Das Tagebuch von Joseph Goebbels 1925-1926 9783486703832

Eine Selbstdarstellung, wie sie sonst keine der Schlüsselfiguren des Dritten Reiches überliefert hat, stellt das hier er

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German Pages [154] Year 2010

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Das Tagebuch von Joseph Goebbels 1925-1926
 9783486703832

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Eine Selbstdarstellung, wie sie sonst keine der Schlüsselfiguren des Dritten Reiches überliefert hat, stellt das hier erstmalig veröffentlichte, handschriftliche Tagebuch von Joseph Goebbels aus dem Jahre vor seiner Ernennung zum Berliner Gauleiter dar. Es vermittelt daher einmalige Eindrücke nicht nur von der politischen Entwicklung, sondern auch von der inneren Haltung derer, die gerade dabei waren, so unheilvoll in das Rad der Geschichte zu greifen. Der künftige Hexenmeister der nationalsozialistischen Propaganda, der scheinbar selbst eiskalte Meisterregisseur der Massenleidenschaften erweist sich hier als ein labiler, von jäh wechselnden Tageseindrücken hin und her gerissener und trotz seiner immerhin 28 Jahre noch völlig unreifer Mensch. Ebenso transparent wie seine unstete Persönlichkeit wird in diesen Tagebuchblättern sein Weg vom Anhänger Gregor Strassers mit zum nationalbolschewistischen Ideen Hitler kritiklos Hörigen und gefährlichen Feind seiner ehemaligen Freunde. Den Kampf mit der Strasser-Gruppe belegen auch die beigefügten Schriftstücke aus Goebbels' erstem Berliner Jahr, die seinen Personalakten entnommen sind. Diese Dokumentation über die politischen Anfänge von Joseph Goebbels legt das Institut für Zeitgeschichte als weiteren Beitrag zur Geschichte der Frühzeit der NSDAP vor. Es eröffnet damit die neue „Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte", die zweimal im Jahr sowohl umfangreichere Dokumente als auch Darstellungen zu zentralen Themen der Zeitgeschichte publizieren wird. Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte sind an den Publikationen wesentlich beteiligt.

VIERTELJAHRSHEFTE FÜR

Zeitgefchichte HERAUSGEGEBEN VON HANS ROTHFELS UND THEODOR ESCHENBURG

Sonderdruck aus

Heft 1 / Januar 1961

HELMUT HEIBER

JOSEPH GOEBBELS UND SEINE REDAKTEURE

DEUTSCHE

VERLAGS-ANSTALT

STUTTGART

Miszelle HELMUT HEIBEB.

JOSEPH GOEBBELS UND SEINE REDAKTEURE

Einige Bemerkungen zu einer neuen Biographie

D ie Verbreitung der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in den weiten Land-

strichen außerhalb der „elfenbeinernen Türme" ist mit dem Entstehen der modernen Gesellschaft als Problem aufgeworfen worden. Was dabei die Historiographie anlangt, so hat noch der Ausgang des vorigen Jahrhunderts eine Aufgeschlossenheit der damaligen „Öffenthchkeit" für die Belange der Fachhistorie gebracht, wie sie jedoch seit dem Aussterben der „Preußischen Schule" nicht wieder zu verzeichnen gewesen ist. Gewiß hat dies auch objektive Gründe, die „Öffentlichkeit" besteht nicht mehr lediglich aus einer Schicht gebildeten Besitzbürgertums, sie ist wie der beliebte Ausdruck lautet „breiter" geworden, und der Graben zwischen ihr und der Gelehrtenrepublik entsprechend größer. Wenn daher schon ein Treitschke, einst Prototyp eines solchen Wirkens nach außen, als „Publizist" diffawas mußte dem beschieden sein, der im Zeitalter der weit mehr miert wurde, Konzessionen erfordernden Massendemokratie die gelehrte Forschung für den allgemeinen Konsum zumindest der Interessierten aufzubereiten wagte! Da aber nun einmal im freien Spiel der Kräfte kein Vakuum denkbar ist, kamen die Brückenschläger vom anderen Ufer. Es blühte die Zeit der populär-historischen Belletristik, es schrieben und druckten die „Literaten", die Emil Ludwig, Werner Hegemann und wie sie alle hießen. Und das Schlimme war, daß sie es völlig ernst meinten: So und so behaupteten sie sei es gewesen. Im Dritten Reich fanden sie ihre Nachfolger, nur die Couleur war geändert. Nach dem Zusammenbruch hatte sich die Situation etwas gewandelt. Denn als man wieder über Topfränder hinauszusehen vermochte, waren bereits die „Illustrierten" da mit ihren Enthüllungen, ihren Tatsachenberichten. In gewissem Sinne haben diese „Illustrierten "-Serien ihren legitimen Platz. Ganz abgesehen davon, daß sie manchmal gar nicht so liederlich sind wie ihr Ruf, und ganz abgesehen auch davon, daß sie ein recht aufschlußreiches Meßinstrument für Richtung und Ausmaß des öffentlichen Interesses darstellen, vor allem kommen sie an ohne Prätention, das ist das Erfreulichste. Sie zwinkern uns zu: ganz so ernst ist es doch gar nicht gemeint. Und zumindest die Wissenden und die Wissen-WTollenden wissen es. Doch die Zeit schreitet fort. Und die Saturiertheit und das Verlangen nach Seriosität mit ihr. Prototyp aber des Intellektuell-Ernsthaften bleibt nach wie vor das Buch. Und da ist sie denn auch wieder: die populäre, lesbare historische und besonders zeithistorische Biographie. Das Bedürfnis danach scheint unbestreitbar, was an sich nur Grund zur Freude sein kann. Besteht doch durchaus die Möglichkeit, die Ergebnisse der Forschung ihres wissenschaftlichen Gewandes zu entkleiden, den gleichen Inhalt in anderer Form zu bringen, gewissermaßen in einer Art von -









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Joseph

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Goebbels und seine Redakteure

„kleiner Form". Es wird freilich nicht ausbleiben, daß selbst dann aus der redlich besorgten Schar der Glasperlenspieler erneut jenes „Pfui! Haltet ihn!" ertönt. Daneben jedoch gibt es wiederum die andere Möglichkeit, die der Journalisten. Und so kommen diese schließlich ebenfalls herbei, nun jedoch nicht mehr wie in den Illustrierten als Publizisten, sondern in Ganzleinen, mit Anspruch. In der Regel zwar inhaltlich noch „illustriert", manchmal aber schon gewichtig, schwerer einherschreitend. Denn auch dieser Weg ist ja gangbar: man nimmt den IllustriertenInhalt und staffiert ihn wissenschaftlich aus. Mit Dokumenten, mit Fußnoten, mit Apparat, mit all dem äußerlichen Behang biederer Exaktheit, der den Talmiglanz verdeckt. Können die Autoren das Ganze gar noch in einem angesehenen, reputierlichen Verlag unterbringen, wo schläfrige Lektoren wenig um das ihnen anvertraute Renommee besorgt sind, so ist der Erfolg gesichert. Was kümmert es sie schon, daß sie mit solchen Machwerken die Forschung in toto diskreditieren, was ahnen sie schon davon, wie selbst ehrliches Wollen durch die Leichtfertigkeit historischer Ausschußarbeit gegenteilige Effekte erzielen wird. Ein bedeutender Schritt auf dem Abstieg in die Niederungen pseudohistorischer Klitterung ist nunmehr Heinrich Fraenkel und Roger Manvell gelungen, deren Goebbels-Biographie soeben in deutscher Sprache und gegenüber dem englischen Original erheblich verschlimmbesserter Fassung, aber mit gleich ehrfurchtgebietendem wissenschaftlichen Apparat und wiederum einer trefflichen Bibliographie erschienen ist1. Um nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten: das Buch hat seine Meriten, und wer sich künftig mit dem Leben von Joseph Goebbels beschäftigt, wird nicht darum herumkommen. Dafür sorgen schon die fleißigen, wenn auch nicht lückenlosen Befragungen des auch anderweitig verdienten Autors Fraenkel. Insofern bedeutet es freilich einen wesentlichen Schritt über die veraltete Rieß-Biographie hinaus, und man könnte es für ein durchaus akzeptables Unternehmen halten, wenn da nicht gewisse Eigenheiten wären, die allerdings bisher wohl beispiellos sind. Im Klappentext rühmt der Verlag: „Der interessanteste Beitrag der Verfasser zur Biographie Joseph Goebbels' ist die Auswertung der handschriftlichen Tagebücher, die Goebbels in den Jahren 1925 und 1926 geführt hat. Diese Tagebücher sind von ihrem Autor niemals zur Veröffentlichung bestimmt gewesen, ihr Inhalt ist daher nicht redigiert und umfrisiert worden ..." Nun, mag Joseph Goebbels es auch versäumt haben: noch sind ja Manvell und Fraenkel da! Großzügiger jedenfalls als diese beiden hätte auch der Schreiber persönlich mit seinem Werke nicht umgehen können. Mit jener Lust am Zitieren, die ihr ganzes Werk auszeichnet (was an sich kein Fehler ist, noch dazu der deutsche Verlag im Gegensatz zum englischen meist ein ehrliches Kursiv für angemessen hielt), füllen die beiden Autoren den Großteil eines Kapitels, nämlich die Seiten 80 bis 107, mit den Früchten ihres Dokumentenstudiums. Das Kapitel trägt die -

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1

Heinrich Fraenkel und 1960.

Witsch, Köln-Berlin

Roger

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Manvell: Goebbels. Eine

Kiepenheuer

Biographie. -

&

Go

Helmut Heiber

Überschrift „Kinder der Geschichte", wir werden noch auf welch sehen, verschlungenem Wege es dazu gekommen ist. Der Mensch kann irren, weshalb Fehler nie vermeidbar sind. Unter diese Rubrik gehören zweifellos Kleinigkeiten wie etwa das sich hartnäckig durch die GoebbelsLiteratur ziehende angebliche Reichstagsmandat des preußischen Landtagsabgeordneten Wiegershaus oder auch die Erhebung des Berliner Gauleiters Schlange in den Adelsstand. Wir wollen uns nicht mit solchen Quisquilien befassen, sondern lediglich mit der Verarbeitung des Tagebuch-Textes. Mit welcher Gründlichkeit hier vorgegangen wurde, zeigt schon der angegebene Zeitraum: 3. August 1925 bis 16. Oktober 1926, statt richtig: 12. August 1925 bis 30. Oktober 1926. Daß die letzten Tage unter den Tisch gefallen sind, ist noch entschuldbar, sind die betreffenden Blätter doch sehr stark zerstört. Daß es sich aber bei den Eintragungen vom 3.-5. August (zwischen dem 31. August und dem 7. September befindlich) um irrtümliche Monatsangaben Goebbels' handelt, das haben die beiden Benutzer überhaupt nicht gemerkt. Wie sollten sie auch, bei der Sorgfalt, mit der sie an die Arbeit gegangen sindl Von nicht zu identifizierenden Wortsplittern abgesehen, bringen die Autoren 126 Zitate. Davon stimmen (Interpunktion und Orthographie bleiben unberücksichtigt) ganze zehn wörtlich mit dem Goebbels'sehen Text überein! Weitere 16 mit kleinen, nebensächlichen Fehlern kann man bei großzügiger Beurteilung noch hinnehmen. Die restlichen 100 „Zitate" sind schlechthin falsch. Die meisten Unstimmigkeiten rühren daher, daß ins Englische übersetzte Stellen einfach rückübersetzt sind, und dies, obwohl den Verfassern vor Erder deutschen Auflage die Kopie des Instituts für Zeitgeschichte zur Verscheinen fügung stand und von ihnen auch benutzt wurde (S. 359). Was dabei herauskommt, dafür einige wenige Beispiele: in Gänsefüßchen gesetzte



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wordenj

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FRAENKEL/MANVELL'SCHE „ZITATE"

ORIGINAL2

Der Jude ist der Teufel der

Der Jude ist wohl der Antichrist der Weltgeschichte. (26. 6. 26) Sie ist eine kleine Spießerin. (28. 7. 26)

(S. 82)

Weltpolitik.

eigentlich ist sie ja doch eine kleine Bürgerin. (S. 83) Ich sehe völlig ausgemergelt aus. Schrecklich! (S. 85) Schon lange nichts von daheim gehört. .

.

.

Die Familie ist böse mit

Abtrünniger. (S. 86)

mir; ich

bin ein

Daheim habe ich wohl immer noch die besten Freunde. Was habe ich verloren? Was habe ich dafür gewonnen? (S. 86) Strasser ist ganz und gar nicht der Bürger, für den ich ihn hielt; (S. 87) 2

Nach dem handschriftlichen für Zeitgeschichte".

jahrshefte

Original; vgl.

Ich sehe aus wie das arme Leben. Grauenvoll! (19. 6. 26) Von Hause lange kein Wort. Man grollt mir. Ich bin ein Apostata. (20. 1. 26) Zu Hause meint man's doch mit mir am besten. Wieviel habe ich verloren, und was habe ich dagegen eingetauscht?! (21. 8. 26) Straßer ist lange nicht so bourgeois, wie ich anfangs dachte. (2. 10. 25) —

dazu Nr. 1 der

„Schriftenreihe

der Viertel-

Joseph

Goebbels und seine Redakteure

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weil ihn die Kapitalisten wollten, die einzigen, die heutzutage Einfluß haben.

Weil das Kapital das will. Das Kapital allein hat heute zu sagen. (21. 10. 25)

Hitler kommt nicht. Er hat sich über mich beklagt. Wenn er mir weiter Vorwürfe macht, schmeiß ich den Krempel hin. Ich halte das nicht länger aus. Man gibt alles was man hat, und dann nichts als Vorwürfe, auch von Hitler selbst!

Hitler

.

.

.

(S. 90)

(S. 92)

Ich hatte Blumen für ihn, und er schien sich sehr zu freuen. (S. 101) Er spricht zwei Stunden und lobt mich dabei in den Himmel und in aller Öffentlichkeit. Dann läßt er mich in seinem Auto heimfahren. Er scheint mich sehr gern zu haben. (S. 103)

Das soll

genügen. Derart zuverlässig

nicht. Er hat über mich Wie weh mir das tut. Wenn er am 25. X. in Hamm mir Vorwürfe macht, dann gehe ich. Ich kann das nicht auch noch ertragen. Alles opfern, und dann noch Vorwürfe von Hitler selbst. (12. 10. 25) Ich brachte ihm Blumen mit, worüber er sich sehr freute. (16. 4. 26) Hitler gibt Rechenschaft. 2 Stunden lang. Nicht ganz auf der Höhe. Mich lobt er vor der Öffentlichkeit über den grünen Klee. Im Auto fährt er mich heim. Er traut mir

geschimpft.

mag mich wohl.

sind die

(24. 5. 26) wörtlichen, sämtlich

in Anfüh-

rungszeichen gebrachten Zitate Manvell/Fraenkels. Immerhin ist in den angeführFällen wenigstens der Sinn erhalten geblieben. Das wird schon dann anders, wenn Lesefehler hinzukommen. Nun ist die Goebbels'sche Handschrift gewiß schwierig. Es kostet einige Zeit, sich hineinzulesen, und selbst dann kann es Fehler geben, schon weil einige Wörter (etwa „vor" und „zu") einfach nicht zu unterscheiden sind. Dies alles vorausgesetzt, gibt es jedoch keine Entschuldigung dafür,

ten

daß die Autoren streckenweise schlicht geraten haben. Werden dabei nur aus „Biergläsern" „Bierkrüge", wird aus einer „entscheidenden" eine „wehtuende" Unterhaltung, wird aus „seelenwund" „Schwermut", so mag es noch angehen. Wenn Goebbels dem „Schöpfer" statt dem „Schicksal" für Hitler dankt (S. 105), ist es schon bedenklicher. Meist ist es aber noch übler. Auch dafür einige Beispiele: 2000 Kommunisten. Laute Pfuirufe Am Ende der Versammlung eine wilde .

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Prügelei. (S. 91)

Wir suchen ja den Kampf, die werden uns noch kennenlernen. (S. 92) In München scheint niemand mehr an etwas zu glauben. Das Mekka des deutschen Sozialismus heißt Elberfeld.

irgend

(S. 95)

Du guter, ehrlicher Strasser; ach Gott, Du bist diesem Menschen nicht mehr gewachsen. (S. 97) Das ist das Furchtbarste. Mir ist eine Welt genommen. (S. 98) Er ist so gut zu mir. Er stellt mir für den Nachmittag sein Auto zur Verfügung.

(S. 100)

Sehnsucht? Na und ob!

(S. 102)

Vor 2000 Kommunisten. Ruhiger, sachlicher Verlauf. Am Ende der Versammlung eine wüste Prügelei. (23. 11. 25) Wir wollen ja nichts anderes als den Kampf! Man wird in München schon lernen. (1. 4. 26) Kein Mensch glaubt mehr an München. Elberfeld soll das Mekka des deutschen Sozialismus werden. (11. 2. 26)

der gute, ehrliche Strasser, ach Gott, wenig sind wir diesen Schweinen da unten gewachsen! (15. 2. 26) Das ist das Furchtbare: mir ist der innere Halt genommen. (15. 2. 26) Er ist beschämend gut zu uns. Trotz Bauschen. Er stellt uns für den Nachmittag sein Auto. (13. 4. 26) Sehnsucht nach dem Weibe! (8. 5. 26) .

.

.

wie

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Helmut Heiber

Welch elementare Kraft steckt in diesem Kerl [Dostojewski]], verglichen mit den angekränkelten Intellektuellen. (S. 102) Der Gau ist durch die Schlappheit Kaufmanns

in

(S. 104) .

.

große Schwierigkeiten geraten.

und welch ein wunderbarer Redner!

.

Der

geborene

Tief und

gründen

Anführer!

(S. 104)

und an den Abmystisch der Seele vorbei. (S. 105) .

.

.

Nach München wegen Berlin. Erneute Absage. Ich will mich nicht in dem Dreck dort festfahren. (S. 106)

Die Russen bleiben doch immer dieselben. Die Intellektuellen: kranke, gebrochene Urkraft. (24. 4. 26) Der Gau ist durch die Schlappheit Kaufmanns ein großer Sauhaufen geworden. (12. 6. 26) Als Redner ein wundervoller Dreiklang zwischen Geste, Mimik und Wort. Der geborene Aufpeitscher! (16. 6. 26) Tief und mystisch. Fast wie ein Evangelium. Schaudernd geht man mit ihm an den Abgründen des Seins vorbei. (6. 7. 26) Nach München wegen Berlin halbe Absage. Ich will mich nicht in Dreck hineinknien. (28. 8. 26)

Auf diese Weise wird fröhlich „zitiert" und dabei unverdrossen der Sinn verändert, manchmal ins Gegenteil verkehrt. S. 104 etwa wird eine Begegnung mit Hitler gebracht, über die Goebbels am 16. Juli (richtig: 16. Juni) berichtet hatte. Dann heißt es weiter: „Ein paar Zeilen später meldet sich das schlechte Gewissen: , Freitag kommt Strasser. Ich muß mich vorher noch mit Strasser aussprechen.'" Nun war aber das Goebbels'sche Gewissen vöUig unbeteiligt, denn nicht nur ist in den Zwischenzeilen von etwas ganz anderem die Rede, sondern der wahre Text lautet vielmehr: „Freitag kommt Straßer. Ich muß mich vorher noch mit Kaufmann bereden." Als Kaufmann eine Schwägerin von Dr. Elbrechter, einem Gegner Goebbels', heiratet, vermerkt Goebbels: „O Karl!" (18. 9. 26), Manvell/Fraenkel machen daraus: „dieses Schwein" (S. 107). Auf S. 92 notieren die Autoren als Beweis für die feindselige Einstellung Goebbels' zur Münchener Parteizentrale folgendes Zitat (v. 12. 10. 25): „Telegramm aus München. Ich soll da wohl sprechen; die können mich am Arsch lecken!" Abgesehen davon, daß Goebbels das berühmte GoetzZitat in Originalfassung und mit vornehmen Pünktchen brachte, war das Telegramm auch gar nicht aus München gekommen, sondern aus Mannheim, wo Goebbels nicht „wohl", sondern vielmehr „zur Wahl" sprechen sollte. Was macht das schon! Als Nachweis für Goebbels' „Streicher-Stil" erwähnen Manvell/Fraenkel auf S. 102 die Notiz von seinem Ausflug in das Hamburger Hafenviertel (30. 4. 26), weil er nämlich darin schildere, wie blonde Mädchen jüdische Flausierer umarmt hätten. Hier freilich ist „Julius der Steißtrommler" (wie Goebbels gern sagte) einmal wirklich unschuldig, denn wo die beiden Autoren „jüdische Hausierer" herausbuchstabiert haben, steht in Wirklichkeit „feixende Chinesen". Noch schöner auf S. 90. Hier führen Manvell/Fraenkel einen allerdings schlagenden Beweis dafür an, wie Goebbels' Tagebuch „vor Eigenlob strotzt". Soll er doch (am 12. 12. 25 war es, allerdings sind beide Verfasser aus begreiflichen Gründen in der Regel recht zurückhaltend in der Mitteilung von Daten) wahrhaftig geschrieben haben: „Gestern Ortsgruppenabend; ich sprach ihnen von meinem .

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Joseph

Goebbels und seine Redakteure

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wachsendem Ruhm und ich hatte ein andächtiges Publikum." Solchen Blödsinn hat freilich nicht einmal Joseph Goebbels seinem Tagebuch anvertraut. Er sprach nämlich keineswegs von seinem „Ruhm", sondern ganz schlicht von seinen „Reisen", wobei das „Wachsen" von den zwei fixen Autoren schnell, noch hinzuerfunden wurde. Dies letzte Beispiel zeigt schon die Grenze an, wo die Fahrlässigkeit in Schlimmeres übergeht. Das Harmloseste auf diesem Gebiet ist noch die unkenntliche Mischung von nicht zueinandergehörigen Zitaten. Oft wird hierbei natürlich ein schiefer, übersteigerter Eindruck erweckt. Ein Beispiel mag für mehrere stehen. Es heißt auf S. 90 als Zitat: nach drei Stunden Bamberg. Sofort in die Versammlung. Man empfängt mich mit tosendem Beifall. Und als ich spreche, hören sie so andächtig zu, als wären sie in der Kirche. Und dann predigte ich zwei Stunden lang. Im Publikum atemlose Stille, aber am Schluß jubelten sie und wollten mich fast auf Händen tragen. Ich bin todmüde." Niemand erkennt hier die Montage, die Flickstelle hinter dem Wort „Kirche". Die Verfasser haben nämlich dort zwei Eintragungen vom 15. 2. 26 und vom 31. 1. 26 zusammengefügt und zu allem Überfluß noch das „Auf-den-Händen-Tragen" hinzugemischt, das bei ganz anderer Gelegenheit tatsächlich vorgekommen war. Jedoch, nicht nur im Mischen zeigt sich der Meister, sondern er erweist sich auch dort, wo es Fehlendes nachzutragen gilt. So lesen wir etwa auf S. 81 über den Besuch der Freundin: „Macht Butterbrote mit dem Nagelreiniger, Messer nicht zu finden. Ach, Du herrliche Boheme." Das war von Goebbels auch tatsächlich am 23. 9. 25 geschrieben worden, nur hatte er den Nebensatz mit dem Messer offenbar vergessen. Hier helfen Manvell und Fraenkel nach und ersparen dem Leser lästiges Nachdenken. Auch sonst verführt die Freundin sie zu frohem Fabulieren. Am 3. 9. 25 etwa hatte Goebbels geschrieben: „Sie ist gut zu mir und macht mir Freude. Den ganzen Tag sitzt sie um mich herum und erzählt und schwärmt von der Schweiz." In der verbesserten Fassung Manvell/Fraenkels schwärmt sie auch, allerdings viel reichhaltiger und von etwas ganz anderem (S. 80): „Sie schwärmt für mich wie ein Backfisch und sie ist so glücklich dabei und ich gönne es ihr von Flerzen und ich liebe sie von ganzer Seele. Sie ist so gut zu mir." Benno ist Goebbels' Hund. Von ihm schreibt er am 25. 8. 26: „Benno liegt unterm Bett und schläft. Ich will auch etwas faulenzen. Nächsten Monat beginnt wieder die Jagerei. Eigentlich freue ich mich darauf. Kampf ist für mich was für den Fisch das Wasser." Unsere beiden Autoren führen die Parallele großzügig weiter, sie „zitieren" auf S. 84: „Benno liegt unter meinem Bett und schnarcht. Er ist wie ich, abwechselnd vollkommen faul oder von wildem Jagdfieber ergriffen. Genauso will ich es ja eigentlich auch. Etwas Kampf ist für mich so wichtig, wie das Wasser für den Fisch." Auch sonst passieren mit Benno die erstaunlichsten Dinge. Goebbels schreibt am 21. 8. 26: „Gestern abend redete ich in Düsseldorf, da stand er mit spitzen Ohren am Fenster und lauschte." Das ist gewiß viel für einen Hund, bei weitem aber nicht genug für Manvell und Fraenkel. Sie „zitieren" vielmehr auf S. 91: „Gestern abend sprach ich in Düsseldorf. Ich hatte Benno mit und er „.

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Helmut Heiber

saß dabei mit seiner spitzen Schnauze, mucksmäuschenstill und scheinbar mit großem Interesse zuhörend." Oder am 10. 6. 26: „Abends rede ich in Neukölln. Kein trockener Faden ist mehr eine unerhört aufregende Versamman mir." Woraus geworden ist (S. 90): „. lung. Ich bin wie aus dem Wasser gezogen." Fragt sich Goebbels am 14. 11.25 hinsichtlich des Gaus in Elberfeld: „Bin ich hier entbehrlich?", so antworten Manvell/ Fraenkel auf S. 99: „Das Schlimmste ist, daß ich hier in Elberfeld geradezu unentbehrlich bin." Als Hitler den jungen Mann aus Rheydt massiv bearbeitet hatte, schrieb dieser am 13. 4. 26 über das Gehörte: „Darüber läßt sich reden. Er hat das alles durchgedacht. Ich bin bei ihm in allem beruhigt. Er ist ein Mann, nehmt alles nur in allem. So ein Brausekopf kann mein Führer sein. Ich beuge mich dem Größeren, dem politischen Genie!" Erst in der Man veil/Fraenkel'schen Neuschöpfung aber vermögen wir die psychologischen Feinheiten dieses Sinneswandels nachzuempfinden (S. 100): „Vielleicht hat er mit seinen Argumenten über Außenpolitik doch recht. Schließlich hat er ja sehr lange und gründlich darüber nachgedacht. Ich habe gar nicht mehr so viel dagegen einzuwenden. Ich erkenne ihn bedingungslos als Führer an. Ich beuge mich dem größeren Mann! Dem politischen Genie!" Wenig später ist Goebbels bei Gregor Strasser in Landshut. Er schreibt darüber am gleichen Tage: „Abends im lauen Frühlingswind durch Strassers Heimatstadt. Welch ein Friede! O, du Gregor Strasser, wie schwer muß Dir die Revolution sein." Manvell/Fraenkel vertiefen den lyrischen Akzent (S. 101): „Wie schön, in der weichen Frühlingsluft durch die Heimatstadt der Strassers zu wandern. Wie friedlich! Ach Du Gregor!" Der etwas abrupte Schluß erklärt sich daraus, daß mit „Gregor" die handschriftliche Seite endete, wer sollte schon auf den Gedanken kommen, daß der Satz noch weitergehen könnte? Auch die Goebbels'sche Stipvisite in der Hamburger Bordellstraße fällt unter Manvell/Fraenkels Zensur. Goebbels hatte seine Eindrücke (30. 4. 26) rein moralisch verwertet und sich jedes Urteils über die körperlichen Vorzüge oder Nachteile der Damen enthalten, welches Manko Manvell/Fraenkel auf S. 101 durch die Einschiebung des Satzes „Die meisten ganz abscheulich anzusehen" beheben. Und so weiter und so fort. Im Juli 1926 erzählt Hitler Goebbels auf einem Spaziergang „vom Felde" (26. 7. 26), bei Manvell/Fraenkel (S. 106) hingegen spricht er „über Deutschland", was ja immerhin nicht ganz dasselbe ist. Aber auch mit Auslassungen läßt sich einiges machen. Am 4. 9. 25 klagt Goebbels über den „nervus rerum", ist aber gleich wieder bei einem anderen Thema: „Auch wieder Geldsorgen. Wie komme ich da heraus. Viel Pläne. Niemand hilft. Ich muß alles allein machen. Grauenhafte Verlassenheit!" Manvell und Fraenkel streichen (S. 86) die „vielen Pläne", machen aus „Verlassenheit" „Kalamität" und schon paßt alles nahtlos aneinander. Ebenfalls auf S. 86 benötigen sei einen weiteren Beweis für die Entfremdung mit dem Elternhaus und „zitieren": „Am liebsten möchte ich gleich wieder abfahren, aber ich tue es nicht, um Mutter nicht weh zu tun." In Wahrheit freilich hatte Goebbels am 11. 8. 26 geschrieben: „Ich komme in den größten Hausdreck hinein, sodaß ich am liebsten Lust hätte, gleich wieder umzu.

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fahren. Aber es tut mir zu leid um Mutter." Der „Hausdreck" stört, also hinweg mit ihm. Zum Ausgleich setzt man Akzente. Spricht Goebbels (12. 6. 26) von einem „sachlichen Abschiedsbrief", wird daraus (S. 82) ein „furchtbar sachlicher Abschiedsbrief", lachen die Hamburger Polizisten (30. 4. 26), lachen sie bei Manvell/Fraenkel (S. 102) schon zynisch, berichtet Goebbels von Hitler (19. 4. 26) „Er sagt mir viel Lob", so hat er ihn laut Manvell und Fraenkel (S. 101) „in den Himmel" gelobt, meint Goebbels (13. 4. 26): „Alles ist begeistert. Ein paar junge Frauen aufgeputscht. Sie haben mich gern", so wird nun daraus (S. 90/91): „Alles rast vor Begeisterung. Ein paar sehr junge Frauen schienen ganz verrückt nach mir." Was dann noch fehlt, wird frei erfunden, z. B.: „ich wünschte, ich könnte ein Jahr lang schlafen" (S. 84), „Manchmal wirkt schon die bloße Tatsache des Reisens als Erlösung" (S. 85), „Niemand kümmert sich hier um mich" (S. 103). Auf S. 87 heißt es: „,Strassers Entwurf ist ungenügend', schreibt er ins Tagebuch und unterstreicht es." Goebbels schrieb (18. 12. 25) „mangelhaft" und von Unterstreichen keine Spur. Auf S. 100: „Später darf er mit Hitler zu Abend essen und ist wieder einmal ,glücklicher als je' in seinem Leben." Goebbels aß zwar, von Glück jedoch keine Rede (13. 4. 26). Über den Film „Panzerkreuzer Potemkin" heißt es auf S. 103: „Goebbels schreibt... und macht aus seiner Begeisterung keinen Hehl." Was schrieb Goebbels? „Kaufmann fand ihn glänzend. Mal sehen." (15. 5. 26) und kein Wort mehr. Auf S. 104 ist von einer angeblichen Einladung Hitlers nach Oberbayern die Rede und von der „Seligkeit", die diese verursacht hätte und die in den Eintragungen vom 19. und 20. Juli „gebührend hervorgehoben" worden sei. Davon im Tagebuch weder damals noch früher oder später ein Wort, ganz abgesehen davon, daß Goebbels zu dieser Zeit schon in Oberbayern war und es gar keine Eintragung vom 19. 7. gibt. Oder S. 107, wo die Autoren schreiben: „Immerhin läßt er sich Mitte September nach Berlin schicken, um dort ein paar Reden zu halten, vor allem aber, um sich ,den Laden noch einmal anzusehen'." Goebbels fuhr privat (11. 9. 26), redete in Berlin nicht und von „Laden ansehen" schrieb er auch nichts. Auf der gleichen Seite heißt es über einen Potsdam-Besuch, Goebbels habe „unter dem Eindruck der preußischen Glorie" seine Entscheidung gefällt, nach Berlin zu gehen, gelockt u. a. durch den Titel „Gauleiter". Das erste ist eine bloße Vermutung, und zum letzten ist zu sagen, daß Goebbels den GauleiterTitel schon einige Zeit führte. Wie überhaupt die Autoren die Rolle, die Goebbels in Elberfeld spielte, völlig verkannt haben, da sie kritiklos Fehlzeichnungen von interessierter Seite übernommen haben, obwohl ein paar Blicke in den VB der damaligen Zeit deren Haltlosigkeit erwiesen hätten. Erfunden zu sein scheint auch jenes Zitat, das für den Titel dieses Zitat-Salats herhalten muß. Manvell/Fraenkel schreiben auf S. 99: „Im Tagebuch nennt er die Münchner Gruppe herablassend politische Kinder'. ,Wir dagegen', fügt er Das stolz hinzu, ,wir haben das Gefühl für Geschichte. Kinder der Geschichte sind wir!'" Nun ist in dem Tagebuch weder von „politischen Kindern" noch von „Kindern der Geschichte" jemals die Rede. Dieses „Zitat" vermittelt jedoch auf -

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Helmut Heiber

dem Umweg über die englische Ausgabe einen recht interessanten Einblick in die Werkstatt der beiden Goebbels-Autoren. Dort findet sich dieser Text nämlich noch nicht frei im Räume schwebend, sondern hier erfährt man noch, wann Goebbels das geschrieben haben soll: unmittelbar nach Bamberg, im Anschluß an ein bestimmtes Zitat vom 15. 2. 26. Und in der Tat gibt es in der darauffolgenden Eintragung vom 22. 2. folgende Goebbels'sehe Meditation anläßlich eines Besuchs in der Marienburg: „Geschichte ist um mich. Wie klein sind wir", und im gleichen Text über eine Berliner Freundin: „Liebes, gutes, unverdorbenes Kind!" Daraus „las" man sich offenbar obiges „Zitat" zurecht. Als dies dann nach der deutschen Übersetzung begreiflicherweise nicht wiederzufinden war, was tat man? Strich man das Zitat als dubios? Aber mitnichten, man strich zwar, jedoch nicht das sondern den und versteckte es so in der sicheren Erwartung, zeitlichen Bezug Zitat, daß es unter dem übrigen Kohl schon keiner finden würde. Auf diese Weise schreibt man eine Biographie. Grotesk wird das Spiel besonders da, wo die Autoren ihre eigenen Zitate nicht mehr wiedererkennen. Da schrieb Goebbels etwa am 12. 10. 25: „In München sind Lumpen am Werke. Dummköpfe, die keinen Kopf neben sich dulden Deshalb der Kampf gegen Straßer und mich. Auch Bosenberg ist verzweifelt." Auf dem Umweg über die englische Ausgabe (S. 57) entsteht daraus bei Manvell und Fraenkel auf S. 92 folgende, gewiß prägnantere Neuschöpfung: „In München sind wieder die Arschkriecher und die Intriganten am Werk Und alle wollen sie Strasser und mir am Zeuge flicken." Wer vermag es den Autoren zu verdenken, daß sie sich hier keiner Identität mehr bewußt waren, als ihnen jene Tagebuchstelle bei der Bearbeitung der deutschen Ausgabe erneut unter die Finger kam? Also flugs auf der gleichen Seite einige Zeilen höher noch einmal dasselbe Zitat, nun halbwegs richtig, wenn man davon absehen will, daß aus „Rosenberg" „Kaufmann" geworden ist. Die gleiche Panne auf S. 100. Goebbels hatte am 13.4.26 notiert: „Tobende Begrüßung Am Schluß umarmt mich Hitler. Die Tränen stehen mir [ihm?] in den Augen. Ich bin so etwas wie glücklich. Durch die gestauten Massen zum Auto. Rufe, Fleil, ab." Via London (S. 61/62) wird aus der tobenden eine tosende Begrüßung, und dann heißt es weiter: „Hitler umarmt mich. Meine Augen sind voll Tränen. Ich bin glücklicher als je in meinem Leben. Durch die Menschenmenge zu dem wartenden Wagen. Donnernde Heilrufe." Gewiß nicht böswillig, sondern in gläubigem Vertrauen auf ihre Zitierkünste, zersägen Manvell und Fraenkel nun aber die eine Münchener Versammlung in zwei! Und so schreiben sie: „Am meisten besticht ihn, daß er zweimal in großen und wohlorganisierten Versammlungen sprechen darf." Es folgt die oben angegebene, nachempfundene Version, dann fahren sie fort: „Kurz darauf darf er schon wieder auftreten." Und nun bieten sie des gleichen Textes zweiten Aufguß, dieses Mal im wesentlichen richtig. So sieht es aus, das grundlegende Goebbels-Buch von Manvell und Fraenkel, wenigstens streckenweise. Denn wo aus gedruckten Werken abgeschrieben wird, zitiert es sich natürlich einfacher und fällt es einigermaßen schwer, in größerem -

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Joseph

Goebbels und seine Redakteure

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Umfange Fehler zu machen. Wird es aber komplizierter, handelt es sich einmal um eine wirkliche Quelle, dann soll journalistische Technik mühselige Arbeit ersetzen.

Gewiß muß für den free-lance die Zeit besonders kostbar, teuer sein, wieso aber war überhaupt ein solch wertloses Sammelsurium zweifelhafter Zitate erforderlich ? Etwas mehr Verarbeitung des Materials, ja bereits schon die Umsetzung in die indirekte Rede, hätte manches verhütet. Denn was geschieht nun ? Wer über Goebbels arbeitet, wird dieses Buch benutzen müssen und wird daraus die „Zitate" weiterzitieren. Und so wird man noch nach vielen Jahren Texte lesen, von denen man glaubt, Goebbels habe sie geschrieben, während es sich in Wahrheit nur um das handelt, was Goebbels nach Meinung der Herren Fraenkel und Manvell hätte schreiben sollen. In einem angesehenen Sonntagsblatt hat kürzlich einer den Kopf geschüttelt und es unverständlich gefunden, daß das Institut für Zeitgeschichte solche Texte aus der Feder verflossener Größen veröffentlicht. Das obige Beispiel dürfte zeigen, was an Unfug herauskommt, wenn das Feld auch nur den gutwilligen Dilettanten überlassen bleibt, von den anderen ganz zu schweigen. Heinrich Fraenkel etwa, Verfasser manch kluger und wertvoller Schrift, setzt in solchem historiographischen Roulette immerhin seinen Ruf. Und das ist nicht wenig. Was aber wird man von denen erwarten müssen, die nicht mehr zu verlieren haben als ein klangvolles -



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Pseudonym! Emil Ludwig redivivus? Ach, wenn es nur das wärel Das gibt es auch, in haben dafür. wir das Hegners „Reichskanzlei" jüngste Beispiel Manvell/Fraenkel aber sind beinahe noch gefährlicher, weil sie sich seriöser geben und nicht nur Lieschen Müller zu ihren Opfern zählen dürften. Hegner ist was auch der Dümmste merken wird nichts weiter als gebundene „Illustrierte". Das Manvell/Fraenkel-Manuskript hingegen käme für keine Illustrierte in Betracht, es macht sich auf als Quelle, aus der geschöpft werden kann. Wenn aber schon die Quellen trübe fließen, wie sollen dann erst die breiten Ströme publizistischer Pseudo—



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Historie aussehen. Die beiden Goebbels-Autoren haben jetzt Göring in Bearbeitung genommen. Auf der Stirn der Stieftochter Klios, die für die Zeitgeschichte zuständig sein soll, könnte man gewiß so etwas wie Angstschweiß wahrnehmen.

DAS TAGEBUCH VON JOSEPH GOEBBELS 1925/26

SCHRIFTENREIHE

DER VIERTELJAHRS HEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE NUMMER 1

Im

Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte

herausgegeben von Hans Rothfels und Theodor Eschenburg Redaktion: Martin Broszat

DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT

STUTTGART

DAS TAGEBUCH

VON JOSEPH GOEBBELS 1925/26

mit weiteren Dokumenten

herausgegeben von

HELMUT HEIBER

DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT STUTTGART

Deutsche Rechte bei der Deutschen Verlags-Anstalt Jede Wiedergabe und Verwertung auch auszugsweise

GmbH., Stuttgart. nur

gung des Instituts für Zeitgeschichte, München. Gesetzt

mit Genehmider Monotype

aus

Walbaum-Antiqua. Gesamtherstellung: DeutscheVerlags-Anstalt GmbH., Stuttgart. Printed in Germany

EINLEITUNG

Von Hitler selbst abgesehen, hat wohl kaum eine der Größen des Dritten Reiches so sehr das Interesse der Mit- und Nachwelt erweckt wie Joseph Goebbels. Mehr noch als seine vielfältigen Skandalgeschichten, mehr noch als das Paradoxe von äußerer Erscheinung und verkündeter Lehre, mehr noch als das grausige, die ganze Familie mit in den Abgrund ziehende Ende ist es die scharfe Intelligenz gewesen, die romanische Klarheit in der Entwicklung von Gedankengängen und die dem zugrunde liegende kalte, emotionsfreie Berechnung aller Faktoren von den Aufwallungen des Gefühls bis zu den Werten der Moral, die dieser Persönlichkeit ihre abstoßende wie attraktive Wirkung verliehen haben. Hatte die übrige braune Prominenz kaum Mittelstufen-Niveau, so war hier einer, der erheblich über die anderen hinausragte. Wenn bei einem überhaupt, so hätte man es sich bei Goebbels vorstellen können, daß er imstande gewesen wäre, sich insgeheim über den Nationalsozialismus und das ganze Brimborium, das damit zusammenhing, lustig zu machen. Denn bei ihm konnte man sich noch am ehesten denken, daß er gewissermaßen nur zufällig Nationalsozialist geworden war, daß er ebensogut Kommunist oder sonst irgend etwas hätte werden können. Für ihn am meisten schien das „Was" an Gewicht verloren zu haben angesichts der Perfektion des „Wie". Hier schien ein überlegener Intellekt zu arbeiten, für den alles nur Werkzeug war. Dieser Joseph Goebbels hat sein ganzes Leben hindurch Tagebuch geführt, wie es heißt, vom zwölften Jahre an1. Später, in den Jahren der Macht, dürften es sogar deren zwei gewesen sein2: jene privaten Notizen und daneben noch eine umfangreiche tägliche Niederschrift, die er ins Stenogramm diktierte und die ausführlich die Ereignisse und Erlebnisse wiedergab und mit einem Kommentar versah, der bei allem scheinbaren Freimut unverkennbar zwar nicht für den Tag, aber doch für das Forum der Geschichte zugeschnitten war. Mit viel ätzender Kritik an Mißständen und vor allem an den Kollegen, mit wenig Beanstandungen in Grundsatzfragen, keinen bei Hitler und schon gar keinen bei Goebbels. Diese gemäßigten Offenbarungen waren gedacht als Rohstoff und Konzept für eine einstmalige Geschichte des Dritten Reiches, mit deren Niederschrift Joseph Goebbels seinen Lebensabend zu verschönen und seinen Angehörigen eine sorgenfreie Existenz zu verschaffen gedachte. Was von all diesen privaten wie offiziösen Diarien der Nachwelt erhalten geblie—

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So bei Riess, S. 33 (zusammenfassende Titelangaben auf S. 8, Anm. 1). Zu seinem AdjuOven soll Goebbels gesagt haben: seit 1920 (Wilfried v. Oven: Mit Goebbels bis zum Ende, 2 Bde. Buenos Aires 1949/50; hier: I, S. 52). 2 Semmler, S. 14; Biess, S. 275. tanten

Einleitung

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ben ist, dürfte nur einigen Leuten im Osten bekannt sein. Denn den Sowjets ist wohl das meiste, das der Vernichtung beim Kampf um Berlin entgangen war, in die Hände gefallen. So etwa nach der Vermutung des Staatssekretärs Naumann die vor dem Zusammenbruch angefertigten Mikrofilme des diktierten offiziösen Tagebuchs1, so auch zumindest Teile des handschriftlichen Tagebuchs, die Hans Fritzsche in Moskau gesehen haben will2. Von diesen unzugänglichen Stücken abgesehen, sind bekannt zunächst einmal die Teile, die Goebbels selbst publiziert hat: so etwa unzweifelhaft stark redigiert, aber noch in der ursprünglichen Tagebuchform die Notizen vom 1. Januar 1932 bis zum 1. Mai 1933 unter dem Titel „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei". Ebenfalls in Tagebuchform, aber in freier Umdichtung hat Goebbels die Niederschriften aus den Freiburger, Münchener und Heidelberger Universitätsjähren 1919/20 verwertet in dem 1921 geschriebenen, damals nirgends angenommenen und erst 1929 vom Parteiverlag Eher herausgebrachten Tagebuchroman „Michael", in dem er allerdings eigene Erlebnisse und eigenes Schicksal mit dem Leben eines Freundes, Richard Flisges, vermischte. Schließlich gibt es noch ein Buch, das Goebbels augenscheinlich anhand seiner Tagebücher geschrieben hat und in das manches daraus eingeflossen ist: den 1932 erschienenen „Kampf um Berlin", der mit dem 9. November 1926, dem Tage der Fahrt des neuen Gauleiters in die Reichshauptstadt, beginnt und das erste Jahr seiner Berliner Tätigkeit schildert. Weit wichtiger als diese frisierten Publikationen sind jedoch die wenigen erhalten gebliebenen und zur Verfügung stehenden Originalmanuskripte. Hierbei handelt es sich einmal um einige Teile des diktierten, maschinenschriftlichen Tagebuchs aus dem Kriege, und zwar um verschiedene Bruchstücke aus dem Zeitraum vom 21. Januar 1942 bis zum 9. Dezember 1943, die Louis P. Lochner stark verkürzt bereits vor Jahren veröffentlicht hat. Diese bilden eine wichtige Quelle für die Geschichte jener Jahre und für einige Interna des Dritten Reiches. Für Goebbels selbst aber erheblich aufschlußreicher als solche Meditationen eines Mannes, der bei der Niederschrift nur mit einem Auge bei der Sache war, da er mit dem anderen beharrlich auf die Nachwelt schielte, sind jene 192 handschriftlichen Tagebuchblätter, die als einziger Teil seiner privaten Diarien nach Krieg und Zusammenbruch in westliche Hände gelangt sind. Es sind dies die Aufzeichnungen vom 12. August 1925 bis Ende Oktober 1926 in lückenloser Folge, infolge der Eigenheiten der Goebbelsschen Flandschrift zwar nicht ganz einfach zu entziffern, jedoch mit Ausnahme der letzten Seiten und eines Zwischenstücks im wesentlichen gut erhalten. Das Schicksal dieser Blätter ist das gleiche wie dasjenige der von Lochner herausgegebenen Tagebücher von 1942/433. Bei der Ausräumung des Propagandaministeriums durch die Russen zum Verbrennen bestimmt, landeten sie 1945 im Hofe des Ministeriums. Dort wurden sie von irgend jemand aufgelesen, gingen durch mehrere —



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Manvell/Fraenkel, Biess, S. 275. Vgl. Lochner,

S. 264f.

S. 7ff. und 15 ff.

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Hände, wobei jeweils lediglich der Makulaturwert eine Rolle spielte, und kamen schließlich in den Besitz eines mit den deutschen Verhältnissen wohlvertrauten Amerikaners, der sie 1946 an den ehemaligen USA-Präsidenten Herbert Ploover übergab. Seitdem verwahrt sie die zur kalifornischen Stanford University gehörige Hoover Institution on War, Revolution and Peace. So ist denn die Existenz dieser Aufzeichnungen bereits seit langem bekannt, von Lochners Vorwort und sie sind auch mehrmals ausführlich zitiert worden bis hin zu der jüngst erschienenen letzten Goebbels-Biographie von Manvell/ Fraenkel. Vermutlich sind es aber die Schwierigkeiten der Transkription gewesen, die bislang die Publikation der erst im Zusammenhang für die Persönlichkeit von Joseph Goebbels voll aufschlußreichen Niederschriften verhindert haben. Das Institut für Zeitgeschichte legt daher dieses Goebbels-Tagebuch zum ersten Male im Wortlaut vor. Wie schon erwähnt, ist der Zustand des Originals zum kleinen Teil schlecht. Verschiedene Seiten und Ecken sind angebrannt, manche tragen Nagelspuren, streckenweise ist das Manuskript auch durch Wassereinwirkung verwischt. Letzteres betrifft insbesondere die Eintragungen vom 12. bis 20. Juli 1926, ersteres die Aufzeichnungen ab 8. September 1926. Vom 16. Oktober 1926 an haben die durch Verkohlung entstandenen Schäden größeren Umfang, die Blätter vom Ende jenes Monats bestehen nur noch aus Fetzen. So kamen also bei der Übertragung zu den Schwierigkeiten der Schrift noch Erhaltungsmängel hinzu. Das Tagebuch ist aus der Handschrift wörtlich transkribiert; Stil, Orthographie und Interpunktion folgen dem Original. Alle Flüchtigkeitsfehler wurden übernommen, um den Stil dieser hingeworfenen Zeilen aufzuzeigen und damit dem Verfasser gegenüber fair zu sein. Unsichere Lesungen sind kursiv gesetzt, was insbesondere für Eigennamen zutrifft, deren Träger keine politische Rolle gespielt haben (viele konnten anhand der VB-Versammlungsberichte identifiziert werden). Wo Stellen nicht zu entziffern gewesen sind, ist eine Lücke von ungefähr gleichem Ausmaß gelassen worden. Hinsichtlich der Absätze wurde aus Platzgründen vom Original abgewichen, da Goebbels gewöhnlich mit jedem oder jedem zweiten Satz bzw. Ausruf eine neue Zeile begonnen hat. Bei den im Anhang zum Tagebuch veröffentlichten Dokumenten handelt es sich mit Ausnahme des Briefes von Holtz (Dok. Nr. 16) und der Aufzeichnung Heinemanns (Dok. Nr. 17) um maschinenschriftliche Originale bzw. Abschriften. Von den Verfassern vorgenommene Sperrungen und Unterstreichungen wurden einheitlich gesperrt. Einige Tippfehler in den Schriftstücken sind korrigiert; kursiver Satz bezeichnet in diesem zweiten Teil handschriftliche Stellen. -

Es ist nicht zu vermeiden und ist auch bei den bisherigen biographischen Darstellungen nicht vermieden worden, daß mit der Publikation oder Auswertung eines persönlichen Tagebuches Bereiche der privaten Sphäre bloßgelegt werden, die in der Regel den Anspruch erheben dürfen, in öffentlicher Diskussion ausgeklammert zu werden. Anders liegt der Fall jedoch bei Menschen, die wie Joseph

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Goebbels zu historischen Figuren geworden sind, die das Schicksal von Millionen beeinflußt und gestaltet haben und die daher in ihrer Gesamtpersönlichkeit Objekt berechtigten öffentlichen Interesses und damit auch historischer Forschung geworden sind. Stellt man sich daher die Frage, wer dieser oder jener Mann eigentlich gewesen ist hinter der Fassade, die er im Besitze der Macht um sich aufzurichten verstand -, so erweisen sich auch seine mit-menschlichen Beziehungen als überaus gewichtig. Welchen Lebenslauf hatte nun aber jener junge Mann hinter sich, der damals gerade für einen zwanzigjährigen Auftritt unseligen Wirkens die politische Bühne betrat, als er die nachstehenden Tagebuchnotizen niederschrieb? An Hand der vorliegenden Biographien1 sei folgender kurze Überblick gegeben. Paul Joseph Goebbels wurde am 29. Oktober 1897 in Rheydt geboren, der ebenfalls von der Textilindustrie beherrschten Schwesterstadt von Münchenwie in ihrer Mehrheit die Gladbach (heute: Mönchen-G.). Seine Eltern waren -

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Umgebung katholisch, und das nicht nur dem Namen nach. Die genaue Ermittlung des Berufes von Friedrich Goebbels, dem Vater, scheint auf einige Schwierigkeiten zu stoßen, denn in den älteren Darstellungen wird er als Vorarbeiter bzw. Werkmeister bezeichnet, während er in der jüngsten Biographie ebenfalls nach Angaben aus dem Familienkreise als Büroangestellter in einer kleinen Glühstrumpffabrik auftritt, der es schließlich bis zum Prokuristen gebracht hat. Vielleicht ist aber dies alles zusammen richtig, und Vater Goebbels hat sich nach anfänglicher Tätigkeit als Arbeiter zum schließlich leicht gehobenen Angestellten emporgearbeitet. So jedenfalls hat sein Sohn es einmal selbst dargestellt2 und dabei auch die opfervollen, hartnäckigen Versuche der Eltern geschildert, ihre Söhne „etwas werden zu lassen", sie aus dem eingeengten Kleinbürgertum herauszustemmen, nachdem ihnen selbst der Schritt aus dem Proletariat gelungen war. Besonders üppig (1917 beziffert Goebbels in einem Stipendiengesuch das väterliche Monatsgehalt auf 315-355 Mark) wird es aUerdings bei den Goebbels' schon deshalb nicht zugegangen sein, weil Paul Joseph nur eines von mehreren Kindern war. Er hatte zwei ältere Brüder, Hans und Konrad, sowie eine ältere Schwester Elisabeth, die jedoch 1915 starb. Mehr als an seinen beiden Brüdern hing Joseph später an der um 12 Jahre jüngeren Schwester Maria. ganze

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Ebenso unsicher wie über den Beruf des 1929 verstorbenen Vaters scheint sich die Familie Goebbels über die Ursache des berühmten „Klumpfußes" von Paul Dr. Goebbels. Nach Aufzeichnungen aus seiner Umgebung. Herausgegeben von Boris Borresholm. Berlin 1949. Curt Riess: Joseph Goebbels. Eine Biographie. Baden-Baden 1950. Roger Manvell and Heinrich Praenkel: Doctor Goebbels. His Life and Death. London 1960. Ein weiterer biographischer Abriß in der Einleitung von: Goebbels Tagebücher aus den Jahren 1942—43. Mit anderen Dokumenten herausgegeben von Louis P. Lochner. Zürich 1948. Für die früheren Lebensjahre weniger ergiebig: Werner Stephan: Joseph Goebbels. the man next to Rudolf Semmler: Goebbels Dämon einer Diktatur. Stuttgart 1949; Hitler. London 1947. Zwei seinerzeit offizielle Biographien: Wilfried Bade: Joseph Goebbels. Lübeck 1933; Willi Krause: Reichsminister Dr. Goebbels. Berlin-Schöneberg o. J. 2 Oven, Bd. I, S. 239 1

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Joseph zu sein. Denn auch hier bieten die beiden anhand gründlicher Befragungen der Familienmitglieder verfaßten Biographien voneinander leicht abweichende Lesarten an: im einen Fall erkrankte das Kind im Alter von sieben Jahren an einer „Knochenmarkentzündung", die eine Operation des linken Oberschenkels erforderlich machte, woraufhin das linke Bein kraftlos wurde, im Wachstum zurückblieb und schließlich acht Zentimeter kürzer war als das rechte. Nach der anderen Version handelte es sich expressis verbis um Kinderlähmung, die den Knaben nun aber bereits im 4. Lebensjahre befiel. Identisch ist bei all dem jedoch das Bemühen, die Verkrüppelung nicht als das hinzustellen, als was sie im Dritten Reich landläufig galt: als angeborener Fehler. Wie dieser Körperfehler nun auch immer entstanden sein mag, die seelischen Belastungen, denen der kleine Krüppel mit dem schwächlichen, unterentwickelten Körper und dem riesigen Kopf im Umgang mit den Gleichaltrigen, mit den Spielkameraden und Schulfreunden ausgesetzt war, lassen sich leicht vorstellen. Kein Wunder, daß sich Joseph Goebbels mit aller Energie auf die geistige Arbeit warf: wenn er schon im Spiel, wenn er bei allen körperlichen Übungen und Auseinandersetzungen zwangsläufig den kürzeren zog, so wollte er wenigstens mit dem Kopf die anderen ausstechen. Da der Junge gute geistige Anlagen mitbrachte, konnte der Erfolg nicht ausbleiben. Die Eltern ließen ihn das Gymnasium besuchen, wie sie es sich immerhin zwar gewiß unter schweren Opfern leisten konnten, ihre anderen Kinder ebenfalls auf die Oberschule zu schicken. In der Schule gehörte Joseph Goebbels zu den besten seiner Klasse, wenn er in einem Zeugnis der letzten Zeit auch die übrigen nicht gerade überragte, drei Latein und er hatte Einser (in Religion, Deutsch). Beliebt bei den Kameraden war er freilich nicht, er galt vielmehr als Streber und Angeber, der sich bei den Lehrern anzuschmieren suchte und sich auch nicht scheute, seine Mitschüler zu „verpetzen". Außerdem galt er als arrogant und eingebildet, dies ein gewiß verständlicher, aggressiver Schutzwall, den der wegen seines Gebrechens ständig in der Defensive der Minderwertigkeit befindliche junge Mensch um sich aufbaute. Beim Abitur ist Goebbels eine Art Primus omnium: als Verfasser des besten deutschen Aufsatzes darf er die Abgangsrede halten. Im Anschluß daran soll ihm der Rektor die Hand gedrückt haben: „Gut, sehr gut, Goebbels. Inhaltlich sogar ausgezeichnet. Aber glauben Sie mir eins: ein guter Redner werden Sie nie!" Es sind nicht mehr allzu viele Primaner, die damals, Ostern 1917, die Schule verlassen, denn die meisten der jungen Leute haben sich freiwillig an die Front gemeldet. Daß sich auch der Krüppel vor dem Musterungslokal angestellt hat, beweist seine schon damals ausgeprägte Neigung entweder zu großen, aber inhaltslosen Gesten oder zu ausgesprochenem Selbstbetrug. Denn der Arzt sieht ihn sich kaum an: die Front kann so etwas nicht gebrauchen. Joseph Goebbels wird „a. v." gemustert, Ende Juni 1917 dient er einige Zeit als Bürosoldat, dann ist der Krieg für ihn zu Ende. Zu dieser Zeit hört er jedoch bereits an der Universität Bonn Germanistik, Geschichte und Latein. Der Vater wollte einen Sohn studieren lassen, Joseph ist der -

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geeignetste unter seinen Brüdern. Er bekommt von zu Hause einen Monatswechsel über 50 Mark, schon das erste Semester muß er wegen finanzieller Schwierigkeiten abbrechen. Später hilft er sich mit Stundengeben, und schließlich ist da noch ein Darlehen der katholischen Albertus-Magnus-Gesellschaft, um das sich Goebbels erfolgreich bemüht hat. Es ist nicht übermäßig viel, was er erhalten hat, immerhin knapp 1000 Mark von 1917 bis 1920, eine Summe, welche die Gesellschaft übrigens erst 1930 und unter Anwendung gerichtlicher Zwangsmaßnahmen von dem Berliner NS-Gauleiter beizutreiben vermochte. stud. phil. Goebbels besucht trotz seiner finanziellen Kalamitäten die deutschen Universitäten in bunter Folge. Von Bonn geht er im Sommer 1918 für ein Semester nach Freiburg, im Winter erlebt er in Würzburg den deutschen Zusammenbruch. Der Sommer 1919 findet ihn wieder in Freiburg, der darauffolgende Winter in München, wohin er schon lange wollte, was jedoch bislang an der Wohnraumfrage gescheitert war. 1920 schließlich läßt sich Goebbels in Heidelberg nieder, wo er dann im November des folgenden Jahres mit einer Arbeit über „Wilhelm von Schütz. Ein Beitrag zur Geschichte des Dramas in der Romantischen Schule" -

promoviert1. In diese Universitätsjähre fallen nun einige für sein weiteres Leben recht bedeutsame Ereignisse. Einmal die Entfremdung von seiner Kirche, die in der zweiten Freiburger und in der Münchener Zeit sichtbar wurde und etwa mit dem Auslaufen seines Albertus-Magnus-Stipendiums zusammenfiel. Diese Entwicklung hatte auch gewisse Differenzen mit den gutkatholischen Eltern zur Folge, insbesondere mit dem Vater, der in ernster Sorge dem Sohn Vorwürfe machte. Es ist diese Abkühlung des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn auch in den folgenden Tagebuchblättern deutlich zu spüren und wohl bis zum Tode des Vaters nicht völlig beseitigt worden. Ferner entwickelt der junge Goebbels in diesen Jahren gewisse literarische Oktober 1920 setzt er in einem Testament seinen Bruder als unveröffentlichten „literarischen Nachlaßverwalter" für seine Gedichte, Dramenentwürfe usw. ein!), während seine Anteilnahme an den umwälzenden politischen Ereignissen jener Zeit kaum über das bei der damaligen bürgerlich-akademischen Jugend übliche Maß an normaler nationaler Begeisterung wie Enttäuschung hinausgeht. Dagegen scheint bereits in der Heidelberger Zeit ein Stachel in seine Seele gesenkt worden zu sein, der spätere Entwicklungen begünstigen wird: eitel und gewöhnt, im geistigen Leben seiner jeweiligen Umgebung zu der Spitzengruppe zu gehören, scheitert Goebbels wohl bei dem Versuch, in den engeren

Ambitionen

(Ende





1 So nach der neuesten und zuverlässigsten Biographie von Manvell/Fraenkel. Abweichend davon folgen die Stationen bei Krause: Bonn, Freiburg, Würzburg, München, Heidelberg, Köln, Frankfurt, Berlin; bei Bade: Bonn, Freiburg, Würzburg, Heidelberg, Köln, Frankfurt, München; bei Lochner: Bonn, Freiburg, Würzburg, München, Köln, Frankfurt, Berlin, Heidelberg; bei Biess: Bonn, Freiburg, Heidelberg, Würzburg, Köln, Frankfurt, Berlin, Heidelberg, München, Heidelberg. Der junge Goebbels hat also seinen Biographen mit seinem häufigen Universitätswechsel einigen Kummer bereitet.

