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German Pages [308] Year 1993
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tOtnXS Juristische Ausbildung
Extra herausgegeben von Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen, München Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen, Münster Prof. Dr. Klaus Geppert, Berlin Prof. Dr. Philip Kunig, Berlin Prof. Dr. Dr. h. c. Harro Otto, Bayreuth Prof. Dr. Klaus Schreiber, Bochum
Walter de Gruyter · Berlin • New York
Urna Extra Das Jura-Studium 2., neubearbeitete Auflage
Herausgegeben von
Dagmar Coester-Waltjen Hans-Uwe Erichsen Klaus Geppert Philip Kunig Harro Otto Klaus Schreiber
w DE
G Walter de Gruyter & Co · Berlin · New York · 1993
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnähme
Das Jura-Studium / hrsg. von Dagmar Coester-Waltjen . . . — 2., neubearb. Aufl. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Jura : Extra) ISBN 3-11-013954-5 NE: Coester-Waltjen, Dagmar [Hrsg.]
© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Saladruck, D-1000 Berlin 36. Buchbinderei: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, D-1000 Berlin 10.
VORWORT
Das Buch ist als Einführung in das juristische Studium und als Ratgeber während des Jurastudiums gedacht. Es richtet sich daher sowohl an Abiturienten und Studienanfänger als auch an Studenten in fortgeschrittenen Semestern. Die am juristischen Studium interessierten Abiturientinnen und Abiturienten finden umfassende Informationen darüber, was sie bei der Entscheidung zum Jurastudium beachten sollten, was sie in ihrem zukünftigen Studium erwarten wird und welche Studienmöglichkeiten es in Deutschland gibt. Den Studienanfängern bietet das Buch wertvolle Informationen und praktische Tips, um frühzeitig die Weichen für ein erfolgreiches Jurastudium zu stellen. So werden die juristische Arbeitsmethode, die juristischen Arbeitsmittel und die Übungen in der Ausbildung eingehend behandelt. Den Möglichkeiten zur Finanzierung des Studiums ist ein besonderes Kapitel gewidmet. Für fortgeschrittene Studierende sind Fragen nach einer sinnvollen Schwerpunktsetzung und zu den Anforderungen des ersten juristischen Staatsexamens von besonderem Interesse. Hierauf gibt das Buch kompetente Antworten und informiert darüber hinaus über die Möglichkeit eines Auslandsstudiums und der juristischen Promotion. Für Abiturienten, Studienanfänger und fortgeschrittene Studentinnen und Studenten gleichermaßen von Nutzen ist die Darstellung der vielgestaltigen juristischen Berufsfelder aus der Sicht erfahrener Praktiker. Die Kenntnis des jeweiligen Anforderungsprofils bietet eine wesentliche Orientierungshilfe zur erfolgreichen Wahl und Gestaltung des Studiums.
Die Herausgeber
INHALTSVERZEICHNIS
1. Kapitel: Der Entschluß, Jura zu studieren
von Prof. Dr. Thomas Raiser; Berlin und Wiss. Mitarbeiter Hans Jörg Graf; Gießen Anhang: Auszug aus dem Deutschen Richtergesetz (DRiG)
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2. Kapitel: Juristische Tätigkeit: Gesetzesanwendung als Gesetzesauslegung
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3. Kapitel: Juristische Arbeitsmittel
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A. Der Umgang mit der Literatur B. Der Computer als Arbeitsmittel? von Prof. Dr. Klaus F. Röhl; Bochum
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von Prof. Dr. Dr. h. c. Harro Otto; Bayreuth
4. Kapitel: Die Übungen in der Ausbildung
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A. Methodik der Fallbearbeitung, dargestellt am Beispiel des Zivilrechts 59 von Dr. Burkhard Heß, wissenschaftlicher Assistent; München B. Hinweise für die Anfertigung von Klausuren und Hausarbeiten 78 von Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen; Münster
5. Kapitel: Die Erste Juristische Staatsprüfung
von Prof. Dr. h. c. Hans Kauffmann, Ministerialdirigent a. D., Präsident des Justizprüfungsamtes a . D . ; München und Heino Schöbel, Ministerialdirigent, Präsident des Justizprüfungsamtes; München
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6. Kapitel: Die Finanzierung des Studiums
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7. Kapitel: Das Auslandsstudium
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von RA Horst Bachmann, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks; Bonn
von RA Dr. Martin Clausnitzer, LL.M.; Freiburg und Stud. iur. Rosemarie Keller; Freiburg
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Inhaltsverzeichnis
8. Kapitel: Die rechtswissenschaftliche Promotion . 149 von Prof. Dr. Dr. Eugen D. Graue; Kiel
9. Kapitel: Die juristischen Berufsfelder A. Der Berufseinstieg von Herbert Herritsch; Kronberg/Taunus B. Frauen in juristischen Berufen von Antje Sedemund-Treiber, Präsidentin des Bundespatentgerichts; München und Ellen Chwolik-Lanfermann, Richterin am Oberlandesgericht; Bonn/Oberhausen C. Die einzelnen Berufsfelder 1. Richter von Helga Oltrogge, Präsidentin des OLG; Celle 2. Staatsanwalt von OStA Dr. Joachim Erbe; Berlin 3. Rechtsanwalt von RA Prof. Dr. Konrad Redeker; Bonn 4. Notar von Notar Dr. Karl Winkler; München 5. Juristen in der öffentlichen Verwaltung von Dr. Magnus G. W. Staak, Vorstand des Städtebundes Schleswig-Holstein i. R.; Kronshagen 6. Juristen in internationalen Organisationen von Prof. Dr. Hans-Jürgen Bartsch; Berlin/Straßburg 7. Juristen in der Wirtschaft von Dr. Hans-Hermann Kasten, Allianz-Versicherung; München 8. Juristen in Banken und Versicherungen von Dr. Dietrich Rümker, Chefsyndikus der Westdeutschen Landesbank; Düsseldorf 9. Juristen in den Medien von Dr. Eva Marie von Münch, Journalistin; Hamburg D. Als Jurist in den neuen Bundesländern von RA Dr. Ulrich Born, Justizminister a . D . ; Schwerin
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Anhang: Die rechtswissenschaftlichen Fakultäten und Fachbereiche in Deutschland mit Angabe des dort erhältlichen Informationsmaterials und der Zusatzangebote zum Studiengang
Sachregister
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1. KAPITEL
Der Entschluß, Jura zu studieren Thomas Raiser/Hans-Jörg Graf
I. Einführung Wenn ein Jurastudent und eine Jurastudentin nach Abschluß des Studiums die Universität verlassen, werden sie merken, daß sie andere Menschen geworden sind. Sie werden dazu neigen, alle Lebensvorgänge rechtlich einzuordnen und zu werten, sozusagen durch die juristische Brille zu sehen. Die Jurisprudenz leidet, im Gegensatz etwa zur Medizin und zu vielen Naturwissenschaften, an einer gewissen Unanschaulichkeit. Sie gilt als trocken. Das hat zwei Gründe: erstens sind ihr Thema gesellschaftliche Prozesse, die sich nicht so leicht erkennen lassen und die beurteilen zu können eine fortgeschrittene Lebenserfahrung voraussetzt. Auch werden in der Schule Gegenstände und Methoden des Rechts selten aufgegriffen, eine Berührung mit dem Rechtsleben findet kaum statt. Zum zweiten fordert die Beschäftigung mit dem Rechtssystem ein intellektuelles Training, das weit überdurchschnittliche Ansprüche stellt. Infolgedessen stoßen die akademischen Anfänger fast regelmäßig auf Schwierigkeiten, die sich erst im Verlauf mehrerer Semester überwinden lassen und ein beträchtliches Durchhaltevermögen verlangen. Zu Beginn sieht es leicht so aus, als sei die Jurisprudenz mit der Logik und Mathematik am nächsten verwandt: es gilt, eine Rechtsfrage oder einen Fall unter den einschlägigen Gesetzesparagraphen — den man finden muß — zu „subsumieren", und die Lösung folgt dann aus einer einfachen logischen Denkoperation. Später wird der Student merken, daß die Logik nur ein notwendiges, nicht aber ein hinreichendes Instrument juristischen Denkens darstellt und die rechtliche Wertung als maßgebliches Element hinzukommt. Das gesellschaftliche und politische Leben wird mit Hilfe der Gesetze nach bestimmten Wertvorstellungen gestaltet,
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Thomas Raiser/Hans-Jörg Graf
die sich am Ideal der Gerechtigkeit orientieren. Streitigkeiten müssen aufgrund wertender Beurteilung entschieden werden. Die Maßstäbe und Leitvorstellungen, auf die dabei zurückgegriffen werden muß, sind in Jahrhunderten gewachsen, in den großen Gesetzeskodifikationen, ζ. B. im Grundgesetz, im Strafgesetzbuch, im Bürgerlichen Gesetzbuch, niedergelegt und im System der Rechtswissenschaft sozusagen „aufgehoben". Ziel des juristischen Studiums ist es daher, sich den Inhalt der Gesetze einzuprägen, vor allem aber durch diese hindurch die hinter ihnen stehenden Rechtsprinzipien verstehen und handhaben zu lernen. Es geht, um einen Vergleich zu gebrauchen, darum, sich neben dem rechtlichen Vokabular auch die juristische Grammatik anzueignen. Da die Interessen und Wertvorstellungen in der gesellschaftlichen Realität oft gegeneinander stehen, muß der Jurist zwischen ihnen abwägen und sie zum Ausgleich bringen.
II. Die rechtlichen Rahmenbedingungen Einen detaillierten Überblick über die Juristenausbildung in Deutschland zu geben ist ein mühsames Unterfangen. Infolge des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik ist sie Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung, so daß der Bund nur die Grundstrukturen festgelegt hat. Diese sind im deutschen Richtergesetz 1 geregelt, und zwar im zweiten Abschnitt, der vom Erwerb der „Befähigung zum Richteramt" handelt. Sie sehen eine zweistufige Ausbildung in Form eines Universitätsstudiums mit Abschluß „Erste Juristische Staatsprüfung" (Referendarexamen) und eines Vorbereitungsdienstes mit Abschluß „Zweite Juristische Staatsprüfung" (Assessorexamen) vor. Charakteristisch für die deutsche Juristenausbildung ist, daß die Befähigung zum Richteramt zu allen volljuristischen Berufen qualifiziert und für die meisten Zugangsvoraussetzung ist 2 . Das geltende Recht geht also vom Prinzip des „Einheitsjuristen" aus, dessen Berechtigung allerdings manchen Zweifeln ausgesetzt ist. Den bundesrechtlichen Rahmen haben die einzelnen Bundesländer durch landeseigene Juristenausbildungsgesetze (JAG) ausgefüllt, die in den Grundzügen übereinstimmen, in Einzelheiten aber voneinander abweichen. Soweit die Juristenausbildungsgesetze keine abschließende Regelung treffen, sind die Landesregierungen ermächtigt, Juristenausbil-
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Abgedruckt im Anhang zu diesem Beitrag. Vgl. z.B. § 13 Abs.2 N r . 4 i . V . m . § 1 4 a Abs. 1 Nr. 1 Beamtenrechtsrahmengesetz; § 19 Abs. 1 Nr. 2 Bundesbeamtengesetz; § 4 Bundesrechtsanwaltsordnung; § 5 Bundesnotarordnung.
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dungsordnungen und Prüfungsordnungen (JAPO) zu erlassen. Diese sind dann die Grundlage für die Studienpläne der juristischen Fachbereiche an den Universitäten und für die praktischen Studienzeiten außerhalb der Universität; im einzelnen zu diesen gesetzlichen Grundlagen der Ausbildung vgl. unter V 1. Eine vollständige Liste der landesrechtlichen und universitätsspezifischen Besonderheiten ist an dieser Stelle nicht möglich. Jedoch werden Kernpunkte bezüglich der Studieninhalte und des Ersten Juristischen Staatsexamens im folgenden dargestellt. Jeder am Jurastudium Interessierte sollte sich über die am gewünschten Studienort gültigen Regelungen informieren, indem er dort die entsprechenden Unterlagen anfordert.
III. Studienbeginn 1. Vorüberlegungen a) Dauer des Jurastudiums Die juristische Ausbildung ist lang. Sie umfaßt nach § 5 a Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes 7 Pflichtsemester, ferner ein anschließendes Prüfungssemester, d. h. bis zum Abschluß des Referendarexamens benötigt man wenigstens vier Jahre. Tatsächlich dauert das Studium in Deutschland gegenwärtig jedoch an kleineren Universitäten im Durchschnitt zwischen 1 0 und 12 Semestern, an den großen Universitäten bis zu 13 Semestern. In den letzten Jahren hat sich allgemein die Ansicht durchgesetzt, daß diese Dauer zu lang ist, nicht zuletzt im Vergleich mit den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. M a n versucht auch, etwas dagegen zu unternehmen. Ein hoffnungsvoller, aber nur erster Schritt ist die Einführung des sog. „Freischusses" (s. unten VI.). Es folgen der künftig zweijährige Vorbereitungsdienst (Referendarausbildung, § 5 b Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes), und die Assessorprüfung, die etwa ein halbes J a h r in Anspruch nimmt. Bei Einhaltung der vorgegebenen Mindestzeiten sind das sechs Jahre; eine realistische Kalkulation sollte jedoch von wenigstens sieben Jahren ausgehen. W e r promovieren will, muß die dafür erforderliche Zeit noch hinzurechnen. b) Eignung und Neigung zum Jurastudium Die Wahl des Studienfaches Rechtswissenschaft setzt Eignung und Neigung zur Jurisprudenz voraus. Die Eignung muß sich an den intellektuellen Anforderungen des Studiums und an der Fähigkeit orientieren, gesellschaftliche Prozesse zu verstehen. Als Kriterium für das erste pflegt man die Leistungen in den „anspruchsvollen" Schulfächern (Deutsch,
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Mathematik, Latein, moderne Sprachen, aber durchaus auch naturwissenschaftliche Fächer) heranzuziehen, für das zweite die Leistungen in Geschichte, Gesellschaftslehre und evtl. Wirtschaftslehre. Wichtig ist auch eine auf das gesellschaftliche Leben bezogene Allgemeinbildung und Erfahrung, die sich zum Beispiel im Engagement in Vereinen, politischen Gruppen u. ä. ausdrücken kann. Dagegen sind primär gesellschaftspolitische Motive ein ungeeignetes Kriterium, zumal wenn sie nicht auf den Gegenstand des Rechts bezogen sind und von einem verschwommenen oder gar verzerrten Berufsbild des Juristen ausgehen, wie es in der Bevölkerung nicht selten anzutreffen ist. Wer nur aus selbstlosen Motiven das Jurastudium ansteht, um anderen helfen zu können, wird Schwierigkeiten bekommen. Denn das Studium verlangt, vor allem in der ersten Phase, das Erlernen von Arbeitstechniken, Verstehen von Zusammenhängen und Aneignen von Gesetzesvorschriften, also alles andere als praxisnahe Sozialarbeit. Allerdings wird soziale Tätigkeit in leitenden Positionen als künftiger Beruf die theoretische Schulung voraussetzen. Daß Unentschlossenheit über den künftigen Beruf, unspezifisches Streben nach sozialer Geltung oder nach gehobenen Positionen und hohem Einkommen kein zureichendes Eignungskriterium sind, sollte sich von selbst verstehen. Alle juristischen Berufe verlangen, sich ständig Rechenschaft über Recht und Unrecht abzulegen, über andere Menschen danach zu urteilen, ihnen zu raten und nicht selten lebenswichtige Entscheidungen für sie zu treffen oder vorzubereiten. All dies setzt ein hohes Maß an Charakterfestigkeit und persönlicher Integrität voraus. Wer nicht bereit ist, sich den moralischen Anforderungen zu stellen und der Disziplin zu unterwerfen, ohne die solche Eigenschaften nicht zu erwerben sind, sollte nicht Jura studieren. Weiter muß der Jurist mit Menschen umgehen, das heißt, ihnen zuhören, zu ihnen sprechen, mit ihnen verhandeln und diskutieren können. Auch muß er in der Lage sein, kritisch Fakten zu sammeln, zu sichten und zu werten. Dabei muß er trotz der Vielschichtigkeit der Lebensvorgänge den Blick für das Wesentliche behalten. Vor allem sind auch Entscheidungs- und Entschlußkraft erforderlich. Nicht zuletzt muß der Jurist seine Ergebnisse darstellen und begründen können. Mit ein wenig Selbstkritik kann jeder Bewerber seine Eignung nach diesen Maßstäben selbst überprüfen; ob er eine Neigung zum Jurastudium in sich findet, ist weniger leicht an äußerlichen Merkmalen festzumachen. Sie ist selten von Anfang an vorhanden. Dazu ist der Beginn zu schwer, zu ungewohnt, zu weit entfernt von dem, was junge Menschen üblicherweise erleben und was sie beschäftigt. Die Neigung muß daher während der ersten Semester wachsen, und daß sie erwacht, ist wahr-
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scheinlich die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg des Studiums. Wer ständig gegen einen inneren Widerstand ankämpfen muß, verbraucht zuviel Kraft ohne Nutzen und wird es nicht allzu weit bringen. Er sollte sich rechtzeitig — spätestens nach vier Semestern — etwas anderes suchen. Doch wäre es genau so falsch, zu früh aufzugeben. Neigung wächst auch durch harte Arbeit an sich selbst und am Stoff des Rechts. Viele Menschen sind mit Leib und Seele Juristen geworden, die mit dem Studium zuerst nur widerwillig oder aus Verlegenheit begonnen haben. Das gedankliche Training ebenso wie das fortschreitende Eindringen in die Regeln des menschlichen Zusammenlebens können schon eine starke Faszinationskraft entfalten. Das setzt allerdings voraus, daß man sich von Anfang an intensiv genug mit der Materie beschäftigt und sich ihr innerlich öffnet. c) Wahl des Studienortes Die meisten Studenten beginnen das Studium an ihrer Heimatuniversität, und oft bleiben sie dort auch bis zum Staatsexamen. Das hat finanzielle Gründe, weil man zu Hause billiger wohnt. Häufig ist es aber auch Ausdruck einer gewissen Bequemlichkeit und Trägheit: Man will den angestammten Lebenskreis nicht verlassen. Zu begrüßen ist eine solche Haltung keinesfalls, denn junge Menschen sollten andere Lebensverhältnisse kennenlernen, nicht nur auf Ferienreisen. Wer eine ferne Universität sucht, pflegt die großen Städte oder die altberühmten Universitätsorte, vornehmlich in Süddeutschland, vorzuziehen. Das hat dazu geführt, daß sich der Andrang sehr ungleich verteilt. Bis 1987 wurde dieses Ungleichgewicht durch die Zuweisung über die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) in Dortmund verhindert, die für eine gleichmäßige Auslastung aller juristischer Fachbereiche nach Maßgabe ihrer Lehrkapazität sorgte, allerdings um den Preis, daß viele Studenten an eine Universität geschickt wurden, die allenfalls ihrer zweiten oder dritten Wahl entsprach. Nach der Aufhebung der zentralen Verteilung ist ein Zulassungschaos eingetreten, besonders weil die Bewerberzahlen insgesamt rapide angestiegen sind, aus dem sich die meisten Universitäten nur mit einem internen Numerus clausus zu retten wissen. Gegenwärtig ist die Lage unübersichtlich, doch sind Neuregelungen zu erwarten. Maßgeblich für die Wahl des Studienortes sollten nicht der Ruf oder das Erscheinungsbild der Universitätsstadt sein, sondern die Studienbedingungen und die fachlichen Schwerpunkte, die der Fachbereich anbietet. Die Studienbedingungen sind wegen der Masse der Studenten und den dadurch bedingten Engpässen bei Arbeitsräumen und Literatur überall unbefriedigend, unterscheiden sich jedoch erheblich. Es ist ein großer
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Unterschied, ob an einem Fachbereich 1500 oder 6000 Jurastudenten eingeschrieben sind. Nach einer Umfrage des Spiegel aus dem Jahr 1990 3 kamen ζ. B. in Konstanz auf eine Lehrkraft 24,5 Studenten, in Münster 57,3. Wichtig ist auch, ob die Fachbereiche Einführungskurse, Tutorien oder Arbeitsgemeinschaften für kleine Gruppen anbieten, die, namentlich in den Anfangssemestern, nicht nur den fachlichen Einstieg erleichtern, sondern vor allem auch soziale Kontakte vermitteln. Informationen darüber können bei den Studentensekretariaten (Studienberatungsstellen) angefordert werden. Als Faustregel gilt, daß die Studienbedingungen an den kleineren und weniger bekannten Universitäten am besten sind. Bei ihnen ist auch die Ablenkung durch außeruniversitäre Ereignisse geringer als in den Großstädten. Das schlägt sich in der durchschnittlichen Studiendauer nieder. Nach der neusten Statistik geht es am schnellsten in Osnabrück (10), Gießen (10,9), Bayreuth und Göttingen (je 11). Im Mittelfeld liegen: München (11,1), Hamburg (11,2), Marburg (11,3) und Heidelberg (11,5). Länger als im Bundesdurchschnitt studiert man in Münster (11,6), Bonn (11,8) und Köln (12,6). Zur Qualität der Lehre läßt sich wenig Unterscheidendes sagen. An jedem Fachbereich gibt es gute und weniger gute Lehrkräfte. Berühmte Professoren sind oft nicht die besten Lehrer. Zu ihnen sollte gehen, wer, namentlich in höheren Semestern, besonderes Interesse an einem Fach und an der wissenschaftlichen Leistung eines bestimmten Forschers hat. Für die Anfangssemester spielen solche Gesichtspunkte aber eine geringe Rolle, denn die Studieninhalte sind durch die Justizausbildungsgesetze so stark vereinheitlicht, daß überall im wesentlichen die gleichen Veranstaltungen angeboten werden (müssen) und nur die Reihenfolge und in gewissem Ausmaß das den einzelnen Fächern beigemessene Gewicht variieren. Das bedeutet auch, daß ein Wechsel des Studienortes — entgegen allgemeiner Meinung — ohne weiteres möglich ist. Er kann nur dringend empfohlen werden. In der zweiten Hälfte des Studiums, regelmäßig ab dem 5. Semester, kann der Student sich für bestimmte Wahlfächer entscheiden und insoweit in gewissem Umfang spezialisieren. Hier eröffnet sich auch die Chance, zu bestimmten Professoren überzuwechseln. Ganz allgemein ist der Einschnitt zwischen 4. und 5. Semester der geeignetste Zeitpunkt für die Veränderung des Studienortes. Einen Sonderfall bilden einstweilen die Universitäten in den neuen Bundesländern. Sie befinden sich allesamt noch im Umbruch. Doch ist der Aufbau eines neuen Lehrkörpers bei einigen schon weit fortgeschritten und wird sich überall in absehbarer Zeit beenden lassen. Der Studien-
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SPIEGEL-SPEZIAL 1/1990, S.39, 40.
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aufbau, die Inhalte, die Studien- und Prüfungsordnungen entsprechen bereits durchweg westlichen Regeln. Für Studienanfänger wird ein vollwertiges Studienprogramm angeboten, wenngleich zum Teil noch mit Gastdozenten. Mit Engpässen bei den Räumen und beim Fachschrifttum ist zu rechnen, obwohl große Anstrengungen unternommen werden, wenigstens die Lehrmittelbibliotheken so auszustatten, wie es westlichem Standard entspricht. Insgesamt kommt ein Studium in den neuen Bundesländern auch für westdeutsche Studenten als ernstliche Alternative in Betracht, ohne daß künftig Nachteile zu befürchten wären. Noch nicht in dem erforderlichen Ausmaß werden das Auslandsstudium und das Studium des ausländischen Rechts gefördert. Immerhin wurden hier in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte erzielt. Im Zug der gegenwärtigen Reformbemühungen sind weitere Erleichterungen zu erwarten (s. unten VI.). Die Beherrschung fremder Sprachen und Kenntnisse im ausländischen und europäischen Recht werden angesichts der wachsenden internationalen Verflechtung immer wichtiger. Wer eine gehobene berufliche Position, sei es in Verwaltung, Wirtschaft, Justiz oder in der Anwaltschaft, anstrebt, wird ohne dies künftig nicht mehr auskommen. Die Universitäten Genf und Lausanne bieten seit langem ein gemischt deutsch/französisches Studium für ein oder zwei Semester an, für das sich jeder deutsche Student mit ausreichenden Leistungsnachweisen bewerben kann4. Seit einigen Jahren hat die EG unter dem Namen Erasmus ein umfangreiches Austauschprogramm organisiert, in dessen Rahmen sich jeweils mehrere Universitäten aus verschiedenen EG-Staaten zu einer Art Ring zusammenschließen, der Auslandsstudien vermittelt. Die im Ausland verbrachten Semester und die erlangten Leistungsnachweise werden mehr und mehr auch von den Prüfungsämtern anerkannt. Einzelheiten müssen an den jeweiligen Fachbereichen erfragt werden. Das gilt auch für Lehrveranstaltungen und Prüfungen, welche die Fachbereiche selbst zum ausländischen Recht anbieten. d) Wohnungsproblem Zeiten von Wohnungsknappheit bekommen gerade Studenten als finanziell schwache Bevölkerungsgruppe zu spüren. Die Suche eines Zimmers auf dem freien Wohnungsmarkt (über Zeitungsanzeigen, studentische oder gewerbliche Wohnungsvermittlung) zu akzeptablen Miet4
In Lausanne ab dem 5 . Semester, in Genf nach der Anfängerübung im Bürgerlichen Recht.
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preisen kann lange dauern. Günstiger als ein möbliertes Einzelzimmer ist gewöhnlich die gemeinschaftliche Miete einer (in der Regel leeren) W o h nung mit mehreren anderen Studenten oder der Eintritt in eine solche Wohngemeinschaft (WG). Sie schafft auch mehr Kontakte, kann allerdings auch Störungen und Konflikte mit sich bringen. Häufig wird man annehmen müssen, was sich gerade anbietet. Günstige Zimmer werden meistens unter der Hand weitergegeben, so daß man an sie erst nach einiger Zeit herankommt, wenn der Bekanntenkreis groß genug geworden ist. Es ist auch möglich, ein Zimmer in einem Studentenwohnheim zu bekommen, wenn man einen Antrag gestellt hat. In der Regel wird man dann auf eine Warteliste gesetzt, und es ist ungewiß, wann man ein Zimmer erhält. Uberwiegend beträgt die Wartezeit 1 — 2 Semester. Störungen durch Mitbewohner sind auch dort kaum vermeidbar.
2. Zugang a) Bewerbung und Bewerbungsvoraussetzungen Die Bewerbung erfolgt zur Zeit bei den Universitäten direkt. Eine Ausnahme bilden die Universitäten in Nordrhein-Westfalen, wo die Bewerbung wegen des Verteilungsverfahrens zwischen Bielefeld, Bochum, Bonn, Köln und Münster an die Z V S (Zentrale Vergabestelle für Studienplätze, Postfach 8 0 0 0 , 4 6 0 0 Dortmund) gerichtet werden muß. Im Prinzip ist für jeden Bewerber ein Studienplatz vorhanden. Größere Universitäten haben jedoch einen internen Numerus clausus eingeführt, weshalb es zweckmäßig ist, sich zur Sicherheit an mehreren Universitäten zu bewerben. Im Umkreis der Universität wohnende Bewerber werden regelmäßig bevorzugt zugelassen. Der Bewerber fordert die Bewerbungsunterlagen beim jeweiligen Universitätssekretariat an. Die Voraussetzungen können voneinander abweichen. Folgende allgemeine Zulassungsvoraussetzungen müssen erfüllt sein: Der Bewerber muß seine Allgemeine Hochschulreife durch ein Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums nachweisen. Dem Reifezeugnis stehen zahlreiche andere Qualifikationen gleich, deren Einzelheiten beim Universitätssekretariat oder bei der Studienberatung zu erfahren sind. Im Zweifel entscheidet hierüber der Kultusminister. Lateinkenntnisse setzt das Jurastudium nicht mehr voraus, an manchen Universitäten aber die Promotion. Ausländer müssen ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nachweisen, am einfachsten über die PNdS (Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse). Die Bewerbungsfristen für das Wintersemester laufen vom l . J u n i bis zum 15. Juli, für das Sommersemester vom 1. Dezember bis zum 15. Januar (Ausschlußfristen). Folgende Universitäten beginnen das Jurastudium zur
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Zeit nur zum Wintersemester: Augsburg, Bayreuth, Bielefeld, Bremen, Freiburg, Kiel, Mannheim, München, Osnabrück und Trier. b) Aufnahme des Jurastudiums Um das Studium aufnehmen zu können, ist die Einschreibung (Immatrikulation) an der Hochschule erforderlich. Der Zeitraum für die Immatrikulation wird dem Bewerber mit dem Zulassungsbescheid mitgeteilt. Grundsätzlich liegt die Einschreibungswoche einen Monat vor Beginn des Semesters. Bei der Einschreibung sind das Reifezeugnis im Original und der Zulassungsbescheid vorzulegen. Darüber hinaus ist anhand von Belegen nachzuweisen, daß man als Student krankenversichert ist (ζ. B. bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse) und daß man den Sozialbeitrag an das Studentenwerk geleistet hat, der einen Pflichtbeitrag zur Finanzierung des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) einschließt. Zusätzlich können andere schriftliche Erklärungen oder Bescheinigungen notwendig sein, ζ. B. eine Bescheinigung über die Beendigung des Wehr- oder Ersatzdienstes. Bewerber, die ihr Studienfach wechseln, müssen ihr Studienbuch zur Eintragung des neuen Studiums vorlegen. Diejenigen, die den Studienort wechseln, müssen ihr Studienbuch und die Exmatrikulationsbescheinigung bei der neuen Universität abgeben. Eine gleichzeitige Einschreibung in mehreren Fächern ist ohne weiteres möglich. Sie sollte aber reiflich überlegt werden, denn nur wenige Studenten sind auf die Dauer der doppelten Belastung gewachsen. Auf jeden Fall verlängert das Doppelstudium die Ausbildungszeit. Auch ist ein gutes Examen in einem Fach regelmäßig besser als zwei mittelmäßige Abschlüsse in zwei Fächern. Mit der Immatrikulation wird der Bewerber Mitglied der Universität. Er erhält den Studentenausweis und Studienbescheinigungen, die bei vielen Ämtern gebraucht werden. Den Nachweis über sein Studium führt der Student in erster Linie durch das Belegen von Lehrveranstaltungen, indem er diese ordnungsgemäß in sein Studienbuch einträgt.
3. Einführung in das Jurastudium durch die Fakultät selbst Das Jurastudium konnte früher als einer der freisten von allen Studiengängen an der Universität bezeichnet werden, ist inzwischen jedoch in den Anfangssemestern weitgehend festgelegt und verschult. Dies ist auch richtig, denn mehr als in anderen Fächern bauen die Veranstaltungen aufeinander auf und müssen daher in der richtigen Reihenfolge gehört werden. Im Grundstudium liegt auch der Stoff ganz überwiegend fest.
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Die notwendige Orientierungshilfe wird in einer Einführungswoche in sog. Mentorengruppen von älteren Studenten gewährt, welche die universitären Einrichtungen, wie z.B. die Hörsäle und Kursräume, Fachbereichsbibliothek und Universitätsbibliothek (jeweils mit Benutzeranleitung), Hochschulrechenzentrum, Computerräume einschließlich der Abfragesysteme (z.B. JURIS-System), Dekanat, das Schwarze Brett, die Mensa und die Örtlichkeiten des Allgemeinen Universitätssports zeigen. Zumeist wird auch ein Termin mit einem Professor vereinbart, der dann im persönlichen Gespräch Rede und Antwort steht. Darüber hinaus wird mit den Teilnehmern der von der Fakultät vorgegebene Studienplan besprochen, und es werden wichtige Hinweise für eine geschickte Bewältigung des Studiums gegeben. Auch der Studienort als solcher wird vorgestellt, z.B. Theater, Studentenkneipen, Freizeiteinrichtungen etc. Oft werden die Mentorengruppen in sog. Tutorengruppen übergeleitet, welche das ganze erste Semester fortbestehen und dazu bestimmt sind, gleichfalls unter Anleitung älterer Studenten oder Studentinnen eine der Hauptvorlesungen zu begleiten. Hier sollen die Neulinge aus ihrer Passivität heraustreten, Fragen stellen und beantworten und im Gespräch den gehörten Stoff sich aneignen und vertiefen. Die Anwesenheit wird in keiner Veranstaltung kontrolliert. Es gehört zur akademischen Freiheit, darüber selbst zu entscheiden, und vor allem in höheren Semestern lernt mancher lieber allein zu Hause aus Büchern. In der Regel rächt sich Nachlässigkeit beim Besuch der Lehrveranstaltungen aber bitter, denn es entstehen Kenntnis- und Verständnislücken, die später nur mit größter Mühe und oft nur unvollständig wieder ausgefüllt werden können. Jeder Student und jede Studentin muß im Lauf der Zeit selbst erkunden, wie er oder sie am effektivsten lernt. Am Anfang aber kommt es darauf an, am Ball zu bleiben und dazu die vorgesehenen Lernhilfen zu nutzen. Faulheit und Schlamperei — eine falsch verstandene akademische Freiheit — zu Beginn sind die Hauptursachen späteren Mißerfolgs und zu langer Dauer des Studiums.
