundsätzlich umfaßte solch habsburgische Gunstbezeugung zwei Aspekte, einen kaiserlichen und einen heimischen — österreichischen, ungarischen, böhmischen. In der Praxis überschnitten sich diese beiden Kategorien weitestgehend, und selbst Zeitgenossen dürften nicht genau gewußt haben, wo „Österreich" endete und die anderen begannen. Der traditionell kaiserliche Adel unterschied sich bis dato durch die Verleihung der Reichsunmittelbarkeit, die mit dem Besitz eines Gutes verbunden war, das lediglich dem Kaiser unterstand, sowie mit einer Stimme, wie unbedeutend auch immer, in der Reichsverfassung. Dieses Kriterium kam nun nicht mehr länger zur strikten Anwendung, und je mehr die Verleihung eines kaiserlichen Titels zu einem reinen Akt der Höflichkeit wurde, um so mehr strebten die Angehörigen der niedrigeren Schichten danach. Das Höchste jedoch blieb weiterhin ein souveränes Fürstentum, eine Markgrafschaft, eine Grafschaft oder eine Herrschaft im Reich. So war der österreichische Hochadel eine hybride Gruppe, die sich in zunehmendem Maße einem komplizierten Prozeß der Differenzierung unterzog. 27 In der Folge sollen einige Paradigmen weltlichen Erfolges im Österreich des 17. Jahrhunderts kurz untersucht werden. 28 Die Krone dessen, was erreicht werden konnte, war der Stand eines Fürsten, doch vor 1600 trug kein habsburgischer Untertan diesen Titel (es gibt nur insofern einige Ausnahmen, als einzelne Mitglieder aus Herrscherhäusern des Reiches gelegentlich in Österreich dienten und sich hier niederließen). Als erster wurde Karl Liechtenstein (1569—1627) in den Fürstenstand erhoben. Die Liechtenstein waren eine prominente Familie, die in verschiedenen österreichischen Landen etabliert war. Obwohl jener Zweig der Familie, dem Karl entstammte, nicht besonders begütert war, hatte bereits sein Vater eine Reihe von Besitzungen entlang der niederösterreichisch-mährischen Grenze erworben. Karls spektakulärer Aufstieg steht in engem Zusammenhang mit drei hervorstechenden Ereignissen: seiner Hochzeit mit einer reichen Erbin aus seiner Nachbarschaft, seinem Übertritt zum Katholizismus, und mit der Tatsache seines eifrigen, bedenkenlosen Dienstes unter Rudolf und Matthias (ein wirkliches Meisterstück in dem Versuch, das Unmögliche zu schaffen, da er sich keinem der beiden gänzlich entfremdete), sowie später unter Ferdinand II. 1608 wurde er in den Fürstenstand erhoben, und 1613 wurde er Herzog von Troppau in Schlesien. In den zwanziger Jahren erwarb er als kaiserlicher Statthalter von Böhmen ausgedehnte Besitzungen, darunter auch ein weiteres schlesisches Herzogtum (-Jägerndorf). Sowohl sein Sohn Karl Eusebius (1611-1684) als auch sein Enkel Johann Adam (1656-1712) waren innerhalb des österreichischen Adels ihrer Zeit primi inter pares. Bald wurden auch Karls Brüder Maximilian und Gundakar, die ebenfalls zum Katholizismus übertraten, dank ihrer klugen Ergebenheit gegenüber der Dynastie in den höchsten Rang erhoben. Dieser prächtige Rahmen bedurfte noch einer Vervollständigung. Im frühen 18. Jahrhundert erwarben die Liechtenstein die beiden entlegenen und verarmten, jedoch souveränen Reichsterritorien Vaduz und Schellenberg, die den Namen ihrer

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neuen Besitzer annahmen und als einzige sogar die Monarchie der Habsburger selbst überleben sollten. 29 In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts gesellten sich zu den Liechtenstein drei, kurzfristig vier weitere Familien hinzu. Die Lobkowitz, Herzöge von Sagan und gefürstete Grafen von Sternstein, waren und blieben in erster Linie Böhmen. Auf diese - und den Fall Waldstein, der so rasch widerrufen wurde - werde ich im nächsten Kapitel näher eingehen. Eine weitere stark verzweigte Familie waren die Dietrichstein. Ihre bedeutendste Linie, die unter Adam Dietrichstein als Obersthofmeister Maximilian II. großen Aufschwung nahm, besaß angrenzend an die Liechtensteinischen Besitzungen Güter im südlichen Mähren, während andere Zweige der Familie in Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark lebten. Adams Sohn Franz, dem wir bereits begegnet sind, wurde Kardinalbischof von Olmütz. Sein Fürstentitel ging auf seinen Neffen Maximilian über, der zwischen 1650 und 1655 das Amt des Obersthofmeisters Ferdinand III. innehatte, und später dann auf dessen Sohn Ferdinand Joseph, der dasselbe Amt in der Zeit von 1683 bis 1698 für Leopold I. ausübte. Inzwischen wurde auch den niederösterreichischen Dietrichstein diese Würde in der Person Gundakars zuteil, der gleichzeitig das Amt eines kaiserlichen Hofstallmeisters und Oberstkämmerers bekleidete. 30 Die Eggenberg sind eine andere Geschichte. Im 15. Jahrhundert Bürger von Radkersburg in der Südsteiermark, waren sie im 16. Jahrhundert - obzwar nicht adelig - führende Bürger und Financiers in Graz. Ihr Ansehen wuchs durch Rupprecht (1546—1611), der die habsburgischen Armeen in den Niederlanden und in Ungarn befehligte, und später in noch größerem Ausmaß durch den engen Vertrauten und ersten Minister Ferdinand II., den zum Katholizismus konvertierten Hans Ulrich Eggenberg, der 1623 in den Fürstenstand erhoben und fünf Jahre später zum Herzog von Krumau in Böhmen ernannt wurde. Sein Sohn Johann Anton erwarb, abgesehen davon, daß er bereits über umfangreiche Besitzungen in Böhmen, der Steiermark und Krain verfügte, von Ferdinand III. die Grafschaft Gradisca in Friaul und gewann so die Auszeichnung der Reichsunmittelbarkeit. Die Familie jedoch konnte keinen großen Nutzen daraus ziehen: Johann Anton selbst starb jung, und seine beiden Söhne stritten um ihr Erbe. Zwischen 1713 und 1717 starben, einer barocken Geste des Schicksals gleich, drei Generationen des Geschlechtes aus, und die Eggenberg erloschen im Mannesstamme. Als Andenken hinterließen sie lediglich Hans Ulrichs herrliches Schloß am Rande von Graz. 31 Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts gab es noch vier Erhebungen in den Fürstenstand. Die letzten in dieser Reihe waren die ungarischen Esterhäzy (1687), mit denen wir uns später noch beschäftigen werden. 32 Die anderen drei Familien, die Auersperg (1653), die Porcia (1662) und die Schwarzenberg (1670), veranschaulichen einige der bereits angesprochenen typischen Kennzeichen. Die Auersperg, ein ehrwürdiges und einflußreiches, jedoch in viele Linien aufgespaltenes Adelsgeschlecht aus Krain, erlangten unter Ferdinand III. größere Bedeutung. Johann Weickard Auersperg (1615-1677), der große Minister Leopolds, wurde zum Herzog von Münsterberg und Frankenstein in Schlesien und als Herrscher von Thengen in Schwaben zum gefürsteten Reichsgrafen. Obwohl Johann Weickard schließlich über das Ziel hinausschoß und die Gunst des Hofes verlor, war der Aufstieg der Fa-

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milie in den nächsten Generationen nicht aufzuhalten. Anders lag der Fall bei den friaulischen Porcia, die mit Leopolds Jugendfreund Johann Ferdinand (1606-1665) in das Licht der Öffentlichkeit traten und ab 1689 reichsunmittelbare Grafen von Tettensee (ebenfalls in Schwaben) waren. Auch die Porcia besaßen jede nur denkbare Möglichkeit, Einfluß auszuüben, doch wie die Eggenberg unternahmen sie keinen weiteren Versuch, über das ererbte soziale Prestige hinaus weiter vorzudringen. Sie lebten ungestört Jahrhunderte lang in ihrem großen Renaissance-Palais in Spittal an der Drau (Kärnten), der ursprünglich für die Salamanca, die spanischen Proteges Ferdinand I. errichtet, von Johann Ferdinand erworben wurde. In all den Jahren nahmen sie keine Veränderungen vor, außer daß sie ihr Wappen anbringen ließen. 33 Der Fall der Schwarzenberg liegt wiederum ganz anders. Ursprünglich eine deutsche Familie mit Besitzungen in Franken, gewannen sie durch Graf Adolf Schwarzenberg (gestorben 1600) - wie Rupprecht von Eggenberg ein Held der Türkenkriege - , dessen Sohn Adam (1584-1641), den kaisertreuen Vertrauten der Kurfürsten von Brandenburg, und deren entfernten Verwandten Georg Ludwig (1586-1646), einem Soldaten und Diplomaten, die Dankbarkeit der Habsburger. Georg Ludwig erwarb durch seine aufsehenerregende Hochzeit reiche Besitzungen in der Steiermark. 1617 wurde er im Alter von 31 Jahren der sechste und letzte Ehemann der damals 82jährigen, außerordentlich reichen Tochter eines Mühlenbesitzers und adeligen Witwe Anna Neumann, einer Art mitteleuropäischen Gegenstücks zur temperamentvollen zeitgenössischen Engländerin Bess of Hardwick. Nach seinem Tod gingen diese Güter auf Adams Sohn Johann Adolf (1614-1683), das einzig überlebende Mitglied der Familie über. Dieser war Präsident des Reichshofrates, Obersthofmeister und Reichsfürst. Danach gab es noch zwei weitere Male erneut nur einen einzigen Erben, zunächst Ferdinand (1652—1703) und später Adam Franz (1680—1732). Während dieser Zeit wurden die Besitzungen durch Neuerwerbungen, sei es durch Kauf oder Erbschaft, ständig vergrößert. Zur Zeit seines Todes war Adam Franz Herrscher über drei getrennte Reichsgrafschaften (in Franken, Schwaben und Westfalen), war als Nachfolger der Eggenberg Herzog von Krumau und besaß darüber hinaus ausgedehnte Güter in Wittingau und Frauenberg in Böhmen, ganz zu schweigen von seinen innerösterreichischen Besitzungen. Er kam seinem Kaiser schließlich sogar etwas zu nahe, als dieser ihn auf einer Jagd in der Nähe von Prag durch einen unabsichtlichen Schuß tödlich verwundete. Bevor er seinen letzten Atemzug tat, rief er aus: „Es war stets meine Schuldigkeit, mein Leben für meinen Kaiser hinzugeben." 34 Die Schwarzenberg (trotz aller Ehrerbietung Adam Franz', die er auf seinem Totenbett bezeugte) hatten sich offensichtlich zu einer regelrechten Dynastie entwickelt, und aus diesem Blickwinkel heraus verdienen diese wesentlichen Faktoren im habsburgischen Regierungssystem unsere Aufmerksamkeit. Wie das Herrscherhaus hatten auch sie ihre Zentren in Wien, doch waren sie nicht engstirnig „österreichisch" . Die alten Bindungen an das Land und neue kosmopolitische Interessen hielten sich die Waage. Ähnliches gilt für alle Aristokraten, die auf der Skala der hohen Ämter die Ränge unmittelbar hinter den Fürsten einnahmen. Am Ende des 17. Jahrhunderts gab es in den Erblanden etwa 200 gräfliche Familien. Fast alle un-

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terhielten Kontakte zum Hof und der Dynastie der Habsburger. Die meisten wurden Ehrenkämmerer bei Hof. Eine wesentlich geringere Zahl von Familien spielte jedoch eine wirklich aktive Rolle in der österreichischen Tagespolitik, wobei auch diese im 18. oder frühen 19. Jahrhundert regelmäßig mit Erhebungen in den Fürstenstand belohnt wurden. 35 Aus dem südlichsten Land der Monarchie, aus Krain, kamen die Lamberg. Die mit großer Nachkommenschaft gesegnete Familie, die in fast allen Kronländern anzutreffen war, brachte zu Beginn des Jahrhunderts einen Prager Erzbischof, am Ende des Jahrhunderts den unzertrennlichen Begleiter Joseph I. und dazwischen einen bedeutenden kaiserlichen Obersthofmeister hervor. Der Hochosterwitzer Zweig der Khevenhüller, damals entschiedene Protestanten, jedoch durch den Übertritt von Ehrenreich Khevenhüller (gestorben 1675) wieder in die kaiserliche Gunst aufgenommen, war in Kärnten beheimatet, wie auch die Orsini-Rosenberg. Ein Mitglied dieser Familie war in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts Präsident der Hofkammer. Friaul brachte die strumieri Familien der Colloredo, die sich in jener Zeit auch nach Böhmen ausbreiteten, und der Thum-Valsassina hervor, deren Familienbande sich durch ganz Innerösterreich erstreckten (ihre berühmteren Cousins Thum und Taxis blieben weiterhin auf Italien und Deutschland beschränkt). 36 Die Steiermark wurde (neben den Eggenberg, Schwarzenberg und einer Nebenlinie der Dietrichstein) von den Stubenberg, Herberstein, Saurau, Trauttmansdorff und Windischgrätz beherrscht. All diese Familien hatten in der Zeit der Reformation führende Protestanten hervorgebracht. Sie alle hatten in der Zeit der Vertreibungen in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts Angehörige verloren, doch sie alle erholten sich und erlebten nach ihrer Rückkehr zum römischen Katholizismus eine neue Blütezeit. Die Herberstein stellten zwischen 1556 und 1679 fünf Landeshauptleute dieses Landes, und ihre einzelnen Linien ließen sich nach und nach im Raum der gesamten Monarchie nieder. Die Trauttmansdorff machten sich den Einfluß des Intimus Ferdinand III., Maximilian Trauttmansdorff, zunutze, um sich weiter im Norden, in Österreich und Böhmen, zu etablieren. Viele Nachkommen dieser Familie wurden später Offiziere in der habsburgischen Armee. In ähnlicher Weise hatten sich die Windischgrätz in Niederösterreich ausgebreitet. Der Konvertit Gottlieb Windischgrätz (1630-1695), Sohn eines Emigranten, wurde Reichsvizekanzler, und sein Sohn wiederum war Präsident des Reichshofrates. 37 In Tirol und den Vorlanden spielte die Bildung eines örtlichen Imperiums eine besonders große Rolle. Mächtige Familien wie die Brandis, Spaur und Wolkenstein verschafften sich in der Innsbrucker Verwaltung und in den Alpenbistümern Nebeneinkünfte. In Vorarlberg bewahrten die beiden souveränen Reichssippen der Hohenems und Montfort auf eigenen mannigfaltigen Territorien und Lehen ihre Autonomie und konnten diese sogar (für kurze Zeit) noch ausdehnen. 38 Vor allem die Herzogtümer ob und unter der Enns, deren Adel sich bereits im 16. Jahrhundert weitestgehend überschnitt, brachten Familien hervor, die ihre Macht im Zeitalter der Gegenreformation in Österreich konsolidierten. Eine dieser Familien waren die Starhemberg mit ihrer langen Tradition von Kriegshelden, allen voran der berühmte Ernst Rüdiger, der Wien 1683 verteidigte, und Prinz Eugens Stellvertreter Graf Guido. Weiters zählte hinzu auch der Frankenburger Zweig der

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Khevenhüller, dessen Einfluß bei Hof vor allem auf den Chronisten und Diplomaten Franz Christoph ( 1 5 8 8 - 1 6 5 0 ) und dessen Enkel, Feldmarschall Ludwig Andreas (1683—1744), zurückzuführen war. 39 Sowohl die Starhemberg als auch die Khevenhüller brachten eine beträchtliche Anzahl protestantischer Aufständischer hervor. Gleiches gilt für die Sinzendorf, zu deren Konvertitengeneration Johann Joachim (gestorben 1665), österreichischer Kanzler zwischen 1656 und 1665, und Georg Ludwig, der berüchtigte Veruntreuer der Gelder der Hofkammer, zählten, und die Zinzendorf (nicht mit ersteren zu verwechseln!), die vor allem in ihrem sächsischen Exil größere Bedeutung erlangten, obwohl es auch hier einen blühenden römischkatholischen Zweig der Familie gab. Im Falle der Kuefstein war ein und dieselbe Persönlichkeit sowohl lutherischer als auch katholischer Staatsmann. Johann Ludwig (1587—1657) führte zunächst die gemäßigte Opposition gegen Ferdinand II. in Niederösterreich an, trat vor der Schlacht am Weißen Berg zum Katholizismus über und stand dann als Landeshauptmann von Oberösterreich in kaiserlichen Diensten. Seine Nachfolger beschritten den bekannten Weg zu Latifundium und Fideikommiß (Greillenstein). Selbst die Familie der Jörger, dieser militantesten Vertreter der lutherischen Stände, gewann um die Mitte des Jahrhunderts erneut an Boden, und der Konvertit Johann Quintin, ein Enkel der aufständischen Generation, wurde zum Vizepräsidenten der Hofkammer und Statthalter in Niederösterreich. 40 Durch genetischen Zufall starben die Jörger bald nach 1700 ebenso aus wie die Trautson, die, ursprünglich aus Tirol stammend, in der Zeit zwischen Maximilian II. und Karl VI. eine Reihe von Hofämtern innehatten, und das historische Haus der Puchheim. Der Name Puchheim wurde, da er sozusagen ein Qualitätsmerkmal war, auch wenn diese Familie auf das heftigste in den Aufstand von 1620 verstrickt war, von dem deutschen Reichsvizekanzler Karl Friedrich von Schönborn angenommen, der deren Güter erwarb. Die meisten dieser Familien jedoch übten sowohl in Österreich als auch in der übrigen Monarchie noch lange Zeit hindurch bestimmenden Einfluß aus. Die Harrach, ursprünglich vor Jahrhunderten aus Böhmen gekommen, zogen in den Jahrzehnten, in denen Ernst Adalbert ( 1 5 9 8 - 1 6 6 7 ) Erzbischof von Prag war, dorthin zurück. Die Althan, allen voran Michael Adolf, der 1636 zum Katholizismus übertrat, folgten den Liechtenstein in die mährischen Grenzgebiete. Die Breuner und Wurmbrand hielten ihre historischen Verbindungen zur Steiermark aufrecht. Die Abensperg-Traun erwarben bereits 1658 eine reichsunmittelbare Grafschaft in Schwaben. 41 Der Hochadel stand so mit einem Fuß in den Ländern, mit dem anderen im Hofdienst. Manchmal erwies sich dieser Hofdienst als äußerst einträglich. So haben wir bereits einige Beispiele gesehen, wo durch den Hofdienst der Grundstein zu einem beträchtlichen Vermögen gelegt wurde, und werden auch noch weiteren Beispielen dafür in Böhmen und Ungarn begegnen. Ein oder zwei herausragende Persönlichkeiten ermöglichen ihren Nachfolgern (wenn sie wollen) eine Teilnahme an der habsburgischen Regierung auf höchster Ebene. Die Habsburger sparten nicht mit Gunstbezeugungen, die in der Verleihung des Status' der Reichsunmittelbarkeit ihren Höhepunkt fanden. Dies brachte Vorteile für beide Seiten mit sich, da die Habsburger, abgesehen von den Gebühren für ein Patent des Hochadels, eine loyale Stimme im Reich gewannen, auch wenn zu diesem Zwecke österreichisches Territo-

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rium veräußert werden mußte, wie Gradisca, Thengen oder die souveräne Dietrichstein'sche Enklave von Tarasp im Engadin. Ein weiterer und ungewöhnlicher Fall ist jener der Grafen Paar, die das österreichische Postwesen aufbauten und den klingenden Titel Obrist-Reichs-Hof- und General-Erblandpostmeister führten. Die grundlegende Einheit aber war stets die Familie, und diese litt nicht darunter, selbst wenn ein einzelner in Ungnade fiel. Beweise hiefür liefern die Auersperg und Lobkowitz in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts, ja sogar die Waldstein in Böhmen nach 1634 und die Nädasdy in Ungarn nach 1671. 42 Die Thum und Schlick, nachdem sie in angemessener Weise zum Katholizismus übergetreten waren, gelangten zu gleichem Ansehen wie die Martinitz und Slavata, an deren Fenstersturz sie erheblichen Anteil hatten. Den Sinzendorf fiel es nicht schwer, die Niederlage ihres Erzbetrügers Georg Ludwig zu überleben. Sein Sohn war sogar Hofkanzler unter Joseph I. und Karl VI. Natürlich gab es sowohl große als auch kleine Familien, und Zufälle in der Erbfolge spielten eine wichtige Rolle. So gediehen die Schwarzenberg beispielsweise mittels extremer Zusammenballung des Geschlechts (sieben Nachfolger, die jeweils die einzigen Söhne waren), die Lamberg oder Herberstein ihrerseits erlebten einen amöbengleichen Prozeß der Unterteilung. In erster Linie aber ermöglichten der von Generation zu Generation anwachsende Landbesitz sowie der Gewinn an sozialem Prestige dem Hochadel seine bemerkenswerte Vorherrschaft. Nur Angehörige des Hochadels konnten sich diplomatische Missionen oder die Tätigkeit an einem oft insolventen Hof leisten. Sie allein hatten die Mittel und den Ansporn, einer demonstrativen und verschwenderischen Religionsausübung zu frönen. Sie allein verfügten über die finanziellen Mittel für den Bau von Palästen und die Anlage von Gärten, für die Abhaltung von Festen und die Förderung der Künste - für das ganze große Abenteuer des österreichischen Barock. Daneben gab es einen anderen regionalen und weniger auffälligen Adel, der in erster Linie aus Freiherren und einer einfachen einheimischen Ritterschaft bestand. Dieser war fest verwurzelt und repräsentierte einen (im allgemeinen unausgesprochenen) Lokalpatriotismus sowie die traditionelle Auffassung der Herrschaft. Zwei Persönlichkeiten geben hiefür treffliche Beispiele: Wolf Helmhard von Hohberg (1612—1688), der A u t o r der Georgica curiosa oder adeliges Landleben,

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vertrauten Bild des herkömmlichen Grundherrn und seiner Sorgen, und Johann Weickard von Valvasor (1641—1693), dessen Riesenwerk Ehre des Herzogtums Crain als liebevolles Portrait einer österreichischen Landschaft und seiner Bewohner unübertroffen ist. 43 Dieser Adel war in einigen Gebieten, vor allem den Vorlanden, stärker als in anderen, im allgemeinen jedoch scheint er untergeordnet, desorganisiert und rückläufig. Das Schicksal des Protestantismus trug das Seine dazu bei, diesen zugrunde zu richten (selbst Hohberg beschloß seine Tage im Exil in Regensburg), und seine soziale Entwicklung zeigte abwärts. Die Kluft zwischen hoch und nieder wurde immer größer, vor allem seit die Städte kaum mehr eine aufstrebende Schicht hervorbrachten, die diese Kluft hätte überbrücken können. Nach 1620 fanden nur wenige Emporkömmlinge, und wenn, dann meist Ausländer, Eingang in das bestehende österreichische Gesellschaftssystem. Einige deutsche Beamte, vor allem ausgebildete Rechtsgelehrte, machten ihren Weg und heirateten in adelige Familien ein. Einige Adelsfamilien wanderten ein, im allgemeinen im Umweg über die Armee.

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Diese Letztgenannten spielten, wenn sie sich überhaupt für Dauer im Land niederließen, kaum eine Rolle im öffentlichen Leben. Dies gilt für St. Julien und St. Hilier (deren Truppen Ferdinand II. im Jahre 1619 vor protestantischer Gefangenschaft retteten), für Montecuccoli und Tilly, und in noch größerem Ausmaß werden wir diesem Phänomen in Böhmen begegnen. Selbst Familien, die bereits früher eingewandert waren, wie die spanischen Hoyos und die Salamanca-Ortenburg, Günstlinge Ferdinand I., sowie einige aus dem Friaul kommende Familien, wie die Collalto und Attems, standen abseits der großen Politik. 44 Was die heimischen Bürgerlichen betraf, so verschloß sich für jene die Welt der großen Möglichkeiten um etwa 1620 mit einer letzten Generation von Persönlichkeiten, die aus eigener Kraft Karriere machten, wie etwa Johann Baptist Verda, Graf von Werdenberg, dem Sekretär Ferdinand II. und ersten österreichischen Hofkanzler, oder die Kisl, die im Lauf von dreißig Jahren von Bürgern in Laibach zu Grafen von Gottschee wurden. Weitere Beispiele für Persönlichkeiten, die es zu einer vollen Teilnahme am öffentlichen Leben brachten, könnten wohl an den Fingern einer Hand abgezählt werden. So ζ. B. Christoph Ignaz Abele (1628-1685), ein keineswegs dynamischer Präsident der Hofkammer, oder Johann Walderode (1593—1674), ein einflußreicher Sekretär der Hofkanzlei. Dies waren winzige Risse in der Hierarchie, und gleiches gilt für den einzigen aristokratischen Aufständischen jener Zeit, Hans Erasmus Graf Tattenbach, der im Jahre 1670 als Pendant zur Verschwörung in Ungarn einen unbedeutenden und gänzlich fehlschlagenden Putsch in der Steiermark inszenierte. 45 Ansonsten waren die im wesentlichen sozialen Bande zwischen zentraler und regionaler Autorität in Österreich überall konsolidiert. Überlegungen über den österreichischen Adel führen unweigerlich zu Diskussionen über die österreichische Kirche, die sich durch einen gleichermaßen beherrschenden und expansiven Charakter auszeichnet. In den hohen Rängen überlappten sich die beiden sozialen Gruppen sehr stark. Der Klerus war der erste Stand auf allen Landtagen und arbeitete mit dem Adel zusammen, um die Steuerlast so schmerzlos wie möglich zu verteilen, und der Adel seinerseits wurde zu einer erz-katholischen sozialen Gruppierung. Wie wir bereits gesehen haben, bot das Episkopat Platz für Söhne aristokratischer Familien, und die mit größtem Ansehen verbundenen Bistümer waren ihnen vorbehalten. Auch in Ordens- und Religionsgemeinschaften fanden sie häufig Aufnahme, und erfolgreiche Äbte durften auf ein Adelspatent hoffen. Einige Nonnenklöster, wie etwa Göß nahe von Leoben oder Sonnenburg im Pustertal, die den Bedürfnissen des steirischen und Tiroler Adels entgegenkamen, indem sie dessen unverheiratete Töchter aufnahmen, oder Hall, das von einer Erzherzogin als schickliches Institut für wohlerzogene ältere Fräulein gegründet wurde, waren geradezu en vogue 4 6 Auch andere religiöse Gründungen profitierten in hohem Maße von aristokratischer Unterstützung, vor allem die Mendikantenorden und die Jesuiten. Oft bestritten Aristokraten den Unterhalt der Priester einer Pfarre aus eigener Tasche und verrichteten Werke der Nächstenliebe. Diese Frömmigkeit wiederum entsprang einer Familientradition, einer Art geistigem Fideikommiß, wobei man häufig der Vorfahren gedachte und sogar Sühne für deren Missetaten leistete, wie Joseph Jörger (dessen Vater ein protestantischer Emigrant war), der in das Zi-

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sterzienserkloster Lilienfeld eintrat, oder Anton Tattenbach, ein Sohn des hingerichteten Hans Erasmus, der sein Leben bei den Zisterziensern in Rein zubrachte. 47 Die breite Masse der Kirche jedoch war nicht adelig, sondern weitestgehend bäuerlich, und wir müssen uns hier die gleiche Frage stellen, wie wir sie uns bereits bei den höheren Klassen gestellt haben: Inwieweit brachte der Katholizismus die verschiedenen Erblande zusammen, und inwieweit verstärkte er die Loyalität gegenüber der habsburgischen Regierung? Inwieweit erfreute er sich wirklicher Popularität? Die Kirche war, betrachtet man ihre Grenzlinien, keineswegs rein österreichisch. Die diözesanen und territorialen Grenzen stimmten selten überein, und auch andere Unterteilungen standen kaum damit in Zusammenhang. Die Bettelorden hatten ihre „Tiroler", „steirischen", „österreichisch-böhmischen", „österreichisch-ungarischen", und selbst „österreichisch-mährischen" Provinzen. Die Gesellschaft Jesu spaltete sich nach langen, gelehrten Auseinandersetzungen in eine weintrinkende österreichische Provinz und eine biertrinkende böhmische Provinz, nach dem apolitischen Grundsatz, daß die Mitglieder ihre Getränke nicht mischen sollten. 48 Auch die Aktivitäten dieser Orden waren international und auf die gesamte Monarchie ausgerichtet, wobei Österreich wiederum eine Art gemeinsamer Nenner war, verpflichtet sowohl den deutschen als auch den habsburgischen Entwicklungen. Typischer für die Erblande war die autochthone Rolle der alten Klöster oder Stifte. 49 Bereits früher sind wir Zeugnissen für ihren Niedergang im 16. Jahrhundert und ihre Wiedererholung im frühen 17. Jahrhundert begegnet. Nun ist es an der Zeit, ein ausführlicheres Bild dieser mächtigen Institutionen zu geben, deren Einfluß in gewisser Weise bis in unsere Tage überlebt hat. Die Benediktiner unterhielten in den österreichischen Landen mehr als zwanzig Klöster (zwei weitere in Salzburg), ihre Bedeutung jedoch lag eher in der individuellen Größe und dem individuellen Reichtum der einzelnen Häuser als in ihrer Anzahl. Sie alle waren mittelalterliche Gründungen, wobei die meisten aus der Zeit zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert stammten. In Niederösterreich gab es in Wien das sogenannte Schottenstift, ein ursprünglich keltisches Kloster, das versteckt in den Wäldern des Waldviertels gelegene Stift Altenburg, die Zwillingsfestungen von Melk und Göttweig, die die beiden Endpunkte der als Wachau bekannten engen Donaupassage beherrschten, das Stift Seitenstetten im Westen und eine kleinere Kommunität in Klein-Mariazell im Wienerwald. In Oberösterreich lagen die berühmte Abtei Kremsmünster, die im 8. Jahrhundert von Bayernherzog Tassilo gegründet worden war, eine sogar noch ältere Gründung in Mondsee, Stift Lambach oberhalb der Traun und die Zwillingshäuser Garsten und Gleink. In der Steiermark lagen die großen Klöster Admont und St. Lambrecht, in Kärnten die etwas kleineren Niederlassungen in St. Paul, Arnoldstein und in dem malerisch am Rand des Sees gelegene Ort Ossiach. In Tirol gab es Klöster in Marienberg und St. Georgenberg (im 18. Jahrhundert im benachbarten Fiecht wieder aufgebaut). Die bedeutendsten benediktinischen Gemeinschaften in den Vorlanden waren Mehrerau nahe am Bodensee und St. Blasien im Schwarzwald, das nach 1613 den Status der Reichsunmittelbarkeit erhielt. 50 Ab dem 12. Jahrhundert belebte der reformatorische Glaubenseifer der Zisterzienser in ähnlichem Ausmaß die österreichische Landschaft, vor allem die entlege-

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neren und bis dato unproduktiven, höher gelegenen Gebiete. Ihre erste Gründung heute das älteste aller überlebenden Zisterzienserklöster - war Stift Rein in der Steiermark. Danach breitete sich der Orden mit seinen charakteristischen Nebenlinien weiter aus, nach Heiligenkreuz, Zwettl und Lilienfeld in Niederösterreich, nach Baumgartenberg und Wilhering in Oberösterreich, nach Sittich in Krain und Viktring in Kärnten. Später kam das bekannte Kloster in Stams in Tirol dazu, und eine weitere Besiedlung der östlichen Länder setzte ein: Landstraß (Krain), Engelszell (Oberösterreich), Neuberg (Steiermark), Säusenstein (Niederösterreich) und die von Kaiser Friedrich III. in Wiener Neustadt gegründete unübliche Stadtabtei (das Neukloster). Nach 1620 wurde das frühere Zisterzienserinnenkloster in Schlierbach (Oberösterreich) von den protestantischen Eigentümern eingezogen und den männlichen Mitgliedern des Ordens übergeben. 51 Am charakteristischsten für Österreich waren die zahlreichen Klöster der Augustinerchorherren. Diese etwas weniger straffen Vereinigungen von Zönobiten scheinen sich vor allem im östlichen Alpenraum besonders durchgesetzt zu haben. Die ältesten Abteien standen in St. Florian bei Linz in Oberösterreich und in St. Pölten in Niederösterreich. Bald breitete sich der Orden auch anderswo in den Herzogtümern aus: Das große und reiche, oberhalb von Wien an der Donau gelegene Stift Klosterneuburg, Herzogenburg und St. Andrä an der Traisen, Waldhausen in der Nähe von Grein, Dürnstein in der Wachau, St. Dorothea in Wien und weitere Besitzungen (Reichersberg, Ranshofen, Suben) unmittelbar jenseits der bayrischen Grenze im Innviertel. In der Steiermark und in Kärnten ließen sich die Augustiner in Vorau, inmitten des Hügellandes nordöstlich von Graz, in Stainz, Rottenmann und Pöllau (hier erst 1505) nieder und stellten die episkopalen Kapitel von Seckau, Gurk und St. Andrä im Lavanttal. In Tirol besaßen sie Klöster in Neustift (Novacella) nahe von Brixen, Gries bei Bozen und Wälschmichel, die alle im Süden des Landes lagen. Auch der strengere Augustinerorden der Prämonstratenser konnte in Österreich Fortschritte verbuchen, doch sind die Prämonstratenser, wie wir noch sehen werden, vor allem ein Kennzeichen des böhmischen Katholizismus. So wurden auch ihre Abteien in Geras-Pernegg (Niederösterreich) und Schlägl (Oberösterreich) von jenseits der Grenze aus besiedelt und gehörten weiterhin der böhmischen circaria an. Die Klöster in Wilten, etwas südlich von Innsbruck, und Griffen, der Bambergischen Enklave in Kärnten, unterhielten dagegen enge Verbindungen zu Bayern. 52 All diese Klöster, die während des Mittelalters so floriert hatten, zu einer Zeit, als Melk, St. Florian, Klosterneuburg und andere sich eines europäischen Rufes erfreuten, erlebten nun im 17. Jahrhundert mit neugewonnener Lebenskraft wiederum eine Blütezeit, und so scheinen die bösen Jahrzehnte der Reformation in der Retrospektive kaum mehr als ein bedrückendes Zwischenspiel. Ihr Reichtum gründete sich auf ihre Herrschaften, die sorgfältige Führung der Güter und eine wirkungsvolle Kontrolle der bäuerlichen Untertanen. Gegen Ende der Periode unterstanden fünfzig bis hundert Mönchen eine um vieles größere Zahl von Laienbrüdern und anderen Angestellten. Die Güter der Klöster lagen in der Regel verstreuter als die aristokratischen Latifundien, doch stellten sie ein ähnliches Imperium dar, das auch die industrielle Produktion umfaßte: Sägewerke, Bergbau, Brauereiwesen usw. Zwischen 1623 und 1637 berief Ferdinand II. Äbte aus Kremsmünster und Lilien-

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feld an die Spitze der kaiserlichen Hofkammer. Die außerordentlich gut dokumentierte wirtschaftliche Geschichte des Zisterzienserklosters Velehrad in Mähren könnte für jedes österreichische Zisterzienserkloster gelten. Noch in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts besaß Admont zehn Schlösser und eine Vielzahl industrieller Konzerne. 53 Wie der Hochadel, so belasteten auch die Stifte diese umfangreichen Hilfsquellen durch eine wahre Orgie von Prestige-Ausgaben für Architektur, Kunst und Einrichtungsgegenstände bis aufs äußerste-und manchmal auch darüberhinaus. 54 Man neigt heute dazu, diesen barocken Glanz vor allem mit dem frühen 18. Jahrhundert in Verbindung zu setzen. Man denkt an die Pracht des von Prandtauer erbauten Stiftes Melk, an die Würde von St. Florian, an den Kaisertrakt in Klosterneuburg und den monumentalen Treppenaufgang in Göttweig, an die herrlichen Bibliotheken in Altenburg und Admont, die Fischteiche und die Sternwarte in Kremsmünster, an das atemberaubende Rokoko der Kirchen in Wilhering und Neustift, Dürnstein und Ossiach. Oft handelt es sich jedoch nur um Fassaden, die soliden Strukturen vorgebaut wurden, die aus den Jahren vor 1700 stammen, vergleichbar den Fürstentiteln, die später in großzügiger Weise an Familien verliehen wurden, die bereits zu diesem Zeitpunkt eine beherrschende Stellung innehatten. Im 17. Jahrhundert kam es zu vielen Neubauten. Zeugnis hierfür sind Kremsmünster und Lambach, Geras und Schlägl, Lilienfeld, Schlierbach und Zwettl, St. Lambrecht und St. Paul, die Kirche des Schottenstiftes sowie Seitenstetten, Vorau, Garsten und Wilten. In vielen Fällen wurde später die bestehende Bausubstanz lediglich im Geiste des Spätbarock verändert oder nach einer Zerstörung wieder aufgebaut, wie ζ. B. die Neubauten in Heiligenkreuz nach den türkischen Verheerungen von 1683. Im gesamten Gebiet des heutigen Österreich legen typische Merkmale, wie etwa die reichen Stuckarbeiten der Carlone und anderer großer Comaschi- Familien, Zeugnis für die Entwicklung eines „nationalen" monastischen Stils bereits lange vor Ende des Jahrhunderts ab. Die Parallele zwischen kirchlichen und aristokratischen Bauten kann noch weiter gesponnen werden. Freilich waren die Ausgangspunkte gänzlich unterschiedlich. Die Klöster besaßen, quer durch alle österreichischen Gesellschaftsschichten, ein wesentlich größeres Reservoir an Talenten und Berufungen. Viele der führenden Äbte jener Zeit waren bäuerlicher oder handwerklicher Herkunft, und das Ideal der Kontemplation war eine durch und durch ehrliche geistige Antwort auf die Zustände der Zeit. Darüber hinaus gab es breiten Raum für Spannungen unter Nachbarn, wenn beispielsweise ein ortsansässiger Grundherr Rechte über die Mönche beanspruchte oder sich ihrer Besitzungen bemächtigen wollte. Ein Beispiel hiefür sind die Auseinandersetzungen zwischen den Eggenberg und den Zisterziensern jenseits der Grenze in Böhmen. 5S Sowohl das Kloster als auch die Familie waren jedoch Interessengemeinschaften, denen ein Sinn für Kontinuität, ein Stolz auf die Vergangenheit - vor allem, was die mittelalterlichen Errungenschaften und die Verehrung des Gründers bzw. der Ahnen betraf - und ein kollektives Vertrauen in die Zukunft gemeinsam war. Beide waren mit Privilegien ausgestattete Verbände, deren Güter vom Souverän garantiert wurden, und beide waren praktisch von jeder Steuerlast befreit. Vor allem die Stifte spielten, nicht weniger als der Hochadel, sowohl auf örtlicher wie auf nationaler Ebene eine beträchtliche Rolle im öffentlichen Leben.

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Dieser letztgenannte Punkt ist es wert, sich näher mit ihm zu beschäftigen. Obzwar die Abteien für ihre Angehörigen ein gewisses centrum securitatis bildeten, waren sie weit von bloßem Asketizismus entfernt. 56 Sie besaßen starke örtliche Wurzeln, und jedes einzelne Kloster war eine mehr oder weniger autonome Einheit, deren Identität vom Standort und der Tradition bestimmt wurde. Sie waren Ausdruck der Moral und der Frömmigkeit ihrer Zeit und legten dabei auch etwas von der Bodenständigkeit und dem einfachen Glauben der ländlichen Bevölkerung an den Tag. Ihre Aufgabe war in der Pastoralarbeit verankert. Der anhaltende Mangel und das unzureichende Format des Weltklerus zwangen die Mönche dazu, angeschlossene Pfarren selbst zu führen. Dies war nicht nur ein typisches Kennzeichen der österreichischen Chorherren, sondern seit der Gegenreformation auch der Benediktiner und Zisterzienser. 57 Ganz allgemein übten die Ordensgeistlichen einen größeren Einfluß aus als der Weltklerus. Obwohl es vereinzelt zu Auseinandersetzungen mit den Bischöfen kam, profitierten die Klöster von der Schwäche des Episkopats, da es tatsächlich keine gewichtige Kathedrale auf österreichischem Boden gab. In Niederösterreich setzte sich der Prälatenstand ausschließlich aus den Äbten alter Klöster zusammen (die wenigen Bischöfe wurden dem Stand der Herren zugerechnet), und im allgemeinen war ihre Zusammenarbeit weitestgehend harmonisch. So wuchsen die Stifte in ihre größere politische Rolle hinein. Die Benediktiner aus Nieder- und Oberösterreich beispielsweise bildeten eine einzige Kongregation. 58 Und auch die Beziehungen zu den Habsburgern nahmen eine günstige Entwicklung. Trotz einiger Einmischungen bei Kapitelwahlen gewinnt man im wesentlichen den Eindruck wechselseitiger Unterstützung. Die Klöster wurden zum Teil Träger des dynastischen Auftrags, der in den neuerbauten Kaisersälen versinnbildlicht wird. Das vielleicht bemerkenswerteste und extravaganteste Beispiel solcher Kaisersäle ist in St. Florian zu finden, wo nicht einmal das in pseudo-türkischem Rokoko gehaltene groteske Bett des Prinzen Eugen vergessen wurde. Es war dies noch keineswegs eine ausschließlich „österreichische" Lösung. Viele Mönche und auch mehr als die Hälfte aller Äbte kamen im 17. Jahrhundert aus dem Ausland, vor allem aus dem von den Habsburgern bevorzugten Einzugsgebiet in Süddeutschland. Unter ihnen der fröhliche und weltverbundene Reginbald Möhner, der uns ein lebendiges Bild der Benediktinerklöster hinterließ, in denen er sich während des 30jährigen Krieges aufhielt. 59 Bis etwa 1700 wiesen jedoch die Klöster, und sie waren sich dessen zumindest teilweise bewußt, bereits einen etwas spezifischer einheimischen Charakter auf, der sich zu ihrer Schlüsselrolle in der österreichischen Barockszenerie gesellte. Neben der Wiederbelebung der Stifte stärkten im Lauf des 17. Jahrhunderts auch andere Aspekte der Gegenreformation das „österreichische" Bewußtsein. Dazu zählte das Erziehungswesen, wo vor allem das bereits beschriebene Jesuitische Unterrichtssystem eine in sich geschlossene Struktur schuf, die auf einer Reihe von Universitätszentren in Wien, Graz, Innsbruck und Linz basierte. Nur Angehörigen des Hochadels oder kirchlicher Gemeinschaften war es möglich, zu Studienzwecken ins Ausland zu gehen. In Ergänzung und in gewissem Sinn als Konkurrenz hiezu, gab es auch Schulen anderer Orden. Vor allem die Benediktiner besaßen angesehene Schulen, die an einige ihrer Klöster angeschlossen waren (Seitenstetten, Admont,

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Kremsmünster, Melk und das Schottenstift), und sogar eine eigene Universität in Salzburg, die in zunehmendem Maße für jene Geistlichen und Adeligen interessant wurde, die eine freiere Gestaltung des Unterrichts und einen alternativen Kreis von Fachleuten suchten. Pädagogen aus den Reihen der Dominikaner versuchten ihre Position auf örtlicher Ebene erneut zu festigen, und die Piaristen, die sich 1657, von Graf Sigmund Kurz ermutigt, in Österreich zunächst in Horn, nordwestlich von Wien, niederließen, legten den Grundstein für ihre eindrucksvolle Ausbreitung über ganz Mitteleuropa. 60 Diese Art der Erziehung blieb, trotz aller Versuche, auch nichtprivilegierte Schichten zu erfassen und trotz der feinen Unterschiede zwischen den einzelnen theologischen Traditionen, äußerst konservativ und mißtrauisch gegenüber allen Einflüssen aus protestantischen Gebieten und in überwältigendem Ausmaß latinisiert. Ihr Schema bot wenig Raum für eine deutsche Kultur, ganz zu schweigen von einer Kultur, die auf die reichen Kadenzen des „österreichischen" Deutsch abgestimmt war. Der Pflege dieser Kultur widmeten sich in erster Linie protestantische Exilierte, wie etwa Katharina von Greiffenberg. Doch auch das katholische Gesellschaftssystem dieser Zeit brachte einige bemerkenswerte literarische Persönlichkeiten hervor, die ihre Werke sowohl in Deutsch als auch in Latein verfaßten. Zu diesen zählen vor allem der Jesuit Jakob Balde aus Ensisheim und der Benediktiner Simon Rettenbacher in Kremsmünster. 61 Außerdem wurde die landessprachliche Kultur von der Kirche in einem entscheidenden Punkt gefördert: Durch volksnahe Predigten, in denen man sich der Alltagssprache bediente, örtliche Themen aufgriff und örtliche Sorgen behandelte. Manchmal überwog in diesen Predigten die Unterhaltung und man vernahm eher gute Geschichten denn biblische Texte. Doch zumindest seit Scherers kraftvollen Predigten in der Hofkapelle in den achtziger und neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts gab es auch eine sinnvollere Tradition. 62 Die führende Persönlichkeit unter den Predigern des 17. Jahrhunderts war der berühmte Abraham a Sancta Clara (1644—1709), geboren als Ulrich Megerle, Sohn eines Gastwirtes aus Schwaben. Sancta Claras lebhaftes Mitgefühl für die Bauern, für Laiengemeinschaften und Bruderschaften brachte ihn in Kontakt mit der einfachen Bevölkerung und den feinen Nuancen ihrer Sprache. Seine scharfen Angriffe auf die zeitgenössischen Laster waren in bemerkenswerter Weise auf die Wiener Verhältnisse zugeschnitten. 63 Viel weniger erinnert man sich an Procopius von Templin (1607-1690), der in Prag zum Katholizismus konvertierte, 1627 in Wien in den Kapuzinerorden eintrat und in ganz Mitteleuropa, vor allem in den österreichischen Ländern, tätig war. Er war ein unermüdlicher Prediger und veröffentlichte seine direkten und beißenden Predigten in umfangreichen Sammelwerken. Sie waren zwar weniger sozialkritisch als jene von Sancta Clara, doch von poetischer und visionärer Wirkung und schlugen offensichtlich ebenfalls eine populäre Saite an. Ähnliche, auf deutsch gehaltene Predigten, mit einem guten Maß an Dialekt und örtlicher Färbung gewürzt, dürften, der erhalten gebliebenen Literatur in den Klosterbibliotheken nach zu urteilen, in ganz Österreich erklungen sein.64 Sowohl Sancta Clara als auch Procopius förderten ortsgebundene religiöse Bräuche und volkstümliche Sitten. So wurde die internationale Andachtsbewegung in einheimischen Formen der Verehrung realisiert. Uberall wurden Pilgerfahrten un-

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terstützt, oft in Verbindung mit Klöstern, so betreute etwa St. Lambrecht die große Wallfahrtskirche in Mariazell, Seitenstetten jene am Sonntagberg, Lambach die prächtige, in den frühen Jahren des 18. Jahrhunderts errichtete Dreifaltigkeitskirche in Stadl-Paura und Rein die Wallfahrtskirche in Straßengel. Viele Gnadenorte sprossen aus dem Boden und reichten von großen Bauten bis zu kleinen, am Wegrand gelegenen Kalvarien, die meist nicht älter waren als die Gegenreformation selbst. Vor allem die Verehrung der Gottesmutter stand im Vordergrund (so für Procopius und übrigens auch Ferdinand III. und Leopold I.), und Maria wurde als österreichische Landespatronin in Maria-Taferl, Maria-Dreieichen, Maria Rasing usw. verehrt. 65 Andere Heiligenkulte waren eigentümlicher, so rückte der hl. Joseph ab 1675 im nationalen Pantheon an die Seite Mariens und wurde von Leopold vor der Geburt seines ältesten überlebenden Sohnes angerufen. Der hl. Leopold, ein Babenbergermarkgraf des 12. Jahrhunderts, vereinigte in seiner Person geistige und politische Tugenden. Seine Verehrung, die von Klosterneuburg, das er selbst gründete, ihren Ausgang nahm, wurde im späten 16. Jahrhundert einem allgemeineren österreichischen Landespatriotismus gleichgesetzt und unter den Kaisern Leopold und Karl VI. weiterentwickelt. 66 Der hl. Florian, der erste österreichische Märtyrer, sollte das eigene Haus gegen Feuer schützen, wenn das des Nachbarn niederbrennt. Der hl. Koloman, ein irischer Pilger aus der Zeit des Mittelalters, als Landstreicher in der Nähe von Wien aufgehängt und in Melk begraben, wurde wegen seiner Fürsprache in den unterschiedlichsten Angelegenheiten, von der Rinderpest bis zu ehelichen Schwierigkeiten, verehrt. Der eigenartigste Heilige, der gänzlich erfundene hl. Domitian (!), Patron Kärntens, half den Menschen, Krankheiten abzuwenden und Fische zu fangen. Zu seinem Gedenken wurden Hochämter in Wien gefeiert, obwohl sein Tun und Wirken auf einer verworrenen mittelalterlichen Fälschung beruhten. 67 Die Verehrung einheimischer Heiliger war Teil einer breiteren Identifikation des Katholizismus mit Österreich. War hier der Protestantismus, wie dies Geistliche seit den Tagen Scherers und Brenners behaupteten, nicht immer ein Fremdkörper? Wie so viele vordergründig bestechende Argumente, so enthält auch dieses ein Körnchen Wahrheit. Um 1600 beispielsweise waren zwei Drittel der steirischen protestantischen Geistlichen Einwanderer. Sicherlich unternahm die Gegenreformation bewußt den Versuch, alle Spuren einer häretischen Vergangenheit zu verwischen, trotzdem scheinen sich solch katharische Riten wie die Massenprozessionen nach Hernais (einst die Bastion der Wiener Lutheraner) eher auf der Ebene öffentlicher Orgien abgespielt zu haben. 68 Die Idee des „katholischen Österreich" war auf der einen Seite ein Aspekt der dynastischen Propaganda, die die Errungenschaften der Habsburger für den Glauben pries und die durch die Ereignisse der achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts noch angeheizt wurde, auf der anderen Seite war dies, wenn auch unterschwellig, der Versuch, die Erblande als das wahre, unbefleckte Herz des Heiligen Römischen Reiches darzustellen. Zu diesem Zweck prahlte man mit deutschen Konvertiten, die sich freiwillig dazu entschlossen hätten, sich in Österreich niederzulassen, und der Erzpolemiker Jodocus Kedd verfälschte deren Lebensläufe, damit sie den apologetischen Absichten gerecht wurden. 69 Von größerer Wirkung war die Argumentation, die sich auf die historische Tradition berief, und

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gegen Ende des 17. Jahrhunderts pflegten Dutzende kirchliche Chronisten im gesamten Gebiet eine Art von Catholicitas perennis. Diese Geschichtsschreibung, zu deren bedeutendsten Vertretern die Brüder Bernhard und Hieronymus Pez in Melk und Marcus Hansiz, der Autor der Germania Sacra, gehörten, zeitigte viele wertvolle Studien über die österreichische mittelalterliche Kirche. Kaiser Leopold, der diese Auffassung voll teilte, gab im Geiste familiärer Pietas Kopien der Korrespondenz Rudolf I., des Gründers der habsburgischen Macht, in Auftrag. 70 Im weiteren Verlauf wurde jedoch die tatsächliche gegenreformatorische Entwicklung sozusagen umgedreht, Österreich wurde als der Hüter katholischer Orthodoxie dargestellt, während es eigentlich die katholische Orthodoxie war, die Österreich schuf. Und „österreichbewußtsein" auf dieser Basis blieb notwendigerweise ein schwer abschätzbarer Wert. 71 Letztlich schuf die Kirche, genauso wie der Adel, während sie die Loyalität zur Dynastie und die örtliche Konformität untermauerte, nur soziale und kulturelle, jedoch keine institutionellen Bande zwischen diesen beiden. Ein weiteres mögliches Bindeglied innerhalb der Erblande bleibt noch zu berücksichtigen: Wien. Doch Wien war nicht eigentlich dafür gerüstet, eine österreichische statt einer habsburgischen Hauptstadt zu sein. Durch die Geschichte war Wien fast ausschließlich mit seinem eigenen Land Niederösterreich verbunden, und seine Lage, obwohl strategisch wichtig, war ungünstig. Umgeben im Westen von Wäldern, im Osten von Sümpfen, kam ihm im mittelalterlichen Reich eher marginale Bedeutung zu, und erst 1469 wurde es zu einem - äußerst unbedeutenden - Bistum. In den Jahrzehnten um 1500 erfreute es sich einer Zeit der Prosperität und des humanistischen Selbstbewußtseins, doch die Kriege gegen Ungarn und die Osmanen waren eine stete Bedrohung und 1522 schließlich beendeten die Habsburger seine Unabhängigkeit. 72 Danach kam Wien, dessen Verwaltung fast durchwegs in Händen von Günstlingen und Vertrauten der Dynastie lag, gänzlich unter die Herrschaft des habsburgischen Hofes. 73 Diese Entwicklung vollzog sich allmählich und geradezu zufällig. Im 15. und 16. Jahrhundert wetteiferten andere Städte, allen voran Prag, als kaiserliche Residenzen mit Wien. Nach 1612 setzte sich Wien durch, obwohl Matthias immer noch Linz den Vorzug gab, und selbst Ferdinand II., der allen Grund gehabt hätte, den Wiener Bürgern für ihre Loyalität im Jahre 1619 dankbar zu sein, wurde in Graz begraben. Mit einem Gefolge, das so groß und pompös war, daß lange Reisen dadurch beinahe unmöglich wurden (Leopold unternahm während seiner langen Regierung 39 meist kurze Reisen), führten die Habsburger nun ein seßhaftes Leben, und nachdem die Türken 1683 zurückgeschlagen worden waren, erstrahlte die Stadt im Prunk einer stolzen kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt. Dies brachte einen weiteren Verlust des wahren städtischen Charakters mit sich, indes eine konservative patrizische Oligarchie Befehle von oben weiterleitete und die einfache Stadtbevölkerung über die ständige Verpflichtung stöhnte, Quartier für eine immer größer werdende Armee kaiserlicher Bediensteter zu bieten. 74 So regierte also die Dynastie - wiederum jedoch weitestgehend durch Adel und Kirche. Die kaiserliche Hofburg war keineswegs weitläufig. Für nahezu ein Jahrhundert (zwischen den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts und den sechziger Jah-

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ren des 17. Jahrhunderts) mehr oder weniger vernachlässigt, blieb sie bis ins 18. Jahrhundert hinein bescheiden, bevor dann die neue Bibliothek, die Kanzlei und die Reitschule gebaut wurden. 75 Dem Adel standen zwei verschiedene Möglichkeiten der Einflußnahme offen, der Hof und die niederösterreichische Regierung (bezeichnenderweise in der Herrengasse gelegen). Seine Macht in der Stadt wurde durch den Kauf steuerfreier Besitzungen noch verstärkt. Einige umfangreiche Bauvorhaben, wie das alte Starhembergpalais am Minoritenplatz, wurden vor 1683 begonnen - früher besaß nicht einmal Hans Ulrich von Eggenberg einen entsprechenden Stadtsitz. Nach der Belagerung entstand eine Unzahl prächtiger Bauten: die Palais Dietrichstein und Herberstein, Strattmann und Questenberg, Liechtenstein und Schwarzenberg, Esterhäzy und Harrach, Batthyäny, Batthyäny-Schönborn und andere. Kein Palais war eindrucksvoller als jenes des Prinzen Eugen in der Himmelpfortgasse, das um etwa 1690 begonnen wurde. Mittlerweile kam es in den seit kurzem angesehenen Vororten, knapp außerhalb der Mauern der Stadt, zum Bau der ersten Sommerpalais, die sich kaiserliche Lustschlösser zum Vorbild nahmen. Wiederum zählten die Liechtenstein und Schwarzenberg zu den Bauherrn, außerdem die Trautson und Paar, die Schönborn und Althan. Prinz Eugens monumentales Oberes und Unteres Belvedere wurden 1722 vollendet. 76 Nicht weniger beherrschte die kirchliche Architektur mit dem Stephansdom und dem bischöflichen (seit den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts erzbischöflichen) Palais im Zentrum Wiens das Stadtbild. Die Jesuiten besaßen in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts drei Klöster (nahe der Universität, Am Hof und in der Annagasse) mit etwa 270 Priestern. Zur gleichen Zeit waren auch andere Orden überall zu finden: die unbeschuhten Augustiner, Minoriten und Barnabi ten nahe der Hofburg; die Benediktiner, Augustinerchorherren, Dominikaner, Franziskaner, Kapuziner, Deutschordens- und Malteserritter an den verschiedensten Plätzen der Altstadt; die Barmherzigen Brüder und die barfüßigen Karmeliter in der Leopoldstadt; die Piaristen in der Josefstadt; die beschuhten Augustiner in der Landstraße; die Trinitarier in der Alserstraße; die Serviten in der Rossau; die Paulaner auf der Wieden und die beschuhten Karmeliter „in der Leimgrubn". Hinzu kommen noch die Nonnenklöster (drei Häuser der Augustinerchorfrauen, zwei der Franziskanerinnen, Karmelitinnen und Ursulinerinnen) sowie die Besitzungen der Stifte wie Heiligenkreuz, Klosterneuburg und Göttweig. Aus dieser Aufzählung ist die geistliche Hegemoniestellung klar ersichtlich. Ihr äußerstes Symbol war auf der Spitze des Kahlenberges zu sehen. Hier wurde auf kaiserlichen Befehl 1628 das Kloster der Kamaldulenser, dieses so wenig auf irdischen Gewinn ausgerichteten Ordens, errichtet. 77 Von den Hängen des Kahlenberges herab stürmten 1683 die christlichen Heere, um Wien zu befreien. Interessant ist, daß auch in den heimischen Verteidigungsanlagen des Katholizismus die letzte kleine Bresche schließlich in demselben Jahr geschlossen wurde, und österreichischen Untertanen der Zutritt zu protestantischen Gottesdiensten in fremden Gesandtschaften verboten wurde. 78 Doch auch wenn die 100.000 Bewohner der Hauptstadt einer einzigen Religion angehörten, zeigten sie in anderen Bereichen wenig Einheitlichkeit. Die Wiener Bevölkerung umfaßte Menschen aus allen Teilen des Reiches, Böhmens und Ungarns, Emigranten aus den Balkanländern und aus Osteuropa, Soldaten, Priester und Künstler aus dem gesam-

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ten Mittelmeerraum und dem katholischen Westeuropa. Die farbenprächtige, vielsprachige Stadt fühlte sich den Habsburgern auf selbstverständliche Weise verbunden, und die Habsburger erwiderten dieses Kompliment, lernten den örtlichen Dialekt und fanden offenkundig auch Gefallen daran. Durch das Anwachsen zu einer multinationalen Hauptstadt wandte Wien sich jedoch von rein österreichischen Gegebenheiten ab. Bis zum tatsächlichen Ende der Monarchie und selbst darüber hinaus (und dies ist ein politisches Faktum höchster Bedeutung) blieb es in gewissem Maße seinem Hinterland entfremdet. 79 Aus all dem können wir nun die Schlußfolgerung ziehen, daß das Österreich des 17. Jahrhunderts weder eine Nation noch ein politisches Ganzes war, sondern ein funktionierendes Gleichgewicht zwischen dem Internationalen und dem Innernationalen, zwischen dem Kosmopolitischen und dem Provinziellen. Das Gesellschaftssystem der österreichischen Gegenreformation wurde in immer stärkerem Ausmaß unbeweglich und intolerant, obwohl nach wie vor Einwanderer willkommen geheißen wurden, die jene Lücke schließen sollten, die durch die Ausweisung von Häretikern entstanden war. Nichtsdestoweniger besaß dieses neue System echte Wurzeln in der heimischen Gesellschaft und Kultur und war auch von außen nicht bedroht, trotz der etwa 100.000 protestantischen Exilierten, die verschiedene oppositionelle Haltungen einnahmen, von Angehörigen der religiösen Wiedererwekkungsbewegung um Graf Zinzendorf in Herrnhut bis zum preußischen Feldmarschall Derfflinger. 80 Das Gebäude der sozialen Kontrolle und des geistigen Absolutismus, das in den Erblanden errichtet wurde, stellt einen Maßstab dar, an dem die weniger vollkommenen Lösungen im übrigen Mitteleuropa gemessen werden können.

KAPITEL 6

Böhmen: Beschränkte Annahme Die Länder des hl. Wenzel bildeten ein durchschaubareres und konzentrierteres Ganzes als die Erblande. Böhmen selbst war seit dem 9. Jahrhundert eine geographische Einheit mit dem natürlichen Zentrum Prag. Die Unterteilung in Kreise (kraje) - 14 zu jener Zeit 1 - erfolgte lediglich zur Erleichterung der Verwaltung. Mähren war mit seinen wichtigsten Städten Olmütz und Brünn, den kirchlichen und weltlichen Zentren des öffentlichen Lebens, eine in sich geschlossene historische Markgrafschaft. Hier, wie in Böhmen, lebten zwei Nationalitäten leidlich von einander abgegrenzt nebeneinander: die tschechische Mehrheit, die vorwiegend auf dem Land beheimatet war und die deutsche Minderheit, die in erster Linie in den Städten und Grenzgebieten zu finden war. Böhmen, Mähren und die anderen konstituierenden Teile des Königreiches - Schlesien und die Lausitz (Ober- und Niederlausitz) wurden in zunehmendem Maße durch bestimmte Institutionen und die Gewohnheiten der Verwaltungspraktik aneinander gebunden. 2 Dennoch fehlte es dem politischen und ethnographischen Bild nicht an Komplexität. In Westböhmen gehörte das Gebiet um Eger kirchlich zur Diözese in Regensburg und nahm konstitutionell eine Sonderstellung ein, im östlichen Mähren verlief die Grenze zu Ungarn nie genau geklärt entlang unwegiger Landstriche, und die Siedler des Hochlandes bewahrten ihre Eigenart mit ihren Dialekten und Traditionen. 3 Derartige Mannigfaltigkeit war umso mehr für Schlesien, ein Wirrwarr von etwa 16 Herzogtümern, charakteristisch. Einige standen unter der Kontrolle des Königs, andere wurden von einheimischen Fürsten regiert, die lediglich entfernt dem König feudale Lehenspflicht schuldeten. Um 1600 gab es nur mehr zwei einheimische Dynastien, die PodSbrad, Herzöge von Münsterberg, und die Piasten in Liegnitz, Brieg und Wohlau. Im Verlauf des Jahrhunderts starben beide Häuser aus, und ihre Ländereien fielen an die Krone heim. Die Jurisdiktion jedoch war weiterhin ziemlich ungeordnet. Ein Gebiet - die Grafschaft von Glatz - erfreute sich einer Art Sonderstatus. Diese Situation wurde durch die Tatsache, daß es neben einer dominierenden deutschen Bevölkerung auch noch viele Polen (oder Quasi-Polen) und einige Tschechen gab, keineswegs erleichtert. 4 In Wahrheit steht Schlesien, auch wenn es im wesentlichen die Entwicklung Böhmens teilt, etwas abseits und bildet sozusagen eine Brücke zum übrigen Deutschen Reich - mehr davon in Kapitel 8. Die Herzogtümer der Lausitz, die zunächst von Sachsen als Gegenleistung für seine Allianz mit den Habsburgern 1620 besetzt und fünfzehn Jahre später, im Frieden von Prag, formell abgetreten wurden, gehören überhaupt nicht hierher. Die Geschichte Böhmens und Mährens im 17. Jahrhundert wurde oft so einfach und konzentriert dargestellt wie die Grundzüge ihrer Geographie. Nach 1620, so

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heißt es, kam es zu einer politischen und sozialen Revolution, auf deren Kosten die Gegenreformation einen klassischen Sieg davontrug. Der habsburgische Absolutismus, getragen von Wien und dem deutschen Element, den Tschechen jedoch völlig fremd, wurde eingeführt. Die breite Masse der Bevölkerung, die den Ambitionen des Kaisers geopfert wurde, erduldete ihn nur widerwillig. Diese Geschichte ist uns aus allen Lehrbüchern wohlbekannt, 5 im Grunde jedoch wurde sie vom 19. Jahrhundert geschrieben, und die damaligen Ereignisse und Grundhaltungen sind stark vom Pathos eines späteren Nationalismus überlagert. Seit der Zeit C. A. Peschecks findet diese Auslegung sowohl in der Heimat als auch im Ausland breitere Anerkennung als die einzig ernstzunehmende Gegeninterpretation, die gleichermaßen tschechisch-patriotisch und vom Geist des 19. Jahrhunderts erfüllt ist, die katholische Apologie der res gestae der böhmischen Gegenreformation. 6 Im Licht jenes umfassenderen mitteleuropäischen Kontexts, der bereits skizziert wurde, gilt es nun zu untersuchen, inwieweit diese stark negative Sicht der Entwicklung Böhmens aufrechterhalten werden kann. Die Belastungen und Umwälzungen der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts stehen außer Zweifel. Selbst gemessen an den Maßstäben einer modernen Landreform wechselte damals eine geradezu phantastische Anzahl von Gütern den Besitzer. Aus den Statistiken Bfleks geht hervor, daß etwas mehr als die Hälfte aller Besitzungen den Eigentümer wechselte. Dieser Prozentsatz liegt bei größeren Gütern noch höher. Es handelt sich dabei, außer im Falle der Anführer des Aufstandes, nicht um unverhüllte legale Enteignungen, wenn auch das Ergebnis ein ähnliches war. Güter wurden oft vorübergehend konfisziert, dann zwangsweise auf einem Käufermarkt veräußert oder sonst zögernd und widerwillig teilweise zurückerstattet. Auf der Suche nach Schuldigen ging man sehr weit. So fanden kleinere Übeltäter ihre Güter in Lehen der Krone umgewandelt, und selbst wer bereit war zu konvertieren und von den Vergeltungskommissionen für unschuldig erklärt wurde, mußte seinen Obulus an die Jesuitische Universität entrichten. 7 Am Ende des Jahrhunderts wurde noch immer über Ansprüche und Gegenansprüche gestritten. Einzelpersonen und ganze Gemeinschaften, die keinerlei Anteil am Aufstand gehabt hatten, wurden zugrundegerichtet. Selbst für direkte Rechtsverdrehung könnten viele Beispiele angeführt werden. So vermochte etwa Sachsen den Adeligen Otto Heinrich Wartenberg nicht vor dem Verlust all seiner Güter zu bewahren, obwohl er über ausdrückliche Garantien aus der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg verfügte. Auf Rache sann eine Clique um Liechtenstein, zu der auch Wallenstein, Michna, der Jude Bassevi und der calvinistische Finanzmann de Witte gehörten, und neben Habgier trat nun auch noch Finanzbetrug. Dieses Unterfangen wurde bestenfalls zur Hälfte von Böhmen getragen, die Hauptnutznießer waren ausländische Söldner und Höflinge, und auf der langen Liste von Emigranten scheinen Träger klingender Namen aus dem Mittelalter und der Renaissance des Landes auf. 8 Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Verneuerte Landesordnung (Obnovene zHzettizemske), die 1627, über die Köpfe der Stände und ihres einst mächtigen Landtages (snim) hinweg, der seit der schicksalhaften Schlacht nicht mehr zusammengerufen worden war, erlassen wurde. Zur Unterstützung bei den Vorarbeiten berief Ferdinand II. sowohl böhmische als auch nicht-böhmische Ratgeber, wo-

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bei letzteren eine besonders bedeutende Rolle zukam. Zu dem achtköpfigen Kollegium von 1625 gehörten der österreichische Kanzler Werdenberg, Reichsvizekanzler Stralendorf und der hochtrabende intellektuelle Konvertit Otto Melander sowie der eingebürgerte Liechtenstein (wie bekannt ein mährischer Untertan) und Otto von Nostitz aus der Lausitz. Die Erkenntnisse des Komitees wurden von einem kleineren, ad hoc zusammengestellten Gremium überarbeitet, dem der Thronfolger, Eggenberg und Harrach (der Vater des Prager Erzbischofs) angehörten. Gedrückte snlmy ratifizierten die Urkunde im düsteren Herbst des Jahres 1627 für Böhmen und dehnten im folgenden Jahr ihre Geltung auch auf Mähren aus. 1640 kam es zu einigen Änderungen, die sich im wesentlichen auf die Einführung gerichtlicher Urteile römischer und kaiserlicher Prägung bezogen. 9 Die bedeutendsten Bestimmungen der Verneuerten Landesordnung können in folgenden acht Punkten zusammengefaßt werden. 10 Erstens, das Prinzip des Wahlkönigtums wurde aufgehoben, die böhmische Krone wurde im Haus Habsburg erblich und das ehrenvolle - und einträgliche - Amt des Burggrafen von Karlstein (wo die Regalien aufbewahrt wurden) wurde abgeschafft. Zweitens, der Klerus, der seit der Zeit der Hussitenkriege politisch machtlos gewesen war, nahm wiederum die Stellung als erster unter den Ständen des Königreiches ein. Drittens, Rudolfs Majestätsbrief wurde widerrufen und alle nichtkatholischen Religionen, mit Ausnahme des Judentums, für illegal erklärt. Viertens, der Souverän war von da an Ursprung aller Gesetzgebung, eine Klausel, die allerdings bald danach, als der Landtag 1640 wieder eine gewisse Initiativmacht gewann, etwas abgeschwächt wurde. Fünftens, Staatsbeamte, gleichgültig, ob diese in der Zentralverwaltung oder auf örtlicher Ebene tätig waren, mußten künftighin nur mehr einen Eid auf den König schwören und nicht mehr auf das „Böhmische Gemeinwesen" (obec krälovstvi leskeho), und alle Ämter, vom Oberstburggrafen von Prag und dem mährischen Landeshauptmann (hejtman) abwärts, konnten nach fünf Jahren neu besetzt werden. Sechstens, bestehende Rechte der Krone als Berufungsbehörde gegenüber anderen Gerichtshöfen wurden bekräftigt. Als Konsequenz aus den beiden letztgenannten Punkten gewann die Böhmische Kanzlei, die nun von Wien aus arbeitete, an Autorität, und für Mähren wurde ein neuer oberster Gerichtshof mit sowohl administrativen als auch juridischen Funktionen eingerichtet. 11 Siebentens, der König, nicht die Stände, sollten in Zukunft das inkolät kontrollieren und Adelspatente in Böhmen verleihen, wodurch die stets betonte Voraussetzung, daß seine Diener Einheimische des Königreiches sein mußten, umgangen wurde. Schließlich wurde die deutsche Sprache in allen Staatsangelegenheiten gleichberechtigt neben die tschechische gestellt. So erschien tatsächlich nur eine deutsche Fassung der neuen Verfassung in Druck (obwohl dies wahrscheinlich ein Versehen war). 12 Wie alle anderen wichtigen konstitutionellen Verfügungen im Lauf der Geschichte der Habsburger (das Privilegium Maius, die Pragmatische Sanktion oder der Ausgleich) war auch die Verneuerte Landesordnung keineswegs in allen Punkten ganz klar abgefaßt. So war nicht explizit festgelegt, wie mögliche Konflikte zwischen dem kaiserlichen römischen Recht und dem böhmischen Gewohnheitsrecht gelöst werden sollten. Widersprüchliche Auffassungen in bezug auf den Status weiterer, ungenannter Aspekte der Verfassung waren herauszulesen. Versprechen,

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diese zu bestätigen, konnten dem souveränen Anspruch, „zu erweitern, zu ändern und zu verbessern" entgegengehalten werden. Dennoch, trotz der komplizierten Sprache und des oberflächlichen Festhaltens an der Form früherer Landesordnungen, ist dies ein sehr gründliches Dokument. Es scheint den gesamten Charakter der Staatsangelegenheiten in Böhmen und Mähren (Schlesien war nicht betroffen) geändert zu haben. Zwar nicht zur Gänze, da der Monarch bereits bisher oberster Gesetzgeber und oberstes Exekutivorgan gewesen war - er ernannte Amtsträger, die er aus einer ihm vorgelegten Liste aussuchte, war Quelle jedes Rechts und verlieh Adelstitel - , doch radikal, da das dualistische System, in dem Krone und Stände einander das Gleichgewicht hielten und notgedrungen zusammenarbeiteten, zerstört schien. Auf dem Papier kam die neue Landesordnung dem nahe, was spätere habsburgische Rechtsgelehrte als Prinzip der Verwirkung bezeichnen. Das aufständische Land verlor all seine Rechte und was ihm verblieb, verblieb allein aus königlicher Gnade. Dies ist zweifellos auch die Meinung des hervorragenden tschechischen Historikers Anton Gindely, der sich in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu diesem Problem geäußert hat. Für ihn besaßen die Habsburger nun die Macht, das öffentliche Recht in Böhmen beliebig zu ändern, alle Privilegien, die nicht eigens bestätigt wurden, zu widerrufen und die althergebrachten politischen Vereinbarungen des Landes zunichte zu machen. Ironischerweise vertrat die Mehrzahl seiner patriotischen Zeitgenossen eine andere Ansicht. Gemäß der Behauptung des 19. Jahrhunderts über die Kontinuität der böhmischen Verfassung mußten sie argumentieren, daß die Verneuerte Landesordnung in der Theorie tatsächlich alle nicht widerrufenen Privilegien bestätigte. 13 Erst die daraus resultierende Regierungspraxis brachte Böhmen (ihrer Meinung nach) in die völlige Abhängigkeit von Wien. Dies bedeutet jedoch - und ich hoffe es gelingt mir im folgenden, dies zu zeigen - eine Umkehr der Relationen zwischen den neuen Formen und ihren Wirkungen, der Wagen wurde sozusagen vor die Pferde gespannt. Die böhmische Staatskarosse war nun tatsächlich schwer mit habsburgischem Gepäck beladen, doch das Herrscherhaus stellte keine neue Equipage zur Verfügung, dieses zu ziehen. Die unruhigen Jahrzehnte zwischen 1620 und 1650 verdecken eine heimische autonome Entwicklung, die sich einerseits parallel zu der militärischen und politischen Macht der Habsburger und der Strategie ihrer Gegenreformation vollzog, andererseits in einer Wechselwirkung dazu stand. Weitere Kausalfaktoren, die bereits früher wirksam wurden und später weiter bestehen blieben, bestätigten diese Entwicklung und drückten ihr ihr eigenes Siegel auf. Wiederum werde ich, wie im Falle Österreichs, versuchen, die Rolle des Adels und der katholischen Kirche sowie deren Verbindungen zur Dynastie aufzuzeigen. Der Aufstieg des Magnatentums innerhalb des böhmischen Adels ist besonders klar zu verfolgen. Die Schlichtung der Frage der Landverteilung nach 1620 beschleunigte sowohl die Eliminierung der Ritter (viele wanderten aus oder verfielen in solche Armut, daß die Verbleibenden keinerlei kollektiven Einfluß ausübten) als auch den Zusammenbruch vor allem der königlichen Städte. Eigenartigerweise war der letzte Ausdruck jener vor 1620 herrschenden sozialen Bewegungsfreiheit in

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Böhmen die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Etwa 150.000 Menschen schlugen den Weg ins Exil ein. Um die Mitte des Jahrhunderts stand bereits eine viel geschlossenere Gesellschaftsklasse an der Spitze der neuen Hierarchie. 14 Der erste und offenkundigste Nutznießer des habsburgischen Sieges war eine internationale Soldateska, die von der Dynastie aus Geldmangel mit Gütern ausbezahlt wurde. Charles Bucquoy de Longueval (gestorben 1621) aus dem Artois erhielt die im Süden des Landes gelegenen Besitzungen der Svamberk (der Nachfolger der Rosenberg), die sogar bereits vor der Schlacht am Weißen Berg eingezogen worden waren. Der spanische Glücksritter Baltazar Marradas (gestorben 1638) und seine Söldnertruppen fielen wie Blutegel in das Gebiet um Pilsen ein, und Marradas erwarb das prächtige Schloß Frauenberg. Sein Landsmann Guillermo Verdugo setzte sich auf ähnliche Weise in den Besitz von Schloß Doupov. Die ärgste Geißel unter diesen Söldnern war Martin Huerta (wie er sich selbst nannte, obwohl er in Wahrheit aus verarmtem Kleinadel in den südlichen Niederlanden stammte), der ausgedehnte Besitzungen in Böhmen an sich raffte. Weiters Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg, der Schlackenwerth mit seinen reichen Minen kaufte; Bruno von Mansfeld, ein anderer Konvertit aus norddeutschem Herrschergeschlecht, der DobfiS erwarb und sich zu einer Zeit, als sein entfernter, stets katholischer Cousin Ernst ein Feind der Habsburger war, als deren ergebener Anhänger erwies; oder selbst die rheinländische Familie der Metternich, deren neues Gut in Königswart nahe von Eger erst zwei Jahrhunderte später Berühmtheit erlangen sollte.15 Auch einige höfische Emporkömmlinge aus dem Ausland stellten ihre Forderungen. Unter ihnen Francesco de Magni oder Magnis und Hermann und Gerhard Questenberg, die einflußreiche Brüder unter dem gegenreformatorischen Klerus besaßen. Der größte höfische Emporkömmling jedoch war ein Einheimischer, Pavel Michna (gestorben 1632). Zunächst Kanzleisekretär, dann die graue Eminenz hinter dem Konsortium, das 1623 die Finanzen des Landes so verkommen ließ, stieg er zum Grafen von Weizenhofen auf und wurde zu einem wohlhabenden Grundbesitzer und zum Bauherrn eines großen Palais auf der Prager Kleinseite. Der größte Freibeuter kam aus den Reihen des heimischen Adels, Albrecht von Waldstein, der Welt als Wallenstein bekannt. Sein kometenhafter Aufstieg zum kaiserlichen Generalissimus, Herzog von Sagan in Schlesien und Herzog von Mecklenburg im Reich in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts gründete sich auf dem Erwerb riesiger Besitzungen und Ressourcen in Böhmen, ein Konglomerat von Gütern, nach dem Schloß von Friedland benannt, obwohl sie in Wirklichkeit um die kleine Stadt Gitschin konzentriert waren. Wir dürfen nicht vergessen, daß er sich bereits (bevor er noch den Generalstab schwang) 1623 Fürst und 1625 Herzog von Friedland nennen durfte. Sorgfältig abgerundet, verwaltet und gepflegt, gehörten die reichsten Ländereien im Tal der Elbe in den frühen dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts entweder Wallenstein oder dessen engen Vertrauten und Landsleuten Adam Tr6ka und Vilem Kinsky. 16 So hätten die Dinge auch bleiben können, hätte nicht Wallensteins anmaßender Ehrgeiz und sein Argwohn gegenüber dem Hof dazu geführt, daß alle drei in Ungnade fielen und schließlich 1634 ermordet wurden. Erst danach machte eine zweite Welle entwurzelter Kondottieri in Böhmen reiche Beute. An ihrer Spitze standen zwei Italiener, Octavio Piccolomini

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(1599—1656), der militärische Nachfolger Wallensteins, der die Ländereien Trökas im Gebiet um Nächod übernahm, und Matthias Gallas (1584—1647), der habsburgische Oberfeldherrin den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts, der sich in Friedland und Reichenberg niederließ. Johann Aldringen (1588-1634) aus Lothringen, einer der begabteren kaiserlichen Kommandanten, erhielt als Lohn für seine Treue den Besitz von Teplitz. Diese Reihe erstreckte sich dann weiter hinab bis zu der keltischen Randgruppe von tatsächlichen Mördern: John Gordon, in jenen verhängnisvollen Februartagen Garnisonskommandant in Eger, Walter Butler, Walter Leslie und Walter Devereux. 17 Gegen Ende des Krieges kam es noch zu weiteren Schenkungen und zu Käufen seitens General Werths und seines Vertreters Johann von Sporck, seitens des Militärbaumeisters Pieroni oder des Hugenotten Louis de Souches, der Brünn 1645 tapfer gegen die Schweden, seine früheren Geldgeber, verteidigte und später konvertierte. Insgesamt jedoch übertreibt jene Legende von riesigen Erwerbungen durch ein Corps kosmopolitischer Offiziere bei weitem die Realität. Auch erfreuten sie sich alle ihrer böhmischen Besitzungen nicht lange. Die Souches hielten sich bis 1736, die Gallas, Piccolomini und Questenberg bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, die Mansfeld bis 1780, die Leslie bis 1802 und die Bucquoy und Sporck bis zum Ende der Monarchie. Diese Familien jedoch waren Ausnahmen, und sogar sie verfügten kaum über politischen Einfluß. Obwohl Angehörige der neuen herrschenden Schicht, erwiesen sie sich als eher handlungsunfähig. 18 Loyale katholische Familien bildeten die zweite Kategorie des Hochadels im Böhmen des 17. Jahrhunderts. Es waren dies meist etablierte Adelige, die aus anderen Teilen der Monarchie hier angesiedelt wurden. Einige darunter waren in erster Linie Glücksritter. Besonders hervorzuheben sind der Tiroler Christoph Simon von Thun, dessen Nachkommen sich für Jahrhunderte in dem Gebiet um Tetschen und Klösterle verschanzten, und einige friaulische Familien, wie die Colloredo und Collalto, die Brüder Camillo und Paolo Morzin, die ab den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts große Güter erwarben, oder Francesco Clary und dessen Sohn Geronimo, der durch seine Heirat auch zum Erben des Aldringischen Vermögens wurde. Es gibt noch weitere Beispiele für eine Überschneidung mit den bereits angesprochenen Kondottieri. So hatte Leslie sich bereits in der Steiermark niedergelassen, Aldringens Bruder war Bischof von Seckau und selbst die Gallas, obwohl sie oft für Spanier gehalten worden sind, zählten im habsburgischen Trentino bereits zum ländlichen Adel. Während sich aber solche Einwanderer aus dem übrigen Mitteleuropa ursprünglich aufgrund ihrer militärischen Bewährung in Böhmen niederließen, besaßen viele andere nur geringe oder gar keine Verbindungen zur Armee. Daß sie sich hier niederließen, war nicht notwendigerweise an die Ereignisse unmittelbar nach 1620 gebunden. Wir sind den Liechtenstein und Dietrichstein bereits als bedeutenden Grundbesitzern im Mähren der Vorkriegszeit begegnet. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wurde ihre Stellung in Form einer fast vorbehaltlosen Herrschaft über die Markgrafschaft bestätigt, und vor allem die Liechtenstein, die in der Zeit der Statthalterschaft Karls über nahezu unbegrenzte Möglichkeiten verfügten, tätigten umfangreiche Käufe in Böhmen - in einer Größenordnung, mit der nicht einmal die Dynastie gerechnet hatte, die einen langwierigen (wenn auch halbherzig geführten) Rechtsstreit mit Karls

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Sohn begann. 19 In ähnlicher Weise waren auch die Thurn-Valsassina sowohl vor als auch nach der Schlacht am Weißen Berg eine bedeutende böhmische Familie, auch wenn der Familienzweig Heinrich Matthias' geächtet wurde. Während die ein oder andere aufstrebende österreichische hocharistokratische Familie ohne jegliches Vorspiel auf der böhmischen Bühne auftrat, vor allem die Eggenberg in Krumau und die Trauttmansdorff in Leitomischl, verfügten andere über ältere Verbindungen zu diesem Land. Die Harrach und Althan besaßen bereits vor 1600 das inkolät, die kosmopolitischen Salm erwarben ab 1604 in Mähren Ländereien und die steirischen Rottal ab 1612. Auch ungarische Adelige zogen nach Mähren: Forgäch, Erdody, Apponyi, Doczy, Pälffy, Illeshäzy und sogar der Neffe von Kardinal Päzmäny. Die Freiherren Serenyi, die sich hier 1614 einen Stützpunkt geschaffen hatten, stiegen in der Hierarchie so hoch auf, daß sie zwischen 1655 und 1664 den Landeshauptmann stellten. 20 All diese Familien waren viel seßhafter und bedeutender als das ungebundene Militär. Sie bilden jene Gruppe von Ausländern, die 1650 über etwa zwei Fünftel der böhmischen Bauern verfügten und oft eine ständige Residenz hier hatten. 21 Doch auch sie konnten in ihrer neuen Heimat, vor allem in Böhmen selbst, kaum entscheidende Macht ausüben, denn die Träger solchen Einflusses müssen andernorts gesucht werden. Wie zerschlissen seine Fahnen und wie dezimiert seine Reihen auch waren, der alte böhmische Adel stellte immer noch die politische Führungsschicht im Staate. Die böhmische Slechta - die Verwendung der tschechischen Bezeichnung soll ein deutsches Element innerhalb dieser Klasse nicht leugnen — durchlief einen Wandel zu einer hochadeligen Elite im extremsten Ausmaß. 22 Erneut vollzog sich diese bereits vor 1620 begonnene Entwicklung weitestgehend organisch. Während einige einflußreiche Adelsfamilien durch natürlichen Abgang ausfielen (1604 die Neuhaus, 1611 die Rosenberg, 1627 die Smificky, 1631 die Pernstein, 1632 die Wartenberg und die TrCka 1634 in dem Blutbad von Eger), schlugen andere Adelshäuser mit der dreifachen Garantie von Grundbesitz, katholischer Orthodoxie und einer nahezu unerschütterlichen Treue gegenüber der Dynastie immer tiefere Wurzeln. Zum inneren Kreis zählten im späten 17. Jahrhundert kaum mehr als zehn Familien, die einst fast alle dem Protestantismus gehuldigt hatten, wenn sie nicht überhaupt in den Aufstand verwickelt gewesen waren. Der Platz von primi inter pares kam den Lobkowitz zu, einem weitverzweigten Geschlecht, das darüber hinwegkam, daß Jifi Lobkowitz in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Ungnade gefallen war, und daß der Hassensteiner Zweig der Familie dem Luthertum anhing und welches in der Person des kompromißlosen böhmischen Kanzlers Zdenfik VojtSch Lobkowitz und dessen Sohn Vaclav Eusebius mit unvergleichlichem Glanz zu neuen Ehren emporstieg. Zdenök VojtSch (1568—1628) war mit der lebhaften und gebieterischen Erbin der Pernstein verheiratet und wurde 1624 in Anerkennung seiner unschätzbaren Dienste für Ferdinand II. in den Fürstenstand erhoben. Vaclav Eusebius (1609-1677), unter Leopold I. Präsident des Hofkriegsrates und oberster Minister, erwarb 1641 die reichsunmittelbare Grafschaft Sternstein, wurde fünf Jahre später zum Herzog von

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Sagan in Schlesien (erinnern wir uns an Wallenstein!), und stiftete mit seinen riesigen Besitzungen um Raudnitz an der Elbe ein Fideikommiß. Obwohl sein politischer Sturz eine Zwangsverwaltung und allgemeines Unheil über die Familie zu bringen drohte, sicherte sein Sohn, auch wenn er nur eine mittelmäßige Persönlichkeit war, den ungeschmälerten Einfluß der Familie und heiratete in die Herrscherhäuser von Nassau, Baden und Schwarzenberg ein. 23 Die Waldstein überdauerten selbst noch größere Schwierigkeiten, nicht nur die ungestüme Karriere des Generalissimus Albrecht, sondern auch den kämpferischen Protestantismus anderer Familienmitglieder, wie beispielsweise des Buchdruckers Henik, der im Exil umkam. Im 17. Jahrhundert hatten die Waldstein jedoch vier Generationen hindurch die höchsten Staatsämter in Prag und Wien inne. Heniks Cousin Adam (gestorben 1638), der zu den führenden katholischen Verfechtern einer politischen Mäßigung sowohl vor als auch nach 1620 zählte, wurde zum Oberstburggrafen des Königreiches, als dieser Posten nach dem Tod Liechtenstein 1627 neuerlich besetzt wurde. Sein Sohn Maximilian (der unter der Obhut Albrechts aufwuchs) war Oberststallmeister und Oberstkämmerer unter Ferdinand III. Drei Söhne Maximilians dienten unter Leopold, der Jüngste, Karl Ferdinand (1634—1702), ebenfalls als Oberstkämmerer und als Obersthofmeister der jungen Kaiserin Eleonora. Er selbst sowie sein Sohn Karl Ernst (wieder einmal Oberstkämmerer) waren auch bedeutende Diplomaten. Unterdessen stand der vierte Sohn Maximilians zwischen 1676 und 1694 an der Spitze des Erzbistums Prag. 24 Vielleicht ist, nach all dem, die Tatsache bezeichnend, daß die Waldstein, während sie zwar im Besitz von Albrechts prächtigem Palais auf der Prager Kleinseite blieben (später auch oft Palais Friedland genannt), nach 1634 kaum je höhere böhmische Ämter bekleideten, die so breiten Raum für Intrigen geboten hätten. Das Gegenteil gilt für zwei alte tschechische Familien, die in ihrer Heimat ein viel größeres Ansehen genossen als jenseits der Grenzen, und die durch jene seltsamen Bande miteinander verbunden waren, die wohl durch die Erinnerung an den gemeinsamen Fenstersturz geknüpft wurden: Slavata und Martinitz. Die Aktion der Aufständischen am 23. Mai 1618 wurde im allgemeinen als taktischer Fehler angesehen, der ungewollt Märtyrer schuf, doch vielleicht lag der Fehler nur darin, daß Vilem Slavata und Jaroslav Martinitz mit dem Leben davon kamen, da sie tatsächlich mächtige Persönlichkeiten waren und richtigerweise als die Führer des katholischen Extremismus erkannt worden waren. Nach 1620 beherrschten sie die böhmische Politik, verklärt durch die Glorie eines Märtyrertums, das durch göttlichen Ratschluß abgewandt wurde (auch war ihnen eine ungewöhnlich lange Karriere vergönnt, die vielleicht durch dieselbe Vermittlung zustande kam): Slavata als Kanzler in der Zeit von 1628 bis 1652 und Martinitz als Oberstburggraf von 1638 bis 1649. Beide stellten den angewachsenen Familienbesitz auf eine solide und geordnete Basis. Die Besitzungen der Slavata, die als Erben der Herren von Neuhaus in puncto Reichtum nur den Lobkowitz nachstanden, lagen im Süden um Neuhaus und die Güter der Martinitz befanden sich westlich von Prag in dem Gebiet um Smeöno und Schlan. Während Slavatas Söhne verhältnismäßig jung starben, wurde Bernard Ignäc Martinitz, nachdem er erst einmal 1648 gemeinsam mit seinem betagten Vater aus schwedischer Gefangenschaft losgekauft worden war, zum bedeutendsten heimischen Staatsmann

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der nächsten Generation und bekleidete für die bemerkenswerte Zeitspanne von 34 Jahren ab dem Jahre 1651 das Amt des Oberstburggrafen. Am Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Slavata und Martinitz in der böhmischen Gesellschaft eine unanfechtbare Position inne, welche durch einen besonders bevorrechteten Status am Landtag bestätigt wurde. Nur menschliche Sterblichkeit konnte hier einen Strich durch die Rechnung machen. Wieder kommt es einer Ironie des Schicksals gleich, daß es beiden Familien als einzigen innerhalb der genannten Gruppe nicht vergönnt war, als mächtige Dynastien bis zum Ende der Monarchie zu überleben. Die Martinitz starben 1789 aus, ihr Name und ihre Besitzungen (wie jene der Gallas) gingen auf die oberösterreichische Clam über. Die Slavata starben bereits 1712 aus, da keiner von Vilems vier prominenten Enkeln einen Erben hervorbrachte. Die bedeutendsten Güter der Slavata kamen an die mit ihnen verwandte tschechische hochadelige Familie der Czernin. 25 Die Czernin bieten ein klassisches Paradigma für die Wechselfälle der Reformation und Gegenreformation. Von drei im frühen 17. Jahrhundert lebenden Brüdern wurde der älteste Obersthofmeister von König Friedrich und starb auf dem Schafott. Der jüngste, Hefman, ein ehrgeiziger katholischer Höfling, stieg zum Oberstlandrichter, Obersthofmeister von Böhmen sowie kaiserlichen Diplomaten auf und erwarb ein großes Vermögen in Form von Gütern (obwohl die Ländereien durch den Krieg verwüstet wurden). Seine Besitzungen gingen auf den Enkel des mittleren, viel weniger abenteuerlichen Bruders über. Dieser Enkel, Humprecht Jan Czernin (1628-1682) war einer der engsten Freunde Leopold I., ein grand seigneur, der das monumentalste aller Prager Barockpalais in Auftrag gab. Sein eigener Erbe diente zwischen 1704 und 1710 als Oberstburggraf. Ähnliche Erfolge hatten die Kinsky zu verzeichnen, die in jener Zeit die ursprüngliche, weniger wohlklingende Form ihres Namens, Vchynsky, ablegten. Von vier Brüdern in der Generation von 1618—1620 gehörten zwei zu den Führern der Aufständischen, während ein dritter, Vilem, gemeinsam mit Wallenstein niedergemetzelt wurde. Vaclav jedoch, der älteste, überlebte die Krise, obwohl er der größte Intrigant von allen war. Sein Sohn heiratete eine Porcia, und sein Enkel Franz Ulrich (1634-1699) wurde zu einem der bedeutendsten höfischen Diplomaten der leopoldinischen Zeit. So hatten auch die Kinsky um 1700 ihre Stellung sowohl als mächtiges Adelsgeschlecht wie auch als ergebene Untertanen der Habsburger gefestigt. Zwischen 1683 und 1745 hatten nicht weniger als vier Angehörige dieser Familie das Amt des böhmischen Kanzlers inne. 26 Vier weitere Familien vervollständigen diese exklusive Liste. Die Sternberg, trotz ihres Namens mehr tschechischer als deutscher Adel, brachten mit Adam (gestorben 1623) den wichtigsten katholischen Vertreter einer Versöhnungspolitik der Jahre vor 1618 hervor. Obwohl seine Politik von den Ereignissen überflügelt wurde, paßten sich seine Nachfolger den geänderten Verhältnissen an. Sein Sohn wurde Oberstlandrichter und seine Enkel waren typische Repräsentanten der hochadeligen Kultur des böhmischen Barock, Wenzel Adalbert als Erbauer zweier eleganter Prager Palais auf der Kleinseite und in Troya, und Ignaz Karl als Bücherfreund und Reisender. Adams Großneffe Adolf Wratislaw war ein Vertrauter Leopold I. und zwischen 1685 und 1703 Oberstburggraf. Ein anderer Zweig der Familie war durch eheliche Bande eng mit der Familie Martinitz verbunden. 27 Ein ebenso verzweigtes Ge-

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schlecht waren die Kolovrat. Zur Linie von Liebstein mit Erbgütern rund um Reichenau in Nordostböhmen zählten vor allem der bemerkenswerte Hofkammerpräsident und Oberstburggraf Ulrich Franz ( 1 6 0 9 - 1 6 5 0 ) , dessen Neffen Franz Karl, der langjährige Landeshauptmann von Mähren, Ferdinand Ludwig, Großprior des Malteserordens, und Johann Wilhelm, designierter Erzbischof von Prag (er starb allerdings vor seiner Weihe). Die Nebenlinie von Krakovsky kam erst im 18. Jahrhundert zur vollen Entfaltung. Die Schlick, lange Zeit die bedeutendsten Grundherren in Nordwestböhmen und Eigentümer der berühmten Minen von Joachimsthal, festigten ihre Position nach der Schlacht am Weißen Berg trotz des Verrates von Joachim Andreas durch dessen entfernten Cousin Heinrich (gestorben 1650), der sowohl Feldmarschall als auch Präsident des Hofkriegsrates war. Auch Heinrich beschritt den üblichen Weg der Stiftung eines Fideikommisses. Sein Enkel war böhmischer Kanzler. Schließlich seien noch die aus der Lausitz und Schlesien stammenden Nostitz genannt, die sowohl vor als auch nach 1620 nach Böhmen kamen. Der Konvertit Otto Nostitz erfreute sich in der Zeit von 1622 bis zu seinem Tod im Jahre 1639 als Vizekanzler des Königreiches in hohem Maße kaiserlicher Gunst. Seine Neffen Otto und Johann Hartwig bauten diesen Vorteil weiter aus. Letzterer war zwischen 1652 und 1683 Kanzler, ließ in dieser Zeit eines der schönsten Prager Palais erbauen und erwarb die souveräne Grafschaft Rieneck in Franken. 28 In Mähren war die exklusive Schicht historischer Familien sogar noch kleiner. Neben den Liechtenstein und den Dietrichstein, die ihren Grundbesitz von Zentren im Süden aus so großräumig erweiterten, bis sie um 1700 etwa ein Viertel der Markgrafschaft besaßen und mit den Habsburgern die Einkünfte aus Olmütz, dem weitläufigsten Bistum der Monarchie, teilten, 29 hatten nur die Kounice einen wirklichen Aufstieg zu verzeichnen. Während Oldfich von Kounice, der Herr von Austerlitz, ein unerschütterlicher Protestant gewesen war, setzte sich sein verwaister Sohn Lev Vilem (1614—1655), zu dessen Brüdern zwei Aufständische zählten, der aber selbst unter der Anleitung von Kardinal Dietrichstein zum Katholizismus konvertierte, wieder in den Besitz des Familienvermögens. Lev Vilems Sohn war der Diplomat und Reichsvizekanzler Dominik Andreas ( 1 6 5 5 - 1 7 0 5 ) . Die nächste Generation brachte sowohl einen Bischof als auch einen mährischen Landeshauptmann hervor und erwarb die reichsunmittelbare Grafschaft Rietberg. Dann folgte der berühmte Kanzler, der überall in der deutschen Form seines Namens bekannt wurde, Fürst Wenzel Anton Kaunitz. 30 Neben dieser inneren Elite in den Ländern der böhmischen Krone gab es auch einen äußeren Kreis mittelrangiger Aristokraten, dem kaum mehr als weitere 15 oder 20 Familien angehörten. 31 Einige Familien hatten in dieser Zeit einen Abstieg zu verzeichnen, wie etwa die Berka von Dubä, die um 1600 zu den mächtigsten mährischen Geschlechtern zählten und bei welchen es zwei äußerst streibar katholische Linien gab, die jedoch 1706 ausgelöscht wurden, oder die Thalenberg und RiCansky, auch die Vfesovec, die sich allerdings einigermaßen auf die Beute des Münzmeisters Vilem in den zwanziger Jahren stützen konnten. Auch die Vrtba zählten hinzu, obgleich sie zwischen 1712 und 1734 noch einen Oberstburggrafen stellten. Andere Familien erlebten einen allmählichen Aufstieg: die Vrbna (Johann Franz Vrbna war von 1700 bis 1705 böhmischer Kanzler), die Vratislav von Mitrowitz, von denen ein