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den Heidelberger Literaturpapst Friedrich Gundolf einzudringen. Der Exponent des Stefan-George-Kreises fühlt sich durch das Auftreten des jungen Ehrgeizlings irgendwie abgestoßen. Gundolf aber mit richtigem Namen: Gundelfinger ist Jude. Aus der Studentenzeit rühren auch zwei menschliche Bindungen her, die Joseph Goebbels tief beeindrucken und noch Jahre danach in seinen Tagebuchblättern ihre Spuren hinterlassen. Es ist wohl in Freiburg gewesen, daß er unter den Einfluß eines jungen Mannes gerät, der bald sein Freund wird. Richard Flisges ist kein Student, er ist aus dem Kriege zurückgekommen, schwerverletzt und hochdekoriert, hat die Universität besuchen wollen, ist jedoch an der nachzuholenden Reifeprüfung gescheitert. Entweder schon früher, wahrscheinlicher aber durch diese wie er meint: unverdiente Deklassierung ist der junge Mensch zum Aufrührer gegen die herrschende gesellschaftliche Ordnung geworden, zum Pazifisten, zum Kommunisten, ja wohl auch zum Nihilisten. Der bisher weltanschaulich mehr oder weniger indifferente Student Goebbels gerät nun in den Sog mit Leidenschaft verfochtener und eindrucksvoll nahtlos aneinandergefügter Auffassungen. Der Freund führt ihn zu den Werken Dostojewskijs, zu Marx und Engels, zu Rathenau. Auch als Goebbels Monate darauf diese geistige Herrschaft abzuwerfen beginnt, als vermutlich sein Stolz ihn in eine nationale, kriegsbejahende Antithese zwingt, werden die Altäre dieser Freundschaft in Abhängigkeit nicht restlos verwüstet. Trotz der bald völligen Entfremdung bleibt Flisges ihm der Freund und wird erst recht als solcher verklärt, als im Juli 1925 in einem oberbayerischen Berger nun Bergarbeiter geworden werk ums Leben kommt. Und zurück bleiben bei Goebbels die anti-bourgeoisen, klassenkämpferischen Tendenzen, die der Opportunist zwar später zu tarnen lernt, die jedoch bis zum Ende latent sind: Jahre danach bedauert er in seinem Tagebuch den unsinnigen Kampf mit den gleichsam irrenden kommunistischen Brüdern, und 1944/45 gehört Goebbels zu den wenigen Prominenten, die in ihren Phantasiegebilden eine „Ostlösung" bei weitem einer „Westlösung" vorziehen würden. Und dann ist da schließlich noch Anka, die erste große Liebe von Joseph Goebbels, an der Spitze einer langen Reihe von Frauen, die den Weg durch das Leben dieses Erotomanen nahm. Denn Goebbels war stets ein vielbeschäftigter, seine Hemmungen mit Leidenschaft kompensierender Liebhaber. Auch hierbei wird gewiß seine körperliche Behinderung mitgespielt haben: wenigstens auf diesem Gebiet suchte er sich in hektischer Aktivität seiner Männlichkeit zu versichern. Anka stammte wohl nach Andeutungen in Goebbels' Tagebuch aus Itzehoe und war später in Recklinghausen beheimatet, von ihrem Beruf wird in den Biographien nichts gesagt (in Goebbels' „Michael" ist sie Studentin), ihr Name wird einmal mit Hellhorn, das andere Mal mit Stahlhern angegeben, was beides nicht mit Goebbels' eigener Niederschrift übereinstimmt. Jedenfalls soll sie schön und aus guter Familie gewesen sein und sich später, im Dritten Reich, ihres nun arrivierten Geliebten von einst erinnert haben. Die Romanze hat wohl im Sommer 1918 in Freiburg begonnen, hat sich jedenfalls über längere Zeit hingezogen und bis Kreis

um





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Einleitung

1922 gedauert1. Besonders die Würzburger Zeit scheint für Goebbels mit diesem Mädchen verbunden gewesen zu sein, wie die Erwähnungen noch in seinem späte-

Tagebuch zeigen. folgte Else, im Sinne der nachmaligen Nürnberger Gesetze eine „Halbjüdin" -, Höhepunkt und Ende dieser Liebesgeschichte sind ein Hauptthema der nachfolgenden Tagebuchblätter. Joseph Goebbels war nach Beendigung seines Studiums wieder nach Rheydt zurückgekehrt. Das Staatsexamen hat er offenbar nicht abgelegt; etwa Studienrat zu werden, wie es bei seinen Studienfächern nahegelegen hätte, kam für ihn nicht in Frage: seine Ambitionen lagen ren

Auf Anka

auf dem Gebiet der Schriftstellerei, vielleicht noch des Theaters. In dieser Zeit schreibt er denn auch seinen „Michael", den er Richard Flisges widmet, aus dessen Leben er einige Partien für seine „deutsche Schicksalsgestalt" entliehen hat; die zweite Hauptfigur ist neben einem Russen, der Jahre danach noch Adressat eines politischen Offenen Briefes ist Anka als Hertha Holk. Ullstein und Mosse bietet Goebbels das Werk an, die „jüdischen" Verlage schicken es zurück, ebenso wie „der Jude" Theodor Wolff eine Reihe Artikel, die Joseph Goebbels dem „Berliner Tageblatt" eingesandt hatte. So lebt der junge Mann im Hause seiner Eltern, beschäftigt mit dem Schreiben von Gedichten, Stücken, Aufsätzen, Artikeln, und sich daneben mit Nachhilfestunden und Buchführung etwas Geld verdienend. Sein Schulfreund Fritz Prang ist mit einer jungen Lehrerin, Alma mit Vornamen, befreundet (was Joseph Goebbels nicht hindern wird, auch diesem Mädchen näherzutreten). Durch Alma lernt er eine ihrer Kolleginnen kennen, eben jene Else, die in Duisburg zu Hause, aber an einer Schule in Rheydt beschäftigt ist, der gleichen übrigens, die Goebbels' Schwester Maria besucht. So findet Else Zugang zur Familie Goebbels, die beiden jungen Leute verlieben sich ineinander und bilden zusammen mit den zwei anderen ein unzertrennliches Gespann. Else ist es, die Goebbels eine feste Anstellung bei der Kölner Filiale der Dresdener Bank verschafft, wo er widerwillig ein Dreivierteljahr aushält. Dann besorgt ihm Fritz Prang eine andere Beschäftigung: Joseph Goebbels wird Kurs-Ausrufer an der Kölner Börse. Es scheint jetzt erwiesen zu sein, daß er sich in all den Jahren um Politik nicht groß gekümmert hat, vielleicht nicht einmal während des Ruhrkampfes gegen die französische Besatzung. Prang war schon 1922 der Hitlerpartei beigetreten, Goebbels jedoch gelangte zwar zu nationalem Pathos, ohne aber daran zu denken, sich irgendwo fest zu verpflichten. Die Bekehrung durch eine Rede Hitlers, die samt anschließendem Parteibeitritt 1922 in München stattgefunden haben soll, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso ein von Goebbels in die Welt gesetztes Märchen wie sein angeblicher Brief an den in Landsberg inhaftierten Hitler, seine Mitgliedsnummer 222 ist natürlich später irgendwie „erworben" worden. -

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1 So jedenfalls nach Manvell/Fraenkel. Nach der Tagebuch-Eintragung vom 16. April 1926 dürfte die Affäre freilich bereits im MünchenerWintersemester 1919/20 ein Ende gefunden haben. 2 So nach Personalakten im Document Center Berlin; bei seinen Biographen ist von einer die 8762 Rede. Mitgliedsnummer

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Einleitung Der

Weg, der Joseph Goebbels in die Politik führte, begann erst 1924. Der junge Mann ist damals ein eigenartig zwiespältiges Wesen. Heiterkeit und Aufgeschlossenheit auf der einen Seite wechseln ab mit tiefen Depressionen auf der anderen, die oft bis zu freigebig kolportierten Selbstmordabsichten reichen. Hauptsächliche Ursache solcher Verzweiflungsperioden ist wohl die berufliche Erfolglosigkeit, welche vor allem seine Familie verärgert. Haben sie dafür diesen einen Sohn studieren lassen, dafür alle die finanziellen Opfer gebracht, daß er nun seine Tage mit Nichtstun oder mehr oder weniger als Gelegenheitsarbeiter verbringt? Joseph Goebbels selbst jedoch denkt da anders, er sieht sich von der seinen Fähigkeiten adäquaten Tätigkeit ausgeschlossen, ausgeschlossen durch die Juden, die —

überall das Kulturleben beherrschen und nur „ihre Leute" hochkommen lassen. Im Januar 1924 unternimmt er noch einen letzten Versuch: er bewirbt sich bei der Redaktion des „Berliner Tageblattes". Man weist ihn ab. Das gleiche Fiasko erlebt er beim Theater. Durch Prang kommt er inzwischen mit völkischen und nationalsozialistischen Kreisen in Berührung, spricht auch als Diskussionsredner in der einen oder anderen Versammlung. Schließlich stellt ihn der Elberfelder deutschvölkische Politiker und preußische Landtagsabgeordnete Franz von Wiegershaus für 100 Mark im Monat als Sekretär an. Zu Goebbels' neuen Aufgaben gehört es nun auch, Reden für diese Partei zu halten und in der Redaktion des von Wiegershaus herausgegebenen Wochenblättchens, der „Völkischen Freiheit", mitzuwirken. Bei dieser Gelegenheit gewinnt er Ende 1924 Kontakt mit führenden westdeutschen Nationalsozialisten. Als nach Flitlers Entlassung aus Landsberg die NSDAP in den ersten Monaten 1925 neu entsteht, hat man Verwendung für den jungen Goebbels. Es bereitet keine Schwierigkeit, ihn gegen die Verdoppelung seines Salärs wegzuengagieren. Joseph Goebbels wird Geschäftsführer des Gaues Rheinland-Nord mit dem Sitz in Elberfeld, dortiger Gauleiter ist Karl Kaufmann. Daneben soll er noch eine Art Sekretärsfunktion bei dem nach Berlin übersiedelten nord- und westdeutschen Parteioberhaupt Gregor Strasser übernehmen, der seinen Privatsekretär, einen gewissen Pleinrich Himmler, in Landshut zurückgelassen hat. Und schließlich hat er bei der Edition einer Zeitschrift mitzuwirken, die Strasser herausgeben will und die das „geistige Führungsorgan" der Partei werden soll. Dies ist das Stadium des Goebbelsschen Lebenslaufes, in dem die erhalten gebliebenen Tagebucheintragungen einsetzen, welche die Geschichte der darauffolgenden Monate widerspiegeln. Welche Aufschlüsse geben nun diese Blätter im großen Rahmen für die politische Haltung und Entwicklung von Joseph Goebbels? Sie zeigen zunächst einmal in aller Deutlichkeit den Weg vom bloßen Parteimitglied zum bedingungslosen Anhänger Flitlers. Er, der anfänglich auf bestimmte politische Vorstellungen fixiert ist bzw. sich zumindest in diesem Lichte sehen will, der sich im Sog seiner westdeutschen Parteifreunde der Anti-München-Fronde anschließt und sich bis zu herbster Kritik am Parteiführer versteigt, er schlägt plötzlich in kritiklose Bewunderung und Gefolgschaft um. Es ist schwer zu sagen, welchen Anteil an diesem Damaskus die magische Faszinationskraft Flitlers ge-

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Einleitung

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habt hat und inwieweit opportunistische Kräfteberechnungen für den jungen Mann aus Rheydt den Ausschlag gaben. Daß beides im Spiel war, ist selbstverständlich. Dennoch dürften bei dem zwar leicht entflammbaren, im Innersten aber trotzdem kühl seinen eigenen Vorteil kalkulierenden Goebbels letztere Überlegungen wohl ausschlaggebend gewesen sein. Ob er sich allerdings damals schon klar war, daß er mit dieser Option seine einzige weltanschaulich-politische Konstante verriet, das muß dahingestellt bleiben. Das antikapitalistische Ressentiment des intellektuellen Kleinbürgers nämlich wenn auch in dieser Stärke vermutlich nicht älter als die schriftstellerischberuflichen Enttäuschungen der Jünglingsjahre ist bis zum Ende in ihm latent geblieben, und ob er dabei nun Völkischer oder auch Marxist, Nationalsozialist oder Bolschewist wurde, hat wirklich nur das Spiel des Zufalls entschieden. Darüberhinaus schließlich war er großzügig zum Verrat bereit, wenn es sich nur einigerdas begriff der kluge Krüppel sofort. Dies ist maßen lohnte. Und Hitler lohnte, die Zeit des Tagebuchs, und dies wird in ihm transparent. In den letzten Notizen von Ende Oktober 1926 wird noch die gerade gefallene Entscheidung erwähnt: Joseph Goebbels geht als Gauleiter nach Berlin. Allerdings klingt das großartiger als es ist, denn besonders stattlich ist die NSDAP in der Reichshauptstadt wahrhaftig noch nicht vertreten. „Das, was man damals in Berlin Partei nannte schrieb Goebbels wohl nicht zu Unrecht in seinem ,Kampf verdiente diesen Titel in keiner Weise. Es war ein wild durchum Berlin'1 einander gewirbelter Haufen von einigen hundert nationalsozialistisch denkenden Menschen ..." Joseph Goebbels wird nun von Hitler gewissermaßen als sein Mann, als Unparteiischer nach Berlin geschickt, nachdem sich dort die Politische Organisation unter den Brüdern Strasser und die SA unter dem nachmaligen Ordnungspolizei-Chef Kurt Daluege so weit verfeindet haben, daß sich die Spitzenchargen in „Führersitzungen" ohrfeigen. Hier in Berlin entbrennt dann der Kampf zwischen den Strassers und ihrem ehemaligen „jungen Mann", der plötzlich als Statthalter Hitlers im politischen Zentrum der „Linksabweichler" auftaucht, nachdem durch das radikal antikapitalistische, föderalistische und damit anti-münchnerische Auftreten der Nord- und Westdeutschen in den vergangenen Monaten eine Parteikrise hervorgerufen worden war, die mit Hitlers Sieg und einem Kotau der zähneknirschenden Gegenspieler geendet hat. Die im Anhang abgedruckten, aus dem Berliner Document Center stammenden Schriftstücke aus den Akten des Obersten Parteigerichts sowie Bruchstücke Goebbelsscher Personalakten sind recht instruktiv für die Art, wie sich Goebbels in der Berliner Parteiorganisation durchbeißen mußte und auch durchbiß. Zusammen mit dem Tagebuch des vorangegangenen Jahres ergeben sie ein abgerundetes Bild aus der politischen Frühzeit von Joseph Goebbels und sind sie insbesondere ein höchst aufschlußreicher Beitrag zu dem für die Frühgeschichte der Partei bedeutsamen Kapitel der Entwicklung und ständigen Verschlechterung des Verhältnisses zwi—

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1

23; vgl. auch die Dokumentation NSDAP", VfZ 1960, Heft 1. S.

von

Martin Broszat

„Die Anfänge

der Berliner

Einleitung sehen Goebbels und den Brüdern ändernde Gewichtsverteilung, den

NSDAP

Strasser,

15

das

politischen

symptomatisch ist für die sich Trend und den Charakter der

überhaupt.

Es wäre noch zu fragen, wie denn nun eigentlich der Mensch aussieht, der aus all diesen Dokumenten, insbesondere aus seinen eigenen Niederschriften, hervortritt. Es ist einer, der um sich zu schlagen versteht, einer, der nach oben will und bereit ist, dafür einen Preis zu zahlen, und sei es auch auf Kosten der Selbstachtung. Solche Opfer vermag er allerdings so zu verschleiern, daß sie ihm selbst kaum mehr auffallen. Insofern steUen seine Tagebuchnotizen keine Enthüllungen im stillen Kämmerlein dar, sondern lediglich eine Selbstdarstellung vor sich selbst. So wie er später Hitler, die Partei, das Beich „aufgebaut" hat, so baut er hier Joseph Goebbels für Joseph Goebbels auf. Echt ist wohl einzig und allein sein sanguinisches Hin- und Herflattern zwischen tiefster Depression und höchster Seligkeit, zwischen hemmungsloser Anbetung und ebenso hemmungsloser Bespeiung des eben noch Angebeteten. Alles übrige ist Theater: Joseph Goebbels in der Rolle von Joseph Goebbels. Auch wenn hier, in diese privaten Aufzeichnungen, mehr Persönliches einfließen mußte als in den späteren, gleichsam offiziösen Tagesbericht, so ist doch die innere Wahrhaftigkeit kaum größer. Es gibt in diesem Gruselstück eine Menge Schurken, aber nur einen makellosen Helden eben Joseph Goebbels. So darf man denn das, was hier zu lesen ist, nicht schlechthin für bare Münze nehmen, weil es doch „nicht für jemanden" geschrieben ist. Es ist „für jemanden" geschrieben, nämlich für den Schreiber selbst. Wer diese Seiten durchgelesen hat, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß Goebbels sich hier nach Strich und Faden belügt. Problematisch bleibt nur die Frage: Weiß er wohl selbst darum, daß er sich belügt? Oder ist für ihn die Lüge schon so mit der Wahrheit auswechselbar, daß er keine Trennungsmarkierung mehr auszumachen versteht? Mir scheint, das letztere ist der Fall. Man hat Goebbels später den größten Lügner genannt, hier entdecken wir sein erstes und wohl am schamlosesten belogenes Opfer. Es heißt: Joseph Goebbels. Trotz aller Stilisierungen und heroischen Verklemmungen aber ist das Ergebnis, das produzierte Selbstporträt, erschütternd. Wer von Goebbels nicht mehr als das Landläufige weiß, könnte in die Versuchung geraten, das Ganze für eine Mystifikation, für eine Fälschung zu halten. Man benötigt jedoch keine Aufzählung der zahllosen inhaltlichen Indizien für die Echtheit: dieses Dokument ist von Anfang bis Ende in Goebbels' charakteristischer Handschrift verfaßt und bedarf daher keines umständlichen Echtheitsbeweises. Der Verfasser ist Joseph Goebbels, dereinst „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda", damals noch ein reichlich haltloser, wendiger, mit Ellenbogengewalt aus seiner muffigen Kleinleuteatmosphäre nach oben drängender junger Mann. Ganz jung allerdings nun auch wieder nicht, immerhin 28 Jahre alt und nicht etwa 18, wie so manches romantische Geschwafel und so manche pubertären Uberschwenglichkeiten dies eigentlich nahelegen würden. Neben dem bombastischen —





Einleitung

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Schwulst (eine „grauenvolle Nacht" etwa ist nichts anderes als eine, die der Schreiber auf der Bahn verbracht hat) ist daher der Eindruck der Unreife das hervorstechendste Charakteristikum dieser Reflexionen. Die Unbekümmertheit, mit der dieser späte Jüngling seine Urteile aus dem Überschwang des Moments heraus postuliert und sie gegebenenfalls am Tage darauf wieder verwirft, ist verblüffend. Dies gilt für den privaten wie für den immer größeren Umfang annehmenden politischen Bereich. Wie oft findet sich z. B. für Kaufmann, für Strasser, für Hitler die bei einem derartigen Verhältnis etwas merkwürdige und doch für Goebbels typische Formel: Ich liebe ihn. Was aber hat er manchmal unmittelbar daneben und danach nicht alles auszusetzen und zu tadeln! Und so ergießen sich denn über Freund und Feind leidenschaftliche Wogen von Liebe und Haß, wobei der Parteigenosse von diesen emotionalen Wechselbädern ebensowenig verschont bleibt wie die Freundin. Mit derselben leichten Hand, mit der er den Kameraden verrät, betrügt er auch die Geliebte. Und bemitleidet in jedem Falle sich selbst auf beinahe unerträgliche Weise als das eigentliche Opfer. Auf eine eingehende Analyse dieser Aufzeichnungen kann verzichtet werden, da sie ja im folgenden für sich selbst sprechen. Hingewiesen werden soll nur noch auf die vor allem nach dem Kriege entdeckte negative Gloriole des Unheimlichen um diesen Mann Goebbels. Sie blättert im Verlauf der 192 Tagebuchseiten ziemlich ab. Der hier schreibt, ist wahrhaftig kein Dämon, zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sondern nur ein kleiner Ehrgeizling, ein Intrigant, der zwar vielleicht aber ohne souveräne sich und seine „Überzeugungen" meistbietend verkauft, was er anderen vorzu selbst nur zu dem müssen, Preis, jeweils glauben Haltung, macht. Diesen Glauben freilich verabfolgt er nicht nur den anderen, sondern mehr noch sich seihst in einer sentimental-gefühlvollen Zubereitung, die offenbar in den Kreisen seiner politischen Freunde zumindest ihre Resonanz fand. Das Bild der sich gegenseitig mit „roten, roten Rosen"-Sträußen zu Tränen rührenden braunen Parteigrößen wäre von bezwingender Komik, wenn solche Gefühlsseligkeit nicht damals wie später auf so paradoxe Weise mit ihren Untaten harmoniert hätte. In der süßlichen Kehrseite der Brutalität, die ein besonderes Kennzeichen jenes so laut dröhnenden braunen Männerbundes überhaupt zu sein scheint, erinnert das Tagebuch dieses Joseph Goebbels auf fatale Weise an die kürzlich erschienene Autobiographie des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, obgleich es sich doch um zwei in Wesen, Intelligenz und Tätigkeit allem Anschein nach grundverschiedene Personen handelt. „Bürger" oder noch giftiger „Bourgeois lautet das vernichtendste und verächtlichste Schimpfwort, das Goebbels für andere parat hält. Und dabei entlarvt er sich doch selbst unwillentlich als einer in einer Schar kleinbürgerlicher Amokläufer, die im Zertrümmern aufzuheben vermeinen, was sie unentrinnbar sind und bleiben. Die zur gleichen Zeit den barbarischen Kult einer neuen, mitleidlosen Härte predigen, während sie genüßlich und zugleich wehleidig mit sich selbst ihre Seelenkümmernisse zerfasern. „Wie grausam sie doch sind!", werden dereinst ihre Opfer stöhnen, während sie -

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"

Einleitung

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der neue Übermensch würde lachen. Aber dieser lacht nicht. „Wie grausam ist doch diese Welt!", stöhnt auch Joseph Goebbels, wenn er und das kommt oft vor schlecht geschlafen hat. So löst sich denn der Nimbus des Grausig-Großen, des Gigantischen im Negativen, den unsere Zeit so gern um die Gorgonenhäupter dieser Menschenverächter entdeckt, in Nichts auf. Und dann sind sie, dann ist auch dieser Joseph Goebbels nicht mehr, was er anbetet und zu sein vorgibt, keine Spur mehr von Attila oder Dschingis-Khan, sondern dann ist er nur noch, was allein er wirklich ist: ein von Selbstmitleid und zerfließendem Weltschmerz zernagter Kleinbürger, der nachts schlecht schläft. *

glauben,

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*

Nach

abgeschlossener Drucklegung erscheint soeben die deutsche Ausgabe der GoebbelsBiographie von Manvell/Fraenkel, in der das Tagebuch von 1925/26 umfangreich zitiert wird. Da dem Leser, der jene Ausgabe mit dem hier vorliegenden Text vergleicht, manches befremdlich erscheinen muß, legt der Herausgeber Wert auf folgende Feststellung: Im nachfolgenden Text ist außer an den durch Lücken gleichen Ausmaßes angezeigten unleserlichen oder zerstörten Stellen kein Satz und kein Wort verändert oder weggelassen worden. Hingegen befinden sich in den „Zitaten" Manvell/Fraenkels neben zahlreichen Lesefehlern und neben ebenso häufigen, offenbar durch Rückübersetzung aus dem Englischen entstandenen Umstellungen eine ganze Reihe von Satzteilen und Sätzen, die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt oder verändert sind. 2

DAS TAGEBUCH VON 1925/26

12. August 1925. Gestern abend in Bochum mit

Elberfeld,

Bombenerfolg in einer großen Massenversammlung gesprochen. Schneidige Sturmabteilungen, viel Begeisterung und noch mehr redliches Wollen. Würde alles dies nur mehr in die praktische Arbeit umgesetzt. Ich habe mit den Elberfeldern unendlich viel Ärger und Sorge. Gleich werde ich Kaufmann ernsthaft meine Meinung sagen. Elbrechter1 kommt aus Bayern zurück. Er bringt von Straßer viel Neues. Straßer hatte Ripke2 von Anfang an richtig eingeschätzt. Daher kommt ihm diese Entwicklung nicht überraschend. Ich habe eine Müdigkeit in den Gliedern wie nie zuvor. Natürlich wieder eine Nacht um die Ohren geschlagen. Und jetzt sitze ich da wie angespuckt. Fräulein Hein3 ist auch noch immer da und langweilt sich und mich. Ein grauenhafter Blaustrumpf. Das ganze Weib Schnauze. Wie kann man nur. Ich warte krampfhaft auf ein Lebens-

zeichen von Elslein. Warum schreibt das Kind nicht? Und weiß doch wie ich warte. Ich freue mich darauf, sie am Ende der Ferien irgendwo in einem Kaff am Rhein abholen zu dürfen und ein paar schöne Sommertage mit ihr zu verleben. Wie grauenhaft: bin ich drei Tage mit einem Menschen dauernd zusammen, dann mag ich ihn nicht mehr, und gar eine ganze Woche, dann hasse ich ihn wie die Pest. Heute abend nach Velbert zu Vater Hohagen: Brechreiz! Punktum. Ich bin gestorben und längst begraben! Schlafen, schlafen! Wann werde ich einmal Ruhe finden?! 14.

August

1925. Alma schreibt mir eine Karte aus Bad Harzburg. Das erste Zeichen nach jener Nacht. Diese neckische, entzückende Alma. Ich habe dieses Menschenkind ganz gerne. Von Else den ersten Brief aus der Schweiz. So kann nur Elslein schreiben. Fräulein Hein ist abgedampft. Gottlob! Ich hatte zuletzt eine ganz gesunde Wut auf sie. Dieser ekelhafte Blaustrumpf. Mit den dummen Großmannsallüren. Buh. Pfui Teufel. Geld, Geld, Geld! Ich bin wieder schwer in Druck. Es ist zum Kotzen! Herr Hess4 aus Düsseldorf arbeitet fleißig mit. Ein guter Kerl. Ist noch nicht Dr. Helmuth Elbrechter, ein Zahnarzt und Bekannter Kaufmanns, der in der Gauführung Rheinland-Nord eine Rolle spielte. 2 Nicht ermittelt. Die von Goebbels erwähnten Personen konnten in der Regel nur identifiziert werden, sofern sie in der zeitgenössischen Parteipresse genannt wurden bzw. damals oder später höhere Parteifunktionen innehatten. 3 Eine Parteigenossin aus Pommern, die auf einer Ferienreise im Rheinland und in Bayern Eindrücke über den Stand der Bewegung sammelte (VB v. 1. 10. 25). 4 Willi Heß, ein Düsseldorfer Pg., damals Mitarbeiter der Elberfelder Gauleitung. 1

Das

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Tagebuch von 1925j26

durchgebrochen. Mitte nächster Woche mache ich für

14 Tage Pause. Wie ich mich darauf freue. Und dann in die Welt, die Freiheit hinaus. Dann endlich wieder zum Lesen und Schreiben. Für ein paar Tage werde ich nach Hause fahren. Mit Elsbeth1 und Benno2 spielen. Und dann an den Rhein, eine Woche allein, dann kommt Else mich abholen. Wie ich mich auf diese Tage freue. Ich bin innerlich so müde und so gebrochen. Ich habe Ruhe und Einsamkeit nötig wie das tägliche Brot. Es schleicht um mich die Sorge und der Pessimismus. Ich muß den Glauben hochhalten. Wann werden wir erlöst werden? Wird die Erlösung auch uns erlösen? Oder werden wir dann unsere Kleinheit und Beschränktheit ganz erkennen! Gedanken gehen auf und ab in Herz und Hirn! Wie wund ist meine Seele!

15. August 1925. Gestern in Friemersheim schwere Kämpfe ausgefochten. Zwischen Freiheitspartei3 und Nationalsozialisten. Jetzt haben wir die Herrschaften beinahe so weit. Nach Hause mußte ich um Geld telegraphieren. Ob sie mir helfen können? Arbeit in Hülle und Fülle. Herr Heß ficht schwere Kämpfe aus zwischen Idee und Elternhaus. Die alte entsetzliche Frage: wen liebe ich mehr: den Nächsten oder die Nächsten! Ich denke in diesen Tagen so oft an Anka. Warum gerade jetzt? Weil Reisezeit ist? Wie wundervoll konnte man mit ihr reisen! Dieses prächtige Frauenzimmer! Ich habe Sehnsucht nach Elslein! Wann werde ich Dich wieder in meinen Armen haben? Ich fahre heute morgen von Düsseldorf bis hier mit der alten Dame von PIeß im selben Abteil, ohne daß wir uns kennen. Ich fühle mich sehr elend und krank. Es wird die höchste Zeit, daß ich ausspanne. So geht das nicht weiter. Ich kann mich nicht mutwillig ruinieren! Draußen klappert die Maschine. Meister König, der Chef des Bureaus, ist bei der Arbeit. Ich kann ihn gut gebrauchen. Er ist fleißig, schweigsam und zuverlässig. Elslein, wann sehe ich Dich wieder? Alma, Du leichte, liebe Pflanze! Anka, ich werde Dich nie vergessen! Und doch bin ich jetzt mutterseelenallein! 16. August 1925. Ein stiller Sonntagnachmittag. Ich sitze allein auf der Geschäftsstelle und habe Zeit und Muße zum Nachdenken. Gestern kommt von Hause ein Telegramm mit 150 M. Die Guten. Helfen immer in der Not. Nun bin ich vorläufig aus der Schuldenlast heraus. Ich weiß nicht, ob ich das von zu Plause verdient habe. Ich denke den ganzen Tag an Elsekind und freue mich darauf, sie wiederzusehen. Ob ich in dieser Woche noch in Ferien komme? Am nächsten Samstag soll das E. G.4 gegen 1

Vermutlich eine Tochter des Bruders Konrad G. Der Schäferhund der Familie Goebbels. 3 Die 1922 von den Deutschnationalen abgesplitterte Deutschvölkische Freiheitspartei, die 1924 nach dem NSDAP-Verbot und der Aufnahme eines Teils der Nationalsozialisten vorübergehend „Nationalsozialistische Freiheitspartei" hieß. Nach Hitlers Bückkehr aus Landsberg hatten sich im Februar 1923 Völkische und Nationalsozialisten wieder getrennt. 4 Vermutlich Ehrengericht. 2

Das

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9A

Ripke steigen. Dann kann ich auch schon wieder nicht weg. Im September beginnt die große Arbeit. Bis dahin muß ich ausgeruht sein. Heute abend will Kaufmann mir wichtige Mitteilungen machen. Ich bin gespannt. Dieser beglückend stille und langweilige Nachmittag. Endlich einmal allein. Herr Hess ist noch hier. Aus Furcht vor den Franzosen1. Und etwas Angstmeierei! Else! Wann sehe ich Dich wieder! Ich kann nicht mehr faulenzen wie früher. Wie viel stiller und ernster ich hier geworden bin. Ich sehe zuviele menschliche Unzulänglichkeiten. Der Mensch ist und bleibt ein Tierchen. Hier Raubtier, dort Haustier! Mit niederen und höheren Instinkten! Mit Liebe und Haß! Aber Tier bleibt er immer!

August 1925. Von Else einen meterlangen Brief. Sie schwärmt wie ein Backfisch von den Schönheiten der Schweiz. Ich gönne es ihr von Herzen. Sie ist doch noch so gut und harmlos. Aus Bochum von einem mir unbekannten Mann einen Lobeshymnus auf meine Rede am Schlagetertag. Die scheint doch sehr gezogen zu haben. Gestern abend mit Kaufmann im Millowitsch-Volkstheater. Wir haben uns bald tot gelacht. Wie rührend und gut, und dabei wie treffend das Volk in seinen Schöpfungen ist. Kaufmann ist ein guter Kerl. Ich will sein Freund sein! Wann sehe ich Elslein wieder? Ich sehne mich nach ihr. 17.

19.

August 1925. Morgen kommt

Straßer nach Elberfeld. Ich hoffe, daß dann mit einem Schlage die ganze verfahrene Situation hier geklärt wird. Ripke ist erledigt. So können wir an die neue Arbeit gehen. Von Else noch keine Nachricht mehr. Ich freue mich auf den Schluß der Ferien mit ihr. Da werden wir uns wieder einmal als alte Freunde und Kameraden finden. Der Beobachter weiß viel Lobenswertes von meinen Vorträgen zu erzählen2. Sonst politisch und geistig flaue Zeit. Wir warten mit Spannung auf Herbst und Winter. Dann beginnt wieder eine Etappe des

großen Endkampfes.

21.

August

1925.

Gestern war Straßer den ganzen Nachmittag hier. Ein prächtiger Kerl. Bajuwarisch massiv. Mit einem wundervollen Humor. Erzählte viel Trauriges von München. Von dieser Sau- und Luderwirtschaft in der Zentrale. Hitler ist von falschen Leuten umgeben. Ich glaube, Hermann Esser3 ist sein Verhängnis. Wir fassen 1

Düsseldorf wurde

erst

11

Tage darauf,

am

25.

August 1925,

von

den Franzosen wieder

geräumt. 2

Der VB hatte in der Spalte „Aus der Bewegung" am 12. 8. 25 sieben Zeilen über G.'s in Arnsberg gebracht, am 14. 8. 25 in vierzehn Zeilen über einen Vorden Dr. G. „in bekannter Meisterschaft" gehalten hatte. An jenem in Essen berichtet, trag 19. 8. 25 schilderten elf Zeilen, wie G. am 5. August in Krefeld „die Mitglieder begeisterte" und „die Gäste packte". 3 Hermann Esser, Pg. Nr. 2 und ein befähigter Redner mit allerdings etwas zweifelhaftem Privatleben, gehörte in den Anfangsjahren der Bewegung zu deren markantesten Persönlich-

„vorzüglichen Vortrag"

22

Das

Tagebuch von 192J/26

mit Straßer den gesamten Westen organisatorisch zusammen. Anfang September finden die grundlegenden Verhandlungen statt. Wir gehen bis einschließlich Hannover und Göttingen hinauf. Der „Westblock" gibt die nat. soz. Briefe heraus, die von Straßer herausgegeben und von mir redigiert werden. Damit werden wir ein Kampfmittel gegen die verkalkten Bonzen in München haben. Wir werden uns schon bei Hitler durchsetzen. Straßer hat Initiative. Mit ihm kann man arbeiten. Und dabei ein prachtvoller Charakter. Er hat viel von Anka etc. gesprochen, das man besser schriftlich nicht wiederholt. Am Abend mit Lutze1 und Bruck nach Hattingen. Dort die alten lieben Freunde: Stürtz2, Etterich usw. Ich habe wie immer in Hattingen in alter Form gesprochen. Erschütternd war, daß ein Großindustrieller, wie Direktor Arnold3, mir in allem recht geben mußte. Ein wirklich guter Abend. Dann die obligate Nachsitzung. Mit Wein und Krakehl. Ich schätze das nicht besonders. Aber man muß es hin und wieder mitmachen, um die Leute in vino kennen zu lernen. Heute beginne ich meine Ferien. Gleich geht's nach Hause. Sonntag noch einmal (an den Rhein)4 nach Essen, Montag Elberfeld, nachmittags an den Rhein. Oberdollendorf. Wo ich damals mit Else war. Da bleibe ich etwa acht Tage. Und in den letzten Tagen kommt dann Else dazu. Ich freue mich wie in der Jugendzeit. Wie Kinder sich freuen. nun

24. August 1925. Zu Hause. Viel Liebe und Sorge. Zu Hause bin ich zu Hause. Vater ist ein guter Kerl. Meine Mutter ist die beste Mutter in der Welt. Elsbeth ist ein liebes Kind geworden. Benno ist schon groß. Ein wunderbares Tier. Sonntag morgen nach Essen. Unsere Sturm-Abteilungen haben ihren großen Tag. Morgens Marsch durch die Straßen. Bauschen5 spricht am Bismarckdenkmal. Gut. Viel Volk. Helle Begeisterung. Und dann wird der alte Parademarsch gekloppt. Lutze ist ein Gentleman. Mittagserbsensuppe! Gut und viel Spaß. Dann im Lastauto zum großen keiten. Während Hitlers Festungshaft war er nicht wie Gregor Strasser u. a. die Verbindung mit den Völkischen eingegangen, sondern hatte zusammen mit Julius Streicher und Artur Dinter eine eigene Partei, die „Großdeutsche Volksgemeinschaft", gegründet. Später wurde E. kaltgestellt; im Dritten Reich diente er als kaum beachteter Staatssekretär für den Fremdenverkehr in Goebbels' Promi. 1 Viktor Lutze, der spätere Stabschef der SA, damals Gau-SA-Führer an der Ruhr. 2 Emil Stürtz, Hilfsarbeiter und Kraftwagenfahrer, damals Presse- und Propagandaleiter der Ortsgruppe Hattingen. Später wurde St. stv. Gauleiter von Westfalen-Süd (1930) sowie Gauleiter der Kurmark (1936) und Oberpräsident von Brandenburg. 3 Ein wohl ortsansässiger Nationalsozialist, der nach Goebbels auf der Versammlung in Hattingen sprach und die Ausführungen von G. über die „Lösung der sozialen Frage" unterstrich und an Hand des Stinnes-Krachs belegte (VB v. 3. 9. 25). Vielleicht handelte es sich um Dr.-Ing. Robert Karl Arnhold, Ingenieur und Weltkriegsoffizier, Ruhrkämpfer (1923 von den Franzosen wegen Sabotage verurteilt), damals Direktor des „Deutschen Instituts für technische Arbeitsschulung". 4 Von G. offenbar nachträglich in Klammern gesetzt. Eine der seltenen Korrekturen. 5 Heinrich Bauschen, NSDAP-Ortsgruppenleiter von Duisburg; im Oktober 1928 von politischen Gegnern ermordet.

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Saalbau. Gerammelt voll. An die 3000 Menschen. Viel Schwung und Stoßkraft. Dr. Dinter1 ist ausgeblieben. Also muß ich einspringen. Mit einem Sturm von Beifall werde ich empfangen. Und dann rede ich. Eine halbe Stunde. Und wachse vor diesen lautlos stillen Menschen in die Begeisterung hinein und begeistere die anderen mit. Ein Sturm des Beifalls ist das Ende. Man umringt mich von allen Seiten. Im Lastauto mit dem Falkenzug2 nach Hause. Diese Falken sind ordentliche Kerle. Ich habe sie sehr gerne. Durch eine schwarze Nacht im Jubel durch die Städte. Elberfeld. Wieder einmal totmüde ins Bett. Heute Montag. Jetzt wird aber endgültig mit den Ferien begonnen. Heute mittag nach Cöln. Von dort nach Oberdollendorf. Dort erwarte ich die Ankunft von Else. Ich freue mich sehr. Endlich in ein otium cum dignitate. Gottseidank. 27. August 1925. Drei Tage am Rhein. Ich faulenze, spaziere und schlafe. Jetzt merke ich erst, wie herunter ich bin. Grauenhaft. Ich habe mit meinem Leichnam Raubbau getrieben. So geht das nimmer. Am Tisch wird viel politisiert, und ich bleibe immer Sieger. Wie stark der Mensch ist, wenn er weiß, was er will. Von Else kein Wort. Hat sie meine Karte nicht erhalten, oder ist sie böse. Und ich habe so große Sehnsucht nach ihr. Ich wohne im selben Zimmer, wie damals Pfingsten mit ihr. Welche Gedanken, welche Gefühle! Warum kommt sie nicht? Ich stehe am Rhein und warte auf Dich. Komm, o komm, du Gütige, und segne mich! 29. August 1925. Nun schon fast eine ganze Woche in Oberdollendorf. Wie wohl mir diese Ruhe tut. Ich bin wie neugeboren. Schlafen, schlafen, schlafen. Abends lese ich zuweilen. Wundervoll Hitlers Buch3. Soviel an politischem Instinkt. Ich bin ganz begeistert. Else schreibt und telegraphiert mir: kann nicht dort sein, komme Dienstag nach Elberfeld. Welch eine Enttäuschung. Nun muß ich also ohne sie abfahren. Morgen, Sonntag, schlägt die Abschiedsstunde. Halb Freude, halb Leid. Die Arbeit lockt wieder. Auch freue ich mich auf Kaufmann. Doch ist es auch schön, ohne jede Sorge am Rhein herumzubummeln. Ich las Ricarda Huchs „Das Leben des hl. Wonnebald Pück". Ein köstliches Buch. Man sollte kaum glauben, daß das eine Frau geschrieben habe. So voll Grazie, Witz und Ironie. Ein männlicher Sarkasmus. Ich habe einen ganzen Abend durchgelesen. An meinem Tisch sitzt ein Oberlehrer, ein sogenannter Intelligenzler. Ich gebe mir mit Leidenscha.it und Eifer Mühe, ihm klarzumachen, daß er ein elender Schleimer und Spießer ist. Sonst politisiere ich nicht. Halte mich aus allem heraus. Freue mich aber doch wieder auf den bal1 Dr. Artur Dinter, Lehrer, Regisseur und antisemitisch-völkischer Schriftsteller („Die Sünde wider das Blut"), damals (bis Ende 1927) NSDAP-Gauleiter von Thüringen. 2 Wohl eine Abteilung des völkisch-rechtsradikalen, den Nationalsozialisten nahestehenden Jugendwanderer-Bundes „Adler und Falken", wobei als „Falken" die 18—27-jährigen bezeichnet wurden. 3 Der erste Band von „Mein Kampf" war Ende Juli 1925 erschienen.

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digen Beginn der Arbeit. Die Arbeit im Dienste einer Idee hält uns wie ein Segen und ein Fluch. Ich kann nicht mehr anders. Das sehe ich jetzt klar: ich muß dienen und opfern. Am Dienstag kommt Else nach Elberfeld. Die Freude um ein Wiedersehen ist nicht ungetrübt. Warum läßt sie mich hier in der Sehnsucht und Not warten? Eisens Liebe fehlt der letzte Opfergeist. Sie liebt, soweit es der Gesundheit nicht schädlich ist. Eine große Liebe: Ich könnte und wollte dafür mein Leben lassen. Trostlos arme und erbärmliche Welt. Wir Menschen sind Feiglinge und Laumänner. Und doch ist das Leben groß. Und doch ist auch heute eine Lust zu leben! 30. August 1925. Wieder in Elberfeld. Zu Hause, hätte ich beinahe gesagt. So ist mir dieses Elberfeld ans Herz gewachsen. Berge voll Arbeit. Heute ist Sonntag. Ich möchte am liebsten gleich anfangen. Ich bekomme eine Einladung, in Recklinghausen zu sprechen. Wie eigenartig mich das berührt. Ich möchte einmal sprechen, wenn ich wüßte, daß Anka unter den Zuhörern säße. Gleich will ich Kaufmann suchen. Ich freue mich auf ihn. Und morgen endgültig an die Arbeit. Dienstag kommt Else. Seliges Erwarten I 31. August 1925. Haufen und Berge Arbeit. Aber viel Freude. Es geht voran. Ich habe mir unseren S.A. Führer Lutze zum Freund gemacht. Ein prächtiger Kerl. Von Else noch kein Wort. Ich erwarte Sie mit Sehnsucht und Schmerzen. Meine Zimmer sind mir gekündigt worden. Verdammter Dreck. Wieder an die Arbeit. Wann wird Else da sein?! 3.

August1 1925. Else ist da. Dienstag kommt sie angejubelt aus der Schweiz, dick, prall, gesund, fröhlich, braun gebrannt. Freut sich sehr und ist guter Dinge. Sie ist gut zu mir und macht mir Freude. Den ganzen Tag sitzt sie um mich herum und erzählt und schwärmt von der Schweiz. Und ich schaue sie dabei an, und es kommt mir schmerzhaft in den Sinn, daß wir so unendlich weit auseinandergekommen sind. Warum? Warum dies alles? Warum muß ich zugrunde gehen, und warum kann Else nicht mit mir opfern? Welch eine entsetzliche Tragik! Wie furchtbar lastet das alles in diesen Tagen bei mir. Gestern waren wir alle in Düsseldorf zum ersten Sprechabend2. Else mit. Großer Besuch. 360 Anwesende. Ich habe gut gesprochen. Am Ende einen Deutschnationalen mit Glanz abgeseift3. Der Erfolg war 50 Neu1

Lies: September. Damals allgemein gebräuchliche Bezeichnung der routinemäßigen, meist allwöchentlichen Ortsgruppen Versammlungen. Hier handelte es sich um die erste derartige Veranstaltung in Düsseldorf. 3 Dazu schrieb der VB in seiner Notiz vom 15. 9. 25: „Ein Deutschnationaler versuchte in der Diskussion Opposition zu machen. Die Zeilen, die ihm Dr. Goebbels ins Stammbuch als Antwort schrieb, wird er so schnell nicht vergessen." G. hatte über „Wesen und Ziele des Nationalsozialismus " gesprochen. 2

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aufnahmen. Der Abend war ganz und vollständig. Nur Hess fehlte. Hat gekniffen. Zu Hause Schweinerei. Der arme Bürgersohn. Welche innere Feigheit. Entsetzlich! Den ganzen Tag sitzt die Geschäftsstelle voll von Leuten, und ich komme und komme nicht zur Arbeit. Heute abend geht's nach Hamborn, morgen nach Essen. Ich habe keine Zeit, einen versprochenen Aufsatz zu schreiben. So geht's einen Tag wie den anderen! Keine Ruhe, keine Rast! Ich schreibe in dieses Buch, und um mich herum stehen Leute um Leute. Else kein Geld. Auch dort wieder Sorge und Bedrängnis. Es gießt vom Himmel herab. Grau in Grau. O, diese entsetzliche Welt! Auf nach Hamborn. Ich treibe Schindluder mit mir selbst! Wann werde ich armer Teufel erlöst!

August1 1925. Else ist fort. Regen und grau. Trostlose Einsamkeit. Ich stehe vor der Verzweiflung. Die Arbeit bricht mir über dem Kopf zusammen. Ich weiß nicht mehr aus noch ein. Ich habe mir zuviel zugemutet. Auch wieder Geldsorgen. Wie komme ich da heraus. Viel Pläne. Niemand hilft. Ich muß alles allein machen. Grauenhafte Verlassenheit! Mutter, hilf mir! Ich kann nicht mehr! 4.

August1 1925. Gestern abend in Essen. Heute müde zurück. Den ganzen Tag Arbeit in rauhen Mengen. Heute abend mit dem Auto nach Hammerthal. Da wieder quatschen. Das Finanzamt schickt mir einen Steuerzettel von 150 M, in einer Woche zahlbar. O, sancta simplicitas. Denen hab ich einen Brief hingeschickt. Ich bin krank. Seelenwund. Abgekämpft. Ich müßte jetzt ein Jahr in die Berge! Ob ich da Ruhe finden könnte?! Ich will schlafen! Meinetwegen ohne Aufwachen! 5.

1925. Gestern den Sonntag wie gewöhnlich verschlafen. Eisgraue Tage. Es regnet und es beginnt kalt zu werden. Der Herbst fängt an. Graue Trostlosigkeit. Samstag im Auto nach Hammerthal. Wieder die ganze Nacht gewacht. Ich muß mehr auf meine Gesundheit aufpassen. Else sehe ich Mittwoch wieder. Dann fahre ich nach Rheydt. Donnerstag in Hagen große Zusammenkunft zwecks Gründung einer westdeutschen Arbeitsgemeinschaft. Der Beobachter gibt wieder eine neue Propagandanummer heraus. Ich soll einen Aufsatz dazu schreiben „Pressekanaillen links und rechts"2. Gleich geht's sofort daran. Jetzt bin ich mit Kaufmann Freund auf Du und Du. Ich habe ihn sehr lieb. Auf der Suche nach einer neuen Wohnung. Wird schwer halten. Verdammte spießige Arbeit! Die Bewegung beginnt kleine 7.

September

1

Lies: September. Die „Sondernummer gegen die jüdisch-marxistische Pressecanaille" erschien dann am 17. 9. 25 mit Goebbels' Beitrag in Form eines Briefes an einen „sehr geehrten Herrn Oberlehrer" auf Seite 3 unterm Strich. Dieser Oberlehrer, „geistiger Hüter einer alten, überlebten Zeit", war also keine literarische Erfindung, sondern existierte tatsächlich (vgl. Eintragung v. 29. 8. 25), nur machte G. ihn zu seinem ehemaligen Lehrer. 2



Das

26

Tagebuch von 192J/26

Schritte zum Erfolg zu machen. Im Winter stehen uns harte Kämpfe bevor. Aber auch Erfolge. Manchmal wird mir speiübel. Dann möchte ich den ganzen Kram in die Ecke werfen. Aber dann mahnt wieder das Gewissen, und dann geht's wieder an die harte Arbeit. Heute abend bei Dr. Elbrechter. Beratung für Donnerstag in Hagen. Ich freue mich auf Else, Mutter, Maria1, zu Hause, Vater, Elsbeth und Benno. Das Tier muß ich nach hier nehmen. Daß ich immer einen Freund um mich habe! -

9.

September 1925. Eine tolle Hätz und

nach

Aufregung. Hitler will nicht kommen. Brandbriefe. Morgen Hagen. Gründung des Westblocks. Sehr wichtig. Heute nachmittag nach

Rheydt. Eislein erwartet mich. Gestern abend zu Hause. Gelesen und musiziert. Wie wohl so ein Abend zu Hause tut. Ich war ein neuer Mensch. Ich habe Sehnsucht nach einer Heimat. „Bald wird es schnein, Weh dem, der keine Heimat hat!" 11. September 1925. Mittwoch in Rheydt. Else lieb und voll Güte. Sie macht mir Freude, wo sie kann. Mutter und Maria sorgen rührend um mich. Vater ist ernst und schweigsam. Das bedrückt mich sehr. Abends sogenannte Versammlung. Grauenhafte Spießer! Zum letzten Mal bei diesen Feiglingen. Gestern Hagen. Straßer nicht da. Mutter schwer krank. Wir haben alles durchgesetzt. Die ganzen Gaue Nord- und Westdeutschlands werden zusammengeschlossen. Einheitliche Führung. (Straßer)2 Einheitliche Geschäftsstelle (Elberfeld.) Einheitliche Geschäftsführung (moi) Herausgabe einer alle 14 Tage erscheinenden Information (Nat.soz. Briefe, Herausgeber Straßer, Schriftleiter moi). Alles also, wie wir es wollten. Alle waren sehr einverstanden. Nur Dr. Ley, Coin3 fühlte Beruf, zu stänkern. Wurde nachher sehr klein. Prof. Vahlen,4 Lohse, Altona5 und Hauptmann von Pfeffer6 waren ganz begeistert. Haase Göttingen7 und Fobke Göttingen8 sind ordentliche Kerle. Ich werde nächste 1 Goebbels' 12 Jahre jüngere Schwester, die später den Filmproduzenten Axel Kimmich heiratete. 2 Eine Interpunktions-Eigenheit von Goebbels, die unten noch mehrfach auftritt. Korrekt es natürlich heißen: müßte Führung (Straßer). 3 Dr. Robert Ley, Nahrungsmittelchemiker, Gauleiter von Rheinland-Süd, der spätere Reichsorganisationsleiter (1932) und DAF-Chef (1933). 4 Dr. Theodor Vahlen, Gauleiter von Pommern, ord. Professor an der Universität Greifswald, 1927 dienstentlassen wegen Entfernung der Reichsfahne vom Universitätsgebäude als Rektor am 11.8. 24, im Dritten Reich Amtschef Wissenschaft im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und später (1939) Präsident der Preuß. Akademie der Wissenschaften. 6 Lies: Lohse Altona. Hinrich Lohse, kfm. Angestellter, Gauleiter von SchleswigHolstein, im Zweiten Weltkrieg (1941) Reichskommissar für das Ostland. 6 Franz v. Pfeffer, ehem. aktiver Offizier und Freikorpsführer, seit 1924 Gauleiter von Westfalen, der spätere (1926—30) „Osaf" (Oberster SA-Führer; vgl. Eintragung v. 30. 7. 26). 7 Ludolf Haase, der damalige Gauleiter von Hannover-Süd. 8 Hermann Fobke, Göttinger Nationalsozialist und Vertreter Haases, 1924 Mithäftling Hitlers und vergeblicher juristischer Doktorand in Landsberg. (Vgl. Hans Kallenbach: Mit Adolf Hitler auf Festung Landsberg, München 1933, S. 122ff.) .

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Woche in Göttingen sprechen. Ebenso in Hannover. Prof. Vahlen fuhr noch mit nach Elberfeld, wir waren den Abend bei Elbrechter zu Gast und hatten eine harte Auseinandersetzung. National und sozialistisch! Was geht vor und was kommt nach? Bei uns im Westen kann die Frage gar nicht zweifelhaft sein. Zuerst die sozialistische Erlösung, dann kommt die nationale Befreiung wie ein Sturmwind. Prof. Vahlen ist anderer Ansicht. Zuerst den Arbeiter nationalisieren. Aber die Frage! Wie? Bitte reden Sie zu unseren Leuten. Hitler steht zwischen beiden Meinungen. Aber er ist im Begriff, ganz zu uns herüberzukommen1. Denn er ist jung und versteht das Opfern. Das Ganze ist eine Frage der Generationen. Alt oder jung! Evolution oder Revolution! Sozial oder sozialistisch! Für uns ist die Wahl nicht schwer. Kaufmann ist derselben wie ich. Er ist jedoch radikal wirtschaftlich eingestellt. Übersieht deshalb manches, was er sehen müßte. Nun geht's an die Arbeit für die nat.soz. Briefe. Das gibt für mich wieder eine ungeheuerliche Belastung. Aber auch die Last muß getragen werden, der Sache wegen. Dann muß ich mich etwas von der Organisation zurückziehen. Das wird jedenfalls in den ersten Wochen noch nicht gehen. Ich werde ein Spießer: Kommt Zeit, kommt Rat!

September 1925. Gestern Moers. Heiße Redeschlacht. Gewonnen. Wir haben jetzt dort eine neue Ortsgruppe. Bei Perrets geschlafen. Ist dieser Alfred ein lieber, guter Junge. Die halbe Nacht verschwätzt. Heute Samstag 7 Uhr. Bis jetzt Hochbetrieb. Nun ist Schluß. Rasiert, gewaschen, und dann zu Karl Kaufmann. Ich freue mich auf die Ausspannung. Ich bin wieder so etwas wie kaput. Hitler kommt! Was wird das eine Freude sein! 12.

14.

September

Den halben

1925.

Sonntag gestern

verschlafen. Abends mit Kaufmann im Bavaria.

„Der goldene Hahn", russisches Ballet. Wundervolle Tänze und Volkslieder.

Wolgalied. Schwermut und Duft und Leidenschaftlichkeit. Heute toller Betrieb. Berge voll Arbeit. Und ich werde immer nur gestört. 10 Mann stehen um mich herum. Und dabei soll ich einen Aufsatz schreiben. Verdammte Scheiße! Götz Berlichingen! Sonntag rede ich in Recklinghausen. Anka, du Süße!

von

16. September 1925. Gestern in Mülheim. Heute in Elberfeld. Morgen geht's nach Hannover und übermorgen nach Göttingen. Gestern erregte Auseinandersetzung mit Kaufmann über Lenin und Hitler2. Da muß noch manches geklärt werden. Unsere „Briefe" 1 In der Tat hielt sich Hitler 1925 in dieser Auseinandersetzung um das Primat von Nationalismus oder Sozialismus noch fast völlig zurück. Erst im folgenden Jahre fiel die Entscheidung gegen den Strasserschen Sozialismus und wurde damit die Weiche für die weitere Entwicklung der NSDAP zur im wesentlichen kleinbürgerlichen Partei des Sozialfriedens mit lediglich sozialistischem Dekor endgültig gestellt. 2 Dies ein Vortragsthema von Goebbels („Lenin oder Hitler"), vermutlich das erste seiner nationalsozialistischen Propagandatätigkeit überhaupt.

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werden zu dieser Klärung ihr Teil beitragen. Der erste Brief ist sozusagen fertig. Ich habe damit alle Hände voll zu tuen. Hauptmann v. Pfeffer will uns schlucken1. Dieser kluge, superkluge Bruder! Montag abend mit Elbrechter und Kaufmann lange disputiert. Sie werden sich alle schon zu meiner Arbeitsweise bekehren. Wundervoller Herbstsonnenschein. Meine Wirtin ist verreist. Ich bin mutterseelenallein. Auf Montag erwarte ich Else, das süße Kind. Heute ein ärgervoller Tag. Alles will daneben gehen. Mit Ripke Hin und Wider um 2 meiner Aufsätze. Der Bruder will sie nicht herausgeben. Und ich hab sie so nötig. Ärger über Ärger! Verdammte Schweinerei! Toni Kesseler ist da und stört. Gemeinheit! Gemeinheit! Gleich wieder zu Ripke schicken! Man muß den alten Sack zermürben. Ich freue mich auf meine neue Wohnung. Frau Dr. Ripke ruft gerade an. Diese Bande!

September 1925. Donnerstag nach Hannover.

20.

holte mich an der Bahn ab. Bei ihr zu Hause einen sehr schönen Nachmittag verlebt. Sie ist eine liebe und schöne Frau. Ich habe sie ganz in mein Herz geschlossen. In Hannover eine Bombenversammlung. Mit langer Diskussion. Glänzend geschlagen2. Die Leute waren restlos begeistert. Abends noch lange zusammen. Anderen Morgen durch Hannover gebummelt. Eine echte, liebliche Gartenstadt. Bürgerlich, weifisch. Mit Major Dinklage3 lange verhandelt. Ich soll so oft noch wiederkommen. Am 31. Oktober zum ersten Mal wieder. Dann nach Göttingen. Haase Göttingen: konsequenter, radikaler Intelligenzler. Kalt, nüchtern, ohne Reize. Man liebt ihn nicht, man achtet ihn. Die anderen ziemlich unbedeutend. Das Publikum verschleimt und spießig. Grauenhaft! Da sind mir unsere Arbeiter schon lieber. Abends nicht mehr weg. Bis spät in die Nacht hinein mit Haase und Wolf Essen zusammengesessen. Wolf Essen ist ein lieber Junge. Mit ihm Fall Hustert4 durchgesprochen. Jetzt werde ich mich mal hinter die Amnestie stecken. Gestern (Samstag) morgen nach Cassel. 2 Stunden durch Cassel gebummelt. Elenden Schnupfen. Hinein in den Zug. Im Tran nach Elberfeld. Die regulären Haufen Arbeit. In Bausch und Bogen erledigt. Abends bei Elbrechter. Mit Lutze und der ganzen Rasselbande. Heute auf dem hl. Sonntag soll ich nun nach Recklinghausen. Ich bin ganz herunter. Grippekrank. 1

Frau

Ebeling

Das heißt: der Gau Westfalen den Gau Rheinland-Nord. Der VB schrieb am 25. 9. 25 über diese Versammlung, daß G. „seine Aufgabe geradezu in glänzender Weise löste". Die sechs Diskussionsredner erhielten trotz ihres Protestes nur 10 Minuten Redezeit, womit der „Versuch der gegnerischen Bonzen, einen parlamentarischen Saustall aus dieser Versammlung zu machen", unterbunden wurde. 3 Major a. D. Karl Dincklage, hannoverscher NS-Propagandist und stv. Gauleiter, 1928 Osaf-Stv. und SA-Oberführer Nord (1930 gestorben). 4 Hans Hustert, ehemals Angehöriger der „Organisation Consul", vom Leipziger Staatsgerichtshof wegen des zusammen mit Oehlschläger unternommenen Blausäure-Attentats auf Scheidemann am 6. Dezember 1922 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Trebbin verbüßte. Hustert wurde Ende 1927 entlassen und kam 1950 als Führer des „Horst-WesselSturms" nach Berlin, wo er im April 1951 mit dem ostdeutschen SA-Führer Stennes gegen die Parteileitung putschte, (v. Borresholm, a. a. O., S. 73ff.) 2

Das

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Gleich ruft Brenger an, ob er sein Auto herschicken kann. Ist gerade geschehen. Geht nicht. Also sage ich ab und lege mich schlafen. Ich bin so grenzenlos müde. Auf langen Schlaf und Traum! -

September 1925. Gestern den ganzen Tag zu Bett gelegen. Fieber im höchsten Grade. Grippe anfall. Gleich wieder in die Klappe. Vielleicht kommt heute Eislein. Vielleicht, Das würde mich mit einem Schlage gesund machen. vielleicht. 21.

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23.

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September

Else Montag,

1925.

Mümmelchen, kling, kling. O, deine liebe Hand.

Du Süße! Schwelgende Liebe, Lösung Spannung nach langem Sehnen. Ich bin restlos zufrieden. Else ist so lieb und gut. Macht Butterbrote mit dem Nagelreiniger. Ach, du herrliche Boheme. Abschied! Grauer, grauer Abschied! Wie schwer das ist! Leb wohl, du süßes Kind! Gestern Duisburg. F.B.1 neugegründet. Restloses Mitgehen! Meine Grippe ist überwunden. Moralische Depression! Betrieb zum Kotzen! Sonntag in Düsseldorf Tagung! Kaufmann wird in die Arbeit gespannt. Strasser kommt Dienstag. Dann werden die n.s. Briefe endgültig. Der erste erscheint am 1. Oktober2. Die Redaktion dieser Briefe wird mir Freude machen. Dann komme ich etwas aus der leidigen Organisation heraus. Der Kleinkram liegt mir nicht. Ich arbeite lieber im großen Ganzen. Ich bin seit einigen Tagen mit den Nerven so herunter. Meine neue Wohnung wird Wunder an Ruhe und Sammlung an mir vollziehen. Ich sehne mich nach Hause. Nach dem Frieden von Familie und Angehörigen. Auch nach Else habe ich Verlangen. O, du süße, süße Frau! der

26. September 1925. In Dortmund vorgestern Vortrag. Mit Schüssen und schweren Verwundungen. Aber ich habe die Anwesenden doch schon gepackt. Die Bewegung ist heute wieder eine Bewegung. Else schreibt in süßer Blüte. Die gute Frau! Die Arbeit geht mäch1 Frontbann, die Ersatzorganisation der SA während der Verbotszeit 1924/25, die in Norddeutschland noch längere Zeit, z. T. auch neben der neugegründeten SA, weiterbestand (Auflösung des „Frontbann Nord" im März 1926). SA wie Frontbann bestanden in jenen Monaten vom Rücktritt Röhms (1. 5. 25) bis zur Bestellung der Obersten SA-Führung (1. 11. 26) mehr oder weniger aus lokalen Gruppen unter dem Befehl der jeweiligen Gauleiter. 2 Die erste Nummer der jeweils Anfang und Mitte des Monats erscheinenden „Nationalsozialistischen Briefe" kam wie G. hier ankündigt am 1. Oktober 1925 heraus. Beinahe jede Nummer der meist vier, seltener acht Seiten Oktav umfassenden Zeitschrift enthielt einen ausgezeichneten Beitrag von Goebbels, sympathisch frisch geschrieben und gewöhnlich in der Form eines Briefes gehalten. Goebbels behielt die Schriftleitung noch über seine Berufung nach Berlin hinaus, nämlich bis zum 40. Brief vom 15. Mai 1927, sein Nachfolger wurde dann Karl Kaufmann. Weitere Beiträge lieferte regelmäßig Gregor Strasser, ferner waren Mitarbeiter Haase-Göttingen, Dr. Rosikat-Breslau, Dr. Otto Strasser, Fobke-Göttingen, Dr. Teipel-Amsberg, Dietrich Klagges, v. Pfeffer, Willi Heß-Düsseldorf, Jung-Troppau, Heinrich Himmler und einige andere, insgesamt jedoch nur ein kleinerer Kreis. —



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Viel Ärger und Schweinerei. Morgen große Tagung von F.B. und Gau. In Düsseldorf. Ich fahre heute schon. Die Nationalsozialistischen Briefe erscheinen am Montag zum ersten Male. Am 1. Oktober ziehe ich ins Nebenhaus und bin dann in der Lage, wieder zu lesen und zu schreiben. Gestern abend bei Schmitz1. Lange Beratung über die Zukunft. Manchmal habe ich es knüppeldick satt, dann wieder rührt mich die Hilflosigkeit der Leute. Der Mensch ist ein Held und ein Wurm. Wir selbst sind vor uns am allerkleinsten! Es handelt sich nur um die Ehrlichkeit gegen uns selbst. In München Stunk in der Bewegung. Die Münchener hängen mir zum Halse heraus. Draußen Regen, grauer Regen. Gleich nach Düsseldorf. Else kommt auch. Wie ich mich darauf freue!

tig

voran.

September 1925. Gestern in Düsseldorf große Gau- und F.B. Tagung. Kaufmann ist Gauführer2. Ich habe die notwendige Entlastung. Wir werden in Kameradschaft zusammenarbeiten. Eine gute Stimmung. Die Leute haben Vertrauen zu uns. Einheitlicher Geist. Mich freute diese rührende Anhänglichkeit. Man hat mich durch den Saal getragen. Else war lieb und gut. Ich werde sie Sonntag wiedersehen. Auch Alma war da. Hitler ist das Reden auch in Preußen verboten3. Verdammter Severing! Morgen kommt Straßer. Arbeitsgemeinschaft Nord- und Westdeutschland. Viel noch zu tun. F.B. wieder in Schuß. Nächsten Monat große Aufgaben. Man wollte mich zum Gauführer machen. Ich kann das nicht noch dazu. Ein kleiner Stachel gegen Kaufmann in mir. Ich mache die Arbeit, und er „führt". Aber das wird sich legen. Es geht um die Sache, und nur um die Sache. 28.

30.

September

1925. ist Straßer hier. Gestern mit ihm im Auto nach Hattingen. In Hattingen eine Bombenversammlung. Straßer hielt eine schneidige, deftige Rede. Straßer ist ein lieber Kerl. Er kann und wird noch viel dazu lernen. Aber er ist zu jeder Radikalisierung der Idee bereit. Er soll unser Sturmblock gegen die Münchener Bonzen sein. Vielleicht wird sehr bald schon der Kampf entbrennen. Die ArbeitsgemeinPaul Schmitz, Elberfeld, Angehöriger der Gauleitung von Rheinland-Nord. In dem VB-Bericht (v. 7. 10. 25) über diese Tagung von 200 Vertretern der Ortsgruppen des Industriegebiets wurde die Ernennung Kaufmanns nicht erwähnt, dafür aber eine Resolution zitiert, die ein für nationalsozialistische Verhältnisse eigenartiges Kollegialprinzip beinhaltete: die Gauvertretertagung dankte „der Gauleitung, den Parteigenossen Dr. Goebbels, Karl Kaufmann, Paul Schmitz und Viktor Lutze für ihre selbstlose, aufopfernde Arbeit" und sprach ihr ihr Vertrauen aus. Die kollegiale Führung in Elberfeld (wobei nach dem Zusammenschluß mit dem Gau Ruhr Pfeffer, Kaufmann und Goebbels ein Triumvirat bildeten) blieb denn auch, wie die folgenden Ausführungen sowie Zeitungsberichte beweisen, bis zum Sommer 1926 bestehen. Dies alles zeigt, daß Kaufmann sich geirrt haben muß, als er den Autoren der jüngsten Goebbels-Biographie gegenüber dessen Rolle in Elberfeld 1925/26 als völlig unbedeutend hingestellt hat (Manvell/Fraenkel, S. 52ff.). 3 Die bayerische Regierung Held hatte bereits am 9. März 1925 ein derartiges Verbot Hitler erlassen, andere Länder folgten. gegen 1

2

Das

schaft ist

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1925 j'26

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Rückendeckung, v. Pfeffer muß mehr arbeiten. Dr. Ley ist ein vielleicht ein Intriguant. Er muß aus der Arbeitsgemeinschaft und Dummkopf heraus. Gleich kommt Straßer. Gerade ruft er an. Stockheiser. Was wird das morgen mit Oberhausen geben? Und heute in Elberfeld? Gleich geht mein Umzug von Statten. Dann wieder in neue Pfähle hinein: Zigeunerleben! Aber ich liebe dieses Leben sehr. An Liebe und Familie denke ich nicht. Nur zuweilen kommt ein bitteres Gefühl. Man will mich nach München an den Beobachter ziehen. Soweit bin ich noch nicht. Ich muß zuerst hier an Rhein und Ruhr meine Aufgabe erfüllen. Die Bewegung marschiert unaufhaltsam. In den nat.soz. Briefen wird auch die Idee auf den Marsch gebracht. Wir haben keinen Grund zu verzweifeln. Es geht voran. Und ich muß dabei zu gründe gehen. Schadt nicht: Wenn ich nur dem inneren Dämon gehorchen kann. unsere

2. Oktober 1925. Mit Straßer lang und viel verhandelt. Wir sind vollkommen einig geworden. Auch bin ich ihm menschlich sehr nahe gekommen. Er hat viel von Hause, von seiner Frau und seinen beiden Buben gesprochen. Einer seiner Zwillinge fragt Ludendorff bei einem Besuch: „Bist Du völkisch?" Eine wunderbare Frage des Schicksals! Straßer ist lange nicht so bourgeois, wie ich anfangs dachte. Er hat bestimmt einen kleinen Ehrgeiz, wenn er auch immer das Gegenteil behaupten mag. Deshalb sein Haß gegen Esser und München, die ihm bei Hitler im Wege stehen. Ich glaube, er sieht die Dinge doch etwas zu schwarz. Immerhin scheint doch in München ein großer Saustall zu sein. Wenn die Arbeitsgemeinschaft groß genug ist, werden wir zum Generalangriff vorgehen. Es handelt sich um den Nationalsozialismus, um nichts anderes! Straßer hat Witz und Humor. Ein echter Bajuware! Man kann gut mit ihm zusammenarbeiten. Welch ein Unterschied zu Ripke! Gestern abend war ich mit ihm in Oberhausen. Eine glänzende Versammlung. Ich habe in der Diskussion mächtig hereingehauen. Eine Reichsbanane1 abgebeutelt. Das war eine Wonne! Heute nach Crefeld, morgen nach Arnsberg, Sonntag nach Hause, Mutter, Else, Vater, Maria, Elsbeth und Benno wiedersehen. Wie ich mich darauf von Herzen freue. Ich arbeite an einem Aufsatz: „Nationalsozialismus oder Bolschewismus?" Mein zweites Thema für die Briefe lautet: „Warum haben wir uns von den Völkischen getrennt" und das dritte „Unsere Stellung zu den Vaterländischen Verbänden"2. Kaufmann hat einen Aufsatz geschrieben. Der Stil ist miserabel. Die Gedanken gut. Er wirkt mehr durch seine Person. Stresemann reist nach Locarno zur Konferenz. Deutschland an den Kapitalismus der Weststaaten verkaufen. Diese fette, satte Schwein! Am 25. spricht 1

für „Reichsbanner". Das erste Thema bildete G.'s Beitrag zum 2. Brief, ebenfalls abgefaßt in Form eines Briefes an „meinen Freund von der Linken" („Sie und ich, wir kämpfen gegeneinander, ohne daß wir wirklich Feinde wären."). Die beiden anderen Themen erschienen in dieser Form nicht; Goebbels' Beitrag zum 3. Heft war der weiter unten erwähnte offene Brief an

Schimpfwort

2

Wulle.