4. Beratungsmöglichkeiten an der Universität Zu Beginn eines Studiums bestehen immer viele Fragen. Für deren Beantwortung stehen verschiedene Einrichtungen zur Verfügung, die der Student richtig nutzen sollte. Fächerübergreifend berät die Studienberatung der Universität. An sie kann der Student allgemeine Probleme herantragen, die das Studium oder ihn persönlich betreffen. Die Beratung findet unter vier Augen statt und ist vertraulich. Auch Auskünfte über Stipendien und Fördermöglichkeiten für Hochbegabte und über Fachwechsel sind dort zu bekommen.
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Fachspezifisch beraten Professoren oder Hochschulassistenten. Die Studienberatung des Fachbereichs umfaßt Studienorganisation, Schwerpunkte, Lern- und Prüfungsinhalte, Anerkennung von Leistungen aus anderen Fachbereichen und Förderungsmöglichkeiten nach dem BAföG. Vor allem wer Mißerfolge erlebt, Verständnisschwierigkeiten hat oder aus anderen Gründen nicht weiter weiß, sollte ohne Scheu die Beratung durch einen Professor suchen. Die Fachschaft als studentische Vertretung hilft bei allen Fragen, die Sie gerne an „ältere Semester" richten möchten. Das Büro des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) bietet generelle Studienberatung, aber auch Rechtsberatung, Ausländerberatung und Beratung bei sozialen und finanziellen Problemen. Das akademische Auslandsamt berät ausländische Studenten in allen Fragen, die mit dem Aufenthalt und Studium in Deutschland in Verbindung stehen. Deutsche Studenten können sich dort über Studiengänge und Sprachkurse im Ausland sowie über Auslandsstipendien informieren. Eine soziale Beratung zum Beispiel bei Körperbehinderung, Krankheiten, Schwangerschaft, aber auch bei Wohnungsproblemen, führt die Sozialberatungsstelle des Studentenwerks durch. Alle Universitäten haben schließlich psychotherapeutische Beratungseinrichtungen, die mit erfahrenen Fachkräften besetzt sind.
IV. Studieninhalt 1. Staatliche Vorgaben Wie bereits erwähnt, lenken die staatlichen Ausbildungsregelungen Inhalt und Ablauf des Jurastudiums indirekt, indem sie Zulassungsvoraussetzungen für die Erste Juristische Staatsprüfung aufstellen und Prüfungsinhalte festlegen. Alle Juristenausbildungsgesetze und Prüfungsordnungen5 enthalten differenzierte Fächerkataloge, in denen zwischen 5
Baden-Württemberg: JAPrO vom 9 . 7 . 1 9 8 4 (GBl. S.480); Bayern: JAPO vom 2 6 . 1 1 . 1 9 8 5 (GVB1. S.737); Brandenburg: BbgJAG vom 2 4 . 1 2 . 1 9 9 2 (GVB1. I S.578); Berlin: JAO vom 3 0 . 1 0 . 1 9 8 4 (GVBl. S. 1688); Bremen: JAPG vom 2 4 . 9 . 1 9 8 5 (GVBl. S.161) geändert durch Verordnung vom 9 . 9 . 1 9 8 8 (GVBl. S. 249); Hamburg: JAO vom 1 0 . 7 . 1 9 7 2 (GVBl S.133) geändert durch Gesetz vom 1 2 . 3 . 1 9 8 6 (GVBl. S.49); Hessen: JAG vom 7 . 1 1 . 1 9 8 5 (GVB1.I S.211); Mecklenburg-Vorpommern: JAG M-V vom 1 6 . 1 2 . 1 9 9 2 (GVBl. S.725); Niedersachsen: NJAO vom 2 4 . 7 . 1 9 8 5 (GVBl. S.215); Nordrhein-Westfalen: JAG vom 1 6 . 7 . 1 9 8 5 (GVBl. S.522); Rheinland-Pfalz: JAPO vom 1 6 . 1 0 . 1 9 8 5 (GVBl. S. 227); Saarland: JAG vom 6 . 7 . 1 9 8 8 (Amtsbl. S. 865); Sachsen: SächsJAPO vom 2 2 . 8 . 1 9 9 1 (GVBl. S. 327); Schleswig-Holstein: JAO vom 1 3 . 2 . 1 9 9 2 (GVOB1. S. 140); Thüringen: ThürJAG vom 2 9 . 9 . 1 9 9 2 (GVBl. S.483).
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Grundlagenfächern, Pflichtfächern und Wahlfächern unterschieden wird. Diese sind zwischen den Bundesländern weitgehend abgestimmt. Sie bilden die Vorgaben für die Studienpläne der juristischen Fachbereiche. Der Fächerkatalog hat im wesentlichen folgenden Inhalt: a) Grundlagenfächer: 6 Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie. b) Pflichtfächer: (1) aus dem Zivilrecht: die allgemeinen Lehren des Bürgerlichen Rechts, das Schuldrecht und das Sachenrecht sowie die Grundzüge des Familienrechts und des Erbrechts, (2) die Grundzüge des Handelsrechts, des Gesellschaftsrechts und des Wertpapierrechts; (3) aus dem Arbeitsrecht: das Recht des Arbeitsverhältnisses und die Grundzüge des kollektiven Arbeitsrechts; (4) aus dem Strafrecht: der Allgemeine und Besondere Teil des Strafgesetzbuches; (5) aus dem öffentlichen Recht: das Staats- und Verfassungsrecht mit Bezügen zum Völkerrecht und Europarecht, das allgemeine Verwaltungsrecht einschließlich des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht, aus dem besonderen Verwaltungsrecht das Polizei- und Ordnungsrecht, das Kommunalrecht, die Grundzüge des Baurechts einschließlich des Rechts der Bauleitplanung; (6) aus dem Prozeßrecht: die Grundzüge des Zivil-, Stfaf-, Verfassungs- und Verwaltungsprozeßrechts, der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des arbeitsge6
In Bayern, Bremen, Hamburg und Sachsen ist zu diesen Grundlagenfächern keine abschließende Regelung getroffen, so daß dort die einzelnen Universitäten dies innerhalb ihres Studienplans berücksichtigen müssen, um die in den Juristenausbildungsgesetzen geforderte Einbindung des Jurastudiums in den Kontext anderer Wissenschaften zu gewährleisten. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind sie als Grundlagenfächer gesondert und nicht unter den Pflichtfächern aufgeführt. In Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist dieser Punkt um die Methodenlehre der Rechtswissenschaft erweitert.
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richtlichen Verfahrens einschließlich ihrer Grundlagen im Gerichtsverfassungsrecht, die Grundzüge des Zwangsvollstrekkungsrechts und das Insolvenzrecht. Im Gegensatz zu den Grundlagenfächern betreffen die Pflichtfächer die wichtigsten Gebiete des geltenden Rechts, wie es in den Gesetzbüchern zusammengefaßt und niedergelegt ist. In mehreren Fällen werden nur Grundzüge verlangt, weil andernfalls der Stoff zu umfangreich würde. Hier kommt es also darauf an, sich die die rechtliche Regelung kennzeichnenden Bestimmungen und Prinzipien anzueignen, während auf Einzelheiten verzichtet werden kann. Im Lehrbetrieb werden Grundzügefächer in kürzeren Vorlesungen angeboten. Allerdings ist es oft schwierig, die Grenze zu ziehen. c) Wahlfächer Außer auf die Pflichtfächer erstreckt sich das Erste Juristische Staatsexamen auf eine vom Studenten zu bestimmende Wahlfachgruppe. Dieser Regelung liegt die begrüßenswerte Absicht zugrunde, den Studenten in der zweiten Hälfte des Studiums eine gewisse Spezialisierung zu gestatten, die ihrer Neigung entgegenkommt und auch den späteren beruflichen Differenzierungen entspricht. Allerdings konnte man sich nicht entschließen, völlige Wahlfreiheit zu gewähren, weil dies organisatorisch zu schwierig geworden wäre. Deshalb wurden die Wahlfachgruppen gebildet, die trotz einer einheitlichen Grundkonzeption in den einzelnen Bundesländern beträchtlich voneinander abweichen. Die Unterschiede sind nicht nur das Ergebnis sachlicher Schwierigkeiten, einigermaßen gleichwertige Gruppen benachbarter Fächer zu bilden. In ihnen drücken sich vielmehr auch unterschiedliche Vorstellungen der Justizverwaltungen darüber aus, wieviel Freiheit den Studenten gewährt werden sollte, ihr Studium selbst zu gestalten. Im Extrem hat Baden-Württemberg die Wahlmöglichkeit auf drei Gruppen beschränkt. Als Wahlfachgruppen kommen in Betracht: (1) Rechts- und Verfassungsgeschichte; (2) Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtstheorie; 7 (3) Familien- und Personenstandsrecht, Erbrecht, Zivilprozeß- einschließlich Zwangsvollstreckungsrecht sowie Insolvenzrecht und Freiwillige Gerichtsbarkeit im Rahmen des Gesetzes über die
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In Bayern und Sachsen sind die Wahlfachgruppen 1 und 2 zu einer zusammengefaßt. In Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz hat man ganz von diesen beiden Wahlfachgruppen abgesehen.
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Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Grundbuchordnung; 8 Internationales Privatrecht und Privatrechtsvergleichung; 9 Völkerrecht, Europarecht und allgemeine Staatslehre; 10 Verwaltungsrechtslehre und Wirtschaftsverwaltungsrecht, Raumordnungsrecht, Umweltschutzrecht und Straßenrecht sowie Recht des öffentlichen Dienstes; Wettbewerbs- und Kartellrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Grundzüge des Steuerrechts und der Bilanzkunde; 11 Kollektives Arbeitsrecht, Mitbestimmungsrecht, Betriebsverfassungsrecht und Personalvertretungsrecht; 12 Allgemeine Lehren des Sozialrechts, Sozialversicherungsrechts, Sozialhilferechts, Recht der Arbeitsförderung sowie Grundzüge des sozialgerichtlichen Verfahrens; 13 Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug.
d) Nachweise eines ordnungsgemäßen Studiums (1) Ungeachtet der Fächerkataloge verlangen die landesrechtlichen Prüfungsordnungen, daß der Student während seines Jurastudiums Leistungsnachweise erbringt, ohne die er nicht zur Ersten Juristischen Staatsprüfung zugelassen wird. Regelmäßig wird ein Leistungsnachweis in einem Grundlagenfach nach Wahl des Studenten verlangt. Im übrigen beziehen sich die Leistungsnachweise auf die Kernfächer Bürgerliches Recht, Strafrecht und Öffentliches Recht. Gewöhnlich werden sie im Rahmen von „ Übungen " erworben und heißen im Universitätsjargon „Scheine". In den Übungen werden „Fälle" besprochen, die der Streitlage vor
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In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen wurde diese Wahlfachgruppe nicht berücksichtigt. In Bayern ist die Wahlfachgruppe 4 der Wahlfachgruppe 2, in Baden-Württemberg ist die Wahlfachgruppe 4 der Wahlfachgruppe 7 zugeordnet. In Nordrhein-Westfalen und Sachsen sind die Wahlfachgruppen 4 und 5 in einer zusammengefaßt. In Berlin ist die Wahlfachgruppe in zwei Wahlfachgruppen aufgespalten. In Rheinland-Pfalz und im Saarland gibt es eine eigene Wahlfachgruppe Steuerrecht. In Baden-Württemberg, Saarland und Sachsen ist diese Wahlfachgruppe nicht gesondert vorgesehen. In Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz ist diese Wahlfachgruppe nicht berücksichtigt. In Nordrhein-Westfalen sind die Wahlfachgruppen 8 und 9 zusammengefaßt.
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Gericht nachgebildet sind, und von den Studenten in Form von Aufsichtsarbeiten (Klausuren) und Hausarbeiten selbständig bearbeitet. Die Übungen dienen also dazu, das abstrakt Gelernte anzuwenden, sich dabei die übliche Darstellungsweise anzueignen und einer Kontrolle durch die Korrektur zu unterziehen. Die Voraussetzungen für den Erwerb des „Scheins" sind nicht überall einheitlich und müssen daher vor Ort erkundet werden. In der Regel werden zwei mit mindestens „ausreichend" bewertete schriftliche Arbeiten verlangt. In den drei Kernfächern sind in den ersten drei oder vier Semestern zunächst Übungen für Anfänger zu absolvieren. Regelmäßig im Rahmen der Anfängerübungen wurden auch die „studienbegleitenden Leistungskontrollen" erbracht, die der Bundesgesetzgeber seit der Reform von 1984 verlangte. Sie waren als eine Art Zwischenprüfung konzipiert, um ungeeignete Studenten rechtzeitig auszuschließen. Gefordert wurde je eine unter examensmäßigen Bedingungen geschriebene Klausur in den drei Kernfächern, die in der Praxis mit einer für den Erwerb des Scheins erforderlichen Klausur zusammenfällt. Die Regelung hat sich nicht bewährt. Sie wurde durch das Gesetz vom 20.11.1992 wieder abgeschafft, das in den Ländern allerdings erst nach einer Übergangsfrist in Kraft treten kann. Einheitliche Voraussetzungen in ganz Deutschland gelten für die Übungen für Fortgeschrittene im Bürgerlichen Recht, im Strafrecht und im Öffentlichen Recht, die an die Anfängerübungen anschließen und regelmäßig zwischen dem 4. und 6. Semester besucht werden. Um die dort ausgegebenen „großen Scheine", die überall für die Zulassung zur Ersten Juristischen Staatsprüfung erforderlich sind, zu erlangen, muß je eine Hausarbeit und eine Klausur mindestens mit der Note „ausreichend" bewertet worden sein. Sinn der Hausarbeiten ist es, daß der Student zeigen soll, ob er die wissenschaftlichen Arbeitsmethoden beherrscht und über fundierte Kenntnisse über das gestellte Thema verfügt. Mit den Klausuren wird geprüft, ob der Student sich ausreichende allgemeine Kenntnisse angeeignet hat und in der Lage ist, diese auf einen „Fall" anzuwenden. Der Student muß zeigen, ob er das Problem erkennt und zu den kontroversen Meinungen begründet Stellung nehmen kann.
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(2) Zur Vertiefung im Wahlfach dienen Wahlübungen mit Leistungsnachweisen, die in den Abschlußsemestern besucht werden können. Sie werden nicht überall gleichmäßig verlangt und angeboten. (3) In den meisten Bundesländern muß zur Anmeldung zum Ersten Juristischen Staatsexamen die Teilnahme an einem Seminar nachgewiesen werden („Seminarschein"). Seminare führen in die wissenschaftliche Arbeit ein. Ihre Themen betreffen aktuelle — häufig nicht unmittelbar examensrelevante — wissenschaftliche Fragen. Die Studenten bereiten dazu, regelmäßig unter Anleitung, Referate vor und tragen diese mündlich vor. Anschließend wird darüber diskutiert. (4) Einheitlich für ganz Deutschland sind die praktischen Studienzeiten geregelt. Sie finden während der vorlesungsfreien Zeit für die Dauer von insgesamt mindestens drei Monaten statt. Sie sollen den Studenten frühzeitig eine Anschauung von der Tätigkeit der Institutionen des Rechts vermitteln. Die Organisation ist Aufgabe der Landesjustizverwaltungen. Zumeist ist ein Gerichtspraktikum, ein Verwaltungspraktikum und ein Wahlpraktikum von je einem Monat vorgesehen. Das Wahlpraktikum kann bei einem Rechtsanwalt, bei der Rechtsabteilung einer Bank oder Versicherung, bei der Industrie- und Handelskammer etc. abgeleistet werden.
2. Die Ausbildung an der Universität a) Ziele des Jurastudiums Die staatlichen Vorgaben lassen den einzelnen Universitäten und Hochschullehrern nur geringen Spielraum, Aufbau und Inhalt der Juristenausbildung selbst zu gestalten. Da auch der Stoff — die Paragraphen der einschlägigen Gesetze — feststeht, gibt es eine Lehr- und Lernfreiheit nur in engen Grenzen. Das hat Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, daß die Ausbildung an allen Universitäten als gleichwertig anzusehen ist und daher überall in der Bundesrepublik gleiche Berufschancen eröffnet. Wenn Sie sich nach dem zweiten Staatsexamen um eine Stelle bei Gericht, bei einem Rechtsanwalt oder in einem Wirtschaftsunternehmen bewerben, spielt es grundsätzlich keine Rolle, wo sie studiert haben. Die staatliche Kontrolle über die Examina sorgt auch dafür, daß das Niveau der Anforderungen überall gleich hoch ist und vor allem nicht sinkt. Ausfluß dieses Systems sind die bekannt schlechten Noten der Juristen. Sie besagen, daß viel verlangt wird, beeinträchtigen die Berufschancen aber nicht, da sie für alle gleichmäßig gelten.
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Die Nachteile liegen in einer lähmenden Wirkung. Wo das meiste von Staats wegen vorgeschrieben ist, wird weder von Studenten noch von Professoren eigene Initiative verlangt. Die Folge ist, daß der Unterricht leicht in Routine abgleitet und daß die Studenten zu auf das Examen fixierten „Technokraten" heranwachsen. Wenngleich sich diesem Trend niemand ganz entziehen kann, bieten die Universitäten genügend Möglichkeiten, dabei nicht stehen zu bleiben. Die Fakultäten beharren mit Nachdruck darauf, daß es sich beim Jurastudium um eine wissenschaftliche Ausbildung handelt, die sich nicht im unkritischen Aneignen von Stoff erschöpft, sondern vor allem eine Schulung im juristischen Denken zum Ziel hat. Das schließt die Fähigkeit ein, kritische Distanz zu dem zu lernenden Stoff zu gewinnen, die historische, soziale und politische Bedingtheit der geltenden Gesetze zu erkennen und ein eigenständiges Beurteilungsvermögen über Rechtsfragen auszubilden. Insofern unterscheidet sich das Studium entschieden von der Ausbildung an einer Fachschule. An diesem Ziel festzuhalten ist auch nicht nur ein Luxus, denn die Demokratie und der Rechtsstaat sind auf Juristen angewiesen, die nicht nur obrigkeitlich verordnete Vorschriften ausführen, sondern das Rechtsleben in persönlicher Verantwortung mitgestalten. Ganz vordergründig verlangt unsere sich schnell verändernde Welt Juristen, die in der Lage sind, aufgrund ihres methodischen Könnens mit immer neuen, nicht gelernten Anforderungen und Rechtsvorschriften umzugehen. In der Massenuniversität ist es schwer, diesen Zielen bei der Ausbildung gerecht zu werden. Trotzdem wird jede Studentin und jeder Student, der sich darum bemüht, die Gelegenheit dazu finden. Das wichtigste Mittel dazu ist die Art und Weise, wie Professoren den Unterricht gestalten, denn dieser ist stets darauf gerichtet, kritisches Verständnis zu wecken. Gerade die unterschiedliche Perspektive verschiedener Hochschullehrer kann das eigene Beurteilungsvermögen der Studenten stärken. Äußerlich sind die Grundlagenfächer, Spezialvorlesungen außerhalb des Pflichtstoffs und die Seminare dazu bestimmt, diese Ziele zu verfolgen. Da sie meist weniger überfüllt sind, bieten sie auch Gelegenheit, in einen persönlichen Kontakt zu dem Hochschullehrer zu treten. Jeder Student sollte sich solche Kontakte zur Pflicht machen, auch wenn dies häufig eine gewisse Uberwindung kostet, denn die Initiative dazu muß von ihm selbst ausgehen. Nachdrücklich zu empfehlen ist auch der Besuch von Lehrveranstaltungen außerhalb der Rechtswissenschaft, also je nach Neigung etwa zur Philosophie, Soziologie, Geschichte, Volks- oder Betriebswirtschaftslehre usw.
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b) Studienpläne Die von den Fachbereichen aufgestellten Studienpläne folgen den staatlichen Vorgaben und reichern sie durch „freiwillige" Veranstaltungen an. Bei der Semesterreihenfolge besteht eine geringe Variationsbreite, denn eins baut auf dem anderen auf und am Beginn müssen die allgemeinen Regeln behandelt werden. Daraus folgt, daß auch die Studenten die Reihenfolge nur begrenzt selbst bestimmen können, obwohl dies zur akademischen Freiheit gehört. Am Anfang stehen Einführungsveranstaltungen in den Grundlagenfächern und in den drei Kernbereichen Strafrecht, Bürgerliches Recht und Öffentliches Recht, dazu eine wirtschaftswissenschaftliche Vorlesung. Gegenstand des Strafrechts sind häufige Delikte, z.B. Mord, Diebstahl, Betrug, dazu allgemeine Lehren über Zurechnungsfähigkeit, Mittäterschaft, Versuch, Anstiftung usw. Im öffentlichen Recht steht das Grundgesetz (Grundrechte und Staatsaufbau) am Beginn. Der Einstieg in das Bürgerliche Recht läßt größere Unterschiede zu, weil nicht festgelegt ist, in welchem Umfang schon ein Überblick über das gesamte Bürgerliche Gesetzbuch gegeben werden soll. Auf jeden Fall müssen die allgemeinen Vorschriften z. B. über die Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit, über den Vertragsschluß und über die Stellvertretung beim Abschluß von Verträgen behandelt werden. Manche Fachbereiche konzipieren die Einführung in das Bürgerliche Recht auch von vornherein über zwei Semester (beim gleichen Professor) und schließen dann das Schuldrecht (Verpflichtungen aus Verträgen und infolge der Verletzung fremder Rechtsgüter) ein. Im dritten Semester können dann im Zivilrecht das Sachenrecht (Eigentumsrecht) und Familienrecht, im Strafrecht weitere Deliktstypen, im öffentlichen Recht die ersten verwaltungsrechtlichen Veranstaltungen (etwa Polizeirecht) folgen, im vierten Erbrecht, Handels- und Wertpapierrecht, Arbeitsrecht, Strafprozeßrecht, Europarecht, Kommunal- und Baurecht usw. Jeder Student, der sich eingeschrieben hat oder der die Universität wechseln möchte, sollte sich den Studienplan besorgen und kann sich dann selbst orientieren. Insgesamt ist mit 2 0 bis 2 4 Semesterwochenstunden zu rechnen — ein stattliches Pensum, wenn man vorbereiten und/oder nachbereiten will und später auch noch Hausarbeiten zu schreiben hat.
V.
Studienablauf
1. Akademische Freiheit und Selbstdisziplin Das Jurastudium stellt hohe Anforderungen und verlangt demgemäß harte Arbeit und strenge Disziplin. J e früher eine(r) damit anfängt, desto
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eher kommt sie/er mit dem Stoff, vor allem aber auch mit sich und dem eigenen Selbstbewußtsein ins reine. Zu den schlimmsten Fehlern, die sich unvermeidlich rächen, gehört, in den Anfangssemestern zu bummeln. Doch braucht der Fleiß auch nicht in Selbstquälerei auszuarten. Geselligkeit, Sport, Kultur, Reisen, der Umgang mit dem anderen Geschlecht gehören auch zur Bildung und zur akademischen Freiheit. Wer dafür genügend Freiraum behalten will, muß vor allem seine Zeit sorgfältig planen und sich an den vorgefaßten Plan halten. Ganz konkret: Wer sich vornimmt, um neun Uhr anzufangen, sollte nicht jeden zweiten Tag bis halb zehn Uhr Zeitung lesen. Am besten orientiert man sich am gewöhnlichen Arbeitsrhythmus der Gesellschaft: 40 Stunden in der Woche, konsequent und konzentriert durchgehalten, und vier bis höchstens sechs Wochen Urlaub im Jahr sind ein angemessenes Pensum. Es braucht allenfalls während der Examensvorbereitung verschärft zu werden. Das schließt ein, daß die Semesterferien zum Arbeiten bestimmt sind. Niemand kann den während eines Semesters angefallenen Stoff allein in dieser Zeit lernen, und spätestens nach dem dritten Semester sind während der Semesterpause auch Hausarbeiten und Referate zu schreiben. Wer arbeiten muß, um sein Studium zu finanzieren, wird dies mit einem Verschleiß an Kräften, längerer Dauer und schlechteren Ergebnissen erkaufen. Wer nur zu dem Zweck nebenher Geld verdient, seinen Lebensstandard aufzubessern, setzt auf das falsche Pferd.
2. Lehrveranstaltungen a) Vorlesungen Zur konsequenten Arbeit gehört der regelmäßige Besuch der Lehrveranstaltungen. Man unterscheidet zwischen Vorlesungen, Übungen, Tutorien, Seminaren, Arbeitsgemeinschaften, Kolloquien und Examenskursen. Von Übungen, Tutorien und Seminaren war schon die Rede. Den Hauptanteil beanspruchen die Vorlesungen. In ihnen trägt der Hochschullehrer, regelmäßig ein Professor, den Stoff eines Rechtsgebiets in systematischer Ordnung vor, unterstützt von visuellen Lehrmitteln, gelegentlich aufgelockert durch Zwischenfragen und Diskussionen. Aufgabe der Vorlesung ist es, einen Überblick über die Materie zu vermitteln, die rechtlichen Leitideen herauszuarbeiten, Zusammenhänge deutlich zu machen und so das Interesse und Verständnis der Hörer zu wecken. Die Studenten verhalten sich rezeptiv, suchen zu folgen, können Fragen stellen, wenn ein Punkt nicht deutlich geworden ist, und machen Notizen. Vorlesungen in den Kernfächern finden regelmäßig in großen Hörsälen vor zahlreichen Studenten statt. Obgleich oft gesagt wird, das reine Anhören eines fremden Vortrage sei didaktisch wenig effektiv, sind sie unverzichtbar,
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denn ernsthaft mitreden kann ein Student erst, nachdem er die Probleme aufgenommen und verstanden hat. Immerhin ist die Kritik an den Vorlesungen nicht unberechtigt. Oft ist der Hörsaal überfüllt und man hört und sieht schlecht oder kann sich schlecht konzentrieren. Auch kann es sein, daß einem der Dozent nicht liegt, und manchmal gewinnt man den Eindruck, dieser habe es darauf abgesehen, die Hörer zu vertreiben. Man muß nicht alle vorgesehenen Vorlesungen hören, es kommt nur darauf an, sich den Stoff anzueignen. Als Alternative kommt auch das Selbststudium mit Hilfe von Büchern in Betracht (darüber unten 3.). Auf keinen Fall sollte man aber auf den Besuch von Vorlesungen ganz verzichten. Man hört und sieht dort manches, auf das man im stillen Kämmerlein nicht kommt. Das Gegenüber mit der Person des Lehrers ist lebendiger als mit dem Buch, und jeder Student braucht die Kontrolle, ob er die Zusammenhänge richtig versteht. Suchen Sie also wenigstens einige Vorlesungen aus, die Sie regelmäßig besuchen. Ganz besonders töricht ist dagegen der lückenhafte Besuch. Da man auf diese Weise dem Stoff nicht richtig folgen kann, ist er in der Regel vergeudete Zeit. Ein besonderes Kapitel sind Vor- und Nachbereitung. In manchen Ländern werden sie ähnlich wie in der Schule durch Abfragen im Hörsaal erzwungen, wofür gute Gründe sprechen. In Deutschland ist dies nicht üblich, und deshalb hängen Vor- und Nacharbeit von der Initiative der Studenten selbst ab. Die häufige Folge ist Nachlässigkeit und daran anschließend die Klage, die Vorlesungen brächten nichts. Daran ist richtig, daß nur Genies das einmal Gehörte dauerhaft in ihrem Gedächtnis speichern können. Am Lernen kommt also kein Student vorbei. Wer es gleich tut, hat nicht nur etwas von den Vorlesungen, sondern arbeitet auch am rationellsten. b) Arbeitsgemeinschaften und Kolloquien Arbeitsgemeinschaften sind — freiwillige oder obligatorische — Begleitveranstaltungen zu wichtigen Vorlesungen in kleineren Gruppen, die von einem wissenschaftlichen Assistenten, gelegentlich auch von studentischen Hilfskräften geleitet werden. In ihnen wird der in der Vorlesung behandelte Stoff wiederholt, diskutiert, an Hand von Beispielen und Fällen verdeutlicht und vertieft. Die Studenten sollen mitreden, Fragen stellen, ihre Meinung äußern, sich im freien Sprechen und juristischen Formulieren üben und die davor bestehenden Hemmungen überwinden. Da der Arbeitsgemeinschaftsleiter nur wenig älter ist und auch nicht alles weiß, kann eine lockere und motivierende Atmosphäre entstehen. Ähnliches gilt für Kolloquien, die in der Regel von einem Professor angeboten werden, aber gleichfalls die angegebenen Themen in zwanglosem Gespräch behandeln.
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c) Examenskurse Examenskurse werden für Studenten in den letzten Semestern angeboten und dienen der Wiederholung des für die Staatsprüfung wichtigen Stoffs und der Kontrolle, ob ein Student „examensreif" ist. Sie können in Form von Fallbesprechungen oder Klausurenkursen abgehalten werden. Namentlich an den Klausurenkursen, in denen wöchentlich eine Klausur im Schwierigkeitsgrad des ersten Staatsexamens geschrieben wird, sollte kein Student vorbeigehen. Vorbereitungskurse auf das Staatsexamen werden auch von privaten Repetitoren außerhalb der Universität angeboten. Sie müssen teuer bezahlt werden. Ihr Besuch wird zur Ergänzung des Selbststudiums meistens als hilfreich empfunden.
3. Selbststudium Wer eine Vorlesung nicht hören kann oder mag, kann statt dessen aus Büchern lernen, und wer an ihr teilgenommen hat, braucht Bücher zur Nacharbeit und Vertiefung. In der Rechtswissenschaft gibt es zu allen Lehrstoffen gute Literatur, zu den Kernbereichen zahlreiche konkurrierende Werke, kurze einführende, mittlere, voluminöse. Man unterscheidet Lehr- und Studienbücher und Kommentare. Erstere sind für Studenten bestimmt und bereiten den Lehrstoff systematisch auf. Sie erübrigen in der Regel die Ausgabe von Skripten in der Vorlesung, denn wegen der Standardisierung des Stoffs könnte in diesen meist nichts anderes stehen als in dem Lehrbuch. Kommentare sind für die Praxis bestimmt. Sie folgen in der äußeren Anordnung Paragraph für Paragraph dem kommentierten Gesetz und wollen über dazu ergangene Urteile und Aufsätze informieren. Aus diesem Grund sind sie als Nachschlagewerke auch für ältere Studenten unverzichtbar, werden aber nicht systematisch durchgearbeitet. Auch das Lernen aus Büchern will gelernt sein. Dazu gehört zunächst die Disziplin, bei der Sache zu bleiben und sich gegen Ablenkungen zu schützen. Wer allein in seiner Bude sitzt, muß die Einsamkeit aushalten, wer die Bibliothek vorzieht, den dort unvermeidlichen Geräuschpegel ertragen. Oft hilft ein Tapetenwechsel im Verlauf eines Tages. Zum reinen Memorieren von Gedächtnisstoff wird jeder Student Erfahrungen aus der Schule mitbringen und sich eine Technik zurechtgelegt haben. Diese gilt es ständig zu überprüfen und zu verfeinern. Wichtig ist vor allem, sich das Richtige einzuprägen, das heißt, sich ein Gespür dafür anzueignen, was wichtig ist, was weniger wichtig, was man wissen muß und was man gegebenenfalls auch nachschlagen kann. Die Fähigkeit dazu wächst mit der Zeit, doch ist, ob jemand sich damit leicht oder schwer
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tut, auch ein Zeichen für das Maß juristischer Begabung. Der Anfänger wird zuerst zu Einführungsliteratur greifen, die in den Lehrveranstaltungen empfohlen wird. Dabei handelt es sich um kürzere und leicht geschriebene Werke, in denen alles wichtig ist. Sie reichen für das Tiefenstudium nicht aus. Im zweiten Durchgang sind daher die größeren Lehrbücher heranzuziehen. In den Kernfächern lohnt es sich, ein dickes Buch durchzuackern, denn die differenzierte und materialreiche Darstellung wichtiger Rechtsbereiche ist das Tor zu einem vertieften Verständnis. Bücher sind teuer und deshalb muß jede Anschaffung sorgsam geprüft werden. Man sollte sich in der Bibliothek die in Betracht kommenden Werke ausführlich ansehen, bevor man sich für eines entscheidet. An Büchern zu sparen macht in einer Buchwissenschaft wie der Jurisprudenz keinen Sinn. Lehrbücher und Nachschlagewerke, die man kauft, reichen für sich allein aber nicht aus, denn es ist immer wieder nötig, Gerichtsentscheidungen oder Aufsätze nachzulesen. Das gilt vor allem bei der Anfertigung von Hausarbeiten, bei der erwartet wird, mehrere Äußerungen zu demselben Problem miteinander zu vergleichen, ihre Abweichungen herauszuarbeiten und dazu Stellung zu nehmen. Insofern bleibt jeder Student, auch wenn er vorzugsweise zu Hause lernt, auf die Benutzung einer juristischen Bibliothek angewiesen.