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Familienmitglied, der hochgebildete „Graf Wratislaw", der dem Londoner Hof so imponierte, die diplomatischen Kontakte zwischen Marlborough und Prinz Eugen in die Wege leitete, die Laiansky und Hrzän, und, in etwas bescheidenerem Ausmaß, die Podstatsky oder Sedlnicky. Einigen gelang es auf erstaunliche Weise, sich von der Mitschuld an den Ereignissen von 1618-1620 zu erholen. Die Nachfolger zweier hingerichteter adeliger Rädelsführer wurden als Grafen und Freiherren wieder in das herrschende Gesellschaftssystem aufgenommen (einer von ihnen führte in Wien während der Belagerung von 1683 die Regierung, ein anderer schlug drei Jahre früher mit eiserner Hand den Bauernaufstand nieder. 32 Die calvinistischen Zerotin, vor dem Aufstand das bedeutendste Geschlecht in ganz Mähren, stützten sich auf eine einzige, gefügige, katholische Nebenlinie. Ein oder zwei große einheimische Familien aus Schlesien, vor allem die Schaffgotsch und die Oppersdorf, spielten eine nicht unerhebliche Rolle im gesamten Königreich, wodurch ihre Erwähnung in diesem Zusammenhang gerechtfertigt und das Bild abgerundet wird. 33 Diese durch eheliche Bande eng miteinander verbundene obere Mechta stellte, wie unser genealogischer Abriß bereits andeutete, nach 1620, so wie sie es bereits zuvor auf viel breiterer Basis getan hatte, die politische Führungsschicht Böhmens. 34 Ihr Status wurde durch Nobilitierungen seitens der Habsburger bestätigt, obwohl diese, ebenso wie in Österreich, wiederum nur ein oberflächlicher Widerschein einer tiefergehenden Entwicklung waren. Im Gegenteil, der böhmische Adel übte auch in den kaiserlichen Räten in Wien eine erhebliche Macht aus, eine Macht, die im Verhältnis zu der geringen Anzahl von Vertretern überproportional war. Trotz Leopolds scherzhaften Urteils über seine „haimbtükischen Böhmen" zählten mehrere von ihnen zu seinen engsten Freunden. Die „böhmische" Politik, die eher die Interessen der Habsburgermonarchie betraf als jene des Reiches und sogar zu einer Annäherung an Frankreich führte, schob sich unter der Präsidentschaft Lobkowitz' in der Geheimen Konferenz erneut in den Vordergrund und erreichte mit dem Aufstieg von Franz Ulrich Kinsky und Dominik Andreas Kaunitz in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Später wurde sie, in modifizierter Form, von Johann Wenzel Vratislav fortgeführt. 35 Die meisten alten Adelsfamilien billigten die Verneuerte Landesordnung nicht (selbst Zdenfek Lobkowitz äußerte sein Bedauern), 36 doch konnte sie ohne diese Familien nicht zur richtigen Anwendung kommen und wurde de facto durch diese abgeändert. Die Habsburger einigten sich mit einer Aristokratie, die bei Hof das Land und im Land den Hof repräsentierte und darüber hinaus nahezu ein Monopol auf die höchsten Würden des Staates besaß, auf eine Kompromißlösung. In der Zeit zwischen der Schlacht am Weißen Berg und den Reformen Maria Theresias hatte niemals ein Außenseiter eines der beiden wichtigsten Ämter inne, das Amt des Oberstburggrafen von Prag oder das Amt des böhmischen Kanzlers, der vorwiegend in Wien residierte, wo die kurz nach 1700 von Fischer von Erlach erbaute großartige neue Kanzlei ein Bild vom Florieren dieser Institution vermittelt. Nahezu gleiches gilt auch für die anderen Ämter, deren Träger während der fast ständigen Abwesenheit des Monarchen unter der Leitung des Oberstburggrafen gemeinsam als Statthalterei die Regierung führten: der Obersthofmeister, Oberstmarschall, Oberstkäm-

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merer, die obersten Richter des Königreiches und des Hofes, der Präsident des Appellationsgerichtshofes oder der Präsident der böhmischen Kammer, des obersten Organs der Wirtschaftspolitik. Die einzigen Ausnahmen bildeten einige niedrigere Ämter, die immer noch den Rittern vorbehalten waren - etwa das Amt eines obersten Landschreibers oder Kämmerers der königlichen Städte - , obwohl auch hier die alteingesessenen Familien den Kreis immer enger zogen. Der zeitweilige Aufstieg einiger Bürokraten wie Johann Losy von Losimthal, des obersten Steuereinnehmers Ferdinand III., änderte wenig an dieser Situation, wohingegen das Prinzip der Bestellung und regelmäßigen Wiederbestellung von Amtsträgern durch den König an Bedeutung verlor. 37 Die Statistiken königlicher Kommissäre auf den böhmischen Landtagen zwischen 1627 und 1698 sprechen für sich. In den Jahren der Vollversammlung des snim nahmen zwei Herren und ein Ritter daran teil, kam es nur zu Versammlungen im engeren Kreis (sjezd), so repräsentierte der Oberstburggraf allein die Krone. Insgesamt war in zwanzig Fällen ein Martinitz anwesend, in neunzehn Fällen ein Kolovrat, in siebzehn ein Sternberg, in zehn ein Czernin und ein Slavata, in acht ein Lobkowitz, in sieben ein Vrtba, in sechs ein Vrbna und ein Kinsky, in vier ein Berka, in drei ein Waldstein und ein Lafansky, in zwei Fällen ein Thalenberg, ein Vratislav und ein Schlick und einmal ein Nostitz. Dahingegen beläuft sich die Gesamtzahl all jener, die sich erst kürzlich in Böhmen niedergelassen hatten, auf acht Vertreter. 38 Diese Beamten stellten gemeinsam mit ihren Sekretariaten die habsburgische Verwaltung in Böhmen dar. Lediglich einmal kam es zu dem zögernden Versuch, zumindest einen Teil der Verwaltung dem heimischen Einfluß zu entziehen, als nämlich in Mähren der neue königliche Gerichtshof errichtet wurde, der nach 1636 einem Landeshauptmann unterstand, der regelmäßig einer Familie angehörte, die erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit in dieses Land gekommen war. Bald jedoch setzte auch hier eine beträchtliche Desorganisation und Ineffizienz ein, und derjenige, der sich am meisten um ein Funktionieren bemühte, war der durch und durch patriotische Maximilian Kaunitz. 39 Zieht man in Betracht, daß die hochrangige Slechta bereits auf der habsburgischen Seite der konstitutionellen Gleichung derart dominierte, so ist es kaum verwunderlich, daß die Stände unter ihrer Kontrolle standen. Wie in Österreich überlebten die Stände nicht nur, sondern konnten sogar ihre Exekutivfunktionen ausweiten. Die Landtage traten zumindest jährlich zusammen (59 Mal in der Zeit zwischen 1648 und 1698), und die gewählten Komitees übernahmen die Hauptverantwortung für die öffentliche Ordnung sowie die Eintreibung der Steuern. Eine umfangreiche Landvermessung, bekannt unter dem Namen berni rula (1653—1655), wurde sogar von den Ständen selbst in Auftrag gegeben und auch ausgeführt, um dadurch die Position gegenüber der königlichen Kammer zu stärken. 40 Gewiß schwanden die örtlichen Autonomien innerhalb Böhmens dahin, und tschechische Historiker des 19. Jahrhunderts beklagen diesen Zusammenbruch der Kreise im Vergleich zu der stabilen Komitatsstruktur in Ungarn. Wieder einmal zog jedoch nicht die Krone den größten Vorteil daraus, sondern der Großgrundbesitz, der nun von jeglicher Einmischung seitens der Städte und des niederen Adels befreit war. Die Hauptmannschaften in den einzelnen Kreisen gerieten zunehmend in die

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Hände von Familien, die am Rande des Hochadels standen: Petfvaldsky oder Pfehofovsky, Deym von Stfitei oder Hieserle von Chodaw. 41 Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte die Slechta unter keinerlei ernstzunehmendem Dirigismus zu leiden. Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts an und für sich nicht sehr zahlreichen Krongüter wurden den gesamten Zeitraum hindurch weiterhin veräußert, und jene, die noch verblieben, waren fast alle verpfändet. Sie brachten der böhmischen komora verschwindend kleine Gewinne, noch geringer jedoch waren diese Gewinne, aufgrund der Mißwirtschaft und Korruption, für die Schatzkammer in Wien. 42 Frühes merkantilistisches Unternehmertum war, wo es sich vor 1700 überhaupt zu entwickeln begann, fast ausschließlich das Geistesprodukt großer Grundbesitzer und von ihnen geförderter Unternehmensgründer 43 Hand in Hand mit der aristokratischen Führung ging die aristokratische Kultur, voll des Überflusses und der Prachtentfaltung, aber auch durch eine ausgesprochen örtliche Färbung gekennzeichnet. Ab den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts, sicherlich jedoch ab 1700, kann man nicht mehr länger von einer dem Wesen nach tschechischen Kultur sprechen. Die tschechische Sprache verlor an Bedeutung, auch wenn dies das Resultat der kosmopolitischen Atmosphäre und nicht der offiziellen Politik war. Ferdinand III. sprach tschechisch, Leopold unternahm scherzhafte Anstrengungen, es zu lernen, und bestand darauf, tschechischen Predigten beizuwohnen. 44 Bei Proklamationen und Veröffentlichungen von Dekreten des snim genoß das Tschechische weiterhin Vorrang gegenüber dem Deutschen, und auch für die Mitgliedschaft beim Appellationsgericht waren Tschechischkenntnisse immer noch erforderlich. In Mähren schwand diese Sprache allmählich dahin. So hatte der Leiter der tschechischen Expedition beim Gerichtshof in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts einfach nichts mehr zu tun. In Adelskreisen wurde Tschechisch nach und nach von Italienisch, Französisch und natürlich auch Deutsch in den Hintergrund gedrängt. 45 Für Zeitgenossen aber waren linguistische Überlegungen zweitrangig, und sie blieben bewußt Böhmen. Genealogische Studien erfreuten sich großer Beliebtheit, und man versuchte mit ihrer Hilfe eine alte slawische, vorzugsweise königliche Abstammung sowie Verbindungen zum Glanz des mittelalterlichen Königtums nachzuweisen. Die von dem Jesuiten Tanner verfaßte Geschichte der Sternberg sei als Beispiel hiefür genannt. Der bekanntere Jesuit Bohuslav Baibin, der enge Beziehungen zum alten Adel hatte, plante eine umfassende Genealogie und Anatomie der Slechta - ein grandioses, wenn auch nicht abgeschlossenes Unterfangen. Baibin war durchaus gewillt, auch jüngere Familien in das altehrwürdige Pantheon aufzunehmen, wie zum Beispiel die Harrach (die tatsächlich auf entfernte Verwandte innerhalb der örtlichen Ritterschaft hinweisen konnten), und ging sogar so weit, für seinen Schutzherrn, den Grafen Lamberg, unechte Urkunden zusammenzutragen, die dessen tschechische Abstammung nachweisen sollten 46 Ein wichtiger Aspekt dieser Hinwendung zur Vergangenheit war die Idee einer adeligen Interessengruppe innerhalb der Bohemia sancta, des Heiligtums böhmischer katholischer Frömmigkeit. Das mittelalterliche Magnatentum hatte lange Zeit hindurch private religiöse Gründungen unterhalten, und es war weder der geistigen noch der familiären Pietät abträglich, hier auch ins Barockzeitalter hinein eine Kontinuität zu sehen. So sonnten sich die Czernin im Glänze ihrer Abstammung vom

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sei. Hroznata, einem der Gründer des böhmischen Mönchstums. Baibin führt viele Beispiele für Adelige an, die entweder hohe Kirchenämter bekleideten oder selbst im Rufe der Heiligkeit standen. 47 Einige seiner Beispiele stammen erst aus der jüngsten Vergangenheit. Die zeitgenössische Slechta bewies ja eine ausgesprochene Vorliebe sowohl für kirchliche Berufung wie auch für die Unterstützung neuer religiöser Institutionen. Mehrere Kolovrat traten in den Jesuitenorden ein, Zdislav Berka wurde Benediktinerabt und Benno Martinitz ein reizbarer Propst des Vyäehrader Domkapitels. Der halb-polnische Kapuziner Graf FrantiSek Rozdraiov gilt als Verfasser bedeutender erbaulicher Schriften. Die Sternberg und Czernin unterstützten den Klerus nach Kräften und hatten große Hochachtung vor dem geistlichen Beruf. Eine Aufzählung aller wohltätigen Stiftungen Vaclav Bruntälskys von Vrbna, des Freundes Ferdinands II., würde einer allzu umfassenden Fußnote bedürfen. 48 Offensichtlich entsprach ein solches Verhalten dem Stil und der Struktur der Berufslaufbahn des Zeitalters, doch in Böhmen war es mehr als das. Wir können dies direkt mit einer hohen Bereitschaft zur Sühne für aufsehenerregende und häufig unrechtmäßige Erfolge in Verbindung setzen. So siedelte Wallenstein verschiedene religiöse Orden auf seinen Gütern an und bat die Kartäusermönche, ihm in seinem tief im Wald gelegenen Zufluchtsort Valdice Trost zu spenden (Jaroslav Durych ruft diese Begebenheit auf wunderschöne Weise in einer seiner Novellen in uns wieder wach). Hochfliegend, wie in all seinen Plänen, faßte er auch die Errichtung eines Bistums in seinem Herzogtum Friedland ins Auge, was ihm großangelegte Händel mit den Priestern ermöglicht hätte. Vilem Slavata wurde gegen Ende seines Lebens zu einem Mystiker und Spiritisten. Es ist ein poetischer Zufall, daß seine Familie 60 Jahre später mit dem General des Karmeliterordens Karel Felix, einem in Rom lebenden Intimus von Kaiser Leopold, ausstarb. Derartige Tendenzen fielen auch innerhalb des neuen Adels auf fruchtbaren Boden, so etwa bei Franz Anton von Sporck (1662—1738), dem Sohn Johanns, einem der außerordentlichsten Adeligen jener Zeit und Gründer einer wundersamen Barockstiftung auf seinem Gut in Kukus. Zu den Söhnen von Johann Sigismund von Thun, einem Neffen von Christoph Simon, zählten zwei Erzbischöfe von Salzburg, ein Bischof von Passau sowie ein Kapuziner und ein Malteserritter. 49 Wir kommen nun also zur zweiten Bastion der böhmischen Gesellschaft, dem anderen Zentrum patriotischer Gefühle, der Kirche. Es mag schwierig scheinen, diese Behauptung mit dem in Einklang zu bringen, was wir bereits von der Durchführung der Gegenreformation wissen. Die neue geistige Strömung besaß jedoch (wie wir in Kapitel 2 gesehen haben) bereits vor 1620 örtliche Wurzeln, während die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen nach der Schlacht am Weißen Berg sich sowohl als Quelle der Stärke als auch der Schwäche erwies. Die vielen Zweige des barocken Katholizismus boten auch ein breites Spektrum für eine typisch böhmische Form. Auseinandersetzungen tobten sogar über die Art der Gegenreformation selbst. Die von Carafa in den zwanziger Jahren und von Caramuel in den fünfziger Jahren vertretene harte Linie, die vor allem Äußerlichkeiten der Religion betonte und sich an Gruppen wie an die streng orthodoxe italienische Kongregation in Prag anlehnte, kam in jener Zeit in Konflikt mit der gemäßigteren Auffassung von Harrach, Magni

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und deren Missionaren, die versuchten, gegenüber der breiten Masse der slawischen Bevölkerung, unter der chronischer Priestermangel herrschte, eine mildere Tonart anzuschlagen. 50 Die Richtlinien der Opposition waren jedoch keineswegs klar abgesteckt. Caramuel rühmte sich teilweise tschechischer Vorfahren, während Magni, von Geburt Milaneser, wenn er wollte, durch und durch Internationalist sein konnte. Einmal versuchte er sogar einem Italiener, der weder tschechisch noch deutsch sprach, ein böhmisches Bistum zu sichern. In Mähren nahm Dietrichstein ebenso wie der bedeutende tschechische Geistliche Jan Arno§t Platejs eine Position der Mitte ein. 51 Beide Seiten bauten verstärkt auf die kosmopolitischen Orden, vor allem die Jesuiten, die Franziskanerobservanten und die Kapuziner. Doch auch hier gab es kein nahtloses Gefüge. So kam es zu Reibungen zwischen den herrschsüchtigen Jesuiten und den neu ins Land eingeführten Hiberniern (die ihrerseits auch in einen Streit mit den ortsansässigen Franziskanern verwickelt wurden), zwischen den Jesuiten und den Piaristen, die sich ab Mitte des Jahrhunderts von ihrem Zentrum in Mähren aus ausbreiteten, zwischen den Jesuiten und den älteren Orden und vor allem zwischen den Jesuiten und Valerian Magni. Der Aufruf des begnadeten Kapuziners zu ökumenischer Einsicht, sein Widerwillen gegenüber dem Beharren auf den extremen päpstlichen Forderungen, seine intellektuellen Fähigkeiten und sein großer Einfluß führten zu einer gefährlichen Rivalität und einer langen bitteren Fehde. 52 Dann folgten die Auseinandersetzungen zwischen dem Ordens- und dem Weltklerus. Die weltlichen Prälaten verfügten in Böhmen, zuerst nach der Errichtung neuer Bistümer in Leitmeritz (1655) und Königgrätz (1664), über etwas größeren Einfluß als in Österreich, blieben jedoch dennoch in der Defensive. Die Zahlungen an die in den Pfarren tätigen Priester waren unterschiedlich hoch und im allgemeinen dürftig. Während seines langen Episkopats (1623-1667) war Harrach stets bemüht, seine Position zu behaupten, eine Aufgabe, die durch die Streitigkeiten über Prags nominellen Primat über Olmütz keineswegs erleichtert wurden. Weitreichendere Animositäten zwischen Klerus und Laien nahmen an Intensität zu, gerade als die Gefahren von außen abnahmen. In den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts lagen selbst die frommen Czernin mit den Jesuiten in Streit, und die Nöte der Kriegszeit überschatteten die Beziehungen zwischen der kirchlichen und der königlichen Autorität. 53 Solche Gegensätze konnten in der Praxis als Sicherheitsventil dienen. Oft waren sie mehr ein Spiel der Persönlichkeiten denn eine Auseinandersetzung über wesentliche und grundsätzliche Fragen. Zweifellos half der größte Dualismus, die Polarität zwischen universaler und örtlicher Kirche, das gesamte Gebäude zu stärken. Wie in Österreich, so trugen auch hier die grundbesitzenden alten Klöster mit ihren angeschlossenen Pfarren das Ihre dazu bei, Nationales mit Internationalem in Einklang zu bringen. Den Benediktinern gelang es erneut, sich so wirkungsvoll zu behaupten, daß einer ihrer Äbte, Sobek von Bflenberk, der in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts auf eindrucksvolle Weise als Steuerkommissär für die Stände tätig war, 1668 zum Erzbischof von Prag gewählt wurde. Ihre Tätigkeit nahm von Braunau (jenem casus belli von 1618) ihren Ausgang und führte zur Wiederbesiedlung und zum Wiederaufbau historischer Häuser in Raigern, in der Nähe von Brünn (einst von Dietrichstein gerettet) und Bfevnov am Rande von Prag. In der Hauptstadt wurden

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in dem von Karl IV. gegründeten Emmaus-Kloster bereits 1592 durch Rudolf II. wieder Mönche angesiedelt. Ferdinand II. jedoch, der die Lebensart der Mönche charakteristischerweise als zu lax empfand, siedelte diese Benediktiner in die Altstadt um und führte die strenge spanische Regel von Montserrat ein (der zweite Abt dieser Schwarzspanier war der chamäleongleiche Caramuel, selbst ein ehemaliger Zisterzienser). Beide Abteien gründeten Priorate in der ländlichen Umgebung, in St. Johann bzw. BezdSz. Die Liste böhmischer Benediktinerklöster wird durch Kladrau, nahe von Pilsen, und die alte, auf geheiligtem Boden am Ufer der Säzava wiederbesiedelte Gemeinschaft vervollständigt. 54 Ähnlich verfügten auch die Zisterzienser in der Barockzeit über neun Klöster (weitere in Schlesien kommen noch hinzu), und auch ihr Aufschwung ging von einigen wenigen Zentren aus, die die hussitischen und lutherischen Stürme überstanden hatten, von Hohenfurt und Goldenkron unmittelbar an der österreichischen Grenze, von Plass im deutschsprachigen Westen und von Königsaal im waldreichen Moldautal flußaufwärts von Prag. Ordnung und lokaler Stolz wurden um 1630 in Sedletz in ausreichendem Maße wieder hergestellt, um eine auf tschechisch verfaßte Geschichte der Schicksalsschläge des Klosters veröffentlichen zu lassen. Später wurde dann auch die Niederlassung in Skalitz wieder besiedelt. Ossegg, dessen Ländereien den anderen Stein des Anstoßes des Jahres 1618 darstellten, wurde den Zisterziensern von Ferdinand II. zurückgegeben und entwickelte sich im Lauf des Jahrhunderts allmählich zu einem kulturellen Zentrum Nordwestböhmens und war Sitz der ersten Textilmanufaktur des Landes. In Mähren sahen Velehrad und Saar ihrem prunkvollsten Zeitalter entgegen, und es kam zu einer bewußten Erneuerung des mittelalterlichen Glanzes des tschechischen Mönchstums. 55 Die Augustinerchorherren besaßen Stifte in den böhmischen Landen, die jedoch eher bescheidene Imitationen jener in Österreich waren. Keines von ihnen sollte der Auflösung unter Joseph II. entgehen. 56 Andererseits gewann in Böhmen die strengere Regel des hl. Augustinus, die sich im 12. Jahrhundert in Premontre entwickelt hatte, einen besonderen Einfluß. Wir haben bereits die ersten Keime einer katholischen Wiederbelebung in Tepl und später dann unter Lohelius in Strahov verfolgt. Lohelius' Nachfolger war ebenso hartnäckig wie zielstrebig. Caspar von Questenberg (gestorben 1640), dessen Brüder im Hofdienst Ferdinands II. eine steile Karriere durchliefen, schuf diesen „Berg Zion" (wie die Abtei passenderweise formell genannt wurde), eine neue geistige und politische Stellung, die seiner märchenhaften physischen Herrschaft über die Stadt Prag entsprach. Er erhöhte die Zahl der Chorherren, verschärfte die Disziplin und forderte sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene Rechte für seinen Orden. Er erreichte dabei mit einigen Ausnahmen (Questenberg führte den Protest gegen den Salzvertrag von 1630) fast alles, was er wollte. 57 Das Wiedererstarken der Prämonstratenser ging von Tepl und Strahov aus, griff auf Selau, das nach 1620 wieder besiedelt wurde, und Mühlhausen über, auf die mährischen Klöster in Bruck, wo die Tätigkeit bereits vor der Schlacht am Weißen Berg aufgenommen worden war, auf Neureisch, auf Hradisch außerhalb von Olmütz und Zäbrdovice am Rand von Brünn (beide Häuser mußten nach dem schwedischen Ansturm 1645 neu errichtet werden), weiters auf die halb-adeligen Nonnenklöster von Chotieschau und Doksany, auf Schlägl und Ge-

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ras-Pernegg jenseits der österreichischen Grenze, die ihrerseits Pfarren in Böhmen unterhielten und deren Erneuerer, wie Martin Greysing von Schlägl, dort studierten, sowie auf Schlesien und das Reich. 58 Auf zweifache Weise erfuhr diese Mission zusätzlichen Ansporn. Auf der einen Seite durch die Verehrung des Gründers des Prämonstratenserordens, des hl. Norbert, dessen Reliquien 1627 unter großen Feierlichkeiten von Magdeburg nach Strahov überführt wurden. Von da an zählte Norbert zu den Schutzheiligen Böhmens, und sein Name wurde sowohl bei Pilgerfahrten als auch im Taufregister angerufen. Der Ruf seines neuen Heiligtums breitete sich bis nach Frankreich aus, dessen Königin auf eine Bitte um Staub von seinen Knochen jedoch eine höfliche, wenn auch ablehnende Antwort erhielt. 59 Der zweite Grund ist in der Errichtung eines Seminars in Prag im Jahre 1637 zu suchen. Aufgabe dieses Seminars des hl. Norbert war es, im Rahmen des Ordens ein Zentrum für gelehrte Studien zu sein. Größere Bedeutung erlangte es jedoch in Zusammenhang mit Erzbischof Harrachs Kampagne gegen das jesuitische Erziehungsmonopol in Böhmen. Harrach bediente sich sowohl prämonstratensischer als auch einiger zisterziensischer Lehrer (die ebenfalls über ein eigenes Kollegium verfügten) und der eloquenten Hibernierpatres, um gegen das herrschende jesuitische Establishment anzukämpfen, und verbreiterte dadurch die Basis der gegenreformatorischen Gelehrsamkeit im Land. Man studierte sowohl Scotisten als auch Thomisten, Skeptiker, ja selbst die Jansenisten ebenso wie Realisten, und die Prämonstratenser entwickelten eine lebhafte Barockkultur mit erkennbar patriotischen Zügen. Ihr wichtigster Vertreter, dem wir auch später wieder begegnen werden, war Hieronymus Hirnhaim, zwischen 1670 und 1681 Abt von Strahov. 60 Die Prämonstratenser konnten nur innerhalb einer internationalen Matrix nationale Wesenszüge entfalten. Ein anderer Augustinerorden jedoch war rein böhmisch: die Kreuzherren mit dem roten Stern. Eigentlich war der exotisch klingelnde Ordo militaris Crucigerorum cum rubea Stella ursprünglich eine einfache Vereinigung mittelalterlicher Hospitaliter, die den Prager Franziskanern untergeordnet waren, doch ist es charakteristisch für die adelige Vorliebe jener Zeit, daß die Kreuzherren des 17. Jahrhunderts eine Legende über ihren ritterlichen Ursprung im Hl. Land ausarbeiteten und ihre Verpflichtung zu heilen zugunsten monastischer Ruhe und der Betreuung von Seelen vernachlässigten. Vor den Hussitenkriegen zählte der Orden zu den bedeutendsten kirchlichen Einrichtungen Böhmens, auch überlebte er mit seinen ausgedehnten Besitzungen den protestantischen Druck nahezu unbeschadet. Er profitierte wahrscheinlich von der Tatsache, daß sein Großmeister zwischen 1561 und 1694 stets auch Erzbischof von Prag war. Die Ausgaben, die zu seinem Unterhalt erforderlich waren, wurden durch zusätzlichen Prunk und Einfluß ausgeglichen. Zweifelsohne erfreuten sich die Kreuzherren in der Zeit der Gegenreformation großer Bedeutung. So kontrollierten sie einige 100 Pfarren auf einer Vielzahl verstreuter Güter, die menschlicher verwaltet wurden als die meisten anderen. Sie errichteten eine stilvolle (der Kreuzform angepaßte) Barockkirche sowie eine Residenz im Zentrum von Prag und entwickelten unter der Ägide von Jifi Pospichal ( 1 6 3 4 - 1 6 9 9 ) einen beträchtlichen Lokalpatriotismus. 61 Die Kreuzherren mit dem roten Stern waren nicht die einzigen Repräsentanten

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ihrer Art. Neben kleineren autochthonen Seitenlinien derselben Tradition des mittelalterlichen Hospizdienstes, wie den sogenannten Zyriaken oder den Kreuzherren mit dem roten Herz, deren Kloster bei der Hl.-Kreuz-Kirche in Prag von Ferdinand II. revitalisiert wurde und ebenfalls vor allem tschechische Mitglieder anzog, 62 etablierten sich die Malteser- und Deutschordensritter fest in Böhmen. Während letztere stets ein Fremdkörper blieben - ihre Besitzungen in Mähren gaben Anlaß zu endlosen juridischen Auseinandersetzungen besaßen die Malteserritter eine heimische Dimension. Nach der Reformation konzentrierte sich in der Tat ihre gesamte deutsche Provinz um Prag, wo der Großprior zum ranghöchsten Ordensgeistlichen im Landtag und zu einem ständigen Statthalter des Königreiches wurde. Für Generationen hatten Angehörige des böhmischen Hochadels diese Position inne (vier Mitglieder der Familie Vratislav zwischen 1626 und 1721), und ihr herrliches Palais auf seinem belaubten Platz zählt zu den anmutigsten auf der Kleinseite. 63 Sowohl die alten als auch die neuen Orden waren so eine Stütze für das Gebäude des gegenreformatorischen Katholizismus in Böhmen. Viele ihrer Kennzeichen entsprechen offensichtlich dem österreichischen Muster: das Erziehungssystem, die volkstümlichen Prediger und die Verbreitung von Predigten und Andachtstraktaten durch zeitgenössische ausländische Autoren, wie etwa Martin van Cochem, deren Werke ins Tschechische übersetzt wurden. 64 Die Marienverehrung sowie die Verehrung des hl. Josef wurden gepflegt und fanden ihren Ausdruck in Hunderten von örtlichen Votivbildern und Heiligtümern. 65 Am berühmtesten war die Madonna von Altbunzlau, deren bemerkenswert peripatetisches Schicksal während des Krieges (zunächst von einem sächsischen Offizier gestohlen, 1637 zurückerstattet und zweimal nach Wien gesandt, kam sie in den vierziger Jahren wieder zurück) ihren Bekanntheitsgrad erhöhte und ihr die Hochachtung Leopolds I. einbrachte. 66 Jene Art der Andacht scheint um die Mitte des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht zu haben, ironischerweise zu einer Zeit, als die Habsburger selbst anfingen, diese zu mißbilligen. 67 In Böhmen wurden nur langsamer Fortschritte erzielt, da hier die neuerliche Ausbildung katholischer Frömmigkeit in viel größerem Ausmaß als in den Erblanden von einer bewußten Geltendmachung der Kontinuität des Glaubens abhing. Die beiden Jahrhunderte von Hus bis zur Schlacht am Weißen Berg wurden von nun an lediglich als eine Zeit der Verirrung betrachtet. Der Kampf um die Bestätigung dieser Prämisse fand seinen Ausdruck in den vielfältigsten Formen. Der Ausrottung des Protestantismus wurde nach 1620 neue Dramatik verliehen. Kirchen wurden neu geweiht, ja sogar desinfiziert, Pilgerfahrten zum wundertätigen Schlachtfeld organisiert, und Fronleichnamsprozessionen löschten (zeitlich so günstig nebeneinander liegend) die Erinnerung an den Namenstag Hus' aus. Ferdinand II. wurde mit Mühe davon abgehalten, das aufrührerische Carolinum bis auf die Grundmauern niederzureißen und dort dem öffentlichen Henker eine Wohnstätte zu errichten. Slavata organisierte eine theatralische Zeremonie, anläßlich welcher sich die Bürger von Neuhaus den Wahrheiten der römischen Kirche unterwarfen. 68 Gleichzeitig kam es zu einer Wiederherstellung der mittelalterlichen Ideale, ein Prozeß, der symbolisch in dem einzigartigen Architekturstil der böhmischen Barock-Gotik seinen Höhepunkt fand, dem Werk von Giovanni Santini-Aichel in Saar,

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Sedletz, Selau und vor allem im geheimnisumwitterten Kladrau mit seinen Rippengewölben und phantastischen Spitztürmen. 69 Die größten Aussichten auf Erfolg der „Kontinuitätsthese" lagen in der Idee der Bohemia sancta. Hier wies nach 1620 der eingebürgerte hl. Norbert den Weg wie einst der hl. Veit, dessen Reliquien den ersten Impuls zur Errichtung des Prager Domes gegeben hatten. Aber auch an heimischen Größen fehlte es nicht. Die wahrhaft patriotischen Gefühle, die mit dem Namen des hl. Wenzel, des ersten christlichen Königs Böhmens, verbunden sind, stehen außer Frage. Die Verehrung des hl. Wenzel riß seit seinem Tod im Jahre 923 niemals ab, und seine Kapelle im St.Veits-Dom stellte das größte Juwel des mittelalterlichen Königreiches dar. Festtage zu seinen und seiner Pflegemutter Ludmila Ehren besaßen eine alte Tradition in der Erzdiözese Prag, und Edmund Campion befaßte sich in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts in seinen Predigten mit diesem Thema. Ein interessantes Beispiel für die Verehrung des hl. Wenzel legt sichtbares Zeugnis dafür ab, daß die Wohltätigkeiten, die dem „guten König" durch den Hymnenschreiber des viktorianischen England zugesprochen werden, schon damals hoch geschätzt wurden, obwohl der historische Wenzel zur Zeit seiner Ermordung nichts weiter als ein strahlender Jüngling war. Nach der Schlacht am Weißen Berg nahm der Kult Wenzels und Ludmilas, auf neue Art und Weise von den Priestern formuliert und durch den Adel und selbst die Krone ermutigt (so gab Leopold seinem ältesten Sohn, der allerdings jung starb, diesen Namen), rasch zu. 70 Es überrascht nicht, daß ihr königliches Blut in den Augen der Zeitgenossen das Seine zu ihren frommen Verdiensten beitrug. Hat nicht dieselbe Pfemyslidenlinie auch die sei. Agnes hervorgebracht, die Patronin der ersten böhmischen Franziskaner und Kreuzherren, deren Leichnam schicksalhaft in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts wiedergefunden wurde? 7 1 Auch die anderen altböhmischen Heiligen waren in erster Linie Adelige. Zu ihnen zählten Fürst Vojtfech (den Deutschen als Adalbert bekannt), zweiter Bischof von Prag, Gründer der Abtei von Bfevnov und Missionar, der 997 den Märtyrertod starb, sowie dessen Bruder Gaudentius. Günther (Vintif), praktisch ihr Zeitgenosse, war zunächst Diplomat, wurde später Einsiedler und starb im Rufe der Heiligkeit. Im Mittelalter stand in erster Linie sein Grab in Bfevnov im Mittelpunkt seiner Verehrung, im 17. Jahrhundert war es dann vor allem der Ort, der traditionsgemäß als seine Zelle im hintersten Böhmerwald angesehen wurde, und man errichtete dort eine neue Kapelle. Auch Hroznata, der größte frühe Gönner der Prämonstratenser, kam aus der oberen Gesellschaftsschicht, ebenso wie Hedwig, die Hauptpatronin Schlesiens, und Hyazinth und sein Bruder Ceslav, die Gründer der dortigen Dominikaner, deren Verehrung ab etwa 1600 eine neue Blüte erreichte (Hyazinth wurde 1594 heiliggesprochen). 72 Solche Kulte waren jedoch nicht ausschließlich an die Elite gebunden, sondern sie beinhalteten auch eine wahre volkstümliche Verehrung, die nach 1620 auf Traditionen aufbaute, die niemals zur Gänze abgebrochen wurden. Einer der frühesten böhmischen Heiligen, Ivan, von dem es heißt, er sei der Sohn eines kroatischen Herzogs gewesen, obwohl sein Leben noch weitestgehend im dunkeln liegt, zog sich als Anachorit in eine felsige Schlucht am Beraunfluß westlich von Prag zurück. Sein Heiligtum wurde dann von den Benediktinern übernommen und von vielen führenden Persönlichkeiten der Gegenreformation besucht. Im Zuge

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der barocken Spiritualität regte sein Beispiel zur Nachahmung an. Josef II. verbot nicht weniger als 73 (eine Quelle nennt sogar 83) Eremiten, die der Regel des hl. Ivan folgten. 73 Ein anderer bodenständiger slawischer Heiliger war Prokop (gestorben 1053), der Gründer des Klosters in Säzava. Die Rehabilitation Prokops stellt ein frühes Beispiel für die katholische Wiederbelebung dar. Seine Reliquien wurden 1588, scheinbar auf Betreiben Elisabeths, der Schwester Rudolfs II., in die Prager Burg überführt. 74 Außerdem barg die Verehrung Prokops gewisse Sympathien für die umfassende Idee einer slawischen (im Gegensatz zur lateinischen) Liturgie, für die er sich als Abt von Säzava eingesetzt hatte, und damit für das Legat jener schemenhaften Apostel der alten Tschechen und Mähren, der Heiligen Cyril und Method. Obwohl die Botschaft von Cyril und Method aus römischer Sicht gefährlich schismatisch erscheinen konnte - waren sie doch Gesandte Konstantinopels im 9. Jahrhundert gewesen - , bewegte sie sich doch nicht gänzlich jenseits der Grenze des Erlaubten, vor allem zu einer Zeit, in der man glaubte, daß der Katholizismus erneut die Treue der östlichen Kirchen gewinnen könnte. Aussichten auf ein Wiedererstarken, die sich auf das von Karl IV. in direkter Fortführung der Ideale Prokops errichtete Emmauskloster in der Prager Neustadt stützten, wurden in dem Moment zunichte gemacht, als die Benediktiner von Montserrat dieses Kloster übernahmen. Es ist dies ein Beispiel dafür, wie nationale Aspekte der Religion durch internationale vereitelt wurden. Die Cyrillo-Methodianische Tradition lebte jedoch im Zisterzienserkloster von Velehrad weiter, das der Überlieferung nach an der Stelle ihrer einstigen Tätigkeit errichtet worden war und dessen Abt der oberste Ordensgeistliche in Mähren war. Sie fand enthusiastische, wenn auch etwas ungeschliffene Unterstützung durch Autoren wie Κ. B. Hirschmentzel oder J. J. Stfedovsky. 75 Das Böhmen des 17. Jahrhunderts brachte keine eigenen Heiligen hervor. Der etwas fragwürdige Dekan von Holleschau, Jan Sarkander, der 1620 durch die Hände mährischer Aufständischer starb, ist lediglich eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. 76 Dafür wurde jedoch auf die bekannte und umstrittene Art und Weise das Andenken an einen der früheren Märtyrer verändert, an Jan (Johannes) von Nepomuk. Es ist hier nicht der Ort, auf nähere Einzelheiten über „Jan Nepomucky" oder die heftige Auseinandersetzung einzugehen, die es mehr als zwei Jahrhunderte lang um ihn gegeben hat. Die Feststellung, daß der Heilige eine reale Person, ein Kirchenmann des 14. Jahrhunderts war, möge genügen. Er war Generalvikar des Erzbischofs von Prag und wurde auf Befehl des Königs ermordet, sei es als allzu pflichtgetreuer Wahrer dessen, was ihm die Königin in der Beichte anvertraut hatte, sei es was wahrscheinlicher ist — als aufrührerischer Priester. Im 17. Jahrhundert machten die Katholiken Nepomuk zu einem orthodoxen Gegenpol seines häretischen Zeitgenossen, des anderen Johannes, Jan von Husinec. Sein Kanonisierungsprozeß wurde 1675 eingeleitet und 1729 unter größten Feierlichkeiten erfolgreich abgeschlossen. 77 War Nepomuk, wie viele geglaubt haben, das ideale Symbol der Durchführung einer aufgezwungenen Gegenreformation, ein künstliches Gegengewicht zu Johannes Hus, sogar genau genommen eine Unperson, die der widerstrebenden Bevölkerung von ausländischen Autoritäten aufgehalst wurde? Die offensichtliche barocke

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Begeisterung für den Heiligen sollte uns diesem Argument gegenüber argwöhnisch machen. Sicherlich war Nepomuk ein Gegengewicht zu Hus. Die Suche nach Kontinuität schuf dieses emotionale Bedürfnis (und im Grunde hat Hus selbst in den Augen vieler Tschechen die Attribute der Heiligkeit erlangt), doch sein Kult entstand in der Heimat und wurzelte in einer Verehrung der realen oder vermeintlichen Tugenden des Märtyrers, die bereits in das 15. und 16. Jahrhundert zurückreichte. Die Zeit, die bis zu seiner endgültigen Heiligsprechung verstrich, kann als Hinweis dafür genommen werden, wie bescheiden das Ausmaß des ursprünglichen cultus war, doch zeigt es auch das Zögern Roms hinsichtlich der Anerkennung. Die von Baibin und anderen niedergeschriebene Heiligengeschichte und selbst die ergreifende Statue auf der Karlsbrücke, die jene Stelle kennzeichnet, von der aus Nepomuk angeblich ertränkt wurde, gingen dieser Anerkennung voraus. Es soll uns hier nicht weiter berühren, ob die Zunge des gewissenhaften Beichtvaters wirklich unversehrt gefunden wurde, als sein Grab 1719 geöffnet wurde, solange wir die Aufrichtigkeit jener respektieren, die daran glaubten. 78 Die Geschichte Nepomuks, die Neufassung einer gotischen Legende, liefert das faszinierendste Beispiel einer wechselseitigen Beziehung zwischen den neuen Kräften und den alten Wurzeln, zwischen der gegenreformatorischen Propaganda und dem spontanen Glauben in Böhmen. Die gleiche Mischung finden wir in der gesamten barocken Historiographie. Ehrenwert und ernsthaft, sorgfältig und genau, jedoch weitestgehend unkritisch berichtet sie ebenso von Wundern wie von militärischen Heldentaten des alten Adels und macht keinen Unterschied zwischen zeitgenössischen und mittelalterlichen Werten. Der bedeutendste Autor war Baibin (1621-1688), der uns in seiner unvollendeten Miscellanea Historica — verglichen mit dem Standard der Zeit - ein Werk hervorragender Gelehrsamkeit hinterlassen hat, das gleichzeitig auch eine bemerkenswerte Quelle für die Geisteshaltung jener Zeit darstellt. 79 Unbedeutendere Jesuiten, wie die Brüder Tanner und Jifi Kruger, pflegten die gleichen Interessen. So auch Balbins Freunde in anderen Orden, wie Alois Hackenschmidt, ein Prämonstratenser in Tepl, der Kreuzherr Jan FrantiSek Beckovsky, der Autor einer malerischen Chronik von Böhmen, und Beckovskys Vorgesetzter, Pospichal, der aufschlußreiche Tagebücher führte. Unter dem Weltklerus war der standhafte und scharfsinnige Tomää Peäina (1629—1680) die führende Persönlichkeit, der sich der Niederschrift einer Geschichte seiner Heimat Mähren und seiner Wahlheimat, des Domkapitels von St. Veit in Prag, widmete. Etwas weniger ambitioniert waren Pfarrgeistliche wie Stfedovsky, der schließlich die Würde eines Pfalzgrafen erlangte, oder Matyä§ Bolelucky, der Biograph des hl. Adalbert, und Jan Florian Hammerschmid, der Rektor der Teinkirche in Prag. 80 In dem Werk all dieser kirchlichen Intellektuellen überlappt sich das Studium der Vergangenheit mit der Topographie sowie einer atemberaubenden Empfänglichkeit für die Wunder der Schöpfung. Wie wir noch sehen werden, ist ihre Betrachtungsweise der Geschichte des Menschen nicht zu trennen von ihrer Betrachtungsweise der Geschichte der Natur, und göttliches Eingreifen verbindet die beiden. Die böhmischen Intellektuellen waren nicht nur in erster Linie Priester, sie waren auch meist Tschechen, und die tschechische Sprache förderte offensichtlich ihren

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Patriotismus. Sie suchten, ihr einen dauerhaften Platz zuzuweisen und gingen sogar so weit, protestantische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens anzuerkennen, die das Tschechische gepflegt hatten. 81 Tatsächlich kam es seitens der gegenreformatorischen Kirche zu keinerlei Diskriminierung des Tschechischen. Es gab viele Übersetzungen erbaulicher Werke, und die Literatur in der Landessprache reichte von Heiligengeschichten bis zu den gefühlsbetonten Andachtsdichtungen von Bedfich Bridel und der sogenannten Wenzelsbibel. 82 Einige Dominikanerkirchen wurden angewiesen, stets tschechisch zu predigen, und andere mußten tschechisch sprechende Prediger zur Verfügung halten. Anwärter für den Orden der Kreuzherren mit dem roten Stern mußten beide Sprachen beherrschen. Die Jesuiten wiesen den Vorwurf zurück, das Deutsche zu bevorzugen. Sobek von Bflenberk schrieb als Erzbischof beißende Briefe auf tschechisch. Das Prager Konsistorium bevollmächtigte ausschließlich Priester, die die Sprache ihrer Pfarre verstanden, und war, wenn überhaupt, nur zögernd dazu bereit, die Bedürfnisse jener Städte (wie etwa Budweis) anzuerkennen, wo das Deutsche sich immer mehr verbreitete. Viele Geistliche bedienten sich noch beider Sprachen. Was für eine grausame Ironie für die hussitische Tradition, daß diese Leute nun als „Utraquisten" bezeichnet wurden! 83 Doch auf das Tschechische wurde Druck ausgeübt, und die Intellektuellen schlossen sich zu dessen Verteidigung zusammen. Stfedovsky verdammte ebenso wie PeSina, dessen erstes Buch in der Landessprache erschien und wenig Erfolg hatte, jene, die das Tschechische verleumdeten. Hammerschmid wies eine Bitte der Schuster ab, bei deren Patronatsfest eine deutsche Predigt zu halten. Grammatiker, vor allem der Rechtsgelehrte Vaclav Jan Rosa, hoben die „majestas et venustas linguae nostrae" hervor und wiederholten - wahre oder falsche - Allgemeinplätze über die Verdienste der slawischen Sprachen. Diese wären bereits von Alexander dem Großen gepriesen worden, Karl IV. hätte darauf bestanden, daß die Söhne der deutschen Kurfürsten sie beherrschten, in Konstantinopel wären sie als lingua franca in Verwendung gestanden, und darüber hinaus verbänden sie eine große Wendigkeit des Ausdrucks mit umfassender geographischer Verbreitung. 84 Prag zeigte sogar Interesse für die Sprache der wendischen Bauern in der Lausitz, und ein Jesuit verfaßte dort eine diesbezügliche Grammatik. Am bekanntesten ist die polemische Apologie des Tschechischen von Baibin, die, von seinen Vorgesetzten zunächst nicht zur Veröffentlichung freigegeben, erst ein Jahrhundert später, zu Beginn der nationalen Erneuerung, erschien. 85 Nichtsdestoweniger sollten wir uns davor hüten, diese Diskussion aus ihrem Kontext zu reißen (wie dies das 19. Jahrhundert zu tun geneigt war). Die Apologie, weitestgehend untypisch für Balbins aeuvre, ist keineswegs das Manifest eines verfrühten Narodniks. Sie beklagt ganz einfach den Verfall eines Aspektes der böhmischen Vielfalt, zu dem es vor allem durch Vernachlässigung gekommen war—ein Gefühl, das auch von vielen Bürgern und Rechtsgelehrten geteilt wurde, die in gleichem Maße unwillig waren, das Tschechische aufzugeben. Die Unterstützung einer Sprache war nicht notwendigerweise mit einer direkten Auseinandersetzung mit irgendeiner anderen Sprache verbunden. Weder vor noch nach 1620 findet man ernstzunehmende rassistische Spannungen zwischen Tschechen und Deutschen; der Widerwillen der Bevölkerung gegen ihre neuen Grundherren ist ein ganz anderes The-

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ma. Auch die Siedlungsstrukturen änderten sich nicht wesentlich, wie dies die Gelehrten nun verspätet erkennen. 86 Viel weniger noch unterstützte die im wesentlichen lateinische Welt der Intellektuellen im Zeitalter des Barock (deren vollintegriertes Mitglied Baibin war) das Aufkommen jeglicher nationalistischer Ressentiments. Vielmehr beruhte dieser intellektuelle Patriotismus in hohem Maße auf der Idee der Bohemia docta (um hier den Titel eines anderen posthumen Werkes Balbins zu verwenden) und ging Hand in Hand mit einer ansteckenden Begeisterung für die Verdienste der Heimat. Auf das lieblichste beschreibt Baibin ihre pfeifenden Fische, ihre prächtigen Edelsteine und sogar einen gewissen avis Bohemica und ist fast ebenso stolz auf die Gärten der eingewanderten Sachsen-Lauenburg wie auf die historische königliche Festung Karlstein. 87 So war das gelehrte Böhmen Teil der durch Slechta und Kirche raffiniert an die Erfordernisse der habsburgischen Herrschaft angepaßten nationalen Kultur. Der Inbegriff ihrer Verkörperung sowie ihr vollendetes Symbol war Bernhard Ignäc Martinitz, obgleich man sich Martinitz', der in den Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden die vielleicht mächtigste politische Persönlichkeit des Landes war, eigentlich nur als Feind Balbins erinnert. Dieser Punkt war jedoch letztlich unwichtig. Martinitz, dieser reizbare Charakter, sträubte sich in der Tat gegen die Veröffentlichung von Balbins Epitome Historica, wahrscheinlich weil er (in der Barockzeit ein guter Grund) darin eine Geringschätzung seiner eigenen Familie sah, doch unterstützte er auf der anderen Seite mehrere von Balbins Kollegen, wie etwa TomäS Peäina. In Wirklichkeit war Martinitz, ein großer Gönner der Franziskaner, Serviten, Theatiner und Piaristen, der Kirche und ihrer Kultur treu ergeben. Gebildet und ziemlich belesen stand er in Briefkontakt mit Caramuel, mit dem kaiserlichen Bibliothekar Lambeck und mit Jesuiten wie Athanasius Kircher. Als großer Verehrer von Büchern schrieb er die Geschichte der Feldzüge Ferdinand III. und sogar (anscheinend) eine allgemeine Geschichte seiner eigenen Zeit. Obwohl ein Freund, Ratgeber und aufrichtiger Bewunderer Leopolds I., blieben sowohl die Grundlage seiner Handlungen als auch sein geistiger Bezugspunkt stets strikt böhmisch. 88 Martinitz und seinesgleichen standen für eine dualistische politische und kulturelle Loyalität. Einerseits gegenüber den Habsburgern, deren Apotheose allgemein sowohl in den bildenden Künsten als auch in der Literatur, ja selbst in Disputationsplakaten und Rechtshandbüchern gefeiert wurde, 89 andererseits gegenüber der nationalen Inspiration, die dem böhmischen Barock in zunehmendem Maße eine volkstümliche Dimension verlieh. Derselbe Dualismus läßt sich in Prag erkennen, das nun auf halbem Weg zwischen Haupt- und Provinzstadt stand. Das Antlitz Prags wurde vom Schatten der Habsburger in der düsteren monumentalen Burg mit der statthalterlichen Verwaltung, der Ferdinand III. und Leopold nur gelegentliche Besuche abstatteten, beherrscht. Gleichermaßen beherrschend war auch die Realität der großen Adelspaläste auf den Anhängen des Burgberges in dem prächtigen Viertel oberhalb des linken Moldauufers, die ihrem Äußeren nach wohl kaum ihresgleichen in Europa haben, sowie die prunkvollen Kirchen, in denen Hunderte von Priestern in jedem nur denkbaren Habit in mehreren verschiedenen Sprachen Gottesdienste für eine Bevölkerung feierten, die immer noch geringfügig kleiner als jene Wiens war.

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Dieses Gleichgewicht zwischen einer internationalen Bewegung und ihren örtlichen Ausprägungsformen, das sowohl in Prag als auch auf dem Land erreicht wurde, sicherte der gegenreformatorischen Gesellschaft, die sich bis 1700 in Böhmen herausgebildet hatte, eine verhältnismäßige Stabilität. Doch es gab auch Schwachstellen. Die erste dieser Schwachstellen resultiert direkt aus der Art der Vereinbarung, die mit der Dynastie abgeschlossen wurde. Die herrschenden Gruppen im Königreich hatten die Macht in Wahrheit nicht übergeben und hätten jede ernsthafte Einmischung übel genommen, während die Habsburger allmählich dazu getrieben wurden, ihrer Autorität in wirkungsvoller Weise Geltung zu verschaffen. Trotz aller Hinhaltetaktik der Stände brachten die böhmischen Lande immer noch mehr als 50 Prozent des Gesamtsteueraufkommens der Monarchie auf. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die Schatzkammer sogar noch unersättlicher, während sich bereits die ersten Anzeichen einer noch unausgereiften merkantilistischen Wirtschaftsplanung bemerkbar machten. 90 Darüber hinaus wurden weder Angehörige alter böhmischer Adelsgeschlechter noch die böhmischen Prälaten wirklich ganz gleich behandelt wie ihresgleichen in Österreich. Es ist ein kleines, doch bezeichnendes Indiz, daß lediglich die Lobkowitz, Kinsky und Kaunitz in den Fürstenstand erhoben wurden, während die Bistümer von Prag und Olmütz nach 1695 ebenso oft mit ausländischen wie mit einheimischen Geistlichen besetzt wurden. 91 Die Untreue einiger Aristokraten in den frühen vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts, als bayrische Truppen das Land besetzten, verhält sich direkt proportional zu der habsburgischen Mißachtung ihrer privilegierten Stellung, und böhmischer Patriotismus konnte, wenn er sich angegriffen sah, von überraschender Attraktivität für die erst in späterer Zeit angesiedelten Familien werden. Die zweite Schwachstelle war in offenkundiger Weise schwerwiegend: der von außen ausgeübte Druck auf ein System, das einer so begrenzten sozialen und geistigen Elite diente. Die entmachteten Orden in Böhmen konnten nur reagieren, nicht jedoch von sich aus die Initiative ergreifen. Ihre Unzufriedenheit, die 1680 so massiv demonstriert wurde, richtete sich notgedrungen gegen die gesamte Gesellschaftsstruktur. Vielleicht protestierten sie in erster Linie gegen die neuen ausländischen Grundherren (es ist eigenartig, daß die wortgewandteste Verteidigung der Unterdrückten von einem belgischen Jesuiten verfaßt wurde und sich gegen einen belgischen, erst jüngst emporgekommenen Grundbesitzer richtete), doch letztlich wandten sie sich gegen die Belastungen, die ihnen gemeinsam von Dynastie, Adel und Kirche aufgebürdet wurden, sowie gegen die damit in Verbindung stehende starre hierarchische Ordnung. Und auf Böhmens Bauern wurde von den Herrschern in der Praxis sogar noch weniger Rücksicht genommen als auf die österreichischen Bauern. 92 Mittlerweile lauerte das Heer der erbitterten Emigranten, wenn auch kaum größer als jenes der österreichischen Exilierten, in greifbarer Nähe, denn viele lebten unmittelbar jenseits der sächsischen Grenze und assimilierten sich in ihrer fremden Umgebung weniger schnell. Auf der Schwelle zum 18. Jahrhundert waren in Böhmen fast alle Narben der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts verheilt. Das neue System verriet nur geringfügige innere Uneinigkeiten und war eine reale, wenn auch etwas unergründliche Autorität. Die Lösung war hier jedoch weniger gefestigt als in Österreich und hätte

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unter ständigem Druck zusammenbrechen können. Was eine umfassende Neugestaltung anbelangt, so wurde dieses Anliegen beiseitegeschoben - es gab nicht einmal Fortschritte in Richtung einer institutionellen Einheit von Böhmen, Mähren und Schlesien —, und alte Gegensätze lebten nach und nach in diesen reichsten Besitzungen der Habsburger wieder auf. Zwei symbolische Beispiele sollen zum Schluß diese Behauptung erhärten. Es bedurfte volle 100 Jahre, um die kurz nach der Schlacht 1620 begonnene Wallfahrtskirche der Serviten am Weißen Berg zu vollenden, 93 und der barocke Dekor in der Franziskanerkirche Unsere Liebe Frau vom Schnee reichte niemals, obwohl er äußerst imposant ist, bis in die hochragenden gotischen Bögen hinauf.

KAPITEL 7

Ungarn: Beschränkte Zurückweisung Ungarn war einerseits ein sehr einfacher, andererseits ein sehr komplizierter Fall. Als seit langem bestehendes Königreich mit eigenen Charakteristika, mit genau festgelegten historischen Grenzen (meist Bergen oder Flüssen), doch auch mit großen Unterschieden in den Besiedlungsformen sowie der Kultur, war es jedem Zeitgenossen ein Begriff und unter gesonderter Eintragung in jedem Nachschlagewerk zu finden, doch machte man sich nur ungenaue Vorstellungen, und die Eintragungen wurden üblicherweise aus anderen Werken übernommen. 1 Das Land wurde zunächst nach 1526 provisorisch und nach 1541 dann endgültig in drei Teile geteilt: die habsburgischen Gebiete im Westen und Norden, die türkischen Gebiete, die einen großen Keil durch das Zentrum trieben, und Siebenbürgen im Osten, an dessen Spitze einst ein Wojwode stand und das nun ein mehr oder weniger unabhängiges Fürstentum war. Diese Aufteilung wurde jedoch nie bis ins letzte durchgeführt, da die Grenzen weiterhin schwankten und einige Gebiete unter doppelter, andere hingegen unter überhaupt keiner wirkungsvollen Souveränität standen. Nominell konnte die Dynastie vielleicht für sich in Anspruch nehmen, eine einheitliche Königswürde zu repräsentieren, die sie treuhändisch für eine bessere Zukunft verwaltete. Sie, oder vielmehr der einheimische Adel, erzwang gewisse Rechte über die unter türkischer Herrschaft lebenden Untertanen. In der Tat jedoch standen nicht mehr als 30 Prozent des gesamten Gebietes unter der Kontrolle der Habsburger, und dies gilt für den Großteil unserer Betrachtungsperiode. Dieses Verhältnis verschlechterte sich sogar noch, da der osmanische Vorstoß erst 1664 mit der Eroberung von Großwardein und Neuhäusel seinen Höhepunkt erreichte und in den zwanziger ebenso wie in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts zusätzlich zu den namhaften Gebieten, die, im geschraubten Latein der Rechtsgelehrten als Partium bekannt, bereits seit 1570 an Siebenbürgen verpfändet waren, sieben Komitate an dieses Fürstentum abgetreten wurden. 2 Darüber hinaus waren die von den Habsburgern tatsächlich verwalteten Gebiete von einer außerordentlichen Vielfalt. Selbst das vergleichsweise fruchtbare und blühende Westungarn wies ein buntes Nebeneinander von Nationalitäten (abgesehen von den vielen Deutschen gab es im Komitat ödenburg bei weitem mehr kroatische als magyarische Pfarren) und eine Reihe verschiedener Geländeformen auf, die von der sumpfigen Eintönigkeit der Kleinen Tiefebene (Kisalföld) entlang der Donau bis zu den freundlichen Hügeln des Örseg an der steirischen Grenze reichten. Im Süden lagen die Überreste des alten Kroatien, dieses selbsternannten dreifachen Königreiches von Kroatien, Dalmatien und Slawonien. Obwohl es bereits seit langem mit dem übrigen Ungarn verschmolzen war, obwohl es verstümmelt, ge-

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plündert und von Türkenflüchtlingen überflutet war, klammerte es sich nun rund um seine Hauptstadt Agram an das letzte bißchen Autonomie. 3 Im Norden und Osten erstreckte sich bogenförmig das Gebiet Oberungarns (des Felvidek, wie es später bezeichnet wurde) mit seiner Bevölkerung, die sich aus Magyaren, Slowaken und Ruthenen in den ländlichen Gegenden und aus Deutschen, Magyaren und Slowaken in den Städten zusammensetzte, wobei die vielen örtlichen Eigenheiten durch Bergketten und reißende Flüsse noch verstärkt wurden. Im 17. Jahrhundert wurde das Bild überall noch verworrener, da es zu einer ständigen Bevölkerungsbewegung sowie zu sozialen Verlagerungen und einer aus Unsicherheit resultierenden Verrohung kam. Um nichts weniger traten diese regionalen Unterschiede in Siebenbürgen zutage mit seinem Konglomerat aus Magyaren, Szeklern, Sachsen und Rumänen. Nur die Gebiete von Ofen, Temesvär, Erlau und Kanizsa verloren durch die eiserne Hand der wirtschaftlichen und kulturellen Unterdrückung viel von ihrem Lokalkolorit. Eine umfassende Geschichte des osmanischen Ungarn muß jedoch erst geschrieben werden, und sie wird eine Geschichte voll Licht und Schattenseiten sein.4 Ein Umstand scheint hier zur Klärung beizutragen bzw. einen Aufhänger für eine weitere Argumentation zu liefern, nämlich die Zäsur des Jahres 1683, die Belagerung Wiens, der eine Vertreibung der Hohen Pforte sowie die Eingliederung Siebenbürgens folgte. Doch selbst die Ereignisse der achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts waren (wie ich versuchen werde, in diesem Kapitel zu zeigen) bestenfalls ein Katalysator. Das habsburgische Ungarn von 1683 diente als Sprungbrett für ein neues, größeres Ungarn nach 1683. Die Entwicklung erfolgte kontinuierlich, und die Voraussetzungen waren dieselben wie im Raum der übrigen Monarchie, obwohl die Hindernisse für dieses Modell hier noch gewaltiger waren. So war Ungarn sowohl vor als auch nach den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts stets weit von jedem politischen Absolutismus entfernt, auch wenn die Dynastie gerade hier die entschiedensten Versuche in dieser Richtung unternahm. In Ungarn waren die Habsburger an Kompromisse gewöhnt. Mit den Türken gab es Verhandlungsrunden um Verhandlungsrunden, die bis in die neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts etwas einseitig geführt und riskant für die österreichischen Gesandten waren. Mit Siebenbürgen wurden 1538 und 1570 Verträge sozusagen wie mit einem kleineren Koalitionspartner geschlossen, und in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts war man dank der Hilfe des geistlichen Diplomaten „Bruder Georg" Martinuzzi nahe daran, hier die Rechte der königlichen Oberherrschaft zu bestätigen. Sahen die Habsburger sich von Seiten Stefan Bäthorys einer heftigeren Opposition gegenüber, so schien ihnen unter dessen Neffen Zsigmond ein neuerlicher Erfolg sicher. Dieser war mit einer steirischen Erzherzogin verheiratet und stand unter der Obhut eines versierten Jesuiten. Doch sein ungestümes und aufrührerisches Verhalten sowie die Verwüstungen auf beiden Seiten in den letzten Feldzügen gegen die Türken schufen zunehmend Ressentiments. Bis 1608 hatte Bocskais Aufstand erneut erfolgreich alle Ansprüche auf die Unabhängigkeit Siebenbürgens sowie den ungarischen Separatismus verteidigt. Gabor Bethlen machte Siebenbürgen nach 1613 zu einer echten protestantischen Alternative für ganz Ungarn und focht in den zwanziger Jahren eine Reihe entscheidungsloser Kriege gegen die Habsburger. György I. Räkoczi war etwas nüchterner, doch sah er in den vierziger Jahren eine

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Möglichkeit, die Mißstände auszunützen, und ein weiterer ausgeglichener Feldzug endete mit einer Rechtfertigung des bestehenden Modus vivendi. Offener Kompromiß jedoch war, vor allem wenn damit protestantische Freiheiten verbunden waren, nicht nach dem Geschmack der Habsburger. Gerade weil ihre politische Kontrolle auf so schwachen Beinen stand, hatten sie den sehnlichen Wunsch, diese auf eine solide Basis zu stellen. In den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts bot sich die Gelegenheit dazu: der Zusammenbruch Siebenbürgens aufgrund der ungezügelten Ambitionen György II. Räkoczi, eine Schwächung der Türken sowie Beweise für Verrat in den Reihen der eigenen habsburgischen Untertanen. Mit der Hinrichtung von Magnaten nach der Verschwörung Wesselenyis begann ein Jahrzehnt der Willkürherrschaft, ähnlich jener der zwanziger Jahre in Böhmen (und es ist kein Zufall, daß Lobkowitz und Martinitz in diese Ereignisse verwickelt waren). 5 Obwohl nur ein unbedeutenderer Vorwand gegeben war, war die Durchführung der Politik gewissermaßen konsequenter. Die Verfassung wurde außer Kraft gesetzt und die Macht in die Hände eines Guberniums von Ausländern gelegt, an dessen Spitze Johann Kaspar von Ampringen, der Großmeister des Deutschen Ordens, stand und das von Kanzler Hocher beherrscht wurde. Die Protestantenverfolgungen, die sich in erster Linie gegen calvinistische Pfarrer richteten, erreichten ihren Höhepunkt, als etwa vierzig Protestanten zum Galeerendienst verurteilt und so die ersten wirklichen Märtyrer der anti-katholischen Opposition in Ungarn geschaffen wurden. 6 Das Schicksal der Galeerensklaven führte zu einem internationalen Aufschrei, doch erinnert man sich andererseits daran weit weniger als an die früheren Geschehnisse in Böhmen. Den Grund dafür muß man nicht lange suchen, da diese Aktionen scheiterten und das genaue Gegenteil bewirkten. Sie beschworen in Imre Thököly einen neuen Bocskai herauf und heizten die heftige Unzufriedenheit in den nächsten Jahrzehnten weiter an. Im Jahre 1681 mußte Leopold I. den Landtag wieder einberufen und das Amt eines Palatin erneut einführen. Militärische Erfolge gegen die Türken sowie gegen die Anhänger Thökölys zwischen 1683 und 1686 ermutigten zu weiterem Druck (und wieder besaß ein Böhme, nämlich Kinsky, großen Einfluß). Hiezu zählt auch das brutale Blutgericht, das General Caraffa, der als genauer Zeitgenosse des berüchtigten englischen Richters Jeffreys wirkte, und dessen Name selbst nach den Erfahrungen in Böhmen vor sechzig Jahren wie ein Manifest für fremdes Diktat klang! Der Landtag von 1687 konnte jedoch nur geringfügige Fortschritte verzeichnen. Wenn auch die Stände feierlich ihrem Recht auf freie Wahl und ihrem mittelalterlichen Widerstandsrecht entsagten, sollten die folgenden Ereignisse bald zeigen, wieviel dies in Wirklichkeit wert war. Zielstrebigere Schritte in Richtung einer absolutistischen Herrschaft über die Gebiete der hl. Stefanskrone mit einer zentralisierten Verwaltung und Wirtschaftsführung, wie sie von dem im wesentlichen nicht ungarischen Kreis um Kollonitz unternommen wurden, riefen noch heftigere Unruhen hervor. 1703 brach in fast ganz Ungarn und Siebenbürgen unter Ferenc II. Räkoczi (einem Enkel Györgys II.) der Aufstand los, in dessen Verlauf die Habsburger sogar vorübergehend abgesetzt wurden. Acht Jahre später brachte der Friede von Szatmär zwischen den beiden völlig erschöpften Gegnern das Land wieder in normale Bahnen. 7

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So überlebte also die ungarische Verfassung und mit ihr eine Reihe ständischer Organe. Der aus zwei Kammern bestehende Landtag (orszäggyüles) wurde, obwohl nur unregelmäßig einberufen, im allgemeinen gut besucht, konnte königliche Vorschläge diskutieren und seine ewig gleichbleibenden Beschwerden vorbringen. 8 Der Palatin, Statthalter des abwesenden Monarchen und vom Landtag unter vier vom König vorgeschlagenen Kandidaten ausgewählt, führte die mit Hilfe eines Consilium Locumtenentiale zwischen dem Souverän und den Ständen ausgehandelten Pläne aus. Sein Stellvertreter, der Landesrichter (judex curiae oder orszägbirö) führte den Vorsitz beim Appellationsgerichtshof des Königs, oft als Tabula Septemviralis bekannt, während ein weiteres Tribunal, die Tabula Regia, unter einem Würdenträger mit der eigenartigen Bezeichnung personalis stand. Die Komitate mit ihren Verwaltungsämtern, den comes (Obergespan) und vicecomes (Untergespan), und ihren Friedensrichtern sowie dem vorwiegend durch Wahl besetzten örtlichen Beamtenstab, verfügten über wesentlich mehr Macht als ihresgleichen im übrigen Mitteleuropa. Jedes Komitat entsandte zwei Abgeordnete zum Landtag. 9 Natürlich besaßen auch die Habsburger ihre Stützen, die sich aus dem traditionellen Bereich der königlichen Macht und einigen Ablegern der kaiserlichen Verwaltung zusammensetzten. Die Kanzlei operierte schemengleich unter der Leitung eines hohen Geistlichen von Wien aus. Eine Kammer in Preßburg befaßte sich mit den habsburgischen Regalien, vor allem den bedeutenden Bergwerken Oberungarns. Es war ein leichtes, diese von außen zu beeinflussen, sei es durch Druck seitens der Wiener Hofkammer, sei es durch die Errichtung einer konkurrierenden kameralistischen Organisation in der Zips, die für die östlichen Komitate zuständig war. Der Kupferabbau in Neusohl erfuhr unter direkter habsburgischer Leitung um die Mitte des 17. Jahrhunderts eine Wiederbelebung, bis der Export durch einen neuerlichen Krieg zunichte gemacht wurde. Kriegsräte in Wien und Graz kontrollierten schließlich den Sold der Armee sowie die Postenbesetzungen, u. a. der Kommandanturen der Festungen und der Generalhauptmannschaften in den sechs Militärbezirken. Die praktische Effizienz, manchmal sogar die Kompetenz solcher Organe ist jedoch schwer abzuschätzen. In den meisten Fällen mußten sich die ungarischen Herrscher bis in die Zeit Maria Theresias einheimischer Institutionen bedienen: Selbst der ehrerbietige Staatsrat, Consilium Hungaricum, blieb im wesentlichen eine Körperschaft der Stände. 10 Oberflächlich betrachtet herrschte also ein etwas labiles Gleichgewicht zwischen den miteinander wetteifernden politischen Zielsetzungen. Bei näherer Betrachtung lag dem habsburgischen Regime in Ungarn ein versteckter Kompromiß zugrunde. Auch hier treffen wir auf die Interessensgemeinschaft zwischen Dynastie, Adel und katholischer Kirche. Der traditionelle Träger der Verfassung war der Adel als solcher, nur er bildete im üblichen Sprachgebrauch die natio Hungarica. Diese Gesellschaftsschicht war ziemlich groß und im Lauf des Mittelalters vielen Fluktuationen unterworfen. Königliche Gunstbezeugungen sowie Adelstitel und das Recht der individuellen Vertretung in der Oberen Kammer des Landtages förderten das Entstehen einer neuen hochadeligen Elite als einem wesentlichen Charakteristikum des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Die wirkliche Stärke der Magnaten jedoch lag

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in der beherrschenden sozio-ökonomischen Stellung, die sie vor allem in Westungarn, im nördlichen Kroatien und in Teilen Oberungarns gewannen. 11 Die von ihnen getroffenen Maßnahmen stellten sicher, daß die Krisenjahre nach 1600 weder zu feudaler Anarchie (im Gegensatz zu den Ereignissen im nahen Polen) noch zum Absolutismus führten. Diesen Familien, in Summe etwa dreißig oder vierzig an der Zahl, oblag sowohl auf nationaler als auch auf örtlicher Ebene die Kontrolle der höheren Verwaltung. Sie waren Obergespane und Richter, Hüter der hl. Krone und Ratgeber. Ihre privaten Banderien verteidigten die Linien gegen die Osmanen. Während um 1600 kaum mehr als eine Handvoll von ihnen katholisch war (die meisten hatten darüber hinaus aus den Kirchengütern, in deren Besitz sie sich gesetzt hatten, einen gewissen Nutzen gezogen), blieb nach 1650 nur mehr eine Handvoll von ihnen protestantisch. Der innere Kreis des Hochadels war sogar noch enger gefaßt. Er schien sich, ohne daß dies einer übermäßigen Vereinfachung gleichkäme, auf zehn Familien zu beschränken, von denen wir bereits einigen begegnet sind. 12 Die Esterhäzy waren ein einzigartiges Phänomen. Als Geschlecht, das nahezu aus dem Nichts auftauchte, stiegen sie zur bedeutendsten ungarischen Adelsfamilie empor. Natürlich schauten auch sie auf eine Ahnenreihe zurück, wie dies unterwürfige Chronisten zu zeigen bemüßigt waren. Einer, dessen Begeisterung vielleicht etwas zu weit ging, führte die Ahnenreihe bis auf Attila zurück. Im 16. Jahrhundert jedoch lebten die Esterhäzy als verarmter Kleinadel im Schatten mächtiger Verwandter. Erst der Aufstieg Miklos Esterhäzys in der letzten Generation vor 1620, für die eine soziale Mobilität noch möglich war, brachte die Wende. 13 Miklos Esterhäzy (1583-1645) machte sein Vermögen als Palatin, erwarb riesige Besitzungen in dem Gebiet von Eisenstadt und der nahezu uneinnehmbaren Festung Forchtenstein und sicherte die Stellung seines Hauses durch die Verfügung mehrerer bemerkenswerter Eheschließungen. Miklos selbst nahm die Witwe Imre Thurzos, Krisztina Nyäry, zu seiner zweiten Frau, vermählte dann den Sohn aus seiner ersten Ehe mit deren Tochter und seine Enkelin aus dieser ersten Ehe mit seinem eigenen Sohn aus seiner zweiten Ehe mit Krisztina. Auch der jüngere Sohn Pal (1635-1713), der stets ohne jegliche Unterwürfigkeit unerschütterlich loyal auf seiten der Habsburger stand, war ein äußerst scharfsinniger Staatsmann. Die Krönung seiner Karriere erfolgte auf dem hitzigen Landtag des Jahres 1681 mit der Bestellung zum Palatin, einem Amt, das er bis zu seinem Tode innehatte. 1687 wurde diese Vorrangstellung der Esterhäzy durch die Verleihung des Reichsfürstentitels bestätigt. Die zahlreiche Nachkommenschaft sowohl Pais als auch anderer Zweige der Familie sicherte deren weitere Ausbreitung. Eine Anzahl von Fideikommissen schuf eine unerschütterliche materielle Grundlage. Pal erbaute die erste großangelegte Residenz der Esterhäzy, jenes ausladende Schloß in Eisenstadt, das später Josef Haydn so vertraut werden sollte.14 Bereits um 1700 waren die Esterhäzy, ebenso wie die Liechtenstein in Österreich und die Lobkowitz in Böhmen primi inter pares. Ihre Konkurrenten als Großgrundbesitzer in Westungarn waren die Batthyäny, Pälffy und Nädasdy. Die Batthyäny brachten eine Reihe ehrgeiziger und einflußreicher Persönlichkeiten hervor, die sich von Ferenc, dem Gefolgsmann Ferdinands I., bis zum Konvertiten Adam (1609-1659) erstreckte, der als erster den Titel eines Grafen trug. Adams epony-

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mer Enkel, der das Amt eines Landesrichters und Banus (d. h. Vizekönigs) von Kroatien bekleidete, vermählte sich mit der wohlhabenden Tochter des österreichischen Kanzlers Strattmann. Diese Hochzeit stellt eine der auffallendsten Verbindungen zwischen Adel und Intellekt in der habsburgischen Geschichte dar. Ihr älterer Sohn wurde Palatin, dem jüngeren, dem Ajo Joseph II., wurde die Würde eines Reichsfürsten verliehen, und ein Enkel wurde zum Primas von Ungarn. 15 Die Geschichte der Pälffy und der Nädasdy weist einige Parallelen auf: Beide Familien, die eine katholisch, die andere protestantisch, brachten es im 16. Jahrhundert zu Ansehen in habsburgischen Diensten. Miklos Pälffy und Ferenc Nädasdy zählten in den Jahren vor 1600 zu den herausragendsten Militärbefehlshabern, wobei sie ihren Erfolg durch Eheschließungen mit einer Fugger bzw. einer Bäthory stützten. Ihre Nachfolger hielten diesen Schwung aufrecht. Pal Pälffy, 1648 Palatin, errichtete das unvermeidliche Fideikommiß mit seinen Gütern entlang der österreichischen Grenze. Ferenc Nädasdy (1623-1671), der das Amt eines Landesrichters ausübte, vollzog die ebenso unvermeidliche Konversion, heiratete Miklos Esterhäzys Tochter und erweiterte seine ausgedehnten Domänen durch große Teile der umgebenden Landstriche. Hier kommt es nun zu einer einschneidenden Divergenz. Während die nächste Generation der Pälffy hohe ungarische Hofämter innehatte, mußte Nädasdy unerwartet mit seinem Leben und der Konfiszierung seiner Güter für seine Führerrolle in der Verschwörung der sechziger Jahre bezahlen. Eine Aussöhnung nach diesem Hochverrat erfolgte aber erstaunlich rasch. Wenn die Nädasdy sich auch nie wieder ganz der gleichen Gunst erfreuen durften, mit der die ultra-loyalen Pälffy überhäuft wurden (die Brüder Miklos [1657-1732]und Jänos Pälffy [1664-1751] waren beide Palatin), zählten sie dennoch weiterhin zu den hohen Würdenträgern in Kirche und Staat. 16 Ein auffälliges, wenn auch sehr verständliches Charakteristikum der Lage in Ungarn war die direkte Miteinbeziehung des gesamten Hochadels in lebenswichtige und entscheidende militärische Operationen. Dies wird klar, betrachten wir jene Familien, deren Genealogien wir bereits untersucht haben. All ihre Güter lagen im Einzugsbereich türkischer Ausfälle, und nahezu jeder, der dazu in der Lage war, tat das Seine, um die Gefahr abzuwenden. Erneut stehen die Esterhäzy etwas abseits. Sowohl Miklos als auch Päl waren eher Organisatoren und Finanziers denn Militärbefehlshaber. Nichtsdestotrotz fielen 1652 in einem einzigen Scharmützel vier Esterhäzy. 17 Das belagerte Kroatien ähnelte noch mehr einem bewaffneten Heerlager. Das berühmteste Geschlecht hier waren die Zrinyi mit ihren Kriegshelden Miklos IV., dem Verteidiger von Szigetvär im Jahre 1566, und dessen Urenkel Miklos VII. (1616-1664), jener Geißel der osmanischen Heere entlang der Drau. In diesem begeisterten Abenteurer, der Zierde der umkämpften ungarischen Grenzkultur, fand dieses Geschlecht seinen Höhepunkt. Der jüngere Miklos starb auf ebenso verwegene Weise, wie er gelebt hatte. Er wurde auf der Jagd von einem wilden Eber angefallen. Seine Würden gingen auf seinen Bruder Peter über. Letzterer jedoch, ersterem zwar nicht körperlich, doch geistig ebenbürtig, wurde in die Wesselenyi-Verschwörung gegen die Habsburger verwickelt, und kurz danach starb die Familie aus. 18 Die Zrinyi hatten mit dem Protestantismus zumindest geliebäugelt. Die Erdody

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und Draskovich bewahrten eine unerschütterliche kroatische Loyalität gegenüber der römisch-katholischen Kirche, die sich für beide als großer Nutzen erwies. Die Erdödy, ebenso wie die mit ihnen verwandten Pälffy, verdankten ihren ursprünglichen Aufstieg aus dem Dunklen dem Patronat eines Verwandten, des Renaissance-Kardinals Tamäs Bakocz, der ihnen ausgedehnte Ländereien in Westungarn übertrug. Zwischen 1547 und 1693 brachten sie vier Bane von Kroatien hervor sowie eine lange Reihe gottesfürchtiger Erblasser. Auch Kardinal Juraj Draskovich (1525-1586) erwies seiner Familie einen ähnlichen Dienst. Sein Neffe Ivan (gestorben 1613) wurde Banus und war der Schutzherr der frühen Jesuiten in Agram. Zu seinen Großneffen zählten ein Palatin sowie ein führender Bischof der Gegenreformation. Darüber hinaus waren die Erdody auch in Hofämtern zu Hause. Zwischen 1684 und 1748 waren abgesehen von sieben Jahren drei Mitglieder der Familie ohne Unterbrechung Präsidenten der Kammer in Preßburg. 19 Das habsburgische Oberungarn war nur unwesentlich weniger feudal als Kroatien, doch gab es hier kein Pendant zu den ausgedehnten Handelsunternehmen der Zrinyi. Aber auch hier überragten im 17. Jahrhundert drei Familien alle anderen (abgesehen von den Esterhäzy, die ebenfalls weite Gebiete am linksseitigen Donauufer besaßen). Die Macht der Illeshäzy war in erster Linie auf die aufsehenerregende Karriere Istvän Illeshäzys (1541 — 1609) zurückzuführen, der trotz tiefgreifender Zerwürfnisse mit den Habsburgern sein Leben als Graf, Palatin und einer der reichsten Grundbesitzer des Landes beschloß. Istvän tat sich als entschlossener Verteidiger der protestantischen Causa hervor, was ihn allerdings nicht daran hinderte, in die Familien der Pälffy und Erdody einzuheiraten und einen abtrünnigen Neffen namens Miklos Esterhäzy zu protegieren. Sein Erbe Gäspär (1593—1648) verfocht auch in schwierigeren Zeiten die gleiche religiöse Linie. Wir sind ihm bereits in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts flüchtig als einem gemäßigten Anhänger Gabor Bethlens begegnet, der nicht gewillt war, einen endgültigen Bruch mit den Habsburgern herbeizuführen. Nach Gäspärs Tod konvertierten seine Söhne Gabor und György zum Katholizismus und halfen, den Wiener Einfluß entlang des weiten Tales des Waagflusses zu stärken. 20 Ein ähnliches Paradigma hätte man ohne Bedenken auch für die benachbarten Thurzo von Bethlenfalva voraussagen können, deren lutherische Tradition wir bereits kennengelernt haben und deren ebenfalls erste Generation des 17. Jahrhunderts zum katholischen Glauben zurückkehrte. Die Thurzo starben jedoch 1636 in männlicher Linie aus. Die anderen tonangebenden Magnatenfamilien Oberungarns waren die Forgäch und die Csäky. Die Brüder Ferenc und Zsigmond Forgäch hatten als Erzbischof und Palatin viel dazu beigetragen, daß sich die Habsburger nach dem Aufstand Bocskais wieder erholten. Zsigmonds Sohn Ädäm(1601-1681), Feldmarschall und Landesrichter, 1640 in den Grafenstand erhoben, verschaffte seiner Familie ein so großes öffentliches Ansehen, daß dieses durch die aufrührerischen Aktivitäten eines seiner Söhne, Simon (1669-1730), nur unwesentlich erschüttert wurde. Ähnlich behaupteten sich auch die von Siebenbürgen nach Ungarn eingewanderten Csäky dank einer Reihe führender Politiker (vor allem die Landesrichter Läszlo [gestorben 1655] und Istvän [gestorben 1699]) gegenüber der fragwürdigen Tätigkeit einiger anderer Sprößlinge der Familie. 21

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Abgesehen von einigen Ausnahmen, auf die weiter unten eingegangen werden soll, verhielten sich diese zehn Adelsgeschlechter während des gesamten 17. Jahrhunderts loyal gegenüber der Realität - nicht immer der Theorie - der habsburgischen Herrschaft in den Ländern des hl. Stefan. Dies war notwendig, da man auf lange Sicht nicht ohne sie auskommen konnte. Sie waren nicht nur Obergespane in den Komitaten, sondern auch Obergespane aufgrund des Erbrechtes und hatten die örtliche Verwaltung fest in Händen, selbst wenn deren Ausführende nominell gewählt werden mußten. In dem gesamten Zeitraum zwischen der Wiedereinführung des Palatinats nach dem Aufstand Bocskais und dessen Aussetzung durch Maria Theresia im Jahre 1765 hatte nur ein einziges Mal eine Persönlichkeit, die nicht diesem illustren Kreis angehörte, dieses Amt inne: Ferenc Wesselenyi Graf von Muräny (gestorben 1667). Sein Rang jedoch war jenem der übrigen nur unwesentlich untergeordnet. 22 Die Wesselenyi gehörten zu einer Gruppe von Familien, die die Geschicke des Staates eher selten lenken konnte. Hiezu zählten alteingesessene Magnatenfamilien, deren Glanz im Erlöschen war: Die Drugeth von Homonna und die Szechy starben beide 1684 aus; der kroatische Zweig der Frangepan, dieser heißblütigen, den Zrinyi ebenbürtigen Familie, wurde 1671 auf dem Schafott ausgelöscht; die letzten Angehörigen des Geschlechts der Czobor verschwendeten um die Mitte des 18. Jahrhunderts, was von ihrem Vermögen Übriggeblieben war; die Balassa und Nyäry, Perenyi und Revay versanken in der Ausübung einer rein provinziellen Herrschaft. Hinzu kam eine Konstellation von Familien, die allmählich am politischen Firmament aufging: die Kohäry (als Miniaturausgabe der Esterhäzy reichten sie von dem Emporkömmling Peter [gestorben 1629], der sich als Staatsmann und General in Oberungarn einen Namen gemacht hatte, bis hin zur letzten fürstlichen Erbin, die sich 1817 mit Ferdinand Georg von Sachsen-Coburg vermählte), Andrässy, Apponyi, Barkoczy, Dessewffy, Kärolyi, Keglevich, Szechenyi und Zichy. Mit diesen Namen, nicht zu vergessen einige siebenbürgische Adelige und zwei Familien reiner Emporkömmlinge des 18. Jahrhunderts (Festetics und Grassalkovich), ist das Verzeichnis jener Familien, die Ungarn in das Zeitalter Maria Theresias und darüber hinaus führten, nahezu vollständig. Die einheimische Elite besaß auch eine internationale Dimension. Es kam in zunehmendem Maße, nicht selten sogar vor 1600, zu Vermählungen mit Angehörigen anderer mitteleuropäischer Adelshäuser, wobei die Pälffy in dieser Beziehung führend waren. Ungarn ließen sich in Mähren und Niederösterreich nieder. Ferenc Nädasdys Ansiedlung jenseits der Grenze erwies sich unter den gegebenen Umständen als unklug, da er so bei seinem Verfahren nach österreichischem Recht gerichtet werden konnte. 23 Im Gegensatz dazu erwarben viele bekannte ausländische Persönlichkeiten das ungarische indigenat, und einige kauften nach 1683 hier auch Güter. Auf der einen Seite die Kaunitz, Schönborn und Trautson und auf der anderen söldnerische Eindringlinge von Prinz Eugen bis General Harrucker, dem Sohn eines Bäckers aus Linz. Sehr wenige Ausländer jedoch lebten tatsächlich für längere Zeit in Ungarn, und die Zahl jener, die hier eine Rolle im öffentlichen Leben spielten, ist noch geringer. Dieindigenat- Statistiken können leicht zu einer falschen Interpretation führen bzw. dazu verleiten, das Auftreten dieser „neuen Aristokratie" überzubewerten. Was bereits für Böhmen angeführt wurde, muß mit noch größerem Nachdruck für Ungarn betont werden. 24

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Es besteht keinerlei Zweifel über den Einfluß der ungarischen Magnaten auf ihren Zweig der internationalen katholischen Kirche bzw. über ihre Ergebenheit dieser Kirche gegenüber. Fast alle waren sie in jüngster Zeit konvertiert und besaßen noch den charakteristischen Feuereifer derer, die für ihre Vergangenheit sühnen wollten. Die Ernsthaftigkeit ihrer religiösen Uberzeugung soll durch die Tatsache nicht bestritten werden, daß es gute materielle und soziale Gründe gab, daran festzuhalten. Auch ist es in Anbetracht meiner früheren Ausführungen nicht nötig, die Macht der Adeligen als Schutzherren zu unterstreichen oder eine Liste der Klostergründungen und all jener, die in der Kirche Karriere machten, zu erstellen (meist, wenn auch nicht immer, war dies den jüngeren Söhnen vorbehalten). Wir wollen lediglich die große Frömmigkeit dreier das Jahrhundert beherrschender politischer Persönlichkeiten untersuchen. Miklos Esterhäzy, der Förderer der Jesuitenkirche sowie der neuen Universität in Tyrnau, organisierte in Eisenstadt gelehrte Disputationen und verfaßte selbst eine lange Verteidigungsschrift der katholischen Religion, aus der seine profunde Belesenheit in patristischer und jüngerer apologetischer Literatur hervorgeht. Der Empfänger dieser Abhandlung, sein Schwiegersohn Ferenc Nädasdy, sah sich auf ähnliche Weise der Kirche verpflichtet und bekräftigte dies 1665 durch einen Besuch in Rom. Er führte die Gegenreformation auf seinen Gütern mit besonderer Härte durch, errichtete eine Druckerpresse, um fromme Schriften zu veröffentlichen, und siedelte die Augustiner in Lockenhaus bzw. die Serviten in Loretto an. 25 Letzeres ging nach Nädasdys Tod auf dessen Schwager Pal Esterhäzy über, der im späten 17. Jahrhundert auf einzigartige Weise eine zentrale Stellung sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Leben Ungarns einnahm. Auf örtlicher Ebene unaufhörlich aktiv (die Familie besaß allein im Komi tat ödenburg fast die Hälfte aller kirchlichen Patronate) nahm er Tausende seiner Untertanen 1692 auf eine Wallfahrt nach Mariazell mit und führte Büßerorden, wie den der kamaldulensischen Einsiedler, auf seinen Gütern ein. Er selbst war sowohl Autor als auch Förderer mehrerer Arbeiten, die eine Ausbreitung des Marienkultes zum Ziel hatten. Esterhäzys Korrespondenz weist auf enge Kontakte mit vielen hohen Geistlichen hin. Sechs seiner Kinder traten in den Dienst der Kirche ein (und, wie nicht anders zu erwarten, auch zwei Kinder der Nädasdys). 26 Gleichzeitig war die Kirche jedoch keine aristokratische Gemeinschaft. Sie bot den Angehörigen mittlerer und selbst niedrigster sozialer Schichten die einzige Chance für eine steile Karriere. Emmerich Sinelli sei als klassisches Beispiel genannt. In Ungarn blieb das Episkopat deutlich weniger exklusiv als im übrigen Raum der Monarchie. Ein Grund hiefür lag darin, daß die meisten Bistümer verarmt waren (bis in die achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts hinein existierte gut über die Hälfte der Bistümer, einschließlich der Erzdiözese Kalocsa, nur dem Titel nach). Selbst das Amt des Primas von Gran übte im 17. Jahrhundert nur wenig Anziehungskraft auf Hochgeborene aus. Auf den mit guten Verbindungen gesegneten Forgäch folgten der aus dem niederen Adel stammende Päzmäny, dann der Konvertit Imre Losy (1637-1642), dessen Herkunft im dunkeln liegt, György Lippay (1642-1666), der seine Familie in weit weniger bescheidenen Verhältnissen zurückließ, als er sie vorgefunden hatte, György Szelepcsenyi (1666-1685), ein weiterer Vertreter des nie-

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deren Adels, und György Szechenyi (1685-1695), der seine Verwandtschaft, die am Rande des Landadels stand, zu berühmten westungarischen Landbesitzern machte. 27 Erst nach einer Übergangsphase mit Graf Leopold Kollonitz (1695—1707) und dem blaublütigen Außenseiter Christian August von SachsenZeitz (1707-1725) übernahmen die ersten Familien des Landes, die Esterhäzy, Csäky, Barkoczy und Batthyäny dieses Amt. Ansonsten stand der Adel Schulter an Schulter mit den Trägern nicht weiter nennenswerter Stammbäume. 28 Doch konnten hohe politische Ämter auf dem Spiel stehen. Bis 1706 war der ungarische Kanzler stets ein Geistlicher. Im Consilium Hungaricum waren Bischöfe und Äbte vertreten, die ihre Titel von Klöstern ableiteten, deren man sich nur mehr undeutlich erinnerte und die schon vor langer Zeit durch die Türken zerstört worden waren. Geistliche kodifizierten sogar das ungarische Recht, und in allen höheren Gerichtshöfen war der Klerus vertreten. 29 Der Erzbischof von Gran erfreute sich vieler Privilegien, zu denen auch umfassende Rechte bei Nobilitierungen, bei der Verleihung von Immunitäten sowie die erste Stimme in der oberen Kammer des Landtags und die Würde eines Obergespans in zwei verschiedenen Komitaten zählten. Diese politische Basis erlaubte der Kirche jenen heftigen gegenreformatorischen Angriff, der ebenso wie der absolutistische Druck seitens der Habsburger in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte. Abgesehen davon, daß Leopold I. natürlich versuchte, die Priesterschaft sozusagen als geistigen Arm in seiner eigenen Kampagne einzusetzen, gibt es auch viele Beispiele für unabhängige Initiativen der katholischen Stände: des Klerus und der Magnaten. War Lippay seit den vierziger Jahren die Geißel der protestantischen Städte, so erwarb sich sein Nachfolger Szelepcsenyi (zwischen 1670 und 1681 stellvertretender Palatin) bald den gleichen Ruf. Die Esterhäzy, Nädasdy und Wesselenyi, die Illeshäzy und Erdödy waren berüchtigt wegen ihrer Unbarmherzigkeit in den ländlichen Gebieten. Wo immer dies möglich war, verloren häretische Städte ihre Rechte in bezug auf kirchliche Ernennungen, und häretische Bürger wurden dazu gezwungen, zum Unterhalt eines Priesters beizutragen. 30 1671 veröffentlichte der Bischof von Großwardein, Bärsony, ein Traktat, in dem er drei legistische Argumente gegen die Fortführung der noch immer geübten Toleranz vorbrachte. Katholische Rechte würden, obwohl durch Vertrag garantiert, verletzt, die Vereinbarungen aus den Jahren 1608 und 1647 würden aufgrund des Widerstandes der geistlichen Stände niemals vom gesamten Landtag angenommen; Ungarns Lutheraner und Calvinisten hätten sich vom Augsburger bzw. Helvetischen Bekenntnis getrennt, und eine solche Erneuerung sei nicht erlaubt. So erklärten Bärsony und die ihm Gleichgesinnten den Protestantismus als verfassungswidrig (vergleiche die Verratsthese der Dynastie). 31 Die Verfolgungen gipfelten in dem Verfahren gegen die Galeerensklaven, wobei für diesen Vorfall korrekterweise weniger Wien als das heimische katholische Lager verantwortlich gemacht wurde. Als sich das Glück 1681-1683 vorübergehend wandte, war der erste Gedanke der Protestanten jener der Rache an den Jesuiten und dem blutrünstigen Episkopat, doch der Sieg der Habsburger über die Aufständischen brachte eine neuerliche Unterdrückung aus dieser Richtung. Die Landtage des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts verhängten in zunehmendem Maße Beschränkungen für die öffentlichen Gottesdienste der Akatholiken. 32

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Nichtsdestoweniger fand diese lange Offensive beachtlichen Widerhall. Die andere Seite der Medaille war ein Wiederaufleben namhafter Frömmigkeit innerhalb des Katholizismus, die von den Höfen, wie jenem der Esterhäzy, nach außen drang und auf die breite Masse übergriff. Naiv fromme Werke kamen in Mode, die die von Rom verkündeten grundlegenden Wahrheiten - diese wurden entweder in reiner Form, wie etwa die Neuausgaben von Thomas von Kempen, oder dichterisch verfeinert - heilig hielten. Ein gutes Beispiel hiefür ist die persönliche Spiritualität Mätyäs Nyeki Vörös' (1575—1654), die aus seinen Gebetbüchern hervorgeht, bzw. sein öffentliches literarisches Wirken. Seine Istenes inekek (welche die lauteren religiösen Verse Balassis enthalten) und das Tintinnabulum mit seiner lebendigen Heraufbeschwörung der letzten vier Dinge erschienen in vielen Auflagen. 33 Diese allgemeine Stimmung wurde durch mehrere bemerkenswerte Konvertiten gefördert, die von Mihäly Veresmarty, kurz nach 1600, bis zu Foris Ferenc Otrokocsi (1648—1718) reichten, in welchem der Gegenreformation eine der außerordentlichsten Früchte heranreifte. Der ehemalige Galeerensklave wurde zu einem glühenden Verfechter des Katholizismus.34 Solche Fälle boten stets einen Anlaß zu Auseinandersetzungen. Veresmartys Warnungen und Drohungen, deren Neuauflage in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts erschien, führten ebenso wie die weitverbreitete Apostasie des von Tübingen nach Oberungarn eingewanderten Johann Kircher zu scharfen Erwiderungen seitens der Protestanten. Doch Kirchers schonungslosem und kampflustigen Widersacher Zacharias Läni wurde der Wind aus den Segeln genommen, als seine Schutzherren, die Illeshäzy, die Seite wechselten, und gegen Ende des Jahrhunderts brannte die Flamme protestantischer Streitgespräche bereits niedriger. Der schärfste Angriff auf Otrokocsi wurde nicht in Mitteleuropa, sondern in Oxford verfaßt 3 5 Die katholische Causa verdankte ihren tatsächlichen Fortschritt vor allem einer breiten Tradition, die ihren Ursprung im polemischen, apologetischen und erbaulichen Werk Päzmänys hatte. Mit gelehrten Worten, doch ebenso direkt, verschaffte er seiner Kirche sowohl ein Maximum an Attraktivität als auch an Schärfe. Die internationalen Orden boten den jungen aufstrebenden Geistern eines belagerten Landes große Möglichkeiten, so vielleicht ein Studium am Collegium Hungaricum in Rom oder am Päzmäneum in Wien. Begabten Jugendlichen der nächsten beiden Generationen kam dies zugute, und sie legten sich dann entsprechend ins Zeug, wie etwa der Jesuit Martin Szentivänyi, der Rektor der Universität in Tyrnau wurde. 36 Ungarn unterhielt auf diese Weise enge kirchliche Kontakte zur übrigen Monarchie. Die oft ungeteilten Ordensprovinzen begünstigten einen regen Austausch der Ordensleute. Zeugnis hievon gibt beispielsweise die frühe Mission der Piaristen. Benediktiner·, Zisterzienser- und Prämonstratenserklöster in Österreich und Böhmen übernahmen Kirchengut, das ab den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts zurückgewonnen wurde. 37 Der höchst umstrittene Kardinal Kollonitz veranschaulicht dies bestens. Seine ursprünglich aus Kroatien stammende Familie war im 17. Jahrhundert im wesentlichen österreichisch und besaß gewisse oberflächliche Verbindungen zu Ungarn, wie etwa das indigenat. Kollonitz selbst wurde als Sohn eines aufsehenerregenden Konvertiten ebenso wie Sinelli in Komorn geboren. Seine kirchliche Laufbahn begann er als Malteserritter (der er bis zu seinem Lebensende blieb). Weitere

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Stationen waren Wiener Neustadt, Neutra, Raab, Kalocsa und Gran. Als Präsident der Kammer in Preßburg in den siebziger Jahren, dann als striktester Verfechter des geplanten Absolutismus der neunziger Jahre war Kollonitz zwar ein unentbehrlicher, doch auch äußerst heikler Aktivposten. Als Primas folgte ihm dann als noch größerer Fremdkörper innerhalb der nationalen Kirche ein sächsischer Fürst, der als Diplomat in den Diensten Wiens gestanden hatte.38 Die internationale Bewegung hätte die Ungarn nicht allein überzeugen können. Wie andernorts so kam es auch hier zu einer komplexen Verbindung mit einer parallellaufenden heimischen Bewegung. Die religiösen Orden, vor allem die Benediktiner der Erzabtei am Martinsberg bzw., im modernen Sprachgebrauch, von Pannonhalma südlich von Raab, beriefen sich auf ihren autochthonen Charakter. Ebenso alt wie das ungarische Christentum selbst, wurde Pannonhalma, das sich als erstes von den Rückschlägen des Protestantismus und der vorübergehenden Eroberung durch die Türken in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts erholt hatte, nach 1638 unter einem gewissen Pälfy, einem Zisterzienser aus Heiligenkreuz, der jedoch der einzig verfügbare Ungar war, erneut besiedelt. Trotz vieler Schicksalsschläge erlebte es im frühen 18. Jahrhundert eine neue Blüte, und es kam zur Wiederbelebung der Filialklöster in Tihany, Bakonybel und Dömölk. Da Pannonhalma größere historische Aufmerksamkeit zuteil wurde als irgendeinem anderen Kloster der ehemaligen Habsburgermonarchie (vielleicht sogar ganz Europas), soll hier auf seine Geschichte nicht näher eingegangen werden.39 In Ungarn gab es auch einen zur Gänze einheimischen Orden. Die Regeln der Pauliner (Pälosok), oder genauer gesagt der Eremiten des hl. Paul von Theben (obwohl sie wie die Augustiner keine eigentlichen Einsiedler waren), wurden im 13. Jahrhundert ausgearbeitet. Der Orden breitete sich aus, und gegen Ende des Mittelalters verfügte er über mehr als 100 Klöster in den Ländern des hl. Stefan, zu denen noch weitere in Polen und sogar in Deutschland hinzukamen. Durch die Ereignisse der Reformation dezimiert, klammerten sich die Pauliner an das letzte bißchen Leben und viele ihrer Besitzungen. Der Geist von Trient, eine neue Verfassung und eine Reihe kroatischer Ordensgeneräle leitete nach 1600 einen neuerlichen Aufschwung ein. 40 Diese zu neuem Leben erweckten Pauliner wurden auf örtlicher Ebene zu einer starken Macht der Gegenreformation. Sie waren jene Zönobiten, die mit der ungarischen Tradition aufs engste verbunden waren („Bruder Georg" Martinuzzi gehörte beispielsweise diesem Orden an). Der Adel förderte sie als genehme Empfänger seiner Stiftungen und sah in ihnen, in manch entscheidendem Fall, die Grundlage für eine kirchliche Karriere. Ihr Ordensgeneral allein vertrat gemeinsam mit dem Abt von Pannonhalma den Ordensklerus am Landtag. Sie ließen sich erneut im übrigen Mitteleuropa nieder und wurden durch PeSina in Böhmen bzw. durch die Liechtenstein in Mähren eingeführt.41 Von noch größerer Bedeutung für den katholischen Kreuzzug war das den örtlichen Bedürfnissen angepaßte Erziehungs- und Publikationswesen. Ab 1635 setzten die Jesuiten mit ihrer Universität in Tyrnau und ihrer Druckerei erste Initiativen in dieser Richtung. War dies zunächst ein eher bescheidenes Unternehmen, so erwarb sich die Akademie bald einen guten Ruf für ihren billigen, wirkungsvollen und pa-