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Hitler im engeren Kreise in Hamm. Severing hat ihm das Reden in Preußen verboten. Man droht mit Ausweisung. Und nennt ihn einen „Ausländer". Dieser feige sozialdemokratische Lump! Das ist die Gewissensfreiheit der Republik! Gesinnungslumperei in Reinkultur! Wie lange wird's noch dauern, dann sitzen wir alle hinter schwedischen Gardinen. Schadt nichts! „Gib dich selbst verloren, Jedoch dein Banner nicht!" 3. Oktober 1925. Gestern in Crefeld. Heute morgen zurück, bleute ist Samstag. Den Abend spreche ich in Herford, ach Gott, nein in Arnsberg. (Wie gleichgültig.) Und morgen mittag bin ich zu Plause. Bei Elslein. Hurra! Ein Brief aus Hannover von Else Ebeling. Süße, liebe Frau! Ende Oktober bin ich mit Else dort. Auf morgen freue ich mich wie als Schuljunge auf die Ferien.

6. Oktober 1925. Samstag in Arnsberg. Gut und brav. Dr. Teipel1 hat eine schneidige Frau. Bis spät in die Nacht hinein mit beiden erzählt. Alles viel zu bürgerlich. Sonntag nach Hause. Den ganzen Morgen auf der Bahn gelegen. Mittags Ankunft in M. Gladbach. Elslein an der Bahn. Sie war so gut und lieb. Den ganzen Nachmittag zu Hause bei all den Lieben. Ich fühle seit langem wieder einmal den süßen Zauber: zu Hause. Mutter, Maria, Elsbeth, Alma, Vater, alle waren da. Zu Hause. Hans2 und Hertha stören sich nicht mehr an zu Hause. Mutter leidet sehr darunter. Vater ist immer der alte. Ein guter, wohlmeinender Spießer. Brav und bürgerlich. Elsbethchen ist so ein liebes Blag. Ich freue mich immer auf dieses Kind. Gestern bis tief in den Mittag hinein geschlafen. Dann mit Else nach M. Gladbach, von da nach Elberfeld. 7 Uhr Ankunft. Sofort zur Hergt-Versammlung. Hergt, Führer der Deutschnationalen3. Ein entsetzliches Gemisch von Lump, Feigling, Kavalier und Schwätzer. Unsere Leute saßen da in mustergültiger Ordnung. Hergt sprach wie Rathenau. Und dann kam die Diskussion. Kaufmann und ich haben mit der Excellenz abgerechnet. Eine einzige große Anklage. Und der Saal raste vor Beifall. Armer Hergt. Er saß da wie das verkörperte böse Gewissen. Kaufmann schloß mit einem Heil auf Hitler. Alles tobte vor Begeisterung. Ein voller Erfolg. Die Excellenz haute ab. Wir haben nun auch in Elberfeld wieder Oberwasser. Jetzt geht's an die Weiterarbeit. Was wird die Pressemeute heute schimpfen! Wir waren einmal nicht bürgerlich gedämpft, national mit Mäßigkeit, sondern deutsch mit heißer, verzehrender Glut! 1 Dr. Heinrich Teipel, damals Schlachthofdirektor in Arnsberg und NSDAP-Bezirksleiter Sauerland. Später MdR (1936) und Gebietskommissar in der Ukraine. 2 Der älteste Bruder, Versicherungsangestellter, 1933 Generaldirektor der Prov.-Feuerund Lebensvers.-Anstalt der Rheinprovinz. Hertha war vermutlich dessen Frau. 3 Oskar Hergt, Bichter und Verwaltungsbeamter, 1917/18 Preuß. Finanzminister, von der Gründung bis Ende 1924 Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei. „Führer der Deutschnationalen" zu jenem Zeitpunkt war genaugenommen bereits Graf Westarp.

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7. Oktober 1925. Die Pressen schimpfen über uns wie die Rohrspatzen. Das war den bürgerlichen Kalkern am Montag sehr unangenehm. Von mir ist nur als dem „jungen Mann" die Rede, der die Revolution ankündigt. Schadt nichts. Heute geht unser Gegenbericht an den Beobachter1. Heute abend nach Düsseldorf. Wieder großer Betrieb. Das wird ein Theater geben. Protestkundgebung gegen Severings Redeverbot. Am 24./25. kommt Hitler nach Dortmund und Hamm. Ich muß an die Arbeit. Mein Zimmer ist schön und gemütlich. Eine wunderbare Ruhe! 9. Oktober 1925.

Düsseldorf; große rote Plakate an den Litfaßsäulen. Lenin oder Hitler! Bombenvoll. Alles Kommunisten2. Man will stören. Ich halte sie bald und laß sie 2 Stunden nicht mehr los. Wir kommen schon weiter. Nur Ausdauer! Gestern abend in der Operette. Dann früh nach Hause. Bleischwer liegt es auf mir. Mich faßt so etwas wie ein entsetzlich großer Jammer. In der Verzweiflung schreibe ich an alle Menschen, die mir einmal lieb waren und es heute noch sind: An Else, Elisabeth Gensicke und Anka Stalherm. Was wird sie von mir denken? Nur ein paar Zeilen: Ob sie mich versteht? „Gleichgültig, ob Sie mich verstehen oder nicht." Heute muß ich nach Herford fahren. Gleich geht's los. Morgen mittag erst bin ich zurück. Morgen hat Kaufmann Geburtstag3. Und Else kommt. Freude über Freude! Das Leben ist so schön! Lache Bajazzo!!! -

10. Oktober 1925. Ich komme gerade von Herford zurück. Eine große und fruchtbare Versammlung. Gleich kommt Else. Ich freue mich. Heute hat Kaufmann Geburtstag. Wir feiern. Die Kommunisten schimpfen über mich in allen Städten, in denen ich sprach. Dann werde ich wohl alles richtig gemacht haben! 12. Oktober 1925.

Gestern und vorgestern war Elslein hier. Schöne und schmerzenvolle Stunden haben wir hier verlebt. Der innere Konflikt zwischen uns spitzt sich zu. Wir werden bald auseinandergehen müssen. Mir blutet das Herz! Wie schnell werde ich ganz allein stehen. „Wacker gelebt, mutig gestritten und lachend für die Idee in den Tod gegangen!" Grauenhaft schwer ist das Leben. Telegramm aus Mannheim! Zur Wahl sprechen. Leck mich am A Brief von Straßer. Hitler traut mir nicht. .

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1 Erschien in der Nummer vom 11./12. 10. 25 und bestand fast nur aus den offenbar vorher fixierten „Diskussionsbeiträgen" von Goebbels und Kaufmann. Vor allem Goebbels vom sozialistischen Standpunkt aus in massiven sich dabei erging Schmähungen der —



„Mampe-Partei".

2 Nach dem VB-Bericht v. 22. 10. 25 hatten die Kommunisten alle Veranstaltungen an diesem Tage abgesagt und waren in Massen erschienen. 3 Geboren am 10. 10. 1900. K. war also drei Jahre jünger als Goebbels, was das beiderseitige Verhältnis nicht gerade erleichterte.

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Er hat über mich geschimpft. Wie weh mir das tut. Wenn er am 25. X. in Hamm mir Vorwürfe macht, dann gehe ich. Ich kann das nicht auch noch ertragen. Alles opfern, und dann noch Vorwürfe von Hitler selbst. In München sind Lumpen am Werke. Dummköpfe, die keinen Kopf neben sich dulden. Weil sie im Verhältnis zu ihm allzuleicht als Dummköpfe erkannt würden. Deshalb der Kampf gegen Straßer und mich. Auch Rosenberg ist verzweifelt. Ich werde einmal nach München fahren müssen. Straßer schreibt ganz verzweifelt. Ich erwarte alles von Hamm. Könnte man einmal auf zwei Stunden mit Hitler allein sein. Dann müßte sich alles klären. Aber er ist umkreist wie eine alte Majestät. Aber in Hamm komme ich doch an ihn heran. Jetzt muß die letzte Klarheit kommen. Ich will wissen, wofür ich mich zu Grunde richte. Kaufmanns Geburtstag gut verlaufen. Bald kommt der meine auch. Wie alt ich schon bin! Eheu fugaces, Postume, Postume, Labuntur anni!1 14. Oktober 1925. Eben war Hauptmann v. Pfeffer ein paar Stunden hier. Wir sind mit ihm vollständig ins Reine gekommen. Hitler kommt also am 24./25. nach Dortmund und Hamm. Wir werden schon an ihn herankommen und ihm unsere Wünsche vortragen. Das Weitere wird sich finden. Der Kampf gegen Esser und Konsorten kommt, wenn wir selbst stark genug sind. Gestern Vortrag hier in Elberfeld. Lange Diskussionen mit dem Kommunistenführer aus Barmen. Unsere Leute waren sehr zufrieden damit. Heute geht's nach Hamborn. Ein heißer roter Boden. Großkampftag! Und ich bin so recht in Schuß. Elisabeth Gensicke schreibt mir aus Lugau. Durch die Zeilen klingt eine stumme Anklage. Warum mußte das Alles so kommen? Warum muß ich Else so viel Schmerz bereiten? Warum mußte Anka mich so allein lassen? War das ein Treubruch? Von ihr oder von mir? Ich darf gar nicht über diese Dinge nachdenken. Nur die Arbeit erlöst mich. Und läßt mich früh sterben. Das fühle ich. Und vielleicht ist es das Beste so! Ich lese Hitlers Buch zu Ende. Mit reißender Spannung! Wer ist dieser Mann? Halb Plebejer, halb Gott! Tatsächlich der Christus, oder nur der Johannes? Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. Nach zu Hause. Ich denke an Anka! Sie gewiß nicht an mich. Mich schmerzt das kaum! Das Verzichten habe ich nun gelernt. Und eine grenzenlose Verachtung der Canaille Mensch. Speiübel! Pfui Teufel!

16. Oktober 1925. In Hamborn vorgestern abend großer Kommunistenrummel. Aber wir haben gesiegt2. Ich war gut in Form. Unsere Leute waren zufrieden. Gestern abend mit Alfred Kaufmann etwas ausgespannt. Konzert gehört. Wie selten komme ich jetzt dazu! Fleute nachmittag nach Cöln. Ich werde Gerhard Beyer wiedersehen und Horaz (Carmina II, 14). Der VB berichtete darüber zwar am 27. 10. 25, ein Großteil der 1000 Besucher seien Kommunisten gewesen, schloß jedoch: „Die Versammlung verlief ziemlich ruhig, und es kam zu keinerlei Zwischenfällen." 1

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freue mich sehr darauf. Abends spreche ich dann in einer großen Versammlung. Viel Ärger in der Geschäftsstelle. Mein Adlatus will nicht recht an die Arbeit. Es ist scheußlich, wenn man immer dahinter sitzen muß. Das verdirbt die gute Laune. Locarno: Der alte Schwindel. Deutschland gibt nach und verkauft sich an den Kapitalismus des Westens1. Eine grauenhafte Aussicht: Deutschlands Söhne werden sich auf den Schlachtfeldern Europas im Dienste dieses Kapitalismus als Landsknechte verbluten. Vielleicht, wahrscheinlich im „heiligen Krieg gegen Moskau!" Gibt es eine größere politische Infamie? Werden wir von Dummköpfen oder von Schuften regiert! Ich verliere bald den Glauben an die Menschheit! Warum gab man diesen Völkern das Christentum. Nur, damit sie damit Schindluder treiben könnten! Wo bleibt der Mensch, der diese Krämerseelen mit der Peitsche aus dem Tempel Nation herausjagt! Ist denn die ganze Welt zum Untergang bestimmt! Wenn wir nicht wären, Verzweiflung .

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17. Oktober 1925. Gestern Cöln. Den

Nachmittag mit Gerhard Beyer zusammen. Er ist noch ganz derselbe. Verschwärmt, romantisch, ohne festen geistigen Halt. Ich möchte aus ihm einen Mann machen. Abends sprach ich im Elisabethsaal. Gerhard war restlos begeistert von meiner Rede. Er wollte etwas tuen für diese Sache. Wie kindlich! Elisabeth Lurke ist eigentlich zu groß im Format für ihn. Gerhard schreibt und musiziert und verkauft Leberwürste. Grauenhaft! Und dabei ist er ein so treuer und guter Kerl! Von Else höre ich kein Wort. Ich bin müde. Samstagnachmittag! Siesta! 19. Oktober 1925. in Barmen. Geseiche. Aber volkstümlich. Für Barmen immer noch gut genug. Gestern mit Kaufmann zusammen den Sonntag verbracht. Nachmittags im Cafe. Seit wie lange wieder zum ersten Mal. Abends mit den Brüdern schwerer Ärger. Alfred Kaufmann ist ein lieber Junge. Der Beobachter bringt meinen Aufsatz „der Freiheitsgedanke"2. Samstag und Sonntag ist Hitler in Hamm und Dortmund. Streicher3 ist als Schutzwall dabei. Verdammter Idiot Hermann Esser. Ich mache diesen Byzantinismus nicht mehr lange mit. Wir müssen an Hitler herankommen. Es handelt sich um mehr als um Hermann Esser. Das Programm, die geistigen und wirtschaftlichen Grundlagen, alles das ist noch so ungeklärt; bei mir nicht, umso mehr bei den anderen. Damit macht man keine Revolution. Es fehlt den meisten bei uns der Schuß Sekt!

Major Dincklage sprach Samstag

-

21. Oktober 1925.

Locarno-Verträge heraus. Grauenhaft. Wie kann ein neuer deutscher Staatsmann Schandverträgen zustimmen! Herr Stresemann ist ein vollendeter Lump!

diesen 1 2

3

An jenem Tage waren die Locarno-Verträge paraphiert worden. Nicht ermittelt; möglicherweise dann doch nicht erschienen. Julius Streicher, der Nürnberger Gauleiter („Frankenführer") und

geber.

„Stürmer"-Heraus-

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wird! Weil das Kapital das will. Das Kapital allein hat heute zu Rathenau sagen. sprach einmal von dem Privatsyndikat der Welt. Heute ist es da. Stresemann ist einer der Syndici. Gestern abend lange unterhalten. Brenger, Kaufmann und Elbrechter waren bei mir zu Besuch. Ertragreiche Stunden. Über den Bolschewismus lange palavert. Mein Aufsatz in der nächsten Nummer der N.S. Briefe bringt etwas Klarheit. Ich möchte einmal für ein paar Wochen zu Studienzwecken nach Rußland. Könnte man das einmal irgendwie deichseln. Von Else kein Wort. Sie wird böse sein. Montag mit Kaufmann und Dr. Robert Schiffer zusammen. Ich habe Robert die Meinung gegeigt. Die Intelligenz ist das Schlimmste. Ein maßloser Dünkel gepaart mit Dummheit, Interesselosigkeit, Stupidität und Begeisterungslosigkeit. Wenn ich einen alten „Studienfreund" wiedersehe, dann wird mir kalt und heiß. Heute bekommt Plerr Wulle1 von mir eine Abreibung. Darauf freue ich mich wie ein Kind. Morgen rede ich in Bottrop. Ich habe vom 1. Oktober 1924 bis 1. Oktober 1925 189 Mal gesprochen. Dabei kann man schon draufgehen. Ad laborem! Ich freue mich auf Hitler Samstag/Sonntag.

Angenommen

23. Oktober 1925. Gestern in Bottrop. Flaue bürgerliche Versammlung2. Nächsten Monat geht das Reisen an. Erste Woche Hannover, zweite Woche Schleswig-Holstein, dritte Woche Sachsen, vierte Woche Berlin, fünfte Woche Mecklenburg. Ich freue mich darauf, deutsches Land und deutsche Städte kennen zu lernen. Viel Sorge um die N.S. Briefe. Sie werden mein liebstes Schmerzenskind. Vielleicht sollen sie einmal in unserer Bewegung eine ungeheuere Rolle spielen. Heute kleinen Krach mit Kaufmann. Wir sind beide sehr nervös. Und dann eine Hiobspost: Hitler kommt nicht nach Dortmund und nicht nach Hamm. Ich erhalte diese Nachricht aus München, von Hauptmann v. Pfeffer noch kein Wort. Noch habe ich nicht alle Hoffnung fahren lassen. Deshalb auch noch keine Gegenparole herausgegeben. Dieser verdammte Severing! Das wäre eine Enttäuschung für unsere Leute. Aber ich glaube noch nicht daran. In den nächsten Stunden wird die Sache sich entscheiden. Locarno und Sicherheitspakt: ein grauenhaftes Gemisch von Betrug, Gemeinheit, Niedertracht und Pharisäerhaftigkeit. Nun ist eins wahr: Geld regiert die Welt. Manchmal möchte man wohl glauben, daß unser Kampf aussichtslos sei. Bei so einem katastrophalen Versagen gerade des sogenannten „nationalen" Deutschland. Wir werden die Landsknechte gegen Rußland auf den Schlachtfeldern des Kapitalismus. Darüber hilft kein Drehen und Deuteln hinweg. Wir sind schon verkauft. Und wenn's dann zum Letzten kommt, dann lieber mit dem Bolschewismus den zusammen mit v. Graefe Gründer der „Deutschnationalen Mit diesen Völkischen hatte sich während Hitlers Landsberger Festungshaft ein Teil der Nationalsozialisten unter Gregor Strasser zusammengeschlossen, v. Graefe und Strasser sowie Ludendorff gewissermaßen als „Unparteiischer" waren die Führer jener „Nationalsozialistischen Freiheitspartei" gewesen. 2 Im VB v. 20. 11. 25 hieß es dazu: „Die Kommunisten versuchten nicht einmal die Internationale, wie sonst üblich, herunterzuplärren. Es geht voran." 1

Reinhold

Wulle, Journalist,

Freiheitspartei".

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als mit dem Kapitalismus ewige Sklaverei. Wie kalt, wie roh, wie gemein die Politik ist. Man kann als anständiger Mensch da kaum weiter mitmachen. Man muß verzweifeln, wenn man sehend geworden ist. Durchstreichen, weitergehen ! Die alte Weisheit des Kapitän Edgar! Durchstreichen! Weitergehen!!!

Untergang,

24. Oktober 1925. Gestern abend noch mit Kaufmann in Essen. Julius Streicher war da, der „Held" von Nürnberg. Der typische bayerische Steißtrommler. „Ihr müßt in jeder Ortsgruppe eine Versammlungsglocke haben." Das war die ganze Weisheit von Julius. Armer Hitler! Armer Nationalsozialismus! Ob Hitler heute und morgen kommt? Noch keine endgültige Nachricht. Ich fahre gleich mit der Sturm-Abteilung los. Im Lastauto. Das macht mir Spaß. Die N.S. Briefe lassen sich gut an. Aus allen Gegenden des Reiches laufen Bestellungen ein. Wir bekommen damit ein unersetzliches Machtmittel in die Hand. Und werden es im Notfall rücksichtslos gebrauchen. Nicht der Person, nur der Sache wegen. Es regnet. Ich bin müde und herunter. Ich muß bald wieder mal schlafen. Von Else kein Wort. Böse? Ich habe keine Zeit, daran zu denken. 26. Oktober 1925. Samstag und Sonntag zwei ereignisreiche Tage. Mit dem Lastauto nach Dortmund. Eine Schlacht in den Straßen. Mit all dem aufgehetzten roten Gesindel. Wir haben 49 Verwundete!1 Toller Betrieb. Hitler nicht da. Soll verhaftet werden. Ein brechend voller Saal. Streicher spricht. Saumäßig. Aber dennoch: die Stimmung ist da. Auf der Straße wieder tolle Zusammenstöße. Das Blut fließt. Schadt nichts. Ich übernachte bei einem Parteigenossen. Mit einigen Bergleuten noch bis tief in die Nacht erzählt. Am anderen Morgen nach Hamm. Hitler kommt nicht. Vor der preußischen Grenze umgekehrt. Severing, dieses Schwein, will ihn verhaften lassen2. Strasser spricht. Glänzend. So habe ich ihn noch nicht gehört. Mit Derbheit, Witz, Schärfe, Sarkasmus, Ironie. Alle Leidenschaften sind los. Ein elektrischer Strom von Wut und Empörung geht durch den Saal. Ein S.A. Mann erhebt sich: „Blutige Rache schwören wir!" Zusammenstöße mit der Polizei. BauschenDuisburg wird verhaftet. Es ist ein toller Trubel. Dazwischen erzählt Strasser von München. Wir sind mit Hitler im Reinen. Hitler will auch mich näher heranziehen. Mir wird die Redaktion des „Beobachters" angeboten. Soll ich annehmen? Aber was geschieht dann hier im Westen? Ich bin sehr im Zweifel. Strasser mit nach Elberfeld. Wir verleben noch einen gemütlichen Abend mit ihm. Er ist ein treuer, guter Kerl. Ich bin todmüde. Falle fast um. ABC3 ist fertig. Gut. 1

Auch der VB meldete

am

30. 10. 25, daß Streicher an jenem Abend im Dortmunder 49 Verletzten, darunter zwei Schwerverletzte, bekannt-

„Friedensbaum" eine Verlustliste von

gegeben hatte. 2

So auch im VB v. 30. 10. 25 dargestellt. Eine Flugschrift „Das kleine abc des Nationalsozialisten", die damals, zunächst im Verlag der Vorpommerschen Buch- und Kunstdruckerei GmbH, erschien. 3

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Bin damit zufrieden. Ich soll durch die ganze Welt fahren. gen kommt Else. Hurra!!! Ich freue mich.

Überall reden. Mor-

28. Oktober 1925. Vorgestern mit Kaufmann in der Fledermaus. Ein wenig Aufheiterung. Wir haben dabei große Freude gehabt. Diese prickelnden Walzermelodien! Schönes Wien von ehedem! Gestern mit Else zusammen nach klagen. Geburtstag zusammen gefeiert. Sie schenkt mir eine schöne bunte Wollweste. Eine süße Nacht. Sie ist so lieb und gut zu mir. Ich tue ihr so manchmal bitter weh. Diese schwellende, knospende Liebesnacht. Ich werde geliebt! Warum klage ich! Heute morgen zurück. Sie fährt nach Hannover. Zu Else Ebeling. Ich nach Elberfeld. Zu Hause finde ich einen Brief von Kaufmann vor. Zum Geburtstag. Welch ein lieber, guter Freund. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Else meine gute, schöne Geliebte. Kaufmann mein treuer Kamerad. Wer nennt mich noch arm!? 29. Oktober 1925. Geburtstag! 28 Jahre alt. Von Else einen langen Brief aus Kreiensen. Herr Paul Schmitz überreicht mir im Namen der Partei einen Blumenkorb mit Dankadresse. All das freut mich sehr. Ich habe liebe Menschen um mich. Von Hause kein Wort. Wie weh mir das tut! Gestern mit Kaufmann und Hüttemann1 vorgefeiert. Wir sind näher zusammengekommen. Ich bin jetzt ein Jahr in Elberfeld. Wir haben etwas geschafft. Mit Mut und etwas Skeptizismus ins neue Jahr hinein. Wir müssen es weiter schaffen. Im nächsten Jahre am 29. X. sind wir eine starke, achtunggebietende Partei. Ich werde alt. Ich merke das heute mit Schaudern. Das Haar fällt mir aus. Auf dem Wege zur Glatze. Aber im Herzen will ich jung bleiben in alle Ewigkeit! 31. Oktober 1925. Von Else bekomme ich eine Karte: aus dem Flugzeug auf der Fahrt nach Berlin. Da wäre ich wohl mit tausend Freuden dabei gewesen. Gestern in Düsseldorf; mit Kaufmann. Grauenhafte Dinge über Herrn Heß erfahren. Ehebruch, Zuhälterei etc. Wir werden ihn ausschließen müssen. Viel Ärger mit Greifswald2. Unsere 2. Nummer der N.S. Briefe ist noch nicht da. Heute wieder einen groben Brief dorthin. Es ist zum Kotzen mit dieser pommerschen Dickfelligkeit. Heute Samstag. Gottlob. Ein Ruhenachmittag. Nächste Woche fängt das Reisen in die Welt hinein wieder an. Erste Woche Peine und Braunschweig. In Braunschweig spreche ich in einer Nebenversammlung zu Hitler. Von Hause kein Wort zum Geburtstag noch 1 Vielleicht der bei Albert Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP, Stuttgart 1959, mehrfach erwähnte Wilhelm Hüttmann. 2 Die beiden ersten „Briefe" wurden in der Greifswalder „Vorpommerschen Buch- und Kunstdruckerei" gedruckt, der damals „einzigen nationalsozialistischen Buch- und Akzidenzdruckerei in Deutschland". Vom 3. Brief an übernahm ein Elberfelder Unternehmer den —

Druck.

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sonstwie. Das schmerzt mich etwas. Ich verliere so allmählich den Konnex. Und dabei denke ich so oft und mit so warmer Liebe an zu Hause. Warum muß ich denn so Alles, Alles verlieren?

1. November 1925. Allerheiligen! Ich denke an Elisabeth, an Richard Flisges und an zu Hause. Ein Sonntagnachmittag ganz für mich allein. Wie wohl das tut! Heute morgen erregte Sitzung. Nun bin ich ganz allein und finde Zeit zur Besinnung. Man muß einmal ausruhen von der elenden Hetzjagd und einmal nichts tun können, und zwar mit Bewußtsein. Ich stöbere hier und da etwas herum. Aber besser tue ich nichts. 2. November 1925. Else schreibt. Sie kann nicht über Elberfeld nach Mörs fahren. Wie schade! Ich hätte sie so gerne heute zu meiner Abreise hier gehabt. So treffen wir uns dann Samstag in Rheydt. Morgen geht's auf Reisen. Nachmittags in Hannover. Abends in Peine. Mittwoch spreche ich in einer Parallelversammlung zu Hitler in Braunschweig. Darauf freue ich mich. Vielleicht gelingt es mir, Hitler einmal länger zu packen. Ich werde gleich mit der Türe ins Haus fallen. Alles, was mir auf der Seele brennt, werde ich ihm sagen. Davon hängt dann alles ab. Mein neuer Aufsatz „das russische Problem" wird viel Staub aufwirbeln1. Die Frage des russischen Bolschewismus wird und muß geklärt werden. Kaufmann hat viel Not mit Wechseln und seinem Bruder Alfred. Alfred säuft. Das ist bei ihm grauenhaft. Viel, viel Arbeit. Ich kann kaum darüber schauen!

6. November 1925. Dienstag morgen nach Flannover; nachmittags Ankunft. Lange mit Rust, dem neuen Gauführer2 verhandelt. Wir haben den Zusammenhang gefunden. Er noch etwas Steißtrommler. Sonst ordentlich. Dincklage ein Prachtmilitär. Dumm aber stark. Abends nach Peine. Ich rede zu 100 Mann. Grauenhaft. Wohne bei einem Herrn Kerrl3. Ein philosophischer Quatschkopf in Kant. Ich trinke Kaffee bis tief in die Nacht. Morgens auf nach Braunschweig. Mit Rust und Dincklage. Gautagung. Erschienen in der 4. Nummer der „Nationalsozialistischen Briefe" vom 15. 11. 25 abgefaßt wie üblich in Briefform. Adressat war jener ebenfalls im „Michael" auftretende, fingierte oder auch tatsächlich existierende Iwan Wienurowsky. Der Tenor: Wir schauen nach Rußland, „weil Rußland der uns von der Natur gegebene Bundesgenosse gegen die teuflische Verseuchung und Korruption des Westens ist", „weil wir im Bunde mit einem wahrhaft nationalen und sozialistischen Rußland den Anfang unserer eigenen nationalen und sozialistischen Behauptung erkennen". 2 Bernhard Rust, Studienrat in Hannover, der spätere Reichsminister für Wissenschaft, 1

und

und Volksbildung. Erziehung 3

Hanns Kerrl, damals mittlerer Justizbeamter und NSDAP-Kreisleiter von Peine, im Dritten Reich Preuß. Justizminister, stv. Reichstagspräsident und Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten.

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Das alte, hergebrachte Niveau. Ich lerne Esser kennen. Geschniegelt und gebügelt. Der kleine Hitler. „Wie er sich räuspert, wie er spuckt, das hat er ihm trefflich abgeguckt." Ein hübscher Bengel. Grauenhaft! Ahlemann1: ein ordentlicher Mann mit nationalen Fanfaren. Oberst Ahlemann. Er lernt's nicht mehr, trotz äußersten Bemühens. Nachmittags lege ich mich ein paar Stunden zu Bett. Draußen ist heller Tumult, von den Juden mit Geld gemacht. 1/27 Uhr. Wir fahren mit dem Auto zu Hitler. Er ist gerade beim Essen. Schon springt er auf, da steht er vor uns. Drückt mir die Hand. Wie ein alter Freund. Und diese großen, blauen Augen. Wie Sterne. Er freut sich, mich zu sehen. Ich bin ganz beglückt. Er zieht sich zehn Minuten zurück. Dann hat er seine Rede im Bruch fertig. Unterdeß fahre ich zur Versammlung. Und rede 2 Stunden lang. Unter großem Beifall. Und dann Heilrufen und Klatschen. Er ist da2. Er drückt mir die Hand. Er ist durch seine große Rede noch vollkommen erledigt. Dann spricht er hier noch eine halbe Stunde. Mit Witz, Ironie, Humor, Sarkasmus, mit Ernst, mit Glut, mit Leidenschaft. Alles hat dieser Mann, um König zu sein. Der geborene Volkstribun. Der kommende Diktator. Abends spät erwarte ich ihn noch vor seiner Wohnung. Ein Händedruck. Mit dem Auto zurück zu Rust und Dincklage. Noch lange Disputationen3. Dann in den Zug. 2.12 Abfahrt. Die ganze Nacht durch. Ich kläre auf. Unsere Leute aus Hameln4. Sie danken mir. Morgens 9 Uhr in Elberfeld. Haufen Post und Arbeit. Im Eiltempo darüber. Und dann schlafen, schlafen Ich bin so müde, so müde .

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7. November 1925. Große Berichte über meine Rede in Braunschweig. Im Ganzen sehr gut. Die Marxisten schimpfen. Betrieb hier bis dorthinaus. Gleich geht's nach Hause. Ich bleibe bis Montag abend. Hurra!!!

10. November 1925. Samstag nach Hause. Bei Mutter, Else, Elsbeth und allen anderen. Zwei Tage des Friedens. Ich war so froh. Mit Else Glück und Verdruß. Elsbeth war so lieb. Und Maria. Vater hatte Namenstag. Wie bescheiden und gut die beiden, Vater und Mutter doch sind! Und ich muß ihnen so viel Gram bereiten. Montag nach Düsseldorf: am 9. November. Totenfeier. Wir haben der Toten gedacht. Bis spät in die Nacht hinein mit Heß disputiert. Er bereut seine gemeine Dummheit. Wir Oberstleutnant a. D. Georg Ahlemann, früher deutsch-völkischer Landesverbandsvorsitzender in Potsdam, 1925 zu den Nationalsozialisten übergetreten. 2 Hitler sprach an jenem Abend des 5. November in drei Versammlungen, im „Konzerthaus", im „Keglerheim" und im „Sächsischen Hof" (VB v. 6. 11. 25). 3 Manvell/Fraenkel, die jenes Treffen ins preußische Hannover verlegen, schließen daraus S. 59, daß G. hierbei also Hitler wie er es vorgehabt hatte lange habe sprechen können. Bichtiger ist wohl, daß er allein zu Rust und Dincklage zurückgefahren ist, von dem einer Aussprache aus dem Wege gehenden Hitler mit jenem „Händedruck" abgefunden. 4 Die Partei hatte also weither aus dem preußischen Gebiet, in dem Hitler ja Redeverbot hatte, ihre Leute nach Braunschweig zusammengeholt. 1





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wollen ihn doch wieder an die Arbeit setzen. Heute morgen bekomme ich von ihm einen langen Brief, der Kern in diesem jungen Mann ist doch gut. Eine Überraschung: Herr König, mein Famulus, ist in aller Offenheit über mich in der gemeinsten Weise losgezogen. Fristlos entlassen! Heute abend in Hattingen große öffentliche Versammlung. Morgen, übermorgen und Freitag nach Osnabrück, Itzehoe und Altona. Mein offener Brief an Wulle in den N.S. Briefen wirbelt viel Staub auf1. Recht so! Ich bin in einer furchtbar pessimistischen Stimmung. Der Glaube an die innere Kraft des deutschen Volkes gerät manchmal bei mir ins Wanken. Das sind dann die grauenvollsten Stunden meines Lebens. Besonders wenn ich abends so allein stundenlang im Bummelzuge nach Hause fahre. Ich habe manchmal Sehnsucht nach Familie und Frieden. Ich werde das nie im Leben mein Eigen nennen können. Schweig stille, mein Herze! 11. November 1925. Gestern in Hattingen eine Bombenversammlung. Noch vor dem Saal stand es schwarz voll Menschen. Ich habe mich tapfer durchgeprügelt. Ein Erfolg auf der ganzen Linie. Hattingen war restlos begeistert2. Alle waren voll heller Freude. Spät in der Nacht mit dem Auto zurück. Um x/22 Uhr hier Ankunft. Fleute noch hier und da etwas herumgearbeitet. Gleich beginnt der erste Teil der großen Reise. Heute Osnabrück, morgen Itzehoe, übermorgen Altona. Es ist ein wundersam schöner Flerbsttag. Ich möchte wohl eher in die Natur Gottes hinaus! 14. November 1925.

Auf der Bahn. In jagender Eile nach Osnabrück. Totmüde. Lange Disputationen. Abends spreche ich. Vor Bourgeois. Etwa 2000. Man rast vor Beifall. Bis spät in die Nacht hinein geklönt. Dann weiter. Nach Hamburg. Durch diese Riesenstadt. An den Hafen. Draußen in Nebel und Qualm liegen Schiffe. Man ahnt Meer und Amerika. Auf der anderen Seiten Riesenwerften. Ein Heulen und Singen in den Lüften. In Schleswig hinein. Itzehoe. Herr Schneider3 erwartet mich. Ich rede vor 200 Menschen. Wie primitiv, fast möchte ich sagen, wie dumm. Abends mit Pg. Schneider und Klagges4 noch lange disputiert. Zwei friesische Heilandssucher. Der Brief („Das traurige Ende einer Kampfansage" im 3. Brief v. 1. 11. 25, später auch in Goebbels' erster Broschüre „Die zweite Revolution. Briefe an Zeitgenossen" abgedruckt) schloß mit den für seinen Verfasser typischen Sätzen: „Jetzt stehen wir Ihnen als politische Gegner gegenüber und sagen das, was wir zu sagen haben; offen, ehrlich, ohne Umschweife. Und sehen in Ihnen jene bürgerliche Opposition gegen den eigenen Bürgerstaat, die Opposition, die gerne möchte, aber nicht kann, die Opposition der Sparer, Rentner und Kleinbürger, die sich brav und gedämpft halt ein bißchen Gegnerschaft zu diesem verflucht teuren Staat leisten und je nach Bedarf bei uns die Füße wärmen." 2 Die erste Stadt des Ruhrreviers, in der die Nationalsozialisten die Oberhand gewannen. 3 Der Ortsgruppenleiter von Itzehoe, nach Angabe seines Nachfolgers Bodo Uhse („Söldner und Soldat", Berlin 1956, S. 144) ehemals Volksschullehrer und nunmehr Mühlenfabrikant. 4 Dietrich Klagges, damals Mittelschullehrer in Wilster/Holstein, später braunschweigischer Ministerpräsident. 1

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Ich habe viel gelernt. Klagges schreibt ein Buch über Christus1. Ich bin müde, müde. Andern Tags noch lange mit Schneider erzählt. Er ist ein lieber Kerl. Produkt von Klagges. Nach Altona. Lohse an der Bahn. Und ein paar andere ordentliche Leute. Post da. Brief von Heinrich Dolle2. Freut mich sehr. Abends spreche ich. Fast nur Hafenarbeiter. Ein ordentlicher Kommunist. Ich bin beinahe mit ihm einig. Schlußwort. Dann plötzlich eine wüste Stuhlschlacht. Das kracht und knallt. Schupo räumt. Intermezzo. Verdiente Ruhe. Heute morgen früh weg. Nachmittag an. Hier alles beim Alten. Die Arbeit ist auch ohne mich ihren Weg gegangen. Bin ich hier entbehrlich? Brief von Straßer. Viel, viel Neues. Nächsten Sonntag Plannover Arbeitsgemeinschaft. Da wird wohl allerhand aufs Tapet kommen. Ich bin müde. Den ganzen Tag geschrieben. Rosenberg bringt im „Beobachter" meinen Aufsatz „Nationalsozialismus und Bolschewismus". Und schreibt einen langen Kommentar dazu. Teils pro, teils contra3. Ich antworte. Morgen nach Buer. Knickmanns Überführung4. Morgen abend ab Essen nach Plauen. Eine Woche Sachsen. Ein Hundeleben führen wir. Herr, mach uns frei! Es ist zum Kotzen!!! 23. November 1925. Sonntag Buer! Knickmann Gedenkfeier. Bums5. Oha. In den Nachtzug. Mit Hellermann bis Dortmund. Dann nach Sachsen. Montag mittag bin ich da. Plauen! Große Versammlung. Voller Erfolg. Nach Chemnitz. Vor 2000 Kommunisten. Ruhiger, sachlicher Verlauf. Am Ende der Versammlung eine wüste Prügelei. 1000 Biergläser entzweigeschlagen. 150 Verwundete, 30 schwere, 2 Tote6. Mein 1

Gemeint ist das weiter unten nochmals erwähnte, im Dezember 1925 von Klagges der deutsche Glaube". 2 Ein „deutscher Freiheitsheld" und „völkischer Vorkämpfer" aus Kleinenberg in Westfalen, der seit dem 22. 10. 25 im Gefängnis Paderborn verschiedene auf Grund des Republikschutzgesetzes verhängte Freiheitsstrafen verbüßte. D. wurde noch vor Weihnachten 1925 entlassen (VB v. 10. 11. und 25. 12. 25). 3 In der Ausgabe vom 14. 11. 25. Die hier in aller Öffentlichkeit geführte innerparteiliche Auseinandersetzung über die Einstellung gegenüber dem bolschewistischen Bußland ist ungemein interessant. Dem Linksabweichler Goebbels gab der Parteiideologe Rosenberg eine Nachhilfestunde: er habe den Kern des Bolschewismus als eines jüdischen Herrschaftssystems übersehen, er habe Lenin „merkwürdigerweise idealisiert", er habe das heutige Rußland als „Keimzelle zu einer neuen nationalen Gliederung der Staaten Europas" bezeichnet, während es doch in Wirklichkeit gerade ein Hindernis dafür sei, er habe die Zwistigkeiten zwischen den New Yorker, Londoner und Moskauer Juden irrigerweise für ernst und tiefgreifend genommen und habe schließlich gar einen solchen Wortbastard wie „Nationalbolschewismus" gebraucht, für die rechtsstehenden Nationalsozialisten eine Art von intellektueller Blutschande. 4 Ludwig Knickmann, Teilnehmer am aktiven Ruhrwiderstand und von den Belgiern am 21. Juni 1923 in Sterkrade erschossen, wurde am 15. November 1925 in seine Heimatstadt Buer überführt (VB v. 29./50. 11. 25). 6 An den Feiern waren auch Stahlhelm, Wehrwolf u. a. Verbände beteiligt gewesen. 9 Der VB berichtete am 25. 11. 25 von „mindestens 40 bis 50" Verletzten, darunter 2 Polizeibeamten. Ein Schwerverletzter sei am nächsten Tage, dem 18. IL, im Krankenhaus verstorben.

fertiggestellte Buch „Das Urevangelium Jesu,



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die dich lieben! Ich wohne bei Ingenieur Hallig. Ein liebenswürdiges, gastliches Kamel. Man umtreut mich. Frauenreden! Sächsische Gemütlichkeit. Mittwoch Bußtag. Ich bin müde und erschüttert. Donnerstag Zwickau! Beinahe-Prügelei. Freitag Versammlung in Werdau verboten1. Man hetzt gegen mich in der Judenpresse. Mutschmann, der Landesleiter aus Sachsen2 (ein ordentlicher, brutaler Führer) bittet mich nach Plauen. Ich komme an. Hitler ist da. Meine Freude ist groß. Er begrüßt mich wie einen alten Freund. Und umhegt mich. Wie lieb ich ihn! So ein Kerl! Und er erzählt den ganzen Abend. Ich kann nicht genug hören. Eine kleine Versammlung. Ich muß auf seinen Wunsch zuerst sprechen. Und dann redet er. Wie klein ich bin! Er gibt mir sein Bild. Mit einem Gruß ans Rheinland. Heil Hitler! Samstag! Auf den D-Zug. Nach Hannover. Einkäufe. Strasser kommt von Berlin. In der Nacht auch Kaufmann und Elbrechter. Sonntag. A. G. Sitzung3. Wir radikal heran. Januar ist das Programm fertig. Spät abends zurück. Ich spreche mich mit Kaufmann aus. Es gab kleine Differenzen zwischen uns. Nun ist alles im Reinen! Heute den ganzen Tag Arbeit. Else böser Brief. Morgen nach Bielefeld. Mittwoch nach Rheydt. Zu Mutters Namenstag! Und zu Eisens Trost! Donnerstag auf zwei Tage Berlin reden. Auch zu Strasser. Samstag zurück. Sonntag Dresden. Ich bin so grenzenlos müde. Ich freue mich auf Weihnachten! Da gibt's Ruhe, Ruhe! Ich möchte Hitler als Freund haben. Sein Bild steht auf meinem Tisch. Ich könnte es nicht ertragen, an diesem Mann verzweifeln zu müssen. Gute Nacht! Schlafkrankheit auf der negativen Seite!

Volk,

wehe

denen,

28. November 1925. Bielefeld. Bombenversammlung. In der Nacht heim. Morgens bei Mutter. Froher Empfang. Ins Bett. Mittags kommt Else. Mutters Namenstag. Donnerstag früh auf nach Berlin. Mutter geht mit zur Bahn. Wie gut sie ist. Den ganzen Tag gefahren. Ausgeschlafen. Sündenbabel Berlin. Ich rede zu Tausenden4. Strasser, sein Bruder, Feder6, Frick6, alle sind da. Bombenerfolg. Mit allen noch zusammen. Nach dem VB (26. 11. 25) hatte der Wirt es nach den Vorfällen in Chemnitz vorgezogen, seinen Saal nicht zur Verfügung zu stellen. 2 Martin Mutschmann, Spitzenfabrikant aus Plauen, Landesleiter von Sachsen (ihm untergeordnet gab es bis August 1926 noch die „Gaue" Chemnitz, Zwickau, Leipzig-Borna usw.). 3 Einem Erinnerungsfehler Otto Strassers („Hitler und ich", Konstanz 1948, S. 116) folgend, verwechselten lange alle Darstellungen über die Frühzeit der Bewegung (Bullock, Görlitz, Riess usw.) diese Zusammenkunft der frondierenden Arbeitsgemeinschaft der nord- und westdeutschen Gauleiter mit der gleichfalls in Hannover abgehaltenen Tagung vom 25. Januar 1926 (vgl. die dortige Eintragung). Das richtige Datum findet sich erstmals bei Manvell/Fraenkel. 4 G. sprach in der Bockbrauerei über „Lenin oder Hitler", am folgenden Abend im Kriegervereinshaus über „Völkerbund und Sicherheitspakt". Zum Sportpalast war es noch ein weiter Weg. 5 Gottfried Feder, Dipl.-Ing., Alt-Parteigenosse und auf dem linken Flügel stehender Parteidogmatiker („Brechung der Zinsknechtschaft"). F. wurde damals infolge der zunehmend bürgerlichen Orientierung Hitlers langsam kaltgestellt. Im Dritten Reich war er vorübergehend Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium und starb 1941 kaum beachtet als Professor an der TH Berlin. 6 Dr. Wilhelm Frick, 1925 als Oberamtmann im Münchener Polizeipräsidium Förderer 1

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Dr. Schlange1 ein guter Kerl. Strasser Bruder2 so ordentlich wie er selbst. Ich werde mit ihm Freund werden. Ich wohne bei einem Parteigenossen Rehm3. Sehr nett. Freitag! Mittags zum Reichstag. Bald habe ich Strasser. Im Bestaurant. Da wird Locarno beschwatzt. Alle die hohen Excellenzen turnen herum. Grauenhaft! Juden und Judenknechte! Ich sitze am Fraktionstisch. Strasser macht höhnische Bemerkungen. Beventlow4. Er spricht sachlich und kühl. Mein Brief an Wulle steckt ihm wohl noch in der Nase. Ludendorff kommt. Erschütterung! Er spricht lange mit mir. Von allem weiß er Bescheid. Ich schaue ihn immer nur an. Ins Sitzungszimmer. Klara Zetkin spricht. Scharf, spitz, klar, in grauem Hasse, eine Pionierin des Bolschewismus in grauem Hasse. Graefe5! Schneidig, blitzend, geistvoll. Das andere ist Scheißdreck. In den Gängen wandeln sie umher. Politische Leichen. Parlamentssumpf. Ich habe Übelkeit. Heraus. Zu Familie Bechstein. Hitlers Salon6. Ich werde aufgenommen wie ein alter Freund. Abends Versammlung. Locarno angenommen. Ich spreche gut. Schneidiger Schluß7. Lange Sitzung. Dann Bett. Frühmorgens heraus. In den Zug. Es schneit. Jammer ist in mir. Welch ein Zigeuner bin ich worden! Ich schlafe die ganze Fahrt. Elberfeld. Toni Kesseler, Kaufmann, Schmitz. Ich werde mit Vorwürfen überschüttet. Danke schön. Sie werden ohne mich nicht fertig. Ich nehme das Alles gerne entgegen. Ich bin Kummer gewöhnt, wie Aßmann8 sagt. Die Arbeit ist hinter mir. Ach, Gott sei Dank! Morgen kommt Else. Wie ich mich darauf freue! Ach, wenn ich Dich nicht hätte in all meiner Not! Von Ruhm zu Erfolg gehe ich dem Untergang entgegen. Wie grauenvoll ist doch dieses Leben! Morgen abend setze ich mich auf die Bahn und fahre nach Dresden. Von da nach Lübeck und Schwerin. des Hitlerputsches, später Fraktionsführer der NSDAP im Reichstag, 1930 thüringischer Innenminister und im Dritten Reich Reichsinnenminister bis 1945, dann Reichsprotektor in

Prag. 1

Dr. Ernst Schlange, Regierungsrat, Vorgänger von Goebbels als Gauleiter von Berlin ab 20. 6. 26), später Gauleiter von Brandenburg (1930—33) und LotterieGeneraldirektor. 2 Dr. Otto Strasser, ehem. Sozialdemokrat, seit 1925 als Mitarbeiter seines Bruders Gregor führend im norddeutschen Nationalsozialismus tätig, 1950 Bruch mit Hitler und Gründung rechtsradikaler Splittergruppen („Schwarze Front" u. a.). 3 Rudolf Rehm, ein Berliner Pg., später Kassenwart des Freiheitsbundes; im 3. Reich Amtsleiter des Amtes Dorfgemeinschaftsleben im Hauptkulturamt der Reichspropagandaleitung. 4 Ernst Graf zu Reventlow, Seeoffizier a. D. und völkischer Schriftsteller („Der Reichswart"), am 10. Februar 1927 zur NSDAP übergetreten. 5 Albrecht v. Graefe (-Goldebee), Gutsbesitzer, Gründer und Führer der „Deutschvölkischen Freiheitspartei". 6 Die Familie des Berliner Klavierfabrikanten, insbesondere Frau Helene Bechstein, gehörte zu den frühesten Förderern Hitlers. 7 Was Schließlich machte ein Psychosich im VB v. 6./7. 12. 25 so niederschlug: „. in Goebbels die Objektivitätsfimmel. Gegner kurz ab, worauf die glänzend therapeut fertigte verlaufene Versammlung mit einem dreifachen Heil auf unseren Führer Hitler schloß." 8 Wohl der sprichwörtliche „Pfarrer Aßmann", falls nicht der damalige Lüdenscheider NSDAP-Propagandist Eberhard E. Aßmann gemeint ist.

(„beurlaubt"

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Wieder eine ganze Woche heimatlos. O, du grauenvolle, mitleidlose Welt! Draußen schneit es weiße Flocken! Weh dem, der keine Heimat hat! 5. Dezember 1925. Mit Else einen Tag in Elberfeld. Mit ihr und Kaufmann letzten Sonntag bei mir zu Hause gemütlichen Nachmittagskaffee verlebt. Wir waren alle gut zueinander. Abends auf die Bahn. Die ganze Nacht durch. Nach Dresden. Montagmittag Ankunft. Lieb empfangen. Ich bin kapores. Den Nachmittag geschlafen. Abends einer meiner größten Erfolge. So habe ich selten gesprochen. Vor 2000 Menschen. Wie ein Prediger der neuen Zukunft1. Dienstag auf die Bahn. In aller Herrgottsfrühe. Den ganzen Tag gerutscht. Mittags Berlin. Einige Einkäufe. Dann Waschung. Nach Lübeck. In Hamburg kurzer Aufenthalt. In Lübeck halbvoller Saal. Ich bin müde. Nach Dresden mäßige Rede. Aber die Leute sind zufrieden. Lübeck, die alte Hansestadt im Schnee. Welch ein entzückendes Bild. Ich habe den ganzen Mittwoch und Donnerstag frei. Pg. Koop, er erinnert mich an Th. Manns Christian, führt mich durch die Stadt. Ich ahne alten Hansegeist und denke immer an die Buddenbrooks. Marienkirche, altes Schifferhaus, Holstentor, Rathaus. Ein prachtvoller Gang durch Schnee-Lübeck. Marienkirche: voll von mittelalterlichem Reichdie muß man gesehen haben2. Totentanz. tum. Aposteluhr. Die kleine Maus, Ich bin wie neu geboren. Ruhe, Ausspannung. Seit Monaten gehe ich zum ersten Male wieder in ein Cafe. Rathaus: Kriegszimmer, Senatszimmer. Welche Schnitzereien! Lebensarbeiten! Ich denke immer an Thomas Mann. Stagnierter Bürgergeist, voll alter Kultur. Der Marktplatz! Die alten Tore, der Wall, der Flafen! Donnerstag abend spreche ich in Schwerin vor dem Hofe und dem Ministerium. Ich sage alles, was ein Revolutionär zu sagen hat. Bis tief in die Nacht sitze ich noch mit dem Gauführer Hildebrand3 zusammen. Freitag Abfahrt. Durch die Dummheit eines Begleiters verpasse ich den Zug, sitze im falschen Zug. Den ganzen Tag kaput. Hamburg Aufenthalt. Rundfahrt im Hafen. Riesenschiffe, Riesenwerfte. Deutscher Fleiß und deutscher Unternehmungsgeist, von Juden ausgenutzt. Rückfahrt durch den Schneesturm. Alle Anschlüsse verpaßt. Fluchen und Schimpfen. Der Zug bummelt weiter. Umweg durchs Ruhrgebiet. Flalt! Station? Recklinghausen! Ich denke an Anka. Düsseldorf! Müde wie ein Sack. 2 Uhr nachts! Elberfeld! Durch den tiefen, weichen Schnee nach Hause. Der Tisch voll Arbeit. Ich schufte bis 1/24 Uhr. Ich kann nicht einschlafen. Drängender Gedankensturm! Viel Ärger undMißliches! Heute morgen x/28 Uhr heraus. An die Arbeit. Toni Kesseler hilft. Jetzt so ziemlich alles hinter mir. Gleich nach Düsseldorf. Morgen große Schlageter—

Der VB (v. 10. 12. 25) begnügte sich mit 1500 Zuhörern. G. hielt seinen Vortrag „Lenin oder Hitler", jedoch unter dem Titel „Aufstieg oder Untergang", da die Sachsenregierung sein Thema verboten hatte. 2 Eine schwarze Maus an den Wurzeln eines Eichengeästes nagend, ehemals das Wahrzeichen der Stadt, war an der Chorschranke der dann 1942 zerstörten Marienkirche in ein Kalksteinrelief eingearbeitet, welches das Abendmahl darstellte. 3 Friedrich Hildebrandt, Landarbeiter, ursprünglich Völkischer, dann Nationalsozialist, seit 1925 Gauleiter von Mecklenburg-Lübeck. 1

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feier. Eine Hetze um die Idee. Ich hin wie ein geschossenes Reh! Nächste Woche endlich Ruhe. Dann kommt die stille Weihnachtszeit! Gloria in excelsis Deo! 7. Dezember 1925. Gestern und vorgestern in Düsseldorf. Sonntag große Schlageterfeier. Morgens im Zoo. Beethoven und Grieg. Dann vor 2000 Menschen meine Gedenkrede. Ich sprach aus ganzem, vollem Herzen. Und aus vollem Herzen dankte man mir. Mittags lange mit Kaufmann und Hauptmann v. Pfeffer verhandelt. Dann heraus in den tiefen weißen Schnee. 1200 S.A. Mannschaften auf dem Wege zu Schlageters Grab1. Eine Kuhle. In der Mitte ein Kranz und Grün, darauf ein Stahlhelm. Unsere Leute haben wunderbar gearbeitet. Ich hatt' einen Kameraden Kaufmann Rückspricht. Zu Herzen gehend. Es geht bei gedämpfter Trommelklang2 marsch. Auf der Königsallee Parademarsch. Das ist die Garde. Im Rhythmus des Gleichschritts singt die Idee. Gemeinsamkeit. Sozialismus! Nach Hause! Schöner Tag! Heute viel Arbeit. Post und Lektüre. Ein Aufsatz für die n.s. Briefe. „Badikaler Sozialismus" oder „sozialer Radntalismus." Ich weiß noch nicht3. Die Pressecanaille schimpft über uns. Einst kommt ein Tag! Else war nicht da. In Moers. Kommt morgen. Ich muß lesen, schreiben und reisen. Ich komme nicht zu mir selbst. Dieser Wahnsinn in Hetze und Arbeit. Ich freue mich auf Weihnacht. An die Arbeit! .

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9. Dezember 1925. Else war gestern wieder nicht da. Ohne ein Wort zu schreiben. Ich verstehe das nicht. Ich arbeite mit Hochdruck. Mein letzter Aufsatz für die N.S. Briefe: „die Radikalisierung des Sozialismus." Ein prachtvolles Thema. Haase, Göttingen und Strasser haben grundsätzliche Darlegungen der außenpolitischen Lage gegeben, die ich in prinzipiellen Erörterungen ergänzt habe4. Hochinteressante Ausführun1

Nach der Morgenfeier im Zoo fand von 13.30 Uhr bis 15 Uhr ein gemeinsamer Marsch 2500 (?) SA-Leuten in die Golzheimer Heide zu Schlageters Erschießungsstätte statt, wobei auf dem Wege an der früheren Ruhestätte im Nordfriedhof ein Kranz niedergelegt wurde (VB v. 13./14. 12. 25). G. meint im folgenden die Nachmittagsfeier in der Heide. 2 Richtig bei Chamisso: Es geht bei gedämpfter Trommel Klang. 3 Erschienen im 6. Brief vom 15. 12. 25 unter dem Titel „Die Badikalisierung des Sozialismus". Es war ein Brief an einen völkischen „Vorkämpfer" (Anrede: „Herr Vorkämpfer"), der bereits „Antisemit unter Liebermann von Sonnenberg" gewesen war und dem G. nun klarmachen wollte, daß es den Nationalsozialisten durchaus ernst sei mit dem Sozialismus: „Dann müssen auch Sie es einsehen lernen, daß wir alles andere sind als eine schwarz-weißrote Schupo für bürgerlichen Eigennutz und spießerhafte Buhe und Ordnung." * Haase (anonym) im 7. Brief v. 1. 1. 26, Strasser und Goebbels im folgenden Brief. Die Uberschrift lautete: „Zu den außenpolitischen Zielen des Jungdeutschen Ordens" bzw. bei Goebbels „West- oder Ostorientierung". Der J. O. befürwortete eine Verbindung Deutschland-Frankreich und Zusammenschluß Europas gegen die Sowjetunion. Dagegen wollte Haase abwarten und später entscheiden, bei welcher Mächtegruppierung die meisten Vorteile liegen würden, während Strasser proklamierte: „Das deutsche Mitteleuropa im Kampf gegen den Westen, mit vorläufiger Unterstützung des Ostens." Und im gleichen Sinne von









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gen, die im Grundsätzlichen münden. Das macht mir Spaß. Gestern Abend Sprechabend. Hier in Elberfeld. Hochinteressant. Gleich geht's zum Gericht. Schieberprozeß. Judengeseire. Zum Studium der antisemitischen Frage. Atta Schmerfeld holt mich eben ab. Adio! 10. Dezember 1925. Judenprozeß! Ein

jüdischer Proletarierführer verteidigt schwerkapitalistische Schieber. Man konnte hassen lernen! Neues Tipmädel! Häßlich, aber ostgalizische Viel viel Arbeit, fleißig! Ärger und wenig Freude! Bei meinen Reisen ist hier alles drunter und drüber gangen. Ich muß jetzt den Stall zuerst einmal ausmisten. Dann geht's an die weitere Arbeit. Heute noch alle Hände voll zu tuen. Aber ich komme doch darüber. Morgen komme ich nach Hause. Ich freue mich auf Else, auf Mutter, Maria und Elsbeth. Unsere N.S. Briefe sind in Form. Sie machen mir Spaß. Wie gut tut mir jetzt die Ruhe nach den vielen Reisen. Ich erhole mich zusehendst. Bald werde ich wieder der alte sein. Und dann geht's im neuen Jahr mit verdoppelter Kraft an die Arbeit. 12. Dezember 1925.

Gestern Kompagnieabend1. Ich habe den Leuten von meinen Reisen erzählt und selten so andächtige Zuhörer gehabt! Heute geht's nach Hause. Zu Mutter und Else. Ich freue mich! 14. Dezember 1925. Zwei Tage in Rheydt. Viel Freude, aber auch viel Ärger und Verdruß. Man fühlt immer den verkappten Spießer. Auch bei Else, soviel Mühe sie sich gibt. Heute morgen um 8 Uhr fahre ich ab. Else hatte bei uns geschlafen und lag noch zu Bett. Warum stand sie nicht auf und ging mit mir zur Bahn?! Wieder lustiges Schneetreiben. In Elberfeld nichts Neues. Heute abend gehe ich mit Kaufmann zum Theater. „Peer Gynt". Ein Brief von Ludendorff. Gruß und Dank für Programmentwurf. Beschwerden über Heinrich Bauschen. Über Geldsachen. Grauenhaft. Die Besten straucheln über den nervus. Radio! Radio! Radio im Hause! Der Deutsche vergißt über Radio Beruf und Vaterland! Radio! Das moderne Verspießungsmittel! Alles zu Hause! Das Ideal des Spießers!

15. Dezember 1925. Gestern mit Karl Kaufmann „Peer Gynt". Aases Tod überirdisch schön. Ich dachte an meine Mutter und hätte weinen mögen. Wie bald geht das Leben dahin, und wir haben so selten Herzen froh gemacht. Solveigs Wiegenlied. Mir geht Griegs Goebbels: „Ob Rußland die Sowjet-Herrschaft blicht oder nicht, ist seine Sache Bindung Westen bedeutet auf alle Zeiten Verzicht Darum stellen wir uns Rußland an die Seite als gleichwertige Partner im Kampfe um die Freiheit, die uns Alles bedeutet." 1 Die SA war zeitweise auch in Regimenter und Kompanien gegliedert, wodurch der später aufgegebene Charakter eines Wehrverbands mehr betont wurde. .

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Melodie immer durch den Kopf. Das Ganze wurde gestern etwas zu männlich gegeben. Bei Ibsen wohnen Gemüt und Verstand dicht nebeneinander. Deshalb ervielleicht auch abgeschmackt. Die scheint er manchmal roh und ungeschlacht, manchmal schamlos Doch ist und die Musik ist keusch wie das Dichtung gemein. Kind der Natur. jüngste -

16. Dezember 1925. Else schreibt mir einen verzweifelten Abschiedsbrief. Sie fühlt sich nun ganz verlassen. Was soll ich tuen? Ich sprach gestern abend lange mit Karl Kaufmann darüber. Das erste Mal, daß wir uns so nahe kamen. Warum kann die Frau nicht restlos mit uns gehen? Kann man sie erziehen? Oder ist sie überhaupt minderwertig? Frauen können nur in Ausnahmefällen Heldinnen sein! Else denkt viel an sich selbst. Sie ist so vernünftig. Wie weh tut mir das, zu denken, daß sie nun ganz allein steht. Ich habe ihr geschrieben, daß ich Sonntag mit ihr in Düsseldorf zusammentreffen möchte. Wenn sie nicht kommt, dann ist alles aus. Dann kommt jetzt ein Bruch, der einmal doch kommen mußte. Und sonst? Flicken? Scheußlich! Aber sonst ist die Verzweiflung nahe! Gerhard Beyer schreibt. Geölter Blitz! Etappe zum spießigen, schwammigen Ästheten. Brief von Willi Hess. Auch seine liebe Not. Brief an Hauptmann v. Pfeffer. Wir wollen Rheinland und Westfalen zusammenschmieden. Der große Plan für das nächste Jahr. Wird durchgesetzt. Dann haben wir einen Machtfaktor, der etwas bedeutet. Ach, mein Herz sei stille! Das Leben ist Dreck! Grauenvolles Erkennen! 18. Dezember 1925. Ich habe Zeit gefunden, wieder mal in Buhe ein Buch zu lesen: Moeller van den Bruck, „das dritte Reich". Der Frühverstorbene schreibt wie in prophetischer Schau. So klar und so ruhig, und dabei doch von inneren Leidenschaften ergriffen, schreibt er all das, was wir Jungen längst mit Gefühl und Instinkt wußten. Warum zog Moeller van den Rruck, warum zieht der Ring und das Gewissen1 nicht die letzte Konsequenz und proklamieren mit uns den Kampf! Geistige Erlösung? Nein Kampf bis aufs Messer. Nur nicht das Vitalste im Leben, Politik, Geschichte vergeistigen wollen. Wieder2 haben die politische Ästhetik knüppelsatt, bevor wir sie kennen. Das Buch gibt manchen Aufschluß. Ich werde viel bei der stürmischen Lektüre lernen. Alles rüstet auf Weihnacht! Else schreibt mir eine Karte, daß Sie Samstag in Düsseldorf sein will. Also morgen Essen, Sonntag Düsseldorf. Welch ein Jammer quält meine Seele! Der Tod ist als Gast im Hause nebenan. Ich hasse den Tod. Und doch wünsche ich ihn manchmal in der Verzweiflung herbei. An Hans Hustert3 richtete ich meinen Weihnachtsaufsatz „Weihnachten 1925" für den 1 Zwei wichtige jmigkonservative, von Moeller van den Bruck gelenkte Zeitschriften (vgl. Armin Möhler: Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, Stuttgart 1950, S.96). 2 Lies: Wir 3 Goebbels' „Weihnachtsbrief 1925" erschien dreispaltig in der VR-Weihnachtsnummer, die Anrede lautete: „Mein lieber Prima".

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Ich arbeite an einem neuen Programmentwurf und diktiere jeden in die Maschine hinein. Der Entwurf von Strasser ist mangelhaft. Ich will der Sache auf den Grund gehen. Draußen ein Hundewetter. Bei mir im Zimmer herrscht schon Weihnachtsfrieden. Ich freue mich auf Weihnacht und hoffe, daß Else wieder bei mir ist.

„Beobachter". Tag 10 Seiten

19. Dezember 1925. Heute nach Essen. Morgen bei Else in Düsseldorf. Hetzjagd. Kaum Zeit zum Essen. Morgen abend Weihnachtsfeier Elberfeld. Weihnachten kommt. Das Pest der Gnade. Mir leuchtet sie nicht! 21. Dezember 1925. Samstag in Essen. Sonnwend. Die ganze Nacht durch. Ich habe geredet. Man hat mich auf die Schultern gehoben. Peinlich, peinlich! Sonntag nach Düsseldorf. Regengrau! Else kommt. Voll Trauer und Trauer. Wir wollen auseinander. Sie weint und fleht. Qualvollste Stunden. Bis wir uns wiederfinden. Alter Jammer! Was soll ich dagegen tuen? Ich muß einen Menschen haben. Sie ist restlos glücklich. Und ich? Ich will nicht von mir sprechen! Es muß wohl so sein! Und1 mir und den Frauen hängt ein Fluch. Wehe denen, die dich lieben2! Welch ein qualvoller Gedanke. Da möchte man verzweifeln. Else mit nach Elberfeld. Regenschwer! In der Ortsgruppe Weihnachtsfeier. Sehr schön und stimmungsvoll. Ich habe selten eine so herrliche Feier mitgemacht. Else heim! Wir sehen uns Weihnachten wieder! 23. Dezember 1925. Ich arbeite die ganzen Tage an einem umfassenden Programm des Nationalsozialismus. Und merke erst jetzt, wie schwer das alles ist. Am 24. I. soll ich fertig damit sein. Montag abend bei Karl Kaufmann. Wolf Essen war da und beleidigte mich in der gemeinsten Weise. Ich bin sofort gegangen. Seitdem sah ich Kaufmann nicht mehr. Ich fühle mich krank. Das Wetter macht ganz verrückt. Tag für Tag Regen. Eine saubere Weihnacht. Morgen geht's nach Hause. Ich habe für alle etwas zu Weihnachten gekauft. Für Else eine kleine, niedliche Weckuhr. Sie wird sich freuen. Samstag (2. Feiertag) fahre ich zu ihr nach Moers. Ich will Weihnachten einmal versuchen, alles Leid und alle Sorge zu vergessen. Die letzten Tage noch viel Ärger und Stunk. Jeden Augenblick ist einer da und hält mich in der Arbeit auf. Gleich noch Korrektur lesen. Ich bin so müde. Ich fürchte, ich bin krank. Alles schmerzt mich. Nervös bin ich bis dorthinaus. Heute nachmittag kommt Terboven-Essen3. Und morgen heiliger Abend. Pax hominibus bonae voluntatis! Lies: Über Der volle Text (s.o. Eintragung v. 23. 11. 25) hatte auch bei der Düsseldorfer Schlageterfeier auf der Kranzschleife gestanden. 3 Josef Terboven, Bankbeamter, damals Ortsgruppenleiter und SA-Führer, später (1928) Gauleiter in Essen. Im Dritten Reich Oberpräsident der Rheinprovinz (1936) und Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete (1940). 1

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24. Dezember 1925.