4. Studentische Arbeitsgruppen Als Ergänzung des Selbststudiums kann sich die Gruppenarbeit mit Kommilitonen als sehr hilfreich erweisen. Sie ermöglicht eine gewisse Arbeitsteilung bei der Vorbereitung, wechselseitige Kontrolle des Wissensstandes und vertiefende Diskussion. Um funktionsfähig zu sein, sollte eine Gruppe nicht mehr als vier oder höchstens fünf Teilnehmer umfassen, die einen ähnlichen Kenntnisstand mitbringen.
VI. Reform 1. Mängel der Ausbildung Die Grundstruktur der Juristenausbildung — Gliederung in Studium und Referendariat, Staatsprüfungen statt Universitätsdiplom — liegt seit über 200 Jahren fest. Ausbildungsgegenstände und -methoden haben sich gewandelt. Auch seit 1945 haben mehrere Reformen stattgefunden. Die wichtigste war der Großversuch der sog. einstufigen Ausbildung, das heißt der Integration der Praxis in das Studium unter Verzicht auf das
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Referendariat. Sie wurde 1971 an mehreren Universitäten von H a m b u r g u n d Bremen bis Konstanz eingeführt, 1984 aber wieder aufgegeben, hauptsächlich, weil sie sich als teurer herausgestellt hat als die zweistufige Ausbildung. Keine Reform h a t zu endgültig befriedigenden Lösungen geführt, weshalb auch die Reformdiskussion immer wieder auflebt. Gegenwärtig werden die Hauptmängel in der auch im internationalen Vergleich zu langen Dauer der Ausbildung und in dem zu geringen Gewicht des europäischen Rechts und des Auslandsstudiums gesehen. Beides ist maßgeblich von der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften beeinflußt. Die fortschreitende Integration Europas verlangt mehr denn je Juristen, die auch über Kenntnisse vom Recht der anderen Mitgliedstaaten verfügen 1 4 . Das von der EG selbst gesetzte Recht verändert in wachsendem M a ß e die nationalen Rechtsordnungen und gleicht sie einander an. Junge Juristen, die in anderen Mitgliedstaaten in deutlich kürzerer Zeit gleichwertig ausgebildet werden, erlangen dadurch einen Startvorteil für ihre berufliche Laufbahn, denn die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt eröffnet ihnen den Z u g a n g zur Rechtsanwaltschaft und zu Wirtschaftsunternehmen und -verbänden in allen Mitgliedstaaten. Die zu lange Dauer der Ausbildung hat viele Ursachen und ist daher nicht leicht zu bekämpfen. Die wichtigsten dürften sein: die bei weitem zu hohe Zahl der Studenten im Vergleich zum Lehrpersonal (Massenuniversität); die unzureichende Vorbereitung der Oberschüler auf ein anspruchsvolles Universitätsstudium und der unbegrenzte Zugang zum Jurastudium für alle, die das Abitur wenn auch nur mit schlechten Noten bestanden haben; die Überlastung des Studiums mit Lernstoff; die Struktur der Staatsprüfungen, bei denen verlangt wird, daß die Studenten den ganzen Stoff auf einmal parat haben. Vor allem letzteres führt dazu, daß die Studenten die Meldung zur Prüfung nach dem Ende der Regelstudienzeit oft semesterlang hinausschieben, sei es aus purer Prüfungsangst, sei es, weil sie tatsächlich noch nicht genügend vorbereitet sind. Die Reform des Jurastudiums liegt angesichts der Bindung an die staatlichen Vorgaben (oben II.) nicht in den Händen der Universitäten, sondern der Staatsorgane. Sie m u ß durch Änderungen des Deutschen Richtergesetzes und der Juristenausbildungsgesetze der Länder bewirkt werden und ist daher den Regeln der politischen Willensbildung unterworfen. Daraus folgt, daß gegenwärtig bei den beiden ersten Faktoren keine Verbesserungen zu erwarten sind. Der Staat ist weder bereit, die Anforderungen an das Abitur zu verschärfen noch den Z u g a n g zum Jurastudium zu begrenzen oder das Lehrpersonal zu vermehren. Immer14
So auch Steiger, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1989, S.283, 284.
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hin scheint doch eine öffentliche Diskussion darüber in Gang zu kommen, ob die Zahl der zum Studium zugelassenen Abiturienten nicht begrenzt werden sollte. Doch haben sich die Reformüberlegungen der letzten Jahre vor allem auf die beiden an zweiter Stelle genannten Ursachen — Überlastung mit Stoff und Struktur des Examens — konzentriert. Sie haben inzwischen die ersten Früchte getragen.
2. Der Freiversuch Unerwartet großen Erfolg hat ein seit 1 9 9 0 unternommener Versuch des Landes Bayern gehabt, die Studiendauer dadurch zu verkürzen, daß den Studenten, die sich spätestens nach dem Ende des 8. Semesters dem Staatsexamen unterziehen, gestattet wird, das Examen zu wiederholen (sog. Freischuß). Nach den veröffentlichten Statistiken haben davon in Bayern 5 5 % der Studenten Gebrauch gemacht. Dieses Ergebnis hat dazu geführt, daß die Regelung für das gesamte Bundesgebiet einheitlich im D R i G festgeschrieben wurde. Dabei gibt es zwei Varianten. In BadenWürttemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, dem Saarland und Sachsen kann die Prüfung auch lediglich mit dem Ziel wiederholt werden, die Note zu verbessern, während in Hessen und Rheinland-Pfalz die Wiederholung nur zugelassen wird, wenn der Kandidat das Examen beim Freiversuch nicht bestanden hat. In beiden Fällen bleibt die schon bisher geltende Regelung unberührt, daß ein nicht bestandenes Examen einmal wiederholt werden kann. Einschließlich des Freischusses kommen daher jetzt drei Anläufe in Betracht.
3. Inhaltliche Reform Die Freiversuchsregelung zielt in erster Linie darauf ab, den Entschluß zu erleichtern, sich frühzeitig zum Examen zu melden, entfaltet also eine psychische Wirkung. Sie kann aber eine inhaltliche Reform nicht ersetzen. Eine solche wird von den Justizministern des Bundes und der Bundesländer gegenwärtig vorbereitet. Welche Neuregelungen sie im einzelnen bringen wird, läßt sich noch nicht genau erkennen, zumal die Abstimmung zwischen den Ländern und Parteien schwierig ist. Beschlossen ist eine Verkürzung des Referendariats auf zwei Jahre. Im Studium soll das Europäische Recht stärker betont und das Auslandsstudium besser honoriert werden. Auch eine Stoffentlastung ist vorgesehen, doch ist noch nicht entschieden, wie weit sie reichen soll und welche Fächer sie betreffen wird. Vor einer stärkeren Spezialisierung zwischen Justizjuristen, Verwaltungsjuristen und Wirtschaftsjuristen schrecken die Justizminister einstweilen zurück, obwohl auf längere Sicht vermutlich nur auf diesem
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Weg eine sinnvolle Entlastung erreicht werden kann. Im Gespräch ist ferner, das erste Staatsexamen dadurch zu entlasten, daß Teile der Prüfung in frühere Semester vorverlagert und der dort geprüfte Stoff dann abgeschichtet wird.
Anhang
Deutsches Richtergesetz (Auszug) (DRiG) In der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1972 (BGBl. I, S. 713) zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 1992 (BGBl. I, S. 1926)
SS Befähigung zum Richteramt (1) Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der Ersten Staatsprüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der Zweiten Staatsprüfung abschließt. (2) Studium und Vorbereitungsdienst sind inhaltlich aufeinander abzustimmen. §5a Studium (1) Die Studienzeit beträgt dreieinhalb Jahre; diese Zeit kann unterschritten werden, sofern die für die Zulassung zur Ersten Prüfung erforderlichen Leistungen nachgewiesen sind. Mindestens zwei Jahre müssen auf ein Studium an einer Universität im Geltungsbereich dieses Gesetzes entfallen. (2) Gegenstand des Studiums sind Pflicht- und Wahlfächer. Pflichtfächer sind die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Die Wahlfächer dienen der Ergänzung des Studiums und der Vertiefung der mit ihnen zusammenhängenden Pflichtfächer. (3) Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis. Während der vorlesungsfreien Zeit finden praktische Studienzeiten von insgesamt mindestens drei Monaten Dauer statt. Das Landes-
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recht kann bestimmen, daß die praktische Studienzeit bei einer Stelle und zusammenhängend stattfindet. (4) Das Nähere regelt das Landesrecht. §5b Vorbereitungsdienst (1) Der Vorbereitungsdienst dauert zwei Jahre. Die Ausbildung findet zunächst statt bei folgenden Pflichtstationen: 1. einem ordentlichen Gericht in Zivilsachen, 2. einem Gericht in Strafsachen oder einer Staatsanwaltschaft, 3. einer Verwaltungsbehörde, 4. einem Rechtsanwalt, sodann nach Wahl des Referendars, 5. bei einer Wahlstation; diese kann bei folgenden Ausbildungsstellen stattfinden, die durch Landesrecht zu Schwerpunktbereichen zusammenzufassen sind: a) einer der Pflichtstationen, b) einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes, c) einem Notar, d) einem Gericht der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- oder der Sozialgerichtsbarkeit, e) einer Gewerkschaft, einem Arbeitgeberverband oder einer Körperschaft wirtschaftlicher, sozialer oder beruflicher Selbstverwaltung, f) einem Wirtschaftsunternehmen, g) einer überstaatlichen, zwischenstaatlichen oder ausländischen Ausbildungsstelle oder einem ausländischen Rechtsanwalt, h) einer sonstigen Ausbildungsstelle, bei der eine sachgerechte Ausbildung gewährleistet ist. (2) Das Landesrecht kann bestimmen, daß 1. die Ausbildung bei den Pflichtstationen in angemessenem Umfang bei überstaatlichen, zwischenstaatlichen oder ausländischen Ausbildungsstellen oder einem ausländischen Rechtsanwalt, 2. die Ausbildung nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 zum Teil bei einem Gericht der Arbeitsgerichtsbarkeit, die Ausbildung nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 zum Teil bei einem Gericht der Verwaltungs-, der Finanz- oder der Sozialgerichtsbarkeit stattfinden kann. Eine Ausbildung an einer rechtswissenschaftlichen Fakultät kann auf die Ausbildung nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 5, eine Ausbildung an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften kann auf die Ausbildung nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 oder 5 angerechnet werden. (3) Eine Pflichtstation dauert mindestens drei Monate. Die Ausbildung bei der Wahlstation dauert mindestens vier und höchstens sechs Monate. Der Vorbereitungsdienst kann im Einzelfall aus zwingenden Gründen verlängert werden, nicht jedoch wegen unzureichender Leistungen. (4) Während der Ausbildung können Ausbildungslehrgänge bis zu einer Gesamtdauer von drei Monaten vorgesehen werden. (5) Das Nähere regelt das Landesrecht.
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§5c Anrechnung einer Ausbildung für den gehobenen Dienst (1) Eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung für den gehobenen Justizdienst oder für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst kann auf Antrag bis zur Dauer von 18 Monaten auf die Ausbildung angerechnet werden. Auf den Vorbereitungsdienst dürfen jedoch nicht mehr als sechs Monate angerechnet werden. (2) Das Nähere regelt das Landesrecht.
§5d Prüfungen (1) In den Prüfungen sind schriftliche und mündliche Leistungen zu erbringen. Die Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen und der Leistungsbewertung ist zu gewährleisten. (2) Der Stoff der ersten Prüfung ist so zu bemessen, daß das Studium nach dem vierten Studienjahr abgeschlossen werden kann. Das Landesrecht kann bestimmen, daß schriftliche Prüfungsleistungen während des Studiums erbracht werden, jedoch nicht vor Ablauf von zweieinhalb Studienjahren. Die mündliche Prüfung bezieht sich auf das gesamte Studium. (3) Die schriftlichen Leistungen in der zweiten Prüfung beziehen sich auf die Ausbildung bei den Pflichtstationen; die mündlichen Leistungen beziehen sich auf die gesamte Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung des Schwerpunktbereichs. Die schriftlichen Leistungen sind gegen oder nach Ende der Ausbildung bei der letzten Pflichtstation zu erbringen. Sieht das Landesrecht neben Aufsichtsarbeiten auch eine häusliche Arbeit vor, kann bestimmt werden, daß diese Leistung nach Beendigung der Wahlstation erbracht werden muß. (4) In der ersten und zweiten Prüfung kann das Prüfungsorgan bei seiner Entscheidung von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abweichen, wenn dies auf Grund des Gesamteindrucks den Leistungsstand des Kandidaten besser kennzeichnet und die Abweichung auf das Bestehen der Prüfung keinen Einfluß hat; hierbei sind bei der zweiten Prüfung auch die Leistungen im Vorbereitungsdienst zu berücksichtigen. Die Abweichung darf ein Drittel des durchschnittlichen Umfangs einer Notenstufe nicht übersteigen. Der Anteil der mündlichen Prüfungsleistungen an der Gesamtnote darf 40 vom Hundert nicht übersteigen. Eine rechnerisch ermittelte Anrechnung von im Vorbereitungsdienst erteilten Noten auf die Gesamtnote der zweiten Prüfung ist ausgeschlossen. Der Bundesminister der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates eine Noten- und Punkteskala für die Einzel- und Gesamtnoten festzulegen. (5) Die erste Prüfung kann einmal wiederholt werden. Eine erfolglose erste Prüfung gilt als nicht unternommen, wenn der Bewerber sich frühzeitig zur Prüfung gemeldet und die vorgesehenen Prüfungsleistungen vollständig erbracht hat. Das Nähere, insbesondere den Ablauf der Meldefrist, die Anrechnung von Zeiten des Auslandsstudiums, der Erkrankung und der Beurlaubung auf die
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Thomas Raiser/Hans-Jörg Graf
Studiendauer sowie die Folgen einer Prüfungsunterbrechung, regelt das Landesrecht. Das Landesrecht kann eine Wiederholung der Prüfung zur Notenverbesserung vorsehen. (6) Das Nähere regelt das Landesrecht.
Anerkennung von Prüfungen (1) Die Zulassung zum Vorbereitungsdienst darf einem Bewerber nicht deswegen versagt werden, weil er die erste Prüfung nach § 5 in einem anderen Land im Geltungsbereich dieses Gesetzes abgelegt hat. Die in einem Land im Geltungsbereich dieses Gesetzes auf den Vorbereitungsdienst verwendete Zeit ist in jedem deutschen Land anzurechnen. (2) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Befähigung zum Richteramt nach § 5 erworben hat, ist im Bund und in jedem deutschen Land zum Richteramt befähigt.
2. KAPITEL
Juristische Tätigkeit: Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung Harro Otto 1. Die Bindung an das Gesetz Mit Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung ist zum einen der zentrale Bereich der praktischen Tätigkeit des Juristen umrissen. Anwendung und Auslegung anderer Rechtssätze — Verordnungen, Satzungen — bieten insoweit keine eigenständigen Probleme. Z u m anderen aber wird zugleich eine besonders sensible Problematik der juristischen Tätigkeit berührt. Jene eigenartige Problematik nämlich, daß Gesetzesauslegung, insbesondere die durch den Richter, von jeher nicht nur staatlichen Autoritäten, sondern auch dem juristischen Laien, dem Bürger, suspekt ist. Hinter so gegensätzlichen Schmähungen des Juristen wie denen als „Paragraphenreiter" oder „Rechtsverdreher" verbergen sich nicht nur grobe Mißverständnisse über die juristische Tätigkeit, sondern zugleich irrationale Wünsche und Ängste. Die Freiheit, die die Auslegung dem Juristen eröffnet, wird offenbar zugleich als Bedrohung der eigenen Freiheit verstanden. Das ist hinsichtlich staatlicher Autoritäten ohne weiteres einsichtig, denn je vorausberechenbarer die Gesetzesanwendung ist, desto effektiver lassen sich Gesetze zur Ordnung und Steuerung der Gesellschaft einsetzen. Von hierher ist der Wunsch verständlich, „daß die Gesetzgebung einen solchen Grad der Vollkommenheit erreichen werde, daß dem Richter nur das mechanische und geisttötende Geschäft übrig bliebe, die Thatfrage in eine Gesetzesform hineinzupassen, so daß er nur ein Paar gesunder Augen und Ohren zur Verrichtung der Rechtsprechung bedürfte". 1 In bezug auf den Bürger liegt die Problematik jedoch differen-
1
Zachariae, Die Lehre vom Versuche der Verbrechen, Erster Theil, 1836, S. 204.
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Harro Otto
zierter. Richtig ist nämlich einerseits, daß Gesetzesanwendung dort in Willkür ausartet, wo die Bindung an das Gesetz verlorengeht. Andererseits aber garantiert die strenge Bindung an den Gesetzeswortlaut keinesfalls richtige im Sinne zutreffender, allgemein überzeugender Entscheidungen, sie birgt vielmehr die Gefahr des Abgleitens der Rechtsanwendung in formalen Schematismus. Es ist daher kein Zufall, daß sich im Laufe der historischen Entwicklung Perioden strenger Gesetzesbindung und weniger strenger Gesetzesbindung ablösen. Gleichwohl ist der Anspruch, die richtige Lösung eines sozialen Konflikts aufzuzeigen, unmittelbar mit der Gesetzesanwendung verknüpft. Jede Gesetzesanwendung, die diesen Namen verdient, steht unter dem Anspruch, unter vielen Möglichkeiten der Lösung sozialer Konflikte die richtige Möglichkeit auszuweisen. Das aber kann im Rechtsstaat nur die dem Gesetz entsprechende Lösung sein. Von diesem Ausgangspunkt erscheint daher in der Tat Gesetzesauslegung überflüssig und gefährlich. Allein Gesetzesanwendung scheint gefordert zu sein. Der Jurist soll feststellen, ob ein bestimmtes Verhalten der gesetzlichen Regelung entspricht oder nicht. Die Feststellung wiederum, ob ein bestimmtes Verhalten dem im Gesetz bezeichneten entspricht, scheint die Subsumtionstechnik mühelos zu gewährleisten, die im übrigen durch unproblematische formale Regeln (argumentum a maiore ad minus, argumentum e contrario u. a.) im Einzelfall ergänzt werden kann.
2. Die Subsumtionstechnik Die Subsumtion stellt sich als ein Syllogismus dar, mittels dessen aus einem Obersatz (für den Tatbestand Τ gilt die Rechtsfolge R) und dem Untersatz (der Sachverhalt S entspricht dem Tatbestand T) die Schlußfolgerung (für den Sachverhalt S gilt daher die Rechtsfolge R) allgemein einsichtig gezogen werden kann. Im konkreten Fall bedeutet das: Sachverhalt: A schlägt dem Β mit der Faust ins Gesicht. Tatbestand der Körperverletzung: Wer einen anderen Menschen körperlich mißhandelt, wird bestraft, § 223 StGB. Frage: Entspricht das Verhalten des A dem im Gesetz beschriebenen? Subsumtion: 1. „Wer": der A 2. „einen anderen Menschen": den Β 3. „Körperlich mißhandelt", d.h. den Körper übel unangemessen behandelt, so daß das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche
Juristische Tätigkeit: Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung
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Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt w i r d : Ein F a u s t s c h l a g ins Gesicht beeinträchtigt das k ö r p e r l i c h e W o h l b e f i n d e n erheblich. Ergebnis:
A h a t den T a t b e s t a n d der K ö r p e r v e r l e t z u n g erfüllt und ist
d e m e n t s p r e c h e n d zu bestrafen.
3. Die Grenzen der Subsumtionstechnik A u f den ersten
Blick scheint hier bewiesen,
daß
sich der A k t
der
R e c h t s a n w e n d u n g in einem S u b s u m t i o n s v o r g a n g erschöpft. — Dies w a r a u c h die Auffassung des Rechtspositivismus des 1 9 . J a h r h u n d e r t s u n d der J a h r h u n d e r t w e n d e . Die R e c h t s o r d n u n g w u r d e als lückenloses, geschlossenes System v o n Rechtssätzen
begriffen, das die logisch
begründete
L ö s u n g aller Fälle erlaubte. Ausdrücklich bestimmte ζ. B. d a s Preußische Allgemeine L a n d r e c h t in den SS 4 6 , 4 7 seiner Einleitung: % 4 6 : Bey Entscheidungen streitiger Rechtsfälle darf der Richter den Gesetzen keinen andern Sinn beylegen, als welcher aus den Worten, und dem Zusammenhange derselben, in Beziehung auf den streitigen Gegenstand, oder aus dem nächsten unzweifelhaften Grunde des Gesetzes, deutlich erhellet. § 4 7 : Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteyen zu benennen, seine Zweifel der Gesetzescommißion anzeigen, und auf deren Beurtheilung antragen. In Bezug a u f die Rechtslehrer h a t t e das Gesetz z u v o r klargestellt: § 6 : Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden. Die strenge Bindung an das Gesetz schien allerdings n i c h t n u r Rechtssicherheit zu gewährleisten, sie schien a u c h die U n a b h ä n g i g k e i t des Juristen v o n philosophischen,
historischen und politischen Überlegungen
und
Einflüssen zu garantieren. Viehweg, Positivismus und Jurisprudenz, in: Positivismus im 19. Jahrhundert, hrsg. von J.Blühdorn und J.Ritter, 1 9 7 1 , S. 1 0 9 — 1 1 0 : „Die erheblichen sozialen Spannungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer spürbarer wurden, weckten bei der Rechtswissenschaft offenbar Immunisierungstendenzen. Die Trennung von Recht und Politik wurde zum anerkannten Programm und förderte das, was man in möglichst enger Anlehnung an das Gesetz Gesetzespositivismus nennt. Man hoffte, die Ansicht vertreten zu können, daß man als Jurist mit außerordentlich vielen Gedanken, die im politischen Raum von Bedeutung sind, nichts zu tun habe. Das ist für die weitere Entwicklung sehr wichtig gewesen. Zur Erhellung ist Laband heranzuziehen, der ja eine sog. „reine" Rechtsdogmatik entwickelte und versicherte, daß für die spezifisch juristische Konstruktion, jetzt wörtlich, „alle historischen, politischen und philosophischen Betrachtungen... ohne Belang" sind. Juristischer
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Positivismus ist eben dadurch gekennzeichnet, daß man derartige Betrachtungen wegläßt, mit der Behauptung, dies sei möglich und erforderlich. Wer mit Juristen verkehrt, weiß, daß ihr Bewußtsein nicht selten von dieser Ansicht geprägt ist. Sie sind in diesem Sinne „Positivisten"."
Jedoch schon die genauere Betrachtung des Subsumtionsbeispiels begründet Zweifel daran, daß Rechtsanwendung sich in der Subsumtion erschöpft. Wieso ist eine körperliche Mißhandlung eine üble unangemessene körperliche Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt? Das Gesetz selbst ist erheblich knapper formuliert! Doch kann man sich hier — vielleicht — noch mit dem Gedanken trösten, das verstehe jeder verständige Mensch unter einer körperlichen Mißhandlung. Ob dem wirklich so ist, mag dahinstehen, denn dieser Trost reicht nicht sehr weit. Um das „allgemeine Verständnis" eines Begriffsinhalts ist es oft arg bestellt: Fall: Der Arzt A operiert de lege artis ein Furunkel des B, obwohl Β seine Einwilligung verweigert. Der Eingriff gelingt, nach wenigen Tagen deutet nur noch eine kleine Narbe auf das einst gefährliche Geschwür.
Frage: Hat A den Β körperlich mißhandelt? Vertretbare Meinungen: a) Es kommt nicht auf den endgültigen Zweck des Eingriffs an, sondern nur auf den unmittelbaren Eingriff. Dieser stellt aber als Verletzung der Körperintegrität eine körperliche Mißhandlung dar, die freilich gerechtfertigt sein kann durch Einwilligung des Patienten oder durch rechtfertigenden Notstand. b) Ein lege artis durchgeführter Heileingriff ist keine tatbestandsmäßige Körperverletzung, denn es liegt keine „üble unangemessene Behandlung des Körpers" vor, weil dieser Eingriff auf Besserung des körperlichen Zustandes abzielt. c) Nur der gelungene, zur Heilung führende, de lege artis durchgeführte Heileingriff ist keine Körperverletzung. d) Nur der Heileingriff, der zum Substanzverlust führt, ist tatbestandsmäßige Körperverletzung.
Für welche Ansicht soll die Entscheidung getroffen werden? Dem Gesetz ist dieses durch bloßes Lesen seines Wortlauts und durch schlichte Subsumtion der einzelnen Begriffe mit Sicherheit nicht zu entnehmen. Die Kenntnis des „allgemeinen Wortsinns" und der Subsumtionstechnik garantiert keine richtige Entscheidung. Sie ist nur Hilfsmittel auf dem Wege zu dieser Entscheidung. Reichel, Gesetz und Richterspruch, 1 9 1 5 , S. 6 5 — 6 6 : „Niemals, in keinem Falle entscheidet der Wortlaut des Gesetzes für sich allein. Der Wortlaut des Gesetzes entscheidet für die Rechtsprechung so wenig als im täglichen Leben die Worte eines Menschen für sich allein über das Verhalten entscheiden, das wir ihm gegenüber einnehmen. Die Sprachforschung, insbesondere die psychologische Wortforschung
Juristische Tätigkeit: Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung
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hat uns belehrt, daß es keinen Wortsinn an und für sich selbst gibt, sondern daß die Worte, dem Chamäleon gleich, ihre Bedeutung wechseln je nach der Umgebung und Beziehung, in der sie gebraucht werden. Absolut eindeutige Worte gibt es vielleicht überhaupt nicht. Bei Ermittlung der Bedeutung eines Wortes kommt es sonach stets auf die Umgebung, den Zusammenhang, die begleitende Geste und hundert andere Umstände an. Der Ton macht die Musik; das Unausgesprochene bestimmt den Sinn des Wortes."
4. Lebenssachverhalt und Norm Schon die Vorstellung, daß die gesetzliche Regelung und der Lebenssachverhalt isoliert nebeneinander stehen, begünstigt unrichtige Weichenstellungen. Die moderne Rechtstheorie hat nachgewiesen, daß das Gesetz nichts Fertiges ist, sondern als Möglichkeit, nicht aber Wirklichkeit von Recht der Auslegung dahin bedarf, ob ein bestimmter zur Beurteilung anstehender Lebenssachverhalt dem vom Gesetzgeber Gemeinten entspricht. Das „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Norm und Lebenssachverhalt" (Engisch) ist gerichtet auf ein Verstehen der zwischen ihnen bestehenden Entsprechung. Das Verständnis selbst beruht auf einer analogen Denkweise, die eine doppelte Analyse sozialer Sachverhalte voraussetzt: Zunächst gilt es, durch Deutung der einzelnen Begriffe einer Norm deren Inhalt durch Auslegung zu ermitteln, sodann ist zu prüfen, ob ein konkreter Lebenssachverhalt (soziale Konfliktsituation) jenem Sachverhalt entspricht, den der Gesetzgeber durch seine gesellschaftspolitische Entscheidung in bestimmter Weise regeln wollte. Abweichungen des tatsächlichen Sachverhalts vom gesetzlich typisierten Sachverhalt sind in sorgfältiger Analyse aufzuzeigen und auf ihre Relevanz hin zu untersuchen. Das vom Gesetzgeber Gemeinte ist jedoch nicht allein der Summe der Begriffe eines gesetzlichen Tatbestandes zu entnehmen. Die Interpretation einer Rechtsnorm, unabhängig von der sozialen Wirklichkeit, geht an der Funktion der Rechtsnorm — soziale Probleme zu lösen, Handlungsräume zu definieren — vorbei. Soziale Realität und Gesetz sind vielfältig aufeinander bezogen. Norm und Realität können nicht als isolierte Bereiche verstanden werden, die sich allein dadurch berühren, daß die Realität unter die Norm gezwängt wird. In der Auslegung ist vielmehr zu versuchen, die einem Konflikt angemessenste Regelung aufzudecken. Zu beachten ist dabei, daß Normen, die eine bestimmt strukturierte soziale Realität beeinflussen wollen, mit dem Wandel dieser Realität einer Sinnänderung unterliegen. Mit der Änderung der sozialen Verhältnisse werden Normen überflüssig, ändern ihren Anwendungsbereich oder ihren Inhalt, ohne daß dies zunächst der Rechtsgesellschaft
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bewußt wird. — Richtig ist die Auslegung, die den Sinn der gesetzlichen Regelung optimal verwirklicht. Auslegung ist daher Ermittlung des Sinnes einer gesetzlichen Regelung. Sie steht immer unter einer leitenden Hinsicht, die entscheidet, unter welchem Gesichtspunkt ein Gegenstand betrachtet werden soll.
5. Die Elemente der Auslegung Wesentliche Elemente der Auslegung hat bereits Friedrich gny vor 1 5 0 Jahren prägnant beschrieben:
Carl v. Savi-
„Das Eigentümliche (der Auslegung) zeigt sich, wenn wir sie in ihre Bestandtheile zerlegen. So müssen wir in ihr Vier Elemente unterscheiden: ein grammatisches, logisches, historisches und systematisches. Das grammatische Element der Auslegung hat zum Gegenstand das Wort, welches den Übergang aus dem Denken des Gesetzgebers in unser Denken vermittelt. Es besteht daher in der Darlegung der von dem Gesetzgeber angewendeten Sprachgesetze. Das logische Element geht auf die Gliederung des Gedankens, also auf das logische Verhältnis, in welchem die einzelnen Theile desselben zueinander stehen. Das historische Element hat zum Gegenstand den zur Zeit des gegebenen Gesetzes für das vorliegende Rechtsverhältnis durch Rechtsregeln bestimmten Zustand. In diesen Zustand sollte das Gesetz auf bestimmte Weise eingreifen, und diese Art des Eingreifens, das was dem Recht durch dieses Gesetz neu eingefügt worden ist, soll jenes Element zur Anschauung bringen. Das systematische Element endlich bezieht sich auf den inneren Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft. Dieser Zusammenhang, so gut als der historische, hat dem Gesetzgeber gleichfalls vorgeschwebt, und wir werden also seinen Gedanken nur dann vollständig erkennen, wenn wir uns klar machen, in welchem Verhältnis dieses Gesetz zu dem ganzen Rechtssystem steht, und wie es in das System wirksam eingreifen soll." Man kann in diesem Kanon das logische Element als systematisches begreifen, weil es auf den Textzusammenhang und damit auf das System des Gesetzes verweist. In dem von Savigny als systematisch bezeichneten Element hingegen klingt bereits der Zweckgedanke an, der in der weiteren Entwicklung zentrale Bedeutung erlangte. Unter Berücksichtigung dieser Akzentverschiebung lassen sich heute vier Auslegungsmethoden unterscheiden, die allerdings nunmehr durch eine fünfte ergänzt werden müssen.
2
Friedrich Carl v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I, 1840, 213 f.