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triotischen Unterricht. Die Fülle von Texten, die hier herausgebracht wurde, schwoll in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu einer wahren Flut an. Die Pädagogik der ungarischen Jesuiten basierte natürlich auf dem Lateinischen und war im wesentlichen nichts Neues, 42 doch auch hinsichtlich der Pflege der Landessprache nicht im Rückstand, wobei sich wiederum Päzmäny als großer Neuerer erwies. Vor allem sein Kalauz (Wegweiser), ein gewagtes Meisterstück an gelenkter Schmährede, von der einleitenden Ermahnung, der Leser möge von oberflächlich Neuem ablassen, bis zur abschließenden Satire - 800 Folioseiten später - über die unzulänglichen Argumente seiner protestantischen Zeitgenossen, das Ganze mit Zitaten aus deren Schriften reichlich gespickt. Seine brillante Mischung aus gelehrter Polemik und der Ausschöpfung der linguistischen Möglichkeiten (wie ζ. B. in jenen Teilen, in denen er das Festhalten der Protestanten an der Autorität der Hl. Schrift zu widerlegen versucht) findet im übrigen Europa kaum ihresgleichen. Es ist in der Tat Päzmänys perfekte Beherrschung der ungarischen Sprache als Instrument zur Verbreitung katholischer Wahrheiten, die ihm einen Platz unter den bedeutendsten Persönlichkeiten der Gegenreformation sichert, doch hat letztendlich gerade sie eine internationale Anerkennung dieses Platzes verhindert. Selbst als ein berühmter Wittenberger Theologe den Kalauz des langen und breiten in einer lateinischen Abhandlung verurteilte, bediente sich Päzmäny bei seiner leidenschaftlichen Antwort weiterhin der bodenständigen Sprache eines ungarischen Bauern. Die Präzision und der Reichtum seiner Sprache sind allerdings äußerst bemerkenswert für einen Mann, der so sehr mit Staatsangelegenheiten beschäftigt war. 43 Auch wenn spätere Jesuiten nie an Päzmäny herankamen, waren doch einige unter ihnen, wie Istvän Tarnoczy und Andräs Illyes, überaus schöpferisch in der Abfassung und Veröffentlichung von Predigten, die vor allem das einfache Volk ansprachen, sowie Ubersetzungen, vorwiegend aus dem Lateinischen und Italienischen. Mittlerweile traten die Katholiken mit der Bibelübersetzung von György Käldi den Calvinisten auf deren eigenem Gebiet entgegen 4 4 Gleichermaßen produktiv waren die Franziskaner, vor allem in bezug auf Predigten und Bücher für die ungebildete Bevölkerung. Gegen Ende des Jahrhunderts begann das ungarische Schulwesen auch aus dem großen Engagement der Piaristen Nutzen zu ziehen. Obwohl die ersten Mitglieder dieses Ordens erst in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts ins Land gekommen waren, wurden sie bald eine führende Macht im Erziehungswesen mit tiefen örtlichen Wurzeln und blieben dies bis ins 20. Jahrhundert 4 5 Diese Anstrengung konzentrierte sich natürlich auf das Ungarische als der Hauptsprache des Adels, das Deutsche als der Hauptsprache in den Städten, doch kam es zu keinerlei Diskriminierung. Es gibt auch Zeugnisse für eine slowakische Literatur, die 1655 mit der Übersetzung von Kirchenliedern beginnt, oder eine Literatur in den südslawischen Sprachen, für die sich Carafa bereits 1622„Illyricae litterae" aneignete 4 6 Wir wissen, daß die Regeln der Franziskanerobservanten eine abwechselnde Wahl von Magyaren und Slowaken vorsahen und ein Großteil der Gesellschaft in Tyrnau durchaus zweisprachig war. Päzmänys Rituale Strigoniense aus dem Jahre 1625 erschien in vier Sprachen: Latein, Ungarisch, Deutsch und Slowakisch. Visitationsberichte machen den Umfang der polyglotten Koexistenz im westlichen Ungarn deutlich 4 7

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Auch der Kult verschiedener Heiliger und Fürsprecher trug zur Schaffung einer spezifischen Atmosphäre und einer Loyalität gegenüber der ungarischen Kirche unter der Ägide des universellen Katholizismus bei. Wie in Österreich und Böhmen war auch in Ungarn die Marienverehrung das hervorstechendste Merkmal der gegenreformatorischen Frömmigkeit. Wallfahrtsorte rund um wundertätige Heiligtümer sprossen aus dem Boden: in dem nahe von Preßburg gelegenen und von Paulinern betreuten Märiavölgy, in Märiapocs, dessen berühmtes Votivbild später nach St. Stefan in Wien gebracht wurde, oder in dem von Pal Esterhäzy gegründeten Frauenkirchen mit seiner bedeutenden Barockkirche. 48 Erneut jedoch ist diese Verehrung der Gottesmutter aus dem nationalen Geschehen heraus zu verstehen, da sie in direktem Zusammenhang mit der Rolle des Landes als Bollwerk gegen die Türken gesehen werden muß. Maria wurde als eine Art unberührbare Göttin angesehen, als göttliche Schutzherrin gegen die Ungläubigen. In den Städten gab es immer mehr Marianische Kongregationen, vor allem dort, wo deren Organisation in den Händen der Jesuiten lag. Obwohl ihr Einfluß auf den Lauf der kriegerischen Ereignisse in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts durchaus geringer gewesen sein mag, als dies den Verfassern von Heiligenlegenden wünschenswert war, trugen sie dennoch dazu bei, die Nächstenliebe zu fördern und ein katholisches Solidaritätsgefühl zu ermutigen. 49 Die Idee eines Regnum Marianum ging Hand in Hand mit der wieder aufgenommenen Verehrung der ersten heiligmäßigen Könige Ungarns, die ihr Land zu einem Hafen für die unter ständigem Druck der Orthodoxen sowie der Heiden lebende lateinische Christenheit machten. Die Schlüsselfigur war der hl. Stefan, jener Kämpfer für Patria und Katholizismus. Der Mantel Stefans stand den Habsburgern gut. Ein Beharren auf seinen apostolischen Rechten gegenüber der ungarischen Kirche, die ihm vermutlich im Jahr 1000 von Papst Silvester II. verliehen wurden, hätte Folgen zeitigen können, die sowohl für den Klerus als auch den Adel erschreckend unangenehm gewesen wären. Im 17. Jahrhundert jedoch trieb niemand diese Doktrin bis an ihre Grenzen. Tatsächlich waren es eher Ultramontane wie der Jesuite Inchofer und Bärsony, die diese Theorie entwickelten. Die volkstümliche Verehrung des hl. Stefan, die aus zahllosen Predigten, Büchern, Altarbildern, Wandgemälden und Statuen hervorgeht, war viel einfacher, und auch sein Sohn Imre, der bereits in jungen Jahren starb, hatte Anteil daran. Dieser war ein ungarischer Wenzel, wenn auch kein Märtyrer (wie Zrinyi wurde er von einem Eber getötet). 50 Die Krone der Märtyrerschaft wurde vielmehr von Stefans Vertrautem und Imres Mentor Bischof Geliert (d. h. Gerhart) getragen, der, an einen Handkarren gebunden im Jahre 1046 aus großer Höhe in die Donau geworfen wurde. Auch Stefans Nachfolger, der mit ihm verwandte Ladislaus oder Läszlo, erfreute sich als Vorbild seines heiligmäßigen nationalen Herrschers großer Verehrung. Sein Kult blühte in Großwardein und Raab, und ab den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts gedachte man seines Festtages an der Wiener Universität mit barockem Prunk und feierlichen Reden. 51 Das Spektrum zweitrangiger christlicher Helden erstreckte sich vom frühen Missionar Adalbert (oder VojtSch, den man mit Böhmen teilte) über die bewundernswerte hl. Elisabeth, eine aus dem Hause Arpäd stammende Prinzessin, über deren Nichte, die sei. Margarethe, die auf der nach ihr benannten Donauinsel in ein Kloster eintrat, bis

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hin zu dem hl. Johannes Capistrano, jenem so kämpferischen Mönch, und den Jesuiten, die 1619 in Kaschau hingemetzelt wurden. 52 Was zunächst als Betonung der Kontinuität katholischer Tugend begonnen hatte, weitete sich zu einer umfassenden Interpretation der ganzen ungarischen Geschichte aus und umfaßte Begriffe wie Hierarchie, Ordnung und Disziplin, die aus dem Ideengut der Neustoiker nach freiem Gutdünken aufgegriffen wurden. Dies war ein Aspekt der umkämpften Kultur der Gegenreformation, der wieder einmal Päzmäny sehr viel zu verdanken hatte. Ausgangspunkt ist eine Widerlegung des Predigers Magyari im Jahre 1603: Die teuflische Botschaft des Luthertums habe Jahrhunderte, in denen Ströme der Gnade geflossen wären, zunichte gemacht und die Eroberung durch die Türken heraufbeschworen. 53 Wieder und wieder kehrt er zu der besonderen Situation des frühen 17. Jahrhunderts zurück und erteilt der weniger anpassungsfähigen Ansicht der Calvinisten über die Vorsehung eine Abfuhr. Die älteren Orden, aber auch die Jesuiten, entwickelten eine durchaus verständliche neue Beziehung zum mittelalterlichen Erbe. Es ist auffallend, wie oft für Marienheiligtümer, wie berechtigt auch immer, der Anspruch erhoben wurde, daß dieses aus dem Mittelalter stammte und auf wunderbare Weise den protestantischen Bildersturm überlebt hätte. Gleicher Antrieb führte aber auch zu einem ersten ernsthaften Interesse an Quellenmaterialien und im 18. Jahrhundert dann zur Gründung der jesuitischen Schule von Hevenesi, Peterfy, Kaprinai und Pray. Dies überschneidet sich mit der Verherrlichung der weltlichen Geschichte, die von Persönlichkeiten wie Ferenc Nädasdy und Pal Esterhäzy getragen wurde, deren Höfe wahre Mittelpunkte der heimischen Kultur darstellten. 54 Soweit habe ich kurz die Entstehung eines „Systems", einer teilweise bewußten, teilweise stillschweigenden Allianz zwischen der Dynastie und den Trägern der weltlichen und kirchlichen Macht in Ungarn umrissen. Nun müssen wir uns den Grenzen dieses Systems zuwenden. Bedeutende Interessengruppen verwarfen dieses gleich von Anfang an. Der Protestantismus lebte weiter, nicht nur unter den besonderen Umständen in Siebenbürgen und in der vergleichsweisen Isolation des Nordostens. Die Lutheraner drängten sich in einem Großteil der Freistädte zusammen, während die Calvinisten im ganzen Land ihre Pfarren, Distrikte, Seniorate und Superintendenturen unterhielten, was mit einer Mischung aus Zuneigung und Bitterkeit von den Chronisten ihrer Leiden genau registriert wurde. 55 Mit dem Protestantismus überlebte auch der Einfluß der zahlreichen ungarischen Landadeligen auf das ländliche Leben, eine „Landpartei", die ihren Groll mit grimmiger Entschlossenheit durch die Komitatsverwaltung und die Vertreter am Landtag zum Ausdruck brachte. Darüber hinaus gab es unter der Oberfläche keine geschlossene Gesellschaftsstruktur. Die Grenzen zwischen der großen Gruppe des niederen Adels und den freien Bauern, vor allem den privilegierten oder nicht privilegierten Haiduken, waren fließend, ebenso auch die Grenzen zwischen der durch Krieg oder wirtschaftliche Notlage zur Nichtseßhaftigkeit gezwungenen Bevölkerung und räuberischen Randgruppen. Organisierter bäuerlicher Widerstand in den neunziger Jahren des 17. und in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts trug viel zur allgemeinen Unsicherheit jener Jahre bei. Diese Opposition blieb im wesentlichen ohne Zusammenhang. Dennoch gab es

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ein alle verbindendes Faktum, ein Ressentiment gegenüber den Deutschen (nemetek), ein etwas verschwommener Terminus, der in erster Linie die habsburgischen Armeen sowie die Verwaltungsbeamten aus dem übrigen Raum der Monarchie und dem Reich bezeichnete. Sie unterdrückten den Adel, entließen das örtliche Militär (vor allem 1664 nach dem Frieden von Eisenburg), preßten Steuern aus den Bauern heraus und verwüsteten, was jene zu ihrem Leben brauchten. Der Gegensatz war viel eher eine prinzipielle Xenophobie, die durch die materielle und psychologische Unsicherheit genährt wurde, denn ein Bruch zwischen den Nationalitäten. Er griff im allgemeinen auf die einheimischen Deutschen nicht über. Tatsächlich wurden letztere ironischerweise durch die von den Habsburgern geübte religiöse Intoleranz in das Lager der Aufständischen getrieben. 56 All dies war zwar für die hochtrabenden Pläne der Dynastie ein irritierendes Moment, doch stellte es letztlich keine ernsthafte Bedrohung dar. Von größerer Bedeutung für unsere Untersuchung sind die großen Unstimmigkeiten innerhalb des Systems. Auch die Magnaten empfanden die gleiche Abneigung gegenüber den „Deutschen", obwohl jene, denen ihre Feindschaft galt, im oberen Bereich der sozialen Skala zu suchen waren, unter den Kriegsherren und den anmaßenden Hofbeamten. Zwischen diesen Hochadeligen und ihresgleichen in Österreich und Böhmen gab es einen wesentlichen Unterschied. Im Lauf des gesamten 17. Jahrhunderts und sogar darüber hinaus fühlte sich kein Ungar je in Wiens Machtgängen wirklich zu Hause, und die Habsburger und die ihnen unmittelbar Untergebenen erwiderten dieses Mißtrauen. Kaum je wurde in dem von uns untersuchten Zeitraum einem Ungarn ein wichtiger zentraler Posten angeboten, und Titel, wie etwa der eines Geheimen Rates, bedeuteten kaum mehr als einen Prestigegewinn. Die eigene Art der Kleidung sowie die unaussprechlichen Namen des einheimischen Adels brachte sie in eine Abseitsstellung, und selbst die Ehrgeizigsten unter ihnen kümmerten sich, trotz des Getriebes bei Hof, auch weiterhin um ihre eigenen Angelegenheiten. Sie unterhielten sich untereinander ausschließlich auf ungarisch, und ihre Deutschkenntnisse waren oft kaum umfassender als jene ihrer Bauern. Sie waren sich ihrer nationalen Vergangenheit und der damit verbundenen Verpflichtungen voll bewußt, jener Vergangenheit, die sie in ihren phantastischen Genealogien derart verherrlichten. 57 Pal Esterhazy paßte sich vielleicht am ehesten an, doch auch er beharrte, wie sein Vater, selbst in den ereignisreichen neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts auf der Rolle der Stände. 58 Wenden wir uns zwei weniger offenkundigen Beispielen zu. Unter der Regierung Ferdinand III. war Adam Batthyäny eine der führenden Persönlichkeiten der Verteidigung und der Gegenreformation des etwa 100 Kilometer von Wien entfernten heutigen Burgenlandes. Er korrespondierte regelmäßig auf deutsch und latein (obwohl er zugab, daß er sogar zur Bewältigung des letzteren eines Sekretärs bedurfte) mit der Zentralregierung und vor allem dem Hofkriegsrat. Doch aus Batthyänys Tagebuch geht hervor, daß er der Hauptstadt höchst selten, vielleicht einmal pro Jahr, einen Besuch abstattete, und weilte er einmal in Wien, so konnte es vorkommen, daß er hier drei Wochen lang ohne Audienz zubrachte. 59 Auch Ädäm Forgäch war, obwohl er 1663, als die Festung Neuhäusel in die Hände der Türken kam, vorübergehend in Ungnade fiel, ein ergebener Diener der Habs-

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burger. Er zog materielle Vorteile aus seiner Loyalität und erfreute sich der Freundschaft des leopoldinischen Obersthofmeisters Lamberg, ja selbst jener Ampringens. Doch Forgäch war, zumindest insgeheim, über die in den siebziger Jahren verfolgte unüberlegte Politik erschrocken. Sowohl er als auch Batthyäny beschuldigten Wien auf das heftigste der Vernachlässigung und Inkompetenz. Beide scheinen sich um ausgesprochen herzliche Verbindungen zu den Räkoczi in Siebenbürgen bemüht zu haben. Keiner der beiden dürfte der von den Magnaten in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts eingeleiteten Annäherung zunächst an Venedig und später dann an Frankreich wirklich kritisch gegenübergestanden sein. 60 Auch die Loyalität des Klerus geriet unter ähnlichen Druck. Hier führt eine direkte Linie abweichender Bestrebungen direkt zurück bis in die Zeit der verfassungswidrigen Aktionen Rudolfs II. nach 1600. Päzmäny, der jederzeit treu zur habsburgischen Allianz stand, scheute sich nie, seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen. So etwa über die von Esterhäzy und Ferdinand II. gegenüber Siebenbürgen verfolgte dreiste Politik. Lippay war keineswegs weniger unabhängig, Szelepcsenyi und Tamäs Pälffy, in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts stellvertretender Palatin und Kanzler, leisteten dem unverhüllten höfischen Absolutismus Widerstand, und Sinelli trat vehement für Mäßigungspläne ein. Der deutsche Hintergrund Kollonitz' geriet nirgends heftiger unter Beschüß als unter seinen Mitbischöfen. So verabscheute ihn beispielsweise Primas Szelepcsenyi.61 Wenn nötig, konnten sich die Prälaten auf den Papst stützen. Zwischen Wien und Rom gab es, wie wir bereits wissen, einige ständige Streitpunkte. So ist es nicht verwunderlich, daß die ungarische Kirche innerhalb der gesamten Monarchie der Kurie am stärksten verbunden war, ebenso wie Böhmen mit Persönlichkeiten wie Harrach und Magni potentiell das am stärksten gegen die Kurie eingestellte Gebiet war. Das Papsttum verfolgte in Ungarn seinen eigenen diplomatischen Kurs. Zwar billigte es in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts den Ruck in Richtung Zentralisation (man gratulierte Ampringen sogar zur Wiederaufnahme des traditionellen Auftrages des Deutschen Ordens gegenüber den Heiden!), doch gegen Ende des Jahrzehnts trat man von dieser Seite her bereits für eine Vermittlung ein und schwang dann am Landtag von 1681 wieder auf die starre gegenreformatorische Linie ein. Im folgenden Jahr veröffentlichte Szelepcsenyi eine ausdrückliche Verurteilung der neuen Gallikanischen Artikel, die den Sturm der Auseinandersetzung in Frankreich weiter anheizte. Natürlich nützte sein Angriff dem österreichischen Aufruf zur Verteidigung gegen Ludwig XIV. Historiker jedoch scheinen die Tatsache übersehen zu haben, daß sein Ultramontanismus auch gegenüber den Habsburgern betont mehrdeutig war. 62 Diese zweifache Opposition von Adel und Prälaten, die sich zwar teilweise überschnitt, jedoch nicht identisch war und tief, wenn auch zögernd empfunden wurde, schuf den Nährboden für die ungarischen Aufstände gegen die habsburgische Macht nach 1664. In diesem Jahr bestätigte der Friede von Eisenburg, trotz eines Sieges der Christen über die Türken bei St. Gotthard, die Hohe Pforte in ihren Besitzungen entlang der Donau, die nun umfangreicher waren als je zuvor. Sie umfaßten auch die historische Stadt Großwardein, deren berühmtes Reiterstandbild des hl. Ladislaus (eine herrliche Arbeit des mittelalterlichen Königtums, die einst von

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Rudolf II. begehrt wurde) ohne weiteren Federlesens in der Theiß versenkt wurde. 63 Die führenden Köpfe der Nation zogen in ungewohnter Einmütigkeit wegen dieser schmachvollen Diplomatie und Sorglosigkeit über Wien her. Eine unmittelbare Folge hievon war die sogenannte Wesselenyi-Verschwörung, jener äußerst bizarre Vorfall, der eigenartigerweise eine gänzlich falsche Bezeichnung trägt, eine Art Fronde nobiliaire mit gewissem Anstrich der Situationskomik. 64 Angezettelt wurde diese Verschwörung vom kroatischen Ban Miklos Zrinyi, dessen Geduld mit den Habsburgern erschöpft war, und von Erzbischof Lippay, der den Kaiser in aller Öffentlichkeit unverblümt beschimpfte und voll Wut über den Verlust seiner Güter um Neuhäusel war. Doch starben diese beiden Männer bald ebenso wie auch Palatin Wesselenyi, dessen Rolle in dieser Geschichte kaum eine andere als die einer Randfigur war. Die Verschwörung wurde dann von Peter Zrinyi, dessen Schwager Fran Frangepan und Landesrichter Nädasdy aufgegriffen und erhielt durch den französischen Botschafter Gremonville sowie den protestantischen Kleinadel, als dessen Sprecher sich der Rechtsgelehrte Istvän Vitnyedy hervortat, machiavellische Unterstützung. 65 Neben dem heißblütigen Vitnyedy führte zweifelsohne Ferenc Nädasdy die Unzufriedenen geschickt an. Zeitgenossen sind sich einig in bezug auf seinen Ehrgeiz und sein großes Talent. Ein gebildeter Mann von hoher Intelligenz, veröffentlichte er mehrere Werke über die Rechte der Stände - eines davon in seiner eigenen Drukkerei - und trat wortgewandt für eine Befreiung Ungarns von jeglichem ausländischen Einfluß ein. 66 Doch nicht einmal Nädasdy vermochte dieser „Verschwörung", deren amateurhaftes Komplott sowohl in der Heimat als auch in Wien ein offenes Geheimnis war, Leben einzuhauchen. Schließlich ließ Leopold, nachdem er nach und nach von nahezu allen Rädelsführern in vorübergehenden Zeiten der Reue nähere Einzelheiten erfahren hatte, diese Zug um Zug verhaften. Furcht vor einem tatsächlichen protestantischen Aufstand und einer türkischen Miteinbeziehung überzeugten ihn, entgegen seiner natürlichen Neigung, die Hinrichtung Nädasdys, Zrinyis und Frangepans anzuordnen und gegen deren wirkliche oder potentielle Verbündete in den Reihen des Landadels und der Bürger vorzugehen. Diese Wesselenyi-Verschwörung mag als extreme Ausnahme zum allgemeinen Tenor dieses Buches angesehen werden. Wir finden hier die Paladine einer hochadelig-katholischen Elite in einen Hochverrat verwickelt, und über ihr & formale Schuld, die sie selbst mehr oder weniger zugaben, besteht kein ernstzunehmender Zweifel! Bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, daß sich dies, zumindest in Anbetracht der besonderen Empfindlichkeit der Beziehungen zwischen der Dynastie und Ungarn, sehr wohl in das Bild einfügt. Die Existenz einer privilegierten Schicht ermöglichte einerseits die Verschwörung und verursachte andererseits deren Scheitern. Verhätschelt, doch nicht umworben, war diese Kaste dazu in der Lage, den Aufstand zu schüren, besaß jedoch auf der anderen Seite weder das Herz zu einem ernsthaften Bruch noch das Verständnis für die politische Realität. Gerade aufgrund der versteckten Bande der gegenreformatorischen Hochkultur konnte Nädasdy von Leopold (den er häufig mit königlichem Prunk auf seinen Schlössern beherbergt hatte) Milde erwarten, gerade aufgrund des Fehlens jeglicher ersichtlichen Bindung zwischen Wien und Ungarn konnte eine solche jedoch nicht gewährt werden. Tatsäch-

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lieh waren die unglaublichsten Gerüchte über die Pläne der Abtrünnigen in Umlauf (wie etwa Pläne für eine Vergiftung des Kaisers oder ein Niederbrennen der Hofburg), und in Österreich und im Ausland schenkte man diesen bereitwillig Glauben. Ein und dasselbe Geschehen wurde also zwangsläufig auf zwei verschiedene Arten interpretiert, und die Todesurteile kamen für die Magnaten ebenso überraschend, wie sie für den Großteil Europas klar waren. 67 Die Ereignisse der Jahre 1670—1671 wurden im nächsten Jahrzehnt zum Vorwand für das absolutistische Experiment, was Leopold beispielsweise in seiner privaten Korrespondenz auch freimütig zugibt. 68 Daher kam es unter dem Lutheraner Thököly, der seine religiösen Miteiferer in Oberungarn mobilisiert hatte, zu noch heftigerem Widerstand, die früheren „Kreuzfahrer" werden als Kuruzen mündig. Doch auch Thököly war ein Magnat. Sein Urgroßvater, einst ein einfacher Rinderhändler, hatte in den unsteten fünfzig Jahren vor 1600 das Vermögen der Familie gemacht. Auch Katholiken fanden sich in seiner Umgebung. Sein Onkel konvertierte, und seine Frau war die Tochter Peter Zrinyis, Ilona. 1682—1683, als die Truppen Thökölys das habsburgische Ungarn überfluteten, schlug sich ein Großteil des katholischen Adels auf Gedeih und Verderb auf deren Seite. 69 Aus dem gleichen Grund war jeder dauernde Erfolg ohne diese Unterstützung durch die Katholiken unmöglich, was sich bald bewahrheiten sollte, als jene im Kampf gegen die entmutigten Türken erneut zur habsburgischen Gefolgschaft zurückkehrten. Genau dasselbe Phänomen zeigt sich, in größerem Umfang, anläßlich des letzten und großartigsten der Aufstände, dem Aufstand Räkoczis in der Zeit von 1703-1711. 7 0 Um zu verstehen, wie esFerenc II. Räkoczi überhaupt gelang, diesen Höhepunkt im Drama des frühmodernen Ungarn zu beherrschen, müssen wir einen kurzen Blick auf einen weiteren Stammbaum werfen. Die Räkoczi (Ragoczy oder Ragotzi, wie Ausländer den Namen oft verfälschten) waren in Siebenbürgen eine angesehene Familie, die am Vorabend des Jahres 1600 (noch einmal dieses Datum) in die Reihen des obersten Adels des Fürstentums aufstieg. Zsigmond Räkoczi (1544-1608) wurde in hohem Alter vorübergehend zum Fürsten gewählt, sein Sohn György I. erlangte 1630 dieselbe Position und hatte diese bis zu seinem Tod im Jahre 1648 inne. Gleichzeitig mit ihrem politischen Aufstieg kam es zu einer wirtschaftlichen Konsolidierung. Zsigmond erwarb ausgedehnte Besitzungen entlang der polnischen Grenze, György I. fügte diesen weitere Latifundien in Oberungarn sowie die Nebeneinkünfte durch seine Regierung in Siebenbürgen hinzu. Sein Sohn heiratete die letzte Angehörige aus dem Geschlecht der Bäthory, Zsofia, und wurde dadurch zum Erben eines weiteren riesigen Vermögens. Wenn auch Györgys II. außenpolitische Pläne der Herrschaft der Räkoczi über Siebenbürgen ein abruptes Ende setzten, blieb die Familie dennoch weiterhin neben den Esterhäzy die ranghöchste und reichste Familie in Ungarn. Von den Wäldern von Makovica bis hin zu den Sümpfen von Ecsed und noch darüber hinaus konnten sie Hunderte oder mehr Kilometer reisen, ohne ihre eigenen Erbgüter zu verlassen. 71 Die Räkoczi nahmen eine Art Mittelstellung zwischen dem Fürstentum und dem Königreich ein. Beiderorts ansässig und geschätzt, waren sie in beiden Ländern stets der natürliche Mittelpunkt eines anti-habsburgischen Patriotismus. Der kurzlebige Ferenc I. (1645-1676) fuhr dort fort, wo sein Vater György II. geendet hat-

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te, wurde in die verräterischen Aktionen der sechziger Jahre verwickelt und heiratete Peter Zrinyis Tochter Ilona (als deren erster Ehemann). Ihr Sohn Ferenc II. (1676—1735) erfreute sich hinsichtlich der Führung der Kuruzen-Armee des apostolischen Nachfolgerechts. Nichtsdestoweniger waren die Räkoczi ganz offenkundig Magnaten. Der Katholizismus hatte in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts Einzug in die Familie gehalten, als der Oberrichter des Königreiches, Pal Räkoczi, ein Bruder Györgys I., konvertierte. Zsofia Bäthory war als Sproß eines leidenschaftlich römisch-katholischen Hauses persona gratissima bei den ungarischen Prälaten und stand in der Durchführung der Gegenreformation nach dem Tod ihres Gemahles niemandem nach, angefangen von der Konversion ihres eigenen Sohnes, dessen Entlassung aus dem Gefängnis (und damit Bewahrung vor einer möglichen Hinrichtung), sie 1670 durch eine Intervention in Wien zu sichern verstand. Ferenc II. wurde, nach der Niederlage seines Stiefvaters Thököly in einem böhmischen Jesuitenkolleg erzogen und verbrachte seine frühen Mannesjahre inmitten der Hochkultur des Wiener internationalen Barock. Räkoczi trägt also den gleichen Stempel eines intelligenten, abtrünnigen Höflings wie Nädasdy. Auch er konspirierte zunächst gleichermaßen müßig gegen Leopold, kam dann in Gewahrsam eines österreichischen Burgverlieses (in dem bereits sein Großvater Zrinyi eingesperrt gewesen war) und floh, um die Standarte der nationalen Revolte zu erheben. Und wer waren seine Helfershelfer? Fast ausschließlich Katholiken: Miklos Bercsenyi, ein gebildeter, reicher und vornehmer Adeliger, der zuvor Kommandant der habsburgischen Truppen in Oberungarn gewesen war, Sändor Kärolyi, einer der führenden Grundbesitzer aus dem Osten, Antal Esterhäzy, ein Neffe Päls, Simon Forgäch, der jüngere Sohn Ädäms, und Istvän und Mihäly Csäky, zwei der 25 Kinder des Landesrichters Istvän Csäky. Tatsächlich stieß dieser Aufstand anfänglich auf weitverbreitete Sympathien unter Katholiken, selbst den Jesuiten und den Benediktinern von Pannonhalma. Päl Szechenyi, der Erzbischof von Kalocsa, unternahm im Jahre 1704 einen Vermittlungsversuch. Wenn auch erfolglos, vermochte er dennoch beide Seiten der Argumentation zumindest zu verstehen. 72 Zu guter Letzt kehrten die meisten Katholiken wieder in den Schoß der Habsburger zurück, und die Friedensverhandlungen standen unter der Ägide zweier Magnaten, Kärolyi und Jänos Pälffy. Natürlich lagen die tieferen Treibkräfte für den Aufstand in einem ganz anderen Bereich, nämlich der allgemeinen Unzufriedenheit und dem Haß seitens der Protestanten. Als erstes ermutigten die Bauern Räkoczi, ins Feld zu ziehen. Der calvinistische Landadel wählte ihn zum Fürsten von Siebenbürgen und versuchte, seine Königskrönung zu veranlassen. Doch allein konnten sie nicht zum entscheidenden Schlag gegen die Dynastie ausholen. Tatsächlich überzeugte ihre zunehmende Vorrangstellung unter den Aufständischen viele Angehörige der oberen Schicht und der katholischen Intelligenz, ihre unentschlossene Opposition wie in den zwanziger und achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts gegen eine erneut halbherzige Konformität einzutauschen. Räkoczi ging ins Exil, kapselte sich unter dem der ungarischen Tradition ziemlich fremden Einfluß eines von Frankreich inspirierten Jansenismus ab und suchte zunächst in einem Kamaldulenserkloster in Paris Trost. Die letzten Jahre, die er in melancholischer Reflexion am Bosporus ver-

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brachte, sind in den phantasievollen Briefen seines adeligen katholischen Gefährten Kelemen Mikes verewigt. 73 Dies führt uns zu Überlegungen über Siebenbürgen, die Heimat Mikes' und die stärkste Bastion Räkoczis. Hier ist allerdings nur Platz für einen kurzen Abriß. Das Fürstentum war erst seit den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts ein integrierender Bestandteil der Monarchie. Es kann jedoch insofern Aufschlüsse liefern, als es die Schwächen und Stärken der gesamten habsburgischen Ordnung in Ungarn aufzeigt.74 Siebenbürgen befand sich in einer seltsamen Lage. Fast gänzlich autonom (und während eines Großteils des Betrachtungszeitraumes mehr durch Istanbul denn durch Wien gefährdet), war es durch zahlreiche Fäden mit der Stefanskrone verbunden. Die Grenzen waren nicht eindeutig geklärt, und weite Teile Ostungarns, besonders die Güter der Räkoczi, die vor allem in Särospatak Hof hielten, und dort gelegene Städte wie Debrecen, die vom Rest des Landes nahezu abgeschnitten waren, standen unter doppeltem Einfluß. Es gab eine beträchtliche Fluktuation. Einige der großen Familien übersiedelten oder spalteten sich wie die Csäky oder Wesselenyi in zwei verschiedene Linien. Regelmäßige ungarische Korrespondenz über alle Grenzen hinweg weist auf gemeinsame Interessen hin. Daneben gab es auch enge Kontakte unter den deutschen Gemeinden. Der führende sächsische Staatsmann des frühen 18. Jahrhunderts, Sachs von Harteneck, war der Sohn eines Bürgers aus Oberungarn. Siebenbürgen verfügte über eine Komitatsstruktur, die, archaisch und kompliziert, nach denselben Prinzipien wie in Ungarn organisiert war. Bis 1659 entsandte das Fürstentum (oder wenigstens das Haus Räkoczi) immer noch Beobachter zum königlichen Landtag. 75 So war Siebenbürgen natürlich für all jene, die mit dem Leben unter den Habsburgern nicht zufrieden waren, sozusagen das Gewissen ganz Ungarns, das Erbe des von hier stammenden Johann Hunyadi und dessen Sohn Matthias Corvinus, ein wahrhaft bodenständiges Wahlreich. Die Tradition des Widerstandes gegen die habsburgischen Ansprüche (gelegentlich artete dieser Widerstand in kriegerische Auseinandersetzungen aus) wurde von den Zeiten Bocskais an als Kampf für politische und religiöse Freiheiten hingestellt, jenes zentrale Thema der Ideologie der Kuruzen. Dies kommt besonders in der im Jahre 1605 erschienenen Apologie Bocskais und in Alvinczis Querela Hungariae aus dem Jahre 1619 zum Ausdruck. All diese Parolen sollten (ohne vielen ungarischen Historikern nahetreten zu wollen) nicht allzu ernst genommen werden, doch boten sie ganz klar ein alternatives Wertsystem an. Sie bedeuteten ein Uberleben nicht nur des Protestantismus, sondern eines konfessionellen Pluralismus. Die beherrschende Glaubensrichtung war der Calvinismus, dessen Sendungsbewußtsein zu einem Schlüsselfaktor der Politik wurde. Doch die Lutheraner - nun praktisch eine mit der sächsischen Gemeinschaft identische Minderheit - überlebten ebenso wie einige Unitarier, ja sogar Sabbatarier, vereinzelte Anhänger der römisch-katholischen Kirche sowie eine große Zahl orthodoxer Rumänen. 76 Verbindungen zum protestantischen Europa, überall sonst durch Kriege oder offiziellen Druck unterbrochen, wurden in Siebenbürgen gefördert. Tatsächlich trug die internationale Rolle Bethlens und der Räkoczi dazu bei, Siebenbürgen näher an die ausländischen Verbündeten und Anhänger heranzufüh-

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ren und die starken holländischen und englischen Einflüsse zu kanalisieren. Sie gingen Hand in Hand mit dem Fortbestand der städtischen Kultur, keineswegs ein metropolitisches Ethos, doch das Leben der kleinen siebenbürgischen Städte und der bescheidenen mezövärosok der Großen Tiefebene. Das Erziehungswesen der Reformation bewahrte sich hier einen Stützpunkt und brachte eine nach Westen orientierte Schicht weltlicher Intellektueller hervor, die durch im Exil lebende Persönlichkeiten wie Aisted und Comenius unterrichtet wurden. Hier konnten, viel mehr noch als in weiten Teilen Deutschlands, ganz zu schweigen von den habsburgischen Ländern, radikale Ideen blühen. Am bemerkenswertesten sind eine puritanische Kritik der bestehenden kirchlichen und sozialen Ordnung sowie gewisse Aspekte des Cartesischen Denkens und die neuen Theorien von Bacon, Grotius und Coccejus. 77 In vieler Hinsicht jedoch schlug Siebenbürgen einen ähnlichen Kurs ein wie die übrige Monarchie. In einem wesentlichen Punkt überflügelte es die Habsburger auf ihrem eigenen Gebiet: Um die Mitte des 17. Jahrhunderts war man hier einem politischen Absolutismus bereits weit näher als die Habsburger. Die Entwicklung ist vor allem dann erstaunlich, zieht man die Wahl des Herrschers sowie die bereits eingegangenen religiösen Kompromisse in Betracht. Sie wurde durch die De-Facto-Autorität des Fürsten erleichtert, der einen Großteil der militärischen, finanziellen und juridischen Machtfäden in Händen hielt. Er und sein Hof in Weißenburg konnten ihren eigenen Einflußbereich abstecken und die gleiche ergebene neustoische Literatur anziehen, die sich um die Habsburger sammelte. Es gab eine ständische Organisation, die auf den drei „Nationen" der Ungarn, Szekler und Sachsen basierte. Der Landtag trat mit großer Regelmäßigkeit zusammen, hing jedoch (mangels einer langen Tradition an Präzedenzfällen und Autorität) in starkem Maße von dem ihn einberufenden Fürsten ab. Gerade die unsichere Lage sowohl in der Heimat als auch im Ausland beeinflußte die Wahlversammlungen zugunsten eines starken Herrschers. 78 Nach 1613 schritt dieser Prozeß rasch voran, nachdem Siebenbürgen seine eigene „Zeit der Wirren" hinter sich hatte. Gabor Bethlen, keineswegs dieser Halbwilde der traditionellen westlichen Geschichtsschreibung, glich seine angeborene Verschlagenheit durch eine kluge, hartnäckige und weitestgehend aufgeklärte Politik aus, die auch eine Art patriarchalischen Merkantilismus umfaßte. Dann baute das Geschlecht der Räkoczi auf seiner Regierung sowie auf ihren eigenen unvergleichlichen privaten Ressourcen auf. 79 Das Ergebnis konnte natürlich kein völliger Absolutismus sein. Man teilte die Souveränität mit dem Hochadel, der auf eine ähnliche Weise ab 1600 Erfolge zu verzeichnen hatte. Diese Entwicklung setzte hier etwas später ein als weiter im Westen und war auch nicht so vollständig, doch folgte man dem gleichen Trend, der durch die Angliederung der reichen Latifundien des Partium an Siebenbürgen noch gefördert wurde. Während des Krieges kam es zu zahlreichen Nobilitierungen, doch nahm die Bedeutung des niederen Adels ständig ab. Ein gutes Beispiel ist die Differenzierung unter den Szeklern, einst die egalitärste Gesellschaft Mitteleuropas, sowie die steigende Vorherrschaft von Sippen wie den Mikes, Kälnoky, Läzär, Miko und Apor. 80 Als die Türken in den Jahren 1658 bis 1662 die siebenbürgische Unabhängigkeit zunichte und den Taugenichts Mihäly I. Apafi zum Fürsten machten, ließen sie eine Oligarchie eingesessener, ihrer Abstammung nach mehr oder weniger alter ungari-

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scher und Szekler Familien zurück. Neben den oben genannten gehörten zu diesen die Bethlen (eher die Keresd-Linie als der Iktär-Zweig der Familie, aus dem Gabor Bethlen stammte), die Bänffy von Losoncz, die Kemeny und Rhedey, die Komis und Gyulaffy, die Teleki aus dem Partium, die am ehesten als Emporkömmlinge bezeichnet werden können, und die Haller, die ein einzigartiges Beispiel für den Übergang von Nürnberger Patriziern über sächsische Unternehmer zu landbesitzenden Adeligen darstellen. 81 Das nachfolgende Chaos der achtziger und neunziger Jahre resultierte mehr noch als in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts und in der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts aus Zusammenstößen zwischen den einzelnen Persönlichkeiten einer äußerst begrenzten Elite, die das Leben des Fürstentums und manchmal auch ganz Ungarns in den kommenden Jahrhunderten beherrschen sollte. Der Fürst und die Magnaten strebten nach größerer sozialer Kontrolle, und auch in Siebenbürgen lag der Schlüssel hiezu in der Situation der Kirche. Das religiöse Bild des 17. Jahrhunderts war nicht länger mehr wahrhaft liberal; der Calvinismus war zu einer Staatskirche geworden, deren Hofprediger kaum besser als Hauskapläne behandelt wurden; das Luthertum war anerkannt, stand jedoch isoliert und entwickelte sich nicht weiter; die Unitarier waren in ihre Schranken gewiesen, und in ihrem Kollegium in Klausenburg herrschte wenig Leben. Da nun der Geist humanistischer Versöhnung dahinschwand, blieb nur mehr der Konstitutionsbrief, der jede Neuerung verbot. Nicht nur die Sabbatarier, auch heterodoxe Calvinisten wurden verfolgt. Der Puritanismus erlitt einen entscheidenden Rückschlag, da sich die siebenbürgischen Machthaber in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts ebenso ablehnend zeigten wie zuvor die Habsburger gegenüber den radikalen Ideen in ihren eigenen Reihen. Nachdem der Puritanismus die Schlacht der Organisation über weite Strecken verloren hatte, überlebte er nur mehr in den Ritzen einer starren gesellschaftlichen Struktur und verlief sich im Sand steriler theologischer Disputationen. 82 Die Hauptströmung des Calvinismus mit ihrer episkopalen Struktur trug den Stempel der Ehrerbietung, der Hierarchie und des Konservativismus. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die Stellung des Katholizismus, der im gesamten goldenen Zeitalter der siebenbürgischen Unabhängigkeit nur stillschweigend geduldet wurde. Die katholische Gemeinde mußte im frühen 17. Jahrhundert einen argen Verfall zur Kenntnis nehmen. So gab es im Jahre 1607 nicht mehr als 40 Priester (die Jesuiten ausgenommen), von denen ein Großteil verheiratet war, und man sah keine Chance für eine Besetzung des vakanten Bischofssitzes von Weißenburg, wo das bischöfliche Palais den fürstlichen Haushalt beherbergte. Unter diesen seltsamen Bedingungen, wo es an Vorgesetzten fehlte (ähnlich der Situation des Katholizismus in den Vereinigten Niederlanden), konnte die Kirche keine eigentliche Lebenskraft zeigen. Doch erwies sie sich als bemerkenswert zählebig und wurde sogar in gewissem Sinn offiziell gebilligt. Offensichtlich hatten die Katholiken jene konstitutionelle Klausel, die jegliche Neuerung verbot, weniger zu fürchten als die Protestanten. Gabor Bethlen duldete einige jesuitische Missionare und Schulen, besaß gute Kontakte zu einzelnen Katholiken, und seine Ernennung eines Administrators (vicarius) zu seinen eigenen Bedingungen - was einen habsburgischen Kandidaten verhindern sollte - dürfte für Rom wohl nicht gänzlich unannehmbar gewesen sein. Die Räkoczi vergrößerten die Autonomie des „Sta-

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tus Catholicus" in Siebenbürgen und beriefen auch einige seiner Mitglieder in hohe Ämter. 8 3 Nach 1660 erweiterte die Kirche ihre geistige Basis, unterstützt in erster Linie von den Franziskanern in Csik, im Kernland der Szekler, die über eine Druckpresse verfügten, und im Umfeld einiger Adeliger, unter ihnen auch Konvertiten wie Istvän Apor und Mihäly Mikes, der Haller und Kornis, begann sich eine katholische politische Gruppierung herauszubilden. Hinter diesem Aufschwung stand die umfassende kulturelle Wirkung der habsburgischen Welt: Neuscholastik und jesuitische Erziehung sowie barocke Gelehrsamkeit und Empfinden. Darauf soll in einem späteren Kapitel noch näher eingegangen werden. 84 In den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts verhielt sich also die siebenbürgische Elite, welche die politischen Traditionen der Kuruzen geerbt hatte, diesem Erbe gegenüber zunehmend ambivalent. Sie versuchte vielmehr ihre eigene Position in einem Land zu sichern, das zwar so nahe dem Rand der europäischen Zivilisation lag, doch auch so stolz darauf war, dazu zu gehören. Wie der Leser sich erinnern wird, hatte es nie einen völligen Bruch mit dem übrigen Ungarn gegeben (einige unwahrscheinliche Jahre lang war Zsigmond Bäthory sogar der Schwager des zukünftigen Kaisers Ferdinand II.), und so war eine Angliederung an die Habsburger, solange sie unter entsprechenden Bedingungen erfolgte, einigermaßen verlockend. Die einzelnen Stufen der Anpassung werden durch zwei Generationen der Familie Teleki symbolisiert, durch Mihäly ( 1 6 3 4 - 1690), den ersten Minister Apafis, der zunächst für eine Hinwendung an Frankreich eintrat und um die Mitte der achtziger Jahre seine Meinung änderte, sowie durch dessen Sohn Mihäly, der im Jahre 1689 für den jüngeren Apafi ein in jeder Hinsicht loyalistisches Werk eines österreichischen Ordensgeistlichen übersetzte. 85 Jene Titel, mit denen die Habsburger nun die Teleki und deren Standesgenossen überhäuften, waren eine bloße Bestätigung der Macht des Hochadels, ähnlich wie Jahrzehnte zuvor, als den regierenden Räkoczi der Rang eines Fürsten des Heiligen Römischen Reiches verliehen wurde. Nun gaben die Katholiken im politischen Leben Siebenbürgens den Ton an und setzten sich dabei über die ihnen von Wien gewährten großzügigen Konzessionen in einer Art und Weise hinweg, die 50 Jahre zuvor, am Höhepunkt des calvinistischen Fürstentums, mehr als unwahrscheinlich angemutet hätte. Abschließend wollen wir zu den Jahren um 1700 Stellung nehmen und versuchen, daraus Schlüsse zu ziehen. Die Habsburger hatten gerade noch genug Unterstützung, um sich in den Besitz des gesamten historischen Gebietes der Stefanskrone zu setzen, während die Türken nach Belgrad zurückgedrängt, und Motor und Seele des siebenbürgischen Separatismus (in Gestalt des jungen Fürsten Mihäly II. Apafi und dessen Kanzler Miklos Bethlen) unter strenger Aufsicht in Wien festgehalten wurden. Doch fanden sie nicht die Kraft, in Ungarn irgendeine Art von Zentralisation durchzuführen, nicht einmal die teilweise bodenständige Variante, die von dem vorstürmenden Kollonitz vorgeschlagen wurde - und Leopolds Dekret für Siebenbürgen aus dem Jahre 1690 sah neben dem einheimischen Vertreter der Krone auch weiterhin einen eigenen Kanzler und Schatzmeister für das Fürstentum vor. Auch dürfte das Maß an Duldung die ortsansässigen Katholiken kaum zufriedengestellt haben. Der Friede von Szatmär sollte den Handel bestätigen und den Grundstein für

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eine geordnetere Entwicklung des Landes im 18. Jahrhundert legen. Einerseits sollte der Hochadel auf den großartigen Loyalitätsbeweis des Jahres 1741 vorbereitet und die Protestanten in enge und erniedrigende Schranken gewiesen werden. Auf der anderen Seite sollte man auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet eine Reihe prekärer Kompromisse erreichen: Der Landtag, die Kanzlei, das Consilium Locumtenentiale, die Gerichte und Komitate würden in geringfügiger Abänderung weiter bestehen, neu zurückgewonnene Güter nach und nach unter die heimische Verwaltung kommen, und ein rätselhaftes, unter dem Namen Pragmatische Sanktion bekanntes Dokument sollte die Beziehungen zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen in einer Weise regeln, die eher zur Erhitzung der Gemüter als zur Verständigung beitrug. 86 Die in diesem Kapitel untersuchten Vereinbarungen waren also weit zerbrechlicher als ähnliche im übrigen Gebiet der Monarchie. Nach 1700 setzte in Ungarn ein Zeitalter der katholischen barocken Blüte ein. Es herrschte die gleiche religiöse und soziale Intoleranz, man hatte die gleichen intellektuellen und pädagogischen Interessen, man errichtete dieselben Bauten, pflegte die gleiche Malerei wie im übrigen Mitteleuropa, doch trat alles mit einer gewissen Verspätung ein. Es ist ein bezeichnendes Detail für eine verspätete Reaktion, daß Stobäus' Brief aus dem Jahre 1598 an Erzherzog Ferdinand über das Problem, wie der Protestantismus in der Steiermark ausgemerzt werden könnte, 1714 in Tyrnau zur Instruierung der neuen ungarischen Doktoren der Theologie verteilt wurde. 87 Die Habsburger hatten jedoch diese Strömung, die in zweierlei Hinsicht gefährlich schien, kaum unter Kontrolle. Die weiterhin zersetzende Haltung des calvinistischen niederen Adels und der protestantischen Intellektuellen sollte schließlich zu den liberalen Programmen der Reformära führen und Randgruppen hervorbringen, die eine noch radikalere Kritik des bestehenden Gesellschaftssystems übten. Viel früher jedoch kam es zu tiefen Spaltungen innerhalb dieses Gesellschaftssystems. Als Maria Theresias Bibliothekar Adam Franz Kollär (er selbst stammte aus Trenschin) in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts zwei gelehrte Abhandlungen verfaßte, in denen er das Wesen der apostolischen Rechte der Krone über Ungarn erneut untersuchte, kam es zu einem Tumult im Landtag und zur geharnischten Forderung, daß er seine Äußerungen widerrufen müsse.88 Es gab, und dies muß kaum betont werden, gewisse Hintergedanken bezüglich der Untersuchungen Kollärs und der Kaiserin über die souveränen Ansprüche. Dieser Fall zeigt jedoch, wie unsicher die Grundfesten waren, auf denen selbst eine bestehende Zusammenarbeit zwischen den Habsburgern und ihren ungarischen Untertanen beruhte. Als diese Basis in Frage gestellt wurde, konnte es nur immer schwieriger werden, diese Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten.

KAPITEL 8

Das Deutsche Reich und die Habsburger: Beschränkte Hegemonie Im Verlauf des gesamten 16. und frühen 17. Jahrhunderts mußten sich die Habsburger ständig mit deutschen Fragen beschäftigen. Die mannigfaltigen Probleme des Reiches, das über die vertrauten Grenzen Österreichs und Böhmens hinaus bis an die Maas sowie die Nord- und Ostsee reichte, nahmen sie vielfach in Anspruch. Dann kam es im Jahr 1648 zu jenem berühmten Einschnitt, dem Scheitern des unmittelbaren militärisch-politischen Feldzuges zur Behauptung der kaiserlichen Autorität. Die deutschen Fürsten dehnten nun ihre Freiheiten weiter aus, sowohl am Reichstag 1653/54, auf dem der neue verfassungsmäßige Mechanismus für ein geteiltes Reich festgelegt wurde, als auch während der langwierigen und wenig konstruktiven Verhandlungen, die der Wahl Leopolds 1657 vorausgingen. 1 In der Zwischenzeit hatte die Dynastie in der Heimat Entschädigung gefunden: durch die Untermauerung der durch das Privilegium Maius ermöglichten spezifisch österreichischen Entwicklung; durch die Festigung der tatsächlichen Immunität Böhmens gegenüber dem Reich (und damit gegenüber den Religionsgarantien des Westfälischen Friedens), was gegen den Willen jener „Patrioten" durchgesetzt wurde, die sich in der Vergangenheit stets darauf berufen hatten; und durch das Bewußtsein einer wahrhaft donauländischen und balkanorientierten Außenpolitik. Auf diese Punkte wurde häufig hingewiesen, waren sie doch eine wesentliche Voraussetzung für das Entstehen eines selbständigen Habsburgerstaates in Mitteleuropa. Es ist jedoch ebenso augenscheinlich, daß die Habsburger sich auch weiterhin um eine Rolle im Reich bemühten. Ungarn wurde hauptsächlich dank des glücklichen Zufalls kurzfristiger türkischer Fehleinschätzungen sowie des langfristigen türkischen Niedergangs zurückgewonnen. Wir haben bereits gesehen, in welch bescheidenem Maße diese Änderung der Stellung des Hauses Österreich von einer institutionellen Entwicklung begleitet wurde. Letzten Endes waren die Habsburger eine deutsche Dynastie, und es wurde im Laufe der Zeit immer schwerer, diese Abstammung zu verleugnen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte die Dynastie über wesentliche Rechte der diplomatischen Einflußnahme jenseits der Grenze, wenn nicht sogar über eine echte Hegemoniestellung. Die politische Macht des Kaisers im Reich nach dem Westfälischen Frieden war nicht unerheblich. Einige zeitgenössische Kritiker wie Chemnitz und Pufendorf wurden polemisch, gerade weil sie immer noch den langen Arm Wiens fürchteten und weil sie versuchten, die ursprüngliche Harmonie (ihrer Vorstellung gemäß) im Reich wieder herzustellen. 2 Erst später, unter dem Einfluß preußischer Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts, entarteten solche Ansichten zu einer ernsthaften

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Mißdeutung des Wesens des alten Reiches sowie zu einer Unterschätzung dessen institutioneller Effektivität. Wie bereits dargestellt, waren Reichshofkanzlei und Reichshofrat weder überholte noch rein untergeordnete Organe der heimischen österreichischen oder böhmischen Verwaltung. Im frühen 18. Jahrhundert wurde die Kanzlei in einem neuen prächtigen Gebäudekomplex im Zentrum der Hofburg untergebracht. Die großangelegte Fassade wurde von Hildebrandt, einem der beiden bedeutendsten Meister des Barock, begonnen und vom anderen, Fischer von Erlach, fertiggestellt. Der Reichshofrat traf Entscheidungen in wichtigen konstitutionellen Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb der deutschen Staaten. 3 Der Reichstag mochte zwar ins Stocken geraten sein, als er ab 1663 immerwährend in der Freistadt Regensburg tagte, wenigstens jedoch stockte er auf dem Weg nach Wien, und die endlosen Verhandlungen führten schließlich, wie groß der damit verbundene Verschleiß an Kräften auch gewesen sein mag, zu einer Art Gesetzeskorpus, das für alle Parteien bindend war. Der Reichstag befaßte sich mit Wirtschaftsfragen, vor allem Zunft- und Münzprägungsregelungen sowie den umfassenden, von J. J. Becher angeregten anti-französischen Zollmaßnahmen. Weiters fällte er militärische Entscheidungen in Fragen der Finanzierung und des Aufgebots für kaiserliche Feldzüge. 4 Von größter Bedeutung waren die Initiativen auf regionaler Ebene. In einigen Teilen des Reiches bezeugten die von Maximilian I. geschaffenen Kreise noch beträchtliche Lebenskraft. Im Zuge der allmählichen Erweiterung der administrativen Aufgaben im Lauf des 17. Jahrhunderts dehnten sie sogar (ähnlich den ständischen Organen der Monarchie) ihre Exekutivfunktionen aus. Fürsten, Prälaten und Vertreter der Städte in Schwaben, Franken und den Rheinländischen Gebieten trafen regelmäßig auf Kreistagen zusammen, um Steuern zu beschließen, Fragen der Rekrutierung und der Einteilung von Armeen zu klären, um über örtliche gesetzliche Fragen zu entscheiden oder um eine gemeinsame Politik im Hinblick auf die öffentliche Ordnung, das Kommunikations-, Gesundheits- und Wohlfahrtswesen auszuarbeiten. Diese Kreise waren keineswegs Schöpfungen der habsburgischen Autorität, doch kaiserliche Kommissäre nahmen an den Beratungen teil, und die alten Loyalitäten gegenüber dem Kaiser erhielten in den Herzen der weniger bedeutenden deutschen Fürsten, aus Angst vor dem Ehrgeiz der wenigen großen Territorialstaaten, neue Nahrung. 5 Die Literatur, die in Fragen der föderalistischen Struktur des Reiches in der Frühmoderne zu Rate gezogen werden kann, nimmt ständig zu. 6 Ich werde mich im folgenden auf den tieferen Widerhall, den das habsburgische System und seine Werte in Deutschland gefunden haben, konzentrieren. Denn die Rolle Wiens nach 1648 muß nicht bloß hinsichtlich der offenkundigen habsburgischen Motivation, sondern auch vor dem Hintergrund des Zeitgeistes und der Situationsdynamik, die auf indirektere Weise zugunsten Österreichs wirken konnte, beleuchtet werden. Die komplexen Sympathien, die den Habsburgern entgegenschlugen, waren in einigen Teilen Deutschlands tiefer verwurzelt als in anderen, da die Jahre nach 1600 die bereits vor 1600 begonnene ideologische Teilung Deutschlands beschleunigten. Das Ergebnis war jedoch nicht gerade eines, das man hätte erwarten können. An beiden Enden des Landes gab es aufstrebende Staaten mit einer nach europäischen Maßstä-

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ben unabhängigen Politik. Im Norden baute Brandenburg eine beachtliche Militärmaschinerie auf und zeigte sich, was ebenso bedeutsam war, in zunehmendem Maße, vor allem durch Kontakte zur anpassungsfähigeren Welt der holländischen Universitäten, empfänglich für westliche Ideen. Im Süden richtete Bayern, das von dem Schwung seiner Gegenreformation profitierte und gestärkt aus dem 30jährigen Krieg hervorgegangen war, sein Augenmerk eher auf Paris denn auf Wien. 7 Trotz verschiedener anti-französischer Abkommen mit den Hohenzollern und weiterer Heiratsallianzen mit den ebenfalls katholischen Wittelsbachern waren sowohl Brandenburg als auch Bayern letztlich Rivalen der Habsburger. Zwischen Berlin und München jedoch erstreckte sich das breite Band Mitteldeutschlands, von Schwaben über Franken und das Mittelgebirge bis nach Thüringen und Sachsen - ein noch nicht konsolidierter Landstrich mit vielen Kleinstaaten und einer blühenden Kreisorganisation. In diesen Gebieten orientierten sich sowohl Herrscher als auch Untertanen häufig an Wien und der Weltanschauung der Habsburgerländer, sei es, daß sie Unterstützung oder, sei es, daß sie einen raschen Aufstieg erhofften. Die unmittelbarsten Verbindungskanäle führten vom kaiserlichen Hof zu den ausgedehnten kirchlichen Gütern, jenem einzigartigen Charakteristikum des alten Reiches: etwa vierundzwanzig wohlbestallte Bistümer sowie eine etwa gleich große Zahl reichsunmittelbarer Abteien. 8 Bayern hatte einen Fuß fest in diesem Lager stehen, da jüngere Söhne aus dem Hause Wittelsbach für zwei Jahrhunderte nach 1583 fortlaufend in Köln und anderen norddeutschen Bistümern herrschten. Und zeitweilige Reibereien mit ehrgeizigen und unbotmäßigen Prälaten, die bereits während des Krieges zu bemerken waren, wurden am deutlichsten, als Mainz unter der bemerkenswerten Familie Schönborn versuchte, seine Würde als Erzkanzler Deutschlands geltend zu machen. Johann Philipp von Schönborn (von 1647 bis 1673 Kurfürst) und dessen tatkräftiger Minister Johann Christian von Boineburg hatten wesentlichen Anteil an der Bildung des eindeutig anti-österreichischen Rheinbundes im Jahre 1658. 9 Das kaiserliche Amt jedoch verlor seine sakrale Ornamentik nicht. Übrigens war, wie auch die Schönborns insgeheim zugeben mußten, sogar die Macht Mainz' lediglich ein Widerschein, der hierarchisch von der Macht Wiens abgeleitet wurde, sodaß der Modus vivendi nie zur Gänze aufgegeben werden konnte. Die Habsburger verfügten, vorausgesetzt, daß sie nicht nach völliger Hegemonie strebten, über einen umfassenden Einflußbereich. Im späten 17. Jahrhundert war der Kaiser (und nicht der Papst) direkt an allen Wahlen, die über vakante katholische Bischofssitze entschieden, beteiligt. Einer Praxis folgend, die sich in den Bistümern der Habsburgerländer, vor allem Breslau und Olmütz, entwickelt hatte, wurde sein Bevollmächtigter zu einer unentbehrlichen gesetzlichen und zeremoniellen Persönlichkeit, die zwar kein Vetorecht besaß, jedoch im allgemeinen in der Lage war, mit genügendem Nachdruck auf einem genehmen Kandidaten zu bestehen. Die kirchlichen Herren mußten das Knie keineswegs offen beugen. So garantierte beispielsweise in Konstanz ein 1629 unterzeichnetes Konkordat die episkopale Jurisdiktion gegen eine weltliche Einmischung in alltägliche Agenden. 10 Es gab jedoch indirekte Möglichkeiten, Druck auszuüben. Die Existenz kirchlicher Enklaven und diözesaner Rechte in den Erblanden - wie sehr

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diese auch die heimische Souveränität der Dynastie beeinträchtigten - bot den Habsburgern Gelegenheit, die politische Stellung ausländischer Bischöfe unter Androhung von Sanktionen zu beherrschen. Der faszinierendste Fall ist Salzburg, das Metropolitanbistum für den Großteil Süddeutschlands. Diese Stadt, die unter dem mächtigen Fürsterzbischof Paris Lodron, dem Primas Germaniae, im 30jährigen Krieg eine stark gefestigte Neutralität einnahm, die den Jesuiten den Zutritt verweigerte und eine auf der alten benediktinischen Gemeinschaft von St. Peter beruhende Konkurrenzuniversität eröffnete, die sich auf Kirchenrecht, Thomismus und Geschichte spezialisierte, diese Stadt, die jene so typische, von Italien beeinflußte Kultur entwickelte und die Protestanten länger als jedes umliegende Land tolerierte - dieses Salzburg war sicherlich keine Marionette. Hinter der eindrucksvollen Fassade jedoch ähnelte es mehr und mehr jenem Teil des provinziellen Österreich, der es letztendlich auch werden sollte, nachdem Napoleon hinsichtlich der kirchlichen Immunitäten reinen Tisch gemacht hatte. Die Mitglieder des Domkapitels, der Gründung des hl. Rupert, kamen fast ausschließlich aus österreichischen Familien. Die Universität sowie die Verleger der Stadt hingen von einer zufriedenen, zahlenden österreichischen Klientel ab. Die Kultur schöpfte aus Handelsprofiten, die zu erreichen ohne kaiserliches Wohlwollen unmöglich gewesen wäre. Und die Herrscher Salzburgs bedurften, ähnlich vielleicht wie in Siebenbürgen, nicht der Habsburger, um eines einheimischen höfischen Absolutismus belehrt zu werden. Schließlich erlitten die Protestanten hier ein noch grausameres, weil anachronistischeres Schicksal als ihre Glaubensbrüder in Österreich und Böhmen. Als Erzbischof Leopold Anton Eleutherius Firmian 1731—1732 20.000 Lutheraner auswies, war sogar Kaiser Karl VI. peinlich berührt. 11 Insgesamt gesehen gab es ein großes Maß an Wechselwirkung, d. h. einen Austausch von Personen und Ideen, innerhalb des Klerus, vor allem des Ordensklerus. Wenden wir uns einem besonderen Fall zu, Deutschlands ureigenstem katholischen Ritterorden, dem Deutschen Orden. Der Name „Deutsche Ritter" hat einen guten mittelalterlichen Klang, und Historiker vergessen gerne, daß lediglich die preußischen und norddeutschen Besitzungen des Ordens in der Reformation säkularisiert wurden. 12 Die übrigen Besitzungen bestanden weiter, und zum beiderseitigen Nutzen entspannen sich nun viel engere Bindungen an die Kaiser. Die Ritter verlegten ihren Hauptsitz nach Mergentheim in Franken, und die Großmeister verbrachten einen nicht unerheblichen Teil ihrer Zeit in Österreich, wo sie, abgesehen von dem sogenannten Deutschen Haus hinter dem Stefansdom in Wien, viele Güter ihr eigen nannten. Der Schwerpunkt des Ordens verlagerte sich gegen Süden. Es war von symbolischer Bedeutung, daß der endgültige Verlust der Bailei Utrecht zu Beginn des 30jährigen Krieges sofort durch den Kauf von Gütern in Mähren und Schlesien kompensiert wurde. Von 1590 bis 1618 war Erzherzog Maximilian, der Bruder Rudolfs und Matthias', Hoch- und Deutschmeister (gleichzeitig war er auch Regent von Tirol), ihm folgte sein Cousin Karl. Zwischen 1641 und 1662 hatte Leopold Wilhelm, der Bruder Ferdinands III., dieses Amt inne, und auch auf ihn folgte ein weiterer Erzherzog. Ansonsten wurde dieses nominelle Wahlamt an Adelige aus dem Reich verliehen, die im kaiserlichen Interesse handelten, wie etwa an den Elsässer Johann Kaspar von Stadion (1627-1641), der im Kampf für die katholische Causa

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in Deutschland starb (er war ein Vorfahre der bekannteren Stadion des 19. Jahrhunderts, die in habsburgischen Diensten standen), oder an den Schwaben Johann Kaspar von Ampringen (1664-1684). Ampringens Karriere beleuchtet einen weiteren Aspekt dieser neuen Rolle der Deutschen Ritter, den Dienst gegen die Türken. Ab den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts waren sie unausgesetzt in Ungarn aktiv, und Ampringen, der dort geboren worden war, führte seine Truppen im Feld selbst an. Aus dieser Sicht heraus hatte seine Bestellung zum Statthalter dieses Landes ihre Logik, wenn es auch eine üble Fehleinschätzung war. 13 So baute der Deutsche Orden enge Verbindungen zu Österreich auf, doch (was in diesem Zusammenhang betont werden sollte) blieb er eine Reichsinstitution und verfügte über ausgedehnte Besitzungen in Deutschland, wie etwa die prächtige Barockresidenz in Ellingen nahe von Weißenburg in Franken. Seine Mitglieder waren meist Angehörige des Adels aus dem Reich. Größtenteils keine Zönobiten, eher einer weltlichen Kriegerkaste gleich, wurden sie auf hohem sozialem Niveau zu einer bemerkenswerten Stütze des katholischen Glaubens. Im unteren Bereich der sozialen Skala schufen die Erfahrungen der Gegenreformation und die damit verbundenen Schwierigkeiten ein Gefühl für das gemeinsame Ziel, und die Strömungen der Volksfrömmigkeit und der sakramentalen Verehrung zeigten in Bayern und auch in den übrigen Ländern ein ähnliches Bild wie in Österreich. 14 Eine zuversichtliche katholische Kirche mit unerschütterlicher kaiserlicher Loyalität war nach 1648 ein bestimmendes Hauptmerkmal der allgemeinen Stimmung in Mitteldeutschland, dem großen Gebietsverband, den wir als zwischen Schwaben im Südwesten und Sachsen im Osten liegend identifiziert haben. Die Erwähnung Sachsens, dieses Zentrums des Lutheraufstandes und ranghöchsten weltlichen Kurfürstentums, dieses Schlüsselgebiets für den Verlauf der jüngsten deutschen Geschichte, mag überraschen. Sowohl sein Religionsbekenntnis wie auch seine Größe scheinen es aus diesem Zusammenhang auszuklammern. Doch wie hatte sich die Macht dieses volkreichsten Gebietes des Reiches entfaltet? Seit dem berühmten Zusammenstoß zwischen Moritz von Sachsen und Karl V. stets unter bewußter Rücksicht auf die Habsburger. Der schwerfällige Konservativismus Herzog Augusts ging, nach dem bald verstorbenen Christian I., auf dessen Enkel Christian II. über - nüchtern vielleicht nur in seiner Politik. Sachsens enge Kontakte zum Königreich Böhmen fanden im Krisenjahr 1618 ihren Höhepunkt, doch unterstützte Sachsen fast immer die Seite der Autorität. Der erste Wortführer des Hofes in Dresden, Matthias HoS von Hoenegg, verurteilte die Calvinisten (unter ihnen den tschechischen Führer Budovec) viel schärfer als die Katholiken und hatte wesentlichen Anteil an der Entscheidung des neuen Kurfürsten, die Annahme der böhmischen Krone zu verweigern. Sicherlich nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den österreichischen Agenden, denn Hofprediger Ho6 war selbst Wiener - der Sohn eines Geheimen Rates, der von Rudolf II. in den Adelsstand erhoben worden war und war zwischen 1611 und 1613 mit der Überwachung der Prager Lutheraner betraut worden. 15 Als Belohnung für die Unterstützung des Kaisers erhielt Sachsen die Lausitz, wobei die Bereitschaft Ferdinands II., dieses Gebiet aufzugeben, abgesehen von seiner mißlichen Lage, auch sein Vertrauen in die Treue von dieser Seite her na-

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helegt. Dann folgte auf die kurze Zeit einer widerwilligen Kriegsführung in den frühen dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts eine brüske Rückkehr in den kaiserlichen Schoß. Sachsens politische Theoretiker (ihr prominentester Vertreter war Veit Ludwig von Seckendorff) verteidigten die alte Verfassung und die den Habsburgern darin zukommende Rolle auf das entschiedenste. Die scharfsinnigste und verständnisvollste aller ernstzunehmenden zeitgenössischen Biographien Leopold I. stammt von Eucharius Gottlieb Rinck, einem Gelehrten aus Leipzig. 16 Derart respektvolle Einstellungen zogen natürlich die Aufmerksamkeit der Jesuiten auf sich. Sie unternahmen alle Anstrengungen, das Haus Wettin und dessen Untertanen wieder für sich zu gewinnen, was schließlich 1697 in Baden bei Wien zur Bekehrung des jungen Kurfürsten Friedrich August führte. Dieser Umschwung wurde zwar durch politische Überlegungen herbeigeführt, da es Sachsen so möglich war, erfolgreich Ansprüche auf den Thron Polens zu stellen, doch hat dies nichts mit der Bedeutung dieses Faktums zu tun. Nicht zuletzt hatte sich Polen im Lauf des 17. Jahrhunderts von einer Bastion der Freidenker zu einem geschwächten Diener der römischen Intoleranz mit engen Bindungen an die Habsburger entwickelt. König August - „August der Starke", wie sein zeitgenössischer Beiname (der sich auf seine physischen und nicht geistigen Fähigkeiten bezieht) absurderweise lautet - brachte den ausgelassenen mitteleuropäischen Barock in seine beiden Hauptstädte Dresden und Warschau.17 Der Katholizismus hielt auch in die Nebenlinien der Familie Wettin Einzug. Christian August von Sachsen-Zeitz, einem Cousin Augusts, sind wir bereits als Primas von Ungarn begegnet, und sein Neffe wurde Bischof in Böhmen. Die lutherischen Ernestiner zeigten im späteren 17. Jahrhundert in den Thüringischen Herzogtümern, wie etwa Gotha, eine bemerkenswerte Freundschaft für Wien. In jener Nebenlinie, die über das kleine norddeutsche Herzogtum Lauenburg herrschte, gab es mehrere Konvertiten: Julius Heinrich (Balbins Schutzherr und Landbesitzer in Böhmen), seine beiden Brüder und seinen Sohn. 18 Auch in anderen Herrscherhäusern Mitteldeutschlands ist eine ähnliche Entwicklung zu verfolgen. Die Ambitionen der Weifen von Braunschweig gingen in zwei Richtungen. Die englische Nachfolge erforderte einen standhaften Protestantismus, während der Aufstieg im Reich sie zu treuen Gefolgsleuten der Habsburger machte. So konvertierte, während Ernst August von Hannover die zukünftige Stuart-Erbin Sophia heiratete und 1692 den Kurfürstenhut erwarb, sein älterer Bruder Johann Friedrich zum Katholizismus und vermählte seine Tochter mit dem zukünftigen Kaiser Joseph I. Später vollzog dann Anton Ulrich, der Herrscher über die nahverwandten Wolfenbütteler Gebiete, schließlich (anscheinend unter dem Einfluß des Wiener Agenten der emigrierten Stuarts, einem Theatiner namens Amadeus Hamilton) denselben Schritt, nachdem er bereits zuvor seine Enkelin davon überzeugt hatte, zum Katholizismus überzutreten und den anderen Sohn Leopold I., Karl, zu heiraten. 19 Abgesehen davon, daß einige Landgrafen von Hessen als Calvinisten im Dreißigjährigen Krieg eine exponierte Stellung einnahmen, brachte die Familie auch mehrere schillernde Renegaten hervor. So beschloß Friedrich von Hessen-Darmstadt seine Laufbahn als Kardinalbischof von Breslau, Ernst von Hessen-Rheinfels wurde zu einem glühenden katholischen Polemiker sowie Intimus Valerian Magnis und drei Brüder Hessen-Darmstadt konvertierten gegen Ende des Jahrhunderts. Es

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gab sogar Rückfälle in den Reihen der entschiedensten calvinistischen Kämpfer des Reichs. So etwa Christoph Wilhelm von Brandenburg, der, nachdem er in der Schlacht gefangen worden war, in Wiener Neustadt abfiel und dessen wankelmütige Nichte Katharine, die zunächst mit Gabor Bethlen und dann mit Franz Karl von Sachsen-Lauenburg verheiratet war, oder zwei Fürsten von Nassau sowie mehrere Nachkommen des Winterkönigs. 20 Tatsächlich war Kurpfalz aus protestantischer Sicht das gesamte 17. Jahrhundert hindurch stets vom Pech verfolgt. Nicht genug, daß es den 30jährigen Krieg angezettelt hatte und es dann nicht vermochte, diesen fortzuführen, starben 1685 die pfälzischen Kurfürsten in männlicher Linie aus. Streitigkeiten über die Nachfolge führten zu einem neuerlichen Krieg. Heidelberg und das dazugehörige Hinterland hatten erneut unter noch größeren Zerstörungen zu leiden. Die siegreichen Bewerber waren eine jüngere Linie derselben Wittelsbacher - mit Sitz in Neuburg an der Donau - , die erst kürzlich die reichen Güter von Jülich und Berg in Westfalen geerbt hatten. Dies war ein doppelter Erfolg für den Kaiser. Er verhalf nicht nur einem leidenschaftlich katholischen Fürsten zur Macht im Rheinland, sondern darüber hinaus auch einem Fürsten, der stark unter habsburgischem Einfluß stand. Denn obwohl Wolfgang Wilhelm von Neu bürg 1613 von seinem Münchner Cousin zu einem neuerlichen Glaubensübertritt veranlaßt wurde, führte der außergewöhnliche Aufstieg seiner Nachkommen zu einer Rivalität mit Bayern und zu einer Allianz mit Österreich. 21 Wolfgang Wilhelms Sohn, Philipp Wilhelm, geboren 1615 in dem kleinen Erbherzogtum, starb 1690 als pfälzischer Kurfürst und Herrscher über das halbe Rheinland in Wien. Sein ältester Sohn und Erbe heiratete Leopolds jüngere Schwester, alle übrigen Söhne wurden zu hohen Würdenträgern in der Kirche, zwei als Bischöfe von Breslau und zwei als Großmeister des Deutschen Ordens. Franz Ludwig von Neuburg (1664—1732), der beide Ämter innehatte, war einer der größten Ämterkumulierer dieser Zeit und stieß lediglich bei seinem letzten, hochfahrenden Plan, die beiden kurfürstlichen Erzdiözesen von Mainz und Trier gleichzeitig zu regieren, auf Widerstand. Von den Töchtern Philipp Wilhelms wurde Eleonore die dritte Gemahlin Leopolds, während andere die Könige von Spanien und Portugal heirateten. 22 Ein ähnlich interessanter Fall, wenn auch im kleineren, involvierte sogar noch einen anderen Zweig der Wittelsbacher (damals gab es bis zu acht Wittelsbacher-Linien), die Pfalzgrafen von Sulzbach zwischen Nürnberg und der böhmischen Grenze. Hier führte Christian August, der 1656 zur römischen Kirche konvertierte, seinen kleinen Hof sowohl auf geistigem Gebiet als auch, wie wir noch sehen werden, durch familiäre Bande eng an Österreich heran. Seine Schwester heiratete Vaclav Eusebius Lobkowitz und seine Tochter, die zunächst mit dem letzten Erzherzog aus Tirol verlobt war (der allerdings jung starb), den letzten Herzog aus dem Hause SachsenLauenburg und teilte mit diesem dessen große böhmische Besitzungen. 23 Das bloße Faktum einer Konversion in der oberen Gesellschaftsschicht sollte nicht zu stark betont werden. Es war ein Akt teils politischer, teils geistiger Berechnung, wie dies beispielsweise aus den langen Rechtfertigungsschriften von Ernst von Hessen und Anton Ulrich von Braunschweig hervorgeht. Ein Glaubensübertritt war vielmehr symptomatisch für eine Grundeinstellung, die auch von vielen, die Lutheraner blieben, geteilt wurde: ein tiefer defensiver Konservativismus, eine gesteigerte

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Ehrfurcht vor Traditionen, geltenden Rechten und hierarchischen Formen und vielleicht auch die vage Idee einer materiellen und konfessionellen Einheit unter kaiserlicher Ägide. Parallelen zu der Gesellschaft in den habsburgischen Gebieten müssen nicht lange gesucht werden, da die Fürsten schließlich der Hochadel Deutschlands waren. Gleiches gilt, als weltliche Mächte, für die Reichsbischöfe und Reichsäbte mit ihren sechzehn adeligen Wappenfeldern und den Kapiteln, von denen sie gewählt wurden. Gleiches gilt auch, zumindest als Kollektiv gesehen, für die vornehmen Patrizier in Nürnberg oder Augsburg, die sich im Glänze adeliger Privilegien vom Handel gänzlich zurückgezogen hatten und eifersüchtig über ihr eigenes bürgerliches Latifundium wachten. 24 Den Herren kleinerer Länder kam nahezu die gleiche Stellung zu wie den großen Grundbesitzern in Österreich, Böhmen oder Ungarn, und sie gestanden letzteren auch ihre Ebenbürtigkeit zu, wie dies etwa die soeben genannte Wittelsbacher-Lobkowitz Heirat zeigt oder die Ehen Christoph Wilhelms von Brandenburg mit Martinitz und Waldstein. Ein Großteil der freien Reichsritter in Schwaben und Franken kam in bezug auf ihren Reichtum bei weitem nicht an die Trauttmansdorff, Czernin oder Batthyäny heran. Die Oligarchie des Reiches strebte ebenfalls nach sozialer Kontrolle durch Beispiel und Vorschrift und versuchte dies durch geordnete Verhältnisse auf dem Land und durch eine offizielle Beeinflussung der allgemeinen Stimmung unter der Bevölkerung zu erwirken. Das sächsische Modell einer patrimonialen Verwaltung basierte auf einer verwässerten Fassung der kaiserlichen Hofämter. Die Vorherrschaft des Hofes wurde durch eine Staatskirche untermauert. Das sächsische Luthertum, durch ein fügsames Konsistorium unter dem Einfluß des Kurfürsten und ebenso engstirnig und verknöchert wie der spezifische Calvinismus Siebenbürgens, erfuhr ironischerweise erst durch die Konversion der Wettiner eine gewisse Wiederbelebung. Der übertriebene Konservativismus griff auch auf Lehre und Observanz über: das Festhalten an der Ohrenbeichte, die Bewahrung klostergleicher Häuser (eines davon unter der Leitung von Elisabeth von der Pfalz), die Abhaltung der Gottesdienste teilweise zur Gänze in Latein, die Gewänder und liturgischen Farben, Opferungsglocken und Weihrauch, die Erhebung der Hostie und feines Kirchensilber, ja sogar Reste des kanonischen Rechts. Es ist von symbolischer Bedeutung, daß die sächsischen Gebiete der Deutschen Ritter nicht konfisziert, sondern von den Wettin gegen die Zahlung einer Grundpacht verwaltet wurden. 25 Weit davon entfernt, die Häresie in Böhmen zu fördern, zeigte sich die sächsische Orthodoxie durch das Aufkommen radikalerer protestantischer Strömungen im eigenen Land erschreckt, und die Verbindungen zu den tschechischen Einwanderern waren manchmal gespannt. Erst eine schwedische Vermittlung in Westfalen und Altranstädt sicherte die Rechte der schwergeprüften Lutheraner in Schlesien. Diese Einstellung fand unter den deutschen Intellektuellen Unterstützung und Bestätigung. 26 Und dies erneut nicht nur in rein katholischen Gebieten: so unter den Jesuiten von Ingolstadt und besonders deren nicht-bayrischen Brüdern in Würzburg, Bamberg und einer Reihe anderer Orte im Rhein-, Main- und Donautal, in dem gelehrten Kreis um Johann Philipp von Schönborn und seinen konvertierten Freund Boineburg, unter dem Welt- und Ordensklerus sowie den Druckern und Verlegern

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in Köln, dieser einzigen großen Freistadt, in der es keine Protestanten gab. Solche Zentren waren von Bedeutung, brachten sie doch große Gelehrte wie Schott und Kircher hervor, die sich eines hervorragenden Rufes in ganz Mitteleuropa erfreuten. Doch vieles von ihrer Weltanschauung war auch manch überwiegend protestantischen Gebieten geläufig. Denken wir an Luthers eigene Universität in Wittenberg, der durch die Unterrichtspläne der Theologie alle Bewegungsfreiheit genommen war, die der Tendenz nach mit dem systematischen Studium der traditionellen Physik und Metaphysik stark dem Aristotelianismus verhaftet waren. Zunächst nahm diese philosophische Strömung ab dem späten 16. Jahrhundert in der Heimat ständig zu, stand damit im Widerspruch zur Ablehnung jeglicher abstrakten Betrachtung im allgemeinen und ontologischer Konstruktion im besonderen durch die Reformation und erfuhr durch den Neuscholastizismus Spaniens, wie er durch das katholische Deutschland übermittelt wurde, eine Stärkung. Zu Ausgaben von Vitoria, Cano, Soto, Fonseca und vor allem Suarez kam noch eine große Zahl heimischer Kommentatoren der Standardtexte hinzu. 27 Ähnliche Bestrebungen gab es an den beiden anderen Universitäten Sachsens, in Jena und Leipzig (den mit Abstand größten im Reich), ganz zu schweigen von dem unter Mainzer Kontrolle stehenden Erfurt. Die Situation an den kleineren lutherischen Akademien wie in Gießen, Rostock, Straßburg oder Tübingen und an den Gymnasien, die sorgfältig von ihren Alumnen gepflegt wurden, war nahezu die gleiche. Die einzigen Ausnahmen, abgesehen von einigen calvinistischen Mittelschulen, scheinen Helmstedt in Braunschweig und Altdorf nahe von Nürnberg gewesen zu sein. Beide hatten jedoch gute Gründe, jegliches offen treulose Verhalten zu vermeiden. 28 Vieles in der Laufbahn Gottfried Wilhelm Leibniz' weist auf diese Umgebung hin. Geboren in Leipzig, begann der aus einer Familie von Rechtsgelehrten stammende Leibniz seine philosophischen Studien mit der Lektüre Suarez'. Trotz all des Schöpferischen und der Modernität seiner Gedanken blieb Leibniz den Traditionen des deutschen Humanismus tief verbunden und dem kaiserlichen Erbe treu ergeben. Nachdem er sich zunächst in Mainz als Sekretär Boineburgs niedergelassen hatte, ging er an den Hof eines anderen prominenten Konvertiten, Johann Friedrich von Braunschweig, und pflegte eine ausgedehnte Korrespondenz mit katholischen Gelehrten. Sein ganzes Leben hindurch entwickelte er Pläne für eine akademische Reform, die, wenn möglich, auf Wien beruhen sollte, und unterstützte politische Initiativen zur Stärkung der Reichsverfassung. Seine Bemühungen gipfelten in seinem Aufenthalt in Österreich zwischen 1712 und 1714 und seiner Freundschaft mit Prinz Eugen von Savoyen. Wenn auch seine Pläne ihm nichts außer einem Adelspatent einbrachten, zeigte der alternde Leibniz immer noch Achtung vor der Idee und der Realität der habsburgischen Souveränität. Einmal bot sich der gelehrte Freiherr, ähnlich wie etwa ein ehrgeiziger sächsischer Jurist um einen der rund ein halbes Dutzend protestantischen Sitze im Reichshofrat angesucht haben dürfte, sogar selbst als geeignete Persönlichkeit für die Übernahme der siebenbürgischen Kanzlei an! 29 Leibniz' Kollegen schlossen sich im großen und ganzen derselben Grundhaltung an. So betätigte sich beispielsweise einer seiner Lehrer, der vielseitig gebildete Erhard Weigel, als williger Verfechter des kaiserlichen Kreuzzugs gegen die Türken.

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Der Autor und Lehrer Christian Weise unterhielt herzliche Verbindungen zu den böhmischen Jesuiten. 30 Leibniz' Freund Job Ludolf wurde zum geistigen Leitstern des Hofes in Gotha, das unter Herzog Ernst dem Frommen zum Modell eines kleinen, paternalistischen deutschen Staates wurde, der den Habsburgern gegenüber unerschütterliche Loyalität bewahrte. Obwohl er das Verhalten seines abtrünnigen Schülers Wansleb, der bei den Dominikanern eintrat, nicht gutheißen konnte, besaß Ludolf in Österreich gute Verbindungen und wurde zum ersten Präsidenten des kurzlebigen „Collegium Imperiale Historicum" ernannt. 31 Bald nach Abschluß des Westfälischen Friedens gründeten örtliche Ärzte in Schweinfurt in Franken Deutschlands erste wissenschaftliche Gesellschaft. Diese Academia Naturae Curiosorum war eine Pioniereinrichtung für das damalige Europa, doch blieb ihre Existenz zunächst eher bescheiden, bis sie sich entschieden in Richtung Autorität und intellektuelle Tradition wandte. Um 1670, als man begann, unter dem Titel Miscellanea Curiosa Jahresberichte zu veröffentlichen, hatte sie bereits einen ausgeprägt kaiserlichen Anstrich, verfügte über Privilegien, auf die sie übertrieben stolz war, erfreute sich der Protektion des habsburgischen Hofes, und all dies fand seinen symbolischen Niederschlag auf den reich verzierten Titelseiten. 32 Eine kulturelle Initiative in der entgegengesetzten Richtung, von Wien ins Reich, konzentrierte sich auf das große rheinländische Verlagszentrum Frankfurt am Main. Hier focht eine kaiserliche Buchbehörde, erstmals in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts errichtet, in den Jahrzehnten vor dem Krieg einige zögernd geführte katholische Schlachten gegen subversive und beleidigende Literatur und diente gleichzeitig als Sammelstelle für Neuerwerbungen für die Hofbibliothek. Der Krieg legte sowohl den Buchmarkt als auch die Kommission lahm, doch trotzdem verharrte der habsburgische Bevollmächtigte Johann Ludwig von Hagen untätig auf seinem Posten. 33 Nach dem Westfälischen Frieden folgte in Ludwig von Hörnigk ein neuer Bevollmächtigter (einige Quellen stellen die Behauptung auf, er sei der illegitime Sohn eines Fürsten von Hessen), der unter der Ägide Jodocus Kedds gerade konvertiert war, eine angemessene Rechtfertigung für sein Vorgehen verfaßt und sich der Gnade des Kaisers ausgeliefert hatte. Hörnigk und seine Nachfolger verliehen ihrem Amt neue Bedeutung und kämpften um Beschränkungen des Verlagshandels. Alles in allem ist es verblüffend, was ihnen in dieser oft feindlichen Umgebung gelang, und die Erfolge hätten noch größer sein können, wäre es nicht zu Streitigkeiten unter ihnen gekommen. 34 Ein führender Förderer dieser Buchkommissäre war das große Verlagshaus Endter in Nürnberg, einer Reichsstadt, die ebenso fest am Luthertum festhielt wie Frankfurt. Die Familie Endter war in zwei Linien geteilt, von denen die eine protestantische, die andere, ohne ernstzunehmende Schwierigkeiten, katholische Werke druckte. Beide gaben eine Unzahl von Material heraus, das die Präsenz der Habsburger in Deutschland entweder direkt oder implizit unterstützte. Unter den Autoren finden sich beispielsweise Joachim von Sandrart, der von der Kaiserfamilie im späteren 17. Jahrhundert bevorzugte Künstler, sowie der bekannte Dichter Sigismund von Birken, der (in einer tatsächlich positiven Neubearbeitung) eine der wichtigsten mittelalterlichen Geschichten der Habsburger herausbrachte. 35 Sandrart und Birken sind typische Vertreter der gebildeten Gesellschaft in Nürnberg, zu der auch

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die Rechtsgelehrten gehörten, die in die Dienste des Reichshofrates eintraten, die Ärzte, die eine aktive Rolle in der Academia Naturae Curiosorum spielten, die Poeten aus Leidenschaft, die den arkadischen Pegnesischen Blumenorden unterstützten, oder selbst die Akademiker, die den Personalstab der in bescheidenem Maße liberalen, doch verläßlichen kleinen Universität im nahen Altdorf stellten. 36 Zwei weitere Beispiele sollen den zwingenden Beweis liefern, daß es, zumindest in Süddeutschland, unter den Intellektuellen eine beträchtliche konfessionelle Koexistenz gab. Diese beruhte auf fester Loyalität gegenüber der Reichsvergangenheit und gegenüber Österreich als deren zeitgenössischer Verkörperung. Die achtbaren Augsburger Literaten, die keinerlei Konkurrenz für ihre brillanten kosmopolitischen Vorgänger ein Jahrhundert früher waren, beschäftigten sich nun mit seltsamen Beobachtungen für die Miscellanea Curiosa oder bereiteten das Gepränge vor, das, voll der Anspielungen, für die Krönung des jungen Erzherzogs Joseph zum römischen König im Jahre 1690 geplant wurde. Ihre Leistungen dürfen jedoch nicht ganz außer acht gelassen werden. Zeugnis hiefür ist der bemerkenswerte, visuelle lutherische Barock des Johann Ulrich Krauss und anderer Kunststecher. 37 Weiter im Osten beherbergte die kleine Stadt Sulzbach unter ihrem Herrscher Christian August ein eigenartiges Sammelsurium an Gelehrten, unter ihnen Abraham Pöhmer aus Nürnberg, einst ein utopistischer Träumer und Gefährte Comenius', nun, in gleichem Maße wie der Fürst, ein Konvertit, und Joachim Hübner, ebenfalls ein ehemaliger Freund Comenius'. 38 Dieser Hof widmete sich vor allem dem Studium der hebräischen Sprache und Philosophie, und die führende Persönlichkeit war der Kabbaiist Christian Knorr von Rosenroth. Knorr, wie uns sein Biograph wissen läßt, kam aus Schlesien, schrieb Glückwunschdichtungen für Leopold I. und wurde von diesem 1677 mit der Freiherrnwürde ausgezeichnet. Die Verbindungen dieser Familie zu den Habsburgern waren sogar noch enger, denn Laurenz Knorr war einer der ersten Doktoren am Prager Appellationsgerichtshof gewesen, und Paulus Knorr war in Graz in den Jahren der Gegenreformation Hofkaplan. 3 9 In den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts gab die Druckpresse in Sulzbach weitere Werke anderer Autoren heraus, die über enge Bindungen zu Österreich oder Böhmen verfügten. Es ist dies der auffallendste (und von Historikern allzu leicht übersehene) Fall einer gütlichen Einigung zwischen lutherischer und katholischer Gelehrsamkeit in ganz Deutschland. 40 Der deutlichste Hinweis für die Anziehungskraft Österreichs ist die Zahl der Deutschen, die in Dienste in habsburgischen Gebieten berufen wurden. Einigen von ihnen sind wir bereits in religiösen Orden begegnet: Kedd aus dem Rheinland, Procopius aus Brandenburg und Abraham a Sancta Clara aus dem bayrischen Schwaben, der über die Ingolstädter Jesuiten und die Salzburger Benediktiner ins Land gekommen war. Andere wie Christoph Scheiner oder Simon Wagnereck müssen erst noch vorgestellt werden. Angehörige der Aristokratie traten weiterhin hohe Posten bei Hof an, vor allem als Präsidenten der Reichshofkanzlei und des Reichshofrates sowie als Geheime Räte. Die Hauptquelle war Schwaben, wo es sowohl vor als auch nach den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts die gleiche Parade katholischer Adelsfamilien gab: Fürstenberg, Hohenzollern-Hechingen, Sulz, gefolgt von Ernst

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von Oettingen-Wallerstein und dessen Sohn Wolfgang, die gemeinsam mit einer Unterbrechung von dreizehn Jahren nach dem Westfälischen Frieden sechzig Jahre lang den Reichshofrat führten, und Leopold Wilhelm von Königsegg, der im 17. Jahrhundert am längsten das Amt eines Reichsvizekanzlers innehatte. 41 Das spektakulärste Beispiel aber ist die herausragende fränkische Dynastie der Schönborn, dieser größten Bauherren des Barock. Karl Friedrich, der Neffe und Bruder von Erzbischöfen, diente drei Jahrzehnte lang als Vizekanzler (er war es auch, der, wie zu erwarten, den neuen Trakt der Reichskanzlei in Wien in Auftrag gab) und bestätigte, daß die Besitzungen seiner Familie zu den ausgedehntesten in ganz Europa gehörten. Sie erstreckten sich bis in abgelegene Gegenden der Karpaten, wo die Schönborn als Nachfolger der Räköczi über ein bewaldetes und felsiges Reich von Bären, Wölfen und Ruthenen herrschten. 42 Und auch deutsche Generäle, denn der Friede dauerte nie lange genug, noch war die habsburgische Armee je stark genug, um diese entbehrlich zu machen. Zu den berühmtesten zählten Wolfgang Julius von Hohenlohe und Ludwig Wilhelm von Baden. Diese Verwaltungsbeamten und Soldaten höchster Abstammung trugen dazu bei, die den Habsburgern zur Verfügung stehende Auswahl zu vergrößern. Noch bezeichnender für diese Entwicklung waren die Bürgerlichen und die Angehörigen des niederen Adels, die in Österreich Karriere machten. Auch sie führten eine Tradition fort. Rufen wir uns die Juristen, die im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert in den innersten Kreis um den Kaiser Eingang gefunden hatten und dafür gut belohnt wurden, ins Gedächtnis - Giffen, Melander, Volmar und nahezu alle damaligen Reichsvizekanzler. 43 Doch war dies eine Zeit, in der eine solche Laufbahn den Bürgern aus Wien oder Prag, den Vermittlern eines heimischen Humanismus noch offenstand. Nun unterdrückte die Hierarchie in der Heimat nahezu jeden Aufstieg. Nur für Neuankömmlinge aus Deutschland standen alle Möglichkeiten offen. Sie konnten ihre Talente ohne Störung des Systems ausspielen. Wer nach 1650 eine steile Karriere machte, kam im allgemeinen aus dem Reich. Die auffallendste Persönlichkeit unter diesen Einwanderern war Joachim Enzmillner, ein 1600 in Babenhausen in Schwaben geborener Rechtsgelehrter, der eine führende Rolle in der Gegenreformation in den ländlichen Gebieten Österreichs spielte. Er wurde mit dem Titel eines Grafen von Windhag ausgezeichnet, der sich von einem Gut herleitete, welches er etwas östlich von Linz erwarb. Hier umgab er sich mit allem Pomp eines barocken Grandseigneurs. Er ließ ein neues Schloß errichten, das voll von Büchern, Münzen und Kunstgegenständen war, und ließ das bestehende Schloß zu einem Dominikanerinnenkloster umbauen, dem seine einzige Tochter als Äbtissin vorstand. Um sein Vermögen deutlich zu machen, finanzierte er verschwenderisch ausgestattete Buchbände, die in Frankfurt herausgegeben wurden. Einzig in einer Hinsicht bewahrte sich Enzmillner vielleicht die Geisteshaltung des liberaleren Deutschland seiner Jugend: Als er 1678 starb, vermachte er seine Bibliothek der Stadt Wien als öffentliche Sammlung. Aus wohl ebensolchem barocken Sinn für große Gesten ließ seine Tochter unmittelbar nach seinem Tod das neue Schloß zerstören 4 4 Der orthodoxere Weg zum Aufstieg führte über die österreichische Kanzlei. Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, daß dieses Ressort, fast ebenso wie die

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Reichshofkanzlei, auf eine Reihe fähiger Ausländer aus dem Reich überging. Der erste, Johann Paul Hocher, geboren 1616 in Freiburg im Breisgau, ging dem Beruf der Familie nach und war Rechtsgelehrter. Seine Fachkenntnisse brachten ihm mehrere Posten in der Tiroler Regierung und von 1667 an das Amt des Kanzlers ein. Als Protege Lobkowitz' hatte er keinerlei Skrupel, den Sturz seines Schutzherrn herbeizuführen, und war bis zu seinem Tod 1683 eine Art oberster Minister Leopolds, ein Anhänger des Absolutismus, vielleicht durch Überzeugung, wenn auch nicht durch seine Leistung. 45 Auf Hocher folgte Theodor Heinrich Strattmann (gestorben 1693), ein Bürgerssohn aus Rheinland-Pfalz und Berater des Hauses Neuburg, aus dessen Diensten er in jene der Habsburger eintrat und zu einer der hervorstechendsten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Wien wurde. Der dritte starke Mann der österreichischen Kanzlei durchlief einen ähnlichen Weg zur Macht. Johann Friedrich Seilern (1646-1715) war nicht nur ein deutscher Bürgerlicher (der Sohn eines Färbers aus der Kurpfalz), sondern auch Konvertit. Als kaiserlicher Diplomat und Kanzler ab 1705 wurde er zum spiritus rector der Pragmatischen Sanktion. 46 Es muß wohl kaum hinzugefügt werden, daß die Staatsmänner, auch wenn sie nicht innerhalb des Systems aufwuchsen, sich glücklich schätzten, von diesem erfaßt zu werden. Hocher starb als Baron mit einem kleinen schwäbischen Gut und einem riesigen Vermögen in Österreich (straft das die Legende von seiner Unbestechlichkeit Lügen?). Strattmann verheiratete seine Töchter an einen Stubenberg, einen Collalto und einen Batthyäny und verschaffte seinen Söhnen hohe Ämter in Kirche, Staat und Armee. Während seine Familie bald ausstarb, waren die Grafen Seilern, die durch den Schwiegersohn des Kanzlers, der selbst in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts österreichischer Kanzler war, für weiteren Nachwuchs sorgten, schon unverwüstlicher. Überall erzielte das bestehende hierarchische Gesellschaftssystem durch die Förderung solcher Männer deutliche Gewinne zu minimalen Kosten. Der begabteste habsburgische Diplomat jener Zeit, Franz Paul Lisola, war als Bürger von Besan9on voll Groll über dessen Besetzung durch die Franzosen und warf seine beträchtlichen Energien in die Waagschale, um den Widerstand gegen Ludwig XIV. zu schüren, ohne jemals in Österreich Wurzeln zu schlagen. Auch im 18. Jahrhundert machte man sich diese Regel weiterhin zunutze. Maria Theresias enger Berater und Minister Bartenstein zum Beispiel wurde 1689 als protestantischer Bürger in dem ebenfalls französisch besetzten Straßburg geboren 47 Zwei Fälle mögen genügen, das Spektrum für eine Beförderung in kirchlichen Diensten durch einen Wechsel von Deutschland in die Gebiete der direkten habsburgischen Herrschaft zu illustrieren. In den höheren Rängen sei Wilderich von Walderdorff genannt, ein Angehöriger der Reichsritterschaft, die regelmäßig mittlere geistliche Ämter im Rheinland innehatte. Nachdem er als Generalvikar der Gegenreformation für den Erzbischof von Mainz tätig gewesen war, ließ er sich dann als nicht sehr wirkungsvoller Reichsvizekanzler in Österreich nieder und stand weitestgehend im Schatten Auerspergs und Lobkowitz', der Schöpfer der zeitweiligen französischen Allianz in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Indem er die Trennlinie zwischen Weltlichem und Geistlichem ein zweites Mal überschritt, beschloß er sein Leben als Bischof von Wien. 48 Andreas Fromm hatte einen ganz ande-