Weihnachtsmittag! Gleich fahre ich heim! Gestern noch bis tief in die Nacht hinein meinem Vortrag „Lenin oder Hitler?" gearbeitet. Das macht mir einen mordsmäßigen Spaß. Heute nach Rheydt, übermorgen nach Moers zu Else. Sonntagabend an

Und ich bin

wieder nach hier zurück. Die Arbeit ruht!

so etwas

wie zufrieden!

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29. Dezember 1925.

Weihnachten vorbei. Schon wieder mitten im Alltag. Am Heiligabend heim. Alle haben wir uns reich beschenkt. Elsbeth und Manne kamen im Auto. Elsbeth ist ein liebes Kindchen. Hans kam ohne Hertha. Ihm kamen die Tränen. Ich vermißte Else sehr. Am 1. Feiertag den ganzen Tag zu Hause. Mit Benno einen kleinen Gang durch den regnerischen Nachmittag. Benno so ein kluges Tier. Hunde beschämen uns Menschen oft durch ihre Treue und Güte. Abends mit den Kindern bei Konrad1 herumgetollt. Mit Kindern Weihnachten feiern ist das Schönste, was ich mir denken kann. Ein tolles Treiben! 2. Feiertag. Mit Vater Krach. Um Lappalien. Nach Moers. Durch den Regen, durch den Regen. Grau, grau! Rei Else wird's froher. Sie erwartet mich mit brennender Freude. Warum so spät? Wir tauschen liebe Geschenke aus. Sie schenkt mir 2 Bücher von Werner Jansen2. Lotte und Lumpsack sind auch da. Wir unterhalten uns gut. Lumpsack steigt in die hohe Politik und blamiert sich, so gut er kann. Im Hotel geschlafen! Am Weihnachtstag! Gehetztes Luder. Sonntag! Regen, Regen! Alfred Perret holt uns ab. Ein Stündchen noch in diesem lieben Hause. Dann weg nach Elberfeld! Else winkt und weint. Tisch voll Post. Zeitungen, Briefe. Alles durcheinander. Aufgearbeitet. Beobachter und Wochenschau bringen meinen Brief an Hustert. Abends noch aus. Alle hocken sie beieinand. Lukas ist da. Tolle Orgien der Freude. Gestern. Morgens früh geweckt. Schmitz überreicht mir ein Paket. Weihnachtsgruß von Hitler. Sein Buch in Leder mit Widmung. „Vorbildliche Art Ihres Kampfes". Ich freue mich! Nachmittags v. Pfeffer. Alles perfekt. Großgau wird gemacht. Er kommt nach hier. Elberfeld Sitz. Auf die Arbeit. Gestern abend mit Heß nach Crefeld. Weihnachtsfeier. Ein feines, schwarzes Mädchen aus Franken. Die würde mir schon passen. Durch Regen und Sturm mit ihr nach Hause. Auf Wiedersehen! Eben hier angekommen. Viel zu krempeln. Heute nachmittag nach Oberhausen. Begräbnis. Ein Parteigenosse im Bergwerk verunglückt3. Ich soll reden. Begen, Regen! Es ist zum Verzweifeln traurig. An die Arbeit! Zähne zusammenbeißen! Schwamm drüber! 30. Dezember 1925.

Noch viel Arbeit zu Jahresschluß. Morgen sinkt das alte Jahr. Dann steigen wir mit frohem Mut wieder in das neue hinein. Ich arbeite an der Ausarbeitung meines 1 2

G.'s zweiter Bruder, nach Oven (I, S. 238) später Leiter des Frankfurter Parteiverlags. In Lüneburg lebender Schriftsteller, der Romane nach Stoffen der germanischen

Heldensage

schrieb.

Der SA-Mann Leo Kausch war bei den Rombacher Hüttenwerken sprach „unser Gauführer Herr Dr. Goebbels" (VR v. 5. 1. 26). 3

verunglückt.

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Lenin oder Hitler. Er soll in 14 Tagen druckfertig sein. Darum viel Hast und Arbeit hier. Lektüre: „Das dritte Reich" von Moeller van den Bruck. Erschütternd wahr. Warum stand er nicht in unseren Reihen. Gestern Begräbnis in Oberhausen. Sturm-Abteilung mit Fahne. Einer unserer Besten im Bergwerk verunglückt. Ich sprach bei beginnender Dunkelheit. Abends zu Hause gearbeitet. Vortrag. Heute den ganzen Tag Muße zur ruhigen Arbeit. Brief an Else. Wünsche zu Neujahr. Möge es ihr Heil und Segen bringen.

Vortrages:

31. Dezember 1925. Ich schließe das alte Jahr. Es gab mir viel Freude, viel Trost, viel Leid und viel Verzweiflung. Jetzt stehe ich mitten in all diesen Dingen. Und trete mit mutigem Schritt in die neue Wende hinein! Wir sind weiter gekommen! Wir müssen noch unendlich viel weiter kommen! Es wird weiter gekämpft!

2.Januar 1926. Ein trauriger Übergang ins neue Jahr. Kaufmann bekam noch kurz vor Toresschluß einen seiner fürchterlichsten Nervenanfälle. Wir standen mit ihm ringend und tobend auf der dunklen Treppe, er schrie wie ein Besessener und wollte in die Wupper, da schlug es 12 Uhr. Prosit Neujahr! Wir brachten ihn dann im Auto nach Schmerfeldt, wo er die Nacht über blieb. Gestern abend lag er zu Hause zu Bett. Ich besuchte ihn und versuchte, ihn etwas aufzuheitern, was mir auch in etwa gelang. Gleich will ich wieder hingehen. Mir ist so traurig zu Mut. Als wenn etwas kommen müßte. Glückliches Neues Jahr! Was müssen wir alles ertragen. Ich möchte weinen, aber es kommt keine Träne. Wir werden alt und verstockt. Und wie wenig versteht man uns. Arme, arme Welt! So beginnt man das neue Jahr mit Leid und Arbeit. Und geht den vorgeschriebenen Weg, der nun einmal gegangen werden muß. Das Schicksal macht Männer aus uns. Landgraf, werde hart! Es regnet seit Tagen in Strömen. Überall Hochwasserkatastrophen. Das fehlte dem deutschen Volk noch. An allen Enden wirkt sich der „Friede" aus. Wirtschaftlicher Zusammenbruch, Arbeitslosigkeit, Grauen vor der Zukunft, ein vom Schicksal geschlagenes Geschlecht. Prosit Neujahr! Mein Herz ist so schwer in dieser Stunde. Dreck in mir und um mich. Draußen klatscht der Regen gegen meine Butzenscheiben. Ich sitze in meinem Zimmer wie in einer Kapelle. Um mich ist grausenvolle, unheimliche Stille. Wir gehen dem Zusammenbruch entgegen. Prosit Neujahr 1926! 4. Januar 1926. Wer fährt Hans Hustert im Zuchthaus besuchen? Wer bringt das Geld dazu auf? Was sind wir Menschen doch für armselige Kreaturen! Pfui Teufel! Samstag den ganzen Abend bei Kaufmann. Er lag noch zu Bett. Gestern nachmittag auch bei ihm. Schöner Abend mit Musik und Unterhaltung. Karl hat sich aufgerappelt. Gestern den ganzen Morgen und Frühnachmittag an meinen bisher erschienen1 1

Lies: erschienenen

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Briefen herumkorrigiert. Sie soffen in den nächsten Tagen als Buch erscheinen. Titel: „Die zweite Bevolution. Briefe an Zeitgenossen." Heute wieder Diktat von Programm und Lenin-Rede. Ich fühle mich etwas krank. Ich muß mich etwas mehr schonen. Mehr schlafen und weniger rauchen. Das Bauchen ist mein letztes Vergnügen. Deshalb kann ich es so schlecht lassen. Von Straßer einen Brief. Auch er ist krank. Sehr krank. Wir alle sind krank. Wir werden innerlich aufgefressen. Vom Dämon! Das ist furchtbar. Und man ist dem unentrinnbar überliefert. Das ist noch grauenhafter. Man arbeitet, um sich zu betäuben! Nachdenken über sich selbst bringt Verzweiflung. Und so geht man weiter! Im selben Schritt und Tritt. Bis an das Ende! Bis an das selige oder unselige Ende! 6. Januar 1926. Mein Programmentwurf ist fertig. Nach vielem Mühen und Arbeiten. Ich habe zum Schluß die ganze Materie in 24 grundsätzlichen Forderungen zusammengefaßt. Aber ich werde gegen die A.G. noch einen scharfen Kampf auszufechten haben. Aber man wird mir nichts Ernsthaftes entgegenhalten können. Ich habe schon alle Einwände durchdacht. Heute Wiederaufnahme meines Vortrages „Lenin oder Hitler?" im Diktat. Kaufmann kam heute morgen mit Lukas. Das gefällt mir nicht. Lukas ist ein dummes Kamel. Tut sich gerne etwas. Aber es kommt nichts dabei heraus. Brief aus der Schweiz von Olgi. Nach langer Pause. Diese Nacht ein kurzes Erdbeben. Ich konnte nicht schlafen. Habe bis 4 Uhr wach gelegen und in v. d. Brucks „drittem Beich" gelesen. An Else langen Brief. Ich habe ihr den Vorschlag einer Zusammenkunft am Samstag/Sonntag in Cöln gemacht. Ich freue mich auf diese Liebesstunden. Auch Gerhard Beyer werde ich dann besuchen. Ich fühle mich krank. Kann nicht schlafen und nicht essen. Mein Freund Karl Kaufmann macht mir Sorge. Er ist zu unrastig. Ungegoren und ungezügelt. Ein typisches Halbgenie ohne Halt und Ziel. Wie kann ich ihm helfen?! 8. Januar 1926.

schriftstellerischer Plan: Politische Charakterköpfe. Stresemann, Wirth, Scheidemann, Buth Fischer, Hergt etc. Eine Galerie schöner Männerköpfe. Nach und nach. Später als Buch1. Wieder viel Sorge wegen des Mammons. Das Geld geht schlecht ein. Wirtschaftliche Krisen. Mir bis zum Kotzen widerwärtig. Allerlei Sorgen um dies und das. Morgen nach Duisburg. Von da nach Cöln. Mit Else zusammen. Wie ich mich freue! Ausspannung! Nach all der Last des Tages. Kleine Reibereien, unausgesprochen, mit Kaufmann wegen Lukas. Kaufmann läßt ist zu gutmütig und zu weich. Er gerne im letzten Augenblick nach. Er ist aufgerieben. Verbrauchte Nerven. Lukas ist ein Patentkamel. Dämlich, stark und ehrlich. Steckt noch sehr in bourgeoisen Eierschalen. Gestern abend lange mit Schmitz disputiert über Geldfragen. Wie kommt man zu Geld? Unsere Lage wird Ein

neuer

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Erschienen unter der Überschrift: „So sieht er aus! Dreißig Charakterköpfe dieser als Teil der gemeinsam mit dem Zeichner Mjoelnir verfaßten Schrift „Das Buch Isidor. Ein Zeitbild voll Lachen und Haß." 1

Republik"

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auf die Dauer

katastrophal. Die Wirtschaftskrise wächst von Tag zu Tag ins UngeLektüre: Gorch Fock. „Seefahrt ist not". Ein glänzend geschriebenes Buch mit prachtvollen Typen. Man atmet ordentlich auf. Ein Buch der praktischen Vaterlandsliebe. Ein Buch für den Deutschen. Für jung und alt. messene.

11. Januar 1926. Freitag abend Aussprache mit Lukas. Wir kamen ins Reine. Er nahm alles zurück und behauptete das Gegenteil. Habeat sibi! Samstagmorgen v. Pfeffer hier. Die Einigung ist fertig. Wir bearbeiten schon die wichtigsten Fragen von hier aus. In dieser Woche kommt auch Strasser. Im Laufe des Februar kommt mein erstes Buch heraus. „Die zweite Revolution." Gesammelte Briefe. Wir werden's sehr fein machen. Samstagnachmittag in Duisburg. Böse Sachen über Bauschen. Erledigt! Eine Enttäuschung mehr! Abends nach Cöln. Else erwartet mich. Wundersam schöne Stunden Sonntagmorgen! Sonnenschein! Arm in Arm am Rhein herunter. Kein Geld zum Mittagessen. Und doch so restlos glücklich und zufrieden. Du Gute, Liebe! Hab Dank! Nachmittags zu Gerhard Beyer. Bis abends mit ihm zusammen. Er hat Erkenntnisse, aber keinen Mut zu Konsequenzen. Ein einziger Brei von Gefühlen. Grauenhaft! Ich möchte ihn so gerne mitnehmen. Else winkt. Leb wohl, du süße Frau! Elberfeld. Arbeit und Sorgen! Ich komme kaum dadurch. Ganze Stöße Post. Mit Freud und Leid. Heute wieder in den Schritt des Tages. Leben, Leben! Arbeit in Hülle und Fülle. Alles was ich brauche. Schreiben, lesen, entscheiden. Nur wenig Geld! „Seefahrt ist not!" Hab Dank, du toter Gorch Fock. Stunden der Erquickung. Hab Dank! Liebe, gute Else! Ich hab Dich gern! .

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13. Januar 1926.

Einen Aufsatz an Pfeffer „die Badikalisierung des Sozialismus1." Ausgeblutet. Korrekturen des ABC. Zweite Auflage erscheint. 11-20000. Ein großes Objekt. Morgen fahre ich nach Hattingen, um Geld. Direktor Arnold muß vorschießen für den Druck. Ich soll nächste Woche nach Thüringen. Mal sehen! Ein Aufruf für Hustert von mir im „Beobachter2". In einer Woche rund 250 M. Eine wahre 1 Pfeffer griff unter dem Pseudonym „Frederik" in einem Brief an Goebbels (N.S. Briefe Nr. 8 v. 15. 1. 26) dessen gleichnamigen Artikel (s. o. S. 46, Anm. 3) an: man brauche alle, Arbeiter und Bürger, es dürfe auch keine „kleine Schar Freiheitskämpfer" abgestoßen werden, denn er glaube nicht wie Goebbels an „die Macht des Proletariats" als Gruppe. Goebbels antwortete „Frederik" im folgenden Brief, bekannte sich erneut zum Proletariat, um dessen Seele er ringe, und griff wieder das Bürgertum an: „Wir erreichen nichts, wenn wir uns auf die Interessen von Besitz und Bildung stützen. Wir erreichen alles, wenn wir Ich glaube an den Hunger, Verzweiflung und Opfer für unsere Ziele in Marsch setzen Sozialismus im Proletariat." 2 Der Aufruf war ebenfalls ohne Nennung des Namens im VB vom 8. 1. 26 erschienen. Es war nur die Bede von „einem unserer Besten, der jetzt schon im vierten Jahre hinter Zuchthausmauem sitzt, weil er mit einem Novembermann abrechnen wollte". Typisch Goebbels: „Der Zuchthausbrei hat ihm sein Gebiß zerfressen. Eine neudeutsche Gerechtigkeit' verwehrt ihm Arzt und Heilmittel, bis das Geld vorliegt." Insgesamt kamen 400 RM —



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Es gibt noch Opfersinn! Von Else kein Wort. Warum schreibt sie nicht nach so einem Tag? Ich lese: Ernst Jünger. „In Stahlgewittern." Das Evangelium des Krieges. Grausam-groß! Viel Verwaltungsarbeit. Ich freue mich, daß morgen wieder die Reiserei beginnt. Nächste Woche anschwellend, dann A. G. Hannover, dann aufs Ganze, Osnabrück, Schleswig-Holstein, Hamburg. Vogel fliegt in die Welt hinaus!

Erlösung.

15. Januar 1926. Gestern in Hattingen. Alles in Form. Wir bekommen vielleicht Geld. Gott geb's! Heute morgen kommt Straßer daher. Schon einige Stunden ernster Auseinandersetzungen. Gleich Fortsetzung. Ich bin in tausend Eilen und Sorgen! 16. Januar 1926. Strasser da. Vollständig einig. Auch in Pressefragen. Er ist befriedigt wieder abgefahren. Auch v. Pfeffer da. Einigung vollzogen. Pfeffer ist ein lieber Kerl. Aber er muß noch viel lernen. Gestern abend Dr. Oldag kennen gelernt. (Schriftleiter an der B.M.Z.1) Ostpolitik. Er teilt unseren Standpunkt. Phantast deshalb, weil er keine konsequente Innenpolitik seiner Außenpolitik zu Grunde legt. Müde, müde. Die letzten Nächte fast nichts geschlafen. Morgen Sonntag. Gottlob. Zeit zum Arbeiten und Schlafen. Soviele Gedanken und Wünsche bewegen mich. Ich kann jetzt nichts davon schreiben. Müde. Ekel! 18. Januar 1926. Gestern Sonntag geschlafen. Wieviel Ärger, wieviel Sorge! Mir ist innerlich und äußerlich so übel. Von Else kein Wort. Was mag denn da wieder los sein? Mit Kaufmann kleine Reibereien. Am Sonntag in Hannover Entscheidung über das Programm. Viel Arbeit, wenig Freude. Eine Schuld drückt mich. Gott weiß, welche! Ich denke an Mutter! Mit tausend Segeln verlange ich nach einem heimatlichen Hafen! 20. Januar 1926. Gestern Hagen. Dreck und Schleim. Ein paar ordentliche Leute. Am Sonntag Hannover große Programmberatung. Wird verlaufen wie das Hornberger Schießen. Freitag spreche ich hier in Elberfeld. Davon hängt außerordentlich viel ab. Ernst Jünger „in Stahlgewittern" gestern zu Ende gelesen. Ein glänzendes, großes Buch. Grauenerregend in seiner realistischen Größe. Schwung, nationale Leidenschaft, Elan, das deutsche Kriegsbuch. Einer aus der jungen Generation ergreift das Wort über das tiefe seelische Ereignis Krieg und verrichtet Wunder innerer Darstellung. Ein großes Buch. Dahinter steht ein ganzer Kerl. Ich denke lange über das außenpolitische Problem nach. Man kommt nicht um Bußland herum. Bußland ist das A und O jeder zielbewußten Außenpolitik. Die Organisation hängt mir zum Halse ein (VB v. 27. 1. 26) sowie ein Verfahren gegen Goebbels wegen öffentlicher ohne Genehmigung (VB v. 15. 5. 26). —

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Bergisch-Märkische Zeitung,

Elberfeld.

Sammlung

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heraus. Ich bin froh, wenn Hauptmann v. Pfeffer den ganzen Kram übernimmt. Von Else einen lieben Brief. Ich verlange nach den lieben Händen einer gütigen Frau. Von Hause lange kein Wort. Man grollt mir. Ich bin ein Apostata. Mit Karl Kaufmann viel Sorge. Er ist so zerrissen und so zerfahren. Brief von Hitler. Machte mir große Freude. Körperlich sehr schlecht. Ich habe viel Schmerzen und Sorgen. Jetzt ist schon wieder Abend. Mein Herz ist schwer! 22. Januar 1926. Heute abend rede ich hier in Elberfeld. Große Bedeutung. Ich bin bereit. Vorgestern bei mir zu Hause Bowle. Erinnerungen aus Oberschlesien. Kaufmann ist ein ordentlicher Kerl1. Ich freue mich morgen auf Hannover. Viel Arbeit. Nächste Woche fängt das Reisen wieder an. Hamburg, Schleswig-Holstein. Ich lese: Hans Schwarz: Europa im Aufbruch2. 23. Januar 1926. Gestern Elberfeld. Alles gut gegangen. Gleich nach Hannover. Auf in den

Kampf!

25. Januar 1926. Hannover. Ankunft. Elbrechter, Kaufmann. Zum Landbund. Ludendorff ist da. Auch Ahlemann. Später mit allen Gauleitern im Hubertus. Lange Unterhaltung mit Vahlen, Lohse, Hildebrand und Strasser. Dr. Schlange ist ein ordentlicher Kerl. Arm ab, Hand ab, Gesicht zerschlagen. Man nennt ihn Pazifist. Abends noch spät mit Schlange und v. Pfeffer im Hotel zusammen. Plötzlich kommt Gottfried Feder, Zinsknecht, Aufwertungskaktus und erster Programmatiker der Bewegung3. Ach du lieber Gott, was wird das morgen geben. Um 8 Uhr Anfang. Kleine Vorlagen, Presse, (schon der Name „nationaler Sozialist" oder „Nationalsozialist" erregt Debatten) Fürstenabfindung4, etc. Dann Programm. Feder redet. Klug aber stur dogmatisch. Und dann ein endloser Wust von Debatte. Herrgott, was ein Trubel. 1

Kaufmann hatte 1920 beim Selbstschutz Oberschlesien gekämpft. Damals gerade erschienen. Schwarz war der Nachlaßverwalter Moeller van den Brucks. 3 Gottfried Feder erschien als Repräsentant der Münchener Parteileitung, wie Otto Strasser soweit wohl zutreffend berichtet. Als Wirtschaftstheoretiker der Bewegung wetterte er damals in Vorträgen gegen den „Aufwertungsschwindel" (die Aufwertungsgesetze waren im vergangenen Sommer verabschiedet worden); Goebbels dagegen vertrat die Interessen derjenigen, die sowieso nichts aufzuwerten hatten. 4 Die Frage, ob das in den einzelnen Ländern unterschiedlich behandelte Fürstenvermögen reichseinheitlich enteignet oder ob den ehemaligen Besitzern eine Abfindung gezahlt werden sollte, erregte damals die Gemüter. Während Hitler im Zuge seines zunehmend bürgerlichen Trends für eine Abfindung eintrat (demagogisch so ausgedrückt, daß er die gleichzeitige Enteignung der „Bank- und Börsenjuden" forderte), waren die norddeutschen Nationalsozialisten zusammen mit den Arbeiterparteien vom linken Flügel für glatte Enteignung. Ein entsprechender Entschluß wurde nach Otto Strasser hier in Hannover gegen die Stimmen Leys und Feders gefaßt. Das Ergebnis: ein Volksbegehren der sozialistischen Parteien erreichte weit mehr als die erforderlichen Stimmen, der Volksentscheid vom 20. 6. 26 scheiterte jedoch. 2











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Was ist soziale Not? fragt Ley. Ich bin eine Null geworden! Geworden ist gut, sagt v. Pfeffer. Und dann Rußland. Maßlose Angriffe gegen mich. Während ich draußen eine Zigarette rauche. Und dann lege ich los. Rußland, Deutschland, Westkapital, Bolschewismus, ich spreche eine halbe, eine ganze Stunde. Alles lauscht in atemloser Spannung. Und dann stürmische Zustimmung. Wir haben gesiegt. Hier und da legt der eine oder der andere noch einen Aufwertungs- oder Aufnordungskaktus. Aber es fehlt ihm der rechte Mut. Schluß: Strasser schüttelt mir die Hand. Feder klein und häßhch. Punkt. Punkt1. Nach Hause. Elberfeld. Müde, müde. Heute der alte Betrieb. Draußen regnet's in Strömen. Morgen geht's nach Norddeutschland. Ich bin das Beisen so satt. Ich freue mich auf Sonntag. Dann kommt Else! 31. Januar 1926. Von der Reise zurück. Ich finde hier viel Ärger und Verdruß. Else sollte heute kommen; kommt nicht. Mit Karl Kaufmann kleine Reibereien wegen Elbrechter. Elbrechter ist Maurer. Ich nehme dagegen Stellung. Das ist mein Recht und meine Pflicht. Kaufmann läßt sich zuviel mit der Dekadenz ein. Er kompromisselt. Er ist zum Führen zu weich! Am Dienstag ging's nach Osnabrück. Bürgerlicher Dreck. Wärmt sich an meinem Badikalismus die Füße. Ekelhaft. Mittwoch Altona. Besprechung mit einigen Freunden. Ostpolitik. Rußland. Wer schaut ganz durch. Ich finde es grauenhaft, daß die Kommunisten und wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen. Weiter nach Neumünster. Gute, große Versammlung. Viel Opposition. Kleingeschlagen2. Nachher noch bis tief in die Nacht mit ordentlichen Leuten disputiert. Von der ganzen Umgegend waren sie da. Nach Mölln. Mit dem Auto

abgeholt, photographiert,

bestaunt. Überfüllte

Versammlung. Schleimige Opposi-

tion. Bis tief in die Nacht. Nach Hamburg. Den Nachmittag geschlafen. Dann abends im strömenden Regen zur Versammlung. Überfüllt. Ein wundervoller, riesengroßer 1 Dies also war der Kongreß (zu dem Irrtum hinsichtlich des Datums s. o. S. 43, Anm. 3), auf dem G. nach dem Bericht Otto Strassers (a. a. 0., S. 113) eine von einem Stuhl herab gehaltene Bede mit den berühmt gewordenen Worten geschlossen haben soll: „Unter diesen Umständen beantrage ich, daß der kleine Bourgeois Adolf Hitler aus der Nationalsozialistischen Partei ausgeschlossen wird." Manvell/Fraenkel (S. 57) führen dagegen mit Recht das Argument an, G. hätte diesen Eklat in seinem Tagebuch kaum verschwiegen. Wenn jedoch Kaufmann behauptet haben soll, nicht Goebbels, sondern Rust habe diese Worte gesprochen, so ist das eher noch unwahrscheinlicher. Viel näher läge es, das Ganze als Strassersche Stilisierung völlig abzutun, wenn der Herausgeber nicht von dem kürzlich verstorbenen Hans Hinkel, der von 1928—1930 im Kampfverlag eng mit den Brüdern Strasser zusammenarbeitete, erfahren hätte, daß nicht nur Otto, sondern auch Gregor Strasser mehrmals gesprächsweise von dem angeblichen Ausspruch Goebbels' erzählt hat. Es wäre daher denkbar, daß G. jene Formulierung, die seiner Phraseologie wie einigermaßen auch seiner damaligen, noch labilen Einstellung Hitler gegenüber entsprach, zwar gebraucht hat, aber nicht auf jener Versammselbst, sondern irgendwo im engsten Kreise im Sinne von: „Eigentlich müßte man ." lung 2 Im VB v. 7./8. 2. 26 hieß es: „Vier Diskussionsredner (3 Kommunisten und ein Sozi) verdienen kaum der Erwähnung, und Dr. Goebbels konnte nach ihrer Abfertigung im Schlußwort vollen Beifall ernten." —



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Saal1. Mit einer glänzenden Akkustik. Ich bin frisch und ausgeschlafen. Und dann predige ich zwei Stunden lang. Vor atemlos lauschenden Menschen. Und am Schluß winkt und jubelt man mir zu. Ich bin müde und zufrieden. Danach sitze ich mit Vater Klant2, (ein prächtiger Kerl!) und zwei lieben Bekannten aus Altona zusammen. Und bin ganz zufrieden. Gestern morgen Zug verpaßt. Geflucht und gewettert. Beizendes Zimmermädchen aus München. Den ganzen Tag gefahren. Lektüre: „Europa im Aufbruch". Nach 6 Ankunft. Rednerschule. Zu Ende. Heim. Schmitz. Post. Zeitungen. Brief von und an Straßer. Wo können wir einmal mit führenden Kommunisten zusammenkommen? Um 2 Uhr sitze ich noch daran. Dann hundemüde ins Bett. Ein böser Brief an Else. Ein lieber Brief an Hans Hustert. Ich habe ihn recht gern. Er ist so tapfer. Gebe Gott, daß wir ihn bald wiedersehen. Heute ist Sonntag. Ich werde schlafen und dann einen kleinen Spaziergang machen. Ich fürchte, daß ich Karl Kaufmann über kurz oder lang verlieren werde. Schuld daran wird Elbrechter tragen. Unselige Zersetzung. Kaufmanns Verlust wäre mein schlimmster Schmerz. An wen soll man dann noch glauben? Das System zerfällt mit Notwendigkeit. Glückselig die, die bis zum letzten entscheidenden Augenblick aushalten. Werden wir dann nicht verbraucht sein? Dann haben wir verloren! Auf der ganzen Linie verloren. Was ist denn unsere Aufgabe? Ein dem Untergang geweihtes Volk zum letzten Mal in Form zu bringen. Diese Form glaube ich für mich gefunden zu haben. Und stehe vor der grauenvollen Zeit des Wartens. 1. Februar 1926. Kaufmann behandelt mich nicht, wie man einen Freund behandelt. Dahinter steht Elbrechter. Ich ahne das alles und stehe mit gebundenen Händen. Heute nachmittag mit Karl Kaufmann entscheidende Unterhaltung. Ob nun letzten Verlust?! 3. Februar 1926. Mit Kaufmann

lange Unterredung. Er leidet so sehr. Und seine Nerven sind drauf dabei. Ich bin so halb im Reinen mit ihm. Thema Elbrechter nur geganz streift. Er war so lieb zu mir. Eben bekomme ich ein Telephongespräch. Karl ist krank. Er muß heraus. So kann das nimmer weitergehen. Ich muß mich einmal mit darum kümmern. Montagnachmittag mit Herrn vom Bruck8 zusammen, einem führenden Industriellen des Bheingebietes. Endlich ein Wirtschaftsführer. Er hielt uns ein politisch-wirtschaftliches Kolleg von fabelhaftem Ausmaß. Mit dem Mann kann man zusammenarbeiten. Kannte Tschitscherin4 ganz genau. Bestätigte bis zum letzten Punkt unsere Ansichten über den Bolschewismus. Wir sind auf der 1 2

Sagebiel.

Josef Klant, Zigarrenhändler und früherer Deutsch-Sozialer, damals Gauleiter von Hamburg. K. wurde im Herbst jenes Jahres abgelöst und starb wenige Monate später. 3 Es handelt sich wohl um Fritz vom Bruck, damalige Tätigkeit nicht ermittelt, im Dritten Reich einer der leitenden Männer des Hoesch-Konzerns. (Vgl. zu v. Br. auch den 2. Teil.) 4 Georgij Tschitscherin, 1918—29 als Vorgänger Litwinows sowjetischer Volkskommissar des Äußeren (1922 Vertrag von Rapallo).

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Fährte. Abends Diskussion im Sprechabend in Elberfeld. Ein Anhänger der K.A.P.1 Interessante Debatten. Gestern in Mülheim a. d. Ruhr geredet. Schlußeffekt: Massenprügelei, Polizei, Gummiknüppel etc. Von da nach Essen. In Essen geschlafen, bleute morgen erregte Auseinandersetzung mit Frl. Breuer. Sie soll gehen und will nicht. Ich bin so müde. Heute nachmittag mit dem Auto nach Essen. Dort reden. Mit dem Auto zurück. Morgen nach Berlin. Donnerstag und Freitag dort sprechen. Samstag zurück. Von Else kein Wort. Gut so! Zwei dicke Köpfe! Gleich zum Schlafen! „Denn dieser letzten Tage Qual war groß! ..."

richtigen

6. Februar 1926. Essen. Sturm. Voller Erfolg. Auto zurück. Fernzug Berlin. Aussprache Kaufmann. Schlaf bis Berlin. Lichtermeer. Hasten. Berlin! Versammlung. Gut. Behm übernachtet. Morgens zum Bruder Straßer. Viel Neues. Gregor weg. Hitler ist wütend wegen des Programms. Nachmittags Schlange Büro. Viel Klagen. Dann Bechsteins. Alte Dame. Gefährlicher Sommer. Der Herr Kommerzienrat! Eigentum muß erhalten bleiben. Oha! Versammlung! Glänzend. Jubel! Berliner Cafe. Toller Nachtbetrieb. Nach Hause! Samstag. Heute. Den Tag durch gesaust. Elberfeld. Gottlob. Ein paar Zeilen von Else! Viel Post und Neuigkeiten. Nächsten Sonntag Bamberg. Hitler lädt ein. Steh und ficht! Es kommt da die Entscheidung. Auf meinem Tisch stehen eine Beihe neuer Bilder von ihm. Entzückend! Morgen nach Hattingen. Sturmabteilung. Ich bin so hundemüde. Brinkmann war bei Hustert. Erzählte viel. Ich habe Sehnsucht nach einer süßen Frau! O, du grausame Pein! Ist das das Leben? Ich hasse Berlin! 8. Februar 1926. Gestern in Hattingen S.A. Tag. Am Abend große Prügelei zwischen den Unseren und den Kommunisten. Es ist grauenhaft! Heute kurze Aussprache mit Kaufmann. Er ist totkrank. Geht auf die Dauer drauf dabei. Zerfahren und zerrüttet. Trägt viel eigene Schuld. Aber, was will man da machen?! Heute abend komme ich noch ein paar Stunden mit ihm zusammen. Morgen Hannover, übermorgen Braunschweig. Dazwischen Zusammenkunft mit Straßer. Wegen Bamberg. Das wird ja ein liebliches Theater geben! „Zum Kampf der Wagen und Gesänge ..." Sing, Nachtigall Feder! 11. Februar 1926.

Die Nacht durchgefahren. Eben von Braunschweig zurück. In Hannover im Konzerthaus gepredigt. Vor 2000 Menschen. Man hatte gedroht, mich totzuschlagen. Und nachher jubelte man mir zu. Braunschweig. Bürgerliche Versammlung2. Keine Lust zum Beden. Ich sprach Strasser telephonisch. Er war Samstag mit 1

Kommunistische Arbeiter-Partei, eine infolge parteitaktischer Differenzen 1920 abgesplitGruppe der KPD. Nach 1923 löste sich die K.A.P. langsam auf, die Mitglieder traten zu den beiden großen Arbeiterparteien über. (Vgl. „Die Roten Kämpfer", in: VfZ 7 [1959], S. 458ff.) 2 Interessant ist die Versammlung im Braunschweiger „Keglerheim " insofern, als G. hier auf eine Frage aus dem Publikum offen gegen die Fürstenabfindung Stellung nahm (VB v. 20. 2. 26). terte

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Wolf1 zusammen. Wolf ist etwas mehr auf unsere Seite gerückt. Ich muß demnach mit nach Bamberg. Samstagmorgen fahre ich los. Wir werden in Bamberg die spröde Schöne sein und Hitler auf unser Terrain locken2. In allen Städten bemerke ich mit heller Freude, daß unser, d. h. der sozialistische Geist marschiert. Kein Mensch glaubt mehr an München. Elberfeld soll das Mekka des deutschen Sozialismus werden. Heute den ganzen Tag Arbeit über Arbeit. Kurz vor meiner Abreise hatte ich eine lange Aussprache mit Kaufmann. Ich habe ihm alles gesagt. Er erkannte restlos an. Heute abend komme ich wieder mit ihm zusammen. Paul Brinkmann ist ein guter Kamerad. Das wäre ein Sekretär für mich. Toni Kesseler arbeitet wie ein Pferdchen. Überhaupt kann ich mich jetzt ohne Sorgen auf meine Leute verlassen. Das gibt mir eine gewisse Beruhigung. In allen Städten fließt Blut für unsere Idee. Wir können nicht untergehen. Ich will ein Apostel und Prediger sein. Ich beginne wieder zu glauben! 12. Februar 1926.

Willi Heß war hier. Zur Regelung seiner Ehrenangelegenheit. Es gibt scheußliche Menschen! Heute nachmittag erwarte ich Else; ich freue mich darauf. Morgen nach Bamberg. Hitler spricht zu den Gauführern. Ich treffe ein paar Stunden eher Strasser. Da wird der Operationsplan festgelegt. Ich schreibe im Augenblick einen Aufsatz: „Dogma oder Entwicklung?" Ich glaube wohl, daß der viel Staub aufwirbeln wird. Aber wir wollen ja hetzen und putschen! Hitler sagte eins der besten Worte: „Wir sind die Hetzer der Wahrheit." am Abend: Else war heute nachmittag hier. Lieb und gut. Eine liebe kleine Ausspannung. Sie schied mit Tränen in den Augen. Wie klein und rührend sind ihre Sorgen! Es regnet in Strömen. Ich sitze noch spät und arbeite. Morgen muß ich wieder früh heraus. Und dann hinaus! Nach Bamberg! Hoffentlich eine Etappe! 15. Februar 1926. Nach Bamberg. Haake M.d.L.3 fährt ab Cöln mit. Kamel. Würzburg! Eine Stunde durch Würzburg. Heinestraße, Neubaukirche. Alte Erinnerungen. Anka!!! Noch 3 Stunden. Bamberg. Sofort in eine Versammlung. Man empfängt mich mit Jubel. Ich muß reden. Alles lauscht wie in einer Kirche. Da sind: Lohse, Vahlen, Rust, Klant, Ernst, Dr. Ziegler4 etc. Sonntagmorgen. In der Frühe hole ich Strasser ab. Vermutlich Hitler („Wolf" war H.'s nom de guerre während der Kampfzeit; die Bezeichnungen seiner Feldquartiere im 2. Weltkrieg —Wolfsschanze, Wehrwolf—rührten noch daher). 2 Hier werden die Illusionen, mit denen die Strasser-Leute nach Bamberg zogen, besonders deutlich. 3 Heinrich Haake, Bankbeamter, 1924 (als Vorgänger Leys) erster Gauleiter von Rheinland-Süd, damals einziger Nationalsozialist im Preußischen Landtag. Im Dritten Reich wurde H. Landeshauptmann der Rheinprovinz. 4 Walter Ernst, der erste Gauleiter von Halle-Merseburg (30. 7. 26 Parteiausschluß). Dr. Hans Severus Ziegler, Schriftleiter verschiedener völkischer und schließlich nationalsozialistischer („Der Nationalsozialist") Zeitschriften, war seit 1925 stv. Gauleiter von 1



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Er ist guten Muts. Schlachtplan entworfen. Mit Rust und Vahlen. Dann durch Bamberg. Entzückende Stadt. Alt, jesuitisch. Hitler rast im Auto vorbei. Ein Händedruck. Aha! Schlange-Berlin, Streicher, Esser, Feder. Dann an die Arbeit. Hitler redet. 2 Stunden. Ich bin wie geschlagen. Welch ein Hitler? Ein Reaktionär? Fabelhaft ungeschickt und unsicher. Russische Frage: vollkommen daneben. Italien und England naturgegebene Bundesgenossen. Grauenhaft! Unsere Aufgabe ist die Zertrümmerung des Bolschewismus. Bolschewismus ist jüdische Mache! Wir müssen Rußland beerben! 180 Millionen!!! Fürstenabfindung! Recht muß Recht bleiben. Auch den Fürsten. Frage des Privateigentums nicht erschüttern! (sie!)1 Grauenvoll! Programm genügt! Zufrieden damit. Feder nickt. Ley nickt. Streicher nickt. Esser nickt. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich Dich in der Gesellschaft seh!!! Kurze Diskussion. Strasser spricht. Stockend, zitternd, ungeschickt, der gute, ehrliche Strasser, ach Gott, wie wenig sind wir diesen Schweinen da unten gewachsen! Eine halbe Stunde Diskussion nach einer vierstündigen Rede2! Unsinn, du siegst! Ich kann kein Wort sagen! Ich bin wie vor den Kopf geschlagen3. Mit dem Auto zur Rahn. Strasser ist ganz aus dem Häuschen! Winken und Heil. Mir tut das Herz so weh! Abschied von Strasser. In Berlin übermorgen sehen wir uns wieder. Ich möchte weinen! Heimfahrt. Traurige Heimfahrt. Mit Haake und Dr. Ley. Ich sage kaum ein Wort. Eine grauenvolle Nacht! Wohl eine der größten Enttäuschungen meines Lebens. Ich glaube nicht mehr restlos an Hitler. Das ist das Furchtbare: mir ist der innere Halt genommen. Ich bin nur noch halb. Grau dämmert ein Morgen herauf. Elberfeld. Einige Stunden Schlaf. Kaufmann. Ich möchte ihn umarmen. Wir reden uns aus. Schmitz und Toni dazu! Das Besultat: Wir sind Sozialisten.

Thüringen und vertrat hier Dinter; im Dritten Reich thüringischer Staatsrat und Generalintendant des Weimarer Nationaltheaters. Die hier von G. aufgestellte Teilnehmerliste Strassers a. O., S. 115 f.), von den Norddeutschen habe die Otto (a. widerlegt Behauptung fast niemand Geld oder wegen des angeblich von Hitler absichtlich gewählten Werktages (schon das ist falsch: der 14. 2. 26 war ein Sonntag) Zeit gehabt, um nach Bamberg zu fahi-en, so daß nur Gregor Strasser und Goebbels den massiert auftretenden Süddeutschen gegenübergestanden hätten. 1 Im Original. Zu dieser Frage hatte Hitler erklärt: „Für uns gibt es heute keine Fürsten, sondern nur Deutsche. Deshalb wird diese ganze verlogene Agitation mit der Fürstenabfindung wie der Aufwertungsschwindel aufzufassen sein, wo immer parteipolitische Gründe den Ausschlag geben. Wir vertreten folgenden Standpunkt: 1. Wir verlangen, daß den Fürsten nichts gegeben wird, was ihnen nicht gehört. 2. Wir dulden nicht, daß ihnen genommen wird, was ihnen gehört, denn wir stehen auf dem Standpunkt des Bechtes ..." (VB v. 25. 2. 26). 2 Dazu brachte der VB-Bericht folgenden einzigen Satz: „Den weiteren Verlauf der Verhandlung beanspruchte eine eingehende Aussprache über verschiedene Programmfragen der Bewegung, an der sich neben Adolf Hitler besonders die Pg. Feder, Strasser und Streicher beteiligten und bei der völlige Einmütigkeit der Auffassung erzielt wurde." 3 Daß Goebbels verblüfft war, darf man ihm glauben. Daß er jedoch deshalb kein Wort habe sagen können, wird wohl zu den großzügigen Stilisierungen seines eigenen Verhaltens gehören, an denen es in diesen Niederschriften nicht mangelt. Die Beeindruckung des wendigen kleinen Goebbels durch den massiven und relativ prunkvollen Aufmarsch der süddeutschen Garde Hitlers dürfte wohl der Hauptgrund für jenes, ihm von seinen Freunden schwer übelgenommene Schweigen in Bamberg gewesen sein. —







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Wir wollen es nicht umsonst gewesen sein! Telegramm von Lohse, Strasser, Vahlen. Keine Übereilung. Morgen Aussprache in Göttingen. Dann Mittwoch zu Strasser. Vorschlag: Kaufmann, Strasser und ich gehen zu Hitler, um eindringlichst mit ihm zu reden. Er darf sich von den Lumpen unten nicht binden lassen. Morgen also wieder auf die Bahn. Hinaus in den Streit. Ich verzweifle! Schlaf! Schlaf! Schlaf!!! 22. Februar 1926.

Montag! Nach einer ereignisschweren Reisewoche wieder in Elberfeld. Vorigen Dienstag nach Göttingen. Fobke erzählt mir noch haarsträubende Geschichten aus Bamberg. Streicher hat geseicht. Mich direkt als gefährlich benamst. Son Schweinehund. Abends kommt Bust. Auch er ist empört. Ich spreche gut. Rust ganz bei mir. Rückfahrt Hannover. Rust bis Mittag bei mir. Plan für Strasser. Dann nach Berlin. Strasser holt mich am Friedrichstraßenbahnhof ab. Strömender Regen. Zu seiner Wohnung. Sein Bruder ist auch da. Ausgeruht. Straßer ist schon wieder der Gefaßte. Der gute Alte! Buttmann1 hat über mich geschimpft. Ich sei ein Jude und Jesuit. Habeat sibi! Sonntag A. G. nach Hannover. Eilbrief an Rust. Schlange kommt. Treuer Bernhardiner! Zur Bahn! Mit Otto Straßerl Gerdauen! Die Nacht durch. Polnischer Korridor! Politischer Wahnsinn! Was sind wir für ein Scheißvolk! Ich treffe im Zuge den Gauführer von Ostpreußen Scherwitz2. Ordentlich. Fährt mit nach Gerdauen. Brief an Hitler! Beschwerde gegen Streicher. Brief an Streicher. Ruppig frech3. Abends Versammlung. Bürger! Kümmerlich4! Nach Königsberg! Schöne Stadt. Alter Hafen! Dom! Kantzimmer. Ich habe kein inneres 1 Rudolf Buttmann, Bibliothekar, ursprünglich Deutschnationaler, seit 1925 Fraktionsführer der NSDAP im Bayerischen Landtag. Im Dritten Reich Ministerialdirektor im Reichsministerium des Innern, später Generaldirektor der Bayer. Staatsbibliothek. 2 Bruno Gustav Scherwitz, erster Gauführer von Ostpreußen und Vorgänger von Erich Koch (ab 1928). 3 Ganz so „ruppig frech", wie Goebbels hier offenbar seinen Brief erscheinen lassen will, war er nun allerdings nicht. Das handschriftliche Original ist zufälligerweise erhalten geblieben und liegt im Document Center Berlin. Da der wirkliche Text aufschlußreich ist für die Akzente, die G. in seinem Tagebuch setzt, sei er hier im vollen Wortlaut wiedergegeben: „Sehr geehrter Herr Streicher; es wird mir mitgeteilt, daß Sie am Sonntag in Bamberg in meiner Abwesenheit vor den versammelten Gauführern vor mir gewarnt haben als vor einem Mann, von dem man nicht wisse woher er komme und was er in der Bewegung wolle. Ich bitte Sie, nicht zu glauben, ich wolle mich hier irgendwie bei Ihnen verteidigen. Ich habe nichts Unrechtes zu verteidigen. Ich will von Ihnen nur die Gründe wissen, die Sie zu diesem Vorgehen berechtigen. Ich glaube Sie als aufrechten Mann zu kennen. Sie werden also auch hier nicht hinter dem Berge halten wollen. Wer meine Ehrlichkeit anzweifelt, tut mir die letzte Qual an. Ich kann das niemals ertragen. Ich hoffe noch, falsch berichtet zu sein. Denn ich kann nicht annehmen, daß gerade Sie, mit dessen Ehre draußen der Feind so gemein und lügnerisch umgeht, andere ohne Grund an der Ehre kränken. Mit deutschem Heilgruß den 18. II. 26. Dr. Goebbels Adresse: Dr. G. Elberfeld, Holzerstr. 4" 4

Auch der VB

(16.

3.

26) klagte: „Leider

meldete sich niemand

zur

Aussprache."

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Verhältnis zu Kant. Blutleer! Nur eins! Der kategorische Imperativ! Dom! Alt und voll Historie! Man spürt Geschichte auf Schritt und Tritt. Abends Riesen Versammlung! In der Oper! Ich spreche 3 Stunden. In atemloser Stille. Und dann ein Jubel des Beifalls. Anderntags! Ein ganzer Trupp bringt mich zur Bahn! Scherwitz fährt mit. Marienburg! Deutschritterburg! Es dämmert schon. Ich gehe durch die hohen Säle. Ich bin erschüttert. Wie groß waren diese Menschen. Und wie groß haben sie gedacht. Das ist das Schlafzimmer des Hochmeisters. Ein Saal! Der Remter. Hier belagerten die Polen. Eine Säule hält den Saal. Draußen geht der Sturm. Geschichte ist um mich. Wie klein sind wir! Abends kein Besuch in der Versammlung. Ich rede nicht. Ein anderer quatscht1. Noch ein paar Stunden mit Scherwitz. Ich lerne ihn als lieben Menschen kennen. Und Draufgänger. Ein typischer Ostpreuße. Aber Manche, das ist ja das Baste2!!! Prachtvolle Kerle! In der Nacht weiter. Ich schlafe! Dann und wann halbes Aufwachen. Korridor, KorridorI In mir sehe ich die Marienburg, deutsche Ordensritter, ein großes, ganzes Geschlecht. Wie schwer zu glauben. Berlin. Zwei Stunden mit Fräulein v. Behr. Liebes, gutes, unverdorbenes Kind! Schenkt mir Schokolade zum Abschied. Mit Prof. Vahlen nach Hannover. A.G. Alles da. Lange Beratung. Resultat: Stark werden. Den Münchnern den Pyrrhussieg gönnen. Arbeiten, stark werden, dann für den Sozialismus kämpfen. Gut so. Abfahrt. Abschied von Straßer. Elberfeld. Müde, müde. Und ein Stoß Arbeit. In die Tretmühle! 24. Februar 1926. Es wird weiter gearbeitet. Stark werden, sagte Straßer beim Abschied. Diese Parole wird uns den letzten Sieg bringen. Viel zu tuen. Zwei Aufsätze: „Völkerbund" und „der Apfelsinenkrieg". Der letzte gegen die schamlose Hetze der deutschen Demokratie gegen den Freimaurervernichter Mussolini3. Von München nichts Neues. Hitler hat auf meinen Brief gegen Streicher noch nicht geantwortet. Die Kamarilla dort unten wird schon fleißig hetzen. Viel Arbeit um den Parteitag am 6. und 7. III. in Essen. Heute Vernehmung bei der Polizei. Man will mich wieder einmal packen. Gemach! Übermorgen große Rede in Essen. Da entscheidet sich viel. Man will mich totschlagen. Gemach! Hoffentlich kommt Else Samstag. Ich freue mich darauf. So müde und krank bin ich. Wann soll ich einmal Ruhe finden !! 26. Februar 1926. Heute nach Essen zum Vortrag. Thema: „In der Theorie Sozialdemokratie, in der Praxis Kapitaldemokratie." Abrechnung mit den Verrätern am Sozialismus. 1

(VB 2 3

Pg. Hohnfeldt, Ortsgruppenleiter (ab v.

5. 3.

März 1926

Gauleiter)

26).

Ostpreußisch:

Erschienen in

von

Danzig, „quatschte"

Aber

Männchen, das ist ja das Beste! Folge 12 der „N.S. Briefe" v. 15. 3. 26 und getreu der Konzeption Hitlers

gegen den antiitalienischen Boykottaufruf der nationalen Verbände und Parteien der wegen Unterdrückung des Deutschtums in Südtirol: „Wer Locarno unterschrieb, hat nicht das Recht, um die deutsche Irredenta zu maulfechten."

gerichtet



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Brief von Budolf Heß1. Man versucht, Julius Streicher reinzuwaschen. Ich werde nicht locker lassen, bis die Sache geklärt ist. Lektüre: Reventlow: „Minister Stresemann als Staatsmann und Anwalt des Weltgewissens ". So sieht Gustav Stresemann ausl Herwig Harther: „Erotik und Rasse2." Ein erschütterndes Buch. Jedes angeführte Judenzitat spricht Bände. So tief sind wir gesunken! Von Else noch keine Antwort. Hoffentlich kommt sie morgen! Morgen abend feiert die S. A. Elberfeld Kompagnieball. Toller Zauber! Gestern abend lange mit Kaufmann und Elbrechter zusammen im Cafe. Elbrechter ist Kaufmanns böser Dämon. „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will, Und stets das Böse schafft." Ich fürchte für die Zukunft. Am 6./7. III. in Essen großer Parteitag von Rheinland und Westfalen. Das wird die nächste große Etappe im Kampfe um die Macht sein. Gleich ab nach Essen! 27. II. 26. Gestern Essen. Schießerei, Prügelei, 200 Mann bin todmüde. Gleich kommt Else!

Schupo,

4 Schwerverletzte3. Ich

1. März 1926. Gestern und Samstag war Else da. Den Samstagabend auf dem S.A. Ball. Dann spät nach Hause. Schweig stille, mein Herze! Heute kam Gregor Strasser. Er sitzt im Kultursalon von Dr. Elbrechter. Heute abend noch habe ich mit Kaufmann eine ernste Unterhaltung. Wegen der Stellung zu Elbrechter. Ich muß das durchbeißen. Ich bin so müde. Morgen geht's nach Sachsen. Samstag erst zurück. Ich habe gar keine Lust. Mir ist so zerrissen ums Herz! Ich möchte Buhe und Frieden haben!!!

6. März 1926. Gestern von Sachsen zurück. Dienstag war Straßer hier. Thema: Elbrechter, Lage. Er machte mir sein ganzes Herz auf. Straßer ist ein ganzer Kerl. Nachmittags mit vom Bruck zusammen. Er will nervus rerum geben. Abends nach Sachsen. Die Nacht durch. Müde. Stilles Thüringer Land! Weimar. Leipzig Messe! Dann Chemnitz. Eine Enttäuschung nach der anderen. Ich rede 2 mal. In Limbach; gut. 2 ordentliche Kerle: Beichenbach und Juckeland. Man beschenkt mich reich mit Handschuhen und Unterwäsche. Annaberg. Mit dem Auto durch das verschneite Erzgebirge. Traurig-müde Fahrt. Bürgerversammlung! Zurück, bitte Elberfeld! Nach Hause! Morgens 5h los. Leipzig. Ich schlafe. Elberfeld. Kaufmann an der Bahn. Ich will mich freuen. Gibt's nicht. Weg nach Langenberg. Redner ausgeblieben. O Schmerz laß nach. In Gottes Namen los. Ich rede in persönlicher Abwesenheit! Heute viel dreckige Post. Ein unverschämter Rrief von Gottfried Feder, dem 1

Seit Landsberg- Hitlers Privatsekretär. Eine „Untersuchung über gesellschaftliche, sittliche und geschlechtliche Fragen", im Herbst 1925 bei Eher erschienen. 8 G. hatte den „Weg der Marxisten von Bebel bis Barmat" gezeichnet, wie der VB v. 12. 3. 26 berichtete. Hier war allerdings nur von einem Schuß die Rede, Verletzte wurden nicht erwähnt. 2

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Aufwertungs-Kaktus. Dem werde ich heute Abend. Gleich ab nach Essen. Parteitag. Ach du lieber Gott! Ach, du lieber Gott! Morgen mit den Kommunisten große Prügeleien. Feder will den rotten1 Terror brechen. Nun man tau! Der Friede Gottes sei mit Dir! Wie federleicht bist du lieber Gott!

Du,

wenn

Du allein stehst. Kannst Du das?

Ach,

7. März 1926. Eben von Essen zurück. Ein großer Tag. An die 4 000 Mann marschierten für die Idee. Feder war gemein und gut. Straßer der alte. Jung (Tschechoslowakei)2 ein feiner Kopf. Mit ihm kann man arbeiten. Alles glänzend verlaufen. Ohne jede Reiberei3. Zu Hause. Selige Freude! Donnerstag nach Rheydt. Wie ich mich darauf freue! Brief von Else. Lieb und gut! Müde bin ich, geh zur Ruh'! 8. März 1926. Eine elende

Sorge ums Geld. Es ist zum Kotzen! Keine Lust zum Arbeiten. Nachwehen von gestern. Ich wiege noch ganze 100 Pfund. Ein Schneider! Man mißbraucht mich für die schwersten Arbeiten. Das nennt man Raubbau! Die Welt ist ekelhaft gemein! 10. März 1926. Konflikt Elbrechter-Goebbels reift heran. Heute wahrscheinlich Entscheidung. Doch nicht. Eben kommt die Nachricht, daß Strasser mit dem Auto verunglückt ist. Es scheint, nicht schwer. Ich erwarte Nachricht. Kaufmann und Elbrechter sind nach Essen in Marsch gesetzt. Hoffentlich bringen sie nur Gutes. Gleich kommt v. Pfeffer. Ich fahre heute nachmittag nach Rielefeld. Zum Vortrag. Und diese Nacht nach Hause. Ob ich mich freuen soll? Ich weiß nicht, wie und ob! Dieser Wahnwitz an Arbeit und Aufreibung. Zu Ende die Qual! Dazu der Konflikt! Der große Konflikt! Laß, Welt, o laß mich sein! 12. März 1926. Ich komme eben von Hause. Man überschüttete mich mit einem Segen voll Liebe und Güte. Else, Mutter, Maria, Elsbeth. Wie wohl fühle ich mich da! Und etwas beschämt! In Rielefeld dicke Luft. Fast nur Kommunisten. Meine Geistesgegenwart hat gesiegt4. Strasser nicht unbedeutend verletzt. Ich hoffe gleich näheres 1 Soll vielleicht eine Spracheigenart Feders nachahmen, sofern es kein einfacher Schreibfehler ist. 2 Rudolf Jung, Böhmendeutscher, Ingenieur, damals DNSAP-Abgeordneter im tschechoslowakischen Parlament, 1953 emigriert; im Dritten Reich Gauleiter e. h. und Reichsinspekteur der Arbeitsverwaltung. 3 Auf der Tagung war beschlossen worden, die organisatorisch bisher getrennten Gaue Rheinland-Nord und Westfalen zu einem „Großgau Rhein-Ruhr" zu vereinigen. Die bisherigen Gauleiter v. Pfeffer, Kaufmann und Dr. Goebbels wurden Führer des neuen Gaus (VB v. 17. 5. 26). Auch in diesem Bericht wird Goebbels also bereits als Gauleiter genannt. 4 Die anwesenden Kommunisten hatten folgende Entschließung eingebracht: „Die heute

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hören. Else schenkte mir ein wunderschönes Tintenfaß. Elsbeth brachte Blumen und herzliche Glückwünsche. Ich feierte nämlich Namenstag. Kaufmann macht mir Sorge. Übermorgen fahre ich für eine Woche weg. Route: Stuttgart, Mannheim, Bamberg, Nürnberg. In die Hochburg Julius des Steißtrommlers1. Julius ist nicht der Schlechteste von allen. Feldwebel, der auf die Weiberjagd geht. Hauptmann v. Pfeffer war vorgestern da. Stinkwut auf Hermann Esser. Hermann Esser ist der Vampir der Bewegung. An Hitler: „Es tut mir in der Seele weh, Daß ich dich in der Gesellschaft seh!" zu

13. März 1926. Nun verdichtet sich die Sache Elbrechter. Heute fährt Lutze zu Strasser nach Essen, um mit ihm Fraktur zu reden. Morgen fahre ich nach Essen. Das kann ja wieder einen netten Saustall geben! Behüt dich Gott. Ich habe beizeiten gemahnt und gewarnt. Kaufmann ist verreist. Ich will mit ihm die Sache persönlich abmachen. Morgen mittag nach Essen, morgen abend nach Stuttgart. Das gibt offenbar eine schwere Woche. Und hier in Elberfeld bin ich so nötig. Heute müßte ich Und doch werde ich einen Aufsatz für die N.S. Briefe schreiben. Ich müßte Südtiroler Adolf Hitler schlafen Lektüre: „die Frage und das deutsche gleich Broschüre. Er ist schon ein fabelhaft klare und Eine großzügige Bündnisproblem." manchen Zweifel Chef! Er hat mir wieder zerstört! der Straßers neue Kerl, Zeitung ist da2. Gut, gut! Von Berlin Brief. Josefine v. Behr3. Liebes Kind! Ein Kind noch! Es ist mittag 2 Uhr. Nun denn, gute Nacht! .

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21. März 1926. Heute vor einer Woche bei Straßer. Lag zu Bett. Doch ernster als ich glaubte. Bauschen da. Straßer bleibt bei Humor. Unverwüstlicher Bajuware. Ich hab ihn sehr gern. Dann zu Hoffmann4. Er ist weniger verletzt. Liebe Familie. Gute, tapfere Frau. Ein echtes Frauenzimmer. Zurück nach Elberfeld. Gepackt. Noch eine Stunde bei den Kameraden. Dann ab nach Stuttgart. Ankunft Montagmorgen. im Saale des Vereinsbauses tagende Volksversammlung fordert die entschädigungslose Enteignung der Fürsten." Aus dieser Klemme hatte sich G. damit gewunden, daß auf seinen Antrag hin die dann einstimmig angenommene Entschließung dahingehend abgeändert wurde: „. fordert vor der entschädigungslosen Enteignung der Fürsten die der Banken, Börsen- und Inflationsgewinnler zu Gunsten der Notleidenden" (VB v. 23. 3. 26). 1 Streicher war Volksschullehrer gewesen, bevor er wegen seiner Teilnahme am Hitleraus dem Schuldienst entlassen wurde. putsch 2 Gemeint ist hier wohl die ab März 1926 in dem eben gegründeten „Kampf-Verlag" der Brüder Strasser wöchentlich erscheinende Berliner Arbeiter-Zeitung (BAZ). Nach dem Zerwürfnis zwischen Goebbels und Otto Strasser wurde die BAZ von Goebbels' „Angriff" (ab Juli 1927) verdrängt (s. u. im Dokumententeil). 3 Trotz hier angeführtem Vornamen war dieses Frl. v. Behr nicht zu ermitteln. Ein Artur v. Behr war damals Führer der NSDStB-Hochschulgruppe an der TH Berlin, vermutlich handelt es sich um dessen Schwester. 4 Fabrikant Paul Hoffmann, ein Alt-Parteigenosse aus Essen; dort später Gauwirtschaftsberater. .

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Das

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Munder1 und Gundlach2 am Bahnhof. Rasiert, Frühstück. Mit Herrn Weidle hinaus zum Degerloch. Unten liegt Stuttgart in der Sonne. Wundervoll lieblich eingebettet. Nachmittags los. Durch das entzückende Neckartal. Nach Schwenningen. Dr. Gmelin3. Reizende Frau. Und drei entzückende blonde, blauäugige Buben. Wie anheimelnd. Mistversammlung. Ein bezahlter Arbeitersekretär. Dreck! Nach Stuttgart. Eine Stunde Schlaf. Ich lerne den Komponisten Hans Gansser4 kennen, der mir zu Hause seine Lieder vorspielt. Ganz hervorragend. „Noch ist die Freiheit nicht verloren!" Für unsere S.A. Vortrag. Ich spreche 3 Stunden. In einer beängstigend atemlosen Stille. Man dankt mir mit Tränen. So gut sprach ich kaum anders. Munder drückt mir die Hand. Ich bin mit mir selbst einmal zufrieden5. Anderntags nach Mannheim. Ich bin krank und müde. Einen Nachmittag durch Mannheim. Abends spreche ich gut. Die Leute sind von oben aus der Pfalz gekommen. Einen Tag noch mit einem langweiligen Herrn Schneider in Mannheim zusammen. Neulußheim. Ein N.S. Dorf. Sonst aber Dreck in der Versammlung. Über Würzburg (ach, du bitter-süße Erinnerung) nach Nürnberg. Dort mit dem Auto zum Cafe. Julius Streicher erwartet mich. Lange Aussprache. Versöhnung. Julius ist wenigstens ehrlich. Er erzählt vom 9.XL 23. Versammlung mit 3000 heilschreienden Menschen. Schwer zu Gedanken zu erziehen. Mir gelingt's 2 Stunden lang. Um Abfahrt. Eine ganze Reihe von Freunden bleibt bei mir bis zur Abfahrt. Die Nacht durch. Einen wunderbaren Frühlingsmorgen am Rhein vorbei. Es wird Frühling! O diese wundervolle Werdezeit. Es ist Frühling! ElberfeldI Toni an der Bahn! Hauptmann v. Pfeffer kommt gerade an. Den ganzen Nachmittag Arbeit mit ihm. Kaufmann kommt auch. Sehr krank. Verdammter Blutegel Elbrechter, bleute nachmittag mit Kaufmann in den Frühlingsschein herein. Da werde ich ihm vielleicht alles sagen. Hitler hat mit v. Graefe in einem prachtvollen offenen Brief abgerechnet6. Bravo! Brief von Else. Zum Namenstag! Dank, Du Gute! Von Maria liebe Zeilen! Sonst viel gute Post! Morgen sollen wir Geld bekommen. Von Arnold 1500 Mk. Ich muß deshalb nach Hattingen. Von da nach Essen zum Vortrag. Gibt's wieder Prügelei? Dienstag Zeitz, Mittwoch Halle, Donnerstag Weimar (ein

lV2h

1

Eugen Munder, seit Württemberg. 2 Friedrich Gundlach,

1924 als

Vorgänger

von

Wilhelm Murr

(ab 1928)

Gauleiter

von

der Gaukassierer. Wohl nicht der Schriftsteller Otto G. 4 Vertonte u. a. im Auftrag seines Bruders, des Alt-Pg. und Ehert-Verleumders („Beihilfe zum Landesverrat") Dr. Emil Gansser, Dietrich Eckarts Sturmlied „Deutschland erwache!". 6 Es war laut VB v. 25. 5. 26 ein „herrlicher, aus einem Guß geformter Vortrag", von dem man und ergriffen nach Hause" ging. „tiefbewegt 6 Abgedruckt im VB v. 19. 5. 26. Hatte v. Graefe sich beklagt, daß Hitler gegen die völkischen Brüder, die ihn trotz seiner Separierung noch als einen der Ihren betrachteten, feindliche und üble Angriffe führte, so wies dieser nunmehr höhnisch das „Herzblut", die „traurige und rührselige Gefühlsduselei" der Völkischen zurück und schloß seine langen Ausführungen mit den Worten: „Herr von Graefe, ich war einst der Trommler und will es auch für die Zukunft sein, aber trommeln will ich nur für Deutschland und nicht für Sie und Ihresgleichen, so wahr mir Gott helfe." 3





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auf den ich mich freue!), Freitag Erfurt, und dann heim, Osterferien! Die Arme gereckt. Ich bin frei. Ferien! Ferien! O, welche Lust! Ich bin ganz und gar kaput! Es wird eine wunderbare Zeit sein! Nichts tuen, ausruhen, ausschlafen, faulenzen! Keine Versammlungen, nicht mehr quatschen! Ruhen, schlafen, schweigen! Wie ich mich freue!

