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German Pages 162 [184] Year 2007
Das Gesundheitswesen im Spannungsfeld von Nationalstaat und EU-Binnenmarkt J . W. van de Gronden
Das Gesundheitswesen im Spannungsfeld von Nationalstaat und EU-Binnenmarkt Ein niederländischer Beitrag zur Frage der Kompatibilität nationaler Gesundheitssysteme und Reformmodelle mit dem EG-Recht
von J . W van de Gronden Europa-Institut der Universität Utrecht Mit einem Vorwort von Wilhelm Staudacher, Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin/Berlin und Ab Klink, Wissenschaftliches Institut der CDA, Den Haag Herausgegeben im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung
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Lucius & Lucius • Stuttgart • 2007
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN 978-3-8282-0384-6 © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2007 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com © 2004 Deutsche Übersetzung der niederländischen Publikation: „Zorg tussen lidstaat en interne markt. Zorgverzekering, EG-recht en particulier initiatief', herausgegeben vom Wetenschappelijk Instituut voor het CDA, Niederlande Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Übersetzung: Peter Ganzer, Berlin Bearbeitung: Birgit Ramscheid, Bendorf; Even Jan van Asselt, Den Haag; Andrea Schneider, Berlin Satz: Sibylle Egger, Stuttgart Druck und Bindung: Druckerei Th. Müntzer, Bad Langensalza
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Vorwort zur deutschen Auflage Reformen im Gesundheitswesen stehen seit Jahrzehnten mit großer Regelmäßigkeit und hoher Priorität auf der politischen Agenda. Die zunehmende Lebenserwartung ist eine ebenso große Errungenschaft wie der medizinische und medizintechnische Fortschritt. Wie kann jedoch bei steigendem Bedarf an Gesundheitsleistungen und steigenden Ausgaben, bei schrumpfender und alternder Erwerbsbevölkerung und einer angespannten Situation öffentlicher Haushalte der Zugang zu moderner Medizin für alle weiterhin gewährleistet, ja sogar verbessert werden? Effizienzsteigerung, Rationalisierung, Patientenorientierung und Qualitätsverbesserung in allen Sektoren des Gesundheitssystems stehen dabei ebenso im Fokus wie die Frage nach der bestmöglichen, geeigneten Struktur des Systems. Welche Aufgaben sollen staatliche, nicht-staatliche bzw. gemeinnützige und private Institutionen und Anbieter übernehmen? Wie ist die Arbeitsteilung zu organisieren? Wer trägt die Verantwortung für die Daseins Vorsorge? Wer gewährleistet die Qualität der Versorgung? Wie kann die Finanzierung des Systems nachhaltig gesichert werden? Diese Fragen stellen sich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch vor dem Hintergrund europäischer Rechtsprechung und Normsetzung. Wenngleich die Europäische Union im Gesundheitswesen nur über eine geringe Regulierungskompetenz verfügt und die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung ihrer Bevölkerung haben, so formuliert das europäische Recht doch wesentliche Voraussetzungen für die Ausgestaltung nationaler Gesundheitssysteme, so zum Beispiel die EG-Regeln zum Binnenmarkt sowie Wettbewerbsrecht. Das bedeutet aber, dass nationale Reformvorstellungen an europäischen Anforderungen scheitern oder gesetzlichen Reformbedarf auf europäischer Ebene offenbaren können. Die vorliegende wissenschaftliche Analyse von Johan vn de Gronden diskutiert auf abstrakter Ebene die Vereinbarkeit verschiedener Strukturreform-Szenarien mit dem europäischen Recht. Sie wurde vom Wissenschaftlichen Institut der CDA 2003 in Auftrag gegeben, 2004 in überarbeiteter Form veröffentlicht, und hat in der niederländischen Diskussion, in der Wettbewerbselemente mit Hinweis auf die Unvereinbarkeit mit dem EU-Recht von politischen Kräften jenseits der Christdemokratie in den Hintergrund gedrängt werden sollten, zur Versachlichung der Debatte und zur Klärung offener Fragen beigetragen. Auf diese Weise konnte sie dazu beitragen, den Boden für die in den Niederlanden am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen umfangreichen strukturellen Reformen zu bereiten.
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Vorwort
Wenngleich die Analyse auf einem allgemeinen, abstrakten Niveau gehalten wurde, die Erkenntnisgewinne für alle europäischen Mitgliedstaaten ermöglicht, beinhaltet sie doch einzelne Bezüge zum niederländischen System. Sie gibt daher auch einen guten Einblick in die Reformdiskussion in den Niederlanden, der in jüngster Vergangenheit von Seiten der Politik und Wissenschaft große Beachtung geschenkt wurde. Diese baut stark auf Wettbewerbselementen, einer Nachfragesteuerung des Angebots im Gesundheits- und Pflegebereich, größeren Freiräumen für private und gemeinnützige Anbieter, Transparenz und Qualität auf. Die ersten Ergebnisse des Systemwechseins in den Niederlanden sind vielverspechend und beweisen, dass Wettbewerb kein Selbstzweck ist. Das System wirkt kosteneffizient, kundenfreundlich und dynamisiert das Gesundheitswesen. Da die Studie auch für die deutsche Diskussion wertvolle Hinweise bezüglich möglicher Reformszenarien und hinsichtlich der Vereinbarkeit deutscher Reformvorstellungen mit EU-Recht enthält, legt die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Institut der CDA sie der deutschen Fachöffentlichkeit hier in deutscher Übersetzung vor. Die Konrad-Adenauer-Stiftung beschäftigt sich seit langem intensiv mit Fragen der Medizin- und Bioethik, des Gesundheitswesens und der Gesundheitswirtschaft. So hat ein Kreis von Experten im Sommer 2006 in zehn Thesen notwendige Reformschritte erarbeitet. „Bessere Medizin zu bezahlbaren Preisen. Mehr Qualität und Effizienz durch Wettbewerb" ist ein „Plädoyer für die Stärkung des Bürgers im Gesundheitswesen": N u r ein konsequent ausgestaltetes und gesellschaftlich verantwortetes Wettbewerbssystem im Gesundheitswesen ist den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gewachsen. Dabei dominiert die Ökonomie keinesfalls die Humanität und Solidarität - im Gegenteil. Die Stärkung wettbewerblicher Elemente und größere Freiräume für alle Arten von Anbietern von Gesundheitsleistungen — privat, gemeinnützig und staatlich innerhalb eines ordnenden Rahmens und unter staatlicher Aufsicht schafft Transparenz und sichert ein dauerhaft qualitativ hochwertiges Niveau der gesundheitlichen Versorgung. Dies kommt zuerst den Menschen zugute und ist deshalb ein zutiefst ethischer Ansatz. Ein gesellschaftlich verantwortetes wettbewerbliches Gesundheitswesen wird dem Patienten gerecht, weil es seine Stellung als Nachfrager stärkt, es produziert qualitativ hochwertigere Angebote, weil Anbieter um patientengerechte und hochwertige Produkte und Dienstleistungen konkurrieren, und es ist kostengünstiger als ein rein öffentliches System, da es Verschwendung, mangelnde Innovationskraft und Schlechtleistung zu Tage befördert und bestraft. Ein nachhaltig finanzierbares System, das nicht durch öffentliche Verschuldung finanziert wird, ist zudem ein unerlässlicher Beitrag zur Generationengerechtigkeit und Solidarität mit unseren jungen Menschen.
Vorwort
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Marktwirtschaft und Wettbewerb sind nie Selbstzweck. Es entspricht dem Wertekanon der Christdemokratie, den Menschen in seiner Eigenverantwortlichkeit, Entscheidungsfreiheit und seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Politik zu machen. Christdemokratische Politik vertraut in die Fähigkeiten, Begabungen und Innovationskraft der Person, in unternehmerisches Engagement und private Initiative und in das Neben- und Miteinander staatlicher, privater und gemeinnütziger Organisationen. In der Sozialen Marktwirtschaft sorgt der Ordnungsrahmen des Wettbewerbs für die N u t z u n g seiner Vorteile zum Wohle aller. In diesem Sinne ist der Staat nicht Versorgungsstaat, in dem private und gemeinnützige Initiative staatlicher Intervention und Kontrolle weichen muss, sondern Gewährleistungsstaat: er beaufsichtigt den Wettbewerb und gewährleistet Qualität und Versorgungssicherheit. So sind private, gemeinnützige und staatliche Institutionen in ihrem Handeln verflochten und ergänzen sich in ihren Aufgaben und Verantwortlichkeiten zum Wohle des Gemeinwesens. Auch die politische Diskussion um Reformen im Gesundheitswesen in der Christdemokratie der letzten Jahre verweist immer wieder auf die Chancen marktwirtschaftlicher Elemente. Als die Kommission „Soziale Sicherheit" unter Vorsitz von Bundespräsident a. D. Prof. Dr. Roman Herzog, die durch den Bundesvorstand der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) 2003 eingesetzt worden war, ihre Empfehlungen vorlegte, stimmten ihnen die Delegierten auf dem Parteitag der CDU am 1. Dezember 2003 in Leipzig mit großer Mehrheit zu. Sie unterwarfen dabei alle Reformen dem Grundsatz, dass medizinisch notwendige Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Versicherungspflicht für alle Versicherten — unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand oder ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit - erbracht werden müssen. Auch in Z u k u n f t solle der medizinisch-technische Fortschritt der gesamten Gesellschaft zugute kommen. Sowohl das von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen getragene Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz), das am 1. Januar 2004 in Kraft trat als auch die im Juli 2006 vorgelegten Eckpunkte der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD zeigen in die gleiche Richtung. Die Konrad-Adenauer-Stiftung will mit der Veröffentlichung dieser Studie im deutschsprachigen Raum einen essentiellen Beitrag für die Diskussion der Gesundheitsreform in Deutschland leisten und einem wettbewerbsorientierten, patientengerechten, qualitativ hochwertigem und solidarischem Gesundheitswesen den Weg ebnen.
Wilhelm Staudacher Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
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Vorwort
Vorwort zur niederländischen Auflage Das Gesundheitssystem stand in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder im Mittelpunkt von Reformvorschlägen. Anfang der 1990er Jahre unterbreiteten die niederländische Dekker-Kommission und die wissenschaftlichen Einrichtungen unterschiedlicher Parteien entsprechende Vorschläge. Sämtliche Alternativen scheiterten auch an der Unsicherheit, inwieweit die damit verfolgten Ambitionen den europäischen Anforderungen genügten. Auch heute ist diese Frage nach wie vor akut. Das Wissenschaftliche Institut der CDA hat deshalb Dr. J . W. van de Gronden gebeten, eine Studie zum Thema EG-Recht und Gesundheitssystem zu verfassen. Folgende Personen haben ihm bei diesem Projekt beratend zur Seite gestanden: K. van de Steenhoven, E. J . van Asselt, S. Buijs, G. J . A. Hamilton, Prof. Dr. J . H. Hubben, Dr. A. Klink, J . van Leeuwen, Prof. Dr. D. Pieters, B. Pronk, Prof. Dr. G. J . Vonk, J . S. Watson, F. J . M. Werner und D. P. J . Woestenberg. Dieser Personenkreis hat sich in einer Kommission zusammengefunden, um die vorliegende Studie zu betreuen. Das Rechtsprechungsverzeichnis wurde von Frau K. Werdermann zusammengestellt.
Staatliches Handeln und nicht-staatliche Initiativen Im Jahr 2000 veröffentlichte das Wissenschaftliche Institut der CDA die Studie Nieuwe regie in de zorg (Eine neue Regie im Gesundheitswesen). 1 In dieser Studie wurde — im Nachgang zu einer früheren Untersuchung der CDA-Fraktion in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments 2 — für eine grundlegende Strukturreform des Gesundheitssystems plädiert. Etwas später wiesen Empfehlungen des Sozialökonomischen Rates (SER) 3 für den Umbau des Gesundheitssystems in die gleiche Richtung. Um auch in Zukunft das Prinzip der Solidarität gewährleisten zu können, ist eine stärkere Nachfragesteuerung des Angebots im Gesundheits- und Pflegebereich erforderlich. Den Versicherten wird nicht nur ein größerer Einfluss auf das Leistungspaket und die dafür zu zahlenden Beiträge gewährt, sondern auch auf den Umfang sowie die Qualität des Behandlungs- und Pflegeangebots. Dies hat zur Folge, dass die Angebotssteuerung verhältnismäßig erfolgt, der damit verbundene bürokratische Aufwand und uneffektives Handeln vermindert werden. Selbstverständlich müssen bestimmte Grundbedingungen erfüllt werden: Tarife und Preise müssen transparent sein, Versicherern muss die Möglichkeit zum Abschluss von Verträgen mit Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen eingeräumt werden und es muss ein ausreichendes Gesundheitsangebot auf regionaler Ebene vorhanden sein, um über Qualität, Tarife etc. verhandeln zu können. Dazu bedarf es unter anderem eines
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größeren Freiraumes für neue und überschaubare Initiativen von Seiten der Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen. Dies ist aus christlich-demokratischer Sicht deshalb wünschenswert, da Überschaubarkeit eine wichtige Voraussetzung für eine auf die wirklichen Bedürfnisse zugeschnittene Gesundheitsversorgung und für menschliche Zuwendung in diesem Rahmen darstellt. Die Christdemokratie verbindet mit diesem Ziel seit jeher das strukturelle Prinzip der geteilten Verantwortlichkeit.
Geteilte Verantwortlichkeit Das Prinzip der geteilten Verantwortlichkeit ist für Christdemokraten von besonderer Bedeutung. Es besagt, dass Erziehung, Ausbildung, das Streben nach angemessenen Arbeitsbedingungen, aber auch die Fürsorge nicht primär zum Aufgabenbereich des Staates gehören. In christlich-demokratischen Kreisen spricht man von originären Kompetenzen. Gemeint ist, dass die genannten Tätigkeiten ihren ursprünglichen und vitalen Charakter nur im Rahmen nicht-staatlicher Körperschaften wie der Familie, Schule, Gewerkschaft bzw. der Gesundheits- oder Pflegeeinrichtung beibehalten. Die genannten Funktionen lassen sich nicht ohne weiteres von der Organisation trennen. Geschieht dies dennoch und sie werden komplett dem Wirken des Marktes oder Staates überlassen, geht etwas Wesentliches verloren: Das Gesundheitswesen würde kommerzialisiert oder der Bereich der Bildung insgesamt amtlichen Regeln unterworfen. Aus christlich-demokratischer Gesellschaftssicht gelten deshalb private Initiativen als sehr wünschenswert, sogar als notwendig.
Das Primat der Gesellschaft Im historischen Rückblick lässt sich das Primat der Gesellschaft in unterschiedlichen Bereichen veranschaulichen. Das Gesundheitswesen gehörte lange zur Domäne der Kirchen, karitativer Einrichtungen oder war Gegenstand persönlicher und/oder bürgerlicher Initiativen. Ganz gleich, ob es sich dabei um Altenheime christlicher Orden, Hospize, diakonische Einrichtungen oder um Krankenhäuser handelt, ist festzustellen, dass diese ihren Ursprung zuallererst in gesellschaftlicher Anteilnahme und in gegenseitiger Solidarität fanden — unabhängig von staatlichen Institutionen. Durch die Schaffung gemeinschaftlicher Kassen versuchten die Menschen, die Risiken von Einkommensverlusten, etwa im Krankheitsfall, so gut wie möglich abzuwenden. Im 19. Jahrhundert hat sich der Staat - völlig zu Recht - dieser Problematik immer mehr zugewandt. Schließlich berühren diese elementare menschliche Existenzbedingungen, grundlegende Rechte sowie zugleich das öffentliche Wohl. Seitdem hat es allerdings beinahe ständig eine politische Diskussion über die Position des gesellschaft-
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Vorwort
liehen Mittelfelds gegeben: Sind die Förderung von Gemeinwohl, Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohlfahrtspflege etc. Aufgaben des Staates oder fallen sie unter die Kompetenz gesellschaftlicher Organisationen? Ob in den Bereichen Wohnungsbau, Bildung, Sozialfürsorge, Sozialgesetzgebung oder auf dem Sektor Gesundheit, überall musste ein modus vivendi gefunden werden, zwischen den genannten gesellschaftlichen Initiativgruppen einerseits und den staatlichen Stellen andererseits, die aufgefordert wurden, zur Lösung der sozialen Frage beizutragen. Wie anerkennenswert die privaten Initiativen auch waren, sie wiesen dennoch Mängel auf. Zunächst einmal bestand eine inhärente Rechtsunsicherheit. Kranke, Behinderte, Arbeitslose, sozial Schwache etc. besaßen keinen rechtlich abgesicherten Anspruch auf dauerhafte und strukturelle Unterstützung, Sozialhilfe und Bildung. Glaubensgemeinschaften, karitative Einrichtungen und andere Organisationen gingen bei ihrer Arbeit von sehr unterschiedlichen Kriterien aus. Organisationen, die sich durch Mitgliederdarlehen finanzierten, waren rasch am Ende ihrer Möglichkeiten, wenn die Mitglieder die in Zeiten der Hochkonjunktur eingezahlten Mittel zurückforderten. Zudem vermochten sich private Initiativen nicht immer der Bevormundung zu entziehen. In weiten Kreisen entstand zeitweilig Sorge wegen der nicht durch Vorschriften reglementierten Gesundheitsversorgung durch Kirchen und karitative Einrichtungen, da vermutet wurde, dass dadurch der Bequemlichkeit und Apathie Vorschub geleistet werden würde. Schließlich fielen die Gesundheitsversorgungs- und Bildungseinrichtungen von ihrer Struktur her hinter die sich immer mehr professionalisierende Gesellschaft zurück. Dies war für Sozialdemokraten ein Grund, sich für die Vergesellschaftung der Produktion einzusetzen. Die Christdemokraten entwickelten hingegen eine strukturelle Gesellschaftskritik. Dieser Verlauf führte dazu, dass eine Sozialgesetzgebung erforderlich wurde, die den Zugang zu elementaren Leistungen einschließlich der Gesundheitsversorgung gewährleisten sollte.
Sozialgesetzgebung Ein Bedarf an Sozialgesetzgebung bestand in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnungsbau. Hier wurden gesetzlich geregelte Ansprüche formuliert. J e umfangreicher die Palette der Fürsorgepflichten wurde, umso dringlicher stellte sich die Frage, wie der Staat den finanziellen, geographischen und qualitativen Zugang zu diesen Leistungen gewährleisten konnte. Soll das Primat also beim Staat oder bei der Privatinitiative liegen? Anhänger des Interventionismus sprachen sich bereits im 19- Jahrhundert dafür aus, lebenswichtige Dienstleistungen (kommunale Dienstleistungen wie Straßenbeleuchtung und Bereitstellung von Elektroenergie, aber auch die Vermittlung von Bildung
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durch die Unterhaltung öffentlicher Schulen sowie Kranken- und Pflegeeinrichtungen) in die Hände des Staates zu legen. Andere sprachen sich für ein Gesellschaftsmodell nach Beveridge aus: private action for a political purpose. Es waren vor allem die geistigen Väter der Christdemokratie, die auf die bleibende und essentielle Bedeutung gesellschaftlicher Initiativen abhoben. Dies galt insbesondere für die Bildung und Gesundheitsversorgung sowie die soziale Sicherheit und das Gemeinwohl. Aktivitäten in diesen Bereichen sollten die Qualität der genannten Bereiche sichern und stellten gleichzeitig einen Beitrag zur Humanität der Gesellschaft dar. Berührungspunkte gab es zum Teil mit Sozialdemokraten, die der Idee des Zusammenwirkens und der gesellschaftlichen Rolle der Gewerkschaften große Bedeutung beimaßen. Unterschiedliche Denkrichtungen beherrschten die politische Agenda dauerhaft. Noch immer beschäftigen sich politische Parteien und Sozialwissenschaftler mit diesen Fragen (Staatsintervention oder nicht-staatliche Initiativen, Versorgungsstaat oder Fürsorgegesellschaft im Sinne nicht-staatlicher Sozialverantwortung). Fakt ist, dass mit dem Wachstum des Versorgungsstaates private Initiativen immer mehr dem Druck staatlicher Intervention ausgesetzt waren. Mit der Sanierung des Staatshaushalts, die der Entstehung des Versorgungsstaates folgte, hat dieser Einfluss keineswegs abgenommen. Die Sanierung führte zu einer Politik der Effektivität, der Zumessung von mehr Verantwortung und Rationalisierung (zum Teil auch Rationierung). Vor diesem Hintergrund plädiert die Christdemokratie fiir eine Wiederbelebung der Nachfragesteuerung und der Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben. Dies geschieht aus dem Bewusstsein heraus, dass die Verflechtung von privaten Initiativen und staatlichem Handeln eine Tatsache ist. Staat und gesellschaftliche Institutionen müssen sich - ausgehend von verschiedenen Verantwortungsbereichen - gegenseitig ergänzen.
Verflechtung In der Frage, wie die Verflechtung von staatlichem Handeln und nicht-staatlichen Initiativen auszugestalten ist, divergieren die Auffassungen der politischen Parteien sehr stark. Christdemokraten setzten sich seit jeher für einen Staat ein, der: • •
das Primat der Privatinitiative gewährleistet; den Zugang zu elementaren Leistungen in finanzieller, geographischer und qualitativer Hinsicht garantiert, und zwar: -
in regulativem Sinne (Ordnung und Normsetzung) und erst in zweiter Hinsicht
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in leistendem Sinne.
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Diese ordnungspolitische Gesellschaftssicht schlägt sich in der Grundrechtskonzeption der Christdemokraten nieder.4 Da sich die vorliegende Studie mit Problemen im Nationalstaat, in Europa und bei privaten sowie nicht-staatlichen Initiativen auseinandersetzt und sich dabei an rechtlichen Fragen orientiert, ist es um so sinnvoller, das Verhältnis von Freiheitsrechten und sozialen Grundrechten, aber auch die Rolle, die private Initiativen dabei spielen, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.
Freiheitsrechte und soziale Grundrechte Freiheit bedarf der Institutionen: ein Plädoyer für soziale Freiheitsrechte. Die Interpretation der Fürsorgepflichten und Grundrechte des Staates in den Niederlanden hat zu einer Zunahme der bereits genannten Funktionalisierung des gegenseitigen Engagements gefuhrt. Dabei werden Probleme häufig als Spannungspaare dargestellt. Auf der einen Seite befindet sich das Individuum als Träger von Freiheitsrechten: Der Staat muss sich der Einmischung in den privaten Bereich seiner Bürger enthalten. Auf der anderen Seite besteht eine Fürsorgepflicht des Staates, beispielsweise in der Gesundheitsversorgung und im Wohnungsbau. Diese dualistische Grundrechtsauffassung zeugt aber von einer fehlenden soziologischen Komponente, was den tatsächlichen Wirkungsbereich der Grundrechte angeht. In einer modernen Gesellschaft wird Freiheit häufig institutionell bestimmt. 5 Ohne freie Rundfunkstationen, ohne freie Schulen, Versicherer, Kranken- und Pflegeeinrichtungen, ohne nicht-staatliche Initiativen im Wohnungswesen und bei Gemeinwohlaktivitäten bleibt Freiheit ein abstrakter BergrifF. Deshalb beabsichtigte das Wissenschaftliche Institut der CDA, soziale Freiheitsrechte auf die Tagesordnung zu setzen, um aufzuzeigen, dass sich hinter Freiheitsrechten in der Regel soziale Funktionen und Institutionen verbergen. Es handelt sich um Institutionen, die der Staat einerseits unterstützen muss, da sie Tätigkeiten im sozial-grundrechtlichen Bereich (Gesundheitswesen, Bildung, Sozialarbeit) wahrnehmen. Man spricht daher von sozial-grundrechtlich ausgerichteten Privatinitiativen.6 Andererseits muss der Staat den Institutionen optimale Möglichkeiten bieten, um unternehmerisch tätig zu werden, denn sie nehmen Tätigkeiten wahr, die der Staat nicht ohne weiteres übernehmen kann: Schulen mit spezieller pädagogischer Ausrichtung, Kranken- und Pflegeeinrichtungen mit einem speziellen Fürsorgeansatz, Gewerkschaften mit ihren jeweils spezifischen Auffassungen über Solidarität etc. Es ist also sinnvoll, folgende Rechte zu unterscheiden: • •
Freiheitsrechte, die der Staat gewährleisten muss; soziale Grundrechte, mit denen der Staat ein elementares Niveau wesentlicher Dienste garantiert;
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soziale Freiheitsrechte, die den Staat dazu zwingen, die Gesellschaft so zu ordnen, dass gesellschaftlichen Institutionen die Freiheit gewährt wird, Dienstleistungen zur Wahrnehmung der sozialen Grundrechte anzubieten (Unternehmen mit Gemei nwohlaufgaben).
Dies fuhrt auch zur Schaffung von Richtlinien für die Steuerungskonzepte des Staates für Organisationen der Zivilgesellschaft. Um den Spielraum für nicht-staatliche Initiativen möglichst groß zu belassen (Freiheitsrechte) und die gegenseitige Fürsorge vor allem Bürgern und ihren Einrichtungen zu überlassen (in casu die faktische horizontale Wirkung sozialer Grundrechte), sollte der Staat mit Regeln und Vorschriften zurückhaltend und verhältnismäßig umgehen. Zugleich muss er dafür sorgen, dass die Gesellschaftsordnung es Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben ermöglicht, nicht nur unternehmerisch, sondern auch sozial zu handeln und Ambitionen zu verwirklichen.
Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben aus europäischer Sicht Es ist wichtig, dass auch im Europarecht die Rolle nicht-staatlicher Initiativen (in dieser Studie: im Gesundheits- und Pflegebereich) anerkannt wird. Der rechtliche Rahmen muss Raum bieten für Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben: Organisationen, die nicht zum staatlichen Sektor gehören, die unternehmerisch tätig sein möchten und dabei ausdrücklich eine soziale Zielsetzung verfolgen. 7 Die Schaffung eines solchen Raumes innerhalb der EU wirft im Gesundheits- und Pflegebereich wesentliche Fragen auf: Wo dem Unternehmertum mehr Spielraum gewährt wird, stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit Versicherer unter die Schadenrichtlinien fallen. Darüber hinaus muss geklärt werden, ob die sozialen Zielsetzungen der Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben überhaupt noch realisiert werden können: Inwieweit stehen staatliche Regeln (oder gegenseitige Absprachen), die dies garantieren sollen, im Widerspruch zum Freizügigkeitsgebot und Wettbewerbsrecht im EG-Recht? Bei einem anderen Szenarium, nämlich der Einbettung in ein öffentlich-rechtliches System, um der Vorgabe von Richtlinien zu entgehen, geht es um die Frage, ob es für Versicherer und Leistungsanbieter im Gesundheitswesen überhaupt ausreichende Möglichkeiten gibt, unternehmerisch aufzutreten. In dem Maße, in dem der Staat die Möglichkeiten der Marktwirkung vergrößert, kommt die Frage auf, ob das formale Argument, nach dem das Gesundheitswesen in ein öffentlich-rechtliches System eingebettet ist, einer Anwendbarkeit der EG-rechtlichen Regeln für den Gemeinschaftsmarkt, beispielsweise der EG-Schadenrichtlinien, im Wege steht. Denn für den Fall,
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dass zahlreiche Freiheiten hinsichtlich der Marktwirkung gewährt werden und beispielsweise miteinander konkurrierende Versicherer die Gesundheits- und Pflegeleistungen fiir Versicherte einkaufen müssen, kann aus europarechtlicher Sicht schnell geschlussfolgert werden, dass es sich dabei um wirtschaftliche Aktivitäten handelt, und diese Aktivitäten fallen unter die Schadenrichtlinien, und zwar auch dann, wenn sie formalrechtlich im Sozialversicherungsrecht geregelt sind. In der vorliegenden Studie wird dargelegt, dass im Rahmen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach und nach der spezielle Charakter der Akteure im Gesundheitswesen in Beziehung zum Staat (öffentlich-rechtlicher Bereich) und zum Markt (Gesamtheit der als wirtschaftlich eingestuften Aktivitäten) anerkannt wird. Dies ist auch notwendig, um einerseits Unternehmertum im Gesundheitswesen zuzulassen und andererseits die sozialen Zielsetzungen (mittels Rechtsvorschriften und nicht-gewinnorientierten Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben) zu erhalten und zu stärken. Dies ist noch aus einem weiteren Grund erforderlich, nämlich um in naher Zukunft eine Nachfragesteuerung zu ermöglichen, unter Beibehaltung oder zur Förderung der Solidarität und der Bezahlbarkeit der Gesundheitsfürsorge auf kürzere und mittlere Frist.
Innereuropäische Entwicklungen Technologische und demographische Entwicklungen in Europa treiben die Kosten der Gesundheitsfürsorge in die Höhe. In allen Ländern der Gemeinschaft liegt der Anstieg der Beiträge über dem Wachstum des Nationaleinkommens. Die überwiegende Anzahl der EU-Staaten überprüft zwecks Kostenbegrenzung regelmäßig den Umfang der Leistungspakete von Pflichtversicherungen, den Umfang von Selbstbeteiligungen und untersucht, inwieweit das Gesundheitssystem noch effektiv funktioniert. Bei den Nachbarstaaten der Niederlande sind es vor allem Großbritannien und Deutschland, die dem Unternehmertum größere Chancen geben möchten. Belgien verfügt bereits über ein verstärkt auf Wettbewerb ausgerichtetes System und ein relativ effektives Gesundheitswesen. In Frankreich wird noch nicht über eine Reform des Gesundheitssystems diskutiert. In Großbritannien hat die Regierung Blair Versuche unternommen, es Privatkliniken zu ermöglichen, sich für Gesundheitsdienstleistungen auf Ausschreibungen des National Health Service zu bewerben. Ziel ist dabei keineswegs die Privatisierung des Gesundheitswesens, sondern eine Steigerung der Effektivität der Gesundheitsversorgung (in Großbritannien gibt es lange Wartelisten) durch Marktwirkung. Die Defizite der Krankenkassen betragen in Frankreich seit 2002 mehrere Milliarden Euro. Eine Verringerung des Leistungsumfangs (weniger Medikamente, kürzerer
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Krankenhausaufenthalt) soll die Fehlbeträge ausgleichen. Frankreich weist übrigens nur einen geringen Anteil privater Versicherer (2,4% der Gesundheitsausgaben) auf. In der Bundesrepublik Deutschland wurde unlängst das Paket der medizinischen Grundversorgung eingeschränkt (so gehören beispielsweise zahnärztliche Leistungen nicht mehr zum Leistungsumfang, wie das auch in den Niederlanden der Fall ist). Mit den Krankenkassen wurden Vereinbarungen getroffen, die auf die Begrenzung der Beiträge in den nächsten Jahren abzielen. Mittlerweile wird den politischen Parteien klar, dass weitere Reformen des Gesundheitssystems unvermeidlich sind. Noch wurden keine definitiven Standpunkte geäußert, aber es sieht danach aus, dass sich die Sozialdemokraten flir eine einheitliche Volksversicherung (in die auch Selbstständige und Rentner Beiträge einzahlen) aussprechen werden, bei der jedoch dem Wettbewerb mehr Möglichkeiten eingeräumt werden. Die Christdemokraten haben sich für ein System entschieden, das en gros dem vom zweiten Kabinett Balkenende befürworteten System entspricht (einkommensunabhängige Beiträge, mehr Wettbewerb zwischen Versicherern und zwischen Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen, Einkommenssolidarität mittels steuerlicher Maßnahmen). Diese kurze Übersicht zeigt, dass die Niederlande nicht das einzige Land sind, das mehr Raum für Unternehmertum schaffen möchte. Die europarechtlichen Fragen reichen weiter. Sie beziehen sich nicht nur auf die rechtlichen Grundvoraussetzungen hinsichtlich der Bestrebungen des Kabinetts, das Gesundheitssystem auf privatrechtlicher Grundlage neu zu ordnen, sondern sie finden ihren Widerhall auch in der Diskussion über die Gesundheitspolitik, die über Ländergrenzen hinweg geführt wird, und nicht zuletzt in der Position, die Christdemokraten in diesem Bereich europaweit (u. a. innerhalb der Europäischen Volkspartei, der größten Fraktion im Europaparlament, das in Angelegenheiten des Gemeinschaftsmarkts gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber wirkt) einnehmen.
Optimale Balance zwischen Freiheit und Regelsetzung Diese Studie untersucht, welche Freiheitsgrade das europäische Recht Unternehmen im Bereich der Gesundheitsversorgung lässt. Dabei wird nach einem optimalen Verhältnis zwischen Freiheit und Regelsetzung gesucht. Das Konzept der Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben spricht an sich schon für eine optimale Freiheit für Kranken- und Pflegeversicherer. Optimal bedeutet, dass Freiheit nicht zum Selbstzweck wird. Sie hat sozialen Zielsetzungen zu dienen. Freiheit soll der Verwirklichung sozialer Ambitionen dienen. Daher sind eine rechtliche Einbettung der Freiheit und eine Neuordnung des Gesundheitswesens erforderlich. Die Verpflichtung zum Angebot eines bestimmten Standardpakets und ein gewisses Maß an Beitragsregulierung sind un-
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verzichtbar. Ohne solche Regeln käme die soziale Zielsetzung nicht zu ihrem Recht. Ohne diese Einbettung würden Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben von gewinnorientierten Unternehmen vom Markt gedrängt. Dies ginge letztlich auf Kosten der Versicherten, vor allem aber zu Lasten der Schwächsten. Die Widersprüchlichkeiten im europäischen Recht werden nunmehr deutlich. Die Dritte Schadenrichtlinie harmonisiert den europäischen Markt für Schadensversicherer. Die Freiheit in der Versicherungsbranche kollidiert mit der staatlichen Regulierung, die weiter reicht als nur die Überwachung der Zahlungsfähigkeit. Die rechtliche Einbettung der Freiheit stößt mit anderen Worten auf europarechtliche Hürden.
Freiheitsgrade für Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben im europäischen Recht Welche Freiheiten lässt das europäische Recht Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben? Die Relevanz dieser Frage geht weit über das Gesundheitswesen hinaus. Ahnliche Fragen stellen sich nämlich auch hinsichtlich weiterer gesellschaftlicher Bereiche wie Bildung, Medien, Wohnungsbau und Arbeitnehmerversicherungen. Die vorliegende Studie ist breit angelegt: Es wird sowohl ein in starkem Maße reguliertes System geprüft als auch ein System, das der Marktwirkung viel Raum bietet. Dies vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die u. a. rechtliche Ausgestaltung des Gesundheitssystems. Konkret werden fünf Varianten entworfen, die das Spektrum von öffentlich-rechtlich bis privat abdecken. Auf der Grundlage der an dieser Stelle geprüften Varianten können auch weitere Varianten geprüft werden. Dies ist möglich, da die relevanten Aspekte des europäischen Rechts vorab in allgemeiner Weise beschrieben werden, dann jede einzelne Variante untersucht wird, wie sie sich zu einzelnen Aspekten des europäischen Rechts (Freizügigkeit, Dritte Schadenrichtlinie, Verordnungen zur sozialen Sicherheit, Wettbewerb und staatliche Beihilfen) verhält. Der besondere Wert dieser Betrachtungsweise liegt darin, dass auf diese Weise ein deutlicheres Bild der Skala von öffentlich-rechtlich bis privatrechtlich entsteht. Zugleich bietet die Studie eine detaillierte Übersicht über die europarechtlichen Aspekte einer Grundversicherung, bei der der Unterschied zwischen gesetzlicher Krankenkasse und privaten Versicherungen aufgehoben wird. Im Rahmen der Untersuchung wird selbstverständlich auch auf den Vorzug eines privat-rechtlichen Systems mit öffentlichen Garantien (privatrechtliche Gestaltung des Systems in Anlehnung an Elemente aus Variante C und D aus Kapitel 1 dieser Studie) eingegangen, wie es im Bericht Nieuwe regie in de zorg des Wissenschaftlichen Instituts, im CDA-Wahlprogramm 2002-2006, Betrokken samenleving, betrouwbare
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overheid, und im Koalitionsvertrag des zweiten Kabinetts Balkenende befürwortet w i r d . 8 Es wird aufgezeigt, in welchen Bereichen diese Varianten ausgehend von der heutigen Gesetzgebung und gängigen Rechtsprechung zu möglichen Widersprüchen zum europäischen Recht fuhren. Zugleich wird untersucht, wie m i t diesen Spannungen umzugehen ist, und es werden mögliche Handlungsansätze dargestellt.
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Klink
Direktor des Wissenschaftlichen Instituts der C D A , Den Haag
Anmerkungen: 1. Wetenschappelijk Instituut voor het CDA, Nieuwe regie in de zorg. Een christen-democratische visie op de structuur en financiering van de gezondheidszorg, mit Anhang, Den Haag, September 2000, erschienen in der Reihe Het wachten moe. 2. CDA-Tweede Kamerfractie, Naar meer menselijke maat in de gezondheidszorg. Discussievoorstel om tot een betere verantwootdelijkheidsverdeling in de gezondheidszorg te komen, Den Haag, September 1999. 3. Sociaal-Economische Raad, Naar een gezond stelsel van ziektekostenverzekeringen, Advies 00/12, Den Haag, December 2000. 4. Eine ausführliche Betrachtung vgl. in: A. Klink, Christen-democratie en overheid. De christendemocratische politieke filosofie en enige staats- en bestuursrechtelijke implicaties, Delft 1991, Kapitel 5. 5. Vgl. E.M.H. Hirsch Ballin, Rechtsstaat en beleid. Een keuze uit het werk van E.M.H. Hirsch Ballin, 1991, S. 145-162. 6. Vgl. A. Klink, Thesen zu Christen-democratie en overheid, De christen-democratische politieke filosofie en enige staats- en bestuursrechtelijke implicaties, Delft 1991. 7. Vgl. auch J.P. Balkenende, Overheidsregelgeving en maatschappelijke organisaties, Alphen aan den Rijn 1992. 8. Wobei daraufhingewiesen sei, dass im Gutachten des Wissenschaftlichen Instituts und im CDAWahlprogramm für 100% einkommensunabhängige Beiträge plädiert wurde, während das Kabinett zur Hälfte einkommensunabhängige Beitrage in Kombination mit einkommensabhängigen Beiträgen befürwortet, die vom Arbeitgeber zu zahlen sind.
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Inhalt Vorwort zur deutschen Auflage Vorwort zur niederländischen Auflage Kapitel 1 Einleitung: Z u untersuchende Varianten 1.1. Europäische Union und Gesundheitswesen 1.2. Varianten A. Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch öffentlich-rechtliche Träger B. Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch nicht-gewinnorientierte private Versicherer C. Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch alle Formen von Privatinitiativen D. Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlich-rechtlichen Rahmen E. Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlich-rechtlichen Rahmen mit Opting-out-Regelung für kommerzielle Versicherer 1.3. Aufbau der Studie
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1 1 3 3 4 5 7
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Kapitel 2 Freizügigkeit, Harmonisierung und Krankenversicherungen 2.1. Freizügigkeit und Gesundheitsversorgung 2.2. Harmonisierung 2.2.1. Dritte Schadenrichtlinie 2.2.2. Europäische Sozialversicherungsverordnung
10 11 20 21 34
2.3. Schlussfolgerungen
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Kapitel 3 Wettbewerbsrecht, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherungen 3.1. Der Begriff Unternehmen 3.2. Wettbewerbsregeln für Unternehmen 3.3. Staat und Wettbewerb 3.4. Staatliche Beihilfen und Gesundheitsversorgung 3.5. Schlussfolgerungen
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Inhalt
Kapitel 4 Verhältnis von EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer 4.1. Variante A: Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch öffentlich-rechtliche Träger 4.2. Variante B: Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch nicht-gewinnorientierte private Versicherer
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4.3. Variante C: Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch alle Formen von Privatinitiativen 4.4. Variante D: Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlich-rechtlichen Rahmen 4.5. Variante E: Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlich-rechtlichen Rahmen mit Opting-out-Regelung für kommerzielle Versicherer 4.6. Schlussfolgerungen
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Kapitel 5 Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
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5.1. EG-Recht, private Initiativen und Allgemeininteresse 5.2. EG-rechtliche Komplikationen bei der Einbeziehung privater Krankenversicherungen 5.3. Rechtliche Konsequenzen 5.4. Befindet sich die Variante mit den meisten Einschränkungen in Übereinstimmung mit dem EG-Recht? 5.5. Lösungsansätze auf Grundlage der Dritten Schadenrichtlinie 5.6. Lösungsansätze in Bezug auf Wettbewerbsrecht und staatliche Beihilfen
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Literatur
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Rechtsprechungsverzeichnis
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Anhang
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Kapitel 1: Einleitung: Zu untersuchende Varianten
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Kapitel 1 Einleitung: Zu untersuchende Varianten In den Gesundheitssystemen europäischer Länder, wie beispielsweise den Niederlanden, spielen unter dem Einfluss der christlich-demokratischen Strömung private Initiativen1 seit langem eine essentielle Rolle. Dieser Sektor ist durch ein Konglomerat aus Staat, Markt und Privatinitiative gekennzeichnet. Der Gesundheitssektor eignet sich daher besonders, um Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen EG-Recht und Privatinitiative zu gewinnen.
1.1. Europäische Union und Gesundheitswesen Die Europäische Union gründet sich auf dem EU- und dem EG-Vertrag. In der vorliegenden Studie ist nur der EG-Vertrag von Bedeutung, da in ihm die relevanten Politikfelder Gesundheitsversorgung und Gemeinschaftsmarkt geregelt werden. Die Begriffe Europäische Union (EU) und Europäische Gemeinschaft (EG) werden hier synonym verwendet. Gemäß Art. 152 EGV verfugt die EG nur über sehr eingeschränkte Kompetenzen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Die Tätigkeit der EG soll die Politik der Mitgliedstaaten ergänzen. Die EG kann nach Art. 152 Abs. 4 lit. a und b EGV Regeln aufstellen, die hohe Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen an menschliche Organe und Substanzen, Blut und Blutderivate stellen sowie Regeln im Veterinärwesen und Pflanzenschutz vorgeben, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben. Weiter reichen die Regulierungskompetenzen nicht, da Art. 152 Abs. 4 lit. c EGV bestimmt, dass die EG Fördermaßnahmen treffen kann, die den Schutz sowie die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben und dies unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Abs. 5 des Art. 152 EGV bestimmt ausdrücklich, dass bei der Tätigkeit der EG im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt bleibt. Von Bedeutung ist ferner Art. 152 Abs. 1 EGV, mit dem die EG bei der Fesdegung und Umsetzung der Gemeinschaftspolitik und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleistet. Dieser Grundsatz ist als Integrationsgrundsatz bekannt. Bei einer Reihe von Fragen (siehe auch Art. 6 EGV für den Bereich Umwelt) verpflichtet der EG-Vertrag die EG dazu, diese Interessen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Politik zu berücksichtigen. Sie sind in den Prozess der Politikentwicklung und -umsetzung zu integrieren.
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Kapitel 1: Einleitung: Zu untersuchende Varianten
Der EG-Vertrag enthält eine Reihe von Sozialvorschriften, die für das Gesundheitswesen von Bedeutung sind. In Art. 137 Abs. 4 EGV (in der Fassung des Vertrags von Nizza) ist festgelegt, dass die von der Gemeinschaft getroffenen Maßnahmen zur Sozialpolitik die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen, nicht berühren und das finanzielle Gleichgewicht der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten nicht wesentlich beeinträchtigen dürfen. Ein Krankenversicherungssystem ist Bestandteil des Bereiches der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. Nicht zu vergessen ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union2, die trotz der Unsicherheit hinsichtlich ihrer Rechtsverbindlichkeit in der Rechtsprechung als Interpretationsmittel genutzt wird.3 Art. 35 der Charta bestimmt, dass jede Person das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten hat. Art. 34 der Charta besagt, dass das Recht auf Zugang zu Sozialversicherungsleistungen und sozialen Diensdeistungen, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit etc. Schutz gewährleisten, anerkannt und respektiert wird. Das Recht der Europäischen Union steht vor großen Veränderungen, sollten die Vorschläge des Europäischen Konvents von den vertragsschließenden Mitgliedstaaten übernommen werden. Die Zukunft dieser Vorschläge ist unsicher angesichts des Scheiterns des Brüsseler Gipfels zur neuen europäischen Verfassung vom 12./13. Dezember 2003. In den Texten des Europäischen Konvents über den Entwurf einer Verfassung für die Europäische Union ändert sich jedoch im Blick auf die Kompetenzverteilung im Bereich Gesundheit wenig. Abgesehen von den Angelegenheiten, die bereits jetzt in Art. 152 Abs. 4 EGV benannt werden, verfugt die Europäische Union nach diesen Vorschlägen nicht über Regulierungskompetenzen und die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitssystems ist in vollem Umfang zu wahren.4 Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschläge übernehmen, wird sich hinsichtlich der Regulierungskompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen wenig ändern. Jedoch erhält die Charta der Grundrechte der Europäischen Union einen vertragsrechtlichen Status.5 Obwohl die Europäische Union im Gesundheitswesen nur über geringe Regulierungskompetenzen verfügt, nimmt der Einfluss des EG-Rechts in diesem Bereich zu. Am Urteil Müller-Faure6 ist beispielsweise abzulesen, dass das europäische Recht wesentliche Voraussetzungen für die Ausgestaltung des Gesundheitssystems bereitstellt. Diese finden ihren Ursprung in einem Bereich, in dem die EG über weit reichende Kompetenzen verfügt: im gemeinsamen Markt. In der Rechtsprechung des EuGH werden Regeln für die Errichtung des Binnenmarkts großzügig interpretiert, so dass auch das Gesundheitswesen unter den Geltungsbereich dieser Regeln fallen kann.
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Das Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen im Rahmen des Gesundheitssystems ist EG-rechtlich gesehen eine wesentliche Tatsache. Zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft gehen aus EG-rechtlicher Sicht gesehen ökonomisch ausgerichteten Tätigkeiten nach und sind daher als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts einzustufen. Staatliche Maßnahmen im Hinblick auf diese Organisationen müssen den Freizügigkeitsregeln, den EG-Richtlinien und Verordnungen entsprechen, beispielsweise Vorschriften, in denen die Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt harmonisiert werden. Zugleich ist zu untersuchen, ob bestimmte finanzielle Vergünstigungen, die der Staat diesen Organisationen gewährt, als staatliche Beihilfen einzustufen sind, die grundsätzlich bei der Kommission angemeldet werden müssen.7 Da die Europäische Union einerseits über fast keine Regulierungskompetenzen im Gesundheitswesen verfugt, andererseits jedoch Gesundheitsdienstleistungen einen ökonomischen Charakter aufweisen, ist das Verhältnis von EGRecht und Gesundheitsversorgung vor allem eine Frage des Einflusses des europäischen Wirtschaftsrechts auf die Ausgestaltung nationaler Gesundheitssysteme.
1.2. Varianten Im Gesundheitswesen spielen die Kranken- und Pflegeversicherer eine entscheidende Rolle. Im Rahmen dieser Untersuchung wird die Stellung dieser Organisationen in den Vordergrund gerückt. Sonstige privatwirtschaftliche Organisationen werden nur am Rande berücksichtigt. Es wird herausgearbeitet, welche Voraussetzungen das EG-Recht hinsichtlich der Art und Weise, in der Krankenversicherer ihre Aktivitäten ausüben, fordert und welchen Spielraum es der nationalen Gesetzgebung lässt. Die niederländische gesetzliche Volkspflegeversicherung auf Grundlage des Algemene Wet Bij^ondere Ziektekosten (AWBZ), die zu den Sozialversicherungen zählt, wird in dieser Studie nicht behandelt. Bei der Ausgestaltung des Gesundheitssystems kann der Staat zwischen verschiedenen Formen der Beteiligung von Privatinitiativen bzw. zivilgesellschaftlichen Organisationen wählen. Nachfolgende Varianten, die den Bogen von vollständiger Regulierung bis hin zur Marktwirkung spannen, werden eingehend untersucht. Zum besseren Verständnis des Verhältnisses zwischen EG-Recht und Gesundheitssystem wurde bei der Auswahl von einer Bandbreite von öffentlich-rechtlich bis privat ausgegangen.
A. Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch öffentlich-rechtliche Träger Der Staat legt in Gesetzen und Vorschriften (etwa einem Gesetz über Gesundheitsleistungen in Analogie zum Gesetz über Sonderleistungen für Behinderte) die Ansprüche der im Land ansässigen Personen fest. Mit der Gewährung dieser Leistun-
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Kapitel 1: Einleitung: Zu untersuchende Varianten
gen werden öffentlich-rechtliche Körperschaften (beispielsweise Kommunen oder öffentlich-rechtliche Organisationen mit öffentlichen Aufgaben) betraut. In einem solchen System, das in Ländern wie Großbritannien, Irland und Spanien als National Health Service (Nationaler Gesundheitsdienst) bekannt ist, spielen Staat und Solidaritätsgrundsatz eine überragende Rolle. Auf der Basis der Risiko- und Einkommenssolidarität wird sichergestellt, dass Beitragszahler die erforderlichen Gesundheitsleistungen erhalten. In der Regel gibt es keine Marktwirkung, schließlich wird bei der Umsetzung von Staatsaufgaben wie etwa polizeilichen Aufgaben auch nicht auf Marktwirkung gesetzt. Dennoch ist diese Einschränkung nicht unbedingt erforderlich. Es kann eine Situation entstehen, in der eine öffentliche Instanz Leistungen ausschreibt und öffentlich-rechtliche, in manchen Fällen auch private Anbieter nach Kriterien wie Effizienz ausgewählt werden. Merkmale: — Einrichtung für alle in einem Staat ansässigen Personen — hinsichtlich der gesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitsleistungen, — die aus allgemeinen Mitteln und aus obligatorischen Individualbeiträgen finanziert werden, — wobei die Leistungsträger nicht miteinander konkurrieren, da sie jeweils auf einem speziellen, eigenen Arbeitsgebiet aktiv sind, — wobei neben öffentlichen auch mit privaten Leistungsanbietern Verträge abgeschlossen werden können.
B. Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch nicht-gewinnorientierte private Versicherer Der Staat schreibt den Anspruch auf Hilfsleistungen gesetzlich fest. Die Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt durch Verträge mit privaten Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen und Angehörigen freier Berufe. Private Krankenkassen und Versicherer, die zur Umsetzung gesetzlicher Regelungen zugelassen wurden, sind verpflichtet, Verträge über die Leistungserbringung abzuschließen. In den Niederlanden erfolgt dies im Rahmen des Krankenkassengesetzes (Ziekenfondswet, ZFW) und des Gesetzes über die Volkspflegeversicherung (AWBZ). Ansässige Personen besitzen ein Recht auf Aufnahme in die Versicherung (teilweise unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze, vgl. ZFW). Es liegt kein Versicherungsvertrag vor, da der Staat den Versicherungsanspruch gesetzlich festlegt. Die Wahrnehmung der Versicherungsaufgabe erfolgt im Rahmen staatlicher Regelungen. Es werden bestimmte Anforderungen hinsichtlich des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, des Solidaritätsprinzips, der Beiträge etc. gestellt. Dies bedeutet, dass eine Pflicht zur Aufnahme in die Versicherung besteht und dass eine eventuelle Beitrags- und Leistungsdifferenzierung nicht auf einer Risikoauswahl beruhen darf.