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6. Die Technik der Auslegung a) Die grammatische Auslegung A u s g a n g s p u n k t aller Auslegung ist der Gesetzeswortlaut. Sein Sinn ist z u n ä c h s t n a c h d e m allgemeinen S p r a c h g e b r a u c h zu ermitteln. Die Grenze bildet der n o c h möglich Sprachsinn. Z u b e a c h t e n ist jedoch, o b der Gesetzgeber b e s t i m m t e n A u s d r ü c k e n einen speziellen Sinn gegeben h a t . W e i l die E r m i t t l u n g des W o r t s i n n s die Grenzen bestimmt, innerhalb derer eine Auslegung ü b e r h a u p t möglich ist, k o m m t ihr zentrale Bedeut u n g zu. J e d o c h s c h o n hier zeigt sich, d a ß kein allgemeiner
Konsens
v o r a u s g e s e t z t w e r d e n kann, w e n n die B e d e u t u n g einzelner Begriffe ausgelotet w i r d , denn a u c h die S p r a c h e entwickelt sich fort. Die B e d e u t u n g einzelner Begriffe läßt sich d a h e r nicht ein für alle M a l e festlegen. Vorbildlich setzte sich der Buñdesgerichtshof
m i t dieser P r o b l e m a t i k
auseinander, als er i m J a h r e 1 9 5 0 die F r a g e zu entscheiden h a t t e , o b ein T ä t e r , der einem M ä d c h e n bei einem R a u b ü b e r f a l l e v e r d ü n n t e Salzsäure in das Gesicht geschüttet hatte, dieses „ m i t einer W a f f e " verletzt h a t t e und sich d a m i t einer gefährlichen K ö r p e r v e r l e t z u n g im Sinne des § 2 2 3 a S t G B schuldig g e m a c h t hatte. D a s Gericht führt a u s : „Die bisherige Rechtsprechung hat allerdings die Auffassung vertreten, daß die mechanische Wirkung zum Begriff der Waffe gehöre, und deshalb ätzende Stoffe (z. B. Vitriol) nicht als Waffe angesehen (Rspr RGSt 4 , 2 9 8 ) . Der Senat glaubt an dieser Begrenzung des Waffenbegriffs nicht festhalten zu dürfen. Ihr Ursprung liegt, wie die angeführte grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts ergibt, in Auffassungen über das Wesen der Waffe, die aus dem in der Allgemeinheit und in der Technik beobachteten Sprachgebrauch hergeleitet wurden, Auffassungen, die dem Wandel der Zeiten unterworfen sind. Die Entscheidung von 1 8 8 2 durfte eine Aufzählung der Wirkungsweisen einer Waffe im technischen Sinne mit Hieb, Stoß, Stich, Wurf oder Schuß als erschöpfend betrachten. Sie konnte bei der Erörterung der Reichstagsberatungen über die Fassung des § 2 2 3 a ausführen, daß neben den zu mechanischer Einwirkung geeigneten Gegenständen die sonstigen zu Körperverletzungen gebrauchten Werkzeuge an praktischer Bedeutung so weit zurückständen, daß ihrer nur bei besonderem Anlaß gedacht werde Die für die enge Auslegung angeführten Gründe, die ihren Ursprung hiernach nicht in strafrechtlichen Erwägungen, sondern gerade in der außerstrafrechtlichen Auffassung vom Wesen der Waffe hatten, haben durch die seitdem eingetretene Entwicklung ihre Berechtigung verloren. Wie die Kriegstechnik in wachsendem Maße Waffen auch zur Herbeiführung von Verbrennungen, Betäubungen, Vergiftungen hergestellt und verwendet hat und damit sogar Waffenwirkungen von viel entsetzlicherer Art schuf, als sie den mechanischen Kampfmitteln eignen, so rechtfertigt auch rein gedanklich das fortgeschrittene Forschungsbild der Naturwissenschaften nicht mehr, die Scheidung zwischen mechanischen und chemischen Vorgängen mit der
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gleichen Strenge zu betonen, wie das früheren Zeiten geboten erschien. Dieser Entwicklung ist auch der allgemeine Sprachgebrauch in dem, was er unter „Waffen" versteht, längst gefolgt. Es könnte nur zu fragen sein, ob dieser Wandel in der technischen und in der allgemeinen Betrachtung keine Schlüsse für die strafrechtliche Bestimmung des Waffenbegriffs erlaube, weil der Inhalt strafrechtlicher Begriffe aus dem Strafgesetz selbst zu entnehmen ist. Die strafrechtliche Würdigung führt aber gerade zu dem Schluß, daß dem Sinn und dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der hier in Frage stehenden Strafvorschriften nur die weitere Fassung des Waffenbegriffs, wie er heute der allgemeinen Auffassung entspricht, gerecht werden kann. Die genannten Vorschriften heben aus den Tatbeständen der Körperverletzung, des Diebstahls und des Raubes als besonders strafwürdig die Fälle heraus, bei denen der Täter eine Waffe verwendet oder bei sich trägt. Der gesetzgeberische Grund für die strengere Strafdrohung ist die größere Gefährlichkeit einer solchen Handlungsweise. Gerade aus diesem Gesichtspunkt aber läßt sich nichts dafür herleiten, daß ein Rechtsbrecher, der einem Mitmenschen Verletzungen beibringen will, in seiner Strafwürdigkeit grundsätzlich danach verschieden beurteilt werden soll, ob er diese Verletzungen durch einen Messerschnitt oder durch eine ätzende Säure herbeiführen will, und zwar in dem Sinne, daß der Angriff mit dem chemischen Mittel milder zu bestrafen sei als der mit dem mechanischen Werkzeug. Ein grundsätzlicher Unterschied dieser Art findet in keiner strafrechtlichen Erwägung eine Rechtfertigung, weder nach dem Maß der Verwerflichkeit der Handlungsweise noch nach der Größe der Gefahr für den Angegriffenen."3 Man mag, trotz der Sorgfalt der Begründung, darüber streiten, ob hier wirklich die Grenzen des Wortlauts eingehalten wurden oder ob sich das Gericht aus der Wortenge befreite 4 . Ähnlich streitig wird z. B. auch die Wortauslegung bei der Klärung der Frage sein, ob jemand, der einen anderen mit seinem Kraftfahrzeug vorsätzlich angefahren und sich dann vom Tatort entfernt hat, [ / « / « / / f l u c h t begangen hat 5 oder ob zum Begriff des Unfalls auch ein Element der Zufälligkeit gehört. Andererseits kann aber die Wortauslegung durchaus schon zwingende Grenzen weisen. So begeht z. B. einen Versicherungsbetrug, § 2 6 5 StGB, wer eine gegen Feuersgefahr versicherte Sache in betrügerischer Absicht in Brand setzt. Fall: A und seine Ehefrau beschließen, ihr Haus, das gegen Feuer versichert ist, in Brand zu setzen, um die Versicherungssumme zu kassieren. A schüttet aus einem Kanister Benzin im Haus aus, paßt aber nicht hinreichend auf, so daß seine Ehefrau auch mit Benzin bespritzt wird. Daraufhin geraten die Eheleute in Streit. Nachdem sie sich beruhigt haben, zündet A ein Streichholz an, um den Brand zu legen. Es erfolgt jedoch eine Explosion, bei der das Haus zusammenstürzt und Frau A getötet wird. Um die Tat zu vertuschen, zündet A nunmehr den Trümmerhaufen an.
3 4 5
BGHSt. 1, 2 f. Dazu Tröndle, Leipziger Kommentar, 10. Aufl. 1978 ff, § 1 Rdn. 33. Dazu BGHSt. 24, 382.
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Da Inbrandsetzen und Explodierenlassen nicht dasselbe sind, erfüllte die Explosion nicht den Tatbestand des Inbrandsetzens, das spätere Anzünden des Trümmerhaufens erfolgte hingegen nicht mehr in betrügerischer Absicht und betraf auch keine gegen Feuersgefahr versicherte Sache. — Mag die Versuchung daher noch so groß sein, Inbrandsetzen und Explodierenlassen zu identifizieren, so setzt der Wortsinn dieser Identifikation Grenzen.
b) Die historische Auslegung Zur weiteren Klärung kann sodann der Wille des historischen Gesetzgebers herangezogen werden. Die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers kann Hinweise auf eine eventuelle Wertentscheidung geben, die auch heute noch relevant ist. Gleichwohl ist hier Vorsicht geboten. BGHSt. 10, 1 5 9 — 1 6 0 : „Kein Gesetz verträgt eine starre Begrenzung seiner Anwendbarkeit auf solche Fälle, die der vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Ausgangslage entsprechen; denn es ist nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepaßt weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist."
Der Jurist beraubt sich damit nicht wertvoller Hilfsmittel bei der Auslegung, ζ. B. der Materialien eines Gesetzes. Diese binden ihn jedoch nicht, sondern werden als „Ansichtsäußerungen mehr oder minder intimer Sachkenner" (Reichel) bewertet. BGHSt. 10, 3 7 5 : Der Angeklagte hatte bei einem Forstdiebstahl in den fünfziger Jahren einen Lastkraftwagen benutzt. — Nach dem aus dem vergangenen Jahrhundert stammenden Preußischen Gesetz betreffend den Forstdiebstahl wird ein Forstdiebstahl schärfer bestraft, „wenn zum Zwecke des Forstdiebstahls ein bespanntes Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist". Problematisch war nun, ob der Angeklagte unter diesen Tatbestand fiel oder nicht.
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Kraftfahrzeug als bespanntes Fuhrwerk angesehen werden kann, erwähnt der Bundesgerichtshof die — hier sehr problematischen — Grenzen des Wortlautes nur beiläufig. Er wendet sich sogleich der historischen Dimension zu, indem er darlegt, daß das Gesetz aus einer Zeit stammt, in der die Entwicklung des Kraftfahrzeugs in den ersten Anfängen stand, keinerlei Bedeutung für den Verkehr hatte und daher bei der Gesetzgebung nicht berücksichtigt wurde. Gleichwohl kommt er zu dem Ergebnis, daß die Vorschrift auf Kraftfahrzeuge anzuwenden ist, weil ihr zu entnehmen sei, daß der historische Gesetzgeber die Strafe schärfen wollte in den Fällen, in denen „der Täter mit einem mit herkömmlichen Zugtieren bespannten Fahrzeug größere Mengen Diebesgut wegschaffen, auch Schaden an jungen Holzbeständen anrieh-
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ten und überdies sich der Ergreifung auf frischer T a t oder sonst der Feststellung seiner Person leichter entziehen kann." Bindend ist der Wille des historischen Gesetzgebers jedoch in keinem Fall. So wurde z. B. zur Zeit des Inkrafttretens des Strafgesetzbuches im Jahre 1 8 7 1 als Ende des Lebens der endgültige Stillstand von Kreislauf und Atmung angesehen. Nachdem die medizinische Wissenschaft es ermöglicht hatte, Menschen auch erhebliche Zeit nach diesem Stillstand „wieder zu beleben", wurde der Todeszeitpunkt neu definiert, um den Schutz der Tötungsdelikte auszudehnen. Heute gilt als Todeszeitpunkt das irreversible Erlöschen der Gehirntätigkeit. Der Gesetzeswortlaut ist der gleiche geblieben, der Wille des historischen Gesetzgebers wird als — wissenschaftlich — überholt abgetan.
c) Die systematische Auslegung Der nächste Schritt auf dem Weg vom Gesetzeswortlaut zum Norminhalt knüpft an die Erkenntnis an, daß ein Gesetz eine Einheit bildet, die einzelnen Normen daher nicht isoliert, sondern in ihrem Gesetzeskontext gesehen werden müssen (systematische Auslegung). Unter mehreren, dem Wortsinn nach möglichen Bedeutungen erhält diejenige den Vorzug, die sich am besten in den Gesetzeszusammenhang einpassen läßt. Beispiel: Nach § 226 StGB wird eine Körperverletzung besonders schwer bestraft, wenn durch „die Körperverletzung" der Tod des Verletzten verursacht worden ist. Frage: Kann Körperverletzung i. S. dieser Vorschrift auch eine fahrlässige Körperverletzung sein? Überlegung: Nein, denn ausgehend von der vorsätzlichen Körperverletzung, §223 StGB, sind in den nachfolgenden Tatbeständen jeweils schwerere Strafen angedroht für den Fall besonderer Folgen dieser Körperverletzung. Auch § 226 bezieht sich daher auf § 223, d. h. auf die vorsätzliche Körperverletzung.
d) Die teleologische Auslegung Schließlich gilt es bei der Auslegung die Tatsache nicht aus dem Auge zu verlieren, daß jede Rechtsnorm einen praktischen Zweck (griech. Télos, daher teleologische Auslegung) erfüllen soll. Sie ist darauf gerichtet, soziale Probleme zu lösen, widerstreitende Interessen auszugleichen und soziales Miteinander zu ermöglichen. Reichel, Gesetz, S. 67: „Der oberste Grundsatz aller Gesetzesauslegung lautet: Eine Gesetzesbestimmung ist so auszulegen, daß sie sich als möglichst taugliches Mittel zur Erreichung des mit ihr verfolgten gesetzgeberischen Zweckes darstellt."
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Eine Norm kann in ihrem Inhalt und in ihren Grenzen nur dann zutreffend erkannt werden, wenn man sich Klarheit darüber verschafft, welche rechtspolitische Entscheidung gerade mit dieser konkreten Norm getroffen werden sollte. Maßgeblich ist dabei auf den vom Gesetzgeber erkennbar gewollten, hilfsweise auf den aus dem Inhalt der Regelung vernünftigerweise zu entnehmenden Zweck abzustellen. Reichel, Gesetz, S. 66: „Es kann daher ein Gesetz seinem Wortlaut nach anscheinend noch so klipp und klar sein, und dennoch können wir die Pflicht haben, es gegen diesen Wortlaut auszulegen. Ich erinnere an das oft berufene Beispiel: ,Es ist verboten, Hunde auf den Bahnhof zu bringen.' Nichts scheint unzweideutiger als dies. Was Hund, was Bahnhof ist, weiß jedes Kind. Und doch, wenn dieses Verbot nach dem ,klaren* Wortlaut ausgelegt würde, so ergäbe es einen Sinn, der offenbar Unsinn wäre. Denn darnach wäre es einerseits statthaft, Bären und Löwen in den Wartesaal zu bringen; während andererseits die reglementsmäßige Bahnbeförderung von Hunden überhaupt unzulässig wäre; denn man kann einen Hund nicht mit der Bahn befördern, ohne ihn auf den Bahnhof zu bringen."
Die Gefahr der teleologischen Auslegung liegt darin, daß eine bestimmte ideologisch oder egoistisch begründete Zwecksetzung als vernünftige, richtige Zwecksetzung ausgegeben und dem Gesetzgeber damit ein bestimmter politischer Zweck unterschoben wird. — Schranke derartiger Manipulation ist allein die Offenlegung der Zwecksetzung in der Argumentation, die damit rational nachprüfbar wird.
e) Europäisches Recht als Auslegungsmaßstab für das nationale Recht Rechtsnormen des Gemeinschaftsrechts der Europäischen Gemeinschaft gehen den Regelungen des nationalen Rechts vor. Der nationale Richter ist darüber hinaus verpflichtet, nationale Rechtsnormen, die er anzuwenden beabsichtigt, auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu überprüfen. Das gilt nicht nur für Gesetze, sondern auch für die Regelungen der Richtlinien, einer dem Gemeinschaftsrecht eigenen Rechtsinstitution: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl oder Form der Mittel", Art. 189 Abs. 3 EWGV. Die Richtlinie richtet sich nicht unmittelbar an die Bürger der EG, sondern an die Mitgliedsstaaten. Sie bindet die Organe der Rechtssetzung wie auch die Organe der Rechtsanwendung. Für die nationalen Gerichte ist damit die Pflicht begründet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu gewährleisten, daß dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden nationa-
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len Maßnahmen die Wirksamkeit versagt bleibt. Die Richtlinie ist daher Auslegungsmaßstab für das nationale Recht. Das nationale Recht ist im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen 6 .
7. Das Ziel der Auslegung Schon die verschiedenen Beispiele haben gezeigt, daß die Auslegung keineswegs immer zu einem eindeutigen Ergebnis führt. Es lassen sich in zahlreichen Fällen Argumente für eine bestimmte Lösung sammeln, doch werden andere Lösungen damit noch nicht zwingend ausgeschlossen. Beispiele: a) A erschlägt den nichts Böses ahnenden B, nachdem er sich heimlich von hinten an ihn herangeschlichen hat. A ist als Mörder nach §211 StGB zu bestrafen, wenn „heimtückisch" als „Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers" zu interpretieren ist, nicht aber, wenn ein heimtückisches Verhalten den „Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses" voraussetzt. b) Student A nimmt die Leiche des Β aus der Anatomie weg. A hat eine „Sache" im Sinne des § 242 StGB (Diebstahl) weggenommen, wenn auch eine Leiche als schlicht körperlicher Gegenstand angesehen, nicht hingegen, wenn die Leiche als „Persönlichkeitsrückstand" betrachtet wird. Diese Diskrepanz trotz Verwendung logischer Hilfsmittel, trotz philologischer, historischer, systematischer und teleologischer Auslegung ist keineswegs ungewöhnlich, noch beunruhigend. Sie ist vielmehr selbstverständlich, denn — unabhängig vom historischen Wandel in der Bestimmung einzelner Begriffe und der Sicht einzelner sozialer Probleme — kommen in jeder Fallösung Prämissen zum Tragen, die nicht jeweils ausdrücklich genannt werden, die jedoch implicite bestätigt oder in Frage gestellt werden. Vorverständnis von der Richtigkeit der Lösung eines bestimmten sozialen Konflikts und methodische Auslegung eines Textes sind damit nicht verschiedene Sachverhalte, vielmehr vollzieht sich jede Auslegung auf der Grundlage eines Vorverständnisses, mit dem der Auslegende an das Auslegungsprojekt herangeht. Schon das Lesen dessen, „was dasteht", begründet eine Meinung darüber, „was dasteht". Ihre Richtigkeit gilt es in der rechtlichen Argumentation nachzuweisen. Dieses geschieht nicht im Rekurs auf irgendwelche Autoritäten oder Überzeugungen, sondern durch Offenlegung der maßgeblichen Gründe. Die Transparenz der Entscheidungsgründe ermöglicht den rationalen Nachvollzug der Argumen-
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Im einzelnen dazu Götz, NJW 1992, 1851 ff; Jarass, NJW 1990, 2420 ff.
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tation und damit ihre rationale Kontrolle. Auslegung ist ein Verfahren, das durch offene Argumentation seine Überzeugungskraft offenbart und damit für die getroffene Entscheidung wirbt. 7
8. Über die Auslegung hinaus: die Analogie Da die sozialen Probleme sich in einer Rechtsgesellschaft unter vielfältigsten Aspekten stellen und zudem die Rechtsgesellschaft stets in Entwicklung begriffen ist, kann auch ein noch so sorgfältig bedachtes Gesetz nicht für jeden einer Regelung bedürftigen Fall, der dem Regelungsbereich des Gesetzes unterfällt, eine Lösung bieten. Das Gesetz ist unvermeidbar lückenhaft, dennoch aber darf der Richter die Entscheidung nicht verweigern. Der Richter muß daher methodisch in der Lage sein, Lücken auszufüllen, d. h. das Recht über das Gesetz hinaus fortzuentwikkeln. Damit aber tritt er in Konkurrenz mit dem Gesetzgeber. — Grob umrissen wird er sich aber dann nicht dem Parlament vorbehaltene Rechte anmaßen, wenn er sich im Rahmen der vorgegebenen gesetzlichen Regelung hält. Er geht über den Wortsinn der vorhandenen gesetzlichen Regelungen hinaus und überschreitet damit die der Auslegung vorgegebenen Grenzen. Hält er sich dennoch in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen, so liegt ein Fall zulässiger Rechtsfortbildung durch analoge Anwendung des Gesetzes vor. Analogie ist danach die Übertragung der für einen Tatbestand oder für mehrere, ähnliche Tatbestände im Gesetz gegebenen Regel auf einen vom Gesetz unmittelbar nicht geregelten, aber den geregelten Fällen ähnlichen Fall. Dieser Übertragungsakt vollzieht sich in drei Schritten: (a) Feststellung einer Gesetzeslücke im Wege der Auslegung: aa) Eine bestimmte Problemkonstellation ist im Gesetz nicht geregelt. bb) Damit wollte der Gesetzgeber auch nicht zum Ausdruck bringen, daß seine Regelung nicht auf diese Konstellation anwendbar sein soll. (b) Bildung des Obersatzes: Nachweis, daß das Gesetz ähnliche Problemkonstellationen kennt und ihnen ein bestimmtes Regelungsprinzip derartiger Fälle entnehmbar ist (übliche Terminologie: Ähnlichkeit der nicht geregelten mit einer geregelten Konstellation liegt vor), und zwar liegt eine sog. Rechtsanalogie vor, wenn dieses Prinzip in zahlreichen
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Vertiefend zur Auslegungsproblematik: Engisch, Einführung in das juristische Denken, 1983, S. 85 ff; Arthur Kaufmann, aUHil 1992, 297 ff, 346 ff; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 312 ff; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 1985, S.39ff.
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Vorschriften zum Ausdruck kommt, eine sog. Gesetzesanalogie, wenn nur eine einzelne Vorschrift auf den nicht geregelten Fall anwendbar ist. (c) Subsumtion. Die Analogie spielt im Rechtsleben eine bedeutende Rolle und kann wirtschaftlich erhebliche Konsequenzen haben. So bestimmt z . B . das Kaufrecht in § 4 6 3 B G B , daß der Käufer dann Schadensersatz wegen Nichterfüllung erhält, wenn der gekauften Sache eine zugesicherte Eigenschaft fehlt (§ 4 6 3 S. 1 BGB) oder wenn der Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen hat ( § 4 6 3 S. 2 BGB). Nicht geregelt ist der Fall, daß der Käufer eine Eigenschaft zwar nicht zugesichert, wohl aber arglistig vorgespiegelt hat. Die Rechtsprechung hat hier im Wege der Gesetzesanalogie — § 4 6 3 S. 2 B G B — Schadensersatz wegen Nichterfüllung gewährt 8 . Oft wird allerdings schon streitig sein, o b überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt. So regelt z. B. § 8 4 7 B G B den Schmerzensgeldanspruch im Falle der Verletzung des Körpers, der Gesundheit und der Freiheitsentziehung. Als die Gerichte mit dem Fall befaßt wurden, ob es auch Schmerzensgeld wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts geben kann — in Bildanzeigen war ohne Wissen des Betroffenen mit einem Bild von ihm für ein potenzsteigerndes Mittel geworben worden —, stellte sich zunächst die Frage, o b der Gesetzgeber den Schmerzensgeldanspruch nicht ausdrücklich abschließend in § 8 4 7 B G B geregelt hat. Der Bundesgerichtshof verneinte diese Frage und stellte fest: „Nachdem durch Art. 1, 2 G G das Recht zur freien Selbstbestimmung der Persönlichkeit als ein Grundwert der Rechtsordnung anerkannt ist, ist es gerechtfertigt, in analoger Anwendung des § 8 4 7 B G B auch dem durch die unbefugte Veröffentlichung seines Bildes Verletzten wegen eines hierdurch hervorgerufenen, nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld zu gewähren." 9 Die Problematik soll nicht weiter verfolgt werden, hier geht es vielmehr nur darum, den Blick darauf zu lenken, wie stark die Rechtsanwendung in diesem Bereich das Prinzip der Gewaltenteilung tangieren kann.
9. Grenzen der Rechtsfortbildung Unabhängig von den durch den Grundsatz der Gewaltenteilung begründeten Grenzen der Rechtsfortbildung, ist diese nicht in allen Rechtsgebieten in gleicher Weise zulässig. Da nämlich die Rechtsfortbildung unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und der Möglichkeit der
s Vgl. RGZ 103, 160; BGH NJW I960, 238; BGH BB 1975, 1181. » BGHZ 26, 349.
Juristische Tätigkeit: Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung Einrichtung
des eigenen V e r h a l t e n s n a c h
den gesetzlichen
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Vorgaben
erhebliche Risiken enthält, b e s c h r ä n k t der G r u n d s a t z „ n u l l u m c r i m e n sine lege s c r i p t a " die richterliche R e c h t s f o r t b i l d u n g i m Strafrecht. D e r G r u n d s a t z — A r t . 1 0 3 Abs. 2 G G , § 1 S t G B — enthält vier rechtsstaatlic h e G a r a n t i e n , die den Gesetzgeber und den R i c h t e r binden:
a) Der Bestimmtheitsgrundsatz Die s t r a f b a r e T a t m u ß gesetzlich bestimmt
sein. D e r T a t b e s t a n d
muß
d a s strafbare Verhalten m ö g l i c h s t g e n a u beschreiben. D e h n b a r e , inhaltlich k o n t u r e n l o s e Begriffe sind zu vermeiden, die Spannweite der Strafr a h m e n m u ß sich in ü b e r s c h a u b a r e r Breite halten. N u r d a n n g a r a n t i e r t d a s Gesetz die D u r c h s e t z u n g des Willens des Gesetzgebers und beugt richterlicher W i l l k ü r v o r . BVerfGE 4 5 , 3 7 1 — 3 7 2 : „Das Gebot der Gesetzbestimmtheit gilt sowohl für den Straftatbestand (Tatbestandsbestimmtheit — nullum crimen sine lege) als auch für die Strafandrohung (nulla poena sine l e g e ) . . . Das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes darf nicht übersteigert werden. Die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden. Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jeden Tatbestand bis ins letzte ausführen müßte. Das Strafrecht kann deshalb nicht darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht allgemeingültig umschrieben werden können und mithin in besonderem Maße einer Deutung durch den Richter bedürfen. Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit bedeutet also nicht, daß der Gesetzgeber gezwungen ist, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit rein deskriptiven, exakt erfaßbaren Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben. Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht sind deshalb nicht von vornherein verfassungsrechtlich zu beanstanden. Gegen die Verwendung derartiger Klauseln oder Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen läßt, so daß der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen."
b) Das Rückwirkungsverbot D e r zeitliche Geltungsbereich der Strafgesetze w i r d festgelegt d u r c h das R ü c k w i r k u n g s v e r b o t . Die Strafbarkeit m u ß gesetzlich b e s t i m m t gewesen sein, bevor
die T a t begangen w u r d e .
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c) Der Ausschluß des Gewohnheitsrechts Straftatbestände dürfen nur in dem geschriebenen Recht enthalten sein. Dazu gehören Gesetze im formellen Sinne, die Rechtsverordnungen und die autonomen Satzungen, nicht aber das Gewohnheitsrecht. Unzulässig ist daher eine gewohnheitsrechtliche Begründung oder Verschärfung von Straftatbeständen oder Strafen. Die allgemeine Überzeugung, ein Verhalten sei strafwürdig, ersetzt den geschriebenen Gesetzestatbestand nicht.
d) Das Analogieverbot Das strafbare Verhalten muß gesetzlich bestimmt sein. Eine Strafbegründung oder Strafschärfung mit dem Argument, das Verhalten des Täters stehe einem bestimmten im Gesetz beschriebenen Unrecht gleich, ist unzulässig. Die Straftatbestände sind in den Strafgesetzen abschließend aufgeführt. Mit der Begründung, der Unrechtsgehalt einer im Gesetz nicht beschriebenen Verhaltensweise entspreche dem eines im Gesetz vertypten Unrechts, darf der Richter weder den Bestand der Straftaten erweitern noch auf eine in bestimmter Weise strafbare Tat einen schärferen Strafrahmen anwenden. In gleicher Weise ist es unzulässig, neue Straftaten zu erfinden. Beispiel: Nach § 303 StGB ist das Zerstören und Beschädigen einer Sache strafbar. Fall 1: A schmilzt eine wertvolle Goldmünze des Β ein: Sachbeschädigung, § 303 StGB. Fall 2: A versteckt die Münze im Hause des Β so, daß Β sie nicht mehr finden kann: Sachentziehung, von § 303 StGB nicht erfaßt.
10. Gesetzesanwendung, Gesetzesauslegung und Garantie „richtiger" Entscheidungen Gesetzesanwendung ist ein auf rechtliche Entscheidung sozialer Konflikte gerichtetes Verfahren, in dem eigene Meinung, Subsumtion, Auslegung und Fortbildung des Gesetzes eng aufeinander bezogen sind. Dieses Verfahren vermag nicht richtige Ergebnisse gleichsam automatisch zu produzieren. Die Tätigkeit ist vielmehr darauf gerichtet, Vorurteile in Frage zu stellen, den Blick für die in einer gesetzlichen Regelung verborgenen Möglichkeiten zu öffnen, Zwang auszuüben dahin, eine Entscheidung nicht willkürlich, sondern verantwortlich zu treffen, sowie die Gründe der Entscheidung und damit diese selbst transparent zu machen
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und auf diese Weise methodisch nachprüfbar zu gestalten. Gesetzesanwendung ist damit ein Verfahren, das durch offene Argumentation seine Überzeugungskraft offenbart und damit für die getroffene Entscheidung wirbt. Es ist die dem Rechtsstaat angemessene demokratische Tätigkeit des Juristen: Werbung für eine bestimmte Lösung sozialer Konflikte durch die Überzeugungskraft der vorgebrachten Argumente. — Der Jurist, der sich dessen nicht bewußt ist, begibt sich in die Gefahr, zum „Paragraphenreiter" oder „Rechtsverdreher" herabzusinken.
3. KAPITEL
Juristische Arbeitsmittel Klaus F.Röhl
A. Der Umgang mit der Literatur Die Bibliothek ist das Labor der Juristen, Literatur ihr wichtigstes Arbeitsmittel. Für Juristen ist die Literatur so wichtig, daß sie sich nicht auf die allgemeine Universitätsbibliothek verlassen. Fast bei allen juristischen Fakultäten existieren besondere Abteilungsbibliotheken, meistens unter dem Namen Juristisches Seminar. Viele Fakultäten unterhalten ein „Zentrales Rechtswissenschaftliches Seminar", in dem die Literatur für alle juristischen Fächer zusammengefaßt ist. In einigen Universitäten ist das Seminar in Einheiten für Zivilrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht aufgegliedert. Fast überall gibt es daneben jedenfalls einige spezialisierte Bibliotheken innerhalb des juristischen Fachbereichs, häufiger für Völkerrecht, Ausländisches Recht und Internationales Privatrecht, für Kriminologie, Sozialrecht oder, ζ. B. in Bochum, für Berg- und Energierecht. Eine gut ausgestattete juristische Fachbibliothek umfaßt bis zu 300 000 Bände. Wie soll man sich da zurechtfinden? In der Stadtbibliothek und auch in der Universitätsbibliothek leisten (hoffentlich) freundliche und sachkundige Bibliothekare dem Neuling Hilfestellung und stehen auch dem erfahrenen Benutzer noch mit Rat und Tat zur Seite. In der juristischen Fachbibliothek gibt es wenig Personal. Es handelt sich selten oder nie um ausgebildete Bibliothekare. Das Personal beschränkt sich im wesentlichen auf die bibliothekstechnisch notwendigen Arbeiten und eine gewisse Aufsicht. Der Benutzer muß sich selbst helfen. Natürlich gibt es Kataloge. Ferner stehen spezielle Hilfsmittel wie die NJW-Fundhefte oder die Karlsruher Juristische Bibliographie bereit. Aber auch die sind nur von untergeordneter Bedeutung. Es hilft nichts, man muß seine Bibliothek kennen, um sie sinnvoll benutzen zu können. Und
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das ist auch gar nicht so schwer. Kennt man dann eine, kennt man mehr oder weniger alle. Was auf den ersten Blick als wilde Bücherflut erscheint, erschließt sich auch dem Anfänger schnell, weil die Sache „System" hat. Das wichtigste Ordnungsprinzip ist die grobe Unterteilung der juristischen Fächer in Zivilrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht. Innerhalb dieser groben Teilung besteht dann eine Feineinteilung, die im großen und ganzen dem gleichen Muster folgt wie die Einteilung der Lehrveranstaltungen. Wenn man überhaupt nur Literatur zu einem bestimmten Rechtsgebiet sucht, lernt man daher sehr schnell, in welchen Räumen und Regalen sie zu finden ist. Das zweite Ordnungsprinzip liegt quer zur Einteilung nach Sachgebieten. Hier geht es um die verschiedenen Quellen, aus denen der Inhalt der zahllosen Bände stammt. Im Prinzip gibt es drei solcher Quellen, nämlich amtliche Veröffentlichungen, Gerichtsentscheidungen und die juristische Literatur im engeren Sinne. Die wichtigsten amtlichen Verlautbarungen sind die Gesetze des Bundes und der Länder. Für ihren Wortlaut sind die Gesetz- und Verordnungsblätter maßgeblich. Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG besagt, daß die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Die Landesverfassungen enthalten ähnliche Bestimmungen. In allen juristischen Bibliotheken stehen daher lange Reihen von Gesetz- und Verordnungsblättern. Neben den Gesetzblättern von Bund und Ländern gibt es weitere amtliche Verlautbarungen, so im Bundesanzeiger, in Amtsblättern der Städte und Gemeinden und nicht zuletzt im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft. Praktisch nimmt ein Jurist Gesetzblätter aber selten zur Hand, denn alle wichtigen Gesetze werden laufend von juristischen Verlagen in „privaten" Gesetzessammlungen in handlicher Form veröffentlicht. Die beiden wichtigsten Sammlungen dieser Art sind der „Schönfelder" und der „Sartorius" aus dem C. H. Beck Verlag1. Sie sind vorzüglich und zuverlässig editiert und werden durch Ergänzungslieferungen immer wieder auf den neuesten Stand gebracht. Kein Jurist, ob Student oder Praktiker, kann auf sie verzichten. Die zweite wichtige Quelle, die die Bände der juristischen Bibliotheken füllt, sind die Gerichte mit ihren Entscheidungen. Zwar wirken Entscheidungen selbst der höchsten Gerichte in Deutschland, anders als etwa in
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Soeben haben sie in der dreibändigen Sammlung „STUD-IUR Nomos-Textausgaben" eine mindestens vom Preis her ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen.