Feiertag,

22. März 1926. Gestern den ganzen Nachmittag mit Kaufmann durch den leuchtenden Frühling gegangen. Es war eine rechte Lust. Über die tieferen Gegensätze haben wir nicht gesprochen. Am Abend bei den anderen. Krach und Lärm. Heute eine Reihe Arbeiten. Gleich nach Hattingen. Geld holen. Dann nach Essen. Vortrag. Von da Zeitz, Halle, Weimar, Erfurt. Und dann Ferien! 27. März 1926. Montag ab nach Essen. Schöne

Versammlung. „Pazifist oder Revolutionär!" Ich über sprach Außenpolitik. Nachmittags vorher in Ffattingen. Stürtz ist gut. A. gab 800 Märker. Der besten einer. Ich lerne ihn immer mehr schätzen. Danach mit den Damen Kaffee. Aufgeputscht. Abends bei Hoffmanns in Essen. Liebe Familie. Morgens früh ab. Den ganzen Tag geschlafen. Zeitz. Brechend gefüllter Saal. Gut gesprochen. Am anderen Tag Halle. Gauführer Ernst. Was ihm an Einsicht fehlt, ersetzt er durch liebes und erzogenes Wesen. Ich mag ihn gern. Nachmittags bei Kloppe1. Bundesführer des Wehrwolf. Unsere Absichten abgetastet. Kloppe ist gut in seinen Ansichten. Ich dominierte. Abends zu vollem Hause. Ein ganzer Erfolg. Andern Morgens. Mit Ernst durch Halle. An die Saale. Schön, schön. So dachte ich mir Halle nicht. Der Frühling ist da! Hellster Sonnenschein! Nachmittags nach Weimar. Ankunft gegen Abend. Und er suchte, wen er verschlinge. Weimar! Durch die trauten Gassen! Goethe! Weimar! Politik? Auch da gibt's eine Lösung! Und schließlich ist Goethe nicht alles. Ein Lump, wer heute Gedichte schreibt und sein untergehendes Volk vergißt. Andern Morgens. Einen Augenblick in der Geschäftsstelle. Kamel Dr. Ziegler. Man hat über mich geschimpft. Verleumdet. Ich seh's dem Lumpen an. Dieser Schleimscheißer!! Wie kann man junger Mann von Dinter sein! Ich schreibe einen Aufsatz: „Bei mir stimmt etwas nicht2!" Hütet Euch, Ihr Hunde. Wenn der Teufel bei mir los ist, den bändigt Ihr nicht mehr. Hinaus. In die Landesbibliothek. Viel Schönes und Neues. Ich sehe prachtvolle Skulpturen. Goethe wundervoll am Eingang. Groß auch ein Napoleon. In 1

Studienrat Fritz Kloppe. Der „Wehrwolf, Bund deutscher Männer und Frontkrieger" ein „nationaler Wehr- und Erziehungsverband zur Pflege vaterländischer Gesinnung im Fichteschen Geiste", gegründet am Tage des Ruhreinbruchs, 11. 1. 23, und 1933 in die SA war

eingegliedert. 2

Brief an einen „Schildwächter und Gralshüter der Bewegung" und abgedruckt in den Nationalsozialistischen Briefen, Nr. 14, v. 15. 4. 26. In ironischer Form verwahrte sich G. hier gegen den ihm aus Parteikreisen gemachten „Vorwurf", Jude zu sein und von den Jesuiten bezahlt zu werden.

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den Mittag. Ich atme Weimarer Atmosphäre, würde Dr. Ziegler sagen. Draußen ist heller Sonnenschein. O du schönes Weimar! Habe ich etwas verloren bei der Politik? Mir ist so lig. Auf! Alter Griesgram! Nach Erfurt! Wieder eine Bombenfülle. Ich säge mit Eleganz zwei Kommunisten ab1. In den DZug. Hundert Mann auf dem Bahnhof. In die Polster hinein. Ich kann nicht schlafen! Zwei Stunden wehen Schlummers. Die Augen schmerzen. Elberfeld! Toni an der Bahn! Gottlob! Ferien beginnen! Heute abend nach Crefeld. Bannerweihe! Morgen kommt Else nach dort! Jetzt Schlaf und Ruhe! Ferien! Draußen fängt Frühling an! Ich bin müde und glücklich! Ferien! Buhe! Wie will ich sie atmen! 29. März 1926. Samstag Crefeld. Bärbel Kerling ist ein tolles Mädel. Fanatisch und begeistert. Sonntagmorgen kam Else. Mit Fritz Prang und Theyssens zu Mittag zusammen. Dann mit Else hinaus in den Frühling. Wie wundersam kommt diesmal der Lenz! Else war lieb, und wir haben viel erzählt. Abends heim. Ins Bett, ins Bett! Heute morgen Brief von Hitler. Ich soll am 8. April in München sprechen. Gut so! Nur immer herankommen damit. Dann werde ich also meine Ferien wahrscheinlich im bayerischen Oberland verleben. Lange Unterredung mit Karl Kaufmann. Über Elbrechter. Trage ich tatsächlich allein alle Schuld? Bin ich gegen Elbrechter persönlich eingestellt? Ich wollte es mit allen gut. Buhe! Feiertag! Ich lebe wieder neu auf! Sauber und gemütlich ist alles um mich her! Ich bin wieder Mensch! Wie atme ich diese Buhe ein! Schöner Feiertag! Blauer Montag!

51. März 1926. Nun ist's beschlossen: am Mittwoch nach Ostern fahre ich mit Kaufmann los. Rede Donnerstag in München. Einen Tag bei Hitler. Und dann 2 Wochen in bayerische Oberland. Ich freue mich! 2 Aufsätze fertig: „Bei mir stimmt etwas nicht", „das neue Kampflied"2. Bede „Lenin oder Hitler?" wird diese Woche im Manuskript fertig. Ende Monat April sind meine beiden Broschüren im Handel. Es wird nun auch höchste Zeit. Meine lieben Bücher sind heute von Hause hier angekommen. Ich habe sie wie alte Bekannte begrüßt. Was soll ich nun Ostern tuen? Nach Hause fahren? Oder hier bei Kaufmann bleiben? Er sagt über den Fall Elbrechter kein Wort mehr. Ich werde ihn schon kurieren! Neue Geschäftsstelle. 5 Räume. Ich bekomme mein eigenes Telephon und Zimmer. Und dann ist es 1 Erst griff laut VB v. 1. 4. 26 ein kommunistischer Stadtverordneter die nationalsozialistischen Führer persönlich an, dann „gab der zweite kommunistische Redner sich sachlicher Kritik hin. Er mußte sich aber im Schlußwort von Pg. Goebbels nachweisen lassen, daß sein Versuch, die marxistische Lehre zu retten, vollkommen verfehlt war". 2 Beide im gleichen Brief Nr. 14 erschienen. „Das neue Kampflied" war an Gansser gerichtet, schilderte nochmals mit allem Familienzubehör die Begegnung im Hause des Dr. Gmelin und dankte dem Komponisten für das Kampflied „Noch ist die Freiheit nicht verloren": nun brauche man endlich nicht mehr auf die alten schwarz-weiß-roten, reaktionären Lieder zurückzugreifen. —



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nicht gleich im Hause nebenan. Ich komme an die Luft. Wie wohl mir diese Ruhe tut! Fast möchte ich sagen „dolce far niente", obschon ich den ganzen Tag arbeite. Aber diese Arbeit tut gut! Ich komme allmählich bei! Brief von Strasser. Es geht ihm nicht besonders. Der arme Kerl! Wir vermissen ihn sehr! Zurück zur Arbeit. Übermorgen ist Karfreitag! Dann Buhe! Ferien! 1.

April 1926. Morgen ist Karfreitag. Es ist schon spät abends,

und ich arbeite fleißig. Ich habe noch so viel an schriftstellerischen Arbeiten nachzuholen. Aber es räumt auf. Gestern ist in München eine Versammlung von uns gesprengt worden1. Das sind ja liebliche Aussichten für nächsten Donnerstag. Na, sei's drum! Mir ist's schnuppe! Wir wollen ja nichts anderes als den Kampf! Man wird in München schon lernen. Heute einen ganzen Stall von Post erledigt. Neue Geschäftsstelle gemietet. Wunderbar gelegen, 5 Zimmer. Da wird man schaffen können. Morgen kommt v. Pfeffer. Ausgerechnet auf Karfreitag. Vielleicht fahre ich Samstag doch heim. Für 2 Tage. Mutter wird sich freuen! Gestern Kaufmann auf einer kleinen Unehrlichkeit ertappt. Das tut weh! Ich erwarte Brief von Else, was sie Ostern tut! Gründonnerstag! Die Leute gingen heute morgen zur Kirche. Pennäler in neuen Mützen. Ich dachte an frühere Jahre. Wie alt der Kampf macht!

April 1926. Gestern langes Gespräch mit Kaufmann. Wir sind halb im Beinen. Heute Brief von Else. Ich soll Ostern nach Duisburg. Geht nicht. Im Begriff, nach Hause zu fahren. Adio! 2. Ostertag bin ich wieder da. Ich freue mich auf Mutter. Und Maria. Und Vater! Und Elsbethchen! 3.

6.

April 1926. Karsamstag Rheydt.

Alles wohl. Mutter, Vater, Maria. Bei Konrad. Lieb Elsbethlein! Und der kleine Friedrich Wilhelm! Willy Karnerbeck. Mutter ist so gut! Sonntag bei Konrad zu Mittag. Aus Überdruß zum Fußball. 30000 Menschen beim Fußball. Panem et circenses. Erwerbslosenunterstützung und Fußball. Wer steht hinter mir? Elslein! Du Gute! Bist von Moers in Eile gekommen, zu Hause, zum Fußballplatz, und findest mich gleich unter 30000 Menschen. Nach Hause! Eine liebe, gute Stunde! Bast vor dem Alltag! Den Abend mit Fritz Prang zusammen. Else unterhält und plaudert. Du gutes Kind! Ostermontag! Herbert Beiner, dick wie ein Mastschwein! Else fährt am Nachmittag. Es ist so weh in mir. Du armes 1

Nachdem die Kommunisten am 29. März eine nationalsozialistische Versammlung im Leipziger Zoo gesprengt hatten, auf der ein russischer Emigrant, Prof. Gregor, über den „Blutrausch des Bolschewismus" sprach, richtete sich am 31. März eine ähnliche Aktion gegen den gleichen Redner im Münchener Hackerbräukeller. Goebbels' Information war jedoch nur halb richtig: in München hatten SA und SS mit Polizeiunterstützung die Saalschlacht gewonnen, „München ist nicht Leipzig", wie der VB triumphierte (VB v. 31. 3. und 2./3. 4. 26). —

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Eislein!

Kopf hoch, mein Kind! Wir haben alle an Schuld der Väter zu tragen! wir's ohne zu klagen! Noch eine Stunde bei den zu Hause. Dann Abfahrt. Tragen Vater mit zur Bahn! Elberfeld! Alfred Kaufmann und Hüttemann an der Bahn. Heute Haufen voll Arbeit. Geldsorgen! Kommen wir darüber? Terboven aus Essen zu Besuch. Vorbereitungen für morgen. Samstag zu Straßer nach Landshut. Ich spreche auch in Landshut. Auf denn nach München! 15.

April

1926.

Mittwoch Abfahrt München. Am Abend vorher noch einen Aufsatz „Denker und Prediger"1. Abfahrt mit Karl. Schon im Zuge erzählt mir Karl, daß Bauschen in München war, um anzuklatschen. Das kann ja lieblich werden. Also nun Strafgericht. Lange Fahrt. Ab Cöln v. Pfeffer dabei. Er erzählt vom Freikorps. Ein toller Kerl. Ich hab ihn sehr gern. Abends Ankunft München. Hitlers Auto da. Zum Hotel. Welch ein nobler Empfang! Noch eine Stunde durch die Stadt. Alte, wehmütige Erinnerungen. Anka! An den Litfaßsäulen riesengroße Plakate. Ich spreche im historischen Bürgerbräu. Donnerstagmorgen. Durch München. Kaufingerstraße, Frauenkirche. Erschütternde Gotik. Pfeffer ist ein kluger, frecher Kerl! Ins Bratwurstglöckle. Würste und Bier. Münchener Leben! Spießig nett! Eine köstliche Stadt. Die Sonne scheint darauf. Ins Hotel zurück. Hitler hat angerufen. Will uns begrüßen. Wir rufen vom Cafe aus an. In einer Viertelstunde ist er da. Groß, gesund, voll Leben. Ich hab ihn gern. Er ist beschämend gut zu uns. Trotz Bauschen. Er stellt uns für den Nachmittag sein Auto. Nach Starnberg. Im sausenden 100 klm.Tempo. Bei leuchtendem Sonnenschein. Der See. Wie ein Spiegel. Wir bleiben eine Stunde. Ein Brief ist von Duisburg gekommen. Bauschen hat schon intriguiert. Gut so! Sausende Fahrt. Zurück nach München. Werner Lukas 1 Ein offener Brief an Eugen Munder, dessen Ausführungen über Agitationsmethoden G. den politischen Kampf in Westdeutschland gegenüberstellte: „Wenn ich in Essen oder in Düsseldorf oder in Elberfeld spreche, dann ist das für mich ein Feiertag. Da ist Leben, da ist Rhythmus, da ist Kampf, da pulst Leidenschaft in Freund und Feind. Da brauchen wir den Gegner nicht zu suchen, da ist er mitten unter uns. Da sitzt er geduckt in den Reihen, bereit zum Sprung, sobald sich die erste Blöße zeigt. Komme ich da in den Saal hinein, dann brüllt mir ein tausendstimmiges Nieder!, ein Geheule, Gejohle, ein Lachen und Schreien entgegen. Und dann beginnt der Kampf. Zwei, drei Stunden, manchmal mehr. Da fällt das Denken, da fällt die Philosophie, da fällt die Programmatik, da wächst man über die engen Maße menschlichen Könnens hinaus und wird Prediger, Apostel, Rufer im Streit. Und dann vollzieht sich das Wunder: aus dem wilden, johlenden, schreienden Haufen werden Menschen, Menschen von Fleisch und Blut, Menschen, die innerlich so denken und fühlen wie wir, nur gequälter, zerfurchter, mit einem bis ins Gigantische gesteigerten Hunger nach Licht und Erlösung. Da liegt in meinen Händen die Seele des deutschen Arbeitsmannes, und ich fühle, daß sie weich ist wie Wachs. Und dann knete und forme ich, bilde hier und bilde da, stoße da Ecken ab, setze da Kanten an. Dann wachsen die Menschen vor mir. Ich sehe nur noch Fäuste und Augen; Blitz schlägt aus diesen Augen." Und er ruft „Freund Munder" auf, die „Blässe des Gedankens über Bord zu werfen", den Mut zu haben, „lachend zu zerstören, zu zertrümmern, was uns einst heilig war als Tradition, als Erziehung, als Freundschaft und menschliche Liebe". („Die zweite Revolution", S. 59ff.)

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kommt. Abends 8h im Auto zum Bürgerbräu. Hitler ist schon da. Mir klopft das Herz zum Zerspringen. In den Saal. Tobende Begrüßung. Mann an Mann. Kopf an Kopf. Streicher eröffnet. Und dann rede ich 21/i Stunde. Ich gebe alles. Man lärmt. Am mich Hitler. Die man Tränen stehen im1 in den umarmt Schluß tobt, Ich bin wie so etwas die Massen Auto. Durch zum Kufe, gestauten Augen. glücklich. Heil, ab. Hitler wartet allein im Hotel auf mich. Dann essen wir zusammen zu Nacht. Er ist der Gastgeber. Und wie groß ist er auch dabei! Heß kommt. Wir warten draußen auf das Auto. Da kommen Kaufmann, Pfeffer, Lukas. Zum Reichsadler. Konzert2! Hitler ist immer bei mir. Streicher, May3, Heß, Gengier4, alle da. Kaufmann ist so still. Zurück zum Schlaf. Ich kann lange nicht einschlafen. Freitag morgen. Pfeffer und Kaufmann machen mir Vorwürfe. Meine Rede sei nicht gut gewesen. Soll Kaufmann neidisch sein? Pfui, was denke ich! Gereizte Stimmung. Zur Geschäftsstelle. Geschäftsbetrieb sauber. Heß: der anständigste, ruhig, freundlich, klug, reserviert: der Privatsekretär. Schwarz5: abgebauter Beamter, kleiner Idealismus, peinlich in Geldsachen, Münchener Schnauze, freundlich im Gesicht: der Kassierer. Exc. Heinemann6: General a. D. korrekt, mit dummen Fragen, von keinerlei Gedankenschwere belastet. Ehrenkodex, der in Menschengestalt wandelt: der Ehrenrichter. Bouhler7: klein, fleißig, friedlich: der Geschäftsführer. May: Berliner Klappe. Unangenehm: der Propagandachef. Der Meister kommt. Hinein in sein Zimmer. Kaufmann wird gerüffelt. Wegen eines groben Briefes an Bouhler. Er sagt nichts. Wo ist dein Stachel, Tod. Warum mich dann ausschimpfen? Und dann ein ganzes Sammelsurium von Anklagen. Nobel und nett vorgebracht. Hitler ist auch da ein Kerl. Dr. Ley und Bauschen haben intriguiert. Straßer und ich kommen übel weg. Jedes unbedachte Wort wird aufgewärmt. Flerrgott, diese Schweine! A. G., Gau Ruhr, alles kommt aufs Tapet. Am Schluß folgt die Einigkeit. Hitler ist groß. Er gibt uns allen herzlich die Hand. Schwamm drüber! Am Nachmittag Folge. Kurz in den „Beobachter" herein. Rosenberg schon ausgeflogen. Gengier ist ein feuchter Schleimer. Mein Versammlungsbericht. 1 Verschrieben, soll vermutlich „ihm", vielleicht allerdings auch „mir" heißen. Der VB brachte am 10. April den Bericht über die „herrliche", „glänzende und überzeugende" Goebbels-Rede auf Seite 1. Die Versammlung verlief ohne jede Störung, nicht einmal ein Diskussionsredner meldete sich zur Aussprache. 2 Nichts Klassisches, sondern Unterhaltungsmusik der holländischen Damenkapelle Guidemond, die vor allem „Vaterländisches", Studenten- und Rheinlieder darbot (VB v. 7. 4. 26). 3 Otto May, damals Propagandaleiter der NSDAP. 4 Franz Gengier, der VB-Redakteur für den Parteiteil. Ludwig 6 Franz Xaver Schwarz, bis 1925 Verwaltungsoberinspektor, seitdem Reichsschatzmeister der NSDAP. 6 Generalleutnant a. D. Bruno Heinemann, Alt-Pg. und erster Vorsitzender des NSDAP„Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses" (Uschla). H. wurde im November 1927 durch Major a. D. Walter Buch abgelöst und ist 1938 verstorben. 7 Philipp Bouhler, früher VB-Verlagsangestellter, dann (1922) 2. Geschäftsführer, seit 1925 Reichsgeschäftsführer der NSDAP. Im Dritten Reich wurde B. Chef der Kanzlei des Führers der NSDAP. —

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Glänzend. Ich freue mich sehr. Geschäftsstelle. Heß allein. Unterhaltung. Er ist ein lieber Kerl. Hitler kommt. Prinzipielle Fragen: Ostpolitik. Soziale Frage. Bamberger Beweisführung. Er spricht 3 Stunden. Glänzend. Könnte einen irre machen. Italien und England unsere Bundesgenossen. Rußland will uns fressen. Alles das steht in seiner Broschüre1 und in dem nächstens erscheinenden 2. Bande seines „Kampf". Wir kommen aneinander. Wir fragen. Er antwortet glänzend. Ich liebe ihn. Soziale Frage. Ganz neue Einblicke. Er hat alles durchgedacht. Sein Ideal: Gemischter Kollektivismus und Individualismus. Boden, was drauf und drunter dem Volke2. Produktion, da schaffend, individualistisch. Konzerne, Truste, Fertigproduktion, Verkehr etc. sozialisiert. Darüber läßt sich reden. Er hat das alles durchgedacht. Ich bin bei ihm in allem beruhigt. Er ist ein Mann, nehmt alles nur in allem. So ein Brausekopf kann mein Führer sein. Ich beuge mich dem Größeren, dem politischen Genie3! Herzlicher Abschied. Wir bekommen alle drei eine feste Bestätigung4. Und nun soll Frieden sein unter uns. Wir gehen zum Essen und trinken uns dann vor Begeisterung einen an. Samstag! Abschied von Pfeffer und Karl. Es steht etwas zwischen uns. Sie fahren nach Essen, um den Gau zusammenzustauchen. Ab nach Landshut. Himmler an der Bahn. Strasser kommt mit seiner Frau im Auto. Auf Stöcken heraus. Armer, lieber Kerl! Ab nach Deggendorf. Seine Frau schöne Weltdame. Er leidet daran. Mit Himmler den Nachmittag in Landshut. Himmler: ein guter Kerl mit viel Intelligenz. Ich mag ihn gern. Abends spreche ich in Landshut. Alles ist begeistert. Ein paar junge Frauen aufgeputscht. Sie haben mich gern. Mit Himmler nach Deggendorf. Straßer an der Bahn. Sein Bruder Toni. Abiturient. In der Mauser. Bei seinen Eltern. Selten liebe Gastfreundschaft. Sein Vater: dicke rote Nase; der bayerische Kanzleirat. Nicht dumm. Urbajuware. Humorvoll. Seine Mutter: vital, rege, ruhig, klug, beschlagen. Von ihr hat Gregor fast alles. Am Nachmittag erstatte ich Gregor Bericht. Er ist sehr zufrieden. Abends im lauen Frühlingswind durch Strassers Heimatstadt. Welch ein Friede! O, du Gregor Strasser, wie schwer muß Dir die Revolution sein. Seine Schwiegereltern: Kommerzienrat, doch angenehm. Montag morgen. Strasser kommt uns besuchen. Wir essen bei Mutter Strasser Rahmauflauf. Wundervoll. Nachmittag: wir liegen auf Faulenzern in der Sonne. Seine beiden Buben: Burschi und Burli. Zwei reizende Bengel. Mit Flimmler nach Dingolfing. Dort rede ich. Vor ordentlichen Kerlen. Das ist Bayern. Treu und Bier. Heute morgen mit Himmler ab. In Landshut Abschied von ihm. In München. Geschlafen, sauber gemacht. Brief von Karl. Essen alles gut verlaufen. Schön. Und nun München. Drei Tage Erholung. Gottseidank. Heute abend Platzl. München wie es weint und lacht. Morgen früh zu Alfred Rosenberg. Und nun will ich drei Tage Mensch sein! Glückauf! 1

„Die Südtiroler Präge und das deutsche Bündnisproblem." Was mit der dann im Dritten Reich durchgeführten Politik zu vergleichen ist. 3 Das wäre also das Goebbelssche Damaskus, wie er es selber sah bzw. gern haben wollte. 4 Das heißt: v. Pfeffer, Kaufmann und Goebbels als Führer des Gaues Ruhr. 2

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15. April 1926. Gestern morgen Alfred Rosenberg. Darüber hingesprochen. Nachmittags Verleger Dr. Boepple1. Auch ein Nationalsozialist. Abends Nationaltheater. „Madame Butterfly". Wundervolle Aufführung. Musik bestrickend schön. Handlung sentimentaler Kitsch. Vorgestern abend bei den Dachauern2. Münchener Volkshumor. Ich ertrage das nur eine halbe Stunde. Heute mit einem Pg. aus Dingolfing, Grunke, zusammen. Ordentlich. Morgen geht's nach Stuttgart weiter. O, dieses München. Frauen, so schön! Und die Sonne! 16. April 1926. Noch in München. Gestern abend traf ich Hitler. Er lud mich gleich zum Abendessen ein. Eine liebliche junge Dame war dabei3. Ein schöner Abend. Ich mußte allein mit dem Auto heim. Heute morgen um 10h wurde ich abgeholt. Ich brachte ihm Blumen mit, worüber er sich sehr freute. Dann sprachen wir zwei Stunden über Ost- oder Westpolitik. Seine Beweisführung ist zwingend. Aber ich glaube, er hat das Problem Rußland noch nicht ganz erkannt. Auch ich muß manches neu überdenken. Morgen geht's nun im Auto nach Stuttgart. Ich freue mich darauf. Heute abend saß ich eine Stunde im Cafe „Stadt Wien". Hier saß ich damals einen ganzen Abend mit Richard Flisges, als ich Anka verloren hatte. Sei stille! Inserviendo patriae consumor! Ade, mein München! Ich liebe Dich sehr!

April 1926. Samstag! Es regnet

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in Strömen. Ade München! Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter! Auto kommt. Hitler holt mich heraus. Er im Autodreß. Mitfahren: Heß, Schreck, Chauffeur4. Los. Im strömenden Regen. Augsburg. Panne. Hitler wie ein Junge. Ausgelassen, singend, lachend, pfeifend. Ulm! In einer kleinen Kneipe Mittag. Man erkennt ihn. Jubel unter den Leuten. Einer von den Spießern kommt und hält ihm sein Bild vor. Mittag! Bärenhunger! Das Wetter hat sich aufgeklärt. Verdeck herunter. Los. Ulmer Dom! Gigantisch ragt ein Turm nach oben. Eine steigende Linie mittelalterlicher Leidenschaft des Schöpfens. Weiter! Sonne scheint. Wind heult! Württemberg! Bis 6h nachmittags. Stuttgart. Munder kommt. Ordentlicher Kerl. Er hat sich über meinen Aufsatz „Dichter und Denker" so gefreut. Hitler abgeladen. Ich zum Hotel. Besuch über Besuch. Umgezogen, etwas gegessen. Dann im Auto zum Wulle-Saal. Ich spreche vor einer vieltausendköpfigen Masse 2 Stunden, und es ist eine göttliche Stille. Man tobt am Schluß. Dr. Ernst Boepple, Verleger („Deutscher Volksverlag") und Nationalsozialist von 1919; im Dritten Reich Ministerialrat und schließlich Staatssekretär im Bayer. Kultusministerium. 2 Volkskabarett am Platzl in München. 3 Vermutlich dürfte es sich um Hitlers damalige „ständige Begleiterin", seine Nichte Geli Raubal, gehandelt haben, die fünf Jahre danach unter noch nicht völlig geklärten Umständen zur Pistole griff. 4 Julius Schreck, SS-Mann Nr. 1 und seit jenem Jahre 1926 Hitlers Fahrer, im Mai 1938 als SS-Brigadeführer gestorben. 1

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Weg! Zum anderen Saal1. Hitler spricht noch. In Ekstase. Ein Donner der Zustimmung. Dann muß ich noch 1jz Stunde sprechen. Wie schwer das ist. Zum Essen. Hitler umarmt mich, als er mich sieht. Er sagt mir viel Lob. Ich glaube, er hat mich wie keinen ins Herz geschlossen. Nach Hause. Mit Munder sitze ich noch bis tief in die Nacht und philosophiere. Munder, der Denker, ich der Prediger. Sonntag: er spricht vor dem Gau2. Gut. Ich spreche über „unsere Arbeit im Ruhrgebiet", eine halbe Stunde. Die Leute sind weg. Dann kommt er zurück. Spricht ein Schlußwort. Das knallt wie Maschinengewehr. „Die Freiheit ist unser Ziel!" Rei Frau Dr. Nölter zum Kaffee. Wir feiern Hitlers Geburtstag. 37 Jahre ist er alt. Blumen brennend. Und er erzählt vom 9. November 1923. Adolf Du groß und einfach zugleich bist. Das was man Genie nennt. Abschied von ihm. Leb wohl! Er winkt noch. Ich halte Audienz. Leute kommen und gehen. Zum Abendessen bei Familie Weidle. Gut und ehrlich. Da fühle ich mich wohl. Abschied! Ade, mein Stuttgart. Auf dem Bahnsteig stehen unsere Leute und winken. Heilrufe! Auf Wiedersehen. Mit Plandschlag, Freund Munder! Die Nacht durch. Mit Peppmüller von Oberhausen3. Cöln, Elberfeld. Toni, v. Pfeffer. Viel zu erzählen. Schmitz kommt. Viel Arbeit. Schlaf. Den Nachmittag durch. Und nun aufs Neue. Morgen Hildesheim, übermorgen Holzminden. Eine schwere Woche. Gott mag mich beschützen! 37 Kerzen

um

Hitler, ich liebe Dich, weil

April 1926. Hildesheim, abends an. Sofort Vortrag. Mau, bürgerlich. Am anderen Morgen durch die Stadt. Eine der schönsten Städte, die ich je sah. Mit prachtvollen alten Fachhäusern. In der Altstadt eins neben dem anderen. Prachtvolles Rathaus mit leider etwas latschigen Malereien. Markt mit Rolandsbrunnen. Man fühlt sich ins mittelalterliche Bischofs- und Bürgerzeit versetzt. Nachmittags weiter. Holzminden. Scheiße. Heute 6 Stunden im Bummelzug. Grauenhafte Fahrt. Gleich ins Büro. Dann nach Bochum zum Vortrag. Kampfversammlung! Morgen Herne! Kampfversammlung! Übermorgen kommt dann Else! Buhe nach dem Sturm! Eine Sehnsucht ist in mir. Ich möchte manchmal verzweifeln. Man marschiert über mich hinweg! Eine Leiche mehr auf dem Schlachtfeld des Jahrhunderts! 22.

April 1926. Gestern in Bochum. Schöne Riesenversammlung. Viel Proletariat. Ich hab gut geredet. Rombenerfolg. Die Rochumer waren ganz begeistert. Heute nach Herne. Viel Arbeit! Hoffentlich kommt morgen Else. 23.

Am Vorabend des württembergischen Parteitags fanden in Stuttgart zwei parallele Massenversammlungen statt: im Dinckelackersaal sprach Goebbels nach Hitler, im Wullesaal 1

Hitler. Die Pause im Wullesaal füllte ein lokaler Fvmktionär. (VB v. 23. 4. 26) Das heißt: vor der „Landesversammlung" der Ortsgruppenführer, die vor dem um 11 Uhr beginnenden „Landesparteitag" herlief. 3 Friedrich Peppmüller, Reichsbahninspektor und Ortsgruppenleiter von Oberhausen; im Dritten Reich MdR und Oberregierungsrat im Reichsverkehrsministerium, Reichsfachschaftsleiter Eisenbahn im Reichsbund Deutscher Beamten.

vor

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24. April 1926. Gestern Herne. Arbeitsversammlung. Gut. Huribrink und Schüler machen Stunk im Gau. Sind abzusägen. Viel Schmutz und Intrigue! Canaille Mensch! Heute abend kommt Else! Hurra! Morgen abend Dresden, Hamburg, SchleswigHolstein, Schwerin. Ich werde Hitler sehen! Freue mich darauf. Mit Kaufmann gestern lange Unterredung. Wieder näher gekommen. Lektüre: Naschiwin „Rasputin1." Ein moderner russischer Roman. Die Russen bleiben doch immer dieselben. Die Intellektuellen: kranke, gebrochene Urkraft. Ein Rätsel von Volk.

25. April 1926. Else ist da. Süße Stunden. Sie ist gut. Gleich in den hinein! Heute abend ab nach Dresden!

sonnigen Sonntagnachmittag

April 1926. Sonntagnachmittag!

30.

Draußen. Abschied von Else! Müde heim! Gepackt! Ins Joch! Auf nach Dresden! Schauderhafte Nacht. Leipzig umsteigen. Dresden. Goß2 am Bahnhof. Viel Klatsch gleich. Ich ins Bett. Nachmittags durch Dresden. Welch eine wundervolle Stadt. Fast München. Prächtiger Blick vom Rathaus bis in die sächsische Schweiz. Der Zwinger mit dem imponierenden Hof. Residenz. Brühische Terrasse, die „Terrasse der Welt." Fast lieblich fließt die Elbe. Abends rede ich 3000 Menschen in Erschütterungen hinein3. Dienstag morgen weg. Berlin. 2 Stunden mit Schlange geklönt. Ordentlicher Kerl! Nach Hamburg weiter. Dr. Schranz4 an der Bahn. Lohse kommt und Klant. Die meinen's alle gut. Abends wie in Dresden. Die Menschen rasen. Führt uns das weiter. Nach der Versammlung noch lange mit Klant, Lohse und Allwörden5 zusammen. Mittwochmorgen. Mit Dr. Schranz in den Hafen hinein. Gigantische Schau! Besichtigung der „Deutschland". Ein schwimmendes Riesenhotel. Ach, wer da mitfahren könnte! Abends mit Lohse nach Elmshorn. Ich rede Mist vor 100 Menschen. Pg. Schneider aus Itzehoe, wie Anka fährt uns mit dem Auto nach Altona zurück. Mit Lohse durch das Matrosenviertel. Die freudlose Gasse6. Dirnen stehen an den Türen und locken. Halbnackt. -

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Iwan Naschiwin: Rasputin. 3 Bde., Leipzig 1925. Anton Goß, der NSDAP-Führer von Dresden-Ostsachsen. 3 Der VB-Versammlungsbericht (5. 5. 26) war ausgesprochen lyrisch: „Der glänzende Redner hatte von Anfang an die eineinhalbtausend Personen starke Menge der Besucher geSeine Rede von der Freiheit war ein einziges Gebet voller Glut und innerer Leidenfesselt schaft, und es schien zuweilen, als ob der Kämpfer von Rhein und Ruhr Sturm und Hagel sei, der herunterpeitschte auf alle, die da gekommen waren, die da hörten, um sie aufzurütteln, die Erwachten anzuspornen zum rastlosen Siegeslauf der befreienden Tat." 4 Dr. Helmuth Schranz, Mitglied der Hamburger Parteileitung, später bei Opel und nach 1933 Oberbürgermeister von Offenbach a. Main (vgl. Krebs, a. a. O., S. 49f.). 6 Wilhelm v. Allwörden, kaufmännischer Angestellter und damals Ortsgruppenleiter von Altona, 1926 SA-Führer von Schleswig-Holstein, später Senator und NSDAP-Fraktionsführer. Im Zweiten Weltkrieg war v. A. Abteilungsleiter in Rosenbergs Ostministerium. 6 G. zitiert den Titel des 1925 gedrehten Pabst-Films. 1 2



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Furchtbare Anklage! Körpergeschäft! Ich möchte weinen! Kann das ein Mann? Für Geld? Die Brunst wird zur Schamlosigkeit. Die Gesellschaft. So ist sie! Es girrt und lockt. Schmährufe hinter uns! Pfui! Wer trägt die Schuld! Abgesperrt im Ghetto der Lust. Auf den Straßen umarmen blonde Mädchen feixende Chinesen! Die Polizei lacht dazu. Das ist der Bürgerstaat! Alles, alles nur Brunst und Geschäft. Heraus, heraus, nach Hause! Ich kann nicht schlafen. Mir ist, alstrage ich unsühnbare Schuld!-Mittwoch. Zu Dr. Schranz zu Mittag. Mittelmäßige Hausfrau. Abends nach Rendsburg. Eine herrliche Frau sitzt im Abteil. Du schöne Frau! Ich rede zu Kommunisten, besser als ich wollte. Schneider ist wieder mit dem Auto da. Zu ihm nach Itzehoe! Gute Hausfrau! Eine Stunde Schlaf, dann wieder ins Auto. Oben auf dem Dach klappert der Storch. Nebel wallt auf und ab. Die Sonne geht auf über Schleswig-Holstein. Meergeruch! Ich bin wie neugeboren. Elmshorn! Abschied von Schneider. Leb wohl, mein Freund! Altona! Ich schlafe schon. Bis Elberfeld! Und nun an die Arbeit. Dieser Freitag soll kein Freitag sein! Ins Joch. Warum hängen mir die Augen so schwer?! l.Mai 1926. 1. Mai. Draußen demonstrieren die Boten. Für die Goldenen. Und die Schwarzen beten zu Gott um gut Wetter. Es ist eine tolle Welt. Lektüre: Iwan Naschiwin: „Rasputin". Glänzende russische Darstellung. Der Mai ist gekommen! Ich merke so etwas kaum noch! 3. Mai 1926.

Viel Arbeit, v. Pfeffer ist da. Mit Kaufmann stillen Kampf. Gleich nach Essen und Hattingen. Morgen abend Bayern, Bamberg, Bayreuth, Nürnberg. Zwei neue Aufsätze gestern geschrieben: „Der Generalstab" und „die Straße"1. Zwei staubaufwirbelnde. Gut so! Noch schnell Diktat und dann ab! 4. Mai 1926. Gestern Essen. Terboven gut. In

Hattingen gesprochen. Vor der Ortsgruppe. Alle waren ordentlich. Die Nacht durch. Heute morgen mit Lutze angekommen. Zur Geschäftsstelle. Zusammenstöße mit v. Pfeffer. Gleich zu Bett. Heute abend rede ich in Essen. Und dann ab nach Bayern! 1 Erschienen in den „Nationalsozialistischen Briefen" Nr. 16 und 17 v. 15. 5. bzw. 1. 6. 26. „Der Generalstab" war ein Brief an den „verehrten, lieben Herrn Hitler", in dem G. die Konsequenz aus der Seelenmassage von München zog. Er schlug die „generalstabartige Organisation des Geistes unserer Bewegung" vor, ständige Kontakte der Elite: „In Zucht und Strenge muß ein Kreis gesondert werden aus den Besten, Tapfersten und Opferbereitesten. Gehalten durch eine puritanische Grausamkeit gegen sich selbst haben sie ihr Herz hart zu schmieden für den Tag, der von uns mehr verlangen wird als Gesinnung: Brutalität, Konsequenz, Sicherheit des Erkenntnis, Klarheit der Schau." „Die Straße" reflektierte das Erlebnis vom 1. Mai: das demonstrierende Proletariat und das darüber erhabene und feige Bürgertum. „Derweil wird auf der Straße Geschichte gemacht. Die Straße ist das politische Charakteristikum dieser Zeit." —

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8. Mai 1926. Eine böse Überraschung vor der Abfahrt. Kaufmann schreibt mir einen ziemlich unverschämten Brief. „Es fehlt Dir an der notwendigen Zähigkeit." So, so! Ich hör Dir laufen! Dr. Elbrechter und die ganze Freimaurermischpoke! So, so. Mißmutig und gedrückt ab. In mir will etwas zerbrechen. Armer Kaufmann! Abends zu den Essener Jungens. Ich erzähle von meinen Reisen. Sie haben großen Spaß daran. Dann hinaus in die Nacht. Pochende Gedanken. Wie weh der Kopf schlägt! Karl Kaufmann. Vor mir schläft ein prächtiges Frauenzimmer auf dem Polster. Sehnsucht nach dem Weibe! Wie grauenhaft ist so eine Fahrt in der Nacht. Würzburg! Umsteigen! Bamberg! Ins Bett! Schlaf! Schlaf! Abends rede ich vor dichtgedrängten Massen. 3 Stunden. Wie in der Kirche. Ich lerne prächtige Menschen kennen. Vor allem Zahneisen K Ein Rassetyp. Am anderen Tag Bayreuth. Wagnerstadt. Ich fühle mich gehoben. Durch den Regen! Zu H. St. Chamberlain2. Seine Frau, eine Tochter Wagners, bittet mich herauf. Erschütternde Szene: Chamberlain auf einem Ruhebett. Gebrochen, lallend, die Tränen stehen ihm in den Augen. Er hält meine Hand und will mich nicht lassen. Wie Feuer brennen seine großen Augen. Vater unseres Geistes, sei gegrüßt. Bahnbrecher, Wegbereiter! Ich bin im Tiefsten aufgewühlt. Abschied. Er lallt, will sprechen, es geht nicht und dann weint er wie ein Kind! Langer, langer Händedruck! Leb wohl! Du bist bei uns, wenn wir verzweifeln wollen. Draußen klatscht Regen! Ich hab das Bedürfnis zu schreien, zu weinen. Mir ist so weh ums Herz. Durch den Schloßpark. Ein kleiner Hain. Da ruht Richard Wagner. Ein massiger Stein ohne Name. Bäume. „Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst willen tuen!" Abends rede ich mir die Qual von der Seele herunter. Noch lange mit guten Freunden beisammen. Lehrer Schemm3, ein Prachtkerl! Andern Tags im Auto durch Bayreuth. Bei Wahnfried vorgefahren. Frau Wagner (Siegfrieds Frau) holt mich zum Essen herein. Ein rassiges Weib. So sollten sie alle sein. Und fanatisch auf unserer Seite. Herzige Kinder. Wir sind alle sofort Freund. Sie klagt mir ihr Leid. Siegfried ist so schlapp. Pfui! Soll sich vor dem Meister schämen. Auch Siegfried ist da. Feminin. Gutmütig. Etwas dekadent. So etwas wie ein feiger Künstler. Gibt es das? Gehört zum Künstler nicht zum wenigsten Civilkourage?! Seine Frau gefällt mir. Ich möchte sie als Freundin haben. Sie führt mich durch des Meisters Zimmer. Da sein Flügel, sein Bild, sein Schreibtisch. Alles so wie damals. Seltsame Erschütterungen. Wagners Tannhäuser hat meine Jugend erweckt. Ich war damals 13 Jahre alt. Daran denke ich jetzt. Die Kinder toben durch die Räume. Kinderlachen, wo ehedem Musik ward. Das ist alles dasselbe: Geschenke Gottes. Wir stehen lange plaudernd in der -

Lorenz Zahneisen, der Kreisleiter (im Dritten Reich auch Oberbürgermeister) von Bamberg. Houston Stewart Chamberlain, gebürtiger Engländer und Wahldeutscher, 1908 mit Richard Wagners Tochter Eva vermählt; als Schriftsteller vor allem bekannt durch das Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts"; Alldeutscher und in den letzten Lebensjahren Anhänger Hitlers. Ch. starb dann am 9. Januar 1927. 3 Hans Schemm, Volksschullehrer und Ortsgruppenleiter von Bayreuth, Gründer des NS-Lehrerbundes. Später wurde Sch. Gauleiter von Oberfranken (Bayer. Ostmark) und 1933 bis zu seinem Tode 1935 bayerischer Kultusminister. 1

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Halle. Durch den wundervollen Park. Ein paar stille Minuten am Grabe des Meisters. Eine junge Frau weint, weil der Sohn nicht ist, wie der Meister war. Abschied. Lachenl Händedruck! Ich habe diese junge, süße Frau liebgewonnen! In die Eremitage! Der junge Friedrich und seine liebliche Schwester. Flötenklang, fern ist der Krieg. Die Preußen in Bayreuth! Wie viel gigantischer wird dann der Preußenkönig, daß er das überwand und der einsame Alte wurde. Weiter im Auto. Festspielhaus. Öde und leer. Ich stolpere durch Orchester und Kulissen. Zum Bahnhof. Ab nach Nürnberg. Streicher nicht da. Ich rede. Und bekomme einen riesigen Nelkenstrauß. Kaumanns und Wefers aus Rheydt sind da. Ganz begeistert. Die Nacht durch in Wachen und Schlaf. Grausame Tortur! Ich denke an eine tapfere Frau! Cöln. Ich schlafe noch! Elberfeld! Arbeit! Arbeit! Begen in Strömen! Auf die neue Geschäftsstelle1. Kalt und öde. Hauptmann v. Pfeffer pumpt mir das letzte Geld ab. Brief an Kaufmann. Morgen Unterredung. Vielleicht von schweren Folgen. Hitler hat mit Esser gebrochen. Deo gratias! Ein Lump weniger in der Reihe. Das gibt neue Konstellationen! Elberfeld wird siegen! Morgen nach Unna! Rezirkskonferenz. Auch das muß sein! Brrr! Du schöner, stiller Samstagabend, mit meinem besten Freund, dem Buch. Dir kann ich alles sagen, was mich drückt. Brief von Else. Gut so! Ich werde antworten. „Meine liebe Else!" Das Leben ist ein großes Affentheater. Und man spielt als Affe mit. Muß das so sein! Warum sagen wir nicht die Wahrheit! Mensch! Canaille! 10. Mai 1926. Gestern und heute lange Unterredungen mit Kaufmann und Schmitz. Es lag viel Zündstoff zwischen uns. Der ist nun beseitigt. Aufs neue also an die Arbeit! Ich werde nicht mehr so viel reisen, sondern mich mehr dem Gau widmen. Das ist auch besser für meine Arbeit wie für meine Gesundheit. Noch 3 Wochen Beisen, dann Schluß! Heute abend ab nach Breslau! Freitag erst wieder zurück. Jetzt wird der Misthaufen weggeräumt. Ich werde wieder mit Kaufmann ins Beine kommen. Wie danke ich dem Schicksal dafür. Pfeffers Geldwirtschaft macht mir viel Sorge. Biegel davor schieben! Gestern in Unna. Dr. Huribrink abgesägt. Also ein Stänkerer weniger. Den ganzen Nachmittag Arbeit!

13.2Mai 1926. Nach Breslau. 17 Stunden auf der Bahn. Schlafend, lesend, schreibend, schauend. Durchs Schlesierland. Nachmittags 4h Ankunft. Am Bahnhof Brückner3 und Dr. Rosikat4. Und eine Menge S.A. Alle freuen sich. Im Auto zu Dr. Rosikat. 1

(VB 2

Die v.

Gaugeschäftsstelle

7. 5.

Rhein-Ruhr

war

ab 5. Mai in die Auerschulstr. 8 umgezogen

26).

Korrigiert in 14.,

da

um

Mitternacht

geschrieben.

Brückner, Gründer und Gauführer der NSDAP in Schlesien, Schriftleiter der „Schlesischen Volksstimme"; 1933/34 Oberpräsident beider Schlesien. B. fiel Ende 1934 3

in

Helmuth

wurde abgelöst und kam in ein KZ. Der NSDAP-Stadtleiter von Breslau.

Ungnade, 4

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Frau. Jung und grau. Und er: ein prachtvoller ruhiger Mensch. Revolutionär von kalter Glut. Zehrendes Feuer, das nach innen schlägt. Dieses Gesicht: der Fanatismus. So liebe ich den Menschen. Abends rede ich, und es ist ein heller Jubel. Die Nacht sitze ich mit Landsknechten von Roßbach zusammen. Jeunesse doree. Schlafe im Hospiz bei Schwestern. Bis in den Mittag. Zu Rosikat zum Mittag. Heftig in die Debatte hinein. Über den Zins. Er denkt noch etwas liberal. Bleibt auf halbem Wege stehen. Warum denn? Ludendorff Hitler. Peinliche Frage. Da wird einmal ein Bruch kommen. Es ist nicht wahr: Ludendorff ist kein Staatsmann. Abends mit Semler los. Nach O.S. Gleiwitz. Krach in der Versammlung. Ich rede unter jubelndem Beifall zu Ende. S.A. bringt mich zur Bahn. Die Nacht durch mit einem Herrn Semler aus Breslau. Den Tag durch allein. 24 Stunden auf Bahn. Eben angekommen. Es ist Mitternacht! Schönes Christi Himmelfahrt! Gute Nacht!

Gnädige

-

15. Mai 1926. Viel Arbeit mit der Vorbereitung der Hitlerversammlungen. Wie freuen sich alle darauf, daß Hitler auf eine ganze Woche nach hier kommt. Mit Kaufmann bin ich wieder gut beieinander. Gegen v. Pfeffer ein Severingsches Fememordverfahren. Wir schlagen einen Mordskrach dagegen in der Presse1. Lektüre: „Rasputin". Ich lese mit wachsender Spannung. Heute nachmittag in den bolschewistischen Film „Panzerkreuzer Potemkin." Kaufmann fand ihn glänzend. Mal sehen2. Else schreibt. Will morgen kommen. Ich freue mich. Montag abend Württemberg: Stuttgart, Eßlingen, Feuerbach, Ulm. Gleich darauf dann nächsten Samstag Generalversammlung in München3. Die Pfingsttage werde ich dann vielleicht in München und Umgebung verbringen. Jetzt fängt die Arbeit wieder an, mir Freude zu machen. Freie Bahn in allen bisherigen Stänkereien. Man kommt wieder zu Menschen. Man muß das manchmal in diesem brutalen Kampfe. Die Seele ist manchmal nur noch eine große Wunde. Wir müssen überwinden: Damit wir unüberwindlich werden! 17. Mai 1926. Drei Tage Regen in Strömen. Ich arbeite. Samstagabend lange mit Kaufmann zusammen. Dann mit Lutze und Günther. Gestern kam Else. Schöne Plauderstunden. Sie war durch und durch naß. Sie kann so lieb sein. Nachmittags Beratung über die Hitlerwoche. Das ganze Zimmer voll. Abends fährt Else weg. HändeAn diesem 15. Mai im VB, vielleicht aus Goebbels' Feder: „Severing und Gau Ruhr", Pfeffer hatte in der vergangenen Nummer seine Darstellung gegeben. Er wurde damals wegen eines Vorfalls in den Oberschlesienkämpfen von 1920 beschuldigt, wo einer der Offiziere seines Freikorps, ein Leutnant Hentschel, auf einer Patrouille unter mysteriösen Umständen „tödlich verwundet" worden war. Der Offizier sollte von seinen Leuten, von Offizierskameraden oder von Pfeffer selbst erschossen worden sein. 2 Hitler fällte am 22. Mai in der Generalmitgliederversammlung sein verbindliches Urteil über den Film, den er als „Hochschule der Bestialität" bezeichnete (VB v. 26. 5. 26). 3 Jährliche „Generalmitgliederversammlungen" der Parteien waren gesetzlich vorgeschrieben. 1

v.

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Ade, ade!!! Zu Lutzes zum Abend eingeladen. Scharfe Disputationen mit Wetter und Frau, Jungdo. Die Frau hat gelernt. Es regnet in Strömen. August Ein Sauwetter. Heute nachmittag viel Arbeit. Heute abend geht's wieder los. Eßlingen, Ulm, Feuerbach, Stuttgart. Pfingstsamstag in München Generalversammlung. Ich freue mich auf München. Auf Hitler und all das andere. Pfingstmontag werd ich dann heimfahren. An die Arbeit! Grauenvolle Nacht! winken.

24. Mai 1926. Ankunft Stuttgart. Munder, Gundlach. Ich schlafe nach einer grauenvollen Nacht. Abends Rede Eßlingen. Gut. Ulm. Das Münster. Erschütterung. Ich rede 3 Stunden vor Bürgern und Arbeitern. Reängstigende Fülle. Sieg auf der ganzen Linie. Man schreit und jubelt. Heil auf Pleil. Heimfahrt im Auto. Klingender Frühlingstag. Zurück nach Stuttgart. Peinliche Unterredung mit dem Komponisten Hans Gansser. Zum Schluß versöhnen wir uns. Ich hatte ihm weh getan. Ich bin so nervös. Abends Kampf in Feuerbach. Von 8-12 Uhr. Zum Schluß die Internationale. Lumpenproletariat, das nicht bekehrt sein will. Muß mit Gewalt glücklich gemacht werden. Danach sitze ich eine Stunde mit Munder allein im Kaffee. Munder ist ein kluger, guter Mensch. Er sieht die Probleme. Mit dem kann man reden. Wenn heute zwei Männer, die etwas von den Zusammenhängen verstehen, über Deutschland reden, dann gibt es immer eine große Traurigkeit. In der Nacht wache ich auf. Im Schloßpark schlägt eine Nachtigall. Freitag. M.d.L. Schlumperger1 schleift mich in den Landtag. Rrechreiz. Seich, Palaver, Geschwätz, Hängebäuche. Heraus. Mit Munder eine Stunde auf einem stillen Friedhof. Eine Weile am Grabe Hauffs. Vögel singen. Mittags bei Weidles. Den Nachmittag gearbeitet. Der Abend kommt. Ich rede zu Tausend. Und finde die letzte Form der Idee. Ich bin ganz weg. Am Ende kommt eine junge Frau zu Munder und bittet, mir die Hand geben zu dürfen. Bis tief in die Nacht mit Munder. Bei einer Flasche Rotwein. Sorgen und Freuden. Am Morgen nach München. Am Bahnhof sehe ich General v. Seeckt. Der Herr Deutschlands. Alt, gebrechlich, gebeugt. Das ist das zweite Reich auf Abbruch. Durch Sonnenschein und Regen. München. Es regnet in Strömen. Umziehen! Zur Generalmitgliederversammlung. Im Rürgerbräu. Ich werde von einem Sturm der Freude und Begeisterung empfangen. Lohn nach einem Jahr des Opfers. Straßer ist da. Der gute, ordentliche Charakter. Alle anderen auch, Frick, der aufgeblasene Feder, der mutige Streicher. Hermann Esser fehlt. Gottlob. Plitler gibt Rechenschaft. 2 Stunden lang. Nicht ganz auf der Höhe. Mich lobt er vor der Öffentlichkeit über den grünen Klee2. Im Auto fährt er mich heim. 1 Richtig: Schlumpberger, der damalige Ortsgruppenleiter von Stuttgart, ein zu Hitler übergetretener völkischer Landtagsabgeordneter aus der Vereinigungszeit. 2 Hitler hatte gesagt: „Ich bin glücklich, daß in diesem Jahre wieder ein paar erstklassige Redner herangewachsen sind, an der Spitze unser Freund aus Elberfeld Goebbels (Beifall) Wir müssen glücklich sein, wenn sich aus der Masse unserer Parteigenossen solche Köpfe mehr und mehr herausschälen." Rosenberg, Streicher, Mutschmann u. a. waren jedoch in gleicher Weise bedacht worden (VB v. 26. 5. 26). .

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Er mag mich wohl. Den Abend mit vielen Leuten bei Musik und Kaffee. Dann mit Munder heim. Wir schwätzen und lachen noch bis tief in die Nacht. Am anderen Tag ist Pfingsten. Leise aus dem Zimmer, um Munder nicht zu wecken. Einen Zettel auf sein Bett. Draußen scheint Sonne. Pfingsten, das liebliche Fest. Ich in einem schmutzigen Abteil. Rattata, rattata. Ich möchte weinen. Gewissensschau. Die Räder brummen. Armes Leben! Spät abends Elberfeld. Und heute Arbeit. Der zweite Pfingsttag. um unsere Schuldigkeit zu tuen. Regen! .

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25. Mai 1926. Ein köstlicher Pfingstdienstag. Draußen scheint goldene Sonne. Ich sitze und arbeite. Wie freut mich so ein stiller Sonnentag. Gestern wieder viel Lärm und Intriguen. Der Mensch ist ein Vieh. Morgen geht's nach Karlsruhe. Ich werde mein Heidelberg wiedersehen. Anka, Anka! Draußen ist Pfingstsonnenschein. 29. Mai 1926. Soeben von Fleidelberg mit dem Nachtzug zurück. Ich sprach in Karlsruhe, Heidelberg und Weinheim. Gestern abend in Weinheim letzter Bombenerfolg. Ich sah mein Heidelberg wieder. Durch Straßen und Gassen ging ich wie ehedem. Wie weit bin ich in 5 Jahren gegangen! Ein Mann geworden. Ein Irrsinniger, Sand, schreibt mir Drohbriefe. Abwarten! Gleich zur Geschäftsstelle. Brief von Else. Fronleichnam nach Hause. Wie müde bin ich! Lektüre: Klagges „Urevangelium Jesu"1, vielleicht ein epochales Buch. Später mehr. —

30. Mai 1926. Ein grauer, regnerischer Sonntag. Ich werde den ganzen Tag schreiben und lesen. Gottlob, daß ich dazu wieder einmal einen Tag frei habe. Lektüre: Klagges. Ein fabelhaftes Buch. Schreibarbeit: 2 Aufsätze. Mit Kaufmann viel Debatte. Um den Gauleiter. So geht das nimmer. Einer soll König sein! 31. Mai 1926. Pfeffer hat wieder einige Dummheiten gemacht. Jetzt haben wir den Krach mit München. Den ganzen Morgen Dreck gefegt. Das wächst bald oben heraus. Heute abend nach Crefeld. Ob Hitler kommen wird? Nach den irrsinnigen Briefen von Pfeffer? Ich werde mir den heutigen Nachmittag zum Lesen freimachen. Der Mai ist da. Mit einem wundergoldenen Sonnenschein. Übermorgen geht's nach Rheydt.

Grüß di' Gott, Else! 2. Juni 1926. Pfeffer von Berlin zurück. Ernste Auseinandersetzungen mit ihm. Er wird sich schon auf die Dauer etwas ducken müssen. Kaufmann nach Mecklenburg zu Wahlreden. Viel, viel Arbeit zur Vorbereitung der Hitlerwoche. Wenn's nur nicht 1

6

Vgl.

oben S.

42,

Anm. 1.

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durcheinander geht. Sorgen um das liebe Geld. Aber jetzt Schluß mit alldem! Ich fahre heute und morgen heim! Darauf freue ich mich von ganzem Herzen. Auf Mutter, Vater, Maria, Elsbeth und lieb-Elslein! 4. Juni 1926. 2 Tage zu Elause. Viel Gerede und Klatsch. Ich sah meine Lieben wieder und fand einen Augenblick Ruhe vor dem Sturm. Else machte mir Freude und Ärger. Sie ist dem Leben gegenüber feige. In Elberfeld Menge Arbeit. Ich schaue kaum durch. Dabei Hetze und Intrigue. Ich bleibe zu Hause und arbeite. Draußen Sonnenschein und Regen! Wie drinnen!

5. Juni 1926. Zum Studium und Schlafen. Toni Kesseler hat seine Stelle als Geschäftsführer aus verschiedenen Gründen verlassen. An seine Stelle tritt Fritz Hastedt. Jetzt wird aber Ordnung in die Bude gebracht. Morgen Bezirksführertagung. Die Gauführerfrage soll endgültig entschieden werden. Mir hängt so allerhand zum Halse heraus. Die Lust geht einem zuweilen aus. Jetzt müßte ich einen Monat an die See fahren können. Um den Menschen in mir wiederzufinden.

Samstag! Ruhetag!

7. Juni 1926. Gestern den ganzen Nachmittag herumdebattiert. Um den neuen Gauführer. Pfeffer ist schon so quasi abserviert. Über mich redete man überhaupt nicht. Als wenn ich nie einen Schlag getan hätte. Dank vom Hause Österreich! Lutze meint, das Ganze wäre eine politische Schiebung, von Koch, Kaufmann, Elbrechter, Terboven und Günther inszeniert. Ein böser Geist geht in unserem Gau um. Und Kaufmann steckt in seinen Klauen. Gleich kommt er zu mir, damit wir uns ins Reine setzen. Ich kann nicht glauben, daß er intriguiert. Aber man lernt doch so an allen Menschen verzweifeln. Redet, wie ihr wollt: Politik verdirbt den Charakter. Besser noch: Politik lehrt, wie verdorben im Grunde der Charakter der Menschen ist. Morgen und übermorgen nach Berlin. Und dann wird Hitler bald hier sein! Ob ich mit ihm all diese Dinge besprechen soll? Jenachdem, wie weit ich heute mit Kaufmann komme. Klarheit muß ich haben! Dann erst kann ich schaffen! 10. Juni 1926. Noch immer nicht im Klaren. Jetzt soll nächste Woche Hitler entscheiden. Vorgestern nach Berlin. Schlange ist verzweifelt. Der gute Mann wird nicht mehr mit den renitenten Leuten fertig. Alle wollen mich nach Berlin als Retter. Ich danke für die Steinwüste. Andere Lesart: ich soll nach München als Generalsekretär der Bewegung. Schon besser. Aber das hängt von den Bedingungen ab. Nur, wenn ich absolut unabhängig bleiben kann. Am ersten Abend spreche ich in Spandau. Vor 2000 Menschen. Riesenerfolg! Berlin eine große Wüste. Andern Morgens bei Straßer. Er vermutet, daß ich mit München kompromissle. Ich rede ihm diese dummen Schrullen aus. Mit Dr. Straßer und Haake zusammen. Dr. Stra-

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ßer ist ein leichtbewegter, angenehmer Mensch. Noch halb Marxist. Aber Fanatiker. Das ist schon allerhand. Straßer: groß, sich wiederholend, gutmütig, anlehnungsbedürftig. Er kommt doch wohl zuletzt mit dem Verstand nicht mit. Mit dem Herzen immer. Ich liebe ihn manchmal sehr. Abends rede ich in Neukölln. Kein trockener Faden ist mehr an mir. Am Schluß eine riesige Kundgebung für unsere Idee. Zurück mit Haake. Er will allerhand wissen. Der gute, dumme Kerl. Lektüre: 2. Band Rasputin. Fabelhafte Schilderung. So ist Rußland, so kann man nachgerade alles verstehen, was kam. Elberfeld. Auf der Geschäftsstelle Kaufmann. Er ist wieder gut und Freund. Ich kann ihm nicht lange böse sein. Ich liebe Menschen mit einem guten Herzen. Berge voll Arbeit. Den ganzen Abend bis tief in die Nacht. Die Politik des Tages ist sauer. Viel Krise und Kampf. Zu Wichtigerem! 12. Juni 1926. Der Gau ist durch die

Schlappheit Kaufmanns ein großer Sauhaufen geworden. Jetzt spinnt sich Gemeinheit an Gemeinheit und Intrigue an Intrigue. Die Bezirksführer wachsen uns über den Kopf. Kaufmann ist ratlos und verteidigt doch sein Recht. Mir hängt die Organisation zum Halse heraus. Mit den Leuten wollen wir Deutschland frei machen. Heute ein Morgen voll Qual und Schimpferei. Dazu schreibt Else mir einen kurzen, sachlichen Abschiedsbrief. Was soll ich machen? Sie hat in allem recht. Wir können uns nicht einmal mehr Kameraden sein. Zwischen uns steht eine Welt. Wir haben uns zu lange dagegen gesträubt, das einzusehen. Ob nun der rechte Augenblick da ist? Mich dauert immer dieses arme, liebebedürftige Geschöpf. Qual draußen und drinnen. Ich möchte schon, daß Hitler mich nach München beriefe. Dann wär ich aus all dem Dreck heraus. Nun hängt alles von seiner Entscheidung ab. Will er mich? Da unten wäre meine Parole: arbeiten, von den Menschen Abstand. Alle sind Canaillen, ich eingeschlossen. Nun werde ich im Fluge meine Arbeiten erledigen. Und dann schlafen, schlafen! Nicht mehr aufwachen müssen! 14. Juni 1926.

Gestern lange Auseinandersetzung mit Karl Kaufmann. Elbrechter ist sein böser Geist. Er selbst ist ein armer, unglückseliger, zerrissener Mensch, der das Gute will. „Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten." Ich muß mich seiner mehr annehmen. Denn er ist doch mein guter Freund und im tiefsten Grunde meines Herzens liebe ich ihn. Ich sitze und warte mit Ungeduld auf den Chef. Gleich kommen Kaufmann, Pfeffer, Lutze und Schmitz. Eben mit München telephoniert. Hitler ist gestern mittag abgefahren. Alles ist bis ins Kleinste vorbereitet. Auf der Geschäftsstelle ein Mordsbetrieb. Ich freue mich so sehr auf Hitler. Ich verehre und liebe ihn. 16. Juni 1926. Hitler seit zwei Tagen hier. Ein grauenvolles Warten am Montag auf ihn. Gegen 8h erst kam er an. Mit Jubel empfangen. Unter Begeisterung vorgestern in Elber-

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feld, gestern in Bochum gesprochen1. Heute mit dem Auto nach Cöln. Heute abend

in Essen. Dr. Rosikat von Breslau war gestern auch hier. Ordentlich. Gestern nachmittag bei Direktor Arnold und dann bei der Hattinger Ortsgruppe. War das eine Freude! Fall Feder-Pfeffer vor Hitler erledigt. Gut so. Freitag kommt Straßer. Ich muß mich vorher noch mit Kaufmann bereden. Hitler der alte, liebe Kamerad. Man muß ihn als Mensch schon gerne haben. Und dazu diese überragende geistige Persönlichkeit. Man lernt nie bei diesem eigenwilligen Kopf aus. Als Redner ein wundervoller Dreiklang zwischen Geste, Mimik und Wort. Der geborene Aufpeitscher! Mit dem Mann kann man die Welt erobern. Laßt ihn los, und er bringt die korrupte Republik ins Wanken. Sein schönstes Wort gestern: „Gott gab uns in unserem Kampf seine Gnade in überreichem Maße. Als schönstes Geschenk bescherte er uns den Haß unserer Feinde, die wir ebenso und aus vollem Herzen hassen."

spricht

er

17. Juni 1926. Gestern mit Hitler in Cöln. Dom, Rhein, Ausstellung. Er kennt alles, ein Genie2. Eine wundervolle Fahrt durch Düsseldorf nach Essen. In Essen sprach er vor 2000 Mitgliedern. Und fand die letzte Form des deutschen Sozialismus. So ein Kerl kann eine Welt umkrempeln. Der gestrige Abend war ein großes, großes Erlebnis. „Hitler wird uns führen einst aus dieser Not!" 19. Juni 1926. Vorgestern und gestern viel innerer Kampf. Immer um die alte Frage. Elbrechter, Gauführerfrage. Man schaut jetzt nicht mehr durch. Strasser ist da. Eben kommen Kaufmann, Lutze, Strasser, Pfeffer, Schmitz, um diese Fragen zu beknien. Gestern sprach Hitler in Essen vor der Industrie. Fabelhaft! Die Großkopfeten haben ihn wohl zum größten Teil garnicht verstanden. Hitler ist in allen Sätteln gerecht. Gerhard Beyer war da. Hitlers Rede hat ihn in tiefster Seele erschüttert. Mit dem Auto in später Nacht zurück. 2 Uhr Ankunft, heute 7 Uhr wieder heraus. Ich sehe aus wie das arme Leben. Grauenvoll! Und heute soll nun der Kampf um die Personen beginnen. Kaufmann, Pfeffer oder ich. Grauenvoll ist mir dieser Kitsch. Ich möchte am liebsten den ganzen Schwindel in die Ecke werfen. Es ist zum Kotzen! Nun sitzen die Herren hier und palavern. Um dies und das. Quatsch! Intrigue! Brechreiz! 21. Juni 1926. Eben fuhr Hitler weg. Und nun beginnt für mich die große Rastezeit. Gestern wurde Kaufmann von uns zum Gauleiter bestimmt. Das ist gut so3. Ich bekomme Natürlich immer nur im kleinen Kreis geladener Gäste oder vor Mitgliedern, nicht in öffentlichen Massenversammlungen, da gegen Hitler ja in Preußen wie in den meisten übrigen deutschen Staaten ein Redeverbot verhängt worden war (aufgehoben erst am 28. 9. 28). 2 Diese Bemerkung von Goebbels über Hitler ist charakteristisch: wie hier den jungen Mann aus Rheydt, so verblüffte und faszinierte das phänomenale Schubfachgehirn des „Führers" später Generäle, Techniker, Wirtschaftler usw. Er „kannte alles", war „ein Genie". 3 Hier z. B. ist G.'s Unehrlichkeit vor sich selbst eklatant. 1





Das

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eine riesige Entlastung. Die ich von Herzen gerne entgegennehme. Zwischen Kaufmann und mir ist so etwas wie ein Riß. Er ist nicht ehrlich. Gestern hat Hitler über Organisation gesprochen. Wie immer glänzend. Am Samstag bin ich mit ihm zur Gesolei1 nach Düsseldorf gefahren. Auch da lernte ich diesen falbelhaften Menschen in seiner Tiefe kennen. Und dann hat er den ganzen Tag erzählt. Gestern und vorgestern. Mit Witz und Humor und sprühendem Geist. Ein Feuerkopf. Über Wagner haben wir gesprochen. Er liebt Wagner sehr. Und nun sind diese schweren Tage zu Ende. Ich bin müde, müde! Die Ferien beginnen. Wie ich mich darauf freue. Übermorgen geht's auf ein paar Tage nach Hause. Mein erstes Buch „die zweite Revolution" ist erschienen. Arbeit, Arbeit! Und dann ins Bett! 23. Juni 1926. Die Arbeit ist zu Ende. Eben im Begriff, nach Hause zu fahren. Wie ich mich darauf freue! Vier Tage ganz für mich. Vergessen, vergessen! Faulenzen, schlafen! Wie lange hälst Du's auch nur aus, alter Unrast!