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Da nicht nach Risiko ausgewählt werden darf, erfolgt zwischen den Versicherern ein obligatorischer Lastenausgleich. Eine überaus wichtige Forderung bei dieser Variante ist die Nicht-GewinnOrientierung der beteiligten Privatversicherer. Gleichwohl wird der Marktwirkung Raum gegeben (Wettbewerb). Es besteht die Möglichkeit der Beitrags- und Leistungsdifferenzierung (soweit diese nicht auf einer Risikoauswahl beruht). Durch die gesetzten Normen wird das freie Spiel der Marktkräfte mit dem Solidaritätsgrundsatz kombiniert. Aus diesem Grund kann hier von einer „regulierten Marktwirkung" gesprochen werden. Merkmale: — Gesetzlich definierter Versicherungsanspruch aller ansässigen Personen auf ein gesetzlich vorgeschriebenes Standardpaket, — der mittels Beitragserhebung und Selbstbeteiligungen einschließlich einkommensunabhängiger Beiträge finanziert wird, — wobei nicht-kommerzielle Versicherer mit Leistungsanbietern Verträge schließen, — und die Leistungsträger aufgrund des gesetzlich vorgeschriebenen Lastenausgleichs zwischen den Versicherern und aufgrund der staatlich festgelegten, mit der Krankenkassen zu verrechnenden Pro-Kopf-Beiträgen (den sog. pauschalen Verrechnungsprämien) kaum Risiken eingehen.
C. Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch alle Formen von Privatinitiativen Der Staat schreibt den Versicherungsanspruch gesetzlich fest, beispielsweise in einem Krankenversicherungsgesetz. Die Versicherung stellt kraft nationalen Rechts einen Bestandteil des Systems der Sozialversicherungen dar. Private Versicherer setzen dieses gesetzliche Recht nach Maßgabe eines genehmigten Versicherungsreglements in die Praxis um. Dabei ist unerheblich, ob sie gewinnorientiert arbeiten oder nicht. Sowohl für kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Versicherer gelten dieselben Normen. Es handelt sich hierbei um Normen, die auch in Variante B eine wichtige Rolle spielen: Forderungen nach dem Zugang zur Gesundheitsversorgung (Aufnahmepflicht), Solidarität (keine Beitrags- und Leistungsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl), eine gewisse Regulierung der Beiträge und Lastenausgleichspflichten. Dabei bleibt Raum für den Wettbewerb zwischen den beteiligten Versicherern. Dies wird erreicht, indem der Anspruch nicht in Form konkreter Hilfsleistungen, sondern in Form funktioneller Kategorien im Gesetz festgelegt wird und bezüglich des Umfangs auf das Reglement verwiesen wird. (Diese Variante ähnelt sehr den im Strategiepapier Vraag aan boä1 vorgelegten Plänen der zweiten sozialliberalen Regierung
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Kapitel 1: Einleitung: Zu untersuchende Varianten
Wim Kok und den voran gegangenen Vorschlägen von Staatssekretär Simons.) Da neben diesen Wettbewerbsmöglichkeiten auch bestimmte Rahmenbedingungen festgelegt werden, die seitens des Gesetzgebers hinsichtlich der Solidarität formuliert werden, handelt es sich bei Variante C für Versicherer mit und ohne Erwerbszweck gleichermaßen um eine Form regulierter Marktwirkung. Merkmale: — Gesetzlich fixierter Versicherungsanspruch aller ansässigen Personen für einen Standardkatalog von Leistungen, — die von privaten Versicherern mit und ohne Erwerbszweck zur Verfügung gestellt werden, — für die eine Pflicht zur Aufnahme aller Bewerber8 gilt, — die finanziert werden durch: a. Gelder aus einem zu gründenden Risikoausgleichsfonds, der sich finanziert durch einkommensunabhängige Beiträge (die von den Versicherern erhoben werden) und lohnbezogene (einkommensabhängige) Arbeitgeberbeiträge in Höhe der Hälfte der Gesamtbeitragslast und einem staatlicherseits gewährten Zuschuss zur Deckung der Gesundheitskosten von Minderjährigen, und b. Zusatzbeiträge, die von den Versicherern selbst festgelegt werden, jedoch nicht nach Gesundheit oder Alter differenziert werden dürfen sowie einkommensunabhängige Beiträge zur Deckung der nicht von der Krankenkasse übernommenen Kosten für Versicherte über 18 Jahre, • wobei die Versicherer durch die mit den Versicherten getroffenen Absprachen miteinander im Wettbewerb stehen, beispielsweise niedrigere Preise für Gesundheitsdienstleistungen, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Tarife aufgehoben werden; • wobei die Versicherer oberhalb eines vom Gesetzgeber festzustellenden, obligatorischen Selbstbehalts freiwillige Selbstbeteiligungen mit zugehörigen Rabatten auf einkommensunabhängige Beiträge und eine vorgeschriebene Beitragsstaffelung bei Beendigung der freiwilligen Selbstbeteiligung anbieten können; • wobei die Versicherer auf freiwilliger Basis Verträge mit den Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen abschließen und letztere miteinander hinsichtlich des Preises und der Leistungen im Wettbewerb stehen und die Versicherer dem Patienten die Wahl zwischen Sachleistungen und Erstattungen eröffnen dürfen.
D. Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlichrechtlichen Rahmen Der Staat schreibt den Versicherungsanspruch nicht gesetzlich fest, sondern erlegt seinen Bürgern eine Versicherungspflicht auf. Jede Person wird dazu verpflichtet,
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sich privatrechtlich zu versichern. Private Krankenkassen und Krankenversicherungen bieten eine Privatversicherung an. Diese Privatversicherung hat bestimmte Mindestanforderungen zu erfüllen. Denkbar sind Bedingungen hinsichtlich einer Mindestdeckung10, der Zustimmung zu einer Standarddeckung, keine Beitragsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl, eine gesetzlich vorgeschriebene MindestSelbstbeteiligung, eine gewisse Regulierung der Beiträge und Lastenausgleichsverpflichtungen. Hier liegt also eine regulierte Form des Wettbewerbs vor, die weiter reicht als die effiziente Umsetzung des gesetzlichen Anspruchs in die Praxis. Die jeweilige Art des Anspruchs und die jeweiligen Versicherungen unterscheiden sich nicht, jedoch bestimmt jeder Versicherer durch seine Versicherungsbedingungen selbst den Inhalt und den Umfang des Versicherungsanspruchs (Mindestanspruch, Standardanspruch oder erweiterter Anspruch). Es handelt sich um eine Produktdifferenzierung mit Beitragsnachlässen oder -Zuschlägen hinsichtlich des Standardbeitrags, die der jeweilige Versicherer zu akzeptieren hat. Dabei steht es jedem Versicherer frei, bei Bestimmungen, die zu ausufernden Ausgaben fuhren, die entsprechende Eigenbeteiligung zu erhöhen oder nicht. Denkbar ist eine unterschiedliche Abgrenzung von Kostenerstattungen für Arzneimittel (Apotheke/Drogerie). Merkmale: — Versicherungspflicht für Einwohner, die sich auf die Mindestdeckung der Kosten der erforderlichen Gesundheitsversorgung bezieht. — Die Versicherung (versicherter Anspruch) erfolgt durch zugelassene kommerzielle und nicht-kommerzielle private Krankenversicherungen, — für die eine (mit Klauseln versehene11) Annahmepflicht hinsichtlich der Standarddeckung besteht, — und wird finanziert mittels a. vom Versicherer festzulegenden Beiträgen für die Standarddeckung von Erwachsenen und Kindern, jedoch nicht nach Geschlecht, Gesundheit oder Alter differenziert und unter Abzug von b. ersetzenden Beiträgen in Höhe der Hälfte der Erwachsenenbeiträge und der Hälfte der Kinderbeiträge aus einem Gesundheitsfonds, der sich aus einkommensbezogenen Arbeitgeberbeiträgen und vom Staat gewährten Beiträgen für die Versicherung von Personen unter 18 Jahren speist, bei c. einem internen Beitragsausgleich auf der Grundlage von unvermeidlich auftretenden Schadensmerkmalen (z.B. Invalidität, Lebensalter, chronische Krankheiten, Geschlecht der Kranken/Pflegebedürftigen) in Analogie zum derzeitigen Beitrag privat Versicherter zur Finanzierung der Ausgaben der Krankenkassen wegen der Überrepräsentation von Senioren in den Krankenkassen (sog. MOOZ-Beiträge), um dadurch annehmbare niedrigere versicherungstechnische Rückstellungen bilden zu können,
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wobei es den Versicherern freisteht (natürlich nicht im Rahmen des Beitragsausgleichs), Abweichungen von den Standardanforderungen nach oben oder unten auf eigene Rechnung und zu bestimmten Bedingungen zu versichern, und • unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften zur Selbstbeteiligung eine Selbstbeteiligung in Geld oder Deckung anzubieten, einschließlich dazugehöriger Beitrags-Rabatte, • wobei die Versicherer auf freiwilliger Basis Verträge mit den Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen abschließen und letztere nach Preis und Leistungen miteinander konkurrieren und die Versicherer dem Patienten die Wahl zwischen Sachleistungen und Erstattungen bieten dürfen. •
E. Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlichrechtlichen Rahmen mit Opting-out-Regelung für kommerzielle Versicherer Für Versicherer von Gesundheitsdiensdeistungen werden zwei Systeme geschaffen: Versicherer, die als Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben tätig sein möchten, fallen unter ein privatrechtliches System wie bei Variante D. Die Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben müssen folgende Anforderungen erfüllen: keine Gewinnorientierung, Annahmepflicht und keine Beitrags- oder Leistungsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl. Selbstregulierung spielt dabei eine wichtige Rolle. Das andere System kennt diese Normen nicht. Kommerzielle Versicherer können ihre Produkte bei diesem System in relativ großer Freiheit innerhalb der allgemein üblichen Grenzen des Privat- und Versicherungsrechts anbieten. Bei dieser Variante operieren die Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben in einem Umfeld regulierter Marktwirkung (eine Mischung aus Wettbewerb und Solidarität) und kommerzielle Unternehmen im Rahmen „freier Marktkräfte".
1.3. Aufbau der Studie Bei vier der fünf Varianten steht der regulierte Markt im Vordergrund, wobei der Wettbewerb im europäischen Wirtschaftsrecht eine tragende Rolle spielt. Ausgehend vom EG-Recht verlaufen die Übergänge zwischen den Varianten nicht abrupt, sondern fließend. In Kapitel 2 wird zunächst auf das Verhältnis zwischen Gesundheitsversorgung und Freizügigkeit/Harmonisierung von Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt eingegangen. In Kapitel 3 liegt der Fokus auf dem Verhältnis zwischen Wettbewerb/staatlichen Beihilfen und der Gesundheitsversorgung. In diesem Zusammenhang steht vor allem das niederländische Wettbewerbsrecht im Zentrum des Interesses, denn es ist hinsichtlich der materiellen Regeln fast ausschließlich auf das europä-
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ische Wettbewerbsrecht ausgerichtet. Gerade die niederländische Kartellbehörde hat auf dem Gesundheitssektor eine aktive Wettbewerbspolitik betrieben und regelmäßig die Wettbewerbsregeln angewandt. Untersucht wird in Kapitel 4, welche Konflikte zwischen dem EG-Recht und den eben erwähnten Varianten auftreten. Kapitel 5 enthält Schlussfolgerungen und Empfehlungen. A u f die Beziehung zwischen EG-Recht und privaten Initiativen wird nochmals allgemein eingegangen.
Anmerkungen: 1. Private Initiativen umfassen privatrechtliche Unternehmen z.B. Krankenversicherungen, aber auch gemeinnützig geführte Krankenhäuser; es können sowohl Leistungsträger als auch Leistungserbringer sein. 2. Abi. EG 2000, C-364/1. 3. Vgl. beispielsweise Rechtssache T-54/99 (max.mobil Telekommunikation Service), Slg. 2002, S. 11-313. 4. Vgl. Art. III-174 des Verfassungsentwurfs, Band II, CONV 848/03, Brüssel 9. Juli 2003. 5. Vgl. Teil II des Verfassungsentwurfs, Band I, COMV 797/1/03, Brüssel 12. Juni 2003. 6. In der Rechtssache C-385/99 (Müller-Faure vom 13. Mai 2003, noch nicht veröffentlicht), entschied der Gerichtshof, dass bei Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern gesetzlich Versicherte Gesundheitsleistungen von Leistungsanbietern in anderen EU-Mitgliedstaaten beziehen können. Bei Behandlungen in Krankenhäusern dürfen die Krankenkassen, sofern es keine Wartelisten gibt, ihren Versicherten die Übernahme der Kosten von Behandlungen in Krankenhäusern anderer EU-Mitgliedstaaten verweigern. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Rechtssache C-157/99 (Smits und Peerbooms), Slg. 2001, S. 1-5473. 7. Vgl. Art. 87 und 88 EGV. 8. Das zweite sozial-liberale Kabinett hat seine Pläne in dem Programmpapier „Vraag an bod", Kamerstukken II 2000/01, 27 885, Nr. 1-2, dargelegt. 9. Bei unbeschränktem Wechsel nach dem derzeitigem sjekenfondswet (Krankenkassengesetz). 10. Vgl. Sociaal-Economische Raad, Naar een gezond stelsel van ziektekostenverzekeringen, Advies 00/12, Den Haag, December 2000, mit Ausnahme des Hausarztes. 11. „Mit Klauseln versehen" bedeutet dann beispielsweise bis 40 Jahre unbeschränkt, zwischen 40 und 65 Jahren mit einem Alterszuschlag von bis zu 20%.
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Kapitel 2: Freizügigkeit, Harmonisierung und Krankenversicherungen
Kapitel 2
Freizügigkeit, Harmonisierung und Krankenversicherungen Bei den meisten Varianten liegt eine regulierte und nicht freie Form des Wettbewerbs vor.1 Dies impikiert, dass der Staat mit Rechtsvorschriften Rahmenbedingungen für das Verhalten der Versicherer aufstellt. Dabei handelt es sich beispielsweise um Anforderungen an den Zugang zur Gesundheitsversorgung (Annahmepflicht), Solidarität (keine Beitrags- oder Leistungsdifferenzierung aufgrund einer Risikoselektion) sowie eine bestimmte Regulierung der Beiträge und Ausgleichsverpflichtungen. Mit anderen Worten: Der Staat reguliert wirtschaftliche Aktivitäten. Diese können grenzüberschreitenden Charakter aufweisen. Deshalb finden die Bestimmungen des EG-Vertrags zur Freizügigkeit Anwendung. Diese Bestimmungen nehmen grundsätzlich die nationalen Behörden in die Pflicht.2 Hierbei handelt es sich um allgemeine Grundregeln des EU-Binnenmarkts. Zur Förderung des Rechts auf Freizügigkeit bei bestimmten Produkten, Diensdeistungen oder Personen hat die EU Regelungen erlassen (Richtlinien und Verordnungen). Ein solcher Erlass gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften wird auch als Harmonisierung bezeichnet. Im Folgenden werden zunächst die allgemeinen Regeln der Freizügigkeit einer Betrachtung unterzogen. Anschließend werden ausgewählte europäische Rechtsvorschriften behandelt, die für die vorliegende Studie relevant sind. Es handelt sich konkret um Schadenrichtlinien (die geschaffen wurden, um den freien Verkehr von Versicherungen zu fördern) und die EWG-Verordnung 1408/71, auch Sozialversicherungsverordnung genannt3, die insbesondere auf die Freizügigkeit für Arbeitnehmer abzielt. Es gibt Bestimmungen, die den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital sowie das Recht von Personen auf Freizügigkeit regeln. Der freie Verkehr von Waren ist von Belang, wenn es beispielsweise um Medikamente und Hilfsmittel geht. Die Regeln für den freien Dienstleistungsverkehr geraten ins Blickfeld, wenn medizinische Diensdeistungen (Krankenhausaufnahme, ärztliche Behandlung etc.) auf nicht-dauerhafter Grundlage angeboten werden. Gleiches gilt, wenn ein Versicherer einem Verbraucher in einem anderen Mitgliedstaat eine Versicherung anbieten möchte. Wenn eine natürliche oder juristische Person dauerhaft am wirtschaftlichen Leben eines anderen Mitgliedstaats teilnehmen möchte, bilden die Regeln zur Freizügigkeit für Personen den relevanten Untersuchungsrahmen. Handelt es sich um selbständig operierende Unternehmen, sind die Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit und — im Falle von Arbeitnehmern — die Regeln für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern ausschlaggebend. Wenn grenzüberschreitende Kapitalbewegun-
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gen staatlicherseits eingeschränkt werden, ist zu untersuchen, ob die Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr verletzt werden. In Fällen, die sich auf die Gesundheitsversorgung beziehen, sind vor allem die Bestimmungen zum freien Dienstleistungsverkehr von Bedeutung. Bei der Mehrzahl der Rechts Streitigkeiten ging es um die Inanspruchnahme des Patienten von medizinischen Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat der EU. Eine etwas geringere Rolle spielten die Bestimmungen zum freien Warenverkehr. Bei einer Reihe von gerichtlichen Auseinandersetzungen ging es um Medikamente und Hilfsmittel (Brillen). Die Niederlassungsfreiheit wurde relevant, als ein Leistungsanbieter dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat der EU Gesundheitsleistungen anbieten wollte. Das Recht auf Freizügigkeit für Personen spielte in der Gesundheitsvorsorge vor allem eine Rolle im Zusammenhang mit der Sozialversicherungsverordnung und wird daher im Abschnitt über Harmonisierung behandelt. Es existiert keine Rechtsprechung, die sich mit dem freien Verkehr von Kapital und Leistungen der Gesundheitsversorgung auseinandersetzt. Da sich die Vorgehensweise ähnelt, nach der der EuGH Fälle nach Maßgabe unterschiedlicher Rechtsbestimmungen auf Freizügigkeit auslegt (zwischen diesen Bestimmungen herrscht Konvergenz)4, werden nachfolgend in Abschnitt 2.1. die verschiedenen Aspekte des Rechts auf Freizügigkeit in ihrer ganzen Bandbreite diskutiert.
2.1. Recht auf Freizügigkeit und Gesundheitsversorgung Anwendbarkeit des Rechts auf Freizügigkeit Bereits in einem frühen Stadium hat sich der EuGH in der Rechtssache Luisi und Carbone5 geäußert, dass ärztliche Behandlungen unter die Regeln des Rechts auf Freizügigkeit fallen. Das Angebot solcher Behandlungen wurde im Rahmen des Gerichtsverfahrens als Diensdeistung bewertet. Der Gerichtshof legte dar, dass sich bei Fragen der Gesundheitsversorgung in grenzüberschreitenden Fällen nicht nur der Anbieter medizinischer Diensdeistungen, sondern auch deren Empfänger auf die vertraglich festgelegten Freizügigkeitsrechte berufen kann.6 In der Rechtssache Grogan7 wiederholte der Gerichtshof seine Feststellung, dass ärztliche Tätigkeiten (in diesem Fall ging es um einen Schwangerschaftsabbruch unter ärztlicher Kontrolle) Dienstleistungen im Sinne des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Sodemare8 entschied (ein luxemburgisches Unternehmen mit Gewinnorientierung hatte den Betrieb von Seniorenheimen beantragt), dass die italienische Regelung, nach der ausschließlich private, nicht-gewinnorientierte Organisationen die Betreuung von Senioren anbieten dürfen, nach den Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit zu beurteilen war. Aus diesem Beispiel lässt sich ableiten, dass einzel-
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staatliche Maßnahmen und Gesetze im Bereich der Gesundheitsversorgung sehr schnell unter Freizügigkeitsbestimmungen fallen. Diese Auffassung spiegelt sich auch in den bereits genannten Urteilen Kohll9 und Decker wider.10 In der Rechtssache Smits und Peerbooms11 befasste sich der Gerichtshof 15 Jahre nach seinem Ersturteil in der Sache Luise und Carbone nochmals mit der prinzipiellen Frage nach der Anwendbarkeit des Rechts auf Freizügigkeit auf die Gesundheitsversorgung, indem er feststellte, dass „nach gängiger Rechtsprechung [...] die medizinischen Tätigkeiten von Art. 60 des Vertrages erfasst [werden], ohne dass dabei danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einer Gesundheitseinrichtung oder außerhalb davon erbracht wird".12 Der besondere Charakter einer Dienstleistung entzieht Aktivitäten nicht dem Wirkungsbereich des Rechts auf Freizügigkeit, auch dann nicht, wenn sich die betreffenden Aktivitäten im Bereich der sozialen Sicherheit abspielen. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass im gesetzlichen Rahmen des niederländischen Gesundheits systems den medizinischen Tätigkeiten eine wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht. Der EuGH konstatierte daher: „Im vorliegenden Fall stellen die Zahlungen der Krankenkassen im Rahmen des durch das ZFW [niederländisches Krankenkassengesetz] ausgestalteten Systems vertraglicher Vereinbarungen, auch wenn sie pauschal erfolgen, durchaus die wirtschaftliche Gegenleistung für die Leistungen des Krankenhauses dar und weisen zweifellos für die Gesundheitseinrichtung, an die sie geleistet werden und die sich wirtschaftlich betätigt, Entgeltcharakter auf."13 In den Rechtssachen Vanbraekel14 und Müller-Faure15 hielt der Gerichtshof an seiner Ansicht fest, dass es sich bei medizinischen Tätigkeiten um wirtschaftliche Aktivitäten handelt, die unter die Freizügigkeitsregeln fallen. Die Feststellung, dass medizinische Diensdeistungen dem Recht auf Freizügigkeit unterliegen, impliziert daher, dass diese Bestimmungen auch für Krankenversicherungen relevant sind. Zur Verdeutlichung: In den Rechtssachen Smits und Peerbooms sowie Müller-Faure bewertete der EuGH die niederländische Krankenkassengesetzgebung ausgehend von der Regelsetzung zur Diensdeistungsfreiheit.
Inhalt des Grundrechts auf Freizügigkeit Wenn feststeht, dass die Regeln des Rechts auf Freizügigkeit Anwendung finden, ist zu untersuchen, ob die jeweilige nationale Maßnahme oder Gesetzeslage gegen das Verbot der Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit verstößt. Nationale Maßnahmen, die eine Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit vornehmen und so die eigenen Staatsangehörigen oder die eigene Produktion begünstigen (so genannte „diskriminierende Maßnahmen"), schränken die Freizügigkeit ein.16 Das Verbot, eine Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit vorzunehmen, ist einer der fundamentalen Grundsätze des EG-Rechts und wurde in Art. 12 EGV festgelegt. Im Bereich der
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Gesundheitsversorgung ist das Urteil Ferlini von Bedeutung.17 In dieser Rechtssache bewertete der Gerichtshof die Gesetze des Mitgliedstaates Luxemburg, durch die Gemeinschaftsbeamten höhere Tarife für medizinische Leistungen in Rechnung gestellt wurden als in Luxemburg ansässigen Personen, die einem nationalen sozialen Sicherungssystem angeschlossen waren, nach Art. 12 EGV. Da die Tarifunterschiede objektiv nicht gerechtfertigt werden konnten, lag ein Verstoß gegen diese Bestimmung vor. Maßnahmen hingegen, bei denen nicht nach der Herkunft der betroffenen Person unterschieden wird, die aber dennoch den Zugang zum Markt einschränken (so genannte „nicht diskriminierende Maßnahmen")18, sind als Maßnahmen anzusehen, die die Freizügigkeit beim Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital behindern. Für den freien Warenverkehr ist dies bereits seit Jahren gängige Rechtsprechung.19 In den Rechtssachen Alpine Investments (freier Diensdeistungsverkehr),20 Gebhardt (Niederlassungsfreiheit)21, Bosman (Freizügigkeit im Personenverkehr)22 und Konle (freier Kapitalverkehr)23 evaluierte der EuGH nationale Finanzgesetze, Regelungen der Zulassungskriterien für Anwälte, Regeln des Transfersystems im Fußballsport bzw. gesetzliche Regelungen zur Raumordnung als Beschränkung der Freizügigkeit, obgleich bei diesen Maßnahmen von einer Differenzierung zwischen eigenen Staatsangehörigen und denen anderer Mitgliedstaaten keine Rede war. Mit der gebührenden Vorsicht ist hieraus der Schluss zu ziehen, dass auch nationale Maßnahmen, die den Zugang zum Markt von Diensdeistungen, Personen und Kapitel in nicht-diskriminierender Weise einschränken, die Grundfreiheiten verletzen.24 Für den freien Dienstleistungsverkehr gibt es zahlreiche Beispiele in der gängigen Rechtsprechung, die diese Schlussfolgerung stützen.25 Zu nennen ist an dieser Stelle für den Bereich Gesundheitsversorgung die Rechtssache Mac Quen.26 Der EuGH entschied, dass eine belgische Regelung, die an Optiker bestimmte Anforderungen stellte, das Verbot der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verletzte. Aufgrund der strittigen belgischen Vorschriften war es Optikern nicht gestattet, andere Untersuchungsmethoden des Sehvermögens anzuwenden als die, bei denen der Patient etwa mithilfe von Buchstabentafeln angibt, unter welchen Einschränkungen er leidet. Andere Untersuchungsmethoden durften ausschließlich von Augenärzten angewendet werden. Der Zugang zum Markt wurde eingeschränkt, da die nationale Bestimmung die Niederlassung von Optikern in Belgien behinderte bzw. eine Niederlassung weniger attraktiv erscheinen ließ. Bei einer Bewertung nach Maßgabe des Rechts auf Freizügigkeit sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass sich diese Regeln ausschließlich auf grenzüberschreitende Situationen beziehen. Der so genannte interne Sachverhalt — d.h. ein Fall, der keinen Bezug auf Waren, Diensdeistungen, Personen oder Kapital in einem anderen Mitgliedstaat aufweist — fällt nicht unter das Grundrecht auf Freizügigkeit.27 Eine umgekehrte Diskriminierung (Benachteiligung eigener Erzeugnisse oder Staatsangehöriger
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im Vergleich zu Erzeugnissen oder Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten) steht den genannten europäischen Bestimmungen nicht entgegen.28 In der neueren Rechtsprechung lässt sich die Tendenz feststellen, dass der EuGH der Frage nach dem internen Sachverhalt auszuweichen versucht. Vor allem in Vorabentscheidungsverfahren, bei denen ein nationales Gericht Fragen zur Interpretation des EG-Rechts stellt, kommt es zu einem derartigen „Ausweichverhalten". Der Gerichtshof überlässt es ausdrücklich dem nationalen Gericht festzustellen, ob ein interner Sachverhalt vorliegt und inwieweit es für das Gericht im Zusammenhang mit dem nationalen Recht hilfreich ist, Antworten auf die gestellten Fragen zu erhalten. Der EuGH erläutert dann selbsttätig die Regelungen im Hinblick auf das Grundrecht auf Freizügigkeit.29 Stellen nationale Maßnahmen eine Beschränkung dar, können sie dennoch aufgrund bestimmter, legitimer Zielsetzungen berechtigt sein. Beim Recht auf Freizügigkeit können zwei Arten von Ausnahmen unterschieden werden:30 Zunächst einmal enthält der EG-Vertrag selbst Ausnahmebestimmungen. So wird in Art. 30 EGV (Art. 56 a.F.) festgelegt, dass eine Beschränkung des freien Warenverkehrs zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen zulässig ist. Art. 46 EGV (Art. 56 a.F.) enthält unter anderem im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit Ausnahmen für den freien Diensdeistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit. Auch hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung Ausnahmesachverhalte dargelegt, die in der gängigen Rechtsprechung als „zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses" und in der einschlägigen Fachliteratur als Rule of Reason^ bezeichnet werden. Nachdem der EuGH mit der Dassonville-Formel32 und der Cassis de DijonRechtsprechung33 zum ersten Mal anerkannt hat, dass „zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses" eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen können, wurde dem Ausnahmenkatalog der Rule of Reason eine große Zahl von Belangen hinzugefügt. Im Gegensatz zu den im EG-Vertrag genannten Ausnahmen handelt es sich bei der Rule of Reason um eine offene Gruppe von Ausnahmen. Seit den Urteilen Kohll und Decker wird das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit (etwa ein Krankenversicherungssystem, das Bestandteil des sozialen Sicherungssystems ist) als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses anerkannt. Damit jedoch eine Berufung auf die Ausnahmebestimmungen des EG-Vertrags oder die Rule of Reason erfolgreich ist, muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen werden. Bei der Bewertung nach diesem Grundsatz steht die Frage im Mittelpunkt, ob der Mitgliedstaat das angestrebte Interesse auch mit weniger einschränkenden Mitteln realisieren kann. Bei der Anwendung von Ausnahmen der Freizügigkeit im Gesundheitsbereich kann wiederum auf das oben genannte Urteil Mac Quen verwiesen werden. Die belgische Regelung, nach der bestimmte Diagnosetätigkeiten ausschließlich von Augenärzten
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und nicht von Optikern durchgeführt werden durften, fiel im Prinzip unter das Verbot, die Niederlassungsfreiheit einzuschränken, konnte jedoch unter Berufung auf die Ausnahmeregelung des EG-Vertrags für die öffentliche Gesundheit (Art. 46) grundsätzlich gerechtfertigt werden. Der Gerichtshof entschied jedoch, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen war, ob der technische und wissenschaftliche Fortschritt die Notwendigkeit, bestimmte Diagnosetätigkeiten ausschließlich Augenärzten vorzubehalten, nicht von selbst aufgehoben habe.
Krankenversicherungen und Recht auf Freizügigkeit Wie wendet der Gerichtshof die Verbote und Ausnahmebestimmungen bei Krankenversicherungen an? Wesentlich zur Beantwortung dieser Frage tragen die bereits erwähnten Rechtssachen Kohll, Decker, Smits und Peerbooms, Vanbraekel sowie Müller-Faure bei; ebenfalls die rezentere Rechtssache Inizan34. In den Rechtssachen Kohll und Decker war die Frage zu beantworten, ob ein Mitgliedstaat (in diesen Fällen Luxemburg) die Vergütung der Inanspruchnahme einer kieferorthopädischen Behandlung (einer Diensdeistung) bzw. der Anschaffung einer Brille (einer Ware) in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen eines Erstattungssystems von der vorherigen Genehmigung abhängig machen darf.35 Der EuGH entschied, dass diese Genehmigungspflicht den freien Dienstleistungsverkehr einschränkt. Dem Gerichtshof zufolge war es den Mitgliedstaaten jedoch erlaubt, den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken, falls dies für den Erhalt eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland, die für die Gesundheit oder sogar das Überleben der Bevölkerung unverzichtbar ist, erforderlich ist. Von der luxemburgischen Regierung war jedoch kein Nachweis erbracht worden, dass die Forderung nach vorheriger Genehmigung erforderlich war. Es konnte kein Beleg erbracht werden, dass die Genehmigungspflicht für den Erhalt eines unverzichtbaren Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines unabdingbaren Niveaus der Heilkunde im Inland erforderlich war. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht einer erfolgreichen Berufung auf die Ausnahme des zwingenden Erfordernisses des Allgemeininteresses entgegen. In der Rechtssache Smits und Peerbooms bewertete der Gerichtshof das niederländische Sachleistungssystem, soweit es sich auf stationäre Behandlungen bezieht, in Abhängigkeit von den Vorschriften zum freien Dienstleistungsverkehr.36 Es ging um zwei Fälle, bei denen zwei Patienten ohne Genehmigung ihrer Krankenkassen Behandlungen in Krankenhäusern anderer Mitgliedstaaten erhalten hatten. Da ein Versicherter nur einen Leistungsanbieter in Anspruch nehmen darf, mit dem seine Krankenkasse einen Vertrag geschlossen hat, und da es solche Verträge mit ausländischen Leistungsanbietern in der Regel nicht gibt, handelte es sich um eine Beschrän-
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kung des freien Dienstleistungsverkehrs. Auf diese Weise lag implizit ein Genehmigungsvorbehalt für Behandlungen in einem Krankenhaus eines anderen Mitgliedstaates vor. Der Gerichtshof erachtete diese Beschränkungen wegen der Ausnahmebestimmung von Art. 46 EGV (öffentliche Gesundheit) und des zwingenden Erfordernisses eines finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit jedoch für gerechtfertigt. Die medizinischen Dienste, die in Krankenhäusern angeboten werden, haben unverkennbar einen besonderen Charakter. Seitens der Mitgliedstaaten muss deshalb Planungssicherheit bei der Versorgung in Krankenhäusern bestehen, damit innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaats ein Netz von Krankenhäusern aufrechterhalten werden kann. Die Beurteilung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führt hier zu zwei Nuancierungen. Zunächst wurde die Genehmigungserteilung behandelt. Bei der Erteilung der Genehmigung für die Behandlung in einem Krankenhaus in einem anderen Mitgliedstaat haben die niederländischen Krankenkassen geprüft, ob die betreffende Behandlung in Ärztekreisen allgemein üblich war. Der Gerichtshof entschied, dass diese „Üblichkeit" anhand internationaler und nicht anhand nationaler Maßstäbe zu interpretieren sei. Ferner entschied der Gerichtshof, dass die Genehmigung nicht verweigert werden darf, wenn in den Niederlanden keine angemessene Behandlung erfolgen kann. Wenn es für die Behandlung in einem niederländischen Krankenhaus Wartelisten gibt, muss es einem Patient möglich sein, seine medizinische Behandlung jenseits der Grenze zu erhalten.37 In der Rechtssache Smits und Peerbooms ließ der EuGH den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum.38 In der Rechtssache Müller-Faure nuancierte der Gerichtshof jedoch die Kompetenz der Mitgliedstaaten, um im Rahmen eines Sachleistungssystems mit einer (impliziten) Genehmigungspflicht zu arbeiten.39 Diese Rechtssache bezog sich auf das aktuelle niederländische System. Dieses Mal ging es nicht nur um grenzüberschreitende Behandlungen in einem Krankenhaus, sondern auch um grenzüberschreitende Versorgung außerhalb eines Krankenhauses (Behandlung durch einen Freiberufler in einem anderen Mitgliedstaat). Der Gerichtshof wiederholte, dass die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die das niederländische Vertragssystem mit sich brachte, zulässig seien, soweit es Behandlungen in einem Krankenhaus betraf. Allerdings musste es dem Patienten möglich sein, die Behandlungen zeitnah zu erhalten. Bei der Bewertung des Begriffes „zeitnah" sind alle Umstände des jeweiligen Falles, der aktuelle Gesundheitszustand des Patienten, das Ausmaß der Schmerzen oder der Behinderung, infolge derer er beispielsweise seiner beruflichen Tätigkeit schwerlich nachkommen kann sowie seine Krankengeschichte zu berücksichtigen. Das Kriterium der Zeitnähe ist daher aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Im Hinblick auf die ambulante medizinische Versorgung entschied der Gerichtshof jedoch, dass die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die eine Kon-
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sequenz des sich aus dem Sachleistungssystem ergebenden Genehmigungsvorbehalts waren, unzulässig waren. Die Berufung auf das zwingende Erfordernis des finanziellen Gleichgewichts griff dem EuGH zufolge nicht bei der Versorgung außerhalb von Krankenhäusern, da die Wahrscheinlichkeit, dass viele Patienten eine Versorgung aus dem Ausland beziehen würden, wegen der Sprachbarriere, der räumlichen Entfernung, den Kosten eines Auslandsaufenthalts und dem Mangel an Informationen über die in einem anderen Mitgliedstaat angebotenen Leistungen gering ist. Hinzu kommt, dass eine Versorgung außerhalb von Krankenhäusern in der Regel in der Nähe des Wohnortes eines Patienten angeboten wird. Da die Wahrscheinlichkeit, dass es in großem Umfang zu grenzüberschreitenden Bewegungen wegen Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern kommt, gering ist, wird das finanzielle Gleichgewicht des niederländischen Sachleistungssystems nicht gefährdet. Da die Niederlande keine Angaben vorlegen konnten, nach denen das finanzielle Gleichgewicht gefährdet sei, konnte kein Nachweis erbracht werden, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen worden war. In der Rechtssache Müller-Faure hat der Gerichtshof zwischen Behandlungen innerund außerhalb von Krankenhäusern unterschieden. Krankenkassen dürfen hinsichtlich der erstgenannten Behandlungen ihren Mitgliedern eine Genehmigungspflicht für Behandlungen im Ausland auferlegen, für die letztgenannten Behandlungen jedoch nicht.40 Bei der Fallbewertung ist es von großer Wichtigkeit festzustellen, ob es sich um eine Behandlung innerhalb oder außerhalb eines Krankenhauses handelt. Dies zeigte sich unlängst beim Urteil des EuGH vom 23. Oktober 2003 in der Rechtssache Inizan. Es ging um die Frage, ob die zuständigen französischen Stellen für eine Behandlung im Ausland eine vorherige Genehmigung verlangen durften. Der Gerichtshof erachtete es als essentiell, dass es sich bei der strittigen Behandlung um eine multidisziplinär durchgeführte Schmerzbehandlung handelte, die im Krankenhaus erfolgen musste. Da es um eine Behandlung innerhalb eines Krankenhauses ging und die Behörden dafür eine Genehmigung erteilt hätten, falls eine adäquate Behandlung auf französischem Territorium zeitnah möglich gewesen wäre, urteilte der EuGH, dass die Regeln des freien Diensdeistungsverkehrs nicht verletzt worden waren. Auch ein niederländisches Gericht hatte aufgrund der Unterscheidung zwischen Behandlungen inner- und außerhalb von Krankenhäusern die Regelsetzung hinsichtlich des freien Diensdeistungsverkehrs anzuwenden. In ihrem Urteil vom 26. September 2003 entschied die Rechtbank Maastricht,41 dass die Kosten für eine Lymphdrainagebehandlung, die ein bei einer niederländischen Krankenkasse fäekenfonds) Versicherter in Deutschland erhalten hatte, zu erstatten waren (bis zu dem Betrag, auf den man nach niederländischer Gesetzeslage Anspruch hätte), da es sich um eine poliklinische Behandlung handelte, die als Behandlung außerhalb eines Krankenhau-
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ses einzustufen war. Die Kosten der Aufnahme in eine Klinik, also die stationäre Versorgung, mussten nach Auffassung des Gerichts nicht erstattet werden. Intramurale und extramurale Gesundheitsversorgung lassen sich nicht immer leicht voneinander trennen. Da der Gerichtshof bei der Beantwortung der Frage, ob eine Einschränkung des medizinischen Diensdeistungsverkehrs gerechtfertigt ist, diesen Unterschied behandelt, muss in Fällen, bei denen die Einstufung einer Behandlung problematisch ist, vor allem berücksichtigt werden, ob die vorliegende Leistung im Hinblick auf das finanzielle Gleichgewicht des betreffenden Gesundheitssystems geplant werden muss. Diese Schlussfolgerung kann aus dem Fall Leichtie gezogen werden.42 Hier musste untersucht werden, ob eine deutsche Regelung das EG-Recht verletzt hatte, nach der einem deutschen Beamten die Kosten für eine Thermalkur in einem anderen Mitgliedstaat nur dann erstattet würden, wenn diese Kur eine bedeutend größere Aussicht auf Erfolg bietet als eine Kur in Deutschland. Das Gericht untersuchte nicht, ob die Behandlung in einem Kurort eine intramurale oder eine extramurale Behandlung darstellte. Es stellte lediglich fest, dass die strittige Beschränkung nicht gerechtfertigt war, weil keine Beweise vorgelegt worden waren, aus denen hervorging, dass das finanzielle Gleichgewicht des deutschen Sozialversicherungssystems erschüttert werden würde, wenn die Kosten der Kurbehandelung in einem anderen Mitgliedstaat vergütet werden würden. Mit anderen Worten: Der Kern der Argumentation für eine gerechtfertigte Beschränkung des freien medizinischen Dienstleistungsverkehrs liegt darin, ob eine Planung dieser Dienstleistungen notwendig ist. Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Müller-Faure enthält am Schluss einige bemerkenswerte allgemeine Ausführungen, die sich nicht ausschließlich auf Sachleistungssysteme beziehen, sondern ebenfalls auf das System eines National Health Service,43 Der Gerichtshof entschied, dass, obwohl die Ausgestaltung von Systemen der sozialen Sicherheit zu den Befugnissen der Mitgliedstaaten gehört, es die fortschreitende europäische Integration mit sich bringt, dass die Mitgliedstaaten ebenfalls in Bereichen, auch wenn in ihrem Bereich ein Sachleistungssystem oder ein System eines National Health Service gilt, teilweise ihre Befugnisse abgeben müssen.44 Der EuGH verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Verordnung 1408/71, die den Mitgliedstaaten bestimmte Koordinationspflichten auferlegt. Auf diese Verordnung wird in Abschnitt 2.2.2. kurz eingegangen. Er führt anschließend aus, dass die Mitgliedstaaten weiterhin befugt sind, die Höhe der Vergütungen festzulegen, auf die ein Versicherter Anspruch hat. In seinem Urteil in der Rechtssache Duphar45 aus dem Jahr 1984 hatte der Gerichtshof bereits in dieser Richtung entschieden. In der Rechtssache Müller-Faure ergänzt der Gerichtshof, dass der zuständige Staat, in dem ein Sachleistungssystem gilt, die Höhe der Vergütung bestimmt, auf die Patienten, die Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat erhalten, einen Anspruch haben, sofern diese Beträge auf objektiven, nicht diskriminierenden und
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transparenten Kriterien beruhen. 46 Der EuGH kam zu dem Urteil, dass die Abschaffung der Forderung nach einer vorherigen Genehmigung für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung außerhalb eines Krankenhauses wesentlichen Merkmalen des niederländischen Krankenversicherungssystems nicht im Wege steht. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Vanbraekel enthält weitere Kriterien zur Festlegung der Höhe der Erstattungen, auf die ein Patient Anspruch hat, wenn er sich einer medizinischen Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat unterzieht. In dieser Rechtssache hatte ein belgischer Patient nach entsprechender Genehmigung eine Behandlung in einem französischen Krankenhaus in Anspruch genommen. Der Betrag, der ihm zur Erstattung der ihm in Frankreich entstandenen Unkosten gewährt wurde, lag unter dem, den er erhalten hätte, wenn er sich der gleichen Behandlung in Belgien unterzogen hätte. Der Gerichtshof entschied, dass diese Differenzierung bei der Kostenübernahme den freien Diensdeistungsverkehr einschränkt, da es für belgische Versicherte unattraktiv sei, medizinische Dienstleistungen in französischen Krankenhäusern in Anspruch zu nehmen. Für diese Einschränkung gab es keine Rechtfertigung, so dass die Prinzipien des freien Diensdeistungsverkehrs verletzt worden waren. Ein Mitgliedstaat darf also für eine im Ausland erfolgte Behandlung keine geringere Kostenübernahme vornehmen als dies für eine vergleichbare Behandlung im Inland der Fall gewesen wäre. Aus den vorstehenden Urteilen geht hervor, dass der Gerichtshof die Art und Weise bewertet, in der in einem Mitgliedstaat Krankenversicherungen Regulierungsmaßnahmen unterworfen werden, ausgehend von Regeln in Bezug auf das Recht auf Freizügigkeit. Dies begründet sich darin, dass nach .Ansicht des Gerichtshofs medizinische Tätigkeiten als wirtschaftliche Aktivitäten (beispielsweise Waren und Dienstleistungen) eingestuft werden können. Vorschriften, die den Zugang zu den Gesundheitsversorgungsmärkten einschränken, stellen grundsätzlich eine Behinderung der Freizügigkeit dar. Sie fallen somit unter die Verbote im Zusammenhang mit der Freizügigkeit. Der EuGH berücksichtigt den besonderen Charakter dieser medizinischen Tätigkeiten, so dass in einigen Fällen eine Berufüng auf einen Ausnahmegrund möglich ist. Der Spielraum der Mitgliedstaaten ist durch die breit angelegte Interpretation der Freizügigkeitsbestimmungen allerdings eingegrenzt. Schließlich muss nachgewiesen werden, dass die Vorschriften, die mit Blick auf die öffentliche Gesundheit und das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit geschaffen wurden, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Im heutigen Krankenkassensystem der Niederlande ist dies zwar bei Behandlungen innerhalb, aber nicht außerhalb von Krankenhäusern der Fall. Der wiederholte Hinweis des Gerichtshofs, dass die Ausgestaltung der sozialen Sicherheit zu den Befugnissen der Mitgliedstaaten gehört, muss daher relativiert werden, wenn es um die Ausgestaltung von Krankenversicherungen, d.h. Versicherungen für medizinische Heilbehandlungen geht.
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2.2. Harmonisierung Neben den allgemeinen vertraglichen Bestimmungen 2ur Frei2Ügigkeit kann die EU zur Förderung der Freizügigkeit spezifischer Waren, Dienstleistungen und Personenkategorien spezifische Rechtsvorschriften erlassen. So kann die EU aufgrund von Art. 95 EGV (vormals Art. 100a)47 Richtlinien zur Förderung der ordnungsgemäßen Funktion des Binnenmarktes aufstellen. Ferner enthält der EG-Vertrag Bestimmungen, nach denen die EU Regelungen beschließen kann, um beispielsweise die Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 42 EGV vormals Art. 51), die Niederlassungsfreiheit (Art. 47 EGV vormals Art. 57) und den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 52 EGV, Art. 63 a.F.) zu fördern. Diese Regelungen betreffen die wirtschaftliche Integration. Die Befugnis der EU zum Erlass spezifischer Regelungen wird in den entsprechenden Verträgen fest umrissen. Wie bereits in Kapitel 1 dieser Studie angeführt, verleiht Art. 152 EGV den Mitgliedstaaten in nur sehr begren2tem Umfang Legislativbefugnisse im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Die Ausgestaltung des Gesundheitssystems fallt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Art. 152 Abs. 5 EGV bestimmt ausdrücklich, dass im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung in vollem Umfang aufrechterhalten bleibt. Fragen des Binnenmarktes sind häufig mit Politikfeldern verknüpft, in denen nichtwirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt stehen, wie etwa die Gesundheitsversorgung. Die Europäische Union darf daher Rechtsvorschriften erlassen, die sowohl Aspekte des Binnenmarkts bzw. der Freizügigkeit als auch Aspekte der Gesundheitsversorgung betreffen, solange die betreffende Gemeinschaftsregelung tatsächlich darauf abzielt, die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern.48 Dass in einer solchen Regelung für den Binnenmarkt Fragen des Gesundheitswesens mit an erster Stelle stehen, ist eine Konsequenz des Integrationsgrundsatzes aus Art. 152 Abs. 1 EGV, in dem die Europäische Union beauftragt wird, in anderen Bereichen der Gemeinschaftspolitik ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes zu gewährleisten. In einer EG-Regelung, die auf Art. 95 EGV basiert oder auf einer sonstigen Grundlage des Wirtschaftsrechts beruht, werden wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Belange geregelt und gegeneinander abgewogen. So werden die Wettbewerbsbedingungen in der Europäischen Union weitestgehend harmonisiert. Nach der Harmonisierung eines bestimmten Bereiches müssen sich Politik und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit der betreffenden EG-Richtlinie oder -Verordnung befinden. Die Politik und die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sind dann grundsätzlich nicht mehr anhand der Grundfreiheiten zu beurteilen, sondern anhand der betreffenden europäischen Harmonisierungsmaßnahme.49 Man kann sich hinsichtlich der Freizügigkeit nicht auf die Ausnahmebestimmungen des
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EG-Vertrages und die durch die Rechtsprechung bestimmte Rule of Reason berufen, um von einer spezifischen EG-Harmonisierungsmaßnahme abzuweichen. Die mit dem Recht auf Freizügigkeit begründeten Ausnahmen stellen keinen Souveränitätsvorbehalt dar und verlieren grundsätzlich ihren Wert, sobald eine bestimmte Frage harmonisiert wurde.50 Bei der vorliegenden Studie über Krankenversicherungen und EG-Recht sind die Schadenrichtlinien und insbesondere die Dritte Schadenrichtlinie51 von Bedeutung. Diese Richtlinie, die auf den Vertragsbestimmungen für den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit beruht, zielt darauf ab, den freien Verkehr von Schadensversicherungen zu fördern. Ferner ist die bereits erwähnte Verordnung 1408/71 relevant. Bei dieser Verordnung handelt es sich streng genommen nicht um eine Harmonisierungsmaßnahme, da mit ihr keine Fragen der sozialen Sicherheit harmonisiert werden.52 Auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit verfügt die Europäische Union über begrenzte Befugnisse, wie aus Art. 137 EGV ersichtlich ist. Es wurde eine Reihe von Koordinierungsbestimmungen erlassen, um die Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu fördern.