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England und in den USA, nicht als verbindliche Präjudizien. Die einzige Ausnahme gilt für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, mit denen ein Gesetz für nichtig erklärt wird (§32 BVerfGG). Deswegen werden Gerichtsentscheidungen auch nicht von Amts wegen veröffentlicht. Praktisch haben sie aber doch eine starke Vorbildwirkung, die teilweise durch die Pflicht zur Vorlage abweichender Entscheidungen an ein übergeordnetes Gericht auch rechtlich abgesichert ist. Deshalb werden zahllose Entscheidungen abgedruckt, die der oberen Gerichte fast vollständig. Für das Bundesverfassungsgericht und für jedes der fünf oberen Bundesgerichte, teilweise sogar für die Oberlandesgerichte, gibt es eine sog. amtliche Entscheidungssammlung. Dabei handelt es sich aber gar nicht um eine amtliche Veröffentlichung, sondern um Entscheidungssammlungen, die von den Richtern der betreffenden Gerichte, die sich damit ein Zubrot verdienen, in Zusammenarbeit mit juristischen Verlagen herausgegeben werden. Gerichtsurteile unterliegen, wie alle amtlichen Veröffentlichungen, keinem Urheberrecht. Sie können beliebig nachgedruckt werden. Daher erscheinen neben den traditionellen „amtlichen" Entscheidungsreihen inzwischen eine Vielzahl unterschiedlich aufbereiteter und spezialisierter Entscheidungssammlungen, nunmehr auch in der Form von elektronischen Datenbanken. Auch die juristischen Fachzeitschriften unterhalten regelmäßig einen Entscheidungsteil, in dem sie die aktuellen und wichtigen Gerichtsentscheidungen ganz oder in Auszügen abdrucken. Die meisten Druckseiten füllt jedoch das juristische Schrifttum, verfaßt von Professoren, Richtern, praktisch tätigen Juristen, Doktoranden und anderen. Das juristische Schrifttum gliedert sich grob in vier verschiedene Literaturgattungen, mögen auch hier, wie so oft, die Grenzen verschwimmen. Da sind zunächst, für den Studenten anfangs besonders wichtig, die Lehrdarstellungen. Sie reichen von dickleibigen Großlehrbüchern bis zu vervielfältigten Repetitorenskripten. Kein Student wird auf die beliebten Kurzlehrbücher verzichten wollen. Sie sind in der Tat nützlich. Aber im Anfang braucht man Redundanz, um zu verstehen. Für den Anfänger ist es daher der bessere Rat, zu den dicken Büchern zu greifen. Die guten unter ihnen sind sogar interessant. Man muß sie nicht, ja man darf sie nicht auswendig lernen. Man muß nur darin lesen, immer wieder lesen und viel lesen, bis sich von alleine nach einiger Zeit die Dinge zusammenfügen. Erst dann kann man zu lernen beginnen. Für den praktisch tätigen Juristen, und bei der Anfertigung von Übungs- und Examensarbeiten auch für den Studenten, bilden Kommentare die wichtigste Literaturgattung. Kommentare sind Erläuterungsbü-
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cher zu einzelnen Gesetzen. Sie erklären den Gesetzestext und weisen mehr oder weniger vollständig die einschlägige Rechtsprechung und das übrige Schrifttum nach. Kommentare ersetzen damit für den Juristen Stichwortregister und Schlagwortkataloge. Um sie benutzen zu können, muß man allerdings zunächst mit den wichtigsten Gesetzen und ihrer Systematik vertraut sein. Aber dann erweisen sich Kommentare geradezu als Wunderwerke der Informationsverarbeitung. Viele sind inzwischen so perfekt, daß es trotz aller technischen Vorteile der elektronischen Datenverarbeitung bisher nicht gelungen ist, sie durch Datenbanken zu verdrängen. Musterbeispiel ist der „Palandt", ein Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und den wichtigsten Nebengesetzen, 1938 von Otto Palandt begründet, heute von einem ganzen Team prominenter Juristen bearbeitet. Der „Palandt" erscheint jährlich neu, zuletzt 1992 in 52. Auflage mit 2664 eng bedruckten Seiten zum Preis von 188,— DM. Neben den Handkommentaren, die nur aus einem Band bestehen, gibt es vielbändige Großkommentare, die oft mehrere Jahre benötigen, bis eine neue Auflage fertiggestellt ist, und die daher weniger aktuell sind, dafür aber die verschiedenen Probleme bis in die kleinsten Verästelungen verfolgen. Während Lehrbücher und Kommentare ganze Rechtsgebiete abdecken, widmet sich die monographische Literatur in größerer Ausführlichkeit speziellen Einzelproblemen. Kennzeichen einer Monographie ist darüber hinaus, daß sie als selbständiges Buch gedruckt wird. Nicht zuletzt Habilitationsschriften und Dissertationen fallen in diese Gattung. Der Anfänger kann sie vorläufig im Regal lassen. Mit Einzelthemen befassen sich auch zahllose Aufsätze, die in Sammelwerken veröffentlicht werden. Sammelveröffentlichungen erscheinen oft als Festschriften oder als Tagungsbände. Sammelveröffentlichungen sind aber auch und vor allem die laufend erscheinenden juristischen Zeitschriften. Die Zeitschriften lassen sich wiederum nach verschiedenen Gesichtspunkten sortieren. Zunächst gibt es die allgemein-juristischen Zeitschriften, die alle Rechtsgebiete abdecken, allen voran die Neue Juristische Wochenschrit (NJW), die Juristenzeitung (JZ), die Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR) und die Juristische Rundschau (JR). Die Mehrzahl der Zeitschriften hat sich jedoch auf engere Rechtsgebiete spezialisiert. Sie bieten neben Aufsätzen aktuelle Informationen, Buchbesprechungen und einen mehr oder weniger umfangreichen Entscheidungsteil. Fast alle juristischen Zeitschriften halten ein „wissenschaftliches" Niveau. Die bisher einzeln oder pauschal genannten richten sich jedoch mehr oder weniger an alle Juristen, insbesondere auch an die „Praktiker". Darüber hinaus gibt es einen kleineren Kreis von Zeitschriften, die sich
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der wissenschaftlich vertieften Diskussion widmen. Hierher gehören das Archiv für die civilistische Praxis (AcP), das Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), die Zeitschrift für Zivilprozeß (ZZP) und einige mehr. Für den Studenten sind die drei Zeitschriften von besonderer Bedeutung, die sich als sog. Ausbildungszeitschriften an junge Juristen wenden. Es handelt sich um die Juristische Schulung aus dem C. H. Beck Verlag (JuS), die Juristischen Arbeitsblätter (JA) aus dem Alfred Metzner Verlag und, last not least, die Juristische Ausbildung J U K I aus dem Verlag Walter de Gruyter. Der Ausbau der juristischen Bibliotheken ist hinter dem Ansturm der Studenten weit zurückgeblieben. Oft herrscht drangvolle Enge und noch öfter sind die benötigten Bücher nicht aufzufinden. Aber Studenten sind findig. Sie suchen in Universitäts- und Gerichtsbibliotheken, bei Anwälten und Versicherungen, und kommen meistens zum Ziel. Wichtiger noch, die große Zahl der Studenten hat es für Verlage und Autoren lohnend gemacht, Studienliteratur zu produzieren. Es gibt heute eine nie dagewesene Fülle von kurzen und ausführlichen Lehrbüchern zu allen wichtigen Rechtsgebieten, dazu die drei bereits genannten Ausbildungszeitschriften, Fallsammlungen und andere Hilfsmittel. Die Ausbildungsliteratur ist durchweg von hoher Qualität und erstaunlich preiswert. Allerdings muß jeder Student (in der Lage und) bereit sein, einiges Geld in Bücher und Zeitschriften zu investieren. Noch so üppige Bibliotheken könnten den eigenen Bücherbestand nicht ersetzen. Zu allem, was der junge Jurist studieren und lernen muß, steht heute eine solche Fülle ausgezeichneter Lehrbücher, Zeitschriften und sonstiger Hilfsmittel zur Verfügung, daß allein zum Lernen kein Student mehr auf Bibliotheken angewiesen ist. Auch Vorlesungen lassen sich durch Literatur ersetzen. Man erfährt dort in der Regel nichts, was man nicht in gängigen Lehrbüchern nachlesen könnte. Juristen sind auch nicht darauf angewiesen, die Vorlesung eines bestimmten Professors nur deshalb zu besuchen, weil sie erwarten müssen, ihm im Examen wiederzubegegnen. Die juristischen Examina sind Staatsexamina. Die Prüfungskommission besteht allenfalls zur Hälfte aus Professoren. Ihre Zusammensetzung ist unvorhersehbar. Der Examensstoff ist in einer Weise kanonisiert, daß in Bayreuth dasselbe gelernt und geprüft wird wie in Bochum. Daher gibt es nicht die unwürdige Abhängigkeit von einzelnen Professoren, die bei manchen anderen Fächern die Studenten in die Vorlesungen treibt. Warum soll der Student dann überhaupt noch in die Vorlesung gehen und sich nicht mit dem Literaturstudium begnügen? Die Massenvorlesung ist ein pädagogischer Dinosaurier. Kein Jurist muß eine bestimmte Vorlesung besuchen. Jede einzelne Vorlesung läßt sich durch Literaturstudium ersetzen. Und dennoch: Man muß Vorlesungen besuchen. Auf dem
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Papier sind alle Informationen schwarz. Im mündlichen Vortrag spürt man, daß dem Vortragenden die Dinge wichtig sind. Davon läßt man sich anstecken und vielleicht sogar begeistern. Deshalb ist die Vorlesung unentbehrlich. M a n erfährt dort vielleicht nichts, was nicht irgendwo gedruckt ist. Aber die Informationen werden relevant. M a n hört Akzente, lernt zu unterscheiden, kurz aus der kalten Masse der Informationen wird einiges lebendig und wichtig. Deshalb muß man nicht jede Vorlesung besuchen. M a n kann sich diejenigen auswählen, in denen man sich angesprochen fühlt, und für die anderen Fächer auf Lehrbücher zurückgreifen. Aber man kann nicht alle Vorlesungen durch Literatur ersetzen. Zum Umgang mit Büchern und zum Lesen braucht ein junger Jurist keine Anleitung. Er muß sich nur bald die wichtigsten Abkürzungen für Gesetze, Zeitschriften Gerichte und Entscheidungssammlungen einprägen 2 . Es gibt auch gar keine allgemein gültigen Rezepte. Der eine macht sich Notizen, der andere füllt Karteikarten, der dritte liest einfach nur. Erst wenn man beginnt, Übungshausarbeiten zu schreiben, muß man sich ein System zulegen, um festzuhalten, was man gelesen hat. Dazu gibt es an anderer Stelle nützliche Hinweise. Hier ist nur noch zu sagen, daß sich das Lesen nicht durch Kopieren ersetzen läßt. Es wird zuviel geschrieben 3 . Darin liegt wohl das größte Problem für den jungen Juristen im Umgang mit der Literatur. Ein erheblicher Teil des juristischen Schrifttums ist überflüssige Wiederholung, oft geistlose Breitesttreterei. Auch Professorentitel sind nicht immer ein Qualitätsmerkmal. Für den Anfänger ist alles neu und deshalb scheinbar wichtig und interessant. Wie soll er Qualität von Quantität unterscheiden? Es gibt kein Rezept. Jeder muß seine Erfahrungen machen. Im Anfang muß man sich auf die „Klassiker" verlassen, die einem überall begegnen und empfohlen werden 4 . M a n muß mit offenen Augen umhergehen, vieles zur Hand nehmen und viel, auch Uberflüssiges, lesen. Dann muß man sich ein eigenes Urteil zutrauen. Der kritische Umgang mit Literatur scheint vielen nach der Erfahrung der Schulzeit schwerzufallen. Juristische Literatur ist nicht bloß Arbeits-
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Sie lassen sich nachschlagen bei Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., 1993. Eine gekürzte Ausgabe ist 1993 in 2. Auflage als JURAExtra erschienen: Kirchner, Abkürzungen für Juristen, 36,80 DM. Kötz, Rechtsvergleichung und Rechtsdogmatik, in: K. Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, S. 75 ff. Ich erstatte hiermit Selbstanzeige. Ich empfehle dem Anfänger, auch zur Anschaffung, Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl., 1965; Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, und Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., 1963.
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mittel oder Handwerkszeug. Sie ist auch und vor allem Diskussionsforum und Rechtsinhaltsquelle. M i t diesen beiden Stichworten verbindet sich jeweils ein großes Kapitel Rechtstheorie. Hier nur soviel: Juristische Literatur ist nicht bloß Informationsquelle, sondern Diskussionsforum. Damit soll gesagt werden, daß sich die Aufgabe der juristischen Literatur nicht darin erschöpft, über den Inhalt der Gesetze und die Entscheidungen zu informieren, sondern daß die juristische Literatur ein Ort der Argumentation und Meinungsbildung ist. Das bedeutet vor allem: M a n darf nichts für autoritativ und verbindlich nehmen, sondern muß stets auf die Argumente hören und sich am Ende selbst eine Meinung bilden 5 . Juristische Literatur ist Rechtsinhaltsquelle. Das heißt nicht, daß juristische Literatur, selbst wenn sich eine ganz herrschende und sogar eine einhellige Meinung findet, wie ein Gesetz verbindlich wäre. Doch in all den vielen Fragen, die immer wieder neu entstehen und immer wieder neu entschieden werden müssen, hat die juristische Literatur letztlich einen erheblichen Einfluß auf die Entscheidung.
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Nicht einmal den Gesetzgeber kann man immer ernst nehmen. Dazu lesenswert Johann Braun, Symbolische Gesetzgebung und Folgelast. Erfahrungen im Umgang mit § 90 a BGB, JuS 1992, 758 ff.
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Β. Der Computer als Arbeitsmittel? Als in den 70er Jahren die EDV in Betrieben und Verwaltungen auf breiter Front Einzug zu halten begann, setzte man große Erwartungen auch auf die Datenverarbeitung im Recht. Die Revolution ist ausgeblieben. Zwar ist die EDV längst zu einem nicht mehr fortzudenkenden Bestandteil auch des juristischen Alltags geworden. Aber das ist beinahe unmerklich geschehen. Mit der EDV hat sich wiederholt, was sich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit dem Auto ereignete. Das Auto bescherte der Rechtswissenschaft eine Fülle neuer Probleme. Verkehrsrecht, Haftungsrecht, Versicherungsrecht, Kauf und Reparatur von Kraftfahrzeugen beschäftigen und ernähren bis heute eine stattliche Anzahl von Juristen. Im übrigen fährt die Polizei mit dem Auto Streife, und Anwälte wie Studenten benutzen das Auto, um zum Gericht oder zur Universität zu fahren. Ganz ähnlich ist es mit der EDV. Sie hat uns in erster Linie eine Fülle neuer Rechtsprobleme gebracht. Dabei sind die Fragen um den Kauf von Hardware und Software noch die einfachsten. Schwerer wird es bei Datenschutz und Urheberrechtsfragen. Hier ist noch vieles offen. Aber das macht nicht zuletzt den Reiz des Juristenberufs aus, daß er einen kleinen Beitrag zur Gestaltung des Rechts und damit der Gesellschaft und der Zukunft leisten kann. Im übrigen benutzen wir die EDV inzwischen ebenso selbstverständlich wie das Auto. Voran ging die Groß-EDV, und daher hat sich die Büroumgebung in den letzten 25 Jahren radikal verändert. Hier gab es in der Tat so etwas wie eine Revolution, die man mit dem Übergang von der Pferdekutsche zum Automobil vergleichen kann. Die massenhaften Routinevorgänge sind längst automatisiert worden. Steuer- und Rentenbescheide werden automatisch errechnet und verschickt. Einwohnermeldekartei, Strafregister, Verkehrssünderkartei und Schuldnerkartei werden mit EDVUnterstützung geführt. In der Verwaltung ist die aktenlose Sachbearbeitung eingezogen. Die Gerichte hinken noch nach. Bislang sind dort lediglich Textverarbeitung und Kassenführung durchgehend automatisiert. Aber: Der Kern der juristischen Arbeit hat sich dadurch nicht verändert. Mag der Jurist auch zunehmend elektronische Informationsmittel benutzen und seine Ergebnisse durch die Textverarbeitung laufen lassen, die juristische Arbeit findet nach wie vor im Kopf statt. Wer an seinem Arbeitsplatz am Bildschirm hängt, ist Sachbearbeiter und nicht Jurist. Der Student bemerkt von der enormen praktischen Bedeutung der EDV nur wenig. Dem Studenten begegnet die EDV zuerst als Textverarbeitung. Sie ist für jeden jungen Juristen heute ein Muß. Niemand kann mehr damit rechnen, später im Beruf einer Sekretärin diktieren zu können. Wer sich
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die Vorteile der Textverarbeitung entgehen läßt, nimmt bei der Anfertigung von juristischen Arbeiten einen gravierenden Konkurrenznachteil in Kauf, denn die gängigen Programme helfen nicht nur bei der Schreibarbeit. Sie verwalten auch die Fußnoten, in denen die ausgewertete Literatur nachgewiesen wird, und sie helfen bei der Erstellung von Gliederungen und Literaturverzeichnissen. Die „Elektrifizierung des Schreibens" bringt freilich, wie jede neue Technik, nicht nur Erleichterung, sondern auch neue Probleme6. Man muß die Textverarbeitung deshalb vom ersten Semester an üben und kritisch nutzen. Über die Textverarbeitung findet man den Einstieg in die Welt der EDV. Jeder Student muß über einen eigenen PC verfügen. Es gibt keine Ausrede, nachdem brauchbare Geräte nicht mehr teurer sind als ein Fahrrad. Alle bekannteren Textverarbeitungsprogramme, die derzeit angeboten werden, sind so leistungsstark, daß sie den juristischen Bedarf voll abdecken7. Ob man für seinen persönlichen Bedarf weitere Programme einsetzt, ist Geschmackssache. In Betracht kommen vor allem Karteikastenprogramme und Programme zur Literaturverwaltung. Im Prinzip handelt es sich dabei um kleine Datenbankprogramme, die man selbst mit Inhalt füllen muß. Einige Programme dieser Art sind speziell für Juristen entwickelt worden 8 . Ich halte es für sinnvoller, eine der universel-
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Hoeren, Sprache, Recht und EDV, JuS 1 9 9 2 , 2 6 7 ff. In ÜEfiGl werden von Zeit zu Zeit die in Betracht kommenden Programme besprochen: Hauptmann, Juristisches Arbeiten mit dem PC (noch zu Word 4.0), JEGGl 1 9 8 9 , 4 9 9 ; Weide, Zur Diskussion gestellt: Juristisches Arbeiten auf dem PC (noch zu Word 4.0), JUZ311989, 4 9 9 ; Hauptmann, Soft- und Hardwareauswahl für die juristische Textverarbeitung, i ® / ® 1 9 9 0 , 2 3 7 ; Langel, Juristisches Arbeiten auf dem PC, 03Ι73Ί1990, 6 1 1 . Ich selbst habe von 1 9 8 3 bis 1 9 8 7 mit Wordstar gearbeitet. Seither benutze ich Nota Bene, eine speziell für Geisteswissenschaftler bearbeitete Implementation des in Amerika verbreiteten Programms XyWrite. Nota Bene zeichnet sich besonders durch Verfügbarkeit nichtlateinischer Schriftenzeichen, durch seine durchsichtige Programmstruktur mit mnemotechnisch ausgefeilten Befehlen und durch das Fehlen von Graphik-Schnickschnack und Mausgetier aus. Soeben ist die neue Version 4 . 0 erschienen. Für Studenten kostet sie 3 9 9 , — D M (Dragonfly Software). Nota Bene verfügt auch über eine Literaturverwaltung und ein Thesaurusprogramm, mit dessen Hilfe man alle gespeicherten Texte als Datenbank nutzen kann.
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Vgl. dazu Licht, Sophos. Ein Programm zur juristischen Wissensvermittlung, .DDDCGJ 1 9 9 1 , 4 6 8 ; Günther, Juristische Lernprogramme, flUfël 1 9 9 1 , 4 0 3 ; Halter, Das Jurbase Programm,flXCKS1 9 9 2 , 3 3 0 . Wer sich umfassend über die Anwendungsmöglichkeiten des PC in der Arbeit des Juristen informieren will, muß die Zeitschrift J U R - P C zur Hand nehmen.
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Klaus F.Röhl
len Datenbanken wie D-Base oder einen D-Base Clone zu verwenden, weil man auf diese Weise gezwungen wird, das Funktionsprinzip der Datenbanken zur Kenntnis zu nehmen. Die Arbeit mit solchen Programmen erfordert eine erhebliche Konsequenz und Selbstdisziplin. Wenn man diese aufbringt, so kann man daraus einigen Nutzen ziehen. Auf einer zweiten Ebene begegnet dem Juristen die EDV als Informationsmittel. Mit der Perfektionierung der Speichermedien, insbesondere der sog. CD-ROM, hält die EDV in die Bibliotheken Einzug. Mehr und mehr werden Zeitschriften und Gerichtsentscheidungen im Volltext auch auf CD-ROM gespeichert. Sie sind damit eine Alternative zum gedruckten Buch. Die dritte Ebene schließt sich nahtlos an. Wenn man ein Buch zur Hand nimmt, hat man in der Regel schon eine Fundstelle, die man nachschlagen will. Notfalls arbeitet man sich mit Inhaltsverzeichnis und Stichwortverzeichnis ans Ziel. Im Vergleich dazu bietet die elektronische Speicherung eine Potenzierung der Suchmöglichkeiten. Inzwischen werden alle CDROM mit einer Retrieval-Software geliefert, mit der man nach jedem beliebigen Stichwort oder nach Stichwortkombinationen suchen kann. Die Benutzung verlangt keine besonderen Kenntnisse, denn die Programme verfügen über eine selbsterklärende Benutzeroberfläche. Wer von seiner Textverarbeitung mit Tastatur und Bildschirm vertraut ist, kann sich in einer Viertelstunde einarbeiten. Der Sprung zur JURIS-Datenbank ist eigentlich nur quantitativ. Aber der Quantensprung ist so gewaltig, daß hier doch eine neue Qualitätsstufe erreicht wird. Vor nun über 30 Jahren wurde die JURIS-Datenbank unter der Schirmherrschaft und mit dem Geld des Bundesjustizministeriums ins Leben gerufen. Mehr als zwei Jahrzehnte hing sie am Tropf. Heute ist sie als JURIS-GmbH in Saarbrücken verselbständigt und hat vor allem ein Format gewonnen, das sie praktisch brauchbar werden läßt. Die JURISDatenbank enthält Gesetze und Gerichtsentscheidungen im Volltext sowie Nachweise der monographischen und der Aufsatzliteratur mit kurzen Inhaltsangaben. Auf Grund der inhaltlichen Breite und der Aktualität ist JURIS hervorragend geeignet, herkömmliche Hilfsmittel wie Bücher und Zeitschriften zu ergänzen. Voll ausschöpfen kann man die Leistung von JURIS allerdings nur, wenn man den Anschluß ständig verfügbar auf dem eigenen Schreibtisch hat. Das ist mit erheblichen Kosten verbunden und kommt für Studenten kaum in Frage. Die juristischen Abteilungsbibliotheken und die Universitätsbibliotheken bieten jedoch inzwischen für Studenten (fast) kostenlose Recherchemöglichkeiten. Damit sollte man sich früher oder später vertraut machen. Noch eine weitere Stufe könnten die sog. Expertensysteme bilden. Man hat schon viel Mühe in ihre Entwicklung hineingesteckt. Herausgekom-
Juristische Arbeitsmittel
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men ist dabei wenig. Immerhin gibt es ζ. B. in der Versicherungswirtschaft einige brauchbare Realisierungen. Sie richten sich aber nicht an den Juristen, sondern an den Sachbearbeiter. Viel mehr ist auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Erwähnung verdient immerhin die Anwendung von Expertensystemen als Lernprogramm (CALI = Computer Aided Legal Instruction). In den USA gibt es eine ganze Reihe von einschlägigen Implementationen, in Deutschland bislang nur sehr wenige 9 . Es ist wohl Geschmacks- und Gewöhnungssache, ob man damit besser lernen kann als mit konventionellen Lehrmitteln. Die Nintendo-Generation wird hier vermutlich zugreifen. Das Fazit ist: Der Umgang mit der juristischen Literatur und mit der E D V ist kein Geheimnis. Wer sich darauf einläßt, wird bald feststellen, daß die Hürden nicht unüberwindlich sind und daß Anstrengung belohnt wird. Jeder Abiturient hat schon so viele Bücher in der Hand gehabt und sollte hinreichende Erfahrungen mit dem Computer haben, daß der Übergang zur Nutzung der juristischen Literatur und der E D V gelingt.
' Z. B. Brehm, PC-Fallspiel Zwangsvollstreckung, 1992. Dazu Börstinghaus, Spielend lernen? — Erste Erfahrungen mit dem „PC Fallspiel: Zwangsvollstrekkung," JuS 1992, 356 f.
4. KAPITEL
Die Übungen in der Ausbildung A. Methodik der Fallbearbeitung, dargestellt am Beispiel des Zivilrechts Burkhard Heß
I. Einführung Mit der Fallberarbeitung tut man sich schwer. Das gilt nicht nur für Anfänger, sondern auch für fortgeschrittene Studenten. An sich ist dies nicht verwunderlich; denn ihre Beherrschung ist das Ziel des juristischen Studiums überhaupt (natürlich geht es daneben um die Verschaffung fundierter Rechtskenntnisse, aber die müssen jeweils auf den konkreten Fall umgesetzt werden). Das Bearbeiten von Fällen ist die tägliche Beschäftigung von Juristen: Lebenssachverhalte sind zu erfassen, zu strukturieren, die relevanten Anliegen der Beteiligten müssen formuliert und auf ihre rechtliche Begründetheit überprüft werden. Gefragt sind hier die Grundeigenschaften von Juristen (die sie bei anderen Mitmenschen nicht immer beliebt machen): die Fähigkeit, in kurzer Zeit komplexe Sachverhalte einer argumentativ überzeugenden, vom Ergebnis her vertretbaren (oder „gerechten") Lösung zuzuführen. In den Übungen (und dem Ersten Staatsexamen) wird die juristische Methodik in den Klausuren und Hausarbeiten erlernt und geprüft: Ein feststehender Sachverhalt („der Fall") ist in einem juristischen Gutachten überzeugend zu lösen. Von der Methodik her unterscheiden sich Klausur und Hausarbeit nicht. Unterschiede bestehen nur im Hinblick auf den Umfang der Aufgabenstellung, die zugelassenen Hilfsmittel (hier allein das Gesetz; dort die gesamte juristische Literatur) und die Ausführlichkeit der Ausarbeitung (die Hausarbeit erfordert eine umfassende Aufarbeitung des relevanten Meinungsstandes und eine Doku-
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Burkhard Heß
mentation in einem sogenannten „wissenschaftlichen [Fußnoten-]Apparat") 1 . Die folgende Darstellung zeigt die Arbeitsschritte der juristischen Falllösung auf: Zunächst ist der Sachverhalt zu erfassen und die Fallfrage herauszuarbeiten (II.). Anschließend ist eine Lösungsskizze zu erstellen (III.). Die Ausarbeitung der Lösung erfolgt in der Niederschrift des Gutachtens (IV.). — Am Ende des Aufsatzes findet sich schließlich eine Liste empfehlenswerter Literatur zur Vertiefung; wenigstens jeweils eines der genannten Bücher sollte jede(r) Student(in)2 im Verlauf des Studiums durcharbeiten.
II. Die Arbeit am Sachverhalt 1. Das Erfassen des Sachverhalts Der Sachverhalt bildet die Grundlage der Fallösung. Er ist deshalb sorgsam3 in einem ersten Durchgang durchzulesen. Da die Aufgabenstellung auf den konkreten Fall zugeschnitten ist, muß der Bearbeiter davon ausgehen, daß alles, was im Sachverhalt steht, auch wichtig ist für die Fallösung. „Literarisches" Beiwerk zur Ausschmückung wird sich selten finden. Es ist dann in der Regel als solches auch eindeutig zu erkennen4. Schon vor der ersten Lektüre empfiehlt sich ein kurzer Blick auf den Bearbeitervermerk am Ende der Aufgabenstellung. Dadurch kann das Lesen gleich in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Es ist nämlich durchaus möglich, daß die Fragestellung auf einen Teil der aufgeführten Personen beschränkt bleibt. Zumeist geht es um verwickelte Sachverhalte mit mehreren Personen und unterschiedlichen Daten. Daher muß beim zweiten Durchlesen der Sachverhalt strukturiert werden: die Personen sind im Text farbig zu markieren. Die Daten sollten auf einem Beiblatt notiert werden, um den
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Zur Juristischen Hausarbeit vgl. den Beitrag von Erichsen, unten S. 78 ff. Übungshausarbeiten werden regelmäßig in der ΑΙΊΚ·labgedruckt, z.B. Reimann/ Schüren, ,LUJiGll985, 36 (zu § § 4 5 9 ff BGB); Wassermann, mm 1991, 603 (zum Haustürwiderrufs- und ProdukthaftungsG). Wenn im folgenden nur von „dem" Bearbeiter (in der unpersönlichen Form) gesprochen wird, sind damit selbstverständlich auch Bearbeiterinnen gemeint. Man mag das für selbstverständlich halten. Tatsächlich kommt es aber immer wieder vor, daß Bearbeiter einen ganz anderen Sachverhalt bearbeiten als die Aufgabenstellung — nur weil sie den Sachverhalt nicht sorgfältig gelesen haben. Bisweilen bemühen sich die Aufgabensteller um eine irgendwie poetisch oder lustig klingende Namengebung.
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Ablauf der Geschehnisse in den Griff zu bekommen. Dabei gilt: alle Daten sind wichtig, alle Handlungen sind zu erfassen. Geht es um mehrere Personen, so empfiehlt sich die Erstellung einer graphischen Skizze, in der die Rechtsbeziehungen der Beteiligten dargestellt sind5. Nach Erstellen der Skizze ist in einem weiteren Durchgang zu kontrollieren, ob im Sachverhalt nichts übersehen wurde.
2. Das Herausarbeiten der Fallfrage a) Ist der Sachverhalt soweit geklärt, muß sich der Bearbeiter darüber klar werden, welche Fragen konkret zu bearbeiten sind. Dabei muß sorgfältig vorgegangen werden. Generell gilt nämlich, daß nur die Fragen zu beantworten sind, die auch konkret aufgeworfen wurden. Überflüssige Ausführungen sind zu vermeiden. Denn: alles was überflüssig ist, ist falsch. Häufig enthält der Bearbeitervermerk am Ende der Aufgabenstellung eine konkrete Fallfrage, etwa: „Kann Κ von V die Lieferung der Maschine verlangen?"; oder in etwas verdeckterer Form: „G verlangt von F Schadensersatz. Zu Recht?". Bisweilen sind auch nur die Ansprüche zwischen einem Teil der Beteiligten zu prüfen. Dann lautet die Fallfrage: „Welche Ansprüche hat A gegen B?" Die Fallbearbeitung muß sich nun auf die aufgeworfene Frage beschränken, Ansprüche gegen „C" sind also nicht zu behandeln 6 . b) Meist endet der Sachverhalt aber mit der allgemeinen Fragestellung: „Wie ist die Rechtslage?" Dann ist die Fallfrage näher zu konkretisieren. Die Bearbeiter müssen nun fragen: „ Wer will was von wem woraus?": aa) „Wer" und „von wem" bezeichnet die möglichen Anspruchsteller und Anspruchsgegner. Die Beteiligten sind in Zweipersonenverhältnisse aufzugliedern. Es ist also zu prüfen: 1. Ansprüche A gegen B, 2. Ansprüche A gegen C, 3. A gegen D usw. Meistens enthält die Aufgabenstellung auch Hinweise auf die Reihenfolge, in der die zwischen den Personen bestehenden Ansprüche zu untersuchen sind. Darin liegt eine ernstzunehmende Hilfe des Aufgabenstellers für die Prüfungsabfolge (d. h. für den Aufbau der Klausurlösung). Von dieser Abfolge sollte nicht abgewichen werden 7 . 5 6
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Beispiel bei Tettinger, Einführung, S. 90. Auch nicht, wenn der Bearbeiter am Ende der Klausur meint, noch Zeit für zusätzliche Anmerkungen zu haben. Dann empfiehlt sich eine Kontrolle der Ausarbeitung auf Zeichensetzung, Rechtschreibfehler u. ä. Instruktives Klausurbeispiel: Hager, .LtJJKil 1985, 214 (Leistungsstörungen) nebst der anschließenden Kontroverse zwischen von Einem und Hager über den zutreffenden Aufbau der Musterlösung, ,'J'J?«! 1985, 667 f.
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Burkhard Heß
bb) Die Frage nach dem „was" zielt auf den Inhalt des zu prüfenden Begehrens ab. Das Begehren ist dahin zu konkretisieren, daß es den Rechtsfolgen möglicher Anspruchsnormen entspricht (also auf Herausgabe, auf Schadensersatz, auf Rückzahlung, auf Unterlassung oder auf Duldung etc. lautet). Bei der Konkretisierung der Fallfrage ist auch der gesunde (wirtschaftliche) Sachverstand der Bearbeiter gefragt: Besagt der Sachverhalt, daß die zu liefernde Kaufsache zerstört wurde, so muß der Lieferanspruch des Käufers nicht mehr geprüft werden, vielmehr geht es nun um Schadensersatz oder andere Rückabwicklungsansprüche8. Mit der Feststellung der zu prüfenden Begehren ist die Herausarbeitung der Fallfrage abgeschlossen. Die Suche nach dem „woraus" leitet bereits über in die Erstellung der Lösungsskizze (dazu sogleich unter III.).
3. Vermeidbare Fehler bei der Arbeit am Sachverhalt a) Der Sachverhalt ist so hinzunehmen, wie er ist. Das heißt, er darf weder gequetscht noch durch Hinzufügungen entstellt werden. Auch wenn sich in der Aufgabenstellung eine gewisse Lebensferne zeigt, ist dies hinzunehmen. Manche Bearbeiter verschwenden viel Zeit mit unnötiger Kritik an der Aufgabenstellung. Das verärgert nur die Prüfer und ist Zeitvergeudung. b) Nur der konkret gestellte Sachverhalt ist zu bearbeiten. Daher darf sich ein Bearbeiter nicht sagen: „diesen Fall kenne ich — diesen Fall hatten wir beim Repetitor — dieser Fall stand kürzlich in der NJW oder in der ;)ijr"i T 9 . Denn: selbst wenn ein Fall einer bestimmten Entscheidung nachgebildet wurde, wurde er im Zweifel abgeändert. Jede Klausur ist also zu lösen, als ob der Fall neu gestellt und unbekannt ist. c) Viele Bearbeiter meinen, Klausuren enthalten „Fallen" der Aufgabensteiler. Das ist von den Klausurstellern sicherlich nicht so gemeint. Es geht auch nicht darum, die Bearbeiter hereinzulegen. Andererseits kann ein Sachverhalt eventuell auslegungsbedürftig sein. Hier ist allerdings Vorsicht anzuraten. Häufig hat der Bearbeiter die Problematik des Falles übersehen und meint deshalb, der Sachverhalt sei unzureichend und 8
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Klausurbeispiel: Pawlowski/Fleck, ÜUiQj 1987, 148 (speziell Fall 2, allgemeine Leistungsstörungen). Ein derartiges „Erinnern" führt zudem auf Abwege: Der Bearbeiter wird versuchen, die frühere Fallösung zu rekonstruieren und sich von der aktuellen Aufgabenstellung entfernen.