26. Juni 1926.

Tage war ich zu Hause. Es war eine helle Freude und Seligkeit. Wie wunderparadiesisch doch so ein paar Tage der absoluten Ruhe sind. Mit Elsbeth gespielt, mit Benno getollt, mit Maria geulkt, mit Mutter erzählt, mit Else gekost. So das Leben eines Paschas. Und Vater schreitet hindurch mit einer ruhigen, ernsten Sachlichkeit. Dazwischen las ich Iw. Naschiwins „Basputin" mit tiefer Erschütterung aus. Das grandiose Gemälde des russischen Bolschewismus. Wohl etwas weißrussisch gesehen. Aber niederdrückend in seiner satanischen Grausamkeit. 3

voll

So mag der Teufel wüten, wenn er die Welt beherrscht. Der Jude ist wohl der Antichrist der Weltgeschichte. Man kennt sich kaum mehr aus in all dem Unrat von Lüge, Schmutz, Blut und viehischer Grausamkeit. Wenn wir Deutschland davor bewahren, dann sind wir wahrhaft patres patriae! Heute nur Arbeit als Ausspannung. Heute abend in Langenberg Sonnenwende. Ich rede. 28. Juni 1926. Samstag in Langenberg Sonnwend. Wir werden mit dem Wagen in Neviges abgeholt. Der Regen hat aufgehört, und nun geht's in wunderbarer Fahrt durchs Tal. Langenberg! Die Leute stehen schon zu Hunderten auf dem Marktplatz. Auf den Rismarckturm! Dort ist ein riesiger Holzstoß aufgeschichtet, ßei schlagenden Flammen rede ich zu den Tausenden. Der Glaube an die Zukunft! Bannerweihe von Hattingen und Langenberg. Die Hattinger Fahne weihe ich mit einer stillen Wehmut. Mädchen tanzen den Feuerreigen. Ein prachtvolles Bild! Die weiße Nacht! Möge sie für Deutschland kommen zum neuen Tag! Unten im Saal die ganze Nacht durch. Ich werde auf Schultern von den Jungens getragen. Arbeiter 1

Eine

aus dem Bereich „Gesundheitspflege, soziale Mai bis Oktober 1926 in Düsseldorf stattfand.

große Ausstellung

Leibesübungen",

die

von

Fürsorge

und

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fern und nah! Wie freut mich das Gefühl: das hast Du geschaffen. Mit Paula Lutze Heimfahrt. Ich sehe Frau Lutze gerne. Ich glaube vielleicht, daß ich sie etwas liebe. Der Gauführer Karl Kaufmann war nicht da. Es regnete ihm zu sehr. Gestern Sonntag den ganzen Tag geschlafen. Heute Arbeit an den N. S. Briefen. Einkäufe und Vorbereitungen zur Reise. Mittwoch Rede in Hamborn. Freitag nach Weimar; zum Parteitag. Darauf freue ich mich. Nächsten Mittwoch noch Prozeß gegen einen Stinkjuden aus Essen. Dann noch einmal reden in Augsburg. Und dann: 3 Wochen nach Oberbayern! Das wird ein seliges dolce far niente! von

30. Juni 1926. Ich soll meinen Hund Benno nach hier bekommen. Am Freitag wird er anschnaufen. Ich freue mich darauf, diesen guten Freund zu mir zu bekommen. Vielleicht wird das mein einziger Freund sein. Samstag/Sonntag Parteitag in Weimar. Freitag abend fahre ich mit Kaufmann und Lutze los. Ich muß viermal sprechen. Das wird wieder eine nette Schinderei geben. Gestern Aufsatz: Student und Arbeiter1. Ein weittragendes Problem, das ich so tief faßte, wie Bichard Flisges es mich durch sein Leben und Sterben lehrte. Lektüre: Rasputin zu Ende. Das ewige Rätsel Rußland. Ob wir das in Europa je ganz erkennen und uns danach einstellen? Wer weiß! Ich glaube kaum. Beschäftigung mit dem „neuen Nationalismus" der Jünger, Schauwecker, Franke etc.2 Man redet dort an den Problemen vorbei. Und dann fehlt das Letzte: die Erkenntnis der Aufgaben des Proletariats. Mit Kaufmann Reibung und Angleichung. Er ist mir manchmal ein wandelndes Rätsel. Sollte er eine Fülle Neid gegen mich tragen? Heute abend nach Hamborn. Ich spreche vor Arbeitern. Darauf freue ich mich. 2. Juli 1926. In Hamborn gut

gesprochen. Unsere Leute heben mich. Gestern und heute den Arbeit. Heute abend geht's nach Weimar. Kaufmann, Elbrechter, ganzen Tag Koch und Lutze fahren mit. Ich freue mich sehr darauf. Es ist prachtvolles Sommerwetter. Benno ist heute nicht angekommen. Warum, weiß ich noch nicht. Gestern in einem Zuge Prosper Merimees „Colombe" bis tief in die Nacht hinein ausgelesen. Ein glänzend geschlossenes, nüchtern leidenschaftliches Buch. Die korsische Blutrache in einer Meisterschaft dargestellt, wie das nur der geborene Erzähler kann. Heute nachmittag noch viel Arbeit. N.S. Briefe für einen ganzen Monat vorbereiten. Im Urlaub will ich ganz und gar frei sein. Nun denn nach Weimar. Ich habe gestern noch einmal meinen Tagebuchbericht der Weimarfahrt vor zwei Jahren nachgelesen. Welch ein Weg zur Höhe! In zwei Jahren! Mein Stern war gut. 1

Als Brief an „meinen Freund von der „Nationalsozialistischen Briefe" v. 15. 7. 26.

alma mater" erschienen in der 20. Folge der Unter Anführung von Erinnerungen an Richard G. von hier die der bürgerlichen „alten Burschenherrlichkeit" Abwendung Flisges verlangte und wies dem Studenten seinen Platz neben dem Arbeiter an: „Dann wird einst der deutsche Student an der Spitze deutscher Arbeiter das ewig junge Symbol des neuen Sozialismus sein!" 2 vom FrontErnst und Friedrich Georg Jünger, Franz Schauwecker, Helmut Franke, erlebnis her bestimmte, nationalrevolutionäre Schriftsteller (vgl. Möhler, a. a. O., S. 84 u. a.). —

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6. Juli 1926. Weimar! Eine der wichtigsten Etappen auf unserem Weg. Dabei ein Erlebnis von unerschütterbarer Gewalt. Samstagmorgen Ankunft. Nach langer, humorvoller Fahrt. In Weimar schon toller Betrieb. Zum Hotel Chemnitius. Ich schlafe bis in den Mittag hinein. Mittag! Straßer ist da! Rust und Dinklage kommen. Auf den Straßen wimmelt es von unseren Leuten. Ich muß tausend Hände drücken. Kaffee! Palaver! Auf dem Markt! Die Berliner kommen! Sie haben mich alle gern. Man winkt und lacht. Frl. v. Behr: fleißig, adrett, bescheiden. Ich liebe sie etwas! Auto! Hitler kommt. Aufruhr. Die Berliner stehen vor seinem Hotel und singen. Ergreifend: „Hitler wird uns führen einst aus dieser Not!" Mit Himmler auf dem Motorrad durch die Gegend. Zurück. Auf dem Marktplatz Palaver mit der Bechstein. Dabei die Sängerin Toni Serieller. Eine entzückende Frau. Küß die Hand. Plötzlich kommt Hitler über den Markt. Sofort werde ich mitgeschleift. Er ist sehr erfreut, daß die Sache so groß angeht. Draußen bei all den Herren. Man wird an allen Ecken geknipst. Zum Propaganda- und Organisationsausschuß. Hitler hat einen schweren Zusammenstoß mit Kerrl-Peine um den Eigentumsbegriff. Hitler hat in der Sache recht, in der Form Unrecht. Heraus mit Munder. Er macht mir Vorwürfe. Ich wäre gebunden. So ein Schafskopf. Der gute Papa Gundlach sitzt dabei und versteht nichts. Zu den Berlinern. Hitler redet. Wie immer gut. Heraus. In den Bayernsaal. Drückende Fülle. Adolf spricht zu seinen Bayern. Ein wundervolles Volk. Dinter und Streicher seichen. Mit Rust noch eine halbe Stunde zusammen. Kerrl hat Unrecht. Wird geordnet. Nach Hause. Im Hotel Betrieb. Gau Ruhr beim Umtrunk. Löblen redet. Spitzkühler. Um 2h nachts kommen die Essener Lastautos. 200 Mann nach 35 stündiger Fahrt. Wer will da noch an der Zukunft verzweifeln! Zu Rett! Zu Bett! 9h andern Morgens! Ins Theater. Überall die Unseren. Mann an Mann. Feder spricht. 2 Stunden. Den alten Dreh. Zur Gewerkschaftstagung. Mäßig. Ins Theater. Ausschußberichte. Bosenberg glänzend. Ebenso Straßer. Mein Beferat über „Propaganda". Ich werde mit Jubel empfangen. Meine Satire „wenn ein Redner kommt" weckt endlose Heiterkeit1. Hitler lacht sich halbtot. Hitler spricht. Von Politik, Idee und Organisation. Tief und mystisch. Fast wie ein Evangelium. Schaudernd geht man mit ihm an den Abgründen des Seins vorbei. Das Letzte wird gesagt2. Ich danke dem Schicksal, daß es uns diesen Mann gab! Umzug! Mit Straßer im Wagen entgegen. Unter endlosem Jubel der dichtgestauten Menschenmassen. Der Zug kommt. Mit an die Spitze. Die ganze Führerschaft, Hitler als erster, marschiert vorne. Durch ganz Weimar. Auf dem 1 Auf dem „Reichsdelegiertenkongreß" im Deutschen Nationaltheater hielt Goebbels das Referat „Propaganda". Die erwähnte Heiterkeit rief er durch ironisch formulierte „Gebote für einen Versammlungsleiter" hervor, die dann auch in den „Nationalsozialistischen Briefen", 21. Folge v. 1. 8. 26, abgedruckt wurden. 2 Der VB vom 7. 7. 26 zeigte sich ebenfalls erschüttert: „Selten hat selbst Adolf Hitler so gesprochen wie jetzt in Weimar. Nur ganz große Gedanken, aus einem naturhaftmystischen Urgrund quellend, im Verlauf einer knappen Stunde ein Weltgebäude. Und so wuchs er dann auch über sich hinaus zum Symbol aller, die an die ewigen Fragen unseres Volkstums tasteten und nach einem Manne suchten, diese zu lösen."

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Marktplatz. 15 000 S.A. marschieren an uns vorbei. Das dritte Reich zieht auf. Die Brust geschwellt vor Glauben. Deutschland erwacht! Die Bayern! Die Oberländer! Bayerischer Avanciermarsch. Straßer spricht: „Der Nationalsozialismus ist tot!1" Streicher spricht. Und Dinter wie ein Clown2! Ein ergreifendes Bild. 15000 Menschen, ein Falmenwald. Treuschwur an das dritte Reich! Allmählich geht die Masse auseinander. Zu den Studenten. Ich spreche kurz über das Thema: „Student und Arbeiter." Heraus! Die Berliner packen mich. Endloses Theater mit mir. Am Abend zum Saal. Straßer spricht. Ich werde irgendwo und von irgendwem auf die Schulter gehoben und in den Saal getragen. Was mir sehr peinlich ist. Dann spreche ich. In einer halben Stunde sage ich alles. Im Auto zum Hotel. Den

Abend bis tief in die Nacht Palaver. Montag Straßer, Rust etc. Den ganzen Tag Palaver. Soll ich nach Berlin gehen? Nachmittags bei den Berlinern und Barmern im Quartier. Welch prächtige Jungens! Am Abend mit Rust und Kerrl erregte Debatten. Um das Letzte. Dann Heimfahrt! In Elberfeld Schlaf, Schlaf! Morgen geht's nach Augsburg. Freitag Augsburg Rede. Samstag München. Studentenbund. Und dann Ferien. 3 Wochen in Marquartstein. Vielleicht fährt Kaufmann mit. Fahrt wohl, ihr Sorgen. Dolce far niente! 8. Juli 1926. Heute nachmittag Vorschlaf. In der Nacht nach Augsburg. Samstag in München. Dann ins Gebirge! Vielleicht fährt Kaufmann mit. Wie ich mich freue!

12. Juli 1926. Ich schreibe vom Fenster aus einer wundervollen Pension in Berchtesgaden. Wenn ich nach rechts umschaue, dann droht mir der Riese Watzmann ins Gesicht. Es ist Abend, und wie zauberhaft senkt sich weißer Nebel auf Berg und Tal. Nun komme ich zur Besinnung. Am Freitag in Augsburg. Nach ein paar Stunden Schlaf mit einem prächtigen Bajuwaren Rundgang durch die Stadt. Prächtiger alter Dom. Fuggerhaus. Dann Rede. Im brechend vollen Saal. Ich bin ausgeruht und rede gut. Am Mit einem Bombenerfolg3. Den Abend dann noch mit besucht mich alter Dr. und ist ein Herr, Achenbach, ganz begeiSamstagmorgen stert. Weiter nach München. zufällig auch, in Bergdreß. Sieht Abends spreche ich zu ganz putzig aus. Wie erfreut er sich an der den Studenten. In l1/2 Stunden suche ich alles zu sagen. Das gelingt mir. Alles .

1 so lautet Tag für Tag die Meldung der Judenpresse", ging dieser Einleitungssatz „. der Strasserrede weiter. 2 Dinters Ansprache wurde im VB mit Stillschweigen übergangen. 3 Dazu der VB v. 18./19. 7. 26: „Der große Herrlesaalbau war voll, trotz ungünstiger Jahreszeit, trotz Versammlungsmüdigkeit und trotz Unbekanntsein des Referenten in Nichtmitgliederkreisen. Ganz abgesehen von dem äußeren Erfolg wurde dieser Abend zu einem Markstein in der Entwicklung der Augsburger nationalsozialistischen Bewegung. Da gab es keinen Menschen in der Versammlung, der nicht im Innersten gepackt war von der Wucht dieser von Pg. Dr. Goebbels in den Saal geschleuderten unanfechtbaren Wahrheiten." .

.

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ist wie elektrisiert. Den Abend mit Heß, Hoffmann1 und Frau Dr. ScheubnerRichter2 zusammen. Ernste Debatten. Heß ist ganz begeistert. Hitler und er wollen nach Berchtesgaden nachkommen. Sonntagmittag los. Aus Regen wird Sonnenschein. Durch prächtigste Bergpartien im vollgepropften Abteil. Ich freue mich auf die Berge. Reichenhall! Weiter! Berchtesgaden! Ich wohne im Hotel Krone. Den Abend sitze ich auf meinem kleinen Balkon und staune in die graugrünen Riesen hinein. Wie beruhigend das alles ist. Ich schlafe selig wie ein Gott. In meine Träume rauscht die Ache hinein. Kann ich das fassen, daß ich einmal ruhen darf! Aller Sorgen ledig! Es ist mir fast wie ein Wunder! Montagmorgen! Ich schlendere in die Berge hinein. Unten liegt das wundervolle Tal. Wie ein gemaltes Bild. Ich , dies müßten Prächtige Oberländer alles Nationalsozialisten sein. Mittag und Nachmittag spielen. Mir gegenüber sitzt eine schöne, schöne Dame. Ich möchte Zurück zum Abend. Nun warte ich auf ein Telegramm, daß Karl Kaufmann kommt. Dann werden wir wundervolle Tage in seliger Muße verleben. Und wenn dann Ende der Woche der Chef noch kommt! Ich lese hin und wieder: Gmelin „Temudschin, der Herr der Erde". Draußen lockt ein milder, süßer Juliabend. Nun suche ich Dich, du schöne, schwarze Dame! .

15. Juli 1926. Kaufmann kommt nicht. Er schreibt plötzlich, daß er nach Marquartstein wolle. Ich verstehe das so recht nicht. Jedenfalls muß ich jetzt Ende der nächsten Woche auf ein paar Tage nach Marquartstein. Was treibe ich hier?! Faulenzen! Durch die helle Sonne spazieren. Im Kurgarten Schlafen, schlafen! Mit einem Wort: dolce far niente. Gestern abend tanzten die Bauernburschen Schuhplattler. Ein prächtiger Schlag. Braungebrannt, keck, froh, aufrecht; schon etwas italienischromanischer Einschlag. Und wie tanzen diese Menschen! Eine Lust zuzuschauen. Man kann sich garnicht satt daran sehen. Das Herz geht auf dabei! Die schöne schwarze Dame bleibt spröde, und ich bin ein dummer, starrköpfiger Esel. Laufe dahinter her wie ein Schuljunge. Der Eros meldet sich, sobald ich eine Pause im mache. Mein sonstiges Leben ist so wider die Natur. Arbeit, Hetze, Krampf, Raserei. Alles das meldet sich jetzt. Mein Fuß macht mir viel zu schaffen3. Ich denke unaufhörlich daran, und das verdirbt mir die Freude, wenn ich unter Menschen komme. Straßer schreibt: er will auch auf ein paar Tage her. Ich freue mich immer schon auf die Morgen- und Nachmittagskonzerte. Der Watzmann liegt in strahlend klarer Reinheit. Strahlend schaut er jeden Morgen in mein Fenster hinein. O, ihr Riesenberge! Wie Erquickung geht es in mich hinein. Wie groß ist die Natur! 1 Heinrich Hoffmann, ein Münchener Photograph, der sich das Monopol für HitlerBilder verschafft hatte; später „Reichsbildberichterstatter der NSDAP" und „Professor". 2 Die Witwe des am 9. November 1923 an der Feldherrnhalle getöteten Ingenieurs Dr. Max Erwin v. Scheubner-Richter, der ehemals russischer Agent war und dann zu Hitlers intimsten Freunden gehörte. Er war mit ihm Arm in Arm marschiert und als erster von den Kugeln tödlich getroffen worden. 3 Es ist zu beachten, daß auch Goebbels hier von „Fuß" und nicht von „Bein" spricht.

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Und wie klein sind wir! Es ist nun Abend. Ich bin müde vom Nichtstuen! Draußen rauscht die Ache. Ewig dasselbe Lied. Mir ist so schwer ums Herz. Wie traurig ist es doch um mich bestellt: kommt ein neuer Gast, dann freue ich mich, als sei es mein bester Freund, reist einer ab, dann tut mir das weh, als sei es meine Mutter. Und dabei habe ich die ganzen Tage noch mit keinem Menschen ein Wort gesprochen. Ich kann mit diesen Erholungsphilistern nicht sprechen. Dieser abgedroschene Quatsch widert mich an. Und zu anderm ist ja keine Zeit. Man will sich erholen. Erhohle Dich also auch, altes, dummes Schaf. Schlafengehen! Aufpäppeln! Brr! O, ihr Riesenberge! Ich lese: Gmelin „Temudschin". Ich bin seit vorgestern wieder eine Seite weitergekommen. Jedes Weib reizt mich bis aufs Blut. Wie ein hungriger Wolf rase ich umher. Und dabei bin ich schüchtern wie ein Kind. Ich verstehe mich manchmal selbst kaum. Ich müßte heiraten und ein Spießbürger sein\ Und mich dann nach 8 Tagen aufhängen1! 18. Juli 1926.

Ein strahlender Sonntag geht zu Ende. Hier ist immer Sonntag. Man kennt sich Freude garnicht mehr aus. Wie schön ist dieser gesegnete Flecken Erde. Ein Tag geht dahin wie der andere. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. So ein seliges Vergessen und Vergessensein. Gestern abend wieder Almtanz. Dann ging ich früh ins Bett. Um 12h klopft's an meine Türe: Maurice2. Im Hui angezogen. Der Chef ist da! Schon liegt er zu Bett, aber ich kann ihn am anderen Morgen sehen. bei einer Mit Maurice und dem edlen Bohemien Hoffmann Flasche Malaga. Fleute morgen 1/28h klopft's wieder an meine Türe: Maurice. Der Chef will, daß ich mit zum Königssee fahre. Wie schnell bin ich fertig. Draußen steht das Auto: Hitler, Heß, Maurice, Hoffmann, Fräulein Prölß. Hinein und in den strahlenden Sonntagmorgen. Immer näher rückt der Watzmann in leuchtender Klarheit. Hitler erzählt und schwärmt. Er ist ein lieber, reiner Mensch, ein Kind. Da, mit einem Male biegt das Auto um eine Ecke, in leuchtender Bläue ragt da der Königssee. Das schönste Stück Deutschland, das ich bislang sah. Das ist unser Deutschland, unser schönes, schönes Deutschland. Noch steigt leicht der Nebel. Wir frühstücken eine halbe Stunde, dann ist der See klar. Hinaus! Hinaus! O, du schöne Welt, ich möchte dich umarmen. Im Malerwinkel sitzen wir lange. Blau und still liegt vor uns die spiegelige Fläche wie ein zarter Hauch Natur! Ich bin so etwas wie glücklich! Hoffmann ist ein Stimmungsmörder, dem man nicht böse sein kann. Zurück nach Berchtesgaden. Hitler und Genossen steigen auf nach Obersalzberg. Heute abend kommen vor

-

-

1 was 2

In diesen sechs kurzen Sätzen liegt vielleicht der Schlüssel zu einem Großteil dessen, später die Welt erschütterte. Emil Maurice, Uhrmacher, Uralt-Pg. und Mitbegründer der SA, damals Angehöriger Leibgarde Hitlers und bis zu jenem Jahre sein Chauffeur. M. machte sich später als

der Hitlers Nebenbuhler um die Gunst von dessen Nichte Geb Raubal unbeliebt und brachte es daher im Dritten Reich nur zu drittklassigen Sinekuren (Präsident der Handwerkskammer München, MdR) und dunklen Verwendungen (30. Juni 1934).

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sie vielleicht noch einmal herein. Am Mittwoch kommt Hitler für eine ganze Woche, und dann steigen wir zusammen für 8 Tage oben nach Obersalzberg hinauf. Wie freue ich mich darauf. Heute nachmittag höre ich ganz wundervoll Schubert und Strauß im Kurgarten Wie ein Gedicht. Schubert kann's doch noch mit am besten. Die schöne schwarze Dame ist mir böse. Eine kleine, hübsche Sächsin sitzt ganz entgeistert, und trommelt den Takt mit. So ist das Leben: viel Blüten, viel Dornen, und ein dunkles Grab. Mir ist ganz wohl und wehmütig ums Herz. Draußen ist drückende Sommerjulihitze. Die Vögel singen in den Bäumen und Wiesen. Dahinein weint Schuberts das Mädchen. Arme, kleine Sächsin! Neben dem Friedhof steht die Franziskanerkirche. Zwischen beiden liegt der Kurgarten. Noch schwingen Schuberts schluchzende Melodien durch den stillen Spätnachmittag. Ich stehe am Grabe Dietrich Eckarts1. Ein breiter Hügel, mit Geranien und Vergißmeinicht übersät. Darunter ruht ein mutiger, aufrechter Mann, in den Eckart! Droben in den Bäumen schlagen Vögel. Nachts singt hier die Nachtigall. Und über Tag schluchzen die Geigen und gehen lachende Menschen vorbei. Und Dietrich Eckart schläft! .

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20. Juli 1926. Gestern abend beim Schlafengehen kam mir ein genialer Gedanke: ich fahre ab 16. VIII. bis Ende August mit Else nach Baltrum. Alma und Wüli Heß fahren mit. Ich habe heute gleich die dementsprechenden Briefe geschrieben. Ich hoffe, daß alle Beteiligten von meinem Plan so begeistert sind wie ich. Heute regnet's den ganzen Tag in Strömen. Dann ist es ja in so einem Kaff, wenn man allein ist, grauenhaft. Keine Gesellschaft, kein Aufenthaltsraum zum Arbeiten und draußen Regen über Begen. Was tut man da? Man legt sich ins Bett und schläft. Aber man kann ja nicht ewig schlafen! Die Einsamkeit fällt mir etwas schwer nach all den Menschen, die ich in den letzten Monaten kennenlernte. Der Übergang war zu plötzlich und zu schroff. Nun hab ich mich schon etwas darin gefunden. Man gewöhnt sich mit der Zeit eine gute Portion gesunder Menschenverachtung an. Schließlich ist man doch zuletzt immer allein. Und das ist vielleicht ganz gut so. Morgen will nun der Chef kommen. Ich freue mich sehr darauf. Dann gibt's wieder Leben in der Bude. Dann geht's hinauf in die Berge. Und noch eine Woche dolce far niente! 21. Juli 1926.

Ich

noch immer auf den Chef. Kommt er? Kommt er nicht? Das Wetter ist grauenvoll. Es regnet in Strömen. Ich habe schon alle Hoffnung verloren. Nun rechne ich mit Abfahrt. Provisorisch schreibe ich schon alle Ankunftsbriefe. Samstag geht's dann weg! Verfluchter Regen! Der Watzmann steht in Trauer! 1

warte

Völkischer Dichter

(neben

seinen Liedertexten

vor

allem bekannt durch seine Peer-

Gynt-Nachdichtung), der bis zu seinem Tode am 26. 12. 23 großen Einfluß auf Hitler und die NSDAP ausgeübt hatte. Die nationalsozialistische Bewegung verehrte daher den Toten als einen der wichtigsten Wegbereiter in das Dritte Beich.

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23. Juli 1926. Gestern abend klopft es an meine Türe. Maurice. Hurra! Der Chef ist da. Mit Straßer im Wagen angekommen. Rust ist schon oben auf dem Obersalzberg. Die beiden anderen sind weg. Herauf. Mit Maurice sitze ich den ganzen Abend bis tief in die Nacht und er erzählt vom 9. November 1923. Maurice ist ein ordentlicher, disciplinierter Mensch. Am anderen Morgen lehrt er mich Autofahren. Ich kann's bald, und dann sause ich mit meinem Lehrer Maurice los bis bald an Salzburg heran. Mittags Abschied von Berchtesgaden. Martha, die liebe Service, ist ganz traurig. Ich treffe noch einmal die schöne schwarze Dame und nehme im Geiste Abschied von ihr. Eine Liebe, die sie nicht erreichte. Hauch auf eine brennende Seele. Dann fahren wir im Wagen den Salzberg hinauf. Halbwegs gibt's Durcheinander, die Pferde scheuen. Achsen- und Deichselbruch. Eine schöne blonde Frau kann nicht vorbei. Ich stelle mich vor die Pferde. Du, wie schön bist Du! Sie lacht und winkt noch lange. Wir schreiben ihr einen kleinen Zettel, sie möge auf morgen ein Zeichen geben. Der Bub des Kutschers bringt ihn nach. Droben liegt der Hochlenzer1. Hinauf. Wie köstlich dieser Blick! Bis zum Königssee schaut man von hier. Und all diese Kostbarkeit in goldene Sonne getaucht. O, Ihr schönen, schönen Berge! Vor dem Hochlenzer liegen wir in der prallen Sonne. Ich höre eine tiefe, klingende Stimme: der Chef. Mit Straßer und Bust. Wir begrüßen uns als Freunde. Und dann beginnt er zu erzählen. Die soziale Frage: Gedanken, die er damals in München entwickelte. Aber immer wieder neu und zwingend, mit schlagenden Beispielen belegt. Ja, diesem Mann kann man dienen. So sieht der Schöpfer des dritten Reiches aus. Wir gehen langsam heim. Spät am Abend kommen wir im Quartier an. Wie gut tut das, unter Freunden und Kameraden zu sein. Rust erzählt noch bis tief in die Nacht. Etwas noch Steißtrommler, sonst aber ein guter, kluger Mensch. Er mag mich wohl! Und nun schlafe ich! Umgeben von Freunden und Freuden! Selig ein! 24. Juli 1926. Den Morgen zum Hochlenzer hinaus. Der Chef spricht über Rassenfragen. Man kann das so nicht wiedergeben. Man muß dabei gesessen haben. Er ist ein Genie. Das selbstverständlich schaffende Instrument eines göttlichen Schicksals. Ich stehe vor ihm erschüttert. So ist er: wie ein Kind, lieb, gut, barmherzig. Wie eine Katze, listig, klug und gewandt, wie ein Löwe, brüllend-groß und gigantisch. Ein Kerl, ein Mann. Vom Staate spricht er. Nachmittags von der Gewinnung des Staates und dem Sinn der politischen Revolution. Gedanken, wie ich sie wohl schon dachte, aber noch nicht sprach. Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange im Garten des Marineheims, und er predigt den neuen Staat und wie wir ihn erkämpfen. Wie Prophetie klingt das. Droben am Himmel formt sich eine weiße Wolke zum Hakenkreuz. Ein flimmerndes Licht steht am Himmel, das kein Stern sein kann2. Kaffeewirtschaft am Obersalzberg. Die Frage, ob das lediglich ein schriftstellerischer Kladden-Vermerk für die künftige Publikation ist oder ob der „kleine Doktor" tatsächlich in visionäre, pseudoreligiöse Verzük1

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Ein Zeichen des Schicksals!? Spät gehen wir heim! Weit in der Ferne flimmert Salzburg. Ich bin etwas wie glücklich. Dieses Leben ist schon wert, gelebt zu werden. „Mein Kopf wird nicht in den Sand rollen, bis meine Mission erfüllt ist." Das war sein letztes Wort. So ist er! Ja, so ist er! Ich kann lange noch nicht schlafen! Die blonde Frau gab kein Zeichen!

25. Juli 1926. Sonntag! Wir wandern ein Stück den Weg hinab, setzen uns auf eine Bank, und dann erzählt er vom 9. November. Die Tragik der Germanen. Ludendorff hat wie ein Kind gehandelt. Der Chef ist ein gerissener Hund! Das Weitere kann man noch nicht schreiben. Den Nachmittag sitzen wir auf seinem Zimmer und palavern. Er verhätschelt mich wie ein Kind. Der gütige Freund und Meister! Draußen regnet's in Strömen. Und Hitler erzählt! Abends: er spricht von dem zukünftigen Architekturbild des Landes und ist ganz Baumeister. Dahinein malt er das Bild einer neuen deutschen Verfassung: Und ist ganz Staatskünstler! Leb wohl, mein Obersalzberg! Diese Tage waren mir Richtung und Weg! Aus tiefer Bedrängnis leuchtet ein Stern! Ihm fühle ich mich bis zuletzt verbunden. Nun ist in mir der letzte Zweifel geschwunden. Deutschland wird leben! Heil Hitler!1 26. Juli 1926. Wir steigen ab. Er geht mit mir allein. Und erzählt mir, wie ein Vater seinem Kinde erzählt. Vom Felde. Und immer mit großen Zügen das Leben darstellend. Der Meister des Lebens. Im Wagen zum Königssee. Ins Boot. Rundfahrt. Still und schweigend durch den Tränenstrom der Berge. Zwei, drei, vier Gemsen weiden dort oben. Ein Schuß, vierfaches Echo. In den Wagen. Zurück nach Berchtesgaden. Koffer gepackt. Los! Auf nach München! Rust Trotzki! Strasser und ich möchten uns krank lachen. 7 Uhr Ankunft in München. Wir gehen alle ins „Platzl" und freuen uns an echtem, unverfälschtem bajuwarischem Volkshumor. Weiß-Ferdl und Eringer2 sind etwas wie Künstler. Abschied vom Chef. Hab Dank! Hab Dank! =

28. Juli 1926. Strasser ist gestern heim. Brief von Else. Seereise gilt nichts. Das ist Else! Ich verstehe manchmal nicht, warum sie mich liebt. Sie ist eine kleine Spießerin! Mit Rust durch München. Einen Morgen bei Dr. Buchner vom „Beobachter"3.

kungen geraten konnte, wird von seiner engen Umgebung nur subjektiv und von Außenstehenden nicht endgültig beantwortet werden können. Vielleicht wohnten auch in dieser Brust zwei Seelen, der oft unerträglich sentimentale Schwulst dieser Tagebuchblätter legt das jedenfalls 1

nahe. —

Diese Berchtesgadener Gehirnwäsche ist paradigmatisch. Wenn Hitler später auch nicht mehr so viel Zeit aufwenden konnte, so vollzog er doch derartige hypnotische Behandlungen seiner Unterführer und in- wie ausländischer Mitläufer noch bis in seine letzten Lebenstage hinein mit stets durchschlagendem Erfolg. 2 Sepp Eringer, ebenfalls Volksschauspieler im „Platzl". 3 Dr. Hans Buchner, langjähriger VB-Redakteur für Wirtschaft und Soziales.

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Ein klarer, feiner Kopf. Es freut mich immer, solche Leute unter uns zu wissen. Ich stehe vor dem „Jüngsten Gericht" in der Ludwigskirche und bin kühl bis ans Herz hinan. In der Glyptothek gehe ich von Erschütterung zu Erschütterung. 29. Juli 1926. Heute nachmittag fuhr Rust ab. Ich bin froh, allein zu sein. Ich kann nicht lange mit einem Menschen zusammen sein. Heiraten wäre eine Qual für mich. Der Eros spricht laut in mir! 30. Juli 1926. Kaufmann kommt von Marquartstein. In der kurzen Lederhose als Tirolerbua. 12 Uhr beim Chef. Ernste Beratung. Pfeffer wird Reichs S.A. Führer. Mit Kaufmann im „Fürstenhof". Wir sprechen die wichtigsten Fragen durch. Er ist ein guter, armer Kerl, ein Werkzeug in den Händen derer um ihn. Es tut mir weh, als ich Abschied von ihm nehmen muß. Er winkt noch einmal. Steinbinder führt mich rund um München. Als ich zurückkomme, ist Strasser da. Mit Heß und Strasser bei Frl. Proeis zum Abendessen. Gespräche über die Frau. Ich bin der radikalste. Vom neuen Typ. Der Mensch als Revolutionär. Ludendorff ist kein Revolutionär. Der neue Typ der Disciplin und Askese. Strasser kann nicht mehr mit. Dafür ist er Bajuware. Frl. Proeis und Heß kapieren alles. Im strömenden Begen heim!

31. Juli 1926. 1. August 1926. Im Auto nach Augsburg. Heß, Maurice und Berthold1 begleiten den Chef. In Augsburg die alte Begeisterung. 3000 Menschen lauschen meinen Worten. Ein Blumenregen auf Hitler und mich2. Maurice fährt mich zur Bahn. Hitler gibt mir einen Blumenstrauß mit, rote, rote Rosen. Abschied von ihm. Das Herz tut mir weh. Die Nacht durch. Frankfurt. Höchst! Eine schöne Dame im Abteil. Bald Gespräch. Sie ist sehr flott und lustig. In Cöln verabreden wir uns auf morgen früh. In Duisburg steigt Else ein. Welch ein Jubel! Bin ich ein Menschenfresser?! Else ist selig! Herne! Viktor3 am Bahnhof! Im Auto zum Platz! Biesendemonstration4! Strasser und ich voran. 2 Stunden durch die Stadt in einer Brüllhitze. Dann Vorbeimarsch. Schneidig, mit klingendem Spiel. Die Stadt steht im Zeichen des Hakenkreuzes. Abends große Versammlung. Ich spreche und peitsche. Heimweg! Von endlosem Jubel begleitet. Ich finde keinen Schlaf. Ich freue mich auf dich, du Schöne. Morgen früh, wenn Gott will! 1 Joseph Berchtold, früher Führer des „Stoßtrupps Hitler", seit April 1926 (bis März 1927) Reichsführer SS und zugleich Führer der Münchener SA. Im Dritten Reich war B. stv. Hauptschriftleiter des VB. 2 Das heißt: Goebbels sprach und Hitler erschien, „sehnsüchtig erwartet", unter einem „nichtendenwollenden Beifallssturm" mitten während seiner Rede, die für die Begrüßung des am Sprechen verhinderten „Führers" unterbrochen wurde (VB v. 3. 8. 26). 3 Lutze. 4 Die Ortsgruppe Herne veranstaltete am 31. 7./1.8. (daher wohl auch die bei G. sonst nicht übliche Doppeldatierung dieser Eintragung) einen „Nationalsozialistischen deutschen Freiheitstag ". —

Das

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3.

August

Tagebuch von 1925)26

1926.

Gott hat nicht gewollt. Ich habe die Schöne nicht wiedergefunden. Noch zwei Stunden habe ich in Düsseldorf gesucht. Alles zwecklos. Verpaßt? Vergessen? Zurück nach Elberfeld. Hedwig begrüßt mich mit Jubel. Post über Post. Bis spät abends gearbeitet. Dann Sprechabend. 300 Kommunisten da. Ich spreche 3 Stunden. Und gewinne auf der ganzen Linie. Das war ein ganzer Sieg. Aber ich bin müde wie ein Zugtier. Heute morgen bei Schmitz. Heute nachmittag mit Terboven und Lutze verhandelt. Morgen mit Viktor und Paula Lutze nach Essen. Ende der Woche fahr ich dann heim. Es ist 12 Uhr. Schlafen gehen! Wo bist Du, schöne, schöne Frau!? 1926. Strasser und Brief an ihn. Ernste Auseinandersetzung über unser beiderseitiges Verhältnis. Wir werden schon ins Reine kommen. Fleute abend mit Paula und Viktor Lutze nach Essen. Zuerst noch einen Aufsatz für die N.S. Briefe. Den ganzen Nachmittag noch Arbeit. 4.

August

Brief

6.

von

August 1926. Tage in Essen

mit Paula und Viktor. Vorgestern abend Generalversammlung. Die Essener S.A. sind ordentliche Burschen. Gestern morgen durch den wundervollen Stadtpark von Essen, gestern nachmittag eine Autofahrt durch das schöne Ruhrtal, dann Besichtigung des musterhaften Betriebs von Hoffmann1. Josef Terboven ist ein klardenkender, energischer Junge. Mit ihm kann man arbeiten. Solche Burschen wünsche ich mir in allen Städten. Dann ist mir um das Ende nicht bange. Paula Lutze hab ich manchmal etwas lieb. Sie kann so gut sein. Heute morgen in der Frühe zurück. Der ganze Tisch voll von Arbeit. Und gleich wieder nach Bochum. 2

August 1926. In Bochum große Versammlung. Ich habe gut gesprochen und fand viel Zustimmung. Abends war ich bei der Familie Leipert zu Gast und verlebte wirklich ein paar beruhigend schöne Stunden. Gestern Elberfeld Sommerfest. Viel Krach und Durcheinander. Schöne Frauen. Heute ist Sonntag, und ich arbeite, damit ich übermorgen ungestört auf eine Woche nach Hause fahren kann. Ich freue mich vor allem auf Elsbethchen. Die lieben, süßen Kinderchen! 7.

1926. Gestern einen grundsätzlichen Brief an die Leute des „neuen Nationalismus" in der „Standarte"2. Damit werden wir auch mit denen ins Reine kommen. Heute noch einen Aufsatz für Strassers Zeitung. Und dann geht's morgen in die Heimat. 9.

August

1

Die Gummi- und Asbestwarenfabrik von Paul Hoffmann in Essen (vgl. oben S. 65, Anm. 4). Einer der interessantesten Aufsätze aus Goebbels' Frühzeit, als Brief an die „Mitkämpfer von der Standarte" erschienen in den „Nationalsozialistischen Briefen", Nr. 23 v. 1. 9. 26. Die Anhänger der nationalrevolutionären Zeitschrift (vgl. Möhler, a. a. 0., S. 97) hatten 2

Das

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Tagebuch von 192J/26

Ich kann mich so ganz nicht darauf freuen, da Else nicht dabei ist. Aber auch so wird's eine schöne Zeit der Erholung werden. Mit Elsbeth und Benno! Man hat als einzigen Freund zuletzt nur noch den Hund!

August 1926. Seit gestern abend bin ich nun in Rheydt. Ich komme in den größten Hausdreck hinein, sodaß ich am liebsten Lust hätte, gleich wieder umzufahren. Aber es tut mir zu leid um Mutter. Von Else kein Wort. Lektüre: A. Dinter „197 Thesen." Demnächst mehr davon. Zwischen ihm undKlagges starke Gegensätze. Ein Luther ist keiner von beiden. Viel schon mit Mutter und Maria erzählt. Und mit Elsbeth und Benno gespielt. Ich bin so gerne zu Hause. Nirgend schlafe ich abends so selig ein wie hier. Arbeit an einer umfassenden Denkschrift: „Neue Wege der Pro11.

paganda.

"

13. August 1926. Von Else Einladung zur Vermählung ihrer Schwester Lotte morgen in Duisburg. Pecuniae causa werde ich wahrscheinlich nicht hinkommen können, so sehr ich Lust dazu hätte. Gestern nachmittag lange Unterredung mit Fritz Prang. Er ist immer noch der alte. Meine Denkschrift „Neue Methoden der Propaganda" habe ich in einem Hui hingehauen. Ich glaube, manches damit gesagt zu haben. Das Wetter ist schön. Ich tolle den ganzen Tag mit Benno und Elsbeth herum. Das macht mir einen Heidenspaß. Der Plund ist lieb und anhänglich, und ich werde ihn wahrscheinlich nächste Woche mitnehmen nach Elberfeld. Damit ich eine fühlende Seele um mich verspüre. Gleich kommt Elsbeth, und dann gehen Benno, Elsbeth und Onkel Jojo zum Stadtwald hinaus spazieren. Die Liebe zum Kinde ist von nationalsozialistischer Seite verwahrt und statt dessen den Zunationalen sammenschluß des Lagers gefordert. Goebbels antwortete: Entweder glauben Sie an Ihren Staat, dann ist dieser Staat Ihr Staat, seine Idee „. Ihre Idee, dann haben Sie diesen Staat, diese Idee gepachtet und werden ihre Zukunft predigen mit der durchschlagenden Beredsamkeit des Rufers in der Wüste, oder Sie glauben nicht an Ihren Staat, dann können Sie versöhnen, dann geben Sie auch dem anderen recht, dann reden Sie um die Dinge herum und rufen zur Einigung auf alle die, die ebensowenig an ihren Staat Wir Nationalsozialisten glauben. Wenn einer recht hat, dann haben alle anderen unrecht sind wirklich so vermessen, zu glauben, daß wir, und wir ganz allein die Träger des kommenden Wir glauben nie und nimmer an eine Einigung, an einen ZusammenStaatsgedankens sind von die mehr oder weniger in diesem oder jenem übereinstimmen, sondern schluß Gruppen, wir glauben daran, daß sich einmal der Stärkste durchsetzen und daß vor seinem ehernen Gleichschritt alles andere in das Nichts seiner Bedeutungslosigkeit zurücksinken wird Das Problem Deutschland heißt nicht Einigung des Nationalismus, sondern Zerbrechung des Marxismus und damit Erfüllung des Nationalismus. Der neue Nationalismus wird vom Arbeitertum, vom jüngsten Deutschland gestaltet. Er wird sozialistisch sein, oder nicht sein. Da gibts keine Einigung. Da gibts nur Kampf, bis der eine triumphiert und der andere zerschmettert am Boden liegt. Nun denn Kampf! Seien wir unduldsam und hart gegen alles, das nicht so glaubt, so denkt, so fühlt wie wir! Aber fechten wir diesen Kampf unter uns aus als Kameraden! An seinem Ende steht die große Liebe."

sich gegen die .

Angriffe

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7

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Tagebuch

von

192J/26

nichts anderes als eine Form des Willens zum Weiterleben. Kinder sind unsere besten Freunde. Mit ihnen allein kann man sich unterreden ohne das immerwährende Gefühl des Betrogenseins. Kinder sind gute Gedanken Gottes. 14.

August

1926.

Gestern den ganzen Nachmittag mit Elsbeth und Benno getobt und getollt. Wir kamen nach Hause und sahen alle drei aus wie die Neger. Elsbethchen ist ein liebes, liebes Kind. Nach Duisburg zur Vermählung kann ich heute nicht fahren. Es tut mir leid um Else. Einen ganzen Haufen Post habe ich heute zu erledigen. Straßer mahnt um Aufsätze. Ich bin wie ein König in Frankreich: faul und sorgenlos. Mir fehlt nur eine süße Frau. Dann wäre ich wunschlos glücklich! 1926. den ganzen Abend mit Willy Karnerbeck in der Laube zusammengesessen. Und viel erzählt. Mutter, Vater und Maria sind sehr lieb zu mir. Gestern bekam ich einen sehr bitteren Brief aus Duisburg von Else, die gekränkt war wegen meines Fernbleibens von Lottens Hochzeit. Gleich bin ich zur Post gangen, hab ein Telegramm aufgegeben, bin zur Bahn gangen, hab mich auf den Zug gesetzt und bin nach Duisburg gefahren. Else stand schon am Zug. Den ganzen Nachmittag haben wir in ihrem elterlichen Hause in dem Lotte jetzt wohnt, gesessen, und Else war so gut zu mir. Am Nachmittag kam noch Frau Perret aus Moers. Eine liebe, tapfere Frau. Else hat so viel erzählt und geplaudert. Sie ist doch ein liebes, armes Hascherl. Spät am Abend heim. Mutter, Maria und Benno am Bahnhof. Heute fährt Else mit Lotte, Lumpsack und Alma in die Schweiz. Auf 2 Wochen. Es wäre doch schön, wenn wir zusammen nach Baltrum fahren könnten. Ich sitze in der schönen grünen Laube und arbeite. Ich bin ganz allein zu Hause. Wie wohl das tut. Benno ist mein guter Freund. Ich rauche nicht mehr. Das tut mir sehr wohl. Ferien! Wie schön das ist!

August Samstag

16.

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17. August 1926. In Rheindahlen1 wird Johann Schemmen beerdigt. Seine Schwestern weinen sich am Grabe zu Tod. Nachmittags fahren sie i. c.2 nach M. Gladbach zur Kirmes. Überschrift: Requiescat in pace. In Rheydt wohnt der Inhaber eines großen Milchhandels, Pachnicke. Einer seiner Angestellten bittet beim Verlassen des Dienstes um seine Papiere. Diese werden ihm verweigert. Der 74jährige Vater wird persönlich darum vorstellig. Statt der Papiere schüttet Pachnicke dem alten Vater eine Flasche Salzsäure ins Gesicht. Dieser wird schwer verwundet ins Krankenhaus gefahren. P. bekommt als Lohn für seine Heldentat 5 Monate mit Bewährungsfrist. Das Milchgeschäft trägt den Namen „Caritas." D. h. auf Deutsch: „christliche Nächstenliebe." Je mehr ich die Menschen kennen lerne, desto lieber wird mir mein Benno. -

1 2

Stadtteil von M. Gladbach -Rheydt. Wohl: in corona. -

Das

Tagebuch von 192J/26

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18. August 1926. Schöne Sommertage in der grünen Laube. Ich lese, schreibe und faulenze. So ein rechtes dolce far niente. Hans Odenhausen aus Rheindahlen ist hier. Ein ordentlicher Kerl. Im Herzen ist er ein waschechter Nationalsozialist. Der Typ des echten deutschen Arbeiters. Wie ich ihn mir wünsche!

19. August 1926. Gestern mittag mit Hans und Renno nach Rheindahlen gefahren. Spaziergang zum Broicher Wald. Hans' Kollegen Jakob Tönissen besucht. Ein Kerl, wie er im Buch steht. Revolutionär bis auf die Knochen. Den hab ich aufgewärmt. Der ist mein! Den werden wir einst auf den Barrikaden wiedersehen. Ein gutes Wort: „Sie sind keine Nationalsozialisten, Sie sind Nationalidealisten!" Mit diesen Menschen ein neues Deutschland bauen, das ist schon ein Leben wert. Hans Odenim eine Höhle hausen war auch ganz begeistert. Wir besuchten ein Haus, Alle halb Kinder. Frau und 10 Walde. Da hausen Mann, blind, krank, skrofulös, Die hat voll Unrat. Stadt Pest und Höhle Die stinkend, schmutzig, degeneriert. diese Familie schon so halberlei der menschlichen Gesellschaft verwiesen. Der Pastor kümmert sich nicht darum. Das Elend ist hier stumm, duldend und aussichtslos geworden. Selbst Benno war nicht mehr zu halten. Er drängte, bellte, schlug um sich und wollte heraus. Die Kinder standen wie die Orgelpfeifen auf der Bank und lachten mich an mit ihren abgezehrten, verfaulenden Gesichtern. Ich hatte nichts, um es ihnen zu schenken. Mit einer tiefen Traurigkeit ging ich weg. Draußen Wald, weiter, grüner Wald. Herrenbesitz. Ich atme tief. Vögel singen. Darüber ein blauer, blauer Himmel. Das ist die Welt! Spät am Abend trennten wir uns! Morgen geht's heim nach Elberfeld. Benno geht mit! -

-

20. August 1926. Gestern M. Gladbach

paar Judenbengels. Gottseidank!

geredet. Gut. Danach in Rheydt Zusammenstoß mit ein Heute abend rede ich in Düsseldorf. Dann weiter Elberfeld.

August 1926. Wieder in Elberfeld. Benno ist mitgekommen. Hat viel Mühe gemacht auf der Herfahrt. Gestern abend redete ich in Düsseldorf, da stand er mit spitzen Ohren am Fenster und lauschte. Heute liegt er im Zimmer auf dem Teppich und hat Heimweh. Was so ein Tier einem nicht alles sein kann! Lohse-Altona war heute morgen da. Er berichtete mir allerhand Tratsch, der mir beinahe über die Nerven ging. Ich vermute, daß Freund Gregor Strasser sehr neidisch auf mich ist. Das fehlte noch. Wenn zwischen uns beiden der Streit beginnt, dann ist alles aus. Ich bin heute so deprimiert. Es regnet in Strömen. Nun trauert man auch zu Hause Benno nach. Zu Hause meint man's doch mit mir am besten. Wieviel habe ich verloren, und was habe ich dagegen eingetauscht?! 21.

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Tagebuch von 192S/26

August 1926. Samstag den ganzen Tag Regen über Regen. Ich habe gearbeitet. Gestern Sonntag.

23.

mit Benno heraus. Nachmittags mit Familie Schmitz schönen Spaziergang Berge. Bei Sonnenschein und Sturm. Heute Montag viel Arbeit. Aufsätze, N.S.Briefe, Haufen von Post etc. Dabei fühle ich mich garnicht so besonders wohl. Kopfschmerzen, Übelkeit etc. Bald beginnt wieder die reguläre Arbeit. Gottseidank.

Morgens über die

25. August 1926. Der neueste Schlager: man konstatiert in der Bewegung mein Damaskus. Ich hab mich vor Hitler und München gebeugt. Kolporteur: Straßer 1 und 2. Urheber: Elbrechter und Kaufmann. Ich habe mit ihnen schon abgerechnet. Mit Gruppe 1 in persönlichen Briefen, mit Gruppe 2 in einem offenen Brief. Ich werde der Bande schon Mores beibringen. Gestern den ganzen Tag gearbeitet. Else schreibt um Geld. Heute ist das prachtvollste Sommerwetter. Benno liegt unterm Bett und schläft. Ich will auch etwas faulenzen. Nächsten Monat beginnt wieder die Jagerei. Eigentlich freue ich mich darauf. Kampf ist für mich was für den Fisch das Wasser. 27. August 1926. Meine neue Flugschrift „Die richtige Antwort" ist nahezu fertiggestellt. Sie wird sehr gut werden und macht mir heute schon eine unbändige Freude. Antrag der Parteileitung an mich: ich soll auf vier Monate den Gau Berlin kommissarisch übernehmen1. Ich bin schwer in der Überlegung. Heute nachmittag nach Hattingen. Dazwischen Besuch bei Wagner in Bochum2, der mit dem Auto verunglückt ist. Viel Arbeit und Hetze. Einen Brief von Else. Sonst nichts Neues vor Paris. 28. August 1926. Gestern Hattingen. Gesprochen über ein ganz neues Thema. Löbbert hat mitgeschrieben. Vortrag wird gedruckt unter dem Thema: „Deutschland. Kolonie oder Staat!" Nach München wegen Berlin halbe Absage. Ich will mich nicht in Dreck hineinknien. Hattinger sind ordentliche Kerle. Neuer O. Gr. Leiter am Wege3. Die verkörperte Pflicht. Heute Arbeit an meiner neuen Flugschrift. Wenn morgen gut Wetter ist, fahre ich wieder nach Hattingen mit Stürz paddeln. Er ist doch der beste von allen. Der neue Typ.

30.

August

1926.

war ich in Hattingen. In der Stadt war Kot-Front Tag. Ich selbst bin mit Stürz hinausgewandert an die Buhr. Wir haben dann 2 Stunden auf der Ruhr gepaddelt. Ich wußte noch garnicht, daß die Ruhr so schön ist. Heller

Gestern, Sonntag

1 2 von

88; zur Vorgeschichte der Berufung von G. nach Berlin s. u. im 2. Teil. Josef Wagner, Angestellter beim „Bochumer Verein" und (seit 1923) Ortsgruppenleiter Bochum, später Gauleiter von Westfalen (1928) und Schlesien (1934); 1941 aus der

Vgl.

oben S. 82 und

NSDAP ausgestoßen und 1945 in einem KZ 3 Lies wohl: am Werke.

umgekommen.

Das

Tagebuch von 192'Sj26

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Sonnenschein lag auf dem Fluß und wie ein Hauch schwebte das Bo[o]t durch die still durch die Flut. Dann saßen wir noch bis in den Abend auf der Burg Blankenstein. Heute morgen erst bin ich zurückgekommen. Heute ist wieder so ein heller, sonniger Gottestag. Und ich hab so viel zu arbeiten. Else schreibt. Mittwoch kommt sie vielleicht her. Samstag/Sonntag nach Bayreuth. Darauf freue ich mich. 1926. Heiße, heiße Sommertage. Ich döse und faulenze. Else habe ich geschrieben. Sie soll heute nach hier kommen. Bis zur Stunde noch keine Antwort. Käme sie doch! Viel Bückenschmerzen! Doch wohl nicht krank werden? T. B. Das wäre grauenvoll. Ich arbeite hier und da etwas. Gestern abend las ich wieder mit großer Freude Baabes „Horn von Wanza!" Ist doch ein Prachtskerl, dieser Wilhelm Baabe. Man fühlt sich bei ihm so etwas wie zu Hause. Ansonst Sonne, Hitze, Benno, dolce far niente! 1.

September

September 1926. Gestern mittag kommt plötzlich Else angestelzt. Ich hab mich so darüber gefreut. Rot und braungebrannt, so frisch und gesund sah sie aus. Wir verlebten einige schöne, z.T. auch schmerzerfüllte Stunden. Man hat so sein Kreuz. Abends fuhr sie weg. Der Abschied fiel mir schwer. Sie ist doch ein liebes, lustiges Kind. Gestern abend spät Verschwörerversammlung. Es wird eine große Sache gedreht. Heute morgen noch etwas Arbeit da und dort. Heute nachmittag schlafe ich. Heute abend auf nach Bayreuth. Dort bleibe ich bis Dienstag. Dienstagabend spreche ich in Frankfurt a. M. Mittwoch bin ich wieder hier. Auf in die Welt! Ich reise für mein Leben gern! 3.

8.

September 1926. Samstagmittag Ankunft in Bayreuth.

Ich werde mit Jubel empfangen. Es ist ein wundervoller Sommertag. Die Stadt prangt in reichstem Schmuck. Nachmittags Autofahrten durch die Stadt. Dann Schlaf. Abends im Auto zur Tannenbergfeier. Bis tief in die Nacht sitze ich mit Opernsänger Beer (ein neuer Pg.) und Hauptmann Ziegler in der Eule. Dann ins Bett. SonntagmorgenI Auch die Alldeutschen tagen Justizrat Claß1 spricht am Grabe in Bayreuth. Im Wagen Bichard Wagners. Um ihn herum stehen 20 teutsche Männer mit langen Bärten. Es ist erschütternd: soviel Einsicht in die Dinge und so wenig Praxis. Ich spreche dann bei unseren Leuten zur Fahnenweihe. Ein kleiner Junge überreicht mir einen Biesenrosenstrauß. Den Morgen in Wahnfried mit Beer. Dann noch ein kurzer Besuch im Festspielhaus. Ich spiel so gern mit den Wagnerkindern. Der älteste ist der kluge. Das älteste Mädel das geweckte. Und die beiden Kleinen sind so entzückend süß. In die kleine Nuckel kann man sich so verlieben. Nachmittags Vorbeimarsch. Blumen werden gestreut und Pleil gerufen. Dann tolle ich mit der Wagnerbagage eine Stunde im Heu herum. So ein liebes Kroppzeug. Ich geniere mich dann vor den Leuten. Dann fahre ich mit Beer hinaus vor die Stadt. Beim 1 Heinrich Claß (Pseudonym: Einhart), Rechtsanwalt in Berlin und seit 1908 Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes; im Dritten Reich als „Gast der Fraktion der NSDAP" MdR.

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Cafe lernen wir uns recht kennen. Er ist ein lieber Leichtsinn, mit dem ich wohl fertig werde. Abends rede ich. Vor überfülltem Saal. Man rast. Landrat v. Herzberg1 vom Alldtschn. Verband ist begeistert. Eine Stunde noch in der Eule2. Dann heim ins Bett. In der Eule lernte ich den „großen" Dichter Benedikt Lochmüller3 persönlich kennen. Wer lacht da! Montag! Eule Mittag. Dietrich4 und Schemm. Dietrich ist ein Existenzminimum. Nachmittags mit der kleinen Nuckel noch zum Eis. Dann los nach Nürnberg. Im Wagen durch die fränkische Schweiz. Beer am einen Gottesgarten. Und Steuer, dann Ziegler. solchen Sonnenschein. Wir singen laut vor Freude und Lust. Diese schöne Schweiz. Wie lieblich und wohltuend. Erlangen! Cafe im besten Cafe, das ich bisher kennenlernte. Nürnberg! Volksfest! Wie so ein Volksfest geht. Gestern, Dienstag! Beer und Ziegler am Bahnhof. Im Heidi nach Frankfurt. Eine Hiobspost: die Polizei hat meine Versammlung verboten5. So eine Lumperei. Ich spreche nur vor Mitgliedern. Gut! Man versteht mich. Die Frankfurter sind gut. Haselmeier6 noch ungegoren. Aber im Kern brauchbar. In der Nacht weg. Heute morgen müde heim. Haufen Post und Zeitungen und Arbeit. Viel Schlaf und Widerwillen. Die Sonne lacht nieder. Es ist so göttlich schön in der Welt. Mir fehlt manchmal so ein liebes deutsches Frauenzimmerchen. Ich bin etwas verliebt in die Wagnerbagage. Heute abend geht's in das Kulturstück „Fröhlicher Weinberg". Mit den edelsten Absichten. Worauf ich mich freue! 10. September 1926. Stinkbomben wurden geworfen. Eine Panik entstand. Ich selbst wurde wegen Hausfriedensbruch an die Luft gesetzt. Aber so recht hat's nicht geklappt7. Es fielen nur 5 Frauen in Ohnmacht. Das Stück war einfach saumäßig. So etwas krönt 1

Landrat Gertzlaff v. Hertzberg-Lottin, einer der Führer des Alldeutschen Verbandes (Sachgebiete Verwaltung und Landwirtschaft); früher Führer eines antisemitischen Tochter-

des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes", der 1922 wegen intellektueller Urheberschaft des Rathenau-Mordes verboten wurde. (Vgl. Alfred Krück: Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890-1939, Wiesbaden 1954, S. 153f. u. 136.) 2 Künstlerlokal in Bayreuth. 3 Bayreuther Lyriker, im Dritten Reich Landesleiter der Reichsschrifttumskammer in Bayreuth und Verfasser einer „gauamtlichen", zweibändigen Schemm-Biographie. 4 Hans Dietrich, Lehrer in Coburg, ehemaliger Völkischer und Jungdeutscher, MdR seit 1924 und nach der Spaltung zu den Nationalsozialisten getreten; im Dritten Reich Oberlehrer in Neustadt/Weinstraße und Gauamtsleiter im Gau Westmark. D. war Schwerverwundeter des Weltkrieges (beinamputiert). B Das Verbot des „öffentlichen Vortrags des Arbeiterführers aus dem Ruhrgebiet Dr. Goebbels" war am 4. September vom Frankfurter Polizeipräsidenten ausgesprochen worden aufgrund der politischen Spannung und einiger Zwischenfälle der letzten Zeit (VB v. 11. 9. 26). Nun gab es daher keinen Tumult, sondern G. hielt wie der VB am 6. 10. 26 berichtete „eine Predigt an eine andachtsvolle Gemeinde". 6 Anton Haselmayer, damals Gauführer von Hessen-Nassau-Süd (Frankfurt). H. trat wenige Tage später, am 22. September, „aus Gesundheitsgründen" zurück (VB v. 7. 10.26). 7 Erfolgreicher als hier bei Zuckmayers Stück wirkte diese Goebbelssche Taktik dann einige Jahre später und in größerem Rahmen bei dem Remarcpre-Film „Im Westen nichts Neues ".

verbandes,







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in Deutschland mit dem Kleistpreis. „Deutschlands Erneuerung." Gestern den ganzen Tag Arbeit. Ich lese Viktor Blüthgens1 „Aus gärender Zeit." Spielt 1848 in Elberfeld. Deshalb für mich sehr interessant. Heute Aufsatz etc. Viel Arbeit. Morgen abend nach Dresden. Freiberg, Meißen, Zwickau. Dann ein paar Tage in die sächsische Schweiz. Die Sonne scheint noch wie mitten im Sommer. Ich sehne mich nach einem lieben Kind! man

September 1926. Gestern mit Viktor Lutze Pläne geschmiedet. Mit ihm werde ich schon fertig. Karl Kaufmann läßt nichts von sich vernehmen. Sonderbarer Kauz! Heute Plan geändert: statt sächsische Schweiz 2 Tage nach Berlin-Potsdam. Ich habe an Behms und Frl. v. Behr geschrieben. Ich freue mich darauf. Frl. v. Behr ist ein liebes Mädel. Heute abend geht's dann los! 11.

September 1926. Samstagabend los.

17.

Durch die Nacht. Sonntagmittag Ankunft in Freiberg. Sportliche Wettkämpfe. Ein schönes Mädchen ist da. Ich rede abends. Gut. Dann mit nach Dresden. Langer Schlaf. Mit Goß durch Dresden. Viel Tratsch. Dann nach Zittau. Entsetzliche Fahrt. Dafür aber ordentliche Kerle und eine Bomben Versammlung. Ich rede in großer Form. Die Sudetendeutschen sind da. Gut. Ich sitze mit ihnen bis tief in die Nacht. Dienstag Zittau Meißen. Ich rede in Meißen. Schwere Versammlung. Aber ich pauke mich durch2. Alles zu Ende. Mittwoch früh nach Berlin. Unterwegs lese ich Baron v. Manteuffel „Deutschland und der Osten3." Glänzend geschrieben. Berlin. Von einer Beihe Unzufriedener empfangen. Stier4 auch da. Elender Seich. Nachmittags allein ins Cafe. Ich kann die Querulanten nicht sehen. Abends empfange ich Schlange und Schmiedicke5. Beide wollen, daß ich komme. Soll ich nun oder soll ich nicht? Lange noch mit den Freunden im Cafe -

1 1920 gestorbener Schriftsteller (Novellen, Romane, ferner Märchen und Erzählungen für die reifere Jugend). 2 Obwohl Dr. Goebbels in Meißen noch „gänzlich unbekannt" war, vermochte er so berichtete der VB am 7. 10. 26 seine Hörer durch seine „temperamentvollen, fanatischen Ausführungen mitzureißen". „Unbarmherzig mußten sich Kommunisten die Verlogenheit ihrer marxistischen Irrlehre anhören, während das Bürgertum in seiner ganzen Feigheit und Unfähigkeit gekennzeichnet wurde. Die von den Marxisten gemachten Zwischenrufe wurden prompt wie auf Bestellung erledigt ..." 3 Sonderdruck eines Aufsatzes aus dem Juliheft 1926 der Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung" (hrsg. von H. St. Chamberlain, Claß u. a.); Verfasser war ein Dr. phil. Baron Manteuffel-Katzdangen. Die Schlußsätze: „Möchte die Zeit kommen, wo ein großes, geeintes deutsches Volk im Glauben an sich und seinen Gott wiederum an seine große Weltaufgabe tritt. Auf seinen Bannern, die es dann zu einem Kreuzzuge nach Osten vorträgt, könnte dann wieder das Losungswort der alten Kreuzzüge und Ordensfahrten stehen: ,Gott will es!"1. 4 Albert Stier, ein Pg. und damals viel beschäftigter Propagandist aus Frankfurt/Main, der damals gerade in Berlin war (vgl. Broszat, a. a. O., S. 101). 6 Erich Schmiedicke, geschäftsführender Gauleiter von Berlin seit der Beurlaubung Schlanges am 20. 6. 26 (vgl. dazu unten Dok. Nr. 1-3). —



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Wilhelma1. Dann schlendern wir durch die Straßen. Berlin bei Nacht. Ein Sündenpfuhl! Und dahinein soll ich mich stürzen? Gestern Straßers! Niemand zu Hause. Geschäftsstelle. Orientierung. Nachmittags heraus nach Potsdam. Herr Rehm und so ein entzückendes Geschöpf. Potsdam! Friedrich Frl. v. Behr der Große, genannt der alte Fritz. Die Stadt der Soldaten. Das Stadtschloß. Der Kanal. Kasernen! Kasernen! Exerzierplätze! „Üb immer Treu und Bedlichkeit!" Wir schlendern durch eine breite Allee. Ich möchte dieses graziöse Kind bei der Hand nehmen. Dann biegen wir um eine Ecke. Da geht ein Wasserstrahl. Dahinter Treppe auf Treppe. Sanssouci. Hier wohnte der große König 38 Sommer. Hier liegen seine Hunde begraben. Da ist sein Empfangsraum, sein Schlafzimmer, die Tafelrunde, der Sterbesessel, die Bibliothek, das Musikzimmer, die Flöte, Voltaires Zimmer. Man geht von Erschütterung zu Erschütterung. Friedrich der Einzige! Wir sitzen noch lange im Park. Da grüßt die alte Mühle. „Es gab einmal Richter in Berlin!" Ich stand heute nachmittag an seinem Sarg. Fahnen ruhmbedeckter Garderegimenter. Friedrich schläft. Einer der großen Augenblicke eines Lebens. Das ist das Größte an ihm: ein Künstler ist so Herr über sich geworden, daß er Diener am Staate wird und 7 Jahre ficht. Friedrich der Einzige. Der König! Wir gehen bei Dämmerung durch Potsdam. Einkaufen von Waren! Zurück zu Rehms. Dieses entzükkende Geschöpf macht das Abendbrot. Die süße Kleine! Wir sitzen bis 3h nachts und erzählen. Dann bricht sie auf. Gute, gute Nacht! 7 Uhr! In den Zug. Rehm bis Hannover mit. Dann weiter, weiter! Elberfeld. Fritz mit Post. Wollte morgen nach Rheydt. Geht nicht, Else weg. Was nun? Draußen schlägt's 1 Uhr. Geh zu Bett, mein Knabe! Karl Kaufmann hat geschrieben. Ich verstehe die Welt nicht mehr!