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ren Hintergrund. Er war Hofprediger des Großen Kurfürsten von Brandenburg, widerrief dann seinen Protestantismus und ging 1668 nach Böhmen, wo er eine der ausführlichsten aller Apologien für eine Konversion veröffentlichte. Fromms Wiederkehrung zur Catholischen Kirchen nimmt, in vielen Auflagen erschienen, all jene Argumente von Autorität, Einheit, Kontinuität der Tradition und Moral wieder auf, die, wie wir bereits gesehen haben, das gemeinsame Kennzeichen dieses Genres waren. Mehr als ein bloßer Achtungserfolg, brachte das Buch ihm in seiner neuen Heimat die üppigen Einkünfte eines Domkapitulars in Leitmeritz. 49 Eine dritte mögliche Art der Karriere, neben der politischen und der geistlichen, konnte sich dem Gelehrten öffnen. Zu dieser Kategorie gehörten natürlich auch manche Geistliche sowie mehrere Mediziner in der langen Reihe der Leibärzte. Das beste Beispiel einer solchen Gelehrtenlaufbahn ist jenes des Peter Lambeck, dessen Konversion und Berufung zum kaiserlichen Bibliothekar im Jahre 1662 sowohl protestantischen Akademien Unbehagen verursachte als auch zur Etablierung der intellektuellen Glaubwürdigkeit des Hofes Leopolds gewaltig beitrug. 50 Es war dies eine aufsehenerregende Versetzung, da Lambeck aus Hamburg, der fortschrittlichsten Stadt des Reiches, kam, doch änderte es nichts an seiner Gelehrsamkeit, wie die acht Bände seiner Commentarii zeigen, eines der großen Monumente der zeitgenössischen Bibliographie. Anhand seiner umfangreichen Korrespondenz (die immer noch, ähnlich jener von Blotius ein Jahrhundert zuvor, weitestgehend unveröffentlicht ist) können wir uns ein Bild von Lambecks Bedeutung machen. Hier gibt es internationale Kontakte von der Londoner Royal Society bis Konstantinopel, von Rom bis Danzig sowie Materialien interner mitteleuropäischer Belange und interessante Zeugnisse vom politischen Einfluß Lambecks. Besonders erwähnenswert ist aber der große Bekanntenkreis des Hofbibliothekars in Deutschland: Birken und die Endter in Nürnberg; Velschius in Augsburg und J. J. Fuchs in Regensburg; Seckendorff und Ludolf in Sachsen und Andreas Müller in Berlin; Buchdrucker wie G. P. Finck und Matthäus Merian; Begründer der Academia Naturae Curiosorum; eine Reihe von Bischöfen und Äbten; Renatus Slusius in Lüttich oder Boineburg in Mainz, der enthusiastische Empfehlungsschreiben für den 22jährigen Leibniz schrieb . . . S1 Unter Lambecks Brieffreunden finden sich auch einige weniger leicht einzuordnende Fremde in Österreich. Einer von diesen war Boineburgs Freund Heinrich Julius Blume, ein höchst kultivierter, ehemaliger lutherischer Rechtsgelehrter aus Braunschweig, der zum Vizepräsidenten des Appellationsgerichtshofes in Prag wurde. 52 Weiters ein Trio, das bemerkenswerte Familienähnlichkeiten aufwies, die Merkantilisten Becher, Hörnigk und Schröder. Wir erinnern uns ihrer zumindest als Merkantilisten, obwohl sie zu ihrer Zeit eher als Wissenschaftler und Erfinder mit einem Hang zur Alchimie bekannt waren. Alle drei kamen aus Mitteldeutschland, alle drei waren Konvertiten. Hörnigk, der Sohn des Buchkommissärs Ludwig Hörnigk, kam in den sechziger Jahren nach Österreich, feierte sein literarisches Debüt mit der Übersetzung der Biographie einer erzherzöglichen Nonne des 16. Jahrhunderts aus dem Spanischen und wurde zum zuverlässigen Sekretär zweier bischöflicher Diplomaten Leopolds (Rojas y Spinola und Johann Philipp Lamberg). Sein unmittelbarer Zeitgenosse Schröder, der Sohn des Kanzlers von Ernst dem From-

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men in Gotha, trat 1673 in die Dienste Leopolds ein, obwohl ihm nur wenig Gelegenheit geboten wurde, jene Talente zu nutzen, denen er in sehr jungen Jahren seine Wahl in die Royal Society verdankte, und seine absolutistischen Theorien fanden nur wenig Widerhall. 53 Der älteste, hervorragendste und auch unberechenbarste unter ihnen war der aus Speyer gebürtige Becher (1635-1682). Wie sein Schwager Hörnigk arbeitete Becher zunächst in Mainz und brachte hier eine sein ganzes Leben nie versiegende erstaunliche Flut neuer Ideen hervor: Pläne für Manufakturen und Handelsgesellschaften, für Währungs- und Unterrichtsreformen, für Elixiere und ein perpetuum mobile, für Unterseeboote und neue Sprachen. Nachdem er die Aufmerksamkeit des kaiserlichen Hofes auf sich gezogen hatte, ließ er sich ab 1670 in Wien nieder, wenngleich all seine Unternehmungen scheiterten und von der hektischen Betriebsamkeit seiner unsteten Phantasie überschattet waren. 54 Abenteurer, die zumindest gewisse Erfolge erzielten, dürften wohl bei weitem in der Minderzahl gegenüber jenen gewesen sein, die nichts erreichten und kaum irgendwelche Spuren hinterließen. Zu ihnen zählen ein Peter Meisner aus Zörbig in Sachsen, der Leopold in der Hoffnung auf einen Reisekostenzuschuß religiöse Erbauung anbot, oder sein Landsmann und Mitkonvertit Heinrich Jacoberer, der berichtete — als wäre dies sein Verdienst —, wie der Taufstein bei seiner ersten lutherischen Taufe zerbrach, oder der Schwabe Johann Kircher, der kurz nach den Trompetenstößen für seine Apostasie starb. ss Viele andere hart arbeitende Einwanderer hinterließen nur kollektive Spuren, wie etwa die fränkischen und bayrischen Baumeister, Steinmetze und jene für die Ausschmückung der Bauten zuständigen Künstler, die so viel zur Blüte des böhmischen Barock beitrugen. Die Architektenfamilie Dientzenhofer und der Bildhauer Matthias Bernhard Braun seien als herausragende Beispiele genannt. Damit sollte nun zur Genüge gezeigt werden, daß es trotz der Folgen der politischen Regelung von 1648 noch nicht möglich ist, eine klare Grenze zwischen der Monarchie und dem Reich zu ziehen. Auch die deutsche Peripherie der Habsburgerländer liefert ein weiteres Zeugnis für eine Wechselwirkung. Die Erblande, vor allem die Vorlande, waren letztlich immer noch Teil des Heiligen Römischen Reiches, wenn auch (wie Pufendorf scharfsinnig beobachtete) eher in favorabilibus denn in odiosis. Die schwäbischen Besitzungen der Dynastie, die nicht mit Österreich vereinigt, diesem gegenüber jedoch im Grunde loyal waren, erlaubten eine Art von Symbiose. Kaiserlicher Schutz, Ideale und die katholische Kirche bestanden neben örtlichem Fleiß und sozialen Freiheiten. 56 Söhne dieses Gebietes wie Hocher, zeigen, wie mächtig diese Kombination sein konnte. Ähnlich wie beim Prozeß der Kapillarwirkung war es Bürgern der benachbarten nicht-habsburgischen Kleinstaaten möglich, jene Leiter zu erklimmen, die zum Aufstieg in kaiserlichen Diensten führte. Auch die böhmische Krone herrschte über eine große deutsche Minderheit und gehörte, allerings in unklarer Weise, dem Reich an. 1708 gewann sie sogar ihre Stimme am Reichtstag zurück. Die Grenzen Böhmens waren nicht hermetisch geschlossen — wie hätten sie es auch angesichts einer derart begrenzten staatlichen Macht sein können? Das Gebiet um Eger an der Nordwestgrenze blieb bis ins 18. Jahrhundert hinein der Form nach ein verpfändetes Reichslehen, mit eigenen

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Ständen, die 1712 ordnungsgemäß zusammentraten, um ihre persönliche Anerkennung der Pragmatischen Sanktion auszusprechen. Innerhalb der engen Grenzlinien des Egerlandes besaßen deutsche Fürsten, wie die Brandenburg-Bayreuth aufgrund eines hoffnungslos verworrenen Prozesses der Afterbelehnung Güter. Die Stellung von Asch (einem winzigen Landstrich, der gegen Norden nach Sachsen hineinragte) war derart verwirrend, daß es sogar von der Gegenreformation verschont blieb. Seine Eigentümer, die Freiherren von Zedwitz, vollführten während eineinhalb Jahrhunderten mit Hilfe einiger einfallsreicher Reichsrechtsgelehrter einen konfessionellen Seiltanz.57 Der bedeutendste Fall einer Wechselwirkung war Schlesien und es ist durchaus wert, sich näher damit zu beschäftigen. Seit dem 14. Jahrhundert ein Teil der böhmischen Lande und früher zu Polen gehörig, wurde Schlesien vorwiegend von Deutschen bewohnt. Seine Verbindungslinien erstreckten sich entlang der Oder bis zur Norddeutschen Ebene. Schlesien, oder besser gesagt Ober- und Unterschlesien, bestand aus einem Wirrwarr an Herzogtümern mit eigenen Privilegien und hielt starr an seiner weitgehenden Unabhängigkeit sowohl von den übrigen Gebieten der Wenzelskrone als auch von den Machthabern im entfernten Wien fest. Die Habsburger bestellten einen Oberhauptmann für das gesamte Gebiet (im allgemeinen den Bischof von Breslau) sowie Beamte auf örtlicher Ebene. Der Landtag und die Kammer jedoch behielten ihre Rechte, und eine Verwaltung war tatsächlich nur durch ein gütliches Übereinkommen mit althergebrachten Privilegien wirklich möglich. Ampringen, der bereits einiges durchgemacht hatte, sah sich kaum einer leichteren Aufgabe gegenüber, als er unmittelbar nach dem völligen Mißerfolg in Ungarn 1682 zum Oberhauptmann von Schlesien abkommandiert wurde! 58 Erneut baute das System auf dem Hochadel, der katholischen Kirche und einer breiteren Anziehungskraft der gegenreformatorischen Kultur auf. Die adeligen Bande mit der übrigen Monarchie wurden sicherlich durch die Übertragung von Herzogtümern an die Liechtenstein in Troppau und Jägerndorf (wo sie die Stelle des anmaßenden calvinistischen Rebellen Johann Georg von Hohenzollern einnahmen), an die Lobkowitz in Sagan sowie an die Auersperg gestärkt. Letztere erhielten das Lehen Münsterberg, das günstigerweise durch das Erlöschen der Podfebrad im Jahre 1647 frei wurde. Obendrein wurden große Güter in Oderberg und Beuthen zu einem Erbgut der Nachfolger von Lazarus Henckel (1550-1624), einem oberungarischen Bürger. Er war der einzige habsburgische Untertan, der in den letzten Jahren des humanistischen Zeitalters, in denen ein sozialer Aufstieg noch möglich war, den Reichtum seiner Familie als Finanzmann und Unternehmer dauerhaft begründete. 59 Andererseits stützte sich die Regierung auf einige wenige große heimische Familienverbände. Zunächst die Dohna - Abraham und sein Sohn Karl Hannibal (1588-1633), der einige Zeit lang der einzige katholische Laie in der obersten Schicht der schlesischen Gesellschaft war, ein Mann, der ebenso fanatisch für seinen Glauben eintrat wie seine in brandenburgischen und pfälzischen Diensten stehenden calvinistischen Cousins aus Preußen für den ihren, dann vor allem die Schaffgotsch, ein weiteres Beispiel von getilgter Ungnade. Hans Ulrich Schaffgotsch ging als allzu treuer Gefährte Wallensteins 1635 zur Richtstätte, doch sein Sohn Christoph Leopold (1623-1703), der zum Katholizismus konver-

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tierte, erholte sich von dem Rückschlag, vergrößerte die Familiengüter und war als Diplomat, königlicher Bevollmächtigter und Präsident der schlesischen Kammer tätig. Die Schaffgotsch ließen sich auch in Böhmen nieder, wie die Oppersdorf, unter deren Kontrolle das Gebiet um Glogau stand und die überall zu findenden Nostitz. Der Kreis der beherrschenden katholischen Familien schließt sich mit den Nachfahren eines prominenten mitteldeutschen Kondottiere, Melchior Hatzfeld, die sich nach 1641 nach Schlesien zurückzogen. 60 Schlesiens Gegenreformation setzte, wie wir gesehen haben, verspätet ein, ging unbarmherzig vor und blieb unvollständig. Innerhalb ihrer Grenzen jedoch förderte sie, vor allem im Süden und Osten des Landes, ein wahrhaftes Wiedererstarken der katholischen Werte. Zusätzlichen Ansporn erhielt sie durch die internationale Entwicklung sowie die kosmopolitischen Bischöfe von Breslau, allen voran Friedrich von Hessen (1671-1682) und Franz Ludwig von Neuburg (1683—1732). Diese trugen wesentlich zur neuerlichen Sicherung der kirchlichen Macht im Zentrum des Gebietes bei, wo sie das große Herzogtum Neisse besaßen. Neue religiöse Orden etablierten sich, vor allem die Jesuiten, die ab der Mitte des Jahrhunderts große Fortschritte erzielten und eindrucksvolle intellektuelle und dramatische Fähigkeiten entfalteten. Pläne für die Gründung einer Universität führten zu einer direkten und langwierigen Auseinandersetzung mit dem protestantischen Rat von Breslau. 1702 gegründet, wurde die Universität schließlich ab 1728 gebaut. Mit ihrer ausladenden, eleganten und grandiosen Fassade überblickt sie wie in gewolltem Triumph die Oder. 61 Gleichzeitig erschloß die Gegenreformation durch eine Wiederbelebung ehrwürdiger Gnadenorte und des Mönchtums in steigendem Maße heimische Quellen. Wiederum war eine Richtung der Zönobiten für Schlesien besonders typisch. Während die Benediktiner, die Chorherren, die Prämonstratenser und Kreuzherren mit dem roten Stern über einige reiche Klöster in dem Gebiet verfügten, 62 gab es sieben wohlhabende Zisterzienserabteien, die auf das lebendigste die heimische Tradition verkörperten: Leubus, Heinrichau, Kamenz, Räuden, Himmelwitz, Grüssau und das adelige Nonnenkloster in Trebnitz, wo die Reliquien der hl. Hedwig aufbewahrt wurden. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann man in Leubus, dem größten unter diesen Klöstern, in einer Größenordnung mit dem Umbau, die durchaus mit jener in Österreich oder Böhmen vergleichbar war. Hinter der Hauptfront mit ihren über 200 Metern Länge erstreckten sich die prunkvollen Räume der Mönche und ihrer vornehmen Besucher. Die Ordensgemeinschaft in Grüssau finanzierte, gestärkt durch die geistige Führung des Bernardus Rosa (Abt von 1660-1696), zwei große Kirchen. Die erste als Votivgabe für den hl. Joseph, die zweite, die vollständig umgebaute Abteikirche, wurde zum bedeutendsten kirchlichen Denkmal Schlesiens.63 Die breitere intellektuelle Resonanz des Katholizismus ist an erster Stelle aus den Glaubensübertritten zu erkennen. Beispiele hiefür sind Gottfried Ferdinand Buckisch (1641-1699), ein Rechtsgelehrter und Antiquar, der für seine Verteidigung der habsburgischen Position in den Adelsstand erhoben wurde, Samuel Butschky, ein weiterer Verfasser von Gesetzestexten, Sohn eines Predigers, der im Leopoldinischen Verwaltungsdienst tätig war sowie der Dichter Andreas Scultetus, der von den Jesuiten in Breslau 1644 zu diesem Schritt veranlaßt wurde. Ein viel be-

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deutenderer Literat als alle bisher genannten war Andreas Scheffler (1624-1677), bekannt als Angelus Silesius, der nicht nur Deutschlands größter Lyriker jener Zeit war, sondern auch der Autor von nicht weniger als 39 gegenreformatorischen theologischen Traktaten. Schefflers Karriere verband sozusagen zwei verschiedene Welten, von seinen Studententagen in Straßburg und Leiden bis hin zu seinem Abschied von diesem Leben in der ehrwürdigen Ruhe der Abtei der Kreuzherren in Breslau. 64 Auch ein anderer bekannter Künstler sah sich auf unwiderstehliche Art und Weise zu den alten Klöstern Schlesiens hingezogen. Michael Willmann (1630-1706), in Königsberg geboren, gab seine angenehme Stellung als Hofmaler des Kurfürsten von Brandenburg auf und wurde (gemeinsam mit seinem Stiefsohn J. K. LiSka) zum Hausmaler in Leubus und Grüssau. Sein Werk weist eine bemerkenswerte Mischung aus individuellem Talent (die Bezeichnung „Schlesischer Rubens" ist, trotz aller Übertreibung, nicht ganz unangebracht) und der Anonymität des Ideals der Abgeschiedenheit auf. 65 Unterdessen war gerade das Überleben des Luthertums, ganz zu schweigen von jenem calvinistischen Sauerteig an einigen fürstlichen Höfen, so fruchtbar. Es lieferte den Schlüssel zu Schlesiens einzigartiger Rolle als Vermittler. Auf der einen Seite war es der Vermittler zwischen den verschiedenen Konfessionen, sodaß der Einfluß der Gegenreformation auf die verfeinerte Kultur des Landes im 17. Jahrhundert eine größere ursprünglichere Kreativität mit sich brachte als in irgendeinem anderen Teil des Reiches. 66 Opitz, Logau, Gryphius, Hofmannswaldau und Lohenstein, sie alle wurden vom jesuitischen Drama und der katholischen Symbolik beeinflußt. Es entstand ein echter protestantischer Barock, zu dem es nur in wenigen Teilen Deutschlands, wie etwa Augsburg oder Sulzbach, wo ein ähnliches religiöses Gleichgewicht erreicht wurde (wir werden uns erinnern, daß Knorr von Rosenroth ein gebürtiger Schlesier war), Parallelen gibt. Neuscholastizismus und Universalität zogen sich durch die lutherische Ideologie und führten zum philosophischen System eines Christian Wolff, der Leibniz zum Durchbruch verhelfen sollte. Diese Mischung zweier Geisteswelten brachte auch die verschwommenen Tiefen der Mystik und der Prophezeiungen hervor, von Jakob Boehme über Czepko und Frankenberg (beide angesehene Angehörige des Adels) bis zum überaus exzentrischen Quirinus Kuhlmann, der seinen Versuch, die Moskowiter zur lutherischen Lehre zu bekehren, mit dem Leben bezahlen mußte. 67 Auf der anderen Seite kam Schlesien, gerade weil die hohe Qualität seines intellektuellen Lebens allgemein anerkannt wurde, eine Vermittlerrolle zwischen den Habsburgerländern und Deutschland zu. Frühere Traditionen, die sich im Zuge der kraftvollen, humanistischen Bewegung zu einer Zeit herausgebildet hatten, als Schlesien ein Refugium der Mäßigung gewesen war, hatten schwer unter dem Krieg zu leiden. Doch auch sie lebten in abgeschwächter Form in späteren Vertretern wie John Jonston (trotz seines Namens eine Art ehrenhalber polnischer Adeliger) fort. Und diese Bande wurden nun durch neue Generationen von Autoren, Studenten und Fachleuten aufrechterhalten. Zeugnis geben beispielsweise die engen Verbindungen Breslaus mit der jungen Academia Naturae Curiosorum.68 Wir finden also in Schlesien jene Art von Synthese, die weder These noch Antithese ausschließt. An der Oberfläche bestand der Bruch fort, auf tieferer Ebene je-

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doch gab es breiten gemeinsamen, interkonfessionellen Boden, wobei der Katholizismus von diesem mehr definierte als das Luthertum. Und es gab dabei auch eine ernstzunehmende habsburgische Dimension. Welch perfektes Symbol der ätherischen weltlichen und religiösen Bestrebungen des mitteleuropäischen Barock ist doch der üppige symbolische kaiserliche Festsaal in Leubus, der in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts errichtet wurde, um Herrscher zu begrüßen, die seit 100 Jahren ihren Fuß nicht mehr auf schlesischen Boden gesetzt hatten! 1740 riß die Bindung abrupt ab. Neben all den ökonomischen und strategischen Überlegungen, all der hohen Politik und dem dynastischen Stolz, ging eine kulturelle Welt verloren, als Friedrich der Große gegen dieses beinahe schutzlose Gebiet marschierte. Der Abt von Leubus, dessen Künstler und Steinmetze kaum letzte Hand an ihr Meisterwerk gelegt hatten, floh vor den plündernden preußischen Armeen nach Mähren. Natürlich wurde eine andere kulturelle Welt gewonnen. Der Wettstreit um die Seele Schlesiens dauerte unvermindert bis ins 18. Jahrhundert hinein an und die innere Opposition erstreckte sich, wie in Ungarn, die ganze gesellschaftliche Skala hinauf. Ihr gehörten auch einige Angehörige des Hochadels, wie die Hohberg (später Fürsten von Pless), die Redern oder die calvinistischen Schönaich an. Letztere, einst die ersten Förderer des schlesischen Humanismus, schlugen sich so rasch auf die Seite Friedrichs, daß sie bereits 1741 zu preußischen Fürsten von Schönaich-Carolath wurden. Solche Fälle jedoch waren in der Minderzahl. Daher weigerte sich Maria Theresia auch so leidenschaftlich, jegliche definitive Abtretung ihres väterlichen Erbteils anzuerkennen. Ungeachtet des etwas seltsamen Trostes, im verbleibenden österreichischen Schlesien gerade jenes Herzogtum (Jägerndorf) zu behalten, auf welches die Hohenzollern einen echten, wenn auch schwachen, erblich begründeten Anspruch erheben konnten, machte sich die Kaiserin daran, mit weitreichenden Reformen gegen die Preußen zurückzuschlagen. Diese Reformen entsprangen dem Kopf des eben erst konvertierten Schlesiers Graf Friedrich Wilhelm von Haugwitz. 69 In dieser Hinsicht ist Schlesien sozusagen ein Mikrokosmos des gesamten Reiches, dessen Bindungen zur österreichischen Monarchie im Zeitalter Friedrich des Großen derart geschwächt wurden, daß die frühere Entwicklung ganz ins Dunkel gerückt wurde. Für nahezu ein Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden konnten die Habsburger realistische politische und geistige Hoffnungen hegen, ihre kaiserliche Stellung in Deutschland zu festigen, ja selbst zu erweitern. Ihre politischen Aussichten zeigten sich in den Jahren nach 1680 mit der Solidarität nahezu des gesamten mitteldeutschen Raumes in einer anti-französischen Allianz und der großen Begeisterung für den Kreuzzug gegen die Türken. Das Tauziehen ging natürlich weiter und zeitweilige Rückschläge, selbst mit engen Verbündeten wie Neuburg und Braunschweig konnten nicht vermieden werden. Doch erfreuten sich die Habsburger breiter Unterstützung, die in einigen Fällen zu einer vollständigen Ergebenheit führten. Der Herrscher von Baden-Baden, Markgraf Ludwig Wilhelm, war fast unausgesetzt und außerordentlich erfolgreich mit der Leitung kaiserlicher Armeen betraut (und sein Onkel Hermann war während des entscheidenden neunten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts Präsident des Hofkriegsrates). Kleinere protestantische Fürstentümer, wie Hessen-Darmstadt oder Ansbach-Bayreuth, lagen eingebettet

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inmitten des habsburgischen Einflußbereiches, und auch ihre größeren Nachbarn tanzten nur selten aus der Reihe. Ein Herzog von Württemberg taufte in verwirrender Weise alle seine Söhne nach dem österreichischen Oberbefehlshaber auf den Namen „Eugen". Selbst Brandenburg wurde durch Verhandlungen über die preußische Krone am kurzen Zügel gehalten, obwohl aufgrund der Logik seiner Entwicklung diese Annäherung eine vorübergehende bleiben mußte. 70 Die geistigen Aussichten werden durch die Missionen Bischof Spinolas ins Reich bestens beleuchtet. Cristobal de Royas y Spinola (1626-1695) ist der Prototyp eines habsburgischen Ratgebers jener Zeit. Obwohl seiner Abstammung nach Spanier, wuchs er in den Niederlanden und im Rheinland auf und kam in den sechziger Jahren nach Österreich. Hier vereinigte er die Rolle eines geistlichen und eines weltlichen Intellektuellen in einer Person. Als Franziskanerbruder erhielt er eine Diözese zunächst in partibus infidelium, dann in Wiener Neustadt (als Nachfolger Kollonitz), als kameralistischer Sprecher (wie sein Freund Hörnigk) wurde sein Sinn für die wirtschaftliche Einheit des Reiches stets durch eine universalistische, religiöse Überzeugung unterstrichen. 71 Spinola wurde zum bewährten Bevollmächtigten Leopolds bei all dessen Plänen zur Wiedervereinigung der Konfessionen im Reich, und seine Ouvertüren wurden ausführlich an lutherischen Höfen und Universitäten diskutiert. Der fruchtbarste Boden war Braunschweig mit seinem zum Katholizismus konvertierten Herzog Johann Friedrich und dessen Kreis sowie seiner Universität in Helmstedt, die liberaler und aufgeschlossener war als irgendeine andere in Deutschland. Die bedeutendsten protestantischen Persönlichkeiten in diesem Dialog waren Leibniz, für den ökumenische Ideen Ausdruck der Suche nach philosophischer Einheit waren, und Gerhard Molanus, der Abt eines lutherischen Klosters und führende Verfechter des irenischen Flügels innerhalb des Protestantismus. Beide versuchten auf jenen „synkretistischen" Standpunkten aufzubauen, die bereits von dem berühmtesten Theologen Helmstedts, Georg Calixtus, ausgearbeitet worden waren. 72 Letztlich schlugen Spinolas Besuche fehl. Die Kluft und das Mißtrauen der etablierten Kirchen, nicht zuletzt in Rom, waren zu groß. Es gibt jedoch viele Beispiele dafür, daß auch andere sich nach einer religiösen Aussöhnung unter umfassender kaiserlicher Ägide sehnten: Mainzer Katholiken um Schönborn und Boineburg; gemäßigte Lutheraner in Altdorf; Daniel Ernst Jablonski in Berlin; kompromißbereite Denker in Schlesien; Prinz Eugens illusterer Kreis in Wien. Es gab auch einige erstaunliche Fälle von praktischer kirchlicher Zusammenarbeit in Deutschland nach 1648. So etwa das gemischte Kapitel in Osnabrück mit der abwechselnden Wahl katholischer und lutherischer Bischöfe, oder sogar ein Kloster, in dem gleichviele Katholiken, Lutheraner und Calvinisten lebten. 73 Aus all dem können wir die Schlußfolgerung ziehen, daß das neue habsburgische „System" keinesfalls auf die Gebiete der direkten habsburgischen Herrschaft begrenzt war. Dieses System beeinflußte bzw. stand in Wechselwirkung mit einem Komplex surrogater Systeme im übrigen Reich. Natürlich gab es schwerwiegende Schwächen in der Stellung des Kaisers. Auf die offensichtlichen konstitutionellen Schwächen bin ich nicht ausführlich eingegangen. Lediglich eigene Interessen konnten nun deutsche Herrscher dazu veranlassen, Wiens Spiel zu spielen. Nachdem es keinen Zwang mehr gab, konnten weder die Habsburger noch die katholische Kirche

Das Deutsche Reich und die Habsburger: Beschränkte Hegemonie

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die Bedingungen diktieren (daher auch das letztliche Scheitern der Verhandlungen Spinolas). Wie in Böhmen oder Ungarn wurde Loyalität zur Berechnung, und es war keine Spur mehr von einem entrückten Idealismus zu erkennen. Auch ist das Knüpfen von Kontakten notwendigerweise ein zweiseitiger Prozeß. Wo die Vorzüge von Hierarchie und Macht, das Kollektive und das Sakramentale, über die Monarchie hinausgingen, wurde Raum für konkurrierende Ideen geschaffen, die, ob radikal oder tolerant, individualistisch oder ikonoklastisch, in die entgegengesetzte Richtung tendierten. Die frühe Aufklärung drang von Ausgangspunkten im Reich nach Mitteleuropa vor. Im Hinblick auf eine gewisse Grundeinstellung, jene des Pietismus, erwuchs sie sogar aus einer starken lutherischen Basis. 74 Die Gegenreformation jedoch hatte zweifellos das habsburgische Übergewicht gefestigt, und der Austro-Katholizismus (eine größere und direktere Macht als der päpstliche Katholizismus) übte mit jener lebendigen, etwas unsicheren Überheblichkeit, die so charakteristisch für den mitteleuropäischen Barock ist, zeitweise eine echte geistige Vorherrschaft aus. Man vergleiche, unter den Mitgliedern des Hauses der Weifen, den Konvertiten Johann Friedrich mit dessen gesetztem Bruder Ernst August, oder den Konvertiten Anton Ulrich mit Ernst Augusts hoffnungslos steifem Sohn Georg I. von England. Brandenburg-Preußen mag militärisch und diplomatisch unter dem pro-habsburgischen Friedrich I. stagniert haben, wie dies naive Historiker oft zu beklagen pflegten, doch erhielt es durch die Mischung der Kulturen, für die sich ihr erster König empfänglich zeigte, eine umfassende intellektuelle Entschädigung. 75 Das Ethos deutscher Höfe und Regierungen leitete sich in jener Zeit zu einem großen Teil vom österreichischen Modell her. Erst später, vor allem nach 1714 kam die häufig überbewertete Wirkung Versailles hinzu (frühere Beispiele von Persönlichkeiten, wie Christian Ludwig von Mecklenburg (1623-1692), die unter dem Einfluß Paris konvertierten, sind Einzelfälle). Meist war diese nur oberflächlich und eher eine Sache der Mode denn der Einstellung. Abgesehen von allem anderen, vermochte Wien es viel leichter, seinem Einfluß eine nationale Note zu verleihen. Die vielleicht heftigste zeitgenössische Verteidigung des deutschen Patriotismus wurde von einem österreichischen Hauslehrer des zukünftigen Kaisers Joseph I. verfaßt. 76 Vor allem das kaiserliche Ideal der Einheit war immer noch attraktiv (selbst der markige, feindlich gesinnte Bryce gibt dessen anhaltende Überzeugungskraft zu). 77 Es wurde nicht nur in Deutschland auf den verschiedensten Ebenen wirksam, sondern warf auch auf einige Teile Italiens zurückbleibende Schatten. Dieses umfangreiche Thema würde uns zu weit vom gegenwärtigen Kontext wegführen, es möge daher genügen, zwei Punkte anzuführen. Politisch gesehen resultieren die von den österreichischen Armeen während des spanischen Erbfolgekrieges auf der Halbinsel verfolgten Ziele nicht nur aus dynastischem Ehrgeiz, sondern aus einer Geltendmachung lange bestehender kaiserlicher Ansprüche. Die spätere habsburgische Vorherrschaft über die norditalienische Ebene und darüber hinaus war Teil einer nahtlosen Entwicklung der mittelalterlichen Auffassung von imperium. Diese Entwicklung hatte auch in entgegengesetzter Richtung ihre Begleiterscheinung, die lange Reihe italienischer Diener der Habsburger. Dazu gehörten Generäle wie Annibale Gonzaga und Raimondo Montecuccoli, die beide unter Leopold Präsidenten des Hof-

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Das Zentrum und die einzelnen Gebiete

kriegsrates waren, Intellektuelle, wie die ersten vier Hofbibliothekare des 18. Jahrhunderts, Ärzte und Rechtsgelehrte, Priester und Künstler, Architekten und Musiker. Der berühmteste war Prinz Eugen, wie er auch der größte Exponent der imperialen Sendung war und sozusagen einen Teil dieser ganzen ambivalenten Verbindung zwischen Italien und den habsburgischen Gebieten verkörperte. Obwohl er die höchste Zierde der mitteleuropäischen Barockkultur war, wurde er niemals zum gänzlich integrierten Bestandteil derselben. 78 Mit diesen Überlegungen über den breiteren Umkreis des habsburgischen Einflusses haben wir nun die Schwelle zum dritten und letzten Hauptthema dieses Buches erreicht, dem intellektuellen Milieu des wieder auflebenden Katholizismus. Wie wir sehen werden, haben deutsche Denker sehr vieles zum Wesen der habsburgischen Gegenreformation beigetragen. Auch eine italienische Dimension ist untrennbar mit der habsburgischen Gegenreformation verbunden. Das ist jedoch noch nicht alles, denn dort, wo die politische Macht des Systems am meisten geschwächt wurde, im Reich, dort offenbarte sich seine kulturelle und ideelle Basis am deutlichsten. In Österreich, Böhmen und Ungarn sind die Dinge schwieriger zu entwirren, und in den vorangegangenen Kapiteln habe ich das unterschiedliche Ausmaß und Wesen der Kontrolle durch die Dynastie aufgezeigt. Auch hier jedoch werden wir erkennen, daß das imperiale Programm zumindest ebenso von einer gewissen Geisteshaltung wie von einer politischen Linie abhing.

Teil 3 Die intellektuellen Grundlagen

KAPITEL 9

Die Anatomie der katholischen Gelehrsamkeit Trotz der Verschiedenartigkeit ihrer Länder und Institutionen gab es bereits im späten 17. Jahrhundert in der Habsburgermonarchie eine im Grunde einzige Kultur. Das gilt in stärkerem Maße für die gebildete als für die ungebildete Bevölkerung und man könnte auf allen Ebenen vieles anführen, was dieser einheitlichen Prägung widerstand. Auch läßt sich aus dieser Verallgemeinerung keine klare Terminologie gewinnen, ebensowenig wie das Wort „Barock" auf alle Denkstrukturen der Zeit zugeschnitten werden kann. Immerhin war das gemeinsame kulturelle Band eine entscheidende Kraft, unter der Ägide der Dynastie den Zusammenhalt Mitteleuropas zu fördern. In gewissem Sinn wurde diese Homogenität durch die politischen und die damit einhergehenden, von uns bereits untersuchten, sozio-ökonomischen Entwicklungen herbeigeführt. Aber dieses Phänomen besitzt auch eine geistige Dimension, die nach einer eigenen Analyse verlangt. In der Kultur wie in der Politik und der Gesellschaft der Gegenreformation herrschte eine kleine regierende Schicht über die anderen, und die Kluft zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten wurde immer größer. Wir haben bereits gesehen, wie das neue Establishment im frühen 17. Jahrhundert eine aufsteigende Generation von Intellektuellen zügelte. Höhere Kultur löste sich von der niedrigeren, und zwar nicht so sehr, daß man sich mit jeweils anderen Themen befaßte, sondern daß erstere für eine Selbstdarstellung Raum bot, während letztere einer zunehmenden Disziplinierung ausgesetzt war. Wir werden sehen, daß gerade der Faktor, der der einen Seite so viel Spielraum ermöglichte, das wichtigste Mittel zur Reglementierung der anderen war, die Welt der okkulten Wissenschaft und des Aberglaubens. Ähnlich wie bei der politischen und sozialen Entwicklung war um 1700 durch eine Mischung aus Kontrolle und autonomer Entwicklung bereits ein gewisses Gleichgewicht zustandegekommen. Das katholische Dogma war dabei das «Tie qua non, doch während die breite Masse der Bevölkerung einen Kodex von Kirchendisziplin einhielt, folgte die Elite einem solchen der Selbstdisziplin. Der gelehrte Katholizismus, den es in diesem Kapitel vorzustellen gilt, war sowohl selbstsicher als auch befangen und auch ein kennzeichnendes mitteleuropäisches Amalgam, das sich ebensowenig an die päpstlichen Richtlinien hielt wie die übrige habsburgische Gegenreformation. „Einführung" wird wohl das richtige Wort sein für das, was nun folgt, denn die Geschichtswissenschaft hat diesem Thema bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Liest man Standardwerke über diese Zeit, so muß man sich manchmal die Frage stellen, ob es überhaupt eine Gelehrsamkeit gab. 1 Die Maßstäbe im Österreich des 17. Jahrhunderts hatten nichts besonders Unreifes an sich, sie waren lediglich ganz anders als unsere heutigen. Wir können eine Kette von Anschauungen her-

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auskristallisieren und eine überraschende Gedankenfreiheit entdecken, wenn man die Zwänge mitberücksichtigt, die sich die Zeitgenossen selbst freiwillig auferlegten. Das erste war selbstverständlich die Orthodoxie des Glaubens in Angelegenheiten, in denen die kirchlichen Autoritäten unzweideutige Gebote aufstellten. Das zweite war die Unterwerfung unter die bestehenden Ordnungskräfte, die das Instrumentarium und die Organisation der Wissenschaft zur Verfügung stellten. Das dritte war die Latinität. Wir haben bereits gesehen, wie die Landessprachen einen Platz in der Gegenreformation einnahmen, doch war dieser Platz lediglich ein untergeordneter. Selbst Päzmäny fügt seinen ungarisch verfaßten Arbeiten lateinische Widmungen an den Hochadel hinzu. Latein war das Markenzeichen einer Geisteshaltung, der man vertrauen konnte. Es war zwar nicht mehr das Latein der Humanisten, es wurde schwerfälliger, weitschweifiger und prosaischer, doch immer noch bewährte es sich als das Refugium für ein privilegiertes, ja sogar liberales Gelehrtentum vor spießbürgerlicher Kritik. Lambeck schloß sich eng an die früheren Traditionen der Hofbibliothek an, und Leopold I. war selbst ängstlich bemüht, keinerlei Verstöße gegen die Sprache der Wissenschaft zu begehen. 2 Hinter deren Schutzwällen besaß man mit offizieller Rückendeckung die Möglichkeit zu debattieren und vielleicht zu publizieren. Das meiste jedoch wurde zum privaten Studium und zur privaten Verbreitung in Form von Manuskripten zu Papier gebracht - eine Masse von Materialien, die immer noch einer angemessenen Untersuchung harren. Selbst in dem durch Kämpfe zerrissenen Ungarn verfügten der Adel und die religiösen Orden über gut ausgestattete Bibliotheken, die alle Aspekte der traditionellen Bildung umfaßten: die Theologie in ihren vielen Ausprägungsformen; Recht und Medizin; sakrale wie auch profane Geschichte; Antiquitäten und Münzen; Philosophie, Mathematik und die Naturwissenschaften; Ethik, Politik und Philologie. Die belagerten Benediktiner von Pannonhalma verzeichneten 1658, kaum daß sie in ihr verwüstetes Kloster zurückgekehrt waren, über 2000 Bücher, darunter vor allem fromme Literatur jüngsten Datums. Die Jesuiten erweiterten, wie etwa in Tyrnau oder Kaschau, ihre Bestände, die auf ursprünglich sehr bescheidenen Anfängen aufbauten. Die Franziskaner in Skalitz, das zweifellos nicht zu den bedeutendsten Städten des Landes zählte, besaßen 1662, als der erste Katalog erstellt wurde, mehr als 1000 Bände in Latein und mehreren modernen Sprachen. 3 Die Bibliotheken des Hochadels bargen Werke, die sich mit den gleichen Themenkreisen beschäftigten, wobei hier allerdings die weltliche Literatur stärker vertreten war. Während einige, wie etwa Simon Forgäch, der scheinbar vor allem Werke der erbaulichen katholischen Literatur und der ungarischen Geschichte sammelte, ihre Horizonte klar abgrenzten, zeigten andere einen größeren intellektuellen Ehrgeiz. Pal Esterhäzy beispielsweise interessierte sich für mehrere Wissenszweige, im besonderen die Medizin. Miklos Zrinyi spezialisierte sich auf italienische politische Autoren und besaß so vielbändige Werke wie das Magnum Theatrum Vitae von Laurentius Beyerlinck. Ferenc Nädasdys Bibliothek war so groß, daß Kaiser Leopold nach dessen Sturz anordnete, etwa 200 Titel aus diesem Bestand der Hofbibliothek zuzuführen. 4 Die Entwicklung in Österreich und Böhmen sah weniger bewegte Zeiten. Während von Familien wie den Lobkowitz, Liechtenstein und Eggenberg (Hans Ulrich

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Eggenberg fand sogar die Zeit, viele seiner Neuerwerbungen mit Anmerkungen zu versehen) große Sammlungen angelegt wurden, entstand in den Klöstern ein Bedürfnis nach zusätzlichen Räumen, dem durch das prächtige Barockinterieur, wie man es gegen Ende der Epoche findet, Rechnung getragen wurde. 5 Und nicht nur Träger wohlklingender Namen beschäftigten sich damit. Josef Ignaz von Kirchberg, ein repräsentativer Angehöriger des niederösterreichischen Landadels, hinterließ eine insgesamt gesehen sehr ausgewogene Bibliothek mit über 3800 Büchern, besonders Werken der katholischen Theologie. Selbst das strenge Kapuzinerkloster in Linz besaß im frühen 18. Jahrhundert mehr als 5000 Bände. 6 Manchmal erstreckte sich der Aufbau einer solchen Bibliothek über Generationen, doch gibt es auf der anderen Seite viele Beispiele für eine individuelle Initiative. Ignaz Karl Sternberg stellte einen Sonderkatalog für seine umfangreichen Bestände an Werken der Mathematik und Astronomie zusammen. Gabriel von Selb, ein geadelter Jurist und Mitglied der Hofkammer, erwarb eine große Bibliothek, deren Schwerpunkte auf den Gebieten der Geschichte, der Politik und des Rechtes lagen. Johann Crane, ein typischer Geheimer Rat, dessen einzig denkwürdige Handlung darin bestand, daß er den Westfälischen Frieden als einer der österreichischen Bevollmächtigten unterzeichnete, besaß ungefähr tausend Bücher der verschiedensten Fachgebiete, die vorwiegend in Latein abgefaßt waren. 7 Die umfangreichste Sammlung von Büchern befand sich im Besitz der Dynastie und war in Räumen der Hofburg untergebracht. Die Hofbibliothek wurde im Lauf des 17. Jahrhunderts kontinuierlich erweitert, man erwarb die Bibliothek der Fugger aus Deutschland, jene des Marquis von Cabrega aus Spanien sowie Manuskripte und gedruckte Werke durch Agenten in Italien, Frankreich und Frankfurt. 8 Wir besitzen beste Informationen, wie diese Quellen unter der Herrschaft Leopolds tatsächlich genutzt wurden. Lambecks Commentarii habe ich bereits erwähnt. Dieses umfangreiche Projekt, das unter der Oberaufsicht des Kaisers stand, hatte zum Ziel, die gelehrte Welt mit den Schätzen der Hofbibliothek bekannt zu machen. Allerdings konnte nur ein Teil publiziert werden (25 Bände waren geplant), doch genügt dies, um den starken Bezug des Kaisers zum Vermächtnis der griechischen theologischen, juridischen, medizinischen, philosophischen und historischen Handschriften zu zeigen. Leopold konsultierte seinen Bibliothekar in vielen Fragen aus verschiedenen Wissensgebieten, vor allem der Altertumsforschung, und erhielt genaue Berichte über seine Aufwendungen. 9 Ebenso aufschlußreich sind Lambecks Kataloge der kaiserlichen Privatbibliothek, einer sich ständig verjüngenden Sammlung von rund tausend Werken, vor allem solchen neuesten Datums, die zur täglichen Lektüre Leopolds gehört haben dürften. Darunter natürlich viele Werke der katholischen Apologetik sowie über sonstige theologische Streitfragen, doch auch Elaborate aus dem Bereich der Naturphilosophie mit besonderer Berücksichtigung der Praxis. Viele historische Arbeiten, die von den acta bevorzugter Heiliger bis zu zeitgenössischer Polemik reichten, klassische, neulateinische und italienische Literatur und eine Vielzahl von Manuskripten gehörten ebenfalls dazu. Es besteht kein Zweifel, daß mehrere davon sorgfältig durchgelesen wurden, selbst so dicke wissenschaftliche Bände wie die Briefe des böhmischen Humanisten Bohuslav von Lobkowitz. 10 Wir erfahren genau, welche Bände am 12. Juli 1674 im kaiserlichen Oratorium und in

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den Privaträumen zur Hand lagen: Andachtsbücher sowie Werke über Alchimie in engem Nebeneinander. Ja sogar, welche Bücher bereitstanden, um Leopold auf seinen Reisen zu begleiten. Seine Diener dürften alles andere als begeistert darüber gewesen sein, die vollständigen Werke Lipsius' in sechs oder Bartholinus' Historiae Anatomicae in drei Bänden mitzuführen. 11 Diese Titel geben uns einen bemerkenswerten Einblick in die intellektuelle Welt der Habsburger im späteren 17. Jahrhundert. Sie führen uns auch in die Welt einiger repräsentativer örtlicher Autoren ein, welche die seriösen Grundlagen der mitteleuropäischen Weltanschauung erarbeiten. Meist sind es Geistliche und hier wiederum in der Mehrzahl Ordensangehörige, überwiegend Jesuiten, gefolgt von den Dominikanern, Franziskanern, Benediktinern, Augustinerchorherren und Prämonstratensern sowie einer beträchtlichen Anzahl von Rechtsgelehrten und Ärzten. 12 Dieselben Namen tauchen in allen Wissensbereichen auf und zeigen die Vorzüge und Schwächen des barocken katholischen Universalwissens auf. Tatsächlich brachten die prominentesten Gelehrten oft wenig Zeit in Wien selbst zu. Der in Madrid geborene Caramuel arbeitete vor seinem Umzug nach Österreich in den Niederlanden, konzentrierte seine Aktivitäten dann bald auf Böhmen (wo sein Vater einst unter Rudolf II. gedient hatte) und beschloß sein Leben in der Lombardei. Der in Prag aufgewachsene Magni durchlief mit seinen missionarischen und politischen Posten im ganzen Reich eine rastlose Karriere. Als aus der Provinz stammender Tscheche setzte Marci seinen Fuß kaum je jenseits der Grenze seines heimischen Königreiches, sein geistiger Erbe Dobrzensky zeigte jedoch schon etwas mehr Wanderlust. Bescheiden in den Hintergrund tretende Jesuiten übersiedelten im Laufe ihres Lebens mit gewisser Regelmäßigkeit von einem abgelegenen Kollegium in ein anderes: Stansel, Kochahski, Scheiner, Moretus, Lana-Terzi, Conrad, Menegatti. . .» Zwei Schlüsselfiguren kamen überhaupt niemals nach Wien, obwohl sie enge Verbindungen zu dieser Stadt unterhielten, und für sie etwas, was einem durchgehenden philosophischen rationalen (oder besser irrationalen) Prinzip am nächsten kam, schufen. Athanasius Kircher (1601 oder 1602-1680), in der Nähe von Fulda in Franken geboren, lehrte in den schweren Zeiten des Krieges an verschiedenen Jesuitenhäusern Mitteldeutschlands. Danach ging er nach Rom, wo er 1635 eine ständige Professur am Collegium Romanum erhielt, zu einer Zeit, als er gerade einen Posten in der habsburgischen Hauptstadt annehmen wollte, und wo die Mehrzahl seiner 38 Bücher erstmals veröffentlicht wurde. Kirchers gleichfalls aus Franken stammender Kollege Kaspar Schott (1608—1666), der ebenso viele Jahre in Italien zubrachte, ließ sich später in Würzburg nieder, und seine Schriften erschienen innerhalb eines einzigen fieberhaften Jahrzehnts ab 1657 sowohl hier als auch (unter den Auspizien der Endter) im benachbarten Nürnberg. 14 Die massiven Werke Kirchers, Schotts und aller übrigen, die wohl, selbst wenn sie mit Unterstützung der Dynastie und der Kirche gedruckt wurden, teuer gewesen sein dürften, wurden im Raum der gesamten Monarchie gekauft. Leopolds persönliche Bibliothek enthielt dreizehn Arbeiten Kirchers sowie sieben von Schott. Die Liechtenstein besaßen 31 Werke Kirchers, Sternberg hatte 23 Werke von Kircher sowie dreizehn von Schott, Kirchberg verfügte über zehn Titel von jedem der beiden. Selbst der bescheidene Crane

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nannte 1658 elf Werke Kirchers sein eigen. Das Kloster Heiligenkreuz erwarb seinen riesigen Oedipus Aegyptiacus bereits im Jahr nach dessen Erscheinen für 35 Gulden. 15 Die jüngsten Früchte dieser Gelehrsamkeit wurden in den gebildeten Kreisen in Wien, Prag und all den kleineren Zentren der Monarchie diskutiert. Oft wurden sie von unbedeutenderen Männern, die selbst wenige Werke verfaßten, interpretiert und überliefert, etwa dem Schlesier Godefrid Alois Kinner, dem Probst der Allerheiligenkirche am Hradschin und Lehrer von Leopolds jüngerem Bruder Erzherzog Karl Josef, von Philipp Müller, Leopolds heimlichem jesuitischen Lehrer und Beichtvater, der den Weg Lambecks nach Wien ebnete, oder von Johann Maximilian Lamberg, Bernard Ignäc Martinitz, Pal Esterhäzy und anderen hochadeligen Förderern sowie von prominenten Vertretern der freien Berufe wie etwa J. W. Mannagetta. 16 Es fällt nicht allzu schwer, sich die conversazioni im Rahmen der prächtigen Einbände der Hofbibliothek vorzustellen, wie sie von dem englischen Reisenden Edward Browne beschrieben und illustriert wurden, oder in den Hainen des berühmten Gartens von Erzbischof Lippay in Preßburg, der sorgfältig von dessen in der Gartenbaukunst bewanderten Jesuitenbruder gepflegt wurde, in den Höfen und endlosen Gängen des Prager Clementinums oder in den Kreuzgängen von Klosterneuburg und St. Florian. 17 Das Ergebnis solcher Disputationen war eine ganze Reihe von Einstellungen und Überzeugungen, die wir, trotz all ihrer inneren Widersprüche, trotz all der Lücken in unserem Verständnis, als intellektuelles System bezeichnen können. Wir wollen versuchen, dieses System von Ideen kurz zu analysieren. Seine Grundlagen waren strikt aristotelisch. Von Aristoteles leiteten sich die Kategorien seiner Logik, die Qualitäten seiner Physik, die Substanz seiner Metaphysik, die Dualität von Materie und Form, die Einheit der Schöpfung und die Kette alles Seienden, die vier Arten der Kausalität, die teleologische Erklärung der Schwerkraft, der Heilskunde usw. her. Eine Vielzahl von Hinweisen, vor allem Lehrbücher und handgeschriebene Notizen der Studenten, legen hievon Zeugnis ab. Es ist ein Genre sich stets ähnelnder Berichte über die Welt, über die Stellung des Menschen in ihr und über seine Pflichten, gleichgültig ob der Verfasser ein aktiver Jesuit im Dienste des Hofes war wie Philipp Müller, oder ein zurückgezogen lebender Paulaner wie Antonius Mandl. Diese Gattung beschränkte sich auch nicht auf die Geistlichkeit. Einer der kaiserlichen Leibärzte, Johann Conrad Wechtler, arbeitete viele Jahre lang an einem kolossalen Werk von höchst erstaunlichem Obskurantismus und verblüffender Sterilität. 18 Solcher Aristotelismus wurde natürlich durch das Prisma der Scholastik gebrochen. Es wäre eine schwierige Aufgabe, herauszufinden, inwieweit die großen mittelalterlichen summae nun wirklich gelesen wurden, wenn auch Martinitz sich ganz entschieden der Fähigkeit brüstete, das Erbe Anselms und Thomas von Aquins zu verteidigen. 19 Von unmittelbarerer Bedeutung war die Renaissance des Aristoteles im späteren 16. Jahrhundert, die, wie wir bereits gesehen haben, auch im protestantischen Deutschland und in Ungarn aufblühte. Die neuscholastische Bewegung von Suarez, Fonseca, Soto, Toletus und anderen zeigte, daß die traditionelle katholische

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Philosophie ihre Angst überwunden hatte. Sie bedeutete gleichzeitig eine gütliche Einigung mit einigen der großen Herausforderungen, denen sich die Kirche seit dem Zeitalter Thomas von Aquins gegenübersah: Nominalismus, humanistische Kritik, protestantische Neudefinition theologischer Wahrheiten. Selbst in ihren Anfängen war sie also keine reine Lehre. Man denke nur an die geistigen Einflüsse auf den jungen Päzmäny, der als bezwingender neuer Lehrer in den Jahren um 1600 an der Universität Graz wirkte. Er kannte die thomistische Schule von Salamanca, die jesuitischen Philosophen von Coimbra und Rom, die Averroisten von Padua, vor allem Zabarella und Piccolomini und viele andere humanistische Autoren. Sie alle wurden von der stark praktisch veranlagten und entschlossenen Persönlichkeit Päzmänys in einem entschiedenen Streben nach Synthese zusammengefaßt. 20 Strukturelle Abwandlungen traten in der nächsten Generation bei Arriaga noch deutlicher hervor. Rodrigo Arriaga ( 1 5 9 2 - 1 6 6 7 ) war ein spanischer Jesuit, der ab den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts bis zu seinem Tod in Prag lebte. Er spielte nicht nur als langjähriger Rektor des Carolinums bei der Umbildung des böhmischen Erziehungswesens eine bedeutende Rolle, sondern fand auch als einer der führenden katholischen Denker jener Zeit Anerkennung. Er war eine durchaus internationale Persönlichkeit, die der Dynastie nahestand. Er lehrte den jungen Ferdinand III. jenes Spanisch, das dieser wohl für seinen Nördlingen-Feldzug brauchte, und sein Cursus Philosophicus erschien zunächst 1632 im Verlag Plantin in Antwerpen und erfuhr zahlreiche Auflagen. 21 Es besteht kein Zweifel, daß dieser ehrfurchtgebietende, 900 Seiten starke Folioband dazu bestimmt war, die etablierte katholische Weisheit unter der Ägide geneigter habsburgischer Herrscher zu stärken. Sein elegantes Titelbild zeigt einen „Hortus philosophiae", der, wie die Widmung erklärt, dem römischen König und dessen Frau anvertraut wird, und wo die wahre Logik, Physik und Metaphysik des Aristoteles von neuem zur Blüte gelangen können. Doch aus dem Text geht hervor, daß an der Autorität weniger stark festgehalten wird, und ein Vorwort ersucht den Leser ausdrücklich, auf Neues vorbereitet zu sein, da die antiken Autoren nicht uneingeschränkte Autoritäten, sondern Vorbilder („non domini, sed duces") sein müßten und unsere Sinneserfahrungen uns dazu befähigen sollten, diese zu verbessern. In einigen wesentlichen Punkten zeigt sich Arriaga mehr als Anhänger Occams denn als Thomist. 22 Für Denker wie Arriaga wurde der Aristotelismus so sehr zum praktischen Hilfsmittel, daß man dessen alte metaphysische Dimension - wo diese als problematisch empfunden wurde - eher als besondere Frage der Ontologie ausklammerte und für das übrige Lehrgebäude nach neuer Unterstützung Ausschau hielt. 23 Ein Aspekt hievon war die Wiederbelebung anderer mittelalterlicher scholastischer Systeme, vor allem der mit Duns Scotus verbundenen Lehren. Der Scotismus wurde von den Franziskanern verfochten, die ihm im 17. Jahrhundert in Prag eine seiner bedeutendsten Heimstätten errichteten und dabei die Unterstützung ihrer dortigen Irischen Mitbrüder erhielten, die, wie einer ihrer Bewunderer behauptet, die pechschwarzen Wolken der Ignoranz und der Häresie auflösten, so wie einst der hl. Patrick ihr Vaterland von Schlangen befreit hatte. Er fand gewichtige und wortreiche Interpreten in Bernhard Sannig und Amandus Hermann, deren Auffassung, weniger fortschrittlich als jene Arriagas, keine Anzeichen von Modernität aufweist. Wie

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könnte sie auch, da zwei Drittel der Metaphysik Hermanns den Engeln gewidmet ist!24 Trotzdem stellten derartige Bemühungen und die ständige Beschäftigung mit Ideen der klassischen Renaissance, vor allem mit den Lehren des Neustoizismus, Aristoteles in einem neuen Licht dar. Die Idee der Menschenwürde, die für den Humanismus eine so zentrale war, war nicht, wie häufig angenommen, irgendein fruchtloser Lobgesang auf den menschlichen Geist, sondern eine genaue Bewertung der Stellung des Menschen als Mikrokosmos im Makrokosmos der Natur. Dieses Thema, mit dem sich vor 1600 Mitteleuropäer wie Lascovius beschäftigten, beherrscht ein eigenartiges Kompendium, das von Antonio Zara, dem Bischof von Piben in Istrien und Günstling Ferdinand II., veröffentlicht wurde. 25 Zara beschreibt die Stufen des menschlichen Lebens, den Körper, die Vorstellungskraft, den Verstand, das Gedächtnis auf eine Art, die uns eher durch ihre Gelehrsamkeit als durch ihre Logik beeindrucken muß, denn der Schlüssel zum theoretischen Aufbau seines Materials ging uns verloren. Doch handelt es sich hiebei um das gleiche Schema, das die Naturphilosophen aus den habsburgischen Gebieten im späteren Verlauf des Jahrhunderts übernahmen. So etwa der Stadtarzt von Brünn, Johann Ferdinand Hertodt in seinem Gedicht Opus Mirificum sextae diei oder selbst der kompromißlose Aristotelianer Wechtler. Dieses Weltbild ist jenem des Aristoteles und Plinius und der für die Wunder der Schöpfung empfänglichen mittelalterlichen Geisteshaltung noch nahe verwandt (nicht zufällig wurde die allerletzte Ausgabe von Bartholomaeus Anglicus, diesem Ausbund an Leichtgläubigkeit, an der Schwelle zum 17. Jahrhundert in der Domfreiheit von St. Veit in Prag vorbereitet). Es verschmolz jedoch mit einigen Haupterkenntnissen der Renaissancetheoretiker, den Werken von Telesio, Cardano und Porta. 26 So zeigt die orthodoxe Philosophie, die alle Klassenräume und Seminare beherrschte, verschiedene Ebenen. In den Lehrplänen der Universitäten überlebte ein ungeschliffener Aristotelismus bis zum Ende des Jahrhunderts und noch darüber hinaus. Als J. J. Scharz und sein jesuitischer Lehrer in einer in Linz im Jahre 1676 verfaßten Dissertation versuchten, die Zwillingsbereiche von Intellekt und Willen zu zeigen, spannten sie ganz einfach aristotelische Annahmen über Logik, allgemeine Physik, besondere Physik und Metaphysik den vier Kardinaltugenden vor und beließen es dabei. Als F. S. Schott 25 Jahre später einige Thesen unter dem an die Renaissance gemahnenden Titel Cosmus in Micro-Cosmo vor Wiener Jesuiten verteidigte, baute sein Text überwiegend auf Aristoteles, Plinius, den Kirchenvätern und frühen Autoren des Mittelalters auf. Wir sollten uns auch nicht von jedem Anspruch auf Eklektizismus oder Originalität überzeugen lassen. Der österreichische Zisterzienser Georg Neupauer zum Beispiel läßt in seinen Abhandlungen eine gewisse Vertrautheit mit neueren Autoren erkennen, unter ihnen Arriaga, Kircher, Caramuel und Marci, und brüstet sich, eine eigene Meinung zu vertreten, das Ergebnis jedoch ist erneut nur ein Wiederkäuen konventioneller Ansichten. 27 Auf etwas höherer Ebene sehen wir uns einem tiefverwurzelten Polymathismus gegenüber, der mehr oder weniger unbekümmert neues Wissen zu den bereits bekannten Ansichten hinzufügt. Auch ein Teil von Caramuels Werk fällt in diese Kategorie. Etwa sein Trismegistus Theologicus oder seine unter dem eigenartigen Titel Mathesis Biceps erschienene Arbeit, mit der auch Leopold I. sich befaßte. Gleiches

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gilt für populäre Lehrbücher wie Pexenfelders Apparatus Eruditionis, ein Sammelsurium all dessen, was mit traditionellen Bildungsinhalten zusammenhängt.28 Dieses Genre wurde bis weit ins 18. Jahrhundert hinein in Ungarn gepflogen, wo die katholische Religion, die sich hier immer noch als leicht verwundbar erwies, am wenigsten abenteuerfreudig war. Martin Szentivänyi, einer der führenden Professoren in Tyrnau, verfaßte drei Bände, die in genau neun Teile und 90 Kapitel unterteilt waren, und denen er den Titel Curiosiora et Selectiora Miscellanea gab, obwohl sie in Wahrheit ein klassisches Beispiel für die Unfähigkeit zur Selektion waren, eine Art reductio ad absurdum des barocken Strebens nach Vollständigkeit.29 Der Leser wird gezwungen, in beängstigender Weise von der Kosmographie über holprige Verse über den Stand der Ernte zur Chronologie, oder von der Geographie über die Arbeiten von Thomas von Kempen zur Kirchengeschichte zu springen. Ein Abschnitt über „Entdeckungen und Erfindungen" kommt unvermittelt von den Sonnenflecken zu Verwendungsmöglichkeiten für Rhabarber, der nächste Abschnitt über „Verlorene Dinge" umfaßt sowohl das Paradies als auch echten Zimt, ein weiterer Teil beschreibt Dinge, die überhaupt niemals existiert haben, wie etwa die Kopernikanische Bewegung. Dennoch sind Szentivänyi bestimmte Verdienste nicht abzusprechen, auch wenn diese nicht auf dem Gebiet der Übersichtlichkeit liegen. Er ist keinesfalls ein „simpler" Aristotelianer, nur die mittelmäßigsten Autoren jener Zeit konnten als solche bezeichnet werden. Die anspruchsvolleren, die Päzmänys und Arriagas, zeigten Flexibilität und auch eine gewisse Bereitschaft zu Dissens. Anderen wiederum lag sicherlich nicht nur daran, Neues hinzuzufügen, sie waren ebenso bereit, Abstriche vorzunehmen. Die augenscheinlichste Alternative zu Aristoteles war Plato. Auch hier fällt es nicht leicht, Beweise zu sammeln, inwieweit die klassischen Texte wirklich gelesen wurden, auch wenn sie in den Bibliotheken breiten Raum einnahmen. Lambeck kaufte 1671 in Venedig und Rom platonische Manuskripte für Leopold. Auch brachte Lamberg Marsilio Ficino große Achtung entgegen. 30 Wir stehen auf festerem Boden, wenn wir uns mit drei wißbegierigen und bedeutenden Denkern befassen, die von der platonischen Tradition stark beeinflußt waren, mit Marci, Magni und Caramuel. Jan Marcus Marci (1595—1662) aus Landskron in Böhmen war mit einem Fuß fest in der Gesellschaft der Zeit nach 1620 verankert. Ab 1626 war er Professor am Carolinum und ein Freund der Jesuiten, deren Orden er auf seinem Totenbett beitrat. Er war ein erfolgreicher Arzt, Leibarzt der Habsburger, und wurde von Ferdinand III. mit einem Sondergehalt in den Adelsstand erhoben. Darüber hinaus war er auch ein geachteter Gelehrter, dessen Arbeiten mit geistlicher Approbation und Widmungen an den Kaiser erschienen. Er war aber auch umstritten. Sein erstes Buch, Idearum Operatricium Idea, das jedoch unvollständig blieb, enthält höchst spekulative Abhandlungen über die Prinzipien der biologischen Fortpflanzung und bedient sich dabei der animistischen Waffenkammer des Neuplatonismus. Marci fühlte sich verpflichtet, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, an ewige, vom Schöpfer unabhängige Ideen zu glauben. Nachdem er sich mit neuartigen Forschungen auf

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dem Gebiet der Mechanik und der Optik beschäftigt hatte, kehrte er etwa 30 Jahre später zur Frage der substantiellen Zeugung und zur Kritik an Aristoteles oder zumindest dessen Interpreten zurück. 31 Valerian Magni (1585-1661) war noch umstrittener. Wir haben bereits einiges über seine Rolle als Staatsmann erfahren. Auch als Theoretiker war er nicht weniger schöpferisch und kompromißlos. Wahrscheinlich gibt es über ihn mehr kritische Arbeiten jüngeren Datums als· über irgendjemanden anderen, der in diesem Kapitel erwähnt wird (auch wenn er in allgemeinen Darstellungen als Denker noch kaum zu finden ist). Ausgehend von dem Glauben, daß das menschliche Verständnis eine Art göttlicher Erleuchtung sei (er hatte nicht umsonst zur selben Zeit wie Johannes Kepler in Prag gelebt), ging Magni daran, sowohl die aristotelische Physik, vor allem die Vorstellungen hinsichtlich des Vakuums, als auch die moralische Gültigkeit der gesamten aristotelischen Philosophie anzugreifen. Seit der Veröffentlichung eines kurzen Traktates, De Atheismo Aristotelis, in Warschau im Jahre 1647, focht er unausgesetzt einen Kampf gegen die jesuitische Zensur. 32 Sowohl Marci als auch Magni machten sich Feinde, beide jedoch blieben ein integrierter Bestandteil der intellektuellen Szene. Gegen Ende seines Lebens war der Ruf Marcis in ganz Mitteleuropa, von Kircher in Rom bis zu Morhof in Kiel, gesichert. Und obwohl Magni am Ende seines Lebens vorübergehend durch den päpstlichen Nuntius gefangengesetzt wurde, wurde er bald in einer kaiserlichen Kutsche aus seinem Arrest erlöst. 33 Keiner der beiden sprengte den Rahmen des Wissens, da Marci letzten Endes die Erleuchtung immer noch mit der aristotelischen Quintessenz gleichsetzte und auch Magnis höchst persönliche christliche Philosophie keine neue Schule schaffen konnte. Gleiches gilt für den erstaunlichen Caramuel Lobkowitz (1606—1680), der zu seiner Zeit berühmter war als die beiden Erstgenannten. Als Wunderkind, Beherrscher von 24 Sprachen, Autor von mehr als 100 Büchern und „König der Kasuisten" schrieb Caramuels zisterziensischer Zeitgenosse Sartorius über ihn, daß dies „ein Name sei, der es wert ist in Goldbuchstaben geschrieben zu werden, eine wahre Sonne unter den großen Geistern". 34 Sein enzyklopädisches Wissen und seine eklektische Methode stehen außer Zweifel, es ist nur äußerst schwierig, in das Schwülstige des ersteren einzudringen um irgendeine klare Feststellung bezüglich der zweiteren zu erreichen. Am besten gelingt dies vielleicht mit Hilfe des Vorwortes zu seiner Rationalis et realis Philosophia, in der er Plato Aristoteles explizit vorzieht, sowie an Hand einiger Briefe an Kircher, Marci, Bernard Ignäc Martinitz und andere Freunde. 35 Caramuel besaß einen höchst diffusen und weitschweifigen Geist. Der Trismegistus Theologicus, sein vorletztes Buch, stellt ein verblüffendes Wirrwarr an Gelehrsamkeit dar, eine Art Finnegans Wake der Barockphilosophie. Trotz seiner innovatorischen Bemühungen war er sicherlich kein Radikaler, sondern suchte den bestehenden Prinzipien des christlichen Gedankengutes neuen Glanz und ein neues Kleid zu verleihen. Marci, Magni und Caramuel beweisen alle neben ihrem Piatonismus auch eine gewisse Kenntnis der zeitgenössischen westlichen Auseinandersetzungen, die wir als „wissenschaftliche Revolution" zu bezeichnen gelernt haben. Diese drangen auf zwei verschiedenen Wegen nach Mitteleuropa vor. Protestantische Intellektuelle in Ungarn, und in geringerem Ausmaß auch in Schlesien, unter den Schülern von Da-

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niel Sennert (1572—1637), zeigten sich offen für die Einflüsse der holländischen Universitäten und der Modernisten in Deutschland. In Debrecen oder Klausenburg fand sich ein Publikum, das die Werke von Bacon oder Descartes, von Gassendi oder den Atomisten begierig verschlang. Ich möchte hier nur einige erwähnen (auch wenn dies nicht der Ort ist, um länger bei ihnen zu verweilen). So etwa Johannes Bayer ( 1 6 3 0 - 1 6 7 4 ) , der einen Hang zum Empirismus zeigte, seinen oberungarischen Landsmann und Studienkollegen in Wittenberg Isaac Zabanius ( 1 6 3 2 - 1 7 0 7 ) , der über die Existenz von Atomen schrieb oder den siebenbürgischen Gelehrten Janos Posahäzi (ca. 1 6 3 0 - 1 6 8 6 ) , der aus Utrecht Cartesisches Gedankengut mitbrachte. Puritanische Autoren wie Jänos Apäczai ( 1 6 2 5 - 1 6 5 9 ) versuchten natürlich, solche Breschen im traditionellen Firmament zu erweitern. 36 In der Zwischenzeit war auch in bestimmten Kreisen katholischer Einwanderer ein unabhängiger Geist erkennbar. Es gab Anzeichen eines ausgeprägten Libertinismus in dem Kreis um den Prinzen Eugen und seine Bibliothek, die er um 1712 nach Wien brachte und die eine umfangreiche Sammlung an Werken der freidenkerischen Literatur enthielt. Ähnliches gilt für die Umgebung des leicht erregbaren, doch begabten Grafen Sporck, der als Angehöriger der zweiten in Böhmen lebenden Generation dieser Familie eine eigene Mischung aus reuigem Barockseigneur und aufgeklärtem Dilettanten war. 37 Von größerer Bedeutung war die Atmosphäre einer ziemlich nüchternen Kritik, die vor allem mit den zahlreichen irischen Siedlern im Raum der Monarchie verbunden war. Diese kam zum Teil von Geistlichen, von den Prager Franziskanern und deren derbem Unterricht, der den örtlichen Jesuiten so sehr gegen den Strich ging, vom gelehrten Nicholas Donellan, dem Generalvikar der Augustinereremiten und Professor für Kirchenrecht an der Wiener Universität, der Edward Browne anläßlich dessen Besuchs im Namen der Royal Society in Österreich begleitete oder von dem streitlustigen Militärkaplan Thomas Carve. 38 Andere, wie der großartige William O'Kelly, ein erfolgreicher Arzt, waren weltliche Gelehrte. O'Kelly ist der Autor eines unverblümten Führers zur praktischen Philosophie, „methodo parisiensi pertractata", deren Ziel es war, sowohl eine Alternative zu den langweiligen scholastischen Fibeln zu sein als auch eine Einführung in die nützlichen Entdeckungen der zeitgenössischen westlichen Wissenschaftler zu geben: Galilei, Gassendi oder Descartes. Er bekennt sich stolz zu einer Reihe gelehrter irischer (oder ehrenhalber irischer) Ikonoklasten, die von Scotus über Occam bis zu Robert Boyle reichen. 39 Keiner von diesen trug jedoch viel dazu bei, das bestehende Weltbild zu ändern. Die ungarischen Protestanten sahen sich isoliert und waren im Grunde konservativ, in hohem Maße dem Aristoteles verhaftet und viel weniger radikal als dies einige ihrer Bewunderer behauptet haben. Auch Prinz Eugen und Sporck standen isoliert, eine Elite der Elite, die lediglich mit dem gelehrten Aufbegehren spielte. Obwohl die Freigeister, die in Wien aufgenommen wurden, ein interessantes Kapitel in der Vorgeschichte der Aufklärung und der bewegten Geschichte der Beziehungen zwischen den Habsburgern und dem Papst darstellen (der antiklerikale italienische Flüchtling Pietro Giannone wurde sogar von Kaiser Karl VI. beherbergt), war ihr Einfluß auf das Land insgesamt sehr gering. Die Briefe von Eugens Schützling J. B. Rousseau zeigen, wie weit dieser französiche Salonpoet dem österreichischen Milieu fremd

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blieb. 40 Weite Bereiche der katholischen Kritik waren mit Machtkämpfen innerhalb der kirchlichen Struktur, meist allgemeinen Angriffen auf die Jesuiten, verbunden. Selbst O'Kelly ist vor allem wegen seiner Respektlosigkeit und nicht wegen seiner Originalität bemerkenswert. Ein neuer theoretischer Rahmen für eine Analyse wurde nicht entwickelt. Der Entwurf neuer logischer Systeme, ein Aspekt einer antiaristotelischen Einstellung war sogar in erster Linie den Jesuiten vorbehalten. Selbstverständlich hatte Caramuel darüber, wie auch über alles andere, seine eigenen Ansichten, die entscheidenden Diskussionen wurden jedoch von Kircher und Schott, von Caspar Knittel in Prag und Szentivänyi in Tyrnau geführt und brachten eine gänzlich auf die Vergangenheit gerichtete Wiederentdeckung der Ars Magna des Raimundus Lullus mit sich. 41 Die Hauptgegner der orthodoxen Gelehrsamkeit gehörten einer Tradition an, die fast ebenso alt war wie das Christentum selbst, dem Augustinianismus, diesem Dorn für selbstzufriedene Scholastiker sowohl der Gegenreformation als auch der Reformation. Wiederum wurde diese Lehre von einer Splittergruppe innerhalb der Institution der Kirche angenommen, von den Chorherren, den Prämonstratensern und den Augustinerbrüdern. Teilweise lehrten sie einen zeitlosen Skeptizismus. Nebridius von Mündelheim aus der Abtei Klosterneuburg machte nicht viel Federlesens darob in dem Vorwort zu seiner Philosophia . . . S. Augustini: „Aristoteles", so meint er, „war ein Mann, heidnisch und falschzüngig, profan und arrogant, unverständlich und glatt, der den einen Gott oder die echte Wahrheit weder kannte noch verehrte; aus diesem Grund lebt er nun bei den Bewohnern der Unterwelt, quibuscum desperate Deum summe bonum blasphemat et execratur". Dann setzt dieser gute Chorherr zu einer barocken tour deforce von Zitaten an, die zur Gänze vom heiligen Augustinus übernommen sind 4 2 Eine ähnliche Einstellung findet sich auch gelegentlich bei Caramuel, während Magnis Vehemenz sowie die mystischen Neigungen mehrerer Franziskaner und die zeitweiligen Liebäugeleien mit Cornelius Jansen den Einfluß von Augustinus und Bonaventura aufzeigen.43 Gleichzeitig verdanken die hier Genannten den Skeptikern der Renaissance besonders viel, wie vor allem in den Schriften des Prämonstratenserabtes von Strahov, Hieronymus Hirnhaim (1637—1679), deutlich wird. Hirnhaim war der Verfasser einiger nicht weiter bemerkenswerter Werke der frommen Literatur, sein De Typho Generis Humani jedoch gehört zu den provokantesten Büchern, die im 17. Jahrhundert in Mitteleuropa erschienen sind. In diesem wird nachdrücklich betont, daß Gelehrsamkeit böse sei und lediglich der Eitelkeit diene. Wirkliches Wissen sei nicht möglich und die Gelehrten wären niemals einer Meinung. Die Arbeiten des Schöpfers seien unerforschlich. Diese Aussagen können in der einfachen, wenn auch etwas paradoxen, Kapitelüberschrift „de vano libros conscribendi studio" zusammengefaßt werden. 44 Einmal mehr jedoch bietet sich kein gänzlich negatives Bild. Nebridius und Hirnhaim suchen ebenso wie Magni und Caramuel nach der wahren katholischen Philosophie. Vor allem Hirnhaim war, ganz abgesehen davon, daß er eine bedeutende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens war, ein Mann von wahrer Gelehrtheit. Trotz seiner Überlegungen über die Eitelkeit von Büchern, kümmerte er sich um das Wohlergehen der Bibliothek seines Klosters und des Seminars des Prager Erzbi-

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schofs. Sein De Typho war mehr als lediglich eine Lobeshymne auf die docta ignorantia, was vielleicht auch Kaiser Leopold erkannte, als er seinen uneingeschränkten Beifall bekundete. Vielmehr nimmt Hirnhaim eine ähnliche Stellung ein wie sein geistiger Vorfahre Agrippa von Nettesheim in seinem De Incertitudine et Vanitate Scientiarum .Beide würden eine Pansophie begrüßen, doch sind sie durch die Vielfältigkeiten der Welt und der menschlichen Meinungen verwirrt. Hirnhaim läßt auch keinerlei Zweifel an einem Rest an Sympathie für den gottesfürchtigen, ja mystischen Neuplatonismus seines Lehrers Marci.45 Ein interessantes Nachspiel hiezu stellt ein Manuskript dar, das von einem Augustinerbruder am Fuße des Laurenzibergs in der Altstadt von Prag zum persönlichen Gebrauch zusammengestellt wurde. Der anonyme Verfasser unterstreicht die Schwächen des Aristoteles - er hat wenig Zeit für die Qualitäten, die Körpersäfte oder die Elemente der Peripatetiker. Dafür versucht er, eine neue Lehre aufzustellen, die auf den jüngsten Naturphilosophen, wie Kircher, Schott, Caramuel und vor allem Marci aufbaut. Gerade sein Titel wird zu einem Manifest sowohl der Kritik als auch der Aussöhnung: Nova, velpotius Antiqua, Philosophia, Naturalis, Fundamentalis, Realis, Christiana, Catholica, Selecta, Anti-Aristotelica .46 Wir haben hier also ein ganzes Spektrum an abweichenden Meinungen. Zumindest der Intention nach war es jedoch im allgemeinen eine kreative Abweichung. Der innere Antrieb war der Wunsch nach einer Synthese von alt und neu. Verfolgen wir dies nun anhand zweier Bereiche von entscheidender zeitgenössischer Bedeutung. Der erste ist die Astronomie. Wie allgemein bekannt, wurde die Erstellung kosmologischer Theorien in weiten Teilen Europas durch die sukzessiven Verurteilungen Galileis und des Kopernikanischen Systems durch Rom in den Jahren 1616 und 1633 schwer erschüttert. Allerdings müssen wir die Folgen dieser Urteile im richtigen Licht sehen. 47 Abgesehen von ihrem eigenen stark mythenschaffenden Beitrag, begünstigt der Fall Galilei zwei weitverbreitete Legenden über die Astronomie des 17. Jahrhunderts. Erstens, daß die katholischen Länder gezwungen wurden, alle kosmologischen Untersuchungen auszusetzen und zweitens, daß überall geradezu ein Wettstreit zwischen den ptolemäischen Reaktionären und den kopernikanischen Anhängern des Fortschritts stattfand. Die Wahrheit jedoch ist subtiler. In Mitteleuropa gab es weiterhin sowohl praxisorientierte als auch theoretische Arbeiten. Ja, es gab sogar immer noch einige unverbesserliche Bewunderer Galileis. So unterstützte der trotzige Magni auch weiterhin, was nicht allzu verwunderlich ist, dessen Ansichten, und der Militärarchitekt Pieroni hegte Pläne für eine deutsche Übersetzung des Dialogo dei due massimi sistemi del mondo, wofür er selbst die Hilfe Kardinal Dietrichsteins gewinnen konnte. 48 Das jedoch war nicht das Entscheidende, denn Magni hielt die Rotation der Erde lediglich für möglich, und Pieroni war, obzwar eine dunkle Figur, kein wirklich radikaler Geist. Entscheidender war, daß die neuen Entdeckungen eine Vielzahl katholischer Analysen himmlischer Probleme hervorriefen, die einwandfrei waren und an denen kein Anstoß genommen wurde. In den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts erörterten Caramuel und der böhmische Kapuziner Antonius Schyrl de Rheita die Anzahl der Jupitersatelliten, und Caramuel und Marci setzten sich mit der Beziehung zwischen der Bewegung ei-

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nes Pendels und dem Gravitationszentrum der Erde auseinander. Natürlich waren einige Dinge leichter zu diskutieren als andere. So war die Unveränderlichkeit des Himmels ein viel entbehrlicherer Teil des aristotelischen Systems als die Unbeweglichkeit der Erde. Es gibt jedoch kaum Beweise dafür, daß jene, welche eher die erste als die zweite dieser Behauptungen kritisierten, etwas anderes als ihre eigene Meinung wiedergaben, andererseits gibt es alle nur denklichen Anzeichen für eine wahre intellektuelle Begeisterung für die Untersuchung dieser Fragen. 49 Der Jesuitenorden war besonders rege und seine praktische Astronomie bereits um 1600 eine lebendige Tradition in Mitteleuropa. Zu den Ordensangehörigen zählte beispielsweise Christoph Clavius aus Bamberg, der sich in Rom niederließ und den Tiroler Grienberger (1564—1636) dazu veranlaßte, sich zu ihm zu gesellen. Es folgte eine Reihe bedeutender Instrumentebauer und Beobachter, wie Scheiner (bekannt für seine Arbeiten über die Sonnenflecken); Behm, Stansel und Hartmann, die über Kometen und Planeten schrieben und andere mehr, die sich mit untergeordneten Fragen der Mathematik und Mechanik, der Zeitmessung und der Optik befaßten. Die Qualität ihrer technischen Kenntnisse wird sowohl durch ein Prager Manuskript, das zur Gänze auf jesuitischen Autoritäten aufbaut, als durch bescheidenere Sammelwerke beleuchtet. Dieses Interesse hielt, wie die Forschungsarbeiten von Maximilian Hell (1720—1792) zeigen, bis ins 18. Jahrhundert hinein an. 50 Auch ging dieses Interesse stets Hand in Hand mit einem solchen für die Theorien der Weltsysteme. J. B. Ricciolis dicker Almagest — mit Abstand die umfangreichste kosmologische Abhandlung jener Zeit - widmet der kopernikanischen Hypothese und den Ansichten Galileis breiten Raum. Auch Standardvorlesungen, wie etwa jene von Hirnhaim, scheinen sich, wenn auch in viel begrenzterem Umfang, mit dieser Frage beschäftigt zu haben. 51 Das vielleicht bekannteste Lehrbuch in den habsburgischen Gebieten war Kirchers Itinerarium Exstaticum, eine Epitome von Riccioli, die von Ferdinand III. in Auftrag gegeben und 1656 erstmals in Rom veröffentlicht wurde. 1660 kam es dann zu einer von Kaspar Schott kommentierten Neuauflage in Würzburg. Mit ihrem orthodoxen allgemeinen Uberblick über die Wissenschaft der Planeten betonen Kircher und Schott nichtsdestoweniger sowohl die experimentelle Grundlage als auch die vielen Entdeckungen der jüngsten Zeit auf dem Gebiet der Himmelserscheinungen, die die älteren Vorstellungen grundlegend geändert haben. 52 Es war also offensichtlich notwendig, zwischen der Scylla eines veralteten Ptolemäus und der Charybdis eines Kopernikus (als Tatsache betrachtet, nicht als bloße Hypothese) hindurchzusteuern. Riccioli, Kircher und all die anderen waren der Meinung, einen durchaus zufriedenstellenden Kompromißkandidaten gefunden zu haben: Tycho Brahe, der in den Jahren um 1600 ein kombiniertes System entwickelte, demzufolge Sonne und Mond die stationäre Erde und alle anderen Planeten die Sonne umkreisten. Die Jesuiten griffen dieses Tychonische System bereitwillig auf, allerdings mit gewissen Abänderungen (so bevorzugten sie es häufig, wenn ein oder zwei weitere Planeten die Erde umkreisten). Gleiches gilt für Caramuel, der, indem er wie üblich „multa contra veterem Philosophiam" versprach, wirklich „multa Caramuelaeam verae doctrinae restitutionem propugnantia" (Kursivschrift vom Autor!) anbot und sogar an der Materialität der himmlischen Sphären festhalten wollte.

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Und gleiches gilt auch für Denker im Raum des ganzen Reiches. Der Kapuziner Schyrl arbeitete einen sorgfältigen Kommentar aus, der zwar auf Tycho beruhte, sich jedoch in besonders großzügiger Weise auf Kopernikus berief und belegte darüber hinaus alles mit eigenen Beobachtungen. Das Vorwort enthält eine reich illustrierte Widmung an Ferdinand III. 53 Daß Schyrl sein Buch in Verbindung zu den Habsburgern setzte, war keine bloße Verbeugung, denn seit langem zeigte die Dynastie großes Interesse für die Astronomie. Der bedeutendste unter den von ihnen geförderten Gelehrten war natürlich Kepler, zumindest wenn man dies vom Standpunkt einer fernliegenden Nachwelt beurteilt. Doch auch Tycho, der 1601 in Prag starb, wurde von Rudolf II. gefördert und war die geeignete Persönlichkeit, um vom Hof bereitwillig angenommen zu werden, war er doch ein aus dem protestantischen Norden verbannter hochadeliger Kavalier. Seine Nachfahren verblieben, ebenso wie seine Instrumente und Manuskripte im 17. Jahrhundert in Mitteleuropa. Für unsere Zwecke ist es von untergeordneter Bedeutung, daß erstere vor allem bestrebt waren, einen gewinnbringenden Verkauf der zweiteren zu sichern. 54 Ab den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts unterstützten Ferdinand III. und Leopold den Jesuiten Albrecht Kurz, oder Curtius, bei dessen Vorhaben, die Unzahl der von Tycho in den Jahren zwischen 1582 und 1601 gemachten Himmelsbeobachtungen zu veröffentlichen. Für diese Aufgabe war Kurz bestens geeignet, da er nicht nur der Bruder eines Reichsvizekanzlers und eines bayrischen Obersthofmeisters war, sondern auch ein Verwandter des rudolphinischen Höflings, der großen Anteil daran gehabt hatte, daß Brahe nach Prag kam. Seine Ausgabe der Historia Coelestis erschien schließlich 1666 auf rund 1000 Folioseiten mit uneingeschränkter Anerkennung der Anregung zu dieser Forschungsarbeit durch die Habsburger und durch Georg Martinitz sowie mit Überlegungen zur Kontinuität der Tychonischen Tradition. Dieses Werk fand ordnungsgemäß Eingang in Leopolds Privatbibliothek. Wir wissen, daß Ferdinand III. auch andere Publikationen dieser Art förderte. 55 Einiges ist mir allerdings nicht ganz klar—warum verbarg sich Kurz stets hinter dem Pseudonym „Lucius Barrettus" (diesem äußerst durchsichtigen Anagramm von „Albertus Curtius")? Auf der anderen Seite verfügen wir über eine Information, über die sehr wenige Zeitgenossen Bescheid gewußt haben dürften. Durch eine pikante Kapriole des Schicksals lag das Originalmanuskript von Kopernikus' De Revolutionibus die ganze Zeit hindurch in der Bibliothek eines böhmischen Hocharistokraten. 56 Die Ansichten über astronomische Fragen waren in den Habsburgerländern also keineswegs nur rückständig. Sie zeigen, wie das mitteleuropäische Milieu neue Ideen aufnahm und anpaßte. Es lohnt sich, dieses Thema auch in dem Bereich der irdischen Wissenschaften zu verfolgen. Das Interesse für Messungen war gleichbedeutend mit einem Interesse an der Mathematik. Unter den Angehörigen der Dynastie war dieses bei Ferdinand III. am stärksten ausgeprägt. Nachdem er zunächst in die ungewollte Laufbahn eines Soldaten gedrängt worden war, die er bei der erstbesten Gelegenheit abbrach, begann Ferdinand mit dem Studium militärischer Geometrie, einem beliebten Sujet am habsburgischen Hof, wandte sich dann allgemeineren Problemen zu, stellte sich eine Reihe von Aufgaben und entwarf sogar ein Instrument

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(eine Art Prototyp des Rechenschiebers), das dazu beitragen sollte, diese Aufgaben zu lösen. Das Geistesprodukt des Kaisers wurde dann zunächst (unter einem Pseudonym) von Kurz und dann von Schott veröffentlicht. 57 Die mathematische Forschung erfaßte weitere Kreise, in die sie durch kaiserliche Günstlinge wie Kinner oder ihre Verfechter unter den Jesuiten, darunter auch der Belgier Gregoire de St. Vincent, der sich als begabtester örtlicher Exponent dieser Kunst erwies, hineingetragen wurde. St. Vincent wurde, wie der Kaiser, in die Wirren des Krieges verwickelt, und während des sächsischen Einfalls in Prag wurden viele seiner Manuskripte vernichtet. Glücklicherweise konnte von seinem Kollegen Arriaga genug gerettet werden, um die Veröffentlichung seines riesigen Opus Geometricum zu erlauben, das sowohl bedeutende Lehrsätze über den Kreis und die Kegelschnitte enthält als auch eine angemessen schwülstige Widmung an die Dynastie. 58 Zweifelsohne wurde die Mathematik zum ernsthaften Betätigungsfeld einer gebildeten Elite, die in einem internationalen Rahmen arbeitete. Verbindungen zu den Niederlanden wurden durch Persönlichkeiten wie St. Vincent und den vielgereisten belgischen Jesuiten Theodore Moretus hergestellt, zu Deutschland durch Caspar Ens, Schott und den ebenfalls weit gereisten polnischen Jesuiten Adam Kochanski. Becher richtete seinen Blick noch weiter in die Ferne und legte seine Arbeiten über die genaue Zeitmessung 1680 der Royal Society in London vor. Selbst klösterliche Standardwerke beziehen sich auf französiche Lehrbücher. 59 Es kam jedoch zu keinerlei entscheidendem Schritt in Richtung einer Ablöse der bestehenden qualitativen Annahmen durch eine quantitative Beschreibung. Der meistdiskutierte Teil des Werkes von St. Vincent war jener Abschnitt - der Höhepunkt des Werkes - , in dem er fälschlich behauptete, das uralte Problem der Quadratur des Kreises gelöst zu haben. Diese Fragestellung wurde sowohl von St. Vincent als auch von dessen Freund Kinner, der (mit Zustimmung Caramuels, Marcis und anderer) in den fünfziger Jahren in Prag eine vereinfachte Fassung eines seiner Beweise veröffentlichte, als das „problema Austriacum" bezeichnet. 60 Zwar galt es für Zeitgenossen als noch durchaus vernünftig, die Möglichkeit der Quadratur zu erörtern, denn ebenso wie beim Stein der Weisen konnte niemand beweisen, daß dies eine Illusion war. Die Besessenheit aber, mit der man sich in Österreich dieser Frage widmete, mutet schon altmodisch an. Wichtiger ist, daß damit Hand in Hand eine Vorliebe für die Mathematik als eine gelehrte Unterhaltung ging, eher als Spiel der Phantasie denn als eiserne Disziplin. Kircher, Schott und Kinner entwarfen für die Dynastie eine Art Rechenmaschine mit Tastatur (oder Tabulator), um Operationen der Arithmetik und Geometrie, in der Befestigungslehre und der Astronomie und vieles andere zu erleichtern. Wenn auch zweifelsohne ein geistreiches Projekt, so gehörte es doch wohl eher in den Bereich der höfischen Zerstreuung und wurde mehr durch den Glauben an eine gewisse ursprüngliche Harmonie des Wissens als durch den Geist von Barrow und Newton oder selbst von Leibniz gestützt. 61 Ein anderes faszinierendes und noch zentraleres Problem, an dem man deutlich das Schwanken Mitteleuropas zwischen alt und neu und den Versuch, zweiteres anzuerkennen, um ersteres zu bestätigen, beobachten kann, war der empirische Zugang zum Wissen. Sowohl auf dem Gebiet der Astronomie als auch der gesamten Naturphilosophie zögerten die Denker aus den Habsburgerländern nicht, den Vor-

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rang der Sinneswahrnehmungen zu betonen. Himmelsbeobachtungen fanden ihr Äquivalent in eingehenden Studien der Natur. Kirchers Itinerarium Exstaticum war das Präludium zu einem viel umfangreicheren Werk, das den Titel Mundus Subterraneus trug und zu seinen Lebzeiten äußerst gefeiert wurde. Es war dies ein Überblick über die Geologie, der, von beträchtlicher Originalität, den Anspruch erhob, sich auf Erfahrungen sowohl des Autors als auch dessen Helfer zu stützen. Diese reichten von jesuitischen Mitbrüdern über den Kurfürsten von Mainz und Friedrich von Hessen-Darmstadt, Erzbischof Lippay und Bernard Ignäc Martinitz bis zu Kaisern. Als Becher dieses Thema aufgriff, behauptete er sogar noch praxisorientierter zu sein, indem er Pläne für den Abbau nützlicher Minerale aus dem Schlamm der Donau usw. vorlegte. 62 Mit ähnlichen Problemen beschäftigten sich auch ortsansässige Ärzte und Kirchenmänner, die auszogen und Hinweise auf Naturphänomene sammelten. Einige dieser Ergebnisse wurden in den Berichten der Academia Naturae Curiosorum veröffentlicht, und manches führte zu einheimischen Diskussionen, wie etwa zwischen den beiden mährischen Doktoren J. F. Hertodt und Wenzel Ardensbach, die hitzig über die Eigenschaften der Flora und der Mineralien in ihrer Heimat stritten. 63 Gleichzeitig verlangten sowohl Astronomie als auch Physik nach einer Überprüfung der Hypothesen und nach der Konstruktion neuer Instrumente, mit deren Hilfe die Experimente durchgeführt werden sollten. Zwei bestimmte Forschungsgebiete erfreuten sich in Mitteleuropa großer Beliebtheit. Das erste war die Optik, in deren Bereich man das Werk Keplers und Scheiners fortsetzte, dessen 1619 in Innsbruck mit einer Widmung an Ferdinand II. veröffentlichter Oculus sowohl theoretische als auch praktische Aspekte der Sehkraft erörtert. Die Eigenschaften des Lichtes faszinierten Marci und sein Thaumantias aus dem Jahre 1648 enthält bemerkenswerte neue Beobachtungen über das Spektrum. Nach Marcis Tod befaßte sich ein steirischer Jesuit mit ähnlichen Themen. 64 Auch in der Optik stammt das umfassendste Compendium aus der Feder Kirchers, erneut auf Betreiben Ferdinand III. Kirchers Ars Magna Lucis et Umbrae berichtet viel von Farben, Linsen und Spiegeln, der Konstruktion und Anwendung von Teleskopen und Laternae Magicae (als deren Erfinder er mit einigem Recht bezeichnet wird). Ihr entschieden praktischer Zug bestätigt sich auch sonst im Werk Kirchers. Zeugnis hiefür sind die prächtigen Illustrationen dessen, was ein Mikroskop offenbart, die in einem posthumen Führer zu seinem Museum wiedergegeben sind. Diese Orientierung an der Praxis ging auf Studenten wie Jan Rakolupsky von Skalitz über, dessen sorgfältiges, handgeschriebenes Handbuch der Optik aus den Werken Kirchers, Schotts, Scheiners und der übrigen jesuitischen Verfasser schöpfte. 65 Eines der klassischen Probleme des 17. Jahrhunderts, der atmosphärische Druck, wurde in Mitteleuropa ebenfalls umfassend diskutiert. In den vierziger Jahren war Magni einer der führenden Verfechter der Möglichkeit eines Vakuums, und er ergötzte sich an dem daraus folgenden Meinungsstreit. Seine neuartigen Experimente sowie jene von Guericke, Boyle, Torricelli und Maignan wurden in seiner Heimat ausführlich besprochen. Schott widmete die frühen Bücher seiner Technica Curiosa zur Gänze einer zustimmenden Diskussion dieser Schlußfolgerungen. 66 Ähnlicher intellektueller Aufwand wurde der Hydraulik zuteil, vor allem seitens

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Dobrzenskys, der eine Abhandlung über die Eigenschaften von Wasser schrieb, in der er verschiedene Maschinen aufzeigte, die dazu verwendet werden könnten, sich die Wasserkraft zunutze zu machen. Weitere komplizierte Mechanismen zur Ausnutzung der Wasserkraft zieren die Seiten der Werke Kirchers, Schotts und der übrigen jesuitischen Naturforscher. Ohne Zweifel wurden einige von diesen auch tatsächlich konstruiert, um weiter in die Geheimnisse der sichtbaren Welt einzudringen. Die großartigen Apparate, die von dem deutschen Erfinder Georg Andreas Böckler beschrieben wurden, erfreuten sich eines weitverbreiteten Rufes im ganzen Reich; die Beschreibung eines solchen Apparates in einer Handschrift wurde sogar von Leopold I. zu Rate gezogen. 67 Inwiefern waren diese Wissenschaftler wirklich wissenschaftlich? Mit anderen Worten, inwieweit waren sie sich der notwendigen Voraussetzungen für gelenkte physikalische Experimente bewußt? Kirchers Beteuerung zu Beginn seines Magnes möge hier für die Einstellung vieler seiner Zeitgenossen stehen: „Ich habe in diesem Buch nichts, auch nichts so kleines, eingeführt, was nicht, soweit es in meiner Macht liegt, persönlich getestet und nachgewiesen ist (propriis experimentis comprobatum, stabilitumque)". Das Magnes stellt tatsächlich (wie sein Autor auch den Anspruch erhebt) eine Verbindung von Theorie und Praxis dar, und zeigt, obwohl es Gilbert und Kepler kritisiert, ernstzunehmende Einsichten in die Funktionsweise des Magnetismus.68 Einer der jesuitischen Kollegen Kirchers ging noch weiter. Francesco Lana-Terzi aus Brescia in Norditalien verfaßte ein dickes dreibändiges Werk über physikalische Versuche und Maschinen, die teilweise von ihm selbst erfunden wurden, wie etwa das visionäre Projekt für ein Flugschiff oder die etwas klassischeren Pläne für Thermometer und Mikroskope. Er veröffentlichte unter dem Titel Prodromo auch eine Einführung, die, wie das Hauptwerk, Leopold gewidmet war und deren Vorwort als wahres Manifest der neuen Philosophie umso eindrücklicher ist, als es in Italienisch und nicht in Latein geschrieben ist. Es ist immer falsch (so versichert Lana-Terzi seinem Leser), auf Spekulationen und universale Axiome zu bauen anstatt auf „isperienze certe, ed accuratamente fatte", der Autorität oder der allgemeinen Meinung zu folgen, anstatt der Induktion. Die Gelehrsamkeit muß dahingehend reformiert werden, daß sie den allgemeinen menschlichen Bedürfnissen dient. 69 Auch hier aber war die allgemeine Einstellung unter den habsburgischen Intellektuellen, ja sogar von Lana-Terzi selbst, weit weniger radikal als solche Gedanken vermuten lassen. Diese Stimmung spiegelt sich in dem Sammelsurium der Schriften Schotts wider, mit der grenzenlosen Neugier, dem Mangel an Unterscheidungsfähigkeit und der privilegierten und komfortablen Welt geschwätziger geistlicher Gelehrsamkeit. Sicherlich beschäftigte man sich auch mit der Praxis - so gelang es Caramuel, sich neben all seinen anderen Aktivitäten auch als Architekt zu betätig e n 7 0 - doch trat dies mit der Zeit eher in den Hintergrund, und es scheint keine näheren Kontakte zu irgendwelchen Handwerkern gegeben zu haben. Bestimmend war das höfische, nicht das städtische Milieu, die isolierten und spielerischen Kreise kaiserlicher Förderung. Ebenso wie die Mathematik zu arithmetischen Spielzeugen für Ferdinand III. und seine Söhne umgestaltet werden konnte, so konnte man den höchsten Sinn der Mechanik in der Bühnentechnik für das Hofburgtheater finden,

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jenen der Hydraulik in den Wassermaschinen für die Gärten der Paläste. Bezeichnenderweise fand die Physik ihr eigenes Äquivalent zur Quadratur des Kreises, die Suche nach der ewigen Bewegung, ein Unterfangen, das keinesfalls so verpönt wie letztlich ohne jeglichen praktischen Nutzen war. Unausgesetzt diskutierten und beschrieben Kircher, Schott, Dobrzensky, Becher und ihresgleichen das Perpetuum mobile, wobei sie das verursachende Prinzip manchmal mit dem Magnetismus, manchmal mit den atmosphärischen Veränderungen und manchmal mit der Wasserkraft in Zusammenhang brachten. Auch Lana-Terzi wandte einen Großteil seiner Energie für die Suche nach einem diesbezüglichen Beweis auf.71 So besaß der Empirismus seinen eigenen, dennoch untergeordneten Platz unter den philosophischen Prioritäten Mitteleuropas. Das Experiment diente letztlich dazu, alte Annahmen zu beweisen, es war Teil einer von vornherein angenommenen Harmonie des Wissens. Das mag uns helfen zu verstehen, warum die Musik als Verkörperung der praktischen und theoretischen Harmonie eine so große Rolle im österreichischen Barock des 17. Jahrhunderts gespielt hat. Die Errungenschaften der Komponisten und Ausführenden wurden durch tiefergreifende Überlegungen über den Sinn der Kunst untermauert. Das erste umfassende musikalische Lexikon erschien 1701 in Prag. Kircher widmete die vielleicht beste all seiner monumentalen Abhandlungen der Musikwissenschaft und zählte auch zu den internationalen Experten sowohl der tatsächlichen Technik der Musik als auch ihrer metaphysischen Grundlagen.72 Es ist wohl kaum ein Zufall, daß die habsburgischen Gelehrten so großes Interesse an der Konstruktion eines „Organum" zeigten, das sowohl die Königin der Musikinstrumente sein sollte (Dobrzensky entwarf ein solches 1668 für Leopold in Prag) als auch darüber hinaus - was Generationen von Scholastikern durchaus geläufig war - ein logischer oder mathematischer Schlüssel zum Universum. Nicht umsonst beschreibt Kircher in seiner Vorrede zur Musurgia die gesamte Welt als eine Orgel, die vom Schöpfer gespielt wird. 73 Waren die Instrumente vielleicht auch neu, so waren die Töne doch alt. Neue, möglicherweise zersetzende Kräfte wurden durch das traditionelle intellektuelle Muster in Schach gehalten, eine keinesfalls gänzlich unflexible doch abwehrbereite Geisteshaltung. Nachdem das geklärt ist, sind wir in der Lage, uns dem zentralen Problem der barocken Weltanschauung zu widmen, ihrem Okkultismus. Während die Naturphilosophie sicherlich die am leichtesten verwundbare Stelle der damaligen katholischen Orthodoxie war, konnten Zeitgenossen sich einer bereits in der Spätrenaissance ausgearbeiteten Verteidigungsstrategie zuwenden. Wie ich bereits an anderer Stelle zu zeigen versucht habe, lag eine der wesentlichsten Wurzeln der Magie im 16. Jahrhundert in den Spannungen zwischen den anerkannten Autoritäten und dem fortschrittlichen Wissen, und die Kombination von Realismus und Irrationalität war ein entscheidendes Element des Manierismus.74 Die Bedingungen wurden nun im Zusammenhang mit der Gegenreformation neu festgelegt, intellektuell verletzbarer, emotional und geistig jedoch stabiler. Der Manierismus steigerte sich zum Paradoxon und Mysterium des Barock. Vor einem solchen Hintergrund konnte Gelehrsamkeit wahrhaft dazu bestimmt werden, Wunder vorzuführen, und man berief sich auf das Okkulte als einer Form der quasi-wissenschaftlichen Erklärung.