2.2.1. Dritte Schadenrichtlinie Die Schadenrichtlinien regeln gemäß Art. 1 der Ersten Schadenrichtlinie die Aufnahme und Ausübung der selbständigen Tätigkeiten im Bereich Direktversicherungen, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind oder beabsichtigen, sich dort niederzulassen.53 Wie bereits erwähnt, wird mit den Richtlinien und Verordnungen im Bereich des Binnenmarkts und des Rechts auf Freizügigkeit häufig eine zweifache Zielsetzung verfolgt. Dies trifft auch auf die Schadenrichtlinien zu, die die Harmonisierung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Versicherungsunternehmen innerhalb der EU sowie den Schutz der Versicherten zum Ziel haben.54
Anwendbarkeit der Dritten Schadenrichtlinie Die Dritte Schadenrichtlinie findet keine Anwendung auf Versicherungen — nach Art. 2 Abs. 2 der Dritten Schadenrichtlinie, die ihrerseits auf Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie verweist —, die Bestandteile eines gesetzlichen sozialen Sicherungssystems sind. In der Rechtssache Garcia55 entschied der EuGH, dass nationale Systeme der sozialen Sicherheit, die (vollständig) auf dem Solidaritätsgrundsatz basieren und für die eine Akzeptanzverpflichtung gilt, daher nicht unter die Dritte Schadenrichtlinie fallen. In dem rezenteren Urteil Freskot56 entschied der Gerichtshof, dass eine gesetzliche Landwirtschaftsversicherung, die mit Blick auf Risiken infolge von Naturereignissen ins Leben gerufen worden war, nicht unter den Anwendungsbereich der Schadenrichtlinien fällt, da die Abgaben, die an die Versicherungsanstalt zu entrichten waren, gesetzlich festgelegt, die Versicherungsabgaben
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von der Finanzbehörde eingenommen und der Umfang und die Besonderheiten der vom Versicherungsunternehmen zu erbringenden Dienstleistungen vom nationalen Gesetzgeber ebenso wie für alle sonstigen Unternehmer bestimmt wurden. Ob soziale Sicherheit im Sinne der Schadenrichtlinie vorliegt, entscheidet der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung anhand materieller Kriterien und nicht anhand der Qualifikation, mit der ein Mitgliedstaat ein bestimmtes Versicherungssystem charakterisiert hat. Wichtig in diesem Zusammenhang ist das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-206/98 (Kommission gegen Belgien).57 Belgien brachte vor, dass von Privatunternehmen angebotene Erwerbsunfahigkeitsversicherungen nicht unter die Schadenrichtlinie fielen, da diese Versicherungen kraft belgischen Rechts zum sozialen Sicherungssystem gehören. Die genannten privaten Erwerbsunfähigkeitsversicherungen fielen der belgischen Regierung zufolge sogar unter den Anwendungsbereich von Verordnung 1408/71. Der Gerichtshof betonte jedoch, dass das belgische System für Arbeitsunfallversicherungen kein Kriterium zur Bestimmung der Reichweite der Dritten Schadenrichtlinie sein kann-58 Der EuGH untersucht anhand des Systems der Dritten Schadenrichtlinie ihren Geltungsbereich. Dabei wird Art. 55 der Dritten Schadenrichtlinie, der eine spezielle Ausnahmeregelung für — auf eigenes Risiko angebotene — Erwerbsunfähigkeitsversicherungen enthält, eine große Bedeutung beigemessen. Der Gerichtshof erwägt Folgendes: „Aus Art. 55 der Richtlinie 92/49, der wie deren Art. 54 in Bezug auf die Krankenversicherung eine besondere Bestimmung über die Abweichung von der allgemeinen Regelung dieser Richtlinie darstellt, ergibt sich, dass solche Versicherungen in deren Geltungsbereich fallen."59 Der Hinweis auf die Krankenversicherungen ist deshalb so bemerkenswert, da es in der Rechtssache C-206/98 überhaupt nicht um diese Frage ging. Jedoch ähnelt die Problematik der privaten Krankenversicherungen zweifelsohne der der privaten Erwerbsunfähigkeitsversicherungen. Im Umkehrschluss kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Anwendbarkeit der Dritten Schadenrichtlinie das Angebot der Versicherung auf eigenes Risiko eine wesentliche Rolle spielt. Für den Gerichtshof war es wesentlich, dass die betreffenden belgischen Versicherungsunternehmen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten.60 Der Gerichtshof formulierte schließlich folgendes Kriterium: „Daher ist Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 92/49 im Licht von Art. 55 dahingehend auszulegen, dass die Richtlinie 92/49 für Versicherungen gilt, die im Rahmen eines gesetzlichen Systems der sozialen Sicherheit von Versicherungsunternehmen auf eigenes Risiko angeboten werden."61 Bei der Beurteilung der Anwendbarkeit der Dritten Schadenrichtlinie scheint demnach die Frage wichtig, ob die fragliche Versicherung auf eigenes Risiko angeboten
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wird und ob es sich um eine wirtschaftliche Aktivität im Sinne des EG-Vertrages handelt. Da der EuGH in der Rechtssache C-206/98 ausdrücklich auf Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie und auf Krankenversicherungen verwiesen hat, besitzt diese Rechtssache auch für die Frage nach der Anwendbarkeit der Schadenrichtlinien auf Krankenversicherungen Relevanz. Auch wenn ein Mitgliedstaat diesen Versicherungen einen Platz in einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit einräumt, ist die Anwendbarkeit dieser Richtlinie nicht ausgeschlossen. Falls Versicherungen auf eigenes Risiko angeboten werden und es sich um wirtschaftliche Aktivitäten handelt, sind die Regeln der Dritten Schadenrichtlinie einzuhalten. Im Gutachten der offiziellen Rechtsvertretung der niederländischen Regierung über das Verhältnis von EG-Recht und privaten Krankenversicherungen wird die Auffassung vertreten, das Kriterium des eigenen Risikos dürfe nicht zu weit interpretiert werden, da der Gerichtshof diese Formulierung Art. 55 der Dritten Schadenrichtlinie wörtlich entnommen habe.62 Hätte der EuGH den Begriff des eigenen Risikos als allgemeines Kriterium anwenden wollen, hätte er sich nicht so eng an die Formulierungen dieses Artikels angelehnt, sondern feststellen können, dass die Versicherer auf eigenes Risiko handelten. Es geht dem Gutachter um das Handeln auf eigenes Versicherungsrisiko: Gemeint ist das finanzielle Risiko, das aufgrund des Unsicherheitsfaktors einer Versicherungsbeziehung innewohnt. Diese Argumentation ist logisch, da in der Richtlinie Versicherungsaktivitäten im Mittelpunkt stehen. Sie kann jedoch nicht direkt aus dem Urteil des Gerichtshof in der Rechtssache C-206/98 abgeleitet werden, da in der oben zitierten, rechtlichen Würdigung in relativ allgemein gehaltenen Aussagen von eigenem Risiko gesprochen wird. Zwar wird in der genannten, rechtlichen Würdigung auf Art. 55 verwiesen, dies lässt sich jedoch auch aus dem Umstand heraus erklären, dass der Gerichtshof für die Interpretation von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie eine Reihe anderer Bestimmungen aus den Schadenrichtlinien benötigte, insbesondere Art. 54 und 55 der Dritten Schadenrichtlinie. Nachdem er diesen Artikeln bestimmte Angaben entnommen hatte, wurde deutlich, wie der Begriff soziale Sicherheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie zu interpretieren war. Diese Interpretation kann allgemeine Gültigkeit erlangen. Festzuhalten bleibt, dass der Gerichtshof im Urteil Garcia bei der Begründung seiner Entscheidung, dass das strittige System zur sozialen Sicherheit im Sinne der Dritten Schadenrichtlinie gehörte, auf das Urteil Poucet und Pistre verwies.63 In diesem Urteil nimmt der Begriff wirtschaftliche Aktivität aus dem EG-Wettbewerbsrecht eine zentrale Position ein. Hieraus könnte man schließen, dass dem Gerichtshof zufolge Konvergenz zwischen dem weit gefassten Begriff der wirtschaftlichen Aktivität aus dem EG-Vertrag (und dann vor allem dem europäischen Wettbewerbsrecht) einerseits und den Aktivitäten, die unter die Dritte Schadenrichtlinie fallen, andererseits besteht. Der nächste Schritt könnte dann sein, dass es in dieser Richtlinie nicht um eine eingeschränkte Interpre-
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tation des Begriffs „Angebot auf eigenes Risiko" geht, sondern um eine weit gefasste Interpretation vor dem Hintergrund des Begriffs „wirtschaftliche Aktivität". Noch ist unklar, wie der Begriff „eigenes Risiko" auszulegen ist. Der einzige Hinweis, den der Gerichtshof über die Konvergenz zwischen den unter die Freizügigkeit und den unter die Dritte Schadenrichtlinie fallenden Aktivitäten gegeben hat, findet sich in Erwägung 60 des bereits erwähnten Urteils Freskot. Dort führt der Gerichtshof aus, dass der Geltungsbereich der Schadenrichtlinien nicht weiter reicht als der Geltungsbereich der Bestimmungen zur Freizügigkeit. In der Frage, ob der Geltungsbereich wesentlich kleiner ist, wird allerdings keine Aussage getroffen. Insgesamt besehen, muss man konstatieren, dass, obwohl noch einige Unklarheiten im Geltungsbereich bestehen, auf jeden Fall zahlreiche Sozialversicherungen unter die Dritte Schadenrichtlinie fallen können. Als Beispiele dienen die französischen Versicherungen auf Gegenseitigkeit (,mutuellesj.64
Kern der Dritten Schadenrichtlinie Die Dritte Schadenrichtlinie bezieht sich im Kern auf eine Regelsetzung bezüglich der finanziellen Solidität und des Zugangs zu den Versicherungsmärkten in der Europäischen Union. Aufgrund des Prinzips der einheitlichen Zulassung benötigt ein Versicherer nur eine einzige Genehmigung (single licencej für den gesamten Binnenmarkt; ferner gilt das Prinzip der Herkunftslandkontrolle (home country control). Dies bedeutet, dass ein Versicherungsunternehmen grundsätzlich nur den Vorschriften und der Aufsicht der Regulierungsbehörde des Niederlassungslandes untergeordnet wird.65 Diese Prinzipien werden in der 5. Erwägung zur Dritten Schadenrichtlinie erläutert. Eine Harmonisierung wird durch die gegenseitige Anerkennung der Zulassungen und der Systeme der betriebswirtschaftlichen Kontrolle sichergestellt, so dass eine Zulassung für die gesamte Gemeinschaft gültig ist, während die behördliche Aufsicht grundsätzlich durch das Mitgliedsland der Niederlassung wahrgenommen wird. Übrigens werden in Abweichung von den allgemeinen Freizügigkeitsregeln interne, nationale Gegebenheiten ebenfalls von Harmonisierungsmaßnahmen erfasst, so dass ein Mitgliedstaat hinsichtlich seiner eigenen Versicherungsunternehmen nicht von der Dritten Schadenrichtlinie abweichen darf, es sei denn, diese Richtlinie erlaubt ein solches Abweichen ausdrücklich.
Zugang zum Versicherungsgewerbe Titel II der Dritten Schadenrichtlinie enthält die Bestimmungen über den Zugang zum Versicherungsgewerbe. Dort wird geregelt, dass bei der Regulierungsbehörde des Herkunfts- bzw. Niederlassungslandes unter bestimmten Umständen eine Zulassung beantragt werden kann. Die erteilte Zulassung gilt für die gesamte Gemein-
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schaft; sie ermöglicht es den Unternehmen, dort Tätigkeiten zu verrichten, sei es im Niederlassungsrecht oder im freien Diensdeistungsverkehr.66 Die Dritte Schadenrichtlinie enthält Anforderungen an die im Herkunftsmitgliedstaat auszuübende Kontrolle. Im Rahmen dieser Kontrolle muss dem Versicherer untersagt werden, versicherungsfremde Aktivitäten auszuüben. Dies folgt aus Art. 8 Abs. 1 lit. b der Ersten Schadenrichtlinie in der durch die Dritte Schadenrichtlinie geänderten Fassung. In der Rechtssache C-239/98 (Kommission gegen Frankreich)67 wurde Frankreich vom Gerichtshof wegen Verletzung dieser Bestimmung verurteilt, da für die französischen mutuelles kein Unterschied zwischen ihrer eigentlichen Versicherungstätigkeit und ihren „sozialen Aktivitäten" (wie den Betrieb von Apotheken und Optikfachgeschäften) getroffen wurde. Aus der Dritten Schadenrichtlinie ergibt sich, dass dasselbe Rechtssubjekt nicht gleichzeitig Versicherungsaktivitäten und „soziale Aktivitäten" ausüben darf. In der Rechtssache Association basco-béarnaise des opticiens indépendants68 entschied der EuGH, dass Art. 8 Abs. 1 lit. b der Ersten Schadenrichtlinie in ausreichendem Maße genau und bedingungslos formuliert ist, dass er sofortige Rechtskraft erhalten kann.69 Wenn ein Mitgliedstaat diesen Artikel nicht in seine nationale Rechtsvorschriften aufnimmt, kann sich eine private Partei daher vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen.
Aufsicht über die finanzielle Solidität In Titel III der Dritten Schadenrichtlinie sind die Bedingungen für die Ausübung des Versicherungsgewerbes geregelt. Es handelt sich dabei vor allem um Bestimmungen für die Aufsicht über die finanzielle Solidität (dabei vor allem der Zahlungsfähigkeit) von Versicherungsunternehmen. Art. 13 der Ersten Schadenrichtlinie in der durch Art. 9 der Dritten Schadenrichtlinie geänderten Fassung bestimmt, dass die Finanzaufsicht über ein Versicherungsunternehmen, die Tätigkeiten inbegriffen, die das Unternehmen über Zweigniederlassungen und im Diensdeistungsverkehr ausübt, in der alleinigen Zuständigkeit des Herkunftsmitgliedstaats liegt. Anschließend folgen einige Artikel, die Vorschriften enthalten, denen die Regulierungstätigkeit genügen muss. So wurden Vorschriften aufgenommen zur Beteiligung an einer Körperschaft mit eigenständiger Rechtsfähigkeit, die versicherungsfremde Aktivitäten wahrnimmt. Aufgrund der Schadenrichtlinien muss der Herkunftsmitgliedstaat das Versicherungsunternehmen verpflichten, für seine gesamte Geschäftstätigkeit ausreichende versicherungstechnische Rückstellungen zu bilden, die von kongruenten Vermögenswerten gedeckt werden und sich bei auf dem Territorium der Gemeinschaft situierten Risiken in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft befinden müssen. In der Rechtssache Skandia70 vertrat der EuGH die Ansicht, dass es die Schadenrichtlinie Versicherungsunternehmen nicht verbietet, im Rahmen ihrer freien Mittel
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(Aktiva, die nicht der Deckung versicherungstechnischer Rückstellungen dienen) Anteile an einer Gesellschaft zu halten, die eine versicherungsfremde Tätigkeit ausübt. Solche Verbote dürfen die Mitgliedstaaten den Versicherungsunternehmen daher nicht auferlegen. In dem bereits erwähnten Urteil Association basco-béarnaise des opticiens indépendants entschied der Gerichtshof, dass die Schadenrichtlinien nicht ausschließen, dass sich ein Versicherer im Rahmen seiner freien Mittel an einer Gesellschaft beteiligen darf, die eine versicherungsfremde kommerzielle Tätigkeit ausübt, sofern die mit dieser Tätigkeit verbundene Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft beschränkt bleibt. Aufgrund von Art. 8 Abs. 2 der Ersten Schadenrichtlinie in der durch Art. 6 der Dritten Schadenrichtlinie geänderten Fassung ist ein Versicherer berechtigt, die Erlaubnis zu beantragen, seine Aktivitäten auf eine andere (Versicherungs-)Branche auszudehnen. Dieser Antrag muss bestimmten Anforderungen genügen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Liquidität.
Verbot aus Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie Bestandteil von Titel III, der Vorschriften zur Aufsicht über die finanzielle Solidität enthält, ist Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie. Nach diesem Artikel dürfen Mitgliedstaaten keine Vorschriften erlassen, in denen eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen, der Tarife sowie der Formblätter und sonstiger Drucksachen, die das Unternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern zu verwenden beabsichtigt, gefordert wird. Der Artikel schreibt außerdem vor, dass Mitgliedstaaten für die Überwachung der Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften nur die nicht-systematische Übermittlung der Bedingungen und sonstiger Versicherungsdokumente verlangen können, ohne dass dies für das Unternehmen eine Voraussetzung für die Ausübung des Versicherungsgewerbes darstellen darf. Erlaubt ist lediglich die darauf folgende, stichprobenartige Übermittlung der Versicherungsbedingungen. Schließlich schreibt Art. 29 vor, dass die Vorabmeldung oder die Genehmigung der vorgeschlagenen Tariferhöhungen nur als Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems eingeführt oder beibehalten werden darf. Kurz zusammengefasst: Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie enthält für die Mitgliedstaaten zwei Verbote: Zum einen das Verbot, eine Vorabgenehmigung für die Verwendung allgemeiner oder besonderer Versicherungsbedingungen zu verlangen, und zum anderen das Verbot, eine systematische Übermittlung dieser Bedingungen zu verlangen. Übrigens bestimmt Art. 30 Abs. 2 der Dritten Schadenrichtlinie, dass ein Mitgliedstaat, der den Abschluss einer Versicherung verpflichtend vorschreibt, fordern kann, dass der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaates die allgemeinen
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und besonderen Versicherungsbedingungen der Pflichtversicherung vor ihrem Inkrafttreten mitgeteilt werden. In der Debatte um die Krankenversicherungen ist die Interpretation des Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie von großer Bedeutung. Inwieweit verbietet dieser Artikel eine nationale Regulierung von privaten Krankenversicherungen, die sich nicht auf die finanzielle Solidität bezieht? Es existieren Musterurteile des Gerichtshofs, die jedoch nicht alle Fragen hinreichend beantworten. So entschied der EuGH, dass französische Rechtsvorschriften, die Versicherungsunternehmen dazu verpflichteten, auf Formblättern systematisch Angaben mitzuteilen, die Teil der allgemeinen Versicherungsbedingungen waren, unter anderem Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie verletzten.71 Im Frühjahr 2003 hat sich der Gerichtshof zu einer italienischen Maßnahme geäußert, die es Versicherungsgesellschaften untersagte, die Tarife für die KfzHaftpflichtversicherung zu erhöhen.72 Bei der Beurteilung dieser Maßnahme nach der Dritten Schadenrichtlinie entschied der EuGH, dass Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie vom Grundsatz der Tariffreiheit ausgeht. Die in Italien eingeführte Tarifregelung beschränkte — so der Gerichtshof — die Freiheit von Versicherungsgesellschaften, einschließlich der Unternehmen, die im Rahmen der Niederlassungsoder der Dienstleistungsfreiheit tätig sind, bei der Festsetzung und Entwicklung der Tarife in Kfz-Haftpflichtversicherungsverträgen. Da sich die italienische Regelung auf einen bestimmten Sektor der Schadensversicherung bezog, war sie nicht Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems, das nach Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie erlaubt ist. Schließlich handelt es sich bei einem allgemeinen Preiskontrollsystem um ein System, das ein gewisses Maß an Allgemeingültigkeit und an Homogenität aufweist.73 Durch das Einfrieren der Tarife für die Haftpflichtversicherungen, ohne zwischen Versicherungsunternehmen mit Sitz in Italien und solchen zu unterscheiden, die ihre Tätigkeit über Zweigniederlassungen oder den freien Diensdeistungsverkehr ausüben, verletzte Italien nach Auffassung des Gerichtshofes die Dritte Schadenrichtlinie. Die Verpflichtung, Angaben an eine Datenbank zu übermitteln, die die betreffende italienische Regelung den Versicherungsgesellschaften auferlegte, verletzte nach Auffassung des Gerichtshofes diese Richtlinie jedoch nicht, da mit der auf nationaler Ebene gültigen Auflage ein anderes Ziel als mit der Richtlinie verfolgt wurde: Es handelte sich um Betrugsbekämpfung. Im genannten Urteil geht der Gerichtshof davon aus, dass die Dritte Schadenrichtlinie auf dem Grundsatz der Tariffreiheit für Schadensversicherungen basiert, so dass eine nationale Regulierung der Tarife für Schadensversicherungen grundsätzlich problematisch sein kann. Dieser Ausgangspunkt findet sich auch in der Auslegungsmitteilung der Kommission zum freien Dienstleistungsverkehr und zum Allgemeininteresse im Versicherungswesen.74 Die Kommission führt hier an, dass die
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Tariffreiheit durch die Dritte Schadenrichtünie eingeführt wurde. Auf die Tariffreiheit wird weiter unten im Abschnitt über Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie näher eingegangen. Es gibt keine Beispiele in der Rechtsprechung zum Verhältnis weiterer nationaler (nicht die finanzielle Solidität betreffende) Regulierungen und Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie. Bisher ist unklar, in welchem Umfang das in diesem Artikel formulierte Verbot auszulegen ist. Für eine eingeschränkte Auslegung spricht die Stellung von Art. 29 innerhalb der Dritten Schadenrichtlinie. Der Artikel gehört zum Abschnitt der zu harmonisierenden Finanzaufsicht. Bei dieser eingeschränkten Auslegung ist eine andere Regulierung als die der Finanzaufsicht möglich, sofern keine Vorabgenehmigung oder systematische Mitteilung der Versicherungsbedingungen gefordert wird.75 Da Art. 29 jedoch explizit die Tarife nennt und der Gerichtshof von Tariffreiheit ausgeht, bestehen höchstwahrscheinlich Einwände gegen die Regulierung der Tarife. Der Vorteil der beschränkten Auslegung liegt darin begründet, dass der Wortlaut des Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie anerkannt wird. Hier ist nochmals auf das Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Italien hinzuweisen. In der strittigen italienischen Regelung wurden Versicherungsgesellschaften neben Tarifvorschriften auch Verpflichtungen bei der Betrugsbekämpfung auferlegt. Letztere verletzten nicht die Dritte Schadenrichtlinie, da der nationale Gesetzgeber mit ihnen ein anderes Ziel (Betrugsbekämpfung) vor Augen hatte als die Schadenrichtlinie (Finanzaufsicht, Förderung der Freizügigkeit). Wie auch im Bereich der nationalen Betrugsbekämpfung könnte man anführen, dass eine Regulierung, die ein anderes Ziel verfolgt als die Finanzaufsicht (beispielsweise die Gewährleistung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung) Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie nicht verletzt. Weiter ist auf den bereits erwähnten Art. 30 Abs. 2 der Dritten Schadenrichtlinie hinzuweisen, der Mitgliedstaaten mit der Befugnis ausstattet, zu fordern, dass die Bedingungen für Pflichtversicherungen den zuständigen Behörden mitgeteilt werden. Offenbar gibt es Versicherungen, die von Mitgliedstaaten die Befugnis behalten nicht zur Finanzaufsicht gehörende Angelegenheiten zu regeln. Wird Art. 29 großzügig ausgelegt, ist es den Mitgliedstaaten untersagt, mit Vorschriften in die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen einer Schadensversicherung einzugreifen.76 Der Vorteil einer großzügigen Auslegung liegt darin, dass erkennbar wird, warum Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie — die Ausnahme für Krankenversicherungen — notwendig war. Ferner kann das Auferlegen einer Verpflichtung wie der Annahmepflicht nachteilige Folgen hinsichtlich der finanziellen Solidität nach sich ziehen, wo diese doch eine der wichtigsten Zielsetzungen der Schadenrichtlinien ist. Eine großzügige Auslegung des Verbots aus Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie respektiert diese Zielsetzung, da in diesem Fall ein Mitgliedstaat die finanzielle Solidität nicht durch eine Annahmepflicht gefährden darf.
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Titel IV der Dritten Schadenrichtlinie enthält eine Reihe von Bestimmungen, die sich speziell auf Versicherungsunternehmen beziehen, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung eröffnen möchten (Niederlassungsfreiheit) oder beabsichtigen, in einem anderen Mitgliedstaat Aktivitäten im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs nachzugehen. Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie wiederholt ausdrücklich, dass auch in solchen Fällen das Verbot aus Art. 29 der Richtlinie gilt. Die obigen Ausführungen zu Art. 29 gelten mutatis mutandis auch für Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie. In den nicht durch die Schadenrichtlinien regulierten Bereichen sind die Mitgliedstaaten weiterhin befugt, eigene Regelungen zu erlassen, wenn sie dabei die allgemeinen Regeln der Freizügigkeit einhalten. Die nicht durch die Dritte Schadenrichtlinie harmonisierten Aspekte fallen also weiterhin unter den Geltungsbereich der Freizügigkeitsbestimmungen. Die Analyse von Art. 29 — und damit von Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie — führt zu folgendem Schluss: Um den Umfang des Verbots dieser Artikel hinreichend zu bestimmen, sind präzisere Fälle aus der gängigen Rechtsprechung oder die Intervention des Gesetzgebers der Gemeinschaft wünschenswert. Die Mitgliedstaaten werden gleichwohl mit dem Problem der Rechtsunsicherheit konfrontiert. Bei einer großzügigen Interpretation der Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie gehört eine nationale Regulierung im Bereich der Akzeptanz zu den Angelegenheiten, die von der Dritten Schadenrichtlinie harmonisiert wurden, so dass diese Richtlinie den Untersuchungsrahmen für eine nationale Regulierung darstellt. Bei einer beschränkten Interpretation ist aber davon auszugehen, dass sich diese nationale Regulierung (mit Ausnahme der nationalen Vorschriften für Tarife) auf Angelegenheiten bezieht, die nicht harmonisiert wurden, so dass die allgemeinen Regeln über die Freizügigkeit den hier angemessenen Untersuchungsrahmen bilden. Nach welchen Kriterien müssen die Mitgliedstaaten ihre Regulierung der Schadensversicherung im Bereich der Gesundheitsversorgung bewerten? Wegen der Unklarheit bei der Interpretation der Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie wird in Kapitel 4 bei der Bewertung der verschiedenen Varianten einer Krankenversicherung sowohl die eingeschränkte als die großzügige Interpretation dieser Artikel berücksichtigt.
Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie: Allgemeines Interesse In Art. 28, der wie Art. 29 unter Titel III (Aufsicht über die finanzielle Solidität) fällt, wird festgelegt, dass ein Mitgliedstaat, in dem das jeweilig versicherte Risiko gelegen ist, einen Versicherungsnehmer nicht daran hindern darf, einen Vertrag mit einem Versicherungsunternehmen abzuschließen, solange sich dieser nicht im Widerspruch zu den in dem Mitgliedstaat, in dem das jeweilige Risiko gelegen ist, geltenden Rechtsvorschriften des allgemeinen Interesses befindet. Diese Bestimmung enthält
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sowohl ein Verbot als auch eine Ausnahmebestimmung: Der Abschluss eines Versicherungsvertrages darf zwar grundsätzlich nicht behindert werden, doch ist eine solche Behinderung, wenn allgemeine Interessen berührt werden, sehr wohl erlaubt. Die Bestimmung lautet wie folgt: „Der Mitgliedstaat, in dem das Risiko gelegen ist, darf den Versicherungsnehmer nicht daran hindern, einen Vertrag zu unterzeichnen, der mit einem gemäß Art. 6 der Richtlinie 73/239/EWG 7 7 zugelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen wurde, solange der Vertrag nicht im Widerspruch zu den in dem Mitgliedstaat, in dem das Risiko gelegen ist, geltenden Rechtsvorschriften des Allgemeininteresses steht." Art. 28 ist eine zentrale Bestimmung der Dritten Schadenrichtlinie. In ihm werden Aussagen zum Umfang der Harmonisierung der Schadensversicherungsbranche getroffen. Die Prinzipien der einheitlichen Zulassung (single licence) und der Herkunftslandkontrolle (home country control) sind auf europäischer Ebene geregelt, während die Mitgliedstaaten im Bereich des Allgemeininteresses zuständig bleiben. Im bereits zitierten Urteil in der Rechtssache zur italienischen Maßnahme (KfzHaftpflichtversicherung) hat der Gerichtshof eindeutige Aussagen zum Verhältnis zwischen der Ausnahmebestimmung bezogen auf das Allgemeininteresse aus Art. 28 und dem Verbot aus Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie getroffen. In Punkt 31 seiner Urteilsbegründung führt der Gerichtshof an, dass Art. 28 kein Ausnahmegrund für die Tariffreiheit sein kann, von der die Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie ausgehen. Als erstes Argument führt der Gerichtshof die Tatsache an, dass selbst in Art. 29 (und damit auch in Art. 39) bereits festgelegt wird, dass eine Genehmigung oder Meldung hinsichtlich vorgeschlagener Tariferhöhungen nur als Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems zulässig ist. In diesen Bestimmungen werden die Abweichungen von der Tariffreiheit nach Auffassung des Gerichtshofes bereits ausdrücklich aufgeführt. Als zweites Argument führt der Gerichtshof die Stellung von Art. 28 an. Dieser geht (logisch begründet) Art. 29 voraus, der das Verbot für die Mitgliedstaaten, die Tariffreiheit durch andere Maßnahmen als im Rahmen eines allgemeinen Preiskontrollsystems zu beschränken, ausdrücklich festschreibt. Dieser Argumentation zufolge kann eine Ausnahmebestimmung, die aufgrund der Nummerierungslogik einer Verbotsbestimmung vorangeht, offenbar nicht zur Rechtfertigung des in dieser Bestimmung enthaltenen Verbots herangezogen werden. Zwei Anmerkungen scheinen zum Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Italien geboten. Zunächst wurde eine staatliche Preismaßnahme bewertet, also das Einfrieren der Tarife für Kfz-Versicherungen, durch die ein tiefer Eingriff in das Marktgeschehen vorgenommen wurde. Es wird nicht deutlich, inwieweit nationale Vorschriften, die die Tarife in einer weniger gravierenden Weise regulieren, im Wi-
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derspruch zum Grundsatz der Tariffreiheit stehen. Außerdem hat es den Anschein, dass der EuGH diesen Grundsatz aus der (bereits zitierten) Auslegungsmitteilung der Kommission zum freien Diensdeistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen übernommen hat. Der Grundsatz der Tariffreiheit wird von der Kommission vor allem im Zusammenhang mit der Kfz-Versicherung angeführt.78 Nicht sicher ist deshalb, wie der Gerichtshof den Grundsatz der Tariffreiheit für Krankenversicherungen ausgestalten würde. Außer Frage steht aber, dass mit den letztgenannten Versicherungen wesentliche Punkte berührt werden.
Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie: Ausnahmebestimmungen für Krankenversicherungen Die Dritte Schadenrichtlinie enthält neben der in Art. 28 aufgeführten Ausnahme eine Reihe von weiteren Ausnahmen. Im Verhältnis zwischen EG-Recht und Krankenversicherungen ist Art. 54 von Interesse, denn er bezieht sich auf die Krankenversicherungen. Nach Wortlaut des Art. 54 Abs. 1 kann ein Mitgliedstaat verlangen, in dem Krankenversicherungsverträge die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehene Krankenversicherung ganz oder teilweise ersetzen können, dass die Verträge den von diesem Mitgliedstaat erlassenen spezifischen Rechtsvorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses auch in diesem Versicherungszweig entsprechen. Dabei kann festgelegt werden, dass die allgemeinen und besonderen Krankenversicherungsbedingungen den zuständigen Behörden vor ihrem Inkrafttreten mitzuteilen sind. In Erwägung 24 der Dritten Schadenrichtlinie wird angegeben, wie die Rechtsvorschriften für eine solche Krankenversicherung aussehen können. Diese Vorschriften können Beitrittsbeschränkungen verbieten und einheitliche Beiträge je nach Versicherung und Bestimmungen für einen lebenslangen Versicherungsschutz vorsehen. Darüber hinaus kann dem Versicherer vorgeschrieben werden, Standardverträge, die den gleichen Schutz wie das gesetzliche Sozialversicherungssystem vorsehen, zu einem Beitragssatz anzubieten, der einen vorgegebenen Höchstsatz nicht übersteigt. Ferner kann die Teilnahme an einem Lastenausgleichssystem vorgeschrieben werden. Abs. 2 des Art. 54 besagt, dass Mitgliedstaaten vorschreiben können, dass die Krankenversicherungen in Analogie zu den Lebensversicherungen zu behandeln sind. Welche Anforderungen die Mitgliedstaaten an eine der Lebensversicherung ähnelnder Krankenversicherung stellen dürfen, wird anschließend in Abs. 2 des Art. 54 angeführt. Es stellt sich die Frage, wie der Begriff „ganz oder teilweise ersetzen" aus Abs. 1 des Art. 54 auszulegen ist. Bei einer wörtlichen Auslegung muss in jedem Mitgliedstaat parallel zu einer privaten Krankenversicherung ein gesetzliches Sozialversicherungssystem für Krankheitskosten bestehen. Für eine bestimmte Gruppe ansässiger Per-
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sonen gilt dann das private System, während eine andere Gruppe unter die Bestimmungen des gesetzlichen Sozialversicherungssystems fallt. Diese Situation liegt gegenwärtig in den Niederlanden bei den so genannten WTZ-Versicherungsverträgen vor. Bei einer etwas großzügigeren Auslegung kann das System der Privatversicherungen das Sozialversicherungssystem ersetzen. Für eine eingeschränkte Auslegung79 spricht, dass der Ausdruck „ersetzen können" auf ein System hindeutet, in dem neben den privaten Krankenversicherungen zugleich ein Sozialversicherungssystem für Krankheitskosten existierte oder weiterhin existiert. Es kann darauf verwiesen werden, dass Art. 54 auf Antrag der Niederlande, Irlands und der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der in diesen Ländern bestehenden privaten Krankenversicherungen geschaffen wurde.80 Die Niederlande wollten vor allem den WTZ-Versicherungsvertrag erhalten. Das wesentliche Merkmal des WTZ-Versicherungsvertrages besteht darin, dass er die freiwillige Krankenversicherung und die spezielle Alterskrankenversicherung in ihrer Gesamtheit ersetzt. Der WTZ-Versicherungsvertrag bietet neben dem Sozialversicherungssystem der gesetzlichen Krankenkasse fäekenfotids) einer bestimmten Gruppe von Einwohnern eine Deckung der Krankheitskosten. Für eine großzügige Auslegung81 plädiert Erwägung 23 der Dritten Schadenrichtlinie, die davon ausgeht, dass jede Person auch jeder beliebigen Krankenkasse beitreten kann. Am Schluss dieser Erwägung heißt es, dass „sicherzustellen ist, dass die Versicherungsnehmer unabhängig von ihrem Lebensalter oder Risikoprofil auf jeden Fall einer privaten oder freiwilligen Krankenversicherung beitreten können". Eine eingeschränkte Auslegung des Art. 54 würde einer solchen Formulierung allem Anschein nach widersprechen. Wenn in einem Mitgliedstaat ein System der sozialen Sicherheit durch ein System privater Krankenversicherungen abgelöst würde, dann hätte die restriktive Auslegung des Art. 54 zur Folge, dass dieser Mitgliedstaat keine weiteren Forderungen, wie beispielsweise die Annahmepflicht und die Lastenausgleichsverpflichtung, an die Versicherung stellen darf, wodurch ein Zugang zur Gesundheitsversorgung für jeden Bürger in Zweifel gezogen würde. Weiter kann argumentiert werden, dass eine großzügige Auslegung dem besonderen Charakter einer privaten Krankenversicherung entspricht. In der bereits erwähnten Rechtssache Smits und Peerbooms strebte der Gerichtshof nach den Regeln des freien Diensdeistungsverkehrs an, den besonderen Charakter der nicht-ambulanten medizinischen Versorgung zu berücksichtigen. Erwähnt werden sollte, dass der Gerichtshof Richtlinien unter Berücksichtigung der so genannten Integrationsgrundsätze aus dem EG-Vertrag interpretiert. In der Rechtssache Concordia82 interpretierte der EuGH eine Ausschreibungsrichtlinie nach Maßgabe von Art. 6 EGV: Der Umweltschutz ist in die EG-Politik zu integrieren. Wie bereits dargelegt, bestimmt Art. 152 Abs. 1 EGV, dass das Handeln der EG durch das Streben nach einem hohen Niveau des Gesundheitsschutzes bestimmt werden muss. Eine großzügige Ausle-
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gung von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie befindet sich in Übereinstimmung mit diesem Integrationsgrundsatz für den Bereich der öffentlichen Gesundheit. Auch im Kommentar der Kommission zur Interpretation der Dritten Schadenrichtlinie wird auf Art. 54 eingegangen. Die Kommission fuhrt in diesem Dokument an, dass bei der Interpretation des Begriffs „Allgemeininteresse" aus der Dritten Schadenrichtlinie die Rechtsprechung des Gerichtshofs als Richtschnur zu gelten habe. In der interpretativen Mitteilung wird Art. 54 als Beispiel für eine AllgemeininteresseBestimmung aus der Dritten Schadenrichtlinie bezeichnet. Die Kommission erkennt an, dass der Begriff Allgemeininteresse in der Dritten Schadenrichtlinie nicht definiert wird, führt allerdings an, dass dieser als ein auf der Rechtsprechung des Gerichtshofes beruhender Ausdruck zu betrachten ist, der einen offen Charakter aufweist und nicht endgültig ist. Vor allem wird auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinsichtlich der Bestimmungen zur Freizügigkeit verwiesen. Es scheint so, als ob die Ausnahmebestimmungen der Dritten Schadenrichtlinie und die Ausnahmen im Zusammenhang mit der Freizügigkeit nach Auffassung der Kommission identisch sind. Eine eingeschränkte und wörtliche Auslegung einer Bestimmung wie die in Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie scheint die Kommission nicht zu befürworten. Die Kommission vertritt die Auffassung, dass der Begriff Allgemeininteresse in der Funktion als Ausnahmebegründung restriktiv aufzufassen ist, obwohl der Grund für diese Bemerkung, so führt die Kommission ausdrücklich an, im Vorbeugen von Missbrauch liege (da sich zwecks Verfolgung unzulässiger Zielsetzungen zu häufig auf Ausnahmebestimmungen berufen wird). Nicht die Kommission, sondern der EuGH hat das letzte Wort bei der Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der Geltungsbereich der Ausnahmebestimmung für die Krankenversicherungen nicht eindeutig umrissen ist, solange keine Rechtsprechung zu diesem Richtlinienartikel vorliegt.83 In einem Gutachten zur freiwilligen Krankenversicherung, das im Auftrag der Generaldirektion für Beschäftigung und Soziales erstellt wurde, wird ein ähnliches Resümee gezogen.84 Die bestehende Unklarheit veranlasste die Interministerielle Kommission für Europarecht (ICER) zu der Schlussfolgerung, dass es riskant sei, ein Krankenversicherungssystem ausschließlich auf Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie zu gründen, obwohl eine großzügige Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie sehr wohl für möglich gehalten wurde. 85 Insgesamt führt diese unklare Situation dazu, wie es bereits bei Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie der Fall war, dass bei der Bewertung der Varianten in Kapitel 4 sowohl von einer weit gefassten als auch einer eingeschränkten Interpretation des Art. 54 der Richtlinie ausgegangen wird.
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2.2.2. Europäische Sozialversicherungsverordnung Zur Förderung der in Art. 39ff. EGV festgelegten Freizügigkeit der Arbeitnehmer wurde die EWG-Verordnung 1408/71, die so genannte Sozialversicherungsverordnung, beschlossen. Die Verordnung enthält keine Harmonisierungsbestimmungen im eigentlichen Sinn, schließlich ist die EG nicht befugt, die soziale Sicherheit zu harmonisieren, sondern Vorschriften für die Koordinierung der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit. Ziel dieser Koordination ist es, die einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit so gegenseitig anzupassen, dass Arbeitnehmer und Selbständige die Möglichkeit haben, das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch zu nehmen: Es muss ihnen grundsätzlich möglich sein, in anderen Mitgliedstaaten wirtschaftlich aktiv zu werden, ohne dabei ihre Ansprüche auf soziale Sicherheit zu verlieren.86 Die Verordnung enthält Vorschriften, anhand derer zu bestimmen ist, welche nationalen Regeln zur sozialen Sicherheit auf zu- und abwandernde Arbeitnehmer und Selbständige Anwendung finden. Verordnung 1408/71 belässt daher den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Ausgestaltung eines eigenen Systems der sozialen Sicherheit. Bei der Anwendbarkeit von Verordnung 1408/71 hat der Gerichtshof entschieden, dass die Wesensmerkmale der Sozialversicherungsleistungen, insbesondere ihr Zweck und die Voraussetzungen für ihre Gewährung, maßgeblich sind; nicht entscheidend ist die Frage, ob eine bestimmte Leistung nach jeweils nationalem Recht als soziale Sicherheit gilt.87 Eine Rechtsvorschrift muss sich, um als soziale Sicherheit im Sinne dieser Verordnung zu gelten, auf jeden Fall auf eines der in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ausdrücklich aufgezählten Risiken beziehen, da diese Aufzählung erschöpfend ist.88 Dass eine Regelung von einem Mitgliedstaat nicht als soziale Sicherheit gemäß Art. 5 der Verordnung 1408/71 angemeldet wurde,89 ist bei der Frage nach deren Anwendbarkeit daher nicht entscheidend.90 Übrigens wird der Begriff soziale Sicherheit bzw. Sozialversicherung in Verordnung 1408/71 einerseits und den Schadenrichtlinien andererseits nicht kongruent verwendet, da beiden Begriffen jeweils unterschiedliche Definitionen zugrunde liegen. Aufgrund von Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung 1408/71 findet die Verordnung Anwendung auf im Krankheitsfall erbrachte Leistungen. Nicht nur öffentlichrechtliche, sondern auch private Krankenversicherungen scheinen daher unter diese Verordnung fallen zu können, jedenfalls wenn die Versicherten aufgrund einer Rechtsvorschrift (über Pflichtversicherungen) Anspruch auf bestimmte Leistungen im Krankheitsfall besitzen.91 Die Verordnung gelangt zur Anwendung, so heißt es in Art. 4 Abs. 1 lit. b und e, bei Leistungen im Falle von Invalidität (einschließlich der Leistungen, die auf die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit ausgerichtet sind) und bei Leistungen im Fall von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Bei der Anwendbarkeit gilt, dass die betreffenden Leistungen in Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit geregelt werden.
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Es ist nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Aspekte einer Krankenversicherung unter die in Art. 4 Abs. 1 lit. b und e getroffenen Aussagen fallen. Nach Art. 1 lit. j der Verordnung werden bestehende und zukünftige vertragliche Bestimmungen nicht von den Bestimmungen dieser Verordnung berührt, selbst dann nicht, wenn die genannten vertraglichen Bestimmungen für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Falls bestimmte Aspekte der sozialen Sicherheit in einem Tarifvertrag geregelt werden, fallen sie nicht in den Geltungsbereich der Verordnung 1408/71, auch dann nicht, wenn sie staatlicherseits für allgemeinverbindlich erklärt wurden.92 Vertragssysteme der sozialen Sicherheit sind von dieser Verordnung ausgenommen. Mitgliedstaaten können unter gewissen Umständen diese Systeme durch eine entsprechende Anmeldung dennoch in den Geltungsbereich der Verordnung einfuhren lassen. Da die Verordnung vor allem Koordinierungsmechanismen zum Gegenstand hat, enthält sie im Gegensatz zu den Schadenrichtlinien keine Bestimmungen, die der Einführung eines bestimmten Krankenversicherungssystems entgegenstehen.93 Die Verordnung enthält gleichwohl wesentliche Rahmenbedingungen. Nach der Verordnung dürfen die Mitgliedstaaten Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit nicht ungünstiger als eigene Staatsangehörige stellen. Beispielsweise bestimmt Art. 18, dass, falls das Recht auf Leistungen im Krankheitsfall von einer bestimmten Wartezeit abhängt, die in anderen Mitgliedstaaten diesbezüglich erworbenen Anwartschaften soweit erforderlich berücksichtigt werden. Aufgrund von Art. 22 Abs. 1 lit. a der Verordnung 1408/71 hat ein Arbeitnehmer, der sich auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, Anspruch auf die unverzügliche Gewährung von Sachleistungen, wenn sein Zustand (etwa sein Gesundheitszustand) dies erfordert. Gemäß Art. 22 Abs. 1 lit. c kann ein zuständiger nationaler Träger (beispielsweise ein %iekenfonds) einem Arbeitnehmer die Genehmigung erteilen, auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine seinem Zustand angemessene Behandlung in Anspruch zu nehmen. Art. 22 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass diese Genehmigung dem Betroffenen nicht verweigert werden darf, wenn er auf dem Territorium des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, die betreffende Behandlung nicht erhalten kann. Im Urteil Inizan94 hat der Gerichtshof diese Bestimmung wie folgt ausgelegt: Wenn der Betroffene aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, Recht auf eine bestimmte Behandlung hat, dann darf die Übernahme der Kosten für diese Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht verweigert werden, wenn im erstgenannten Mitgliedstaat nicht zeitnah die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung in Anspruch genommen werden kann. Nationale gesetzliche Krankenkassen können daher Probleme umgehen, die in Fällen wie Kohll, Decker, Smits und Peerbooms sowie Müller-Faure aufgetaucht sind und die vom Gerichtshof anhand der Regeln für die Freizügigkeit bewertet wurden,
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wenn sie diesen Artikel in die Praxis umsetzen und Genehmigungen für Behandlungen im Ausland erteilen. Art. 31 enthält Regeln, die sich speziell auf Rentenempfänger konzentrieren. Nach Buchstabe a dieses Artikels haben Rentenempfänger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat aufhalten, in dem sie ihren Hauptwohnsitz haben, Anspruch auf bestimmte Sachleistungen, die von den zuständigen Behörden des Aufenthaltsorts nach den für sie geltenden Vorschriften zu gewähren sind. Die Formulierung dieses Anspruchs für Rentenempfänger weicht von der des Anspruchs von noch erwerbstätigen Arbeitnehmern nach Art. 22 Abs. 1 der Verordnung ab. In der Rechtssache IKA 95 hat der Gerichtshof aus diesem Unterschied wichtige Schlüsse gezogen. Für Rentenempfänger und deren Familienangehörige ist es für die Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung im Ausland nicht erforderlich, dass ihr Gesundheitszustand eine Behandlung wegen einer Krankheit, die während dieses Aufenthalts zu Tage getreten ist, unverzüglich erforderlich macht, oder dass eine Genehmigung der zuständigen Behörde des Wohnorts erteilt wurde. Ein Rentenempfänger, der sich beispielsweise im Zusammenhang mit einer Urlaubsreise oder einem Familienbesuch (letzteres trifft in der Rechtssache IKA zu) kurzfristig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, besitzt demzufolge einen Anspruch auf medizinische Behandlung, auch wenn es sich nicht um einen Notfall handelt. In dem rezenteren Urteil Van der Duin 96 hat der Gerichtshof gleichwohl die Stellung von Rentenempfängern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niedergelassen haben, der für die Rentenzahlung verantwortlich ist, genauer erläutert. Laut Sozialversicherungsverordnung müssen sich Rentner für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen bei einem Sozialversicherungsträger ihres neuen Wohnortes eintragen lassen. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass infolge Verordnung 1408/71 der Mitgliedstaat, der für die Rentenzahlungen verantwortlich ist, d.h. der Mitgliedstaat, aus dem der Rentenempfänger ursprünglich stammt, die Kosten der Sachleistungen für einen zu- bzw. abwandernden Rentner an den für dessen Wohnort zuständigen Sozialversicherungsträger zu zahlen hat. Es würde in den Augen des EuGH eine unbillige Härte darstellen, wenn ein solcher Rentenempfänger nach eigenem Gutdünken medizinische Behandlungen im Herkunftsmitgliedstaat, der zur Zahlung der Rente verpflichtet ist, in Anspruch nehmen würde. Dieser Mitgliedstaat würde dann die von ihm bereits mit dem an den Mitgliedstaat des Wohnorts gezahlten Pauschalbetrag finanzierten Behandlungskosten ein zweites Mal übernehmen. Um dies zu vermeiden, wird er Personen gleichgestellt, die Anspruch auf eine Rente aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des zuständigen Trägers haben. Dies bedeutet, dass der zuständige Sozialversicherungsträger des Mitgliedstaats, in dem die entsprechende Person ihren derzeitigen Wohnsitz hat, aufgrund von Art. 22 Abs. 1 lit. c die medizinische Behandlung, der sich der Rentenempfänger in seinem Herkunftsland unterziehen möchte, genehmigen muss.
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Letztlich ist der Sozialversicherungsträger am derzeitigen Wohnort nach Auffassung des Gerichtshofes am besten in der Lage, konkret zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Genehmigung erfüllt werden. Die Verordnung 1408/71 enthält wichtige Bestimmungen zum Thema Geldleistungen. Laut dieser Verordnung sind Geldleistungen — im Gegensatz zu Sachleistungen, die im derzeitigen Aufenthaltsstaat gewährt werden — exportierbar. Von Bedeutung für die Krankenversicherung ist das Urteil Molenaar.97 Der Gerichtshof entschied, dass das deutsche Pflegegeld eine Geldleistung ist, auf dessen Auszahlung das Ehepaar Molenaar Anspruch auch in ihrem derzeitigen Aufenthalts Staat Frankreich hatte, obgleich dort eine Leistung wie das Pflegegeld nicht existiert. Dieses Urteil kann bedeuten, dass beispielsweise ein personenbezogenes Budget in andere Mitgliedstaaten exportiert werden kann, wenn Arbeitnehmer dort ihren Wohnsitz haben.
2.3. Schlussfolgerungen Obwohl der Gerichtshof in seinen Urteilen regelmäßig darauf hinweist, dass die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit, dessen Bestandteil das Krankenversicherungssystem ist, in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten fällt, greift seine Rechtsprechung tief in diese Zuständigkeit ein. Der große Einfluss des EG-Rechts auf nationale Gesundheitssysteme basiert vor allem auf den EG-rechtlichen Regeln zum Binnenmarkt. Es handelt sich vor allem um Vertragsregeln zur Freizügigkeit, jedoch auch um Harmonisierungsmaßnahmen. Insbesondere bei Krankenversicherungen, bei denen private Initiativen eine wichtige Rolle spielen, ist dieser Einfluss spürbar. In diesem Bereich wird sehr schnell eine Dienstleistung oder eine Ware im Sinne des freien Verkehrs oder eine Versicherung im Sinne der Schadenrichtlinien vermutet. Es darf nicht vergessen werden, dass der EuGH nicht davor zurückschreckt, immer mehr öffentlich-rechtliche Krankenversicherungen nach Maßgabe der Bestimmungen zur Freizügigkeit zu bewerten. Er hat in seinem unlängst gesprochenen Urteil Müller-Faure sogar Überlegungen zum Verhältnis von Freizügigkeit und freiem Verkehr einerseits und dem System eines National Health Service andererseits angestellt. Zur Rechtfertigung dieser Vorgehensweise hat der Gerichtshof auf die Verordnung 1408/71 verwiesen, die ebenfalls wichtige Rahmenbedingungen für die öffentlich-rechtlichen Gesundheitssysteme enthält. Das EG-Recht, und dies gilt nicht zuletzt auch für die Rechtsprechung des EuGH, enthält jedoch Aussagen, die den besonderen Charakter des Gesundheitswesens berücksichtigen. Der Nachteil der fortschreitenden europäischen Integration in der Gesundheitsversorgung durch Anwendung der Binnenmarktregeln besteht darin, dass die Integration mit starken Liberalisierungstendenzen einhergeht. Bestimmte Korrekturen, die nach dem Scheitern bestimmter Märkte im Bereich der Gesund-
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heitsversorgung erforderlich sind und die in die nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten aufgenommen wurden, könnten in der Folge auf der Strecke bleiben. Die Ausnahmeregeln können den Ecken und Kanten dieser Liberalisierungstendenzen entgegenwirken. Neben den vertragsrechtlichen Ausnahmen, die sich speziell auf das öffentlich-rechtliche Gesundheitswesen beziehen, (beispielsweise Art. 30 und 46 EGV) erkennt der Gerichtshof seit den Urteilen Kohll und Decker die Ruh ofReason des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit (unter anderem eines Krankenversicherungssystems, das Bestandteil des Systems der sozialen Sicherheit ist) an. Für die Gesundheitssysteme hat sich dies als eine wichtige Ausnahme herausgestellt. Bestimmte Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs wurden vom Gerichtshof aufgrund dieser Ausnahmeregel für zulässig erachtet, soweit es stationäre Behandlungen betrifft. Auch die Dritte Schadenrichtlinie enthält eine Ausnahmebestimmung für Krankenversicherungen. Die Interpretation gestaltet sich jedoch problematisch. Der Gesetzgeber der Gemeinschaft, der mit dieser Richtlinie einen wichtigen Untersuchungsrahmen für Schadensversicherungen in Europa geschaffen hat, hat das Verhältnis zwischen Versicherungen und Gesundheitsversorgung noch nicht genügend durchdacht. 98 Im Zuge der Etablierung von Systemen, in denen private Krankenversicherungen eine wichtige Rolle spielen, können solche Unklarheiten zu schwer lösbaren Problemen führen.
Anmerkungen: 1. Mit Ausnahme kommerzieller Versicherer gemäß Variante E, die mit Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben konkurrieren, die sich freiwillig der regulierten Marktwirkung unterwerfen. 2. Die horizontal erfolgende Wirkung — zwischen Privatunternehmen untereinander - einer Reihe von Freizügigkeitsbestimmungen wird ebenfalls akzeptiert. Es handelt sich um die Bestimmungen zur Freizügigkeit von Arbeitnehmern, zum freien Diensdeistungsverkehr und zur Niederlassungsfreiheit. Vgl. beispielsweise Rechtssache 36/74 (Walrave und Koch), Slg. 1974, S. 1405, Rechtssache C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, S. 1-4921, Rechtssache C-176/96 (Lehtonen), Slg. 2000, S. 1-2681, Rechtssache C-281/98 (Angonese), Slg. 2000, S. 1-4139 und Rechtssache C-309/99 (Wouters), Slg. 2002, S. 1-1577. 3. Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Regeln der sozialen Sicherheit in Bezug auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, Abi. EG 1971, L 149/2. 4. Vgl. hierzu beispielsweise K.J.M. Mortelmans, Towards convergence in the application of the rules on free movement and competition?, in: Common Market Law Review 2001, S. 617-619. 5. Verbundene Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Luisei und Carbone), Slg. 1984, S. 377. 6. Vgl. V.G. Hatzopoulos, Do the Rules on Internal Market Affect National Health Care Systems?, in: M. McKee/E. Mossialos u. R. Baeten, The Impact of EU Law on Health Care Systems, Brüssel 2002, S. 127. 7. Rechtssache C-159/90 (Grogan), Slg. 1991, S. 1-4685. 8. Rechtssache C-70/95 (Sodemare), Slg. 1997, S. 1-3395. 9. Rechtssache C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, S. 1-1931.
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10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.
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26. 27. 28. 29. 30.
31. 32. 33. 34. 35.