September 1926. Morgen treffe ich mit Else in Cöln zusammen. Wir bleiben bis Montag. Dann fahre ich nach Stuttgart, Ulm und Tübingen. Donnerstag bin ich wieder hier. Heute eine Menge Masse Arbeit. Karl Kaufmann heiratet die Schwägerin von Dr. Elbrechter. 0 Karl! Damit gibst Du Deinem Ideal den letzten Stoß. Wie hart und gemein doch diese Welt ist. Ich werde einsam! 18.

1926. Cöln mit Else. In Krach auseinander. Ich ärgere mich sehr. Im Wartesaal treffe ich einen jungen Fanatiker aus Bemscheid. Deutschland stirbt nie aus! Fahrt nach Stuttgart. Gundlach am Bahnhof. Schlumperger M.d.L. klagt sein Leid. Ich gehe bald schlafen. Mittags Aussprache mit Munder. Wir versöhnen uns wieder. Seit Weimar lebten wir in stillem Widerspruch. Er klärt mich über Straßer auf. Straßer ist maßlos neidisch auf mich. Daraus erkläre ich sein plumpes, unbesonnenes Handeln gegen mich. Ich werde bis zuletzt anständig bleiben, und wenn ich daran verrecken soll. Montagabend Rede in Stuttgart. Gut. Munder restlos begeistert. Dienstag mit Munder und Dr. Geiger im Cafe und bei hellem Sonnen-

September Sonntag. In

23.

1

Ein

Anfang

mit viel nationaler Musik im Hause der Gedächtniskirche.

bürgerlich-nationales Restaurant

des

Kurfürstendamms, dicht

an

von

Michels

am

Das

Tagebuch von 1925/26

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schein durch Stuttgart. Munder spricht immer deutlicher über Straßer. Jetzt kenn ich den guten Gregor. Der Bauernschlaue. „Im tiefen Rauschen unseres Blutes ..." Der gute Gregor! Dienstag spreche ich in Ulm. Glänzend! Alles weg1. Gestern morgen mit zwei jungen Kameraden der S.A. durch Ulm. Aufs Münster. Herrlicher Ausblick. Dieser prachtvolle Dom. Wieviel rassiger als der in Cöln! Die Stein gewordene deutsche Seele! Um die alte Stadtmauer! Klein-Venedig. Reizende Bilder! Langweilige Fahrt. Tübingen. Rede. Heute morgen ab. Eben Ankunft. Morgen wieder an die Arbeit! Tretmühle des Lebens! 24. September 1926. Maurice aus München ist da. Er erzählt mir von seiner unglücklichen Liebe2. Ordentlicher Kerl! Heute Vernehmung auf der Polizei. Wegen Landfriedensbruch. Die werden sich wundern, wenn ich anfange zu reden. Ich habe vorläufig alle Aussage verweigert. Heute abend spreche ich in Elberfeld. Das gibt wohl einen Bombenerfolg! Morgen nach Hause. Wie ich mich freue!

25. September 1926. Gestern abend Elberfeld. Ich hab gut und erfolgreich gesprochen. Gleich nach Rheydt. Else schrieb den Abschiedsbrief. In Gottes Namen! Auf nach Hause! 28.3

September 1926. Samstag heim. Elsbeth mit Maria am Zug. Ich freue mich wie ein Kind. Abends kommt Else. Kurz und knapp. Wie weh das tut. Sie geht, ohne wiederzukommen. Gestern morgen mit Elsbeth Spaziergang. Treffen Else. Kurz und knapp. Nachmittags läßt sie sich nicht sehen. Ich gehe heim und verschlafe meinen Gram. Gut so! Abends bin ich ganz lustlos! Heute Montag! Ich schlafe den ganzen Tag. Betäubender Schmerz liegt auf mir. Schließlich geht Maria Else holen. Sie kommt auch. Mit verweintem Gesicht. Dann geht sie mit zur Bahn. Ein feiner Regen rieselt. Wir warten lange auf den Zug, der nicht kommen will. Es ist Herbst geworden. Der Zug braust herein. „Ist der Packwagen fertig?" tönt unbarmherzig eine Stimme. Ein Zeichen! Der Zug geht los. Else dreht sich herum und weint. Dann schließe ich das Fenster. Auf die Wagendecke fällt Regen! Ich habe Abschied vom Leben der anderen

genommen!

Das Herz zerbrach!

28. September 1926. Ich bin gestorben und längst begraben. Wie schwer ist mein Herz. Morgen fahre ich nach Hannover und Braunschweig. Mir hängt das zum Halse heraus. So will ich denn arbeiten. Arbeit ist letzter Trost! Der VB (4. 11. 26) vermerkte dazu, daß per LKW und Fahrrad sogar aus Memmingen und Friedrichshafen Parteigenossen gekommen waren, um die „glänzenden Ausführungen" zuhören. 2 Gemeint vermutlich wieder Hitlers Nichte Geli Raubal, die zum Unbehagen ihres Onkels eine Affäre mit Maurice hatte. 3 Lies: 27. 1

106

Das

Tagebuch von 1923j'26

2. Oktober 1926. Mittwoch in der Frühe weg. Rust Hannover. Wir sitzen schon Mittags im Landbund zusammen. Und sind bald wieder ganz einig. Rust ist ein ordentlicher Kerl! Elbrechter hat in Weimar gemein gegen mich gehetzt. Nachmittags nach Wolfenbüttel. Zuckelm.an.ri holt mich ab. Ein guter Junge. Hat Anlagen. Lernt noch. Abends spreche ich gut. Glänzende S.A. Donnerstag durch Wolfenbüttel. Prachtvolles altes Schloß. Lessingstadt. Hier hat er drei Jahre gelebt und gedichtet. Große Bibliothek. Wundervoller Saal. Nachmittags bei Gebhard, dem ehem. U.S.P.D. Führer. Dann Braunschweig. Ich wohne bei Herrn v. Wedel-Parlow1. Alter, guter Adel. Verlor im 7 jährigen Kriege 70 Familienglieder, v. Wedel alter Aristokrat. Mit jungem Herzen. Temperament von einer Frau. Sächsin. Freitag mit v. Wedel durch die Stadt. Heinrich der Löwe. Abends spreche ich. Gut. Alles rast. Mit Rust, v.Wedel und Frau den Abend zusammen. In der Nacht heim. Montag kommt Karl Kaufmann. Heute nachmittag eine Frau Ahrmeier bei mir. Verheerendes Material gegen Elbrechter. Dieser Schuft muß unschädlich gemacht werden. Morgen mit Viktor Lutze nach Bochum. Ich lese: Hellmuth Franke: „Wir brechen die Bahn!" 4. Oktober 1926. Gestern mit Viktor nach Bochum. Gute Bezirkstagung. Ich habe mit Wehmut von diesen prächtigen Leuten Abschied genommen. Nachmittags Blankenstein. Abends Hattingen. Dann müde, müde heim. Fleute morgen kam Karl Kaufmann zurück. Heute abend halte ich entscheidende Aussprache mit ihm wegen Elbrechter. Über Elbrechter ein vernichtendes Material bekommen. Da endet die Weltgeschichte. Ein Verbrecher in der Maske des Biedermanns. Und der gute Gregor Strasser hat sich wieder einmal bis auf die Knochen blamiert. Benno war hier. Dr. Bausch brachte Material. Gleich zu Kaufmann. Ich komme heute nicht zum Arbeiten! 5. Oktober 1926. Gestern mit Kaufmann entscheidende Aussprache. Er ist verzweifelt an Elbrechter. Das ist gut so. Er ist vollkommen innerlich zerrüttet. Es fällt mir schwer, morgen wegzufahren. 14 Tage Reise. Leipzig, Dresden, Limbach, Berlin, Potsdam, Breslau etc. Viele Freunde werde ich sehen. Ich freu mich auf Straßer und Rosikat. Heute noch Arbeit. Dann ab nach Cassel!

16. Oktober 1926. Mittwoch, den 6. nach Leipzig. Ich spreche abends vor vollem Saal. Und lerne einen ordentlichen Menschen kennen: Studentkowski2. Donnerstag, den 7. nach 1

Karl Maria v. Wedel-Parlow, ehem. Rittergutsbesitzer; später Reichsredner der MdL in Preußen (1932) und MdR (1933), Gauinspekteur im NS-Juristenbund. 3 Werner Studentkowski, nach Banklehre und Angestelltenzeit damals Student in Leipzig und Führer der dortigen Hochschulgruppe des Nationalsozialistischen Studentenbundes. Im Dritten Reich Leiter der Hochschulabt. im Sächs. Volksbildungsministerium und Reichsamtsleiter in der Reichspropagandaleitung der NSDAP.

NSDAP,

Das

Tagebuch von

1925 j 26

107

Dresden. Goß hält mir brechreizende Vorträge. Ich wohne bei Kapitän v. Mücke1. Dem Seehelden. Ein Prachtskerl. Wir verleben einen schönen Nachmittag. Ich rede vor überfülltem Saal. Ein Riesenerfolg. Am nächsten Tag nach Limbach. Der gute Pieichenbach. Der brave Juckeland. Samstag mit vollem Herzen nach Berlin. Dr. Straßer am Bahnhof. Elbrechter hat verloren. Im Auto über die Avus nach Potsdam. Großer Tag2. Fackelzug, Begrüßung. Ich werde auf Händen getragen. In Berlin lebt ein Lump mit Namen Hauenstein3. Ich sehe Josefine v. Behr und freue mich sehr. Ich glaube, daß ich sie gerne habe. Am anderen Tag (Sonntag) große Kundgebung mit allem Trara. Gregor Straßer, Otto, der Karikaturist Schweizer4 (ein lieber Bengel) der Satiriker Steiger5 (ein Weaner.) Vorbeimarsch am Brandenburger Tor. Abends rede ich im Luftschiffhafen. Riesenhalle voll. Und ich rede. Dann sitze ich noch den Abend mit Freunden zusammen. Den Montagnachmittag verbringe ich mit Frl. v. Behr allein im Garten und Park von Sanssouci. Es ist Herbst geworden. Der Sturm fegt in den Baumriesen. Sei stille mein Herze! intriguiert. Stier macht mich wütend. Nun und zu regieren. Punktum! Nachmittags mich gern. Und ich höre da viel! Mit Elsbeth Zusammen zu Abend. Mit Schweizer, Wir sitzen die ganze Nacht. Otto Straßer und Gnädige Frau!? Noch zwei Stunden, dann ich werden in diesen 2 Stunden Freunde! Ich schlafe bis Breslau. Gleich heftige Debatten! S.A. ganz am Bahnhof! Ich schlafe 2 Stunden. Dann schwere Versammlung. Bis an 1 Uhr. Aber wir siegen! Am anderen Tag schlafe ich bis 2 Uhr. Bosikat ist ein ganzer Kerl. Auf den habt achtX Ab nach Freiburg. Ich rede drei Stunden. Dann ins Bett. Am anderen Tag, gestern (Freitag) zurück nach Berlin. Den Nachmittag bei Straßer. Der gute Steiger ist auch da. .

.

.

1 Helmuth v. Mücke, Kapitänleutnant a. D., im Weltkrieg 1. Offizier der „Emden" und Kommandant der „Ayesha", damals NSDAP-Propagandist und bei den sächsischen Wahlen am 31. 10. 26 in den Landtag gewählt, v. M. ist 1929 nach Kontakten mit den Sozialdemokraten und Kommunisten aus der NSDAP ausgetreten und im Dritten Reich emigriert. 2 Die Potsdamer NSDAP veranstaltete am 9./10. Oktober einen „Freiheitstag der Mark

Brandenburg". 3

Heinz Oskar

Hauenstein,

banngruppe „Schlageter", gegen Schlange wie gegen

früher Chef der „Organisation Heinz" und Führer der Frontdamals Gegenkandidat des Berliner SA-Führers Kurt Daluege Goebbels bei der Besetzung des Berliner Gauleiterpostens (vgl.

a. a. O., S. 90). Hans Schweitzer, unter dem Pseudonym Mjoelnir Zeichner verschiedener Parteizeitungen und -Zeitschriften (Angriff, VB, Brennessel u. a.); im Dritten Reich „Reichsbeauftragter für künstlerische Formgebung" (1955) und „Professor" (1957). 5 Hans Steiger, Redakteur beim (Scherl-Hugenbergschen) Berliner Lokalanzeiger und gelegentlicher Mitarbeiter der Strasserschen Berliner Arbeiterzeitung. Nachdem G. während der ersten l1/^ Jahre seines Berliner Aufenthalts in der Pension gewohnt hatte, die Steigers Frau am Lützowufer unterhielt, kam es zu einem schweren Zerwürfnis zwischen G. und Steiger. Steiger soll damals (Mitteilung Dr. Otto Strassers v. 24. 11. 59, Archiv IfZ) eine im rhythmischen Metrum des Goebbelsschen Hinkeschritts gehaltene „Judas-Ballade" verfaßt haben, welche die Intimitäten des Lebenswandels des Berliner Gauleiters zu jener Zeit enthielt und als Broschüre erschien.

Broszat, 4

Das

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Tagebuch von 1925/26

Er glaubt an mich. Abends bei Rehms. v. Behrs sind auch da. Ich bin so froh bei diesem reinen Mädchenbild. Heute morgen in die graue Bahn. 8 Stunden los. Kaufmann am Bahnhof. Alles hat sich bestätigt. Elbrechter ist ein Schuft. Heraus! Nun liegt die Arbeit zu Häuf. Schmitz und Hastedt haben schon geholfen. Mein Und nun geh ich schlafen. Morgen mit Kaufmann neuer Nazisozi1 ist und Benno in die Natur! Das soll ein klingender tag werden! 18. Oktober 1926. Samstag noch bis tief in die Nacht gearbeitet. Gestern, Sonntagnachmittag, mit eine reizende Frau. Am Abend mit Viktor Paula Lutze Lutze zusammen. Mit Karl Kaufmann so ziemlich im Reinen. Am 1. November Berlin ist doch die Zentrale. geht's nun endgültig nach Berlin Auch für uns. Weltstadt. Heute morgen vor Gericht. Vernehmung wegen der Salamander-Sache. Farce! Heute viel, viel Arbeit. Heute abend nach Hattingen Sozialdemokraten abschlachten! .

20. Oktober 1926. Montag in Hattingen die Bonzen zu Paaren getrieben. Eine fröhliche Jagd2. Gestern den ganzen Tag angestrengt gearbeitet. Aufsatz: „Bürgertum und Proletariat3." Heute im Begriff, nach Hannover zu fahren. Gleich geht's los. Heute Hannover, morgen frei, übermorgen Braunschweig. Viel, viel Arbeit. Ich denke manchmal an Else!

23.4 Oktober 1926. Mittwoch in Hannover Riesenversammlung. Ich habe das Letzte gesagt. Rust im Hause Rust. Eine liebe, liebe Familie. Seine Frau war weg. Ich wohnte ist ganz entzückend. Man könnte sich darin verlieben. Und ein reizendes Töchterchen mit Namen Mechtild. Wie glücklich sind doch diese Menschen mir gegenüber, (Rosikat, Rust) da sie ein zu Hause haben, in das sie flüchten können, wenn es draußen allzu toll wird. Gestern denn Abschied von Rust. Wir sind uns in den eine Broschüre, Nationalsozialisten", die in volkstümlicher Dialogform programmatische und tagespolitische Fragen behandelte. 2 Die SPD veranstaltete in der NSDAP-Hochburg des Industriereviers im Rahmen einer „Sozialdemokratischen Werbewoche" eine öffentliche Massenversammlung mit dem Thema „Sozialdemokratie oder Nationalsozialismus". Unter Führung von Kaufmann und Goebbels hatte die SA bereits lange vor Beginn zwei Drittel des Saales besetzt. „Eintretende mußten annehmen", so höhnte der VB v. 26. 10. 26, „es handle sich um eine Versammlung der NSDAP." Der Verlauf war entsprechend: nach langen Reden von Kaufmann und Goebbels endete die Versammlung mit einem „dreifachen Heil auf Hitler". 3 Unter dem Titel „Proletariat und Bourgeoisie" erschienen in den „Nationalsozialistischen Briefen", Nr. 27 v. 1. 11. 26. Es war dies G.'s Abschied vom Gau Ruhr („. dann trägt mich schon der rasende Dampf in die große Asphaltwüste: Berlin.") 4 Tagesangabe rekonstruiert nach der unten erwähnten Braunschweiger Versammlung, 1

„Der Nazi-Sozi. Fragen

und Antworten für den



.

die

am

22. Oktober stattfand.

.

Das

Tagebuch von 1925/26

109

Nächten über vieles, vieles klar geworden. Er hat mir das schöne Hannover mit Leine, Altstadt und hohem Ufer gezeigt. Gestern abend Braunschweig. Große Versammlung, viel Beifall. Den Abend bei v. Wedels verbracht. Liebe Menschen! ahle, zwei Typen. In der Nacht heim. Das alte Lied, Major und ich sitze einem Haufen Arbeit. vor Schlaf, jetzt 25. Oktober 1926. Gestern Bochum Gautag. Ich habe Abschied genommen1. Nun die Segel frei nach Berlin. Heute abend Bede in Bochum. Wahrscheinlich große Schlacht. Morgen nach Sachsen, Zwickau, Plauen, Chemnitz. Die Verhältnisse sind dort ! Draußen regnet's in katastrophal. Das Parlament ist ein Lumpenpack. Strömen. Grau in Grau! O, du 26. Oktober 1926. Gestern in Bochum. Ich sprach vor 2000. Gut. Das Ende war eine sol Ich wohnte bei Leiperts. Sehr nette Familie. Tochter häßlich, aber ein Im Auto von Direktor Arnold nach Elberfeld. Heute morgen wieder hier Heute noch viel Arbeit. Heute abend geht's los. Morgen Zwickau, Donnerstag Plauen, Freitag Chemnitz. Und dann wieder heim. Ich werde Freitag 29 Jahre alt. „Hüte dich, sei wach und munter!"

30.2 Oktober 1926.

Zwickau. Himmler3, Tratsch, geschlafen. Abends vor halbvollem Saal mittelmäßig Plauen. Dort liegt ein Brief von Hitler, Berlin ist perfekt. Hurra! Nun geht's in einer Woche in die Reichshauptstadt. Ade Elberfeld! Gestern Chemnitz! Mein Namenstag! Grauenvoll! Sei stille! Erinnerung an den damaligen grauenvollen Abend in Chemnitz. Diesmal umso glänzender. Wierheim4: Landtagstratsch! bleute Bückfahrt! Studentkowski in Leipzig am Bahnhof. Guter Junge! voll von GeburtsVon kein einen Else Wort. tagsblumen. Tag heim. Abschied nehmen vor Berlin. Das Leben ist so grau! 1 Kaufmann verabschiedete Goebbels, und dieser richtete eine kurze Ansprache „an seine im Gau Ruhr" (abgedruckt im VB v. 9. 11. 26). Mitkämpfer 2 Tagesangabe rekonstruiert anhand der erwähnten Chemnitzer Versammlung, die am 29. 10. stattfand, sowie der Anführung seines Geburtstages, den G. hier mit seinem Namenstag (im März) verwechselt. 3 Wohl wieder Heinrich Himmler aus Landshut, der gelegentlich ebenfalls als Redner wurde, wie vermutlich hier beim sächsischen Wahlkampf. eingesetzt 4 Albert Wierheim, damals Gauleiter bzw. seit August Untergauleiter von Chemnitz und für die Zeit des Landtagswahlkampfes mit der Redner-Organisation in Sachsen beauftragt.

DORUMENTE

Dokument Nr. 1

Abteilung

I A. Außendienst. VIL Gesch.-Stelle1.

Berlin,

den 26.

August

1926.

Nachtrag zum Lagebericht

der N.S.D.A.P.

zu

Spezialia 248.

Wie bereits im letzten Lagebericht der N.S.D.A.P., Gau Groß-Berlin, erwähnt, ist innerhalb des hiesigen Gaues und zwar in der Gauführerfrage eine Krise zu Tage getreten, zu deren Lösung für den 25. August 1926 abds. 8 Uhr in HaberlandtsFestsälen eine vertrauliche Führerbesprechung anberaumt war. Zu dieser Sitzung waren sämtliche politischen Bezirksführer, Redner, S.-A.- und Ortsgruppenführer, insgesamt etwa 120 Personen, geladen. Über diese Sitzung konnte folgender Bericht auf vertraulichem Wege beschafft werden: Schmiedecke teilt bei Eröffnung der Sitzung mit, daß er seitens der Parteileitung München die Vollmacht erhalten habe, alle, seinem Ermessen nach notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die hiesigen Verhältnisse in geordnete Bahnen zurückzuführen. Schon hierbei wurde der Gauführer von der Mehrzahl der Anwesenden durch Lärmen und Zwischenrufe unterbrochen. Zu einem wüsten Tumult kam es, als der Leiter des Sportverbandes Berlin (Daluege) mitteilte, daß 3 Verfahren vor dem Ehrengericht gegen Schmiedecke und Schlange schweben. Die Vorwürfe gehen dahin, daß beide seitens einer der Bewegung fernstehenden Gruppe von Personen Anweisungen erhalten hätten, die die Zerschlagung der Berliner Partei zum Ziele haben. Außerdem wird die Beschuldigung erhoben, daß beide sich auch sonst noch in der Gauführung ehrenrühriger Handlungen, bei Schlange z. B. „Versuch zur Abgabe falscher eidesstattlicher Versicherungen", schuldig gemacht haben. Daluege fordert Schmiedecke auf, sofort von seinem Posten zurückzutreten. Schmiedecke widersetzte sich der Rücktrittsforderung und versuchte nunmehr, von steten Tumulten unterbrochen, sich durchzusetzen und forderte diejenigen Personen auf, die nicht gewillt sind, sich seinen Anordnungen zu fügen, den Saal zu verlassen. Hierauf teilte der Vorsitzende des Ehrengerichts genannter Partei, Hagemann, mit, daß die von Daluege vorgebrachten Anschuldigungen gegen Schlange und Schmiedecke ihm bekannt sind und eine Untersuchung bereits eingeleitet sei. Hagemann schlägt vor, daß Schmiedecke von sich aus zurücktrete, und einen Ausschuß einzusetzen, der bis zum endgültigen Abschluß der schwebenden Verfahren die Gaugeschäfte weiterführt. Schmiedecke akzeptiert auch diesen Vorschlag nicht, worauf der Leiter der Berliner Schutzstaffel, Wolter, unter lebhaftem Beifall mitteilt, daß er, Wolter, auf Grund eines Telephongesprächs mit der Münchener Zentrale (Hitler und General Heinemann) die Vollmacht habe, alle in Berlin erforderlichen Schritte zur Beilegung 1

Der

Abteilung

I A des Berliner

Polizeipräsidiums oblag

für ganz Preußen die Beobachim Dritten Reich wurde

tung politischer Vorgänge und die Nachrichtensammlung darüber; diese

Abteilung umgebildet zum

Geheimen

Staatspolizeiamt (Gestapa).

Dokumente

112

des Konfliktes zu unternehmen. Hierauf übernimmt Wolter die Leitung der Versammlung, enthebt Schmiedecke seines Postens, und betraut Knodn mit der Führung der hiesigen Gauleitung. Des weiteren fordert Wolter diejenigen Anwesenden auf, die nicht mit der soeben getroffenen Regelung einverstanden sind, den Saal zu verlassen. Als einziger verläßt nunmehr Schmiedecke stillschweigend den Saal. Knodn übernimmt den ihm angetragenen stellvertretenden Gauführerposten und erstattet kurz über seine, gemeinsam mit Gayer, gepflogenen Unterredungen mit Hitler in München Bericht. Beide, Gayer und Knodn, haben in mehrstündiger Verhandlung mit Hitler, Heinemann und Strasser die Berliner Verhältnisse geschildert und Hitler um dringende Abhilfe ersucht. Hitler sagte hierzu, er könne von München aus die Berliner Verhältnisse nicht überblicken und sollen die Berliner Führer von sich aus die Angelegenheit regeln. Hitler selbst wird alsdann nach dieser Regelung entweder persönlich nach Berlin kommen oder jemanden bitten, ihm in München über die getroffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten. Er, Hitler, wird dann nach persönlicher Fühlungnahme mit dem vorgeschlagenen Gaviführer diesen bestätigen. Knodn ersuchte darauf alle politischen und S.-A.-Bezirksführer, ihn in seiner Tätigkeit im Interesse der Bewegung zu unterstützen. Zum Schluß wird, um die Arbeiten im Gau zu regeln, ein Arbeitsausschuß ernannt, dem Knodn, Daluege, Wolter und Korbe angehören1. Die nächste Führersitzung ist auf den 1. September d. Js. abds. 8 Uhr in Haberlandts-Festsälen anberaumt. Infolge des Eintritts Dalueges in den Arbeitsausschuß hat dieser sein Amt als Leiter des Sportverbandes niedergelegt. Zum Nachfolger ist Gayer ernannt worden. Schluß der gestrigen Führersitzung 10.30 Uhr abds. Eine Durchschrift dieses Berichts ist zum Vorgang Hitler (1451 I A. 7. 26) genommen.

Rühl K. Ass.2 Dokument Nr. 2 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei Gau Groß-Berlin

Geschäftsstelle : Potsdamer Straße 109 Hof rechts Erdgeschoß Fernsprecher: Nollendorf 5588 Tgb.-Nr.: G. 140

den 16. Okt. 1926 erl. 19. 10. 26.

Berlin, Herrn Dr. J.

Goebbels,

Elberfeld.

Sehr

geehrter Herr

Doktor Goebbels!

Nachstehend möchte ich das Ergebnis unserer verschiedenen persönlichen Unterüber die Frage der Gauführung Berlin wie folgt niederlegen : Nachdem Pg. Dr. Schlange Anfang Juni ds. Js. sein Amt als Gauführer unserem Führer Adolf Hitler zur Verfügung gestellt hatte, war in einer Sitzung der damaligen

redungen

1

Handschriftliche

Randbemerkung, offenbar

des Referatsleiters Schenk: also S.A. herrscht

vor! Es folgen verschiedene Bearbeitungsvermerke Einholung ergänzender Feststellungen. 2

betr.

Verwertung

im

Lagebericht

und

113

Dokumente

Bezirksführer und Redner des Gaues Groß-Berlin unter meinem Vorsitz und in Gegenwart des Pg. Gregor Strasser der einstimmige Wunsch geäußert worden, unseren Führer Adolf Hitler zu bitten, Sie als Gauführer für Groß-Berlin einzusetzen. Es war schon damals der dringendste Wunsch aller Berliner Pgg. Sie als Gauführer bekommen. Nach dem Reichsparteitag in Weimar hat sich dieser Wunsch immer mehr verdichtet und während der ziemlich starken Erschütterungen, die der Gau in den letzten Monaten durchzumachen hatte, war immer wieder der Schrei nach Ihnen als Gauführer von allen Seiten erhoben. Sie selber werden während Ihrer wenigen Besuche hier in Berlin und vor allen Dingen während des Märkischen Freiheitstages in Potsdam gefühlt haben, wie sehr sämtliche Berliner Pgg. Sie als Führer für Berlin ersehnen. Dieser Wunsch aller Berliner Pgg. begründet sich auf dem festen Glauben, daß Sie allein in der Lage sind, die Organisation als solche hier in Berlin zu festigen und die Bewegung vorwärts zu treiben. Sie können mit aller Bestimmtheit mit der allerstärksten Mitarbeit und größten Opferwilligkeit sämtlicher Pgg. rechnen. Gerade weil wir hier in Berlin gegen die zusammengefaßten Kräfte aller Feinde des National-Sozialismusses kämpfen müssen und gerade weil dieser Kampf nicht leicht ist, ist es das Gefühl aller Berliner Pgg-, daß nur eine überragende Persönlichkeit innerhalb unserer Bewegung dazu geeignet ist, die Bewegung hier zu führen und zu vertreten, und für diese Persönlichkeit werden Sie von allen Pgg. gehalten. Weil die Pgg. hier in Sie das größte Vertrauen setzen, können Sie auch Anforderungen stellen im Kampf gegen Elemente, die sich bei uns eingeschlichen haben und die im Interesse der Gesamtbewegung entfernt werden müssen. Rein persönlich möchte ich Ihnen auch auf Grund meiner Kenntnisse der psychologischen Einstellung der Berliner Pgg. sagen, wenn Sie nicht am 1. 11. die Gauleitung übernehmen, ist die Enttäuschung so groß und der Glaube an die N.S.D.A.P. bei den meisten der Pgg. so sehr erschüttert, daß Berlin für die gesamte Bewegung auf absehbare Zeit kaum noch in Frage kommen dürfte. Wie bereits besprochen, ist die von Ihnen für eine Arbeit im Gau Groß-Berlin geforderte finanzielle Grundlage ab 1. 11. 26 bereits gesichert. Es hängt nun allein von Ihrer Zustimmung ab, um aus Berlin die stärkste und beste Kampftruppe des National-Sozialismus zu machen. Berlin mit seinen 5 Millionen, auf einem verhältnismäßig kleinen Fleck zusammengeballter Menschen, bietet zweifelsohne den allergünstigsten Boden für das Wachsen unserer Bewegung und ist es auch meine innerste persönliche Überzeugung, daß Sie der berufene Führer für Berlin sind. Ich sage Ihnen dies alles nur, weil es mir ganz allein auf das Wachsen der Bewegung ankommt und nicht aus irgend welchem anderen Grunde. Ich bitte ergebenst, mir sobald wie möglich, Ihre endgültige bindende Entscheidung zukommen zu lassen und bin mit herzlichen Grüßen zu

Ihr sehr

ergebener

Erich Schmiedicke stellvertr. Gauführer

1) Anlage: Durchschrift des heutigen

8

Schreibens

an

Exc. Heinemann

Dokumente

114

Dokument Nr. 3 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei Gau Groß-Berlin

Geschäftsstelle : Potsdamer Straße 109 Hof rechts Erdgeschoß Fernsprecher: Nollendorf 5588

Berlin,

den 28.1 Okt. 1926

Tgb.-Nr. :

Herrn Dr.

Ablegen!

Goebbels,

Elberfeld.

geehrter Herr Dr. Goebbels! Folgender kurzer Bericht:

Sehr

1. ) Die schon während Ihres letzten Hierseins gegen Sie eingesetzte Hetze wegen des Gehaltes war eine Zeit lang erheblich schlimmer geworden, sodaß ich nach Rücksprache mit Herrn Dr. Strasser, Pg. Rehm und anderen zuverlässigen Pgg. in der letzten Ortgruppenführer-Besprechung die Erklärung abgab, daß Sie aus Berlin überhaupt kein Gehalt beziehen würden, sondern von der Reichs-Leitung. Infolgedessen würde von dem von Ihnen angeforderten und mit Bestimmtheit eingehenden Betrage das für Sie zu zahlende Gehalt vom Gau Groß-Berlin erst nach München überwiesen und dann von der Kassen-Verwaltung der Ihnen zustehende Betrag zurücküberwiesen werden. 2. ) Der Herr Hauenstein ist wegen eines tätlichen Angriffs auf Dr. Strasser von mir aus der Partei ausgeschlossen2. Er hat wahrscheinlich Beschwerde in München eingereicht. Ferner ausgeschlossen wurden Rossteutscher und König wegen Überfalls auf Pg. Wehrmann. 3. ) U.S.A.3 Hagemann ist von mir abgesetzt. Dafür Rehm, Wehrmann und Kern. 4. ) Dr. Strasser hat Hagemann Pistolenforderung übersandt, die Hagemann kneifender Weise ablehnte. Gegen Hagemann schwebt deswegen Verfahren. 5. ) Der Krach innerhalb des Gaues verstärkt sich, anscheinend von der Gegenseite inszeniert, um noch zu retten, was zu retten ist. —

Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Erich Schmiedicke

Anlage:

Ausschnitt

aus

der B.A.Z.

Korrigiert, 28. oder 29. Vgl. Broszat, a. a. O., S. 90 : Hauenstein war von Daluege als SA- und Frontbann-Kandidat für den Gauleiterposten aufgestellt worden, als sich SA und Politische Organisation befehdeten. Zwischen Hauenstein und Otto Strasser kam es zu Ohrfeigen, als die SA-Fraktion auf einer Sitzung ihren Kandidaten durchpauken wollte. Strasser erwirkte damals bei Hitler ein Partei1

2

ausschlußverfahren gegen Hauenstein. 3 Das heißt: der bisherige Vorsitzende des

Untersuchungs-

und

Schlichtungs-Ausschusses.

Dokumente

115

Dokument Nr. 4

Abschrift!

Berlin,

den 9. November 1926.

Rundschreiben No. 1. der

Gauleitung Berlin-Brandenburg An alle

1. )

Ortsgruppen-

der N.S.D.A.P.1

und Sektionsführer!

Übernahme des Gaues.

Mit dem heutigen Tage übernehme ich die Gauleitung des Gaues Berlin-BrandenDer Gau Potsdam wird hiermit aufgelöst. Zum Gau Berlin-Brandenburg gehört Groß-Berlin und die Mark Brandenburg mit Ausnahme von Anhalt-Dessau. Die Gaugeschäftsstelle des Gaues Berlin-Brandenburg befindet sich : Berlin W 35, Potsdamerstraße 109 Hof rechts part. Fernsprecher: Nollendorff 55882.

burg.

2. ) Geschäftsstelle.

Aufgabe wird es sein, eine neue Gaugeschäftsstelle zu schaffen. Die Gaugeschäftsstelle kostet Geld. Aus diesem Grunde ist die pünktliche Abführung von Beiträgen notwendig. Die Gaugeschäftsstelle ist ein Arbeitsraum des Gaues Berlin-Brandenburg; als solche nicht zu verwechseln mit einer Wärmehalle oder einem Wartesaal. Pgg. haben auf der Geschäftsstelle nur dann Zutritt, wenn sie Parteiangelegenheiten zu erledigen haben. Der Gauführer ist nach vorheriger Anmeldung auf der Geschäftsstelle während der Geschäftsstunden zu sprechen. Anmeldungen zwecks Klatsch u. ä. sind zwecklos. Der Gauführer läßt sich grundsätzlich nur in sachlichen Angelegenheiten sprechen. Sprechstunden des Gaugeschäftsführer sind: wochentäglich von 12—2 Uhr; außerdem Montag, Mittwoch und Freitag von 5-61/2 Uhr nachmittags. Sprechstunden des Sportverbandsführers sind : Dienstag und Freitag von 6—7 Uhr nachmittags. Verantwortlicher Geschäftsführer des Gaues Berlin-Brandenburg ist Pg. Franz Unsere erste

neue

Gutsmiedl.

Die gesamte Post des Gaues ist an die Anschrift des Geschäftsführers, Pg. GutsBerlin W 35, Potsdamerstraße 109 Hof rechts part., die gesamte Post für die

miedl,

1 Das Exemplar stammt aus der Abt. I A, VII. Geschäftsstelle des Berliner Polizeipräsidiums und trägt am Rand verschiedene Paraphen und Bearbeitungsvermerke dieser Dienststelle. 2 Goebbels schilderte später diese Lokalität: „Die Berliner Bewegung hatte damals auch schon ihren festen Sitz. Allerdings war der von äußerster Primitivität. Sie bewohnte eine Art verdrecktes Kellergewölbe in einem Hinterhaus in der Potsdamer Straße. Dort domizilierte ein sogenannter Geschäftsführer mit einem Kassenheft, in dem er die täglichen Ein- und Ausgänge nach bestem Wissen zu buchen pflegte. Stapel von Papier und Zeitungen lagen in den Ecken herum. Im Vorzimmer standen debattierende Gruppen von arbeitslosen Parteigenossen, die sich die Zeit mit Rauchen und Fabrizieren von Latrinenparolen vertrieben. Wir nannten diese Geschäftsstelle die ,Opiumhöhle'. Und diese Bezeichnung schien in der Tat absolut zutreffend zu sein. Sie war nur mit künstlichem Licht zu erhellen. Sobald man die Türe aufmachte, schlug einem der Schwaden von schlechter Luft, Zigarren-, Zigaretten- und Pfeifenqualm entgegen." („Kampf um Berlin", 6. Aufl. 1934, S. 24.)

116 S.A.

Dokumente an

die Anschrift des

Sportverbandsführer, Pg.

dorf, Scharnweberstraße 45,

zu

richten.

Kurt

Daluege, Berlin-Reinicken-

Ortsgruppen, Sektionen und Bezirke. heutigen Tage werden die Ortsgruppen und Bezirke des früheren Gaues Groß-Berlin aufgelöst. Der frühere Gau Groß-Berlin heißt jetzt „Ortsgruppe GroßBerlin". Die früheren Ortsgruppen und Bezirke sind jetzt „Sektionen" der Orts3. )

Mit dem

gruppe Groß-Berlin. Die Führung der Ortsgruppe Berlin übernimmt der Pg. Dr. Goebbels. Die Sektionsführer werden von Pg. Dr. Goebbels eingesetzt. Die bisherigen Ortsgruppenführer versehen ihr Amt vorläufig als Sektionsführer weiter. Die bisherigen Sektionen werden aufgelöst; die bisherigen Sektionsführer haben sich ihren nunmehrigen Sektionsführern zur Verfügung zu stellen. 4. ) S.A. und S.S.

Als S.A.-Führer versieht Pg. Daluege weiterhin sein Amt. S.A. und S.S. sind die Machtinstrumente zum Erreichen der politischenMacht. Das öffentliche Auftreten [von] 5. A. oder S.S. darf nur nach vorheriger Vereinbarung mit dem Gauführer geschehen. Stellvertretender Gauführer ist Pg. Kurt Daluege.

Versammlungen und Sprechabende. Versammlungen und Sprechabende der Sektionen finden nach wie vor statt, allerdings mindestens alle 14 Tage. Redner sind auf der Gaugeschäftsstelle anzufordern. Die Sprechabende der früheren Sektionen fallen in Zukunft fort; es finden also nur die Sprechabende der früheren Ortsgruppen nunmehr als Sektionsabende statt. Der Gauführer Pg. Dr. Goebbels wird nach Möglichkeit im Laufe dieses und des nächsten Monats alle Sektionen persönlich besuchen. 6. ) Rednerschule. 5. )

Ich habe am 16. November 1926 eine Rednerschule für den Gau Berlin-Brandenins Leben gerufen. Die Teilnahme ist allen Pgg. gestattet. Die Rednerschule hat den Zweck, die Pgg. programatisch und rednerisch zu schulen und vorläufig für Diskussionen und später für große Versammlungen vorzubilden. Die näheren Angaben in dieser Angelegenheit ergehen im nächsten Rundschreiben. Pgg., die daran teilnehmen wollen, haben sich schriftlich bei der Gaugeschäftsstelle anzumelden. Für den ersten Abend erhalten sie dann eine besondere Einladung. Ausdrücklich mache ich darauf aufmerksam, daß die Anmeldungen umgehend zu tätigen sind.

burg

7. ) Presse. Als Presse kommt für uns im Gau Berlin-Brandenburg nur in Frage: Als Wochenblatt: B.A.Z. bezw. Der nationale Sozialist, Als Tageszeitung: Der „Völkische Beobachter", Als Halbmonatsschrift: Die „Nat. Soz. Briefe", Als Monatsschrift: „Der Weltkampf". Bezugsbedingungen setze ich als bekannt voraus. Auf Anfrage erteilt die schäftsstelle schriftlich Auskunft.

Veröffentlichungen in der Presse. Ankündigungen von Versammlungen und Versammlungsberichte, Presse bestimmt sind, sind ausnahmslos an die Gaugeschäftsstelle zu werden von dort aus an die Presse weitergeleitet.

Gauge-

8. )

die für die senden. Sie

117

Dokumente Dokument Nr. S

Berlin,

Abteilung I

A Außendienst VII. Geschäftsstelle. Zu

Spec.

den 28. März 1927

248.

Verfügung Bl. 203 R d.A. Seit der letzten Berichterstattung vom 25. 2. 27 sind irgendwelche Veränderungen innerhalb der Leitung des Gaues Berlin-Brandenburg der N.S.D.A.P. nicht eingetreten. Gauleiter ist nach wie vor Dr. Goebbels. Stellvertretender Gauleiter: Kurt Daluege. Z.

Gaugeschäftsführer: Dagobert Dürr,

Gaukassierer: Franz Wilke, Gaupresse wart : Karl Kern, Propagandaleiter: für die Mark Brandenburg ist seit neuerer Zeit ein gewisser Studentkowski aus Leipzig. Mit der Leitung des hiesigen Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses der Partei soll dem Vernehmen nach der aus der Bewegung bekannte Oberlehrer Holtz, Charlottenburg wohnhaft, betraut worden sein. Vertraulichen Mitteilungen zufolge sollen im Monat März etwa 400 Neuanmeldungen von Mitgliedern bei dem Gau eingegangen sein, sodaß sich also die Gesamtmitgliederzahl auf etwa 3000 Personen beläuft, von denen sich aber ein Teil nicht aktiv an den Kundgebungen und sonstigen Veranstaltungen beteiligt, um nicht bekannt zu werden. Ähnlich liegen auch die Verhältnisse in den Sportabteilungen (S.A.), der sich eine Anzahl Parteimitglieder infolge des bei vielen Angehörigen der S.A. vorherrschenden Rowdytums, insbesondere aber auch auf Grund des letzten Zwischenfalls (Bahnhof Lichterfelde-Ost) fernhalten. Hieraus wäre zu folgern, daß wohl eine Anzahl der hiesigen Mitglieder die Goebbel'sche Methode nicht ganz billigen und mehr Besonnenheit und sachliche Arbeit wünschen, der größte Teil der Anhänger jedoch für Aktivität ist. Infolge fortgesetzter Veränderungen in organisatorischer Hinsicht kann eine genaue Aufstellung nicht gegeben werden. So z. B. sind in der letzten Zeit die Sektionen Bötzow und Nordost aufgelöst und der Sektion Alexanderplatz angegliedert worden. Im Monat März, der im Zeichen der Hauspropaganda stand, und der Werbung von Mitgliedern in starkem Maße gewidmet wurde, ist keine so rege Versammlungstätigkeit beobachtet worden, als im Monat Februar. Grund der Einschränkung größerer Veranstaltungen war, daß die nötigen Geldmittel fehlten, weil die Gauleitung im Monat Februar den Bogen stark überspannt hatte. Wie üblich fanden auch in diesem Monat eine Gautagung und eine Tagung des Freiheitsbundes statt .

Betrifft: Ostertr ef f en

.

:

Alle Parteimitglieder, die an den beiden Ostertagen einen Ausflug beabsichtigen, treffen sich zwanglos in Werder. Quartier ist von jedem selbst zu besorgen. Anfragen wegen Quartiern sind an Frau Steinbart, Werder/a/H, Chemnitzer Str. 93, zu richten. Wie die Parteimitglieder dort hinkommen, ob zu Fuß, mit der Bahn oder sonstwie ist gleichgültig. Die Kosten sind von jedem selbst zu tragen. In Werder ist regste Propaganda für die Bewegung zu entfalten. Nach Ostern wird für jeden freien Sonntag ein Treffpunkt für ausfluglustige Parteimitglieder festgesetzt, damit so ein Ort nach dem andern in der Mark unter das 1

Es

folgen Einzelangaben über die abgehaltenen und geplanten Partei Veranstaltungen.

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Trommelfeuer der Propaganda genommen werden kann. Der Treffpunkt ist stets am Freitag vorher aus der Berliner Arbeiterzeitung zu ersehen. Gleichfalls nach Ostern wird Dr. Goebbels nach Möglichkeit die Sektionsabende besuchen und auf ihnen sprechen. Diesen Sektionsabenden ist mehr als bisher Aufmerksamkeit zu widmen. Dem Gaiikassierer wurde Entlastung erteilt; durch die Parteiangehörigen Franke und Hummel ist die Gaukasse geprüft worden, wobei ein Überschuß des Gaues, ausschließlich Freiheitsbund, von 543 M festgestellt wurde. Über die Freiheitsbundtagung am 15. 3. in den Prachtsälen des Ostens, Frankfurter Allee 48, ist nichts Wesentliches zu berichten. Goebbels sprach auf dieser Tagung über das Thema „als nationalsozialistischer Redner ein Jahr kreuz und quer durch Deutschland". Die Mitgliederzahl des Freiheitsbundes hat sich in der Zwischenzeit nicht weiter erhöht (400 Personen). Vorsitzender des Bundes ist Dr. Goebbels, Bundeskassierer ist noch der Kaufmann Rudolf Rehm. In der Anlage wird ein Exemplar der Beitrittserklärungen zum Freiheitsbund beigefügt1. Ähnlich wie in den Vormonaten fand auch in diesem Monat, und zwar vom 19. zum 20., eine Propagandafahrt, an der sich hauptsächlich S.A.-Angehörige beteiligten, nach Trebbin statt. Während die Kundgebungen (S.A.-Jahresfeier und öffentliche Versammlung in Trebbin) ruhig und ohne Zwischenfälle verliefen, kam es bei der Rückkehr auf dem Bahnhof Lichterfelde-Ost zu blutigen Zusammenstößen mit Iiommunisten, wobei es Leicht- und Schwerverletzte gab. Dieser Zusammenstoß, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, charakterisierte die von Dr. Goebbels betriebene Verhetzung und Radikalisierung. Unter Einsetzung eines heftigen Revolverfeuers und mit lanzenähnlichen, eisernen Fahnenstangen drangen die Nationalsozialisten auf die Kommunisten ein, wobei etwa 9 Leichtverletzte und 5 Schwerverletzte vom Kampfplatz fortgeschafft wurden2. Alle derartigen Zusammen1 Im „Freiheitsbund" hatte Goebbels ein Jahr lang die Berliner NSDAP-Aktivisten zu einer besonderen, straff disziplinierten kleinen Organisation zusammengeschlossen. Die Mitglieder

des Freiheitsbundes versammelten sich allmonatlich und leisteten vor allem dringend benötigte finanzielle Sonderbeiträge. („Kampf um Berlin", S. 50; vgl. auch Broszat, a.a.O., S. 104ff.) 2 Der Rotfrontkämpferbund hatte am selben Tage in Jüterbog ein Treffen veranstaltet. Die Festteilnehmer beider Veranstaltungen fuhren im gleichen Zuge nach Berlin zurück und lieferten sich beim Aussteigen im Bahnhof Lichterfelde-Ost eine blutige Schlacht. Der Gefechtsbericht des VB v. 24. 3. 27 verkündete: „Als unsere Leute auf dem Bahnhof Lichterfelde-Ost den Zug verließen, wurden sie plötzlich aus den Abteilen, in denen sich die marxistischen Arbeitermörder aufhielten, beschossen. Kurze Aufschreie der Getroffenen, und in wenigen Sekunden entwickelte sich der größte Kampf, der je unter dem Zeichen des Der erste Schuß, den die roten Mordhalunken Hakenkreuzes in Berlin geschlagen wurde abschössen, traf einen der beiden Schupobeamten in (den^> Unterarm, worauf dieser die S.A. zu Hilfe rief mit den Worten: ,Jungens, helft uns doch, wir schaffen es ja nicht allein.' Weitere Schüsse trafen den Standartenführer Geyer, der einen Bauchschuß erhielt. Ein anderer S.A.-Mann erhielt einen schweren Kopfschuß und schwebt noch in höchster Lebensgefahr. Die Abteile, in denen sich die marxistischen Meuchelmörder aufhielten, wurden von unserer rasend gemachten S.A. gestürmt und die Mörder einzeln herausgeholt. Der kommunistische Landtagsabgeordnete Paul Hoffmann mußte mit seinem eigenen Blut für das vergossene deutsche Arbeiterblut büßen. Fünfzehn Kommunisten liegen schwer verletzt im Krankenhaus. Viele andere wurden von ihren Genossen weggeschleppt. Die roten Bluthunde haben So weit die Reportage im Goebbels-Stil. Zu dem waheine deutliche Lehre empfangen." ren Verlauf jenes Nationalsozialisten auf 23 (!) Kommunisten vgl. Broszat, von 700 Angriffs a.a.O., S. 115ff. .



.

.

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Stöße bezeichnet Dr. Goebbels als „geschlagene Schlachten" und verherrlicht indirekt solche Taten. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont Goebbels, daß die N.S.D.A.P. eine aktivistische Partei sei und fordert auf, daß sich die Anhänger derselben noch enger zum Kampf, in den die Bewegung getreten ist, wobei es kein Zurück mehr gibt, zusammenschließen sollen. Auf Grund des letzten Vorfalls hat eine rege Flugblattpropaganda eingesetzt, die dem Gau bisher 240 M gekostet hat. In der Anlage werden zwei Exemplare dieser Flugblätter beigefügt. Vertraulichen Mitteilungen zufolge sollen aus dem Reich hohe Geldbeträge hinsichtlich des von Goebbels im „Völkischen Beobachter" vom 10. 3. 27 losgelassenen Aufrufs, in dem er die Verhältnisse und die Behandlung verwundeter Parteimitglieder im Rudolf-Virchow-Krankenhaus schilderte1, für die Verwundeten eingegangen sein. Mit diesen Geldern beabsichtigt Goebbels, in Kürze ein nationalsozialistisches Arbeiterheim, bestehend aus 7—8 Zimmern, die im Bedarfsfalle als Lazaretträume umgewandelt werden sollen, zu errichten. Das im Vorbericht erwähnte Krankenheim (Lazarettstube) ist in der Zwischenzeit eingerichtet und befindet sich, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, in den Räumlichkeiten der Geschäftsstelle des Deutschen Frauenordens, Berlin W 57, Steinmetzstr. 46, vorn 2 bei Fiedler. Bisher hatten in diesem Lazarett, das evtl. 6 Personen Aufnahme gewährt, 5 Parteimitglieder, darunter auch der aus dem Virchow-Krankenhaus herausgeholte Tonak, Unterkunft gefunden2. Der Illustrierte Beobachter vom 15. März 1927, Folge 5, bringt auf Seite 71 eine photographische Aufnahme dieser Lazarettstube. Ein Exemplar dieser Ausgabe ist ebenfalls beigefügt. 3

festgestellt, war der Vorbesitzer des Autos, das dem hiesigen Gau, wie Goebbels das Bankgeschäft Grundmann & Co., Behrenstr. 49. Die Überschreibung erfolgte am 31. 1. 27 auf Antrag des Dr. Goebbels auf seinen Namen. Die Nummer des Wagens ist 26637 I A. Nach Angabe einer Gewährsperson Wie

ausführte, geschenkt wurde,

ist das Auto

zum

Preise

von

wurden, angekauft worden.

2000

M, die dem Fonds des Freiheitsbundes

entnommen

Rühl K. Ass.*

1 Goebbels' Aufruf an die „Kameraden im Reich" begann mit den Sätzen: „Am 11. Februar schlugen wir die Pharus-Schlacht [gemeint war eine Schlägerei mit den Kommunisten in den ,Pharus-Sälen']. Seit dem Tage kennt man uns in Berlin. Wir sind nicht so naiv zu " glauben, daß nunmehr alles getan sei. Pharus ist nur ein Anfang. Aber dieser Anfang war gut! er Dann schilderte die angebliche Behandlung vier dabei verletzter Nationalsozialisten im Virchow-Krankenhaus („Stationsarzt Dr. Levy") und wie man diese dort „herausgeholt" hatte, indem „draußen hundert SA-Leute erwerbslose Proletarier im braunen Hitlerhemd in etwas drastischer Weise nachhalfen". Der Aufruf schloß mit der Bitte um Spenden: „Einst gab man Gold für Eisen! Gebt heute Gold für Blut!" 2 Albert Tonak, ein an jenem Abend in den Pharus-Sälen zum Nationalsozialismus konvertierter „Roter Frontkämpfer", habe so behauptete man im VB im Virchow-Krankenhaus Krätze und hohes Fieber bekommen, obwohl er in den Pharus-Sälen nur eine leichte Gehirnerschütterung erlitten hätte. Als Dr. Levy ihm den Schädel aufmeißeln wollte, hatte Goebbels jenen Krankenhaus-Sturm inszeniert. Tonak wurde dann Chauffeur von Goebbels. 3 Es folgen Zitate aus einer damals im Gange befindlichen Pressediskussion über finanzielle Verbindungen Hitlers zur Industrie (Borsig, Bechstein), die in keinem Zusammenhang mit Goebbels stehen. 4 Es folgen Paraphen und Bearbeitungsvermerke von Angehörigen der Abt. I A. —







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Dokument Nr. 6

(Aus: Der nationale Sozialist1, Jg. 1927, Nr. 17)

Folgen der Rassenvermischung Es ist bekannt, daß Rassenvermischung eine Disharmonie des Geistes zur Folge hat. Man denke nur an die Charaktereigenschaften der Mestizen, Mulaken usw. Und

wir den Geist als das primäre und alles beherrschende erkannt haben, muß geistige Disharmonie stets auf das Körperliche auswirken. Die körperliche Harmonie wird gestört, sei es nun durch Krankheiten oder durch Mißgestaltungen, Unförmigkeiten einzelner Körperteile.

wenn

sich

Ich möchte in diesem Zusammenhange nur auf das niedersächsische Wort hinweiHüte dich vor dem Gezeichneten ! Es ist ein durch Erfahrung gewonnenes Wort, das die Rassenvermischung verurteilt, ihre Folgen kennzeichnet und vor dem Träger warnt. In der Geschichte finden wir genügend Belege und Beispiele für dieses Gebiet. Karl der Große, der in ärgster Form die niedersächsischen nordischen Rassenbestandteile ausrottete, hatte hervorquellende Glotzaugen, eine Kastratenstimme und einen Spitzbauch. Seine Herkunft war sehr dunkel.—König Richard III. von England aus dem Hause York war ein Mustertyp der Verworfenheit. Er ließ seine beiden Neffen im Tower ermorden, um selbst auf den Thron zu kommen; seine Frau ließ er im Wochenbett erdrosseln. Und siehe da: er war bucklig und hinkte. Gleich ihm hinkte auch der Hofnarr von Franz I. von Frankreich, der bekannt, berüchtigt und verrufen war durch seine Gehässigkeiten, seine Intrigen und Verleumdungen. Louis XIII., den Johannes Scherr als den Rex phlegmaticus bezeichnet, hatte einen kretinartigen Einschlag, er war zügellos in seinen Trieben und wurde demgemäß impotent. Frankreich war und ist überhaupt der Tummelplatz rassenvermanschter Gestalten. Betrachten wir nur die Helden der französischen Revolution. Marat war abschreckend häßlich. Er war jüdisch-mediterraner Rassentyp. Robespierre wurde wegen seiner Gesichtsfarbe der Grünadrige genannt. St. Juist besaß eine totenbleiche Haut und seine Handlungen waren stets zerstörend und totbringend. Eine abstoßende Häßlichkeit besaß Voltaire, der Meister von Gehässigkeiten und Falschheiten. Talleyrand besaß einen Klumpfuß. Sein Charakter ist bekannt. Man kann kaum das Wort „Charakter" für ihn anwenden. sen :

Dokument Nr. 7

Abschrift. Erich Koch, Elberfeld Dietelbeckerstr. 1 d.

Elberfeld,

den 26.

April

1927

Herrn Dr.

Goebbels,

Berlin-W. 34 Am Karlsbad 5

Sehr

geehrter

Herr Dr. Goebbels!

Wie ich erfahre, haben Sie in meinem in Nr. 17 des Nationalen Sozialisten veröffentlichten Artikel „Folgen der Rassenvermischung" einen Angriff auf Ihre Person 1 Eine Zeitung des Kampfverlages kel ebenfalls brachten.

(s.u. S. 121,

Anm.

3),

dessen andere

Organe diesen Arti-

Dokumente

121

erblickt und sich infolgedessen klageführend gegenüber einigen Pg. und insbesondere auch gegenüber Herrn Hitler geäußert. Ich muß gestehen, daß ich darüber außerordentlich erstaunt bin, da der Artikel doch garnichts anders ist, als eine praktisch-historische Darstellung des von unserer Bewegung vertretenen Rassegedankens, die in völliger Objektivität eine kleine rassische Geschichtsbetrachtung gibt. Ich erkläre darüber hinaus auch ausdrücklich, daß mir jeder persönliche Angriff gegen Sie völlig fern gelegen hat, und bin überzeugt, daß jeder objektive Leser auch nicht mit einem Gedanken auf eine derartige Inter-

pretation gekommen ist. Noch merkwürdiger berührt mich auch, daß Sie verschiedenen Parteigenossen und Parteigenossinnen gegenüber den Verdacht geäußert haben, als stamme der Artikel aus der Feder des Herrn Dr. Strasser. Ich erkläre, um all diesen Gerüchten die Spitze zu brechen, ehrenwörtlich, daß dies nicht der Fall ist, und ersuche Sie, von dieser Erklärung, ebenso wie von der genannten Darstellung dieses Briefes allen von Ihnen informierten Pg., insbesondere auch Herrn Adolf Hitler Kenntnis zu geben. Es wäre mir am liebsten, wenn Sie mir Abschrift Ihres diesbezüglichen Schrei-

bens an Herrn Hitler zur Kenntnisnahme einschicken würden, nachdem Herr Hitler meinen Gauführer, Herrn Karl Kaufmann, gegenüber diese Angelegenheit in der Darstellung Ihrer irrigen Auffassung offiziell mitgeteilt hat. Mit deutschem Gruß! gez. Erich Koch

Dokument Nr. 8 Dr.

Goebbels Berlin W. 35 Karlsbad 5.

Berlin,

Joseph

den 5. Juni 1927

Sehr verehrter lieber Herr Hitler! Sie erinnern sich, daß gelegentlich des Essener Parteitages1 am 23. April in der Berliner Arbeiterzeitung2 ein Aufsatz erschien unter dem Titel: Folgen der Rassenvermischung, der in den Kreisen der eingeweihten Parteigenossen berechtigtes Aufsehen erregte. Ich wurde von den mich begleitenden Berliner Parteigenossen auf die Durchsichtigkeit der in diesem Aufsatz vertretenen Tendenz aufmerksam gemacht, und ich nahm dann, wie Sie sich erinnern werden, am gleichen Nachmittag noch Gelegenheit, mit Ihnen über diesen Aufsatz zu sprechen. Als Sie den Aufsatz gelesen hatten, war auch bei Ihnen das Gefühl einer tiefgehenden Empörung vorherrschend. Sie sagten damals, daß die Veröffentlichung dieses Aufsatzes im Zusammenhang mit den sonstigen Aversionen des Kampfverlages3 gegen meine Person eine niederträchtige Handlung sei, und versprachen mir damals, in dieser Angelegenheit mit den Gebrüdern Strasser Rücksprache zu nehmen. Ich habe dann weiterhin von dieser

Gauparteitag Ruhr in Essen am 23./24. 4. 27. Seit dem 1. 3. 26 erscheinende Wochenzeitung des KampfVerlages mit dem Untertitel: dem Leihkapital nicht dienstbares Arbeiterorgan Berlins. " (Vgl. oben S. 65, Anm. 2) „Einziges 3 Der 1925 gegründete Verlag der Brüder Strasser. Teilhaber war der spätere Hauptgeschäftsführer der Reichskulturkammer und Reichsfilmintendant, Hans Hinkel; ferner sollen nach Angaben Otto Strassers Dr. Schlange und Prof. Vahlen finanziell beteiligt gewesen sein (vgl. Broszat, a. a. O., S. 89). 1

2





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Sache nichts gehört, nur daß kurz darauf der Unterzeichner des Aufsatzes, Pg. Erich Koch aus Elberfeld mir schrieb und sich gegen meine Mutmaßung verwahrte, er sei vielleicht nicht selbst der Verfasser, sondern der Aufsatz stamme aus einer anderen Feder, und mir ehrenwörtlich versicherte, daß er den Aufsatz selbst geschrieben habe, und zwar ohne jegliche Tendenz. Sie selbst waren damals auch von der beabsichtigten gemeinen Tendenz des in Frage stehenden Aufsatzes gegen meine Person überzeugt. Ich habe daraufhin nichts mehr von dem Aufsatz und seinem Verfasser gehört und war auch gewillt, die ganze Sache im Dunkel des schweigenden Verstehens zu begraben. Nunmehr hatte ich durch einen Zufall gestern eine Unterhaltung mit dem Pg. Dr. med. Steinte], Arzt der Homöopathie und Biochemie, Berlin N. 24, Oranienburgerstr. 37. Herr Dr. med. Steintel machte mir im Laufe dieser Unterhaltung eine Mitteilung, die die ganze Angelegenheit doch in einem etwas fragwürdigen Licht erscheinen läßt. Drei Tage vor Veröffentlichung des Aufsatzes trafen die Pg. Dr. med. Kern, Berlin-Schöneberg, Wexstraße 61, und F. I. Wehrmann, Berlin W. 57, Großgörschenstr. 51, mit dem erwähnten Pg. Dr. med. Steintel zusammen und machten ihm folgende Mitteilung : Sie hätten im Einverständnis und mit voller Kenntnis des Pg. Dr. Otto Strasser den in Frage stehenden Aufsatz verfaßt, und zwar mit der bestimmten Tendenz, meine Autorität in Berlin zu unterhöhlen und zu vernichten. Sie hätten schon einen Strohmann gefunden in der Person des Bezirksführers Erich Koch aus Elberfeld, der gewillt sei, den Aufsatz verantwortlich zu zeichnen, und zwar verspreche man sich deshalb sehr viel davon, als immerhin dieser Aufsatz nunmehr als eine Stimme aus dem von mir ehemals bearbeiteten Ruhrgebiet gelten würde. Der Aufsatz erschien dann auch drei Tage später und erzielte vollauf die beabsichtigte Wirkung. Pg. Dr. Steintel ist bereit, diese seine Aussage, die er freiwillig und ohne jede Anregung von meiner Seite machte, vor jedem Untersuchungsausschuß und vor jedem ordentlichen Gericht zu beeiden. Ich muß es mir versagen, zu dieser Angelegenheit überhaupt einen Kommentar zu geben. Eine derart schurkische Tat, begangen in feiger und wissender Berechnung, und zwar zu dem einzigen Zweck, mich in der Bewegung zu vernichten, ist mir in meiner ganzen bisherigen politischen Praxis noch nicht vorgekommen. Ich gestehe offen, auf eine derart infame und niederträchtige Weise bin ich bisher selbst nicht von Juden und Marxisten bekämpft worden. Handelte es sich um meine Person allein, so kennte ich nur eine Antwort auf eine derartige Kampfesweise : Schweigende Verachtung. Aber hier handelt es sich nicht um mich, sondern um den Gauleiter von Berlin. Der muß vernichtet werden, weil er dem Privatunternehmen des Kampfverlages unbequem ist. Es handelt sich weiterhin um den Gauleiter von Berlin, der seit der Bamberger Tagung eine eindeutige Schwenkung von dem Strasserkreis vorgenommen hat, und zwar zu dem Chef der Partei selbst hin1. Wenn Sie damals gelegentlich des Essener Parteitages mir in dieser Angelegenheit Ihre volle Genugtuung versprachen, so kann ich schon verstehen, daß Sie angesichts der kritischen Lage innerhalb der Partei vorläufig von einer endgültigen Klärung dieser Sache absahen. Das aber, was mir jetzt eindeutig bewiesen worden ist, spottet doch so jeglichen Anstandsgefühles, jeglicher Kameradschaft unter Parteigenossen, daß ich es persönlich mit meiner Ehre nicht mehr vereinbaren kann, hier länger zu schweigen. Vielleicht liegen diese Dinge doch tiefer als man gemeinhin annimmt. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Methode, die jetzt gegen mich angewandt wird, genau dieselbe ist, mit der man einmal den alten Staat zersetzte und unterhöhlte : Unter dem Deckmantel der vollsten hundertprozentigen Loyalität zersetzt und vergiftet man eine bestehende oder doch werdende Organisation. Die Träger 1

Handschriftliche

Randbemerkung; Heinemanns :

doch wohl erst

später Hei.

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dieser Organisation schweigen dazu im Zeichen des Burgfriedens und bemerken dann plötzlich, wie sie vor dem wankenden, zusammenbrechenden Bau ihres Werkes stehen. Nicht umsonst hat Dr. Strasser diese Methode in seiner marxistischen Werdezeit kennen gelernt. Ich für meine Person lehne es ab, mit der gleichen Methode zu kämpfen, und angesichts dieses infamen, feigen Überfalls muß ich schon gestehen, daß es hier für mich nur ein Entweder Oder gibt. Ich kann niemals an der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und noch viel weniger an dem Chef dieser Partei irre werden. Aber es könnte einmal der Augenblick eintreten, wo ich mich meiner Neben- und Hintermänner im Kampf um die deutsche Freiheit zu schämen hätte, und von diesem Augenblick sind wir nicht mehr allzu weit entfernt. Ich bin der Meinung, das Werk der deutschen Freiheit wird von Männern vollzogen, die in sich den überragenden Charakter mit dem überragenden Können vereinigen. Man kann im Einzelfall eher auf das Können als auf den Charakter verzichten. Sagt man nunmehr zu diesem Verhalten eines Parteigenossen, der bisher durch nichts anderes seine Fähigkeit innerhalb der N.S.D.A.P. bewiesen hat, als daß er gegen bewährte Männer intrigierte, sie verleumdete, sie mit Schmutz bewarf, ihnen die Ehre abschnitt, sie in feiger Berechnung in einem mit Mitteln der Partei aufgebauten Presseorgan vernichtete, Ja und Amen, dann sehe ich für die Zukunft dieser Bewegung sehr schwarz, und ich glaube nicht, daß sie vor Ausmerzung solcher Persönlichkeiten irgendwie erfolgbringend das Werk der deutschen Freiheit einleiten kann. Wenn ich neuerdings in der gesamten Judenpresse immer wieder lesen muß, wie in versteckter Weise nunmehr der Kampf nicht mehr gegen die N.S.D.A.P., sondern gegen meine Person geführt wird, wie plötzlich, fast wie auf ein geheimes Kommando allüberall geredet wird von einem Zerwürfnis zwischen Ihnen und mir, so bin ich nicht naiv genug zu glauben, daß es nicht Männer in der Bewegung geben könnte, die diese Dinge selbst in die Judenpresse hineinlancieren. Natürlich werden sie wieder auf Ehrenwort versichern, daß sie keine blasse Ahnung von diesen Auslassungen der Judenpresse gehabt haben. Jedoch daß sie sich über diese gefälschten und verlogenen Berichte freuen, das kann ich schon heute eindeutig beweisen. Es liegt mir nun nicht, in diesem Fall auf erworbene Verdienste und Ähnliches zu pochen. Ich spreche hier nicht vor dem Führer der Partei als der Redner oder der Gauleiter oder der Schriftsteller oder was weiß ich sonst noch, sondern als Parteigenosse, der in seiner Partei Recht, Ehre und Anstand sucht. Können Sie es' länger dulden, daß solche Methoden von Parteigenossen gegen Parteigenossen angewandt werden? Wollen Sie mir anraten, daß ich auch zu diesem neuen Schurkenstreich schweige und Ja und Amen sage? Wenn ja, dann bin ich selbstverständlich bereit, absolute Parteidisziplin zu wahren. Von dem ganzen Vorgang wissen bisher nur ganz wenige vertraute Parteigenossen, und ich habe auch die zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. In dem Fall jedoch, daß ich aus Parteidisziplin zu diesem schweigen müßte, bitte ich darum, mich meines Postens als Gauführer von Berlin-Brandenburg zu entheben. Ich werde dann in vorläufigem Abwarten verharren und hoffe zuversichtlich zu der inneren Kraft der Bewegung und zu Ihrem Weitblick in der Behandlung auch persönlicher Angelegenheiten, daß sehr bald der Augenblick eintreten wird, wo auch über meine Person hinaus die Kenntnis über diese sogenannten Parteigenossen Platz greift und aus der Personenkrise der Bewegung die N.S.D.A.P. neu und gestärkt wieder hervorgehen wird. Ich bin selbstverständlich bereit, in allernächster Zeit diese Dinge noch einmal mit Ihnen mündlich zu besprechen. Ich spreche am Dienstag, den 21. 7. in Coburg auf einer Sonnwendfeier. Es wäre mir möglich, am Montag, den 20. 7. morgens in München einzutreffen. Ihr Unterdes bin ich mit herzlichen Heilgrüßen wie immer Goebbels

Dokumente

124 Dokument Nr. 9

Dr.