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Diese Entwicklung erfolgte nicht immer bewußt, doch Kircher entschlüpft diese Prämisse, wenn er sagt, daß sein Traktat über die Astronomie zeigen wird, „wie die Struktur der Welt nach viel tiefgründigeren Prinzipien aufgebaut ist, als sich jeder simple Geist aus früherer Zeit oder jeder vulgäre Philosoph unserer eigenen Zeit überzeugen konnte". Auch Schott äußert sich in seinem ersten großen Werk, der Magia Universalis Naturae et Artis ebenso explizit, indem er die „universale Magie" als eine Dimension aller anderen Wissenszweige, als den Kontakt des Menschen mit der zugrundeliegenden göttlichen Weisheit ansieht. Tatsächlich ist das gesamte Werk Schotts die beste Einführung in diese Literatur der Geheimnisse und Mysterien, und seine Titelseiten und Kapitelüberschriften locken mit Versprechungen von versteckten geistigen Schätzen, von mirabilia, curiosa, abdita, arcana, rara, recondita, prodigiosa, exotica . . . 7S Gleicher Enthusiasmus spricht aus den Berichten der Academia Naturae Curiosorum, aus dem Werk böhmischer Gelehrter wie Hertodt und vor allem Baibin, die stets auf der Suche nach Merkwürdigkeiten der Natur, vor allem der heimischen, sind, oder aus ungarischen Compendien über Wunder, die durch Szentivänyi und noch darüber hinaus erhalten geblieben sind. Ein typisches Spätprodukt, Antonius Gabons Physica Exotica aus dem Jahre 1717, beruft sich, indem es sich gegen die Skeptiker wendet, auf das „ardens ad arcanissima quaeque ingenium". 76 Solche Stimmung konnte leicht mystisch gefärbt werden. So war es das Ziel von Schyrls Astronomie, unseren Geist auf die Kontemplation Gottes zu richten. Caramuel fand Analogien zwischen der Mutter Kirche und der Ordnung des Himmels, der Natur und den Elementen. Visionäre Inspirationen waren die Richtlinien in einigen Arbeiten von Kircher und Magni. Hirnhaim betonte voll Skepsis die Erhabenheit der Mysterien der Natur. 77 All dies kam einer neuerlichen Beschwörung eines vitalistischen Universums mit seinen verborgenen Analogien und Sympathien gleich. Natürlich maßen viele Europäer den Symbolen im 17. Jahrhundert Bedeutung bei (auch wenn ihre große Zeit bereits dem Ende zuging). Gelehrte waren allerorts häufig leichtgläubig. Insbesondere Spanien unterschied sich kaum vom Reich, was beispielsweise die Karriere des deutschen Jesuiten Nieremberg in Spanien beweist. 78 Die mitteleuropäische katholische Philosophie zeigt jedoch eine durchgehende Geisteshaltung auf, die selbst alltäglichsten Phänomenen eine „magische" Funktion zugestand. Diese Einstellung war unter den Aristotelianern weit verbreitet, vor allem aber auch unter den Platonisten und Synkretisten, die noch über Aristoteles hinausgingen. Es ist fast so, als suchten ihre Befürworter im Gegensatz zu dem revolutionären Wahlspruch der Cartesianer eine (nach ihren irrationalen Prämissen durchaus begründete) Ausrede für nebulose und verschwommene Ideen. Ein Gegensatz, der noch deutlicher wird, erinnert man sich, daß Descartes den Anspruch erhob, seine neue Methode anläßlich einer Reise als Söldner durch die Habsburgerländer gerade in den Jahren um 1620, als diese dem Katholizismus gesichert wurden, gefunden zu haben. 79 Insofern erwies sich die okkulte Philosophie als bewundernswerte Glaubensgrundlage der etablierten Gesellschaft, da sie sowohl die katholische Wahrheit als auch die soziale Ordnung zu bestätigen schien. Gelehrsamkeit muß mit dem Dogma nicht in Konflikt geraten, doch gab es viele Möglichkeiten für eine Wechselwirkung zwischen den beiden. Während die natürliche Magie Gründe für übernatürliche und

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mysteriöse Aspekte des Glaubens aufzeigte, bot die katholische Lehre Raum für das Wirken der Anhänger der natürlichen Magie. In welch großem Gegensatz hiezu stand die scharfe Mißbilligung all dessen, was sich mit übernatürlichem beschäftigte, durch den offiziellen Calvinismus! Ganz offensichtlich nehmen sowohl hier als auch andernorts die deutschen Lutheraner mit ihrer Vorliebe für wundersame und sympathetische Kuren eine Mittelstellung ein. 80 Zweifellos dachten katholische Verfechter des Okkulten, sie könnten ungezwungenere Neugier mit umfassender Orthodoxie verbinden. Kircher interpretiert einige Kreuze, die nach einem Ausbruch des Vesuv an den Gewändern der Leute gefunden wurden, als Wunder des Allmächtigen, den Fall der Mauern von Jericho als Beispiel der „musikalischen Magie". Baibin spricht von wohltätigen übernatürlichen Kräften, unversehrten Leichen und ähnlichem. Die Academia Naturae Curiosorum veröffentlicht Beschreibungen von „Raritäten der Natur", von einem Stein, in den der Name Christi eingeritzt war, oder von dem Antlitz der Jungfrau in einem Mineral, und dankt Kaiser Leopold für deren Ubersendung. 81 Sowohl Schott als auch Szentivänyi brachten ihre Faszination durch die Mystik der Buchstaben anhand einer Sammlung bizarrer Anagramme über das Ave Maria zum Ausdruck. Bezeichnenderweise gelang es Szentivänyi, ein solches Anagramm für jeden Tag des Jahres zu konstruieren. 82 Gleichzeitig war dies eine Gelehrsamkeit, die nicht weniger bestrebt war, sich anzupassen als zu bestätigen. Das lag in der Natur ihrer Förderer, doch blieb sie nicht an der Oberfläche. Es zeigt sich hier ein mystischer Zug in den symbolischen Formen der habsburgischen Kultur, der in wiederholten Widmungen und Titelbildern zutage trat, die die kaiserliche Dynastie, nicht im Sinne einer bloßen Ähnlichkeit, sondern in einer Art realen Zusammenhangs, mit der Sonne, dem Magnet, der Quelle der Harmonie und der treibenden Kraft gleichsetzten. 83 Außerdem verwirklichten sich all diese Bemühungen in einer geschlossenen, esoterischen und exklusiven Gemeinschaft, die sich mit den Dingen „a vulgi captu aliena" beschäftigte, eine staunende Clique von Eingeweihten, die unter dem Schutz der Höfe und des Hochadels stand. Die Betonung lag stets auf der passiven, kontemplativen Seite des Lebens, der Philosophie der Anerkennung. Auch wenn es sich um eine „angewandte Magie" handelte, blieben die Ausübenden meist scherzhaft, voll der Anspielungen, wie in der Jocoseria Naturae et Artis, einer Sammlung verschiedener Tricks und unglaubwürdiger Effekte, die von Schott unter einem weiteren dieser wortspielerischen, jesuitischen Pseudonyme herausgegeben wurde, deren Bedeutung (wenn sie auch ein offenes Geheimnis für die Zeitgenossen war) für uns verloren scheint. 84 Nicht alles jedoch, was mit Magie zu tun hatte, war entweder christlich oder vom Gesetz her erlaubt. Das Okkulte stellte auch eine enorme Bedrohung sowohl für die katholische Wahrheit als auch für die soziale Ordnung dar. Wie allen klar war, gab es eine andere Art der Magie, die schwarze Magie des Aberglaubens, die sich auf geheime Mächte nicht Gottes, sondern des Teufels stützte. Das gesamte System konnte potentiell als Dämonologie abgestempelt werden. Ebenso offensichtlich konnte ein Großteil der einfachen Bevölkerung leicht von einer tätigen Beschäftigung mit dem Übernatürlichen angezogen werden. Die angewandte Magie der nicht privilegierten Schicht zog unmittelbare praktische Folgen nach sich: Wahrsagerei, Hexerei und

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Zauberei. Dieser Wunsch des kleinen Mannes, seine physischen Bedürfnisse durch okkulte Mittel zu befriedigen, unterschied sich völlig von den reflektiven Arkana der wohlhabenden Schicht. Diese enorme Herausforderung durch solch heidnisches Treiben war in allen Kirchen zu spüren. Auf örtlicher Ebene wurde dadurch im 16. und 17. Jahrhundert ein Großteil ihrer Energien in Anspruch genommen. Die jüngere Literatur betont vor allem die Ähnlichkeit der Reaktionen seitens katholischer und protestantischer Reformer gegenüber den tiefverwurzelten Überresten einer vor-christlichen Gesinnung und die Gleichartigkeit ihrer Versuche, vor allem in den ländlichen Gebieten eine neue Moral und Kultur zu erzwingen.8S Daneben gab es aber auch große Differenzen zwischen den einzelnen Glaubensrichtungen, ganz abgesehen von den entscheidenden Charakterzügen einer mitteleuropäischen Entwicklung, wo sich der Katholizismus gegenüber abgesonderten religiösen Gemeinschaften und inmitten des konstanten Druckes durch örtliche Häresien langsam und verspätet behauptete. In einem grundlegenderen Zusammenhang unterschied sich die katholische Kirche gerade dadurch, daß sie auf dem Wunderbaren und dem Sakramentalen aufbaute und das Übernatürliche solcher Art betonte. Nachdem man sich der weißen Magie für die Sache der Heiligkeit bedient hatte, forderte die Gegenreformation eine klare Definition der schwarzen Magie und einen entschiedenen Kampf dagegen. Eine solche Definition war, wie dies in der Natur der Sache lag, unmöglich, da die Phänomene, die sie zu definieren versuchte, nur als Gedankengebilde existierten, als eine Mischung aus gelehrter und volkstümlicher Leichtgläubigkeit. Eine Suche danach war jedoch für einen Erfolg des Katholizismus im 17. Jahrhundert lebenswichtig. Und nicht nur für einen Erfolg des Katholizismus, da der Definition sowohl eine soziale als auch eine geistige Bedeutung zukam. Ein Großteil der Magie war den Gebildeten erlaubt, den Ungebildeten jedoch verboten. Das Ergebnis war also für Staat und Kirche gleichermaßen nutzbringend. Während der Kompromiß mit der weißen Magie einer Elite erlaubte, ihre integrale katholische Weltanschauung aufrechtzuerhalten, erzwang der Angriff auf den Aberglauben Hierarchie und Unterordnung. Das eine Gesicht des Janus war der Diener der politischen Nation, das andere diktierte die Gesellschaft als ganzes. Wie ich in den nächsten beiden Kapiteln versuchen werde zu zeigen, mußte die intellektuelle Synthese der mitteleuropäischen Gegenreformation die Magie billigen, seine soziale Realisierung jedoch mußte sie verdammen.

KAPITEL 10

Der Kompromiß mit der gelehrten Magie In den Tagen Maximilian II. und Rudolfs konnte jeder mitteleuropäische Intellektuelle nahezu jede Spekulation anstellen, die ihm beliebte. Die Gegenreformation änderte an dieser Freiheit überraschend wenig, vorausgesetzt allerdings der Betreffende erkannte ihre politischen und sozialen Spielregeln sowie ihre Lehrsätze an. Die neuen katholischen Autoritäten, die in einen steten Kampf gegen den Aberglauben verstrickt waren, verabsäumten es, sich zu der leidigen Frage des Okkultismus als solches zu äußern. Das Konzil von Trient brachte, so ausdrücklich es zu Fragen der Organisation und der Disziplin Stellung nahm, kaum irgendeine philosophische Klärung. Der Römische Index beschäftigte sich in erster Linie mit der faßbaren protestantischen Häresie und bannte demgemäß deren Magier. Auch wenn der Index später, wie allgemein bekannt, eine umfassendere Anwendung fand, untersuchte er bei weitem nicht so häufig, wie dies von Kritikern oft angenommen wurde, die Spitzfindigkeiten der akademischen Auseinandersetzung. Gleiches gilt für die Inquisition, und man bediente sich ihrer, abgesehen von einigen wenigen bedauerlichen Ausnahmen, nur selten, um geachtete Gelehrte zu quälen. Von größerer Bedeutung ist, daß dort, wo das Papsttum eine unklare Haltung einnahm, die Stellung der Habsburger noch weniger klar umrissen war. Den Tridentiner Beschlüssen wurde keine meßbare offizielle Rückendeckung zuteil und (im Gegensatz zu Spanien) im 17. Jahrhundert nicht einmal ein eigener Index veröffentlicht, geschweige denn beachtet. 1 So wurden Autoren, die in Rom angezeigt wurden, unter ihnen auch Magni und Hirnhaim, in Österreich nicht automatisch verboten, und für die Inquisition jenseits der Alpen gibt es nur sehr wenige Anzeichen. Zweifellos schlug die Zensur, die gegen die Bevölkerung als solche ziemlich streng vorging, zu, wenn sich die Gelegenheit bot, doch stand dies eher in Zusammenhang mit einzelnen Persönlichkeiten, als daß man eine konsequente Politik verfolgt hätte. Daher konnte sie dementsprechend leicht anders ausgelegt werden, als Lambeck, Lamberg und Kinsky in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts intervenierten, um Balbins Epitome zu retten. 2 Nichtsdestoweniger, Magie war Magie, ein Wort, das nach christlichem Dafürhalten seit den Zeiten eines Simon Magus verdächtig war, und ernstzunehmende Forscher auf diesem Gebiet fühlten sich bloßgestellt. Gerade die Tatsache, daß es keine Unterscheidung zwischen einer schüchternen Beschäftigung mit mystischen Problemen oder unschuldigem Staunen und völlig ruchlosen Studien gab, machte sie verwundbar. So schützten sie sich durch übertriebene und durchaus aufrichtige Beteuerungen der Orthodoxie. Was Marci betrifft, so erachtet er jede Ansicht, die die Mutter Kirche beleidigt, als „ungesagt und widerrufen". Schott bittet um Entschul-

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digung, sollte seine gelehrte Mäßigung „abergläubige, gottlose oder wahnsinnige Dinge" zu entschuldigen scheinen. Andere Autoren überlassen ihr Werk, mit einer mehr oder weniger standardisierten Formulierung, dem besseren Urteil der heiligen katholischen Kirche.3 Je mehr Dementis es gab, umso klarer wurde natürlich, daß dieses Terrain immer gefährlicher wurde. Dies hielt jedoch die Gelehrten nicht davon ab, diesen Boden - im allgemeinen straffrei - zu betreten. Es mangelte ihnen sicherlich nicht an mehrdeutigem Lesestoff und viele von jenen, die, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, gegen den allgemeinen Aberglauben wetterten, waren ungewöhnlich vertraut mit dem Wesen des Aberglaubens und dessen Anhängern. 4 Gleichgültig, ob sie auf dem Index aufschienen oder nicht, die Werke der meisten großen europäischen Magier waren leicht erhältlich: Agrippa und Paracelsus, Khunrath, Fludd, Maier und all die anderen. 5 Der Feldherr Montecuccoli kannte Robert Fludds Schriften anscheinend beinahe auswendig. Leopold I. besaß so verbotene Werke wie etwa die Cosmographia von Guillaume Postel. In der Bibliothek des Grafen Sternberg standen rein sachliche Texte über militärische Technik unmittelbar neben höchst geheimnisvollen Abhandlungen. Ebenso auch in der Bibliothek des habsburgischen Untertanen Friedrich Hirsch. Verzeichnisse der zeitgenössischen magischen Literatur - ein solches wurde auch von Lambeck für den Kaiser erarbeitet - gewähren Einblick in den Umfang des in den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts veröffentlichten Materials sowie dessen Verfügbarkeit in Mitteleuropa. 6 Widmen wir uns also einigen der besonders spekulativen Gebiete, auf die sich die habsburgischen Denker vorgewagt haben. Beginnen wir mit der Astrologie, einer der grundlegenden Komponenten der Philosophie eines in innerer Wechselbeziehung stehenden Kosmos. Der Glaube an die Einflüsse der Himmelskörper barg auch den Glauben an die Vorhersagbarkeit irdischer Ereignisse. Nun stand man von offizieller katholischer Seite her - aus Gründen, die später untersucht werden sollen - einer solchen Vorhersage im 17. Jahrhundert äußerst argwöhnisch gegenüber. Nichtsdestoweniger waren einige Gelehrte aus diesem Lager auf eifrige Weise empfänglich für gewisse Teile des astrologischen Erbes. „Vorausgesetzt, dies hält sich in Grenzen", sagt Schott, „und läuft nicht Sturm gegen die Zitadelle des freien Willens, so ist dies lobenswert." 7 Aber wie sollte der freie Wille verteidigt werden? Auf diese Frage fand niemand eine befriedigende Antwort. Die Gebildeten waren sich jedoch darüber weitestgehend einig, daß es einen Unterschied zwischen der rein philosophisch ausgerichteten Astrologie und jener gab, die mit Hilfe von empirischen Gesetzmäßigkeiten Vorhersagen erlaubte. Während letztere mit der abergläubigen Erstellung von Horoskopen gleichbedeutend war, versuchte erstere lediglich den göttlichen Plan zu verstehen, also Gott zu verstehen, der durch die von ihm geschaffenen Einflüsse in Erscheinung trat. Eine solche Definition stützte sich, wie alle Definitionen zur Abgrenzung der weißen von der schwarzen Magie, in höherem Maße auf Vermutungen denn auf Beweise und dadurch erhielten bloße Worte letztlich eigene Legitimationskraft. Es wurde erlaubt, „Naturphänomene" vorherzusagen, besonders jene, die in engem Zusammenhang mit astronomischen Berechnungen standen: Himmelszeichen, Ern-

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ten oder ähnliche im Freien beobachtbare Phänomene, doch auch andere Implikationen eines okkulten Universums, die der einzelne Verfasser für zutreffend hielt. 8 Tatsächlich gab es hier umfassende Möglichkeiten. Die Chiromantie und die Metoposkopie oder die Physiognomie (in etwa das, was das 19. Jahrhundert später als „Phrenologie" bezeichnen sollte) waren in den gelehrten Kreisen Mitteleuropas scheinbar weit verbreitet. 1667 erhielt Leopold vom Titularbischof (mehr titular als Bischof möchte man meinen) von Budva in Dalmatien eine Abhandlung über die Techniken der Handlesekunst, und Schott äußerte sich, wie zu erwarten, wohlwollend zu diesem Thema. 9 In einem größeren Zusammenhang wurde Astrologie häufig als Faktor der medizinischen Theorie heraufbeschworen. Eine Analyse der kosmischen Kräfte trug dementsprechend dazu bei, Arzneimittel für den menschlichen Mikrokosmos zu finden. Gerechterweise muß gesagt werden, daß die Astrologen im frühmodernen Europa sich bei der Verwendung ihrer Meßergebnisse und bei der Suche nach physikalischen Gesetzen einer quasi-wissenschaftlichen Vorgangsweise bedienten, auch wenn ihre Grundannahmen falsch waren. In den Habsburgerländern aber beschäftigte man sich vor allem mit den Mysterien der Natur, die auf jene, die sich ihnen widmeten, eine ausgesprochen religiöse Anziehungskraft ausübten. Nirgends wird deutlicher, daß sich die Gelehrsamkeit der Gegenreformation selbst gerade deshalb in hohem Maße mit den verbotenen Künsten beschäftigte, um besser herausfinden zu können, inwieweit sie wirklich verboten werden sollten. Die Astrologie stand in engem Zusammenhang zu einem anderen oft verrufenen okkulten Wissenszweig, der Kabbala, der geheimen Weisheit der Juden. Ihre vielgestaltigen magischen Glaubensinhalte, die alle auf einer spekulativen Kosmologie beruhten, verliehen den Eingeweihten angeblich die Macht, die Welt zu erläutern und, bis zu einem gewissen Grad, deren Ablauf vorherzusehen. Beide Zweige des Kabbalismus waren integrierte Bestandteile der okkulten Studien der Renaissancezeit in Mitteleuropa gewesen, und es gibt einige Beweise dafür, daß die angewandte Form dieser Lehre ihre geheime Gefolgschaft unter dem Adel weiter behielt. 10 Noch bemerkenswerter ist, daß selbst offizielle kirchliche Vertreter die Verdienste der theoretischen Kabbala anerkannten, obwohl nahezu die gesamte hebräische Literatur nominell auf dem Index stand. Schott gibt seine übliche umfangreiche Erklärung, wobei er sich in für ihn charakteristischer Weise im Zweifelsfall dafür aussprach. Wie Kircher, so war auch er auf diesem Gebiete sehr belesen. 11 Der Fall Caramuel liegt etwas komplizierter, da er ein tiefes Interesse für die kabbalistischen Ideen mit einer feierlichen Verdammung des jüdischen Aberglaubens verbindet. Vielleicht war ihm dieses Thema zu heiß, um es in einer publizierten Arbeit zu behandeln. Mit offensichtlicher Enttäuschung spricht er davon, daß ihm in seiner Jugend die Beschäftigung mit den wahren hebräischen Mysterien durch die Blasphemien der Rabbiner vergällt wurde, das Buch jedoch, das er über eine „geläuterte" Kabbala ankündigte, dürfte scheinbar nie veröffentlicht worden sein.12 Inzwischen schuf der unmittelbar jenseits der österreichischen Grenze in Sulzbach lebende gewissenhaftere, doch noch weniger orthodoxe Gelehrte Christian Knorr von Rosenroth dem Philosemitismus des 17. Jahrhunderts das größte Denkmal. Die Titel seiner zwei massiven Bände sprechen für sich selbst: Kabbala Denudata seu Doctrina Hebraeorum transcendentalis et metaphysica atque theologica.13

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Knorr hat nicht nur den wichtigsten kabbalistischen Text, das Buch Zohar, übersetzt und herausgegeben, er verfaßte auch als Erläuterung hiezu ein ganzes Lexikon und sammelte alle verfügbaren bedeutenden hebräischen und christlichen Kommentare. Selbst Knorr mußte Diskretion üben, und seine Kabbala Denudata erschien anonym. Daß sie überhaupt erscheinen konnte, weist auf eine Atmosphäre in Mitteleuropa hin, die, trotz der allgemeinen Intoleranz, eine Veröffentlichung vieler geistiger Höhenflüge einer esoterischen Phantasie zuließ. Im frühen 18. Jahrhundert unterstützten die Habsburger David Oppenheimer (1664-1736), den Rabbiner und bibliophilen Neffen ihres Hoffinanzmannes Samuel, auf das entschiedenste. 14 Ein durchaus allgemeingültiges Charakteristikum des Kabbalismus war die Gematrie. Es gab viele Fanatiker der Buchstabenmagie, die sich gut in das Bild jener weitverbreiteten Leidenschaft des Barock für Wortspiele, Anagramme, Chronostichen und ähnliches einfügte. ls Solche Geisteshaltung konnte nur schwerlich der Versuchung der Geheimschriften widerstehen, jener Tradition der berüchtigten Steganographia des Abtes Trithemius von Sponheim, einer Abhandlung über die Kunst der geheimen Kommunikation, die alle Arten von geheimnisvollen Formeln anführt und sich stark auf die Prinzipien der astralen Sympathie und Antipathie stützte. Es fällt uns nur allzu leicht, die Steganographia als ein Konglomerat trivialer Chiffrierungsübungen abzutun, die nichts mehr als ein grotesker Hokus-Pokus sind. Zeitgenossen maßen ihr jedoch eine viel tiefere Bedeutung bei. Während des gesamten 16. Jahrhunderts war dieses Werk eines gelehrten fränkischen Mönches, von allen Kirchen verabscheut, lediglich als Manuskript zu finden. Als es schließlich 1606 von Protestanten gedruckt wurde, begegnete Rom der Provokation und setzte das Buch entschlossen auf den Index. 16 Doch Trithemius' geistige Nachfolger in Süddeutschland und Österreich nahmen sich seiner Causa erneut an. Zunächst beanspruchten einige bayrische Jesuiten und Benediktiner die Steganographia für ihre eigene idealisierte Abart der natürlichen Magie. Dann entwickelte der junge Caramuel, dessen ausführlicher Kommentar mit kirchlicher Genehmigung erschien und von Ferdinand III. und Martinitz auf das wärmste begrüßt wurde, dasselbe Thema weiter, wobei er die „ars ingenua ab omnique superstitionis notä libera" seiner Vorlage und ihre Übereinstimmung mit der heiligen Kabbala pries. Auch Kircher und sein getreuer Schüler Schott widmeten der Untersuchung der Steganographia viel Zeit und kamen zu derselben Schlußfolgerung. Sie sei ein wundervolles neues Kunstwerk zur Erforschung und Nutzbarmachung der Mysterien der Natur. Noch 1721 wurde ihre Meinung durch den Segen des Erzbischofs von Mainz erhärtet.17 Tatsächlich waren Kircher, Schott und ihre Kollegen vor allem von der praktischen Seite der okkulten Schriften fasziniert, von den Methoden zur Verschlüsselung von Botschaften, die Trithemius in einem weniger umstrittenen Lehrbuch unter dem Titel Polygraphia erarbeitet hatte. Viele dieser „Geheimnisse der Kommunikation" entpuppen sich als kaum geheimnisvoller als Brieftauben oder unsichtbare Tinte. Kirchers eigene „Polygraphie" war eine stenographierte Geheimschrift, die auf dem Lateinischen basierte, jedoch auf jede beliebige Sprache anwendbar sein sollte, vorausgesetzt, daß beide Korrespondenten über den Schlüssel verfügten und sich einer einfachen Ausdrucksweise bedienten. Er sandte eigenhändig geschriebene Kopien hievon an den Kaiser, Erzherzog Leopold Wilhelm und Bernard Ignäc Martinitz.

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Becher beschäftigte sich mit einem ähnlichen Projekt, und bereits zu einem früheren Zeitpunkt adaptierte der habsburgische Sekretär Rafael Mniäovsky das Werk des Trithemius, um den jungen Ferdinand III. tschechisch zu lehren. 18 Dennoch waren es die geheimnisvollen Assoziationen der Geheimschrift, die jene Autoren anzogen. Sie ahnten dahinter die Grundzüge einer universalen Sprache, eine Gesamtdarstellung der okkulten Realität. 1 9 Der barocke Intellekt bedurfte nicht nur eines Vokabulars, sondern auch einer Grammatik der Harmonie. Wie Trithemius war der katalanische Philosoph Raimundus Lullus im 17. Jahrhundert immer noch (im wahrsten Sinn des Ausdrucks) ein Name, der Wunder wirkte. Auch dieser, obwohl in seiner eigenen mittelalterlichen Sicht ein guter Katholik, erfreute sich nicht der Gunst Roms. Lullus' Anspruch auf Ehre oder Ehrlosigkeit beruhte auf der Ars Magna oder Combinatoria, einem logischen Schlüssel zum Verständnis, der darauf abzielte, Einblicke jenseits der Sprache zu gewinnen und das wahre Wesen der Dinge zu erkennen. 20 Seine Methode zog vor allem jene an, die im Schatten der auf Synthese abzielenden Ambitionen der Neuscholastiker herangewachsen waren. In erster Linie die Jesuiten schenkten ihr besondere Aufmerksamkeit. Einer ihrer Hauptpropagandisten war Kircher, der anscheinend durch den stets wißbegierigen Kaiser Ferdinand III. hiezu ermutigt wurde. Kircher stützte seine Polygraphie auf die Lullistischen Prinzipien und baute selbst eine „universale Kunst" auf. Während ein distanzierter heutiger Betrachter letztere als pompösen Schematismus ansehen muß, der durch eine gewisse vordergründige Konsistenz besticht, zog diese „universale Kunst" die Aufmerksamkeit von Lutheranern wie Leibniz und Kuhlmann auf sich. Auch wurde sie von schwunglosen Schülern in Böhmen und Ungarn, wie etwa Caspar Knittel und Martin Szentivänyi, erläutert, die sie auf alle nur denkbaren Wissenszweige, von der Theologie bis zur Landwirtschaft, anwandten. 21 Diese Form der „Analogie aller Wissenschaften", wie Caramuel es nannte, war eine Facette des allgemeinen okkulten Strebens nach Einheit des Wissens und konnte quantitative Form annehmen. Das Äquivalent hiezu im Bereich der Zahlen war, wie selbst der etwas schwerfällige Knittel erkannte, der Pythagoräische Mystizismus, diese der Kabbala eng verwandte Lehre. Kircher beschäftigte sich in einem Buch, das er voll des Überschwangs Ferenc Nädasdy widmete, ausführlich mit dem Pythagoräanismus. Nachdem er zunächst dessen blasphemische Teile (Sigel, Talismane usw.) zurückweist, erörtert er in der Folge die große Bedeutung der Zahlen sowohl für die katholische Theologie als auch für eine natürliche, okkulte Offenbarung des Göttlichen. 22 Kirchers Schlüsselzeichen ist eine mystische „Eins" oder, um den Terminus der Eingeweihten zu verwenden, eine „Monade", aus der alle weiteren komplizierteren Aggregationen erwachsen, die dann, ähnlich den Hieroglyphen, tatsächlich das Wesen der geschaffenen Welt offenbaren. Aus einigen Beispielen geht hervor, daß Kircher mit seiner Suche nach der Monade nicht allein stand. Verschiedene Manuskripte aus jener Zeit bezeichnen und veranschaulichen ein derartiges Zeichen. Das erstaunlichste und vielsagendste Manuskript weist auf ungeahnte Verbindungen zu England hin, wenn auch zum früheren England des Elisabethinischen Humanismus und Symbolismus. Die außerordentlichsten Theorien über die

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Monade wurden von dem gelehrten und berühmten Dr. John Dee aus London verfaßt und mit einer langen, höchst schmeichelhaften und in angemessener Weise unverständlichen Widmung an Maximilian II. 1564 in Preßburg vorgelegt. Hundert Jahre später war Dee allerdings bei seinen eigenen Landsleuten, die ihn mehr oder weniger als Zauberer verurteilten, nicht mehr sehr angesehen. Doch seine Ideen dürften in Mitteleuropa ein anhaltenderes Echo gefunden haben, da wir nun einem schlesischen Untertanen der Habsburger begegnen, der auf dessen Monas Hieroglyphica zurückgreift, eine deutsche Übersetzung mit Kommentar vorbereitet und diese dem Zisterzienserabt von Grüssau schenkte. 23 Was der als durch und durch korrekt geltende Bernardus Rosa zu diesem Geschenk sagte, ist allerdings nicht überliefert, doch dürfte der Absender sein Werk wohl kaum für wahrhaft ketzerisch gehalten haben. Hatte nicht ein kluger Kaiser dieses Opus angeregt und sich zu dessen Gunsten ausgesprochen? All diese okkultistischen Strömungen standen in der ehrwürdigen Tradition der geheimen Wissenschaft. Tatsächlich wurden die Manifestationen im Lauf der Zeit umso esoterischer je älter die Tradition war. Das gilt auch für den Piatonismus bzw. Neuplatonismus. Diese Schule übte, durch viele Renaissancedenker übermittelt, im 17. Jahrhundert immer noch einen beherrschenden, wenn auch unbestimmbaren Einfluß aus. Sie war immer noch, in Anbetracht der inneren Flexibilität der katholischen Gelehrsamkeit, in gewissem Sinn durchaus orthodox. Der Piatonismus jedoch wurde auch oft in Zusammenhang mit der fortschrittlicheren Magie gesehen, wie etwa der Astrologie oder der Kabbala. Autoren, die von diesem stark beeinflußt waren (wie ζ. B. Marci) konnten leicht zu wilden Phantastereien über Emanation oder den Archeus verleitet werden. Der esoterische Kult wird in Verbindung mit jener Tradition, die von sich behauptete, die älteste von allen zu sein, sogar noch deutlicher, in der Hermetik oder den ägyptischen Mysterien, die sich angeblich von Hermes Trismegistus, dem obersten Magier, Priester und Gesetzgeber des alten Ägypten, herleiteten. Da die „hermetischen" Texte (Pymander und Asclepius) in Wahrheit erst im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus zusammengetragen wurden, weisen sie natürlich große Ähnlichkeit mit den erklärt neuplatonistischen Ideen auf, und viele mitteleuropäische Autoren waren mit ihnen durchaus vertraut. Dieses Thema barg insgesamt große Gefahren in sich. Nachdem Marci uns davon berichtet, wie er sich das erste Mal mit hermetischen Studien befaßte, erzählt er dann die Geschichte eines alten Prager Dominikanerpaters, der durch die Beschäftigung mit solchen Studien in völlige geistige Verwirrung gestürzt wurde. Hier kam es darauf an, sogar mehr Dementis als sonst üblich abzugeben. 24 Die ägyptischen Mysterien spielten dennoch eine Schlüsselrolle in der okkulten Synthese des habsburgischen Katholizismus, und Athanasius Kircher, dieses Orakel des Wiener Hofes, war der bedeutendste aller Hermetiker im Europa des 17. Jahrhunderts. Wie und warum Kircher sich um eine Neuinterpretation dieser scheinbar nicht reduzierbaren heidnischen Lehre im Lichte ihrer Konformität mit der christlichen Theologie abmühte, werde ich im zwölften Kapitel ausführen. Er teilte dieses Interesse zweifellos mit anderen Intellektuellen der leopoldinischen Ära. Der Übersetzer Dees beschreibt sich selbst als „der hermetischen Philosophie beflissen" und bezieht sich häufig nicht nur auf Kircher, sondern auch auf den fortschrittlichen

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Hermetiker Khunrath. Ein faszinierendes unveröffentlichtes Traktat eines böhmischen Augustinermönches aus den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts versucht die katholische Lehre mit der umfassenden hermetischen Philosophie in Einklang zu bringen. Der Verfasser unterwirft, in seiner Meinung durch die Arbeiten so außergewöhnlicher Gelehrter wie Kircher, Hirnhaim und Becher bestätigt, die grundlegenden christlichen Dogmen einem Vorgang, der nur als hermetische Umwandlung beschrieben werden kann. Auch andere Manuskripte beschäftigten sich mit ähnlichen Themen: Saturna Regna sive Magisterium Sapientum per Hermeticas Positiones digestum: oder Compendiosa spiegazione . . . del Subietto delli veri Adepti Filosofi nel hermetica scienza.25 Wenn die Denkweise dieser beiden Texte sich bei näherer Betrachtung als erbärmlich schlicht erweist, so bewegt sie sich sichtlich nicht jenseits der Grenzen des Erlaubten, da beide eine Widmung an habsburgische Kaiser aufweisen. Auch ist erwähnenswert, daß die umfangreichste zur Verfügung stehende Ausgabe des Pymander in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts von einem Franziskaner in der katholischen Hauptstadt Polens herausgegeben wurde und vierzig Jahre später in der größten katholischen Stadt Deutschlands eine Neuauflage erfuhr. 26 Von der Hermetik ist es nur mehr ein kleiner Schritt zum letzten Zweig des gelehrten Okkultismus, einem Wissensgebiet, das in Mitteleuropa eine größere Verbreitung fand als alle anderen, zur Alchimie. Die Alchimie stieß nicht nur auf weitverbreitetes Interesse, sie hinterließ auch eine Vielzahl sowohl gedruckter als auch ungedruckter Zeugnisse, von denen ein Großteil bis heute weder gesichtet, geschweige denn ernsthaft untersucht wurde. Dies allein wäre Grund genug, den Rest des Kapitels diesem Thema zu widmen. Doch gibt es auch noch einen anderen Grund. Die Alchimie erschien vielen ihrer Verfechter als Höhepunkt des bislang entwickelten von Magie durchsetzten Systems, und eine Untersuchung der Alchimie soll manche Punkte beleuchten, die schon zur Debatte standen. Zu Beginn möchte ich diese immer wiederkehrenden Charakteristika in groben Zügen skizzieren, um dem Leser die Orientierung in einem sonst undurchdringlichen Dschungel zu erleichtern, zu dem es nur wenige Zugänge gibt. Kurz und bündig können sie unter vier Hauptpunkte zusammengefaßt werden. Erstens beruhte die Alchimie ebenso wie die sie fördernde Geisteshaltung auf instinktiv aufgestellten aristotelischen Prinzipien, die aber durch andere traditionelle Philosophien stark verändert wurden und sich seit der Renaissance zum Übernatürlichen hin entwickelt hatten. Die Transmutation eines Metalls war für orthodoxe Aristotelianer sicherlich ein schwerer Brocken, doch — ontologisch betrachtet — wohl kaum schwerer zu verdauen, als jener, den die Katholiken in der Frage der Transubstantiation schlucken mußten. Die Adepten schätzten sich sicherlich glücklich, Aristoteles ebenso wie Thomas von Aquin, Lullus und noch viele andere zu ihren Vorläufern zählen zu können. Abgesehen davon, daß die Alchimie mit ihrer Symbolik dem Neuplatonismus und der Kabbala nahestand, stand sie auch in enger Verbindung zu zwei weiteren okkulten Wissenschaften, der Astrologie und der Hermetik. Mit der Astrologie hatte sie die Struktur (bezeichnenderweise nicht aber den Anspruch auf Vorhersagbarkeit) gemeinsam, die allgemeine Theorie der Zu-

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sammenhänge und den Symbolismus der sieben planetarischen Metalle sowie die Theorie des Mikrokosmos, die den von den Iatrochemikern so gepriesenen metallischen Behandlungsverfahren zugrundelag. Ihren ursprünglichen historischen Ausgang nahm die Alchimie, nach Meinung der Zeitgenossen, in Ägypten, von wo sie auch die in der sogenannten Tabula Smaragdina verborgenen dunklen Prinzipien übernahm. Tatsächlich war dieser Zusammenhang eher umgekehrt, da nämlich die im 17. Jahrhundert so populäre Hermetik eine in eine seltsame Zaubersprache gekleidete, ziemlich einfache Alchimie war. Gleiches gilt weitgehend auch für die Suche nach der „hieroglyphischen Monade". 2 7 Das zweite Charakteristikum der Alchimie war die in den Rahmen einer spirituellen Suche eingebettete experimentelle Betätigung. Sie verband sozusagen äußerst praxisorientierte Metallurgie mit äußerst spekulativer Metaphysik. In den habsburgischen Landen gab es eine ganze Reihe von Stimuli für die angewandte Chemie: Minen und ihre Ausbeutung (vor allem in Ungarn, dessen Bergwerke wegen der in ihnen zu beobachtenden merkwürdigen Phänomene in ganz Europa berühmt waren); Ärzte, die sich den iatrochemischen Techniken des Paracelsus verschrieben, der auf dem kleinen Friedhof am Fuße des Kapuzinerberges in Salzburg begraben lag; oder einfach Kriegsherren, wie Wallenstein, die gierig nach Gold waren. 28 Alle zukunftsweisenden Weiterentwicklungen wurden jedoch durch eine kontemplative und irrationale Umgebung, die Abstruses, Esoterisches und letztlich Mystisches in den Vordergrund stellte, in hohem Maße neutralisiert. Hier wie in der gesamten Weltanschauung, unterlag die Physik der Metaphysik. Während es bei den Bergwerken durch ein Übermaß an Scharlatanerie und den Mangel an wahrem Unternehmertum zu einem Niedergang kam, entwickelten die späteren Paracelsianer eine ernsthafte chemische Philosophie, deren intellektuelle Anziehungskraft sich als umgekehrt proportional zur klinischen Brauchbarkeit erwies. 29 Die wachsende Besessenheit der Alchimisten, das Lebenselixier zu suchen, ist vielleicht ein Hinweis. Sie dienten eher dem Ideal der Erhaltung denn jenem der Neuschöpfung. Drittens war die Alchimie, wie der gelehrte Katholizismus im allgemeinen, keine starre Orthodoxie, sondern eine Auseinandersetzung innerhalb stillschweigend anerkannter Grenzen. Alchimisten waren untereinander uneins in Schlüsselfragen wie ζ. B. der Zahl der Elemente, und in ihren Kontroversen fehlte es (natürlich) nicht an ätzender Kritik. Gleichzeitig war ihre Wissenschaft scharfen Angriffen seitens einer Reihe heimischer Kritiker ausgesetzt. Die Einwände jedoch waren traditionelle, und die Widersacher, unter ihnen niemand geringerer als Athanasius Kircher, waren oft tief in dem gleichen Ideensystem verwurzelt. Es überrascht nicht, daß die Verfechter des Steins der Weisen dies bis zum Ende des Jahrhunderts mit gleicher Münze heimzahlten. Während mehrere unverkennbar fortschrittliche Chemiker wie Libavius, Hartmann, Sennert, Glauber, Kunckel und Stahl ihre Werke in Deutschland publizierten und in den habsburgischen Gebieten keineswegs unbekannt waren, waren auch ihre Schritte in Richtung Moderne zögernder, ja sogar unbeabsichtigter, als dies im Rückblick vermutet werden könnte. Sie alle glaubten noch an Transmutation. Der prominente und erfinderische Autor J. B. van Helmont besaß in Österreich eher aufgrund seiner mystischen Philosophie (sein Werk wurde von Knorr von Rosenroth herausgegeben) denn aufgrund der Neuartigkeit seiner Expe-

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rimente einen Einfluß. 30 Der Zauber einer alchimistischen Utopie war unter der gelehrten Öffentlichkeit noch nicht gebrochen. Und gerade das ist die Schlüsselstelle, die auf einen anderen bedeutenden intellektuellen Unterschied zu Westeuropa hindeutet, wo man sich natürlich ebenfalls noch mit Alchimie beschäftigte, wo jedoch die Achtung vor diesem Thema allmählich abnahm. Oldenburg ersuchte Lambeck seitens der Royal Society um Informationen über alchimistische Manuskripte in der Hofbibliothek, doch bekennt er sich nur sehr vorsichtig zu deren Verdiensten. Die Schwierigkeiten werden von einem anderen Korrespondenten Lambecks, dem französischen Doktor Charles Patin, zusammengefaßt, der seine mitteleuropäischen Ebenbilder als „voll von außerordentlichen Geheimnissen und Wundern" bezeichnet. Diese Bemerkung könnte auf die oberen Schichten der habsburgischen Gesellschaft als ganzes ausgedehnt werden. 31 Schließlich zeigt die Alchimie mit besonderer Deutlichkeit einerseits die Privilegien einer Elite auf, an deren Spitze die Dynastie selbst stand, und andererseits die Toleranz, die die Gegenreformation der Magie gegenüber aufbrachte, einer Magie, von der man annahm, sie den christlichen Zielen vorspannen zu können. Im Gegensatz zur offiziellen Mißbilligung in vielen protestantischen Ländern vertrat die katholische Kirche eine deutlich gemäßigte Haltung. Trient verbot lediglich den alchimistischen Betrug. Es gab kaum alchimistische Bücher, die durch den Index gebannt wurden, und obwohl die große Textsammlung mit dem Titel Theatrum Chymicum auf diesem aufschien, kam es erst 50 Jahre nach ihrem Erscheinen in Straßburg im Jahre 1659 zu einem Verbot. 3 2 Sowohl Delrio als auch Pereira nahmen die Alchimie von ihrer scharfen Kritik aus, obwohl keiner der beiden von deren praktischer Funktionsweise oder der allgegenwärtigen Gefahr der Scharlatanerie begeistert war. Aus diesem Grund machten sie ihr Wohlwollen davon abhängig, ob diese Kunst von einer autorisierten Persönlichkeit, entweder einem Fürsten oder Angehörigen des Hochadels, ausgeübt wurde. 33 Dies fügte sich bestens in das Bild der Habsburger. Die Alchimie involvierte sie ganz offensichtlich und sah sie weiterhin in Verbindung mit den großen Tagen des Okkultismus unter Rudolf II. Dies zeigt ihre Bereitschaft, den rudolfinischen Traditionen freien Lauf zu lassen, sie gegen die Stürme des Skeptizismus im 17. Jahrhundert zu schützen und sie durch Betonung der spirituellen Charakteristika mit einer neuartigen religiösen Orthodoxie in Einklang zu bringen. Nicht, daß man spätere Kaiser als überzeugte Magier im rudolfinischen Sinn bezeichnen könnte. Vorbei waren die esoterischsten Aspekte des Patronats unter Rudolf. Was nun einsetzte, kam eher einer offenen Diskussion gleich. Der dokumentarische Nachweis ist, in Anbetracht der herkömmlichen Ansichten über eine glanzlose und engstirnige Dynastie, äußerst überraschend. Dieses Uberleben eines annehmbaren Antlitzes des Okkultismus selbst über all die Wirren und Dogmatismen der Jahre nach 1610 und 1620 hinweg, könnte beispielsweise auch anhand von Widmungen in Büchern gezeigt werden. 34 Verblüffendere, weil weitestgehend ungezwungene Beweise liefert die Privatkorrespondenz Ferdinand II. Hier gibt es einen Brief an den Kaiser aus dem Jahre 1630, in dem sein tschechischer Sekretär und Vertrauter Rafael MniSovsky von dem berühmten polnischen Alchimisten Michal Sedziwoj oder Sendivogius berichtet, der sich im Verlauf

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seiner bewegten Karriere lange Zeit am Hof Rudolf II. aufgehalten hatte. Es ist bereits von großem Interesse zu vernehmen, daß Ferdinand Vorkehrungen für Sendivogius getroffen hat, um diesem einen Lebensabend als Herr eines schlesischen Gutes zu ermöglichen. Doch der Autor fährt nun fort, daß er (MniSovsky) seit 30 Jahren Alchimie studiere, sich um Manuskripte im Zusammenhang mit Rudolf bemühe und in Klosterbibliotheken in Braunau und Kremsmünster arbeite. Ja mehr noch, er bringt seine grenzenlose Bewunderung für Sendivogius zum Ausdruck, nennt ihn die bemerkenswerteste Persönlichkeit, der er jemals begegnet sei, und spricht davon, wie dieser Pole die größten Mysterien der Natur erklären und die dunkelsten Texte erläutern könne. 35 Sollte irgend jemandem das „große Werk" der Transmutation unter habsburgischem Schutz gelingen, so werde dieser Mann Sendivogius sein. Ferdinand teilte offensichtlich diese Achtung vor den Meinungen Sendivogius, auch wenn es dem ältlichen Maestro nicht gelang, Mniäovskys weitgespannte Hoffnungen zu erfüllen. Der Kaiser zeichnete ihn nicht nur, einer beharrlichen Tradition zufolge, durch die Verleihung der Freiherrnwürde aus, sondern darüber hinaus fanden auf seine Empfehlung hin auch der junge Chemiker Glauber sowie der junge schlesische Enthusiast Cyprian Kinner Eingang am Wiener Hof. 36 Nach der Machtübernahme Ferdinand III. blühte die Alchimie wieder in aller Öffentlichkeit. Der bestbelegte Ausübende der Alchimie war Johann Konrad Richthausen, Sohn eines österreichischen Minenbesitzers, und Lehrer von Ferdinands Erben, dem König von Ungarn. Viele Zeitgenossen berichteten davon, daß Richthausen 1648 vor den Augen des Kaisers Quecksilber in Gold umgewandelt habe, daraufhin in den Adelsstand erhoben worden sei und fortan den witzelnden (wenn auch Helmontischen ?) Titel eines Barons von Chaos führte. Auch die weitere Karriere Richthausens birgt keinerlei Geheimnis. Er wurde zunächst Münzmeister (eine große Münze aus „transmutiertem" Gold wurde in Erinnerung an sein Verdienst geprägt), dann Zahlmeister bei der Armee und schließlich Superintendant der königlichen Minen in Ungarn. 3 7 Andere, die sich auf diesem Gebiet betätigten, geben viel mehr Rätsel auf - unter ihnen der eigenartige und arglistige „Baron Wagnereck", der in diesen Jahren erstmals in Begleitung seines höchst salonfähigen jesuitischen Onkels Simon in Erscheinung trat. 38 Ferdinand III. verhehlte keineswegs seine Bereitschaft zur Untersuchung der Möglichkeiten der Alchimie und es mangelte auch nicht an Helfern. Aufrechte Metallurgen wie der Kärntner Johann Jakob Menschor sind in der Minderzahl gegenüber Möchtegern-Adepten: Hieronymus Damean, „Artista et Chy(mista)", sandte Paracelsische Traktate aus Gent; Helvicus Otten wohnte 1654 dem Reichstag in Regensburg bei, um hier seine Rechtfertigung für die philosophische Tinktur vorzubringen, die als Universalheilmittel verwendet werden könnte; anonyme Italiener, von denen einer anscheinend von einem Sohn von Rudolfs Freund Wolf Unverzagt unterstützt wurde, boten eine Kaiser Justinian zugeschriebene kurzgefaßte chymische Weisheit, oder umfassendere Regeln für das aurum potabile an. 39 Die Hofbibliothek wurde nach griechischen „chrysopoei" durchstöbert, deren Schriften ins Lateinische übersetzt und durch ein Lexikon der alchimistischen Terminologie ergänzt wurden. 40 Ferdinands Bruder Leopold Wilhelm hatte sich mit noch größerer Leidenschaft in dieses Abenteuer gestürzt. In seiner Alchimie ebenso wie bei seinen Kunstsamm-

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lungen schoß er, im Gegensatz zum stets gemäßigten Kaiser, über das Ziel hinaus. Sein Name scheint in Widmungen zu veröffentlichten Abhandlungen über dieses Thema auf. In der Tat behielten ihn Zeitgenossen wohl eher als Autorität in Transmutationsvorschriften denn als Diener der Kirche oder des Staates in Erinnerung. Jedenfalls schien ihn sein kirchliches Amt nicht zu behindern. Leopold Wilhelms erster Mitarbeiter war sein Kammerherr Wilhelm Leopold von Tattenbach, Großprior des Malteserordens in Böhmen, Präsident des steirischen Kriegsrates und, nebenbei bemerkt, Onkel des oben erwähnten Urhebers eines kurzlebigen Aufstandes, Graf Erasmus. 41 Ein Manuskript spricht von zwölf alchimistischen Versuchen, für die der Erzherzog beträchtliche Geldsummen ausgab (anläßlich einer einzigen Gelegenheit wechselten 2.000 Taler den Besitzer). Wir erfahren auch, daß sowohl er als auch der Großprior gemeinsam mit technischen Assistenten Experimente durchführten, wo immer sich ihr Hof befand, vor allem in Wien, Brüssel und Laibach in Krain, wobei sie sich von den Geheimnissen Rudolf II. bis zu den „geheimen medizinischen und chemischen Schriften" von van Helmont alles zunutze machten. 42 Besonders faszinierend ist eine zur Gänze unveröffentlichte, erhalten gebliebene Korrespondenz aus den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts zwischen Ferdinand und Leopold Wilhelm 4 3 Neben all den alarmierenden Berichten über verzweifelte Feldzüge gegen die Schweden beschäftigten sie eine Miniaturarmee von Adepten, um die Vorgänge beim Gefrieren und die Eigenschaften von Schwefel zu untersuchen oder um Silber zu fixieren und Antimon zu sublimieren. „Haec in publicis . . ." steht es in den typischen Briefen des Kaisers aus Wien, „Iam ad Chymica . . ." „Heyt tue ich zu wissen", schreibt Leopold Wilhelm im Jänner 1642 in Querfurt, „daß ich diß Jahr mit chimiis angehebt", und er fährt fort von dem Besuch eines Dr. Agricola aus Leipzig zu berichten, der „in sein secretis gar tenax" ist, doch davon überzeugt werden könnte, das „verum aurum potabile" preiszugeben. Sein Bruder antwortet mit alchimistischen Gedichten und Einzelheiten über die Arbeit von „Dr. Fortonio" und „Manriquez". Es nimmt wohl kaum wunder, daß die Streitkräfte des Erzherzogs einige Monate später eine vernichtende Niederlage erlitten! Die Experimente jedoch wurden nicht lange unterbrochen. Mit dem Tod Ferdinand III. im Jahre 1657 und Leopold Wilhelms (der sich, den Berichten des venezianischen Botschafters zufolge zuletzt „Bildern, Kuriositäten, Dichtern und sonstigen Vergnügungen" 44 hingab) im Jahre 1662 schien die Atmosphäre in Wien eine andere. Der fröhlichere, offenere, weniger komplizierte Charakter des Hofes des jungen Leopold war der Alchimie nicht von vornherein zugetan. Die Flaute in diesem Bereich fiel mit einem Sturm gegen die Sophisterei in dieser Kunst seitens des hochgeschätzten Athanasius Kircher zusammen, dessen Mundus Subterraneus, obwohl in Rom geschrieben und in Amsterdam veröffentlicht, wohl eine Einstellung widerspiegelte, die auch in Österreich vertreten wurde. Einen großen Abschnitt widmet Kircher der Verurteilung der Scharlatanerie der Adepten, indem er deren Betrug aufzeigt und deren Mummenschanz und leeren Kauderwelsch entlarvt. Wenn jemals eine Transmutation stattgefunden hat, so versichert er (mit einem Schlag unter die Gürtellinie), dann muß die damit zusammenhängende unnatürliche Veränderung zweifellos das Werk des Teufels sein. 45

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Die Alchimisten aber standen bereit, sich erneut zu bestätigen. Kircher war letztlich kaum ein Skeptiker oder Progressiver, und der Mantel eines Dämonologen stand ihm, wie auch seine Gegner bald bemerkten, nur schlecht. Einer dieser Gegner veröffentlichte in Wien unter dem Pseudonym „Salomon von Blawenstein" eine geistsprühende und wohlbegründete Tirade, in der er, abgesehen davon, daß er Richthausen und den „großen Sendivogius" zitierte, hervorhob, wie vieles in Kirchers eigenen Büchern weit weniger plausibel war als die Alchimie (ein Gefühl, dem der moderne Leser bereitwillig zustimmen wird). Ähnliche Rechtfertigungen kamen von Blawensteins Kollegen Johann Zweifer und dem bedeutenden sächsischen Arzt Gabriel Ciauder. 46 Mittlerweile begann Leopolds Interesse zu wachsen. Er hatte, so scheint es, bereits einigen Experimenten beigewohnt, die von einem mysteriösen, umherziehenden Adepten - bekannt als Monte Snyders - und vielleicht auch von anderen durchgeführt wurden, die behaupteten, den Schlüssel zum Stein der Weisen zu besitzen. Bald sollte er Goldmayer (den sein Vater zum Pfalzgrafen gemacht hatte), Glauber und selbst die Rezepte des berüchtigten rudolfinischen Magiers Edward Kelley ebenso lesen wie Blawenstein und einen gewissen „Solinus Salzthal". 47 In den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts kam es zu Diskussionen auf breiterer Ebene. Der gelehrte Mähre Dr. Hertodt ζ. B. war in einigen technischen Belangen anderer Meinung als seine Mit-Alchimisten, wurde jedoch von seinem Kircherschen Kollegen Ardensbach hinsichtlich des allgemeinen Prinzips der Transmutation kritisiert. Es waren dies gute Zeiten für all jene Mitteleuropäer, die behaupteten, die „tinctura universalis" finden zu können, wie etwa den streitsüchtigen Schlesier Franz Gassmann, der den eigenartigen Namen Pantaleon annahm und eine Art abgestufter Einführung in die „hermetische Weisheit" anbot. 48 Dem Wiener Hof war die Mehrzahl von ihnen bekannt - Leopold versuchte sicherlich, die Arbeiten Pantaleons zu bekommen und die schillerndste Persönlichkeit dieses Jahrzehnts war zweifellos ein kaiserlicher Protege. Das klassische Beispiel der Karriere Johann Wenzel Seilers verdient eine eingehendere Berücksichtigung. Auch wenn seine Geschichte in einigen Details von volkstümlichen Chronisten ausgeschmückt wurde, so ist sie im wesentlichen doch authentisch. Seiler war ein junger, aus Mähren stammender Bettelmönch, der von einem betagten Mitaugustiner in Brünn in die alchimistischen Geheimnisse eingeweiht wurde und aus seinem Kloster mit einer Substanz floh, die angeblich der wahre Schlüssel zum Stein der Weisen war. Trotz des unorthodoxen Beginns seiner Karriere und der ins Auge springenden Unregelmäßigkeiten in seinem Privatleben, gewann Seiler die Gunst verschiedener Hocharistokraten, darunter auch die des Fürsten Liechtenstein, der möglicherweise sogar seine Flucht einfädelte. Leopold zeigte sofort Interesse und als Seiler (vermutlich 1674) bei Hof erschien, wurde er mit großer Voreingenommenheit empfangen. Man stellte ihm ein Laboratorium in einem der Pförtnerhäuser der Hofburg zur Verfügung, und schließlich wurde er mit dem Prädikat „von Reinburg" geadelt. Einige Zeit lang ging alles gut. Seiler überhäufte den Kaiser mit gewählten Texten, darunter auch ein durch ein eisernes Schloß mit einem Schlüssel zu versperrendes prächtiges Pergamentmanuskript in schwerem Einband, das voll des übertriebenen Lobes für seinen Schutzherrn war und prächtig kolorierte Zeichnungen von Brennöfen enthielt 4 9 1 677 stellte er ein großes habsburgisches

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Medaillon her und behauptete, dieses am Tag des hl. Leopold von Silber in Gold zu transmutieren. Schließlich machte sich Enttäuschung breit. Der unedle Charakter sowohl der Seilerschen Tinktur als auch seiner Moral konnten nicht endlos verborgen bleiben. Nichtsdestoweniger erklärte sich der Kaiser damit einverstanden, ihn mit einem einträglichen Amt im königlichen Münzwesen (erinnern wir uns an Sendivogius und Richthausen) nach Böhmen zurückzuschicken. Er scheint 1681 in Wien gestorben zu sein. 50 Wenn Seiler auch der untauglichste aller Alchimisten Leopolds war, so wurde er doch vom ernstzunehmendsten verteidigt, von Johann Joachim Becher. Seit seiner frühesten Jugend befaßte Becher sich geradezu besessen mit dem Stein der Weisen. Er verfaßte mehrere offene Apologien für diese Kunst, von denen jede gewichtiger als die vorangehende war und die alle in ihrer Zeit viel gelesen wurden. Er war aber auch ein ebenso unbändiger ausführender Metallurge. 51 Seine Ansichten dürften Leopold bereits bekannt gewesen sein, noch bevor er sich in Österreich niederließ (denn es ist Becher, der sich hinter dem augenscheinlichen Pseudonym „Solinus Salzthal" in der kaiserlichen Privatbibliothek verbirgt). Von 1670 bis 1676 diente er als eine Art halboffizieller habsburgischer Berater in Fragen der Alchimie. Die von Becher veröffentlichten Arbeiten enthalten einige Hinweise auf seine Tätigkeit, und ich habe mich an anderen Stellen dieses Kapitels bereits darauf gestützt. 52 Unveröffentlichte Zeugnisse liefern noch deutlichere Informationen über seine Verbindungen zu Leopold. Von besonderer Bedeutung ist sein langes Memorandum über die Behauptungen eines Adepten namens Daniel Marsali - eines Alchimisten, der sichtlich aus demselben Stall wie Seiler kam —, das dem Kaiser im Mai 1674 in Schloß Laxenburg bei Wien unterbreitet wurde. Becher läßt seinen Vorwand bald fallen. Marsalis Vorgang zur Herstellung dieser Tinktur sieht auf dem Papier, abgesehen von einigen kleineren Widersprüchen, ziemlich brauchbar aus, obwohl, wer sich damit beschäftigt, lernen sollte, so zu leben, wie sich dies für einen Philosophen schickt. Er wandte sich dann einer angemesseneren Aufgabe zu, einer grundlegenden theoretischen Stellungnahme, die trotz aller rituellen Mystifikation eine beträchtliche intellektuelle Errungenschaft darstellt. Becher betont, daß die alchimistische Kunst durchaus natürlich und letztlich in ihrem Kern ganz einfach sei. Die Tinktur ist ein „Kind der Natur", Transmutation eine „natürliche Generation", eine „perfectio materiae". Ihre Kunst aber verlange nach reiflichem Studium, technischer Fachkenntnis und lauteren Absichten. 53 Insgesamt gesehen ist Becher ein gedankenvoller und gelehrter Alchimist, der aristotelische und paracelsische Tradition mit einem starken empirischen Element verband und in der Literatur seiner Zeit sehr belesen war. Ein Gelehrter, der noch gelehrter als Becher, doch anscheinend viel weniger leichtgläubig war, spielte ebenfalls eine Rolle in der Angelegenheit Seiler, nämlich Hofbibliothekar Lambeck. Daß Lambeck hier mit im Spiel ist, scheint sehr sonderbar, da wir ihn, während er in den sechziger Jahren über die Dünkel der „vergeblichsten Kunst der Chemie" mit der Gehässigkeit eines Menschen spöttelt, der bereits die hermetischen Texte als wertlosen Schwindel verdammte, ein Jahrzehnt später wiederfinden, wie er sich einer Art geheimnisvoller Korrespondenz befleißigt, die eines waschechten Spagiristen würdig wäre. Er erzählt nicht nur erneut die Geschichte von Seiler, sondern behauptet auch, ihn sehr lange und gut gekannt zu ha-

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ben, und versichert, daß seine Tinktur, ein Teil der Schatzkammer Rudolf II., mittels einer Kristallkugel entdeckt wurde. Darüber hinaus empfiehlt er andere Rezepte und okkulte Bücher, als sei er dafür geschaffen. 54 Was veranlaßte diese Kehrtwendung, die (so glaube ich) allen früheren Autoren über Lambeck völlig unbekannt war? Die unmittelbare Ursache war sein neuer Brieffreund, Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha, ein offensichtlich verbissener Alchimist, der sich auf der Suche nach Geheimnissen an den österreichischen Hof wandte. 55 Friedrich, der älteste Sohn Ernst des Frommen von Gotha, dem wir bereits früher begegnet sind, war ein pflichtgetreuer Untertan des Kaisers und Herrscher über eines der kleineren thüringischen Herzogtümer, die enge Verbindungen zu Wien unterhielten. Die Entschädigungen für die Befriedigung seiner Neugier sollten von einem zusätzlichen Kontingent in der kaiserlichen Armee (das einmal tatsächlich versprochen wurde) bis zu einer Steigerung des Prestiges von Lambeck und zu bedeutenden Schenkungen an die Hofbibliothek reichen - eine große lutherische Bibel war eines dieser sonderbaren quid pro quo. Solch politische und soziale Vorteile veranlaßten den Bibliothekar, seine intellektuellen Skrupel zu überwinden. Vielleicht nahm er sich auch den Ausspruch eines befreundeten Buchhändlers zu Herzen, daß Deutschland ein viel besserer Markt für Alchimie sei als für Kataloge griechischer Manuskripte! 56 Diese Episode wirft neues Licht sowohl auf die moralische Schwäche der Gelehrten als auch auf die komplizierten wechselseitigen Beziehungen, die, wie bereits in einem der früheren Kapitel besprochen, der gewohnten Rolle, die die Habsburger im Reich spielten, zugrunde lagen. An dieser Geschichte ist aber noch mehr dran. Welche Hintergedanken auch immer hinter den alchimistischen Sprüchen Lambecks verborgen lagen, er scheint doch wirklich in den Bann seiner königlichen Schutzherren und deren okkulten Neigungen geraten zu sein. Warum sonst sollte er Unterlagen von Seiler zur Vorlage vor dem Souverän vorbereiten? Die Geheimnisse Ferdinand III., Erzherzog Leopold Wilhelms und Tattenbachs ausfindig zu machen, gehörte ebenso zu den Aufträgen, die er für Herzog Friedrich ausführen sollte, wie der Versuch, Leopold dazu zu überreden, sein persönliches Elixier preiszugeben. 57 Im großen und ganzen war ein gewisser Glaube an die Alchimie in Wien um die Mitte des leopoldinischen Zeitalters durchaus achtbar und zeitweise sogar unerläßlich. Als der Kaiser 1677 zum dritten Mal heiratete, fand es Knorr von Rosenroth angebracht, dieses Ereignis mit einem sorgfältig ausgearbeiteten und abstrusen Chymischen Prachtspiel zu feiern, einer Extravaganz, die eine Mischung aus einer mythologischen Handlung mit dem magnum opus der Transmutation war. Die Szenen seines Schauspiels werden in einem gelehrten Vorwort erläutert, obwohl bereits die Untertitel allein das Spiel verraten, angefangen mit „Die universale Harmonie und die Antipathie und Sympathie der Natur" über viele ermüdende Hexameter hinweg bis zur schließlichen „Vorbereitung, Verschmelzung und Fortpflanzung des Steins".58 Das Wohlwollen, das hoffnungsvollen Alchimisten - ernsthaften oder Schwindlern - entgegengebracht wurde, war in jenen Jahren so groß, daß einer von diesen Alchimisten, nämlich Johann Friedrich von Rain, eine extreme Schlußfolgerung zog. Sein Vorwand waren das Seuchenjahr 1679 sowie ein von Dobrzensky (dessen Pamphlet die Existenz des Steins der Weisen vor allem deshalb in Zweifel zog, weil

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er zu einem solchen Krisenzeitpunkt nicht verfügbar gemacht werden konnte) empfohlenes natürliches Vorbeugemittel gegen Infektionen. Rain hatte den Kaiser bereits eine zeitlang mit Traktaten über die geheime Weisheit überschüttet und veröffentlichte nun eine empörte Erwiderung, in der er nicht nur erklärte, daß die Alchimisten über ein Wundermittel verfügten, sondern daß ein Zweifel daran einer Majestätsbeleidigung gleichkäme, einem Affront gegenüber der Dynastie, die ihre Kunst fördere und die mit ihren Heilmitteln die Welt beherrschen wird. Leopolds Reaktion auf diesen bizarren Akt der Huldigung ist nicht bekannt. Freunde von Dobrzensky jedoch (der in Hofkreisen nicht unbekannt war) beeilten sich, die berufliche Würde des Prager Doktors zu bestätigen, und die folgende Polemik scheint für Rain nicht sehr angenehm gewesen zu sein. 59 Diese Kontroverse Dobrzensky-Rain zeigt auch manches, was nicht ausgesprochen wurde. Während Rain die Schwäche seiner eigenen Position durch eine reductio ad absurdum klar andeutete, sind seine Gegner immerhin so vorsichtig, die Möglichkeit einer Transmutation nicht zu leugnen. 60 Nach 1680 setzte tatsächlich ein allmählicher Niedergang der höfischen Alchimie ein, obwohl dies eher durch die Umwälzungen des Krieges als durch eine plötzliche Änderung der offiziellen Meinung bedingt war. Sowohl die praktischen als auch die theoretischen Aktivitäten Bechers wurden von Schröder, der (wie Richthausen) sein Leben als Bergwerksbeamter beschloß, und in gewisser Weise von Hörnigk weitergeführt. 61 Schröders Notwendiger Unterricht vom Goldmachen, der 1684 erstmals veröffentlicht wurde und in mehreren Auflagen erschien, vermittelt uns, abgesehen von seiner eigenen Verteidigung der Kunst, einen Eindruck von einigen der Rivalen und Nachfolger Seilers und Marsalis: Oberst Schellenberg mit seinem teuren Ofen zur Reinigung von Silber; ein unberechenbarer Holländer namens Sommer, der auf Experimente mit Quecksilber spezialisiert war; selbst „Baron Wagnereck", der vor seinem Tod in den frühen achtziger Jahren anscheinend nach Österreich und Böhmen zurückkehrte, und dessen Rezepte heimlich von Hand zu Hand gingen. 1704 zeigten sich Leopold und seine Hofleute den Annäherungen eines gewissen Grafen Caetano oder Ruggiero gegenüber noch sehr empfänglich, eines Mannes, der in Wirklichkeit der Sohn eines Bauern und einer der spektakulärsten Scharlatane seiner Zeit war. 62 Es gibt ein undatiertes Postskriptum zur habsburgischen Alchimie im 17. Jahrhundert. Etwa um 1650 starb ein kaiserlicher Kammerdiener namens Friedrich Hirsch, und anläßlich seines Todes wurde ein Verzeichnis seiner Verlassenschaft erstellt. 63 Dazu gehörten etwa 300 Bücher und Manuskripte, von denen sich viele mit Chemie, Metallurgie, Pharmazie und Astrologie beschäftigten. Noch bemerkenswerter war, daß hiezu auch ein vollständiges alchimistisches Laboratorium zählte, mit sieben Räumen und einem Dutzend von Brennöfen, von denen einer sowohl einen „athanor" oder selbstfeuernden Ofen als auch einen faulen Heinz (was auch immer das gewesen sein mag) enthielt. Die Ausstattung wird genauestens beschrieben: Destillierkolben, Hunderte von Retorten, Schmelztiegeln und ova philosophica, alle Arten von Mineralien und Chemikalien, mathematische Instrumente und die verschiedensten Geräte. Ich habe nirgends einen weiteren Hinweis auf Hirsch gefunden. Wenn viele andere wie er in habsburgischen Diensten tätig waren, so verdient ihre Alchimie sogar noch breiteren Raum als ich ihr hier zugebilligt habe.

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Das alchimistische Interesse der herrschenden Dynastie wurde, wie vorherzusehen, auch von mehreren hochadeligen Gönnern geteilt, vor allem solchen, die Hofämter innehatten und - vielleicht - über große Wiener Stadthäuser verfügten, um solche Arbeiten in Szene setzen zu können. Leopolds Hofcharge Franz Augustin Waldstein (gestorben 1684) förderte Seiler, ebenso wie Graf Schlick und zwei Angehörige der Familie Paar, von denen sich zumindest einer als Eingeweihter unter seinen Zeitgenossen eines beachtlichen Rufes erfreute. Nach seinem Tod in den siebziger Jahren fielen Paars Manuskripte in die Hände von Hofkammerpräsident Sinzendorf, der seinerseits sowohl Seiler als auch Marsali förderte. 64 Graf Karl Ernst Rappach, der Befehlshaber von Wien, beschäftigte sich mit einigen Experimenten, an denen auch Franz Trauttmansdorff und die Frau des böhmischen Kanzlers beteiligt waren. War er vielleicht der Schöpfer der „Tinktur Rappach", die Leopold auf seinem Totenbett einnahm? Es ist bekannt, daß Graf Volkra dem Kaiser 1682 metallurgische Vorschläge unterbreitete.65 In Prag hören wir von den Freiherren Pfehofovsky und Gottfried Daniel Wunschwitz. Letzterer erhielt von seinem Schwiegervater 1713 ein langes alchimistisches Traktat. In Mähren befaßten sich die Petfvaldsky in Buchlau ernsthaft mit der Chemie und Graf Julius Hoditz und Petrus de la Fosse (möglicherweise sein Schwager) waren Zeugen von Transmutationen, die von einem gewissen „Petrus della Bono" durchgeführt wurden, von dem es heißt, er sei Oberst in der kaiserlichen Armee und Schüler Helmonts gewesen. Leider sind die Hinweise auf adelige Schutzherren dieser Kunst lakonisch und ungenau. Es ist praktisch unmöglich, die Spur von Persönlichkeiten wie etwa Franz Weickard von Hoffmann und Lichtenstern oder Wolfgang Julius von Hardeck (Hardegg ?) zu verfolgen. Noch schwieriger steht es mit den unklaren Erwähnungen von „Lobkowitz" oder eines nicht näher bezeichneten Grafen, der in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts eine vertrauliche alchimistische Korrespondenz führte, oder unseres Freundes „Baron" Wagnereck, dessen Titel durchaus echt sein könnte.66 Viel leichter fällt es, in den verstreuten Schriften, die ich konsultiert habe, die prominenten Leibärzte zu identifizieren, die die Alchimie häufig verteidigten und ein wichtiges Bindeglied zwischen diesen Adeligen und dem Hof darstellten. Das heißt nicht, daß alle Wiener Ärzte okkulte Heilmittel bevorzugten. Der Dekan der medizinischen Fakultät der Universität, Sorbait, war gemäßigt fortschrittlich, vertrat eine engherzige Ansicht über Paracelsus und unterstützte, wie einige seiner Kollegen, Harveys Theorie des Blutkreislaufes.67 Andere jedoch sympathisierten offen mit der Transmutation. Zu ihnen zählten Johann Zweifer, der trotz seiner Neigung zu vernichtenden Verwünschungen, ein durchaus angesehener Doktor war, Friedrich Ferdinand Ilmer, den der Kaiser mit dem Titel „von und zu Wartenberg" in den Adelsstand erhob, Wolf Carolus Lebzelter, der anscheinend ein Spezialist auf dem Gebiet des Giftes war und sogar der ultra-scholastische Wechtler.68 In den einzelnen Ländern der Monarchie zeigten die Ärzte, angefangen von Vater und Sohn Hertodt in Mähren bis zum unternehmungsfreudigen Philipp Jakob Sachs und Johann Jenisch in Breslau oder dem zwielichtigen Doktor Scheidenberger, der zunächst in Villach und später dann in Tyrnau praktizierte, eine ähnliche Begeisterung. Die meisten dieser Männer verfügten über Verbindungen zur Academia Naturae Curiosorum, dem fachlichen Forum für die mitteleuropäischen Doktoren im 17. Jahrhun-

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dert (Sachs war ihr Sekretär), und es steht außer Zweifel, daß sich die Akademie für alchimistische Diskussionen einsetzte. Dieser Einsatz wird durch die Aktivitäten ihrer Mitglieder andernorts, wie die Sachsen Ciauder, Balduin und Wedel, Volcamer in Nürnberg oder Cnöffel am polnischen Hof, bestätigt. 69 Offensichtlich vermochte die Aussicht auf eine Art Universalheilmittel sowohl Doktoren als auch Angehörige des Adels anzulocken. Man nimmt auch oft an, daß es die Möglichkeit war, rasch zu Reichtum zu kommen, die leichtsinnige Adelige dazu brachte, sich mit Alchimie zu beschäftigen. Die ungarische Korrespondenz Ädäm Forgächs enthüllt den chronischen Mangel an leiblichem wie an finanziellem Wohlergehen. Hier liegt vielleicht der Grund für sein überliefertes Interesse an metallurgischen Experimenten. 70 Der habgierige Sinzendorf folgte vermutlich einem ähnlichen Drang. Die Förderung der Alchimie durch die Magnaten oder die Habsburger hatte jedoch auch tiefere Wurzeln. Forgächs Nachbar Pal Esterhäzy, einer der reichsten Männer des Landes, scheint sich von Jugend an mit Chemie beschäftigt zu haben. Seine Bibliothek enthielt eine reiche Sammlung an Büchern und Manuskripten über dieses Thema, und Becher billigte ihm zu, die „prima rotatio" in dem Vorgang der Transmutation zu besitzen. 71 Das beste Beispiel für einen von innerem Zwang getriebenen Alchimisten aus den Reihen des Hochadels ist Karl Eusebius Liechtenstein. Obwohl er, wie er selbst zugibt, von vielen Adepten, die er auf seine Güter in Österreich und Mähren einlud, ständig enttäuscht wurde, glaubte der Fürst auch weiterhin bis zu seinem Tod im Jahre 1684 an den lapis philosophorum.12 Es war Liechtenstein wohl kaum ein Trost, daß Pantaleon (der selbst nicht über alle Zweifel der Doppelzüngigkeit erhaben war) ihm ein Traktat mit dem Titel Examen Alchymisticum quo . . . Adeptus ä Sophistä et verus Philosophus ab Impostore dignoscuntur widmete. Dieses kleine Buch ist tatsächlich ausdrücklich „zum Nutzen von Angehörigen des Hochadels und all jener, die . . . die Funktionsweise der Chemie nicht völlig verstehen" gedacht. Die kurzen (oder eher lapidaren), auf noch vordergründigere Weise als gewöhnlich bestechenden Anweisungen verstärken den Eindruck einer sozialen Elite, die das Vorrecht besaß, solche Belange zu untersuchen, was gerade durch die Theoretiker des Okkultismus zur Zeit der Gegenreformation nachdrücklich gefördert wurde. 73 Liechtensteins erster Gehilfe in Feldsberg war ein gewisser Maurus Waibel, dessen Bruder Johann Martin als Arzt und Apotheker des Fürsten von Sulzbach arbeitete eine weitere Verbindung zwischen Österreich und dem Kreis um Knorr von Rosenroth. Zu den anderen Persönlichkeiten, die sich dort aufhielten, gehören der von den Habsburgern verstoßene Schellenberg sowie ein erklärter Lutheraner namens Kling.74 Der produktivste aller alchimistischen Autoren der Habsburgerländer war ein aus Krain stammender Freiherr, ein Mann, den sowohl Esterhäzy als auch Liechtenstein kannten, Johann Friedrich von Rain. In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts übergab Rain, über dessen Hintergrund ich nur sehr wenig in Erfahrung bringen konnte, Kaiser Leopold mehr als 50 sorgfältig vorbereitete und manchmal illustrierte Traktate über den Stein der Weisen. Es ist keine sehr lohnende Aufgabe, sie zu lesen. Schwülstig und mit vielen Wiederholungen, voll geheimnisvoller Rhetorik, bieten sie eine Fülle von makkaronischem Kauderwelsch, und ihre Titel, die „die

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Apokalypse des Hermes", eine „Theorie und Praktik des Steines", die „Sieben Siegel der Philosophen" oder sogar eine „Natürliche hermetisch-chemisch-magische Philosophie" in nicht weniger als 28 Bänden ankündigen (letzteres war scheinbar als magnum opus im doppelten Sinn gedacht), könnten beliebig ausgetauscht werden. Sie betonen unablässig die Weisheit des wahren Eingeweihten im Gegensatz zum Betrug des „Pseudo-Chemikers". 75 Rain kann mehr oder weniger eindeutig als komischer Kauz bezeichnet werden. Seine These der Majestätsbeleidigung allein würde diese Behauptung nahelegen. Doch gibt es mehrere Gründe, die Aufmerksamkeit auf dieses merkwürdige und unbeachtete Vermächtis in Wiens ehemaliger Hofbibliothek zu lenken. Einerseits hatte Rain ein ziemlich angesehenes öffentliches Amt inne. Er nennt sich selbst „kaiserlicher Ratgeber und Assessor im Herzogtum Krain" (und einer seiner Feinde bedauert das Land, sollte es noch weitere Assessoren wie diese haben!). Auch scheint er von seinem Souverän persönlich nicht verschmäht worden zu sein. Leopold las Arbeiten von Rain jedenfalls bereits 1674, und der Sohn des Barons fand es, viel später, immer noch der Mühe wert, dem Kaiser ein posthumes Werk zu unterbreiten. 76 Darüber hinaus beweist Rain eine profunde Kenntnis der alchimistischen Literatur. Abgesehen davon, daß er sich häufig auf das 1659 in Straßburg erschienene sechsbändige Theatrum Chymicum bezieht, zitiert er die meisten der führenden Autoren von Paracelsus bis Monte Snyders und Becher. Er ist, mit anderen Worten, wie die große Mühe beweist, die er sich mit den von ihm überreichten Dedikationsexemplaren gab, kein bloßer adeliger Dilettant. Als letzter und wichtigster Punkt sei angeführt, daß Rain ausgerechnet die geistige Seite seiner geliebten Wissenschaft vertrat. Er definiert Alchimie als „den okkulten Teil der Naturphilosophie und daher als sehr notwendigen Teil der Physik oder der Naturforschungen", und obwohl er behauptet, den Stein der Weisen zu besitzen, erwartet er sich davon offensichtlich kaum materiellen Vorteil. Sein lapisphilosophorum ist ein Sakrament oder die dritte Person der Dreifaltigkeit (gezeugt von Vater Quecksilber und Sohn Schwefel), die Auferstehung, ja sogar die Schöpfung der Welt und die Geburt Christi. Als Elixier ist er „plasmator primarius Deus" und körperlos, „eine Substanz, die nie in den Destillierkolben und Brennöfen der Chemiker erzeugt werden kann". Genau dieselben Gedanken scheinen in Bechers Gutachten an Leopold auf, für den „die Contemplation der Alchimie lieblicher ist als das Gold selbsten". 77 Auch Becher sah in der Transmutation eine Neuschöpfung und betonte, daß man die Tinktur nur durch göttliche Gnade erhalte. Dies unterscheidet sich ganz deutlich von den auf Verkauf abzielenden Reden der Quacksalber oder der Projektemacherei der Merkantilisten. Einmal bietet Rain sein Geheimnis dem Kaiser sogar im Dienste der Gegenreformation an. Wenn er und Becher Fanatiker sind, so ist doch ihr Fanatismus untrennbar mit den Symbolen der katholischen Religion verbunden. Diese Überlegungen werfen eine letzte Frage auf. Inwieweit war auch die Kirche in die mitteleuropäische Alchimie involviert? Eine Antwort auf diese Frage fällt schwer, nicht nur aufgrund einer verständlichen Angst vor Publizität und Fehldarstellung, sondern auch aufgrund der zeitlos mythischen Rolle, die den Kirchenmän-

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nern von Adepten zugeschrieben wurde und die in dem legendären „Basilius Valentinus" besonders veranschaulicht wird. Von „Basilius Valentinus" nahm man an, er sei ein Benediktiner des 15. Jahrhunderts gewesen, in Wahrheit jedoch war er die Schöpfung eines späteren deutschen Autors und seine Arkana fanden sogar Eingang in eine slowakische Ubersetzung. Man weiß also kaum, was man von dem Ursprung eines Manuskriptes mit geheimen Rezepten halten soll, das angeblich von einem Mitglied der Familie Kurz - vielleicht einem Onkel oder Cousin von Albrecht - im schwäbischen Kloster Weingarten gefunden (oder vielleicht zusammengetragen) und später Ferdinand III. vorgelegt wurde, oder von einem anderen, von dem es heißt, es sei in einem Grab in Breslau ausgegraben und zum Nutzen der böhmischen Benediktiner niedergeschrieben worden. 78 Von größerer Bedeutung ist die Bereitschaft der Bevölkerung, solche Berichte für bare Münze zu nehmen und in diesem Sinn besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß dies echte Beweise für eine Betätigung der Benediktiner im Bereich der Alchimie sind. Tatsächlich war auch Liechtensteins Mitarbeiter Waibel, der als Kaplan in Feldsberg abgestellt war, ein Angehöriger des Ordens, wobei er sich selbst als rechtmäßigen „Nachfolger" Basilius Valentinus' gefühlt haben muß. 79 Ähnliche Beweise gibt es auch für andere Klöster. Rufen wir uns die zisterziensischen Widmungen in Dee's alchimistischer Übersetzung in Erinnerung. Heute noch vorhandenes Material läßt ebenfalls experimentelle Aktivitäten in den Zisterzienserklöstern Nieder- und Oberösterreichs vermuten. Zu diesem Material zählen u. a. eine Kopie der unechten Korrespondenz von Sendivogius sowie verschiedene Sammlungen von Tinkturen und medizinischen Arkana. 80 Die Chorherren von St. Florian besaßen alchimistische Manuskripte, und die Chronik von Strahov vermerkt 1655 den Tod von Chrysostomus Kynast, der „begabt war in der Pharmazie und der so hoffnungsvoll und voll des Ruhmes in der Alchimie bewandert war, daß er vor vielen Herren des Königreiches, ja sogar vor dem Kaiser Gnade fand". 81 Dies alles zählte vielleicht zum pastoralen Tagewerk eines Prämonstratensers. Auch Bettelmönche bekundeten Interesse. Schließlich lernte Seiler sein Handwerk von Mitaugustinern in Brünn, auch wenn der Klosterchronist dies in weiser Vorsicht nicht erwähnt. Zu den anderen Augustinern, die sich urkundlich mit Alchimie beschäftigten, zählte ein Beichtvater am kaiserlichen Hof, während Dominikaner, Karmeliter und Paulaner mit unterschiedlicher Deutlichkeit genannt werden. Abraham a Sancta Clara, der den meisten spagirischen Behauptungen skeptisch gegenüberstand, war der Meinung, daß Paracelsus und Thurneysser den Stein der Weisen besaßen. 82 Die Einstellung der Jesuiten bleibt problematischer. Kirchers Ansicht möge hier die allgemein frostige offizielle Haltung widerspiegeln. Becher erwähnt einen jungen Jesuiten, der zögerte, an Experimenten teilzunehmen, weil er die Mißbilligung seiner Vorgesetzten fürchtete. Allerdings kann der Orden die Beschäftigung mit der Alchimie nicht verboten haben. So schrieb Lana-Terzi mit Enthusiasmus über dieses Thema, Szentivänyi hielt es immerhin für möglich, daß sie wahr sein könnte, Kochanski erhielt Briefe über Transmutation, Wenzel Ecker praktizierte sie und so fort. 83 Weitere Nachforschungen könnten das Bild zweifellos abrunden. Eine vollständige Liste von Priestern, die der Alchimie verbunden waren,

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Die intellektuellen Grundlagen

müßte auch den Weltklerus umfassen, von gelegentlichen Pfarrinhabern - obwohl es diesen meist an Erziehung, Mitteln und an der Billigung ihrer Vorgesetzten mangelte - bis hin zu den hochrangigsten Prälaten.84 Während der strenge Bischof Brenner von Seckau zu Beginn des Jahrhunderts seinen Dompropst dafür züchtigte, weil letzterer der Alchimie öffentlich nachging, nahmen einige von Brenners kirchlichen Nachfolgern - und nicht nur der hedonistische Erzherzog Leopold Wilhelm - eine andere Position ein. Pötting von Passau interessierte sich anscheinend sowohl für Wagnereck als auch für Pantaleon, Waldstein aus Prag lernte vielleicht von seinem Bruder Franz Augustin, und Friedrich von Hessen in Breslau besaß alchimistische Bücher und ein Laboratorium.85 Der Primas von Ungarn, György Lippay, widmete Leopold ein prächtiges Manuskript über die vier Elemente der Philosophen, das „teilweise auf der Inspiration der göttlichen Gnade, teilweise auf langen Jahren fortlaufender Erfahrung und Interpretation der bedeutendsten Autoren" beruhte.86 So spielte die Alchimie innerhalb der Kirche zweifellos eine gewisse Rolle und die kirchliche Kritik ist meist stark gedämpft. Die einzige Ausnahme, Kirchers gehässige Hetzrede, verrät durch ihre besondere Schärfe, um nicht zu sagen, ihre ausgezeichnete Information über dieses Thema, sowohl ein Unbehagen des Autors über diese unangenehme Verdammung des „Aberglaubens" als auch die Popularität des gewählten Zieles. Ein typischeres Beispiel ist, daß es noch 1708 einer satyrischen Rede nicht gelang, den Todesstoß auszuführen: „Quis nam Aasoth?", fragt der Sprecher, dann entschlüsselt er sein chemisches Anagram und entblößt „Thomas Aquinas" als die wahre Quintessenz, wobei er Thomas von Aquins positive Verbindung zu den Traditionen der Transmutation scheinbar vergißt.87 Letzten Endes hatte die Kirche es nicht nötig, sich selbst stark mit hineinziehen zu lassen, denn der breitere Verdienst der Alchimie - und des gesamten Okkultismus - lag darin, daß sie die intellektuelle und geistige Gewalt des Katholizismus über die weltliche Gesellschaft festigte. Zweifer mag zwar ganz falsch liegen, wenn er behauptet, daß viele große Klöster durch Schenkungen anwuchsen, die erst durch den Stein der Weisen möglich gemacht wurden, seine Worte könnten aber in einem übertragenen, symbolischen Sinn, den er kaum erfaßt haben konnte, wahr sein 88 Denn die Alchimie besaß nun eine nicht unerhebliche kaiserliche, adelige und katholische Unterstützung. Natürlich beschränkten sich weder die Alchimie noch die anderen Zweige der gelehrten Magie auf die katholische Welt. Doch nur hier und in konservativen lutherischen Kreisen, die, wie ich schon andeutete, sozusagen eine Station auf dem halben Weg zu dieser Welt darstellten, war die Diskussion solcher Fragen noch ein zentrales Thema des intellektuellen Lebens und nicht nur ein in zunehmendem Maße veralteter Seitenpfad. Gerade die Tatsache, daß nirgendwo in Europa im 17. Jahrhundert im Bereich der Chemie ein wirklicher Durchbruch gelang, trägt vielleicht dazu bei, die wachsenden Unterschiede der Geisteshaltung und der Schwerpunktsetzung auf dem Kontinent aufzuzeigen. Weiters war die Alchimie, trotz all des experimentellen Rauchs und der vielen Rezepte, in den Habsburgerländern die am wenigsten revolutionäre Technik. Sie betonte eher die bewahrende denn die verändernde Funktion, ein trinkbares Gold, durum potabile, von dem behauptet wird, daß es sowohl geistige wie physische Befreiung bringe. Die Nachkommen von Rain und Liechtenstein etwa hundert Jahre spä-

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ter waren nicht Lavoisier, oder auch nur Scheele, sondern die reaktionären Rosenkreuzer-Mystagogen der frühen Romantik. 89 Gemeinsam mit den anderen Erscheinungsformen des Okkultismus, die wir in diesem Kapitel behandelt haben, war die Alchimie ein Teil der hierarchischen Barockkultur, in der eine soziale Transmutation kaum leichter zu erreichen war als das im Laboratorium hergestellte Gold der Enthusiasten. Nun können wir uns unedleren Metallen zuwenden, der volkstümlichen Magie und ihrem Schicksal.