Die Übungen in der Ausbildung
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ungenau. Wer insbesondere für die Probleme, die er für erörterungsbedürftig hält, keine Anhaltspunkte im Sachverhalt findet, wird wohl kaum diejenigen Fragen lösen, um die es in der Aufgabenstellung geht. Sollte dennoch einmal ein Sachverhalt auslegungsbedürftig sein, sind möglichst lebensnahe Ergänzungen vorzunehmen. Beispiel: Spricht der Sachverhalt von einem „Hauptschüler", so handelt es sich um ein Kind im Alter zwischen 10 und 16 Jahren, also um einen Minderjährigen, § § 2 , 1 0 6 BGB. d) Im Sachverhalt lassen sich aber auch Hinweise auf die Problemstellung der Arbeit finden: Wenn bestimmte Vorgänge ausführlich geschildert werden, deutet dies auf einen Schwerpunkt hin. Beispiel: die detaillierte Beschreibung, wie und wann ein Schriftstück in den Machtbereich eines Empfängers (ζ. B. in einen Briefkasten und anschließend zum Adressaten) gelangt, deutet Probleme beim Zugang der Willenserklärung (SS 1 3 0 f f BGB) 1 0 oder bei der Wirksamkeit einer Zustellung (§S 1 6 6 f f ZPO) an. Dasselbe gilt für Rechtsansichten und Rechtsausführungen im Sachverhalt. Diese Ausführungen sind nicht etwa als gegeben hinzunehmen, sondern auf ihre Relevanz und Richtigkeit zu überprüfen. Enthält der Sachverhalt eine Alternative, so wird diese eine abweichende Lösung erfordern, die entsprechend zu begründen ist. e) Mit der „ersten Stufe der Fallbearbeitung" ist die Arbeit am Sachverhalt nicht abgeschlossen. Vielmehr muß der Sachverhalt bei den späteren Arbeitsstufen immer wieder in den Blick genommen werden. Bei einer guten Fallösung ist deshalb ein „ständiges Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Sachverhalt und rechtlicher Regelung" nötig 1 1 . Wer beim Durchlesen des Sachverhaltes meint, bestimmte Rechtsfragen zu erkennen, kann diese bereits durch die Angabe der betreffenden Paragraphen des BGB am Rand des Aufgabenblattes oder auf einem gesonderten Zettel festhalten. Wer hingegen bei der Bearbeitung auf einmal glaubt, den Zusammenhang nicht mehr zu sehen, sollte den Sachverhalt ruhig noch einmal in Gänze durchlesen und ruhig überlegen, was wohl der Aufgabensteller erwartet.
III. Die Erstellung der Lösungsskizze Das Erstellen der Lösungsskizze ist der zentrale Arbeitsschritt der Fallbearbeitung: Nun müssen die einschlägigen Anspruchsgrundlagen
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Klausurbeispiel: Schreiber, JuS 1984, 2 0 9 ; Krampe, JuS 1992, 852. Tettinger, Einführung, S . 9 6 .
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gefunden und in die richtige Abfolge gesetzt werden ( = Aufbau); anschließend ist die Subsumtion vorzunehmen. Ziel der Lösungsskizze ist es, die gesamte gedankliche Arbeit vorwegzunehmen und ein (Stichwort- )Korsett zu erstellen, auf dessen Grundlage eine Niederschrift erfolgt, bei der die Bearbeiter sich voll und ganz auf die Formulierung der Lösung konzentrieren können. Daher sollte mit der Niederschrift nicht begonnen werden, bevor nicht die Lösung vollständig feststeht 1 2 .
1. Das Auffinden der Anspruchsgrundlagen a) Begriff des Anspruchs Im Zivilrecht geht es um Ansprüche 1 3 . Nach § 1 9 4 I B G B beinhalten sie „das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen ( . . . ) " . Die Legaldefinition deckt sich mit der Fallfrage: will jemand Schadensersatz, so ist nun zu prüfen, o b er einen Anspruch auf Schadensersatz hat. Dieser Anspruch ergibt sich aus einer Anspruchsgrundlage. Das ist im konkreten Beispielsfall eine Norm, deren Rechtsfolge ein Recht auf Schadensersatz gibt. Die oben aufgeworfene Frage nach dem „woraus" bezieht sich also auf die Anspruchsgrundlage. b) Die Struktur von Rechtsnormen Um zu verstehen, was Anspruchsgrundlagen sind, muß man sich die Struktur von Rechtsnormen klarmachen. Normen bestehen regelmäßig aus zwei Teilen: Tatbestand und Rechtsfolge. Besonders deutlich wird dies im Strafrecht. So lautet z . B . § 2 2 3 StGB: „Wer einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Tatbestand dieser Norm ist der Satzteil: „wer einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt", die Rechtsfolge ist die Strafandrohung: nämlich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Wer sich also so verhält, wie im Tatbestand des § 2 2 3 StGB umschrieben, der muß mit einer Freiheits- oder Geldstrafe (als Rechtsfolge) rechnen.
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Häufig meinen Bearbeiter, aus Zeitnot schon vorher mit der Niederschrift beginnen zu müssen. Das führt selten zu guten Ergebnissen. Wer nämlich nicht weiß, was am Ende herauskommt, führt seine Lösung nicht stringent auf die als wichtig erkannten Punkte. Diese Unsicherheiten werden vom Korrektor als Inkonsequenz schnell ausgemacht. Zum Nutzen der Anspruchsmethode Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 1—7.
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Entsprechend sind viele Normen des B G B aufgebaut. So besagt ζ. B. § 6 3 1 I BGB: „Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet". Auch diese Norm läßt sich in Tatbestand und Rechtsfolge aufteilen. Rechtsfolge ist einerseits der Anspruch des Werkunternehmers auf Vergütung, andererseits der Anspruch des Bestellers auf Herstellung des Werkes. Tatbestandsvoraussetzung ist ein wirksamer „Werkvertrag". Man sieht also, daß diese Norm sogar zwei Ansprüche beinhaltet. Dagegen ergeben sich die Voraussetzungen dieser Ansprüche nicht nur aus § 6 3 1 BGB, sondern aus anderen Vorschriften. Denn § 631 B G B besagt nur, daß ein Werkvertrag vorliegen muß 1 4 . Die Voraussetzungen des Vertragsschlusses sind aber in § § 1 4 5 ff (teilweise) geregelt. Damit ist zugleich etwas Wesentliches über die Struktur der Normen im BGB gesagt: sie sind selten in sich vollständig, erst die Kombination verschiedener Normen ergibt sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen. Wesentliches Ziel des Studierens ist es, diese logischen Zusammenhänge im Normensystem des BGB zu erkennen 15 . c) Das Erkennen der Anspruchsgrundlagen Ausgehend vom Begriff des Anspruchs (§ 194 BGB) ist Anspruchsgrundlage jede Norm, die das Recht einräumt, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Vom Inhalt her kann man Ansprüche noch weiter spezifizieren und solche auf Leistung (Lieferung), auf Herausgabe, auf Schadensersatz, auf Duldung und auf Unterlassen unterscheiden. Ordnet eine Norm auf der Rechtsfolgenseite ein derartiges Verhalten an, so liegt eine Anspruchsgrundlage vor. Das Gesetz verwendet hierbei verschiedene Formulierungen: — Manche Normen gebrauchen ausdrücklich den Begriff „Anspruch" (§§ 6 8 7 II 1, 1 0 0 4 II, 1 0 0 5 BGB). — Andere Normen umschreiben den Anspruchsbegriff positiv durch Wendungen wie „kann verlangen" ($$ 1 0 0 4 I, 9 8 5 , 1 0 0 7 I, II 1, 8 6 1 I BGB) oder „kann klagen" (§§ 12 S . 2 , 8 6 2 I 2, 1 0 0 4 I 2 BGB).
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Doch umschreibt die Vorschrift die prägenden Merkmale des Werkvertrages: Nämlich die Werkleistung des Werkunternehmers (Erweiterung in § 6 3 1 II) und die Vergütungspflicht des Bestellers. Inhaltlich müssen die Parteien eine solche Vereinbarung treffen, um einen Werkvertrag abzuschließen. Derartige Zusammenhänge kann man sich auch durch Zahlenverweise (auf die einschlägigen Normen) im Gesetzestext markieren.
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— Bisweilen wird der Anspruch negativ aus der Sicht des Anspruchsgegners gekennzeichnet durch Formulierungen wie „ist verpflichtet (§§433 I, II, 535, 812 BGB), „Verpflichtung" (§§ 816 I 2 BGB) oder „hat zu ersetzen" (§§ 280 I, 286 I BGB). Allerdings ist der Gesetzeswortlaut nicht immer eindeutig. So gibt es Normen, die Ansprüche beinhalten, ohne dies eindeutig auszusagen: Bei atypischen Verträgen 16 werden beispielsweise als Anspruchsgrundlage der (primären) Leistungsansprüche die § § 2 4 1 , 3 0 5 BGB angeführt, obwohl diese Normen von ihrem Inhalt her diese Rechtsfolge nicht anordnen. Andere Normen beinhalten trotz ihres Wortlauts keine Anspruchsgrundlagen (z.B. § 2 5 1 BGB). d) Wichtige Anspruchsgrundlagen Ein Ziel des Studiums ist es, sich einen Überblick zu den wichtigsten Anspruchsgrundlagen zu erarbeiten. Dabei ist ein zweistufiges Vorgehen empfehlenswert: Zunächst erarbeitet man sich mit Hilfe eines Kurzlehrbuchs einen Überblick zum jeweiligen Rechtsgebiet. Dort sind die wichtigsten Anspruchsgrundlagen erläutert. Bei der Lektüre ist jeweils zu fragen, wie die behandelten Probleme bei der Prüfung der Norm aufbaumäßig einzuordnen sind 17 . In einem späteren Stadium des Studiums sollte man auch Querschnittdarstellungen lesen, in denen die unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen parallel dargestellt werden 18 . Systematisch unterscheidet man: aa) Rechtsgeschäftliche Anspruchsgrundlagen. Sie lassen sich unterteilen in Primär- und Sekundäransprüche. Frimäransprüche (d. h. Ansprüche auf Leistung), insbesondere §§ 433 I, 433 II; 516, 535, 556, 607, 611 I, 631 I, 651a I, 765 u.v.m. Zwar gründen sich die Leistungspflichten eigentlich aus dem jeweiligen Vertrag selbst, nicht aber aus den genannten Normen. Doch wird der Inhalt der Leistungspflichten durch diese Normen spezifiziert. Deshalb ist es richtig und allgemein üblich, diese Normen an die Spitze der Prüfung zu stellen, z.B.: „Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB." Um dennoch zu zeigen, daß der Anspruch seine eigentliche Grundlage im Vertrag selbst findet, kann man folgende Formulierung verwenden:
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Darunter fallen neben den Garantie- vor allem Dienstverschaffungs- und Bauträgerverträge. Überblick bei Medicus, Schuldrecht BT, §§ 120—122. Empfehlenswerte Darstellung: Musielak, Grundkurs BGB, 3. Aufl. 1991. Lesenswert ist die Aufsatzfolge von Medicus: JuS 1983, 897: Ansprüche auf Geld; JuS 1985, 658: Ansprüche auf Herausgabe; JuS 1986, 665: Ansprüche auf Schadensersatz; JuS 1988, 1: Die Lösung vom unerwünschten Schuldvertrag; JuS 1989, 689: Typen der Rückabwicklung von Leistungen.
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„Der Anspruch des A auf Zahlung des Kaufpreises könnte sich aus Kaufvertrag gemäß §433 II BGB ergeben". Soweit sich der Anspruch nicht aus einem Vertragstyp ergibt, der im BGB geregelt ist (z.B. beim Garantievertrag), sind als Anspruchsgrundlage die §§241, 305 BGB zu nennen. Sekundäransprüche sind Ansprüche, die bei Störungen der Vertragsdurchführung auftreten. Dabei geht es zumeist um die Rückabwicklung des Vertrages (Rückgewähr der empfangenen Leistungen) oder um Schadensersatz. Wichtige Anspruchsgrundlagen sind hier: §§280, 281, 286, 307, 3 2 3 - 3 2 5 , 462 i.V.m. 346 ff, 463, 538, 561 II, 581, 633 II, 635, 640 I, 651 f; sowie aus positiver Forderungsverletzung (pFV). bb) Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen: culpa in contrahendo (c. i. c.), heute gewohnheitsrechtlich anerkannt; aus Geschäftsführung ohne Auftrag, §§677ff, z.B. §§683, 670: Anspruch auf Aufwendungsersatz. cc) Sachenrechtliche Ansprüche, insbesondere aus Eigentum, §§985 ff; aus Besitz, §§861, 862, 1007 BGB und sonstigen dinglichen Rechten, wie z.B. Nießbrauch, Pfandrecht, Grundpfandrecht usw. dd) Ansprüche aus unerlaubter Handlung, §§823 ff BGB und aus Gefährdungshaftung, §§ 833 S. 1 BGB, § 7 I StVG, § 1 HaftPflG, § 1 ProdukthaftungsG. ee) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812 ff BGB.
2. Die Prüfung verschiedener Anspruchsgrundlagen a) Vollständige Prüfung Alle einschlägigen Anspruchsgrundlagen sind zu prüfen. Das mag lästig erscheinen, hat aber seinen guten Grund: Da die Anspruchsgrundlagen auf verschiedenen Voraussetzungen aufbauen, ist oft nur ein Teil einschlägiger Anspruchsgrundlagen auch gegeben. Zudem soll das Studium auf die spätere Berufspraxis vorbereiten. Dort kann es aber durchaus sein, daß eine Norm nicht nur aus rechtlichen, sondern aus tatsächlichen Gründen scheitert, z . B . weil ihre Voraussetzungen vor Gericht nicht bewiesen werden können. Da sich dies bei einer rechtlichen Prüfung noch nicht abschätzen läßt, müssen im juristischen Gutachten, so wie es im Studium zu erlernen ist, alle Anspruchsgrundlagen geprüft werden. Allerdings sind nur diejenigen Anspruchsgrundlagen zu prüfen, die vernünftigerweise in Betracht kommen.
b) Die Prüfungsreihenfolge Grundsätzlich sind zuerst Ansprüche aus Vertrag, dann solche aus gesetzlichem Schuldverhältnis, dann dingliche Ansprüche, schließlich deliktische Ansprüche und zuletzt Ansprüche aus ungerechtfertigter
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Bereicherung zu prüfen 1 9 . Diese Reihenfolge ist keineswegs beliebig. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Abstufung von den jeweils spezielleren zu den generellen Rechtsverhältnissen. Denn es kann durchaus sein, daß bestehende Vertragsverhältnisse sich auf andere Anspruchsgrundlagen (z.B. deliktische oder bereicherungsrechtliche Ansprüche) unmittelbar auswirken 2 0 . c) Die Einordnung der Anspruchsgrundlagen in Rechtsverhältnisse Es wäre wenig ökonomisch, bei jeder Fallbearbeitung sämtliche Anspruchsgrundlagen, beginnend mit den vertraglichen bis hin zu den deliktischen, durchzuprüfen. Deshalb ist zuerst zu fragen, welchem materiell-rechtlichen Rechtsverhältnis der jeweils geschilderte Vorgang im Sachverhalt entspricht. Geht es also um einen Verkehrsunfall, so ist es müßig, vertragliche Ansprüche zwischen den Unfallbeteiligten durchzuprüfen. Vielmehr sind dann deliktische Ansprüche zwischen den Beteiligten einschlägig; es müssen also alle in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen subsumiert werden 2 1 .
d) Grenzen des Anspruchsaufbaus Bisweilen 22 lautet die Bearbeitungsfrage auch: „Wer ist Eigentümer" oder „Wer ist E r b e " . In diesen Fällen muß der sog. „historische Aufbau" gewählt werden. Dann muß der Bearbeiter mit seiner Lösung an einem Zeitpunkt ansetzen, an dem die Rechtslage eindeutig war; das ist meist der früheste in der Aufgabenstellung genannte Zeitpunkt. Sodann sind alle Vorgänge des Sachverhalts in ihrer zeitlichen Abfolge darauf zu untersuchen, ob sie die Eigentumslage bzw. die Erbenstellung verändert haben 2 3 . Möglich ist auch eine Kombination von Anspruchs- und historischem Aufbau. Geht es beispielsweise um einen Herausgabeanspruch aus § 9 8 5 BGB, so ist zunächst zu prüfen, ob der Anspruchsinhaber Eigentümer ist. Dies ist anhand des im Sachverhalt mitgeteilten historischen Ablaufs festzustellen; in der Regel müssen mehrere Übereignungsvorgänge auf
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Die unter III. 1 d) aufgezeigten Anspruchsgrundlagen waren bereits in dieser Abfolge aufgeführt. Dazu Medicus, Bürgerliches Recht 15. Aufl. 1991, R d n . 7 - 1 6 . Klausurbeispiel: Kollhosser, ,'J.UK! 11989,148 (Der 1. Teil dieser Examensklausur ist auch für Anfänger geeignet). Solche Klausuren werden zumeist fortgeschrittenen Studenten gestellt. Klausurbeispiel bei Heldrich, Fälle zum Erbrecht (3. Aufl. 1989), S.75.
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ihre Wirksamkeit überprüft werden. Steht das Eigentum des Anspruchstellers fest, sind die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 9 8 5 zu subsumieren 2 4 .
3. Die Subsumtion a) Die einschlägigen Anspruchsgrundlagen sind nunmehr einzeln durchzuprüfen. Dabei muß bei jeder Anspruchsgrundlage gefragt werden, ob deren abstrakt formulierten tatbestandlichen Voraussetzungen durch die im Aufgabentext geschilderten, konkreten Sachverhaltsumstände erfüllt werden. Für jedes einzelne Tatbestandsmerkmal der Norm ist festzustellen, ob es im Sachverhalt verwirklicht ist 2 5 . Die Subsumtion — im einzelnen dazu oben Kapitel 2 — erfolgt in zwei Schritten: Zunächst sind die Tatbestandsmerkmale herauszuarbeiten und dort, wo sich ihr Sinn nicht ohne weiteres erschließt, auszulegen. Erst wenn der genaue Sinn der Norm ermittelt wurde, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Sachverhalt die Normvoraussetzungen erfüllt. b) Das Herausarbeiten der Tatbestandsmerkmale aa) Die einschlägige Anspruchsgrundlage muß in ihre einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen aufgegliedert werden. Das gilt nicht nur für die gesetzlichen Anspruchsnormen, sondern auch für die gewohnheitsrechtlichen oder aufgrund Analogie gewonnenen Anspruchsgrundlagen, wie pFV oder cic. Neben den positiven sind auch mögliche negative Tatbestandsvoraussetzungen (z.B. §§ 1 2 2 II; 1 7 9 III BGB) zu berücksichtigen. Bei vielen Normen muß aus logischen Gründen eine zwingende Prüfungsreihenfolge eingehalten werden. Deshalb muß jeder Student sich während des Studiums für die wichtigsten Normen Aufbauschemata erarbeiten 2 6 und diese am besten auf Karteikarten notieren 2 7 . Dieses Wissen ist nunmehr bei der Lösung einzusetzen; freilich darf kein Bearbeiter zu sehr am erlernten Aufbauschema festkleben mit der Folge, daß er nicht mehr mit dem Gesetz, sondern nur noch mit seinen erlernten Vorstellungen arbeitet. Das Aufbauschema folgt der Tatbestandstruktur der jeweiligen Anspruchsnorm. Beispielsweise sind bei der Prüfung des § 823 I BGB alle einzelnen Tatbe-
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Klausurbeispiel: Krampe/Maifeld, âUKsl 1991, 38. Dazu näher, Diederichsen, BGB-Klausur, S. 139 ff; Tettinger, S. 114 ff. Eine Zusammenstellung wichtiger Aufbauschemata gibt Diederichsen, Klausur, S. 88 ff. Zur Anlage von Karteikarten vgl. Kitzler, JuS 1983, 725 ff.
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standsmerkmale nacheinander zu prüfen: Verletztes Rechtsgut (Leben, Eigentum, Freiheit etc.); Verletzungshandlung, Zurechnung, Rechtswidrigkeit, Verschulden (sog. Haftungsbegründungstatbestand). Bisweilen ist die Kombination verschiedener Normen notwendig: So ergibt sich z. B. bei § 326 BGB das Tatbestandsmerkmal „Verzug" erst durch die Aufgliederung der §§284, 285 BGB. Im einzelnen sind zu prüfen: Ausbleiben der (möglichen) Leistung, Fälligkeit, Mahnung, Vertretenmüssen (§§ 285, 276 BGB). § 326 BGB verlangt zusätzlich eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung28. bb) Ergibt sich der Sinn der Tatbestandsmerkmale nicht aus dem Wortlaut selbst, muß das Gesetz ausgelegt werden. Häufig kann dabei auf die im B G B verstreuten Legaldefinitionen (z.B. §§ 9 0 — 9 2 , 1 2 1 , 1 8 3 S. 1, 1 8 4 I, 8 5 8 I BGB) zurückgegriffen werden. Bei anderen Normen sind diese Definitionen durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt worden, beispielsweise zu § 4 5 9 I B G B : „Fehler" ist nach der allgemein herrschenden subjektiven Theorie jede dem Käufer nachteilhafte Abweichung der „Ist"- von der „Sollbeschaffenheit". Diese Definitionen müssen bei der Ausarbeitung als Subsumtionsgrundlage genauso benutzt werden, als wären sie die zu prüfende Norm selbst. Um also festzustellen, ob eine Sache fehlerhaft ist, muß gefragt werden, ob der tatsächliche Zustand der Kaufsache (Istbeschaffenheit) zum Nachteil des Käufers von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht (Sollbeschaffenheit) 2 9 . cc) Die Bedeutung von Tatbestandsmerkmalen wird häufig nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (grammatikalische, historische, systematische und teleologische Auslegung 30 ) ermittelt. Diese methodischen Grundbegriffe müssen jedem Studenten geläufig sein. Neben die herkömmlichen Auslegungsgrundsätze tritt heute das Prinzip der verfassungskonformen Auslegung, das vor allem bei der näheren Bestimmung der Generalklauseln (§§ 1 3 8 , 2 4 2 , 8 2 6 BGB) wichtig ist 3 1 . Geht es um solche Problemstellungen, so muß der Bearbeiter sorgfältig argumentieren: Dann wird ein vertieftes methodisches und systematisches Rechtsverständnis erwartet. dd) Für die Prüfung des jeweiligen Anspruchs bietet sich grundsätzlich folgendes Aufbauschema an: (1.) Anspruch entstanden (z.B. aus §433 II BGB) (a) Allgemeine Voraussetzungen (z. B. Vertragsschluß)
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Ausführlich Diederichsen, JuS 1985, 825 ff. Klausurbeispiele: Otto/Hesse ,Utn?3l 1990, 209; Padeck, JJnKsl 1990, 92 (Hausarbeit). Ausführlich Lorenz, Methodenlehre, S. 312 ff; Diederichsen, BGB-Klausur, S. 140 ff; Tettinger, Einführung, S. 106 ff. Beispiel bei Stumpf, MKÏI1992, 417ff.
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(b) Wirksamkeitshindernisse (z.B. Geschäftsfähigkeit, § § 1 0 4 f f ; Formnichtigkeit, § 1 2 5 ; Gesetzesverstoß, § 1 3 4 , Sittenwidrigkeit, § 138 u . v . m . (2.) Anspruch erloschen (sogenannte rechtsvernichtende Einwendungen) §§ 1 4 2 (Anfechtung), 3 6 2 (Erfüllung), 3 8 9 (Aufrechnung), 3 9 7 (Erlaß), 2 7 5 (Unmöglichkeit), Umgestaltung aufgrund § § 4 6 2 , 4 6 5 (Wandelung) oder aufgrund Rücktritt, § § 3 2 5 , 3 2 7 , 3 4 6 f f . (3.) Anspruch einredefrei 32 (a) Einrede geltend gemacht? und (wenn ja, anderenfalls eventuell hilfsweise) (b) Voraussetzungen der Einrede gegeben?
c) Der Vorgang der Subsumtion Ist die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen geklärt, so ist festzustellen, ob der Sachverhalt mit dieser Bedeutung übereinstimmt. Das abstrakte Tatbestandsmerkmal muß zum konkreten Sachverhaltselement in Beziehung gesetzt und mit diesem gedanklich verbunden werden. Grundlage dieser juristischen Operation ist eine tradierte logische Denkfigur, der sogenannte syllogistische Schluß: Beispiel (zu § 2 2 3 StGB): Obersatz [ergibt sich aus dem Gesetz]: „Wer einen anderen körperlich mißhandelt ( . . . ) , wird mit Freiheitsstrafe ( . . . ) bestraft". Untersatz [ergibt sich aus dem Sachverhalt]: Τ verprügelt das Opfer O. [Folge:] Also ist Τ mit Freiheitsstrafe zu bestrafen.
Entsprechend ist bei der Subsumtion von zivilrechtlichen Normen zu verfahren. Dabei darf sich die Subsumtion nicht allein auf ein bloßes Gegenüberstellen von Tatbestandsmerkmal und Sachverhaltselement beschränken. Insbesondere genügt es nicht, den Sachverhalt nachzuerzählen und anschließend den Wortlaut der Norm wiederzugeben. Vielmehr müssen Sachverhalt und Rechtsnorm in Beziehung gesetzt werden. Oft erfordert dies eine wertende Entscheidung mit entsprechender Begründung (s. dazu auch unten Abschnitt IV. 1). d) Stellt sich bei der Subsumtion heraus, daß der konkrete Sachverhalt ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, so ist die Anspruchsgrundlage nicht gegeben und die gewünschte Rechtsfolge kann aus ihr nicht abgeleitet werden. Die Prüfung ist nun mit dem Bemerken zu beenden: „Ein Anspruch aus § . . . scheidet aus". Bisweilen stellt sich dann aber die Frage, ob die Rechtsnorm nicht möglicherweise analog anwendbar ist.
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Einreden vernichten den Anspruch nicht, sondern hindern nur dessen Durchsetzung. Sie werden nur berücksichtigt, wenn sich der Berechtigte auf sie beruft. Ausführlich: Diederichsen, BGB-Klausur, S. 71 ff.
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Die Analogie überbrückt das fehlende Tatbestandsmerkmal. Dann sind die Voraussetzungen der Analogie (Regelungslücke, Vergleichbarkeit der Tatbestände in den für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Punkten) genau darzulegen 3 3 . Sodann ist die analog anwendbare Norm zu subsumieren (dabei kommt es auf das konkret fehlende Tatbestandsmerkmal nicht mehr an.
4. Praktische Hinweise zur Fertigung der Lösungsskizze a) Die Lösungsskizze ist in Stichworten niederzuschreiben, für eine ausführliche Niederschrift fehlt die Zeit. Die Gliederung der Lösungsskizze gibt die Grundstruktur der Niederschrift vor. Deshalb muß die Lösungsskizze deutlich strukturiert werden. Der Sachverhalt ist dabei nach Zweipersonenverhältnissen und den jeweiligen Anspruchsgrundlagen zu untergliedern. Alle Tatbestandsmerkmale der jeweils zu prüfenden Norm sind (soweit sie problematisch sind) mit Stichworten (für die jeweiligen Argumente) näher zu kennzeichnen. b) Bei der Erarbeitung der Lösungsskizze ergeben sich häufig alternative Lösungsmöglichkeiten. Dabei gilt folgendes: der Bearbeiter muß sich jeweils für einen Lösungsweg entscheiden und diesen konsequent durchführen. Alternativlösungen sind regelmäßig unzulässig. Allerdings kann man bei der Erstellung der Lösung klausurtaktisch vorgehen. Oftmals führt die eine Alternative dazu, daß sich viele Folgeprobleme nicht mehr stellen. Durch die Ablehnung mancher Ansichten verbaut man sich so den Weg zu weiteren Fragen, die die Aufgabenstellung aufwirft. Dann sollte man sich für die andere Lösungsalternative entscheiden. Hat der gewählte Lösungsweg zur Folge, daß der Großteil des Sachverhalts ohne Relevanz bleibt, sind die dort aufgeworfenen Fragen zumindest im Hilfsgutachten zu behandeln. c) Der Schwerpunkt der Umsetzung der juristischen Lernarbeit auf den Fall liegt bei der Herausarbeitung der Tatbestandsmerkmale. Hier ist Fingerspitzengefühl angebracht: nur dort, wo eine erlernte Definition für die Fallösung ausschlaggebend ist, ist sie ausführlich zu entwickeln. Kommt es auf eine Definition oder einen Meinungsstreit nicht an, so erübrigt sich eine breite Darstellung. Das gilt insbesondere dort, wo unterschiedliche Ansichten zu demselben Ergebnis führen. Hier reicht es
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Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff; Diederichsen,
BGB-Klausur, S. 152 ff.
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völlig aus, diese Ansichten ganz knapp darzustellen und eine Entscheidung des Meinungsstreites mit der Bemerkung offenzulassen, daß ohnehin beide Ansichten zu demselben Ergebnis führen. d) Nach dem Erstellen der Lösungsskizze sollte der Bearbeiter sich noch einmal knapp die Aufgabenstellung durchlesen und kontrollieren, ob er alle wesentlichen Teile in seiner Lösung berücksichtigt hat. Dann ist das Ergebnis auf seine materielle Richtigkeit zu überprüfen und zu fragen, ob das gefundene Ergebnis „gerecht" ist. Erscheint das Ergebnis ohne juristisches Vorverständnis eigentlich nicht vertretbar, hat sich irgendwo ein Fehler eingeschlichen.
IV. Die Niederschrift der Arbeit Erst wenn die Lösungsskizze vollständig erstellt ist, kann mit der Niederschrift begonnen werden. Für ihre Ausarbeitung sollte man sich Zeit lassen: Nur die Niederschrift wird abgegeben 34 , über sie „verkauft" der Bearbeiter sein Ergebnis. Man muß sich dabei klarmachen, daß eine Korrektur zwischen 5 0 und 2 0 0 gleiche Arbeiten umfaßt. Wer hier den Korrektor durch lesbare Schrift, deutliche Gliederung (Überschriften bei den wichtigsten Gliederungspunkten, Unterstreichung wichtiger Stichworte), saubere Gedankenführung und schlüssige Argumentation von Anfang an für sich einnimmt, hat viel gewonnen. Denn der von Anfang an positiv eingestellte Korrektor wird einzelne Flüchtigkeitsfehler weniger gravierend finden als derjenige, der sich bereits beim ersten Blick auf die Arbeit über fehlenden Korrekturrand (Vi der Seite), nicht lesbare Schrift, eigenwillige (d. h. falsche) Zeichensetzung und ähnliche Ärgernisse gestört fühlt.
1. Aufbau und Gliederung Die Niederschrift wird auf der Grundlage der Lösungsskizze erstellt. Ihre Gedankenführung (d.h. der Aufbau) ergibt sich aus der Skizze; freilich muß sich der Bearbeiter vom Aufbauschema lösen. Deshalb ist die Skizze vor der Niederschrift zu straffen: Unproblematische Prüfungspunkte sind zusammenzufassen; die Problemschwerpunkte erhalten eigene Gliederungspunkte. Vor dem Beginn der Niederschrift kann man die Gliederung in der Skizze (eventuell in einer anderen Farbe) markieren.
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Die Lösungsskizze ist nur mit abzugeben, wenn für die Niederschrift die Zeit nicht mehr ganz ausgereicht haben sollte.
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Die Gliederung sollte nach dem herkömmlichen System erstellt werden 3 S , also: „Α., I., 1., a), a a ) " und keine kleineren Unterpunkte enthalten. Sie muß in sich stimmig sein: wer a) sagt, muß auch b) sagen; freilich, wer aus Versehen a) geprüft hat, kann notfalls den Punkt b) mit der Formulierung: ,,b) Ergebnis: A hat keinen Anspruch aus § . . . B G B " abschließen.