Joseph

Goebbels

Berlin,

den 9. Juni 1927.

Berlin W. 35 Karlsbad 5.

Lieber Herr Hess! Die Judenpresse, vor allem das „Berliner Tageblatt", die „Vossische Zeitung" und die „Welt am Abend" berichten von ernsten Zerwürfnissen zwischen dem Chef und mir. Vor allem wird da behauptet, daß der Chef sich gegen meine Arbeitsmethoden verschiedentlich ausgesprochen habe und daß er Gelegenheit genommen habe, mir bei unserer letzten Zusammenkunft den Kopf zu waschen. An und für sich ist ja diese Angelegenheit furchtbar albern. Aber da mir im Augenblick die Möglichkeit fehlt, zur gesamten Parteigenossenschaft zu sprechen1 und immerhin der eine oder der andere dadurch in seinen Anschauungen irre werden könnte, bitte ich Sie herzlich, den Chef zu veranlassen, sofort eine Erklärung im „V.B." zu erlassen, in der diese Schwindelnachrichten unzweideutig dementiert werden. Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß ich nicht für meine Person, sondern im Interesse der Bewegung selbst darum bitte. Mit herzlichen Grüßen wie immer Ihr Goebbels

Dokument Nr. 10

Reichstag Abgeordneter2

Berlin NW

7,

Fernsprecher: Sehr

den 15. Juni 1927. Zentrum 9592-9600

geehrter Herr Hess!

Zunächst bitte ich Sie Herrn Hitler meinen besten Dank für die liebenswürdige zu übermitteln. Durch den schönen Tag war die Fahrt neben dem praktischen Transport mit außerordentlichem Genuß. In Verfolg unserer Unterredung in der Osteria3, in der Herr Hitler den neutralen Charakter der neuen Zeitung4 zur Voraussetzung machte, übersende ich Ihnen zwrei Drucksachen, die an alle Gruppen im Reich verschickt werden5, die die Neutralität der Erscheinung von vornherein zerstören. Herr Dr. Goebbels gilt in Berlin als Vertreter Adolf Hitlers, er kann wohl kaum der Herausgeber einer „neutralen Zeitung sein, will es wohl auch nicht sein, wenn er sich selbst als solchen bezeichnet. Damit nie die Sorgen ausgehen habe ich heute von einer am Freitag, den 10. ds. Mts. stattgefundenen Funktionärsitzung der Berliner einen Bericht erhalten, der

Überlassung des Autos

Nachdem als vorläufiger Höhepunkt verschiedener Krawalle auf einer Goebbelsversammlung im Kriegervereinshaus am 4. Mai 1927 der ehemalige Pfarrer Stucke nach einem Zwischenruf aus dem Saal geprügelt worden war, hatte der Berliner Polizeipräsident am Tage darauf die NSDAP verboten (bis 31.3. 28), darin eingeschlossen war ein Redeverbot für Goebbels. 2 Gedruckter Briefkopf für Reichstagsabgeordnete. 3 Die Osteria Bavaria in der Münchener Schellingstraße, von Hitler bevorzugtes Lokal, in dem er noch im Dritten Reich seinen Stammtisch hatte. 4 Goebbels' „Angriff". 5 Handschriftliche Einfügung Strassers. 1

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unglaublich klingt, durch zwei Zeugen aber erhärtet ist. Herr Dr. Goebbels hat Behauptungen dort gegen mich gekämpft. „Abstammung von Juden", „abhängig vom Großkapital" usw. sind solche dort geäußerten Vorwürfe. Ich werde gezwungen sein die Entscheidung Herrn Hitlers anzurufen, sei es durch eine Unterredung im Beisein der Berliner Zeugen, sei es durch Übergabe an den U.- und S.-Ausschuß. Einstweilen habe ich, wie der eingelegte Durchschlag zeigt, fast

durch unerhörte

dem von mehreren Anwesenden geäußerten Willen und mir tragen Gelegenheit zu geben vor den gleichen Leuten die Vorwürfe richtig zu stellen. Über den Verlauf werde ich fortgesetzt berichten. Daß die Bewegung keinen Schaden nehmen darf, ist allererste Voraussetzung und für mich suprema lex. Mit Gruß und Handschlag Ihr ergebener Herrn Dr. Goebbels

Rechnung

gebeten,

zu

Gregor Straßer

Dokument Nr. 11

München, 17. 6. 27 Herr Erich Koch aus Elberfeld, Dietelbeckerstr. ld erklärte am 17. 6. 27 Adolf Hitler unter Handschlag und auf Ehrenwort in Anwesenheit von Exz. Heinemann und Hess: 1. der in allen Zeitungen des Kampfverlages erschienene Artikel „Folgen der Rassenvermischung" ist von mir selbst verfaßt worden. Ich bin dabei nicht vorgeschobener Strohmann irgendwelcher Persönlichkeiten. 2. Angeregt wurde ich zu diesem Aufsatz durch eine Unterhaltung am Biertisch mit den Pg. Kaufmann und Dr. Otto Strasser, u. A. über die Rassenfrage. 3. Ich bin von keiner Seite beauftragt worden den Artikel zu schreiben noch fand eine Besprechung statt mit dem Endziel der Abfassung des Artikels. 4. Daß der Aufsatz sich nicht gegen Dr. Goebbels richtet, habe ich bereits in meinem Brief v. 26. 4. 27 an Herrn Dr. Goebbels ausführlich dargelegt. d. 17. 6. 27 Erich Koch

München, Heinemann Vorsitzender des U.

R. u.

Schi. A.

Heß

Dokument Nr. 12

Reichstag Abgeordneter

Berlin NW

Fernsprecher:

den 18. Juni 1927. Zentrum 9592—9600

7,

Herrn Rudolf Hess,

München,

Schellingstr. geehrter Herr Hess! Zeit und vor allen Dingen

50.

Sehr Es tut mir

leid,

daß ich Ihre

spruch nehmen muß. Die Verschärfung des

die Zeit des Chefs in An-

Verhältnisses zwischen Dr. Goebbels und mir, von denen ich in meinem letzten Brief an Sie berichtete, kann ich mir ohne Gegenwehr nicht

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gefallen lassen,

andererseits muß sie selbstverständlich aus der Welt geschafft werden, d. h. es muß Herr Dr. Goebbels veranlaßt werden nicht zu fernstehenden derartige die Ehre eines anderen Pg. schädigenden Behauptungen zu machen. Einen Beweis für die Folge der Verhetzung habe ich gestern erlebt. Ich habe um der Sache Willen die Versammlung in der Hasenheide abgehalten, die außerordentlich stark besucht war und die nach meinem Referat einen weit über das übliche Maß hinausgehenden Beifall brachte! Als der Versammlungsleiter, Dr. Frick, aufforderte zur Nennung von Diskussionsrednern, war im nächsten Moment ein junger Parteigenosse, des ungefähren Namens Thiede, auf die Bühne gesprungen und legte Herrn Dr. Frick folgende Anfrage zur Beantwortung vor: „Herr Strasser besitzt, wie wir wissen, eine gut gehende Apotheke in Landshut und bezieht außerdem die Diäten eines Reichstagsabgeordneten. Wir fragen an, was er bisher für unsere Bewegung getan hat." Auf der Rückseite dieses Zettels standen noch eine Reihe derartiger Anfragen. Ich konnte sie aber nicht mehr lesen, weil der Gaugeschäftsführer Dürr1, den Zettel Herrn Dr. Frick entriß und sofort Ich führe dieses an als ein Beispiel für die Folgen der in kleine Teile zerfetzte. Hetze, die getrieben wird. Ich habe nun die von einem Teilnehmer der Versammlung am 10. VI. erfahrenen, in der Sitzung vom Freitag, den 10. Juli vorgebrachten Vorwürfe zusammengefaßt2. Als hernach der stellvertretende Gauführer von Brandenburg, Holz, den ich in meinem Leben erst einmal gesehen hatte und der Pg. Petrich zu mir kamen, um aus eigener Initiative Aufklärung über die z. T. so schweren Vorwürfe zu erhalten, habe ich ihnen dieses Protokoll vorgelesen und sie gebeten mir zu bestätigen, ob darin ein Wort zuviel gesagt oder gesprochen worden sei. Beide bestätigten mir durch ihre Unterschrift, daß das von einem Dritten mir zur Kenntnis gebrachte Protokoll in allen seinen Teilen stimme. Ich habe nun zur Kenntnisnahme von Herr Hitler die Wiederlegung dieser Vorwürfe ausgearbeitet und darüber hinaus noch einige Punkte, die ich Herrn Dr. Goebbels vorzuwerfen habe. Ich denke mir nun die Erledigung der Angelegenheit so, daß entweder Herr Hitler oder der Untersuchungs- und Schlichtungsausschuß München durch Einvernahme der jeweils genannten Zeugen die Sache zur Erledigung bringt. Ein weiterer vielleicht der beste Weg wäre, wenn Herr Dr. Frick als objektiver Jurist mit der Erledigung der Aufgabe betraut würde, ich habe nicht einen Funken irgend welcher rachsüchtigen Gefühle gegen Herrn Dr. Goebbels, aber ich muß verlangen, daß in irgend einer Form die zu 16 prominenten Pg. gemachten unwahren Äusserungen in irgend einer Weise aus der Welt geschafft werden. Ich wiederhole noch einmal, daß es mir leid tut Sie mit derartigem Zeug belästigen zu müssen, aber vielleicht ist es am besten, wenn Herr Hitler von Anfang an einen Modus vivendi schafft, damit nicht diese so unerquickliche Geschichte noch weiter —

geht.

Mit Hitler-Heil Ihr erg.

Gregor Straßer 1 Dagobert E. Dürr, Meteorologe, Pg. von 1922, seit 1927 Gaugeschäftsführer der Berliner NSDAP und 2. Schriftleiter des „Angriff", später von „Unser Wille und Weg"; im Dritten Reich Oberregierungsrat und Pressereferent in Goebbels' Ministerbüro. 2 Handschriftliche Korrektur des ursprünglichen Textes: Ich habe nun von einem Teilnehmer der Versammlung, die in dem genannten Protokoll zusammengefaßten in der Sitzung vom Freitag, den 10. Juni vorgebrachten Vorwürfe zusammengefaßt.

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Dokumente Dokument Nr. 13

Protokoll. Am Freitag, den 10. Juni, abends 8 Uhr fand in den Räumen des Deutschen Frauenordens, Berlin, Steinmetzstr., eine Sitzung verschiedener Berliner Funktionäre der N.S.D.A.P. statt, zu der Herr Dr. Goebbels in einem 9. Juni 1927 einzeln eingeladen hatte.

dringenden

Schreiben

vom

Eingeladen und

anwesend

1. ) Dr.

2. ) 3. )

waren :

Gauleiter Berlin. stellvertretender Gauleiter und S.A. Führer. Holz, stellvertretender Gauleiter und S.A.-Führer, Vorsitzender des U- und S-Ausschusses. Rehm, Kassenwart des Freiheitsbundes. Schweitzer, ohne Funktion. Steiger, ohne Funktion. Dr. Steintel, ohne Funktion. Iioehler1, ohne Funktion. Wilke, Gaukassenwart.

Goebbels,

Dalüge,

4. ) 5. ) 6. ) 7. ) 8. ) 9. ) 10. ) Dürr, Gaugeschäftsführer. 11. ) Assmann, Geschäftsführer der S.A.2 12. ) Petrich, Redner. 13. ) Dr. Lippert, ohne Funktion.3 14. ) Fräulein Zander, Vorsitzende des Frauenordens. 15. ) Franke, S.A.-Unterführer. 16. ) Schenker, ohne Funktion.

Die Sitzung wurde von Herrn Dr. Goebbels mit der Bekanntmachung eröffnet, daß es sich um eine unangenehme, aber sehr wichtige Mitteilung handele, die für sein weiteres Verbleiben in Berlin entscheidend sei. Es sei zwar eine persönliche Angelegenheit, die aber zugleich eine Angelegenheit des Gaues wäre ; er verlange daher von den Anwesenden eine einstimmige Vertrauenserklärung ebenso wie er auch eine Vertrauenserklärung von Adolf Hitler erwarte, da er sonst keine Stunde länger in Berlin bleibe. Nunmehr verlas er aus der BAZ Nr. 17 den Artikel „Folgen der Rassenvermischung" und bemerkte hierzu: Der Verfasser Koch, Elberfeld sei ein kleiner Eisenbahnbeamter aus seinem früheren Gau, der nicht soviel Geist besitze, daß er einen derartigen Artikel schreiben könne. Er (Dr. G.) habe infolgedessen von Anfang an den Verdacht gehabt, daß dieser Artikel vom Kampfverlag lanziert sei. Diesen Verdacht hätte er auch Herrn Hitler gegenüber in einer von diesem veranlaßten Unterredung in Essen geäußert, der mit seiner scharfen Verurteilung des Artikels nicht zurückgehalten habe. Auch Hitler hätte, nachdem er Herrn Koch in Essen kennen gelernt habe4, geäußert, daß er diesem den Artikel nicht zutraue. Hitler —



Handschriftliche Randbemerkung : Körner. Eberhard Aßmann, bis zum Berliner Verbot Leiter der NSDAP-Zeugmeisterei Ost, von nun an Verlagsleiter des „Angriff". 3 Dr. Julius Lippert, bis 1927 Redakteur beim „Deutschen Tageblatt", seit 1. Juni 1927 (bis 15. März 1933) Hauptschriftleiter des „Angriff"; im Dritten Reich (1934-42) Oberund Stadtpräsident von Berlin. bürgermeister 4 Am Rand Fragezeichen, offenbar von Heinemann, sowie Bemerkung Hitlers: kannte ich nicht. 1 2

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äußerte jedoch, daß gegen den Verfasser nicht vorgegangen werden könne, da sich der Verfasser und seine Hintermänner hinter der Wissenschaftlichkeit des Artikels verschanzen würden. Als dann der Verdacht durchsickerte, daß Dr. Strasser (gemeinsam mit Karl Kern und Hauptmann Wehrmann) der Verfasser des Artikels sei, gab sowohl Herr Koch, Elberfeld, in einem Brief an ihn (Dr. G.), als auch Dr. Strasser sowie Karl Kern und Hauptmann Wehrmann das Ehrenwort, daß Koch den Artikel verfaßt habe. Der Kampfverlag habe noch einmal ausdrücklich geschäftlich seine ehrenwörtliche Versicherung an Herrn Dr. Goebbels wiederholen wollen; bis heute sei der Brief aber noch nicht eingetroffen. Er (Dr. G.) hätte darauf der Angelegenheit weiter keine Bedeutung zugemessen, wenn nicht ein neues Ereignis als der Tragödie zweiter Teil eingetreten wäre. Am Pfingstmontag sei er (Dr. G.) abends zurückgekehrt und traf im Gasthaus „Bayernhof" den Herrn Dr. Steintel. Dieser habe ihn gefragt, wie er (Dr. G.) zu Pg. Kern stünde, wobei Goebbels geantwortet habe : „Ich traue ihm nicht und habe auch kein näheres Verhältnis zu ihm." Darauf habe Dr. Steintel ihm von folgendem Vorgang Kenntnis gegeben: „Vor einiger Zeit sei er (Dr. Steintel) mit Kern und Wehrmann zusammen gewesen. Bei dieser Zusammenkunft sei von beiden die Absicht geäußert worden, Herrn Dr. Goebbels aus Berlin zu verdrängen. Zu diesem Zweck habe man einen Artikel in Aussicht genommen, der sich mit Rassenvermischung beschäftigen und Dr. Goebbels wegen seines Klumpfußes angreifen solle. Dieser Artikel könne natürlich nicht von einem Berliner geschrieben werden, deshalb habe man bereits in der Person eines Führers aus dem Ruhrgebiet einen Verfasser gefunden, der den Artikel verantwortlich zeichnet." Er (Dr. Steintel) sei über diese Absicht entsetzt gewesen und hätte so etwas nie für möglich gehalten. Kurze Zeit darauf habe tatsächlich in der BAZ

gestanden.

Soweit die Erzählung des Dr. Steintel. Dr. Goebbels fuhr fort: „Man stelle sich während die Partei hier verboten sei und im schwersten Kampfe stand, führe der Kampf-Verlag einen derart unanständigen Kampf gegen ihn. Gerade der fragliche Artikel sei um so ungeheuerlicher, als sein Klumpfuß kein angeborener Fehler sei, sondern von einem Unglücksfall herrühre, den er sich in seiner Jugend zugezogen habe1. Wiederholt erklärte Herr Dr. Goebbels, daß nach seiner bestimmten Meinung Anschließend der Artikel vom Kampf-Verlag gegen ihn inszeniert worden sei. erging er sich in äußerst scharfen Worten gegenüber Dr. Strasser, der früher Redakteur am „Vorwärts" gewesen sei und nunmehr die marxistische Kampfesweise auch auf unsere Bewegung übertrage. So seien z. B. die Artikel in der „Welt am Abend" und anderen jüdischen Zeitungen über einen Zwist zwischen Hitler und Goebbels sowie über die Herausgabe der neuen Gauzeitung so detailliert, daß sie nur vom Kampf-Verlag stammen könnten. Zum Schluß erklärte Dr. Goebbels, daß er gegenüber diesem Kampf ein einstimmiges Vertrauensvotum forderte, die Beratungen hierüber aber durch seine Anwesenheit nicht beeinflussen wolle und daher das Lokal verlasse, was er auch tat. Nunmehr nahm Dr. Steintel das Wort, schilderte noch ausführlich die von Dr. Goebbels wiedergegebene Unterredung zwischen ihm und Pg. Kern und Wehrmann. Seine Empörung über den Artikel wäre um so größer als Herr Dr. Goebbels im „Bayernhof" auf Befragen ihm gegenüber ausdrücklich erklärt hätte, daß er den Klumpfuß durch einen Unglücksfall als 13 bis 14 jähriger Gymnasiast erhalten habe, sodaß vom Rassenstandpunkt aus keinerlei ungünstige Schlüsse daran geknüpft werden können, was sonst berechtigt wäre. Es schloß sich hieran eine längere Aussprache. In deren Verlauf führte Herr Dalüge aus, daß es sich bei der ganzen Angelegenheit um einen Vorfall größter Bedeutung handele, denn der Konflikt Goebbels gegen Strasser sei identisch mit einem Konflikt Goebbels -

vor :





1

Das wäre also noch eine weitere Lesart!

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gegen Gregor Strasser. Vor einiger Zeit habe im Verlauf einer Unterredung mit Dr. Strasser, der er damals keinen Wert beilegte, die ihn heute aber nachdenklich stimme, Herr Dr. Strasser geäußert, es müßten organisatorische Änderungen in der Partei Platz greifen, denn seiner Überzeugung nach sei Dr. Goebbels geeignet für den Posten des Propagandachefs, während sein (Strassers) Bruder zum Reichsführer der S.A. tauge. Er (Dalüge) empfinde es bedauerlich, daß heute schon eine Postenverteilung im Hinblick auf den Augenblick, wo Adolf Hitler nicht mehr unter uns weile, stattfinde. Herr Dalüge halte nunmehr folgende Lösung für richtig: Es müsse auf Gregor Strasser eingewirkt werden, daß er sofort seinen Bruder (Dr. Strasser) hier wegnimmt und ihn bewegt freiwillig aus der Partei auszuscheiden. Ein Ausschluß von Dr. Strasser käme nicht in Frage, weil sofort die ganze Judenpresse mit dicker Überschrift von einem Krach zwischen Hitler und Strasser sprechen würde, ohne eine Unterscheidung zu machen zwischen Gregor Strasser und Dr. Strasser. Im übrigen habe in der seinerzeitigen Hauenstein-Angelegenheit ihm das Verhalten Gregor Strassers garnicht gefallen, weil er so scharfe Erklärungen gegen Hauenstein veröffentlicht habe. Das Recht an der Kritik auch des Gauführers, sei natürlich keinesfalls abzustreiten. Während dieser Aussprache verlangte Pg. Holz verschiedene Male, aber jedesmal unter dem Protest der übrigen Anwesenden, daß vor einer Beschlußfassung zuerst Herrn Gregor Strasser Gelegenheit zur Stellungnahme zu den verschiedenen Angriffen gegeben werden müsse. Die Versammlung lehnte dies stets ab, wobei insbesondere Fräulein Zander erklärte, daß jedes Eingehen auf einen darartigen Vorschlag schon ein Nachgeben bedeute und beleidigend für Herrn Dr. Goebbels sei. Pg. Dalüge erklärte hierzu noch, daß es sich heute nur um die Vertrauensfrage für Dr. Goebbels und nicht um eine Stellungnahme im Streit zwischen Strasser und Goebbels handele. Im weiteren Verlauf ergriffen insbesondere die Herren Schweitzer und Steiger das Wort.1 Ersterer führte aus, daß er Dr. Strasser besonders kennen gelernt habe. Ihm sei von Anfang an die süßliche überfreundliche Art desselben unangenehm aufgefallen und er habe sich lange nicht daran gewöhnen können. Er kritisierte dann die Person von Dr. Strasser, wobei er den Ausdruck eines anderen Pg. gebrauchte, daß Dr. Strasser einen Schuß „jüdisches Blut in seinen Adern" habe. Schon äußerlich bezeuge dies das rötliche gekräuselte Haar, die Hakennase, das aufgeschwommene fleischige Gesicht. Auch er äußerte die Auffassung, daß Dr. Strasser der Verfasser des bewußten Artikels sei und verurteilte das Verhalten des Kampf-Verlages demgemäß scharf. Herr Steiger machte ebenfalls sie schärfsten Bemerkungen gegenüber dem KampfVerlag. Insbesondere sagte er, daß am Anfang seiner Mitarbeit Herr Gregor Strasser ihm gegenüber gesagt habe, die Zeitung sei kein Erwerbsunternehmen sondern noch ein Zuschußunternehmen. Wenn es sich einmal rentiere, dann wolle er sie der Partei schenken. Als die Zeitung dann 8500 Bezieher gehabt hätte, habe seine Frau bereits ausgerechnet, daß sich die Unkosten daraus decken würden. Trotzdem sei die versprochene Überführung in die Partei nicht erfolgt. Heute bei einer Bezieherzahl von 15.000 seien zweifellos große Überschüsse vorhanden. Das hebe er besonders deswegen hervor, als seine Mitarbeit ehrenamtlich erfolgt sei. Kennzeichnend für Dr. Strasser sei auch, daß er ihm (Steiger) gegenüber einmal erzählt hätte, daß Dr. Goebbels für die Schriftleitung der N.S.-Briefe ein Gehalt beziehe, während Herr Dr. Goebbels ihm (Steiger) ausdrücklich erklärte, daß er keinen Pfennig dafür bezogen hätte. Die ganze Zeitungssache hätte aber noch einen anderen Hintergrund: Die Fäden laufen von Dr. Strasser über die Ringleute (Gleichen-Kreis) zu —

-



1

9

Zu Schweitzer und

Steiger s. o. Tagebuch-Eintragung vom

16. 10. 26.

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einem gewissen v. Bruck, einem rheinischen Großindustriellen, der die Zeitung mit Mk. 4000.— finanziert hätte1. Auf diese Weise sei eine direkte Verbindung des KampfVerlages zum Scherl-Verlag und zur Deutschnationalen Partei hergestellt. Der Tenor dieser Ausführungen ging dahin, daß der Kampf-Verlag von der Großindustrie abhängig, Dr. Strasser der Beauftragte der Deutschnationalen sei Herr Steiger berichtete und die Zeitung in dieses Fahrwasser bringen wolle. Goebbels schon lange ginge, Dr. der des daß Kampf-Verlages gegen Kampf dann, denn schon als seinerzeit Dr. Goebbels nach Berlin gekommen sei, hätte Dr. Strasser zu ihm (Steiger) geäußert, Dr. Goebbels müsse bei ihm (Steiger) stets unter Kontrolle und Aufsicht gehalten werden. Belege über den angeblichen Kampf brachte er nicht vor. Nachdem nochmals der Vorschlag Holz auf Anhörung Straßers ohne Abstimmung abgelehnt wurde, erklärte Herr Wilke das Vertrauensvotum (ebenfalls ohne Abstimmung) für Dr. Goebbels als gegeben und ersuchte darum die ganzen Beratungen als streng vertraulich zu behandeln. Die Sitzung löste sich dann immer mehr in eine Reihe von Einzelgesprächen auf, wobei Herr Dalüge auf Befragen, wie sich die Pg. zu dem neuen Organ „Der Angriff" stellen sollen, erklärte, in erster Linie seien die Parteiblätter: der „Völkische Beobachter", als Zentralorgan und „Der Angriff" als Gauorgan zu halten. Wer es sich dann noch leisten könne, könne die BAZ nebenbei halten. —



Den vorstehenden Bericht erkenne ich in allen Punkten als richtig an. E. Holtz Charlottenbg, d. 16/6. 27. G. W. Petrich. Dokument Nr. 14

Zusammenstellung der in der Funktionärsitzung vom Freitag, den 10. Juni 1927 erhobenen Angriffe und deren Erwiderung. I.Vorwürfe Dr. Goebbels: 1.) Der Artikel „Folgen der Rassen-

vermischung" ist vom Kampf-Verlag lanziert und ist nicht von Koch, Elberfeld sondern von den Pg. Dr. Strasser,

Kern und Wehrmann

geschrieben.

1.)

Entgegnungen : Diese Behauptung

ist nachgewiesenermaßen unwahr. Der Verfasser ist Koch, Elberfeld. Vergleiche hierzu : a) Erklärung Koch an Dr. Goebbels vom 26. 4. 1927; b) Brief Koch an Dr. Goebbels vom 13. 6. 1927; c) Brief Koch an den Kampf-Verlag vom 13. 6. 1927; d) Brief Kern an Dr. Steimel vom 11. 6. 1927. Für die Behauptung, daß der Artikel lanziert sei, hat selbst Herr Dr. Goebbels nicht die Spur eines Beweises erbracht.

1 Zu v. Bruck s.o. S. 57, Anm. 3. Als „Gleichen-Kreis" bezeichnete man eine Gruppe Jungkonservativer, meist Schriftsteller, die sich Moeller van den Bruck verpflichtet fühlten und von Heinrich Frhrn. v. Gleichen in verschiedenen Organisationen („Juniklub", „Politisches

Kolleg", „Herrenklub") zusammengefaßt waren. Der „Ring" war eine Gruppe, herausgegeben von Gleichen. (Möhler, a. a. O., S. 83, 96 u. a.)

Zeitschrift dieser

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131

2. )

Abgesehen davon, daß die drei Herren bereit sind gegenüber Herrn Hitler jederzeit dieses Ehrenwort abzugeben, wird festgestellt, daß die Behauptung von Dr. Goebbels nachweisbar unwahr ist: a) Dr.

2.) Pg. Kern und Wehrmann hätten

Herrn Dr. Goebbels das Ehrenwort gegeben, daß sie den Artikel nicht verfaßt hätten, sie seien daher schuldig des Ehrenwortbruches.

3.)

Dr. Strasser war früher Redakteur am „Vorwärts" und überträgt nunmehr die marxistische Kampfesweise auf unsere Bewegung.

4.)

Kampf-Verlag führt seit langem einen Kampf gegen Der

Dr. Goebbels.

5.)

Die Meldung der „Welt

am

Abend"

und den anderen jüdischen Zeitungen über einen angeblichen Zwist zwischen Goebbels und Hitler sowie über die Herausgabe der neuen Gau-Zeitung seien so detailliert, daß sie nur vom Kampf-Verlag stammen können.

Strasser hat nie mit Herrn Dr. Goebbels über den Artikel gesprochen und infolgedessen auch nie ein Ehrenwort geben können. Dr. Strasser hat nur mit Herrn Hitler in Berlin, Gregor Strasser ebenfalls nur mit Herrn Hitler in Essen über den Artikel gesprochen, b) Pg. Kern hat zwar mit Dr. Goebbels über den Artikel gesprochen. Es war aber nie die Rede von einer Autorschaft seiner Person, infolgedessen hat nie von einem Ehrenwort gesprochen werden können, c) wie unter a). 3. ) Diese Behauptung ist von A bis Z erlogen. Dr. Strasser war niemals Redakteur am „Vorwärts" oder an einem anderen sozialistischen Blatt. Ebenso wenig an einer Zentrumszeitung, sondern als Werkstudent parlamentarischer Berichterstatter in einem Privatkorrespondenzbüro, das allerdings auch marxistische Zeitungen bediente. 4. ) Dieser Vorwurf ist unwahr. Vergleiche hierzu die ausdrückliche dankbare Anerkennung des Gaues Berlin gegenüber dem Kampf-Verlag und Herrn Dr. Strasser persönlich im Schreiben Dr. Goebbels vom 8. 2. 19271. 5. ) Diese Behauptung, für die Herr Dr. Goebbels nicht die Spur eines Beweises bringen konnte, ist so unerhört, daß sie mit Verachtung zurückgewiesen werden muß. Im übrigen hat der Kampf-Verlag erst aus dieser Meldung von dem Namen und den näheren Umständen der Goebbelsschen Zeitung Kenntnis erhalten.

1 Goebbels hatte damals dem „verehrten, lieben Herrn Dr. Strasser" mitgeteilt, „daß auf unseren Aufruf für unsere Verwundeten S.A. Kameraden in 3 Tagen ca. 700 M eingelaufen sind". Er fuhr fort: „Ich spreche Ihnen auch persönlich noch im Namen des Gaues unseren herzlichsten Dank aus für die Unterstützung, die die B.A.Z. dem Berliner Gau in vielen anderen Dingen, vor allem aber auch in dieser Angelegenheit hat zuteil werden lassen. "

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II. Vorwürfe Daluege. 6.) Es handele sich bei dem ganzen Streit um einen Machtkampf zwischen Gregor Strasser und Goebbels über Führerposten für den Fall des Ablebens von Herrn Hitler.

6. ) Die Sinnlosigkeit dieses Vorwurfes ist sogar aus der Mitteilung Dalueges über seine Unterhaltung mit Dr. Strasser ersichtlich, woraus hervorgeht, daß es sich bei dem Gespräch nur um einen Wechsel in der heutigen Besetzung der PropagandaAbteilung bezw. der S.A.-Führung

hat. Gerade dieses Gebeweist am besten die Loyalität Strassers gegenüber Goebbels, den Dr. Strasser auf Grund seiner Fähigkeit für die Übernahme der

gehandelt spräch

Propaganda-Abteilung

geeignet

hielt. Die falsche Ansicht Dalüges könnte auch von einer Unterredung anläßlich des Beisammenseins von

Daluege, Gregor

Strasser und Dr. Strasser herrühren, wo Gregor Strasser in Erinnerung an verschiedene Stunden des 1. Mai und 9. November 1923 halb scherzhaft erklärte: „Mein Ideal in der Bewegung ist immer Sturmabteilungsführer gewesen ; die Propaganda-Abteilung liegt mir letzten Endes nicht so, wie sie z. B. Herrn Dr. Goebbels liegen würde." III. Vorwurf Schweitzer.

7.) Dr.

Strasser hat

jüdisches Blut

in den Adern.

IV. Vorwürfe

Steiger.

8.) Gregor Strasser hat sein Verprechen gebrochen, die Kampf-Verlagszeitungen bei erreichter Rentabilität der Partei

7. ) Dieser Vorwurf ist einfach sinnlos. Abgesehen davon, daß die Familie Strasser wie aus den Familienurkunden ersichtlich ist, nachweislich rein arischen Ursprunges ist, waren beide Herren Strasser von 1914 bis 1919 an der Front und im Freikorps, was weder bei Herrn Dr. Goebbels noch bei Herrn Schweitzer der Fall ist. Im übrigen ist der Vorwurf jüdischer Abstammung das ebenso billige wie gemeine Mittel zur Infamierung innerhalb der völkischen Bewegung.

zu

schenken.

8. )

Abgesehen davon, daß der KampfVerlag auch heute noch nicht keinerlei Überschüsse

abwirft, ist diese Be-

hauptung geradezu unverständlich, da ein derartiges Versprechen auch nicht gesprächsweise gegeben wurde.

9.)

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9.)

Dieser Vorwurf ist eine durchsichtige Zwecklüge. Die Bezieherzahl

Der

Kampf-Verlag hat bei der heutigen Bezieherzahl von 15.000 zweifellos

große Überschüsse.

sämtlicher

10.)

Zwischen dem Kampf-Verlag und dem Scherl-Verlag bezw. der deutschnationalen Partei besteht eine direkte Verbindung im Sinne einer Abhängigkeit des Kampf-

Verlages.

11.)

Dr. Strasser ist der Beauftragte der Deutschnationalen und soll die Kampf-Verlags-Zeitungen in das deutschnationale Fahrwasser bringen.

12.)

Dr. Strasser hat von Herrn Steiger eine dauernde Überwachung des Herrn Dr. Goebbels gefordert.

Kampf-Verlagszeitungen

hat noch nie die Zahl von 8000 erreicht. Sie beträgt augenblicklich laut Ausweis der letzten Postmeldung 7826, das ist also jener Stand, von dem Herr Steiger selbst sagt, daß erst bei ihm sich gerade die Ausgaben und Einnahmen decken. 10. ) Diese Behauptung ist dumm und unwahr. Der Kampf-Verlag hat weder zum Scherl-Verlag noch zur deutschnationalen Volkspartei die geringste Verbindung. Er ist auch finanziell von keiner Einzelperson außerhalb der Partei im geringsten abhängig, da das Darlehen des Herrn v. Bruck für die Gründung des Kampf-Verlages von Gregor Strasser rein persönlich unter Verpfändung seines Landshuter Geschäftes aufgenommen wurde und ordnungsgemäß als Privatdarlehen verzinst wird. Der Name des Herrn v. Bruck ist Herrn Steiger dadurch bekannt geworden, daß Herr Steiger eines Tages Herrn Gregor Strasser bat bei v. Bruck vorstellig zu werden, daß Steiger seine Stellung als Redakteur im Berliner Lokal-Anzeiger nicht verliere, was er wegen seiner Zugehörigkeit zur N.S.D.A.P. und seiner Mitarbeit an der BAZ befürchtete. 11. ) Diese Lüge ist so unerhört, daß sie mit Verachtung zurückgewiesen werden muß. Interessant ist dabei nur, daß Dr. Goebbels Herrn Dr. Strasser als verkappten Marxisten, Herr Steiger ihn als verkappten Deutschnationalen sieht. Im übrigen wird auf die stets innegehaltene Tendenz der von der Parteileitung anerkannten Zeitungen verwiesen. 12. ) Diese Behauptung ist eine böswillige Verdrehung. Als Herr Dr. Goebbels nach Berlin kam, hat Herr Dr. Strasser auf wiederholten dringlichen Wunsch für ihn Quartier gemacht und zwar bei Frau Steiger mit dem Hinzufügen, daß auf diese Weise zusammen

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Gobbels,

der in Berlin einen Kreis kluger gleich und zuverlässiger Parteifreunde um sich habe und eine Pflege erfahre, die bei seiner körperlichen Schwäche besonders angenehm sei. Gerade auf Grund der persönlichen Fürsprache von Dr. Strasser bei Frau Steiger wurde die Wohnung Herrn Dr. Goebbels zu einem Vorzugspreis überlassen. gez. Gregor Straßer1 Herr Dr. fremd sei,

Dokument Nr. IS

Vorwürfe,

berechtigter Abwehr gegenüber Herrn Dr. Goebbels zu machen sind : 1. ) Herr Dr. Goebbels hat in einer Sitzung vor Berliner Parteifunktionären am Freitag, den 10. Juni 1927 eine Reihe von Vorwürfen und Nachrichten gegenüber dem Kampf-Verlag, Herrn Gregor Strasser und Herrn Dr. Otto Strasser erhoben, die die in

nachweislich unwahr sind und Herrn Dr. Goebbels als unwahr bekannt sein (Vergl. hierzu das Protokoll der Sitzung sowie die Zusammenstellung der in dieser Sitzung erhobenen Vorwürfe Nr. 1-5). 2. ) Herr Dr. Goebbels hat gegenüber verschiedenen Berliner Pg., so z. B. in einer Sitzung seines Redaktionsstabes, ferner gegenüber den Pg. Holz und Petrich erklärt, daß Herr Adolf Hitler den Leitartikel der neuen von Dr. Goebbels herausgegebenen Berliner Zeitung „Der Angriff" schreiben werde2. Die gleiche Erklärung hat Herr Dr. Goebbels durch seine Bezirksführer verbreiten lassen, wie aus der Bekanntmachung des Sektionsführers Rottmann in der Mitgliederversammlung vom 2. Juni 1927 hervorgeht. Herr Adolf Hitler hat demgegenüber in einer Unterredung mit Gregor Strasser in München am 10. Juni ausdrücklich und wiederholt erklärt, daß er Herrn Dr. Goebbels nie einen Leitartikel für seine Zeitung zugesagt habe (Zeugen: Pg. Holz, Petrich, Köhler, Schukart. Adolf Hitler und Gregor Strasser.) 3. ) Herr Dr. Goebbels hat in einer Gautagung am 15. April 1927 erklärt, daß nach seinem Weggang im Gau Ruhr eine Krisis ausgebrochen sei, die nunmehr behoben sei, sodaß es auch dort wieder langsam vorwärts ginge. Diese Behauptung wird von der Gauleitung Ruhr als glatte Lüge erklärt. (Zeugen: Dr. Strasser, Pg. Kern und Blank. Gauführer Kaufmann). 4. ) Herr Dr. Goebbels hat in einer Sitzung des Freiheitsbundes Ende März/Anfang mußten









-

April in einer Rede über seinen Werdegang folgende Behauptungen aufgestellt: a) Er sei bereits 1919 mit Adolf Hitler in München zusammen gewesen und seit dieser Zeit in der Partei tätig, b) Er sei dann bei Ausbruch des aktiven Widerstandes an die Ruhr geeilt und hätte sich dort betätigt. Aus dieser Arbeit sei dann die dortige N.S.D.A.P. unter seiner Führung entstanden. Beide Behauptungen sind Zwecklügen, dazu bestimmt seine Person mit dem Ansehen des alten Nationalsozialisten und Ruhrkämpfers zu umgeben. Aus dem Brief des Gauführers Ruhr geht demgegenüber einwandfrei hervor, daß Herr Dr. Goebbels erst 1925 Partei—

-

1

In fremder Handschrift.

2

Randbemerkung

Heinemanns: nein! falsch Hei

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mitglied wurde und sich nie bei dem aktiven Widerstand beteiligt hat. (Zeugen: Aussage Daluege gegenüber Dr. Strasser; Aussage Fräulein Zander gegenüber Herrn und Frau Koch. Pg. Holz und Petrich. Schreiben des Gauführers Ruhr vom

4. Juni

1927; Schreiben des Bezirksführers Koch an Fräulein Zander und den -

Kampf-Verlag vom 13. Juni 1927). 5. ) Herr Dr. Goebbels erklärte laut Aussage des Herrn Steiger in der Sitzung vom 10. Juni 1927, daß er für seine Schriftleitertätigkeit an den N.S.-Briefen keinen Pfennig Vergütung erhalten hätte. Diese Erklärung ist unwahr, da aus dem Brief des Kassenwartes der N.S.-Briefe, Pg. Schmitz vom 13. Juni 1927 hervorgeht, daß Herr Dr. Goebbels für seine Schriftleitertätigkeit insgesamt Mk. 1922,60 erhalten hat und zwar als einziger Mitarbeiter, während sowohl Herausgeber wie alle übrigen Mitarbeiter ohne jede Vergütung arbeiteten. Die Vergütung für Dr. Goebbels betrug anfangs Mk. 150.00 monatlich, während der Zeit seiner Berliner Gautätigkeit Mk. 60.00. (Zeugen: Pg. Holz, Petrich, Köhler. Schreiben des Kassenwartes der N.S.-Briefe Schmitz vom 13. Juni 1927). 6. ) Herr Dr. Goebbels hat in einem Briefe an Gregor Strasser vom 7. März 1927 sowie in verschiedenen Briefen an Pg. Schmitz, Elberfeld, behauptet, daß er die Schriftleitung der Nat.Soz.-Monatshefte in München noch keineswegs übernommen hätte, ihm vielmehr das Angebot zur Übernahme „soeben wie ein Blitz aus heiterem Himmel träfe". Diese schriftliche Bekundung Dr. Goebbels ist nachweisbar falsch, da Herr Amann dem Kampf-Verlag bereits unter dem 4. März 1927 offiziell mitteilte, daß Herr Dr. Goebbels die Schriftleitung der Monatshefte übernommen hat. Ein Beispiel für die gehässige Art und die Kampfesweise des Herrn Dr. Goebbels ist auch folgender Vorfall : Nach dem Verbot des Gaues Berlin hat der Sachverwalter des Gaues, Abgeordneter Haake mit Herrn Dr. Strasser vereinbart, daß in eine der nächsten Nummern der BAZ ein Aufruf veröffentlicht werden solle, in dem er (Haake) auffordert in der Zeit des Verbots die Presse besonders auszubreiten und als Bindemittel innerhalb der N.S.D.A.P. zu benutzen. Nach Erscheinen dieses Aufrufes in Nr. 23 der BAZ schrieb Dr. Goebbels an Haake, ob er einen Aufruf in der BAZ veröffentlicht habe. Als dieser (dem die Zeitung noch nicht vorlag und der infolgedessen in Unkenntnis war, um welchen Aufruf es sich handelt) die Anfrage verneinte, erklärte Dr. Goebbels dies als Beweis für Fälschungsabsichten des Kampf-Verlages ; u. W. hat Herr Dr. Goebbels darüber im gleichen Sinne nach München berichtet. Als Pg. Haake den Aufruf dann zu Gesicht bekommen hatte, war er sofort im Bilde und klärte Dr. Goebbels schriftlich über das Entstehen des Aufrufes auf. Ob Herr Dr. Goebbels diese Aufklärung nach München gerichtet hat, entzieht sich unserer Kenntnis. -

-

|Herrn

Dokument Nr. 161

Charlottenburg, d. 17./6. 27. Fritsche Str. 21. Sehr

geehrter Herr Hitler!

Die Berliner Verhältnisse haben sich in letzter Zeit derartig gestaltet, daß mir Ihre sofortige Anwesenheit dringend notwendig erscheint. Es besteht sonst die Gefahr der Vernichtung der Berliner Bewegung. Es handelt sich um den Gegensatz StraßerGoebbels. Hier muß sehr schnell eine Entscheidung getroffen werden. Dr. Goebbels hat das Verdienst, daß er es verstanden hat, die Berliner zu Höchstleistungen anzuspornen; er hat die Bewegung bekannt gemacht; aber es fehlt die innere Festigung und die Anleitung zu intensiver Kleinarbeit, die bes. jetzt notwendigist.

Insgesamt handschriftlich.

136

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Straßer hat durch die B.A.Z. der Berliner Bewegung ein wirkungsvolles Organ geschaffen. Das Erscheinen der B.A.Z. aber wird in Frage gestellt durch die neugegründete Wochenzeitung „Der Angriff". Würde dieses Blatt als Sonntagszeitung herauskommen können u. völlig unparteiisch aufgezogen erscheinen, dann könnte es sich wohl halten, ohne die B.A.Z. zu gefährden. Da aber Dr. Goebbels als Herausgeber zeichnet, so ist der Angriff dadurch als Parteiblatt gekennzeichnet. Da aber weiter sämtliche Pg. in Berlin u. Brandenburg u. darüber hinaus im Reiche zum Bezug aufgefordert worden sind, so richtet sich der Angriff gegen die B.A.Z. Es werden wahrscheinlich viele Pg. das neue Blatt bestellen u. gleichzeitig auf die B.A.Z. verzichten. Damit dürfte dann die B.A.Z., die sich bereits bewährt hat, verschwinden. Ob aber das neue Blatt sich einführt u. auch hält, kann niemand wissen. Das ist aber nur eine Sorge. Es kommt noch sehr viel anderes hinzu, das sich nur mündlich vortragen läßt. Ich bitte Sie, verehrter Herr Hitler, deshalb dringend, sich die Berliner Verhältnisse anzusehen u. zu regeln. Mit vorzügl. Hochachtung Ihr E. Holtz. Dokument Nr. 171

München, 19./21.

1)

In den von

Zeitungen

Erich Koch.

des

Vortrag. Kampfverlages erschien am 23. 4. „Folgen der Rassevermischung"

Juni 1927

27 ein Artikel

Dr. Goebbels hat den Artikel auf sich bezogen u. vom Kampfverlag ausgehend. H. Hitler erhielt noch am 23. 4. 27 durch Dr. Goebbels Kenntnis u. versprach mit den Gebr. Straßer Rücksprache zu nehmen. Erfolgt ist darauf Nichts; nur versicherte Pg. Erich Koch/Elberfeld in einem Briefe v. 26. 4. 27 an Dr. Goebbels, daß er der alleinige Verfasser des Artikels sei u. zwar ohne an eine Spitze gegen Dr. Goebbels gedacht zu haben. Nunmehr ruhte die Sache bis zum 4. 6. 27, wo Dr. Goebbels durch Pg. Dr. med. Steintel, Berlin N. 24, Oranienburgerstr. 37 erfuhr, daß Dr. med. Kern, Berlin-Schöneberg, Wexstr. 61 u. F. J. Wehrmann, Berlin W. 57, Großgörschenstr. 31 diesem 3 Tage vor Erscheinen des Artikels erzählt hätten, daß sie im Einverständnis mit Dr. Otto Straßer den Artikel mit voller Tendenz gegen Dr. Goebbels verfaßt u. als Strohmann dafür den Pg. Erich Koch gefunden hätten. Dr. Steintel sei bereit, diese seine Aussage zu beeiden. Dem steht gegenüber die Aussage des Pg. Erich Koch in seinem Briefe v. 26. 4. 27 an Dr. Goebbels und in der protokollarisch festgelegten Vernehmung am 17. 6. 27 durch H. Hitler, wonach Erich Koch sich als alleiniger Verfasser des Artikels bekennt u. zwar ohne jede Beeinflussung von 3. Seite u. ohne jede Tendenz gegen Dr. Goebbels. Sodann der Brief des Dr. Kern v. 11. 6. 27 an Dr. med. Steintel, worin Dr. Kern sich gegen die Verdrehung der Unterhaltung durch Dr. Steintel verwahrt und eine entsprechende Richtigstellung verlangt. 1 Insgesamt handschriftlich (Heinemann). Auf dem Rand sind angeführt zunächst vier Zahlen, offenbar die Mitgliedsnummern der erwähnten Parteigenossen (Dr. Steintel No. 58431 ; Dr. Kern No. 29793; Wehrmann No. 5878; Dr. Strasser No. 23918), später NummernHinweise auf die in vorliegender Dokumentation vorangehenden Dokumente (Nr. 7ff.), die

mit dieser Vortragsnotiz zusammengeheftet waren. Vorliegende Notiz besteht im Original aus 2 Blatt; die letzte (4.) Seite beinhaltet das Ergebnis des Vortrags (hier durch einen * abgetrennt).

137

Dokumente

2)

3)

Bevor feste Stellung genommen werden kann, wäre notwendig: a) schriftliche Festlegung der Aussage durch Dr. Steintel u. b) schriftliche Avissage des beteiligten Pg. Wehrmann. Sofort wäre die von Dr. Goebbels gewünschte Erklärung im V.B. zu geben, in der die Schwindelnachrichten in der gegnerischen Presse unzweideutig dementiert werden. Zu verurteilen ist es, daß der Gegenstand dieses Streites bereits in Versammlungen in den Bäumen des Frauenordens durch Dr. Steintel öffentlich behandelt worden ist. Dr. Kern beschwert sich am 13. 6. 27 beim U. u. Schi. A. über die Antwort der Gaugeschäftsstelle Berlin v. 11. 6. 27 auf seinen Brief v. 10. 6. 27, in der er eine infamierende Beleidiung erblickt. Die Beschwerde erscheint begründet, da eine volle Aufklärung der ganzen Sache nicht versucht, sondern lediglich auf die Aussage des Dr. Steintel hin ein abschließendes Urteil gebildet wurde. Für die von Dürr im Auftrage des Dr. Goebbels gegebene, beleidigende Antwort ist Dr. Goebbels verantwortlich. Ein abschließendes Urteil kann erst nach Erledigung von Ziff. 1 gegeben werden. Am 15. 6. 27 beschwert sich Gregor Straßer darüber, daß Dr. Goebbels in einer Funktionärsitzung am 10. 6. 27 über ihn unerhörte Behauptungen1: Abstammung von Juden, abhängig vom Großkapital usw. aufgestellt habe. Es könnte dies durch 2 Zeugen erhärtet werden. Einstweilen hat Straßer durch Brief v. 12. 6. 27 Dr. Goebbels aufgefordert, dieselbe Versammlung nochmals einzuberufen, damit er u. sein Bruder sich äußern können. Dr. Goebbels bestreitet im Briefe v. 15. 6. 27 an Straßer die behaupteten

Angriffe.

1) 2)

1) 2) 3)

*

Am 20. u. 21. 6. 27 Aussprache Dr. Goebbels, Chef, Hess u. Heinemann. Abschluß der ganzen Sache durch Hitler in einer Besprechung Bekanntgabe im V.B. gegen die Erklärung in marx. Blättern2

Am 20. und 21. 6. 27 fanden längere Aussprachen statt zwischen H. Hitler u. Dr. Goebbels. Anwesend dabei: Heinemann u. Hess. Ergebnis vom 21. 6. 27. Herr Hitler wird persönlich in möglichst großem Kreise aller Beteiligten in Berlin einen Abschluß der ganzen Sache herbeiführen, womit alle Ansprüche Einzelner auf Genugtuung irgend welcher Art erledigt sein sollen. Alsbaldige Erklärung Hitler's im V.B. als Dementi der Schwindelnachrichten in marxistischen Blättern über ein Zerwürfnis zwischen Hitler u. Dr. Goebbels. Übernahme der neuen Zeitung „Der Angriff" durch den Verlag Eher's Nachf.3 21. Juni 1927 Heinemann

München,

Randbemerkung: ist nicht geschehen! Aussage Dr. Goebbels. Diese drei Zeilen Bleistiftnotiz. 3 „Der Angriff" erschien dann als „Das deutsche Montagsblatt in Berlin" (Wochenblatt bis September 1929, dann wöchentlich zweimaliges und schließlich ab November 1930 tägliches Erscheinen) mit seiner Nr. 1 am 4. Juli 1927 im eigenen Verlag, einer GmbH „Der Angriff", an der der Parteiverlag Franz Eher Nachf. und der Gau Berlin beteiligt waren. Ganz von Eher übernommen wurde der „Angriff" erst im November 1933. 1

2

Dokumente

138

Dokument Nr. 18

(Aus:

Völkischer Beobachter

vom

25. Juni 1927)

Der Wunsch ist der Vater des Gedankens

„Berliner Tageblatt", „Vossische Zeitung", „Welt am Abend" und andere „deutsche" Blätter wußten neuerdings zu berichten von einem „Bruderzwist im Hause Hitler", von „feindlichen Brüdern", daß in der N.S.D.A.P. eine „Zwietracht Hitler kontra Goebbels" ausgebrochen sei, daß ich Dr. Goebbels tüchtig den „Kopf

gewaschen" hätte und daß ich einem oft genannten Führer der nationalen Bewegung gegenüber geäußert hätte, ich „sei mit den Agitationsmethoden Dr. Goebbels nicht einverstanden ". Ich erkläre hierzu: Alle obigen Behauptungen sind von der jüdischen Journaille zu durchsichtigen Zwecken frei erfunden. In meinem Verhältnis zu Herrn Dr. Goebbels hat sich nicht das Geringste geändert, er genießt nach wie vor mein vollstes Vertrauen. Adolf Hitler.

PERSONENVERZEICHNIS

Kurt 14, Ulf., Gengier, Ludwig Franz 71 114, 116f.,127,129f.,132, Gensicke, Elisabeth 33, 34, 39 135 Ahrmeier 106 Geyer 112, 118 Dietrich, Hans 102 Allwörden, Wilhelm v. 75 Gleichen, Heinrich Frhr. v. 130 Amann, Max 135 Dincklage, Karl 28, 55, 39f., Arnold 22, 55, 66 f., 84, 87 Gmelin 66, 68 109 Dinter, Artur 22f., 60, 67, Gmelin, Otto 89 f. 87f., 97 Aßmann, Eberhard 127 Goebbels, Elsbeth 20, 22, 26, 31 f., 40, 47, 50, 64f., 69, Dolle, Heinrich 42 Bausch 106 Dürr, Dagobert E. 117, 126f., 82, 85, 96ff., 105 137 Bauschen, Heinrich 22, 37, Goebbels, Friedrich 8ff., 22, 47, 53, 65, 70f. 26, 31 f., 40, 50, 69f., 82, 38 Bechstein 44, 58, 87, 119 Else 28, 32, 85, 98 Ebeling, Beer 101 f. Eckart, Dietrich 66, 91 Goebbels, Hans 8, 32, 50 Behr, Arturv. 65, 108 Elbrechter, Helmuth 19,26f., Goebbels, Hertha 52, 50 Behr, Josefme v. 62, 65, 87, 36, 43, 55ff., 63ff., 68, 77, Goebbels, Katharina 9f., 22, 103f., 107 f. 82ff., 86, 100, 104, 106ff. 25f., 51 f., 40, 43, 47, 54, Beiner, Herbert 69 64, 69, 82, 85, 90, 97f. Eringer, Sepp 94 Berchtold, Joseph 95 Ernst, Walter 59, 67 Goebbels, Konrad 8, 20, 50, 69 Beyer, Gerhard 34f., 48, Essen, Wolf 28, 49 52f., 84 Esser, Hermann 21 f., 31, Goebbels, Maria 8, 12, 26, 31 f., 40, 47, 64, 66, 69, Blank 134 34f., 40, 60, 65, 78, 80 Etterich 22 Blüthgens, Viktor 103 82, 85, 97f., 105 Boepple, Dr. Ernst 73 Goß, Anton 75 Borsig 119 Feder, Gottfried 43, 55 f., Graefe (-Goldebee), Albrecht v. 56, 44, 66 Bouhler, Philipp 71 58, 60, 63f., 79f., 87 Brenger 29, 36 Gregor 69 Fiedler 119 Grunke 75 Breuer 58 Fischer, Ruth 52 82 Brinkmann, Paul 58 f. 11 Flisges, Richard 6, f., 39, Günther 79,Friedrich Bruch 22 Gundlach, 66, 87 86 73, Bruck, Fritz vom 57,63,130, Fobke, Hermann 26, 29, 61 Gundolf, Friedrich 11 133 Gutsmiedl, Franz 115 Fock, Gorch 53 Brückner, Helmuth 78 Helmut 86, 106, 118, Franke, Buch, Walter 71 127 Haake, Heinrich 59f., 82f., Buchner, Hans 94 135 Frick, Wilhelm 43, 80, 126 Buttmann, Rudolf 61 Fritzsche, Hans 6 Haase, Ludolf 26, 28f., 46 Hagemann 111, 114 Chamberlain, Eva 77 Gansser, Emil 66 Hallig 45 Chamberlain, Houston SteGansser, Hans 66, 68, 80 Harther, Herwig 63 wart 77, 103 Gebhard 106 Haselmayer, Anton 102 Claß, Heinrich 101, 103 Hastedt, Fritz 82, 108 Geiger 104

Achenbach 88

Ahlemann, Georg- 40,

55

Daluege,

140

Personenverzeichnis

Hauenstein, Heinz Oskar 107, Kaufmann, Karl 13, 16, 19, Mann, Thomas 45 114, 129 21, 25ff, 27ff., 45ff., 51 f., Manteuffel-Ratzdangen, Baron v. 103 Hauff 80 54ff., 63ff., 75ff., 81 ff., Emil 90, 92, 95, Hein 19 Maurice, 88f., 95, 100, 103f., 106, 105 Heinemann, Bruno 7, 71, 108f., 121, 125, 134 Kaumann 78 May, Otto 71 lllff., 125, 134, 156 f. Hellermann 42 Leo 50 Mérimée, Prosper 86 Rausch, Hentschel 79 Hergt, Oskar

52,

Hertzberg-Lottin,

Kerling, 52 Gertzlaff

Bärbel 68

Rem, Rarl 114, 117, 122, 128, 130f., 134, 136f.

Moeller van den Bruck, Artur 48, 51 f., 55 Mücke, Helmuth v. 107

Munder, Eugen 66, 70, 73f., Rerrl, Hanns 59, 87f. 80f., 87, 104f. Resseler, Toni 28, 44f., 59f., Murr, Wilhelm 66 66, 68, 74, 82 Mussolini, Benito 62 Rimmich, Axel 26 95 Rlagges, Dietrich 29, 41 f., Mutschmann, Martin 43, 80 Hildebrandt, Friedrich 45, 55 81, 97 Naschiwin, Iwan 75 f., 85 Himmler, Heinrich 29, 72, Klant, Josef 57, 59, 75 87, 109 Kloppe, Fritz 67 Naumann, Werner 6 Näher 74 Hinkel, Hans 56 Knickmann, Ludwig 42 Hitler, Adolf 5, 12ff., 20ff., Knodn 112 26f., 50ff., 43 ff., 50 ff., Roch,Erich 61, 82, 86,120ff, Odenhausen, Hans 99 55f., 58ff., 65f., 68, 70ff., 125, 127 f., 150, 135 f. Oldag 54 78ff., 87, 89ff, 94f., 100, Röhler 127, 134 f. Pachnicke 98 105, 109, lllff., 119, 121, König 20, 41, 114 Kömer 127 123 ff., 131 f., 134ff. Peppmüller, Friedrich 74 Perret 27, 50, 98 Höß, Rudolf 16 Koop 45 Petrich 126 f., 130, 134f. Rorbe 112 Hoffmann, Heinrich 89 f. Pfeffer, Franz v. 26, 28ff., 34, Hoffmann, Paul 65, 67, 96, 118 46, 48, 50, 53ff., 64ff., 109 Leipert 96, 69ff., 74,76, 78f., 81 ff., 95 Hohagen 19 Lenin 27, 33, 43, 45, 50ff, Hohnfeldt 62 68 Prang, Fritz 12f., 68f., 97 Holtz 7, 117, 126f., 129f., Proeis 90, 95 Levy 119 134 ff. Ley,Robert26, 31, 55f.,59f., Huch, Ricarda 23 71 Raabe, Wilhelm 101 Hüttmann, Wilhelm 38, 70 Lippert, Julius 127 Rathenau, Walther 11, 36 Hummel 118 Lochmüller, Benedikt 102 Raubal, Geh 73, 90, 105 Huribrink 75, 78 Lobbert 100 Rehm, Rudolf 44, 58, 103f., Hustert, Hans 28, 48, 50f., Löblen 87 108, 114, 118, 127 53, 57f. Lohse, Hinrich 26, 42, 55, Reichenbach 63, 107 Reventlow, Emst Graf zu 59, 61, 75, 99 44, 63 Ibsen, Henrik 48 Ludendorff, Erich 31, 36, 44, 47, 55, 79, 94f. Ripke 19, 21, 28, 31 Jansen, Werner 50 Lukas, Werner 50, 52f., 70f. Röhm, Emst 29 Juckeland 63, 107 Lumpsack 50, 98 Rosenberg, Alfred 34, 42, 71 ff., 80, 87 Lumpsack, Lotte 50, 97 f. Jünger, Ernst 54, 86 Rosikat 29, 78f., 84, 106ff. Jünger, Friedrich Georg 86 Lurke, Elisabeth 35 Rossteutscher 114 Jung, Rudolf 29, 64 Lutze, Paula 86, 96, 108 Lutze, Viktor 22, 24, 28, 30, Rottmann 134 Kant, Immanuel 59, 62 65, 76, 79 f., 82 ff., 86, Rühl 112, 119 95 f., 103, 106, 108 Rust, Bernhard 39f., 59ff., Karnerbeck, Willy 69, 98 87f., 92, 94f., 106, 108 Kaufmann, Alfred 54f., 39, 70 v.

102

Heß, Rudolf 65, 124f., 157 Hess, Willi 19ff., 25, 29, 58, 40, 48, 50, 59, 71 ff., 89ff.,

Personenverzeichnis Sand 81

141

Stalherm, Anka 11 f., 20, 22, Trotzki, Leo 94 Schauwecker, Franz 86 24, 27, 33f., 45, 59, 70, Tschitscherin, Georgij 57 Scheidemann, Philipp 28, 52 73, 75, 81 Schemm, Hans 77, 102 Steiger, Hans 107, 127, 129f., Uhse, Bodo 41 132 ff. Schemmen, Johann 98 Schenk 112 Steinbart 117 Vahlen, Theodor 26f., 55, Schenker 127 Steintel 122, 127 f., 130, 59 ff. 156 f. Scherr, Johannes 120 Scherwitz, Bruno Gustav 61 f. Stennes, Walter 28 Wagner, Josef 100 Scheubner-Richter, Max Er- Stier, Albert 103 Wagner, Richard 77, 85, 101 win v. 89 Strasser, Gregor 13f.,16, 19, Wagner, Siegfried 77 21 f., 26, 29ff., 34, 36f., Wagner, Winifred 77 Schiffer, Robert 36 Ernst 55, 44, 42ff., 46, 49, 52ff., 69ff., Wedel-Parlow, Karl Maria v. Schlange, 58, 60f., 75, 82, 103, 80, 82ff., 87ff., 92, 94ff., 106, 109 Ulf. 98 f., 104ff., 112f., 121, Wefer 78 124ff., 128ff. Wehrmann, F. I. 114, 122, Schlumpberger 80, 104 Schmerfeld, Atta 47, Sl Strasser, Otto 29, 43 f., 55f., 128, 130f., 136f. Schmiedicke, Erich 103, 58, 60 f., 65, 82, 100, 107, Weidle, 66, 74, 80 lllff. 114, 121 ff., 125, 128 ff. Westarp, Graf Kuno v. 32 Schmitz, Paul 30, 38, 44, 50, Streicher, Julius 22, 35, 37, Wetter, August 80 52, 57, 60, 74, 78, 83f., 60ff, 65f., 71, 78, 80, Wiegershaus, Franz v. 13 87 f. 96, 100, 108, 135 Wienurowsky, Iwan 39 Schneider 41 f., 75f. Stresemann, Gustav 31, 35 f., Wierheim, Albert 109 63 Schneider 66 Wilke, Franz 117, 127, 130 Stucke 124 Schranz, Helmuth 95 Wirth, Josef 52 Schreck, Julius 73 Studentkowski, Werner 106, Wolff, Theodor 12 Schukart 134 Wolter Ulf. 109, 117 Schwarz, Franz Xaver 71 Stürtz, Emil 22, 67, 100 Wulle,Reinhold 31, 36, 41,44 Schwarz, Hans 55 Schweitzer, Hans 107, 127, Zahneisen, Lorenz 77 Teipel, Heinrich 29, 32 129, 132 Terboven, Josef 49, 70, 76, Zander 127, 129, 135 Seeckt, Hans v. 80 82, 96 Zetkin, Klara 44 Sender 79 Theyssen 68 Ziegler, Hans Severus 59, 67f. Thiede 126 Sendler, Toni 87 Ziegler 101 f. Zuckelmann 106 Severing, Carl 30, 33, 36f. Tönissen, Jakob 99 79 Tonak, Albert 119 Zuckmayer, Carl 102

INHALT

Einleitung. Das

Tagebuch von 1925/26

...

Dokumente.

5 19 111

Personenverzeichnis. 139

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Im

Auftrag

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Zeitgeschichte München herausgegeben von

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mit Franz Schnabel, Ludwig Dehio, Theodor Schieder. Conze, Karl Dietrich Erdmann und Paul Kluke Schriftleitung: Dr. Helmut Krausnick, München 27, Möhlstr. 26

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„Die ,Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte' gehören, da sie die einzige wissenschaftliche Zeitschrift über die letzten Jahrzehnte unserer immer noch nicht bis ins letzte aufgeklärten Geschichte sind, nicht nur in die historischen Seminare, sondern in die Hand eines jeden, der sich ein objektives Urteil über die jüngste Vergangenheit Deutschlands erarbeiten will, zumal die Zeitschrift, mit ihrem Herausgeber gesprochen, sich jeglicher Apologetik und Selbsterniedrigung enthält. Es kursieren in unserem Volk zu viele falsche Urteile über unsere eigene Geschichte, weil wir zu wenig über sie wissen. Die ,Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte' bieten die Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen." Bayerischer Rundfunk „Diese rein wissenschaftliche schichte des 20. Jahrhunderts und zwar auch dort, wo es sich handelt."

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