KAPITEL 11

Der Angriff auf die Magie des einfachen Volkes Wir haben gesehen, daß die gebildete Bevölkerung sich obzwar oft nur nebenbei mit nahezu allem beschäftigen konnte, solange sie die Konventionen respektierte. Es ist äußerst aufschlußreich, zwei Persönlichkeiten aus der kleinen Gruppe jener zu berücksichtigen, die diese Grenze überschritten. Der erste, Giuseppe Francesco Borri, war eine europäische Berühmtheit, einer der mächtigsten Magier seiner Zeit. Da ihm in seinem Heimatland Italien ein Verfahren wegen Häresie drohte, floh er aus dem Land und durchstreifte in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts als Wissenschaftler, Okkultist, Paracelsischer Arzt und Alchimist den Kontinent, und man zollte ihm hohe Anerkennung für seine Bildung. 1 Zu jenen, die durch seine zweifellose Begabung angezogen wurden, zählten auch die Habsburger. So verbrachte er einige Zeit am Hof zu Innsbruck und wurde 1670 von Leopold empfangen. Seine alchimistischen Heilmittel wurden in ganz Mitteleuropa bekannt. Dies ist allerdings eine außerordentliche Karriere für einen Mann, der in Rom, wo er als eine Art moderner Giordano Bruno angesehen wurde, der flagranten Heterodoxie angeklagt war. Schließlich gelang es dem Nuntius, Leopold davon zu überzeugen, daß Borri der Inquisition ausgeliefert werden sollte, im Grunde scheinbar aber deshalb, weil der Verdacht aufkam, er sei in die ungarischen Unruhen verwickelt. Trotzdem bestand der Kaiser darauf, daß sein Leben geschont werden müsse, und viele waren der Ansicht, daß es Borris letzter Akt der Zauberei gewesen wäre, Leopold vor einem Giftanschlag zu retten, der von niemandem geringeren als Ferenc Nädasdy angezettelt worden sei.2 Borri stürzte, weil er sich über die katholische Lehre hinwegsetzte und sie mit politischer Intrige in Zusammenhang brachte. Der Fall des ungarischen Magnaten Läszlo Liszti war etwas anders gelagert. Die Familie Liszti kam im 16. Jahrhundert durch einen aus eigener Kraft hochgekommenen humanistischen Bischof zu Ansehen, der ein enger Ratgeber Maximilian II. wurde, und Läszlo erfreute sich immer noch der Gunst der Dynastie. Er lebte auf Schloß Kittsee außerhalb von Preßburg und wurde 1655 in den Grafenstand erhoben. Doch das Leben des adeligen Herrn war alles andere als mustergültig, angefangen mit der Fälschung gesetzlicher Urkunden bis hin zu Mord, Verleumdung, Brandstiftung, Sodomie, Alchimie und schwarzer Magie. Obendrein versuchte er, seinen Onkel zu vergiften und ein Wiener Findelkind als seinen eigenen Sohn auszugeben. Die Obrigkeit stellte ihn vor Gericht, doch Lisztis angesehene Stellung in Ungarn bewahrte ihn solange vor ernsthafter Belästigung, bis die Niederösterreicher ihn des politischen Vergehens der Fälschung von Münzen bezichtigten, was ihn 1662 oder 1663 zum Richtblock brachte. 3 Lisztis sensationelles Leben erteilt uns ebenso wie das Leben Borris eine ganz

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Die intellektuellen Grandlagen

deutliche Lektion. Es wird klar, wie schwierig es für die in der vornehmen Gesellschaft - sei es aufgrund ihrer Stellung oder ihrer Bildung - Etablierten war, aus intellektuellen Gründen mit der Obrigkeit in Konflikt zu geraten. In beiden Fällen mußte eine offenkundige politische Gefahr und eine extreme Bedrohung der orthodoxen katholischen Werte nachgewiesen werden. Erinnerte sich Leopold, als er das Todesurteil für Ferenc Nädasdy unterschrieb, noch dunkel daran, daß seine Großmutter (geborene Erzsebet Bäthory) zu den blutrünstigsten aller Renaissance-Okkultisten zählte und daß auch sie vor der Todesstrafe bewahrt wurde? 4 Doch während die privilegierten Stände als ungefährlich angesehen wurden, mußte die übrige Bevölkerung von Beginn an mit weltlichen oder kirchlichen Strafen rechnen. In keinem der beiden Bereiche galten sie von vornherein als unschuldig. Ich habe bereits die Vermutung ausgesprochen, daß, was auf gelehrter Ebene einem Intellektuellen im 17. Jahrhundert möglich war, dem Volk in zunehmendem Maße verboten wurde. Ein Keil, viel größer als je zuvor, wurde zwischen diese beiden Kulturen getrieben, und es ist nun an der Zeit, die Stellung der ungebildeten Bevölkerung in diesem allgemeinen Schema zu untersuchen. Zunächst muß betont werden, daß die Welt der barocken volkstümlichen Magie noch schwieriger zu bearbeiten und noch stärker vernachlässigt ist als das Studium der Magie der Kultivierten, die zumindest häufig in Bücher Eingang fand (auch wenn diese seit jener Zeit äußerst selten gelesen wurden). Alle Vermutungen sind nur vorläufiger Natur, es bedarf vielmehr belegter Zeugnisse, um hier wirklich begründete Schlußfolgerungen ziehen zu können. Doch scheinen die Grundzüge meiner Argumentation ausreichend klar, da sie sich aus dem vorangegangenen Kapitel ableiten lassen. All jene, denen man eine Auslegung der Welt nicht zutrauen konnte, hatten sich der von der Kirche vertretenen Meinung anzuschließen. Je mehr sie dem Aberglauben und dem Irrtum zugetan waren, desto mehr bedurften sie der Anleitung in der christlichen Magie und Orthodoxie. Einige sahen in der Einfältigkeit natürlich einen Segen. Bedeutende Prediger und Moralisten wandten sich mit Wohlwollen an das einfache Volk als einem Publikum, dem jeder intellektuelle Stolz fehlte. Martin van Cochems Leben Christi, ein außerordentlich einflußreiches Werk (auch sein erstes, das ins Tschechische übersetzt wurde) fordert den frommen Leser dazu auf, „die Worte dieses Buches nicht nach den Regeln der Philosophie und Theologie abzuwägen" - obwohl es in der Tat diesbezügliche Literaturhinweise enthält. Sancta Clara preist die Fähigkeiten der Bauern und Handwerker, und in den von Hirnhaim veröffentlichten Predigten wird der Tenor derselben docta ignorantia spürbar, der wir bereits in seinen philosophischen Schriften begegnet sind. In zunehmendem Maße umwarb die fromme Literatur vor allem das „gemeine Volk". 5 Die unteren Schichten bedurften jedoch eines unerschütterlichen Glaubens und einer heiligen Geduld um ihre immer schlechter werdende sozio-ökonomische Situation zu ertragen, und viele katholische Intellektuelle hegten Zweifel an deren Loyalität. Die meisten Abhandlungen, die entweder direkt für ein breiteres Publikum oder für jene, die für deren Seelsorge zuständig waren, geschrieben wurden, zeichneten ein düsteres Bild der Versuchungen, denen das Volk ausgesetzt war. Sie stützten sich auf tiefliegende Ängste vor einem Wiedererwachen der Häresie und auf ein Gespür für das Diabolische, das gerade dadurch ver-

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stärkt wurde, daß seine Proponenten über die angeblichen Manifestationen des Teufels so gut Bescheid wußten. Die meisten dieser Arbeiten waren das Ergebnis einer internationalen katholischen Haltung und wurden gleichermaßen in Rom oder Lyon, in Köln oder Ingolstadt veröffentlicht. Wir wollen hier nur zwei Autoren als Beispiel für den Anfang und das Ende des 17. Jahrhunderts herausgreifen, die auf besondere Art und Weise mit Österreich verbunden waren. Martin Delrio war ein in den Niederlanden lebender Spanier, der, ähnlich seinem Freund Lipsius, die Welt des späten Humanismus zugunsten der gehüteten Gewißheiten Roms im Stich ließ. Er trat in den Jesuitenorden ein und verbrachte die Jahre nach 1600 wie Lamormaini und Päzmäny in Graz. In der Steiermark überarbeitete er sein jüngst erschienenes Werk Disquisitiones Magicae, vielleicht die berüchtigteste und am weitesten verbreitete aller Dämonologien jener Zeit. 6 Kompromißlos greift Delrio jede nur denkbare Art des Aberglaubens der armen Leute mit einer Strenge an, die von dem theoretischen Eingeständnis, daß die Mächte des Teufels nur vom Allmächtigen abgeleitet werden und seine Ränke nur Irreführungen sind, völlig unberührt ist. In den Augen Delrios ist nahezu jeder ungebildete okkulte Glauben zu verdammen, nicht nur weil er okkult ist (was die Grundprinzipien des Glaubens gefährden würde), sondern weil er ungebildet ist. Vom Berühmten zum Obskuren, vom gelehrten lateinischen Riesenwerk zum umgangssprachlichen, deutschen Gelegenheitstraktat. 80 Jahre nach Delrio schrieb Adam von Lebenwaldt, ein steirischer Arzt, eine markige und unterhaltsame Zusammenfassung über dieses Thema. In den in Salzburg veröffentlichten und mehreren österreichischen Mönchen gewidmeten Acht Tractätel werden die gefährlichen Torheiten der volkstümlichen Leichtgläubigkeit aufgezählt (Kabbalisten, Horoskopersteller usw.) und der weisen Zurückhaltung der kultivierten Männer gegenübergestellt. Wie ein guter Schüler Kirchers nimmt Lebenwaldt die Alchimie nicht von seiner Kritik aus, obwohl er hiebei (was ebenfalls charakteristisch ist) nicht konsequent ist. örtlicher Patriotismus treibt ihn dazu, den Ruf Paracelsus selbst gegen seinen verehrten jesuitischen Mentor zu verteidigen, während seine eigene medizinische Praxis zur Gänze mit dem Geist der Academia Naturae Curiosorum übereinstimmte, deren Mitglied er war. 7 Solcher Haltung begegnete man auch in den führenden Kreisen der Lutheraner, die letztlich seit den frühesten Anfängen der Reformation in Angst vor den Bedrohungen durch den Teufel lebten. Der bedeutendste lutherische Autor in Fragen des volkstümlichen Aberglaubens, Johann Praetorius (oder Schulze), tat seine ganze Karriere lang einfältige Abirrungen verächtlich ab, während er auf der anderen Seite alle übernatürlichen Schlußfolgerungen der Gelehrten anerkannte. Praetorius strebte in der Vielfalt der von ihm behandelten Themen, von Chiromantie bis zur Hexerei, nach der Illusion einer eindeutigen Unterscheidbarkeit von göttlichem und diabolischem Wissen. 8 Besonders angetan war er von Geschichten über Rübezahl, jenen Berggeist aus dem Riesengebirge an der Grenze zwischen Sachsen und Böhmen, die vermutlich eine Schöpfung des einfachen Volkes vor urgrauer Zeit waren, jedoch erstmals 1618 in Druck erschienen und sich im 17. Jahrhundert eines weitverbreiteten Rufes erfreuten. War Rübezahl, der so sehr an Eulenspiegel und Robin Hood erinnerte, ein ritterlicher Kämpfer gegen das Unrecht oder ein Günstling der

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Hölle? Wenn auch nur wenige Gebildete dies- und jenseits der Grenze Zweifel an seiner Existenz hegten, neigten sie zu einer kritischen Sicht. 9 Eine beachtliche Ubereinstimmung in der Gesinnung der gebildeten Lutheraner und Katholiken hinderte letztere dennoch nicht daran, selbst als die protestantische Bedrohung zu einem historischen Mythos geworden war, auf der Gegenreformation als einem allgemeinen Programm aufzubauen. Die Prioritätensetzung in bezug auf die Lehre muß gewiß den Ausgangspunkt für jeden Bericht über die Beziehungen zwischen der volkstümlichen Magie und der katholischen Kirche bilden. Ihre Theoretiker waren sich darüber im klaren, daß die Lutheraner direkt vom Satan inspiriert waren. Päzmäny schrieb wiederholt und ausführlich darüber, wobei er eine Unmenge von Quellen angab, daß der Gründer des Protestantismus wahrhaftig aus einem Incubus geboren wurde. Delrio beschäftigte sich ein ganzes Vorwort lang damit, die Häresie ebenso wahrhaftig mit dem Hang zur schwarzen Magie gleichzusetzen. 10 Zunächst versuchte man es auf dem Weg der Überredung zugunsten des heiligen Zaubers der alten Mutter Kirche. Die Restauration der Liturgie und der Riten ging Hand in Hand mit einem Angriff auf die überlebenden Lutheraner und auf den Aberglauben der armen Leute. Jesuitenmissionare in Böhmen konfiszierten Zauberformeln und Amulette gleichzeitig mit häretischer Literatur. 11 Als Ausgleich dafür boten sie die sieben Sakramente an, die sich durch einen immer sorgfältiger durchdachten Symbolismus auszeichneten. Im Mittelpunkt stand die Eucharistie, mit der Verehrung des Mysteriums der Hostie, deren Gegenteil, wie wir noch sehen werden, die ruchlose Sünde des Sakrilegs war. Von kaum geringerer Bedeutung erschienen die Ubergangsriten beim Eintritt in das Leben bzw. beim Abschied von diesem Leben, die Taufe und die Letzte Ölung. Es gab zahllose Geschichten von totgeborenen Kindern, die auf wunderbare Weise für so lange Zeit zum Leben erweckt wurden, daß sie mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnet werden konnten, oder solche von alten Leuten, zu denen trotz aller Unbill des Wetters und der natürlichen Gefahren ein Priester gelangen konnte, um ihnen die Wegzehrung und die Letzte Ölung zu spenden. Die Buße, mit ihren ausgeklügelten Abstufungen der Selbsterniedrigung und dem formalen Erfordernis der Beichte, schuf ein wesentliches Band zwischen kirchlicher und weltlicher Gemeinschaft. 12 Firmung und Ehe wurden mehr oder weniger konventionell abgehandelt, doch dem Sakrament der Priesterweihe kam eine besonders wichtige Rolle zu. Der Priester vermittelte nicht nur zwischen Gott und den Menschen, sondern war aufgrund der Priesterweihe auch dazu befähigt, Dinge des alltäglichen Lebens zu weihen. So konnten diese, einmal von ihm gesegnet, magische Eigenschaften annehmen, wie etwa geweihtes Wasser für das Weihwasserbecken, geweihter Boden für die Ernten der Gläubigen oder geweihtes Holz, das dem Feuer widerstehen sollte. All diese Materialien, die sich der äußeren Form nach nicht von ihren ungeweihten Gegenstücken unterschieden, bewegten sich im Grenzbereich des Aberglaubens und liefen stets Gefahr, mißbraucht zu werden. Dennoch, oder gerade deshalb, übten sie aber immer auch eine außerordentliche Anziehungskraft auf das einfache Volk aus. Die komplizierten Riten des Katholizismus für die einzelnen Jahreszeiten,

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für Feste und Prozessionen, mit all ihren nur schwer zu begreifenden Assoziationen, machten den Priester zum Schiedsrichter, der die Macht besaß, wann immer er seine Segensformel sprach, einen kleinen Himmel auf Erden zu schaffen. 13 Solche Art magischen Wirkens durch Vertreter der Kirche baute auf ein Eingreifen der Geister, jener wohltätigen Vermittler des katholischen Okkultismus. Daher betonten die Verfechter der Gegenreformation mit großem Nachdruck die geistige Hierarchie, und man unternahm alle nur erdenklichen Anstrengungen, deren Gültigkeit aufzuzeigen. Als wichtiges Beweismittel wurden die Erscheinungen der Seelen nach dem Tod der Verstorbenen angesehen, die, wie die Kirche glaubte, im Fegefeuer lebten. Von ihren Taten berichten viele unserer Quellen. Geistergeschichten finden sich bei Baibin, Beckovsky, Sancta Clara und Procopius sowie in Klosterchroniken. Delrio behandelt dieses Thema mit der ihm eigenen Raffinesse. 14 Ein merkwürdiger (doch symptomatischer) Vorfall ereignete sich im Jahre 1651, als zwei erst kürzlich begrabene Augustinermönche durch einen Novizen Botschaften an ihre Freunde in Wien sandten. Dies wurde als volksnaher Beweis für die katholische Wahrheit angesehen. Einer der beiden wurde aufgefordert anstatt in Latein in seiner Muttersprache Tschechisch zu sprechen, um dadurch — vielleicht — seinen wahren Glauben besser nachzuweisen. 15 Den besten Beweis für die Existenz einer Welt der Geister brachten immer die übernatürlichen Kräfte der jeweiligen Heiligen, ein topos der gegenreformatorischen Magie. Wir haben bereits über deren Verehrung in Mitteleuropa erfahren, die ihre Apotheose mit Johann Nepomuk, diesem Märtyrer des Beichtgeheimnisses und der Heiligkeit des Priesteramtes, erreichte. Unabhängig von den Beziehungen des jeweiligen Heiligen zu einem bestimmten Gebiet riefen ihre Reliquien einmütig eine heilige Scheu hervor, und Berichte über ihr Wirken wurden eifrig weiterverbreitet. 16 Während die Obrigkeit in gewissem Rahmen versuchte, eine Vermehrung der Legenden, die sich um die volkstümliche Verehrung sowohl der Heiligen als auch der Eucharistie rankten, zu verhindern, konnte niemand in diese Richtung weit vorstoßen, ohne Gefahr zu laufen, in crypto-protestantischen Irrtum zu verfallen. So wurden die frommen Erzählungen gefördert und die malerischen Bräuche weiter ausgeschmückt, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Zeit ihren Höhepunkt erreichten, als eine aufgeklärte Kritik von den oberen Rängen, die einst selbst den Kult genährt hatten, auszugehen begann. Überall mischten sich Frömmigkeit und Aberglaube auf eine Art und Weise, die umso verwirrender ist, als sie zumindest bis 1700 so stark auf mündlicher Uberlieferung beruhte. 17 Die Anrufung der Heiligen führt uns logischerweise zum grundlegenden Charakteristikum der Magie der Gegenreformation, dem Wunder. Ein Wunder war ein göttliches Eingreifen, eine Antwort auf die Gebete der Gläubigen. Da der Teufel auf ähnlich okkulte Quellen zurückgreifen konnte, mußte man eine scharfe Unterscheidung gegenüber der automatischen und daher diabolischen Funktionsweise von Zauberformeln oder Zauberbüchern treffen, die in Mitteleuropa weitverbreitete Anwendung fanden, und von den Priestern, obgleich nur mit begrenztem Erfolg, auf das heftigste angegriffen wurden. Der Teufel verrichtet, so argumentiert Delrio in seiner derben, doch zweideutigen Art, „mira" oder „mirabilia", doch keine wahren „miracula" und solche Unterscheidungen wurden von den Theologen allgemein an-

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erkannt. 18 Unter der breiten Bevölkerung mußte man das Bedürfnis nach Wundertaten jedenfalls nicht lange suchen. Noch offensichtlicher ist in den Habsburgerländern eine Unsicherheit und Hilflosigkeit angesichts eines launenhaften Universums zu erkennen (für das zeitgenössische England so herrlich von Keith Thomas beschrieben 19 ), da es hier innerhalb des erneut hergestellten Katholizismus weder die Reserven einer städtischen Selbsthilfe noch eine wirklich caritative Bewegung gab, um die Bevölkerung für die Verheerungen des Krieges und die wirtschaftliche Depression zu entschädigen. Selbst für die notleidenden Bürger gab es kaum materielle Hilfe, lediglich einige wenige Spitäler, die teilweise von den Städten, vom Klerus oder kommunalen Unternehmen geführt wurden. Prag besaß im 18. Jahrhundert etwa zehn Spitäler und in Wien gab es ein Bürgerspital, das durch das Bierbrau- und Schankmonopol finanziert wurde. 20 Die Armen in den Städten sowie die breite Masse der Bauern durften noch weniger erwarten. Die Orden, vor allem die Handvoll Häuser, die den Barmherzigen Brüdern gehörte, und einige wohlhabende alte Klöster, die eine lange Erfahrung mit den wichtigsten Pharmazeutika besaßen, taten alles in ihrer Macht stehende. Es kam zur Errichtung einiger weniger Institutionen für Kriegsversehrte und Invalide. 21 All dies bewegte sich jedoch in einem sehr primitiven Rahmen und reichte kaum über die Städte hinaus. Die große Pestepidemie der Jahre 1679/80, die in regelmäßigen Abständen in den nächsten Jahrzehnten wieder ausbrach und der Ansturm der Türken im Jahre 1683 waren für Hunderte und Tausende eine Katastrophe. 22 Für die breite Masse gab es auch kaum Anleitungen, wie man mit den Problemen des täglichen Lebens fertig werden sollte. Es scheint nur eine einzige Quelle und dies vorwiegend in deutschsprachigen Gebieten - gegeben zu haben, und hier wiederum nur für jene, die lesen konnten, die sogenannte Hausväterliteratur. Diese Hausväterliteratur enthielt Ratschläge für die Führung des Haushaltes und der Güter, für den Anbau von Getreide, für die Aufzucht von Tieren, aus dem Bereich der Heilkunde, einschließlich der Pestheilmittel usw. Dieses Genre war ursprünglich die Domäne der Lutheraner, die herausragendste Persönlichkeit war der 1636 verstorbene schlesische Pastor Johann Coler. Colers Oeconomia und auch die anderen Standardwerke wurden jedoch gern toleriert und in den katholischen Gebieten neu aufgelegt. Die Katholiken brachten bald ähnliche Kompendien hervor, wie etwa das Opus Oeconomicum des böhmischen Jesuiten Christoph Fischer - ein wahrer Freund des kleinen Mannes das sogar ins Tschechische übersetzt wurde, oder die Arbeiten von Jänos Lippay in Ungarn. 2 3 Diese Schriften stellten für die intellektuelle Herrschaft der Kirche über die unteren Schichten keine Bedrohung dar. Durch und durch konservativ und voll der halb-okkulten Informationen, von der Wettervorhersage bis zur Destillation, von iatrochemischen Heilmitteln bis zur Traumdeutung, ging die Hausväterliteratur allmählich in landessprachliche Sammelwerke über die natürliche Magie über, die in Mitteleuropa so beliebt waren, und änderte sich von Hildebrand zu Beginn bis zu Andreas Glorez gegen Ende des 17. Jahrhunderts nur unwesentlich. Eine Stufe tiefer standen die primitiven Kalender, die von der kirchlichen Zensur streng kontrolliert wurden. 24 Viele Bauern blieben offensichtlich von jedem Anstrich der kulturellen Anpas-

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sung unberührt. Ihnen blieb, wollten sie von einem Übel befreit werden, nichts anderes übrig, als zur Muttergottes oder zu einem anderen Vermittler zu beten. Ergreifendes Zeugnis von solcher Hoffnung auf Heilung oder Erlösung liefern die „Mirakelbücher", die es in den meisten von der einfachen Bevölkerung besuchten Gnadenorten im Raum der Habsburgerländer gab und die von Wundern berichteten, die aufgrund ihres Glaubens gewährt wurden. Das Marienbild in Nikolsburg beispielsweise, das keineswegs zu den bedeutendsten Heiligtümern zählt, heilte zwischen 1625 und 1675 hundertfünfzig verschiedene Kranke, von denen einige aus Wien und aus noch größerer Entfernung angereist kamen. Mariastein in Tirol konnte auf eine ganze Flut zufriedener Bittsteller blicken, die von ihren Krankheiten, von Zahnweh bis zu Geistesgestörtheit, befreit wurden und zum Dank für ihre Genesung Wallfahrten unternahmen, Messen lesen ließen, Gebete auf den Stufen der Kirche verrichteten oder Gaben in Form von Votivbildern oder Wachsrepliken der Madonna darbrachten. 25 Das einfache Volk verfügte also über keinen entsprechenden Schutz vor den Anfechtungen des Bösen. Einmal vom Satan umgarnt, konnte nur ein einziger Weg zur Rettung versucht werden, der Exorzismus. Einige Protestanten behielten Formeln für die öffentliche Austreibung der bösen Geister bei, wobei diese ein Teil des unbehaglichen Kompromisses des Staatsluthertums waren. Die Gegenreformation machte sie jedoch zu einem integrierten Bestandteil ihres Kampfes zur Rettung der menschüchen Seele. Dies brachte Probleme mit sich, die auf theoretischer Ebene gar nicht leicht gelöst werden konnten. Der Exorzismus konnte jener Art von sinnlosen Zauberformeln bedenklich nahekommen, die die Kirche so sehr fürchtete. 2 6 Nichtsdestoweniger gibt es bereits seit den Anfängen des katholischen Wiedererstarkens in Mitteleuropa Beispiele für solche Exorzismen. Das erste berühmte Verfahren in Österreich fand 1584 statt, als ein Mädchen, das in das Wiener Bürgerspital eingeliefert wurde, von dem Jesuiten Georg Scherer von 12.652 Dämonen befreit wurde. In einer seiner Predigten beschreibt Scherer diesen Fall auf das lebendigste (auch legt er seine mathemathischen Berechnungen offen, die auf dem Wert einer „Legion" von Teufeln basieren). Er spricht von der bösen Großmutter, die die Mächte der Unterwelt anrief, den hilflosen Leiden des Mädchens, der Erlösung durch Gebete und die Sakramente sowie durch Weihwasser und das Benedicite.27 Dieser Exorzismus, der zeitlich mit einem anderen in Bayern zusammenfiel, über den es ebenfalls eine Reihe von Berichten gibt, war ein Präzedenzfall für die Zukunft. Tatsächlich gab es in den achtziger- und neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine wahre Flut von Handbüchern für Exorzisten, von denen später mehrere, des Aberglaubens verdächtigt, durch den Index verboten wurden. 28 Im nächsten Jahrhundert fanden ihre Verfahren dann vor allem unter den Missionaren weitverbreitete Anwendung, die mit tätiger Unterstützung der Obrigkeit ihre Konvertiten von Dämonen deutlich protestantischer Prägung befreiten. Sowohl Erzherzog Leopold von Steiermark als auch Kardinal Dietrichstein versuchten sich in Teufelsaustreibungen, und die römische Kirche wurde zum einzig wahren Bollwerk gegen den Satan erklärt. Als der bußfertige schlesische Hocharistokrat Christoph Leopold Schaffgotsch am höchsten Gipfel des Riesengebirges eine Kapelle errichten ließ, fei-

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erte er nicht nur seine persönliche Bekehrung zum Katholizismus, sondern suchte auch, seine Güter von dem Geist Rübezahls zu befreien. 29 Jener modus operandi, auf den man sich für Ungarn einigte, ist in einem umfangreichen Abschnitt des Ritualbuches von Gran beschrieben. Die Priester sollten sich, so heißt es hier, davor hüten, die Besessenheit mit bloßer Melancholie oder Krankheit zu verwechseln. Ihre Symptome seien die Fähigkeit, unbekannte Sprachen zu sprechen und zu verstehen, geheimnisvolle und abnorme Kräfte zu zeigen usw. Sie könne durch Gebet und Fasten sowie durch die Anrufung übernatürlichen Beistands durch die Kirche selbst bekämpft werden, was jedoch nicht Teil der plumpen oder verbotenen Magie sein dürfe. „Der Exorzist darf sich auf hochtrabendes und überflüssiges Geschwätz oder auf eigenartige Befragungen vor allem über die Zukunft und über okkulte Dinge nicht einlassen." 30 Die praktischen Folgen dieses Ratschlags werden durch eine Episode deutlich, die sich 1642 in Preßburg ereignete und wo Elemente des Spiritismus mit solchen der Besessenheit verbunden wurden. Eine 20jährige Frau, die in der ungarischen Hauptstadt weilte, wurde von dem unbehaglichen Geist eines ortsansässigen Mannes gequält, der kurz vor seinem Tod zum Katholizismus konvertiert war. Als die Qualen des unglücklichen Opfers zunahmen und sich die abnormen Manifestationen häuften, wurden Priester zur Hilfe gerufen, die feststellten, daß gewisse fromme Wünsche des Verstorbenen nicht erfüllt worden waren. Nachdem diese erfüllt wurden, konnten sie den Geist aus dem Mädchen austreiben und die beunruhigte Seele vom Fegefeuer in den Himmel senden. 31 Diese bizarre, doch typische Geschichte ist von besonderem Interesse. Auf der einen Seite hatte sie ein höchst behördliches Vorgehen zur Folge. 32 Zeugen der Ereignisse wurden von einem offiziellen Gericht einvernommen, bevor dann ein Bericht darüber unter dem Namen von Mihäly Kopcsänyi, der kurz darauf Bischof von Waitzen werden sollte, mit Genehmigung des gerade eingesetzten Primas Lippay veröffentlicht wurde. Das Traktat Kopcsänyis erschien unverzüglich auch in einer deutschen und einer italienischen Übersetzung. Außerdem löste diese Geschichte eine Kontroverse mit den Protestanten aus, die über die Grenzen Ungarns hinausging. Die Praxis des Exorzismus wurde nicht nur von dem Lutheraner Zacharias Läni aus Trenschin, dessen anti-katholische Tirade ebenfalls in mehreren Sprachen erschien, entschieden zurückgewiesen. Auch die Calvinisten setzten mit einiger Verspätung zu einem heftigen Gegenangriff an und sandten das Material zur sorgfältigen Widerlegung an den führenden orthodoxen holländischen Theologen Gisbert Voet. 32 Diese protestantischen Angriffe auf den Exorzismus sind ebenfalls äußerst aufschlußreich, da Läni den Geist zwar als real, doch böse ansieht (ganz einfach den geschickt in einen Engel des Lichts verwandelten Satan!), während Voet Kritik hinsichtlich befangener Zeugenaussagen und eines umnachteten Geisteskranken übt. Einmal mehr stehen die Erben Luthers intellektuell dem katholischen Standpunkt viel näher als die Calvinisten. Es ist schwer zu beurteilen, wer in diesem Wettstreit zwischen den Katholiken und den örtlichen Baalspriestern am besten abschnitt. Sicherlich konnten die Gegner Punkte landen, die für die gegenreformatorischen Dämonologen sehr unangenehm

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waren. Konnte sich die Kirche der Zeugnisse ihrer Erscheinungen wirklich sicher sein? Konnte sie die Bedenken zerstreuen, daß Exorzismus von Hokuspokus nicht zu unterscheiden sei? Oft erschien es wohl klüger, die von Delrio und Lebenwaldt verfochtene Haltung anzunehmen und nahezu allen spontanen volkstümlichen Anrufungen übernatürlicher Kräfte entgegenzutreten. Dies bedeutete ein Übergehen von an die Situation angepaßten Uberredungsversuchen zu einem strengen Verbot. Glücklicherweise gab es ein Feld, und zwar ein weites, wo ein Verbot des Okkultismus tatsächlich mit einer gegen die Protestanten gerichteten Politik verbunden werden konnte, die Prophezeiung und Wahrsagung. Es ist dies ein sehr schwieriges Thema, das auch von Historikern noch kaum untersucht ist. Ich kann hier nur versuchen, einen kurzen, erläuternden Abriß zu geben. Mit dem Zusammenbruch der Universalkirche des Mittelalters und des universalen magischen Schemas der Renaissance eigneten sich verschiedene Zweige der ersteren verschiedene Teile des letzteren an. Den Löwenanteil übernahm, wie wir bereits gesehen haben, die katholische Weltanschauung. Die Ideen der Offenbarung und Vorhersagbarkeit der Zukunft jedoch fügten sich, zumindest im Zusammenhang mit Mitteleuropa, eher in die protestantische Tradition. Die Prophezeiung wurde so für die Lutheraner, und besonders die Calvinisten, zu dem, was das Wunder für die Katholiken war, zu einem okkulten Prinzip, das sie zur eigenen Rechtfertigung aufgriffen, welches sie jedoch der Verdammung durch ihre konfessionellen Gegner aussetzte. Es scheint verschiedene Gründe für diese Entwicklung gegeben zu haben. Der protestantische Glaube an die Bibel trug zu einer fundamentalistischen Ansicht über ihre Propheten bei, und im allgemeinen spirituellen Enthusiasmus des 16. Jahrhunderts wandten sich die Anhänger der Reformation (trotz der Besonnenheit der meisten ihrer Führerpersönlichkeiten) dem Chiliasmus besonders dadurch zu, daß sie den Papst mit dem Antichrist und Rom mit dem Babylon der Offenbarung des Johannes identifizierten. Während die Katholiken sich auf eine konservative Haltung besannen, die vor allem auf die Kontinuität der kirchlichen Tradition Wert legte, fühlten sich viele Protestanten (wenn nicht deren Führer), nachdem sie bereits eine große religiöse Veränderung miterlebt hatten, ihrem Temperament entsprechend, zu der religiösen Veränderung um ihrer selbst willen verpflichtet. Sie schauten nach vor und nicht zurück. Während die Katholiken die Freiheit des menschlichen Willens betonten, wandten sich viele Protestanten deterministischen Glaubensrichtungen zu, welche, wie etwa die Astrologie, implizierten, daß die Zukunft vorhersehbar sei, ein Faktum, das die wütenden Angriffe auf die Astrologie seitens einiger protestantischer Führerpersönlichkeiten, vergleichbar mit der katholischen Verurteilung der abergläubischen „quasi-Wunder", nur oberflächlich verbergen sollte. 33 Der Tenor des Prophetischen im Rahmen des Protestantismus nahm erst an Intensität zu, als dessen Kirchen sich besser etabliert hatten. Diese Entwicklung birgt eher Ironie denn Überraschung. Eine allgemeine Enttäuschung, daß die gewünschten Erfolge nicht erzielt wurden (eine letztlich sektiererische Haltung, die von der Obrigkeit aus ganzem Herzen mißbilligt wurde), mischte sich in den Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden und dem Konzil von Trient mit der Angst vor einem katholischen Wiedererstarken. Ab 1600 wuchsen die millenaristischen Strömun-

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gen in Mitteleuropa zu einer wahren Flut an, und ein klassisches Symptom hiefür sind die Rosenkreuzermysterien. Es war dies eine bedeutende Begleiterscheinung der politischen Ereignisse in Böhmen, sowohl vor als auch nach der Schlacht am Weißen Berg, die dann im Ausland unter den Emigranten der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts immer heftigere Formen annahm: Comenius, Habernfeld, Partlicius, Stoltzius, Felgenhauer, Melisch . . . 34 In den beiden einzigen Gebieten der Monarchie, wo der Protestantismus offen überlebte, in Schlesien und Ungarn, überlebte damit auch eine gewisse Vorliebe für Prophezeiungen. Jakob Boehme und seine Schüler Kotier und Poniatowska, Caspar Thym und Cyprian Kinner, Quirinius Kuhlmann sowie die Vorläufer des Pietismus sind den ungarischen Puritanern mit ihren deutschen Mentoren Aisted und Bisterfeld, mit Drabik und Otrokocsi ebenbürtig. 35 Mich interessiert es hier nicht so sehr, die protestantische Futurologie zu untersuchen (obwohl ein Überblick hierüber äußerst notwendig wäre und jüngste Einblicke in den englischen calvinistischen Millenarismus nutzbringend auf den Kontinent ausgedehnt werden könnten), sondern die katholischen Antworten darauf. Der habsburgischen Gegenreformation kam dieser Trend nicht ungelegen, ganz abgesehen von der Tatsache, daß gerade die Erfolge der Gegenreformation dazu beigetragen hatten, dieses extreme, von Panik erfaßte Klima zu schaffen. Die Katholiken standen jeglicher Vorhersage von Anfang an argwöhnisch gegenüber, und je stärkere Betonung die Protestanten auf diesen Punkt legten, umso mehr konnten die Katholiken mit gutem Gewissen dagegen Sturm laufen. Die Prophezeiung führte zu direkteren subversiven Folgen als der eigene gelehrte Okkultismus. Trotz ihrer kommunalen politischen Botschaft beruhte sie stets auf einer spezifisch individuellen Grundlage. Alle Offenbarung war letztlich persönlich und führte zu dem Begriff der rein persönlichen Vorsehung, woraus der Glaube an Wahrsagungen (oder vielmehr an „künstliche" statt „natürliche" manteia wie die alte Unterscheidung es beschrieb) folgte. Ein ausführlicher Vergleich würde höchstwahrscheinlich bestätigen, daß die angewandte Astrologie unter den überzeugten Protestanten mehr Ausübende fand als unter den überzeugten Katholiken jener Zeit. Der Katholizismus leugnete die Richtigkeit aller Vorhersagen nicht und übernahm auch bereitwillig gewisse streng theoretische und gelehrte Prinzipien der Astrologie. Es ist klar, daß die römische Kirche einige biblische und mittelalterliche Beispiele sowie (normalerweise) einige wohlbekannte Arten von Traum- und Himmelsvorzeichen anerkennen mußte. Auch schöpfte sie sowohl in den schwierigen Jahren zwischen 1618 und 1620 als auch in noch größerem Ausmaß während des verspäteten Kreuzzuges gegen die Osmanen Mut aus Vorhersagen über einen Sieg des Hauses Habsburg und seiner Religion. Kommentatoren des 17. Jahrhunderts, wie etwa der ungarische Jesuit Szänto, griffen frühere übernatürliche Anzeichen eines türkischen Zusammenbruchs auf, und man setzte große Erwartungen in die Regierung Leopolds. 36 Die berühmteste katholische Prophezeiung jener Zeit wurde zuverlässig einem Mann von unantastbarer Achtbarkeit zugeschrieben, nämlich Martin Stredonius (Stfeda), dem Rektor des Jesuitenkollegs in Brünn. Vor seinem Tod im Jahre 1650 machte Stredonius eine Reihe zutreffender Vorhersagen: daß Ferdinand IV. nicht lange leben würde, daß ihm sein Bruder Leopold in der Kaiserwürde

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nachfolgen und die Türken und Franzosen schlagen werde. Diese Äußerungen fanden offensichtlich mit Zustimmung der Dynastie weite Verbreitung. 37 Es könnten sicher noch weitere Beispiele angeführt werden, doch ist ihre relative Seltenheit immer noch auffallend. Selbst das ungläubige Gemeinwesen der Türken mit seiner Nemesis fand eher in die protestantische Eschatologie Eingang, während den Habsburgern durch ihre Verachtung für die große Bedeutung der Wahrsager in der osmanischen Entscheidungsfindung gewissermaßen die Flügel gestutzt wurden. Obwohl Johann Faulhaber Matthias eine erstaunliche kabbalistisch-prophetische Abhandlung widmete und Ferdinand II. kurzfristig mit Campanella liebäugelte, schworen Rudolfs Erben seiner Versunkenheit in der Astrologie entschieden ab. Es gab keine Hof-Sterngucker in der Umgebung Leopolds, obwohl vereinzelte Seher durchaus ihr Glück versuchen konnten. 38 Im frühen 17. Jahrhundert verurteilte der Chor der offiziellen Theologen diese Kunst. Der Jesuit Benedictus Pereira verbreitete die orthodoxe Meinung in Deutschland. Wenn eine Wahrsagung sich als falsch erweist, so ist sie ein Schwindel, ist sie jedoch wahr, so ist sie diabolisch. Für ihn trägt die Prophezeiung den Siegel des Satans, dessen Fluch auf beinahe jeder Vorhersage lastet. Ebenso verhalten sich Delrio mit seiner liebevollen Aufmerksamkeit für jedes Detail des mantischen Aberglaubens und der dalmatinische Professor Georg Raguseus in Padua, der selbst eine lange Abhandlung über dieses Thema verfaßte. 39 Ihre Ansichten wurden durch die römische Inquisition, deren Regeln 1631 verschärft wurden, und durch den Index, der ein globales Anathema verkündete, noch erhärtet. Bei den bayrischen Jesuiten ging Adam Tanner etwas vorsichtiger zu Werke. Wie ein Astronom grübelte er über die mögliche Bedeutung neuer himmlischer Entdeckungen. Trotzdem lehnte er Vorhersagen praktisch zur Gänze ab. Gleiches gilt für spätere Kommentatoren wie Sancta Clara oder den Laien Lebenwaldt, der übrigens ein einfältigeres Auditorium ansprach. Es gibt die triviale, doch aufschlußreiche Episode eines Jesuitenschülers in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts, der sich bei einer ganz schlichten Prophezeiung seiner ungarischen Muttersprache bediente, sich selbst jedoch durch die Randbemerkung „huic nulla fides habenda" schützte. 40 Päzmäny brachte das Vertrauen in die Astrologie als typisch lutherische Verirrung in Verruf. Er und Scherer widerlegten auf eindrucksvollste Art den protestantischen Glauben an einen zeitgenössischen Antichrist und das bevorstehende Gericht und versuchten gleichzeitig auch das solcher Interpretation zugrundeliegende Prinzip zu widerlegen. Die gesamte Periode hindurch gaben sich katholische Autoren Mühe, jegliche millenaristische Auslegung biblischer oder mittelalterlicher Prophezeiungen zu leugnen. 41 Hand in Hand mit dieser Aussage der Theoretiker ging eine gezielte Kampagne, die eine Einschränkung des volkstümlichen Glaubens an Vorhersagen zum Ziel hatte. Die Obrigkeit war sich der Verbindung zwischen Prophezeiung und Revolte voll bewußt. Aus diesem Grund wurden in Österreich so sonderbare Enthusiasten wie Martin Laimbauer und dessen Anhänger, die sich mit Visionen beschäftigten und die Hoffnung hegten, Friedrich Barbarossa wieder zum Leben zu erwecken, unterdrückt. In Böhmen befehdeten die Behörden alle national gefärbten Vorzeichen oppositioneller Gruppen, wie in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts oder wäh-

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rend des Bauernaufstands von 1680. 42 In Ungarn kämpften sie heftig gegen die Stellung der Calvinisten an und fanden ihr bemitleidenswertestes Opfer in Mikulää Drabik, einem aus Mähren vertriebenen zweitrangigen Seher, dessen Prognosen über den Untergang der Habsburger, die auch von Comenius eifrig unterstützt und verbreitet wurden, ihre Wirkung bei den aufständischen Bewegungen nicht verfehlten. Der 80jährige Drabik wurde vor Gericht gestellt und 1671 in Preßburg hingerichtet. Im nächsten Jahrzehnt wurden dann andere Chiliasten wie etwa Otrokocsi zum Galeerendienst verurteilt. 43 Auf niedrigerem Niveau sahen sich weise Männer und Frauen auf dem Lande wie Wahrsager, Schatzgräber und ähnliche, öffentlichen Repressalien ausgesetzt, und warnende Geschichten als Abschreckungsmittel für andere kamen in Umlauf. 44 Zumindest die Weissagung an sich umfaßte eine Reihe ziemlich passiver Glaubensinhalte, doch verschmolz sie unmerklich mit den gefährlichsten Arten des volkstümlichen Okkultismus. Da diesbezügliche Verbote organisch in Unterdrückung überliefen, treten wir in die Welt der aktiven schwarzen Magie ein, gegen die Kirche und Staat mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln vorgingen. In dieser Welt nahmen armselige Hellseher nur einen unbedeutenden Platz ein. Die wahren Verbrecher aber waren die Hexen. „Hexerei" ist nur ein Oberbegriff. Für einen Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts konnte dies jedes finstere oder unerklärbare Werk des Bösen bedeuten. Der Historiker jedoch versucht, präziser zu sein. Er definiert Hexerei als Tätigkeit im Bereich der schwarzen, d. h. unerlaubten Magie, das crimen magiae des Strafrechts. Trotzdem jedoch gibt es eine Fülle verschiedener Formen und Bezeichnungen, wobei die Terminologie sich, nicht zuletzt auch in den mitteleuropäischen Idiomen, von Sprache zu Sprache auffallend unterscheidet. 45 Zweifellos gehört hiezu nicht nur die Kategorie der vermeintlich bösartigen alten Frauen. Die Definition (wie unsere vorangegangene Abhandlung hätte zeigen sollen) ergab sich vielmehr aus den geistigen Voraussetzungen der frühmodernen Europäer in ihrer Ansicht über die okkulte Welt. So waren die sozialen und intellektuellen Dimensionen der Anschuldigung nicht voneinander zu trennen. Zwei Voraussetzungen waren zur Verfolgung der Hexerei notwendig, wir können sie uns als die niedrigere und höhere Sphäre der Leichtgläubigkeit vorstellen. Auf niedrigerem Niveau beruhte der Hexenglauben auf einer seit urdenklicher Zeit bestehenden Überlieferung in den ländlichen Gesellschaften, dem Glaube an die Macht des Feindes, Unrecht mit Hilfe des bösen Geistes (maleficium) zu tun, ζ. B. Stürme hervorzurufen, Besitz und Viehbestand zu zerstören, Menschen zu verletzen oder zu töten, Liebestränke herzustellen oder Impotenz zu bewirken. Dies war streng örtlich begrenzter Zündstoff für individuelle Anschuldigungen, der wohl ungefähr konstant in derselben Gesellschaft vorhanden blieb, obwohl es beträchtliche Unterschiede ζ wischen den Gesellschaften bezüglich der Schwerpunktsetzung geben konnte. Die Anschuldigung mochte auf einem wirklichen Mißstand beruhen, da Zauberer oft tatsächlich Gifte verwendeten, Nadeln in Wachsbilder steckten und so weiter. Grundsätzlich jedoch war es die Irrationalisierung der komplexen Spannungen innerhalb vergleichsweise primitiver Gemeinschaften. Auf höherem Niveau ha-

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ben wir die Neigung der Obrigkeit, zu einem gegebenen Zeitpunkt solche Fälle zu beurteilen und zu bestrafen, ihre Identifikation der übernatürlichen Fähigkeiten der Hexen mit der Macht des christlichen Satans und ihren Aufbau einer Phantasiewelt von Sabbats, Hexenzirkeln, Heilsalben, nächtlichen Ritten und Blasphemien, die allesamt auf einem Pakt mit dem Teufel beruhten, was durch sein Zeichen am Körper des Komplizen bestätigt wurde. Hier könnte es wiederum „reale" Elemente geben, zumindest in dem Sinn, als die Opfer bei der Verhandlung tatsächlich glaubten, was sie zugaben. Im Grunde jedoch folgten ihre Beichten einem Stereotyp, der durch Folter und öffentliche Meinung erzwungen wurde. Der Schnittpunkt der beiden Sphären führte zu einem wahrhaften Hexenwahn, wo Todesstrafen gefordert und vollstreckt wurden, wo die gebildete Bevölkerung den rudimentären und vielfältigen Vorurteilen der Ungebildeten neue Formen gab und die Gesellschaft ihre schwächsten Glieder opferte, die unter dem Druck von oben zerbrachen. Es gibt ein umfangreiches Korpus an Schriften über den Hexenwahn in Westeuropa und Deutschland. 46 Auch dokumentarische Nachweise sind in großer Zahl vorhanden, und seit kurzem besteht umfassendes Interesse an diesem Thema. Obwohl es noch immer beträchtlichen Raum für unterschiedliche Interpretationen gibt, sind die Hauptzüge der Entwicklung klar. Für den größten Teil des Mittelalters gilt, daß es nur sehr vereinzelt zu Verfolgungen kam. Erst im 15. Jahrhundert griffen diese weiter um sich, geschürt durch das Werk dominikanischer Inquisitoren, die vor allem in den Alpengegenden, wo der vorchristliche Aberglaube immer noch tief verwurzelt war, gegen die Häresie zu Kreuze zogen. Im 16. Jahrhundert wurden die Verfolgungen nach einer kurzen Ruhepause sowohl von den Protestanten als auch von den Katholiken in einer Ära der konfessionellen Auseinandersetzung, die auch die Verbreitung des römischen Rechts mit seinen formellen Verfahren sah, wieder aufgenommen. In den 50 Jahren um 1600 kam es zu einem Höhepunkt, und Kriege sowie die Pest erhöhten, vor allem in Frankreich und Deutschland, deren Grausamkeit. Um die Mitte des Jahrhunderts begann dieser Wahn schon etwas abzunehmen, zwar nicht infolge einer direkten intellektuellen Herausforderung der Kernpunkte des Glaubens, sondern infolge eines praktischen Skeptizismus und infolge der Auflehnung gegen die Gerichtsverfahren und ihre Grausamkeit. In den oberen Schichten besann man sich auf eine etwas menschlichere Haltung, und in den unteren Rängen schenkte man den magischen Erklärungen nun vielleicht etwas weniger Vertrauen. Wie aber fügen sich die Habsburgerländer in dieses Bild ein? Bis jetzt wurde ihnen von außen kaum Aufmerksamkeit geschenkt, und seit vielen Jahren widmeten sich nur wenige heimische Historiker dieser Frage, wobei der einzig großangelegte, auf Archivforschung beruhende Beitrag der letzten Zeit von einem Ethnographen stammt. 47 Aus diesem Grund weisen die veröffentlichten Zeugnisse große Lücken auf, ganz abgesehen von dem noch umfassenderen Problem (das hier nicht gelöst werden kann), wieviel bedeutendes Material verlorengegangen ist. Nichtsdestoweniger kann die Chronologie der Hexenverfolgungen in der Habsburgermonarchie wie folgt umrissen werden. Die Erblande 48 waren als erstes betroffen, als ihre Alpengebiete in die ursprüngliche kirchliche Kampagne gegen die Zauberei hineingezogen wurden. In den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts brachte Heinrich Institoris, der Mitautor des

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berüchtigten Malleus Maleficarum, die Inquisition in die Täler Tirols. Doch kam dabei wenig heraus und Institoris, und nicht die Hexen, zog sich verwirrt zurück. Uber systematische Verbrennungen gibt es nahezu keine Zeugnisse, weder für diese Zeit noch für lange Jahre danach. 49 Den Großteil des 16. Jahrhunderts hindurch blieb Österreich, mit teilweiser Ausnahme gewisser habsburgischer Gebiete in Schwaben 50 , von jedem Hexenwahn verschont. Vereinzelte Anklagen wegen eines maleficiums waren in dieser Atmosphäre des Humanismus, der Toleranz und relativer Weltgewandtheit ohne Bedeutung. In diesen Jahren schrieb der führende Gegner dieses Aufspürens von Hexen auf dem Kontinent, Johann Wier (obwohl selbst ein hochgebildeter Magier), für den katholischen Herzog von Kleve und seine habsburgische Gemahlin. Erst ganz zu Ende des Jahrhunderts schwang die Stimmung um, und die Zahl der Verfahren und der darin verwickelten Angeklagten nahm ständig zu. 1609 beispielsweise gab es in Bregenz 16 Hinrichtungen und einige Jahre später dann zumindest ebenso viele in Hainburg am Ostrand des Gebietes. Nach 1650 erreichten die Verfolgungen vor allem in Innerösterreich, wo es im Zeitraum von vier Jahrzehnten 20 große Verfolgungen gab, ihren Höhepunkt. Während Autoren die Gewalt des Satans über die Bevölkerung beklagten, versuchten Sonderankläger, die sogenannten Bannrichter, aus dem Status der Zauberei als einem crimen exceptum erst jetzt wurde diese im Rahmen des örtlichen Rechtes als ein solches angesehen ihre Berechtigung abzuleiten und durch die Folter sowohl Kindern als auch Erwachsenen eine Flut von Geständnissen zu entlocken. 51 Bereits im frühen 18. Jahrhundert begann die habsburgische Regierung, diese Panik einzudämmen und wies die Richter an, maßvolle Urteile zu fällen. Trotzdem gab es auch weiterhin bis in die dreißiger Jahre hinein Massenschuldsprüche und bis in die fünfziger Jahre kleinere Verfahren. Die böhmischen Lande 52 waren im 15. Jahrhundert stärker als jedes andere Gebiet in Europa der Häresie verfallen (und Institoris starb auch hier), doch aus der Zeit vor den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts gibt es keine Berichte über Hexenverbrennungen. Auch in den nächsten Jahrzehnten war diese Art der Bestrafung kaum weit verbreitet, im allgemeinen folgte sie auf Anklagen wegen Liebeszauber, unterschiedlichem ländlichem maleficium und vielleicht Gift. Der einzig ernstzunehmende Fall ereignete sich zwischen 1571 und 1576 in Groß-Bittesch, wobei hier eine Anklage wegen Vergiftung vorangegangen zu sein scheint. Gegen Ende des Jahrhunderts gingen die Gerichte, wie etwa in PodSbrady und Nimburg, eindeutig härter vor. 53 Begriffe wie Diabolismus oder Teufelspakt tauchen jedoch kaum vor 1620 auf. Die erste zusammenhängende literarische Darstellung erfolgte 1616 durch MatouS KoneCny. Eine Epoche der gebildeten Bürger und der Intellektuellen der Renaissance hatte wenig Zeit dafür, und das Deutsche und Römische Recht verzeichneten nur einen begrenzten Einbruch. 54 Der wirkliche Hexenwahn brach erst gegen Ende des 30jährigen Krieges aus. Vor allem die deutschsprachigen Gebiete scheinen davon stärker betroffen gewesen zu sein. Während es in Buchlau (Südmähren) weiterhin nur einzelne Verurteilungen wegen Vergehen wie solchen der Mäuseund Wolfsbeschwörung gab, brachte der ganze blutbesudelte Apparat der Folter und Massendenunziation in den vierziger Jahren in Schlesien in Neisse, Zuckermantel und Freiwaldau etwa 250 Personen, darunter auch Kinder, auf den Scheiterhaufen.

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Einen berüchtigten Höhepunkt erreichte diese Epidemie in den achtziger Jahren auf verschiedenen nordmährischen Gütern mit dem Bannrichter namens Boblig, dessen Methoden grausige Einzelheiten über im Umkreis abgehaltene Hexensabbats zu Tage brachten. 55 Um 1700 war das ärgste Blutvergießen bereits vorüber. An seine Stelle traten, vor allem in Mähren, vereinzelte Verfahren. Nach 1740 scheint es keine Hinrichtungen mehr gegeben zu haben. In Ungarn und Siebenbürgen 56 setzten Aufstieg und Niedergang der Hexenverfolgungen sogar noch später ein. Vor 1600 scheint es überhaupt kaum Verfahren gegeben zu haben, und nur eine Handvoll Opfer wurde hingerichtet. Die Zahlen fangen dann im 17. Jahrhundert zu steigen an, obwohl in den einzelnen Fällen immer noch nur zwei oder drei Angeklagte betroffen waren und viele von ihnen mit geringerer Bestrafung davonkamen. Ungarn erkannte, ebenso wie England, doch im Gegensatz zum übrigen Europa, die Hexerei niemals als ein crimen exceptum an, das vor ein Sondergericht gebracht werden mußte. Hier konzentrierte man das Augenmerk auf den Aspekt des maleficiums. Aus diesem Grunde waren die Verfahren etwas milder, ein Bezug zum Diabolismus weniger explizit, die Inquisition weniger verzweigt, und es kam häufiger zu Freisprüchen. Während allerdings in England die Verfolgungen nach 1650 stark zurückgingen, nahmen sie gerade ab dieser Zeit in Ungarn erheblich zu. Zu einem Höhepunkt kam es nicht vor den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, mit einer Reihe von Auto-da-f0s, vor allem im Süden des Landes und ganz besonders in dem Gebiet um Szegedin, wo die Angeklagten durch Folter dazu gezwungen wurden, den Pakt mit dem Satan und nächtliche Versammlungen zuzugeben sowie das Netz ihrer Komplizen zu verraten (obwohl ihre Geständnisse eine gewisse ortsgebundene Unbeholfenheit bewahrten). In den übrigen Gebieten kam es bis in die fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts hinein zu weiteren Verfahren und Hinrichtungen. Ab da verloren sie plötzlich an Druck oder gingen überhaupt nach hinten los, sodaß sich die Kläger einer Gegenklage wegen Verleumdung gegenübersahen. 57 Hier, wie in allen Habsburgerländern, schritt ein verspätetes Platzgreifen einer aufgeklärten Gesinnung unter den Gebildeten den radikalen gesetzlichen Reformen unter Maria Theresia rasch voran. 1756 gab ein Gerichtsmediziner, vielleicht der einzige in den Annalen der ungarischen Hexenverfolgungen, trocken den Rat, „daß die Ärzte in diesen Tagen alle Fragen des Übernatürlichen dem Klerus überlassen sollten". 1768 wurde einer der allerletzten Fälle auf persönlichen Befehl der Kaiserin unterbunden. 5 8 Die vom gesamteuropäischen Durchschnitt abweichende Entwicklung des Hexenwahns in Österreich, Böhmen und Ungarn stimmt ziemlich genau mit den Zeugnissen aus den unmittelbar umliegenden Gebieten überein. Gegen Westen haben wir Bayern, wo die Epidemie bereits etwas früher extreme Ausmaße annahm, und Salzburg, wo das größte und brutalste Verfahren des gesamten Gebietes stattfand, die sogenannte „ZauberjackeP'-Affaire von 1675 bis 1681, und wo der letzte Teufelsverehrer 1750 hingerichtet wurde. Gegen Osten haben wir Polen, wo dieser Trend noch später als in Ungarn einsetzte, und wo 70 % aller Hexen nach 1675 verurteilt wurden, davon allein 32 Prozent in den Jahren zwischen 1701 und 1725. 59 Mitteleuropa stand so nicht nur im Gegensatz zu Frankreich und England (wobei Deutsch-

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land, einschließlich der lutherischen Gebiete, eine Mittelstellung einnahm), sondern auch in Gegensatz zum Kirchenstaat, dessen Begeisterung für die Verfolgungen nach 1600 merklich nachließ, bis schließlich in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts ein Nuntius, nachdem man ihm berichtet hatte, daß Leopolds Gemahlin vermutlich an Hexerei erkrankt sei, antworten konnte, „che a Roma non si credeva a simili incanti". 60 Gleichzeitig paßt dies offensichtlich gut mit der habsburgischen Gegenreformation zusammen. Die ersten Verfolgungen wegen eines umfassenden Paktes mit dem Teufel datieren in Österreich aus den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts, als der Katholizismus seinen Platz erneut zu behaupten begann. Ein Opfer war gerade die böse Großmutter jenes Mädchens, dem Scherer 1582 die Teufel ausgetrieben hatte. Zu Beginn des nächsten Jahrhunderts ging Erzherzog Ferdinand dann gemeinsam mit seinem Ratgeber Delrio daran, die bösartigen Häresien in der Steiermark unter Druck zu setzen.61 In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde der Hexenwahn durch die Spannungen in Böhmen genährt, das erneut mit Gewalt unter die katholische Einflußsphäre gezwungen wurde. Es springt ins Auge, daß es in den militanten Randgebieten, wo sich die Jesuiten nach 1650 den immer noch feindlich gesinnten Dörfern Schlesiens und Nordmährens zuwandten, zu den ärgsten Ausschreitungen kam. Schließlich gelangte die Inquisition, um hier die verspätete Gegenreformation zu unterstützen, auch nach Ungarn, und erfreute sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem in den erst kürzlich zurückgewonnenen Gebieten, in denen die verschiedenen Konfessionen noch in erbitterte Kämpfe verstrickt waren, eines letzten Aufwinds. Bei einigen Verfahren gab es darüber hinaus auch eine enge Verbindung zwischen Hexerei und geheimem Protestantismus, der sicherlich in den untersten Schichten am stärksten weiterlebte. Konventikel konnten leicht für einen Hexensabbat gehalten werden, und einige der extremeren Sektierer - wir wissen leider nur allzu wenig über sie - dürften sogar heidnische Fruchtbarkeitsrituale fortgesetzt haben.62 Der Kult der sogenannten Springer unter den slowenischen Bauern, der anscheinend in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts aufkam, vielleicht mit dem eigenartigen benandanti- Kult in Friaul verwandt war und verdächtige nächtliche Riten pflog, wurde von den katholischen Autoritäten erbarmungslos verfolgt. 63 Um zum Kernpunkt dieses Kapitels vorzudringen, müssen wir noch etwas weitergehen, über den „Zufall" hinaus, daß diese mitteleuropäische Abart religiöser Intoleranz gerade zu diesem entscheidenden Zeitpunkt katholisch war. Letztlich waren die protestantischen Geistlichen, als sie im 16. Jahrhundert beherrschenden Einfluß ausübten, ebenso bedrohlich. Es waren Lutheraner, die die Hetzkampagnen gegen das Treiben der Hexen in der Steiermark und in Siebenbürgen anführten. Das erste Opfer, von dem in Ungarn berichtet wird, wurde 1565 in dem von Calvinisten beherrschten Klausenburg verbrannt, und auch in den nächsten Jahrzehnten gab es dort einige weitere Hinrichtungen.64 Hätten sie sich nicht, wenn sie dazu die Gelegenheit gehabt hätten, ebenso verhalten wie die Katholiken, als die wirklichen Verfolgungen in Mode kamen? Oder war der barocke Katholizismus, wie er sich im 17. Jahrhundert entwickelte, für die Bedrohung durch die Hexerei, aufgrund ihrer Abhängigkeit von einer anderen rivalisierenden okkulten Welt, besonders empfäng-

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lieh? Einige Beispiele aus Deutschland, wo grobe Vergleiche zwischen den Konfessionen möglich sind, legen die Vermutung nahe, daß die Katholiken nach etwa 1600 die Hexen brutaler und länger quälten als die Protestanten. Während des Dreißigjährigen Krieges inszenierten erstere die wildesten Säuberungsaktionen. Auch hielten die Katholiken ihren Druck durchaus noch aufrecht, als es im protestantischen Nord- und Südwesten schon kaum mehr zu Verfahren kam, wobei die quasi-scholastischen Dämonologen in Sachsen in den ersten Reihen jener blieben, die offiziell den Hexenverfolgungen den Rücken deckten. Sogar hier jedoch kam es bereits um 1700, vor allem in der Praxis, zu einem Rückgang. 65 Vielleicht gibt es auch innerhalb der Monarchie gewisse Fingerzeige, nämlich insofern, als man einen Unterschied zwischen den protestantischen und den katholischen Teilen Ungarns machen kann, obwohl es aufgrund der hier anhaltenden Wirkung der Gegenreformation und aufgrund der engstirnigen Natur des hiesigen Luthertums und Calvinismus schwer ist, diese Feststellung weiter auszuführen. 66 Den besten Beweis für die katholische Ansicht über ein crimen magiae liefert der Schlüsselbegriff des Sakrilegs, der Entweihung geheiligter Gegenstände, worauf die Gegenreformation in ihrer Verehrung für das Sakramentale besondere Anathemata herabrief. Das Sakrileg würde, so glaubten viele, ohnehin durch göttliches Mißfallen bestraft. Dies wäre 1578 auch einer alten Frau geschehen, die Altäre in Brand gesteckt hatte und drei Tage später ihre Ernte durch Hagel verwüstet sah, oder einem österreichischen Offizier, der für seine Feigheit hingerichtet wurde und dessen Bruder genau ein Jahr zuvor das Marienbild von Altbunzlau gestohlen hatte. Eine tschechische Legende aus dem ländlichen Raum erzählte von einer Frau, die, weil sie die Hostie beschimpft hatte, zu Stein erstarrt war. 67 Diese Methode konnte jedoch fehlschlagen - so begannen beispielsweise im letzten Fall die einfachen Landleute bald damit, diese Statue zu verehren! - und es war offensichtlich nötig, auch strenge irdische Strafen zu fordern. Viele Hexenprozesse in den Habsburgerländern begannen entweder mit dem Vorwurf der Entweihung der heiligen Hostie, meist begleitet von der Anschuldigung der Blasphemie, oder zumindest war dies ein wesentlicher Teil des Verbrechens. Wir können nun annehmen, daß nicht nur die Behörden dies als einen besonders belastenden Umstand ansahen - selbst die stark beanspruchten böhmischen Religionskommissäre fanden 1629 Zeit für einen leidenschaftlichen Brief in dieser Angelegenheit-, sondern daß auch die Zeugen wußten, daß dies eine besonders schwerwiegende Anschuldigung war. Hatte der Angeklagte die Hostie ausgespien, so mußte er zumindest ein geheimer (wenn nicht sogar ein allseits bekannter) Protestant sein, hatte er sie in seinem Mund behalten, so hatte er es noch offensichtlicher auf schwarze Magie abgesehen, da er sie zu einem maleficium benutzen konnte. Auch die große Säuberungswelle in Szegedin im Jahre 1728 begann so. 68 Bei anderen Gelegenheiten beruhten Verurteilungen auf Mißbräuchen, die das katholische Zartgefühl kaum weniger beleidigten wie etwa Nekrophilie (Leichenschändung), was offensichtlich als Parodie auf die Verehrung der Reliquien aufgefaßt wurde. 69 Anschuldigungen wegen eines Sakrilegs konnten bisweilen so weit gehen, daß sogar Priester mit hineingezogen wurden (da sie die unmittelbarste Gelegenheit zu diesem Verbrechen hatten), obwohl anzunehmen ist, daß dies nur solche Priester traf, die

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bereits so unbeliebt waren, daß Lästermäuler über sie sprachen und auch ihre geistlichen Kollegen sie für entbehrlich hielten. Die schreckliche Hexenjagd Bannrichter Bobligs in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts in Ullersdorf begann mit der Anschuldigung wegen eines Sakrilegs und erreichte mit einem fünf Jahre dauernden Prozeß und der anschließenden Verbrennung des örtlichen Dekans ihren Höhepunkt. Kirchenmänner waren in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts auch in Feldbach von der großen steirischen Säuberungswelle betroffen, wurden allerdings freigesprochen. 70 Es bedarf hier zweier Einschränkungen. Jegliche Hexerei war eindeutig gleichbedeutend mit einer Abwendung von Gott, und es gilt zwischen dem Sakrileg als wahrer Quelle für Verurteilungen aufgrund der Magie und dem Sakrileg als ritueller Entweihung, oder als „Schwarze Messe", zu unterscheiden, die am Sabbat von jenen gefeiert wurde, die bereits in die Geheimnisse eingeweiht waren. Weiters verfolgten die Protestanten ihre eigene Linie der theologischen Argumentation, indem sie das Verbrechen gegen Gott stärker hervorhoben als die Macht der Hexen, Böses zu tun (der Teufel konnte auch ohne Hilfe mehr als genug Unheil anrichten), wobei diese Linie schließlich zu einer gemäßigteren und humaneren Haltung führte. 71 Das Entscheidende an der katholischen Meinung war, daß man eine enge Verbindung zwischen Sakrileg und maleficium sah - Prozesse, wo letzteres nicht angesprochen wurde, waren stets selten - und daß sich lange Zeit unter den Angehörigen der gebildeten Schicht ein entschiedener Glaube hielt, demzufolge Böswillige durch einen Pakt mit dem Teufel über übernatürliche Kräfte verfügten. Selbst der gebildete Dr. Haen, der Maria Theresia davon abriet, die Hexen weiter zu verfolgen, widmet den Hauptteil seiner 1774 verfaßten Abhandlung der Verteidigung der Möglichkeit ihrer Existenz.72 Dieser Hexenwahn in Mitteleuropa überdauerte jede bloße Identifikation mit der Gegenreformation, selbst jener an sich selbst zweifelnden überreizten habsburgischen Form der Gegenreformation, deren problematische Spiritualität von christlichem Okkultismus durchsetzt war. Er muß einem sozialen, vielleicht sogar politischen Bedürfnis entsprochen haben. Wer leitete also diese Verfahren ein? Meist fanden die Einvernahmen in den Distriktsgerichten statt, den Landgerichten von Österreich und Böhmen, den Herren- und Komitatsgerichten in Ungarn und einigen städtischen Rechtssprechungseinrichtungen. Sie kamen so vollständig unter die Ägide der provinziellen Hierarchie, und es gibt auch auf diesem Gebiet kaum einen Unterschied zwischen weltlichen und kirchlichen Grundbesitzern. Die Kirche spielte als Anklägerin keine bedeutende Rolle, doch fanden viele Prozesse, darunter einige der größten, auf ihren Gütern statt. Die Bischöfe von Olmütz und Breslau, die Äbte von Rein, St. Lambrecht und Kremsmünster - sie alle gingen gleichermaßen streng vor wie der einzig wirklich souveräne Kirchenfürst im ganzen Gebiet, der Erzbischof von Salzburg. Die Solidarität von Adel und Geistlichkeit spiegelt sich in der Meinung der Juristen und Theologen wider. Das Römische Recht und das Fallrecht, wie es von Persönlichkeiten wie Frölich von Frölichsburg in Tirol, Beckmann in der Steiermark, Weingarten in Böhmen oder Kitonics in Ungarn ausgelegt wurde, deckten sich mit den Wahnvorstellungen der Dämonologen in der Tradition Delrios. Die

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Quelle dieses Rechtes und die letzte Zustimmung zur Dämonologie war der Dynastie vorbehalten. Tatsächlich kam es aber nur selten dazu, daß um ihr Urteil, sei es durch Oberste Gerichtshöfe oder durch Universitätsfakultäten, angesucht wurde. Erst nach 1700 begann die Regierung direkt in die Prozesse einzugreifen. 73 Umso mehr kam die Initiative von unten, wo Dorfbewohner, als Einzelpersonen oder als Kollektiv, ortsansässige Ausübende der schwarzen Magie denunzierten, obwohl derartige Anzeigen selbstverständlich, wenngleich auch nicht die ihnen zugrundeliegenden Anschauungen, teilweise von ihren gesellschaftlichen Vorgesetzten abhingen. Das Gericht bestätigte sie in ihren Vorurteilen, und sie erzählten dem Gericht, was dieses hören wollte.74 Es ist praktisch unmöglich, in der mitteleuropäischen Hexenjagd einfache soziale Motive zu sehen. Das Fehlen einer vollständigen Harmonie zwischen den einzelnen Peinigern erklärt sowohl einige Ungereimtheit und Unregelmäßigkeit in der Vorgangsweise sowie in den Ergebnissen der Prozesse als auch solche Fälle, wo wohlhabendere Bürger sich selbst angeklagt fanden. Diese Fälle sind jedoch eher unüblich, 75 und es läßt sich ziemlich klar das folgende Schema ableiten. Die Hexenjagden forderten den Aberglauben heraus, um die Konformität zu erhöhen. Soziale im Einklang mit religiöser Kontrolle lag im Interesse all jener, die eine bestimmte Stellung zu wahren hatten, vom gehobeneren Bauernstand aufwärts. Dies war ein anderer Aspekt des Ziels, die etablierte Hierarchie aufrechtzuerhalten. Wie aus der allgemeinen Literatur über das Hexenwesen hinlänglich bekannt, richteten sich die Anklagen oft, bewußt oder unbewußt, gegen Nonkonformisten. Es war dies ein Grund, die Aufmerksamkeit auf lästige Witwen und alte Jungfern sowie auf Frauen mit lockerer Moral zu lenken. Vor allem in Zeiten des Unglücks glaubte man bereitwillig an deren Macht, Böses zu tun, Brände zu legen usw. In den Habsburgerländern könnten viele Beweise für diese Hypothese gesammelt werden, vor allem für Ungarn, wo die diabolische Seite sowieso eine weniger zentrale Rolle spielte und häufiger als üblich ein Unglück hereinbrach. 76 Das Verbrechen des Opfers konnte dann ebenso gut durch Verbannung aus der Gemeinde wie durch Tod gesühnt werden. Tatsächlich lauteten viele Urteile in Ungarn auf Verbannung. Stets standen die Angeklagten am Rande einer integrierten Gesellschaft, vielleicht spiegelten sie auch deren Auflösung wider. Eine besondere Art des Hexenprozesses begann ähnlich der feudalen Absage mit einer Verteidigung der Ehre gegenüber einer Verleumdung. Hand in Hand mit einem wachsenden Widerwillen seitens der Dorfbewohner, zugunsten des Angeklagten auszusagen, ging die Bedeutung dieser Prozeßform zurück. Erneut begegnen wir dem Zusammenbruch des öffentlichen Solidaritätsgefühls. 77 Diese Auffassung ist ansprechend, jedoch nur schwer zu belegen. Haben zum Beispiel Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Nationalitäten zu diesen Spannungen beigetragen? 78 Am ehesten gilt sie in Mitteleuropa scheinbar für die Gruppe der wirklichen Außenseiter der Gesellschaft, die Landstreicher. Der Leser möge sich meine früheren Ausführungen über ein Anwachsen des Vagabundentums im 17. Jahrhundert in Erinnerung rufen, er möge auch an die weitgefaßte Definition der „Hexen" denken, die sich aus der Argumentation dieses Kapitels ergibt. Es gibt hier insofern einen Zusammenhang, als der Anteil an männlichen „Hexen" in den

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habsburgischen Gebieten besonders groß war. Jeder dritte Angeklagte in der Steiermark war ein Mann, in den übrigen Gebieten stieg dieses Verhältnis im Verlauf des Betrachtungszeitraumes ständig an. Viele der Betroffenen waren glücklose Eigenbrödler, sozusagen der Abschaum des dörflichen Lebens: Schäfer, arbeitslose Landarbeiter, unnütze Jugendliche, wie jene unglücklichen Armen, die um 1720 in Bayern zu Gefängnis und Tod verurteilt wurden. 79 Doch schienen sie in ausreichendem Maße verdächtig und gingen allmählich in die Welt der gefährlichen Fremden und arbeitsfähigen Bettler, der Geächteten und Banditen über. Zeitgenossen dürften das Treiben des betagten Lebemannes Ferenc Bango, der 1734 gemeinsam mit seinen weiblichen Komplizen in der Großen Ungarischen Tiefebene aufgegriffen und des maleftciufns und der Sittenlosigkeit angeklagt wurde, ernster genommen haben, als wir das heute nachvollziehen können. Sicherlich fürchtete man sich vor den Banden, die die östlichen Alpen durchstreiften. So etwa den „Lauterfressern" in Tirol, die der Verbrechen überführt wurden, Stürme und Rattenplagen über das Land zu bringen, sich mit Wahrsagerei, Unzucht, Sakrilegen und anderem Diabolischem beschäftigt zu haben, oder dem „Zauberjackel", diesem nichtsnutzigen Sohn eines Abdeckers, und dessen Bundesgenossen in Salzburg.80 Natürlich mußten sich diese Desperados vor Gericht wegen der üblichen kriminellen Anschuldigungen, vor allem des Diebstahls, verteidigen. Es ist allerdings bezeichnend für die Einstellung der Behörden, daß ihnen magische Kräfte nachgesagt wurden (oder man solches zumindest duldete). Die Hexerei fiel im Rahmen ihrer Schuld nicht nur zusätzlich ins Gewicht, sie war auch ein Indiz für den diabolischen Ursprung all ihrer Untaten, wozu auch ihre Verantwortlichkeit für sonst unerklärliche Katastrophen, wie etwa die Pest, zählte. Aus diesem Grund wurde auch die Hetzjagd gegen die „Hexenmeister" Petrovsky in Böhmen nach 1648 möglich, und die Anführer der Aufständischen konnten ganz offen der Teufelei beschuldigt und subversiver Prophezeiungen verdächtigt werden. Man neigte daher dazu, Vagabunden und Aufständische in einen Topf zu werfen. So stellt ein Bettlerspiel aus der Zeit des großen Aufstands in Böhmen die Hauptfigur mit der finsteren Augenklappe des Hussitengenerals Ziika dar. 81 Einmal mehr sehen wir eine unsichere Verknüpfung von Billigung und Ablehnung der Magie. Zu Anschuldigungen wegen Zauberei kam es erst, wenn die Leute den Verbrechern übernatürliche Kräfte zuschrieben, mit deren Hilfe sie Böses taten. Die Schwierigkeit lag darin, daß benachteiligte und unzufriedene Elemente innerhalb der organisierten Gesellschaft ihnen eher eine wohltätige okkulte Rolle zuschreiben konnten. Berühmte Beispiele für ein charismatisches Räuberunwesen sind Oleksa DovbuS und Juro JanoSik, ganz zu schweigen von so mythologischen Volkshelden wie etwa Rübezahl. 82 Wir sollten diese Banditen allerdings auch nicht verherrlichen. Die allgemeine Einschätzung jener ging wahrscheinlich in der Praxis oft mit den offiziellen Stereotypien konform, selbst wenn Ängste letzte Reste einer geheimen Bewunderung überlagerten. In jedem Fall war in der geordneten Gesellschaft des Barock überhaupt kein Platz für die Kerngruppe der Vagabunden, die Zigeuner. Zigeuner ließen sich in Mitteleuropa etwa seit den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts nieder (einige kamen bereits etwas früher nach Ungarn) und scheinen der westeuropäischen Bezeichnung „Bohemien" nach zu urteilen, die man ihnen unerklärlicherweise bereits

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sehr früh gab, einen besonderen Bezug zu diesem Gebiet gehabt zu haben. Es ist nicht möglich, festzustellen, ob die Zahl der echten Zigeuner im 17. Jahrhundert anstieg. Es ist jedoch eindeutig, daß andere zu dieser Gruppe dazustießen oder ihre eigenen zigeunerähnlichen Gemeinschaften errichteten. Es waren dies die zwangsweisen oder freiwilligen Außenseiter der Gesellschaft, die durch die Verheerungen des Krieges, die wirtschaftliche Depression oder die legale Abhängigkeit dazu veranlaßt wurden. Der französische Reisende Patin stieß 1670 nahe der Elbe auf mehrere hundert halbnackte Zigeuner. 83 Solche Entwicklung erschreckte die Zeitgenossen. Die Zigeunerplage wurde von den Lehrstühlen bis hinunter zum weitverbreiteten Liber Vagatorum mit seinem vorsichtigen, doch faszinierten Einblick in eine verbotene Welt, allgemein mißbilligt. Die Behörden gingen vehement dagegen vor. Eine Reihe von nach 1650 veröffentlichten Dekreten, in denen die Zigeuner für vogelfrei erklärt wurden, fanden gegen Ende des Jahrhunderts, zumindest in Böhmen, mit einem Edikt ihren Höhepunkt, demzufolge es erlaubt war, Zigeuner sofort und jederzeit zu töten, und fürchterliche Massaker folgten. 84 Ein wesentlicher Teil ihres Verbrechens bestand, sowohl in den Augen der Autoren, als auch der Gesetzgeber, in ihrem Aberglauben. Die Zigeuner der deutschsprachigen Lande waren auch etymologisch Gauner, Kriminelle und Schwindler, deren Betrug auf verbotener Magie beruhte, auf Vorhersagen im kleinen, in erster Linie dem Handlesen, vielleicht auch auf einem Pakt mit dem Teufel und daraus resultierenden Kräften des tätigen maleficiums. Daher wurden die Zigeuner mit den Hexen gleichgesetzt und teilten häufig deren Los. 85 Ebenso aufschlußreich ist auch das englische Wort „gipsy". Während sich niemand in jener Zeit ernsthaft mit den Ursprüngen der Zigeuner auseinandersetzte, zählten sie als „Aegyptiaci", die ihre bösen Fallstricke aus Ägypten, der Heimat allen Heidentums, mitgebracht hatten. Doch Ägypten war als Wiege der Hermetischen Tradition und als Geburtsstätte Moses auch ein Hauptquell der Weisheit. Für einen gebildeten Katholiken mag die Entweihung dieser göttlichen Mysterien durch die Zigeuner deren größte Sünde gewesen sein. Sicherlich ist dies eine weitere Bestätigung für die komplementäre Verbindung zwischen dem gelehrten und dem ungebildeten Okkultismus innerhalb der intellektuellen Welt der Gegenreformation. Noch eine letzte Kategorie von Unberührbaren muß besprochen werden, die Juden. Es mag zwischen ihnen und den Hexen gewisse Überschneidungen gegeben haben, obwohl dieses Thema etwas heikel ist. Kann es mehr als bloßer Zufall sein, daß in dem Dorf, in dem später (in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts) der berüchtigteste Prozeß Ungarns wegen eines rituellen Mordes stattfand, um die Mitte des 18. Jahrhunderts immer noch Frauen wegen eines maleficiums verbrannt wurden? 86 Ein deutlicheres Uberlappen scheint es zwischen den Juden und dem umherziehenden Volk gegeben zu haben. Beide unterstanden nominell der Rechtssprechung des kaiserlichen Hofmarschalls, und Jiddisch war ein starkes Element der Sprache der Unterwelt, des Rotwelsch in Deutschland und derhantyrka in Böhmen. Bei höfischen Unterhaltungen wurden sogar gemeinsam Parodien auf Juden und Zigeuner gemacht. 87 Weiters erfreuten sich die Juden in den Habsburgerländern in der Renaissancezeit, als Prag zu einem ihrer wichtigsten Geisteszentren wurde, einer leidlich milden Behandlung (abgesehen von einigen zeitweiligen Ausweisungen).

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Auch wenn Nachwirkungen dieser Duldung bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein fortlebten - Ferdinand II. errichtete bei Wien jenseits der Donau ein privilegiertes Ghetto und schenkte auch den vermögenden Gemeinden in Böhmen seine Gunst - , machte sich nun doch eine neue, ganz andersartige Einstellung breit. 88 Wiederum mischte sich allgemeine Mißhelligkeit mit offiziellem Mißtrauen. Ein Massen-Anti-Semitismus schwelte unter der Oberfläche. Zeugnis hievon geben sowohl die gelegentlichen Pogrome im 16. Jahrhundert als auch die Ausweisung der (zugegebenermaßen unbedeutenden) oberösterreichischen Gemeinden im Jahre 1596. In den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde dieser Anti-Semitismus durch die Engelberger-Affaire in der kaiserlichen Hauptstadt in den Brennpunkt gerückt, als jener abgefallene und lasterhafte Konvertit zum Christentum zu seinem Katalog an anderen Verbrechen auch noch jenes des Sakrilegs hinzufügte. Ressentiments griffen nun mit zunehmender Billigung seitens der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit rasch um sich. Bald wurden die Juden für den Ausbruch von Feuer und Krankheiten verantwortlich gemacht. Schließlich wurde dann Leopold von seiner Umgebung und seinem Gewissen davon überzeugt, die Juden sozusagen als Votivakt gänzlich aus Niederösterreich zu vertreiben. 89 In Prag, der größten jüdischen Gemeinde Mitteleuropas, kam es nicht so weit, doch erreichte auch hier die Spannung, die nach 1620 unmißverständlich erhöht wurde, in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts mit einem anderen Skandal ihren Höhepunkt. Ein jüdischer Konvertitenknabe wurde von seinem Vater getötet und bald haftete ihm das Flair des wunderbaren christlichen Märtyrertums an. Im Verlauf des nächsten Jahrhunderts ereilte das Prager Ghetto nahezu dasselbe Schicksal wie das Wiener Ghetto. 90 Man konnte den Juden besonders leicht das Brandmal anhaften, in sündigem Aberglauben zu leben. Ihre Form der Prophezeiung war der Messianismus, und kein „Messias" der modernen Zeit wurde in den jüdischen Gemeinden derart umfassend anerkannt wie Sabbatai Sevi, obwohl die kometenhafte Karriere dieses Sehers aus Smyrna nur 18 Monate dauerte (1665-1666). In der Verkündigung der Sabbatianischen Botschaft spielte Mitteleuropa eine aktive Rolle, und Wien wurde zum Zentrum für die Verbreitung von Berichten über diesen Retter. 91 Können wir darin nicht einen Grund für die vier Jahre später erfolgende Vertreibung sehen, vor allem da es dem Prager Ghetto, dessen konservatives Rabbinat den Ansprüchen Sabbatais widerstand, besser als dem Wiener Ghetto erging? Diese messianische Begeisterung wurde durch andere okkulte Studien hervorgerufen, denen man in den Habsburgerländern, vor allem aber in Wien nachging, wo es eine blühende Kabbala-Schule gab. Wie den Zigeunern, so erging es auch den Juden. Ihre Magie schien deshalb so ruchlos, weil die katholischen Gelehrten bestrebt waren, gerade die quasi-kabbalistischen Zweige des Okkultismus zu legitimieren. Wieder kommt es zu einer Dichotomie. Privilegierte durften ihren Liebhabereien nachhängen, ähnlich wie der gelegentliche Hofjude - etwa Samuel Oppenheimer - zu Reichtum gelangen durfte, ein vereinzelter Konvertit konnte sich immer noch der offiziellen Gunst erfreuen, einigen wenigen Handelsfamilien gelang es, den Schutz hoher Adeliger zu gewinnen. Im allgemeinen herrschte jedoch ein Klima der Ablehnung und Intoleranz. 92 In der letzten Hälfte dieses Kapitels wurde viel von Verfolgung gesprochen. Wir wollen jedoch zu einer qualifizierten Schlußfolgerung gelangen. Die Gesamtzahl je-

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ner, die nachweislich wegen Hexerei hingerichtet wurden, beläuft sich in den Erblanden auf etwa 1500, in Böhmen auf etwa 1000 und in Ungarn auf weniger als 500. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa doppelt, wenn nicht dreimal so hoch liegen, wozu noch die Zahl an Opfern kommt, die ein milderes Urteil erhielten. Wenn dem auch so ist, so bleiben die Zahlen all jener, die überhaupt bestraft wurden, im Vergleich zu einigen Teilen Europas relativ bescheiden. 93 Auch andere Methoden der Kontrolle, wie Überredungsversuche und Verbote, zeigten Wirkung. Ein benediktinischer Besucher in Österreich traf mit seiner malerischen zufälligen Nebeneinanderstellung zweier Fälle den Nagel auf den Kopf. Im ersten Fall handelt es sich um eine Frau, die sich das Leben nahm, weil sie den Fluch eines zurückgewiesenen Bettlers fürchtete, im zweiten Fall wurde die Frau durch das Tragen eines Agni« Dei von einer Selbstmordmanie geheilt. 94 Offensichtlich übte auch die kirchliche Magie eine Anziehungskraft aus. In der Sicht der hochherzigsten und idealistischsten Verfechter der Gegenreformation standen die Dinge tatsächlich sehr hoffnungsvoll. Die christliche Magie würde schließlich triumphieren und die spirituelle und intellektuelle Welt des Barock den Sieg davontragen. Man ließ einer unrealistischen, doch auf ihre Art grandiosen Vision freien Lauf, derzufolge der Glaube letztlich den Aberglauben aufsaugen werde und die Verbindung zwischen gelehrtem und primitivem Okkultismus eine dialektische sei. Es gilt nun, diese letzte und verschwommenste der grundlegenden Ideen, das utopistische Substrat, bei der Schaffung der Habsburgermonarchie zu untersuchen.

KAPITEL 12

Das Universalunternehmen Eines der faszinierendsten Charakteristika der habsburgischen Gegenreformation ist ihre heikle Mischung aus Unsicherheit und Entschlossenheit. Dies heißt nicht, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt Tapferkeit an die Stelle von Zaghaftigkeit trat, vielmehr haben beide Tendenzen nebeneinander bestanden, wodurch ein wachsendes Gefühl der Sicherheit unterschwelligen Gefühlen der Unsicherheit neues emotionelles Gewicht verlieh. Was als fieberhafte Selbstbehauptung der ersten Generation des 17. Jahrhunderts begann, erfaßte nach und nach weite Kreise, vor allem des Klerus, und man fühlte sich zunächst durch die Ereignisse der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts ermutigt - als beispielsweise die Jesuiten in Olmütz bereit waren, ihr Wirken nicht nur auf Deutschland zu beschränken, sondern sogar nach Skandinavien überzusetzen - und später dann durch die weiteren Erfolge im Raum der gesamten Monarchie, von denen ich bereits berichtet habe. Die Ausbreitung des Katholizismus konnte bis tief in die neunziger Jahre des 17. Jahrhunderts hinein und noch darüber hinaus in Siebenbürgen und in der Ungarischen Tiefebene immer auf Kraftreserven zurückgreifen. Neue Aufgaben riefen neue Anstrengungen hervor, und wenn der Kampf auch härter wurde, zeigten die Errungenschaften immerhin einen steten und gemessenen Fortschritt an. Auf der einen Seite wußte der weltliche Arm der Gegenreformation sehr wohl, in wie großem Ausmaß der Erfolg auf zumindest unterschwelligen gesellschaftlichen und politischen Druck, wenn nicht auf rohe Gewalt zurückzuführen war, auf der anderen Seite hingegen neigten die Intellektuellen unter der Geistlichkeit zu der Meinung, daß Gott die Häretiker zur Umkehr bewogen hätte. Diese Entwicklung überzeugte viele katholische Denker, daß nun Milde und gewisse Gesten der Versöhnung angebracht seien, noch dazu wo sie die Hoffnung auf eine allumfassende Lösung der religiösen Probleme nicht aufgegeben hatten. Man wandte sich weiterhin vor allem an die Protestanten. Wir haben bereits die Reise von Rojas y Spinola nach Deutschland verfolgt, die nur sehr vereinzelt, vor allem unter dem Adel, zu Bekehrungen geführt hatte. Politisch gesehen waren dies nützliche Gewinne, sie bedeuteten jedoch keine Rechtfertigung für das Befriedungsprogramm mit seinem Ziel einer Vereinigung bei gegenseitigem Einverständnis. 1 Im Lauf der achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts wandte sich Spinola Ungarn zu, wo sowohl er als auch der holländische Repräsentant am habsburgischen Hof Möglichkeiten für einen patriotisch-religiösen Kompromiß sahen. Aber während der Holländer Hamel Bruynincx in den Verhandlungen ein bloß politisches Übereinkommen verteidigte, richtete der Franziskanerbruder einen gedruckten Aufruf an den Landtag in ödenburg und suchte eine Diskussion über die Dogmen mit den

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protestantischen Führern. In den Jahren 1691/92 unternahm Spinola einen weiteren Versuch, immer noch der Überzeugung, wie er in einem langen Brief an Pal Esterhäzy zum Ausdruck bringt, daß guter Wille vorhanden sei und daß eine gemeinsame Basis in der Heiligen Schrift und in der Offenbarung gefunden werden könne. Er war sicher, daß einem Erfolg in Ungarn ein Abkommen im Reich folgen könnte. 2 Einmal mehr wurden aber die Ideale sogar auf katholischer Seite durch Gewinnsucht in den Hintergrund gedrängt, und man erreichte nicht viel. Lediglich einige wenige unverbindliche Zusagen kamen von lutherischen und calvinistischen Kongregationen sowie von vereinzelten Abtrünnigen wie ζ. B. Otrokocsi, der nach einem flüchtigen Eingehen auf die Vorschläge zur Beilegung des Konflikts zu einer heftigen Anklage seiner ehemaligen Glaubensbrüder überging. 3 Nicht alle Nichtkatholiken, an die man sich in der Monarchie wenden konnte, waren Protestanten. Zwei weitverbreitete heidnische Gruppierungen scheinen tatsächlich bereits sehr früh von fast allen abgeschrieben worden zu sein, die Juden und die Zigeuner. Hoffnungen, die Juden durch eine Vielfalt von Methoden, wie durch den erzwungenen Besuch christlicher Predigten, durch erbauliche Literatur von converses und durch materielle Anreize zum Katholizismus zu bekehren, wurden bald aufgegeben, nachdem sie im frühen 17. Jahrhundert kurzzeitig angewandt wurden. Der Philosemitismus beschränkte sich nunmehr auf gelehrte Studien. Natürlich konnten die Katholiken die Überzeugung mancher Calvinisten nicht teilen, daß die Gewinnung der Juden die Erfüllung der Prophezeiung eines Tausendjährigen Reiches ankündigen würde. 4 Ebenso scheinen die Zigeuner, im engeren oder weiteren Sinn, von vornherein als hoffnungslos Verdammte fallengelassen worden zu sein, ohne daß sich Missionare um sie gekümmert hätten. Als letzten Hilfsversuch für die Zigeuner kann man einige 1724 für Schlesien erlassene Richtlinien ansehen, wonach katholische Konvertiten unter ihnen vor der Verbannung verschont bleiben sollten. 5 Viel günstigere Aussichten jedoch eröffneten sich auf anderer Front, bei der an der Peripherie des ungarischen Staates lebenden griechisch-orthodoxen Bevölkerung. Für Rom war es nicht eindeutig, daß alle orthodoxen Gemeinschaften Osteuropas jemals voll schismatisch gewesen waren. Man konnte auch bei etwas einseitiger Beweisführung argumentieren, daß sie niemals fest unter dem Einfluß Konstantinopels gestanden hätten, daß katholische Bistümer in verschiedenen Gebieten während des Mittelalters errichtet worden wären und daß die in Ferrara und Florenz in den Jahren 1438/39 ausgehandelte Wiedervereinigung immer noch gültig sei, obwohl die Ostkirchen diese nur vorübergehend anerkannt hatten. Diese undurchschaubaren Verhältnisse wurden noch undurchsichtiger, weil die Lutheraner im 16. Jahrhundert eine theologische Annäherung an die Patriarchen suchten. Doch die Gegenreformation betrieb die Annäherung viel zielstrebiger und bot jedem Orthodoxen, der bereit war, die Oberhoheit des Papstes sowie einige andere zentrale katholische Grundsätze anzuerkennen, die Aufnahme in die römisch-katholische Kirche an. Ein derartig „Unierter" Status 6 würde die Verwendung des jeweiligen traditionellen Ritus und der liturgischen Sprache gestatten. Auch soziale und politische Verbesserungen für nichtprivilegierte Gruppen, vor allem für ihre Priesterschaft, wurden versprochen, da das gesamte Vorhaben ohne Unterstützung eines verständnisvollen Herrschers kaum große Fortschritte erzielt hätte.