2. Der Gutachtenstil a) Die Darstellung erfolgt im Gutachtenstil. Dieser zeichnet sich dadurch aus, daß die Lösung aus einer am Anfang aufgeworfenen Frage entwickelt wird und das Ergebnis der Untersuchung am Ende steht. Dabei ist folgendermaßen vorzugehen: Die Fallfrage bildet den Aufhänger der Erörterung, sie ist an der Spitze der Prüfung aufzuwerfen. Anschließend ist die erste in Betracht kommende Anspruchsgrundlage (exakt) zu nennen. Ihre Tatbestandsvoraussetzungen sind anschließend zu subsumieren: Die Bedeutung des Merkmals ist herauszuarbeiten, sodann ist der Sachverhalt dazu in Bezug zu setzen. Das Ergebnis der Prüfung wird am Ende der Ausführungen gesondert festgestellt. b) Geht es beispielsweise darum, ob jemand (O), der von einem Hund gebissen wurde, gegen den Hundehalter (H) einen Anspruch aus § 8 3 3 S. 1 B G B hat, so wäre folgendermaßen zu formulieren: „Ansprüche des O gegen H I. Aus § 833 S. 1 BGB (Merke: die Anspruchsgrundlage ist genau zu zitieren) 1. Haftungsbegründender Tatbestand Zu prüfen ist, ob O von H Schadensersatz verlangen kann (damit ist die Fallfrage aufgeworfen). Anspruchsgrundlage könnte § 833 S. 1 BGB sein (die Fragestellung wird im Konjunktiv problematisiert). Das setzt voraus, daß der O körperlich verletzt wurde (Prüfung des ersten Tatbestandsmerkmals). Vorliegend hat der Schäferhund O in die Hand gebissen (Subsumtion). Diese Verletzung muß „durch ein Tier" erfolgen (zweites Tatbestandsmerkmal). Damit ist gemeint, daß sich in der Verletzung die typische Tiergefahr verwirklicht hat. Diese besteht vor allem in der Unberechenbarkeit von tierischem Verhalten (Definition). Laut Sachverhalt wurde der Schäferhund durch eine plötzliche Bewegung des O erschreckt und hat ihn deshalb angegriffen und gebissen. In dieser Reaktion hat sich also die Unberechenbarkeit des Tiers unmittelbar ausgewirkt (Subsumtion unter die Definition Tiergefahr). Der Ersatzanspruch richtet sich gegen den Halter (drittes Tatbestandsmerkmal). Das ist derjenige, . . . Schließlich müßte der Hund ein
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Das vor allem bei naturwissenschaftlichen Arbeiten gebräuchliche, sog. numerische System ist zwar unübersichtlich (nichtssagend z.B. 1.1.2.1.4.3.), aber zulässig. Unzulässig ist aber eine Vermengung verschiedener Gliederungssysteme z.B. 1.1.1., 1.1.2. o.ä.
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Luxustier sein (viertes Tatbestandsmerkmal) ... Somit ist der haftungsbegründende Tatbestand gegeben (Festhalten des Zwischenergebnisses)36. Das Gegenteil des Gutachtenstils ist der Urteilsstil. Dort steht das Ergebnis an der Spitze der Ausführungen und wird im Indikativ begründet. Wäre der Fall im Urteilsstil zu lösen, müßte die Formulierung lauten: „O hat gegen H einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 833 S. 1 BGB" (Ergebnis an der Spitze der Prüfung). Denn er ist durch den Hundebiß, in dem sich die typische Tiergefahr verwirklicht hat, körperlich verletzt worden, etc. (die Begründung wird nachgeschoben mit Worten wie: „denn", „weil" u. ä.).
c) Anfänger müssen den Gutachtenstil trainieren. Er sollte zunächst möglichst durchgängig verwendet werden. Von Beginn an sind unterschiedliche Formulierungen zu verwenden (Beispiele für die Fallfrage: „fraglich ist", „problematisch ist", „es stellt sich die Frage", „zu untersuchen ist", u. ä.). Andererseits wirkt die durchgängige Verwendung des Gutachtenstils ungeschickt. Bei unproblematischen, offensichtlich gegebenen Tatbestandsmerkmalen kann das Ergebnis im Indikativ sofort niedergeschrieben werden. Dadurch wird die Prüfung gestrafft und strukturiert, die Schwerpunkte herausgestellt. Schließlich darf die Erläuterung der Normen nicht lehrbuchartig bleiben, sondern muß fallbezogen erfolgen. Wer sich nicht vom Aufbauschema löst und (stupide) erlernte Schemata wiedergibt, setzt die Schwerpunkte der Arbeit falsch. Daher sollte man in der Lösungsskizze die Schwerpunkte farbig markieren, um bei der schriftlichen Abfassung an diesen Stellen ausführlich zu argumentieren.
3. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen a) Wichtig sind die Argumentation und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen. Ziel der Bearbeitung ist es, ein vertretbares Ergebnis überzeugend zu begründen. Das heißt nicht, daß man möglichst viele Meinungen zu möglichst vielen Problemen kennen müßte und diese dann beziehungslos untereinanderreihen sollte. Vielmehr gilt es, Argumente, die für die eine oder andere Lösung sprechen, aufzuführen und zu bewerten. Studenten sollen deshalb keine „Meinungen" pauken, sondern Argumente zu bestimmten Standardproblemen kennen 37 . Nicht die Vollständigkeit des Meinungsspektrums wird verlangt, sondern eine sachliche, argumentative Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung. Argu36
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Zu den materiell-rechtlichen Fragen: Deutsch, ¿QJKsl 1983, 627; Heß, JuS 1992, 110 (Klausurbeispiel). Zusammenstellung bei Diederichsen, BGB-Klausur, S. 3 8 ff.
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mentieren lernt man am besten durch die Lektüre von Urteilen. Entscheidungen, die in Vorlesung und Übungen zitiert werden, sind nachzulesen38. b) Dagegen ist es unzulässig, die Lösung auf ein bestimmtes Gerichtsurteil oder einen bestimmten Autor zu stützen (Nicht: „nach der Rechtsprechung", „so auch Larenz, Allgemeiner Teil", „Giesen, Allgemeiner Teil, sagt:", „nach der herrschenden Meinung"). Vielmehr müssen die Argumente der unterschiedlichen Ansichten in sachlicher Form, ohne wörtliche Zitate dargestellt werden 39 . Die Niederschrift erfolgt in einem neutralen, unpersönlichen Stil (nicht: „meines Erachtens", oder „ich denke, daß", oder „hier irrt der BGH", „abwegig: OLG Köln", sondern: „Ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB könnte auch der berechtigte Besitz sein. Dafür spricht..."; „dagegen läßt sich einwenden..."). Rhetorisch geschickt ist es, die Meinung, der man nicht folgt, zuerst zu bringen und sie dann mit den Argumenten der Gegenansicht, der man folgt, zu widerlegen. c) Eine Leitlinie bei der „Meinungsvielfalt" sollte man nicht aus den Augen verlieren: die Rechtsprechung muß in den Grundzügen bekannt sein und in der Klausur dargestellt werden 40 . Denn die Rechtsprechung dominiert die Rechtsanwendung und auch die Rechtswissenschaft steht in ständiger Auseinandersetzung mit ihr. Wer also der Ansicht der Rechtsprechung folgt, wird im Zweifel das wiedergeben, was in der „amtlichen" Lösungsskizze steht 41 . Von der viel beklagten Meinungsvielfalt zu bestimmten Rechtsfragen braucht man sich nicht entmutigen lassen. Viele Argumente in Lehrbüchern und Kommentaren kann man mit Zuhilfenahme des juristischen Rüstzeugs auch selber erarbeiten. Von niemandem wird erwartet, daß er in der Klausur oder im Examen den „Palandt" auswendig kennt. Darum geht es nicht. Gefragt sind lediglich Kenntnisse der Standardprobleme.
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Empfehlenswert ist der Kauf einer Zusammenstellung wichtiger Gerichtsentscheidungen zum Zivilrecht, ζ. B. SchacklAckmann, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum BGB, 2. Auflage 1991. Aktuelle Entscheidungen sind oft klausurmäßig in den JllIKïl-Karteikarten aufgearbeitet. In der Hausarbeit sind die angeführten Argumente in den Fußnoten zu belegen, dort sind also die erkennenden Gerichte oder die jeweiligen Autoren zu nennen. Einzelheiten unten bei Erichsen, S. 78 ff. D. h. nicht, daß die Rechtsprechung unkritisch und kommentarlos zu übernehmen wäre. Eigene Ansichten sind durchaus gefragt. Sie müssen nur in der richtigen Form zu Papier gebracht werden. Instruktives Klausurbeispiel: Singer/Müller, 1988, 485.
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Diese kann man anhand von Klausuren erarbeiten und sich deren Lösungsstruktur einprägen. Angesichts der großen Stoffiille ist exemplarisches Lernen angesagt: Wer typische Problemfelder kennt, kann unter Anwendung seiner methodischen Kenntnisse das erlernte Wissen auf vergleichbare Fallgestaltungen übertragen. Im Verlauf des Studiums wird man so sehen, daß die erlernten Strukturen immer wieder neu einsetzbar sind. Auch ohne besondere Kenntnis eines bestimmten Rechtsgebietes läßt sich eine Klausur durchaus lösen, wenn man genau am Gesetz arbeitet, sich Systematik und Zweck der Normen verdeutlicht und aus dem allgemeinen juristischen Verständnis heraus argumentiert.
Schlußbemerkung Juristische Methodik ist lernbar. Sie muß freilich während des Studiums laufend trainiert werden. Häufiges Klausurenschreiben, die Erstellung eigener Lösungsskizzen, die Ausformulierung der Niederschrift sind unabdingbare Voraussetzung für ein gelungenes Studium und Examen. Wer von Anfang an fallbezogen arbeitet und das jeweils erlernte Wissen gleich klausurmäßig umsetzt (z.B. durch die Einordnung juristischer Problemfelder auf Karteikarten, die sich am jeweiligen „Prüfungsgerüst" orientieren), wird mit juristischer Methodik gut vertraut werden und schließlich ein gutes Examen schreiben 42 .
V. Weiterführende Literatur zur Klausurtechnik Brox, Zur Methode der Bearbeitung eines zivilrechtlichen Falles, J A 1 9 8 7 , 169. Diederichsen, Die BGB-Klausur, 7 . Auflage 1 9 8 8 — sehr empfehlenswert für fortgeschrittene Studenten. Haft, Einführung in das juristische Lernen, 4. Auflage 1 9 8 8 — sehr empfehlenswert. Hopt, Fallösungstechnik für Beginner — Hinweise zur Bearbeitung von Klausuren und Hausarbeiten, ,!)U?311992, 2 2 5 ff. Rollmann, Die juristische Hausarbeit, JuS 1 9 8 8 , 4 2 ff. Tettinger, Einführung in die juristische Arbeitstechnik, 2. Auflage 1 9 9 2 . Veite, Methodische Hinweise zur Fallösung im Zivilrecht, ,J.UR-11980, 193 ff.
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Zu den äußeren Formalien von Klausur und Hausarbeit vgl. den nachfolgenden Beitrag von Erichsen, die Ausführungen zum öffentlichen Recht sind entsprechend anwendbar auf die zivilrechtlichen Klausuren und Hausarbeiten.
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Β. Hinweise für die Anfertigung von Klausuren und Hausarbeiten Hans-Uwe Erichsen Die nachfolgenden Hinweise richten sich in erster Linie an Anfänger, jedoch nicht nur an sie. Mag auch der eine oder andere Satz für den bereits erfahrenen Übungsteilnehmer/die erfahrene Übungsteilnehmerin Selbstverständliches aussagen; es zeigt sich in den Übungen für Fortgeschrittene und im ersten juristischen Staatsexamen immer wieder, daß auch bei den Übungsteilnehmern und -teilnehmerinnen mittlerer und höherer Semester sowie bei den Examenskandidaten und Examenskandidatinnen noch vielfach eine erschreckende Unkenntnis über ganz elementare „technische" Voraussetzungen und Erfordernisse der anzufertigenden Arbeiten besteht. Hinweise können nur als allgemeine Anregungen verstanden werden, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können und die insbesondere gegenüber abweichenden Vorstellungen des jeweiligen Übungsleiters / der jeweiligen Übungsleiterin zurückzutreten haben. Soweit im Examen eine Hausarbeit anzufertigen ist, werden von einigen Justizprüfungsämtern Merkblätter für die Anfertigung von Examenshausarbeiten herausgegeben, die in jedem Fall zu beachten sind. Man sollte sich möglichst schon vor Beginn der Übungen für Fortgeschrittene eine solche Anleitung besorgen, um sich frühzeitig mit den dort formulierten Anforderungen für die Anfertigung von Examenshausarbeiten vertraut zu machen und ihre Beachtung schon bei Anfertigung einer Übungshausarbeit einzuüben. Hingewiesen sei auch auf die Anleitungen, die von juristischen Fachschaften erarbeitet worden sind und die Hinweise für die Anfertigung von Hausarbeiten und Klausuren im Rahmen der Übungen unter besonderer Berücksichtigung des studentischen Blickwinkels enthalten.
I. In den Übungen werden Klausuren und Hausarbeiten zur selbständigen Bearbeitung ausgegeben. Das Gebot, die Lösung der gestellten Aufgabe ohne fremde Hilfe anzufertigen, findet seine Erklärung vor allem auch darin, daß die Übung als Möglichkeit studienbegleitender Selbstkontrolle gedacht ist.
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Die zur Bearbeitung von Klausurfällen erforderlichen Gesetzestexte werden den Teilnehmern und Teilnehmerinnen zumindest immer dann gesondert bekanntgegeben, wenn sie die „Standardausrüstung", die vom Übungsteilnehmer/der Übungsteilnehmerin in der jeweiligen Übung erwartet werden kann, überschreiten. Ergibt sich aus den Angaben im Sachverhalt der Aufgabe nichts anderes, so sind die jeweils neuesten Gesetzesfassungen heranzuziehen. Für den Erwerb des Übungsscheins sind in der Regel je eine mit mindestens „ausreichend" bewertete Hausarbeit und Klausur erforderlich.
II. 1. Für alle Übungsarbeiten (also Hausarbeiten und Klausuren) sind Seiten im DIN-A-4-Format zu verwenden. Sie sollten nur einseitig beschrieben sein und sind jeweils mit Seitenzahl zu versehen. Es ist ein breiter Rand (mindestens Vi der Seite) frei zu lassen. Die damit eröffnete Möglichkeit ausführlicher Korrekturbemerkungen eröffnet die im heutigen Massenbetrieb seltene Chance einer Individualbelehrung. 2. Bei den Hausarbeiten sind auf einem gesonderten Deckblatt links oben Vor- und Familienname, Anschrift, Matrikel-Nummer, Semesterzahl und Studienrichtung des Bearbeiters anzugeben. Außerdem ist zu bezeichnen, um welche Arbeit in welcher Übung in welchem Semester es sich handelt.
stud. iur. F.Schiller Goethestraße 1 3456 X-Stadt
X-Stadt, den 24.11.92
Matr.-Nr. 123456 3. Semester
Übungen im Öffentlichen Recht für Anfänger bei Prof. Dr. Ν. N. 2. Hausarbeit
WS 19 92/93
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3. Der Hausarbeit wird die gestellte Aufgabe (es reicht das ausgegebene Textblatt) vorangeheftet. Auch bei Klausuren sollte der ausgegebene Sachverhalt mitabgegeben werden. Bei Klausuren sind mindestens Vor- und Familienname, MatrikelN u m m e r , Studienrichtung und Semesterzahl deutlich lesbar anzugeben. Außerdem ist zu bezeichnen, um welche Klausur in welchem Semester es sich handelt. 4. Z u r Hausarbeit gehört eine Gliederung. Sie ist der Ausarbeitung voranzustellen und soll kein ausführlicher Inhaltsbericht sein; es geht vielmehr um eine übersichtliche, gliederungsmäßige Skizzierung der Prüfungsleit- und Prüfungsunterpunkte (allenfalls 2—3 Seiten). Bei der Formulierung dieser Gliederungsangaben sind direkte Fragen zu vermeiden. Da die Gliederung zugleich als Inhaltsverzeichnis dient, ist bei jedem Gliederungspunkt die Seitenzahl anzugeben, auf der in der Ausarbeitung die Erörterung dieser Sachfrage beginnt. Im laufenden Text selbst erscheinen die wesentlichen Gliederungspunkte als Uberschriften wieder. Auch bei der Klausur erleichtert der Verfasser/die Verfasserin sich die Arbeit, wenn er/sie nach einer Lösungsgliederung arbeitet u n d im fortlaufenden Text entsprechend gliedert. Sinnvoll sind kurze, die Gliederungsfolge und den Gliederungsrang bezeichnende Angaben. Es ist allerdings nicht erforderlich, eine gesonderte Gliederung mitabzugeben. 5. Z u r Hausarbeit gehört weiter ein Literaturverzeichnis. Dort sind alle benutzten und in der Bearbeitung ausgewerteten — und damit auch nachgewiesenen — Werke und Aufsätze aufzuführen. Werke, die zwar zur Vorbereitung benutzt werden, deren Aussagen aber für den endgültigen Inhalt der Arbeit nicht mehr erheblich geworden sind, gehören nicht in das Literaturverzeichnis. Bei Kommentaren, Lehrbüchern und M o n o graphien sind Verfasser/Verfasserin — stets ohne akademische und sonstige Titel, aber mit Vornamen —, vollständiger Titel des Werks, Auflage, Erscheinungsjahr und -ort anzugeben. Dissertationen sind als solche durch den Hinweis „Diss." und die Angabe des Fachs (Diss, iur.) kenntlich zu machen. Die Universität, an der die Promotion erfolgte, und das in der Dissertation angegebene Promotionsjahr sind anzugeben. Auch Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken (z.B. in Zeitschriften oder Festschriften) gehören unter Angabe ihres A u t o r s / i h r e r Autorin, ihres Titels und der Fundstelle in das Literaturverzeichnis. Nicht in das Literaturverzeichnis gehören dagegen Gesetzes- und andere Rechtsquellen, Urteile, Entscheidungssammlungen und Zeitschriften als solche. Das Verzeichnis ist alphabetisch nach Verfassern zu ordnen; es kann nach Kommentaren, Lehrbüchern, Monographien und Beiträgen in Zeitschriften oder Sammelwerken gegliedert werden. Z u r Entlastung der
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Angaben in den Fußnoten empfiehlt es sich, das Literaturverzeichnis durch Aufnahme von Kurzfassungen der Titel der aufgeführten Literatur als Zitierverzeichnis auszugestalten. 6. In den Übungsarbeiten soll in der Regel ein rechtswissenschaftliches Gutachten über die in der jeweiligen Aufgabe gestellte(n) Frage(n) abgegeben werden 1 . Über Inhalt, Umfang und Gang der Untersuchung entscheidet die in der Aufgabe in der Regel ausdrücklich formulierte Fallfrage. Sie ist deshalb genau zu beachten. Enthält eine Aufgabe mehrere Fragestellungen, erheben also etwa mehrere Personen mehrere Begehren oder ist nach der Rechtmäßigkeit mehrerer Maßnahmen gefragt oder stellt eine Person mehrere Klageanträge, so ist grundsätzlich jede Fragestellung gesondert zu bearbeiten. Bei der Bearbeitung sind einschlägige Literatur und Rechtsprechung zu berücksichtigen. Das Gutachten soll sich jedoch nicht in der Wiedergabe vorgefundener Auffassungen erschöpfen. Z u Streitfragen, die für die Entscheidung des Falles erheblich sind, soll der Verfasser/die Verfasserin in kritischer Auseinandersetzung mit den in Rechtsprechung und Literatur vorgetragenen Erwägungen selbständig Stellung nehmen. Die Beantwortung einer Rechtsfrage erfolgt nicht in der Auseinandersetzung mit Gerichten und Autoren, sondern mit deren Argumenten. Darstellungen nach dem Schema: a) Auffassung des BVerfG, b) Auffassung des O V G Münster, c) Auffassung Forsthoff, d) Auffassung Wolff/Bachof sind zwar bequemer, aber jedenfalls im Rahmen rechtsgutachtlicher Fallbearbeitung kein Ausweis überdurchschnittlicher Qualifikation. Der lapidare Hinweis auf h. M . (herrschende Meinung) oder h. L (herrschende Lehre) ist in einer Hausarbeit aus verschiedenen Gründen nicht zu empfehlen. Zunächst einmal ist sehr fraglich, wann sich überhaupt von einer herrschenden Meinung sprechen läßt. Sodann ist es schwierig, sie im Einzelfall festzustellen. Vor allem aber ersetzt die Bezugnahme auf h. M . nicht die im gegebenen Fall erforderliche Begründung. In aller Regel soll ein Rechtsgutachten darüber angefertigt werden, ob eine nach dem Sachverhalt aufgestellte Rechtsbehauptung, ein erhobenes Begehren oder eine staatliche Maßnahme nach der bestehenden Rechtsordnung gerechtfertigt ist. Diese Beurteilung ist überhaupt nur dann möglich, wenn die Rechtsordnung eine Rechtsfolge bereitstellt, die das Begehren, die Behauptung oder die staatliche Maßnahme deckt oder ausschließt. Aus diesem Grunde muß der Bearbeiter zunächst nach einer Norm des Zivilrechts, des Strafrechts oder des öffentlichen Rechts mit entsprechender Rechtsfolge suchen. Es ist dann ausgehend von dieser
1
Dazu auch der Beitrag von Heß, oben S. 59 ff.
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Norm eine sachverhaltsbezogene Arbeitshypothese zu formulieren, die an den Anfang der Untersuchungen gestellt wird und deren Überprüfung den weiteren Gang der Erörterungen bestimmt. Beispiele: A könnte gegen Β einen Anspruch auf Herausgabe des Wandreliefs gemäß S 9 8 5 B G B haben. Die Gemeinde G könnte gegen den Bürger Β einen Anspruch aus einem öffentlichen Vertrag auf Zahlung von 2 5 0 0 0 D M haben. Der Verwaltungsakt könnte mangels nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes für seinen Erlaß erforderlicher gesetzlicher Ermächtigung rechtswidrig sein. A könnte sich durch die Drohung, Β niederzuschlagen, einer Nötigung gemäß § 2 4 0 StGB schuldig gemacht haben. Die Formulierung direkter Fragen ist in jedem Fall zu vermeiden. Das Gutachten ist dadurch gekennzeichnet, daß es von der Hypothese zum Ergebnis führt. „Also", „daher", „mithin" sind etwa konsekutive Konjunktionen, mit denen gutachtenstilgerecht das Ergebnis formuliert wird. Demgegenüber stellt das Urteil das Ergebnis voran und begründet es dann. Charakteristisch für den Urteilsstil ist daher u . a . die häufige Verwendung der Kausalverknüpfung „denn". Die Verwendung dieser Konjunktion in einem Gutachten indiziert methodische Mängel. Beispiele gutachtlicher Fallösungen finden sich monatlich in der Zeitschrift ilîIîQ] in der Rubrik Jura Methodik 2 . Die gutachtliche Arbeits- und Darstellungsweise wird außerdem in der Reihe der Juristischen Studienkurse, herausgegeben von Volker Beuthien, Hans-Uwe Erichsen und Albin Eser, verdeutlicht. Darüber hinaus gibt es in den einzelnen Rechtsgebieten eine beachtliche Zahl von Anleitungsbüchern. Zu nennen sind etwa: a) zum Bürgerlichen Recht Hartwig, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1986. Helm, Grundkurs im Bürgerlichen Recht, 5. Aufl. 1990. Klunzinger, Übungen im Privatrecht, 5. Aufl. 1990. Marburger, Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen, BGB Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1987. Schneider, E., Zivilrechtliche Klausuren, 4. Aufl. 1984. von Stetten, Klausuren Bürgerliches Recht, Übungen im BGB, 4. Aufl. 1990. Werner, Fälle und Lösungen für Anfänger im Bürgerlichen Recht, 7. Aufl. 1990. Worten, Anleitung zur Lösung von Zivilrechtsfällen, 3. Aufl. 1990.
2
Vgl. zur Methodik auch die oben im Beitrag von Heß S. 59 ff aufgeführten Literaturhinweise.
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b) zum Öffentlichen Recht Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen, 6. Aufl. 1986. Broß/Roneilenfitsch, Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen, Besonderes Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht, 4. Aufl. 1991. Erbel, öffentlich-rechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, Bd. I Staatsrecht, Bd. II Verwaltungsrecht, beide Bände 2. Aufl., Köln 1983. Klein, Gutachten und Urteil im Verwaltungsprozeß, 2. Aufl. 1976. v. Münch, Übungsfälle zum Staatsrecht und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, 4. Aufl. 1972. Pappermann/Vesper, Die öffentlich-rechtliche Hausarbeit im Referendarexamen, 1973. Püttner, Verwaltungsrechtsfälle, 2. Aufl. 1987. Schmalz, Öffentliches Recht, Grundbegriffe und Grundfälle, 2. Aufl. 1983. ders., Rechtssystem und Anwendung Staatsrecht, 2. Aufl. 1990. Schmidt-Jortzig, 40 Klausuren aus dem Staats- und Völkerrecht, 2. Aufl. 1982. Schmidt-Jortzig/Ipsen, 40 Klausuren aus dem Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1985. Schoch, Übungen im Öffentlichen Recht II, Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht, 1992. Scholler/Birk, Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen, Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit, 5. Aufl. 1985. Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 8. Aufl. 1986, JuSSchriftenreihe Heft 5. Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 6. Aufl. 1987, JuS-Schriftenreihe Heft 3. Vogel, Der Verwaltungsrechtsfall, 8. Aufl. 1980. Wagner, Die Verwaltungsrechtsklausur, 15 Klausuren aus dem allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1991. Zuleeg, Fälle zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1991, JuS-Schriftenreihe Heft 54. c) zum Strafrecht Gössel, Fälle und Lösungen nach höchstrichterlichen Entscheidungen, Strafrecht, 5. Aufl. 1988. Kienapfel, Strafrechtsfälle, Zwischenprüfung, Klausurentechnik, Musterlösungen, 9. Aufl. 1989. Otto, Übungen im Strafrecht, 3. Aufl. 1990. Roxin/Schünemann/Haffke, Strafrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 4. Aufl. 1982. SchwindlFrankelWinter, Übungen im Strafrecht für Anfänger, 3. Aufl. 1990. 7. Werden in der Hausarbeit fremde Gedanken wiedergegeben oder sonst verwertet, so ist dies durch Angabe der Quelle kenntlich zu machen. Wörtliche Zitate aus Rechtsprechung und Schrifttum sollten die ganz seltene Annahme bilden und bei größtmöglicher Kürze nur dann verwen-
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det werden, wenn durch indirekte Rede spezifische lösungserhebliche Aussagegehalte verlorengehen. Die Quellenangaben erfolgen in „Fußnoten" unter dem Text der jeweiligen Seite. Sie sind fortlaufend, und zwar aus praktischen Erwägungen (Auswechselbarkeit einzelner Seiten!) am besten fortlaufend je Seite zu numerieren. Es m u ß ersichtlich sein, ob es sich um ein Urteil oder um eine literarische Äußerung handelt und von wem sie stammt. Bei N a m e n mit Verwechslungsgefahr ist der Vorname hinzuzusetzen. Die Fundstellen m u ß der Verfasser/die Verfasserin selbst nachgelesen haben. Findet sich der Gedanke mehrfach, so m u ß der Bearbeiter/die Bearbeiterin nicht jede Fundstelle selbst nachweisen. Es empfiehlt sich in diesem Fall auf eine Fundstelle zu verweisen, die ihrerseits möglichst umfassende Nachweise aufführt. Beispiel: Vgl. BVerwGE 52 S . 3 3 9 (343 m . w . N . ) oder von Mutius, DVBl. 1978 S . 6 6 5 (667 m . w . N . in Fn.20). Wird ein Argument von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung verwandt, so wird dies durch Nachweis der jüngsten Fundstelle kenntlich gemacht. Beispiel: So der B G H in st. Rspr., zuletzt B G H Z 82 S. 375 (382 ff). Weiterführende Hinweise wie etwa: „zu dieser Frage vgl. BVerfGE 4 7 S.46 (69f); Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10.Auflage 1973 S. 368 ff", wie sie in wissenschaftlichen Aufsätzen gerechtfertigt sein können, sind in Übungs- und Examenshausarbeiten fehl am Platze. Die N o r m hat vor allen anderen Quellen Vorrang. Das Abschreiben von Gesetzesvorschriften ist jedoch nicht Aufgabe einer Übungsarbeit. Insoweit genügt die Bezeichnung durch Art. oder §. Die Angabe ist jedoch so genau wie möglich zu halten. Beispiele: Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, § 4 6 0 S. 2 BGB, § 2 6 4 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 StGB. Es empfiehlt sich, Aufsätze und Monographien nach Seiten zu zitieren. Soweit es sich u m Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken handelt, sollen die Anfangsseite und die Seite, auf der die zitierte Äußerung steht, angegeben werden, also Schreiber, JliJ'fil 1992, S.356 (358). Lehrbücher werden nach Paragraphen, Unterabschnitten oder Randziffern bzw. nach Seiten, Kommentare nach Paragraphen und Anmerkungen oder Randziffern zitiert. Wenn irgend möglich, ist die neueste Auflage zu benutzen. Werden verschiedene Auflagen desselben Werks verwandt, m u ß die Auflage im Zitat gekennzeichnet werden. Entscheidungen, die in amtlichen Sammlungen veröffentlicht sind, sind in der Regel nach diesen zu zitieren. Dabei sind der Band, die Anfangsseite der Entscheidung sowie die herangezogene Stelle aufzuführen. Beispiel: BGHSt. 20 S . 2 6 4 (267). Bei Gesetzen sind die amtlichen Abkürzungen zu benutzen. Soweit der Arbeit kein Abkürzungsverzeichnis beigefügt ist, empfiehlt sich, die Abkürzungen zu verwenden, die bei Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Auflage, B e r l i n / N e w York, 1982 — nun-
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mehr auch als Studienausgabe in der Reihe ¿Ü1KS1 Extra, unter dem Titel Abkürzungen für Juristen, erschienen — aufgeführt sind. Dies ist in der Arbeit durch einen entsprechenden Hinweis deutlich zu machen. 8. Die Klausur ist in der Regel ohne Hilfsmittel (Kommentare, Skripten u. ä.) anzufertigen. Daher sind Fußnoten und Zitate in einer Klausurarbeit verfehlt. 9. Hausarbeiten und Klausuren sind in sachlicher und nüchterner Sprache zu halten. Ich-Formulierungen wie, „ich halte diese Auffassung für nicht überzeugend" sind ebenso zu vermeiden, wie die Floskel „meines Erachtens". Alles, was der Bearbeiter in einer Arbeit schreibt, ist sein Erachten! Worte wie „zweifellos", „offensichtlich", „eindeutig", „keinesfalls" indizieren das Fehlen von Argumenten; sie führen deshalb dazu, daß diese Stellen bei der Korrektur besonders kritisch gelesen werden. 10. Hausarbeiten und Klausuren sind vom Verfasser zu unterschreiben.
5. KAPITEL
Die Erste Juristische Staatsprüfung Hans Kauffmann/Heino Schöbel
I. Grundlagen 1. Die Erste Juristische Staatsprüfung als Hochschulabschluß- und Einstellungsprüfung Ziel der juristischen Ausbildung ist die „Befähigung zum Richteramt". Sie eröffnet den Zugang zu allen gesetzlich gebundenen juristischen Berufen, also zum Berufsrichter in sämtlichen Gerichtsbarkeiten, zum Staatsanwalt, zum Rechtsanwalt, zum Notar und zum höheren Dienst in der Verwaltung. Für juristische Tätigkeiten in anderen Bereichen, also insbesondere in der Wirtschaft, ist die Befähigung zum Richteramt zwar nicht vorgeschrieben, faktisch wird sie aber auch dort in aller Regel verlangt. Die im Vergleich zu anderen Studiengängen außergewöhnliche Breite der Berufsmöglichkeiten, die den oftmals erst spät in Erscheinung tretenden persönlichen Neigungen des jungen Juristen freien Raum läßt, prägt notwendigerweise auch Inhalt und Methode der Ausbildung und der Prüfungen. Eine ausgeprägte Berufsqualifikation verleiht die Erste Juristische Staatsprüfung nicht, und die Fälle sind wohl selten, daß „geprüfte Rechtskundige" (der Diplomgrad wird mit der Prüfung bislang nirgends verbunden) nach der Ersten Staatsprüfung die juristische Ausbildung nicht fortsetzen. Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der Ersten Staatsprüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der Zweiten Staatsprüfung abschließt (§ 5 Abs. 1 DRiG). Das Gesetz schreibt als Abschluß des Rechtsstudiums eine Staatsprüfung vor. Viele akademische Studiengänge enden dagegen mit Hochschul-
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Prüfungen, mit denen in der Regel ein Diplom erworben wird. Diese Prüfungen sind durch Prüfungsordnungen der Hochschulen geregelt und werden von den Universitäten in eigener Verantwortung abgenommen. Bei einigen Studiengängen sieht das Gesetz staatliche Abschlußprüfungen vor, so insbesondere bei Medizinern, Lehrberufen und eben bei den Juristen. Die Gründe dafür, das Rechtsstudium mit einer Staatsprüfung abzuschließen, liegen zum einen darin, daß die Prüfung das Eingangstor für einen staatlichen Vorbereitungsdienst in der Praxis juristischer Berufe darstellt, zum anderen auch darin, daß man hochschulübergreifend eine möglichst große Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen und der Leistungsbewertung gewährleisten will. Historisch gesehen sind die staatlichen Prüfungen für Juristen Kinder aus dem Gedankengut der Französischen Revolution, weil durch gleichmäßige und objektive Feststellung von Befähigung und Leistung der Zugang zu den für das Gemeinwesen so wichtigen Ämtern in Rechtsprechung und Verwaltung „demokratisiert" werden sollte. So beruht der bayerische „Staatskonkurs", also das Zusammentreffen aller Bewerber in einer gemeinsamen Prüfung und ihre exakte Reihung nach dem Prüfungsergebnis („Platznummern"), auf Vorschriften vom Beginn des 19. Jahrhunderts, als der von der Entwicklung in Frankreich beeinflußte Graf Montgelas die Strukturen des Königreichs Bayern neu prägte. Dieses Prüfungsverfahren hat sich in seinen Grundsätzen in Bayern bis heute erhalten. Die Entwicklung in den anderen Ländern verlief zwar im einzelnen unterschiedlich, in den Grundgedanken aber doch parallel. Das Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 sah reichseinheitlich eine erste und zweite Prüfung vor, die als Staatsprüfungen ausgestaltet wurden. Die Erste juristische Staatsprüfung ist Hochschulabschlußprüfung und Eingangsprüfung für den Vorbereitungsdienst (insoweit beamtenrechtliche „Einstellungsprüfung", da der Vorbereitungsdienst in der Regel im Beamtenverhältnis abgeleistet wird). Als Hochschulabschlußprüfung hat sie wissenschaftlichen Charakter, soll aber zugleich auch die Eignung des Bewerbers für die praktische Ausbildung feststellen. Dem entspricht es, daß die Prüfung von Hochschullehrern und von Praktikern gemeinsam abgenommen wird. Organisatorisch ist sie durch das Landesrecht den Landesjustizprüfungsämtern anvertraut (Bezeichnung zum Teil auch „Landesprüfungsamt für Juristen"). Diese Ämter sind bei den Justizministerien der Länder eingerichtet, ihre Organe und Mitglieder genießen aber aus der Natur der Sache heraus (und meist auch ausdrücklich gesetzlich bestimmt) in ihren Prüfungsentscheidungen Unabhängigkeit. Zuständigkeiten des Bundes zur Durchführung der Juristischen Staatsprüfungen bestehen nicht; nur in den Jahren 1935 — 1945 gab es ein „Reichsjustizprüfungsamt".