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Rechtssache C-120/95 (Decker), Slg. 1998, S. 1-1831. Rechtssache C-l 57/99 (Smits und Peerbooms), Slg. 2001, S. 1-5473. Vgl. Punkt 53 der Begründung zum Urteil Smits und Peerbooms. Vgl. Punkt 58 der Begründung zum Urteil Smits und Peerbooms. Rechtssache C-368/98 (Vanbraekel), Slg. 2001, S. 1-5363. Rechtssache C-385/99 (Müller-Faure), 13. Mai 2003, nicht einzeln aufgeführt. Vgl. Rechtssache 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631. Rechtssache C-411/98 (Ferlini), Slg. 2000, S. 1-8081. Vgl. in diesem Zusammenhang beispielsweise Rechtssache C-190/98 (Graf), Slg. 2000, S. I493. Vgl. insbesondere Rechtssache 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, S. 837, Rechtssache 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, S. 649, und Rechtssache C-267/91 (Keck), Slg. 1993, S. 1-6097. Rechtssache C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, S. 1-1141. Rechtssache C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, S. 1-4165. Rechtssache C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, S. 4921. Rechtssache C-302/97 (Konle), Slg. 1999, S. 1-3099. Vgl. hierzu P. Graig/G. de Bürca, EU Law. Text, Cases and Materials, 3. Aufl., Oxford 2003, S. 718f. und S. 785-787, sowie Kapteyn/VerLoren van Themaat, Het recht van de Europese Gemeenschappen, 6. Aufl., Deventer 2003, S. 588f., S. 604-606, S. 623-625 und S. 634. Vgl. Kapteyn/VerLoren van Themaat, a.a.O., 2003, S. 624. Hier wird unter anderem verwiesen auf Rechtssache 205/84 (Kommission gegen Deutschland), Slg. 1986, S. 3755, die sich auf Versicherungen bezieht. Rechtssache C-108/96 (Mac Quen), Slg. 2001, S. 1-837. Vgl. Rechtssache 52/79 (Debauve), Slg. 1980, und Rechtssache C-l 08/98 (RI.SAN.Srl), Slg. 1999, S. I- 5219. Vgl. Rechtssache 86/78 (Peureux), Slg. 1979, S. 897. Vgl. Rechtssache 448/98 (Guimont), Slg. 2000, S. 1-663, und Rechtssache C-300/01 (Salzmann), 13. Mai 2003, nicht einzeln aufgeführt. Neben den hier besprochenen Ausnahmegründen ist auch der Ausnahmegrund nach Art. 86 Abs. 2 EGV (Aufgabe von allgemein-wirtschaftlichem Interesse) wichtig. Eine Berufung auf diesen Ausnahmegrund ist sowohl bei Freizügigkeits- als auch bei Wettbewerbseinschränkungen möglich. Da Art. 86 Abs. 2 EGV vor allem in wettbewerbsrechtlichem Zusammenhang angewandt wird, wird dieser Artikel im entsprechenden Abschnitt besprochen. Vgl. beispielsweise Kapteyn/VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 559ff. Rechtssache 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, S. 837. Rechtssache 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, S. 649. Rechtssache C-56/01 (Inizan), 23. Oktober 2003, nicht einzeln aufgeführt. Eine ausführlichere Besprechung dieser Urteile vgl. u.a. im Kommentar von H.A.G. Temmink, in: TvC 1998, S. 265ff., und A.P. van der Mei, Decker und Kohll: Op weg naar een vrij verkeer voor patienten in de Europese Gemeenschap?, in: SR 1998, S. 187-196. Dieses Urteil wird u.a. besprochen in E. Steyger, National Health Care Systems Under Fire (but not too heavily), Legal Issues of Economic Integration 2002, S. 97-107, und I. van der Steen, Het arrest Smits en Peerbooms: toestemmingsvereiste voor ziekenhuiszorg in een andere lidstaat getoetst aan het vrije dienstenverkeer, Nederlands Tijdschrift voor Gezondheidsrecht 2001, S. 213ff., und im Sammelkommentar von J.W. van de Gronden zu den Urteilen in den Rechtssachen Smits und Peerbooms, Vanbraekel sowie Mac Quen in SEW 2001, S. 319ff. Die Rechtbank Roermond entschied in der Rechtssache Peerbooms, dass der Forderung, nach der die Beurteilung durch den betreffenden %iekenfonds anhand international geltender medizini-
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41. 42. 43.
44. 45. 46. 47. 48.
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scher Maßstäbe zu erfolgen habe, nachgekommen worden sei. Vgl. Rb. Roermond 6. Dezember 2001 (Peerbooms), RZA 2002, 15, m. Anm. v. Van der Most. Im abschließenden Urteil in der Rechtssache Smits entschied die Rechtbank Roermond, dass die Forderung nach zeitnaher Behandlungsmöglichkeit erfüllt wurde, da man in den Niederlanden eine ebenso wirksame Behandlung wie in einer deutschen Klinik erhalten konnte. Vgl. Rb. Roermond 13. November 2001 (Smits), RZA 2002, 14. Mit anderen Worten: Die Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs durch die Weigerung des betreffenden ekenfonds, die im Ausland angefallenen Kosten zu erstatten, war der Rechtbank Roermond zufolge zulässig. Die Kläger gingen leer aus. Das Urteil des E u G H in der Rechtssache Smits und Peerbooms hat sich in den Niederlanden in vielfacher Hinsicht auf die nationale Rechtsprechung ausgewirkt. Vgl. beispielsweise Rb. Groningen 21. Januar 2002 (Alpha Kliniek), RZA 2002, 52; Rb. Maastricht 13. Februar 2002 (Alpha Kliniek), RZA 2002, 163; Vz. Rb. Den Haag 9. April 2002 (Alpha Kliniek), RZA 2002, 82; Rb. Middelburg 23. April 2002 (Alpha Kliniek), Awb 99/201; Rb. Utrecht (Alpha Kliniek), 24. Mai 2002, Rechtssache SBR 01/890; Rb. Utrecht 24. Mai 2002 (künstliche Befruchtung), Rechtssache SBR 01/243; Rb. Maastricht 24. Mai 2002, (Alphakliniek), RZA 2002, 123; Rb. Utrecht 27. Mai 2002 (Magenbandoperation), RZA 2002, 126; Rb. Haarlem 21. Juni 2002 (künstliche Befruchtung), RZA 2002, 168; Rb. Zutphen 11. Juli 2002 (Lymphödem), RZA 2002, 199 und Rb. Leeuwarden 20. September 2002 (Alpha Kliniek), Rechtssache 01/145, sowie Berufungskommission WTZKV 20. März 2002 (Asklepios Paulinen Kliniek), RZA 2002, 137, und Berufungskommission WTZKV 20. Februar 2002 (Knieoperation, RZA 2002, 100. Eine Besprechung des Urteils Mûller-Fauré vgl. u.a. in I. van der Steen, Vergoeding van extramurale zorg in een andere lidstaat: geen ziekenfondstoestemming vooraf?, in: NTER 2003, S. 272ff., den Kommentar von E. Steyger, in: AB 2003, S. 272, und den Kommentar von J.W. van de Gronden/K.J.M. Mortelmans, in: SEW 2003, S. 270ff. Vgl. in diesem Zusammenhang Circulaire 03/35 vom 25. Juni 2003 des CVZ, in der die Organisation den Leistungsträgern im Sinne des Ziekenfondswet und des AWBZ mitteilt, die Erstattung der Kosten von ambulanten Behandlungen durch einen Leistungsanbieter aus einem anderen Mitgliedstaat dürfe infolge des Urteils Mûller-Fauré nicht mehr von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht werden. Bemerkenswerterweise war die Rechtbank Maastricht bereits zu diesem Schluss gekommen, bevor der Gerichtshof Mitte Mail 2003 das Urteil in der Rechtssache Mûller-Fauré verkündete. Vgl. Rb. Maastricht 6. März 2002 (CZ), AB 2002, 164, m. Anm. v. E. Steyger und RZA 2002, 81. Rb. Maastricht 26. September 2003 (A. gegen VGZ), Rechtssache AWB 03/16 ZFW. Rechtssache C-8/02, Leichde, 18. März 2004, n.n.v. Obwohl es sich bei der Rechtssache Mûller-Fauré nicht um von Organen eines nationalen Gesundheitsdienstes erbrachte Leistungen handelte, sah sich der Gerichtshof dennoch veranlasst, auf ein solches System einzugehen. Insbesondere Großbritannien hatte nämlich in seinen Interventionen vor dem Gerichtshof in der Rechtssache Mûller-Fauré den besonderen Charakter des Gesundheitssystems nach den Prinzipien eines nationalen Gesundheitsdienstes betont. Vgl. Punkte 102-104 zur Begründung des Urteils Mûller-Fauré. Rechtssache 238/82 (Duphar), Slg. 1984, S. 523. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Urteilsbegründungen 48-50 im Urteil Leichde. Durch das Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam wurde die Nummerierung der Bestimmungen des EGV umfassend geändert. Vgl. beispielsweise Rechtssache C-376/98 (Deutschland gegen Parlament und Rat, Tabakrichtlinie), Slg. 2000, S. 1-8419 und Sache C-491/01 (British American Tobacco), 10. Dezember 2002, nicht gesondert aufgeführt. Aus diesen Urteilen ergibt sich, dass die alleinige Konstatie-
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49. 50. 51. 52.
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55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65.
66. 67. 68. 69.
70. 71. 72. 73. 74.
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rung von Unterschieden zwischen nationalen Rechtsvorschriften und die abstrakte Betrachtung der damit einhergehenden Risiken für den Binnenmarkt für eine rechtsgültige Verwendung von Art. 95 EGV als juristische Grundlage nicht ausreicht. Vgl. beispielsweise C-324/99 (DaimlerChrysler), Slg. 2001, S. 1-9897. Vgl. beispielsweise Rechtssache 5/77 (Tedeschi), Slg. 1977, S. 1555, Rechtssache 72/83 (Campus Oü), Slg. 1984, S. 2727, und Rechtssache C-l/96 (Compassion), Slg. 1998, S. 1-1251. Richtlinie 92/49 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung, Abi. EG 1992, L 288/1. Vgl. beispielsweise Punkt 13 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache 313/86 (Lenoir), Slg. 1988, S. 5391, und Punkt 52 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-34/02 (Santé Pasquini), 19. Juni 2003, nicht gesondert aufgeführt. Erste Richtlinie 73/239 des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung des Direktversicherungsgewerbes (mit Ausnahme der Lebensversicherung), Abi. EG 1973, L 228/3. Vgl. B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, Een nieuw stelsel van zorgverzekering. Toetsing aan het gemeenschapsrecht en het internationale recht, advies van de landsadvocaat, Den Haag 4. Dezember 2002, S. 12. Rechtssache C-238/94 (Garcia), Slg. 1996, S. 1-1673. Rechtssache C-355/00 (Freskot), 22.Mai 2003, nicht gesondert aufgeführt. Rechtssache C-206/98 (Kommission gegen Belgien), Slg. 2000, S. 1-3509. Vgl. Punkt 41 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-206/98. Eine vergleichbare Erwägung findet sich in Punkt 53 zur Begründung des bereits zitierten Urteils Freskot. Vgl. Punkt 36 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-206/98. Vgl. Punkt 39 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-206/98. Vgl. Punkt 44 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-206/98. Vgl. B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 14. Verbundene Rechtssachen (Poucet und Pistre), Slg. 1993, S. 1-637. Vgl. Rechtssache C-239/98 (Kommission gegen Frankreich), Slg. 1999, S. 1-8935. Vgl. auch Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 21. Vgl. Art. 5 der Dritten Schadenrichtlinie, zur Änderung von Art. 7 der Ersten Schadenrichtlinie. Rechtssache C-239/98 (Kommission gegen Frankreich), Slg. 1999, S. 1-8935. Rechtssache C-109/99 (Association basco-béarnaise des opticiens indépendants), Slg. 2000, S. 1-7247. Richtlinienbestimmungen sind in nationale Rechtsvorschriften umzusetzen, bevor sie zur Anwendung gelangen können. Nach gängiger Rechtsprechung, wie beispielsweise Rechtssache 148/78 (Ratti), Slg. 1979, S. 1629, können auch nicht umgesetzte Richtlinienbestimmungen angewandt werden, sofern sie hinreichend genau und bedingungslos sind. In diesem Fall erlangen sie sofortige Rechtskraft. Rechtssache C-241/97 (Skandia), Slg. 1999, S. 1-1879. Rechtssache C-296/98 (Kommission gegen Frankreich), Slg. 2000, S. 1-3025. Rechtssache C-59/01 (Kommission gegen Italien), 25. Februar 2003, nicht gesondert ausgeführt. Vgl. Punkt 34 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache Kommission gegen Italien. Abi. EG 2000, C-43/5.
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75. Vgl. in diesem Zusammenhang I.G.F. Cath, De keuze voor een privaat of publiek stelsel wordt niet bepaald door het EU-recht (Memorandum vom 20. Februar 2003), S. 11—13. Vgl. ebenfalls I. van Houten, Het beoogde Nederlandse stelsel van ziektekostenverzekeringen in Europees perspectief, (Diplomarbeit) Utrecht 2003, S. 52f. 76. Der Staatsadvokat legt Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie großzügig aus. Vgl. B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 17-19. 77. Art. 6 Richtlinie 73/239 lautet nach der Änderung durch die Dritte Schadenrichtlinie wie folgt: „Die Aufnahme der Tätigkeit als Direktversicherer bedarf der vorherigen behördlichen Zulassung. Eine solche Zulassung ist bei den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats zu beantragen, und zwar durch a) Unternehmen, die ihren Sitz auf dem Territorium dieses Mitgliedstaates einrichten, b) Unternehmen, die die Zulassung gemäß Unterabsatz 1 erhalten haben und deren Tätigkeit sich über einen vollständigen Versicherungszweig oder andere Versicherungszweige erstreckt." 78. Vgl. Abschnitt 3, Unterabschnitt c des Kommentars der Kommission zur Interpretation der Bestimmungen zu obligatorischen Bonus-Malus-Systemen hinsichtlich der Beiträge zur KfzHaftp flicht. 79. Dieser Interpretation folgen die Rechtsvertretung des niederländischen Staates und der RVZ, vgl. B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 16, sowie der RVZ im Bericht Gezondheidszorg en Europa: een kwestie van kiezen, Zoetermeer 2002, S. 38-40. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: De Nederlandse zorgverzekering het licht van het recht van de EG, Zoetermeer 1999, S. 76 S. 76 (Teilbericht des RVZ-Gutachtens „Europa en de gezondheitszorg", Zoetermeer 1999), und A.P. den Exter, Het nieuwe zorgstelsel vanuit Europeesrechtelijk perspectief, Christen Democratische Verkenningen 2002/11 u. 12, S. 34. 80. Vgl. das Papier Grenze(n)loze zorg, ministerie van VWS, Den Haag, September 2000, S. 3536, sowie Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31 a, Den Haag, 3. April 2001, S. 28. 81. Ottervanger und De Jong scheinen eine weitere Interpretation nicht auszuschließen. Vgl. T.R. Ottervanger/M.A. de Jong, Europeesrechtelijke aspecten van de basisverzekering, Mei 2002, Bericht für den Bond van Verzekeraars, S. 4-6. 82. Rechtssache C-513/99 (Concordia), Slg. 2002, S. 1-7213. 83. Vgl. auch I.G.F. Cath, De keuze voor een privaat of publiek stelsel wordt niet bepaald door het EU-recht (Memorandum vom 20. Februar 2003), S. 11. 84. Vgl. E. Mossialos/S. Thomson, Voluntary health insurance in the European Union, 27. Februar 2002, S. 157-164. 85. Vgl. Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31 a, Den Haag, 3. April 2001, S. 27-30. Vgl. in diesem Zusammenhang auch E. Steyger, De communautaire inhoud van het begrip Sociale zekerheid, in: TvG 2002, S. 95, E. Steyger, Europa is geen issue in regeerakkoord, Regelmaat 2003, S. 180, I. van den Burg, Over de grenzen van de Nederlandse gezondheidszorg. Europese regels en ontwikkelingen en de consequenties voor Nederlandse patiënten (hrsg. von der niederländischen Delegation der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament), November 2003, S. 35-39, und E.-B. van Veen, Concurrerende Zorgverzekeraars en een Wettelijk Stelsel van Sociale Zekerheid, Tilburg 2002, S. 17. 86. Vgl. Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31 a, Den Haag, 3. April 2001, S. 24.
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Vgl. Rechtssache 249/83 (Hoeckx), Slg. 1985, S. 973, und Rechtssache C-45/90 (Paletta), Slg. 1992, S. 1-3423. Vgl. vorige Anmerkung. 89. Nach Art. 5 Verordnung 1408/71 haben die Mitgliedstaaten die Rechtsvorschriften und Systeme anzumelden, die unter diese Verordnung fallen. 90. Rechtssache 35/77 (Beerens), Slg. 1977, S. 2249. 91. Die ICER vertrat die Ansicht, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Krankenversicherung für die gesamte Bevölkerung, die durch privatrechtliche Körperschaften erfolgt, dem Geltungsbereich der Verordnung 1408/71 zuzuordnen ist. Vgl. Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 30f. 92. Vgl. B.J. Drijber/G.RJ. de Groot, a.a.O., S. 30. 93. Der in dem Papier Grenze(n)loze zorg, ministerie van VWS, Den Haag, September 2000, S. 33f., verteidigte Standpunkt, die Abschaffung einer Krankensozialversicherung verletze diese Verordnung, scheint zu weit zu gehen. Die Verordnung enthält lediglich Koordinierungsmechanismen. 94. Rechtssache C-56/01 (Inizan), 23. Oktober 2003, nicht gesondert aufgeführt. 95. Rechtssache C-326/00 (IKA), Slg. 2003, S. 1-1703. Vgl. zu diesem Urteil u.a. A.P. van der Mei, Zorg over de grens: noodhulp versus toestemmingshulp, in: NTER 2003, S. 109ff. 96. Rechtssache C-156/01 (Van der Duin), 3. Juli 2003, nicht gesondert aufgeführt. 97. Rechtssache C-160/96 (Molenaar), Slg. 1998, S. 1-843. 98. Vgl. in diesem Zusammenhang J.W. van de Gronden, Een Vierde Schaderichtlijn! Postscriptum bij Den Exter, Christen Democratische Verkenningen 2002/11 und 12, S. 47.
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Kapitel 3: Wettbewerbsrecht, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherungen
Kapitel 3
Wettbewerbsrecht, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherungen In der Einleitung wurde bereits dargestellt, dass zahlreiche Organisationen, die in der Gesundheitsversorgung tätig sind, aus wettbewerbsrechtlicher Sicht als Unternehmen einzustufen sind. Das Wettbewerbsrecht enthält eine Vielzahl von Regeln zur Tätigkeit von Unternehmen und Vorschriften, wie der Staat in diese Tätigkeiten eingreifen kann. Handelt es sich bei Kranken- und Pflegeversicherern um Unternehmen, unterliegen sie den Bestimmungen des Wettbewerbsrechts. Nachfolgend wird zunächst auf den Begriff des Unternehmens eingegangen. Dann werden die Regeln untersucht, die nach Maßgabe des Wettbewerbsrechts für Unternehmen gelten. Anschließend wird auf die für den staatlichen Apparat geltenden wettbewerbsbezogenen Regeln eingegangen. Der EG-Vertrag betrachtet die Regeln für staatliche Beihilfen als Teil des Wettbewerbsrechts. Nach dem Abschnitt über wettbewerbsbezogene Regeln für den staatlichen Bereich wird auf die Regeln für staatliche Beihilfen der Art. 87-89 EGV eingegangen. Im vorliegenden Kapitel werden sowohl das europäische als auch das niederländische Wettbewerbsrecht behandelt. Der Grund dafür ist, dass der Generaldirektor der niederländischen Wettbewerbsbehörde (directeur-generaal van de Nederlandse Mededingingsautoriteit — d-g Nma) seit dem Inkrafttreten des niederländischen Wettbewerbsgesetzes (Mededingingswet) eine wichtige Rolle gespielt hat, wie sich aus den von ihm Ende 2002 erlassenen Richtlinien für den Gesundheitssektor (Richtsnoeren voor de zorgsektor) ergibt.1 Bereits erwähnt wurde auch, dass das niederländische Wettbewerbsrecht auf das europäische Kartellrecht gründet.2 Die Konvergenz zwischen europäischem und nationalem Wettbewerbsrecht wird nach der Verabschiedung der neuen Verordnung 1/2003 über das europäische Kartellverfahrensrecht weiter zunehmen.3 Eine der wichtigsten Triebfedern dieser Verordnung ist die dezentrale Anwendung des EGWettbewerbsrechts durch nationalstaatliche Behörden.4 Unter diesem Gesichtspunkt ist es essentiell, die Praxis einer nationalen Kartellbehörde zu berücksichtigen, die bereits Erfahrung mit der Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gesundheitssektor besitzt. Dass die materiellen Vorschriften des niederländischen Wettbewerbsgesetzes zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem europäischen Kartellrecht besitzen, zeigt sich übrigens darin, wie in diesem Gesetz das Kartellverbot und das Verbot zum Missbrauch der wirtschaftlichen Machtposition zum Ausdruck kommen.
Kapitel 3: Wettbewerbsrecht, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherungen
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Art. 6 des Wettbewerbsgesetzes, der das Kartellverbot enthält, ist mit seinem europäischen Gegenstück des Art. 81 Abs. 1 EGV beinahe identisch. Gleiches gilt für die Freistellungskriterien in diesem Gesetz. Auch Art. 24 (Machtmissbrauchsverbot) ist nach einer vergleichbaren Bestimmung des EG-Vertrages modelliert. Wie Art. 81 und 82 EGV gelten Art. 6 und 24 des Wettbewerbsgesetzes für Unternehmen. In Art. 1 lit. f des Wettbewerbsgesetzes wird ausdrücklich bestimmt, dass unter einem Unternehmen im niederländischen Kartellrecht dasselbe verstanden wird wie im europäischen Wettbewerbsrecht. Bei beiden Verbotsbestimmungen besteht der wichtigste Unterschied zwischen niederländischem und europäischem Recht darin, dass für die Anwendung der niederländischen Wettbewerbsregeln nicht, für die der europäischen sehr wohl, notwendig ist, dass der zwischenstaatliche Handel durch die zu prüfenden Verhaltensweisen der beteiligten Unternehmen beeinflusst wird. Das niederländische Kartellrecht wie auch das europäische Wettbewerbsrecht enthalten Bestimmungen zur Konzentrationskontrolle, die auf den gleichen Prinzipien beruhen wie die europäischen Anordnungen.
3.1. Der Begriff Unternehmen Im niederländischen wie im europäischen Wettbewerbsrecht wird der Begriff Unternehmen funktionell aufgefasst. Ausgangspunkt der Definition ist das Urteil Höfner:5 Jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wird als Unternehmen betrachtet. Sowohl der EuGH, die Kommission als auch die d-g NMa haben Anbieter von Gesundheitsleistungen als Unternehmen qualifiziert. Es wird die Auffassung vertreten, dass diese Anbieter wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, die aus medizinischen Dienstleistungen oder Waren bestehen. In der Rechtssache Pavlov6 entschied der Gerichtshof, dass Fachärzte als Selbständige in einem freien Beruf als Unternehmer zu qualifizieren sind (und dass die nationale Vereinigung der Fachärzte (seinerzeit Landelijke Speüalistenvereniging jetzt Orde van Medische Speäaltsten) als Unternehmensvereinigung anzusehen ist): In der Rechtssache APB7 qualifizierte die Kommission Apotheker als Unternehmer. Der d-g NMa hat hinsichtlich einer Vielzahl von Anbietern von Gesundheits- und Pflegeleistungen bereits erklärt, dass es sich auch bei den folgenden Berufsgruppen um Unternehmen handelt: Hausärzte, Apotheker, Physiotherapeuten, Allgemeinpsychologen, Krankenhäuser, Rehabilitationszentren, Lieferanten von Hilfsmitteln und Pharmaunternehmen.8
Der Begriff Unternehmen im Kontext von sozialer Sicherheit Komplizierter ist die Situation im Bereich soziale Sicherheit und Krankenversicherungen. Um beurteilen zu können, ob eine wirtschaftliche Aktivität vorliegt, ist zu untersuchen, welchen Raum der Gesetzgeber den Marktkräften bei der Ausgestaltung bestimmter Regelungen im Bereich der sozialen Sicherheit belassen hat und
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welche Rolle der Solidaritätsgrundsatz spielt.9 Falls es sich um eine Sozialversicherung handelt, bei der der Solidaritätsgrundsatz zum Tragen kommt und den Marktkräften so gut wie kein Raum gelassen wird (da es sich um ein Umlagesystem, gesetzlich festgelegte Tarife, eine „mechanisch erfolgende" Gesetzesausführung etc. handelt), werden die betreffenden Leistungsträger nicht als Unternehmen eingestuft.10 Dies veranlasste das erstinstanzliche Gericht, in der Rechtssache FENIN11 die Leistungsträger innerhalb des spanischen Systems des nationalen Gesundheitsdienstes nicht als Unternehmen zu betrachten, da dieses Gesundheitssystem durch Sozialabgaben und andere Beiträge finanziert wurde und die Leistungen den Mitgliedern auf der Grundlage einer allgemeinen Kapitaldeckung kostenlos gewährt wurden 12 In Fortfuhrung der europäischen Rechtsprechung entschied die d-g NMa, dass es sich bei den ^orgkantoren (regionale Koordinierungsstellen), die das AWBZ in die Praxis umsetzen, nicht um Unternehmen handelt, da diese Durchfuhrungsorganisationen nur wenig Spielraum besitzen, unter anderem weil die AWBZ-Leistungen durch einkommensabhängige Beiträge finanziert werden. Es besteht kein Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Geldleistung; es existiert eine Beitrittspflicht und es kann kein Einfluss auf die Beitragshöhe ausgeübt werden.13 Falls sich der nationale Gesetzgeber aber für eine Mischung aus Marktkräften und Solidarität entscheidet, d.h. für eine regulierte Marktwirkung, werden die betreffenden Trägerorganisationen als Unternehmen angesehen. Die Einführung der Marktwirkung bringt die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Regeln mit sich, die damit als Spielregeln für den Markt fungieren. In der Rechtssache FFSA14 und im Fall Brentjens15 entschied der Europäische Gerichtshof, dass französische bzw. niederländische Betreiber von Zusatzrentenkassen Unternehmen seien, da sie nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeiten und die Höhe der Leistungen von den Erträgen der Anlagen abhängen würde. Im Fall der niederländischen Rentenkasse sah es der Gerichtshof außerdem als wesentlich an, dass es aufgrund der geltenden Regelung möglich war, die Zusatzrente unter bestimmten, genau bezeichneten, Umständen von Lebensversicherungsgesellschaften anzubieten (der Zugang zum Markt war demnach potenziell gegeben). In der Folge dieser Rechtsprechung beschied die d-g NMa, dass es sich bei sgekenfondsen um Unternehmen handelt, da ein Teil der Beiträge (ungefähr 10%) einkommensunabhängig ist, je nach %ekenfonds unterschiedlich ausfällt, und ¡gsekenfondsen nicht wie früher nur auf regionaler Ebene tätig sind, sondern ihre Versicherungen im gesamten niederländischen Staatsgebiet anbieten dürfen.16 Ziekenfondsen können sich voneinander unterscheiden und sind nach Auffassung der NMa als Unternehmen zu betrachten. Bei ihnen gelangt der NMa zufolge das Wettbewerbsrecht zur Anwendung.
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Die Auffassung des Gerichtes im AOK-Verfahren: Sind Krankenkassen Unternehmen? Das AOK-Verfahren17, das sich auf die deutschen Krankenkassen bezieht, ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Das Ergebnis dieses Verfahrens hat ein anderes Licht auf die niederländische Kartellbehörde geworfen. In Deutschland sind Krankenkassen zu Absprachen über die Höchstvergütung der Kosten für Medikamente gesetzlich verpflichtet, die Krankenkassenversicherte erhalten. Durch die Anpassung der festen Höchstbeträge für bestimmte Medikamente entstehen Rechtsstreitigkeiten, die zu präjudiziellen Verfahren vor Gericht führen. Der Generalanwalt18 kam zu der Einschätzung, dass die deutschen Krankenkassen Unternehmen sind, da sie die Höhe der von den Versicherten zu zahlenden Beiträge bestimmen,19 beim Angebot bestimmter Dienstleistungen konkurrieren können (beispielsweise beim Angebot von Zusatz- oder Vorsorgebehandlungen) und sie in einer Konkurrenzbeziehung zu privaten Krankenkassen stehen. Dies betrifft Personen, die nicht gesetzlich zum Anschluss an eine Krankenkasse verpflichtet sind. Das Gericht hat jedoch einen anderen Standpunkt eingenommen als der Generalanwalt. Dieser vertritt den Standpunkt, dass die Krankenkassen keine Unternehmen sind, da sie im Rahmen eines sozialen Sicherheitssystems eine rein soziale Aufgabe erfüllen, die auf dem Prinzip der Solidarität beruht und der jegliches Gewinnstreben fehlt. Das Gericht erachtete es als besonders wichtig, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, ihren Versicherungsnehmern Leistungen zu liefern, die im Grunde genommen identisch sind und nicht von der Höhe der Prämien abhängen. Die Krankenkassen können diese Leistungen in keiner Weise beeinflussen. Sie bilden eine Solidargemeinschaft, in der sie eine ausgeglichene Kosten- und Risikoverteilung erreichen können: Zwischen den Krankenkassen mit den niedrigsten Versorgungskosten und denen, die größere Risiken versichern und dadurch höhere Kosten zu verzeichnen haben, werden Kompensationen vorgenommen. Die Krankenkassen konkurrieren weder miteinander noch mit privaten Anbietern bei der gesetzlich verpflichteten Gesundheitsversorgung und der Versorgung mit Medikamenten. Bei der Erfüllung dieser Kardinalaufgabe führen sie keine wirtschaftlichen Aktivitäten aus. Das Gericht argumentiert weiterhin, dass die Freiheit, die den Krankenkassen bei der Fesdegung der Prämienbeträge und in der gegenseitigen Konkurrenz zusteht, um Versicherungsnehmer zu gewinnen, keine Einschränkving dieser Beurteilung bedeutet. Der deutsche Gesetzgeber hat bei den Prämien ein Konkurrenzelement eingeführt, um das Funktionieren des Sozialversicherungssystems zu unterstützen und die Krankenkassen zu animieren, ihre Aktivitäten nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten möglichst effizient und preiswert zu gestalten. Diese Zielsetzung verändert am Charakter der Aktivitäten der Krankenkassen aber nichts.
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Außerdem untersucht das Gericht, ob die Krankenkassen neben ihren sozialen Aufgaben auch wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen. Bedeuten die Vereinbarungen über die Feststellung von festen Höchstbeträgen eine wirtschaftliche Tätigkeit? Das Gericht vertritt den Standpunkt, dass dies nicht der Fall ist, da die Vereinbarungen eng mit den sozialen Aufgaben der Krankenkassen verbunden sind. Das Gesetz schreibt ihnen solche Absprachen vor. Der Gesetzgeber bestimmt die Kriterien für diese Vereinbarungen; der Staat selbst kann Höchstbeträge festsetzen, wenn die Krankenkassen keine Übereinstimmung erzielen. Wenn die Krankenkassenvereinigungen diese festen Höchstbeträge feststellen, haben sie nicht ihr Eigeninteresse vor Augen, das von einem rein sozialen Ziel der Krankenkassen losgelöst werden kann. Das Gericht urteilt schließlich, dass die deutschen Krankenkassen keine Unternehmen im Sinne von Art. 81 EGV sind, wenn sie Absprachen über diese Beträge treffen. Das Urteil des Gerichts scheint mit der vorangegangenen Rechtsprechung des EuGH überein zu stimmen, wie das bereits erwähnte Verfahren Poucet und Pistre zeigt, da jetzt das Solidaritätsprinzip — unter anderem in Anbetracht des Risikoausgleichssystems der deutschen Krankenkassen — bei den deutschen Krankenkassen so ausdrücklich präsent ist. Bei einer näheren Betrachtung zeigen sich jedoch Probleme. Die deutschen Krankenkassen können nämlich selbst die Höhe der Prämie feststellen, obwohl diese einkommensabhängig ist, und auf diese Weise versuchen, Versicherungsnehmer zu gewinnen. Dies erweckt den Eindruck der Preiskonkurrenz. Außerdem können sich einige Versicherungsnehmergruppen, zum Beispiel Angehörige der höheren Einkommensstufe wie beispielsweise Beamte, privat anstatt bei einer Krankenkasse versichern. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Einfuhrung von Konkurrenz auf dem Gebiet der Prämien nur eine effiziente Geschäftsführung der Krankenkassen fördern wollte. Diese Meinung ist mit Blick auf die Zielsetzung des Wettbewerbsrechtes bemerkenswert. In der Literatur wird als Ziel des Wettbewerbsrechts die Förderung von Effizienz genannt.20 Wettbewerbsrecht und Effizienz sind also eng miteinander verbunden. In der Rechtssache FFSA verkündete das Gericht in Urteilsbegründung 21, dass die Wettbewerbsvorschriften Gültigkeit besitzen, wenn Verhaltensweisen auftreten, die diese Vorschriften eigentlich vermeiden sollen. Verabredungen zwischen Krankenkassen über die Prämienhöhe zum Beispiel wirken negativ auf die Effizienz; gerade solche Verabredungen sind nach dem Wettbewerbsgesetz verboten. Es ist zu bedauern, dass das Gericht das in dem bereits erwähnten FFSA-Urteil formulierte Prinzip nicht auf die Möglichkeit der Preiskonkurrenz, wie sie sich bei deutschen Krankenkassen darstellt, anwenden wollte. Mit dem AOK-Verfahren wird die niederländische Wettbewerbsbehörde (NMa) gegenüber den Krankenkassen in den Niederlanden unter Druck gesetzt. Die nieder-
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ländische Kartellbehörde wird untersuchen, inwieweit das niederländische Krankenkassensystem sich vom deutschen unterscheidet (in den Niederlanden beträgt der einkommensunabhängige Teil der Prämie etwa 10% nominal) und diese Unterschiede rechtfertigen, dass niederländische Krankenkassen als Unternehmen betrachtet werden müssen.
Der Versorgungseinkauf und der Begriff Unternehmen Auf dem Gesundheitssektor treten die Trägerorganisationen der Krankenversicherungen regelmäßig als Einkäufer verschiedener Heil- und Hilfsmittel auf, insbesondere dann, wenn sie innerhalb eines Sachleistungssystems oder National HealthSjstems tätig werden. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Versicherer am Einkaufsmarkt als Unternehmen tätig wird. Das Gewicht, das solche Organisationen aufgrund der großen Nachfrage am Markt erreichen können, und die Möglichkeit, dass sie dadurch über Macht verfügen könnten, war für deutsche21, britische22 und niederländische23 Wettbewerbsbehörden Anlass, Kranken- und Pflegeversicherer auf dem Einkaufsmarkt als Unternehmen einzustufen. In der oben erwähnten Rechtssache FENIN hat sich das erstinstanzliche Gericht der EG für einen anderen Blickwinkel entschieden. Dem Gericht zufolge kann ein Kranken- oder Pflegeversicherer auf dem Einkaufsmarkt nur dann als Unternehmen betrachtet werden, wenn er auch auf dem Versicherungsmarkt als Unternehmen einzustufen ist. Die Tätigkeiten einer Organisation auf der Verkaufsseite bestimmen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht die Wesenszüge der Tätigkeiten dieser Organisationen auf der „Einkaufsseite". Da die Trägerorgane des nationalen spanischen Gesundheitsdienstes von Seiten der Versicherung keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, können sie, wenn sie Heil- und Hilfsmittel einkaufen, auch nicht als Unternehmen eingestuft werden. Beim Einkauf von Heil- und Hilfsmitteln kommt das Wettbewerbsrecht nicht zur Anwendung. Die gleiche Schlussfolgerung muss beispielsweise hinsichtlich der Einkaufstätigkeiten der %orgkantonn getroffen werden, da die Umsetzung der Regeln zur AWBZ-Versicherung keine wirtschaftliche Tätigkeit als solche darstellt. Bei %orgkantoren, die für ihre Mitglieder Verträge mit Einrichtungen, frei niedergelassenen Psychiatern und anderen Leistungserbringern abschließen, gelangt das Wettbewerbsrecht nicht zur Anwendung.24 Folgt man der Ansicht, dass sjekenfondsen — zumindest nach Ansicht der NMa — versicherungsseitig durchaus wirtschaftliche Aktivitäten entfalten, handelt es sich um Unternehmen, wenn sie Gesundheitsdienstleistungen bei Krankenhäusern, Angehörigen freier (para-)medizinischer Berufe und anderen Leistungserbringern erwerben. Dann gelangt das Wettbewerbsrecht zur Anwendung.
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Gegen das Urteil des Gerichts in der Sache FENIN wurde übrigens Berufung eingelegt.25 Dies ermöglicht es dem EuGH, sich zum Verhältnis zwischen den Begriffen Unternehmen und Versorgungseinkauf zu äußern.
3.2. Wettbewerbsregeln für Unternehmen Die Qualifizierung eines Kranken- oder Pflegeversicherers als Unternehmen bedeutet, dass er die Vorschriften des Wettbewerbsrechts einzuhalten hat. Das Wettbewerbsrecht umfasst drei Bereiche: 1. Nach Art. 81 Abs. 1 EGV und Art. 6 Mededingingswet (niederländisches Wettbewerbsgesetz) sind wettbewerbsbeschränkende Absprachen verboten (Kartellverbot). Bestimmte Gruppen werden durch so genannte Gruppenfreistellungen (diese Freistellungen werden hinsichtlich des europäischen Wettbewerbsrechts in EG-Verordnungen und im niederländischen Wettbewerbsrecht mit Rechtsverordnungen — algemene maatregelen van bestuur — festgelegt) von der Rechtsverbindlichkeit der Kartellgesetzgebung ausgeschlossen. Individuelle Absprachen können aufgrund der Freistellungsmöglichkeit, die Art. 81 Abs. 3 EGV und Art. 17 Mededingingswet bieten, vom Kartellverbot ausgenommen werden. Unternehmen, die vom Staat mit einer Aufgabe von allgemein-wirtschaftlichem Interesse betraut wurden, dürfen, wenn sich dies mit Blick auf diese Aufgabe als notwendig darstellt, wettbewerbsbeschränkende Absprachen treffen. Dies folgt aus Art. 86 Abs. 2 EGV und Art. 11 Mededingingswet. 2. Art. 82 EGV und Art. 24 Mededingingswet verbieten es Unternehmen, eine wirtschaftliche Vormachtstellung zu missbrauchen. Einzige Ausnahme bildet die Bestimmung im Zusammenhang mit einer Aufgabe von allgemein-wirtschaftlichem Interesse. Für Art. 82 EGV findet sich diese Ausnahmebestimmung in Art. 86 Abs. 2 EGV, für das niederländische Wettbewerbsrecht in Art. 24 Mededingingswet. 3. Aufgrund der Fusionskontrollverordnung der EG26 und der Art. 26ff. Mededingingswet müssen Zusammenschlüsse (Fusionen etc.), die bestimmte Schwellenwerte beim Umsatz überschreiten, bei der Kommission bzw. dem d-g NMa angemeldet werden. Was die Anwendung des Wettbewerbsrechts im Gesundheitsbereich betrifft, liegen die mit Abstand meisten Erfahrungen im Kartellverbot vor. Vor allem die d-g NMa hat dieses Verbot seit Inkrafttreten des Mededingingswet regelmäßig bei Verträgen im Gesundheitswesen angewandt.27
Verbotene Absprachen Der Urteilspraxis in ihrer Gesamtheit ist zu entnehmen, dass die d-g NMa vor allem gegen wettbewerbsverzerrende Absprachen vorgegangen ist, die zwischen Angehöri-
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gen freier (para-) medizinischer Berufe als Leistungserbringer getroffen wurden. Diese Vorgehensweise war insbesondere für die ^jekenfondsen von wesentlichem Interesse, da sie sich unmittelbar darauf ausgewirkt haben, wie die genannten Leistungserbringer auf dem Einkaufsmarkt gegenüber den jekenfondsen auftraten. Auf regionaler Ebene wurden Absprachen über die Ausgestaltung der Kooperationsverträge zwischen Krankenversicherer und Leistungserbringer getroffen. So traten die frei praktizierenden Leistungserbringer während der Verhandlungen über den Kooperationsvertrag kollektiv gegenüber den jekenfondsen auf. Dieses kartellähnliche Gebilde wurde durch das Verhandlungsgeschick der d-g NMa praktisch beseitigt. Kollektive Absprachen über Tarife28 sowie über die Niederlassungspolitik und geographische Verbreitung29 wurden von der d-g NMa als Widerspruch zum Kartellverbot bewertet. In diesem Zusammenhang zeigte sich die d-g NMa nicht zur Erteilung einer Freistellung bereit.30 Die NMa betrachtete die Absprachen über den Tarif bzw. die Niederlassungspolitik und geographische Verbreitung als horizontale Preisabsprachen bzw. Marktaufteilungsabsprachen, die im Rahmen des Wettbewerbsrechts eine schwerwiegende Verletzung des Kartellverbots darstellen; diese Beschränkungen gelten als /W^-ow-Beschränkungen.31 Diese Linie der NMa zwingt die frei praktizierenden Leistungserbringer, selbständig mit den jekenfondsen über die Kooperationsverträge zu verhandeln, was vor allem auf Seiten der Hausärzte zu einiger Unruhe geführt hat.32
Qualitätsabsprachen Qualitätsabsprachen zwischen Leistungserbringern sind nach Meinung der d-g NMa durchaus erlaubt, wenn sie nicht über die Feststellung objektiver und transparenter Kriterien hinausgehen.33 Der Blickwinkel der d-g NMa weist große Ähnlichkeiten mit der Sichtweise des EuGH in der Rechtssache Wouters34 auf, die nicht im Bereich des Gesundheitswesens, sondern innerhalb des Berufsstandes der Rechtsanwälte angesiedelt ist. In dem genannten Urteil beschied der Gerichtshof, dass die Absprachen, die selbständig tätige Anwälte zu ihren Standespflichten treffen, nicht das Kartellverbot verletzen, wenn sie nicht über das Maß des Notwendigen hinausgehen. Im Zusammenhang mit diesen Absprachen bewertete der Gerichtshof die Zielsetzungen als wesentlich, die „an dieser Stelle mit der Notwendigkeit der Schaffung von Vorschriften über Organisation, Befähigung, Standespflichten, Kontrolle und Verantwortlichkeit zusammenhängen, die den Beziehern juristischer Dienstleistungen und der Rechtspflege die erforderliche Gewähr für Integrität und Erfahrung bieten".35 Wenn sich die wettbewerbsbeschränkenden Aspekte der genannten Absprachen in einem notwendigen Kontext mit der Verfolgung dieser Ziele befinden, wird das Kartellverbot nach Auffassung des Gerichtshofes nicht verletzt.
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Absprachen zwischen Krankenversicherern Auch die NMa hat sich mehrmals zu Absprachen zwischen Krankenversicherungen geäußert. Eine Reihe von sgekenfondsen hat Strategien für einen effektiven Einkauf entwickelt. So wird bei bestimmten medizinischen Hilfsmitteln mit Vorzugslisten gearbeitet, während für Arzneimittel Behandlungsempfehlungen (formularia) entwickelt wurden, nach denen - ausgehend vom Wirkstoff und Preis - eine effektive Lieferung von Arzneimittel erfolgen kann. Solche Absprachen sind nicht unvereinbar mit dem Kartellverbot, solange sie nicht zu Ausschlusseffekten fuhren (der Zugang zum Markt muss für andere Produkte möglich bleiben); so sind Behandlungsempfehlungen und Vorzugslisten in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren, während bei Arzneimitteln die Verschreibung vorzugsweise durch die Benennung des Wirkstoffes erfolgt.36 Wenn ^jekenfondsen gemeinsam bei Leistungserbringern einkaufen, bilden sie eine Einkaufsgenossenschaft. Nach Ansicht der NMa dienen Einkaufsgenossenschaften nicht dazu, den Wettbewerb einzuschränken, da die Zielsetzung verfolgt wird, die Einkaufskosten zu verringern. Das Auftreten einer Einkaufsgenossenschaft kann sich dennoch wettbewerbsverzerrend auswirken. Diese Sichtweise entspricht der allgemeinen Wettbewerbspolitik der Kommission für so genannte horizontale Vereinbarungen37 (Absprachen zwischen Unternehmen mit derselben Funktion innerhalb einer Branche). Um festzustellen, ob wettbewerbsbeschränkende Folgen eintreten, müssen sowohl der Einkaufsmarkt als auch der Markt, auf dem das betreffende Unternehmen selbst als Anbieter von Waren oder Dienstleistungen auftritt, berücksichtigt werden.38 Eine wettbewerbsbeschränkende Folge ist möglicherweise dann gegeben, wenn die betreffenden Unternehmen eine große Marktmacht (Abnehmermacht) auf dem Einkaufsmarkt darstellen, beispielsweise aufgrund des gemeinsamen Anteils an diesem Markt. Daneben kann es durch Spill-over-YLííekXe. zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den einer Einkaufsgenossenschaft angeschlossenen Unternehmen auf dem Markt kommen, auf dem Unternehmen als Verkäufer auftreten. Dies ist dann der Fall, wenn die Kostenharmonisierung ein solches Ausmaß angenommen hat, dass sich die beim Einkauf kooperierenden Unternehmen beim Angebot ihres Produktes auf dem Verkaufsmarkt nicht mehr voneinander unterscheiden. Für die ^jekenfondsen bedeutet es, dass die Effekte des gemeinsamen Einkaufs sowohl auf dem Einkaufsmarkt für Gesundheitsleistungen als auf dem Krankenversicherungsmarkt von Interesse sind. Wenn die beim Einkauf kooperierenden ^jekenfondsen auf dem Einkaufsmarkt kleine Marktanteile besitzen, wird ihre Einkaufsgenossenschaft nicht so bald auf wettbewerbsrechtliche Probleme stoßen39, während dies bei großen Marktanteilen sehr wahrscheinlich der Fall ist.40 Eine Aufsehen erregende Entscheidung der NMa betraf das so genannte Solidaritätsprotokoll.41 Die privaten Krankenversicherungen hatten vereinbart, dass sich die
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Beitragshöhe einer Versicherung für die älteste Personenkategorie höchstens auf 150% der Beitragshöhe der 20-jährigen Mitglieder der gleichen Versicherung belaufen darf. Auf diese Weise wurde versucht, die Risikosolidarität mithilfe der Selbstregulierung zu gestalten. Diese Regelung wurde als „Regelung zur Beitragsbandbreite" bezeichnet. Es sollte verhindert werden, dass niedrige Beiträge für Gruppenversicherungen durch hohe Beiträge für Einzelversicherungen finanziert werden. Diese Regelung wurde „Regelung zur Beitragssubvention" genannt. Die „Regelung zur Beitragsbandbreite" wurde als wettbewerbsverzerrend bewertet, da Versicherer weniger geneigt waren, jüngeren Personen Versicherungsprodukte zu knapp kalkulierten Beiträgen anzubieten, da sie auch die Beiträge für ältere Personen hätten herabsetzen müssen. Eine vergleichbare Argumentation greift die NMa zufolge bei der „Regelung zur Beitragssubvention", da diese Regelung den Versicherern weniger Anreize bietet, sich mit günstigen Angeboten bei Gruppenversicherungen voneinander abzugrenzen. Nach der Feststellung, dass gegen das Kartellverbot verstoßen worden war, untersuchte die NMa, ob eine Freistellung von diesem Verbot aus Art. 17 Mededingingswet erteilt werden könnte. In Punkt 129 des Bescheids zum Solidaritätsprotokoll weist die d-g NMa die Argumentation von der Hand, dass durch die „Regelung zur Beitragsbandbreite" eine gesellschaftliche Grenze zur weiteren Beitragsdifferenzierung gezogen werde. Der erbittert ausgetragene Wettbewerb um die Gunst der jugendlichen Versicherten gehört der NMa zufolge nun einmal zum normalen Funktionieren des Marktes. Es ist nicht Aufgabe der Versicherer, eine Grenze zur Konkurrenz zu ziehen.42 Anschaulich ist folgende Erwägung der NMa, die unter Punkt 129 des Entscheids zum Solidaritätsprotokoll geäußert wurde: „Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Beitragsbandbreite-Regelung, die nach eigenen Aussagen von ZN [Zorgvervgkeraars Nederland, der Zusammenschluss der betreffenden Krankenversicherer] als .Ziehung einer gesellschaftlichen Grenze in Bezug auf die weitere Beitragsdifferenzierung' zu sehen ist, den erbitterten Wettbewerb um die Gunst jugendlicher Versicherungskunden verhindert oder einschränkt, wo diese doch Bestandteil der normalen Funktion des Marktes für private Krankenversicherungen ist. Es ist nicht Aufgabe der Parteien festzulegen, wo eine gesellschaftliche Grenze für Beitragsdifferenzierung liegen sollte." Bei der „Regelung zur Beitragssubvention" ist die d-g NMa weniger kategorisch in ihrer Zurückweisung, jedoch auch an dieser Stelle nicht bereit, eine Freistellung zu erteilen. Es wird nicht deutlich, inwieweit die NMa bereit ist, dem besonderen Charakter und den speziellen Bedürfnissen des Gesundheitswesens bei seiner Freistellungsentscheidung Rechnung zu tragen. Die aus dem Fall des Solidaritätsprotokolls zu ziehende Schlussfolgerung besteht darin, dass die NMa der Regulierung im Be-
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reich der Risikosolidarität durch die Krankenversicherer selbst sehr kritisch gegenüber steht. Absprachen zur Beitragshöhe43 oder zur Aufteilung der verschiedenen Märkte fallen unter das Kartellverbot. Da es bei solchen Wettbewerbsbeschränkungen um hard»ri-Beschränkungen geht, werden die europäischen und einzelstaatlichen Kartellbehörden nicht bereit sein, diesbezügliche Freistellungen zu erteilen.
Vormachtstellungen und Versicherer Durch das Verbot von Absprachen zwischen Anbietern von Gesundheitsdiensdeistungen hinsichtlich der Niederlassung, der geographischen Verbreitung und der Tarife ist es dem d-g NMa gelungen, das Kartell der frei niedergelassenen Leistungserbringer auseinander zu dividieren. Sie sind gezwungen, einzeln mit den Versicherern zu verhandeln. Das hat den Vorteil, dass die Versicherer die erforderlichen Leistungen zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis einkaufen können. Es darf nicht übersehen werden, dass die meisten %ekenfondsen auf den regionalen Einkaufsmärkten für Gesundheitsleistungen, auf denen sie als größte Abnehmer agieren, eine Vormachtstellung im Sinne von Art. 82 EGV und Art. 24 Mededingingsmt (Verbot, eine wirtschaftliche Vormachtstellung zu missbrauchen) innehaben. Eine Vormachtstellung liegt häufig dann vor, wenn ein Unternehmen mindestens 50% des jeweiligen Marktes beherrscht.44 Dies dürfte bei ^ekenfondsen, die auf dem Einkaufsmarkt für Gesundheitsleistungen in ihrer ursprünglichen geographischen Region aktiv sind, häufig der Fall sein. Das Wettbewerbsrecht verbietet nicht die Ausnutzung einer Vormachtstellung, sondern nur ihren Missbrauch. In den Leitlinien für den Gesundheitssektor hebt die NMa ausdrücklich hervor, dass die Weigerung eines marktbeherrschenden %iekenfonds, einen Vertrag mit einem Leistungserbringer abzuschließen, daher nicht automatisch einen Missbrauch darstellt. Solange die Vorgehensweise eines vgekenfonds bei Vertragsabschlüssen objektiv und transparent ist, wird Art. 24 Mededingingsmt (oder Art. 82 EGV) nicht verletzt.45 Wenn ein Versicherer beispielsweise zu dem Schluss kommt, dass die Nachfrage nach einer bestimmten Dienstleistung im Vergleich zum Vorjahr nicht zugenommen hat, kann dieses Unternehmen beschließen, keinen Vertrag mit einem zusätzlichen Leistungserbringer abzuschließen.46 Die Anwendung des Verbots, eine wirtschaftliche Vormachtstellung zu missbrauchen, gestaltet sich in der Praxis schwierig. Dies gilt auch für die Gesundheitsbranche. So ist etwa der Nachweis, dass eine bestimmte Handlung einen Missbrauch darstellt, nur unter Schwierigkeiten zu erbringen. Die Entscheidung der NMa im Fall Molenpad veranschaulicht das Problem.47 Das Unternehmen Molenpad, das Dienstleistungen im Bereich Physiotherapie anbot, versuchte Zugang zum Amsterdamer Markt für Physiotherapie zu erhalten, nachdem die NMa dafür gesorgt hatte, dass die
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Politik zentraler Steuerung von Niederlassungen und der geographischen Verbreitung der auf diesem Markt tätigen Physiotherapeuten eingestellt wurde. Der in Amsterdam marktbeherrschende ziekenfonds weigerte sich, einen Vertrag mit Molenpad abzuschließen. Die Beschwerde, die bei der NMa wegen Verletzung des Art. 24 Mededingingswet eingereicht wurde, wurde abgewiesen, da der betreffende %iekenfonds selbstständig (ohne Rücksprache mit den bereits niedergelassenen Physiotherapeuten) eine Entscheidung getroffen hatte und nachgewiesen werden konnte, dass die bereits tätigen Physiotherapeuten den Leistungsbedarf des betreffenden Marktes in seiner Gesamtheit abdecken konnten. Die Anwendung des Verbots, eine Vormachtstellung zu missbrauchen, ermöglicht neuen Unternehmen daher nicht automatisch den Zugang zum Markt (für Gesundheitsleistungen).