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Die erste moderne Unierte Kirche wurde im Jahre 1596 unter den Ruthenen (Ukrainern) Polens auf der Synode von Brest gegründet. Dieses Übereinkommen spornte die Katholiken an, ein ebensolches Abkommen mit den Ruthenen jenseits der Karpaten in Ungarn zu schließen. Das Unternehmen wurde anfänglich von einem adeligen Konvertiten, György Drugeth von Homonna, angeführt, der Jesuiten auf seine Güter um Ungvär einlud und 1613/14 Verhandlungen mit dem örtlichen Bischof von Munkäcs begann. Nach Sabotage seitens militanter Orthodoxen wurde der Fall in den vierziger und fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts mit Unterstützung der Familie Drugeth, hoher ungarischer Geistlicher (einschließlich Primas Lippay) und der Dynastie neu aufgerollt. Ein gewisser Basil TarasoviC, der 1633 das unzuverlässige Bistum übernahm, und sein noch abenteuerlustigerer Nachfolger Peter Parthenius, scheinen die Union für sich selbst und ihre Mitpriester akzeptiert zu haben. Allerdings wurde dieses Unterfangen, vor allem durch die calvinistischen Räkoczi hintertrieben, die in diesem Gebiet ausgedehnte Besitzungen, einschließlich des Episkopalsitzes, ihr eigen nannten. Kurz nach dem Tod von György II. Räkoczi im Jahre 1660 stabilisierte sich die Lage einigermaßen, die erzielten Fortschritte jedoch hielten sich in Grenzen, und die Verpflichtung zur Union blieb oberflächlich. Erst weitere missionarische Tätigkeit unter der Führung des Jesuiten Joseph de Camillis sicherte gegen Ende des Jahrhunderts eine dauerhafte Vereinbarung. De Camillis selbst wurde zum ersten vertrauenswürdigen Bischof von Munkäcs. 7 Unter den Serben, der anderen orthodoxen slawischen Rasse der Monarchie, blühte eine Unierte Bewegung früher, scheiterte jedoch daran, anhaltende Frucht zu tragen. Der türkische Vormarsch durch den Balkan veranlaßte eine große Zahl von Serben im 16. und 17. Jahrhundert in das südliche Ungarn einzuwandern. 1611 nahm ihr Bischof Simeon Vretanija im Kloster von MarCa in Kroatien gemeinsam mit seinen Mönchen und seiner Gemeinde die Anträge an, die ihm von den Jesuiten in Agram und Kardinal Bellarmin in Rom gemacht wurden. Diese Episode ist gut dokumentiert, danach jedoch wird die Geschichte verworrener. Die Union überlebte vor allem unter den Serben im Militärbezirk von Sichelburg an der Grenze zwischen Kroatien und Krain. In den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts errichtete Bischof Zorfcic ein Seminar für griechisch-katholische Priester in Agram, dessen Einfluß jedoch begrenzt gewesen sein dürfte. Was soll man denn auch von einem Bistum denken, dessen Amtsinhaber üblicherweise als „Bischof von Svidnica" bezeichnet wurde, wenn es überhaupt keinen Ort namens Svidnica gab? In den neunziger Jahren versuchten die habsburgischen Behörden der Militärgrenze und örtliche Jesuiten nach dem Triumph über die Türken, die Union neu zu beleben. Dieses Ziel kollidierte jedoch unvermeidlich mit einem anderen, nämlich den gleichzeitigen Angeboten an den loyalistischen Patriarchen von Ipek, Arsenius Crnojevic, und dessen Mitflüchtlinge, die diese zur Besiedlung der leeren, zurückeroberten Gebiete Zentralungarns ermutigen sollten. Garantien eines ungestörten Gottesdienstes und persönlicher Freiheit boten für die Serben kaum eine materielle Veranlassung, sich dem Katholizismus zuzuwenden, und was von der Union übrigblieb, mußte im 18. Jahrhundert durch Gewaltmaßnahmen unterstützt werden. 8 Von zahlenmäßig größerer Bedeutung als die Ruthenen und auch als die Serben waren die Rumänen (Zeitgenossen hätten sie Walachen genannt), die weite Teile

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Siebenbürgens bewohnten und etwa die Hälfte der Bevölkerung stellten. Offensichtlich konnten die Katholiken wenig ausrichten, solange das Fürstentum unabhängig blieb. Seine Herrscher versuchten vielmehr, ihrem eigenen Miniaturprogramm einer Ausdehnung folgend, die Rumänen zum Calvinismus zu bekehren, und erzielten hiebei vor allem im Hinblick auf die Organisation der Orthodoxen Kirche auch gewisse oberflächliche Erfolge. 9 Als die Habsburger in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts das Gebiet übernahmen, warfen sie sofort ein höheres Angebot in die Waagschale. Die Regierung versuchte der unterdrückten, halbnomadischen orthodoxen Gemeinschaft mit Versprechungen der Besserung der sozialen Lage und eines politischen Einflusses einen Anreiz zu bieten. Jesuitenmissionare, deren Wirken von Kollonitz koordiniert wurde, betonten nachdrücklich die geistigen Verdienste der Union. Bischof Theophilus von Weißenburg und die Mehrzahl seines Klerus schworen 1697 den Treueid und wurden mit einem ihre Stellung garantierenden leopoldinischen Diplom sowie einem Statut belohnt, das die Angelegenheiten der neuen Kirche regeln sollte. Im 18. Jahrhundert spielten die Unierten im kirchlichen und kulturellen Leben der Rumänen im Raum der Monarchie eine beherrschende Rolle. Weder die bewegte innere Geschichte dieser Union, noch die Frage, ob ihre Initiatoren aus Überzeugung, aus Berechnung oder aus einem Zwang heraus gehandelt hatten, gehören hierher. Vom Standpunkt der Gegenreformation war es ein bemerkenswerter und darüber hinaus auch ein unblutiger Sieg. 10 Es ist ein interessantes Detail, daß sowohl die Rumänen als auch die Ruthenen Osteuropas von Verfolgungen wegen Hexerei 11 scheinbar verschont geblieben sind. Eine weitere, wenn auch sehr kleine Unierte Gruppe, deren Zentrum in Siebenbürgen lag, muß noch erwähnt werden, die Armenier. Im 17. Jahrhundert war eine Vielzahl von Armeniern, die aus ihrer anatolischen und kaukasischen Heimat vertrieben worden waren, in ganz Osteuropa verstreut, wobei sie ihre charakteristische Art des orientalischen Christentums mit sich brachten. 1672 flüchteten einige tausend Armenier über die Berge aus den Moldauischen und Walachischen Gebieten, und Apafi erlaubte ihnen, sich in dem Fürstentum anzusiedeln. Bereits 1686 anerkannte ihr orthodoxer Bischof auf dem Totenbett die Oberhoheit Roms an, und das Werk der Union sollte bald durch den tatkräftigen Priester Oxendius Verziresky vollendet werden, den der Papst zum apostolischen Vikar für seine Landsleute in Siebenbürgen ernannte. Die Geschwindigkeit und Vollständigkeit dieser Einigung, die zweifellos durch die in Polen bereits erreichte ähnliche Vereinbarung begünstigt wurde, brachte für die örtlichen Armenier klare Vorteile; vor allem für Händler und Handwerker, da ihnen erlaubt wurde, drei Städte zu gründen, in denen sie allein leben sollten. Die größte erhielt sogar offiziell den Namen „Armenopolis". 12 Die Ideale der Mission machten an den Grenzen der Monarchie oder des Reiches nicht halt. Offensichtlich wandten sie sich in erster Linie Polen zu. Im Lauf des 17. Jahrhunderts trat eine enge politische Zusammenarbeit; die wiederholt durch Heiratsbande besiegelt wurde, an die Stelle der ehemaligen Rivalität zwischen der österreichischen und der polnischen Krone. Während jedoch Polen zu Beginn dieser Zeit ein ebenbürtiger Partner in der Allianz schien (König Sigismund III. sandte seinem Schwager Ferdinand II. im Jahre 1619 eine entscheidende Verstärkung), wurde

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es gegen Ende augenscheinlich zu einem Klientelstaat, der zur Aufrechterhaltung seiner, wenn auch nur begrenzten Unabhängigkeit von habsburgischer Unterstützung abhängig war. 13 Dieser Prozeß erreichte seinen Höhepunkt mit der Thronbesteigung August II., des Starken, dieses ehemaligen habsburgischen Kommandanten in Ungarn, der auf Betreiben Österreichs konvertiert war und nun die lange sächsische Tradition der Unterwürfigkeit gegenüber Wien mit nach Warschau nahm. Nur ein einziger polnischer Herrscher versuchte diese Entwicklung ernsthaft zu unterbinden, Jan Sobieski. Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß man sich, denkt man an seine Regierung, stets an den größten Einzelakt der habsburgisch-polnischen Solidarität erinnert, an die Befreiung Wiens. Tatsächlich fallen die bewegten Ereignisse des Jahres 1683 in eine Zeit der vergleichsweisen Antipathie. Zeugnis hievon legt das bekannt kühle Verhalten zwischen Sobieski und Leopold am Morgen der osmanischen Niederlage ab. 14 An dieser grundlegenden Tendenz änderten auch zeitweilige diplomatische Manöver Sobieskis nichts. Polens Gegenreformation verfolgte einen ähnlichen Kurs wie die Gegenreformation in den habsburgischen Gebieten und fand auch etwa zur gleichen Zeit statt. Auch sie stützte sich auf Hof und Hochadel und beruhte auf der Intoleranz einer neubelebten nationalen Hierarchie, deren Schattierungen des Patriotismus ein Spiegelbild der Entwicklung in Ungarn waren, sowie auf der Schwäche einer uneinigen protestantischen Opposition. Erneut verschob sich jedoch dieses Gleichgewicht allmählich. Im früheren 17. Jahrhundert hatten die Polen eine expansive Rolle gespielt und waren die ersten, die die griechisch-orthodoxen Christen umwarben. Sie wurden auch jenseits der österreichischen Grenze, vor allem in Böhmen, als Priester tätig, die sich mit der einheimischen tschechischen Bevölkerung (so recht und schlecht) verständigen konnten, oder bildeten, wie Balbins Lehrer Lancicius, eine neue Generation katholischer Intellektueller heran. Zwischen 1625 und 1655 hatte ein Fürst aus dem Hause Wasa das Bistum von Breslau inne. l s Später jedoch gingen die Einflüsse und der Strom an Geistlichen eher in die entgegengesetzte Richtung. Polnische Unierte studierten in Olmütz und Prag. Die Fortschritte ihrer Kirche wurden von den Habsburgerländern mit großem Interesse beobachtet, etwa von Valerian Magni, einer Schlüsselfigur unter den Räten König Ladislaus' IV., welcher an dem schwächlichen Friedensangebot an die Protestanten am Kolloquium von Thorn im Jahre 1645 beteiligt war. Die Jesuiten schauten in zunehmendem Maße auf die Führung in Wien. 16 Selbst der Gnadenort Tschenstochau mit seiner berühmten Schwarzen Madonna, die angeblich eine Invasion der Schweden aufgehalten und das Land im Jahre 1655 errettet hatte, befand sich im Besitz von Eremiten des in Ungarn beheimateten Paulinerordens. Polen schien so stark romanisiert und die Union seiner orthodoxen Bevölkerung so erfolgreich, daß die Proselyten die Hoffnung schöpften, durch die Kunst der Überredung einen weiteren Fortschritt des Katholizismus in Osteuropa zu sichern. Einige blickten auf Moskau, wo Juraj Κπέξηίό (1618-1683), der visionäre Domherr von Agram, seine zielstrebige Mission einer slawischen Versöhnung verfolgte, und wo ab den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts mit Rückendeckung durch die Habsburger, die den Status als offiziele Beschützer aller katholischen Bewohner in Rußland innehatten, eine tschechisch-sprachige jesuitische Gemeinde aufgebaut

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wurde. 17 In Analogie zu den politischen Avancen der kaiserlichen Regierung versuchten andere, das allmähliche Anwachsen der Ergebenheit gegenüber dem Papst in den rumänischen Fürstentümern zu nähren, wofür es bereits im Mittelalter verschwommene Vorläufer gegeben hatte. Verschiedene Orden widmeten sich dort ab etwa 1580 mit Unterbrechungen der Verbreitung des Evangeliums. 18 Keiner dieser Versuche brachte jedoch reiche Ernte. Es kam zu endlosen Unstimmigkeiten in Rußland, obwohl die jesuitischen Erziehungsmethoden das gesamte 18. Jahrhundert hindurch ihren Einfluß bewahrten. Trotz der wohlwollenden Neutralität einiger einheimischer Herrscher (einer von diesen wurde scheinbar von Leopold zu einem ungarischen Grafen und Reichsfürsten gemacht) gab es kaum ein Echo aus den Walachischen oder Moldauischen Gebieten. Selbst die direkte habsburgische Souveränität über Oltenien (Westwalachei) zwischen 1718 und 1739 führte nur zu wenigen Bekehrungen. 19 Es liegt mir daran, jene ambitionierte Einstellung aufzuzeigen und nicht die bescheidenen Rückmeldungen, die diese Einstellung im Rückblick eigentlich erzielt hat. Welche Welten hätten dem Glauben geöffnet werden können, als der junge, aufgeschlossene, dem Westen offen gegenüberstehende Zar Peter während seines Besuches in Österreich im Jahre 1698 der Beredsamkeit Kollonitz' und des kaiserlichen Beichtvaters Wolff lauschte (letzterer hielt seine Reden in einem makkaronischen Gemisch aus Tschechisch und Polnisch)! 20 Die habsburgischen Intellektuellen widmeten ihre Aufmerksamkeit nun in steigendem Maße auch dem Osmanischen Reich, ein Interesse, das sowohl von den praktischen Bedürfnissen des Moments als auch von umfassenderen Vorhaben für die Bekehrung, ja vielleicht sogar die politische Hegemonie im Nahen Osten diktiert wurde. Diese Anstrengungen begannen bereits lange vor 1683, ja sie können in der Tat bis auf den humanistischen Wissensdurst von Männern wie Busbecq und Lewenklau, Hieronymus Megiser und Peter Kirsten aus Breslau zurückverfolgt werden. 21 Sie nahmen dann um die Mitte des 17. Jahrhunderts mit einer Reihe von Botschaften an die Hohe Pforte beträchtlich zu, die ihren Höhepunkt in der Mission des Grafen Walter Leslie nach der Schlacht von St. Gotthard fand, wo die habsburgischen Truppen der osmanischen Armee eine erste große Niederlage zugefügt hatten. Auch fielen sie mit ersten Plänen für ein Eindringen des österreichischen Handels in den Balkanraum zusammen. 22 In den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts begannen zwei Männer in Wien mit dem ernsthaften Studium der orientalischen Sprachen. Einer der beiden, der aus Lothringen stammende und in Diensten des polnischen Königs geadelte Franz Meninski ä Mesgnien, errichtete seine eigene Druckerei, um ein bahnbrechendes Arabisch-Persisch-Türkisches Wörterbuch zu drucken. Der zweite, Giovanni Battista Podestä, erklomm als kaiserlicher Übersetzer und Bevollmächtigter die Erfolgsleiter, wurde Universitätsprofessor und verfaßte verschiedene Werke über die Sprachen und Traditionen des Osmanischen Reiches. Beide unterhielten enge Verbindungen zum Hof. Meninski, ein Mitglied des Hofkriegsrates, half dabei, einen Katalog der orientalischen Handschriften in der Hofbibliothek zu erstellen, und Podestä war einer der treuesten Korrespondenten Lambecks. 23 Waren ihre Initiativen auch keineswegs harmonisch - ein flammender Streit brach zwischen den beiden aus, der ihrer eingewanderten Zeitgenossen, der urwüchsigen Iren Carve und Bruodin wür-

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dig gewesen wäre - , so leiteten sie dennoch die herausragenden österreichischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Orientalistik im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts ein. 24 Praktische Ziele gingen gewöhnlich Hand in Hand mit Plänen für eine religiöse Mission. Sie waren, abgesehen von der allgemeinen Hoffnung auf eine Vereinigung mit der Orthodoxie, für die Balkanländer selbst nicht klar artikuliert - zu sehr hatten die Habsburger unter Prätendenten und Abenteurern gelitten, um irgendeine feste Bindung auf solch heimtückischem Boden zu riskieren.25 Zu größerer Aufregung kam es, trotz ihrer geringen Zahl, durch die Kopten, jene überlebende christliche Bevölkerung des Niltales. Kircher untersuchte in einem umfangreichen Werk ihre Sprache, deren Alter und Verbindungen zu den Hieroglyphen er richtigerweise ahnte. 26 Da er, wie wir gleich sehen werden, das alte Koptische als Vermittler der okkulten Weisheit des Hermes Trismegistus verehrte, blieb der wissenschaftliche Gehalt seiner Arbeit notwendigerweise eher dürftig, der religiöse Gehalt wurde jedoch entsprechend gesteigert. Andere Deutsche, unter ihnen Leibniz und vor allem Ludolf in Gotha, der erste bedeutende europäische Autor über die Geschichte und Sprache der Äthiopier, nahmen dieses Thema auf. Ludolf, dieser vorsichtige und gemäßigte Lutheraner, war eine ganz andersartige Persönlichkeit als Kircher, seine Hingabe an die kaiserliche Causa jedoch steht außer Frage. Er wurde ein guter Freund Lembecks und persönlich in seiner Arbeit durch Leopold ermutigt. Konfessionelle Hintergedanken sind bei Ludolfs umherziehendem Schüler Wansleb viel deutlicher zu erkennen. Dieser enttäuschte seinen Lehrer nicht nur durch die Tatsache, daß er lediglich bis Ägypten vorstieß, als er ausgesandt wurde, um Äthiopien zu erforschen, sowie durch seine beklagenswert ungenaue amharische Gelehrsamkeit, sondern auch dadurch, daß er zur römischen Kirche übertrat. 27 Christliche Gemeinden im asiatischen Nahen Osten schienen ebenfalls reif für einen Schutz durch die Habsburger. Auch hier sah Österreich auf eine gewisse Tradition zurück. So wurde beispielsweise die editio princeps des syrischen Neuen Testaments 1555 in Wien veröffentlicht (sie wurde dann 1684 von Knorr von Rosenroth in Sulzbach in einer Neuauflage herausgebracht). Darüber hinaus gab es schon seit langem, wenn auch nur gelegentliche Kontakte zwischen dem kaiserlichen Hof und Persien. 28 Die interessantesten Entwicklungen in dieser Richtung waren Avancen gegenüber den Armeniern, die zu einer bemerkenswerten Antwort seitens eines gewissen Peter Bedik führten, eines adeligen Emigranten aus dem Kaukasus, der, bevor er nach Wien kam, am Jesuitenkollegium in Rom studierte. In Wirklichkeit waren die Aussichten für eine wahrhafte kirchliche Union in Armenien, dieser umkämpften Bergfeste, die unter dem Druck der Türken und Perser stand, niemals sehr groß. Doch wer vermochte sich dies vorzustellen, als man die 1678 von Bedik verfaßte eigenartige Abhandlung mit dem Titel Cehil Sutun las? Nicht nur die Armenier sind für ihn geistig eins mit dem katholischen Europa, ganz Persien wäre reif für eine Bekehrung. Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches hätten die Aufgabe, den legendären, jedoch verfallenden Tempel des Königs Kyros wieder zu errichten. Sie sind das große Licht des östlichen Christentums, und Bedik fühlt sich als einer der weisen Männer der alten Zeit, der seine Wallfahrt zum aufgehenden Stern Österreichs unternimmt. 29

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Solch orientalische Schmeichelei konnte ihre Wirkung auf die Gemüter nicht verfehlen, die sich bereits nach dem asiatischen Horizont streckten. Der höchste Preis jedoch winkte in noch größerer Ferne: China. Die Bekehrung der Chinesen lockte seit den Anfängen der Gegenreformation italienische und spanische Geistliche an. Die Initiative des hl. Franz Xaver wurde von der nächsten tatkräftigen Generation von Jesuiten, vor allem von dem herausragenden Matteo Ricci, aufgegriffen. Die Zeit des wirklichen Einflusses der Gesellschaft Jesu am kaiserlichen Hof und unter der Mandarinkaste begann um die Mitte des 17. Jahrhunderts unter der neuen Mandschu Dynastie und erreichte in den neunziger Jahren ihren Höhepunkt. Sie fiel mit der Ankunft mehrerer abenteuerlustiger Missionare aus Mitteleuropa zusammen. 30 Die beiden Österreicher Bernhard Diestel und Johann Grueber waren die ersten, die Peking über Persien erreichten. Der Mathematiker Grueber, der als hervorragendster Landreisender des Jahrhunderts bezeichnet worden ist, durchquerte auf seinem Rückweg nach Rom sogar die nicht auf Landkarten eingezeichneten Wüsten Zentralasiens und beschloß sein ereignisreiches Leben, um Seelen ringend, in Ostungarn. Der Tiroler Martin Martini übersetzte im Rahmen einer Uberzeugungskampagne eine Reihe theologischer und philosophischer Arbeiten ins Chinesische. Andere, wie Christian Herdricht aus Graz und Karel SlaviCek aus Mähren, führten dieses Werk fort. Adam Schall aus Köln und dessen Nachfolger, der Flame Ferdinand Verbiest überlieferten die Faszination der Astronomie und des Instrumentenbaus ihrer jesuitischen Zeitgenossen. 31 In der Heimat priesen katholische Intellektuelle die Errungenschaften dieser Pioniere und stellten sie in einen größeren utopischen Kontext. Wiederum spielte Kircher eine Schlüsselrolle. Er zeichnete nicht nur die Geschichten von Grueber oder dem Augsburger Heinrich Roth auf, von dem er die ersten in Europa veröffentlichten Exemplare des Sanskrits erhielt, er erstellte auch eine umfassende geistige Geschichte Chinas, in der dem Christentum hier bereits seit den ersten nachchristlichen Jahrhunderten eine bleibende Kraft zukommt. Das unwahrscheinliche (wenn auch typische) Argument beruht auf seiner Interpretation einer aus dem 8. Jahrhundert stammenden „Nestorianischen" Tafel, die 1625 in der Provinz Schansi ausgegraben wurde. 32 Die Habsburger waren nur allzu bereit, diesem Unternehmen den Rücken zu decken. Kirchers Buch erschien unter ihrer Ägide. Der polnische Jesuit Michal Boym konnte seine erstaunliche Abhandlung über die Flora Chinas mit einer Widmung an den jungen Leopold (1655) in Wien veröffentlichen. Im selben Jahr legte Martini Erzherzog Leopold Wilhelm seinen Atlas dieses Landes vor, in dem er ein äußerst positives Bild der chinesischen Zivilisation zeichnet und dem Katholizismus begeistert einen raschen Triumph vorhersagt. Später ließ sich ein französischer Jesuit, F r a n c i s Noel, in Prag nieder, wo auch verschiedene seiner bedeutenden Arbeiten über die chinesische Kultur herauskamen. 33 Eine vom Kaiser geförderte Chinoiserie schlug im Reich Wurzeln - Zeugnis hiefür sind Sandrarts Beschreibungen der chinesischen Kunst sowie Fischer von Erlachs Beschreibung der chinesischen Bauwerke - und führte auch zu ernsthaften Spekulationen im lutherischen Lager. Leibniz begrüßte die Erfolge seiner jesuitischen Freunde als Teil eines großangelegten Planes zur Aussöhnung zwischen der christlichen und der chinesischen Philosophie, und ein so zweitrangiger Gelehrter wie Andreas Müller aus Ber-

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lin versuchte, bei Lambeck und Kircher Interesse für seine Arbeiten an einem clavis sinica oder „Schlüssel zur Chinesischen Sprache" zu wecken. 34 All diese Anstrengungen waren letztlich ein seelischer Auftrag sub specie universi. Sie wurden sogar auf Amerika ausgedehnt, und zwar nicht so sehr durch den anhaltenden Strom mitteleuropäischer Einwanderer in dieses Gebiet (so etwa der Astronom Valentin Stansel, der am klaren Himmel der Neuen Welt Kometen beobachtete, oder J. V. Richter, der in den Anden von Indianern getötet wurde, oder Frantiäek Borynö, der in Peru bei den Moxos Gottesdienste abhielt 35 ), sondern vielmehr durch die bei den Habsburgern zwischen den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts und 1714 so begehrte Aussicht, daß Österreich das ausgedehnte spanische Imperium (sowohl die überseeischen Besitzungen als auch die iberischen, italienischen und niederländischen Gebiete) erben würde. Die „Gegenreformation" ging nun in einer breiteren Strömung auf. Sie wurde zum Antrieb für die Mutter Kirche, all jene für sich zu gewinnen, die, gerade weil sie keine Protestanten waren, frei von allen Fesseln der offenen und hartnäckigen Häresie waren. Der Aberglaube, vor allem der östlichen Kirchen, mochte zwar ein Wirrwarr an schändlichen und einfältigen Irrtümern sein, eine diesbezügliche Korrektur war jedoch, bei einer gewissen großzügigen Sicht, nicht notwendigerweise unmöglich.36 Die Mission ging vor allem von Rom aus, dieser Drehscheibe des weltweiten Katholizismus, wo die Leitung der internationalen Orden beheimatet war, wo es orientalische Kollegien gab usw. Doch war dies auch ein Katholizismus betont kaiserlicher Prägung, der aus den Umständen innerhalb der Monarchie und des Reiches erwuchs und der daher auch einige kompromißbereite Lutheraner, wie etwa Leibniz, in seinen Bann zog. Dieser Universalismus war keineswegs nur ein seelisches Bedürfnis. Er stand in Verbindung mit der Suche nach einer bereits in den Kapiteln neun und zehn angesprochenen intellektuellen Synthese, mit dem für das 17. Jahrhundert kennzeichnenden Streben nach System im besonderen Rahmen einer charakteristisch katholischen und irrationalen Matrix. Das Programm der weltweiten Verkündigung des Evangeliums gab den Studien auf dem Gebiet der universalen Logik, der universalen Sprache, der universalen Harmonie und der universalen Wissenschaft eine eigene Dimension oder vielmehr eine weitere Dualität, die nach Aussöhnung verlangte. Denn während die Unionen unter den Orthodoxen (neben den politischen) vor allem theologische Probleme aufwarfen, umfaßte die Frage nach dem Status der Nichtchristen auch die philosophische Problematik. Die modernen Chinesen konnten wie die alten Griechen nicht einfach als ungeschlachte Heiden abgetan werden, zumindest nicht von solchen Männern, die auf eine Gesamtsicht der göttlichen Intention in der Welt abzielten. Die Anstrengungen, sowohl Heiden als auch Christen in eine Art katholische Theodizee miteinzubeziehen, zeigen sowohl die Größe als auch die Labilität des barocken scholastischen Gebäudes in Mitteleuropa. Ein Autor und ein Werk bilden den Höhepunkt dieser intellektuellen Tradition: Athanasius Kircher und sein Oedipus Aegyptiacus. Eine nähere Analyse des Oedipus sollte dabei helfen, die bereits untersuchten Gemeinsamkeiten zwischen Glauben und Gelehrsamkeit aufzuzeigen. Doch mutet es nicht merkwürdig an, gerade Kircher als Wortführer auszuwählen? Verbrachte er nicht den Großteil seines Le-

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bens in Rom? War er nicht mehr oder weniger ein Scharlatan? Dem ersten Einwand wurde bereits teilweise Rechnung getragen. Kircher stand nicht nur durch seine ergiebige Korrespondenz mit katholischen Schülern und wohlwollenden protestantischen Persönlichkeiten wie etwa Herzog August von Braunschweig (an den er auch Geschenke sandte, von syrischen Bibeltexten bis zu Steinen, die Hunde vor Schlangenbissen schützen sollten) in steter Verbindung zu seinem deutschen Heimatland, 37 sondern war durch ebenso enge Bande mit dem habsburgischen Hof und der Monarchie verbunden. Obwohl Kircher den Posten, der ihm von Ferdinand II. in Wien angeboten wurde, nicht annahm (dies ist nicht überraschend, bedenkt man die politische Unsicherheit der dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts), so nahm er dennoch bereitwillig vielfältige Zeichen der kaiserlichen Gunst an. Ferdinand III. gewährte ihm finanzielle Unterstützung bei der Veröffentlichung seiner Bücher. So waren etwa 3.000 Dukaten notwendig, um die Ausgaben für den Oedipus Aegyptiacus mit all seinen fremdartigen Schrifttypen abzudecken, und Ferdinand fügte hiezu noch eine Jahresrente von 100 Dukaten, die auch von Leopold beibehalten wurde. Darüber hinaus befolgte man Kirchers Rat in Fragen wie beispielsweise der musikalischen Komposition. 38 Der Jesuit antwortete mit einer Flut von Widmungen, Geschenken, Erfindungen und Anregungen. Habsburgische Literaten, hohe Geistliche und Angehörige des Hochadels konsultierten und besuchten ihn in Italien und tauschten Bücher und Manuskripte mit ihm aus. Ferenc Nädasdy gab sogar ein Portrait des Gelehrten in Auftrag, das neben anderen Kunstgegenständen in einem seiner ungarischen Schlösser hängen sollte. 39 Der zweite Einwand ist ein grundsätzlicherer, wenn auch kein entscheidender. Kircher war sicher um Eigenwerbung bemüht, und die Nachwelt neigte dazu, seine enorme Arbeitsleistung streng zu beurteilen, sie als einfallslose Sammlung, hochtrabende Beschäftigung mit Trivialem oder Irregeleitetem, ja selbst als Betrug abzutun, dem verschiedene Motive der Frömmigkeit und des Ehrgeizes zugrunde lagen. 40 Die Wahrheit jedoch ist viel komplizierter, da Kircher zu seiner Zeit unter seinesgleichen ein ebenso berühmter Mann war, wie er seither in Verruf gebracht wurde. Dieser Ruhm muß näher erklärt werden, und es bedarf einer Neueinschätzung seines Standortes innerhalb der Geschichte des Denkens. Er muß - nicht im Sinne irgendeiner Genealogie des Modernismus, da es nicht sinnvoll ist, die gelegentlich fortschrittlichen Krumen aus seinen Schriften herauszupicken (wie die Experimente mit Linsen und Magneten) - an das Ende einer langen intellektuellen Tradition gereiht werden, und zwar zu einer Zeit und in einem Gebiet, die ihm seinen Ruhm verliehen und seine Schwächen teilten. Kirchers Scharfsinn und Aufgeblasenheit, seine Einsichten und Verirrungen, sie alle sind ein Spiegelbild der leichtgläubigen elitären Kultur der mitteleuropäischen Gesellschaft. Der Oedipus Aegyptiacus41 ist Kirchers magnum opus und - im Rückblick auch sein groteskester Irrtum. Ein fehlerhaftes Meisterwerk auf 2.000 Folioseiten, das 1 6 5 2 - 1 6 5 4 in Rom veröffentlicht wurde und der zweifachen These gewidmet ist, daß die Hieroglyphen okkulte Darstellungen der christlichen Wahrheit seien und die spätere Geschichte der Zivilisation ein Wettstreit zwischen den zwei Gesichtern einer einzigen ägyptischen Münze, nämlich der schwarzen Magie des Aberglaubens und der weißen Magie der Kirche, gewesen sei. Erstmals beschäftigte er sich als Se-

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minarist mit diesen Themen und arbeitete ab den frühen dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts dann eingehend an ihnen. Tatsächlich war die Ägyptologie mit der eigentliche Grund, warum er sich für immer in Rom niederließ, wo er sich mit dem Studium der Obelisken beschäftigte, die während der Renaissance in die Stadt gebracht worden waren. 42 Der Oedipus beginnt mit einer schwülstigen Darstellung der gegenseitigen Bewunderung zwischen den Habsburgern und ihrem jesuitischen Verfechter und Günstling. Auf Kirchers Widmung an Ferdinand III. folgt eine kaiserliche Beteuerung der glänzenden Verdienste des Autors („Imperii nostri subditus"), der den Weg zu einer Wiederentdeckung der urzeitlichen Weisheit eröffnet hätte, und schließlich in 24 verschiedenen Sprachen eine gewaltige Apotheose auf Ferdinand. Flotte deutsche Stanzen von Harsdörffer aus Nürnberg und spitze englische Verse des exzentrischen Exilierten J. A. Gibbes stehen Seite an Seite mit einer chinesischen Huldigung von Boym und, als Hauptteil, eine hieroglyphische Inschrift von Kircher selbst. 43 Dann verteidigt Kircher in einem streitlustigen Vorwort (er nennt es Propylaeum Agonisticum) die Berechtigung dieses Unterfangens und skizziert in groben Zügen seine Gründe. Kein Wissen sei so schwierig, daß der „Scharfsinn des menschlichen Intellekts" nicht in dieses eindringen könnte, keine Kenntnis so vollständig ausgelöscht, daß nicht irgendeine Spur vorhanden wäre. So überlebte die Weisheit der alten Ägypter unter den Griechen und selbst unter den Juden, deren Kabbala eine Art Hebräisierung der hieroglyphischen Botschaft sei. Sie lag jedoch stets im Dunkeln, die Domäne einiger weniger gelehrter Männer, wie Kirchers fidus Achates, Kaspar Schott, dem Leser in einem weiteren Vorwort versichert. Schließlich, nachdem er nochmals seine gelehrte Aufrichtigkeit betont hat, erklärt sich Kircher bereit, die Mysterien der Antike zu entwirren. Unmittelbar nach der Sintflut, so sagt Kircher, wurde der Staat der Ägypter durch Ham, oder Osiris, den Sohn Noahs, gegründet, vielleicht auch nur zu neuem Leben erweckt 4 4 Als weise und gut fundierte politische Ordnung mit einem strengen offiziellen religiösen Ethos sah er sich dennoch von Anbeginn an einer fundamentalen Dualität gegenüber. Die von Adam über Noah überlieferte Offenbarung Gottes wurde unausgesetzt durch jene pervertiert, die sich die damit verbundene Macht nicht im Dienste eines seelischen Ganzen, sondern im Sinne der angewandten Magie zunutze machen wollten. Der größte Lästerer dieses wahren und universellen Glaubens war Ham selbst, sein größter Verfechter dessen Enkel Hermes (oder Mercurius) Trismegistus, den Kircher als Staatsmann, Gesetzgeber und Schöpfer der Hieroglyphen verehrt. Unter Hermes waren die Schlachtlinien bereits gezogen, eine gelehrte und weise Priesterschaft wurde durch die teuflischen Machenschaften ihrer Feinde dazu gezwungen, die göttliche Botschaft hinter symbolischen Formen zu verschleiern. Können wir hinter dieser Antithese nicht bereits auch die Konturen der mitteleuropäischen Kultur des 17. Jahrhunderts und ihr barockes Wechselspiel von Licht und Dunkel entdecken? Kircher bespricht nun die berüchtigten Arten des Aberglaubens der Ägypter, ihren Polytheismus und ihren Götzendienst, ihre Opfer und Tierriten, die häufig von größerer Phantasie als Sittenstrenge zeugen. Diese Kulte wurden dann von den Menschen des klassischen Zeitalters übernommen, wo (beispielsweise) Osiris zu

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Dionysios wurde. Nicht nur auf Griechen und Römer gingen sie über, da dieselben Schibboleths in der gesamten Alten Welt verbreitet wurden: unter den Juden, denen sie durch die Nachkommen Hams - „primi omnis superstitionis ac idololatricae (sie) impietatis Authores" - und die Konkubinen Salomons überliefert wurden, unter den Chaldäern, Arabern und Persern, unter den Chinesen, Japanern, Tartaren, Indern, Afrikanern und Amerikanern. Sie alle hatten ihre Baalsgötter, ihre goldenen Kälber und ihre Moloche . . . Der Großteil des ersten Bandes des Oedipus ist einem Uberblick über die mephistophelischen Arbeiten gewidmet, die durch den Geist der Verneinung, den „Affen des Herrn", ermöglicht wurden, und Ham nimmt hier ganz augenscheinlich einige Züge Luzifers und Prometheus' an. In Band zwei stellt Kircher das Gleichgewicht erneut her und gibt eine monumentale Auslegung des in überwältigendem Maße positiven Beitrags Hermes' und seiner Anhänger. Sie hätten, im Gegensatz dazu, die sublime geistige und metaphysische Wahrheit erkannt. Ich werde mich bemühen, seinem grundsätzlichen Plan zu folgen, auch wenn dieser oft reich an Phantastereien ist. Er beginnt mit einer Analyse des Begriffs des Symbols, „das aufgrund seiner Natur unseren Geist durch eine Art Gleichnis zum Verständnis einer Welt führt, die sich von den Dingen, die sich unseren äußeren Sinnen darbieten, wesentlich unterscheidet. Ihre Eigenschaften müssen hinter dem Schleier der Obskurität verborgen bleiben". Auch hier treten wir in die Welt der okkulten Begründung ein, die das Barock von der Spätrenaissance geerbt hat, ein Vermächtnis, das in Kirchers Bericht über Embleme und imprese unterstrichen wird. 45 Als nächstes stellt er Überlegungen über den Ursprung der Sprache an und versucht, den Primat des Hebräischen als der Sprache Adams zu beweisen. Dies ist ein Thema, das im 17. Jahrhundert sehr verbreitet war, jedoch im Oedipus den charakteristischen Stempel des Symbolismus trägt und offenkundig in Verbindung zu dem Werk des Autors über „Steganographie" und „Polygraphie" steht. 46 Kircher kehrt dann, in einem Abschnitt, der den bedeutungsvollen Titel Sphinx mystagoga trägt (mit einer Widmung an den zukünftigen Obersthofmeister Lamberg), zur Sphäre der alten Arcana zurück, indem er Parallelen zwischen den ägyptischen Mysterien und Zarathustra, Orpheus, Pythagoras, den Fabeln der Götter und der neuplatonischen Interpretation des furor poeticus aufzeigt. Ab diesem Punkt erhellt sich uns allmählich Kirchers erstaunliches Hauptargument. Absolute Wahrheiten, so versucht er zu zeigen, wurden von Gott in zwei Schritten überliefert: zunächst als hebräische Weisheit an Adam, die dann zur jüdischen oder kabbalistischen esoterischen Tradition führten, und zweitens durch Hermes an die Ägypter, die sie in der noch unergründlicheren Gestalt der Hieroglyphen verewigten. Abschnitt vier, der eine Widmung an Bernard Ignäc Martinitz trägt, beschäftigt sich mit der Kabbala. Natürlich handelt es sich dabei häufig um rabbinische Verdrehungen, und die päpstlichen Anathema sind durchaus berechtigt, der wahre, echte Kabbalismus jedoch spricht von den Mysterien der Welt und ihrer Schöpfung 47 Sie birgt sowohl eine geistige Offenbarung, vor allem in dem tetragrammaton, dem Heiligen Namen Gottes, als auch eine natürliche Offenbarung, wie etwa große Teile (obwohl keineswegs alle) des kosmischen Schemas der Kabbala mit der katholischen Wissenschaft in Einklang gebracht werden können. Ein Brücken-

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schlag über arabische Imitatoren des jüdischen Gedankengutes führt uns zu den ägyptischen Philosophen. Deren Kosmologie, wie sie von Kircher ausgelegt (und einem polnischen Bischof gewidmet) wird, mutet mit ihrer Welt engelsgleicher Intelligenzen, mit dem Sonnensystem und den Elementen wie ein christlicher Aristotelismus vor der Niederschrift an. Tatsächlich hätte Aristoteles seine scholastischen Grundwahrheiten „nicht von seinen eigenen Ideen" abgeleitet, „sondern von denen der alten Ägypter, in Übereinstimmung mit deren dunkler hieroglyphischer Lehre". 48 Der siebente und längste Abschnitt bildet das Kernstück des Oedipus und trägt dementsprechend gewichtige Widmungen an mitteleuropäische Persönlichkeiten, den Kaiser und dessen Beichtvater Gans, einen Liechtenstein, einen Auersperg und Johann Friedrich von Braunschweig. Er handelt von der Mathematik und der Physik der Ägypter, die diese erfanden. Erneut sind diese Themen nicht genau das, was sie zu sein scheinen, sondern bergen immer eine symbolische Bedeutung. Selbst die Arithmetik, in der „durch eine gewisse okkulte Analogie der verborgenere Teil der Theologie enthalten ist.". Wir hören sowohl von der versteckten Bedeutung der Zahlen und den Mysterien der geometrischen Figuren, von hermetischer Musik, Astronomie und Zeitmessung als auch von dem falschen Gebrauch der Astrologie, wie er von Ham und seiner Nachkommenschaft eingeführt wurde. 49 Die Physik leitet über zur Mechanik, für die (wie wir gesehen haben) nicht nur der Autor eine Vorliebe hatte, sondern offensichtlich auch Erzbischof Lippay, an den seine Widmung gerichtet ist. Kircher beschreibt die Wunder der ägyptischen Baukunst, ihre Pyramiden, Tempel, Labyrinthe, Maschinen zum Heben von Gewichten, ihre Bewässerungssysteme und vor allem ihre Experimente in der reinen Thaumaturgie, wie etwa die sprechende Statue des Memnon. Sie arbeiteten, darauf besteht Kircher, nicht mit teuflischer Hilfe, sondern mit Hilfe der natürlichen und daher christlichen Magie, wie auch von Schott in seiner Technica Curiosa oder von Lana-Terzi in seinem Magisterium noch weiter ausgeführt werden sollte. 50 Das nächste „hermetische" Thema ist die Medizin. Am Beginn steht eine Widmung an den Kurfürsten von Mainz. Hier wiederholt Kircher sein durch den gesamten Oedipus hindurch verfolgtes Ziel. „Unsere einzige Intention (ist es) diese falschen Künste auszurotten, die durch den Teufel ausgestreut wurden und ihre Fühler bis in unsere Zeit ausstrecken, und durch eine wahre Deutung die Geheimnisse der hieroglyphischen Lehre zu enthüllen." So lehrte Hermes Trismegistus, während das gemeine Volk Zuflucht zu Amuletten und ähnlichem Aberglauben nahm, eine seelische Heilung, die sich von Adam herleitet, auf natürlichen Sympathien und Antipathien beruht und durch das Gebet bestärkt wird - mit anderen Worten, eine wahrhaft christliche Therapie. 51 Der Leser wird in seiner Phantasie in ein Ägypten geführt, das mit weiß getünchten Wallfahrtskirchen übersät ist, ähnlich jenen Kirchen, denen Kircher in seiner Jugend in Süddeutschland begegnet sein dürfte. Das folgende ist sogar noch verblüffender: die hieroglyphische Alchimie. Denn Kircher zeigt, daß seine Verurteilung des vulgären Anspruchs, Metalle umwandeln zu können, was er später im Mundus Subterraneus so vehement wiederholt, lediglich der eine Pol eines größeren Dualismus ist. Die meisten Alchimisten sind Schwindler, und die Ägypter taten recht daran, sie zum Tode zu verurteilen, doch gibt es auch eine reine Kunst,

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die jene den Königen, Priestern und Philosophen vorbehielten. Diese umfaßte eine gewisse geistige und körperliche Verfeinerung - Kircher scheint die Möglichkeit der Existenz eines elixir vitae oder selbst einer Monade zu erwägen - und lebte durch das Medium der Hieroglyphen, durch allegorische Geschichten und andere Symbole als esoterische Tradition weiter fort. Es finden sich bei Kircher also letztlich auch Elemente der katholischen Alchimie des 17. Jahrhunderts. 52 Zwei abschließende Abschnitte des zweiten Bandes geben eine Art Zusammenfassung (wenn auch sehr diffus) des doppelten Okkultismus, der der Menschheit durch die alten Ägypter überliefert wurde. Auf der einen Seite die schwarze Magie — Astrologie, Wahrsagerei, Zauberei, Götzendienst - , die von Ham auf alle Rassen der Alten Welt überging und auch noch heute blüht. Auf der anderen Seite wurde die „Theosophia metaphysica", der sakramentale Einblick des dreimal großen Hermes in die göttlichen Eigenschaften, die Dreifaltigkeit, die Anfänge der Schöpfung und die Engel und Dämonen (würde sie erst sorgfältig von all der Verdorbenheit des Profanen getrennt), zur Grundlage des philosophischen und theologischen Gedankengebäudes aller späteren Zivilisationen. 53 Und nun können zuletzt die den Ägyptern gnädig gewährten geheimnisvollen Wahrheiten im Detail dargestellt werden. Der Rest des Oedipus ist auch tatsächlich ein glorifizierter dokumentarischer Anhang. Er umfaßt Kirchers „Entschlüsselung" hieroglyphischer Inschriften, wie der Bembinischen Tafel, des Lateranobelisken usw., unterbrochen von Widmungen an Ferdinand III. und Ferdinand IV., Leopold Wilhelm und Leopold I., Marci und Lazarus Henckel, Erzbischof Harrach, Ferenc Nädasdy und andere. 54 Während einige Bilder von echter Weisheit zeugen, illustrieren andere im wesentlichen entwürdigende Praktiken und Glaubensinhalte, wie das Tragen von Amuletten oder die Seelenwanderung. Insgesamt gesehen, hinterlassen sie uns, zumindest implizit, eine positive Botschaft, nämlich daß jenes „Wissen von der Vollkommenheit", das Kircher, eingebettet in den Mysterien der vorchristlichen Welt, gefunden hat, sicherlich die universalen Lehren der zeitgenössischen katholischen Gelehrsamkeit bestätigt. Hier mag der Skeptiker vermuten, ich hätte mich dem Oedipus Aegyptiacus allzu ausführlich gewidmet. Nun, Skeptizismus wird niemals in der Lage sein, in die Wesensart der Gegenreformation, deren äußerst bedeutender Repräsentant Kircher war, einzudringen. Er stand in einer langen Tradition und schrieb für ein gleichgesinntes (wenn auch nicht gleich phantasievolles und gebildetes) Publikum. Er personifiziert die gesamte katholische Neuformulierung des christlich humanistischen Gedankengutes der Renaissance, und seine ägyptischen Phantasien hielten der Habsburgermonarchie des 17. Jahrhunderts, wo gute und böse übernatürliche Kräfte aufeinander prallten, unbewußt einen Spiegel vor. Mit Kircher haben wir den Höhepunkt gegenreformatorischen intellektuellen Ehrgeizes erreicht. Seine Schriften, allen voran der Oedipus Aegyptiacus, sind eine Art Phänomenologie des Okkulten oder, um einen Satz zu verwenden, den er vielleicht wiedererkannt hätte, eine Summa Magiae des neuscholastischen Zeitalters. Von diesem Gipfel führte der intellektuelle Pfad steil bergab. Selbst als Männer wie Kircher ihre Ideen entwickelten, wandte sich das europäische Klima gegen sie. Sie versuchten Theologie und Philosophie durch die gemeinsame Basis der Magie zu

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verbinden. Auf lange Sicht jedoch half ihre Theologie ihrer Philosophie ebensowenig wie ihre Philosophie ihrer Theologie, und ihre Magie schwächte lediglich beide. Die Gegenreformation wurde durch die Keime der Aufklärung und durch die neugeschaffenen Ansprüche der atlantischen und baltischen Mächte bedroht. Ein endgültiges Überbordwerfen der aristotelischen Physik und Methode griff um sich. Okkulte Erklärungen wichen dem gesunden Menschenverstand und den Naturgesetzen. Selbst das Latein ihrer gelehrten Diskurse kam zunehmend außer Mode, wodurch allmählich die ihren Bestrebungen anhaftende Atmosphäre der Unwirklichkeit und des Rituals wohl noch erhöht wurde. Auch ihre „universale Sprache" erwies sich, wie wir bereits wissen, als eine Kette von leeren Formeln. Darüber hinaus war das politische Moment verloren gegangen. Das geistige Programm des Katholizismus begann sich wesentlich von dem außenpolitischen Programm der Habsburger zu unterscheiden. In den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts mußte die Dynastie einen religiösen Universalismus als eine internationale Belastung ansehen. Obzwar England und Holland die fortschrittlichsten Wortführer einer rivalisierenden Weltanschauung verkörperten, war Leopold, trotz all seiner Gewissensqualen, gezwungen, ihre Unterstützung gegen Ludwig XIV. zu suchen. Der Aufbau einer österreichischen Einflußsphäre in Osteuropa verdankte dem berechnenden und materiellen Anreiz mehr als der geistigen Eroberung. 55 Auf breiterer Front fand sich das transkontinentale Unternehmen von innen her durch einen Kampf gelähmt, der seinen Höhepunkt mit der sogenannten Ritenkontroverse über die Methoden der Jesuiten in China in einem Angriff auf den gesamten Versuch der Anpassung nichtchristlicher Zivilisationen fand. 56 So erwies sich Kirchers System also, in gesamteuropäischer Hinsicht, als innerlich leer. Es erreichte seine kunstvolle Refraktion des okkulten Universums der Renaissance durch das Prisma der katholischen Orthodoxie, gerade als andernorts die Voraussetzungen für dieses Universum abgelegt wurden. Sein Zusammenbruch war in der Tat umso vollständiger, als der Abbröckelungsprozeß bereits beträchtlich früher begonnen hatte. Im frühen 18. Jahrhundert war Kircher selbst schon ein vergessener Autor, und als die hermetischen Texte allgemein als unecht anerkannt wurden, bröckelte auch der Drehpunkt seiner Utopie ab - der Oedipus Aegyptiacus dürfte seitdem nicht mehr oft aufgeschlagen worden sein.57 Es blieben nur die disjecta membra einer grandiosen Konstruktion über, ähnlich wie der Inhalt von Kirchers Raritätenmuseum in Rom (katalogisiert von seinem Schüler Bonanni) seither als „Kuriositätensammlung" von Knochen ohne Fleisch berühmt wurde. 58 Nach westeuropäischem Maßstab hatten Kircher und seine Freunde einen dance macabre geblasen, indem sie kurz vor Mitternacht die Skelette einer untergehenden Weltordnung noch einmal zu neuem Leben erweckten. Nach westeuropäischen Maßstäben. Es ist dies ein sehr umfassendes Thema, dessen Behandlung jedoch nicht zu meinem derzeitigen Ziel gehört. Vom mitteleuropäischen Standpunkt aus standen sie für etwas ganz anderes und viel Dauerhafteres. Wenn auch dieser Gipfelpunkt nicht gehalten werden konnte, so zementierten doch die damit Hand in Hand gehenden Gesinnungen und Bestrebungen das habsburgische kulturelle imperium, das sich in der bereits beschriebenen Form im 17. Jahrhundert entwickelte. Mit anderen Worten, sie leisteten nicht nur einen be-

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deutenden Beitrag zur intellektuellen Konsolidierung innerhalb der Monarchie, sondern auch zur Unterscheidung von den Rivalen im Ausland. Diese Doppelrolle wurde auch in jenem Bereich bestätigt, in dem sich die aufstrebenden Habsburgerländer ihr außerordentlichstes und charakteristischstes Denkmal gesetzt haben, in der barocken Kunst. Es ist hier nicht der Ort für eine ernsthafte Diskussion des Barock, noch weniger für irgendeine Definition eines Wortes, dessen Bedeutung bestenfalls allmählich und unvollständig aus dem sozialen und kulturellen Kontext, der seine Geburt ermöglichte, herausgelesen werden kann. 59 Es bedarf jedoch einiger, wenn auch flüchtiger Versuche, dies zu erfassen, da es kein Zufall ist, daß die Ideale der mitteleuropäischen Gegenreformation ihre umfassendste Realisierung in der Kunst fanden. Man könnte sogar sagen, daß die gesamte Geisteshaltung auf diese Form der Kunst zustrebte, da erst dort ihr System kohärent sein konnte. Nur dort konnte eine Synthese der klassischen und christlichen Traditionen noch erfolgreich aufrecht erhalten werden. Nur dort konnte die Kluft zwischen höheren und niedrigeren Kulturen überbrückt werden. Esoterische visuelle und literarische Programme fielen mit volkstümlicher Kreativität und einer Resonanz in der breiten Öffentlichkeit zusammen. Nur dort konnten sich wirklich heimische Idiome entwickeln, die nichtsdestoweniger eine unmißverständliche Familienähnlichkeit aufweisen. Nur dort konnten Religiöses und Weltliches wirklich eins das andere ergänzen. So wurden die Künste, allen voran die Malerei, die Bildhauerei und die Architektur, zu einer reichen und extravaganten Kombination, wurden selbst zu einer Art Thaumaturgie. Sie verherrlichten die Dynastie, die Kirche und den Hochadel in einer großen magischen Apotheose, orchestriert von einer Elite und ausgeführt durch das Volk (denn, auch wenn die Form von oben kam, so wurde der Inhalt doch in breitem Ausmaß von unten geliefert). Nichts vermittelt diesen Effekt besser als die majestätischen Kaisersäle der Klöster entlang der Donau, die den irdischen Triumph der Habsburger mit einer gelehrten, doch universalen schmückenden Botschaft verbanden. Pracht und Panasch sind jedoch nur die halbe Geschichte. Die andere Quelle der barocken Kunst lag, um auf die erste Prämisse dieses Kapitels zurückzukommen, in der Unsicherheit, nicht im Vertrauen. Sie bediente sich der Illusion und der Anspielungen, des trompe d'ceil und des indirekten symbolischen Ausdrucks. Sie strebte verzweifelt nach Vollendetheit und sehnte sich nach mittelalterlichen Versicherungen. Dieser Stil birgt eine nervöse Kraft, die sich gerade aus jener grundlegenden Fragilität seiner sozio-politischen Basis in Mitteleuropa herleitet. Er ist im Vergleich zu Frankreich, wo die Basis viel stabiler war, phantastisch und verworren und im Vergleich zu Italien und Spanien, wo kein leisester Anflug von Häresie oder Rebellion überlebte, gespannt und propagandistisch. Der Künstler mit seinen außerirdischen und übernatürlichen Bezugspunkten (ähnlich wie Kircher mit seiner Auffassung des Aberglaubens als lediglich der dunklen Seite der wahren Offenbarung) war in der Lage, Konflikte zu lösen, jedoch nur dadurch, daß er die rauhe Wirklichkeit, die jene hervorrief, aufhob. Auf vielen Marktplätzen in den Gebieten der alten Monarchie kann man noch heute eine imposante Steinsäule sehen, die im allgemeinen im Lauf des späten 17.

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oder frühen 18. Jahrhunderts errichtet wurde und prächtig ausgearbeitet ist. Diese Säulen dienten verschiedenen religiösen Zwecken, so etwa der Sühne für den Ausbruch der Pest und der Danksagung für die Erlösung. Hinzu kommt ein gespanntes Vertrauen in die unsichtbaren christlichen Wahrheiten, vor allem die Verehrung der Jungfrau Maria und - besonders geheimnisvoll und erhaben - das Symbol der Dreifaltigkeit. Sie sind getreue Zeugen der Tiefen und Höhen der barocken Selbstbefragung. Die berühmteste unter ihnen, die gewaltige Pestsäule am Graben in Wien, deutet einen weiteren dreiheitlichen Begriff an, da sie auch das dreieinige habsburgische Reich von Österreich, Böhmen und Ungarn darstellt. Dies ist jedoch nicht überraschend, da das Konzept von Leopold I. und dessen Beichtvater aus dem Jesuitenorden entworfen wurde. 60 Die Kunst jener Zeit spiegelt die dreifache Aussage dieses Buches wider und faßt sie ebenso auch zusammen, sodaß wir uns ihrer als eines Nagels bedienen können, um daran einige Schlußfolgerungen aufzuhängen. Zu allererst brachte sie die Macht und die Ängste der neuen weltlichen und kirchlichen Gesellschaft zum Ausdruck. Die Dynastie schreitet festen Schrittes, doch etwas fehl am Platz, über die prächtigen Decken ihrer Paläste und Klöster. Zu guter Letzt konnte nur das Auge des Betrachters sie mit einer dritten Dimension versehen, ebenso wie die stolzen Gebäude, die der Wiener Hofburg hinzugefügt wurden, das Fehlen einer entsprechenden Ausdehnung der Regierungsgewalt verbargen. Der Hochadel brüstete sich mit der Bedeutung seiner Stellung. Zeugnis hiefür sind beispielsweise die Liechtenstein des späteren 17. Jahrhunderts, die ihren drei Leidenschaften für die Architektur, die Alchimie und das Reiten freien Lauf ließen und sogar ihre Pferde in monumentalen, von Fischer von Erlach entworfenen Ställen unterbrachten. Auch hier bleibt aber ein Unterton an Zweifel bestehen wie bei der Verehrung der Vorfahren in manchen Familien, so etwa der Althan in Frain, oder bei der Schrullenhaftigkeit so vieler adeliger Schutzherrn. 61 Die Kirche ihrerseits hielt Einzug in ein Zeitalter frenetischer Zurschaustellung. Mit noch nie dagewesener Eile kam es im gesamten Raum der Monarchie zu Neu- und Umbauten, wobei die Myriaden von Kalvarien und Wallfahrtskirchen, Votiv-Altären und Statuen in Stadt und Land eine dichte kirchliche Landschaft schufen. Die Kirche bediente sich sowohl der plastischen Kunst als auch der literarischen Dramen, die in ihren Kollegien und Schulen aufgeführt wurden, um die heilige Harmonie der Welt und ihre absolute Ordnung zu betonen, die sich hinter der veränderlichen Fassade der menschlichen Schwächen verbarg. 62 Zweitens verkörperte die Kunst jene bedingte Einigung zwischen dem Zentrum und den einzelnen Gebieten, die bereits in Teil zwei analysiert wurde. Im späten 17. Jahrhundert wich der kosmopolitische italienisierte Stil bereits den Schöpfungen einer neuen Generation einheimischer Künstler, die sich die bodenständigen Handwerkstraditionen und Materialien zunutze machten. In Österreich war dies das Zeitalter von Fischer von Erlach (aus Graz), von Prandtauer, Munggenast und Troger (aus Tirol), von Donner (aus Niederösterreich), Gran (aus Wien), Rottmayr (aus Salzburg) und vielen anderen zweitrangigen Talenten. 63 In Böhmen wetteiferten Einzelpersönlichkeiten wie Brandl und Santini-Aichel, Jäckl und Kaftka mit ganzen Familien wie den Dientzenhofer, Braun und Brokoff. 64 Selbst in Ungarn begannen

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naturalisierte Ausländer und ihre heimischen Schüler, Werke mit typisch lokalen Charakteristika zu schaffen. 65 Nun, die grundlegende Sprache blieb aber, natürlich, international. Die Künstler überschritten immer noch ohne weiteres die Grenzen, und Maler wie Kupecky oder - später - Maulpertsch können mit nichts Geringerem als der gesamten Kultur Mitteleuropas zu jener Zeit identifiziert werden. Die umfassendsten Möglichkeiten für die Zukunft lagen in der Kunst mit den universalsten Ausdrucksformen, der Musik; vor allem in Böhmen und den österreichischen Herzogtümern, wo viele der Dorfkantoren oder Klosterorganisten der Barockzeit das Ihre zur großen Blüte der Komponisten und Musiker im 18. Jahrhundert beitrugen. 66 Letztendlich und am offensichtlichsten gehörte die Kunst zum intellektuellen Umfeld der Gegenreformation, sie suchte nach derselben Synthese und nach demselben Einklang zwischen den Gegensätzen, bediente sich desselben erfundenen Vokabulars der Metapher, um zu verblüffen und zu erstaunen, zeigte die gleiche morbide Besessenheit durch das Böse in all seinen Gestalten und frönte derselben Neigung zum Altertümlichen und Obskuren. Das eine konnte das andere nicht lange überleben, und so waren beide dazu verdammt, unvollkommen zu bleiben. Die Pläne des Barock überstiegen die Ressourcen, wie auch Dutzende von überschwenglichen Bauten unvollendet blieben, als sich die Stimmung und die Umstände änderten. Die Nachwelt war ebenso wenig in der Lage seine großartigeren Unterfangen zu rekonstruieren, wie es ihr auch nicht gelang, den letzten contrapunctus in Bachs Kunst der Fuge fertigzustellen. Die barocke Monarchie des Hauses Habsburg berief sich auf Kräfte, die nicht nur übernational waren, sondern auch, bei jeder nüchternen Betrachtung, fast übernatürlich - sie waren bestenfalls der unsichere Grundstein für eine dauerhafte und wirkungsvolle Souveränität.

Epilog Es verbleibt mir jetzt nur mehr, einige Folgen zu skizzieren, die diese Ansicht über die Entstehung der Habsburgermonarchie für ihre nachfolgende Geschichte in sich bergen mag. Ich habe dahingehend argumentiert, daß im Laufe des 17. Jahrhunderts eine Einheit durch den politischen Akt der Gegenreformation, durch die soziale und ökonomische Entwicklung und vor allem durch ein ganzes Bündel an allgemeinen geistigen Gewohnheiten begünstigt wurde, die wir (zumindest gegen Ende dieser Periode) als charakteristische Kultur beschreiben können. Während die Dynastie und ihre Ratgeber sich nahezu unausgesetzt um eine strengere zentrale Kontrolle bemühten, wuchs die Konformität eher als Ergebnis eines Prozesses des Einverständnisses, der von jenen, die daran teilhatten, nicht notwendigerweise verstanden und sicherlich nicht von einer einzelnen Gruppe aufgedrängt wurde. Das Resultat war ein komplexer, subtil ausgeglichener Organismus, kein „Staat", sondern eine zaghafte zentripetale Agglutination verwirrend heterogener Elemente. Auf dieser Grundlage erlangten die Habsburgerländer im Laufe einer Reihe von Kriegen gegen die Türken und Franzosen zwischen den Jahren 1683 und 1719 den Status einer Großmacht. Alle Historiker seit Ranke, die den Aufstieg Österreichs vom Standpunkt seiner militärischen Triumphe während dieser Jahrzehnte aus gesehen haben, spannen den Wagen sozusagen vor die Pferde. Tatsächlich bewegte sich dieser Kriegskarren einer weitgehend unmilitärischen Dynastie nun unbarmherzig auf eine Art und Weise vorwärts, für die es weder in der Zeit davor noch danach Parallelen gibt, doch wurde er durch die Logik der heimischen politischen Verbindungen innerhalb der Monarchie gestützt und durch die bereits formulierte kampfbereite Ideologie vorangezogen. Die Belagerung Wiens und die Schlacht bei Höchstädt verliehen einen großen psychologischen Antrieb, doch (ähnlich dem Debakel von Königgrätz vor dem Ausgleich von 1867) änderten sie nichts an der Richtung der Entwicklung oder an der Diskussionsgrundlage. Hand in Hand mit der territorialen Expansion und dem diplomatischen Einfluß kam es zur vollsten Entfaltung der barocken Zivilisation. Die Bautätigkeit, die schönen Künste, der Prunk und die Volksfrömmigkeit, sie alle erreichten - ironischerweise - ihre größte Entfaltung gerade unter der Herrschaft der am wenigsten schillernden Persönlichkeit der Habsburgerkaiser, unter Karl VI. (1711-1740). Auch hier lagen die Wurzeln des Fortschritts in der vorangegangenen Entwicklung. Mitteleuropa war im frühen 18. Jahrhundert schließlich, den äußeren Erscheinungsformen nach, zu einem geordneten, angemessen wohlhabenden und kulturell und politisch harmonischen Reich geworden. Diese äußere Erscheinungsform verdeckte größere Schwächen zweifacher, ein-

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Epilog

ander überlappender Natur. Die erste Schwäche haben wir bereits untersucht: die Schwierigkeiten, die aus der unvollständigen Konsolidierung der Gesellschaftsstruktur der Gegenreformation resultierten. Auf der einen Seite gelang es der Wiener Regierung nie zur Gänze, die übernationalen religiösen und politischen Loyalitäten ihrer Völker zu beherrschen. Der „Ultramontanismus" wurde, zumindest als taktische Überlegung, vor allem in Ungarn, wie die Affäre Kollär zeigen würde, nie ausgerottet. Andererseits überlebten lokale Gefühle, die zeitweise sogar durch einen verstärkten Glauben an Schutzheilige, uralte Traditionen und an Assoziationen, die mit bestimmten Orten verbunden waren, noch gesteigert wurden. Zwischen Provinzialismus und Kosmopolitismus tat sich also ein Niemandsland auf, das sowohl institutionell als auch emotionell unbesetzt blieb. Frühere Anhänglichkeiten konnten durch solche gegenüber der Monarchie stark überlagert werden, doch wurden sie nur selten durch solche transmutiert (die kaiserliche Alchimie war letzten Endes stets eine erfolglose Wissenschaft). Schlimmer noch, es gab Gebiete im privaten und selbst im öffentlichen Leben, die außerhalb des gesamten Spektrums des barocken politischen Gemeinwesens standen. Eine große protestantische Minderheit in Ungarn und Schlesien und Horte tiefverwurzelter Häresie in anderen Gebieten riefen, obwohl auch sie keineswegs von dem herrschenden Ethos unberührt blieben, verdrossene Ressentiments gegenüber einem Machtsystem hervor, von dem sie gerade durch die Staatsphilosophie ausgeschlossen waren. In Schlesien begann, wie vorherzusehen, dieser Fäulnisprozeß in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts; Ungarn nahm ihn einige Jahrzehnte später auf. Die fatale Kluft zwischen einer Theorie, derzufolge das protestantische Erbe verflucht wurde, und einer Praxis, wo dieses nicht gänzlich ausgerottet werden konnte, bot dem Widerstand einen mächtigen Angriffspunkt. Sowohl der ungarische als auch der tschechische Nationalismus waren das direkte Ergebnis. Neben dieser protestantischen Bedrohung erscheint die Gefahr, die sich aus der Unzufriedenheit der sozial Unterprivilegierten ergab, viel langfristiger, die jacqueries des 18. Jahrhunderts dienten im Grunde immer noch (jedoch nur gerade noch) dazu, das Bedürfnis nach Solidarität innerhalb der herrschenden Allianz zu bestätigen. Die Ereignisse der Jahre 1790-1791 sind vielleicht eine letzte Demonstration hievon. Ein zweiter Komplex von Schwachpunkten wurde im Lauf des 18. Jahrhunderts durch die Herausforderung durch neue Umstände und Ideen aufgedeckt. Diese können wir unter die Begriffe „Aufklärung ", auch wenn dieser Terminus Nachteile in sich birgt, und „Modernismus" zusammenfassen, einer zwar vageren, jedoch neutraleren Bezeichnung. Aufklärung und Modernismus drangen über das Vermächtnis der Puritaner und die Leidenschaft der Pietisten zuerst (ganz logisch) in die protestantischen oder quasi-protestantischen Kreise ein. Sie wirkten jedoch auch von Frankreich, Deutschland, Italien und vor allem den neu erworbenen südlichen Niederlanden aus in Gestalt eines allgemeinen „Jansenismus" mit jenem kritischen Temperament, das bereits die Bindekraft des barocken scholastischen Systems unterminierte, in die katholische Glaubensgemeinschaft hinein. Um die Mitte des Jahrhunderts herrschte ein neuer Geist in der Kirche, nicht unter dem einfachen Volk, das in der starren Ordnung des Barock verharrte, sondern in den höheren Rängen, unter Bischöfen und Äbten, Universitätsprofessoren und Hofliteraten.

Epilog

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Langsam begann die Monarchie sich mit einer neuen Geistesart anzufreunden und ihrem Vertrauen auf die Tradition, die Metaphysik, die Symbole und Mysterien abzuschwören. Lediglich vor diesem Hintergrund können wir die von oben eingeleitete Revolution wirklich verstehen, die im Österreich des 18. Jahrhunderts von Kaiserin Maria Theresia und vor allem ihrem Sohn Joseph II. versucht wurde. Von Kaiser Joseph II. leitet sich auch die passende Bezeichnung „Josephinismus" ab. Seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts erwiesen sich die alten Institutionen und deren Ideologien als unfähig, mit anderen modernen, zentralistischen und proto-nationalen Staaten zu konkurrieren. Die Antwort der Dynastie war eine Reform. Man erkannte richtigerweise, daß die einzige Hoffnung für ein Überdauern des Habsburgerreiches in einer neuen Identität lag, einer Identität, die sich auf eine organisierte Verwaltung und eine effiziente Ökonomie stützte. Nun, Maria Theresia und Joseph rissen das bestehende Gebäude nicht nieder, sie besaßen kein anderes. Vielmehr versuchten sie, ihm eine neue Richtung zu geben, indem sie ihre Allianz mit der Kirche, dem Adel und der Intelligenz aufrechterhielten, es jedoch von einer konservativ-universalistischen zu einer aufgeklärt-absolutistischen Hierarchie umwandelten und mit einer Philosophie der Tat und nicht der Reflexion durchsetzten. Der Josephinismus suchte nicht die katholische Religion zu entthronen, sondern sie im Namen einer Staatskirche aufzupolieren. Selbst das berühmte Toleranzpatent, dieser letzte Todesstoß für die Ideologie des Barock, kann als erster Schritt in Richtung einer neuen Auffassung der offiziellen geistigen Konformität angesehen werden. Joseph II. brach nicht eigentlich mit der Vergangenheit, sondern stellte diese vielmehr auf den Kopf, ein Unterfangen, das vielleicht am passendsten als „Gegen-Gegenreformation" bezeichnet werden könnte. Die gewaltige und ungestüme Reformbewegung, von größerem Ehrgeiz als jede andere in Europa vor 1789 geprägt, erzielte einen zeitgenössischen Erfolg, dessen Ausmaß leicht übersehen werden kann. Sie reichte aus, um die Monarchie ins 19. Jahrhundert zu begleiten, konnte jedoch deren zukünftige Stabilität nicht garantieren. Schließlich verbanden sich die beiden erklärten Feinde Traditionalismus und Modernismus, um sie zu vereiteln. Der Josephinismus scheiterte an den strukturellen Unzulänglichkeiten des barocken Systems, jenen Elementen, die nicht so sehr an Habsburgs Schicksal gebunden waren, als daß sie diesen Kurswechsel ohne Widerstand hingenommen hätte. So schlossen sich viele ungarische und böhmische Adelige, Geistliche und konservative Pamphletisten der Opposition zur Rechten an und gaben ihre Manifeste einer entstehenden Romantik oder eines Föderalismus heraus. Und er scheiterte selbstverständlich, zwar nur allmählich, an dem Druck der fortschrittlicheren Kräfte auf der Linken, an den Vorzeichen des Liberalismus in Mitteleuropa. Hier stießen Maria Theresia und Joseph durch ihre gebieterische Haltung Gruppen ab, die möglicherweise mit ihnen zusammengearbeitet hätten, wie etwa das Regime der gegenreformatorischen Habsburger sich bewußt Feinde unter seinen protestantischen Untertanen schuf. Schließlich erzwang die Orthodoxie eine Unorthodoxie. Der barocke Katholizismus und der reformfreudige Josephinismus hatten so vieles gemeinsam. Letzterer ließ durch seine außerordentliche Dynamik manche Mißstände schärfer hervortreten, die zuvor nur latent vorhanden gewesen waren.

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Epilog

Aus dem gleichen Grund aber schuf die Orthodoxie eine Unorthodoxie nach ihrem Bilde, und die Reaktionen auf das Zeitalter des Barock verewigten paradoxerweise viel von der eigenen barocken intellektuellen Verfassung: ihre Kategorien, wenn nicht gar ihren Inhalt. Mitteleuropas weltliche Aufklärung hatte zahlreiche Anhänger unter früheren Seminaristen. Viel verdankte sie auch einem Netzwerk von Freimaurern, welches reich an illuministischen und mystifizierenden Tendenzen war. Die Liberalen waren zu allererst antiklerikal, und wir können einen hohen Grad an Anmaßung in ihrem Rachefeldzug gegen die Ansprüche der Kirche wahrnehmen. Gleichzeitig wuchsen nationalistische Bewegungen als entsprechende oppositionelle Reaktionen auf die starre Ideologie des Supranationalismus empor. So blieb von der Ära der habsburgischen Gegenreformation ein merkwürdig negativer Nachlaß zurück. Bei längerfristiger Betrachtung liegt dennoch ein beträchtliches Aktivum darin, daß der Stempel des Barock die österreichische Monarchie und deren Gebiete bis zum allerletzten Augenblick durchdrang. Der Katholizismus in all seinen geistigen und sozialen Ausprägungen blieb ein entscheidendes Element des Zusammenhalts. Die großen hochadeligen Familien bewahrten sich unerhörtes Prestige und Einfluß, und das Ethos der Grundherrschaft überlebte sogar das Jahr 1848. Intellektuelle verrieten selbst durch die Sprache, derer sie sich bedienten, ihr gemeinsames Erbe (denn die Umgangssprachen Mitteleuropas, so verschieden ihre Herkunft auch ist, weisen viele Ähnlichkeiten in Vokabular, Idiom und Struktur auf), ganz zu schweigen von ihren Denkgewohnheiten und Kreativitätsformen. Alles in allem lassen sich aus dem Aufstieg der Habsburgermonarchie bis ins frühe 18. Jahrhundert viele Lehren für das Studium des nachfolgenden Niedergangs ziehen; und selbst für die Zeit nach dem Untergang, denn was einmal zusammengefügt wurde, kann niemals mehr zur Gänze und spurlos geschieden werden.

Anmerkungen Kapitel 1: Trügerische Hoffnung, 1550—1600 - Renaissance und

Reformation

1 T. Wiedemann, Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande unter der Enns, I - V (Prag—Leipzig 1879-1886), I, 132—194 und passim; Κ. Eder, Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns, 1525—1602 (Linz 1936), 80 ff. J. Loserth, „Die salzburger Provinzialsynode von 1549", AÖG LXXXV (1898), 131-356. 2 E. Tomek, Kirchengeschichte Österreichs, II (1439-1648) (Innsbruck 1949), 221 ff. Über Ungarn im allgemeinen: D. Fuxhoffer, Monasteriologia RegniHungariae, Hg. M. Czinär, I—II (3. Aufl. Wien - Gran 1869). Über Böhmen im allgemeinen: A. Frind, Die Kirchengeschichte Böhmens, IV (Prag 1878), 202-371. Für Spezialfragen: S. E. Kapihorsky, Hystorya Klässtera Sedleckeho (Prag 1630), 85 ff.; A. Zerlik, „Das Stift Tepl in der Zeit der Glaubensspaltung", Anal. Praem. XXXVII (1961), 262-281; XXXVIII (1962), 9 3 - 1 1 0 ; XXXIX (1963), 7 0 - 1 3 1 , 2 5 7 - 2 6 6 , hier 263 ff., 93 ff. 3 K. Schellhass, Der Dominikaner Felician Ninguarda und die Gegenreformation in Süddeutschland und Österreich, I (Rom 1930), 46 ff. und passim ; id., „Felician Ninguarda's Visitationstätigkeit in den österreichischen Kronlanden von Ende 1572 bis März 1576", Stud. u. Mitt. XXIII (1902), 126-154; M. Mayr, „Cardinal Commendones Kloster- und Kirchen-Visitation von 1569 in den Diöcesen Passau und Salzburg", ibid. XIV (1893), 3 8 5 - 3 9 8 , 567-589. H. S. Szänto, „Reformversuche im Stifte Wilten nach dem Konzil von Ttient", Anal. Praem. XXXV (1959), 5 6 - 7 8 , 2 2 7 - 2 6 4 ; Ein Chorherrenbuch, Hg. S. Brunner (Würzburg—Wien 1883), 658 f.; Ein Benediktinerbuch, Hg. S. Brunner (Würzburg, o. J.), 187, 137 f.; N. Backmund, Monasticon Praemonstratense, I—III (Straubing 1949-1959), 1,308-310. Über den Verfall eines der bedeutendsten mittelalterlichen Klöster Österreichs: I. Keiblinger, Geschichte des Stiftes Melk (Wien 1851), 739 ff. 4 F. Röhrig, „Protestantismus und Gegenreformation im Stift Klosterneuburg und seinen Pfarren", Jb. d. St. Klnb. N. F. I (1961), 105-170, hier 116-135; J. Stülz, Geschichte des Cistercienser-Klosters Withering (Linz 1840), 87 ff. E. Böhl, Beiträge zur Geschichte der Reformation in Österreich (Jena 1902), 2 6 0 - 2 6 3 ; Benediktinerbuch, 56 f. G. E. Friess, „Geschichte des Benediktiner-Stiftes Garsten in Oberösterreich",Stud. undMitt. II ( 1 8 8 1 ) , 4 , 2 5 1 - 2 6 6 , h i e r 2 5 3 - 2 5 8 . E i n Cisterzienserbuch, Hg. S. Brunner (Würzburg 1881), 3 8 1 - 3 8 3 (Rein), 580 f. (Zwettl), 303 ff. (Ossegg und Saar), 414 ff. (Schlierbach). Chorherrenbuch, 565 f. (Strahov). L. Erdelyi und P. Sörös (Hgg.),/1 pannonhalmi Szent Benedek-Rend törtenete, I - X I I (Budapest 1902-1912), IV, mit vielen Details; überblicksmäßig in Benediktinerbuch, 218 ff. Vgl. R. Bekefi, Zirc. . . törtenete, I - V (Fünfkirchen-Budapest 1891-1902), und Cisterzienserbuch, 522 ff. 5 Das klassische Werk über die österreichischen Protestanten ist Bernhard Raupach, Evangelisches Oesterreich, I—III (Hamburg 1741-1744). Modernere Beiträge sind G. Loesche, Geschichte des Protestantismus im vormaligen und im neuen Österreich (3. Aufl. Wien-Leipzig 1930), 79 ff; und kürzer, aber ausgewogener - G. Mecenseffy, Geschichte des Protestantismus in Österreich (Graz 1956), 50—61. Vgl. V. Bibl, „Die Organisation des evangelischen Kirchenwesens im Erzherzogtum Österreich unter der Enns 1568-1576", AÖG LXXXVII (1899), 113-228; siehe auch S. 56 f. 6 Eder, Glaubensspaltung, bes. 113-121. 7 J. Loserth (Hg.), Acten und Correspondenzen zur Geschichte der Gegenreformation in Innerösterreich unter Karl II. und Ferdinand II., I—II in 3 Bdn. (Wien 1898-1907), I; id., Die Reformation und Gegenreformation in den innerösterreichischen Ländern im XVI. Jahrhundert (Stuttgart 1898), 141-204, 2 4 7 - 2 8 4 ; Loesche, Protestantismus, 234 ff.; Mecenseffy, op. cit. 6 1 - 6 5 .

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Anmerkungen

8 F. Hrejsa, Ceskä Konfesse, jeji vznik, podstata a dijiny (Prag 1912); Loesche, Protestantismus, 234 ff. Allgemein: F. Hrejsa, Dijiny kfest'anstvi ν Ceskoslovensku, V - V I (1526-1576) (Prag 1948—1950), eine kirchengeschichtliche Chronik mit vielen brauchbaren Details; R. J. W. Evans, Rudolf II. and his World (Oxford 1973, in Hinkunft Rudolf IL), 29 ff. (und 246 über Mathesius); und der jüngste Abriß: K. Richtet in Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, Hg.K. Bosl,I—IV (Stuttgart 1966-1974), II, 111-128, 167-176. 9 Uber die Sachsen, zuletzt, E. Roth, Die Reformation in Siebenbürgen, I—II (Köln-Graz 1962—1964); vgl. F. Teutsch, Geschichte der evangelischen Kirchein Siebenbürgen, I—II (Hermannstadt 1921 — 1922), I; G. Bruckner, Α reformäciö es ellenreformäciö törtenete a Szepessegben, I (Budapest 1922). Allgemein: P. Bod, Historia Hungarorum Ecclesiastica, Hg. L. W. E. Rauwenhoff et al., I—III (Leiden 1888-1890), I, Buch 2, und M. Bucsay, Geschichte des Protestantismus in Ungarn (Stuttgart 1959), 33 ff. 10 Bucsay, op. cit. 42 ff, allerdings sehr kurz. Am besten I. Revesz, Magyar reformätus egyhäztörtenet, I (Debrecin 1938), bes. 97 ff. (über die theoretischen Diskussionen). Eine umfangreiche Dokumentation enthält F. A. Lampe [in Wirklichkeit Päl Ember aus Debrecin], Historia Ecclesiae Reformatae in Hungaria et Transilvania (Utrecht 1728), Teil 2, 101 ff., inkl. der Synodaldiskussionen. L. Földväri, Szegedi Kiss Istvän elete es α Tisza-Duna mellekenek reformäciöja (Budapest 1894) 1 1 M . Asztalos, „A wittenbergi egyetem es a magyarorszägi kälvinizmus", Bß, II (1932), 8 1 - 9 4 , und id., „A wittenbergi egyetem magyar hallgatoinak nyelvismerete a XVI szäzadban", Egyetemes Philolögiai Közlöny, 1934, 1 - 1 1 ; kritisiert von Revesz, loc. cit. und „Szempontok a magyar 'kälvinizmus' eredetenek vizsgälatähoz", Sz LXVIII (1934), 2 5 7 - 2 7 5 ; vgl. id., Meliusz es Kälvin (Klausenburg 1936). G. Szabö, Geschichte des ungarischen Coetus an der Universität Wittenberg, 1555—1613 (Halle 1941); und vgl. S. 3 8 - 4 1 . B. Nagy in T. Bartha (Hg.), A Heidelbergi Käte jelentkezese, törtenete is kiadäsai Magyarorszägon a XVI es XVII szäzadban (Budapest 1965), 1 9 - 9 1 ; siehe auch S. 57 f. 12 Über Calvinismus im allgemeinen: Hrejsa, Dijiny. E. Staehelin, Amandus Polanus von Polansdorf (Basel 1955). Über die Böhmischen Brüder gibt es den zeitgenössischen Bericht von Joachim Camerarius, Historica Narratio de fratrum orthodoxorum Ecclesiis (Heidelberg [1605]), bes. 145 ff., 263 ff.; die eingehende Schilderung in A. Gindely, Geschichte der Böhmischen Brüder, I—II (Prag 1868); und einen modernen Überblick hg. von R. 1kitan,Jednota Bratrskä 1457-1957 (Prag 1956), bes. 13 - 1 0 4 und 111-145. Verschiedene Arbeiten von O. Odlozilik, darunter die letzte mit dem Titel Jednota Bratrskä a reformovani francouzskeho jazyka (Philadelphia 1964), sind ebenfalls von Bedeutung. 13 H. Starnberger, Georg Erasmus Tschernembl (Linz 1953), frühe Kapitel. 14 A. Meshovius, Historiae Anabaptisticae Libri 7 (Köln 1617), 113-116. Allgemein: G. H. Williams, The Radical Reformation (London 1962), bes. 1 6 5 - 1 7 6 , 2 0 4 - 2 3 3 , 4 1 0 - 4 1 4 , 4 1 7 - 4 3 4 , 6 7 0 - 6 8 4 , 6 1 7 - 6 2 1 ; vgl. den ganz andersartigen Ansatz von C. P. Clasen, Anabaptism, α social history (Ithaca, Ν. Υ. 1972). 15 Revesz, Egyhäztörtenet, 87 ff., 152 ff.; Α. Pirnät, Die Ideologie der Siebenbürger A ntitrinitarier in den 1570er Jahren (Budapest 1961), 161 — 187; J. Zovänyi, Α magyarorszägi protestantizmus 1565—töl 1600-ig, op. posth. (Budapest 1977), 1 1 - 5 7 , 101-137. Über die Extremisten: S. Kohn, Die Sabbatarier in Siebenbürgen (Budapest 1894). 16 D. Caccamo, Eretici italiani in Moravia, Polonia, Transilvania (1558-1611) (Florenz—Chikago 1970) ist am neuesten Stand bzgl. ihrer internationalen Verbindungen. Zur Situation in Polen und zur Persönlichkeit Dudiths siehe ibid., Kap. 4, und Williams, op. cit. 6 3 9 - 6 6 9 , 685-707, 7 3 3 - 7 6 3 . Zu Palaeologus: Rudolf II., 108 f.;L. Szczucki, „Jakubz Chios-Palaeolog", Odrodzenie i Reformacja w Polsce, XI (1966), 6 3 - 9 1 ; XIII (1968), 5 - 5 0 ; und I. Ch. Palaeologus, Catechesis Christiana Dierum Duodecim, Hg. R. Dostälovä (Warschau 1971). Zu Francken: Rudolf II., 105; und L. Szczucki, „Chrystian Francken", Odrodzenie i Reformacja w Polsce, VIII (1963), 3 9 - 7 5 . Vgl. G. F. Lessing, „Von Adam Neusern, einige authentische Nachrichten",in Sämmtliche Schriften, Hg. K. Lachmann und W. von Maitzahn, IX (Leipzig 1855), 352-404. 17 Die Situation in den Vorlanden (Vgl. S. 127) ist zu kompliziert und berührt uns nur am Rande, als daß hier darauf näher eingegangen werden könnte. In Tirol gab es zahlreiche Wiedertäufer und Unruhen in den zwanziger Jahren des 16. Jh. sowie einen gewissen langlebigeren Protestantismus unter den Bergarbeitern des Inntales; siehe den Überblick in Loesche, Protestantismus, 329—375. Seine Klöster, selbst Stams und Neustift, dessen Abt Karl V. 1552 Zuflucht gewährte, hatten im Verlauf des ge-

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samten Jahrhunderts nur eine schwache Position inne (Cisterzienserbuch, 433 ff.; Chorherrenbuch, 429-431). Ζ. B. die Rosenberg-Schule in Krumau: siehe J. Hejnic, Ceskokrumlovskä latinskä Skola ν dobi rotmberske (Prag 1972). Es gibt zwar viel örtliches Material über Schulen, jedoch wenig Synthese. Siehe Loesche, Protestantismus, 9 0 - 9 4 , 1 6 2 - 1 6 5 , 2 2 7 - 2 3 0 ; Loserth, Reformation und Gegenreformation, 2 0 4 - 2 3 0 , und id., Die protestantischen Schulen der Steiermark im 16. Jahrhundert (Berlin 1916); A. Dimitz, Geschichte Krains, I—II (Laibach 1 8 7 4 - 1 8 7 6 ) , Teil 3, 1 5 5 - 1 8 3 ; K. Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich (4. Aufl. St. Pölten 1973), 184 f., 211 f. Tomek, Kirchengeschichte, 348-390,passim, enthält Visitationsberichte, basiert auf Raupach. Z. Winter, Zivot a uteni na partikulärnich Skoläch ν Cechäch ν 15. a 16. stoletich (Prag 1901), eine Vielzahl unaufgearbeiteter Informationen; J. Holinkovä, Mistskä Skola na Moravi ν pfedbllohorskem obdobi (Prag 1967); F. Palacky, „Obyvatelstvo Ceskych mfcst a äkolni vzdiläni ν 16. a nazaCätku 17. stoleti", CsCH XVIII (1970), 3 4 5 - 3 6 8 . Viel über einzelne Lehrer in: J. Hejnic und J. Martinek (Hgg.), Rukovit' humanistickeho bäsnictvi ν Cechach α na Moravi, I— (Prag 1966— ). Über die Böhmischen Brüder: J. Müller, Die deutschen Katechismen der Böhmischen Brüder (Berlin 1887), bes. Teil 4. Sie zogen auch ausländische Schüler, wie den Österreicher Enenkel, an: A. Coreth, „Job Hartmann von Enenkel", MIÖG LV (1944), 2 4 7 - 3 0 2 , hier 258 f. Vgl. weiter unten Anm. 22. V. Frankl, A hazai es külföldi iskoläzäs a XVI szäzadban (Budapest 1873), 3 - 1 9 2 . Weitere Bibliographie in D. Kosäry, Bevezetes a magyar törtenelem forräsaiba es irodalmäba, I—III (Budapest 1951), 1 , 2 6 5 - 2 6 7 . Um einen zeitgenössischen Eindruck zu erhalten siehe S. Bagyary,/4 magyar müvelödes a XVI—XVII szäzadban Szamosközy I. törtenetimaradvänyaialapjän (Gran 1907), 121 ff. Zu Särospatak: I. Meszäros in Comenius and Hungary, Hg. E. Földes und I. Meszäros (Budapest 1973), 111-132. O. Wittstock, Johannes Hontems, der Siebenbürger Humanist und Reformator (Göttingen 1970). G. Bauch, Valentin Trotzendorf und die Goldberger Schule (Berlin 1921), und id., Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation (Breslau 1911), beide sehr detailliert; vgl. E. Michael, „Die schlesische Dorfschule im 16. Jahrhundert", ΖVGAS LXIII (1929), 2 2 7 - 2 6 1 . Viele Informationen über die Erweiterung des Horizonts der böhmischen Brüder in Sbornik Blahoslavüv, Hg. V. Novotny und R. Urbänek (Pferov 1923); Jan Blahoslav, pfedchüdce J. A. Komenskeho, Hg. S. Bimka und P. Floss (?Uhersky Brod 71973); A. Molnär, Ceskobratrskä vychovapfed Komenskym (Prag 1956). V. Bibl, „Die Berichte des Reichshofrates Dr. Georg Eder an die Herzoge Albrecht und Wilhelm von Bayern über die Religionskrise in Niederösterreich ( 1 5 7 9 - 1 5 8 7 ) " , Jb. f. Lk. v. NO N. F. VIII (1909), 6 7 - 1 5 4 , hier 136; id., „Organisation", 135 (zitiert David Chytraeus 1574); Voyage de Due de Rohan faict en l'an 1600 . . . (Amsterdam 1646), 129. T. Wiedemann, „Die kirchliche Büchercensur in der Erzdiöcese Wien", AÖG L (1873), 2 1 5 - 5 2 0 , hier 215 ff. über die Tätigkeit des Bischofs von Wien; R. Peinlich, „Zur Geschichte des Buchdruckes, der Büchercensur und des Buchhandels zu Graz im 16. Jahrhundert", MHVSt. X X V I I (1879), 1 3 6 - 1 7 3 ; F. MenCik, „Censura ν Cechach a na Moravä", VKCSN, 1888, 8 5 - 1 3 6 , hier 85 ff. Auch die Dokumente in F. Tischer, „Pfispßvek k d6 jinäm za areibiskupa Antonina Brusa", Listy Filologicke X X X I I (1905), 258—271, 376—379 lassen ebenfalls das Fehlen von Errungenschaften vermuten. Vgl. G. Klingenstein, Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18. Jahrhundert (Wien 1970), 22 ff. passim. Für Ungarn ist P. Gulyäs, Α könyvnyomtatäs Magyarorszägon a XV es XVI szäzadban (Budapest 1931) sehr gründlich; J. Fitz, Α magyarorszägi nyomdäszat, könyvkiadäs es könyvkereskedelem törtenete, II (Budapest 1967) bringt wenig Neues. Vgl. die interessanten statistischen Informationen in G. Borsa, „ A X V I szäzadi magyarorszägi könyvnyomtatäs reszmerlege",Reneszänsz-Füzetek, X X I I (1973), 2 4 9 - 2 6 9 , basierend auf Borsa etal., Regi magyarorszägi nyomtatvänyok, I (Budapest 1971). Für Böhmen gibt J. Volf, Geschichte des Buchdrucks in Böhmen und Mähren bis 1848 (Weimar 1928), ein allgemeines Bild; Details über tschechischsprachige Veröffentlichungen finden sich bei Z. Tobolka und F. Horäk (Hg.), Knihopis leskych a slovenskych tiskü, II— (Prag 1939— , in Hinkunft Knihopis). Für Wien: A. Mayer, Wiens Buchdruckergeschichte, I—II (Wien 1883), I ( 1 4 8 2 - 1 6 8 2 ) , bes. die Beobachtungen auf S. 1 6 4 - 1 6 8 ; vgl. die Zeugnisse in Wiedemann, „Büchercensur",und R. J. W. Evans, The Wechel Presses (Oxford 1975), 3 1 - 3 7 . Die arianischen Texte sind

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inRegi magyarorszägi nyomtatvänyok aufgezählt; vgl. C. Sandius, Biblioteca Antitrinitariorum (1684, Neuaufl. in Warschau 1967). Bibli Ceskä, I - V I (Kralitz 1579-1593); vgl. M. Dafikovä, Bratrske tisky ivanticke a kralicke (Prag 1951). G. Kärolyi, Szent Biblia (Vizsoly 1590). Es gibt eine umfangreiche Spezialliteratur über die slowenischen Texte, ζ. Β. T. Elze, Die slowenischen protestantischen Druckschriften des 16. Jahrhunderts (Venedig 1896), und G. Stökl, Die deutsch-slawische Südostgrenze des Reiches im 16. Jahrhundert (Breslau 1940). G. A. Crüwell, „Die niederösterreichische Reformations-Druckerei", Zbl. f . Biblw. XX (1903), 3 0 9 - 3 2 0 ; vgl. Bibl, „Organisation", 152 ff. Diese Toleranz kann auch übertrieben werden, wie kürzlich von W. Eberhard in F. Seibt (Hg.), Bohemia Sacra (Düsseldorf 1974), 222—235, und J. K. Zeman, „The rise of religious liberty in the Czech Reformation", Central European History, VI (1973) 128-147. Revesz, Egyhäztörtenet, 64 η.; Η. Ziegler, Die Gegenreformation in Schlesien (Halle 1888), 1—22, bes. 13 f. Palaeologus, op. at.,passim; vgl. Pirnät, op. cit. 66 ff. Über die Toleranz in Siebenbürgen, jüngst erschienen: L. Binder, Grundlagen und Formen der Toleranz in Siebenbürgen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (Köln—Wien 1976), enger gefaßt, als der Titel vermuten lassen würde. G. Kathona, Fejezetek α török hödoltsägi reformäciö törteneteböl (Budapest 1974) untersucht die Situation in der Ungarischen Tiefebene. Coreth, art. cit., zu Enenkel; Rudolf II.; 1 2 3 - 1 2 8 (Sambucus); Evans, Wechel Presses, 35 f. (Batthyäny); B. Ivänyi, Könyvek, könyvtärak, könyvnyomdäk Magyarorszägon 1331—1600 (Budapest 1937), nr. 207 (Brutus), und vgl. ÖNB, MS. 5580, Fol. 4 6 - 4 7 . Rumpfs Katalog ist ÖNB, MS. 15286, datiert 1583, umfaßt jedoch auch einige spätere Bände, insgesamt 1019. Vgl. R. Stumpfl, „Bibliotheken der Reformationszeit in Oberösterreich", Zbl. f . Biblw. XLVII (1930), 317-323. I. T. Waldapfel, Humanizmus es nemzeti irodalom (Budapest 1966), 50—132, zu Erasmus und Ungarn. Zu Melanchthon: G. Loesche, Luther, Calvin, Melanchthon in Österreich-Ungarn (Tübingen 1909); I. Borzsäk, „A magyarorszägi Melanchton-recepciö kerdesehez", ItK LXIX (1965), 433—446; Rudolf II., 98 f. Zu Schlesien: C. Grünhagen, „Schlesien unter Rudolf II. und der Majestätsbrief", Ζ V G A S X X (1886), 5 4 - 9 6 , hier 54 ff.; S. Tync, „Zzyciapatrycjatu wroclawskiego wdobie Renesansu", Sobötka, VIII (1953), 6 9 - 1 2 3 ; und die Fallstudie von A. W. J. Wachler, Thomas Rehdiger und seine Büchersammlung in Breslau (Breslau 1828). L. Szädeczky, Kovacsöczy Farkas (Budapest 1891), bes. 82 ff.; vgl. Kovacsöczy's lutherische Kollegen Berzeviczy (E. Veress, Berzeviczy Märton (Budapest 1911)) und Szamosközy (Bagyary, op. cit., passim). V. Frankl, „Melanchton es magyarorszägi barätai", Sz VIII (1874), 149—184; D. Kerecsenyi, Humanizmus is Reformäciö között (Budapest o. J.); L. Makkai, Histoire de Transylvanie (Paris 1946), 172-174, 182 f.; A. Pirnät, „Aristoteliänusok es antitrinitäriusok", Helikon, XVII (1971), 363-392. J. Csontosi, „Adalek Oläh Miklös könyvtärähoz",MÄTSz VIII (1883), 61—66; C. AlbuundM. Capoianu (Hgg,),Nicolae Olahus, corespondenfä cu umani^tii bataviflamanzi (Bukarest 1974). A. Fortis, Viaggio in Dalmazia, I (Venedig 1774), 137—144, und M. G. Kovachich, Scriptores Rerum Hungaricarum Minores, I—II (Ofen 1798), passim, über Verantius, dessen Opera Omnia von L. Szalay und G. Wenzel herausgegeben wurden, I - X I I (Budapest 1857-1875); vgl. OSzk, MS. 2380 Fol. lat. 1 - 3 . Vgl. Λ magyar irodalom törtenete, Hg. I. Söter, I - V I (Budapest 1964-1966, in Hinkunft MIT), I, 281-284. Über den einzelgängerischen Bischof Forgäch: P. Sörös, „Forgäch Ferenc elete", Sz XXX (1896), 5 1 9 - 5 4 1 , 634-648. K. Bota, Istvänffy Miklös (Budapest 1938); J. Holub; Istvänffy Miklös Histöriäja hadtörtenelmi szempontböl (Szekszärd 1909) ist umfassender als der Titel vermuten läßt. Vgl. OSzK, MS. 3606 Fol. lat. 1—3, beschrieben von J. Berläsz in OSzK tLvkönyve, 1959, 202—240. Uber Liszti, u.a.: L. Brummel, Twee ballingen's lands tijdens onze opstand tegen Spanje (Den Haag 1972), 33; L. Kubinyi, Ioanni Listhio . .. Epitaphia (Prag 1577); G. Entz, Α magyar mügyüjtes törtenetenek väzlata 1850—ig (Budapest 1937), 12, 18 f. B. Ivänyi, Mossöczy Zakariäs es α magyar Corpus Juris keletkezese (Budapest 1926), bes. 103-135; id., Könyvek, nr. 149, 198, 214, 216, 218. Κ. Juhäsz, Α csanädi püspökseg törtenete, 1552-1608 (Makö 1935), 135-152, bes. 143 f.; vgl. Rudolf II., 187, zu Verantius. Monoszlöis Testament findet sich in Egy. Kt., Coll. Hevenesiana, tom. XVIII, Fol. 388—413. F. Jenei, „Az utolsö magyar humanista föpap: Näprägi Demeter", ItK LXIX (1965), 137-150. Allgemein: T. Csorba, Α humanista Bäthory Istvän (Budapest [1944]); L. Biro in Etienne Batory, roi

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de Pologne, prince de Transylvanie (Krakau 1935), 47 - 7 0 . J. M. Brutus, Selectarum Epistolarum libri V (Krakau 1583); vgl. M. Papp, Brutus J. M. es Bäthory Istvän magyar humanistäk (Budapest 1940). Hunyadi schrieb Gedichte in Ungarisch und Latein: I. Weszpremi, Succincta Medicorum Hungariae et Transylvaniae biographia, I - I I I (Leipzig-Wien 1774-1787), II, 1, 8 6 - 9 2 ; G. Magyary-Kossa, Magyar orvosi emlekek, I - I V (Budapest 1929-1940), III, 1012. 36 Zu Brus; A. Skybovä, „Knihovna arcibiskupa Antonina Brusa", Knihtisk a kniha od husitstvido Bile Hory, Hg. F. Smahel (Prag 1971), 2 4 1 - 2 5 6 ; MenCik, „Censura", 98 f.; F. H. Reusch, Der Index der verbotenen Bücher, I—II (Bonn 1883-1885), 1,314-321. Vgl. K. Borovy, Antonin Brus ζ Mohelnice (Prag 1873), und S. Steinherz (Hg.), Briefe des Prager Erzbischofs Anton Brus (Prag 1907). J. Jungnitz, Martin von Gerstmann, Bischof von Breslau (Breslau 1898). Zu Österreich: A. Lhotsky, „Die Bibliothek des Bischofs von Wien Dr. Johann Fabri", Festschrift für K. Eder (Innsbruck 1959), 7 1 - 8 1 ; M. Mairold, „Die Bibliothek Bischof Urban Sagstetters", Carinthia /, CLXI (1971), 277-292. Zu Salzburg: H. Widmann, Geschichte Salzburgs, I - I I I (Gotha 1907-1914), III, 1 - 2 7 1 , passim; Ε. Tomek, op. cit. 428 ff. 37 Uber Ratgeber wie Witzel, Cassander und Urban von Gurk, siehe F. W. Kantzenbach, Das Ringen um die Einheit der Kirche im Jahrhundert der Reformation (Stuttgart 1957), 176-229; Böhl, op. cit. 109—136. Uber die Kelchkommunion: G. Constant, Concession ά l'Allemagne de la communion sous les deux especes, I - I I (Paris 1923), I, Kap. 2 - 6 , ein bemerkenswertes, doch kaum bekanntes Werk. E. Grindal, Concio funebris in obitum . . . Ferdinandi Caesaris (London 1564), ins Lateinische vom berühmten Märtyrologen John Foxe übersetzt. 38 H. Hopfen, Kaiser Maximilian II. und der Kompromisskatholizismus (München 1895); W. Maurenbrecher, „Kaiser Maximilian II. und die deutsche Reformation", HZ VII (1862), 3 5 1 - 3 8 1 ; V. Bibl, „Zur Frage der religiösen Haltung Kaiser Maximilians ll.",AÖG CVI/2 (1918), 2 9 8 - 4 2 6 ; M. Koch, Quellen zur Geschichte des Kaisers Maximilian II., I—II (Leipzig 1857-1861), II, 9 2 - 1 0 8 ; V. Bibl (Hg.), Die Korrespondenz Maximilians II., I—II (Wien 1916-1921), passim, über die Verbindung zu Philipp II. ; W. E. Schwarz, Briefe und Akten zur Geschichte Maximilians II., I (Paderborn 1889), bes. nr. CXXII, über die Verbindungen zum Papsttum. Vgl. Rudolf II., 8 4 - 8 6 . 39 Bibl, „Eder", 97 ff., 125 ff., 143. 40 W. Janko, Lazarus Freiherr von Schwendi (Wien 1871); vgl. J. Glücklich in CCH XVIII (1912), 481-485. Zu Seid und Zasius siehe ADB, s. vv. 4 1 V . Bibl, „Nidbruck und Tanner, ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Magdeburger Centurien", AÖG LXXXV (1898), 3 7 9 - 4 3 0 . 42 Uber die Universität im allgemeinen: R. Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, I—II (Wien 1854), I, Teil 1, 308 ff.; J. Aschbach, Geschichte der Wiener Universität, I - I I I (Wien 1865—1888), II—III. G. Eder, Catalogus Rectorum et illustrium Virorum Archigymnasii Viennensis (Wien 1559) dokumentiert den Niedergang und den Beginn der Neubelebung. Zu den Dichtern siehe auch J. A. Bradish, „Dichterkrönungen im Wien des Humanismus", Journal of English and Germanic Philology, XXXVI (1937), 3 6 7 - 3 8 3 ; undHHStA, RHR, Privilegia varii generislatinae expeditionis, fasc. 4. 43 A. Camutius, De Amore atque Felicitate (Wien 1574), mit Widmung; id., De Nobilitate (Mailand 1641), 233—235; vgl. Dictionnaire historique et biographique de la Suisse, s. v. N. Biesius, De Arte Dicendi und De Natura (beide Antwerpen 1573), mit Widmung. S. Pighius, Hercules Prodicius (Antwerpen 1587), 157-210; vgl. Biographisch Woordenboek der Nederlanden, XV (1872), 3 1 3 - 3 1 5 , unA ADB, s. v. (ungenau). 44 Oben, Anm. 29 (Sambucus). P. Costil .Andre Dudith, humaniste hongrois (Paris 1935), 223-339. T. Klaniczay, „Nicausius EllebodiusesPoetikäja", //K LXXV(1971), 24 —34; id., „Contributi allerelazioni padovane degli umanisti d'Ungheria: Nicasio Ellebodio e la sua attivitä filologica", Venezia e Ungheria nel Rinascimento, Hg. V. Branca (Florenz 1973), 317—333. Diese Gruppe umfaßte auch Dr. Georg Purkircher, zu diesem siehe M. Kneifel, Purkircher György (Budapest 1942). 45 J. Lipsius, Opera Omnia, II (Antwerpen 1637), 159-162; Lipsius' nicht ganz aufrichtige Selbstdarstellung- mit besonderer Betonung seiner frommen Laufbahn und seines zurückgezogenen, gelehrten Lebens - wird bei G. Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (Berlin 1969), 8 0 - 1 0 0 , besprochen. Vgl. auch Lipsius' Brief an Maximilian, gedruckt in seiner Tacitus-Ausgabe (Antwerpen 1574), 3 - 8 . 46 Einige dieser Persönlichkeiten, vor allem Crato, Clusius und Strada werden in Rudolf II., Kap. 3—4

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behandelt. Über Dodoens, eine der führenden Persönlichkeiten des intellektuellen Lebens, gibt es keine adäquaten bibliographischen Informationen. Das beste Werk über das Leben Blotius' ist derzeit L. Brummel, op. cit. 1 - 8 0 . Über die Hofbibliothek: J. Stummvoll (Hg.), Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek, I (Wien 1968), 8 1 - 1 2 7 . Ein Exemplar einer neuen Sammlung von MSS. erscheint bei ÖNB, MS. 9737 215 , Fol. 202. Blotius' Korrespondenz findet sich in ÖNB, MSS. 9737* 14 " 18 ; Es gibt dort eine Liste von Schreibern, und im folgenden werde ich keine umfassenden Referenzen angeben. Vgl. ibid. MSS. 9690, 9708 für Aufzählungen der Freunde Blotius'. Wenig von dieser Korrespondenz wurde gedruckt oder auch nur durchgesehen. Siehe G. Knod, „Hugo Blotius in seinen Beziehungen zu Strassburg", Zbl. f . Biblw. XII (1895), 2 6 6 - 2 7 5 ; und vgl. Rudolf II., Kap. 4, passim. Zu Giffen siehe S. 60, 90. Diese Verbindungen wurden untersucht und einige Briefe in Druck herausgebracht von F. Mencsik, „A Päduäban tanulo Blotz Hugo levelezese erdelyi es magyarorszägi barätaival", Erdelyi Muzeum, XXVII (1910), I; id. in TT, 1907; und J. Ernuszt, Die ungarischen Beziehungen des Hugo Blotius (Budapest 1943, Separatabdruck aus Bß X). Blotius kannte die Siebenbürger Berzeviczy, Kovacsoczy und Gyulai in den siebziger Jahren des 16. Jh. Interessant unter seinen späteren Kontaktpersonen sind der Aristokrat Imre Forgäch und der Minister in Käsmark, Sebastian Ambrosius. Dies ist nur eine kleine Auswahl. Der bedeutendste Franzose war Duplessis-Mornay; zu den Engländern zählten Henry und Thomas Savile, Robert Sidney und Henry Wotton. Aktuelle Probleme werden in vielen Briefen von Crato und Monau und von Chytraeus in Norddeutschland angesprochen. Amicitia wird beispielsweise verkündet in ÖNB, MS. 9737 214 , Fol. 170, 242, 321 f.; ibid." 5 , Fol. 74,284; ibid. 216 , Fol. 56,334; ibid.11», Fol. 80. Neben Jan Kocins Brief vom 11. Juni 1575 notierte Blotius: „Doctissima et philosophica Epistola de suscipiendis oneribus et suscipiendo Vitae genere" (ibid.115, Fol. 82 f.). Henry Wotton, ein Mitglied der Familie Camerarius und andere blieben monatelang bei Blotius. Kocin: ÖNB, MS. 9737 215 , Fol. 173, 176, 192, 270. Privilegien: ibid. 116 , Fol. 36, 110 f., 231; ibid.11«, Fol. 121; usw. Adel: ibid." 8 , Fol. 73, 158 f., 171, 176, 178,184, 187; usw. Kepler: ibid." 8 , Fol. 144 (Prag 5. Feb. 1601). Η. Langueti. . . adJ. Camerarium Patrem et. . . filium . . . Epistolae (Groningen 1646); The Correspondence of Sir Philip Sidney and Η. Languet, Hg. S. A. Pears (London 1845, Originalausg. 1633). Ioachimi Camerarii Epistolae familiae (Frankfurt 1583); loachimi Camerarii Epistolarum libri V posteriores (Frankfurt 1595); I. Bongarsi Epistolae ad Joachimum Camerarium (Leiden 1647). Die Briefe Lipsius' sind gesammelt in seinen Opera Omnia, und in P. Burmann, Sylloges Epistolarum α vorn illustribus scriptarum, I—V (Leiden 1727), I—II. Vgl. die vollständige Aufzählung seiner veröffentlichten und nichtveröffentlichten Briefe in A. Gerlo und H. D. L. Vervliet, Inventaire de la correspondance de Juste Lipse 1564—1606 (Antwerpen 1968). Zu seinen mitteleuropäischen Korrespondenten zählten Acidalius, Barvitius, Blotius, Busbecq, Clusius, Crato, Dudith, Ellinger, Mihäly Forgäch, Frenzelius, Giffen, Jerinus, A. G. Popel Lobkowitz,Francesco Magni, Monau, Peter Revay, Nikolaus und Thomas Rhediger, Rimay, Sambucus, Ludwig Schwartzmaier, Richard Starhemberg, Wacker, Karel Zerotin, und weitere in Krakau. Es gab zehn- und elfsprachige Ausgaben des Calepinus in Lyon in den Jahren 1585, 1586, 1588, 1598; in Genf 1594; in Basel 1590,1598,1605,71609, 71615,1616,1627. Siehe A. Labarre, Bibliographie du Dictionarium d'Ambrogio Calepino (Baden-Baden, 1975). Vgl. Teutsche Sprach und Weissheit, Thesaurus Linguae et Sapientiae Germanicae, I (nur A—G) (Augsburg 1616) von dem ungarischen Deutschen Georg Henisch, welches neben Deutsch und Latein, Äquivalente in neun verschiedenen Sprachen, darunter Tschechisch, Polnisch und Ungarisch, enthält; und J. Turöczi-Trostler, Magyar irodalom, vilägirodalom, I—II (Budapest 1961), I, 17—72, für die internationale Aufnahme des Ungarischen. G. Ellinger, Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im 16. Jahrhundert, I—III (Berlin-Leipzig 1929-1933), II, 1 9 2 - 1 9 8 , 2 6 1 - 2 6 8 undpassj'm. E. Herrmann, „Der Humanist Kaspar Brusch und sein Hodoeporikon Pfreymbdense", Bohemia—Jahrbuch, VII (1966), 110—127; Zu Corvinus und Carolides siehe Rukovit', Hg. Hejnic und Martinek, s. vv.; und ÖNB, MS. 9878. Zu Simonides und anderen Polen: J. Irmscher (Hg.), Renaissance und Humanismus in Mitteleuropa und Osteuropa, I—II (Berlin 1962), II, 1 0 7 - 1 2 0 , 1 3 9 - 1 4 8 . Zu Frischlin: D. F. Strauss,Leben undSchriften des Dichters und Philologen Nicodemus Frischlin (Frankfurt 1856).