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2. Sinn und Zweck der Ersten Juristischen Staatsprüfung Die Erste Juristische Staatsprüfung hat, wie es die gesetzlichen Bestimmungen in etwa ausdrücken, zum Ziel, festzustellen, ob der Bewerber das Ziel der rechtswissenschaftlichen Ausbildung erreicht hat und für den Vorbereitungsdienst als Rechtsreferendar fachlich geeignet ist. Wie jede Prüfung verfolgt die Erste Juristische Staatsprüfung daneben weitere Zwecke: Sie soll schon durch ihre Existenz den Studenten motivieren, sie soll durch ihre Thematik und ihr Anforderungsprofil das Studium steuern (wobei sie sich aber sorgsam hüten muß, die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre zu tangieren) und sie soll der Hochschule Rückmeldung über den Lehr- und Lernerfolg ihrer Ausbildungsarbeit vermitteln. Auch diese Zwecke, in erster Linie aber der durch Leistungsmessung festzustellende Qualifikationsnachweis, verlangen Objektivität und Validität der Prüfung. Die Prüfung muß objektiv zu beurteilende Kriterien aufweisen und muß das entsprechende wissenschaftliche Niveau besitzen. Der wissenschaftliche Charakter der Prüfung verlangt, daß sie in erster Linie Verständnisprüfung ist. Sicherlich setzt Verständnis viel Wissen voraus, aber die Prüfung darf keine Feststellung der Quantität eingespeicherten Einzelwissens sein. Die Fähigkeit, Sachverhalte zu erfassen, mit klarem Blick über die Rechtslandschaft einzuordnen, rechtliche Problemstellungen zu erkennen und methodisch zu diskutieren, dabei Gedankenvielfalt und Entscheidungsfreudigkeit zu entwickeln und all das in wissenschaftlich exakter und gleichwohl verständlicher Sprache auszudrücken, ist unvergleichlich wichtiger als die planlose Anhäufung von Detailwissen. Jeder erfahrene Prüfer wird bestätigen, daß viele Studenten im Examen unter der Uberlast an Gepäck zusammengebrochen sind, das sie sich unnötigerweise aufgeladen haben. Die Überfülle des Prüfungsstoffes wird oft und laut beklagt; wer dabei aber damit argumentiert, daß ein Student sich doch schon nicht einmal die 116 Bände der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen aufladen könne, geschweige denn noch die 38 Bände in Strafsachen und einen Zentner Bundesverfassungsgericht dazu, der kann nicht ernst genommen werden. Der Student soll das gar nicht. Wissen ist notwendig, viel sogar, aber eben nur so viel, daß es sich zum Verständnis rundet, daß man in der Prüfung nicht verzweifelt — und meist vergeblich — im Gedächtnis nach dem „gleichen Fall" kramt, sondern sich mit kühlem Uberblick und Kenntnis der großen Linien methodisch sauber an die Problematik heranarbeiten kann. „Neue" und „unbekannte" Fälle sind keine Schikanen der Prüfungsorgane, entsprechen vielmehr der wissen-
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schaftlichen Forderung, nicht nachzubeten, sondern Erlerntes mit Verständnis auf neue Situationen anzuwenden. Daß sich diese Mahnungen nicht nur an den Studenten richten, ist selbstverständlich. Entsprechende Aufgaben und Fragen zu stellen, ist schwierig und verlangt im Höchstmaß pädagogisches Gespür, Einfühlungsvermögen und Erfahrung. Hier können die Prüfungsinstanzen gar nicht genug Mühe investieren: Es geht schließlich um das Schicksal junger Menschen, das sich in den wenigen Prüfungsstunden entscheidet.
3. Einige Grundsätze des Prüfungsverfahrens Mit den Juristischen Staatsprüfungen, auch schon mit der Ersten, werden Lebenschancen verteilt. Oberstes Prinzip des Verfahrens muß deshalb der Wettbewerbscharakter sein, der schon aus dem Gleichheitsgebot der Verfassung ergibt. Alle Bewerber müssen, soweit das irgend möglich ist, die Prüfung unter gleichen Bedingungen ablegen. Die „Spielregeln" müssen für alle gleich sein, um einen objektiven Leistungsvergleich zu ermöglichen. Zu diesem Prinzip der Chancengleichheit gehören die äußeren Rahmenbedingungen wie z. B. Vorschriften über den Rücktritt, die Arbeitszeit (Verlängerungen nur zum notwendigen Ausgleich von Behinderungen) und die Hilfsmittel (einschließlich deren Kontrolle), aber etwa auch das Anonymitätsprinzip in der schriftlichen Prüfung. Als zusätzliche Garantie dafür, daß bei der Bewertung die wissenschaftliche Meinungsvielfalt berücksichtigt wird, ist bei den schriftlichen Leistungen die Bewertung durch mehrere (meist zwei: „Vier-Augen-Prinzip") und bei der mündlichen Prüfung die Kollegialbewertung vorgesehen. Unterschiedlich geregelt ist, ob bei der Klausurbewertung der Zweitprüfer das Erstvotum kennen darf oder nicht („offene" oder „verdeckte" Zweitbewertung); beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Die Gleichmäßigkeit der Bewertungsmaßstäbe bei Klausuren wird dadurch erhöht, daß sie in größerer Zahl von denselben Prüfern bewertet werden.
II. Die Ausgestaltung der ersten juristischen Staatsprüfung* Die von den Landesjustizprüfungsämtern nach den Vorgaben des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) und den einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen abgenommene Erste Staatsprüfung bezieht sich auf die Pflichtfächer und in nahezu allen Ländern auch auf Wahlfächer. Es sind schriftliche und mündliche Prüfungsleistungen zu erbringen, die von
* Die Darstellung beruht auf dem Rechtsstand vom 1 . 2 . 1 9 9 3 . Änderungen infolge der Neugestaltung des Landesrechts auf der Grundlage des Gesetzes zur Verkürzung der Juristenausbildung vom 2 0 . November 1 9 9 2 (BGBl. I 1926) sind zu erwarten.
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weisungsunabhängigen Prüfern aus dem Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen und der Praxis (Rechtsprechung, Staatsanwaltschaft, Verwaltung, Rechtsberatung) nach einer bundeseinheitlichen Noten- und Punkteskala (Wortlaut s. Anhang 1 zu diesem Kapitel) bewertet werden. Aufgrund dieser allgemeingültigen und damit zwangsläufig wenig präzisen Umschreibung kann man ebensowenig einen Eindruck von den Inhalten und der Durchführung der ersten Staatsprüfung erlangen, wie aufgrund der pauschalen (und unzutreffenden) Qualifizierung von Felix Dahn: „Prüfungen sind immer eine Gemeinheit". Notwendig ist ein genauerer Blick auf die bundesrechtlichen Vorgaben (1), die Zulassungsvoraussetzungen (2), die schriftlichen Prüfungsleistungen (3) und deren Prüfungsstoff (4), die mündliche Prüfung (5) und nicht zuletzt auf die Examensergebnisse (6).
1. Die bundesrechtlichen Regelungen der Ersten Staatsprüfung a) Der Bundesgesetzgeber trifft im Deutschen Richtergesetz nur wenige Regelungen über die Ausgestaltung und die Durchführung der Ersten Staatsprüfung. In § 5 Abs. 1 DRiG bestimmt er lediglich, daß das rechtswissenschaftliche Studium an einer Universität mit der ersten Staatsprüfung abschließt — eine unscheinbare, aber wichtige Vorschrift, weil sie eine Universitätsprüfung ausschließt. Bisher hat das DRiG es dem Landesgesetzgeber verwehrt, Prüfungsteile bereits während des Studiums „abzuschichten". Diese Möglichkeit ist den Ländern durch eine Änderung des DRiG nunmehr für den schriftlichen Teil der Prüfung in gewissem Rahmen eröffnet worden; welche Länder von dieser Ermächtigung Gebrauch machen werden und welche bei der bewährten umfassenden „Blockprüfung" bleiben werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Die mündliche Prüfung muß sich auch künftig auf das gesamte Studium beziehen. § 5 d Abs. 1 DRiG schließlich stellt kurz und bündig fest, daß in der Ersten Staatsprüfung schriftliche und mündliche Leistungen zu erbringen sind. Der Stoff der Prüfung ist durch den Landesgesetzgeber so zu bemessen, daß das Studium nach dem vierten Studienjahr abgeschlossen werden kann (§ 5 d Abs. 2 DRiG). Neu aufgenommen in die bundesrechtlichen Vorschriften über die Erste Staatsprüfung ist eine zusätzliche Wiederholungsmöglichkeit bei frühzeitiger Meldung zur Prüfung ( § 5 d Abs.5 DRiG); damit soll ein Anreiz für einen frühzeitigen Studienabschluß gegeben werden. In § 5 a Abs. 2 DRiG ist des weiteren als Bundesrecht vorgegeben, daß Gegenstand des Studiums Pflicht- und Wahlfächer sind; Pflichtfächer sind
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die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Die Wahlfächer dienen der Ergänzung des Studiums und der Vertiefung der mit ihnen zusammenhängenden Pflichtfächer. Diese Bestimmung betrifft zwar nicht ausdrücklich die erste Staatsprüfung; wegen der Wechselbezüglichkeit von Ausbildung und Prüfung hat sie faktisch jedoch eine bedeutsame leitende Funktion, wie sich den Prüfungskatalogen der einzelnen Landesprüfungsordnungen entnehmen läßt. § 5 a Abs. 2 DRiG zeigt damit die zentralen Rechtsgebiete auf, die — mit leichten Modifikationen — in allen Ländern den Gegenstand der Ersten Staatsprüfung bilden. § 5 a Abs. 1 DRiG läßt erkennen, daß die Teilnahme an der Prüfung von einer Mindeststudiendauer von zwei Jahren an einer bundesdeutschen Universität und dem Erwerb von Leistungsnachweisen während des Studiums abhängig ist. Bundesrechtlich geregelt ist darüber hinaus die Noten- und Punkteskala für die Einzel- und Gesamtnoten der Ersten Staatsprüfung (Anhang 1 zu diesem Kapitel). b) Damit ist dem Landesgesetz- und Verordnungsgeber ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Dieser hat es den Ländern ermöglicht, eine bunte Vielfalt von Prüfungssystemen zu schaffen, die, nur durch das schmale Band bundesrechtlicher Vorgaben zusammengehalten, durchaus bedeutsame Unterschiede aufweisen. Die Möglichkeit für interessierte Länder, künftig Teile der schriftlichen Prüfung in das Studium vorzuverlegen, lockert dieses Band weiter und wird zusätzliche Varianten entstehen lassen. Der Bundesgesetzgeber hat es deshalb im Bewußtsein des ausgeprägten Föderalismus in der Bundesrepublik für notwendig erachtet, die Forderung in das DRiG aufzunehmen, daß — wie auch immer — die Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen und der Leistungsbewertung zu gewährleisten sei (§ 5 d Abs. 1 S. 2 DRiG). Außerdem ist durch Bundesrecht sichergestellt, daß die Zulassung zum Vorbereitungsdienst einem Bewerber nicht deswegen versagt werden darf, weil er die Erste Staatsprüfung in einem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland abgelegt hat ( § 6 A b s . l S. 1 DRiG).
2. Die Zulassungsvoraussetzungen für die Erste Staatsprüfung a) Die Zulassungsvoraussetzungen legen die Inhalte des Studiums zumindest teilweise fest. Sie strukturieren gleichzeitig den Studienablauf
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in groben Umrissen und erleichtern damit den Studenten die Orientierung und die Planung des Studiums. Darüber hinaus sind sie, soweit es sich um Leistungsnachweise handelt, geeignet, den Studenten und dem Lehrpersonal Auskunft über den Lern- und Lehreffekt zu geben und den Leistungsstand zu kontrollieren. b) Die Zulassungsvoraussetzungen für die Erste Staatsprüfung der einzelnen Länder weisen keine wesentlichen Unterschiede auf: Zunächst wird der Nachweis eines ordnungsgemäßen Studiums gefordert. Er kann durch die im Studienbuch ausgewiesene Belegung einer entsprechenden Zahl universitärer Lehrveranstaltungen in Pflicht- und Wahlfächern geführt werden. Von wesentlicher Bedeutung ist der Nachweis, daß die Vorgerückten-
übungen im Bürgerlichen Recht, im Strafrecht und im Öffentlichen Recht
mit Erfolg besucht worden sind. Überwiegend wird zusätzlich noch verlangt, daß die Studenten an einer Lehrveranstaltung über die Grundlagen des Rechts oder auch über Nachbarwissenschaften teilgenommen haben. In einigen Ländern wird auch der Besuch von Vorlesungen oder Übungen in Wirtschaftswissenschaften vorausgesetzt. Die „Kleinen Scheine", d.h. die Nachweise über die erfolgreiche
Teilnahme an den Anfängerübungen im Bürgerlichen Recht, im Straf-
recht und im Öffentlichen Recht, müssen nur in einigen Ländern bei der Meldung zur Prüfung vorgelegt werden. Der Besuch der Vorgerücktenübungen ist allerdings in der Regel auch vom vorherigen Erwerb der entsprechenden „Kleinen Scheine" abhängig. Wichtig für Jurastudenten ist, daß die erworbenen Leistungsnachweise in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden. Probleme treten allenfalls bei der Anerkennung des Grundlagenscheins und dort auch nur in Ausnahmefällen auf. Die Studenten müssen also in Rechtswissenschaft sieben bis neun Scheine erwerben — eine im Vergleich zu anderen Studiengängen eher geringe Zahl. Die Ableistung der im DRiG vorgesehenen dreimonatigen praktischen Studienzeiten, ζ. B. bei Gerichten, Staatsanwaltschaften, Rechtsanwälten, in der Verwaltung oder in Wirtschaftsunternehmen, in der vorlesungsfreien Zeit ( § 5 a Abs. 3 S. 2 DRiG) ist weiteres Erfordernis einer Examensteilnahme. Damit müssen in der Regel (kleinere Abweichungen in einzelnen Ländern) folgende studienbezogene Voraussetzungen für die Zulassung zur Ersten Staatsprüfung gegeben sein: — ordnungsgemäßes Studium — erfolgreiche Teilnahme an — je einer Anfängerübung („Kleine Scheine")
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— je einer Vorgerücktenübung („Große Scheine") im Bürgerlichen Recht, im Strafrecht und im Öffentlichen Recht — erfolgreiche Teilnahme an mindestens einer Grundlagenveranstaltung — Besuch von Lehrveranstaltungen in Wirtschaftswissenschaften — Absolvierung der Studienpraxis. c) Von zunehmender Bedeutung ist für die Studenten, ob für die Zulassung zur Ersten Juristischen Staatsprüfung notwendige Leistungsnachweise auch im Ausland erworben werden können. Eine Anerkennung ausländischer Studiennachweise soll die künftig im zusammenwachsenden Europa immer wichtiger werdenden Auslandsstudien fördern. Die Praxis der einzelnen Landesjustizprüfungsämter ist hier, vor allem im Hinblick auf die Ersetzung der Teilnahme an einer Vorgerücktenübung durch ausländische Nachweise, unterschiedlich. In Ländern, in denen eine derartige Anrechnung ausländischer Leistungen möglich ist, wird in aller Regel die Feststellung der Gleichwertigkeit durch die Juristischen Fakultäten vorausgesetzt. Es empfiehlt sich daher, sich vor Planung und Antritt eines Studienaufenthaltes im Ausland nach der entsprechenden Regelung und der Anerkennungspraxis des zuständigen Landesjustizprüfungsamtes zu erkundigen. Entsprechendes gilt für Auslandspraktika.
3. Art und Anzahl der schriftlichen Leistungen Die erste Staatsprüfung selbst besteht in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. In der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Prüfung, in Art und Zahl und in der Gewichtung der einzelnen Prüfungsleistungen zeigt sich eine durchaus beachtliche Vielfalt. Beginnen wir beim schriftlichen Teil der Prüfung: a) Gemeinsam ist den ersten Staatsprüfungen, daß in allen Ländern die Anfertigung von Aufsichtsarbeiten, also Klausuren, gefordert wird. In aller Regel müssen die Bearbeiter die in einem kurzen Lebenssachverhalt, einem „Fall", enthaltenen rechtlichen Probleme in einem Gutachten einer Lösung zuführen. So kann — hier natürlich vereinfacht dargestellt — beispielsweise in einer Klausur aus dem Bürgerlichen Recht gefragt werden, welche Ansprüche den Beteiligten aus einem mißglückten Grundstücksverkauf einschließlich einer Grundschuldbestellung zustehen und wie diese vor Gericht durchzusetzen wären. Im Strafrecht könnte die Fragestellung — auch hier wieder ein vereinfachtes Beispiel — etwa lauten, wie sich die Teilnehmer an einem Bankraub mit ihren unterschiedlichen Tatbeiträgen strafbar gemacht haben. Klausuren aus dem Öffentlichen Recht können beispielsweise die verfassungs-, staats- und verwal-
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tungsrechtlichen Probleme zum Gegenstand haben, die zu entscheiden sind, wenn sich ein Bürger durch die Maßnahme einer Behörde zu Unrecht belastet fühlt (etwa bei Verweigerung einer Baugenehmigung oder bei einer präventiv-polizeilichen Maßnahme). Denkbar, wenn auch eher selten, sind theoretische Fragestellungen, die in Form eines Aufsatzes abgehandelt werden müssen, wie zum Beispiel die unterschiedlichen Möglichkeiten eines Darlehensgebers, die Rückzahlung des hingegebenen Geldbetrages durch den Schuldner zu sichern. In aller Regel müssen diese Fälle oder theoretischen Themen innerhalb von 5 Stunden unter Aufsicht und nur mit Hilfe der Gesetzestexte gelöst und bearbeitet werden. Die Beschränkung der Hilfsmittel auf die Gesetzestexte, also der Ausschluß von Kommentaren, ist sinnvoll, weil ja das wissenschaftliche Verständnis und nicht Detailwissen und Kasuistik die Prüfung beherrschen sollen. b) In den sogenannten „Hausarbeits-Ländern", dies sind derzeit Berlin (noch; künftig auch „Klausur-Land"), Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, muß zusätzlich zu den Klausuren noch eine Hausarbeit gefertigt werden („Norddeutsches System" im Unterschied zum „Süddeutschen System" ausschließlicher Klausurfertigung). Während die Prüfungsteilnehmer bei der Klausur zeigen sollen, daß sie innerhalb eines beschränkten Zeitraumes mit beschränkten Hilfsmitteln zu Problemlösungen finden können, sollen die Bearbeiter einer Hausarbeit nachweisen, daß sie unter Nutzung rechtswissenschaftlicher Literatur und veröffentlichter Rechtsprechung vertieft, mit wissenschaftlichmethodischem Anspruch, arbeiten können. Hierzu stehen ihnen zwischen 4 und 6 Wochen zur Verfügung. Die „Klausur-Länder", die neben der Anfertigung von Aufsichtsarbeiten keine Hausarbeit verlangen (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin [künftig], Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen), argumentieren, daß, wie die Erfahrung zeige, bei der Anfertigung von Hausarbeiten die Gefahr unzulässiger Hilfestellungen durch Dritte besonders groß sei. Die „Hausarbeits-Länder" halten dagegen, daß mit Klausuren nur ein Teil der für einen Juristen notwendigen Fähigkeiten überprüft werden könne. c) Die Schwankungsbreite in der Anzahl der geforderten schriftlichen Leistungen ist innerhalb der Gruppe der „Klausur-Länder" einerseits und innerhalb der Gruppe der „Hausarbeits-Länder" andererseits gering: bis auf Baden-Württemberg, das 9 Klausuren fordert, verlangen alle anderen „Klausur-Länder" 8 Aufsichtsarbeiten. Bei den „Hausarbeits-Ländern" müssen sich die Prüfungsteilnehmer neben der Hausarbeit entweder 3 (Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und
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Schleswig-Holstein) oder 4 Aufsichtsarbeiten (Berlin, Hamburg und Hessen) stellen. Die Gewichtung der Hausarbeit am Gesamtergebnis schwankt zwischen 2 0 % für die Hausarbeit (Berlin), 2 4 % (Schleswig-Holstein), 3 0 % (Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) und 3 3 , 3 3 % (Bremen, Hamburg und Hessen).
4. Der Prüfungsstoff der schriftlichen Leistungen a) Bis auf Baden-Württemberg teilen alle Länder den Prüfungsstoff des schriftlichen Teils des Ersten Staatsexamens in Pflichtfächer und in Wahlfächer auf; in Baden-Württemberg erstreckt sich die erste Staatsprüfung ausschließlich auf den Pflichtstoff; Leistungen in einem Wahlfach sind lediglich Zulassungsvoraussetzung. Auf die Gründe, die dazu geführt haben, Studium und erste juristische Staatsprüfung in Pflicht- und Wahlfächer aufzuteilen, muß an dieser Stelle nicht eingegangen werden; sie sind in den Ausführungen zum Studienbeginn, Studieninhalt und Studienablauf dargestellt. b) Der Kanon der Pflichtfächer umfaßt in allen Ländern die Kerngebiete des Rechts, nämlich das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Verfassungs- und das Staatsrecht sowie das Allgemeine Verwaltungsrecht und ausgewählte Teile des Besonderen Verwaltungsrechts, vorwiegend das Sicherheits- und Polizeirecht, das Kommunalrecht und das Baurecht. Hinzu kommen Teile des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie des Arbeitsrechts und die zentralen Verfahrensrechte, nämlich die Zivil-, die Straf- und die Verwaltungsprozeßordnung. In einigen der aufgeführten Kerngebiete, wie zum Beispiel dem Familien- und dem Erbrecht, überwiegend aber auch in den Verfahrensordnungen, wird lediglich abgestuftes Wissen verlangt und die Prüfung auf die Grundzüge beschränkt. c) Neben dem Pflichtstoff ist in allen Ländern (auf die Ausnahme Baden-Württemberg ist bereits hingewiesen worden) auch der Stoff von Wahlfächern Gegenstand der schriftlichen (und der mündlichen) Prüfung. Die Länder haben einzelne Rechtsgebiete, teilweise auch Nachbarwissenschaften, zu sogenannten „Wahlfachgruppen" (auch „Wahlschwerpunkte" oder „Schwerpunktbereiche" genannt) zusammengefaßt; den Kandidaten an der Ersten Staatsprüfung steht frei, in welcher „Wahlfachgruppe" bzw. in welchem „Schwerpunktbereich" sie geprüft werden wollen. Hinsichtlich Zahl und Zuschnitt dieser Wahlfachgruppen wird auf die Beispiele Anhang 2 (am Ende des Kapitels) verwiesen. An dieser Stelle soll lediglich die Spannbreite kurz dargestellt werden: Zwischen 5 und 11
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Wahlfachgruppen (künftig u. U. mehr) werden den Studenten angeboten. Sie reichen von den Grundlagenfächern (Wahlfachgruppe „Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie") über strafrechtlich (Wahlfachgruppe „Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Kriminologie") und verwaltungsrechtlich orientierte (Wahlfachgruppe „Verwaltungslehre, Beamtenrecht, Raumordnungs-, Landesplanungs- und Baurecht, Straßenund Wirtschaftsverwaltungsrecht") bis zu international ausgerichteten Wahlfachgruppen (Wahlfachgruppe „Völkerrecht und Europarecht"). Der Wahlfachstoff ist also nicht nach den unterschiedlichen Berufsfeldern und Tätigkeiten des Juristen gegliedert. Dahinter steht die Überlegung, daß eine berufliche Orientierung bereits während des Studiums verfrüht erscheint und dem Charakter des Wahlfachstudiums widersprechen würde. Die Erfahrung zeigt, daß die Studenten sich in dieser Phase ihrer Ausbildung hinsichtlich ihrer späteren beruflichen Ausrichtung zum weitaus überwiegenden Teil noch nicht festlegen wollen und dies mangels der hierzu erforderlichen intensiven Einblicke in die einzelnen Tätigkeitsfelder auch noch nicht können. Bei der Entscheidung über die Wahlfachgruppe sollten die Studenten sich vor allem von ihren Neigungen und Interessen leiten lassen. Keinesfalls sollte die Wahl unter examenstaktischen Gesichtspunkten gefällt werden. Diese beruhen in aller Regel auf ungesicherten Erkenntnissen, wie persönlichen Einschätzungen von Kommilitonen und unzulänglichen Bewertungsversuchen von Examensergebnissen, sowie, häufig genug, auf bloßen Gerüchten. W o Interesse an der Materie und Engagement fehlen, wird sich auch der Erfolg im Examen nicht einstellen können. d) Die einzelnen Prüfungssysteme messen der Prüfung und damit der Ausbildung im Wahlfach unterschiedliche Bedeutung zu. So können die Studenten in vielen „Hausarbeits-Ländern" schriftliche Prüfungsleistungen im Wahlfach dadurch umgehen, daß sie eine Hausarbeit aus dem Kanon der Pflichtfächer wählen. Andererseits wird das Wahlfach dann besonders stark gewichtet, wenn ihm die Hausarbeit gewidmet wird. Die Spannbreite der Wahlfachleistungen in der schriftlichen Prüfung reicht von 0 bis zu ca. 40 % des Gesamtergebnisses. Wegen der Einzelheiten wird auf die Tabelle im Anhang 3 zu diesem Kapitel verwiesen.
5. Der mündliche Teil der ersten Staatsprüfung a) Die Ausgestaltung des mündlichen weist in den Ländern keine wesentlichen besteht sie aus einem Prüfungsgespräch, Spiel zwischen der Prüfungskommission
Teils der ersten Staatsprüfung Unterschiede auf. In aller Regel d . h . in einem Frage-Antwortund dem oder den Prüfungsteil-
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nehmern. Der Zeitaufwand beträgt ca. eine Stunde pro Kandidat. Gegenstand der mündlichen Prüfung sind die Pflichtfächer und die Wahlfachgruppe (Ausnahme Baden-Württemberg). b) Das Gewicht des mündlichen Prüfungsteils am Gesamtergebnis der Prüfung ist wegen seiner eingeschränkten Aussagekraft geringer als das der schriftlichen Prüfung. Es beträgt entweder 33,33 % oder 40 % (vgl. hierzu Tabelle 2 am Ende des Kapitels). Uberwiegend erzielen die Kandidaten im Mündlichen bessere Ergebnisse als in den schriftlichen Arbeiten.
6. Die Prüfungsergebnisse a) Erwähnenswert erscheint noch die Feststellung der Prüfungsergebnisse, weil sich hierbei deutliche Unterschiede zu anderen Studiengängen ergeben: Zu nennen ist zunächst die Bewertung der einzelnen Prüfungsleistungen mit einem bundeseinheitlichen Punktesystem, das von 0 (ungenügend) bis zu 18 Punkten (sehr gut) reicht (Anhang 1). Im Gegensatz zu den Prüfungen in allen anderen Studiengängen kennt die Erste Juristische Staatsprüfung aufgrund der Bundesnotenverordnung neben den „klassischen" Noten (sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend, mangelhaft und ungenügend) auch die Zwischennote „vollbefriedigend". Diese Tatsache mag eine Erklärung dafür geben, daß, wie der Tabelle im Anhang4 zu entnehmen ist, das Gesamtergebnis „sehr gut" und „gut" in der Ersten Juristischen Staatsprüfung deutlich seltener erzielt wird als in anderen Studiengängen. Ein weiterer Grund mag in einer gewissen traditionellen Zurückhaltung bei der Notengebung zu sehen sein, die die teilweise zu beobachtende Inflation guter Noten in anderen Bereichen vermieden hat. So können diejenigen Prüfungsteilnehmer, die die Gesamtnote „befriedigend" und besser, also ein sogenanntes „Prädikatexamen", erzielt haben, durchaus mit ihrer Leistung zufrieden sein. Sie müssen den Vergleich mit den Absolventen anderer Prüfungen wahrlich nicht scheuen. b) Die Mißerfolgsquote im Ersten Juristischen Staatsexamen ist vergleichsweise hoch. Sie liegt im Durchschnitt bei über 20 % (s. Anhang 4 am Ende des Kapitels). Die Ursachen hierfür sind vielfältig; ihre Darlegung oder gar Bewertung würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. An dieser Stelle soll lediglich mit aller Deutlichkeit auf eines hingewiesen werden: Das rechtswissenschaftliche Studium ist ein anspruchsvolles Studium, das keinesfalls aus Verlegenheit aufgenommen werden sollte. Ebenso anspruchsvoll ist die Erste Juristische Staatsprüfung. Deshalb auch der Rat: Die Übungen und Leistungskontrollen während des Studiums geben bei eigenverantwortlicher und selbstkritischer Würdi-
Die Erste Juristische Staatsprüfung
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gung deutliche Hinweise auf die Eignung des Studenten und auf seine Chancen, die Erste Juristische Staatsprüfung erfolgreich zu absolvieren. Wer bereits Schwierigkeiten bei Erwerb der Scheine in den Anfänger- und Vorgeriicktenübungen hat, sollte sich deshalb rechtzeitig fragen, ob er das richtige Studium gewählt hat. c) Wer die Prüfung im ersten Versuch nicht bestanden hat, kann sie in aller Regel lediglich einmal wiederholen. Eine Ausnahme gilt bei dem sogenannten „Freiversuch", der von Bayern erstmalig eingeführt worden ist und in Kürze in allen Ländern der Bundesrepublik zur Anwendung kommen wird ( § 5 d Abs. 5 DRiG). Ein „Freiversuch" wird denjenigen Studenten zugebilligt, die sich „frühzeitig zur Prüfung gemeldet und die vorgesehenen Prüfungsleistungen vollständig erbracht haben" (d.h. in der Regel, sich nach ununterbrochenem Studium von höchstens 8 Semestern der Prüfung erstmalig stellen) und sie nicht bestehen. In diesem Falle wird der Mißerfolg nicht gewertet, so daß diesen Kandidaten die üblichen zwei Versuche trotz des ersten Fehlschlags noch offenstehen. Bayern und die anderen Länder, die diese Regelung bereits eingeführt haben, haben mit dem Freiversuch — in Anlehnung an den alten, durch die Oper von Carl Maria von Weber musikalisch gewürdigten Volksglauben vom „Freischütz" auch „Freischuß" genannt — gute Erfahrungen gemacht. Er hat viele Studenten ermutigt, nach einem konzentrierten und intensiven Studium die Erste Staatsprüfung nach acht Semestern abzulegen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Die Mißerfolgsquote der Studenten mit „Freiversuch" ist geringer, der Prozentsatz der erzielten Prädikatsexamina deutlich höher als bei Prüfungsteilnehmern mit längerem Studium. c) In der Ersten Juristischen Staatsprüfung gibt es seit neuestem in vielen Ländern die Möglichkeit der Notenverbesserung: Der erfolgreiche Prüfungsteilnehmer kann sich ein zweites Mal der Prüfung stellen und dann das bessere Ergebnis wählen. Dieses „Bonbon", das Bayern seinen Kandidaten von alters her gewährt, bieten die meisten Länder nunmehr im Zuge der Einführung des Freiversuches gleichfalls an. Die Erfolgsquote, d. h. die Verbesserung im zweiten Versuch, liegt in Bayern übrigens bei ca. 3 0 % .
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