Zusammenschlüsse und Krankenversicherungen Sowohl ekenfondsen als auch private Krankenversicherer müssen, wenn sie sich zusammenschließen (fusionieren) möchten, einen solchen Zusammenschluss beim d-g NMa bzw. der Kommission anmelden, wenn die auf nationaler bzw. europäischer Ebene gültigen Mindestgrenzen für eine Anmeldung überschritten werden. Das Wettbewerbsrecht verbietet einen Zusammenschluss, wenn dadurch eine wirtschaftliche Vormachtstellung entsteht oder verstärkt wird, die den Wettbewerb in signifikanter Weise verzerrt.48 Die meisten Zusammenschlüsse von Kranken- und Pflegeversicherungsunternehmen fanden bisher auf nationaler und nicht auf europäischer Ebene statt, so dass die NMa die zuständige Behörde war. Da der Versicherungsmarkt ein nationaler Markt ist, auf dem eine relativ große Anzahl von Akteuren tätig wird, hat die NMa bisher keine Einwände gegen geplante Zusammenschlüsse von Kranken- und Pflegeversicherungsunternehmen geltend gemacht.49 Durch diese Zusammenschlüsse entsteht keine neue Vormachtstellung eines Unternehmens auf dem Versicherungsmarkt. In Zukunft könnte sich jedoch die Situation aufgrund der Besonderheiten des Einkaufsmarkts für Gesundheitsleistungen komplizierter gestalten. Es handelt sich dabei um regionale Märkte. Auf regionaler Ebene halten zahlreiche %ekenfondsen eine Vormachtstellung. Der Zusammenschluss von Kranken- und Pflegeversicherungsunternehmen fuhrt dann, falls sich ihre Aktivitäten beim Einkauf von Gesundheitsleistungen in einer Region oder mehreren Regionen überschneiden, sehr bald zum weiteren Ausbau der Vormachtstellungen auf den Einkaufsmärkten für Gesundheitsleistungen. Die NMa ist nun berechtigt, wettbewerbsrechtliche Einwände gegen diese Zusammenschlüsse geltend zu machen.50 Die Situation kann sich allerdings noch komplizierter gestalten, wenn niederländische Versicherer, beispielsweise bei Einführung eines neuen Gesundheitssystems mit Marktanreizen, in Zukunft mehr Konkurrenz von ausländischen Versicherern erhalten. Dieser Konkurrenz kann nur mit Fusionen oder anderen Formen des Zusammenschlusses begegnet werden.
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Aufgaben von allgemein-wirtschaftlichem Interesse Es wurde bereits beschrieben, dass wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen, die im Widerspruch zum Kartellverbot und zum Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer wirtschaftlichen Vormachtstellung oder zu den Regeln der Fusionskontrolle stehen, dennoch gerechtfertigt werden können, wenn eine Berufung auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung erfolgt, die mit einer Aufgabe im allgemeinwirtschaftlichen Interesse begründet wird. Eine solche Ausnahme besitzt größere Folgen als die Freistellungsmöglichkeit, da sich diese lediglich auf das Kartellverbot bezieht. Der Begriff der Aufgabe im allgemein-wirtschaftlichen Interesse kann im Rahmen des EG-Rechts neben der Aufrechterhaltung aller wettbewerbsrechtlichen Verbote sogar zur Begründung von Freizügigkeitseinschränkungen herangezogen werden. Die Ausnahme, die sich auf eine allgemein-wirtschaftliche Aufgabe beruft, wird in Art. 86 Abs. 2 EGV und in Art. 11, 25 und 41 Abs. 3 Mededingingsmt festgeschrieben. Wenn der Staat ein Unternehmen mit dieser Aufgabe betraut, kann es sich auf die vorgenannte Bestimmung berufen. Grundsätzlich erfolgt der Auftrag in Form einer Rechtsvorschrift oder eines Entscheids einer staatlichen Behörde. In manchen Fällen ist ein Konvolut von Rechtsvorschriften, politischen Planungen und anderen Dokumenten ausschlaggebend dafür, dass das betreffende Unternehmen eine Aufgabe im allgemein-wirtschaftlichen Interesse erfüllt.51 Wenn ein Mitgliedstaat bestimmte Aufgaben als Aufgaben von allgemein-wirtschaftlichem Interesse qualifiziert, wird der Gerichtshof diese Einschätzung im Prinzip übernehmen. Im Gesundheitswesen wird die Erbringung von Erste-Hilfe-Dienstleistungen als Aufgabe von allgemeinwirtschaftlichem Interesse angesehen.52 In der Rechtssache AOK ging der Generalstaatsanwalt davon aus, dass deutsche Krankenkassen eine Aufgabe von allgemeinwirtschaftlichem Interesse ausüben. Um sich zur Rechtfertigung einer Einschränkung des Wettbewerbs oder der Freizügigkeit auf Art. 86 Abs. 2 EGV und Art. 11, 25 und 41 Abs. 3 Mededingingsmt berufen zu können, muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen werden. Dies geschieht, wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass die jeweilige Aufgabe nur bei gleichzeitiger Einschränkung des Wettbewerbs oder der Freizügigkeit auf ökonomisch vertretbare Weise erfüllt werden kann.53 Es ist bemerkenswert, dass der NMa die Anerkennung der Tatsache, dass ¡¡vekenfondsen in den Niederlanden eine Aufgabe von allgemein-wirtschaftlichem Interesse erfüllen, schwer fällt. Bislang hat sich die NMa noch nicht dazu geäußert, ob den %ekenfondsen diese Qualifikation zukommt.54 In den vergangenen Jahren hat im EG-Recht das Interesse für Aufgaben von allgemein-wirtschaftlichem Interesse zugenommen. Hier sei auf Art. 16 EGV hinzuweisen, der der ursprünglichen Fassung des EG-Vertrags als Konsequenz aus dem Vertrag von Amsterdam hinzugefügt wurde. Nach dem Wortlaut dieses Artikels wird
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der EG und ihren Mitgliedstaaten der Auftrag erteilt, dafür Sorge zu tragen, dass Diensdeistungen allgemein-wirtschaftlichen Interesses entsprechend dem Bedarf erbracht werden. Darüber hinaus hat die Kommission vor kurzem ein Grünbuch über Diensdeistungen allgemeinen Interesses55 veröffentlicht, in dem sie, da diese Diensdeistungen eine Schlüsselrolle in der politischen Diskussion über die Rolle des Staates innerhalb der Marktwirtschaft einnehmen, den Mitgliedstaaten die Frage56 nach der Notwendigkeit der Harmonisierung (mittels einer Rahmenrichtlinie) in diesem Bereich57 stellt. Die Kommission hat ihre Politik zur Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EGV im Jahr 2000 in einer offiziellen Mitteilung bekannt gegeben.58 Auch in den Texten des Konvents über die Zukunft Europas werden in Art. III-3 des Verfassungsentwurfs (Band II)59 wie auch im heutigen Art. 16 EGV die Europäische Union und die Mitgliedstaaten beauftragt, dafür Sorge zu tragen, dass Diensdeistungen von allgemeinwirtschaftlichem Interesse ordnungsgemäß erbracht werden. Es wird sogar am Ende des Artikels vorgeschlagen, Grundsätze und Bedingungen für die reibungslose Erfüllung dieser Aufgabe in einem europäischen Gesetz festzuschreiben.60
Modernisierung des EG-Wettbewerbsrechts und das Gesundheitswesen Wie bereits ausgeführt, kann die d-g NMa eine Freistellung vom niederländischen Kartellverbot und die Kommission eine Befreiung vom europäischen Kartellverbot erteilen. Die Kommission und die d-g NMa besitzen somit das so genannte Freistellungsmonopol. Die Erteilung der Freistellung unterliegt der ausschließlichen Zuständigkeit dieser Kartellbehörden. Sie unterliegen der Kontrolle europäischer Gerichte bzw. nationaler Verwaltungsgerichte. Künftig wird es im Zusammenhang mit den Freistellungsmöglichkeiten von Art. 81 Abs. 3 EGV wichtige Änderungen geben. Aufgrund von Art. 1 der neuen Verordnung 1/2003,61 mit der die dezentrale Anwendung der Wettbewerbsregeln angestrebt wird, wird das Freistellungsmonopol der Kommission aufgehoben. Die vorgenannte Verordnung tritt am 1. Mai 2004 in Kraft: Art. 81 Abs. 3 EGV wird in eine gesetzliche Ausnahme umgewandelt, die unmittelbare Rechtskraft besitzt, so dass auch die nationalen Behörden (Wettbewerbsbehörden und Instanzen der Rechtsprechung) die Befugnis zur Beurteilung der Frage erhalten, ob ein Kartell die europäischen Freistellungskriterien erfüllt. Unternehmen können von diesem Zeitpunkt an das europäische Kartellverbot verletzende Absprachen nicht mehr der Kommission zur Entscheidung über eine eventuelle Befreiung vorlegen, sondern müssen selbstständig beurteilen, ob sich die jeweilige Absprache in Übereinstimmung mit Art. 81 Abs. 3 EGV befindet.
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Im Rahmen eines von der NMa bei der Umsetzung des EG-Wettbewerbsrechts eingeleiteten Zivilgerichts- oder Verwaltungsverfahrens müssen die betroffenen Unternehmen den Nachweis erbringen, dass ihr Kartell aufgrund der unmittelbar anwendbaren Freistellungskriterien aus Art. 81 Abs. 3 EGV zulässig ist. Es ist anzunehmen, dass angesichts der Konvergenz zwischen dem europäischen und dem nationalen Wettbewerbsrecht, die von der niederländischen Regierung angestrebt wird, Art. 17 Mededingingswet entsprechend geändert wird, so dass die d-g NMa ihr Freistellungsmonopol verliert. Es verwundert daher nicht, dass der niederländische Sozialökonomische Rat (SER) in seinem Gutachten zur Evaluierung des Mededingingswet vorschlägt, Art. 17 in eine gesetzliche Ausnahme umzuwandeln.62 Dieser Vorschlag wird, gemäß dem so genannten Kabinettsstandpunkt vom 23. Oktober 2003, der anlässlich der Evaluation des Mededingingswet geäußert wurde, von der Regierung übernommen. Aufgrund eines Gesetzentwurfes, der in der ersten Jahreshälfte 2004 anhängig war und der den Erlass 1/2003 implementieren sollte, würde Art. 17 wegfallen und Art. 6 müsste um einem dritten Absatz ergänzt werden.64 Dieser dritte Absatz, der die auf Art. 81 Abs. 3 EGV zurückgehenden Freistellungskriterien beinhaltet, würde den Charakter einer gesetzlichen Ausnahme zum niederländischen Kartellverbot tragen. Von Bedeutung ist auch Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 1 /2003. Danach wenden die nationalstaatlichen Behörden im Falle wettbewerbsbeschränkender Aktivitäten mit Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel auf jeden Fall das EGWettbewerbsrecht an. Zusätzlich darf auch das nationale Wettbewerbsrecht angewandt werden. Folgt man der Rechtsprechung des EuGH, werden Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel erwartet: Eine potenzielle Beeinflussung ist ausreichend.65 Diese liegt beispielsweise bei einem Kartell vor, das das gesamte Staatsgebiet umfasst und die Bildung von Schwellenwerten auf nationaler Ebene zur Folge hat, die sich im Widerspruch zu den Zielsetzungen der europäischen Integration befinden.66 Auch bei den Grenzregionen kann relativ schnell auf eine Beeinflussung des zwischenstaatlichen Handels geschlossen werden. Seit 1. Mai 2004 erfahren die nationalen Gerichte wie auch die NMa in ihrer Wahlfreiheit bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf wettbewerbsverzerrende Aktivitäten mit zwischenstaatlichen Auswirkungen beachtliche Einschränkungen: Art. 81 und 82 EGV sind auf jeden Fall anzuwenden. Dies hat in der Praxis weit reichende Folgen für bestimmte, typisch niederländische wettbewerbsrechtliche Regelungen. Beim Thema Gesundheitssystem war beispielsweise die Diskussion um Art. 16 Mededingingswet von Interesse. Aufgrund dieser Bestimmung war die d-g NMa nicht befugt, gegen Absprachen vorzugehen, die gegen Art. 6 Abs. 1 Mededingingswet verstießen, wenn diese Absprachen der Aufsicht anderer Verwaltungsorgane unterlagen. Tarifabsprachen, die vom College Tarieven Ge^ondheids^org (Kollegium zur Regulierung der Tarife im Gesundheitswesen) genehmigt worden waren, und vom College van
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Zorgver^ekeringen (Kollegium zur Regulierung der Politik der Krankenversicherer) genehmigte Standardverträge zwischen Versicherern und Leistungserbringern (die so genannten Uitkomsten van 0verleg) entgingen so der Wirkung von Art. 6 Abs. 1 Mededingingswet. Zum 1. Januar 2003 fiel Art. 16 Mededingingswet weg.67 Dies entfachte eine Debatte über die Notwendigkeit der Wiedereinführung von Art. 16 Mededingingswet. Mit dem 1. Mai 2004 nahm die Diskussion eindeutig einen theoretischen Charakter an. Seit diesem Tag unterliegen zahlreiche Fälle von Kartellbildung Art. 81 EGV. Da diese Vertragsklausel Priorität vor nationalstaatlichen Bestimmungen wie beispielsweise Art. 16 Mededingingswet genießt, kann eine derartige nationalstaatliche Bestimmung keine Ausnahme vom europäischen Kartellverbot darstellen. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 1 /2003 bestimmt ferner, dass die nationalen Regelungen zum Kartellverbot weder flexibler noch strenger als Art. 81 EGV sein dürfen. Unter Umgehung des gegebenenfalls reaktivierten Art. 16 Mededingingswet werden die NMa und nationale Gerichte auf Kartelle mit Einfluss auf den zwischenstaatlichen Handel höchstwahrscheinlich die Bestimmungen von Art. 81 EGV anwenden, auch wenn diese Kartelle bereits Gegenstand eines Aufsichtsverfahrens einer anderen Verwaltungsbehörde gewesen sind. Die Wiederbelebung von Art. 16 Mededingingswet hätte nur für „kleine Kartelle" Folgen, d.h. Absprachen ohne Einfluss auf den zwischenstaatlichen Handel. Inzwischen hat das Kabinett in seinem Standpunkt zur Evaluierung des Mededingingswet die Absicht geäußert, die Rechtskraft von Art. 16 Mededingingswet nicht verlängern zu wollen.69 Die d-g NMa ist gemäß Art. 88 Mededingingswet schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt befugt, Art. 81 Abs. 1 EGV70 anzuwenden. Formal betrachtet hätte sie Art. 16 Mededingingswet in der Frage nach Kartellen mit Einfluss auf den zwischenstaatlichen Handel bereits im Zeitraum von 1998 bis 2003 ignorieren können. In der Praxis ist dies jedoch nicht geschehen. Anzumerken ist, dass gegenwärtig ein Gesetzentwurf behandelt wird, in dem die vorgenannten Standardverträge (die Uitkomsten van Overleg} und andere Musterverträge abgeschafft werden sollen.71 In naher Zukunft werden die möglichen wettbewerbsrechtlichen Kritikpunkte, die Folge der genehmigten Standardverträge waren, der Vergangenheit angehören. Die Verordnung 1/2003 über das europäische Kartellverfahrensrecht lässt den allgemeinen Schluss zu, dass es ab 1. Mai 2004 für die Mitgliedstaaten schwieriger sein wird, spezielle Regelungen für den Gesundheitsbereich, beispielsweise Ausnahmen für wettbewerbsbeschränkende Handlungen im Gesundheitswesen, in nationale Wettbewerbsvorschriften einfließen zu lassen. Solche Regelungen haben keine Auswirkung auf wettbewerbsbeschränkende Aktivitäten, die den zwischenstaatlichen Handel beeinflussen. Gleiches gilt für die Aufsichtsmöglichkeiten, über die der Wirtschaftsminister momentan aufgrund von Art. 4 Mededingingswet verfügt. Nach Abs. 1 ist der Minister berechtigt, dem d-g NMa allgemeine Anweisungen zu erteilen. Ge-
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mäß Abs. 2 können sich diese Anweisungen auf nicht-wirtschaftliche Belange beziehen. Laut Abs. 4 sind ebenfalls auf den Einzelfall beschränkte Anweisungen möglich. Im Falle der Zuerkennung des Status eines %elfstandig bestuursorgaan (selbständiges Verwaltungsorgan, eine selbständige Organisation, die mit der Ausführung öffentlicher Aufgaben unter staatlicher Kontrolle betraut ist) zugunsten der NMa erlischt jedoch die letztgenannte Befugnis.72 Die Tatsache, dass EG-Recht Vorrang vor einzelstaatlichem Recht genießt, bedeutet, dass der Wirtschaftsminister seine Anweisungsbefugnis nicht in einer Weise ausüben kann, die dem Nutzeffekt der Art. 81 und 82 EGV entgegensteht. Es können keine Anweisungen im Gesundheitsbereich erteilt werden, die im Widerspruch zu diesen Vertragsbestimmungen stehen. Zum Verhältnis von europäischem und einzelstaatlichem Wettbewerbsrecht ist noch Folgendes anzumerken: In Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 1/2003 wird festgelegt, dass die nationalstaatlichen Regeln für Kartelle nicht von Art. 81 EGV abweichen dürfen. Dieser Artikel bestimmt hinsichtlich einseitiger Aktivitäten (die unter die Bestimmungen von Art. 82 EGV fallen können), dass Mitgliedstaaten durchaus strengere Vorschriften erlassen dürfen. Damit wird die Gesetzgebung zu lauteren Geschäftspraktiken erlaubt, die in Mitgliedstaaten wie Deutschland und Belgien bereits existiert. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Bestimmung auch Raum für branchenspezifische Wettbewerbsregelungen im Gesundheitsbereich bietet, sofern diese Vorschriften nicht flexibler als das EG-Wettbewerbsrecht sind und sich auf einseitige Aktivitäten beziehen.
3.3. Staat und Wettbewerb Obwohl das EG-Wettbewerbsrecht in erster Linie auf Unternehmen ausgerichtet ist — die Bestimmungen zur Freizügigkeit beziehen sich grundsätzlich auf Behörden — umfasst es auch Regeln zum Vorgehen der Behörden. Da das Mededingingswet solche Regeln nicht enthält und in den Niederlanden noch immer kein allgemeines Gesetz zum Verhältnis zwischen Markt und Staat existiert, werden in diesem Abschnitt nur EG-rechtliche Regelungen behandelt. Es handelt sich dabei um zwei Arten von Regelungen. Die erste ist in Art. 86 Abs. 1 EGV festgelegt, die zweite, als „neue Norm" bezeichnet, in der Rechtsprechung.
Ausschließliche und besondere Rechte Art. 86 Abs. 1 EGV (vormals Art. 90 Abs. 1) verbietet es den Mitgliedstaaten in Bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, Maßnahmen zu treffen, die die Regeln des EG-Vertrages verletzen. Dieser Vertragsartikel verweist dabei insbesondere auf die Wettbewerbsregeln. Zur Beurteilung einer nationalstaatlichen Maßnahme nach Art. 86 Abs. 1 EGV muss diese Bestimmung immer im Kontext mit den europäischen Wettbewerbsregeln und anderen Bestim-
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mungen aus dem EG-Vertrag, beispielsweise den Vorschriften zur Freizügigkeit, betrachtet werden. Zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs beziehen sich auf die Anwendung von Art. 86 Abs. 1 EGV i.V.m. Art. 82 EGV. Da das Vorliegen einer Vormachtstellung nicht automatisch den Bestimmungen von Art. 82 EGV widerspricht, verletzt die Gewährung ausschließlicher oder besonderer Rechte auch nicht die Bestimmungen von Art. 86 Abs. 1 i.V.m. Art. 82 EGV. Ein Mitgliedstaat handelt nur dann im Widerspruch zu diesen Bestimmungen, wenn ein Unternehmen, dem solche Rechte gewährt wurden, seine Vormachtstellung allein schon durch die Wahrnehmung der ihm erteilten Befugnisse missbraucht, oder wenn diese Rechte eine Situation herbeiführen können, die das Unternehmen zum Anlass nimmt, einen solchen Missbrauch zu begehen.73 Wird hinsichtlich einer bestimmten staatlichen Maßnahme die Meinung vertreten, dass diese die Bestimmungen von Art. 86 Abs. 1 EGV in Verbindung mit anderen Vertragsbestimmungen verletzt, kann sie dennoch unter Berufung auf die Ausnahmebestimmung bei einer Aufgabe von allgemein-wirtschaftlichem Interesse Art. 86 Abs. 2 EGV zufolge begründet werden. Eine Berufung auf diese Ausnahme, die vorstehend im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln für Unternehmen bereits besprochen wurde, ist daher auch bei staatlichen Maßnahmen möglich. Ein Beispiel für die Anwendung der Bestimmungen von Art. 86 Abs. 1 EGV im Gesundheitsbereich findet sich im bereits zitierten Urteil Ambulanz Glöckner. Wird gemäß den nationalen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Ausübung von Tätigkeiten im Bereich Krankentransport eine beantragte Zulassung von der zuständigen Stelle versagt, da bei Auftreten eines neuen Krankentransport-Diensdeisters am Markt die Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Rettungsdienstes, dessen praktische Umsetzung Hilfsorganisationen übertragen wurde, beeinträchtigt würden, dann verfugen diese Hilfsorganisationen über ein besonderes oder ausschließliches Recht im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EGV. Da es den betreffenden Hilfsorganisationen gelungen war, ihre Vormachtstellung auf dem Markt für Notfalltransporte auf den Markt für nicht dringende Fälle Krankentransporte auszuweiten, lag ein Verstoß gegen Art. 82 i.V.m. Art. 86 Abs. 1 EGV vor. Der EuGH entschied, dass diese Beschränkung mit Art. 86 Abs. 2 EGV begründet werden könnte, falls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wurde; dies sollte von nationalen Gerichten genauer untersucht werden.74 Wenn ein Mitgliedstaat einer oder mehreren Organisationen exklusiv die Befugnis erteilt, Krankenversicherungen anzubieten, so verfügen diese Körperschaften, soweit sie als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts gelten können, über ein ausschließliches oder besonderes Recht. Die Ausgestaltung ihrer Befugnisse muss sich dann in Übereinstimmung mit Art. 86 Abs. 1 EGV befinden. Ein Problem kann in dem Moment auftreten, in dem sie sowohl auf dem ihnen gesetzlich vorbehaltenen Markt als auch auf einem mehr oder weniger freien Markt operieren. Inwieweit ver-
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anlasst oder zwingt der Gesetzgeber sie dazu, ihre Machtstellung auf diesen freien Markt auszuweiten? Wenn hingegen jede Versicherungsgesellschaft, die eine Reihe qualitativer Anforderungen erfüllt, die genannte Krankenversicherung anbieten darf, findet Art. 86 Abs. 1 EGV keine Anwendung.
Neue Norm Der Gerichtshof hat unter anderem im Urteil INNO gegen ATAB75 entschieden, dass Mitgliedstaaten keine Maßnahmen treffen dürfen, mit deren Hilfe sich Unternehmen den Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages entziehen können. Die effektive Funktion des EG-Wettbewerbsrechts darf von den Mitgliedstaaten nicht negativ beeinflusst werden. Diese Regel, die, obwohl sie bereits aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammt, als „neue Norm" bezeichnet wird, basierte ursprünglich auf den Art. 85 oder 86 Abs. 5 und 3 lit. f (alte Nummerierung) EGV. In seiner rezenten Rechtsprechung verweist der Gerichtshof ausschließlich auf Art. 10 EGV (Grundsatz der Gemeinschaftstreue) und Art. 81 bzw. Art. 82 EGV.76 Art. 81 Abs. 1 EGV (Kartellverbot) i.V.m. Art. 10 EGV wird verletzt, wenn ein Mitgliedstaat fordert, dass mit dem Wettbewerbsrecht im Widerspruch stehende Absprachen getroffen werden, wenn solche Absprachen gefördert oder begünstigt werden oder wenn der Mitgliedstaat seiner eigenen Regelung den staatlichen Charakter abspricht, indem er die Verantwortung für Interventionsmaßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet privaten Organisationen überträgt.77 Art. 82 EGV (Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer Vormachtstellung) i.V.m. Art. 10 EGV wird verletzt, wenn ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Vormachtstellung zubilligt, durch die das Unternehmen in die Lage versetzt wird, tatsächlichen Wettbewerb auf dem jeweiligen Markt dauerhaft zu unterdrücken, indem es diesem Unternehmen ermöglicht wird, gegenüber seinen Wettbewerbern, Abnehmern und letztlich Verbrauchern größtenteils unabhängig aufzutreten.78 Zum Nachweis einer Verletzung der neuen Norm reicht es nicht aus festzustellen, dass eine staatliche Maßnahme zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Erst wenn eine direkte und eindeutige Verbindung zwischen der jeweiligen staatlichen Maßnahme und unternehmerischem Verhalten hergestellt werden kann, ist die Möglichkeit einer solchen Verletzung gegeben.79 Ein Beispiel dafür ist die vom Staat abzugebende Erklärung über den allgemein verbindlichen Charakter einer Preisabsprache.80 Eine Absprache hinsichtlich der Preise verzerrt den Wettbewerb, während für den Fall, dass eine solche Absprache vom Staat für allgemeinverbindlich erklärt wird, eine unmittelbare Verbindung zwischen staatlichen und unternehmerischem Handeln hergestellt werden kann. Wird der Wettbewerb durch eine staatliche Maßnahme eingeschränkt, ohne dass eine solche Beziehung besteht, ist es natürlich durchaus
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möglich, auch wenn keine Beurteilung nach der neuen Norm erfolgt, dass diese staatliche Maßnahme die Regeln der Freizügigkeit verletzt. Kürzlich hat der Gerichtshof ein wichtiges Urteil gefallt, bei dem es um die Frage ging, inwiefern nationale Kartellbehörden (wie die NMa in den Niederlanden) die neue Norm anwenden dürfen. In der Rechtssache CIF81 entschied der Gerichtshof, dass nationale Kartellbehörden feststellen dürfen, dass sich ein nationales Gesetz im Widerspruch zu Art. 10 i.V.m. Art. 81 EGV befindet. Eine Behörde wie die NMa ist dann verpflichtet, dieses Gesetz nicht zu berücksichtigen. Wenn das strittige Gesetz die betreffenden Unternehmen dazu verpflichtet, bestimmte wettbewerbsbeschränkende Aktivitäten durchzuführen und ihnen dabei keinen Raum für eigenes, autonomes Vorgehen gibt, dann dürfen die nationalen Kartellbehörden gegen sie keine Sanktionen verhängen. Halten jedoch die betreffenden Unternehmen, nachdem eine nationale Kartellbehörde erklärt hat, dass das fragliche Gesetz die neue Norm verletzt, weiterhin die wettbewerbsbeschränkenden nationalen Rechtsvorschriften ein, kann eine nationale Kartellbehörde wie die NMa Sanktionen verhängen. Die Entscheidung einer Kartellbehörde, in deren Rahmen der Widerspruch zur neuen Norm festgestellt wird, bringt für Unternehmen künftig Verpflichtungen mit sich. Das neue Urteil erlegt Behörden wie der NMa weit reichende Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Beurteilung nationaler Rechtsvorschriften nach Maßgabe der neuen Norm auf. Es stellt sich daher, wie bereits bei der Modernisierung des EG-Wettbewerbsrechts, die Frage, inwieweit eine Bestimmung wie die von Art. 16 Mededingingswet bei bestimmten, von einem Verwaltungsorgan bestätigten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen Abhilfe schaffen kann, da die NMa aufgrund des CIF-Urteils dazu verpflichtet ist, wettbewerbsbeschränkende staatliche Maßnahmen zu negieren. Ein für das Gesundheitswesen grundsätzliches Urteil zur neuen Norm erging in der Rechtssache Pavlov. Der Gerichtshof hat anscheinend akzeptiert, dass der niederländische Staat eine Rentenregelung der Fachärzte mit Blick auf ihre gesellschaftliche Bedeutung für allgemeinverbindlich erklärt hat.82 Aus dieser Rechtssache lässt sich bei aller gebotenen Vorsicht schließen, dass ein Mitgliedstaat den Nutzeffekt der Wettbewerbsregeln außer Kraft setzen darf, falls dies zur Realisierung bestimmter, zulässiger öffentlicher Interessen erforderlich ist.83 Was das heutige niederländische Gesundheitssystem angeht, so wird diskutiert, inwieweit die neue Norm verletzt wird, wenn das College Tarieven Ge^ondbeids^org Tarife genehmigt, die von den landesweiten Organisationen der Berufsverbände frei niedergelassener Leistungserbringer mit den Versicherern vereinbart wurden.84 Zumindest scheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt zu sein, dass der Staat, wenn er Maßnahmen trifft, bei denen Preisabsprachen zwischen Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, das Risiko eingeht, die neue Norm zu verletzen.
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3.4. Staatliche Beihilfe und Gesundheitsversorgung Eine besondere Stellung innerhalb der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages nehmen die Art. 87 bis 89 ein.85 Gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV sind wettbewerbsverzerrende staatliche Beihilfen verboten, die den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen. Nach Art. 87 Abs. 3 kann die Kommission staatliche Beihilfen, die die Mitgliedstaaten bei ihr angemeldet haben, unter bestimmten Bedingungen genehmigen. Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV bestimmt, dass ein Mitgliedstaat eine Beihilfemaßnahme nicht durchfuhren darf, bevor sie von der Kommission genehmigt worden ist. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass diese Blockierungsregel unmittelbare Rechtswirksamkeit besitzt.86 Die Verfahrensverordnung in Beihilfefragen, Verordnung 659/1999,87 bestätigt die Regel in ihrem Art. 3. Die unmittelbare Rechtskraft der aufschiebenden Wirkung aus Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV hat zur Folge, dass sich ein Privatunternehmen bei den nationalen Gerichten darauf berufen kann, und dass die nationalen Gerichte daraufhin den Staat zur Rückforderung der zu Unrecht gewährten Beihilfe von den begünstigten Unternehmen verurteilen müssen. Natürlich kann die Kommission auch den betreffenden Mitgliedstaat auffordern, die unrechtmäßige Beihilfe zurückzufordern. Ein Mitgliedstaat kann sich in diesem Fall nicht darauf berufen, dass die Rückforderung sich sehr schwierig gestalten würde, wenn die Kommission eine bereits gewährte Beihilfe verworfen hat.88 Nur wenn eine Rückforderung der Beihilfe völlig unmöglich ist, etwa im Falle der Insolvenz eines Unternehmens, darf sie entfallen.89 Im Moment lassen sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur schwer Erkenntnisse gewinnen, zu welchem Zeitpunkt die Anmeldungspflicht entsteht: Wenn eine Beihilfemaßnahme vorliegt oder diese den Wettbewerb auf dem Gemeinschaftsmarkt verfälscht und den zwischenstaatlichen Handel beeinflusst. Das Gericht ist in einem kürzlich ergangenen Urteil davon ausgegangen, dass die Anmeldungspflicht bereits zu dem Zeitpunkt entsteht, zu dem eine Maßnahme als staatliche Beihilfe zu qualifizieren ist.90 Nach der so genannten De-mimmis-Regelung ist eine Beihilfe von 100.000 Euro zulässig, die dem Unternehmen über einen Zeitraum von drei Jahren zu gewähren ist.91 In Anbetracht der Verflechtung der Wirtschaften zahlreicher Mitgliedstaaten werden Beihilfemaßnahmen, die nicht unter die De-minimsRegelung fallen, relativ häufig den zwischenstaatlichen Handel und den Wettbewerb auf dem Gemeinschaftsmarkt beeinflussen.92 Diese Beihilfen sind in jedem Fall anzumelden. Da die Unterlassung der Anmeldung von Beihilfemaßnahmen weit reichende Folgen haben kann, ist die Definition des Begriffs „Beihilfemaßnahme" von großer Wichtigkeit. Der Gerichtshof interpretiert diesen Begriff großzügig. In der Rechtssache SFEI gegen La Poste wurde Folgendes erwogen:
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„Der Begriff der Beihilfe umfasst daher nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, und die somit zwar keine Subventionen im eigentlichen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen."93 Aus der weiten Definition des Beihilfebegriffes folgt automatisch, dass Subventionen als staatliche Beihilfe gelten. Auch sonstige Maßnahmen, wie beispielsweise Kredite zu günstigen Konditionen, können Beihilfen darstellen. Ob dies jeweils der Fall ist, ist anhand des Market Investor-Prinzips zu beurteilen. Hätte eine reguläre Marktpartei zu denselben Konditionen einen bestimmten Kredit gewährt oder eine bestimmte Investition getätigt? Die Antwort auf diese Frage wäre zu verneinen bei Krediten mit einem Zinssatz, der weit unter dem Marktzins liegt oder bei Investitionen in einem Unternehmen, an dem, beispielsweise wegen einer drohenden Insolvenz kein kommerzielles Unternehmen interessiert wäre. Globale Beihilfe, d.h. Beihilfe, die allen Unternehmen gewährt wird, fallt nicht unter die EG-Bestimmungen zur Beihilfe. Für die Anwendbarkeit von Art. 87 Abs. 1 EGV muss die Beihilfemaßnahme einen selektiven Charakter aufweisen.94 Eine wichtige Frage im Gesundheitswesen ist, inwieweit der vom Staat geleistete finanzielle Lastenausgleich für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen als Beihilfe zu gelten hat. Bis vor kurzem war die Rechtsprechung in dieser Frage nicht eindeutig. Es gab Hinweise, dass solche Ausgleichszahlungen als staatliche Beihilfen zu qualifizieren seien. Sie waren bei der Kommission anzumelden, die dann aufgrund von Art. 87 Abs. 3 EGV bzw. Art. 86 Abs. 2 EGV entscheiden konnte, ob die fragliche Maßnahme zu genehmigen ist.95 Diese Sichtweise könnte bedeuten, dass bestimmte finanzielle Vorteile, die der Staat gesetzlichen Krankenkassen gewährt hat, bei der Kommission anzumelden sind, sofern sie als staatliche Beihilfe anzusehen sind, bevor sie genutzt werden können. In der Rechtssache Ferring96, bei der es um den Vertrieb von Arzneimitteln ging, nahm der Gerichtshof einen anderen Standpunkt ein. In dieser Rechtssache entschied er, dass ein finanzieller Ausgleich für die Erfüllung einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung nicht als Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV gelten kann, sofern der Ausgleich nicht über das unbedingt Notwendige hinausgeht. Da es sich um eine insgesamt widersprüchliche Rechtsprechung handelte, war nicht klar, welcher Sichtweise der Gerichtshof damit folgen wollte. In der Sache Altmark (Transportbranche) erhielt der EuGH die Gelegenheit, eine grundsätzliche Entscheidung zu fällen. Das Urteil erging am 24. Juli 2003.97 Das Gericht folgte der allgemeinen Linie der Rechtsprechung wie im Fall Ferring. Dabei wurden die Bedingungen, unter denen die Mitgliedstaaten sich auf das Urteil berufen können, detailliert dargestellt.
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Ein finanzieller Ausgleich wird nicht als staatliche Beihilfe angesehen, wenn die folgenden vier Bedingungen erfüllt sind: Als erstes muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein. Diese Verpflichtungen sind eindeutig zu umschreiben. Als ^weites müssen die Parameter, auf deren Grundlage der Ausgleich berechnet wird, vorab auf objektive und transparente Weise festgestellt werden. Drittens darf die Höhe der Ausgleichszahlungen nicht den Betrag übersteigen, durch den die Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen komplett oder teilweise gedeckt werden können, wobei die Erträge und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. Viertens muss, wenn die Auswahl nicht in einer öffentlichen Ausschreibung erfolgte, der Ausgleichsbetrag anhand der Kosten, die ein Unternehmen gemacht hätte (unter Berücksichtigung der Erträge und eines redlichen Gewinns aus der Erfüllung der Verpflichtungen des Unternehmens) festgelegt werden. Mit dem Altmark-Urteil hat der Gerichtshof den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum eingeräumt, um mit Subventionen und vergleichbaren Instrumenten in speziellen Branchen wie dem Gesundheitswesen wirksam zu werden. Ohne diesen Spielraum hätten zahlreiche dieser Instrumente, die im Gesundheitswesen zur Anwendving gelangen, angemeldet werden müssen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Mitgliedstaaten bei der Gewährung von Ausgleichszahlungen die vier Bedingungen aus dem Urteil Altmark erfüllen müssen. Befolgen sie dies nicht, wird davon ausgegangen, dass es sich um staatliche Beihilfen handelt und die entsprechenden Konsequenzen zu tragen sind: Sowohl die Kommission als auch davon betroffene Personen können dann die Rückforderung der gewährten Vorteile verlangen. Der letztgenannte Personenkreis kann zu diesem Zweck wegen der unmittelbaren Rechtswirkung der aufschiebenden Wirkung von Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV die nationalen Gerichte anrufen.
3.5. Schlussfolgerungen Da das EG-Wettbewerbsrecht von einer großzügigen Definition des Begriffs Unternehmen ausgeht, ist es auf viele Akteure im Gesundheitswesen anwendbar. Grundsätzlich fallen fast alle Leistungserbringer unter das Wettbewerbsrecht. Es lassen sich hinreichend Argumente für die Schlussfolgerung finden, dass Organisationen, die Krankenversicherungen anbieten, gleichfalls als Unternehmen zu betrachten sind, wenn der nationale Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Aufgaben neben Elementen der Solidarität Elemente der Marktfunktion ins Spiel gebracht hat. Inwieweit es sich beispielsweise bei einem niederländischen \iekenfonds um ein Unternehmen handelt, entscheidet letztlich der Gerichtshof. Angesichts der in Abschnitt 3.1. besprochenen Rechtsprechung und Entscheidungspraxis ist es jedoch gerechtfertigt, von der Hypothese auszugehen, dass Krankenversicherungen, die ihren Tätigkeiten innerhalb eines
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gesetzlichen Rahmens nachgehen, in den in substantieller Weise Marktmechanismen einbezogen werden, Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts sind. In Gesundheitssystemen, in denen private Versicherungen eine wichtige Rolle spielen, muss daher das Wettbewerbsrecht berücksichtigt werden. Aufgrund des Wettbewerbsrechts sind bestimmte Arten der Selbstregulierung problematisch. Dies gilt natürlich für den Fall, dass sich die Selbstregulierung auf Preise (etwa Absprachen, keine Verträge unterhalb eines bestimmten Preises abzuschließen, oder Absprachen über die Höhe der Versicherungsbeiträge) und den Zugang zum Markt (beispielsweise Absprachen über Niederlassung und geographische Verbreitung) bezieht. Die NMa hat in ihrer Entscheidung zum so genannten Solidaritätsprotokoll sogar Absprachen hinsichtlich der Risikosolidarität verboten. Bei der Zuordnung von Versicherern und Leistungserbringern im Gesundheitswesen stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit der Regeln auf den Staat, den Wettbewerb sowie auf staatliche Beihilfen. Dies bedeutet, dass der Staat aufgrund der neuen Norm keine wettbewerbsbeschränkenden Absprachen (etwa hinsichtlich des Preises) von Leistungserbringern und Versicherern für allgemeinverbindlich erklären kann und diesen keine staatlichen Beihilfen (die von der Kommission nicht genehmigt worden sind) gewähren darf. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs und in der Entscheidungspraxis der NMa sind jedoch Hinweise darauf zu finden, dass bestimmte Absprachen oder ein bestimmtes staatliches Vorgehen mit Folgen für den Wettbewerb unter bestimmten Umständen aus Gründen des öffentlichen Interesses erlaubt sind. Hinzuweisen ist auf die Rechtssache Wouters, in der der Gerichtshof Absprachen in Bezug auf Standespflichten (sofern diese nicht das Maß des Notwendigen überschritten) zuließ und die Politik der NMa bezüglich objektiver und transparenter Absprachen zur Qualität in der Gesundheitsversorgung für mit dem Kartellverbot vereinbar erklärte. Ebenfalls wichtig sind die Entwicklungen im Zusammenhang mit Aufgaben von allgemein-wirtschaftlichem Interesse (Art. 16 EGV, Grünbuch zu diesen Aufgaben, Urteil Ambulanz Glöckner). Das kürzlich ergangene Urteil in der Rechtssache Altmark, bei dem bestimmte, im Rahmen des Finanzausgleiches erfolgte Zahlungen des Staates an Unternehmen, die gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen erfüllen, nicht als staatliche Beihilfe betrachtet werden, zeigt, dass der Gerichtshof auch bei seiner Beurteilung der Sachlage nach Art. 87-89 EGV ebenfalls die Verantwortung berücksichtigt, die bestimmten Unternehmen im Allgemeininteresse übertragen wurde. Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass im Wettbewerbsrecht (unter anderem in den Regelungen zu staatlichen Beihilfen) Raum für die Einbindung privater Initiativen im Interesse der Allgemeinheit geschaffen wurde. Für das Gesundheitswesen, in dem Privatunternehmen als Versicherer eine essentielle Rolle spielen, ist dies eine wichtige Schlussfolgerung.
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Anmerkungen: 1. Verbundene Rechtssachen C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, AOK, 16. März 2004, n.n.v. 2. Vgl. beispielsweise die Begründung zum Entwurf des niederländischen Wettbewerbsgesetzes (Mededingngswet), Kamerstukken II 1995/96, Nr. 3, S. 10. 3. Verordnung Nr. 1/2003 des Rates zur Durchfuhrung der in Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, Abi. EG 2003, L 1/1. 4. Die Leitlinien für den Gesundheitssektor, die im Staatscourant 2002, 206, S. 18, kurz erwähnt werden, sind auf der Website der NMa (www.nmanet.nl) einzusehen. Die NMa widmet eine Rubrik der Website dem Gesundheitssektor und stellt dort neben den Leitlinien andere Dokumente (z.B. Konsultationsdokumente) und Entscheide der NMa bereit, die den Gesundheitssektor betreffen. Eine Besprechung der Leitlinien vgl. unter: J.W. van de Gronden, Richtsnoeren voor de zorgsector: codificatie van de NMa-beleidspraktijk, in: M&M 2003, S. 36-53. Das Konsultationsdokument der NMa, das eine Konzeptversion dieser Leitlinien enthielt, wird unter in R. Mahler, Een hele zorg minder: het NMa-consultatiedocument Richtsnoeren voor de zorg, in: Actualiteiten Mededingingsrecht 2002, S. 65-68, besprochen. 5. Rechtssache C-41/90 (Höfner), Zaak 1991, S. 1-1979. 6. Verbundene Rechtssachen C-180/98-C-184/98 (Pavlov), Slg. 2000, S. 1-6451. 7. Entscheidung der Kommission vom 14. Dezember 1989 in der Rechtssache IV/32.202 - APB, Abi. EG 1989, L 18/35. 8. Vgl. beispielsweise die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 165, Sophia Ziekenhuis - Ziekenhuis/Verpleeghuis De Weezenlanden, vom 5. Juni 1998, die Entscheidung der d-g NMa in den Rechtssachen 590, 1570 u. 1972, Amicon Zorgverzekeraar - frei niedergelassener Physiotherapeut (Freistellung) und Sanders — Amicon Zorgverzekeraar (Beschwerde) vom 15. Dezember 2000, die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 537, LHV, vom 11. April 2001, die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 346, Intrakoop Coöperatieve Inkoopvereniging voor gezondheids- en seniorenzorg vom 18. August 2000 und die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 912, CZ-Apotheker, vom 6. Juli 2001. 9. Vgl. in diesem Zusammenhang V.G. Hatzopoulos, Killing national Health and Insurance systems but healing patients? The European market for health care services after the Judgments of the ECJ, in: Vanbraekel and Peerbooms, Common Market Law Review 2002, S. 71 Off., E. Mossialos/M. McKee/W. Palm/B. Karl u. F. Marhold, The influence of EU law on the social character of health care systems in the European Union, Report submitted to the Belgian Presidency of the European Union, Brüssel, 19. November 2001, S. 98ff., S. Sahmer, Krankenversicherung in Europa: Die wettbewerbsrechtliche Stellung der Kranken- und Pflegeversicherungsträger in Bereich der freiwilligen Versicherung, in: 8. Bonner EuropaSymposium. Die Krankenversicherung in der Europäischen Union, Bonn 1997, S. 53ff., und E. Steyger, Europese zaken in de zorg: een sociaal stelsel met tochtgaten?, in: J.H. Hubben/L.A.M. van Zenderen (Hrsg.), Het Stelsel voorbij? Sturingsperikelen in de gezondheidszorg, en jurisprudentie-overzicht, Den Haag 2002, S. 64-67. 10. Vgl. die verbundenen Rechtssachen C-159/91 und C-160/91 (Poucet und Pistre), Slg. 1993, S. 1-637 und Rechtssache C-218/00 (Cisal), Slg. 2002, S. 1-691. 11. Rechtssache T-319/99 (FENIN), 4. März 2003, nicht gesondert ausgeführt. 12. Eine Besprechung dieser Rechtssache vgl. unter: S.B. Noe, Rechtssache T-319/99, FENIN: het ondernemingsbegrip nader uitgewerkt, NTER 2003, S. 147-149, und den Kommentar von J.W. van de Gronden und K.J.M. Mortelmans zu dieser Rechtssache, in: AA 2003, S. 464ff. 13. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in Rechtssache 181, Zorgkantoren, vom 10. März 2000. 14. Rechtssache C-244/94 (FFSA), Slg. 1995, S. 1-4015.
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15. Es handelt sich hier um die Rechtsprechung in der Rechtssache C-67/96 (Albany), den verbundenen Rechtssachen C-115/97, C-116/97 u. C-117/97 (Brentjens) und der Rechtssache C219/97 (Drijvende Bokken), Slg. 1999, S. 1-5751 ff. 16. Vgl. insbesondere die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 1165 (ANOZ - ANOVA/ZAO) vom 29. Dezember 1998 und die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 882/44 (Amicon) (Freistellungsantrag) und Rechtssache 407/49 (Texincare u. Tevic gegen Amicon), Beschwerde vom 18. Juni 1999. In anderen Entscheiden, in denen die Einstufung von ziekenfondsen eine Rolle spielt, verweist die NMa hinsichtlich der Argumentation, dass ein ziekenfonds ein Unternehmen ist, auf diese Entscheide. 17. Verbundene Rechtssachen C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, AOK, 16. März 2004, n.n.v. 18. Vgl. die Schlussanträge vom 22. Mai 2003 des Generalanwalts Jacobs in den verbundenen Rechtssachen C-264/01, C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 (AOK Bundesverband et al.), nicht gesondert ausgeführt. 19. Hierbei wird das Problem der Versicherten mit erhöhter Gesundheitsgefahrdung mittels eines Ausgleichssystems gelöst. 20. Vgl. Graig/G. de Bürca, a.a.O., S. 936f. und D.G. Goyder, EC Competition Law, 4. Aufl., Oxford, 2003, S. 9. 21. Für eine Beschreibung dieser deutschen Wettbewerbspraxis vgl. A. Winterstein, Nailing the Jellyfish; Social Security and Competition Law, European Competition Law Review 1999, S. 332-333, sowie B. Karl, Competition Law and Health Care Systems, in: M. McKee/E. Mossialos u. R. Baeten, The impact of EU Law on Health Care Systems, Brüssel 2002, S. 169—171. 22. Vgl. das Urteil in der Rechtssache Bettercare des britischen Competition Commission Appeal Tribunal vom 1. August 2002. Das Urteil ist über folgende Internetadresse abrufbar: http://www.catribunal.org.uk/documents/JdgBCG010802.pdf. 23. Diesen Standpunkt nahm die d-g NMa im vorstehend zitierten Entscheid in Sachen Zorgkantoren ein. Vgl. insbesondere Punkt 65 der Begründung zu diesem Entscheid. 24. Der d-g NMa entschied in Sachen ^orgkantoren, dass diese Durchfuhrungsorganisation beim Einkauf von Gesundheitsleistungen von frei niedergelassenen Psychiatern als Unternehmen anzusehen ist. Hinsichtlich des Einkaufs von Gesundheitsdienstleistungen hatte der Gesetzgeber den ^orgkantoren einigen Spielraum gelassen. Diese Argumentation folgt nicht der Urteilspraxis des Gerichts erster Instanz (NMa-Entscheidung ging der Entscheidung des Gerichtshofs voraus) in der Sache FENIN. Vgl. hierzu auch den Kommentar von J.W. van de Gronden/K.J.M. Mortelmans zum FENIN-Urteil in AA 2003, S. 471 f. 25. Diese Berufungssache trägt das Geschäftszeichen C-205/03 P. 26. Verordnung 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Abi. EG 1989, L 395/1. 27. Eine Beschreibung der Entscheidungspraxis der NMa im Gesundheitssektor vgl. u.a. in: P.B. Gaasbeek, Mededingingswet en de zorgsector, in: J.W. van de Gronden/KJ.M. Mortelmans (Hrsg.), Mededinging en niet-economische belangen, Deventer 2001, S. 59ff., S.M. Evers/I.J. van den Berge, Mededingingsrechtelijke ontwikkelingen in de gezondheidszorg, in: TvG 2001, S. 368ff., J.K. de Pree/D.J.M. de Grave, De NMa en marktwerking in de zorg: een impressie, Actualiteiten Mededingingsrecht 2001, S. 33ff., A.W. Kist/H. Akyürek-Kievits, De rol van de NMa in de gezondheidszorg, ESB Dossier Zorgvuldig vernieuwen, 14. Juni 2001, S. D 30f. sowie J.W. van de Gronden, Mededingingsrecht en gezondheidszorg, in: M&M 2001, S. 267ff. 28. Es wurde vereinbart, keine Verträge unterhalb des Höchsttarifs gemäß dem Wet tarieven gezondheidszorg (Gesetz über Tarife im Gesundheitswesen) abzuschließen.