Anmerkungen

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58 Evans, Wechel Presses, 2 0 - 3 7 . 59 Kink, loc. cit.; V. V. Tomek, Geschichte der Prager Universität (Prag 1849), 173 ff. L. Santifaller (Hg.), Die Matrikel der Universität Wien, I (Graz-Köln 1954), I I I - I V ( 1 5 1 8 - 1 6 5 8 ) deckt die fallenden Zahlen auf, die für die Ungarn von K. Schrauf,/! becsi egyetem magyar nemzetenek anyakönyve 1453—toi 1630—ig (Budapest 1902) bestätigt wird. Der Zustrom aus Schlesien jedoch scheint, wenn überhaupt, zugenommen zu haben, vor allem aus den bischöflichen Gebieten (U. Hielscher in Zeitschrift für Ostforschung, XI [1962], 6 4 8 - 6 7 3 ) . 60 Für einen typischen Fall siehe A. Luschin—Ebengreuth, Studien zur Geschichte des steirischen Adels im XVI Jahrhunderte (Graz 1875), 1 3 - 3 0 . Das Reisealbum Opsimathes' findet sich in BL, Egerton MS. 1220; vgl. Odloiilik, Reformovani, 59-62. 61 Die böhmische Literatur wird in Rudolf II., 132 f. Anmerkungen aufgezählt. Uber Ungarn siehe J. Bartholomaides, Memoria Ungarorum qui in .. . Universitate Vitebergensi . . . studio confirmarunt (Pest 1817); Frankl, Iskoläzäs, 2 0 2 - 3 1 9 ; und die Bibliographie in J. Herepei, Αdattär XVIIszäzadi szellemi mozgalmaink törtinetehez, I—III (Budapest 1 9 6 5 - 1 9 7 1 ) , III, 4 4 1 - 4 5 1 . Ein interessanter Fall wird sehr trocken bei G. Kliesch, Der Einfluß der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische Bildungsgeschichte (Würzburg 1961) untersucht. Uber die Rolle Wittenbergs im späten 16. Jahrhundert vgl. die wichtige Studie von T. Klein, Der Kampf um die zweite Reformation in Kursachsen, 1586-1591 ( K ö l n - G r a z 1962). 62 Heidelberg: Herepei, op. cit. I, 1 0 3 - 1 6 6 . Straßburg: J. H. B o e d e r , Memoriae Philosophorum, Hg. M. Henning (Frankfurt 1677), 4 8 6 - 5 1 5 , und AD Β, s. v. „Bernegger"; S. Eckhardt, Magyar szönokkepzes a XVIszäzadi Strasszburgban (Budapest 1944). Altdorf: H. Kunstmann, Die Nürnberger Universität Altdorf und Böhmen ( K ö l n - G r a z 1963). Herborn: Die Matrikel der Hohen Schule... zu Herborn, Hg. G. Zedier und H. Sommer (Wiesbaden 1908). Genf: Odloiilik, Reformovani, 13 f. und passim. Vgl. allgemein Evans, Wechel Presses, 46 f. 63 E. Veress (Hg.) A paduai egyetem magyarorszägi tanulöinak anyakönyve es iratai (Budapest 1915); id. (Hg.), Olasz egyetemeken järt magyarorszägi tanulök anyakönyve es iratai (Budapest 1941); A. Luschin-Ebengreuth, „Vorläufige Mitteilungen über die Geschichte deutscher Rechtshörer in Italien", Sb. d. k. Akad. d. Wiss., ph.-h. Kl. CXXVII (1892), Abh. 2. 64 Szenczi Molnär Albert naplöja, levelezese es iromänyai, Hg. L. Dezsi (Budapest 1898), mit seinem Tagebuch und seiner Korrespondenz; vgl. L. Dezsi, Szenczi Molnär Albert (Budapest 1897). Turoczi Trostler, op. cit. II, 109—155, fügt hier wenig dazu, doch einige weitere Details gibt es in Herepei, op. cit. I, 5 - 5 3 . 65 P. Hentzner, Itinerarium Germaniae, Galliae, Angliae, Italiae (Nürnberg 1612). 66 Baptista van der Muelen, „Descriptio Quinque Profectionum . . . ", ÖNB, MSS. 8 9 3 2 - 8 9 3 7 (sechs fast identische MSS., die auf seinen Reisen zwischen 1565 und 1582 basieren). Uber die Stimmung im allgemeinen siehe E. Trunz, „Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur", Deutsche Barockforschung, Hg. R. Alewyn (Köln - Berlin 1965), 1 4 7 - 1 8 1 , und S. I. Koväcs, „Justus Lipsius es a magyar kesö-reneszansz utazäsi irodalom", Helikon, XVII (1971), 4 2 8 - 4 3 6 . 67 Georg Christoph Fernberger in ÖNB, MS. 15434; vgl. ibid. MS. 8135, Fol. 6 9 - 7 2 . Ein anderer sehr provinzieller Adeliger auf dem Weg nach Konstantinopel hält es für notwendig, damit anzufangen, Wien zu beschreiben! (Wolf Andreas von Steinach, ibid. MS. s. n. 3385, Fol. 5 - 4 9 ) . Andere Beispiele in R. J. W. Evans, „Bohemia, the Emperor and the Porte, 1 5 5 0 - 1 6 0 0 " , Oxford Slavonic Papers, N. S. Ill (1970), 8 5 - 1 0 6 . 68 Zitat aus I. Miskolci Csulyak in OSzK, MS. 656 oct. lat., Einf. Andere ungarische Beispiele sind: F. Hunyadi, Ephemeron seu Itinerarium Bathoreum (Krakau 1586); M. Forgäch, Oratio de Peregrinatione et eius Laudibus (Wittenberg 1587), bes. sig. C l - 2 ; J. Decsi Csimor, Hodoeporicon Itineris Transylvanici (Wittenberg 1587), besprochen von J. Tardy in Filoldgiai Közlöny, XI (1965), 3 5 9 - 3 7 1 . Große Sammlungen solcher Arbeiten, wie diejenige des Schlesiers Nikolaus Reusner (Basel 1580) begannen zu erscheinen. Vgl. weiter oben, Anm. 43 (Pighius). 69 Allgemeine Literatur über Alben: R. und R. Keil, Die deutschen Stammbücher des 16. bis 19. Jahrhunderts (Berlin 1893); M. Rosenheim, „The Album Amicorum", Archaeologia, LXII (1910), 2 5 1 - 3 0 8 ; Μ. A. E. Nickson, Early Autograph Albums in the British Museum (London 1970); E. Zöllner, „Das österreichische Stammbuch des konfessionellen Zeitalters und seine Bedeutung als Geschichtsquelle", MÖStA XXV (1972), 1 5 1 - 1 6 8 . Jüngste Beschreibungen individueller Alben umfassen Zöllner, „Aus dem Stammbuch des Frh. Otto Heinrich von Herberstein", MIÖG LXIII

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Anmerkungen

(1955), 3 5 8 - 3 7 4 ; id., „Austriaca in der Stammbuchsammlung des Britischen Museums", Österreich und die angelsächsische Welt, II (Wien-Stuttgart 1968), 345 ff.; Zs. Jako, „Miskolci Csulyak Istvän peregrinäciös albuma", Irodalomtörteneti Dolgozatok, LXXI (Szeged 1972), 5 9 - 7 1 . Breslau: BL, Add. MS 19477 (Daniel, Sohn von Daniel Rindfleisch, einem prominenten örtlichen Humanisten). Konstantinopel: ÖNB, MS. s. n. 2973, ein faszinierendes Album, das aufzeigt, wie viele westliche Besucher Konstantinopel erreichten und dessen Besitzer Salomon Schweigger protestantischer Kaplan des dortigen habsburgischen Residenten um 1580 war. Mährer: BL, Egerton MS. 1216 (primitiv); weiter oben Anm. 60 (Opsimathes). Vgl. BL, Egerton MS. 1205 (Christoph Grundner), welches einem Untergebenen der oberösterreichischen Starhemberg gehörte, und ibid. MS. 1245 (Tobias Taufrer aus Laibach), mit seinen gelehrten lateinischen Sinnsprüchen, dem Fehlen aller Wappen, und mit Unterschriften von Besold und Bernegger, Maestlin und Sebisch. B. Keserü, „Üjfalvi Imre es a magyar kesöreneszänsz", Irodalomtörteneti Dolgozatok, XLI (Szeged 1968); id., „Üjfalvi Imre es az europai ,kesöhumanista ellenzek'", ibid. LIV (Szegedin 1969); sein Album ist OSzK, MS. 150 oct. lat. ÖNB, MS. s. n. 2607 (ZdenSk Brtnicky ζ ValdStejna), eine Ergänzung zum Tagebuch, die bereits benutzt wurde von B. Dudik, Iter Romanum, I—II (Wien 1855), I, 2 3 2 - 2 4 4 ; O. OdloZilik, „Cesty ζ CechaMoravydoVelkeBritänievletechl563-1620",CAiAiLIX(1935), 241-320, hier 2 8 0 - 2 8 8 ; id.,Reformovani, 5 1 - 5 8 ; und (fürdieBeschreibung von Rom) J. A. F. Orbaan,Romeonder Clemens VIII. (Den Haag 1920), 126-145. Petrus Mon. [edulatus] Lascovius, De Homine Magno illo in rerum natura miraculo etpartibus (Wittenberg 1585). Gir. Savonarola, Universae Philosophiae Epitome, Hg. J. Jessenius (Wittenberg 1596), bes. 763—769. Vgl., über Jessenius' Originalität, I. Farneti, „Una scoperta nel campo degli studi savonaroliani?", Atti della Accademia delle Scienze di Ferrara, XXVIII (1950-1951) und Separatabdruck. Zwingers Kompendium erschien 1571 erstmals in Basel. Seine Korrespondenz erwähnt die Pläne Blotius': ÖNB, MS. 9737*", Fol. 313 f.; ibid.215, Fol. 10, 57,68 f., 86, usw.; ibid. 116 , Fol. 266 f. Siehe S. 95 f.; Rudolf II., Kap. 3; und den in der nächsten Anmerkung zitierten Artikel Klaniczays. Gyulai in OSzK, MS. 2380 fol. Iat., 2, 2 9 - 6 7 . Uber ihn siehe A. Gärdonyi, „Abafäji Gyulai Pal", Sz XL (1906), 8 9 4 - 9 0 6 , und Gy. Szabo, Abafäji Gyulai Päl (Budapest 1974), der jedoch den Dialog als verloren ansieht (14 f.). Lascovius, op. cit., passim. Vgl. allgemein, den Stand der Forschung bei Rudolf II., Kap. 6 - 7 , und die bedeutende Studie von T. Klaniczay, „A reneszänsz välsäga es a manierizmus", ItK LXXIV (1970), 4 1 9 - 4 5 0 (auch in französischer Übersetzung in Acta Litteraria Academiae Scientiarum Hungariae, XIII (1971), 269-314. Vgl. weiter unten Kap. 10 und 12. Tycho: Rudolf II., 279 f. Rheticus: Κ. H. Burmeister, Georg Joachim Rheticus 1514-1574,1—III (Wiesbaden 1967-1968). Vgl. S. 278-282. Über Anhänger Brunos: Rudolf II., 2 2 9 - 2 3 4 ; zu Brunos ungarischem Bewunderer Mihäly Forgäch siehe auch L. Bartfai Szabo, Α Hunt—Päzmän nemzetsigbeli Forgäch csaläd törtenete (Gran 1910), 4 9 1 - 4 9 4 , u n d - jüngst erschienen - Forgäch Mihäly es Justus Lipsius levelvältäsa, Hg. T. Klaniczay (Budapest 1970). Rudolf II., 199 ff.; über Siebenbürgen vgl. den Brief von Kovacsoczy an Simon Forgäch vom 20. Juli 1591, in TT, 1893,42 f. (im Gegensatz zu Bagyary, op. cit. 118). Corvinus: OL, Batthyäny csaläd leveltära, misszilisek, nr. 8056-8133; Megiser: M. Doblinger, „Hieronymus Megiser, Leben und Werke", MIÖG XXVI (1905), 431-478. Franc. Flussas, Mercurii Trismegisti Pimandras utraque lingua restitutus (Bordeaux 1574); Paul Skalich aus Lika, „Quadraginta Novem Librorum de Rerum Causis", ÖNB, MS. 10438, später gedruckt in Miscellanea de Rerum Causis . . . (Köln 1570); vgl. S. 253-255. Nostradamus: ÖNB, MS. 10717, Vorhersagen für 1565, die auf eine Aufforderung Maximilians hin übersetzt wurden. Fabritius und Reisacher: Aschbach, op. cit. III, 1 8 7 - 1 9 4 , 2 5 6 - 2 5 8 ; Mayer, op. cit. 1,356,376,456,537,569,575, 596, 614, 621, 6 2 6 - 6 2 7 , 637, 639, 641, 676, 690-692, 694, 697, 7 0 2 - 7 0 3 , 811. Picatrix: ÖNB, MS. 9737 217 , Fol. 140; ibid. MS. 5580, Fol. 49; ibid. MS. 10101, Fol. 3 r . Steganographie: ibid. MS, 9737, Fol. 12; vgl. S. 252 f. Alchimie: ζ. B. ÖNB, MS. 5580, Fol. 5 1 - 5 2 . Träume: ibid. MS. 9737 217 , Fol. 96, usw. Preuss und Hippolyt!: ibid.216, Fol. 57,161; ibid.217, Fol. 24,31 f., 96; ibid.21«, Fol. 311*; ibid. MS. 10553, MS. 11449, Fols. 6 - 1 1 . Zuber: ibid. MS. 11427; vgl. J. H. Zedier (Hg.), Grosses Vollständiges Universal Lexicon, I - L I V (Halle-Leipzig 1732-1750, in Hinkunft Zedier), sv.

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Anmerkungen

83 Ibid. Fol. 164r, 174v, 197v, 224', usw. Die Kommentare sind, um ihre Pointen schärfer hervortreten zu lassen, auf deutsch. 84 J. Sambucus, Emblemata (Antwerpen 1564); vgl., jüngst erschienen, H. Homann, Studien zur Emblematik des 16. Jahrhunderts (Utrecht 1971), 4 3 - 7 8 . 85 Der Fall Deutschland bleibt umstritten, doch allgemein siehe F. Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (3. Aufl. Berlin 1966), 335 und passim; und id., „Die wirtschaftliche Lage Deutschlands vor Ausbruch des dreißigjährigen Krieges", in Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Stuttgart 1963), 336-395. Vgl. H. Kellenbenz in H. Aubin und W. Zorn (Hgg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozial-Geschichte, I (Stuttgart 1971), 414-464. 86 F. Tremel, Der Frühkapitalismus in Innerösterreich (Graz 1954); id., Wirtschafts- und Sozialgeschichte Österreichs (Wien 1969), 148-191; Gutkas, Niederösterreich, 168 ff. L. Makkai und J. VlachoviC in I. Bog (Hg.), Der Außenhandel Ostmitteleuropas 1450-1650 (Köln-Wien 1971), 483-506,600—627; vgl. VlachoviC, „Slovak copper—boom in the 16th and early 17th century",Studio Historica Slovaca, I (1963), 6 3 - 9 5 . H. Braumüller, Geschichte Kärntens (Klagenfurt 1949), 281 f., 288 ff.; F. Gestrin, „Economie et societe en Slovenie au XVI e sifecle", Annales ESC, XVII (1962), 663-690, bes. 670 ff.; Zs. P. Pach, „The role of East-Central Europe in international trade, 16th and 17th centuries", Etudes Historiques, 1970, 217-264. 87 F. Lerner undJ. JanäCek in Bog (Hg.), op. cit. 1 4 7 - 1 8 4 , 2 0 4 - 2 2 8 ; G. Aubin und A. Kunze, Leinenerzeugung und Leinenabsatz im östlichen Mitteldeutschland zur Zeit der Zunftkäufe (Stuttgart 1940), bes. 271—289. T. Hagecius (Häjek), De Cervisia, ejusque conficiendi ratione, natura, viribus et facultatibus (Frankfurt 1585); J. Dubravius, De Piscinis et Piscium naturis libri V ([Zürich?] 1559). Die Widmungen Dubravius' richteten sich an Anton Fugger und Ferenc Thurzö, Bischof von Neutra, später Protestant. Über die Fugger in Ungarn siehe G. Wenzel,/! Fuggerek jelentösege Magyarorszäg törtenetiben (Budapest 1882). 88 O. Pickl in Pickl (Hg.), Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Türkenkriege (Graz 1971), 7 1 - 1 2 9 ; L. Makkai,A magyarPuritänusokharcaafeudalizmuseilen (Budapest 1952), 23 ff.;id., „DieHauptzüge der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung Ungarns im 15.-17. Jahrhundert", Studia Historica, LIII (1963), 27—46, hier 36. Die ambitionierte Studie von I. M. Wallerstein, The modern world-system, Capitalist agriculture and the origins of the European world-economy in the 16th century (New York 1974), ist in ihren mitteleuropäischen Abschnitten weder gut fundiert nocht gut angeordnet. 89 Dieses Thema ist zu umfassend, um hier näher behandelt zu werden. Zu Ungarn im allgemeinen siehe B. Radvänszky, Magyar csalädelet es häztartäs a XVI es XVII szäzadban, I—III (Budapest 1879-1896), und G. Tolnai, Regi magyar föurak (Budapest 1939?); und für den Spezialfall der Nädasdy, Nädasdy Tamäs nädor csalädi levelezese, Hg. A. Kärolyi und J. Szalay (Budapest 1882), passim. Zu Rosenberg und Zerotin siehe Rudolf II., passim; vgl., für einen anderen tschechischen Fall, Α. V. Sembera, Päni ζ Boskovic a potomni driitele hradu boskovickeho na Moravi (Wien 1870), bes. 108 ff. 90 Besonders aus den Niederlanden: Μ. Ε. Η. N. Mout, Bohemen en de Nederlanden in de zestiende eeuw (Leiden 1975). 91 Bibl, „Eder", 111, Zitat aus 1580.

1600—1650

Kapitel 2: - Die religiöse und politische

Krise

1 O. Braunsberger (Hg.), Beati Petri Canisii SJ Epistulae et Acta, I - V I I I (Freiburg 1896-1923), ist monumental und makellos. Vgl. id., Peter Canisius, ein Lebensbild (Freiburg 1917); A. Socher,//ύιοria Provinciae Austriae Societatis Jesu, I (Wien 1740), bes. 28 ff., 50—52, 57 ff.; B. Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, I—III (Freiburg - Regensburg 1902-1921), I, 45 ff., 163 ff., 188 ff. 2 Schellhass, „Ninguarda"; V. Fraknöi, Magyarorszäg egyhäzi es politikai összeköttetesei α Römai Szent-Szekkel, III (1526-1689) (Budapest 1903), Buch 2,passim; A. Steinhuber, Die Geschichte des Collegium Germanicum in Rom, I—II (Freiburg 1895), I; J. Köhler, Das Ringen um die tridentinische Erneuerung im Bistum Breslau (Köln - Wien 1973), 8 9 - 1 5 6 ; B. Chudoba, Spain and the Empire, 1519-1643 (Chikago 1952), 150-152 und passim. Vgl. Rudolf II., 21 f., 34, 85 f.

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Anmerkungen

3 Bibl, „Eder"; Κ. Schrauf, Der Reichshof rat Dr. Georg Eder. Eine Briefsammlung . . . , I (Wien 1904); Wiedemann, Reformation, II, 143-158; E. Tomek, op. cit. 397 ff. 4 G. Scherer, Alle Schrifften, I - I I (Klosterbruck 1599-1600); Ich habe den Neudruck, Opera oder alle Bücher. . ., I—II (München 1613-1614) verwendet. Vgl. Socher, op. cit. 4 2 8 - 4 3 0 und passim. J. Stepischneg, „Georg III. Stobaeus von Palmburg, Fürstbischof von Lavant", AÖG XV (1856), 71 — 132; L. Schuster, Fürstbischof Martin Brenner, ein Charakterbild aus der steirischen Reformations-Geschichte (Graz - Leipzig 1898), ein riesiger und unausgewogener Band. 5 J. von Hammer, Khlesls, des Cardinais . . . Leben, I - I V (Wien 1847-1851), Bd. I für diese Periode, ist eine weitschweifige politische Studie mit wichtigem Dokumentationsmaterial, das nie überholt wurde. Vgl. T. Wiedemann, „Beiträge zur Geschichte des Bisthums Wiener Neustadt", 0. Vjschr.f. kath. Theol., VII (1868), 2 4 1 - 2 6 6 ; VIII (1869), 6 7 - 1 1 8 ; IX (1870), 3 5 9 - 3 7 4 , hier 67 ff.; E. Tomek,op. cit. 483 ff. 6 F. Hurter, Geschichte Kaiser Ferdinands II. und seiner Eltern, I - X I (Schaffhausen 1850-1867)1-11; Loserth, Reformation, Buch 2; id. (Hg.), Acten und Correspondenzen, I; H. Pirchegger, Geschichte der Steiermark, II (Graz 1931), 445 ff.; Mecenseffy, op. cit. 71 ff. Über Homberger, der auch in Ungarn aktiv war, siehe F. M. Mayer, „Jeremias Homberger", AÖG LXXIV (1889), 205-259. 7 V. Bibl, „Klesls Briefe an Kaiser Rudolfs II. Obersthofmeister Adam Freiherrn von Dietrichstein", AÖG LXXXVIII (1900), 4 7 5 - 5 8 0 ; id., „Klesls Briefe an Herzog Wilhelm V. von Baiern", MIÖG XXI (1900), 640—673; id., „Erzherzog Ernst und die Gegenreformation in Niederösterreich", MIÖG, Ergänzungsband VI (1901), 5 7 5 - 5 9 6 ; Gutkas, Niederösterreich, 189 if.passim; Mecenseffy, op. cit. 82 ff. 8 Loserth, Acten und Correspondenzen, II a, Einf., bes. S. V, und II b, Einf., bes. S. V - V I , widersprechen I, Einf.; Dimitz, op. cit., Teil 3,323—330 und passim, ist besser ausgewogen. E. Tomek, op. cit. 4 5 3 - 4 8 0 , über Tirol. „ Λ 9 Zu den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts: Loserth, Acten und Correspondenzen, IIa, nr. 1—222. Über die Klöster: C. Stengel, Monasteriologia . .. O. S. B. (Augsburg 1619), bes. 10 f., 30 f.; Benediktinerbuch, 401 f.; Frieß, "Garsten", 2 5 8 - 2 6 6 ; Röhrig, art. cit. 146 ff. In dem kleinen Franziskanerkloster in Wimpassing beispielsweise gab es eine Druckerei (Regi magyarorszägi nyomtatvänyok, Nr. 735-737, 862). Über dieJesuiten: Socher,op. cit., bes. 325 ff., 3 7 1 - 3 7 4 ; Viel Information findet sich in den veröffentlichten Jahresblättern, wie den Litterae Annuae S. J. für 1600 (Antwerpen 1618), 426-444. Brenners Brief in ÖNB; MS. 13746, Fol. lf. 10 Hurter, op. cit. IV; Loserth, Acren und Correspondenzen, II, mit sehr umfangreicher Dokumentation. P. Dedic, Der Protestantismus in Steiermark im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (Leipzig 1930), ist bloß eine brauchbare Zusammenfassung. Weitere Zeugnisse in G. Stobäus, Epistolae ad diversos (Venedig 1749), eine wichtige Quelle; Stepischneg, art. cit.; ÖNB, MS. 13746, Fol. 3 - 7 , usw.; Schuster, op. cit. 428 ff. und passim; Dimitz, op. cit., Teil 3, 273—314. Zu Maria: Hurter, op. cit. III, und HHStA, Hausarchiv, Fam. Korr. A, Karts. 4 2 - 4 8 . Zu Odontius: R. Leidenfrost, „Zur Geschichte der Gegenreformation in Steiermark", JGGPÖ VI (1885), 5 1 - 8 0 ; vgl. Stobäus, Epistolae, 128-130. 11 Oberösterreich: Eder, Glaubensspaltung, 249 ff.; M. Ritter, „Quellenbeiträge zu einer Geschichte Rudolfs II.", Sb. d. bayr. Akad. d. Wiss.,ph.-ph.-h. Kl., 1872, 2 3 7 - 2 7 2 ; V. Bibl,,,Die Religionsreformation Kaiser Rudolfs II. in Oberösterreich", AÖG CIX (1921), 3 7 7 - 4 3 3 ; Mecenseffy, op. cit. 89—106. Niederösterreich: Wiedemann, Reformation, I, 498 ff. 12 K. Borovy, Brus, und id., Martin Medek, arcibiskup prazsky (Prag 1877), behandelt viele der Probleme, denen sie gegenüberstanden. Zu den Jesuiten: J. Schmidt, Historia S. J. Provinciae Bohemiae, I—IV (Prag 1747—1759), I—II; A. Kroess, Geschichte der böhmischen Provinz der Gesellschaft Jesu, I—II (Wien 1910-1938), I; Litterae Annuae (1600), 445-477.Vgl. allgemein Rudolf II., 34 ff., und jüngstZ. Kalista, „Die katholische Reform von Hilarius bis zum Weißen Berg",in Seibt (Hg.),op. cit. 110-144. Zu Campion siehe das Standardwerk von R. Simpson, Edmund Campion, a biography (2. Aufl. London 1896), das für die böhmische Zeit auf Schmidl und seinem Vorläufer Baibin beruht (Miscellanea Historica Regni Bohemiae, decasl, Buch 1—8,decasII,Buch l - 2 ( P r a g 1679-1688),I, Buch 4, Teil 1, 189-196) Frühe deutsche oder mitteleuropäische Ausgaben der Decern Rationes gab es in Trier 1581, Ingolstadt 1583, Graz 1588, Trier und Würzburg 1589, Prag 1592, Wien 1594. Vgl. den Bericht (eine zeitgenössische Kopie?) seines Märtyrertums in ÖNB, MS. 11851. 13 ÖNB, MS. 13559, eine Geschichte des Kollegiums Olmütz im 16. Jh. Vgl. die detaillierte, doch un-

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vollständige Studie von B. Navrätil, Jesuite olomouitizaprotireformace, I (Brünn 1916); und J. Radimsky, Jesuite ν Olomouci 1567-1773 (Brünn 1952). J. Leisentritt, Catholisch Gesangbuch voller Geistlicher Lieder und Psalmen . . . (2. Aufl. Bautzen 1584), bes. die Widmungen an Maximilian II. (in Deutsch, von der 1. Aufl. übernommen) und an den Nuntius Bonomi (in Latein). Köhler, op. cit. 157—248, zu Breslau. W.Schram, „Der Abt von Kloster-Bruck Freitag von Cziepiroh", Zeitschrift des Vereines für die Geschichte Mährens und Schlesiens, III (1899), 3 1 2 - 3 2 4 ; M. Grolig, Die Klosterdruckerei im Prämonstratenserstift Bruck a. d. Thaya, 1595-1608 (Wien 1908). G. J. Dlabacz, Leben des frommen prager Erzbischofs Johann Lohelius (Prag 1794); K. Pichert in Anal.Praem. III (1927), 125-140, 2 6 4 - 2 8 3 , 4 0 4 - 4 2 2 , fügt einige Details hinzu. Die Korrespondenz von Lohelius und anderes Material findet sich in Str. MS. DH III 49 für die Jahre 1595-1603. Über Tepl: Zerlik, art. cit. (Anal.Praem. XXXIX (1963)), 7 0 - 1 3 1 . Zu Strahov: Str. MS. DJ III 2, S. 109 ff.; und D. K. Cermäk, Premonsträti ν Cechäch α na Moravi (Prag 1877), 5 9 - 6 6 . Ein anderes Kloster, in dem in diesen Jahren eine Wiedererholung eintrat, war Hohenfurt (VySSi Brod) (D. Kaindl, Geschichte des Zisterzienserstiftes Hohenfurt in Böhmen [Hohenfurt 1930], 50 ff.). Pilsen und Budweis blieben katholisch. Vielleicht typisch für die Klöster war Goldenkron (F. Tadra in Stud. u. Mitt. XI (1890), 3 5 - 4 7 ) . Zu Lobkowitz: M. Dvofäk, „Proces Jifiho ζ Lobkovic", CCH II (1896), 271-292. F. Vacek, „Diecesni synoda praiskä ζ r. 1605", SbHKr V (1896), 2 5 - 4 5 . Über Dietrichstein und Lobkowitz siehe Rudolf II., 68 f., 112, 2 8 6 - 2 8 8 ; beide verdiente Männer, doch hat bis heute keiner einen ernstzunehmenden Biographen gefunden. P. Skala ze Zhofe, Historie Ceskä, 1602-1623, Hg. K. Tieftrunk, I - V (Prag 1865-1870), bes. I, 71 ff., die klassische Geschichte dieser Jahre, die - bezeichnenderweise - 1602 beginnt. Über Braunau: Benediktinerbuch, 89 ff.; R. Schramm (Hg.), „Regesten zur Geschichte der Benediktiner-Abtei Bfevnov-Braunau in Böhmen", Stud. u. Mitt. III (1882), 4, 3 1 2 - 3 2 2 ; IV (1883), 1, 3 0 - 4 1 ; V. V. Tomek, PHbihy klaitera a mista Police nad Medhuji (Prag 1881), 97 ff. Seiender, ein Deutscher aus Regensburg, wurde von der Krone eingesetzt. Vgl. den Beginn der Gegenreformation im nahegelegenen Troppau: A. Gindely, „Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.", Sb. d. k. Adad. d. Wiss., ph-h. Kl. XVIII (1855), 1 7 - 6 2 ; G. Loesche, Zur Gegenreformation in Schlesien, I—II (Leipzig 1915-1916), I (Troppau, Jägerndorf). Socher, op. cit. 8 8 - 9 1 , 1 3 8 - 1 4 0 , 2 1 8 - 2 3 5 , 2 7 0 - 2 7 6 , 2 8 7 - 2 9 5 , 3 3 6 - 3 5 3 , 3 7 9 - 4 1 0 ; A. Meszlenyi, A magyar jezsuitäk a XVI szäzadban (Budapest 1931); L. Velics, Väzlatok a magyar jezsuitäk mültjäböl, I—III (Budapest 1912-1914), 1,50-83.Eine umfangreiche Dokumentation gibt es nun in L. Lukäcs (Hg.), Monumenta antiquae Hungariae, I—II (1550-1586) (Monumenta Historica S. J., CI, CXII, Rom (1969-1976). Über Olähs Synoden: C. Peterfy, Sacra Concilia Ecclesiae Romano-Catholicae in Regno Hungariae celebrata, I—II (Preßburg 1741-1742), II, 3 9 - 1 9 0 . Zu Draskovich siehe I. Revesz, Kälvin legelsö magyar tämadöja Draskovics György es Confutatiöja (Debrecin 1933); es gibt nichts Adäquates. Zu Telegdi: A. Fenyi, Telegdi Miklös (Budapest 1939), über seine Druckerei: B. Ivänyi - A. Gärdonyi, A kir. magyar Egyetemi Nyomda törtenete, 1577—1927 (Budapest 1927), 15 ff.; Gulyäs, op. cit. 181-194; über seine Bibliothek: G. Nagy in MKSz V(1880), 3 7 - 5 0 . Velics, op. cit. I, 83 f.; Litterae Annuae (1600), 485 ff. Zu Szäntö: Egy. Kt. Coli. Hevenesiana, Bd. IX, Fol. 1 - 1 6 , abger ickt in Annuae LitteraeS. J. de rebus Transilvanicis, Hg. E. Veress (Budapest 1921), 199-202; raknoi, „Egy magyar jezsuita a XVI szäzadban", Katolikus Szemle, I (1887), 385-433. Seine ^ ibel wurde von Käldi vervollständigt, vgl. S. 189. Über Siebenbürgen: E. Veress, Carrillo Alfonz . . . levelezese es iratai (Budapest 1906); id.,Λ kolozsväri Bäthory-Egyetem törtenete leromboläsäig 1603—ig (Klausenburg 1906, Separatabdruck aus Erdilyi Muzeum, 1906); L. Szilas, Der Jesuit Alfonso Carrillo in Siebenbürgen (Rom 1966). I. Gäl, „Balassi Bälint Campianus-a",/f/k LXXIII (1969), 5 7 8 - 5 8 5 ; Zu Balassi vgl. S. 94. P. Jedlicska, Adatok Pälffy Miklös α györi hösnek iletrajza is korähoz (Eger 1897), ein sehr umfangreiches Kompendium; Wenzel, op. cit.66-70. Vgl. die Liste loyaler Familien in F. Kazy, Historia Regni Hungariae, I—III (Tyrnau 1737-1749), I, 132. Näprägi wurde 1598 zum ersten ortsansässigen Bischof seit vielen Jahren, mußte dann allerdings fast sofort fliehen; vgl. Jenei, art. cit. und OSzK, MSS. 1146 Fol. lat., 1496 Fol. lat. Es gibt in keiner Sprache einen zufriedenstellenden Bericht über diese Ereignisse in Siebenbürgen; selbst B. Homan -

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Gy. Szekfü, Magyar törtinet, I - V (Budapest 1935-1936), III (von Szekfü), 315-323, scheint den Mut zu verlieren. V. Frankl, Päzmäny Peter is kora, I - I I I (Budapest 1868-1872), I; M. 0ry, Päzmäny Peter tanulmänyi evei (Eisenstadt 1970). P. Sörös, „Forgäch Ferenc a biboros", Sz XXXV (1901), 577-608, 6 9 0 - 7 2 9 , 7 7 4 - 8 1 8 ; K. Ackermann, Forgäch Ferenc (Budapest 1918). F. Toldy (Hg.), Galäntai Gröf Esterhäzy Miklös munkäi, I—II (Pest 1853), bes. I, Einf.; Cs. Csapodi, Eszterhäzi Miklös nädor (Budapest? 1942), 17 ff. Homan-Szekfii, op. cit. III, 357 ff.; vgl. Magyar orszäggyülesiemlekek, Hg. V. Fraknöi und A. Kärolyi, I—XII (Budapest 1874-1917), XI,passim; Α. Kärolyi, „A huszonkettedik artikulus", Nehäny törteneti tanulmäny (Budapest 1930), 154—226. K. Benda, Bocskai Istvän (Budapest 1942). Bocskai starb kurz nach seinem Triumph und stürzte Siebenbürgen in erneute Kämpfe. Der Vertrag von Wien wird in R. Gooß, österreichische Staatsverträge: Fürstentum Siebenbürgen, 1526-1690 (Wien 1911), 2 7 8 - 3 6 7 gedruckt wiedergegeben und analysiert. Hammer op. cit. II; Hurter, op. cit. V - V I ; P. von Chlumecky, Karl von Zierotin und seine Zeit, I—II (Brünn 1862-1879); A. Gindely, Rudolf II. und seine Zeit, I—II (Prag 1862-1865), I; Wiedemann, Reformation, I, 525-547. Die Fortsetzung der Magyar orszäggyülesi emlekek, Hg. Kaiman Benda, wird unser Verständnis jener Ereignisse in Ungarn grundsätzlich verbessern. Zu 1609: Skala, op. cit. 1,119-257; Gindely, Rudolf II., I, Kap. 7; Grünhagen, „Schlesien unter Rudolf II.". Zu 1610-1611: Skala, op. cit. 1,264-329; Gindely, Rudolf II., 164 ff.; J. B. Noväk, Rudolf II a jeho päd (Prag 1935). Allgemein, Böhl, op. cit., bes. über die Flacianer; Bibl, „Organisation"; Wiedemann, Reformation, I, 351-392. V. Bibl, „Die katholischen und protestantischen Stände Niederösterreichs im XVII Jahrhundert", Jb. f . Lk. v. NO N. F. II (1903), 165-323. Viele Informationen über die Steiermark in Loserth,/tele« und Correspondenzen, I, und (mit Übertreibungen) in Schuster, op. cit. 197 ff. R. Stanka, Die böhmischen Conföderationsakte von 1619 (Berlin 1932), Kap. 3. Wie Budovec dies 1609 darstellte, war das, als wäre man zu einem Bankett eingeladen und bekäme nichts zu essen. Vgl. allgemein Hrejsa, Ceskä Konfesse, passim. R. Schreiber (Hg.), Das Spenderbuch für den Bau der protestantischen Salvatorkirche in Prag (Freilassing 1956); Mout, op. cit., Kap. 5. Revesz, Egyhäztörtenet, passim; Zovänyi, Protestantizmus, 138-272. Über Üjfalvi, der von seinen Reisen durch Europa einen gewissen Reformismus mitbrachte (vgl. S. 41): Lampe, op. cit., Teil 2, 337 ff.; über die Puritaner siehe S. 198 f. UberCsepreg: A. Fab6, Beythe Istvän eletrajza (Pest 1866), 24 ff.; und Zovänyi, op. cit. 246—272. S. Imre, Alvinczi Peter kassai magyarpap elete (Hödmezöväsärhely 1898), 19 ff., zu Oberungarn, siehe auch nächste Anmerkung. Gröf Thurzö György levelei nejehez . • •, Hg. E. Zichy, I—II (Budapest 1876); Radvänszky, op. cit. II, 104—114, 143-147, 1 4 9 - 2 2 5 ; B . IIa, „Az elsö magyar evangelikus föiskola tervei", KärolyiArpäd emlekkönyve (Budapest 1933), 2 7 4 - 2 8 6 ; L. Gogoläk, Beiträge zur Geschichte des slowakischen Volkes, I (München 1963), 5 6 - 6 2 . J. Mocko, EliäS Läni... a jeho doba (Lipt. Sv. Mikulää 1902). Mecenseffy, op. cit. 1 4 1 - 1 4 7 ; H . Wurm, Die Jörger von Tollet (Linz 1955); Chlumecky, op. cit.,po$sim. Über die Städte siehe S. 76—78 und die dort angeführte Literatur; über die Hajduken siehe S. 86 f. Allgemein: Gindely, Rudolf II., I—II. Viel von der Korrespondenz dieser Männer ist noch nicht veröffentlicht, einiges jedoch wurde von Chlumecky, op. cit. II, herausgebracht und Sturmberger, Tschernembl, deckt diesen Bereich gut ab. Vgl. I. Lukinich über Tschernembls Ansicht über Siebenbürgen in B b 1 (1931), 1 3 3 - 160 K. Benda, „A kälvini tanok hatäsa a magyar rendi ellenälläs ideolögiäjära", Helikon XVII (1971), 322-329, und id., fast der gleiche Artikel in Etudes Europeennes, milanges offerts aV.-L. Tapie (Paris 1973), 2 3 5 - 2 4 3 ; Imre, op. cit. 50 ff.; Sturmberger, Tschernembl, 90 ff.; Stanka, op. cit., Kap. 2; Odloiilik, Reformovani, 3 5 - 3 9 , 5 9 - 6 2 , 103 ff.; F. Hruby, „Kalvinsky theolog a boufe opavskä r. 1603", CCH XXXVII (1931), 5 9 3 - 6 0 1 (Polanus). Zu Opsimathes siehe Kap. 3, Anm. 55. K. Benda, „Absolutismus und ständischer Widerstand in Ungarn am Anfang des 17. Jahrhunderts", Südostforschungen, XXXIII (1974), 8 5 - 1 2 4 , hier 121 f.; Pirchegger, op. cit. 492 ff.; Loserth, Acten und Correspondenzen, IIb, nr. 1772 seqq. passim; Η. Sturmberger, „Jakob Andreae und Achaz von

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Hohenfeld", Festschrift Karl Eder (Innsbruck 1959), 381-394. Zu Rosenberg und Zerotin siehe Rudolf II., 140-145; vgl. F. Hruby, Ladislav Velen ζ Zerotina (Prag 1930). F. Kamenfiek (Hg.), Prameny ke vpädum Bolkajovcü na Moravu (Prag 1894). A. Gindely, Geschichte des dreissigjährigen Krieges,I-IV (Prag 1869-1880), I, 7 6 - 1 2 4 ; B. IIa, „Az 1614-i linzi egyetemes gyiiles", ß £ (1934), 231-253. Zu kulturellen Fragen vgl. S. 93 ff.; und zum Chiliasmus S. 279-282. R. Krebs, Die politische Publizistik der Jesuiten und ihrer Gegner in den letzten Jahrzehnten vor Ausbruch des dreissigjährigen Krieges (Halle 1890); vgl. Speculum sive Theoria doctrinae Jesuiticae . . . (o. O. 1608), mit interessanter Bibliographie; M. Bohatcova, Irrgarten der Schicksale (Prag 1966), nr. 5—9; J. HrubeS, Politicke α näbotenske rozpory ν Evropi ν dobovepublicistice 1590—1617 (Prag 1974), ist etwas verwirrend. Ein gutes Beispiel für einen radikalisierten Intellektuellen ist Johann oder Jan Jessenius, über diesen siehe J. V. PoliSensky, Jan Jesensky-Jessenius (Prag 1965), 5 9 - 7 8 ; und Rudolf II., 136-138. Lipsius: ÖNB, MS. 9737 z17 , Fol. 158, Brief von Henry Wotton. Werdenborch: ibid. Fol 236, 327. Giffen: ibid. z l e , Fol. 43, 55, 62, 68, 93, 104, 120, 130, 186. S. Tengnagel (Hg.), Complura monumenta hactenus inedita, in Gemina adversus Melchiorem Guldinastum Calvinianum replicatorem. . . Defensio (Ingolstadt 1612), mit einer Widmung an Klesl. Zu Tengnagel siehe Stummvoll (Hg.), op. cit. 129-145; und seine Korrespondenz in ÖNB, MSS. 9737 r "'. ÖNB, MS 9734* enthält einiges von der Korrespondenz Wackers; vgl. zu diesem Rudolf II., 154-157, und Str. MS. DH III49,Fol. 80,89 v -90'(Briefe von Lohelius). Scioppios Briefe an Wakker finden sich in ÖNB, ibid. Fol. 18, 20, wobei letzterer (Rom, 19. Februar 1600) den Tod Brunos in boshaften und schadenfrohen Ausdrücken beschreibt. Die Details stimmen mit Scioppios bekanntem Brief an ihren gemeinsamen Freund Rittershausen (17. Februar 1600)überein, erstmals veröffentlicht in Macchiavellizatio, qua Unitorum animos dissociare nitentibus respondetur („Saragossa" = ? Kaschau 1621),30 ff., und häufig neugedruckt, wie von [I. Oppenheim], pseud. J. Frith, Life of Giordano Bruno the Nolan (London 1887), 3 8 9 - 3 9 5 . Zu Scioppio vgl. J. Bongarsi et G. M. Lingelshemi Epistolae (Straßburg 1660), 46—57, und M. d'Addio, IIpensiero politico di Gaspare Scioppio (Mailand 1962), passim. Über Rumpf, vgl. weiter oben, Kap. 1 Anm. 29 (Bibliothek), und die Briefe an Blotius in ÖNB, MS. 9737 116 , Fol. 43, 59, 147; ibid. ζ1β , Fol. 53. J. Müldner./an Myllnerz Milhauzu, II (Prag 1934), gibt einiges von Myllners interessanter Korrespondenz wieder; (Bd. I dieses Werkes, die Bibliographie, scheint nie erschienen zu sein). Matthias bleibt in der historischen Literatur eine sehr schillernde Persönlichkeit. Vgl. das jüngst erschienene Werk über seine Beziehungen zu Rudolf in den frühen Jahren, H. Sturmberger, „Die Anfänge des Bruderzwistes in Habsburg", MOöLA V (1957), 143-188. Peterfy, op. cit. II, 150 ff.; A. F. Κο\\ίτ,Historia DiplomaticaIuris Patronatusapostolicorum Hungariae Regum (Wien 1762), 2 5 6 - 2 7 4 ; id., De Originibus et Usuperpetuopotestatis Legislatoriae circa sacra Apostolicorum Regum Ungariae (Wien 1764), 129—131 (aber vgl. S. 201 und Kap. 7, Anm. 88 über diese zwei Werke).Für diesen gesamten Paragraphen: Fraknöi, Szent-Szek, loc. cit.; vgl. Wiedemann, Reformation, I, 291-324. J. Hirn, „Der Temporalienstreit des Erzherzogs Ferdinand von Tirol mit dem Stifte Trient", AÖG LXIV (1882), 3 5 3 - 3 9 8 ; J. Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform in Tirol, 1565-1665 (Mainz 1972); Wiedemann, Reformation, II, 362 ff. F. Galla, „A püspökjelöltek känoni kivizsgäläsänak jegyzökönyvei a Vatikäni Leveltärban", LK X X - X X I I I (1942-1945), 141-186; Fraknöi, 5zem-Szeit, Buch 2, 196 ff.; id., A magyar kirälyikegyüri jog Szent Istväntöl Maria Tereziäig, I—II (Budapest 1895-1899), I, 274 ff. Zu Forgäch: M. Kärpäthy-Kravjänszky, Forgäch Ferenc törtenetehez (Budapest 1938-1939, Separatabdruck aus Regnum)·, Der Papst verweigerte eine Bestätigung vor allem aus Altersgründen. Vgl. S. 109 f. B. Duhr, Die Jesuiten an den deutschen Fürstenhöfen des 16. Jahrhunderts (Freiburg 1901), kommt von falschen Annahmen zum richtigen Ergebnis. Wiedemann, Reformation I, 195 ff.; Stülz, op. cit. 114-120, 127-129; Röhrig, op. cit. 135 ff. W. Jöchlinger, „Andreas Weissenstein, erwählter Propst von Klosterneuburg, und sein Kampf gegen das Staatskirchentum", Jb. d. St. Klnb., N. F. IV (1966), 7 - 1 3 5 ; Hammer, op. cit. I, 33 ff., 82 ff., 135 ff., 183 f. Beispiele für Klesls Diktat in Cisterzienserbuch, 90 f.; 5 8 2 - 5 8 4 ; Chorherrenbuch, 107 f.; 2 2 9 - 2 3 1 ; C. Rapf, „Die Abtbischöfe des Wiener Schottenstiftes im 17. Jahrhundert", Fest-

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schrift F. Loidl, I—II (Wien 1970), I, 2 5 5 - 3 0 0 , hier 256 ff.; vgl. Wiedemann, Reformation, II, 236-239. H. Goetz, „Die geheimen Ratgeber Ferdinands I.", Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven, XLII—XLIII (1963), 4 5 3 - 4 9 4 ; Wiedemann, Reformation, I, 459 ff. (Erstenberger). Zu Löbl und Hegenmüller siehe weiter oben, Anm. 11, bes. Ritter, art. cit. und Eder, Glaubensspaltung, 4 1 0 - 4 1 3 . Zu Pisnice: K. Stloukal in Sbornik praci vinovanych J. B. Noväkovi (Prag 1932), 363—380. ÖNB, MS. 8579 enthält einige Entscheidungen des obskuren Himmelreich; vgl. seine früheren (1575—1577) BriefeanBlotiusinibid. MS. 9737* 15 ,Fol. 18,22,25,38,292; Sörös, art. cit.(Sz 1901), 596 f.; Höman-Szekfü, op. cit. III, 369; L. Szilägyi in Emlekkönyv Domanovszky Sändor (Budapest 1937), 556—560. Istvänffy war in die Anklage Illeshäzys verwickelt (Holub, op. cit. 34-39). Unverzagte Briefe an Maria finden sich in HHStA, Hausarchiv, Fam. Korr., loc. cit. Auch Rumpf korespondierte mit ihr: Hurter, op. cit. II, 5 4 4 - 5 4 8 , 567-571; III, 4 8 9 - 4 9 3 , 533, 5 4 5 - 5 4 9 , 554—555, 563-565. Über den jüngeren Himmelreich siehe Fuxhoffer, op. cit. I, 117-121; Erdelyi-Sörös (Hgg.), op. cit. IV, 7 5 - 8 5 . Zu Klesl vgl. Anm. 5 weiter oben. Die Predigt (Wiedemann, „Wiener Neustadt", 8 1 - 8 3 ) wurde später gedruckt. Bibl, „Eder", 129, 132. Andere Zeugnisse in Rudolf II., passim. Α. Kärolyi, „Az ellenreformäciö kezdete es Thurzo György nädorrä välasztäsa", Sz L I I I - L I V (1919-1920), 1 - 3 3 , 124-163, ein wichtiger Artikel; Päzmäny Piter összegyüjtött levelei, Hg. F. Hanuy, I—II (Budapest 1910-1911), I, nr. 1 2 - 1 4 ; Fraknoi, Szent-Szek, Buch 3, 268 ff.; Sörös, art. cit. (5z 1901), 713 ff.; 774 ff.; Velics, op. cit. II, 3 ff. Vgl. zu Österreich: Wiedemann,Reformation, I, 518 ff., 5 4 5 - 5 4 7 ; Bibl, „Stände", passim. J. Vävra, „Katolici asnfimCesky r. 1608 a 1609",5ί>//Λ> 1(1893), 3 - 2 8 ; Skala, 1,346-348zu Lohelius; Fr. KameniCek, „ProtireformaCni snahy MatyäSovy na Moravfi (1608-1618)", SbH (Rezek), I (1883), 140-159, zu Dietrichstein. Vacek, art. cit.; Peterfy, op. cit.; bes. II, 190—218.1 Szabö, Baläsfi Tamäs elete es munkäi (Budapest 1897). Über Homonnai Drugeth, dessen Bruder auf der Seite Bocskais kämpfte, siehe Kärolyi, „Ellenreformäciö", 5 f. (wo seine Konversion mit 1608 datiert wird, obwohl die Litterae Annuae S. J. für 1606, 557 f., 1605 vermuten lassen); D. Angyal in Sz LXIII-LXIV (1929-1930), 3 5 3 - 3 5 7 ; MIT II, 35; und vgl. S. 297. Zu Esterhäzy: Csapodi, op. cit. 22 ff. Uber Strahov und Braunau siehe S. 165—167. Stülz, op. cit. 136 ff. (Wilhering); Cisterzienserbuch, 5 8 4 - 5 8 6 (Zwettl), 171 f. (Lilienfeld); Benediktinerbuch, 137-140 (Göttweig). Uber Rein: Cisterzienserbuch, 383 ff.; und vgl. Hurter, op. cit. II, 6 9 - 8 2 . B. Gsell, „Beitrag zur Lebensgeschichte des Anton Wolfradt", Stud. u. Mitt. III (1882), 4, 3 3 4 - 3 4 5 ; IV (1883), 1, 4 1 - 4 8 ; 2, 2 5 5 - 2 6 7 ; A. Hopf, Anton Wolfradt, Fürstbischof von Wien . . . . I—III in 4 Bdn. (aber insgesamt nur 217 S.) (Wien 1881-1884). Es ist ein interessantes Anzeichen der Flexibilität der Gegenreformation, daß sowohl Wolfrad als auch sein Vorgänger, a Lacu, von den Zisterziensern zu den Benediktinern übertraten, um der wichtigen Abtei Kremsmünster vorzustehen; vgl. G. Wacha, „Die Korrespondenz des Kremsmünsterer Abtes Alexander a Lacu mit den bayrischen Herzogen", MÖStA, XXVI (1973), 168-211. Über die Jesuiten: Duhr, Geschichte, II, I, 3 2 3 - 3 5 2 ; Dimitz, op. cit. Teil 3, 363—381. Zu den Orden im allgemeinen, Skala, op. cit. II, 5, eine etwas scheele Ansicht; und S. 102-108. Hammer, op. cit. IV, 78 ff., und ibid. Urkunden, nr. 865 seqq.; Hurter; op. cit. VII, 303 ff. Streng genommen gehörte Klostergrab (Tschechisch: Hrob oder Hroby) zur Zisterzienserabtei Ossegg, die 1580 aufgelöst wurde und - mit der Möglichkeit einer zukünftigen Restauration - an das Erzbistum kam. Vgl. Cisterzienserbuch, 303 ff. Gindely, Rudolf II. I,353-355;id., Dreissigjäh riger Krieg, 1,61 ff.; vgl. die Diskussion in J. Gebauer, Die Publiästik über den böhmischen Aufstand von 1618 (Halle 1892), 5 - 7 . Über die katholischen Ansichten siehe C. Carafa, Commentaria de Germania Sacra Restaurata (Köln 1639), 57 f.; J. Svoboda, „Die Kirchenschliessung zu Klostergrab und Braunau und die Anfänge des dreissigjährigen Krieges", Zschr.f. Kath. Theol. X (1886), 385-417. Über die protestantischen Ansichten siehe Gründtlicher Beweisz das die zu den Geistlichen Güttern und Clöstern gehörige [sie] Unterhanen [sie]. . . gutt recht haben (Prag 1618); Skala, op. cit. II, 11 ff., 259 ff. M. Goldast, Monorchia S. Romani Imperii, I—II (Hanau 1611-1614), eine Arbeit gegen die - inter alia - Tengnagel Argumente vorbrachte (weiter oben, Anm. 41).

Anmerkungen

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62 Zeitgenössische Berichte in Skala, op. cit. I I - I V , und J. J. Beckovsky, Poselkyni starych pfibihüv teskych, II, in 3 Teilen, Hg. A. Rezek (Prag 1879-1880), Teil 2. Der weitaus beste und lebendigste Bericht ist immer noch Gindely, Dreissigjähriger Krieg, I—III (nicht zu verwechseln mit seinem späteren Abriß des gesamten Dreißigjährigen Krieges, der ins Englische übersetzt wurde, I—II [London 1885]). Diejenigen, die Gindely als trockenen positivistischen Historiker bezeichnen, sollten seine hervorragende Beschreibung des Fenstersturzes lesen - oder wieder lesen (I, 237—299). Die bedeutendste Entwicklung der jüngsten Zeit ist die Veröffentlichung der Documenta Bohemica, Bellum tricennale illustrantia. Hg. J. V. PoliSenskyef α/., I (Prag 1 9 7 1 ) , I - I I , mit einer neuen detaillierten Analyse von Poliäensky in Band I. Er hebt viele der gleichen Punkte wie in The Thirty Years War, übers, von R. Evans (London 1971) hervor. 63 Skala, op. cit. IV, 1 6 - 5 2 . 64 Zu P. Dominicus OCarm Disc (1559—1630), der in der Hofburg in Wien starb, siehe J. Caramuel Lobkowitz, Dominicus: hoc est venerabilis p. Dominici. . . virtutes, labores, prodigia . . . (Wien 1655); S. Riezler, „Der Karmeliter P. Dominikus a Jesu Maria und der Kriegsrat vor der Schlacht am Weissen Berge",Sb. d. bayr.Akad. d. Wiss.,ph.-ph.-h. Kl. 1 8 9 7 , 4 2 3 - 4 4 4 . Vgl. Beckovsky, op. cit., Teil 2, 2 8 0 - 2 8 3 , 287, 2 9 2 - 2 9 4 , 304. Vilem Slavata, Pamiti,Hg. J. JireCek (Prag 1866). 82 f., führt sein Überleben auf eine Art engelsgleichen Fallschirm zurück. Vgl. J. von Riegger (Hg.), Archiv der Geschichte und Statistik, II (Dresden 1793), 498 ff., für den Bericht Martinitz'; und auch F. MachäCek, „Defenestrace praiskä r. 1618", CCH XIV (1908), 1 9 7 - 2 1 1 , 2 9 7 - 3 1 1 , 4 3 6 - 4 5 1 , hier bes. 4 4 2 - 4 4 6 . 65 Hurter, op. cit XI, 574—674, über den Charakter Ferdinand II.; vgl. Gindely, Dreissigjähriger Krieg, II, 1—25, und F. Stieve in ADB, s. v. Es gibt eine gute Beschreibung seines "Absolutismus" von H. Sturmberger, Kaiser Ferdinand II. und das Problem des Absolutismus (München 1957);G. Franz in Archiv für Reformationsgeschichte XLIX (1958), 258—269 ist kaum von Bedeutung. 66 Zu Böhmen: Gindely, Dreissigjähriger Krieg, 1 , 4 4 2 - 4 8 6 ; ibid. 1 , 3 6 6 - 3 7 2 , 3 9 5 - 4 0 2 , 4 3 0 - 4 3 6 ; II, 3 7 - 5 1 , Zu Zero tin; Skala, op. cit. III, 121 ff.; PoliSensky, Thirty Years War, 86 f., 101 f. Zu Schlesien: C. Grünhagen, Geschichte Schlesiens, I—II (Gotha 1 8 8 4 - 1 8 8 6 ) , II, 1 6 2 - 1 8 5 . Über den gebildeten Johann Christoph von Brieg ( 1 5 9 1 - 1 6 3 9 ) siehe Krebs in ADB, s. v. Zu Österreich: Gindely, op. cit. III, 1 8 5 - 2 3 0 ; Bibl, „Stände", 2 9 6 - 3 0 9 ; Luschin, Studien, 49 f.; Gutkas, Niederösterreich, 223 ff.; Coreth, „Enenkel", 276 ff. 67 R. Hrabecius, Oratio Funebris in solennibus exequiis . . . D. Petri de Rewa (Kaschau 1623); S. Szilägyi, Revay Peter es a szent korona (Budapest 1875). M. Kubinyi, Bethlenfalvi Gröf Thurzo Imre (Budapest 1888), mager und sentimental; vgl. L. Zävodszky, Thurzo Imre Gröf Wittenberg! rektorsäga (Budapest 1912). L. Szädeczky (Hg.), Bethlen Gäbor levelei llleshäzy Gäspärhoz, 1619-1629 (Budapest 1915). S. Takäts, Zrinyi Miklös nevelöanyja (Budapest 1917), bes. 48 ff., 105 f., über die Batthyäny. Ein weiteres adeliges Beispiel wäre der skrupellose György Szechy (I. Acsädy in Sz XIX (1885), 2 1 - 4 7 , 1 1 6 - 1 2 5 , 2 1 2 - 2 2 2 , 3 0 6 - 3 1 5 , hier 27 ff.). Viele ungarische Intellektuelle hielten sich an die gemäßigten Positionen von Bernegger in Straßburg und David Pareus in Heidelberg; vgl. S. 9 5 - 9 7 . 68 Skala, op. cit. V, 8 1 - 1 4 2 , und Beckovsky op. cit. Teil 2,323—352, haben unterschiedliche Ansichten über die Bestrafung der Rebellen. Vgl. Gindely, Dreissigjähriger Krieg, IV, 3 6 - 1 0 5 ; id., Geschichte der Gegenreformation in Böhmen (Leipzig 1894), 18 ff.; Τ. V. Bflek, Dijiny konfiskaciv Cechächpo r. 1618,1—II (Prag 1 8 8 2 - 1 8 8 3 ) , I, S. X X X I V - L I X . Über die Kelchkommunion, die bereits überall sonst abgeschafft war: Constant, op. cit. 7 4 2 - 7 6 8 ; Gindely, Gegenreformation, 1 0 8 - 1 1 1 ; V. Liva, „Jan ArnoSt Platejs ζ Platenätejna", CMM LIV (1930), 1 5 - 7 8 , 2 9 3 - 3 3 6 , hier 61 ff.; Köhler, op. cit. 1 5 7 - 1 6 3 . Über katholische Pläne: Bflek, Reformace katolickä neboli obnoveni näboienstvi katolickeho ν krälovstvi leskem po bitvi bilohorske (Prag 1892), 20 ff.; Gindely, Gegenreformation, 88 ff.; A. Kroess, „Gutachten der Jesuiten am Beginne der katholischen Gegenreformation in Böhmen", HJ XXXIV (1913), 1 - 3 9 , 2 5 7 - 2 9 4 ; H. Grisar, „Vatikanische Berichte über die Protestantisierung und die katholische Restauration in Böhmen zur Zeit Ferdinands II.", Zschr. f . Kath. Theol. X (1886), 7 2 2 - 7 3 7 . 69 Allgemein: Carafa, Commentaria, 98 ff.passim, und Anhang; id., „Relatione dello stato dell' Imperio e della Germania", Hg. J. G. Müller,-AÖG XXIII (1860), 1 0 3 - 4 4 9 , hier 2 3 9 - 2 5 8 ; Skala, op. cit. V (bis 1623); Gindely, Gegenreformation (bis 1627); Bflek, Reformace katolickä; E. Denis, Cechy po Bile Hofe, übersetzt und erweitert von J. Vaniura, I - I I (3. Aufl. Prag? 1921), I, Buch 1. Vgl. S. 99 f.

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Anmerkungen

70 Allgemein: Gindely, Gegenreformation, bes. 2 1 4 - 2 3 6 über Kuttenberg; A. Podlaha (Hg.), Dopisy reformatni komisse ν Cechäch ζ let 1627—1629 (Prag 1908). J. A. Comenius et al., Historia persecutionum Ecclesiae Bohemicae (o. O. 1648), ist von historiographischem Interesse; wie auch [C. A. Pescheck], The Reformation and Anti-Reformation in Bohemia, I—II (London 1845), II. Sonderfälle: PamitiJana JifihoHaranta . . . 1624-1648, Hg. F. MenCik (Prag 1897); G. Gellner,Zivotopislekare Borbonia a vykladjeho denikü (Prag 1938), 112 ff.; E. Schebek, „Zur Geschichte der Gegenreformation in Böhmen", MVGDB XIII (1875), 1 0 - 2 7 . 71 Bflek, Dijiny konfiskaci, passim; Poliäensky, Thirty Years War, 133 ff. passim. Vgl. Kap. 6, über die politischen Veränderungen. 72 Mähren: F. Hruby (Hg.), Moravske korespondencea aktaz let 1620-16361-U (Brünn 1934-1937), enthält faszinierende Dokumente aus den Zerotin-, Dietrichstein- und Lobkowitz-Archiven; B. Dudik, „Bericht über die Diöcese Olmütz durch den Cardinal Franz von Dietrichstein im Jahre 1634", AÖG XLII (1870), 2 1 3 - 2 3 1 ; und viele Dokumente in C. d'Elvert, Beiträge zur Geschichte der Rebellion, Reformation, des dreissigjährigen Krieges und der Neugestaltung Mährens im 17. Jahrhundert (Brünn 1867). Oberösterreich: Carafa, Commentaria, Anhang, 149 ff. (Dekrete); Loesche, Protestantismus, 172 ff.; F. Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand des Jahres 1626, I—II (München 1891), I, 32 ff. Zu den Ereignissen des Jahres 1626 siehe S. 86. 73 Innerösterreich: Loserth, Acten und Correspondenzen, IIb; Pirchegger, op. cit. 503 ff. Niederösterreich: Wiedemann, Reformation, I, 5 9 1 - 6 2 4 ; II, 250 ff. 74 Csapodi, op. cit 46 ff., über Esterhäzy; V. Frankl und K. Rath, Dallos Miklös györipiispöknekpolitikai es diplomatiai iratai, 1618—1626 (Gran 1867). Der Nikolsburger Vertrag und spätere Abkommen werden wiedergegeben in Gooss, op. cit. 504 ff. Päzmäny, Levelei, nr. 326, 329 seqq. passim, 343, 360, 386-387, 531, 5 3 8 - 5 3 9 , 659, 906, 1010 (Preßburg); 390, 573, 582, 680,791, 840 (Bergbaustädte); 561, 568, 576, 585, 595, 597, 682, 842 (an Adam Batthyäny). Vgl. Kazy, op. cit. I, 131 f.; Fraknöi, Päzmäny, II; A. Ipolyi, Bedegi Nyäry Krisztina, 1604-1641 (Budapestl887) über die Aktivitäten von Mätyäs Hajnal SJ. 75 Hurter, op. cit. XI, 575 f.; B. Dudik (Hg.), „Correspondenz Kaisers Ferdinand II. und seiner erlauchten Familie mit P. Martinus Becanus und P. Wilhelm Lamormaini kaiserlichen Beichtvätern", AÖG LIV (1876), 2 2 1 - 3 5 0 , nr. XLI (Straubing, 25. Jän. 1637); Carafa, „Relatione", 258 ff. 76 R. Stiegele, „Beiträge zu einer Biographie des Jesuiten Wilhelm Lamormaini", HJ XXVIII (1907), 5 5 1 - 5 6 9 , 8 4 9 - 8 7 0 ; A. Posch, „Zur Tätigkeit und Beurteilung Lamormainis", MIÖG LXIII (1955), 375-390, ein oberflächlicher Artikel; Dudik, „Correspondenz", 228 ff. Lamormaini war der belgische Neffe eines der Köche Rudolfs und hatte als Jesuit in Olmütz, Wien, Preßburg, Sillein, Prag und Graz entweder studiert oder gelehrt. Siehe auch die nächste Anm. 77 G. Lamormaini, Ferdinandi II. Virtutes (Antwerpen 1638), und viele weitere Auflagen oder Bearbeitungen (wie z.B. in The Particular State of the Government of the Emperour, Ferdinand the Second (aus dem lateinischen übersetzt, London 1637), Kap. 3). Vgl. Kazy, op. cit. 1,317-336; A. Coreth,Pieiai Austriaca (Wien 1959); Sturmberger, Absolutismus; id. , „Der habsburgische ,Princeps in Compendio' und sein Fürstenbild", Historical Studien ... F. Engel-Janosi dargeboten (Wien 1965), 91 — 116. Zu künstlerischen Darstellungen: Gy. Rözsa, Magyar törtenetäbräzoläs a 17. szäzadban (Budapest 1973), 8 1 - 1 0 6 ; A. Wandruszka, „Ein Freskenzyklus der .Pietas Austriaca' in Florenz", MÖStA XV (1962), 4 9 5 - 4 9 9 ; Chikago, Newberry Library, Wing MS, fZW 1.696 (ein prächtiges Exemplar). 78 H. Kollmann (Hg.), Acta Sacrae Congregationis de Propaganda Fide res gestas Bohemicas illustrantia, 1622-1624, I—II (Prag 1923-1955); Carafa, Commentaria, und „Relatione", passim. Vgl. S. 102-108. 79 Zu Ungarn siehe S. 193 f.; selbst Miklös Esterhäzy leistete den Habsburgern zu Beginn Widerstand (Csapodi, op. cit. 2 0 - 2 ) . In Böhmen war ζ. B. DiviS Czernin ein prominenter Rebell. 80 Beckovsky, op. cit.,Teil3,105-203, für die Ereignisse von 1631-1632. Wir können auch - im Vorbeigehen - die Drangsale des habsburgischen Schwaben zu jener Zeit registrieren (W. E. Heydendorff, „Vorderösterreich im dreissigjährigen Kriege", MÖStA XII (1959), 7 4 - 1 4 2 ; XIII (1960), 107-194). Über Wallenstein: J. Pekaf, ValdStejn 1630-1634 (2. Aufl. Prag 1933), und, erst jüngst erschienen und gut lesbar, G. Mann, Wallenstein, übers, v. Ch. Kessler (London 1976). Über Päzmäny gegen Esterhäzy siehe S. 193. P. Laymann, Justa Defensio Sanctissimi Romani Pontificis, Augustissimi Caesaris . . . (Dillingen 1631) ist ein langer jesuitischer Exkurs über die Besitzstreitigkeiten. 81 J. Pekaf, Kniha ο Kosti, I—II (2. Aufl. Prag? 1936, Originalaufl. 1910-1911), 1 , 1 - 1 0 8 , malt ein le-

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bendiges Bild Nordböhmens zu jener Zeit. Vgl. PoliSensky, Thirty Years War, 224 ff.; und S. 86 über die Bewohner der mährischen Walachei. Niederösterreich erging es in den vierziger Jahren des 17. Jh. kaum besser, und es hatte unter einer weitverbreiteten Zerstörung des Eigentums zu leiden (Gutkas, Niederösterreich, 233—248). A. Podlaha, Posvätnä mista krälovstvi Ceskeho, I - V I I (Prag 1 9 0 7 - 1 9 1 3 ) , VI, 105 (Jankau); O. Flegl, „Relace kardinäla Harracha ο stavu praiske arcidiecese do ftima", VCA VSIU XXIII (1914), 1 8 5 - 1 9 7 , 2 2 7 - 2 4 3 , hier 228. Die kluge Regierung Ferdinand III. muß erst noch ihren Historiker finden, ebenso wie die am meisten vernachläßigte Persönlichkeit aller Habsburgerkaiser. M. Koch, Geschichte des deutschen Reiches unter der Regierung Ferdinands III., I—II (Wien 1 8 6 5 - 1 8 6 6 ) , umfaßt lediglich die Reichspolitik bis 1648. Stieve in Α DB, s. ν. , ist ebenfalls reichspolitisch ausgerichtet. Bibl, „Stände", zum Fall Niederösterreich. Zu Schlesien vgl. S. 218 ff. In Teilen Schlesiens und Ungarns gab es noch Protestanten in der örtlichen Regierung, doch nicht in den hohen Staatsämtern. Das Paradigma eines militanten ungarischen Prälaten aus der Generation nach Päzmäny ist György Draskovich in Raab: B. Szabady, „Draskovics György gyori püspök elete es kora",>4 Soproni Gimnazium £rtesitöje, 1936, 1 4 - 1 1 5 . Über 1648 in Böhmen: Beckovsky, Teil 3 , 3 6 8 ff.,passim; A. Rezek, Dije Cech a Moravyza Ferdinanda III. ai do konce tficetilete välky (Prag 1890), 4 9 4 - 5 3 2 ; vgl. den hagiographischen J. Svoboda, Katolickä reformace α marianskä Druzina ν krälovstvi Ceskem, I—II (Brünn 1888), II, 1 4 4 - 1 7 0 . Koch, Ferdinand I I I , II; F. Dickmann, Der Westfälische Frieden (Münster 1959). K. Repgen, Die Römische Kurie und der Westfälische Friede, I ( 1 5 2 1 - 1 6 4 4 ) in 2 Teilen (Tübingen 1 9 6 2 - 1 9 6 5 ) , berücksichtigt tatsächlich erst die Entwicklungen ab 1629; S. Sousedik, „Jan Caramuel, opat.emauzsky", AUC, HUCP IX, 2 (1968), 1 1 5 - 1 3 8 . B. Sindeläf, Vestfälsky mir α leskä otäzka (Prag 1968) ist eine umfassende Studie. Über diese Stimmung unter den Emigranten siehe B. Mendl, „Fridrich Falcky a teske nadSje pobelohorske", CCH XXIV (1918), 7 7 - 1 1 9 . Gutes Material findet sich in Harants Pamiti, bes. 34 f., 41—44, undGellner, op. cit. Siehe S. 279—282 und die dort angeführte Literatur. Über Radikalismus und "Hussitentum" unter den Exilierten vgl. die Studie von E. Winter, Die tschechische und slowakische Emigration in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert (Berlin 1955).

Kapitel 3: 1600—1650 - Die soziale und geistige Krise 1 Ein Punkt, auf den vor allem marxistische Historiker hinweisen: Makkai, „Hauptzüge"; id., „ Az abszolutizmus tärsadalmi bäzisänak kialakuläsa az oszträk habsburgok orszägaiban", TSz III (1960), 1 9 3 - 2 2 3 , bes. 211; Pach, „East-Central Europe", bes. 253 ff.; J. Peträft, „Stfedoevropske zemödeistvi a obchod ν 16. a na poCätku 17. stoleti", CsCH XIX (1971), 3 5 5 - 3 7 7 ; V. Zimänyi, Magyarorszäg az euröpai gazdasägban 1600-1650 (Budapest 1976), bes. 54 ff. 2 L. Bittner, „Das Eisenwesen in Innerberg-Eisenerz bis zur Gründung der Innerberger Hauptgewerkschaft im Jahre 1625", AÖG LXXXIX (1901), 4 5 1 - 6 4 6 ; Tremel, Frühkapitalismus, 1 4 8 - 1 5 5 ; id., Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1 4 8 - 1 7 9 ; A. Hoffmann, Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich, I (Salzburg 1952), 1 1 7 - 1 2 8 . F. Fischer in Bog (Hg.), op. cit., 2 8 6 - 3 1 9 , untersucht einen Handelszweig, der weiterhin florierte. VlachoviC, ibid., 6 0 0 - 6 2 7 , zu Oberungarn. Vgl. zu Böhmen J. Janäfek, „Ceske soukenictvi ν 16. stoleti", CsCH IV (1956), 5 5 3 - 5 9 0 ; und das compte rendu von A. Mika, „Sociälnfi ekonomickä struktura teskych zemi pfed tficetiletou välkou", SbH XXI (1974), 4 1 - 7 2 ; XXIII (1976), 3 7 - 7 8 . 3 Eder, Glaubensspaltung, 394 ff.; J. Kallbrunner, „Hans Steinberger, ein Beitrag zur Geschichte der Montanwirtschaft im Zeitalter Rudolfs II.", Vjschr. f . S. u. WGesch. XXVII (1934), 1 - 2 7 . 4 In Böhmen gab es etwa dreißig königliche Städte plus den sogenannten Leibgedingstädten (d. h. Mitgiftstädten oder νέηηά mista : Königgrätz [Hradec Krälove] und acht andere), die der Königin gehörten. In Ungarn gab es etwa zwanzig solcher Städte, obwohl die Gesamtzahl in beiden Ländern schwankte. Aufgezählt werden sie in Skolni atlas teskoslovenskych dijin, Hg. I. BeneS (2. Aufl. Prag

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Anmerkungen

1964), 1 2 - 1 3 , und Törtenelmi atlasz, Hg. S. Radöe/ al. (7. Aufl. Budapest 1965), 1 2 - 1 3 . Zu Wien siehe S. 1 4 7 - 1 4 9 . K. Tieftrunk, Odporstavüv teskychproti Ferdinandovi 1.1.1547 (Prag 1872); und, jüngst erschienen, K. J. Dillon, King and estates in the Bohemian lands 1526-1564 (Brüssel 1976), 1 1 1 - 1 4 0 . J. Celakovsky, „tJfad podkomofsky ν Cechäch", CCM LI (1877), 3 - 3 1 , 2 3 9 - 2 7 1 , 4 3 7 - 4 5 8 , 557—580; id., „Postaveni vyslanych krälovskych m£st na snCmich Ceskych", CCM XLIII (1869), 115 —157; K. Gutkas, „Landesfürst, Landtag und Städte Niederösterreichs im 16. Jahrhundert", Jb. f . Lk. v. NO N. F. XXXVI (1964), 3 1 1 - 3 1 9 ; Gindely, Dreißigjähriger Krieg, II, 1 7 9 - 1 8 2 ; J. JanaCek, „Krälovskä m£sta Ceskä na zemskem snfimu r. 1609-1610", SbH IV (1956), 2 2 6 - 2 5 1 ; Bibl, „Stände", bes. 182—186; H. Hassinger, „Die Landstände der österreichichen Länder: Zusammensetzung, Organisation und Leistung im 1 6 . - 1 8 . Jahrhundert", Jb. f . Lk. v. Nö XXXVI (1964), 989—1035. In Ungarn setzten sich die Herren stärker für die Rechte der protestantischen Bürger ein (Benda, „Absolutismus", III f., vgl. Bibl, „Stände", 212 f., 224 ff., 252 ff., 304 f.), gestanden ihnen jedoch nur ein geringes politisches Gewicht zu. Fr. Hruby, „Z hospodäfskych pfevratü Ceskych ν stoleti XV. a XVI. se zvläStnim zfetelem k Moravfe", CCHXXX (1924), 2 0 5 - 2 3 6 , 4 3 3 - 4 6 9 ; J. Peträft, „Pohybpoddanskeho obyvatelstva a jeho osobni prävni vztahy ν Cechäch ν dobe pfedbClohorske", CsCH V (1957), 2 6 - 5 8 , 3 9 9 - 4 4 7 ; H. Feigl, Die niederösterreichische Grundherrschaft vom ausgehenden Mittelalter bis zu den theresianischen-josephinischen Reformen (Wien 1964), 144—154. Vgl. die Literaturangaben weiter unten, Anm. 15. Grob gesprochen deutet der österreichische Terminus Marktflecken auf ein kommerzielles Mittelding zwischen Stadt und Land hin, die tschechische poddanske misto nimmt gesetzlich und die ungarische mezöväros sozial eine solche Zwischenstellung ein. Gute Beispiele für Marktordnungen aus dem 16. und 17. Jh. finden sich in den österreichischen Weistümern (weiter unten, Anm. 23.), passim. Ζ. Winter, Kulturni obraz teskych mist, I—II (Prag 1890), mit vielen unterschiedlichen Informationen; Vgl. id., „Pfepych umfileckeho prümyslu ν mfcSt'anskych domech XVI. v6ku", CCM LXVII (1893), 46—104. Zu Prag im besonderen: J. JanäCek, Dijiny obchodu ν pfedbilohorske Praze (Prag 1955); R. Klier, „Die Wettengel von Neuenberg", Bohemia-Jahrbuch XIV (1973), 4 3 - 8 0 , untersucht eine prominente Handelsfamilie. J. Klepl, „Krälovskäm6sta Ceskä poCatkem 18. stoleti",CCHXXXVIII (1932), 2 6 0 - 2 8 4 , 4 8 9 - 5 2 1 ; XXXIX (1933), 57—71, ist die detaillierteste Untersuchung. Bilek, Dijiny konfiskaci, bes. I, S. XCIX—CVIII; und F. MachäCek, „K hospodäfskemu stavu Ceskych möst venkovskych po välce tficetilete", Präce νέηοναηέ. . . V. Novotnemu (Prag 1929), 2 7 1 - 2 8 5 , beide mit Details über die Verschuldung. Vgl. Denis, op. cit., I, Buch 2, 93 — 107; Hruby (Hg.), Moravske korespondence, I, bes. nr. 91, 1 1 8 - 1 2 0 , 135, 1 3 8 - 1 4 1 , 1 4 3 - 1 4 7 ; Α. Klima, Manufakturni obdobi ν Cechäch (Prag 1955), 21—28. Zu Österreich: A. Luschin von Ebengreuth, österreichische Reichsgeschichte (Bamberg 1896), 4 4 8 - 4 5 1 . O. Placht, Lidnatost α spoleienskä skladba leskeho stätu ν 16.-18. stoleti (Prag 1957), 156—216, gibt ein eher positives Bild für Böhmen im späten 17. Jahrhundert. J. Szucs, „Das Städtewesen in Ungarn im 1 5 . - 1 7 . Jahrhundert", Studio Historica LIII (1963), 9 7 - 1 6 4 , sieht die Wurzeln für den Niedergang der ungarischen Städte bereits im 15. Jahrhundert, doch vgl. J. Macürek und M. RejnuS, Ceske zemi a Slovensko ve stoletipfed Bilou Horou (Prag 1958), Kap. 2. J. Celakovsky, „Stav mfistsky na snfime Ceskem od 1. 1 6 9 2 - 1 7 2 3 " , CCM XLIII (1869), 2 4 3 - 2 7 7 ; O. Brunner, „Bürgertum und Adel in Nieder- und Oberösterreich", Neue Wege der Sozialgeschichte (Göttingen 1956), 1 3 5 - 1 5 4 ; Hoffmann, op. cit. 155—175. Gleichzeitig gab es offensichtlich nach 1620 immer noch eine begrenzte Umsiedlung, vor allem aus deutschen Gebieten in die böhmischen Städte. Über die Eggenberg, Henckel, Berchtold, Stürgkh, Widmann und ihre böhmischen und ungarischen Pendants siehe Kap. 5 - 8 , passim; über Ausländer, vor allem S. 213—217. Vgl. Luschin, Studien, 3 - 1 2 . Makkai, „Abszolutizmus", die einzig ernstzunehmende marxistische Untersuchung über das Problem der sozialen Basis des Absolutismus in Mitteleuropa scheint sich mir in einen Widerspruch zu verstricken: denn wo sind die städtischen Privilegien und die bürgerlichen Financiers, von denen er spricht (199 und passim)? Fr. Hruby, „Hospodäfske pfevraty", 448—454, und id., „Selske a panske inventäfe ν dobC pfedbilohorske", CCH XXXIII (1927), 2 1 - 5 9 , 2 6 3 - 3 0 6 , hier 2 3 - 5 9 ; Gindely, Dreissigjähriger Krieg, I, 1 4 6 - 1 4 9 ; K. Krofta, Pfehled dijin selskeho stavu ν Cechäch α na MoravS (2. Aufl. Prag 1949), bes. 158 f.; Pekaf, Kost, II, 143 ff.; A. Mika, Poddany lid ν Cechäch ν prvnipolovini 16. stoleti (Prag

335

Anmerkungen

I 9 6 0 ) ; J. Hanzal, „Vesnickä obec a samospräva ν 16.ana poCätku 17. stoleti", Prävnlhistoricke Studie X (1964), 1 3 5 - 1 4 7 ; J. Peträii, Poddany lid ν Cechäch naprahu tficetilete välky (Prag 1964), bes. 146 ff. 14 J. Macek, Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair (Berlin 1965). Das jüngst von P. Blickte erschienene Werk, Die Revolution von 1525 (München 1975), betont die Radikalität der Rebellen im Jahre 1525 und gewisse dauerhafte Erfolge, die sie verzeichnen konnten. Über die Ereignisse von 1514 siehe: G. Heckenast ( H g . ) , Aus der Geschichte der ostmitteleuropäischen Bauernbewegungen im 16.-17.

Jahrhundert

(Budapest 1977).

15 Hruby, „Hospodäfske pfevraty"; W. Stark, Ursprung und Aufstieg des landwirtschaftlichen Grossbetriebs in den böhmischen Ländern (Prag 1934); A . Mika, „Ceske rybnikäfstvi a problem poCätkü püvodni akumulace ν teskych zemich", CsCH I I (1954), 262—271; F. Matfcjek, Feudälni velkostatek a poddany na Moravi (Prag 1959); J. Välka, Hospodäfskä politika feudälniho velkostatku napfedbilohorske Moravi (Prag 1962); J. Peträft, Zemidilskä vyroba ν Cechäch ν druhepolovini lö.apoiätkem 17. stoleti (Prag 1963). Zu den Smificky: V . Peääk, Panstvi rodu Smifickych (Prag 1940).

ν letech

1609-1618

16 A . Meli, Die Lage des steirischen Unterthanenstandes seit Beginn der neueren Zeit bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts (Weimar 1896); G . Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst (Linz 1963), 1 1 - 1 8 , 3 3 - 4 9 ; Feigl, Grundherrschaft, 51 ff.; id., Der niederösterreichische Bauernaufstand 1596/97 ( W i e n 1972). Vgl. Hoffmann, op. cit., 8 8 - 9 3 ; Tremel, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1 3 2 - 1 4 8 . Beispiele für die Bewirtschaftung von Gütern in Ungarn in F. Maksay ( H g . ) , Urbäriumok, XVI. —XVII. szäzad (Budapest 1959), und Einf. 2 0 - 3 3 . 17 Zs. P. Pach, Nyugat-euröpai es magyarorszägi agrärfejlödes a XV.—XVII. szäzadban (Budapest 1963); Maksay ( H g . ) op. cit., 33 ff. Zu Österreich: A . Meli in MHVSt X L (1892), 1 3 5 - 2 2 5 ; G. Grüll, Die Robot in Oberösterreich (Linz 1952). Zu Böhmen: Krofta, op. cit., 1 2 3 - 1 3 1 ; Välka, op. cit.,passim. Streng genommen heißt das tschechische Wort robota (verwandt der üblichen slawischen Bezeichnung - aber nicht dem normalen tschechischen Ausdruck - für „ A r b e i t " ) . Der ungarische kilenced oder „Neuntel" war das „zweite Zehntel" der gesamten Ernte; wenn der Gutsherr sich auch den kirchlichen Zehent aneignete, gewann er so ein Fünftel der Ernte. 18 J. Varga, Jobbägyrendszer α magyarorszägi feudalizmus kesei szäzadaiban, 1556-1767 (Budapest 1969), Kap. 1 - 5 , ein Hauptwerk. Zu Böhmen: Krofta, op. cit., 196 ff.; und für Versuche vor 1620, Peträft, Poddany lid, 188 ff. 19 Herrschaft heißt auf tschechisch panstvi oder vrchnost, auf ungarisch uradalom oder uralom, je nachdem, ob der physische oder der abstrakte Begriff stärker betont werden soll. Letzterer wird im deutschen oft als Obrigkeit bezeichnet. S. Adler, Zur Rechtsgeschichte des adeligen Grundbesitzes in Österreich (Leipzig 1902), ist eine gesetzliche und technische Studie. Uber die Entwicklung der Herrschaft siehe Feigl, Grundherrschaft; O. Brunner, „ D a s , G a n z e Hans' und die alteuropäische .Ökonomik'", Neue Wege . . . 33—61; K . Grünberg, Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien, I — I I (Leipzig 1893 —1894), 1,36 ff. 20 Urbarien liefen unter einer Vielzahl von Namen in der übrigen Monarchie. V i e l e Beispiele in Maksay ( H g . ) , op. cit.; R . Marsina und M. KuSik ( H g g . ) ; Urbare feudälnych panstiev na Slovensku, I—II (Preßburg 1959); J. Kalousek ( H g . ) , Rädy selske a instrukce hospodäfske (Archiv Cesky, nr. 2 3 - 2 4 ) (Prag 1 9 0 6 - 1 9 0 8 ) . 21 Zu Österreich: A . Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richterthums in deutschen Territorien, I—II (Stuttgart 1872), 1 , 1 4 2 - 1 6 5 , 3 4 3 - 3 4 8 ; Luschin, Reichsgeschichte, 4 5 3 - 4 5 6 und passim; Η . Demelius, „ Ü b e r Dorfversammlung und Herrschaftsgericht im 17. Jahrhundert", Jb. f. Lk. v. NO X X (1926—1927), 2 , 3 8 - 6 8 ; G. Wesener, Das innerösterreichische Landschrannenverfahren im 16. und 17. Jahrhundert (Graz 1963). Zu Böhmen: Hanzal, „Vesnickä obec", über die Bedingungen im 16. Jh.; Pekaf, Kost, II, 117 ff.; W . Stark, „ D i e Abhängigkeitsverhältnisse der gutsherrlichen Bauern Böhmens im 17. und 18. Jahrhundert", Jbb. f. Natö. u. Stat. C L X I V (1952), 2 7 0 - 2 9 2 , 3 4 8 - 3 7 4 , 4 0 0 - 4 5 3 , hier 348 ff. Zu Ungarn: F. Eckhart, Α földesüri büntetöbiräskodäs a XVI. -XVII. szäzadban (Budapest 1954), bes. 8 ff., 156 ff. Vgl. weiter unten, A n m . 6 1 - 6 2 . Z u Buchlau: A . Verbik ( H g . ) , Cerne knihy präva loveckeho na hradi Buchlovt (Brünn 1976), 9 - 3 9 ; in Oberösterreich wurden die freien Bauern zur Fron gezwungen (J. Strnadt, „Materialien zur Geschichte der Entwicklung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens . . . des Landes ob der Enns", AÖG X C V I I (1909), 1 6 1 - 5 2 0 , hier 167 ff.

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Anmerkungen

22 Uber den geringen Anteil, der vom Herrscher gespielt wurde: Krofta, op. cit., 257—264; Feigl, Grundherrschaft, 45—50; E. Varga, (Hg.), Üriszek, XVI.—XVII. szäzadi perszövegek (Budapest 1958), 9 ff. A. Luschin-Ebengreuth, Geschichte des älteren Gerichtswesens in Österreich ob und unter der Enns (Weimar 1879), bes. 184-187, übertreibt; so auch Grünberg, op. cit., I, 2 8 - 3 5 . Über die Entwicklung im späten 17. Jh: ibid. 41 und passim; Feigl, op. cit. 4 1 - 4 5 und passim; Klima, op. cit. 28—44, 59 f.; J. KoCi, „Robotni povinnosti poddanych ν ieskych zemich po tficetilete välce", CsCH XI (1963), 3 3 1 - 340; J. Kaäpar, Nevolnicke povstäni ν Cechäch r. 1680 (Prag 1965) Kap. 3. 23 J. Varga, op. cit. Kap. 6 - 9 . Pekaf, Kost, II,passim; vgl. Placht, op. cit. 119 ff. österreichische Weistümer, versch. Hgg., I— (Wien 1870), bis jetzt 18 Bde., die fast das ganze Land erfassen; vgl. Stölzel, op. cit. I, 3 6 4 - 3 8 5 ; Feigl, Grundherrschaft, 28 f.; Wesener, op. cit., bes. 121-123; H. Baltl, „Die ländliche Gerichtsverfassung der Steiermark vorwiegend im Mittelalter", AÖG CXVIII (1951), 5—264. A. Spiesz stellt die marxistische Ansicht in Frage in Historicky Casopis, XV (1967), 539—558, und in Historicke Studie, XVII (1972), 4 7 - 6 1 , worauf seine slowakischen Kollegen alsbald eine Erwiderung herausbrachten; Zweifel über eine „Leibeigenschaft" sind - natürlich - unter den nicht-marxistischen Historikern weit verbreitet - Grünberg war ein besonders einflußreicher Vertreter einer gemäßigteren Ansicht. 24 österreichische Weistümer, ζ. B. für Tirol (Bde. I I - V , XVII). Ein gutes Beispiel unter hunderten für den autoritativen Trend ist eine Proklamation von Erzherzog Leopold, Bischof von Passau, für sein Gut Königstetten, 1615 (ibid. IX, 7 7 - 8 5 ) . Die „ Weistümer" aus Vorarlberg (ibid. XVIII) sind alle von dieser Art. Vgl. für Böhmen, W. Weizsäcker, „Weistümer aus Böhmen und Mähren", Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, IX (1961), 4 9 - 5 5 . W. Meyer, Gemeinde, Erbherrschaft und Staat im Rechtsleben des schlesischen Dorfes vom 16. bis 19. Jahrhundert (Würzburg 1967). 25 I. N. Kiss in Bog (Hg.), op. cit. 451 - 4 8 2 . Zur Besteuerung: Pekaf, Kost, II, Kap. 8 - 9 ; id., Ceske katastry 1654—1789 (2. Aufl. Prag. 1932);F. de Bojani, Innocent XI, sa correspondance avec ses nonces, I—III (Rom—Roulers (Belgien) 1910-1912), III, 6 ff. J. Koti, Odboj nevolnikü na Frydlantsku, 1679-1687 (Reichenberg 1965), Kap. 1 - 2 , zu Friedland. 26 Luschin, Reichsgeschichte, 193 f., 459, und Gerichtswesen, 103 ff.; Strnadt, art. cit. In Österreich waren nur einige Landgerichte dazu befähigt, sich mit den schwersten Verbrechen zu befassen; in Ungarn scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein. 27 Böhmen: A. Mika, „Majetkove rozvrstveni Ceske älechty ν pfedbSlohorskem obdobi", SbH XV (1967), 4 5 - 7 3 , bes. 50 f., 63 f.; F. Matejek, „Bila Hora a moravskä feudälni spoleCnost", CsCH XXII ( 1974), 81 — 103, hier 8 3 - 8 5 und passim. Ungarn: B. Schiller, Az örökös förendisig eredete Magyarorszägon (Budapest 1900); A. Timon, Ungarische Verfassungs- und Rechtsgeschichte (Berlin 1904), 552 ff.; F. Eckhart, op. cit. 26 ff.; E. Varga (Hg.), op. cit. 19 ff. Vgl. zu Österreich: Luschin, Reichsgeschichte, 4 9 3 - 4 9 7 ; Feigl, Grundherrschaft, 37 f., 58, 256 ff.; Hassinger, „Landstände", 999 ff. Dieser gesamte Prozeß ging - natürlich - ganz langsam vor sich. 28 Vgl. S. 44 f. Zum hocharistokratischen Luxus vgl. Radvänszky, op. cit. passim; Hruby, „Inventäfe", 263—306; id. (Hg.), Moravske korespondence, I, nr. 76, 82, 99, 173. 29 V. Zimänyi, Der Bauernstand der Herrschaft Güssing im 16. und 17. Jahrhundert (Eisenstadt 1962); ead., A rohonc-szalonaki uradalom es jobbägysäga a XVI—XVII szäzadban (Budapest 1968), bes. 14-26. 30 Allgemein: Η. I. Bidermann, Geschichte der österreichischen Gesammt-Staats-ldee, 1526-1804, I—II, (Innsbruck 1867-1889), I, 1 7 - 2 0 . Vgl. S. 132 ff., 157 ff., 184 für die spätere Entwicklung. 31 Pekaf, Katastry, 33; Placht, op. cit. 216 ff., bes.230; Matejek, „Bilä Hora", 85 ff. Die Zahl für die böhmischen Gutsherrn betrug 1740 64 Prozent (wovon 95 Prozent im Besitz von Fürsten und Grafen lagen): E. Hassenpflug, „Die böhmische Adelsnation als Repräsentation des Königreichs Böhmen (1627-1740)", Bohemia-Jahrbuch, XV (1974), 7 1 - 9 0 ; hier 85 f. Zu den Batthyäny: Zimänyi,Rohonc-Szalonak, 45 f., 111 — 114 und passim. 32 Streng genommen war das Majorat nur eine, wenn auch die verbreitetste Art des Fideikommisses, wobei das Erbe auf den jeweils ältesten Sohn überging. Zu den ersten Beispielen hiefür kommt es vor 1620 (Dohna 1600, Khevenhüller-Frankenburg 1605 und - nach Ott&v slovnik naucny, I - X X V I I I (Prag 1888-1909, in Hinkunft „OSN"), IV, 823 f. - Bubna 1608). Siehe L. Pfaff und F. Hoffmann, Zur Geschichte der Fideicommisse (Wien 1884), 2 6 - 3 2 ; V. Urfus, „Rodinny fideikomis ν Cechäch", SbH IX (1962), 193-236. In Ungarn gab es seit dem 17. Jh. Fideikommisse, doch hatte dort das traditionelle System der ösiseg oder aviticitas, das sich von dem ungarischen Stammesgesetz herleitete,

Anmerkungen

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etwa die gleiche Wirkung, adeligen Landbesitz unveräußerlich zu machen. Mika, „Rozvrstveni", zeigt, wie häufig böhmische Güter im 16. Jh. aufgeteilt wurden. Grünberg, I, 28. Die Liste katholischer Adeliger um 1600 würde einige Lobkowitz, Dietrichstein, Pälffy, Erdödy, Draskovich und einige mehr umfassen, sowie ein oder zwei noch nicht vollständig einheimische Familien (wie die Hoyos). Vgl. das Verhältnis für Böhmen, wie es von Fr. Dvorsky in SbH (Rezek), II (1884), 2 8 0 - 2 8 8 gezeigt wird. P. Päzmäny, „Bizonyos Okok, mellyek erejetül viseltetven sok f4 jezsuitaiskoladräma 1581 -1773 (Budapest 1937). Viele Beispiele für neue Kirchen finden sich bei Podlaha, Posvätnä mista. 63 Zu den großen Monographien zählen H . Sedlmayr, Johann Bernhard Fischer von Erlach (Wien 1956); H. Hantsch, Jakob Prandtauer, der Klosterarchitekt des österreichischen Barock (Wien 1926); A . Pigler, Georg Raphael Donner (Wien 1929). Ich habe Hildebrandt (zu diesem siehe B. Grimschitz, Johann Lucas von Hildebrandt [Wien 1959]) in dieser Liste nur aufgrund einer Formsache ausgelassen, weil er in Genua geboren wurde und sich erst im Alter von achtundzwanzig Jahren in Wien niederließ. Die Wiener Malerakademie wurde 1692 gegründet. Siehe auch H. Sedlmayr, österreichische Barockarchitektur, 1690-1740 (Wien 1930), und die österreichischen Bände der Dehio-Serie der Kunsthandbücher. 64 Zu den wichtigen Werken jüngeren Datums zählen O. J. BlaiiCek, Baroque art in Bohemia (London 1968); id., Sochafstvi baroku ν Cechäch (Prag 1958); J. Neumann, Malifstvt XVII stoleti ν Cechäch (Prag 1951); H. G. Franz, Bauten und Baumeister der Barockzeit in Böhmen (Leipzig 1962); Petr Brandl 1668-1735, Hg. J. Neumann (Prag 1968); Kotrba, op. cit. bes. 1 2 4 - 1 7 8 (zu Santini-Aichel).

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Anmerkungen

65 Siehe vor allem Κ. Garas, Festiszet a XVII szäzadban; ead., Magyarorszägi festiszet a XVIII szäzadban (Budapest 1955); M. Agghäzy, A barokk szobräszat Magyarorszägon, I—III (Budapest 1959); Margit B. Nagy, Reneszänsz es barokk Erdelyben (Bukarest 1970). 66 Charles Burney, The present state of Music in Germany . . . (London 1775), I, 2 0 1 - 3 7 2 passim (Österreich); II, 1 - 2 5 (Böhmen).

Politische und militärische Chronologie 1526

1540®

1546-1547

1556-1564 1564-1576 1564-1595 1564-1590 1566 1568-1578

1571-1586 1576-1612 1588-1597/1602 1591/93-1606 1596 1604-1606 1606 1608 1609 1610-1611 1612-1619 1613-1629

Schlacht von Mohäcs. Ferdinand I. wird zum König von Böhmen und Ungarn gewählt. Jänos Zapolya (Szapolyai) ist Gegenkönig in Ungarn. Die Türken besetzen Ofen und festigen ihre Stellung in Mittelungarn. Errichtung eines eigenen Siebenbürgischen Staates unter Zapolyas Witwe Isabella und dessen Sohn Jänos Zsigmond. Schmalkaldischer Krieg: Karl V. schlägt die deutschen protestantischen Stände bei Mühlberg. Ferdinand bestraft deren böhmische Sympathisanten. Ferdinand I. römisch-deutscher Kaiser Maximilian II. römisch-deutscher Kaiser Erzherzog Ferdinand Herrscher in Tirol Erzherzog Karl Herrscher in der Steiermark Letzter Feldzug Soliman des Prächtigen in Ungarn. Belagerung von Szigetvär. Beschränkte konstitutionelle Garantien für die protestantischen Adeligen und Bürger in den österreichischen Gebieten sowie in Böhmen. Stefan Bäthory Fürst von Siebenbürgen und (1576—1586) König von Polen Rudolf II. römisch-deutscher Kaiser Zsigmond Bäthory Fürst von Siebenbürgen Fünfzehn Jahre dauernder Krieg mit dem Osmanischen Reich Erzherzog Ferdinand (II), wird Herrscher in der Steiermark. Aufstand von Istvän Bocskai Friede von Zsitvatorok (mit den Türken) und Wien (mit Bocskai) Erzherzog Matthias wird zum König von Ungarn gewählt. Volle Garantien für die ungarischen Protestanten. Die böhmischen Stände erzwingen von Rudolf den Majestätsbrief. Passauer Einfall. Matthias wird zum König von Böhmen gewählt. Matthias römisch-deutscher Kaiser Gabor Bethlen Fürst von Siebenbürgen

414

1614 1617-1618 1618 1619 1619-1637 1619-1622 1620

1623-1624 1625-1630 1626 1627 1630-1648 1631 1632 1634 1635 1637-1657 1639-1648 1643-1648 1644-1645 1648-1658/60 1657/58-1705 1658-1662 1664 1664-1671 1668-1673 1671-1681 1673-1678

Politische und militärische Chronologie

Generallandtag der mitteleuropäischen Stände in Linz Erzherzog Ferdinand (II), wird zum König von Böhmen und Ungarn gewählt. Prager Fenstersturz. Beginn des böhmischen Aufstands und des Dreißigjährigen Krieges. Friedrich von der Pfalz wird zum König von Böhmen gewählt. Ferdinand II. römisch-deutscher Kaiser Erster Feldzug von Gabor Bethlen. Friede von Nikolsburg. Schlacht am Weißen Berg. Zusammenbruch des böhmischen Aufstands. Zweiter Feldzug von Gabor Bethlen Wallenstein übernimmt das Kommando über die kaiserlichen Truppen. Habsburgische Siege in Deutschland. Dritter Feldzug Gabor Bethlens Verneuerte Landesordnung (Obnoveni zHzeni zemske) für Böhmen György I. Räkoczi Fürst von Siebenbürgen Niederlage der kaiserlichen Truppen durch die Schweden bei Breitenfeld. Einfall der Sachsen in Böhmen. Wiederberufung Wallensteins. Entscheidungslose Schlacht bei Lützen. Rückgewinn Böhmens. Ermordung Wallensteins. Sieg Erzherzog Ferdinands (III.), des Königs von Ungarn, und des spanischen Infanten bei Nördlingen. Der Friede von Prag wird von einem Großteil der deutschen Fürsten unterzeichnet. Ferdinand III. römisch-deutscher Kaiser Einfall der Schweden in Böhmen und Teilen Österreichs Verhandlungen in Münster und Osnabrück, die schließlich zum Westfälischen Frieden führen Krieg mit Siebenbürgen. Friede von Linz. György II. Räkoczi Fürst von Siebenbürgen Leopold I. römisch-deutscher Kaiser Türkischer Einfall und Unterjochung in Siebenbürgen. Mihäly I. Apafi wird zum Fürsten ernannt. Krieg mit dem Osmanischen Reich. Habsburgischer Sieg bei St. Gotthard. Friede von Eisenburg. Wesselenyi-Verschwörung in Ungarn. Hinrichtung von Nädasdy, Zrinyi und Frangepan. Geheimvertrag mit Ludwig XIV. über die Teilung des spanischen Reiches. Pro-französische Politik Lobkowitz'. Militärherrschaft in Ungarn. Die Verfassung wird widerrufen und ein Gubernium eingesetzt. Krieg mit Ludwig XIV. Sturz Lobkowitz'. Friede von Nimwegen.

Politische und militärische Chronologie

1678— 1683 1680 1681 1683 1684—1689 1688—1697 1690—1691 1690—1699

1701-1714 1703—1711 1705—1711 1711-1740 1711 1712—1723

1714

1718

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Aufstand von Imre Thököly Bauernaufstand in Böhmen Landtag von ödenburg. Wiederherstellung der ungarischen Verfassung. Einfall der Türken in das habsburgische Ungarn und in Österreich. Belagerung und Befreiung Wiens. Die Türken werden aus Ungarn verdrängt. Rückeroberung Ofens. Habsburgischer Sieg bei Nagyharsäny (Mohäcs). Krieg der Liga von Augsburg gegen Frankreich. Friede von Rijswijk. Annexion Siebenbürgens. Leopoldinisches Diplom. Anhaltender Krieg gegen die Türken. Habsburgische Siege bei Slankemen und Zenta. Friede von Karlowitz: den Habsburgern wird der Besitz eines Großteils des historischen Ungarns (mit Siebenbürgen) bestätigt. Spanischer Erbfolgekrieg gegen Frankreich. Schlacht von Höchstädt. Feldzüge Prinz Eugens in Italien. Aufstand Ferenc II. Räkoczis Joseph I. römisch-deutscher Kaiser Karl VI. römisch-deutscher Kaiser Friede von Szatmär mit den ungarischen Aufständischen. Räkoczi geht ins Exil. Die Pragmatische Sanktion, die die Unteilbarkeit des habsburgischen Reiches proklamiert, wird von den Landtagen der Monarchie anerkannt. Friede von Rastatt mit Frankreich. Erwerb der südlichen Niederlande, Mailands, Neapels und Sardiniens (dieses wird 1720 gegen Sizilien eingetauscht). Friede von Passarowitz mit dem Osmanischen Reich. Erwerb Serbiens, Olteniens und des Banats von Temesvär.

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