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29. Die Politik hinsichtlich Niederlassungen und geographischer Verbreitung wurde häufig landesweit von der Berufsgruppe entwickelt und danach regional umgesetzt. Aufgrund dieses Ansatzes wurde anhand quantitativer Normen im Zusammenhang mit der Einwohner- oder Patientenzahl in einem bestimmten Gebiet entschieden, ob sich ein Leistungsanbieter dort niederlassen durfte. Auf regionaler Ebene wurde zumeist ein Ausschuss gegründet, der mit Vertretern der Berufsgruppe und eines Krankenversicherers besetzt war. Innerhalb dieses privaten Gremiums, das meistens als „Konsultationsausschuss" bezeichnet wurde, wurden freiwerdende Stellen neu beigetretenen Leistungsanbietern zugewiesen. Waren keine freien Stellen vorhanden, lehnte der siekenfonds auf Betreiben des Konsultationsausschusses, den Antrag eines neuen Leistungsanbieters auf Abschluss eines Kooperationsvertrages ab. In den individuellen Kooperationsverträgen, die die frei niedergelassenen Leistungsanbieter mit einem ¡jekenfonds abschlössen, wurde die private Politik hinsichtlich Niederlassung und geographischer Verteilung für anwendbar erklärt. 30. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 407/882, Amicon, vom 18. Juni 1999, den Beschwerdeentscheid in derselben Rechtssache vom 13. Dezember 2000, die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 767/141, Zorg en Zekerheid - Theo de Graaf Brillen vom 19. April 2000, die Entscheidung der d-g NMa in den Rechtssachen 590 und 1972, Amicon Zorgverzekeraar - frei niedergelassener Physiotherapeut (Freistellung), und in der Rechtssache 1570, Sanders - Amicon Zorgverzekeraar (Beschwerde), vom 15. Dezember 2000, die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 537, Landelijke Huisartsen Vereniging, vom 11. April 2001, und den Beschwerdeentscheid in Sachen LHV (Rechtssache 2513) vom 21. Dezember 2001 sowie die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 912, CZ-Apotheker, vom 6. Juli 2001. Vgl. auch Rdn. 102-105 der Leitlinien für den Gesundheitssektor der NMa. 31. Vgl. W. van Gerven/L. Gyselen/M. Maresceau u. J. Stuyck, Kartelrecht II Europese Gemeenschap, Deventer 1997, S. 429ff., und P.J. Slot/Ch.R.A. Swaak u. S.A.C.M. Lavrijssen, Inleiding mededingingsrecht, 2. Aufl., Den Haag 2002, S. 98. 32. Dies zeigte sich beispielsweise in dem von Van der Akker (CDA) und Voüte-Droste ( W D ) vorgelegten Antrag, in dem die Regierung aufgefordert wurde zu untersuchen, ob eine Anwendung des Mededingingsmt auf die hausärztliche Versorgung wünschenswert ist, und der NMa, falls nötig, eine Anweisung zu erteilen, das Mededingingswet bis auf Weiteres nicht auf den Bereich der Hausärzte anzuwenden. Vgl. Kamerstukken II 2001/02, 27 639, Nr. 52. 33. Vgl. Punkt 81 zur Begründung des Entscheids in Sachen Amicon Zorgverzekeraar - frei niedergelassener Physiotherapeut, Punkt 88 zur Begründung des Entscheids in Sachen Landelijke Huisartsen Vereniging und Punkte 101-104 zur Begründung des Entscheids in Sachen CZApotheker. Vgl. auch Punkte 114 u. 115 zur Begründung der Leitlinien für den Gesundheitssektor der NMa. 34. Rechtssache C-309/99 (Wouters), Slg. 2002, S. 1-1577. 35. Vgl. Punkt 97 zur Begründung des Urteils Wouters. 36. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 407/882, Amicon, vom 18. Juni 1999 und die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 1915, Zilveren Kruis - Geneesmiddelenformularium Kennemerland vom 23. August 2001. 37. Vgl. Punkt 115-138 zur Begründung der Leitlinien der Kommission zur Anwendbarkeit von Art. 81 EGV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, Abi. EG 2001, C 3/2. 38. Vgl. Punkte 62 u. 63 zur Begründung des Entscheids der d-g NMa in der Rechtssache 169/28, HIC, vom 3. Dezember 1999. 39. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 224, Inkooporganisatie Multizorg, vom 25. Oktober 1999.
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40. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in den Rechtssachen 652 u. 145, Einkaufskooperationsvertrag der ziekenfondsen VGZ, OZ und CZ, vom 13. Oktober 2000. Vgl. 152-163 der Leitlinien der NMa für den Gesundheitssektor. 41. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 2605, Solidaritätsprotokoll, vom 16. Dezember 2002. 42. Für weitere Ausfuhrungen zu diesem Standpunkt der NMa vgl. den Kommentar von J.W. van de Gronden zum Entscheid in der Rechtssache über das Solidaritätsprotokoll, RZA 2003, Nr. 67, S. 246-249. 43. Vgl. Rechtssache 45/85 (Verband Sachversicherer), Slg. 1987, S. 405. 44. Vgl. Rechtssache C-62/86 (Akzo), Slg. 1991, S. 1-3359. 45. Vgl. Punkt 225 zur Begründung der Leitlinien für den Gesundheitssektor. 46. Vgl. vorige Anmerkung. 47. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 2554, Molenpad, vom 3. September 2002. 48. Vgl. Art. 2, Abs. 2 u. 3 Fusionskontrollverordnung und Art. 37 u. Art. 41 Abs. 2 Mededingingswet. 49. Vgl. die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 1165, ANOZ Verzekeringen - ANOVA/ZAO, vom 29. Dezember 1998. 50. Vgl. J.W. van de Gronden, Mededingingsrecht en gezondheidszorg, in: M&M 2001, S. 274f. 51. Vgl. Rechtssache C-293/92 (Almelo), Slg. 1994, S. 1-1501, und Rechtssache C-203/96 (Dusseldorp), Slg. 1998, S. 1-4075. 52. Vgl. Rechtssache C-475/99 (Ambulanz Glöckner), Slg. 2001, S. 1-8089. 53. Vgl. Rechtssache 320/90 (Corbeau), Slg. 1993, S. 1-2533. 54. Vgl. Punkt 43 zur Begründung der Leitlinien für den Gesundheitssektor. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Beschwerdeentscheid der d-g NMa in der Rechtssache 882, Amicon Zorgverzekeraar, 13. Dezember 2000. 55. Vgl. Grünbuch zu Diensdeistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg. In diesem Grünbuch wird ein subtiler Unterschied zwischen Diensdeistungen von allgemeinem Interesse und Diensdeistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gemacht. Für die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmungen aus Art. 86 Abs. 2 EGV ist dieser Unterschied unerheblich. 56. Den Standpunkt des Kabinetts zu diesem Grünbuch und die Fragen, die die Zweite Kammer diesbezüglich gestellt hat, vgl. in: Kamerstukken II 2003/04, 22 112, Nr. 283 bzw. Kamerstukken II 2003/04,22 112, Nr. 291. 57. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Bericht der Kommission an den Europäischen Rat von Laeken „Leistungen der Daseinsvorsorge", KOM (2001) 598, endg. 58. Vgl. Mitteilung der Kommission: „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa", KOM (2000) 580 endg. 59. Brüssel, 9. Juli 2001, CONV 848/03. 60. Ein „europäisches Gesetz" im Sinne der Vorschläge des Konvents lässt sich, so ergibt sich aus Art. 1-32 des Verfassungsentwurfs (Band I, Brüssel, 12. Juni 2003, CONV 797/1/03), mit den derzeitigen EG-Verordnungen vergleichen. In den Vorschlägen des Konvents wird daher von einem anderen Rechtsinstrument ausgegangen (Verordnung) als im Grünbuch der Kommission zu Diensdeistungen von allgemeinem Interesse (Richtlinie). 61. Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchfuhrung der in Art. 81 und 82 EGV niedergelegten Wettbewerbsregeln, Abi. EG 2003, L 1/1. die alte Verordnung ist Verordnung 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu Art. 85 und 86 EGV, Abi. EG 1962, L 13/204.
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62. Vgl. Advies 03/06 vom 16. Mai 2003 des SER, Evaluation und Änderung des Mededingingswet, Den Haag 2003, S. 8 u. S. 35. 63. Vgl. Kamerstukken II 2003/04, 29 272, Evaluation des Mededingingswet, Nr. 1. Übrigens wurde Ende Oktober 2003 der Gesetzentwurf zur Umsetzung der strikt notwendigen Teile von Verordnung 1/2003 (die Anpassung von Art. 17 Mededingingswet gehörte nicht dazu) bei der Zweiten Kammer eingereicht, vgl. Kamerstukken II 2003/04, 29 276, Nr. 1-3 (Änderung des Mededingingswet und einiger anderer Gesetze im Zuge der Umsetzung von EG-Verordnung 1/2003). 64 Vgl. Parlamentsakten II, 29 276, 2003-2004, Nr. 8. 65. Vgl. die verbundenen Rechtssachen 56 u. 58/64 (Consten und Grundig), Slg. 1966, S. 449. 66. Vgl. Punkt 29 zur Urteilsbegründung in der Rechtssache 8/72 (VCH), Slg. 1972, S. 977. 67. Dies folgt aus dem Übergangsrecht von Art. 107 Abs. 2 Mededingingswet. In den Gesetzesvorschlag, der der NMa den Status eines zelfstandig bestuursorgaan verleihen sollte (Kamerstukken II 2001/02, 27 639), war dank eines Änderungsvorschlags der Abgeordneten der Zweiten Kammer Bolhuis und Leers (Kamerstukken II 2001/02, 27 639, Nr. 23) eine Bestimmung aufgenommen worden, aufgrund derer die Rechtsgültigkeit von Art. 16 Mededingingswet auf unbestimmte Zeit verlängert werden sollte. Die Behandlung der Gesetzesvorlage in der Ersten Kammer wurde anlässlich des Briefes von Minister Heinsbroek vom 10. September 2002 (Brief vom 10. September 2002 von Minister Heinsbroek, Kamerstukken I 2001/02, 27 639, Nr. 228f) unterbrochen, so dass Art. 16 Mededingingswet mit 1. Januar 2003 entfallen ist. Übrigens hat Minister Brinkhorst in seinem Schreiben vom 7. November 2003 die Erste Kammer darum ersucht, die Gesetzesvorlage für den Status der NMa als zelfstandig bestuursorgaan erneut zu behandeln. Vgl. Kamerstukken II 2003/04, 27 639, Nr. A. 68. Vgl. Kammerfragen des Mitglieds der Zweiten Kammer Vendrik an den Wirtschaftsminister, Anhang zu Handelingen 2002/03, Nr. 375; Brief des Wirtschaftsministers vom 17. Dezember 2002, Kamerstukken II 2002/03, 27 639, Nr. 61, und Brief des Gesundheitsministers vom 26. November 2002, MEVA/MESO-2336433. Der letztgenannte Brief ist gemeinsam mit einem Brief der d-g NMa zu Art. 16 Mededingingswet und dem Gesundheitswesen auf der Website des Gesundheitsministeriums (ministerie van VWS) veröffentlicht. 69. Vgl. Kamerstukken II 2003/04, 29 272, Evaluation des Mededingingswet, Nr. 1, S. 2 u. S. 1417. 70. Diese Befugnis bezieht sich ausschließlich auf die Anwendung des europäischen Kartellverbots, da die Kommission derzeit noch ihr Freistellungsmonopol besitzt. 71. Vgl. Kamerstukken 28 994. Dieser Gesetzesvorschlag ermöglicht auch die weit gehende Abschaffung der Verpflichtungen von Einrichtungen zum Abschluss von Verträgen und verfolgt außerdem die Zielstellung, die Inanspruchnahme vom Gesundheitsleistungen ausländischer Leistungserbringer zu erleichtern (Hintergrund des letztgenannte Aspekts ist das Urteil MüllerFauré). 72. Dies ergibt sich u. a. aus dem vorgeschlagenen Art. 5 lit. d des Vorschlags zur Änderung des Mededingingswet im Zuge der Umgestaltung der niederländischen Wettbewerbsbehörde (NMa) in ein „zelfstandig bestuursorgaan", Kamerstukken I 2001/02, 27 639, Nr. 228. Dieser Vorschlag wurde von der Ersten Kammer noch nicht angenommen. Die Behandlung der Gesetzesvorlage wurde auf Wunsch des damaligen Wirtschaftsministers Heinsbroek unterbrochen. Vgl. den Brief des Wirtschaftsministers vom 10. September 2002, Kamerstukken I 2001/02, 27 639, Nr. 228f. 73. Vgl. beispielsweise Punkt 29 der Begründung zum bereits zitierten Urteil Höfner, Punkt 18 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-323/93 (Centre d'insémination de la Crespelle), Slg. 1994, S. 1-5077, Punkt 27 zur Begründung des Urteils in der der Rechtssache C-163/96
Kapitel 3: Wettbewerbsrecht, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherungen
74.
75. 76. 77.
78.
79. 80. 81. 82. 83. 84.
85. 86. 87. 88. 89. 90. 91.
92.
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(Raso), Slg. 1998, S. 1-533, Punkt 41 zur Begründung des Urteils in der der Rechtssache C266/96 (Corsica Ferries France), Slg. 1998, S. 1-3949, Punkt 41, Punkt 93 zur Begründung des bereits zitierten Urteils in der Sache Brentjens sowie die Punkte 67 u. 68 zur Begründung des Urteils in der der Rechtssache C-209/98 (Sydhavnens), Slg. 2000, S. 1-3743. Bei der Rechtssache Ambulanz Glöckner handelte es sich um ein Vorabentscheidungsverfahren. In einem solchen Verfahren richten nationale Gerichte an den Gerichtshof Fragen zur Interpretation des EG-Rechts aus Anlass eines konkreten Rechtsstreits. Der Gerichtshof kann in seiner Antwort Kriterien für die Lösung des Rechtsstreits benennen und die nationalen Gerichte beauftragen, detailliert zu untersuchen, ob diese Kriterien erfüllt werden. Rechtssache 13/77 (INNO gegen ATAB), Slg. 1977, S. 2115. Vgl. Rechtssache C-35/96 (Kommission gegen Italien), Slg. 1998, S. 1-3851. Vgl. Punkt 16 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache 267/86 (Van Eycke), Slg. 1988, S. 4769 und Punkt 10 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-245/91 (Ohra), Slg. 1993, S. 1-5851. Vgl. Punkt 38 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache 85/76 (Hoffmann-La Roche), Slg. 1979, S. 461 und Punkt 27 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-38/97 (Librandi), Slg. 1998, S. 1-5955. Vgl. Van Gerven et al., a.a.O., S. 558-561. Vgl. in diesem Zusammenhang die verbundenen Rechtssachen 209-213/84 (Asjes), Slg. 1986, S. 1425. Vgl. Rechtssache C-l 98/01 (CIF), 9. September 2003, nicht gesondert aufgeführt. Vgl. Punkt 94-97 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache Pavlov. Vgl. E.M.H. Loozen, Pavlov und Van der Woude: meer dan een Pavlov-reactie?, in: NTER 2000, S. 305. Vgl. beispielsweise G.R.J. de Groot, Tarieven in de gezondheidszorg, Deventer 1998, S. 248f., den (von D. Blaas und V.L. Derckx erstellten) Bericht der Herbsttagung der Vereniging voor Gezondheidsrecht 2001, in: TvGR 2002, S. 101, G.J.A. Hamilton, Publiek belang en mededinging in de gezondheidszorg, in: TvGR 2002, S. 154, Fußnote 28, J.W. van de Gronden, Toezichthouders in de zorg en de NMa: conflicterende bevoegdheden, in: TvGR 2002, S. 323f., M.A.J.M. Buijsen, Mededinging in de gezondheidszorg, in: NJB 2003, S. 675-677. Eine allgemeine Übersicht zur Problematik von staatlicher Beihilfe und Gesundheitswesen vgl. in: M.T. de Gans, Staatssteun in de gezondheidszorg, in: TvGR 2003, S. 362ff. Vgl. Rechtssache 120/73 (Lorenz), Slg. 1973, S. 1471, und Rechtssache 84/82 (deutsche Beihilfe an die Textilindustrie), Slg. 1984, S. 1451. Verordnung 659/99 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung des Art. 93 EGV, Abi. EG 1999, L 83/1. Vgl. beispielsweise Punkte 56-61 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-303/88 (Italien gegen Kommission), Slg. 1991, S. 1-1433. Vgl. beispielsweise Rechtssache C-348/93 (Kommission gegen Italien), Slg. 1995, S. 1-673. Vgl. Punkt 142 zur Begründung des Urteils in den verbundenen Rechtssachen T-l 16/01 u. T118/01 (P & O European Ferries), 5. August 2003, nicht gesondert angeführt. Vgl. Verordnung 69/2001 der Kommission vom 12. Januar 2001 über die Anwendung von Art. 87 und 88 EGV auf staatliche Beihilfen an kleine und mitdere Unternehmen, Abi. EG 2001, L 10/30. Vormals war dies in der Mitteilung der Kommission über De-mimmis-heihüfen, Abi. EG 1996, C-68/9 festgelegt. Vgl. in diesem Zusammenhang Punkt 19 der Schlussanträge von Generalstaatsanwalt van Gerven in der Rechtssache C-303/88 (Italien gegen Kommission), Slg. 1991, S. 1-1433. Hier wird vorgebracht, dass man sich angesichts der bereits weit fortgeschrittenen europäischen
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93. 94.
95. 96. 97.
Kapitel 3: Wettbewerbsrecht, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherungen
Marktintegration nur in besonderen Umständen eine Beihilfemaßnahme vorstellen kann, die keine negative Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel hat. Vgl. Punkt 58 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-39/94 (La Poste), Slg. 1996, S. 1-3547. T. Joris, Nationale steunmaatregelen en het Europees Gemeenschapsrecht. Een onderzoek van het communautaire beleid, met bijzondere nadruk op procedure en rechtsbescherming, Antwerpen/Apeldoorn 1994, S. 69. Vgl. Rechtssache C-174/97P (FFSA), Slg. 1998, S. 1-1303 und Rechtssache T-46/97 (SIC), Slg. 2000, S. 11-2125. Rechtssache C-53/00 (Ferring), Slg. 2001, S. 1-9067. Vgl. Rechtssache C-280/00 (Altmark), 24 Juli 2003, nicht gesondert angeführt.
Kapitel 4: EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer
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Kapitel 4
Verhältnis von EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer Im Folgenden wird untersucht, inwieweit sich die in Kapitel 1 dieser Studie diskutierten Varianten in Übereinstimmung mit dem EG-Recht befinden. Es werden die juristisch bedenklichen Punkte aufgezeigt, die bei der Einschaltung privater Parteien bei der Ausgestaltung von Krankenversicherungen zu Tage treten. Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, wurde bei der Auswahl der Varianten von einer Bandbreite von öffentlich-rechtlich bis privat ausgegangen, um so den Einblick in die Problematik zu vertiefen. Dieses Kapitel beginnt mit der öffentlich-rechtlichen Variante A. Mit Variante B kommen private Elemente hinzu.
4.1. Variante A: Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch öffentlich-rechtliche Träger Bei Variante A sind Versicherungsanspruch und Leistungsumfang gesetzlich festgelegt. Die Versicherungsanstalten entsprechen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und die Erfüllung ihrer Aufgaben wird aus allgemeinen Mitteln finanziert. Es gibt keine Konkurrenz, da jeder Versicherungsanstalt ihr eigenes geographisches Arbeitsgebiet zugewiesen wird. Mit anderen Worten: Bei dieser Variante gründet sich die Krankenversicherung zu 100% auf dem Solidaritätsgrundsatz.
Dritte Schadenrichtlinie Ein derart ausgestaltetes Gesundheitssystem unterliegt nicht den Bestimmungen der Dritten Schadenrichtlinie, da es sich um Versicherungen innerhalb eines Systems der sozialen Sicherheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie handelt. Aufgrund dieser Bestimmung wird ein gesetzliches System der sozialen Sicherheit nicht vom Geltungsbereich der Schadenrichtlinien erfasst. Wie im Fall Garcia (Urteil zitiert in Abschnitt 2.2.1.) müssen die Einwohner eines Landes dem System der Variante A beitreten. Ferner deutet der große Anteil an der Finanzierung der Krankenversicherung, aus Geldern der öffentlichen Hand, auf ein System der sozialen Sicherheit hin. Das Fehlen von Wettbewerb und einer selbständigen Betriebsführung der Versicherungsanstalt bedeutet, dass es sich bei der Trägerorganisation nicht um ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts handelt (siehe weiter unten).1 Im Urteil Garcia wurde entschieden, dass die Schadenrichtlinien nicht auf Einrichtungen anwendbar sein können, die sich nicht als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts einstufen lassen. Ausgehend von der rechtlichen Grundlage der Richtlinie (Vertragsbestimmungen über Niederlassungsfreiheit, Freizügigkeit und
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Kapitel 4: EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer
freien Verkehr) ist es unmöglich, dass Richtlinien für solche Einrichtungen erlassen werden.2 Außerdem wird die Höhe der zu zahlenden Beiträge in vollem Umfang durch Rechtsvorschriften bestimmt, was im Urteil Freskot (zitiert in Abschnitt 2.2.1.) ein Argument darstellte, die Anwendung der Dritten Schadenrichtlinie auszuschließen.
Sozialversicherungsverordnung (Verordnung 1408/71) Verordnung 1408/71 dagegen ist auf das öffentlich-rechtliche System von Variante A durchaus anwendbar. Schließlich handelt es sich um eine Versicherung, bei der im Krankheitsfall Leistungen aufgrund einer gesetzlichen Versicherung angeboten werden, was nach Art. 4 Abs. 1 lit. a die Anwendbarkeit dieser Verordnung nach sich zieht. Da Verordnung 1408/71 vor allem Koordinierungsbestimmungen enthält, fuhren Schlussfolgerungen in der Anwendbarkeit der Verordnung im Prinzip nicht zu Problemen. Bei der Ausgestaltung eines Systems gemäß Variante A muss der entsprechende Mitgliedstaat vor allem dafür Sorge tragen, dass die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich in seinem Staatsgebiet aufhalten, die Ansprüche, die ihnen laut Verordnung zustehen, auch durchsetzen können. Hinzuweisen wäre beispielsweise auf Art. 22 Abs. 1 lit. a der Verordnung, nach dessen Wortlaut ein Arbeitnehmer, der sich im Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, einen Ansprach auf unverzügliche Hilfeleistung besitzt, wenn dies sein Zustand, ja seine Gesundheit, erfordert.
Freizügigkeit und freier Verkehr Die Schlussfolgerung, dass die Dritte Schadenrichtlinie ein System wie Variante A nicht harmonisiert, impliziert, dass die Beurteilung nach den Bestimmungen zur Freizügigkeit von wesentlichem Interesse ist. Steht Variante A im Widerspruch zu den Regeln über den freien Diensdeistungsverkehr? In diesem Zusammenhang ist auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Müller-Faure hinzuweisen, das in Abschnitt 2.1. und in der Einleitung zitiert wurde. In Abschnitt 2.1. wurde angemerkt, dass der Gerichtshof, als sich die prinzipielle Frage der Anwendbarkeit der Regeln zum freien Diensdeistungsverkehr auf Krankenversicherungen einer Betrachtung stellte, nicht nur auf das strittige System der niederländischen ^iekenfondsVersicherungen, sondern auch auf das System des National Health Service eingeht. Wie bereits dargelegt, ist dies bemerkenswert, da hierzu im Vorabentscheidungsverfahren durch die nationalen Gerichten keine Fragen gestellt worden waren3, weil das letztgenannte System nicht Gegenstand des betreffenden Verfahrens war. Anlass für den EuGH, das System des National Health Service in seine Erwägungen einzubeziehen, waren die Kommentare der Länder während des Verfahrens, die mit diesem System (insbesondere Großbritannien) bereits Erfahrung hatten. Es hat den
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Anschein, als ob der Gerichtshof den Mitgliedstaaten ganz bewusst Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen intensiv regulierten Gesundheitssystemen einerseits und den Bestimmungen der Freizügigkeit und des freien Verkehrs andererseits vermitteln wollte. Diesem Standpunkt zufolge ist es für die Mitgliedstaaten unvermeidlich, dass sie trotz ihrer Zuständigkeit für die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit wegen der fortschreitenden europäischen Integration ihre Befugnisse auch in diesem Bereich teilweise abgeben müssen. Aus diesen Überlegungen des Gerichtshofs im Urteil Müller-Faure lässt sich der Schluss ziehen, dass die Regeln zur Freizügigkeit auch auf Systeme der Variante A anzuwenden sind, bei denen der Versorgungsanspruch, der Leistungsumfang, die Leistungserbringung und die Finanzierung 100%ig durch Rechtsvorschriften abgedeckt werden. Einen Hinweis für eine solche Anwendung findet man im kürzlich ergangenen Urteil Freskot (bereits zitiert in Abschnitt 2.2.1.). Hierbei wurden Diensdeistungen (eine Versicherung aus dem Bereich der Landwirtschaft), die ein öffentlich-rechtlicher Träger anbot, nicht als Diensdeistung im Sinne des EGVertrags bewertet, sondern es wurde entschieden, dass die Einführung des besagten Systems einer Pflichtversicherung (die von der öffentlich-rechtlichen Körperschaft umgesetzt wurde) nach den Bestimmungen zum freien Diensdeistungsverkehr zu beurteilen sei.4 Die Einführung des Systems kann sich nämlich für private Versicherer anderer Mitgliedstaaten als Benachteiligung herausstellen, wenn Risiken, die in dem Mitgliedstaat der gesetzlichen Pflichtversicherung liegen (hier im Bereich der Landwirtschaft), versichert werden sollen. Die Regeln zur Freizügigkeit und zum freien Verkehr werden als anwendbar betrachtet, wenn sich die gesetzliche Versicherung auf versicherbare Risiken bezieht und nicht, wenn eine private Versicherung die betreffenden Risiken nicht versichern kann.5 Wenn es um versicherbare Risiken geht, stellt die Verpflichtung, einem gesetzlichen Versicherungssystem beizutreten, eine Einschränkung des Prinzips der Freizügigkeit dar, da es diese Verpflichtung ausländischen Versicherern erschwert, Versicherungen für die betreffenden Risiken anzubieten.6 Eine solche Einschränkung kann wegen der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses (Rule of Reason) gerechtfertigt sein, falls ein sozialpolitisches Ziel verfolgt wird.7 Soll eine Berufung auf diese Ausnahme erfolgreich ausfallen, muss natürlich die Forderung nach der Verhältnismäßigkeit erfüllt werden.8 Die Einführung eines gesetzlichen Systems der Pflichtversicherung (bzw. die Verpflichtung, einer solchen Versicherung beizutreten) muss allem Anschein nach anhand der Freizügigkeitsregeln beurteilt werden. Diese Regeln sind anzuwenden, wenn es sich um ein versicherbares Risiko handelt. Öffentlich-rechtlich gestaltete und gesetzlich regulierte Krankenversicherungs systeme können sich nicht automatisch den Bestimmungen zur Freizügigkeit entziehen. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung (z.B. in den Fällen Kohll, Decker,
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Smits und Peerbooms und Müller-Faure) bereits mehrmals entschieden hat, dass medmnische Tätigkeiten Diensdeistungen im Sinne der Freizügigkeitsregeln des EG-Vertrags sind, so dass die Regeln auch auf diese Tätigkeiten Anwendung finden. Diese Rechtsprechung bezieht sich ebenfalls auf Systeme wie das des National Health Service und das der Variante A, die den Anspruch von Bewohnern eines Mitgliedstaates auf bestimmte medizinische Leistungen regeln.9 Die Bewertung der öffentlich-rechtlichen Variante A nach Maßgabe der Regeln zur Freizügigkeit, insbesondere von Dienstleistungen, könnte wie folgt vorgenommen werden: Die Aktivitäten eines öffentlich-rechtlichen Trägers im Bereich der Krankenversicherungen werden nicht vom Prinzip der Freizügigkeit von Diensdeistungen erfasst. Die den Bewohnern des betreffenden Mitgliedstaates auferlegte Pflicht, der vorgenannten Versicherung beizutreten, kann jedoch sehr wohl nach Maßgabe des Prinzips der Freizügigkeit bewertet werden. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen kurative Behandlungsmaßnahmen. In den Niederlanden werden diese Behandlungsmaßnahmen der zweiten Kategorie zugeordnet, weil sie grundsätzlich als versicherbar gelten und aus dem System gesetzlicher Krankenkassen fäekenfondsen), privaten Krankenversicherern und öffentlich-rechtlichen Regelungen für Beamte bezahlt werden. Sowohl in den Niederlanden als auch in anderen Staaten betätigen sich private Krankenversicherer im Bereich der kurativen Behandlungsmaßnahmen. Daraus ist zu folgern, dass die Variante A grundsätzlich nach Maßgabe der Verbote im Zusammenhang mit der Freizügigkeit zu bewerten ist. Die Verpflichtung der Bürger, einer Versicherung der Variante A beizutreten, kommt einer Einschränkung des freien Diensdeistungsverkehrs gleich, da es privaten Versicherern in anderen Mitgliedstaaten nicht mehr möglich ist, Versicherungen für Risiken anzubieten, die von diesem System abgedeckt werden. Besteht eine Ausnahmeregelung, die der Rechtfertigung dieser Einschränkung dienen kann? Unterschiedliche Ausnahmeregelungen können hier einen Ausweg bieten: der vertraglich vereinbarte Ausschluss der öffentlichen Gesundheit aus Art. 46 EGV und der Ausschluss der Rule of Reasoti bezogen auf das finanzielle Gleichgewicht eines sozialen Sicherungssystems. Die Pflichtmitgliedschaft in einer Versicherung der Variante A führt dazu, das die Gesundheitsversorgung allen Menschen offen steht. Bei der Bewertung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit, die für eine erfolgreiche Berufung auf die Ausnahmebestimmungen erfüllt sein muss, wird der EuGH den Mitgliedstaaten vermutlich kein geringes Maß an Ermessensspielraum zugestehen. In den Urteilen Duphar und Müller-Faure hat der Gerichtshof betont, dass die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallt. Es wurde festgelegt, dass der Leistungsumfang der Versicherung von den Mitgliedstaaten bestimmt wird, wenn dies in nicht diskriminierender Weise geschieht. Grundsätzlich ist die
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Wahrscheinlichkeit groß, dass zur Rechtfertigung des Systems von Variante A eine Berufung auf die Ausnahmeregelungen erfolgreich sein wird. Es können dennoch Probleme entstehen: Sollte das System bereits in einigen wenigen Bereichen nicht funktionieren, ist durchaus vorstellbar, dass nicht mehr nachgewiesen werden kann, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. Im Urteil Smits und Peerbooms wurde beispielsweise entschieden, dass im Bereich der stationären Behandlungen Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs nicht mehr gerechtfertigt wären, sobald es Wartelisten gibt. Denn dann können sich Personen, die Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherung sind, auch an Krankenhäuser in anderen Mitgliedstaaten wenden und brauchen nicht auf eine Behandlung in einem der nationalen Krankenhäuser zu warten, mit denen die öffentlichrechtlichen Versicherungen die medizinische Behandlung vertragsmäßig vereinbart haben. Die Frage der Wartelisten ist in Variante A nicht von der Hand zu weisen. Beim britischen System des National Health Service wird aufgrund der Wartelistenproblematik erwogen, die Konkurrenz ausländischer Unternehmen zuzulassen.10 Bei Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern ist unter Berufung auf das Urteil Müller-Faure die Auffassung vertretbar, dass sich die Mitglieder dieser Versicherung auch im Falle nicht vorhandener Wartelisten von frei niedergelassenen Leistungserbringern im Ausland behandeln lassen dürfen. Schließlich wurde bei diesem Urteil der Genehmigungsvorbehalt für Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat für diese Art der Gesundheitsversorgung als eine unzulässige Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs bewertet. Die Situation gestaltet sich noch schwieriger, wenn das System der Variante A den an ihn gestellten Ansprüchen nicht gerecht wird. In diesem Fall stellt sich die Frage, inwieweit ein versicherungspflichtiger Einwohner des betreffenden Mitgliedstaates seiner Versicherungspflicht unter Berufung auf den freien Diensdeistungsverkehr entgehen kann und sich bei einer Versicherungsgesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gegen Krankheitskosten versichern darf. Bei einem Krankenversicherungssystem, das Bestandteil des sozialen SicherungsSystems ist und schwerwiegende Mängel aufweist — beispielsweise, weil es für die meisten Behandlungen in Krankenhäusern Wartelisten gibt, die Mehrzahl der Versicherten keinen Hausarzt mehr hat — lässt sich nur unter Schwierigkeiten das Argument anfuhren, dass die Einschränkung des freien Diensdeistungsverkehrs als Folge der Pflicht zur Versicherung eben bei jenen Versicherungsunternehmen noch als verhältnismäßig zu bezeichnen ist. Ein Mitgliedstaat wird es in diesem Fall schwer haben, sich gegen Krankenversicherer zu wehren, die die notwendige Gesundheitsversorgung beispielsweise in Privatkliniken anbieten können. Es ist evident, dass eine solche Entwicklung zur Bildung eines zweigeteilten Systems im Gesundheitswesen beitragen würde, da nicht alle Landesbewohner eine solche private Versicherung
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abschließen können. Dies würde eine paradoxe Situation schaffen, da gerade Systeme des Typs A voll und gan2 auf dem Solidaritätsgrundsatz basieren. Übrigens zeigt der vorstehende Hinweis auf den britischen National Health Service, dass die Zulassung des Einflusses von Marktkräften vor allem durch die Einführung von Ausschreibungsverfahren erfolgt. Bei der Durchführung solcher Verfahren sind ebenfalls die Regeln der Freizügigkeit und des freien Verkehrs zu beachten.11 Dazu ist anzumerken, dass auf bestimmte Ausschreibungen das in verschiedenen Richtlinien festgeschriebene EG-Wettbewerbsrecht anwendbar sein kann.
Wettbewerbsrecht Den öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die als Träger der Krankenversicherung der Variante A fungieren, wird kein Ermessensspielraum gewährt: Die Höhe der von den Mitgliedern zu zahlenden Beiträge ist gesetzlich festgelegt und der größte Teil der Gelder kommt vom Staat. Die genannten Körperschaften werden auf der Grundlage der Risiko- und Einkommenssolidarität in einem jeweils bestimmten geographischen Zustandigkeitsgebiet tätig, in dem sie keiner Konkurrenz anderer Träger ausgesetzt sind. Das Vorgehen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften wird voll und ganz vom Grundsatz der Solidarität dominiert. Aus den Urteilen Poucet und Pistre sowie Cisal ist der Schluss zu ziehen, dass es sich bei diesen Einrichtungen nicht um Unternehmen handelt, so dass auf sie das Wettbewerbsrecht nicht anwendbar ist. Bei Variante A wird, wie auch beim spanischen System eines National Health Service, die Trägerschaften durch Sozialbeiträge und andere Beiträge finanziert. So werden den Mitgliedern kostenlos medizinische Dienstleistungen auf der Grundlage einer allgemeinen Deckung der Kosten gewährt. In Abschnitt 3.1. wurde bereits dargelegt, dass das erstinstanzliche Gericht ausgehend von diesen Merkmalen zu der Auffassung gelangte, dass die Verwaltungsstellen des spanischen Systems eines National Health Service keine Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts darstellen. Die gleiche Schlussfolgerung lässt sich auch für die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen der Variante A ziehen. Wie bereits in der Einleitung dargelegt wurde, kann man bei Variante A in Erwägung ziehen, einige Marktanreize in Form von Ausschreibungen durch eine öffentlichrechtliche Behörde (siehe die oben zitierte Mitteilung über das System des National Health Service in Großbritannien) ins Spiel zu bringen. Wenn beabsichtigt wird, auf diese Weise bestimmte Leistungsanbieter (Krankenhäuser, Hausärzte etc.) auszuwählen, dann bezieht sich die Zulassung des Wettbewerbs lediglich auf den Einkaufsmarkt für Gesundheitsleistungen. Aus dem bereits zitierten FENIN-Urteil ergibt sich, dass die Versicherungsträger innerhalb des öffentlich-rechtlichen sozialen Sicherungssystems dadurch noch nicht zu Unternehmen werden: Solange ihre Versi-
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cherungstätigkeit nicht als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen wird und sie nicht als Verkäufer auf dem Markt auftreten, werden sie nicht als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrecht betrachtet. Falls jedoch die Trägerschaft für Teile der Krankenversicherung ausgeschrieben wird, entsteht im Moment der Ausschreibung Wettbewerb zwischen bereits aktiven, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und privaten Versicherern, die aus anderen Mitgliedstaaten kommen können. Die Bewerbung um die Konzession für die Trägerschaft hinsichtlich bestimmter Teile einer öffentlichrechtlichen Krankenversicherung muss, so könnte man argumentieren, als eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden, die im Geltungsbereich des Wettbewerbsrechts angesiedelt ist. Beim Ausschreibungsverfahren werden die Beteiligten daher die Regeln zum Kartellverbot und zum Verbot, eine wirtschaftliche Vormachtstellung zu missbrauchen, einhalten. Wird die Konzession jedoch einer bestimmten Einrichtung erteilt, stellt sich die Frage, inwieweit es sich bei der Trägerschaft für eine Krankenversicherung auch um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Wenn sich die gesetzliche Regulierung der Versicherung nicht ändert, könnte man analog zum Urteil Diego Call12 den vorsichtigen Schluss ziehen, dass es sich bei der Trägerschaft für eine gesetzliche Krankenversicherung noch immer nicht um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Im Urteil Diego Call wurde eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, die die Erfüllung eines Auftrags (in diesem Fall die Kontrolle der Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen im Hafen von Genua) von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung übernommen hatte, nicht als Unternehmen angesehen, da die betreffenden Aktivitäten keine wirtschaftlichen Tätigkeiten waren, sondern typische Bestandteile der Ausübung von Hoheitsrechten darstellten. Solange bei der Wahrnehmung der Trägerschaft für eine gesetzliche Krankenversicherung Marktkräfte keine Rolle spielen, behält diese Aktivität ihren nichtwirtschaftlichen Charakter bei. Diese Situation kann sich ändern, wenn durch die Einführung eines Ausschreibungsverfahrens für die Trägerschaft einer Krankenversicherung plötzlich Marktanreize eine Rolle spielen. Wesentlich ist aber, dass sich diese Marktanreize auf die Versicherungsaufgabe als solche beziehen (etwa in Form einkommensunabhängiger Beiträge, Paketdifferenzierung und Zulassung anderer Einrichtungen als Versicherungsträger) und nicht etwa auf den Einkauf von Gesundheitsleistungen. Im ersten Fall kann die betreffende Trägerorganisation als Unternehmen eingestuft werden, im zweiten Fall jedoch nicht, wie dem Urteil FENIN zu entnehmen ist. Wie bereits in Abschnitt 3.2. dargelegt, bringt es die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts mit sich, dass die betreffende Trägerorganisation das Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs von Monopolstellungen sowie die Regeln über die Fusionskontrolle einhält. Dies bedeutet für die Organisation eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit, die nicht zu unüberwindlichen Problemen führen dürfte.
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Ist eine Trägerorganisation als Unternehmen einzustufen und als einzige berechtigt, in einer bestimmten Region oder bestimmten Kategorien von Landesbewohnern eine gesetzliche Krankenversicherung anzubieten, findet Art. 86 Abs. 1 EGV Anwendung. Wie bereits in Kapitel 3 ausgeführt, verbietet diese Bestimmung, dass Unternehmen durch Mitgliedstaaten Exklusiv- und Sonderrechte zuerkannt werden, dass die Vertragsregeln, einschließlich der Wettbewerbsbestimmungen, verletzt werden. Die alleinige Gewährung eines Exklusiv- oder Sonderrechts widerspricht jedoch nicht Art. 86 Abs. 1 i.V.m. Art. 82 EGV oder anderen Bestimmungen des Wettbewerbsrechts (oder den Prinzipien der Freizügigkeit und des freien Verkehrs). Ein solcher Widerspruch kann vorliegen, wenn beispielsweise die Vormachtstellung auf den zugewiesenen Märkten aufgrund von staatlichen Maßnahmen auf andere Märkte ausgedehnt wird. Bei der Ausgestaltung des Exklusivrechts muss der betreffende Mitgliedstaat dies berücksichtigen, und unter Umständen kann, so zeigt das Urteil Ambulanz Glöckner, eine solche Erweiterung der Vormachtstellung mit Blick auf Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt sein. Probleme mit staatlichen Beihilfen können entstehen, wenn bestimmte Trägerorganisationen im Ergebnis der Zulassung von Marktanreizen von einem bestimmten Zeitpunkt an als Unternehmen zu betrachten sind. Solchen Problemen kann gegebenenfalls durch transparente Ausschreibungsverfahren und durch Nutzung der sich durch die Rechtsprechung im Fall Altmark bietenden Möglichkeiten begegnet werden: Die konkrete Wahrnehmung der Trägerschaft der Krankenversicherung wird wie die Erfüllung einer Verpflichtung im Bereich des öffentlichen Auftragswesens ausgestaltet, wobei die vier Forderungen aus dem Urteil Altmark zu erfüllen sind.13 In diesem Fall können die der Trägerorganisation gewährten Gelder als Ausgleichszahlungen für die Erfüllung einer gemeinwirtschafitlichen Verpflichtung betrachtet werden. Die obigen Ausfuhrungen zeigen, dass die öffentlich-rechtliche Variante in Reinkultur wettbewerbsrechtlich kaum problematisch ist. Es können sich jedoch beachtliche Schwierigkeiten ergeben, sobald bestimmte Marktanreize ins Spiel gebracht werden, da hierdurch Trägerorganisationen als Unternehmen betrachtet werden können. Hinsichtlich der diesen Organisationen gewährten finanziellen Vorteile ist eine adäquate Regelung zu treffen, da die Gefahr besteht, dass es sich um verbotene staatliche Beihilfen handelt.
4.2. Variante B: Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch nicht-gewinnorientierte private Versicherer Bei Variante B werden der Versicherungsanspruch und das Recht auf (medizinische) Hilfeleistung gesetzlich festgelegt. Die Umsetzung wird privaten Versicherern über-
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lassen, die nicht-gewinnorientiert arbeiten dürfen. Diese Versicherungsunternehmen kaufen im Rahmen eines Sachleistungssystems die erforderlichen Leistungen ein, indem sie mit (privaten) Leistungserbringern Verträge abschließen: Leistungen, über deren Erbringung keine Verträge abgeschlossen wurden, können im Bedarfsfall vergütet werden. Die Versicherungsanstalten besitzen eine Annahmepflicht und es darf keine Beitrags- oder Leistungsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl erfolgen. Zwischen den Versicherem erfolgt ein Lastenausgleich, der so ausgestaltet ist, dass sie kaum ein Risiko tragen. Die Finanzierung erfolgt durch die Erhebung von Beiträgen. Dazu gehören einkommensunabhängige Beiträge wie auch Selbstbeteiligungen der Mitglieder. Da Wettbewerb in gewissem Umfang möglich ist, liegt eine regulierte Marktwirkung vor.
Dritte Schadenrichtlinie Um die Frage nach der Anwendbarkeit der Dritten Schadenrichtlinie zu beantworten, ist zu untersuchen, ob die Sozialversicherung aus Variante B als soziale Sicherheit bzw. Sozialversicherung im Sinne der Schadenrichtlinien zu verstehen ist. Aus dem in Abschnitt 2.2.1. zitierten Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Belgien geht hervor, dass dies der Fall ist, wenn die Versicherungen auf eigenes Risiko angeboten werden. Wie bereits in Abschnitt 2.2.1. ausgeführt wurde, ist die Frage, wie weit der Begriff Risiko auszulegen ist, von wesentlicher Bedeutung. Bei einer weiten Definition, die dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit einen zentralen Stellenwert beimisst, besteht die Möglichkeit, dass die Schadenrichtlinien anwendbar sind. Durch die Einführung von Wettbewerb ist vertretbar, dass die ausführenden Einrichtungen in Variante B als Unternehmen qualifiziert werden (siehe weiter unten unter dem Punkt Wettbewerbsrecht) und die Krankenversicherung auf eigenes Risiko anbieten, was bedeutet, dass sie im Zuge ihrer Trägerschaft an der Sozialversicherung das übliche Unternehmerrisiko tragen. Die Anwendbarkeit der Dritten Schadenrichtlinie bringt unter anderem die Verpflichtung mit sich, das Verbot der Ausübung versicherungsfremder Tätigkeiten einzuhalten. Wie bereits in Abschnitt 2.2.1. dargelegt, hat der EuGH bereits in mehreren Fällen entschieden, dass französische mutuelks aufgrund dieses Verbots keine gemeinwirtschaftlichen Aktivitäten wie das Betreiben von Apotheken und Optikfachgeschäften ausüben dürfen. Ferner darf, dies ergibt sich ebenfalls aus Abschnitt 2.2.1., ein Versicherungsunternehmen nur so viele Anteile an Gesellschaften halten, die versicherungsfremde Tätigkeiten ausüben, dass der Gesamtwert dieser Anteile den Rahmen seiner freien Mittel nicht übersteigt.14 Dies bedeutet, dass ein System, in dem Organisationen, die als Träger der Sozialversicherungen agieren, eigene Gesundheitseinrichtungen betreiben dürfen, wie dies im niederländischen Fall im Rahmen des
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kenfondswet (Krankenkassengesetz) bei der pharmazeutischen Versorgung und hausärztlichen Betreuung geschehen ist,15 unter Beschuss gerät. Anzumerken bleibt, dass dem Verbot der Ausübung versicherungsfremder Tätigkeiten möglicherweise nicht zuwidergehandelt wird, wenn die eigenen Einrichtungen eines Krankenversicherers zu dem Zweck betrieben werden, ausschließlich seinen eigenen Versicherten Leistungen anzubieten. Es könnte argumentiert werden, dass ein Krankenversicherer durch Einrichtungen, deren Tätigkeiten auf die bei ihm Versicherten beschränkt bliebe, seinen Pflichten bei der Erfüllung der Versichertenansprüche nachkommt, so dass keine versicherungsfremden Tätigkeiten vorliegen. Inwieweit eine solche Argumentation anerkannt wird, entscheidet die Rechtsprechung des Gerichtshofs. Welche Konsequenzen die Dritte Schadenrichtlinie für die Regulierungsmaßnahmen bei der Annahmepflicht, Risikoauswahl etc. hat, wird in Abschnitt 4.3. (Variante C) besprochen. Ist der Begriff Risiko eng auszulegen und darunter das Versicherungsrisiko zu verstehen,16 dann ist die Dritte Schadenrichtlinie nicht anwendbar, da die Versicherungsanstalten durch den Ausgleich auf der Grundlage zahlreicher Merkmale mithilfe der sog. pauschalen Verrechnungsprämien (wodurch Versicherer fast kein Risiko mehr tragen),17 durch die gesetzlich genau festgelegte Bezeichnung der Versicherungsansprüche und die Finanzierung (die nur zum Teil auf einkommensunabhängigen Beiträgen und zu einem großen Teil auf einkommensabhängigen Beiträgen und Arbeitgeberbeiträgen beruht) keine für das Versicherungsgeschäft typischen Risiken tragen. Allgemeiner ausgedrückt: Fasst man bei Variante B die Elemente öffentlichrechtlicher Regulierung (weitgehender Ausgleich, verpflichteter Einkauf von Gesundheitsdiensdeistungen, Non-Profit-Charakter, gesetzlich festgelegte Ansprüche und Rechte auf Hilfsleistungen, Versicherung von Rechts wegen, geringer Spielraum für eine selbständige Betriebsführung, geringe Bedeutung einkommensunabhängiger Beiträge) zusammen, so ist bei einer eng begrenzten Auslegung des Begriffs „eigenes Risiko" die Wahrscheinlichkeit groß, dass dem Gerichtshof zufolge kein Versicherungsrisiko im Sinne der Dritten Schadenrichtlinie vorliegt. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass mit zunehmender Einfuhrung von Marktanreizen (größerer Anteil einkommensunabhängiger Beiträge etc.) durch den Staat aus Effizienzgründen, ein Punkt erreicht werden kann, der die Schlussfolgerung zulässt, dass ein Versicherungsrisiko durchaus vorliegt, so dass die Anwendbarkeit des Systems der Schadenrichtlinien unvermeidlich wird. Als Arbeitshypothese wird bei der Besprechung von Variante B jedoch davon ausgegangen, dass die Sozialversicherung bei dieser Variante nicht unter die Schadenrichtlinien fällt. Es muss hinzugefügt werden, dass für den Fall, dass das Angebot einer Sozialversicherung nach Variante B von einer bestimmten Einkommensgrenze abhängig gemacht wird, und dass Landesbewohner mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze eine Krankenversicherung bei einem privaten Versi-
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cherer abschließen müssen, die Schadenrichtlinien sehr wohl auf die letztgenannte Versicherung anwendbar sind. Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie scheint zuzugestehen, unabhängig von der Interpretation von Art. 29 dieser Richtlinie, dass der Staat für das Angebot einer solchen privaten Versicherung bestimmte Rahmenbedingungen aufstellt, da es sich um einen Versicherungsvertrag handelt, der eine Risikodeckung bietet, die mit der eines neben diesem Vertrag bestehenden Systems der sozialen Sicherheit vergleichbar ist.18
Sozialversicherungsverordnung (Verordnung 1408/71) Wie bereits bei Variante A ist Verordnung 1408/71 auch anwendbar auf die Sozialversicherung gemäß Variante B. Diese Versicherung ist als eine Versicherung mit Leistungen im Krankheitsfall aufgrund einer gesetzlichen Versicherung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a dieser Verordnung anzusehen. Bei der Anwendbarkeit der Verordnung entstehen keine Probleme. Bei der praktischen Ausgestaltung der Sozialversicherung aus Variante B sind die Koordinierungsbestimmungen der Verordnung zu beachten. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise darauf hingewiesen werden, dass in dem Fall, wenn sich ein Mitgliedstaat aus Gründen der Nachfragesteuerung entschließt, für bestimmte Leistungsansprüche das Sachleistungssystem in ein System personenbezogener Budgets umzuwandeln, diese Budgets wahrscheinlich aufgrund des Urteils Molenaar (zitiert in Abschnitt 2.2.2.) exportierbar sind, da anzunehmen ist, dass solche Budgets Geldleistungen im Sinne von Verordnung 1408/71 gleichkommen.19 Ferner sind die so genannten Konfliktregeln der Verordnung zu beachten: Die Verordnung geht grundsätzlich davon aus, dass auf einen Arbeitnehmer die Regelungen zur sozialen Sicherheit des Landes, in dem er arbeitet, anwendbar sind, auch wenn er seinen Wohnsitz in einem anderen Land hat.20 Nicht alle in den Niederlanden wohnhaften Arbeitnehmer unterliegen demzufolge dem System der Variante B, während es Einwohnern anderer Mitgliedstaaten, die dem niederländischen System der sozialen Sicherheit unterworfen sind, möglich sein muss, der Organisation eines Trägers der Krankenversicherung aus Variante B beizutreten.
Freizügigkeit Da davon ausgegangen wird, dass eine Sozialversicherung im Sinne von Variante B nicht harmonisiert wird, muss untersucht werden, ob die Regelsetzung zur Freizügigkeit an2uwenden ist. Die Leistungen der Träger von Variante B fallen unter die Bestimmungen zur Freizügigkeit, da sie wegen der Zulassung des Wirkens von Marktkräften wirtschaftliche Tätigkeiten darstellen (siehe auch weiter unten unter dem Punkt Wettbewerbsrecht). Die Trägerorganisationen der Variante B ähneln weitgehend den niederländischen %iekenfondsen, deren Politik in den Rechtssachen
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Kohll, Decker, Smits und Peerbooms, Vanbraekel sowie Müller-Faure eine zentrale Stellung eingenommen hat. Wie bereits in Abschnitt 2.1. beschrieben, fallen die von diesen Einrichtungen ausgeübten Tätigkeiten unter die Freizügigkeitsbestimmungen. Das bedeutet, dass sich die staatliche Regulierung solcher Tätigkeiten in Übereinstimmung mit den Regeln für Freizügigkeit befinden muss. Ausgangspunkt bei der durch den Gerichtshof nach diesen Regeln vorgenommenen Bewertung muss dabei der vom EuGH im Duphar-Urteil noch einmal deutlich herausgestellte Grundsatz sein, dass die Ausgestaltung der sozialen Sicherheit zu den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten gehört. Die Forderung, dass nicht-gewinnorientierte Organisationen keine Trägerschaften im Rahmen der Sozialversicherungen übernehmen dürfen, stellt eine Beschränkung des freien Diensdeistungsverkehrs bzw. der Niederlassungsfreiheit dar. Eine Rechtsperson aus einem anderen Mitgliedstaat, die gewinnorientierte Tätigkeiten ausübt, kann in dem Mitgliedstaat, in dem Variante B gilt, keine Krankenversicherung anbieten. Auch wenn sie mit Blick auf die Wahrnehmung ihrer Trägerschaft an einer Versicherung eine Niederlassung gründen möchte, ist dies nicht möglich, solange sie gewinnorientiert arbeitet. Denkbar wäre, dass eine solche Einschränkung unter Berufung auf eine Vertragsausnahme (öffentliche Gesundheit nach Art. 46 EGV) oder ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses (sozialpolitische Ziele) gerechtfertigt ist. Aus dem Urteil Sodemare,21 in dem das Verbot der Gewinnorientierung eines Leistungserbringers (Betrieb von Seniorenheimen) im Mittelpunkt stand, ergibt sich, dass „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts [...] ein Mitgliedstaat im Rahmen der ihm verbliebenen Zuständigkeit für die Ausgestaltung seines Systems der sozialen Sicherheit davon ausgehen [kann], dass ein System der Sozialhilfe der fraglichen Art seine Ziele nur erreichen kann, wenn zu diesem System als Erbringer von Dienstleistungen der Sozialhilfe nur solche privaten Wirtschaftsteilnehmer zugelassen werden, die keinen Erwerbszweck verfolgen".22 Da hinsichtlich des Trägers einer Sozialversicherung gemäß Variante B auch anzunehmen ist, dass dieser „soziale Hilfe" leistet, können Mitgliedstaaten von einer solchen Organisation vermutlich auch fordern, dass sie keinen Erwerbszweck verfolgt. Eine Berufung auf einen Ausnahmegrund muss jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies bedeutet, dass sich die Umsetzung dieser Forderung auf nationaler Ebene ohne objektiven Grund nicht nachteilig für Organisationen im Ausland auswirken darf. Eine derartige Diskriminierung kann sich herausbilden, wenn der Träger die Form einer Rechtsperson nach nationalem Recht des fraglichen Mitgliedstaates besitzen muss, so dass Rechtspersonen nach dem nationalen Recht anderer Mitgliedstaaten nicht zugelassen sind, auch wenn sie ausgehend vom nationalen Recht der betreffenden anderen Mitgliedstaaten keinen Erwerbszweck verfolgen.
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Die Annahmepflicht, das Verbot der Beitrags- und Leistungsdifferenzierung aufgrund von Risiken und die Verpflichtung zur Beteiligung an einem Lastenausgleichssystem, können ebenfalls den Zugang zum Markt einschränken. Für ausländische Organisationen wird es schwierig, Zugang zum Markt zu erhalten, da sie jede Person annehmen müssen, ohne dass dabei Unterschiede hinsichtlich der berechneten Beiträgen oder des Leistungsumfangs auftreten dürfen. Hinsichtlich dieser nationalen Verpflichtungen gilt die Annahme, dass diese Bestimmung im Lichte der Ausnahmen zulässig ist.23 Auch hier ist eine Berufung auf Ausnahmegründe im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Art. 46 EGV (in Form des Zugangs zur Gesundheitsversorgung) und auf das zwingend erforderliche Allgemeininteresse (das finanzielle Gleichgewicht eines Systems der sozialen Sicherheit) möglich. Bei der Ausgestaltung dieser Verpflichtungen muss der Gesetzgeber natürlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Er darf es beispielsweise ausländischen gegenüber inländischen Organisationen nicht übermäßig erschweren, sich an Lastenausgleichssystemen zu beteiligen (eine Annahmepflicht ohne eine angemessene Beteiligung am Lastenausgleich stellt schließlich einen großen Nachteil dar). Die ICER hat betont, dass die Verpflichtung ausländischer Versicherer, sich am Lastenausgleichssystem zu beteiligen, eine weit reichende Verpflichtung darstellt. Eine solche Verpflichtung muss schlüssig begründet werden, damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Genüge getan wird.24 Aus der Dritten Schadenrichtlinie ergibt sich, dass Versicherern keine Verpflichtungen (beispielsweise in Form bestimmter Beitragsregulierungen) auferlegt werden können, die dazu führen, dass sie Verluste erleiden.25 Solche Verpflichtungen widersprechen auch den Regeln der Freizügigkeit. Bei der Gestaltung des Lastenausgleichssystems muss man sich also davor hüten, Unternehmen durch Rechtsvorschriften in eine verlustreiche Situation zu manövrieren. Andererseits kann natürlich auch die Annahmepflicht bei Versicherern zu Verlusten führen, da es möglich ist, dass sich ein Großteil der Versicherten mit einem erhöhten Risiko in ihrem Kundenbestand befindet. Gerade zur Kompensierung dieser Nachteile hat der Staat das Lastenausgleichssystem geschaffen. Mit anderen Worten: Die erfolgreiche Berufung auf die Ausnahmegründe erfordert eine sorgfältige Ausgestaltung der Annahmepflicht und des Ausgleichssystems durch den Staat. Die bedeutendsten rechtlichen Komplikationen auf dem Gebiet der Freizügigkeit ergeben sich bei Variante B hinsichtlich der Vertragsschlüsse mit Leistungserbringern im Rahmen des Sachleistungssystems. Durch den Abschluss von Verträgen über den Einkauf von Gesundheitsleistungen können die Trägerorganisationen das Angebot an Gesundheitsleistungen planen. Aus der in Abschnitt 2.1. besprochenen Rechtsprechung des Gerichtshofs (dabei insbesondere die Urteile Kohll, Decker, Smits und Peerbooms sowie Müller-Faure) geht jedoch hervor, dass eine solche Planung nur dann zulässig ist, wenn es sich um stationäre Behandlungsmaßnahmen
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handelt. Das Sachleistungssystem ist mit einem impliziten Genehmigungsvorbehalt verbunden, da es in der Praxis vor allem ausländische Anbieter von Gesundheitsleistungen sind, mit denen keine Verträge über den Einkauf von Gesundheitsleistungen geschlossen werden, so dass ein Versicherter bei seiner jeweiligen Versicherungsorganisation die Genehmigung für eine Behandlung durch Leistungserbringer in anderen Mitgliedstaaten beantragen muss. Dies stellt eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die aufgrund des erforderlichen Planungsvorlaufes nur bei stationären Behandlungsmaßnahmen zulässig ist. Bei ambulanten Behandlungen besteht diese Notwendigkeit laut EuGH nicht, da nicht zu erwarten ist, dass sich Patienten gleich massenweise von frei niedergelassenen Leistungserbringern jenseits der Grenze behandeln lassen. Dies impliziert, dass ein Mitgliedstaat hinsichtlich einer Sozialversicherung vom Typ B nicht unbegrenzt mit einem Sachleistungssystem arbeiten kann. Der Staat kann nicht verhindern, dass sich ein Patient an Anbieter ambulanter Behandlungen in anderen Mitgliedstaaten wendet. Er darf jedoch fordern, dass mit inländischen Leistungserbringern Verträge geschlossen werden, wie dies bereits in Abschnitt 2.1. ausgeführt wurde. Bei der stationären Gesundheitsversorgung kann hingegen mit dem Sachleistungssystem gearbeitet werden. Bestehen Wartelisten, darf ein Patient nicht daran gehindert werden, sich in einem ausländischen Krankenhaus behandeln zu lassen, wobei die Notwendigkeit einer solchen Behandlung nach international gültigen (und nicht nach nationalen) medizinischen Kriterien zu beurteilen ist. Dies folgt aus der Beurteilung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die der Gerichtshof in der Rechtssache Smits und Peerbooms vornahm (siehe hierzu Abschnitt 2.1.). Eine Versicherung von Rechts wegen stellt keine Einschränkung des Prinzips der Freizügigkeit dar, solange es dem Versicherten nicht unmöglich gemacht wird, einer Trägerorganisation in einem anderen Mitgliedstaat oder einer Organisation, deren Stammhaus ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, beizutreten. Die Formulierung des Leistungsumfangs per Gesetz kann eine Einschränkung darstellen, da dadurch eine Organisation aus dem Ausland nicht mehr die Freiheit besitzt, bestimmten Versicherten ein Leistungspaket nach eigenem Ermessen anzubieten. Es gibt jedoch gute Gründe anzunehmen, dass eine solche Einschränkung zu rechtfertigen ist, insbesondere durch eine Berufung auf Art. 46 EGV (öffentliche Gesundheit) und auf das zwingende Erfordernis des finanziellen Gleichgewichts des sozialen Sicherungssystems.26 Da für die Einwohner eines Staates ein bestimmtes versichertes (Mindest-)Leistungspaket gilt, wird der Zugang zur Gesundheitsversorgung für jede Person gewährleistet und so kann auch das System finanziert werden, da nur die unbedingt notwendigen Leistungen erbracht werden. Aus den Urteilen Duphar und Müller-Faure ergab sich, dass die inhaltliche Ausgestaltung der zu vergütenden Leistungen in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, solange bei der Festlegung dieser Inhalte objektive, nicht diskriminierende und transparente Kriterien zur
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Geltung kommen. Wenn es Trägerorganisationen unter bestimmten Umständen erlaubt wird, beim Angebot eines Versicherungspakets ebenfalls Zusatzversicherungen ari2ubieten, erlaubt dies den Schluss, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird. Diese Erweiterung der Unternehmerfreiheit trägt zur Untermauerung der Schlussfolgerung bei, dass die Einschränkung das Maß des Notwendigen nicht überschreitet, da die Mitgliedstaaten es den betreffenden Organisationen ermöglichen, bei bestimmten Aspekten zugunsten des Versicherten vom gesetzlich festgelegten Leistungspaket abzuweichen. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass die Schadenrichtlinien bei diesen Zusatzversicherungen zur Anwendung gelangen.
Wettbewerbsrecht Aus dem in Abschnitt 3.1. dieser Abhandlung besprochenen Fall FENIN ergibt sich Folgendes: Wenn die Versicherungstätigkeiten der Trägerorganisationen als wirtschaftliche Tätigkeiten zu betrachten sind, handelt es sich bei diesen Organisationen um Unternehmen. Anderenfalls fallen sie, auch wenn das Wirken von Marktanreizen für den Einkauf von Gesundheitsleistungen inzwischen zugelassen wurde, nicht unter das Wettbewerbsrecht. Die Tatsache, dass ein Teil der Beiträge einkommensunabhängig ist, deutet versicherungsseitig auf wirtschaftliche Tätigkeiten hin, da die Trägerorganisationen über den Preis miteinander in den Wettbewerb treten können. Wenn die Trägerorganisationen als logische Konsequenz der Existenz einkommensunabhängiger Beiträge nicht an ein feststehendes geographisches Arbeitsgebiet gebunden sind, sondern in den gesamten Niederlanden aktiv sein dürfen, können die Einwohner frei entscheiden, welcher Versicherung sie beitreten möchten, wodurch zwischen den verschiedenen Trägerorganisationen eine Wettbewerbssituation entsteht. Im AOK-Urteil hat das Gericht jedoch entschieden, dass die gesetzliche Definierung des Leistungspaketes ein sehr wichtiger Faktor ist. Wenn ein Krankenversicherer diese Leistungen nicht beeinflussen kann, ist das ein Zeichen dafür, dass er kein Unternehmen ist. In der Variante B ist Paketdifferenzierung jedoch nicht ausgeschlossen, soweit diese aber nicht nach einer Risiokoauswahl stattfindet. Dies impliziert, dass der Krankenversicherer diese Leistungen beeinflussen kann. Wie das AOK-Urteil zeigt, ist der Risikoausgleich eine wichtige Kontraindikation für das Bestehen eines Unternehmens. Dieser geht in der Variante B so weit, dass die Versicherer kein Risiko eingehen. Das deutet darauf hin, dass die betreffenden Versicherer keine Unternehmen sind. Eine andere Kontraindikation ist das Fehlen von Gewinnstreben, wie das Gericht ebenfalls im AOK-Urteil feststellte. In der Variante B dürfen Krankenversicherer dieses Ziel nicht verfolgen. Obenstehende Erörterung ergibt, dass jetzt, da Paketdifferenzierung möglich ist und nominale Prämien berechnet werden, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass die Einrichtungen, die die Sozialversicherung der Variante B ausführen, Unternehmen im Sinne des Wettbe-
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werbs sind. Welche Konsequenzen würde die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechtes auf die Variante B für die Krankenversicherer aus dieser Variante bedeuten? Es bedeutet, dass sie das Kartellverbot, das Verbot des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Vormachtstellung und die Regeln zur Fusionskontrolle einhalten müssen. Absprachen über die Höhe der einkommensunabhängigen Beiträge sind unzulässig. Beim Erwerb von Gesundheitsleistungen dürfen sie nicht als Angebotsgemeinschaft auftreten, sondern es müssen verschiedene, zueinander im Wettbewerb stehende Einkaufsgenossenschaften nebeneinander bestehen. Liegt die beherrschende Stellung eines Versicherungsunternehmens auf einem Einkaufsmarkt für Gesundheitsleistungen vor, hat der Einkauf nach objektiven und transparenten Regeln zu erfolgen, und im Falle von Unternehmensfusionen müssen genügend unabhängige Akteure auf dem Markt verbleiben. Der Staat darf Absprachen zwischen den Trägerorganisationen mit negativen Folgen für den Wettbewerb nicht für allgemeinverbindlich erklären, da er in einem solchen Fall im Widerspruch zu Art. 10 i.V.m. Art. 81 EGV handeln würde. Dies zieht jedoch nicht zwangsläufig grundsätzliche Probleme für Variante B nach sich. Die Anwendung der für Unternehmen verbindlichen wettbewerbsrechtlichen Regeln durch die NMa fördert auf dem vom Staat mit der Zulassung von Wettbewerbssituationen gestalteten Markt die Entstehung eines"LevelPlajing Field. Dazu ist allerdings anzumerken, dass (wie in Abschnitt 3.2. im Fall Molenpad) die Anwendung des Verbots des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Vormachtstellung nicht unbedingt dazu führt, dass dem Markt neue Leistungsanbieter beitreten können. Entscheidet man sich für Variante B, unter anderem zwecks Förderung des Wettbewerbs und der Steigerung der Effektivität des Einkaufsmarkts für Gesundheitsleistungen (Sachleistungssystem), sollte der Staat untersuchen, ob branchenspezifische Wettbewerbsregeln notwendig sind.27 In der Praxis können schwerwiegende Probleme bei der Fusionskontrolle entstehen. Nimmt der Wettbewerb von Trägerorganisationen (Versicherer) aus anderen Mitgliedstaaten auf dem nationalen Markt bei fortschreitender europäischen Integration zu, können für die nationalen Trägerorganisationen Unternehmensfusionen vorteilhaft erscheinen, da nur Trägerorganisationen einer bestimmten Unternehmensgröße ein ausreichendes Gegengewicht gegenüber den ausländischen Marktakteuren aufbauen können. Bald stellt sich das Problem, dass durch Fusionen von auf nationaler Ebene tätigen Trägerorganisationen Vormachtstellungen auf dem regionalen Einkaufsmarkt entstehen, die eine signifikante Einschränkung des Wettbewerbs nach sich ziehen. In Abschnitt 3.2. wurde aufgezeigt, dass solche Fusionen auf wettbewerbsrechtliche Bedenken stoßen können. Werden diese Fusionen verboten, haben nationale Trägerorganisationen der ausländischen Konkurrenz auf dem Krankenversicherungsmarkt möglicherweise nur wenig entgegenzusetzen.
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Da den Trägerorganisationen bei Variante B keine voneinander getrennten geographischen Einzugsgebiete zugewiesen werden (davon wurde bei der Besprechung dieser Variante zumindest ausgegangen), besitzen sie keine ausschließlichen oder besonderen Rechte im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EGV. Wie dies bereits bei Variante A der Fall war, darf bei Variante B die Tatsache nicht übersehen werden, dass hier Fälle der Gewährung staatlicher Beihilfen vorliegen können. Gelder, die den Trägerorganisationen in Form staatlicher Beteiligungen zufließen, können als solche qualifiziert werden.28 Dies würde bedeuten, dass vom Staat gewährte finanzielle Vorteile bei der Kommission zur Genehmigung anzumelden sind. Eine andere Lösung bestünde darin, diese Vorteile in Form von Ausgleichszahlungen für die Wahrnehmung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen zu gewähren. Dieser Ansatz kann nur dann erfolgreich sein, wenn den wesentlichen Grundsätzen aus dem Urteil Altmark (die in Abschnitt 3.4. besprochen wurden) Rechnung getragen wird.
4.3. Variante C: Gesetzliches Krankenversicherungssystem mit Umsetzung durch alle Formen von Privatinitiativen Bei Variante C wird der Versicherungsanspruch gesetzlich festgelegt. Die Krankenversicherung gehört aufgrund des nationalen Rechts zum System der sozialen Sicherheit. Private Versicherer, die Gewinne als Ziel haben dürfen, bieten die gesetzliche Versicherung an. Die Landeseinwohner zahlen an die privaten Versicherer einkommensunabhängige Beiträge. Gewinnorientiertes Vorgehen im Zusammenhang mit dem Angebot von Versicherungen ist erlaubt. Hierbei gilt folgende staatliche Regulierung: Die allgemeinen Versicherungsbedingungen bedürfen der Genehmigung einer staatlichen Behörde. Es besteht Annahmepflicht und es darf keine Beitrags- oder Leistungsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl erfolgen. Es besteht die Verpflichtung zur Beteiligung am Lastenausgleich. Darüber hinaus wird eine bestimmte Form der Beitragsregulierung (Oberund Untergrenzen der Beiträge) geschaffen. Das zum Angebot vorgesehene Paket von Versicherungsleistungen wird vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Zur Förderung des Wettbewerbs formulieren die gesetzlichen Leistungsbeschreibungen keine Ansprüche auf bestimmte Hilfsleistungen, sondern weisen funktionelle Ansprüche aus (hinsichtlich des Leistungsumfangs wird dabei auf das entsprechende Reglement verwiesen). Der Versicherer kann dabei die Entscheidung zwischen einem Erstattungssystem und einem Sachleistungssystem dem Versicherten überlassen. Es besteht eine gesetzlich vorgeschriebene (Mindest-)Selbstbeteiligung. Der Versicherer ist dabei berechtigt, dem Versicherten zu entsprechend herabgesetzten, einkommensunabhängigen Beiträgen einen höheren Grad an Selbstbeteiligung anzubieten.
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Der Versicherer finanziert seine Tätigkeiten teilweise aus einkommensunabhängigen Beiträgen. Außerdem wird ein Risikoausgleichsfonds, der so genannte Gesundheitsfonds, geschaffen. Dadurch wird der verbleibende Anteil der Krankenversicherung finanziert. Der Fonds wird durch lohnabhängige Arbeitgeberbeiträge und staatliche Beiträge für Versicherte unter 18 Jahren gespeist.
Dritte Schadenrichtlinie Aus dem in Abschnitt 2.2.1. besprochenen Urteil Kommission gegen Belgien geht hervor, dass der Umstand, dass ein Versicherungssystem nach nationalem Recht Bestandteil der sozialen Sicherheit ist, für die Frage nach der Anwendbarkeit der Dritten Schadenrichtlinie unerheblich ist. Wenn eine Versicherung auf eigenes Risiko angeboten wird, liegt kein gesetzliches System der sozialen Sicherheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie vor.29 Im Rahmen der breit angelegten Definition des Begriffs Risiko fallt Variante C unter die Dritte Schadenrichtlinie: Versicherer, die eine Versicherung vom Typ C anbieten, üben schließlich ein Gewerbe aus (siehe weiter unten unter dem Punkt Wettbewerbsrecht). Es stellt sich die Frage, inwieweit dies der Fall ist, falls von der Interpretation ausgegangen werden muss, nach der der Begriff Versicherungsrisiko eine zentrale Rolle spielt. Ein wichtiger Unterschied zu Variante B besteht darin, dass der Lastenausgleich augenscheinlich weniger weit reicht (sich auf nur eine geringe Zahl von Merkmalen bezieht). Auf diese Weise tragen Versicherer, neben der Tatsache, dass das Verbot der Beitragsdifferenzierung auch nicht weiter reicht, als dass eine Differenzierung aufgrund einer Risikoauswahl erfolgt, in bestimmtem Umfang Risiken, die einem Versicherungsverhältnis innewohnen.30 Dabei ist zu beachten, dass auch privatwirtschaftliche Versicherer zugelassen werden, was wiederum nicht auf ein gesetzliches System der sozialen Sicherheit schließen lässt. Bei Variante C scheinen einkommensunabhängige Beiträge eine viel größere Rolle zu spielen als bei Variante B: Dies impliziert ein real existierendes Versicherungsrisiko. Hier sei darauf hingewiesen, dass sich Versicherte unter bestimmten Grundvoraussetzungen gegenüber ihrem Versicherer für eine höhere Selbstbeteiligung und niedrigere einkommensunabhängige Beiträge entscheiden können. Betrachtet man diese Elemente im wechselseitigen Zusammenhang, dann ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass die Versicherung aus Variante C auf eigenes Risiko angeboten wird und nicht als Teil eines gesetzlichen Systems der sozialen Sicherheit im Sinne der Schadenrichtlinien angesehen werden kann.31 Es ist unerheblich, dass bei Variante C eine gesetzliche Pflichtversicherung vorliegt; die Schlussfolgerung wäre die gleiche, wenn bei Variante C eine gesetzliche Versicherungspflicht bestände. Die Rechtsvorschriften für die Genehmigung der allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Annahmepflicht, das Verbot der Beitrags- und Leistungsdifferenzierung
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aufgrund einer Risikoauswahl, die Verpflichtung zum Lastenausgleich, die Beitragsregulierung, den Leistungsumfang und die Höhe der Selbstbeteiligung sind nach der Dritten Schadenrichtlinie zu beurteilen, und zwar gemäß Art. 29 und 39.32 Es wurde bereits ausgeführt, dass aufgrund der Rechtsprechung nicht mit Sicherheit angegeben werden kann, ob Art. 29 und Art. 39 weit oder eng zu interpretieren sind. Bei einer eingeschränkten Interpretation sind nationale Vorschriften nicht verboten, wie sich bereits aus Abschnitt 2.2.1. ergab, die nicht die finanzielle Solidität betreffen. Dem Urteil Kommission gegen Italien ist zu entnehmen, dass Art. 29 und Art. 39 vom Grundsatz der Tariffreiheit ausgehen. Einerseits könnte man argumentieren, dass das Verbot der Beitragsdifferenzierung und der Beitragsregulierung diese Freiheit einschränkt. Durch das Verbot der Beitragsdifferenzierung steht es Versicherungsunternehmen nicht mehr frei, verschiedenen Versicherungsnehmern im Ergebnis von Risikoabwägungen verschiedene Tarife anzubieten. Aufgrund einer Beitragsregulierung sind Beiträge unterhalb bzw. oberhalb bestimmter Beitragsgrenzen nicht möglich. Dies schränkt die Tariffreiheit ein, denn schließlich stellen die Beiträge die Tarife für die Versicherungsprodukte dar. Die Schlusssätze von Art. 29 und 39 erlauben die Regulierung der Versicherungstarife als Teil eines allgemeinen Preiskontrollsystems. Interventionen, die hinsichtlich spezifischer Bereiche eines Versicherungszweiges unternommen werden, werden der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission gegen Italien zufolge nicht als Bestandteil eines solchen Preiskontrollsystems betrachtet. Beim Verbot der Beitragsdifferenzierung und der Beitragsregulierung handelt es sich um Interventionen, die auf den Zweig Krankenversicherung ausgerichtet sind und daher nicht als Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems qualifiziert werden können. Andererseits kann jedoch von der Annahme ausgegangen werden, dass die Schlussfolgerungen aus dem Urteil Kommission gegen Italien nicht ohne weiteres auf die Tarifregulierung der Krankenversicherungen angewandt werden können, da bei diesem Urteil, wie bereits in Abschnitt 2.2.1. ausgeführt wurde, das Einfrieren der Versicherungsbeiträge und der Zweig Kfz-Versicherungen im Mittelpunkt standen. Bei einer Beitragsregulierung, die bestimmte Unter- oder Obergrenzen vorschreibt, besitzen die betreffenden Versicherungsgesellschaften noch eine gewisse Freiheit. Dieser Grad an Freiheit ist beim Verbot der Beitragsdifferenzierung noch größer. Im Falle eines solchen Verbots kann sich nämlich die Beitragshöhe von Versicherer zu Versicherer unterscheiden, solange es innerhalb ein und derselben Versicherungsgesellschaft nur eine einzige Durchschnittsbeitragshöhe für alle Versicherten gibt. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, ob dem Gerichtshof beim Verweis auf den Grundsatz der Tariffreiheit eine absolute oder eine relative Freiheit vorschwebte. Falls es sich um eine relative Freiheit handelte, kann sich das Verbot der Beitragsdifferenzierung (das die Preiskonkurrenz zwischen den Versicherungsgesellschaften nicht beeinträchtigt) sehr wahrscheinlich den Zwängen des Verbots aus Art. 29 der
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Dritten Schadenrichtlinie entziehen. Leider lässt sich wegen mangelnder Präzisierung des Grundsatzes der Tariffreiheit durch den Gerichtshof nicht eindeutig feststellen, wie dieser Grundsatz genau zu interpretieren ist. Bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie kann hinsichtlich der sonstigen Rechtsvorschriften (mit Ausnahme der Vorschriften zur Beitragshöhe) das Gleiche angemerkt werden wie hinsichtlich der nationalen Verpflichtung, Angaben einer Datenbank zu übermitteln, um die es im Urteil Kommission gegen Italien ging, nämlich dass sie einen anderen Zweck verfolgen als den zentralen Zweck der Dritten Schadenrichtlinie (finanzielle Solidität und die Prinzipien der einheitlichen Zulassung und der Kontrolle im Herkunftsland). Die Verpflichtung aus diesem Urteil sollte der Betrugsbekämpfung dienen, während mit den übrigen Rechtsvorschriften der Variante C die Gewährung des Zugangs zur Krankenversicherung und zur Gesundheitsversorgung bezweckt wurde. Eine solche gesetzliche Regulierung ist erlaubt, solange keine vorherige Meldung oder Genehmigung von allgemeinen oder besonderen Versicherungsbedingungen gefordert wird. Bei einer weiten Interpretation der Art. 29 und Art. 39 ist es den Mitgliedstaaten verboten, in allgemeinen und besonderen Bedingungen einer Schadensversicherung einzugreifen.33 Dies ist ein weit reichendes Verbot, so dass — wenn der breit angelegten Interpretation gefolgt wird - nicht nur die Verbote der Beitragsdifferenzierung und der Beitragsregulierung unzulässig sind, sondern auch die Genehmigungspflicht für das Versicherungsreglement, die Annahmepflicht, die Verpflichtung zum Lastenausgleich, die Vorschriften hinsichtlich des Leistungsumfangs und der Höhe der Selbstbeteiligung nicht erlaubt sind. Diese Verpflichtungen führen dazu, dass ein Mitgliedstaat tief in die Versicherungsbedingungen eingreift. Die Fragen, welche Personen angenommen werden müssen, welche Deckung angeboten wird und welche Selbstbeteiligung gilt, sind wichtige Aspekte, an denen sich ein Versicherer bei der Erstellung eines Versicherungsvertrages orientiert, während sich der obligatorische Lastenausgleich in wesentlichem Maße auf die Betriebsführung des Versicherers auswirkt. Es drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass auch bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie nicht ausgeschlossen ist, dass die Rechtsvorschriften hinsichtlich der Versicherung vom Typ C (und zwar die Vorschriften hinsichtlich des Tarifs) im Wirkungsbereich des Verbots dieser Artikel liegen. Bei der Einführung einer Krankenversicherung gemäß Variante C ist dies eine wichtige Schlussfolgerung. Insbesondere das Verbot der Beitragsdifferenzierung stellt nämlich einen wichtigen Bestandteil dieses Versicherungssystems dar, da dieses Verbot mit Blick auf die für notwendig erachtete Risikosolidarität erforderlich ist. Es stellt sich die Frage, inwieweit Ausnahmebestimmungen aus der Dritten Schadenrichtlinie die entstandenen Probleme lösen können. Aus dem Urteil Kommission gegen Italien geht hervor, dass dies für Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie nicht
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der Fall ist, da dieser Artikel keine Beschränkung der Tariffreiheit rechtfertigen kann.34 Zu untersuchen ist, inwieweit Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie Abhilfe schaffen kann. In Abschnitt 2.2.2. wurde deutlich, dass diese Bestimmung sowohl eingeschränkt als auch großzügig ausgelegt werden kann. Bei einer eingeschränkten Auslegung muss neben den Verträgen, die die Krankheitskostendeckung eines Systems der sozialen Sicherheit ersetzen, gleichzeitig dieses System der sozialen Sicherheit bestehen. Bei Variante C ist dies nicht der Fall: Nur die Versicherungsverträge bieten eine Deckung der Krankheitskosten. Im Falle einer eingeschränkten Auslegung von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie können die nationalen Bestimmungen der Variante C, die Art. 29 und 39 dieser Richtlinie widersprechen, nicht gerechtfertigt werden. Bei einer großzügigen Auslegung wird die Deckung des Systems der sozialen Sicherheit von der Deckung aufgrund der Verträge abgelöst. Das bedeutet, dass Variante C sehr wohl in den Geltungsbereich von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie fallen kann, da bei dieser Variante die Verträge die Krankenkassenversicherung ablösen. Es gilt zu beachten, dass bei einer breit angelegten Interpretation von Art. 54 nicht unbedingt jede beliebige nationale Regulierung von Krankenversicherungen zulässig ist. Jede nationale Verpflichtung ist auf ihre Zulässigkeit zu prüfen. Welche einzelstaatlichen Bestimmungen aus Variante C können bei einer breit angelegten Auslegung von Art. 54 unter die Ausnahmegründe dieses Artikels fallen? Der Artikel bestimmt, dass der besagte Vertrag den vom Mitgliedstaat erlassenen, besonderen Rechtsvorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses, auf das sich diese Versicherung bezieht, genügen muss. In Punkt 24 der Rechtserwägungen wird außerdem angemerkt, dass Vorschriften hinsichtlich des Verbots von Zugangsbeschränkungen, Vorschriften in Richtung einheitlicher Tarife je nach Art des Vertrages, Vorschriften, aufgrund derer ein Standardvertrag mit einem pflichtgemäßen Höchstbeitrag anzubieten ist, und Vorschriften, die eine Verpflichtung zur Beteiligung an Lastenausgleichssystemen beinhalten, erlassen werden dürfen. Es dürften gute Argumente dafür bestehen, solche Vorschriften, auch wenn sie nicht in einem Richtlinienartikel formuliert werden, sondern in den Begründungserwägungen stehen, als erlaubt zu erachten. Schließlich ist die Interpretation einer Richtlinie anhand der Begründungserwägungen — logischerweise — eine akzeptierte und übliche Interpretationsmethode im EG-Recht.35 Das Verbot der Beitragsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl kann - so lässt sich argumentieren — als eine Regelung hinsichtlich einheitlicher Tarife in Abhängigkeit von der Art des Vertrages betrachtet werden. Wie bereits bemerkt wurde, schränkt dieses Verbot (in gewissem Umfang) die Tariffreiheit ein und beeinflusst daher die Berechnung der Versicherungsbeiträge. Das Differenzierungsverbot führt bei den Tarifen zu einer gewissen Vereinheitlichung. Diese Vereinheitlichung erfolgt
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nicht vollständig, sondern gilt nur eingeschränkt pro Versicherer und pro Produkt (eine/keine höhere Selbstbeteiligung). Um den Zugang zur GesundheitsVersorgung durch die Bekämpfung des Prinzips der Risikoauswahl zu erwirken, greift diese eingeschränkte Art der Vereinheitlichung des Tarifs nicht weiter als notwendig ein. Es kann davon ausgegangen werden, dass daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt wird. Die Beitragsregulierung kann, wenn sie der Fesdegung von Beitragsgrenzen dient, als eine Vorschrift für einen Höchstbeitrag betrachtet werden.36 Dieser ist an einen Standardvertrag (der gesetzlich definierte Leistungsumfang) gekoppelt. Um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen zu können, muss ein angemessener Höchstbeitrag festgelegt werden. Es ist zu vermeiden, dass Versicherern dabei Verluste aufgezwungen werden, wie bereits vorstehend bei der Besprechung von Variante B dargelegt wurde. Die entsprechende Sachlage ist natürlich im Zusammenhang mit dem Lastenausgleichssystem zu beurteilen. Die Lastenausgleichsverpflichtung kann als eine Verpflichtung zur Beteiligung an Kompensationssystemen betrachtet werden. Den Versicherern wird durch den Lastenausgleich eine Entschädigung für die Übernahme erhöhten Risiken gezahlt. Wie bei der Besprechung von Variante B bereits angemerkt wurde, kann die Teilnahme an einem Ausgleichssystem eine weit reichende Verpflichtung darstellen. Diese Verpflichtung darf sich daher nicht weiter erstrecken als auf den Bereich des Notwendigen und darf nur auf den Zweck, zu dem sie ins Leben gerufen wurde, bezogen werden und zwar auf die Gewährung des Zugangs zu einer Krankenversicherung für alle. Die Annahmepflicht ist, so könnte man argumentieren, das Spiegelbild des Verbots von Zugangsbeschränkungen, da durch die Annahmepflicht jeder Person Zugang zu einer Krankenversicherung gewährt wird.37 Auch in Fällen, in denen eine Annahmepflicht einem solchen Verbot nicht gleichgesetzt werden kann, ist es durchaus denkbar, dass sie durch Art. 54 Abs. 1 der Dritten Schadenrichtlinie gerechtfertigt werden kann. Dieser Richtlinienartikel bestimmt weitgehend, dass Schadensversicherungen Vorschriften hinsichtlich der Wahrung des Allgemeininteresses auferlegt werden können. Eine Annahmepflicht dient dem Allgemeininteresse der Schaffung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung für alle Bürger. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird Genüge geleistet, da kein weniger einschränkendes Mittel zur Realisierung des Zugangs zu den Krankenversicherungen zur Verfügung steht. Die Beschreibung des anzubietenden Leistungspakets per Gesetz ist, so könnte man argumentieren, als Vorschrift für das Angebot eines Standardvertrags zu betrachten. Die Verhältnismäßigkeit ist gewährleistet, da aufgrund der Beschreibungen eine gewisse Flexibilität beim Anbieten des Standardpakets möglich ist. Das Verbot der Leistungsdifferenzierung nach Risiko, dass bei Variante C vor allem das Angebot einer höheren Selbstbeteiligung zu einem herabgesetzten Beitrag bedeutet, scheint
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auch zulässig 2u sein, da auf diese Weise ebenfalls eine gewisse Flexibilität in das System der Krankenversicherungen eingebaut wird. Die gesetzliche Genehmigungspflicht für das Versicherungsreglement bezieht sich vor allem auf das anzubietende Standardpaket und kann daher, sofern dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird, als zulässig gelten. Bei einer weiten Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie dürften die nationalen Vorschriften hinsichtlich der Krankenversicherung gemäß Variante C einer Beurteilung nach Maßgabe dieses Artikels standhalten können. Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass die oben angebrachten Qualifikationen in Zweifel gezogen werden können. Dazu ist Folgendes zu bemerken: Auch wenn sich die besprochenen Rechtsvorschriften ihrem Wortlaut nach nicht im Einklang mit den in Punkt 24 der Urteilsbegründung genannten Vorschriften befinden sollten, ist eine Berufung auf Art. 54 dennoch möglich. Dieser Richtlinienartikel erlaubt schließlich dem Allgemeininteresse dienende gesetzliche Bestimmungen. In diesem Zusammenhang ist an Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie zu erinnern. Danach dürfen die Mitgliedstaaten Versicherer daran hindern, Versicherungen abzuschließen, falls sich diese nicht im Einklang mit den nationalen Bestimmungen bezüglich des Allgemeininteresses befinden. Bei einer breit angelegten Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie geht es schließlich darum, dass bei der Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtungen für Krankenversicherungen vom Typ C dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird. Die Anwendbarkeit der Schadenrichtlinien hat nicht nur zur Folge, dass die nationale Regulierung der Krankenversicherungen danach zu beurteilen ist, ob sie Art. 29 und 54 der Dritten Schadenrichtlinie entspricht, sondern auch, dass die Bestimmungen über die finanzielle Solidität auf die Versicherer anwendbar sind, die Krankenversicherungen vom Typ C anbieten. Die Überwachung der finanziellen Solidität der Versicherer aus anderen Mitgliedstaaten obliegt daher den Aufsichtsbehörden jener anderen Mitgliedstaaten. Gleichzeitig können sie sich mit der im Niederlassungsmitgliedstaat erworbenen Zulassung auf dem niederländischen Markt betätigen. Dies sind Folgen des Prinzips der country home control und des Prinzips der Single licence. Ferner enthält die Dritte Schadenrichtlinie, wie sich bereits bei der Besprechung von Variante B zeigte, Vorschriften aufgrund derer es für Krankenversicherer problematisch ist, eigene Einrichtungen zu betreiben. Wie bereits dargelegt wurde, ist es den unter die Schadenrichtlinien fallenden Versicherern verboten, versicherungsfremde Tätigkeiten auszuüben. Sie dürfen darüber hinaus Anteile an Gesellschaften, die versicherungsfremde Tätigkeiten ausüben, nur in dem Maße halten, wie deren Wert die Obergrenze ihrer freien Mittel nicht überschreitet. Bei Variante C besteht die Möglichkeit, dass die Krankenversicherungen auf einem Sachleistungssystem basieren. Man könnte sich die Frage stellen, inwiefern der Einkauf von Gesundheitsleistungen eine versicherungsfremde Tätigkeit darstellt. Sollte
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dies der Fall sein, muss die Abteilung für den Einkauf von Gesundheitsleistungen einer gesonderten Rechtsperson unterstellt werden und der Wert der Anteile des Versicherers an dieser Gesellschaft darf die Obergrenze seiner freien Mittel nicht überschreiten. Es kann ebenfalls in dem Sinne argumentiert werden, dass der Einkauf von Gesundheitsleistungen so eng mit der Tätigkeit der Krankenversicherung verbunden ist, die sich auf die Erbringung von Leistungen be2ieht, die den Versicherten vertragsgemäß zustehen, dass ein solcher Einkauf nicht dem Verbot der Ausübung versicherungsfremder Tätigkeiten widerspricht.
Sozialversicherungsverordnung (Verordnung 1408/71) Die Krankenversicherung aus Variante C fallt unter die Bestimmungen der Verordnung 1408/71, da es sich hierbei um eine Versicherung von Leistungen im Krankheitsfall aufgrund einer gesetzlichen Versicherung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a dieser Verordnung handelt. Bei Variante C werden in einer Kombination gesetzlicher Bestimmungen Aspekte einer Regulierung unterworfen, die sich auf die Versicherung und Leistungen in Krankheitsfallen beziehen. Obwohl auf dem Angebotsmarkt für diese Art der Krankheitskostenversicherung private Versicherer eine wichtige Rolle spielen, liegt kein Vertragssystem vor. (In Abschnitt 2.2.2. wurde ausgeführt, dass Vertragssysteme nicht unter den Wirkungsbereich der Verordnung 1408/71 fallen.)38 Die wichtigsten Aspekte (Umfang des erstattungspflichtigen Leistungspakets, Selbstbeteiligung, Annahmepflicht, Lastenausgleich, Verbot der Beitragsdifferenzierung) wurden in gesetzlichen Bestimmungen festgelegt, so dass es sich hier um eine per Gesetz dekretierte soziale Sicherheit und nicht um eine vertraglich vereinbarte soziale Sicherheit handelt.39 Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Anwendbarkeit von Verordnung 1408/71 nicht mit grundsätzlichen Problemen verbunden. Bei der Ausgestaltung eines Gesundheitssystems gemäß Variante C muss ein Mitgliedstaat, so wurde bereits bei der Diskussion von Variante B ausgeführt, natürlich den Konfliktbestimmungen der Verordnung Rechnung tragen. Die Verordnung, so zeigte sich bereits, geht davon aus, dass für Arbeitnehmer die Regeln zur sozialen Sicherheit des Landes gelten, in dem sie tätig sind, auch wenn sich ihr Wohnort in einem anderen Land befindet. Demzufolge fallen nicht alle in den Niederlanden wohnhaften Arbeitnehmer unter die Bestimmungen des Systems von Typ C, während für Einwohner anderer Mitgliedstaaten, die unter die Bestimmungen des niederländischen Systems der sozialen Sicherheit fallen, Möglichkeiten geschaffen werden müssen.40 Dies bedeutet, dass die Versicherung von Rechts wegen nicht ausnahmslos jeden Landeseinwohner erfassen kann. Einwohner, die aufgrund von Verordnung 1408/71 unter die Bestimmungen des Sozialversicherungssystems eines anderen Mitgliedstaats fallen, sind davon auszunehmen, während die Personen, die zwar in einem anderen Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, aber dennoch unter die Bestimmungen des niederländischen So-
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2ialversicherungssystems fallen, zur Gruppe der gesetzlich Versicherten zu rechnen sind.
Freizügigkeit Wurde die Harmonisierung bestimmter Aspekte abgeschlossen, werden diese nicht mehr nach den allgemeinen Vertragsbestimmungen zur Freizügigkeit bewertet. Im Falle einer breit angelegten Interpretation von Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie bedeutet dies, mit Ausnahme der nationalstaatlichen Bestimmungen zu Sachleistungen und zu gesetzlichen Versicherungen, dass solche Vertragsbestimmungen für die Krankenversicherungen vom Typ C nicht von Bedeutung sind. In Anbetracht des Grundsatzes der Tariffreiheit kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verbot der Beitragsdifferenzierung und der Beitragsregulierung sogar im Falle der eingeschränkten Auslegung von Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie unter das Verbot dieses Richtlinienartikels fallt. Bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie werden die verschiedenen Aspekte der nationalstaatlichen Gesetze für die Genehmigung der allgemeinen Versicherungsbestimmungen (also die Annahmepflicht, das Verbot der Leistungsdifferenzierung, die Lastenausgleichsverpflichtung, der Umfang des Leistungspakets und die Höhe der Selbstbeteiligung) grundsätzlich nicht und hinsichtlich der Beitragsvorschriften nur teilweise harmonisiert. Nachfolgend werden die genannten nationalen Bestimmungen nach Maßgabe der Bestimmungen zur Freizügigkeit bewertet. Zunächst ist jedoch auf Folgendes hinzuweisen: Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie verbietet es Mitgliedstaaten, Versicherer daran zu hindern, Versicherungsverträge zu schließen, es sei denn, dies wäre aus Gründen des Allgemeininteresses erforderlich. Werden die Bestimmungen dieses Artikel großzügig interpretiert, könnten sich die gesetzlichen Bestimmungen zur Annahmepflicht hierzu im Widerspruch befinden, da ein Versicherer durch diese nationalen Bestimmungen daran gehindert wird, Versicherungsverträge zu schließen. Es ist zu untersuchen, ob sich diese nationalen Bestimmungen im Einklang mit dem Allgemeininteresse befinden. Sollte sich der Gerichtshof für diese Sichtweise entscheiden, wird ein Weg eingeschlagen, der dem im Falle der Freizügigkeit ähnelt: eine Bewertung nach Maßgabe eines allumfassenden Verbots und des Ausnahmegrundes des Allgemeininteresses. Diese Bewertung würde zu dem gleichen Ergebnis führen, wenn sie gemäß der Freizügigkeitsbestimmungen vorgenommen würde, was nachstehend geschieht.41 Was im Anschluss zur Freizügigkeit und zum freien Verkehr ausgeführt wird, gilt mutatis mutandis für den Fall, dass der Gerichtshof Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie weit auslegt. Im Anschluss wird auch die gesetzliche Bestimmung besprochen, dass jeder Landeseinwohner von Rechts wegen versichert ist, aber auch die Wahlmöglichkeit zwischen
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Erstattung und Sachleistungen. Diese Aspekte wurden bei der Bewertung nach den Schadenrichtlinien nicht angeführt, da sie nicht unter diese Richtlinien fallen. Bei der freien Wahl zwischen Erstattung und Sachleistungen wurde davon ausgegangen, dass ein Versicherer nicht verpflichtet ist, dem Versicherten eine solche Wahlmöglichkeit anzubieten. Wenn eine solche Verpflichtung bestehen würde, käme dies einem Eingriff in die Versicherungsbedingungen gleich und es läge ein Widerspruch zu einem großzügig ausgelegten Verbot aus Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie vor, so dass zu untersuchen wäre, ob Art. 54 der Richtlinie Abhilfe schaffen könnte. Wie bereits bei Variante B erwähnt, wird der Ausgangspunkt des Gerichtshofs der im Duphar-Urteil betonte Grundsatz sein, dass die Ausgestaltung der sozialen Sicherheit zu den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten gehört. Es wurde bereits ausgeführt, dass die Annahmepflicht, das Verbot der Beitragsdifferenzierung nach Risiko, die Vorschriften zu den Beiträgen und die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Lastenausgleichssystem allesamt Einschränkungen der Freizügigkeit darstellen (der Zugang zum Markt wird behindert), jedoch allem Anschein nach, sofern sie nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgestaltet werden, unter Berufung auf Art. 46 EGV (öffentliche Gesundheit) und das zwingende Erfordernis des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit begründet werden können. Wird Variante C der Variante B vorgezogen, besteht der Vorteil in dem weniger komplizierten Nachweis, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird. Es besteht nämlich kein Verbot der Gewinnorientierung, so dass hier weniger eine Einschränkung der Freizügigkeit vorliegt. Unter Berufung auf Urteile wie Duphar und Müller-Faure kann das Argument vorgebracht werden, dass die gesetzlich fixierte Beschreibung der zu versichernden Leistungspakete (einschließlich der Regeln zur Selbstbeteiligung) nicht im Widerspruch zu den Regeln der Freizügigkeit steht. Bei Variante C wird der Umfang des Leistungspakets sogar funktionell umschrieben und es besteht die Möglichkeit, eine höhere Selbstbeteiligung (und herabgesetzte Beiträge) vertraglich zu vereinbaren, so dass hier mehr Flexibilität als bei Variante B besteht. Diese Flexibilität trägt dazu bei, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird. Die Verpflichtung, von einem Mindestgrad an Selbstbeteiligung auszugehen, scheint einerseits eine Einschränkung darzustellen (keine Freiheit, Versicherungen ohne Selbstbeteiligung anzubieten) und andererseits, mit Blick auf das finanzielle Gleichgewicht, gerechtfertigt zu sein. Ebenso wie bei Variante B kann hinsichtlich der gesetzlichen Anforderungen an eine Krankenversicherung gemäß Variante C das Argument vorgebracht werden, dass es durchaus denkbar sei, dass Einschränkungen der Freizügigkeit, die mit den genannten gesetzlichen Anforderungen einhergehen, unter Berufung auf Ausnahmen begründet werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spielt hierbei eine wichtige Rolle. Da bei Variante C von einer stärkeren Marktwirkung ausgegangen
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wird als bei Variante B, muss der Staat bei der konkreten Umsetzung sorgfaltig prüfen, ob die auferlegten Verpflichtungen nicht den Rahmen des strikt Notwendigen überschreiten, und sei es aus dem alleinigen Grund, dass es auf einem überwiegend privatwirtschafitlich dominierten Krankenversicherungsmarkt für bestimmte private Versicherer lohnender ist, einen Prozess anzustrengen und das bestehende System vor Gericht anzufechten. Bei der Behandlung von Variante B wurde bereits darauf eingegangen, dass eine Bestimmung, aufgrund derer alle Landeseinwohner von Rechts wegen versichert sind, keine Beschränkung der Freizügigkeit darstellt, solange es einem Landesbewohner nicht übermäßig erschwert wird, Leistungen von Versicherern aus anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen. Im Prinzip gibt es auch keine juristischen Komplikationen im Zusammenhang mit den Bestimmungen zur Freizügigkeit, wenn bei Variante C anstelle einer Versicherung von Rechts wegen eine gesetzliche Versicherungspflicht bestünde, natürlich nur, wenn Versicherer aus anderen Mitgliedstaaten ebenfalls auf dem nationalen Markt tätig werden dürfen. Bei der Besprechung von Variante D wird genauer auf die Versicherungspflicht eingegangen. Ein wesentlicher, noch zu erläuternder Aspekt betrifft die Möglichkeit von Sachleistungen. Bei Variante C hat der Versicherte die Wahl zwischen einem Erstattungssystem und einem Sachleistungssystem. Bei der Behandlung von Variante B wurde darauf verwiesen, dass ein vom Staat auferlegtes Sachleistungssystem zu bestimmten Problemen im Zusammenhang mit den Bestimmungen der Freizügigkeit führt. Bei Variante C wird diese Verpflichtung jedoch nicht vom Staat auferlegt, sondern ist Bestandteil des zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer ausgehandelten Vertrags. Hierbei handelt es sich auch um ein Verhältnis auf horizontaler Ebene; die Bestimmungen zur Freizügigkeit zielen in nur begrenztem Umfang auf Wirkungen auf horizontaler Ebene ab. Im Urteil Janssen gegen VGZ 42 hat der Gerechtshof T)en Bosch die Bestimmungen zur Dienstleistungsfreiheit bei einem Verhältnis auf horizontaler Ebene gemäß der vorstehenden Charakterisierung angewandt. Die Begründung des Gerechtshof für diese Vorgehensweise bestand in dem von der Rechtsprechung des Gerichtshofs (der EG) abgeleiteten Kriterium, dass eine private Partei gegenüber einer anderen privaten Partei eine Vormachtstellung einnehmen darf, wodurch das vom EG-Vertrag gewährleistete Recht der Freizügigkeit erschwert werden kann. In dem betreffenden Fall handelte es sich um eine Einschränkung, die in den allgemeinen Versicherungsbedingungen der betreffenden Versicherungsgesellschaft festgeschrieben war. Für die Versicherten besteht keine Möglichkeit zum Aushandeln allgemeiner Versicherungsbedingungen, so dass der Versicherer ihnen gegenüber eine bestimmte Vormachtstellung einnimmt. Es sei darauf verwiesen, dass gegen das Urteil des Gerechtshof keine Revision eingelegt wurde, und dass sich der EuGH bisher zu keinem Rechtsstreit zwischen einem privaten Krankenversicherer und einem
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Privatversicherten ausgesprochen hat, so dass keine vollständige Klarheit darüber besteht, inwieweit das Ergebnis in der Rechtssache Janssen gegen VGZ eine korrekte Auslegung des EG-Rechts darstellt. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der EuGH in einer solchen Rechtssache die gleiche Auffassung wie der Gerechtshof Den Bosch vertreten würde. Wenn bei einer Versicherung vom Typ C Versicherte in der Praxis tatsächlich zwischen einem Erstattungssystem und einem Sachleistungssystem wählen können, ist es fraglich, ob die Freizügigkeitsregeln bei solchen Beziehungen auf horizontaler Ebene überhaupt angewandt werden können, da das Kriterium einer „gewissen Vormachtstellung" allem Anschein nach nicht erfüllt wird. Angenommen, dass für den Fall der Wahl des Erstattungssystems die Behandlung durch einen Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat möglich wäre, ist durchaus fraglich, ob sich ein Versicherter, der sich für eine Sachleistungsversicherung entschieden hat, auf die Freizügigkeit, etwa von Dienstleistungen, berufen kann, wenn er nicht berechtigt ist, die Leistungen von bestimmten, jenseits der Grenze niedergelassenen Versicherungsunternehmen in Anspruch zu nehmen. Der Versicherte hatte schließlich die freie Wahl, seine Gesundheitsleistungen von jenseits der Grenze zu beziehen, da dies bei einer Erstattungsversicherung möglich gewesen wäre. Sollte jedoch in der Praxis die Entscheidung für eine Erstattungsversicherung damit einhergehen, dass Gesundheitsleistungen auch jenseits der Grenze nur unter Schwierigkeiten in Anspruch genommen werden können, oder dass eine solche Versicherung mit hohen Beiträgen verbunden ist, könnte wiederum ein Fall der Ausübung einer Vormachtstellung vorliegen, der die Anwendung der Regeln der Freizügigkeit auf horizontaler Ebene rechtfertigt. Insgesamt gesehen, wirken sich bei Variante C die Regeln der Freizügigkeit in geringerem Maße auf die Sachleistungen aus als bei Variante B.
Wettbewerbsrecht Es ist wahrscheinlich, dass Versicherer in Variante C Unternehmen sind, da sie ihre Dienste in einem Konkurrenzverhältnis anbieten. Sie haben Einfluss auf das Leistungspaket, da die Ansprüche als funktionelle Ansprüche umschrieben werden und letztlich das Reglement des Versicherers den Umfang der Leistungen bestimmt, auf die ein Versicherungsnehmer Anspruch hat. Der Einfluss auf das Leistungspaket wird dadurch vergrößert, dass ein Versicherer einem Versicherungsnehmer verschiedene Pakete mit unterschiedlichen Risikoformen anbieten kann. Außerdem dürfen die Versicherer Gewinn anstreben. Beide Elemente (Einfluss auf die Leistungen und Gewinnstreben) bedeuten nach dem AOK-Urteil, dass ein Krankenversicherer ein Unternehmen ist. Weiterhin spielen nominale Prämien, in denen keine Solidarität mitberechnet ist, in der Variante C eine wichtige Rolle. Da jetzt nur die Ausgleichspflicht Grund für die Auffassung sein könnte, dass keine wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden und alle anderen Elemente genau das Gegenteil anzeigen, ist meiner Mei-
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nung nach der Schluss gerechtfertigt, dass die Krankenversicherer aus der Variante C Unternehmen sind. Aus diesem Grund sind sie verpflichtet, das Kartellverbot, das Verbots des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Vormachtstellung sowie die Regeln der Fusionskontrolle einzuhalten. Wie bereits bei der Besprechung von Variante B angemerkt, bringt dies keine grundsätzlichen Probleme mit sich. Mittels der genannten Regeln kann die NMa die Aufsicht über den auf dem Markt herrschenden Wettbewerb wahrnehmen. Wie vorstehend bereits im Zusammenhang mit Variante B dargelegt, wird die Anwendung des Verbots des Missbrauches einer wirtschaftlichen Vormachtstellung in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht dazu führen, dass neue Anbieter von Gesundheitsleistungen auf dem Markt erscheinen. In dem Fall, dass der Staat innerhalb des bestehenden Systems einem vom Wettbewerb bestimmten Markt von Gesundheitsdienstleistungen aus Effizienzerwägungen einen wichtigen Stellenwert beimisst, kann darüber nachgedacht werden, ob Bedarf an branchenspezifischen Wettbewerbsregeln besteht. Zugleich ist zu bemerken, dass die Anwendung der Fusionsregeln wie bereits bei Variante B zu Problemen bei Fusionen niederländischer Versicherer mit einer vorherrschenden Stellung auf diversen regionalen Einkaufsmärkten für Gesundheitsleistungen führen können, die mit großen ausländischen Versicherern auf dem Versicherungsmarkt in den Wettbewerb treten möchten. Diese Probleme sind bedeutender als bei Variante B, da es bei Variante C für ausländische Versicherer noch attraktiver ist, auf dem niederländischen Markt tätig zu werden, da dort die Wirkung der Marktmechanismen umfangreicher ist. Größere Probleme können auch im Zusammenhang mit den Regeln über staatliche Beihilfen entstehen,43 da ein Gesundheitsfonds gegründet wird, der aus den einkommensunabhängigen Beiträgen der Versicherer, einkommensabhängigen Arbeitgeberbeiträgen und staatlichen Beihilfen als Entschädigung für die Kosten mitversicherter Personen unter 18 Jahren gespeist wird. Wird dieser Fonds von einer Einrichtung verwaltet, die zu den Behörden des Mitgliedstaats zählt, können die Finanzmittel, die aus diesem Fonds an die Versicherer gezahlt werden, als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV betrachtet werden. Dies gilt selbst für die Gelder, die aus den Zahlungen der einkommensunabhängigen Beiträge der Versicherten stammen. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass im Falle einer von den Unternehmen zu zahlenden (steuerähnlichen) Abgabe davon ausgegangen wird, dass der Staat, der diese Gelder anschließend zugunsten dieser Unternehmen verwendet, staatliche Beihilfen gewährt.44 Es ist möglich, die durch die Anwendbarkeit des EG-Vertrages im Bereich der staatlichen Beihilfen entstehenden Probleme zu lösen: Die Leistungen könnten als Finanzausgleich für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen eingestuft werden. Dabei müssten folgende, aus dem Altmark-Urteil (zitiert in Abschnitt 3.4.)
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stammende Voraussetzungen erfüllt werden: Erstens müssten die begünstigten Unternehmen, in diesem Fall die Versicherer, tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschafitlicher Verpflichtungen (beispielsweise dem Angebot einer Krankheitskostenversicherung für jeden Interessenten) betraut werden und die Verpflichtungen müssten gesetzlich eindeutig definiert sein. Zweitens müssten die Parameter, auf deren Grundlage der Ausgleich berechnet wird (beispielsweise als Lastenausgleich zwischen den einzelnen Versicherern), vorab auf objektive und transparente Weise ermittelt werden. Drittens dürften die Ausgleichszahlungen nicht höher als nötig sein, um die Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen komplett oder teilweise zu decken, wobei die Erträge und ein Gewinn aus der Erfüllung der genannten Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. Viertens müsste, wenn die Auswahl der Leistungsträger nicht mit einer öffentlichen Ausschreibung erfolgt, der Ausgleichsbetrag anhand der Kosten, die einem für den Markt typischen Unternehmen entstehen würden (unter Berücksichtigung der Erträge und einem Gewinn aus der Erfüllung seiner Verpflichtungen), ermittelt werden. Bei Erfüllung dieser Bedingungen ist denkbar, dass die aus dem Gesundheitsfonds erfolgten Zahlungen nicht als staatliche Beihilfe betrachtet werden müssen. Doch bleibt zu konstatieren, dass auch für den Fall, in dem ein Mitgliedstaat irrtümlicherweise annimmt, die Kriterien des Altmark-Urteils erfüllt zu haben, die gewährten finanziellen Vorteile nachträglich als staatliche Beihilfe qualifiziert werden können. Man darf nicht übersehen, dass durch Mitgliedstaaten gewährte Finanzmittel, die als Beihilfe gelten und die nicht von der Kommission genehmigt wurden, aufgrund der unmittelbaren Rechtskraft der aufschiebenden Wirkung von Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV zurückgefordert werden können.45 Sicherer ist es, die betreffenden staatlichen Beihilfen bei der Kommission anzumelden und eine Genehmigung beispielsweise nach Art. 82 Abs. 2 EGV zu beantragen. Die Kommission kann in Form eines Entscheids feststellen, dass keine staatliche Beihilfe vorliegt, da die angemeldeten Maßnahmen die Altmark-Kriterien erfüllen. Außerordentlich bemerkenswert ist das Ergebnis in der Rechtssache British United Provident Association. In diesem Fall genehmigte die Kommission in einem Bescheid das irische System des Risikoausgleichs, da die dem bedeutendsten irischen Versicherer, dem Voluntary Health Insurance Board, gewährten finanziellen Vorteile der Kommission zufolge als Kompensation für die Erfüllung gemeinwirtschafitlicher Verpflichtungen anzusehen waren.46 Die British United Provident Association hat beim Gericht erster Instanz Beschwerde eingelegt.47 Das noch ausstehende Urteil des Gerichts und gegebenenfalls das des Gerichtshofs (falls in dieser Rechtssache Berufung eingelegt wird) könnten wichtige Kriterien zur Bewertung von Risikoausgleichssystemen nach Maßgabe der europäischen Regeln für staatliche Beihilfen enthalten.
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Die Bewertung nach EG-Recht ergibt ein anderes Ergebnis, wenn der Gesundheitsfonds von Versicherern verwaltet wird, die nicht mit Behörden des Mitgliedstaats identisch sind und wenn der Staat diese Versicherer zur Beteiligung an einem solchen Fonds verpflichtet. In einem solchen Fall kann es sein, dass eine Verletzung der „neuen Norm" (Art. 10 i. V. m. Art. 81 EGV) vorliegt, da der Staat die Unternehmen dazu verpflichtet, Absprachen zur Gründung eines Gesundheitsfonds zu treffen und aufgrund dieser Absprachen im Rahmen der Risikosolidarität Gelder an diesen Gesundheitsfonds zu zahlen.48 Es ist durchaus denkbar, dass solche Absprachen als wettbewerbsbeschränkend betrachtet werden, da aus der Entscheidung der NMa zum so genannten Solidaritätsprotokoll hervorgeht, dass die NMa Absprachen über Risikosolidarität, an denen alle Versicherer beteiligt sind, als wettbewerbsbeschränkend qualifiziert. Wenn der Staat solche Absprachen auferlegt, würde dies einer Verletzung von Art. 81 i.V.m. Art. 10 EGV gleichkommen. In der Rechtssache Pavlov wurde, wie bereits in Abschnitt 3.3. dargestellt, als Reaktion auf die festgestellte Nichteinhaltung von Bestimmungen aus Art. 81 i.V.m. Art. 10 EGV mit aller gebotenen Zurückhaltung eine Ausnahmeentscheidung unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses getroffen. Diese Entscheidung gilt jedoch als zu unsicher, um politischen Entscheidungen als Basis dienen zu können. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die staatlicherseits gezahlten Beträge noch immer als staatliche Beihilfen anzusehen sind, auch im Falle einer Konstruktion, in der der Fonds in Verantwortung der Versicherer verwaltet wird. Ein Konflikt mit EG-Recht kann eher aus dem Wege gegangen werden, wenn es sich bei dem Gesundheitsfonds um eine staatliche Einrichtung handelt, da in diesem Fall die durch das Urteil Altmark eröffneten Möglichkeiten oder die des Anmeldeverfahrens von Beihilfemaßnahmen bei der Kommission genutzt werden können.
4.4. Variante D: Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlich-rechtlichen Rahmen Bei Variante D sind Landesbewohner nicht von Rechts wegen versichert, sondern jede Person ist gesetzlich verpflichtet, eine private Krankenversicherung abzuschließen. Private Gesellschaften bieten diese Versicherungen gegen Zahlung einkommensunabhängiger Beiträge an und dürfen dabei mit Gewinnabsichten tätig werden. Das Gesetz legt für das Anbieten der Versicherung folgende Grundbedingungen fest: Bedingungen für eine Mindestdeckung, gesetzlich vorgeschriebene Mindestselbstbeteiligung, Pflicht zur Annahme aller an einer Mitgliedschaft interessierten Personen, die mit der Versicherung die Deckung der Kosten von Standardleistungen anstreben, keine Beitragsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl, eine gewisse Beitragsregulierung und Beitragsausgleichsverpflichtungen. Die Annahmepflicht besitz nur einen begrenzten Charakter (beispielsweise bis 40 Jahre Lebensalter unbedingte Annahme und bei 40 bis 65 Jahren zu einem Beitragsaufschlag um bis zu 20%).
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Keine Unterschiede gibt es hinsichtlich der Art des Anspruchs und der Versicherung, doch bestimmt jeder Versicherer anhand der Versicherungsbedingungen selbst Inhalt und Umfang des Versicherungsanspruchs (Mindestanspruch, Standardanspruch oder erweiterter Anspruch). Diese Produktdifferenzierung kann mit Rabatten oder Zuschlägen für die Beiträge verbunden werden. Auch kann der Versicherer - unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Mindestselbstbeteiügung beim Standardpaket - Versicherungen mit niedrigeren oder höheren Selbstbeteiligungen, zugehörigen Beitragszuschlägen oder -rabatten anbieten. Falls bestimmte Leistungen mit erhöhten Kosten verbunden sind, kann ein Versicherer durch entsprechende Maßnahmen gegensteuern (höhere Selbstbeteiligung). Wie auch bei Variante C wird im Rahmen des Lastenausgleichs ein Gesundheitsfonds gegründet. Dieser wird finanziert mit einkommensabhängigen Beiträgen der Arbeitgeber und staatlichen Beihilfen im Falle der Mitversicherung von Personen unter 18 Jahren. Neben der Gründung des Gesundheitsfonds erfolgt zwischen den Krankenversicherern ein interner Beitragsausgleich auf der Grundlage nicht zu beeinflussender Risikofaktoren (beispielsweise Erwerbsunfähigkeit, Alter, chronische Krankheiten und Geschlecht) in Analogie zu den MOOZ-Beiträgen, um annehmbare (niedrigere) versicherungstechnische Rückstellungen bilden zu können. Der Versicherer hat die Möglichkeit, den Versicherten zwischen einer Versicherung auf der Grundlage von Erstattungen und einer Versicherung auf der Grundlage von Sachleistungen wählen zu lassen. Hinsichtlich der Leistungserbringer ist festzustellen, dass die gesetzlichen Tarife für die Leistungsanbieter und die Genehmigungspflicht für Baumaßnahmen stufenweise abgebaut werden.
Dritte Schadenrichtlinie Es wird deutlich, dass die Krankenversicherung von Variante D bei einer breit angelegten Interpretation der Begriffe „Angebot auf eigenes Risiko" und „gesetzliches System der sozialen Sicherheit" in den Geltungsbereich der Schadenrichtlinien fallt.49 Dies ist auch der Fall, wenn davon ausgegangen wird, dass die Schadenrichtlinien nur dann anwendbar sind, wenn der Nachweis erfolgt, dass ein Versicherungsrisiko vorliegt. Der Beitragsausgleich erfolgt nur aufgrund bestimmter objektiver Merkmale, so dass hinsichtlich einer Reihe weiterer Aspekte ein tatsächliches Versicherungsrisiko getragen wird. Private Versicherer werden zugelassen. Sind die Beiträge einkommensunabhängig, beschränkt sich die Beitragsregulierung hauptsächlich auf das Verbot einer Risikoauswahl und es sind Unterschiede beim Versicherungspaket und bei der Eigenbeteiligung möglich. Insgesamt gesehen, steht außer Frage, dass die Krankenversicherungen aus Variante D in den Geltungsbereich der Schadenrichtlinien fallen.
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Die nationalen gesetzlichen Bestimmungen zum anzubietenden Leistungspaket (Mindestpaket, Standardpaket oder erweitertes Paket), die gesetzlich vorgeschriebene Mindesteigenbeteiligung, die Annahmepflicht bezüglich der Grundversorgung, das Verbot der Beitragsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl, eine gewisse Beitragsregulierung und die Verpflichtung zum Beitragsausgleich sind nach der Dritten Schadenrichtlinie zu bewerten. Im Mittelpunkt dieser Beurteilung steht, wie bereits bei der Behandlung von Variante C festgestellt wurde, das Verbot aus Art. 29 und Art. 3950 sowie der Ausnahmegrund aus Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie. Dieses Verbot besitzt nicht nur im Falle einer breit angelegten Interpretation eine gewisse Relevanz, sondern auch bei einer eingeschränkten Auslegung des Verbots aus Art. 29 und 39 für einzelstaatliche Bestimmungen, die die Tariffreiheit beeinflussen. Im Urteil Kommission gegen Italien hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Artikel auf dem besagten Prinzip beruhen und dass die Ausnahme, die im Schlusssatz von Art. 29 und in Art. 39 (Ausnahme bei Tariffreiheit im Falle eines nationalen allgemeinen Preiskontrollsystems) formuliert wird, keinen Eingriff in die Tarife einer spezifischen Versicherungsbranche rechtfertigen kann. Wie sich bereits bei der Besprechung von Variante C zeigte, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Verbot der Beitragsdifferenzierung und einer bestimmten Beitragsregulierung die Tariffreiheit der Versicherer nach Auffassung des Gerichtshofs beeinträchtigt. Daher können diese Vorschriften auch bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie unter das in diesen Artikeln geäußerte Verbot fallen. Weiter erfolgt der Ausgleich bei Variante D - im Gegensatz zu Variante C - in Form eines Beitragsausgleichs. Hierbei wird zusätzlich in den Prozess der Beitragsfeststellung eingegriffen, da Versicherer, deren Versicherte eine relativ hohe Zahl von geringen Risiken repräsentieren, Beträge aus dem Beitragsaufkommen an Versicherer, die mit einer relativ hohen Zahl von beträchtlichen Risiken konfrontiert sind, zahlen müssen, was nach Ansicht des Gerichtshofs ebenfalls einen Eingriff in die Tariffreiheit darstellen könnte. Dieses Problem könnte natürlich gelöst werden, indem man bei Variante D von einem Schadenslastenausgleich ausgeht. Bei eingeschränkter Interpretation der Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie beziehen sich diese Artikel nicht auf nationalstaatliche Vorschriften, die keine Beziehung zur finanziellen Solidität haben. Die nationalstaatlichen gesetzlichen Bestimmungen zum anzubietenden Leistungspaket, eine gesetzlich vorgeschriebene Mindesteigenbeteiligung und eine Annahmepflicht bezogen auf die Deckung der Kosten für die medizinische Grundversorgung werden damit durch die Dritte Schadenrichtlinie nicht untersagt (es handelt sich hier nicht um Aspekte der finanziellen Solidität), wenn gemäß diesen Bestimmungen keine vorherige Genehmigung oder Mitteilung der Versicherungsbedingungen erforderlich ist. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise sind diese nationalstaatlichen Bestimmungen nach den Regeln der Freizügigkeit zu beurteilen.
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Wird jedoch davon ausgegangen, dass Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie großzügig zu interpretieren sind, verletzten die besagten nationalen Bestimmungen sämtliche Artikel der Richtlinie. Aufgrund einer solchen Interpretation ist es den Mitgliedstaaten nämlich nicht erlaubt, in die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen einer Versicherung einzugreifen, d.h. auch nicht in die einer Krankenversicherung. Nationalstaatliche Bestimmungen, die Anforderungen an das vom Versicherer pflichtgemäß anzubietende Leistungspaket, an die Eigenbeteiligung und an die Annahmebereitwilligkeit stellen, wirken regulierend auf wesentliche Versicherungsbedingungen ein und sind daher schlecht mit einer großzügigen Auslegung von Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie zu vereinbaren. Die in den vorangegangenen Absätzen gezogene Schlussfolgerung ist bemerkenswert, da es bei der Anwendung von Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie nicht von Interesse ist, wie es um die Bestimmungen über das anzubietende Paket, die Beiträge, die Eigenbeteiligung und die Annahme bestellt ist. Bei Variante D wurde hinsichtlich der genannten Bestimmungen ein komplexeres System als bei Variante C gewählt. Es sind verschiedene Versicherungspakete möglich, es gibt verschiedene Möglichkeiten hinsichtlich der Eigenbeteiligung und die Annahmepflicht gilt nur bedingt. Bei der Formulierung des Verbots aus Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie wurden solche Feinheiten nicht berücksichtigt. Es geht um alles oder nichts: Entweder die Bestimmungen fallen nicht in den Geltungsbereich der Bestimmung oder sie sind untersagt. Im Abschnitt Schlussfolgerungen wird darauf zurückzukommen sein. Ähnlich wie bei Variante C spielt bei Variante D die Ausnahme aus Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie eine wichtige Rolle. Wie bei der Besprechung von Variante C bereits erwähnt, ist auch bei Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie von einer eingeschränkten bzw. von einer weiten Interpretation auszugehen. Bei der eingeschränkten Auslegung muss neben der durch den Versicherungsvertrag gebotenen Deckung eine auf dem sozialen Sicherungssystem beruhende Deckung bestehen. Im Rahmen von Variante D besteht ein solches soziales Sicherungssystem nicht, so dass für nationale gesetzliche Bestimmungen, die sich ganzheitlich im Widerspruch zu Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie befinden, eine Berufung auf Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie nicht möglich ist. Diese Bestimmungen sind schlichtweg unzulässig. Bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie werden bestimmte Feinheiten, die nationalen Systemen nun einmal zu Eigen sind, gleichfalls nicht berücksichtigt. Anders sieht es bei einer großzügigen Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie aus, da in diesem Fall ein soziales Sicherungssystem im Bereich der Krankheitskosten von der Krankenversicherung vom Typ D abgelöst wurde. Im Falle einer großzügigen Auslegung von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie ist in einer solchen Situation eine Berufung auf die Ausnahmeregelung aus der Dritten
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Schadenrichtlinie grundsätzlich erlaubt. Es ist durchaus denkbar, wie dies bereits bei der Behandlung von Variante C herausgearbeitet wurde, dass bestimmte nationale gesetzliche Bestimmungen zulässig sind. Die Hauptfrage bei einer Bewertung nach Art. 54 ist dann, ob diese nationalen gesetzlichen Bestimmungen für den Schutz des Allgemeininteresses notwendig sind. In Erwägung 24 der Dritten Schadenrichtlinie werden Beispiele nationalstaatlicher Vorschriften aufgeführt, die unter Berufung auf Art. 54 gerechtfertigt werden können. Wie jedoch bereits bei der Besprechung von Variante C angemerkt wurde, darf diese Aufzählung nicht als abschließend betrachtet werden, da Art. 54 in recht allgemeinen Formulierungen (Schutz des Allgemeininteresses) abgefasst ist. Zur Annahmepflicht ist anzumerken, dass eine solche Verpflichtung als Kehrseite der Medaille des in Punkt 24 der Urteilsbegründung aufgeführten Verbots von Zugangseinschränkungen betrachtet werden kann. Das Verbot der Beitragsdifferenzierung, eine bestimmte Beitragsregulierung und die Verpflichtung zum Beitragsausgleich können in den Geltungsbereich der Vorschriftenkategorie für einheitliche Tarife — abhängig vom Vertrag bzw. der Höchstbeiträge — fallen, die beide ebenfalls in Punkt 24 der Urteilsbegründung Erwähnung finden. Die Tarife dürfen Unterschiede beim Grad der Selbstbeteiligung aufweisen, was je nach Vertrag als Tariffestlegung angesehen werden kann, die auch bei Variante D vorliegt, da Leistungspakete mit Standard-, Mindest- und Zusatzdeckung parallel angeboten werden. Hinsichtlich des Beitragsausgleichs ist zu beachten, dass dieser auch als Beteiligung an einem Lastenausgleichssystem betrachtet werden kann, das ebenfalls in Punkt 24 der Urteilsbegründung Erwähnung findet. Dieses System dient dem Ausgleich der durch die Annahmeverpflichtung entstandenen Nachteile. Zugleich ist in Punkt 24 der Urteilsbegründung die Rede von der Verpflichtung vom Angebot eines Standardvertrages, wobei eine solche Verpflichtung auch bei Variante D besteht und den Versicherer zum Angebot einer Standardversicherung verpflichtet. Nochmals: Bei der Bewertung nach Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie im Falle einer großzügigen Interpretation geht es nicht darum, dass die betreffenden nationalen gesetzlichen Bestimmungen unter den Beispielen der Urteilsbegründung aufgeführt werden, sondern es gilt die Frage zu klären, ob sie zum Schutz des Allgemeininteresses notwendig sind. Die Beurteilung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist daher von wesentlicher Bedeutung. Der Vorteil von Variante D im Gegensatz zu Variante C besteht darin, dass die den Versicherern auferlegten Einschränkungen weniger tief greifend sind. Der Ausgleich erfolgt lediglich auf der Grundlage bestimmter, objektiver Merkmale; die Annahmeverpflichtung gilt bedingt, es können verschiedene Versicherungspakete angeboten werden (Standard-, Mindest- und erweitertes Paket) und es gibt verschiedene Möglichkeiten der Selbstbeteiligung. Die nationale Regulierung der Variante D räumt den Versicherern daher etwas mehr Flexibilität bei der Betriebsführung ein. Hierdurch stellt sich das System
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bei einer Beurteilung nach dem Grundsat2 der Verhältnismäßigkeit weniger angreifbar dar: Auf diese Weise lässt sich beispielsweise auf einfachere Weise als bei Variante C begründen, dass die den Versicherern auferlegten Einschränkungen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.51 Bei einer großzügigen Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie können die Feinheiten der Struktur eines Gesundheitssystem berücksichtigt werden. Eine tief greifende staatliche Regulierung bietet eine Argumentationsgrundlage, wenn die Absicht besteht, sich der Anwendbarkeit der Schadenrichtlinie (ein gesetzliches System der sozialen Sicherheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie) zu entziehen, dass, wenn der Umschlagpunkt für die Anwendbarkeit der Schadenrichtlinie infolge eines sich immer mehr zurückziehenden Staates erreicht wird,52 die verbleibende, tief greifende staatliche Regulierung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nur unter Schwierigkeiten zu begründen ist. Marktkonformere Systeme besitzen hier eine größere Erfolgschance, jedenfalls immer dann, wenn von einer großzügigen Interpretation des Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie ausgegangen wird.
Sozialversicherungsverordnung (Verordnung 1408/71) Ein Unterschied zur Krankenversicherung vom Typ C besteht in der Tatsache, dass es keine Versicherung von Rechts wegen ist, sondern dass für alle Einwohner eine Versicherungspflicht besteht. Aufgrund von Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung 1408/71 ist diese Verordnung auf eine gesetzliche Versicherung mit Leistungen im Krankheitsfall anwendbar. Wie dies auch bei Variante C der Fall ist, werden bei Variante D die wesentlichen Elemente der Krankenversicherung in Rechtsvorschriften festgelegt: Annahmepflicht, bestimmte Verpflichtungen bezüglich der Beiträge, Umfang des zu versichernden Pakets, Selbstbeteiligung etc. Es liegt eine gesetzlich verankerte soziale Sicherheit und keine vertraglich vereinbarte vor.53 Die Anwendbarkeit der Verordnung 1408/71 stellt keine unüberwindbare Hürde für die Einführung von Variante C dar. Allerdings müssen die zur Wahrung des Prinzips der Freizügigkeit festgelegten Konfliktregelungen dieser Versicherung respektiert werden. Wie bereits aufgezeigt, sind auf einen Arbeitnehmer die Regelungen zur sozialen Sicherheit des Landes, in dem er seiner Erwerbstätigkeit nachgeht, anwendbar (auch wenn er in einem anderen Land seinen Wohnsitz hat). Dies bedeutet, dass nicht alle Landeseinwohner verpflichtet werden können, sich zu versichern, denn dann wären die Einwohner, die aufgrund der Konfliktregeln der Verordnung unter die Bestimmungen eines Krankheitskostensystems in einem anderen Mitgliedstaat fallen, zum Abschluss einer zusätzlichen Krankenversicherung verpflichtet und müssten die doppelten Kosten für die Krankenversicherung tragen. Eine solche Situation steht im Widerspruch zur Verordnung. Auch müssen Möglichkeiten für
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Einwohner anderer Mitgliedstaaten geschaffen werden, die aufgrund der Konfliktregeln unter die Bestimmungen des niederländischen Sozialsicherungssystems fallen. Nach Verordnung 1408/71 kooperieren die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten miteinander, die unter anderem als Träger der gesetzlichen Krankenversicherungen fungieren, um zu gewährleisten, dass Betroffene im Falle grenzüberschreitender Personenbewegungen die Leistungen erhalten, auf die sie einen Anspruch besitzen54 (beispielsweise im Zusammenhang mit dem Formular E 111). Der Gesetzgeber hat zu gewährleisten, dass sich die privaten Versicherer im Falle von Variante D in der einen oder anderen Weise an dieser Kooperation beteiligen.55 Wichtig ist in diesem Zusammenhang Art. 22 Abs. 1 lit. a der Verordnung: Ein Arbeitnehmer, der sich auf dem Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, hat Anspruch auf die unverzügliche Gewährung von Sachleistungen, wenn dies beispielsweise sein Gesundheitszustand erfordert. Die privaten Versicherer sind gemeinsam mit den zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaates unter anderem dafür verantwortlich, dass diese gewährten Sachleistungen anschließend vergütet werden. In der Rechtssache IKA hat der Gerichtshof sogar entschieden (siehe Abschnitt 2.2.2.), dass aufgrund von Art. 31 der Verordnung Rentner, die sich während des Urlaubs oder eines Familienbesuchs in einem Mitgliedstaat aufhalten, der nicht mit dem Staat identisch ist, in dem sie ihren ständigen Wohnsitz haben, Anspruch auf bestimmte Sachleistungen haben, die von den zuständigen Behörden des Aufenthaltsorts nach den für sie geltenden Vorschriften zu gewähren sind, auch wenn es sich nicht um dringende Fälle handelt. In einem Gesundheitssystem nach Variante D müssen die privaten Versicherer ebenfalls gemeinsam mit den zuständigen Behörden des jeweiligen anderen Mitgliedstaats dafür sorgen, dass die Rentner ihre Ansprüche auch wahrnehmen können. Die Koordinierungsmechanismen von Verordnung 1408/71 können im Rahmen eines privatrechtlichen Versicherungssystems wie das vom Typ D zu ernsthaften Problemen führen. So besitzt beispielsweise eine Person, die ihre Rente auf der Grundlage des Rechts eines Mitgliedstaats mit Variante D bezieht, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat ihren Wohnsitz hat, aufgrund von Art. 28 der Verordnung einen Anspruch auf Gewährung von Sachleistungen durch die zuständigen Stellen des Wohnmitgliedstaats, und zwar auf Rechnung der zuständigen Stellen des Mitgliedstaats, der für die Rentenzahlung verantwortlich ist.56 Der Rentner kann sich dafür entscheiden, ein Mindestpaket von Gesundheitsleistungen zu versichern. Er bezahlt dann relativ niedrige Beiträge, erhält aber die Sachleistungen im Wohnmitgliedstaat. Falls dieser Mitgliedstaat ein System der sozialen Sicherheit aufweist, in dem nur ein einziges Leistungspaket besteht, das zudem noch umfangreicher als das Mindestpaket der abgeschlossenen Versicherung ist, dann hat der Rentner Anspruch auf mehr Sachleistungen als die, für die er Beiträge gezahlt hat. Die Kosten werden
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von den Krankenversicherern aus dem Mitgliedstaat mit Variante D getragen, denen die zuständigen Stellen des Wohnorts die Rechnungen übermitteln. Das genannte Problem findet seine Ursache in den großen Unterschieden, die zwischen sozialer Sicherheit in einem marktbestimmten Umfeld und sozialer Sicherheit in einem vollständig vom Staat regulierten Kontext bestehen. Solche Unterschiede können schwerlich durch Koordinierungsmechanismen überbrückt werden.
Freizügigkeit Wie sich bereits bei der Behandlung von Variante C zeigte, greifen die Bestimmungen zur Freizügigkeit bei einer eingeschränkten Interpretation des Verbots der Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie in stärkerem Maße. Bei einer großzügigen Interpretation können zahlreiche der an die Krankenversicherung zu stellenden Bedingungen als harmonisiert betrachtet werden. Auch bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 und 39 ist es nicht ausgeschlossen, dass die sich auf Beiträge beziehenden, nationalen Vorschriften in den Geltungsbereich dieser Artikel der Richtlinie fallen. Bei einer eingeschränkten Interpretation sind auf jeden Fall die nationalen Anforderungen für die Mindestdeckung, die Vorschriften zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindesteigenbeteiligung und die Annahmepflicht hinsichtlich einer Grundversorgung nach den Bestimmungen zur Freizügigkeit zu beurteilen: Möglicherweise müssen die Vorschriften über die Beiträge im Falle einer solchen Auslegung ebenfalls nach diesen Bestimmungen bewertet werden. Es ist sinnvoll zu untersuchen, inwieweit ein Schadenslastenausgleich anstatt eines Beitragsausgleichs auf der Grundlage nicht beeinflussbarer Schadensmerkmale im Widerspruch zu den Bestimmungen zur Freizügigkeit stehen kann. Die erstgenannte Form des Ausgleichs fällt, im Gegensatz zur letztgenannten, auf keinen Fall in den Geltungsbereich der Bestimmungen bei einer eingeschränkten Interpretation des Verbots aus Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie, da sie den Grundsatz der Tariffreiheit nicht beeinträchtigt. Übrigens gilt auch hier, was bereits für Variante C galt: Falls Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie großzügiger ausgelegt werden muss und die nationalen Bestimmungen zu Krankenversicherungen (sofern sie nicht im Widerspruch zu Art. 29 und Art. 39 dieser Richtlinie stehen) danach zu beurteilen sind, dann wird auch das juristische Urteil des EuGH der Beurteilung nach den Regeln zur Freizügigkeit entsprechen. Die nachfolgenden Ausführungen zur Freizügigkeit gelten daher mutatis mutandis für Situationen, in denen Art. 28 der Dritten Schadenrichtlinie (Verbot für Mitgliedstaaten, den Abschluss von Versicherungsverträgen zu behindern, es sei denn, eine solche Behinderung ist aus Gründen des Allgemeininteresses notwendig) großzügig interpretiert werden muss.
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Bei einer Bewertung nach Maßgabe der Regeln zur Freizügigkeit ist außerdem auf die nationalen Bestimmungen zur Versicherungspflicht, die Bestimmungen hinsichtlich des Verhältnisses von Erstattung und Sachleistungen, die stufenweise Abschaffung gesetzlicher Tarife für Leistungserbringer und die stufenweise Abschaffung der Genehmigungspflicht für Bauvorhaben einzugehen. Diese nationalen Vorschriften wurden nicht in die Behandlung der Schadenrichtlinien einbezogen, da sie keinen Bezug aufweisen. Wie auch bei Variante C ist davon auszugehen, dass bei der freien Wahl zwischen Erstattung und Sachleistung der Versicherer nicht verpflichtet wird, dem Versicherten diese Wahlmöglichkeit anzubieten. Eine solche Verpflichtung könnte nämlich in den Geltungsbereich der Schadenrichtlinie fallen, und zwar dann, wenn Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie großzügig ausgelegt werden müssen. Die Bewertung der nationalen Vorschriften beim Thema Krankenversicherungen erfolgt nach dem vom EuGH in der Rechtssache Duphar betonten Grundsatz: Die Ausgestaltung von sozialen Sicherungssystemen ist Bestandteil der Befugnisse der Mitgliedstaaten. Bei Variante D wird allerdings dem Spiel der Marktkräfte mehr Raum gegeben, mehr als bei Variante C, so dass die Krankenversicherung der Variante D kein Beispiel für ein reguläres System der sozialen Sicherheit darstellt, mit dem der Gerichtshof in der Vergangenheit konfrontiert wurde. Dies bedeutet, dass an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit, mittels derer beurteilt werden soll, ob eventuelle Einschränkungen gerechtfertigt sind, wichtige Anforderungen gestellt werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Zusammensetzung des Leistungspaketes (einschließlich der Möglichkeiten der Selbstbeteüigung) beschränken den Zugang zum Markt für Versicherer aus anderen Mitgliedstaaten, da sie beim Angebot ihrer Versicherung (zu einem bestimmten Grad der Selbstbeteiligung, der zwischen Null und hohen Prozentzahlen schwanken kann) nicht uneingeschränkt agieren können. Man könnte argumentieren, dass eine solche Einschränkung gerechtfertigt sei, da der Gerichtshof in seinen Urteilen wie beispielsweise Duphar und Müller-Fauré entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich den Umfang des Versicherungsanspruchs festlegen dürfen, wenn dabei von objektiven, nicht diskriminierenden und transparenten Kriterien ausgegangen wird.57 Solche Bestimmungen erlässt ein Mitgliedstaat mit Blick auf das finanzielle Gleichgewicht und den Zugang zur Gesundheitsversorgung (öffentliche Gesundheit). Hierbei darf ein Mitgliedstaat aufgrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, insbesondere dann, wenn als Ausgangspunkt eine tief greifende Marktwirkung gewählt wurde, nicht über das strikt Notwendige hinausgehen. Bei Variante D wurde das Prinzip der Flexibilität integriert, indem drei Pakete angeboten werden (Standard-, Mindest- und erweitertes Paket) und verschiedene Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Selbstbeteiligung existieren. Ferner kann der Versicherer bei Sachleistungen, die zu hohe Kosten verursachen, mit höheren
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Selbstbeteiligungen arbeiten, während er in seinen Versicherungsbedingungen Einfluss auf den Inhalt und den Umfang des Versicherungsanspruchs nehmen kann. Die Versicherer verfugen bei ihrer Verkaufspolitik über den Spielraum, sich voneinander abzugreifen. Diese Gestaltungsmöglichkeit bewirkt, dass die Krankenversicherung nach Variante D dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Die Annahmepflicht stellt ebenfalls eine Einschränkung der Freizügigkeit dar. Diese Einschränkung kann mit Blick auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung (öffentliche Gesundheit im Sinne der Ausnahme aus Art. 46 EGV) gerechtfertigt werden. Inwieweit in einem kommerziell ausgeprägten Umfeld dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird, hängt davon ab, ob die Verpflichtung nicht über das Maß des strikt Notwendigen hinausgeht. In diesem Zusammenhang ist es positiv zu bewerten, dass die Annahmepflicht nur bedingt gilt, da Versicherten einer bestimmten Altersklasse (etwa zwischen 40 und 65 Jahren) ein Beitragszuschlag von bis zu 20% berechnet werden darf. Wie bereits erwähnt, fallt ein Schadenslastenausgleich (im Gegensatz zu einem Beitragsausgleich) nicht unter die Voraussetzungen des eingeschränkt ausgelegten Verbotes aus Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie. Wie könnte ein solches Ausgleichssystem, das auf nicht beeinflussbaren Schadensmerkmalen basiert, einer Überprüfung nach Maßgabe der Freizügigkeitregeln standhalten? Wie sich bereits zeigte, muss eine Verpflichtung zur Beteiligung am Lastenausgleich als eine tief greifende Maßnahme betrachtet werden. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass eine Einschränkung des Prinzips der Freizügigkeit bzw. des freien Verkehrs vorliegt. Inwieweit diese Einschränkung unter Berufung auf das finanzielle Gleichgewicht und den Zugang zur Gesundheitsversorgung (öffentliche Gesundheit) gerechtfertigt ist, hängt vom Ausgang der Bewertung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab. Der im Rahmen von Variante D erfolgende Ausgleich geht nicht so weit wie bei anderen Varianten, da er sich auf die nicht beeinflussbaren Schadensmerkmale beschränkt. Der Ausgleich bei Variante D entspricht daher eher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als andere Varianten, wobei nicht übersehen werden sollte, dass dieser Ausgleich unter den Bedingungen des am intensivsten kommerziell ausgeprägten Umfeldes aller Varianten erfolgt. Allgemein ausgedrückt: Ausgehend von Variante D lässt sich konstatieren, dass die Bewertung eines Lastenausgleichssystems nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von den Eigenschaften des jeweiligen Marktes abhängt. Muss aufgrund der wirtschaftlichen Einschätzung die Schlussfolgerung gezogen werden, dass, wenn kein Ausgleich stattfindet, der Versicherer eine Risikoauswahl vornehmen wird? Wenn dies der Fall ist, dann lautet die Schlussfolgerung allem Anschein nach, dass ein weiter reichender Ausgleich verhältnismäßig wäre, während im entgegen gesetzten Fall vermutlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht entsprochen wird.
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Die Vorschriften zur Beitragsregulierung und das Verbot der Beitragsdifferenzierung können ebenfalls die Freizügigkeit einschränken, da sie den Zugang zum Markt erschweren. Ausländische Versicherer müssen nämlich nicht nur (begründet durch die Annahmepflicht) jeden interessierten Kunden annehmen, sondern sie dürfen auch bei den verschiedenen Versicherungsnehmern berechneten Beiträgen keine Unterschiede machen, wobei auch die Höhe dieser Beiträge an Vorschriften gebunden sein kann. Doch auch an dieser Stelle ist, sofern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wird, eine Berufung auf die Ausnahmen des Art. 46 EGV (öffentliche Gesundheit) und der Rule of Reason (finanzielles Gleichgewicht des Gesundheitssystems) möglich. Die Vorschriften über Beiträge sind nämlich untrennbar mit der Annahmepflicht und der Ausgleichsverpflichtung verbunden. Mit diesem Komplex von Verpflichtungen wird die Zielsetzung verfolgt, den Zugang zur Gesundheitsversorgung für jedermann zu gewährleisten. Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass eine gesetzliche Bestimmung, nach der die Landeseinwohner von Rechts wegen versichert sind, grundsätzlich keine Probleme bereitet (sofern Verordnung 1408/71 — und insbesondere deren Konfliktregeln — eingehalten werden). Hinsichtlich der Versicherungspflicht für jedermann gilt auch, dass hier keine grundsätzlichen EG-rechtlichen Probleme bestehen, solange eine solche Verpflichtung nicht für Landeseinwohner gilt, die aufgrund der Verordnung 1408/71 in den Geltungsbereich eines sozialen Sicherungssystems eines anderen Mitgliedstaats fallen und Möglichkeiten für Einwohner anderer Mitgliedstaaten geschaffen werden, die aufgrund derselben Verordnung in den Geltungsbereich des niederländischen sozialen Sicherungssystems fallen. Ferner kann es einer in den Niederlanden ansässigen Person nicht untersagt werden, sich bei einer Versicherungsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat zu versichern. Ein derartiges Verbot widerspräche unwiderruflich den Gemeinschaftsregeln über den freien Dienstleistungsverkehr (wenn ein Versicherer eine Versicherung in den Niederlanden von einem anderen Mitgliedstaat aus anbieten möchte) oder über die Niederlassungsfreiheit (wenn ein Versicherer aus einem anderen Mitgliedstaat eine Niederlassung in den Niederlanden eröffnen möchte, um von dort aus eine Krankenversicherung anzubieten). In diesem Fall würde der Versicherer aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert. Zur Wahl zwischen Erstattungen und Sachleistungen ist Folgendes zu bemerken: Im Rahmen der Erörterung von Variante C wurde bereits erwähnt, dass die Frage der so genannten auf horizontaler Ebene erfolgenden Wirkung der Freizügigkeitsbestimmungen eine Rolle spielt. Inwieweit können diese Bestimmungen auf Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen angewandt werden? Auf der Grundlage des Urteils Janssen et al. gegen VGZ des Gerechtshof Den Bosch (welches auf europäischer Ebene noch nicht bestätigt wurde) ist dies möglich, wenn der private Versicherer über eine gewisse Vormachtstellung verfügt, aufgrund derer die Freizügigkeit einge-
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schränkt werden kann. Falls füir Privatversicherte in der Praxis tatsächlich eine Wahlmöglichkeit zwischen den beiden verschiedenen Versicherungs formen (Erstattung oder Sachleistungen) besteht, wobei man sich zwecks Abschluss einer Erstattungsversicherung an ausländische Anbieter wenden kann, könnte das Argument vorgebracht werden, dass die Freizügigkeitsbestimmungen nicht zur Anwendung gelangen. Besteht jedoch eine solche Wahlmöglichkeit in der Praxis nicht und kann sich der Versicherte im Wesentlichen nur einer Versicherung mit Sachleistungssystem anschließen, liegt grundsätzlich eine Beschränkung der Freizügigkeit vor (vorausgesetzt, die vom Gerechtshof Den Bosch in der Rechtssache Janssen gegen VGZ vorgenommene Analyse ist korrekt). Wie sich in Abschnitt 2.1. zeigte, sind diese Einschränkungen, so folgt aus den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Smits und Peerbooms sowie Müller-Faure, bei stationären Behandlungen unter bestimmten Bedingungen zulässig, bei ambulanten Behandlungsmaßnahmen unzulässig. Der große Unterschied zwischen dem niederländischen ^ekenfonds-System, um das es in diesen Urteilen ging, und den Krankenversicherungen der Variante D liegt darin begründet, dass beim erstgenannten System vor allem eine Angebotssteuerung vorliegt und das letztgenannte System vor allem von einer Nachfragesteuerung (in Anbetracht des großen Freiraums für das Spiel der Marktkräfte) ausgeht. Eines der Argumente zur Rechtfertigung von Einschränkungen der Freizügigkeit bei stationären Behandlungen stellte für den EuGH die Planungssicherheit dar: Die zuständigen Behörden konnten mit Verträgen die notwendige Gesundheitsversorgung planen. Nun stellt sich die Frage, inwieweit das Planungsargument bei einem System mit Nachfragesteuerung noch eine Rolle spielen kann. Zumindest ist festzuhalten, dass Einschränkungen der Freizügigkeit von stationär erbrachten Gesundheitsdienstleistungen in einem nachfragegesteuerten System schwieriger zu rechtfertigen sein dürften als in einem System wie in den Fällen Smits und Peerbooms oder Müller-Faure. Bei Variante D werden die gesetzlichen Tarife für Anbieter von Gesundheitsleistungen und die Genehmigungspflicht für Bauvorhaben in absehbarer Frist abgeschafft. Diese Maßnahmen, nach denen bestimmte Rechtsvorschriften mit einschränkenden Charakter aufgehoben werden, schaffen aus folgendem Grund keine Probleme im freien Dienstleistungsverkehr: Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein gesetzlicher Tarif für eine Dienstleistung eine Freizügigkeitseinschränkung darstellt, da der Gerichtshof im Urteil Sea-Land eine Verpflichtung zur Zahlung einer Vergütung für eine Dienstleistung (in diesem Fall Lagerarbeiten in einem Hafen) als eine Beschränkung der Freizügigkeit qualifizierte.58 Außerdem führt die Genehmigungspflicht für den Bau von Kranken- oder Pflegeeinrichtungen zu Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit, da solche Genehmigungen nur in begrenztem Umfang erteilt werden. Obwohl es keinesfalls ausgeschlossen ist, dass diese Beschränkungen gerechtfertigt
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werden können59, so ist doch ersichtlich, dass ihre Abschaffung im Zusammenhang mit der Freizügigkeit unproblematisch ist. Zum Verhältnis von Freizügigkeit und Variante D ist also festzustellen: Einerseits enthält diese Variante flexible Regelungen, die Raum für eine selbstbestimmte Verkaufspolitik der Versicherer lassen, was mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als positiv zu bewerten ist. Andererseits stellt Variante D die kommer2iellste Form dar, so dass es schon aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes guter Argumente zur Rechtfertigung der staatlichen Eingriffe in die ebenfalls vom Staat angestrebte Marktwirkung bedarf. Solche Argumente sind in den spezifischen Eigenschaften des Marktes zu finden, was bedeutet, dass diese Eigenschaften im Zuge der gesetzlichen Ausgestaltung in ausreichendem Maße berücksichtigt werden und dass sich die Eingriffe auf das Maß des strikt Notwendigen beschränken müssen. Auch im Rahmen gegebenenfalls vor nationalen Gerichten oder dem EuGH anhängigen Rechtsverfahren, die bei einer kommerziellen Variante der Krankenversicherungen nicht auszuschließen sind, ist genau darzulegen, nach welchen Marktmerkmalen eingegriffen wurde. Die Problematik des Ausgleichs zeigt, dass die Beantwortung der Frage, ob dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wurde, unter anderem von bestimmten wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängt. In welchen Fällen ist ein Ausgleich erforderlich, um zu verhindern, dass die Versicherer einen Risikoausgleich durchführen?
Wettbewerbsrecht In Anbetracht des kommerziellen Impetus von Variante D und des großen Einflusses, den Versicherer durch ihr Gewinnstreben, die Rolle der nominalen Prämie und das beschränkte Maß an Ausgleichsleistungen ausüben können, kann nur der Schluss gezogen werden, dass es sich bei den Versicherern um Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts handelt. Sie sind gezwungen, einerseits wirtschaftlich zu agieren und andererseits das Kartellverbot sowie das Verbot des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Vormachtstellung einzuhalten. Gleichzeitig unterliegen sie der Fusionskontrolle. Im Vergleich zu anderen Varianten ist bei Variante D die Wahrscheinlichkeit am größten, dass Versicherer aus anderen Mitgliedstaaten auf dem niederländischen Markt in Aktion treten. Wie bei der Besprechung anderer Varianten bereits erwähnt, kann das Auftreten bedeutender ausländischer Akteure auf dem niederländischen Markt dazu führen, dass niederländische Versicherer fusionieren möchten, um sich für den Wettbewerb zu wappnen. Diese Fusion wird auf dem niederländischen Versicherungsmarkt kaum auf wettbewerbsrechtliche Probleme stoßen, solange daraus keine Unternehmen hervorgehen, die einen Marktanteil von 50% oder mehr auf dem Krankenversicherungsmarkt haben. Wie bereits dargelegt, treten wettbewerbsrechtliche Probleme
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häufiger bei regionalen Einkaufsmärkten für Gesundheitsleistungen auf. Durch Fusionen zwischen nationalen Versicherern entstehen schneller Monopolstellungen (eben wegen des regionalen Charakters dieser Märkte). Falls daher bei Variante D einer Krankenversicherung der Einkauf von Gesundheitsleistungen eine wichtige Rolle spielen soll, muss dieses Problem unbedingt gelöst werden. Wie kreiert man einen durch Wettbewerb gekennzeichneten Versicherungsmarkt (ausreichende Anzahl von Akteuren) und einen in ausreichendem Maße durch Wettbewerb gekennzeichneten Markt für Gesundheitsleistungen (mehr als ein einziger großer Versicherer als Einkäufer)? Da der Zugang zum Krankenversicherungsmarkt frei ist, entstehen bei Variante D keine Unternehmen, die ein ausschließliches oder besonderes Recht im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EGV besitzen. Es können allerdings Probleme mit den Bestimmungen zur staatlichen Beihilfe auftreten, da ein Gesundheitsfonds für den Lastenausgleich gegründet werden muss, in den die Arbeitgeber ihre Sozialversicherungsanteile einbezahlen und in den der Staat die Beiträge für mitversicherte Personen unter 18 Jahren einbezahlt. Wenn dieser Fonds von einer staatlichen Behörde verwaltet wird, sind die vom Fonds geleisteten Zahlungen als staatliche Beihilfe zu betrachten. Der Einstufung als staatliche Beihilfe ist auch nicht zu entgehen, wenn der Gesetzgeber die Versicherer verpflichtet, selbst einen Gesundheitsfonds zu gründen und zu verwalten. In einem solchen Fall besteht die Gefahr, dass die staatlicherseits gezahlten Beiträge als staatliche Beihilfe abgestempelt werden, während der Staat die Arbeitgeber (das heißt fast alle Unternehmen) dazu verpflichtet, Gelder an eine bestimmte Gruppe von Versicherern (Unternehmen) zu zahlen, so dass hier das Schreckgespenst der staatlichen Beihilfe lauert. Ferner widerspricht die rechtliche Konstruktion eines von Versicherern gegründeten und privat verwalteten Fonds aller Wahrscheinlichkeit nach auch Art. 10 i.V.m. Art. 81 EGV. Immerhin verpflichtet der Staat die Versicherer, Absprachen über die Gründung eines Fonds zu treffen, der Zahlungen im Rahmen des Lastenausgleichs gewährt. Absprachen zur Risikosolidarität, so zeigt die Entscheidung der NMa zum so genannten Solidaritätsprotokoll, stoßen schnell auf wettbewerbsrechtliche Probleme. Wenn der Staat derartige Absprachen vorschreibt, so führt dies wahrscheinlich zu einer Verletzung der Bestimmungen aus Art. 10 i.V.m. Art. 81 EGV. Fällt die Entscheidung zugunsten eines vom Staat verwalteten Gesundheitsfonds aus, bedürfen lediglich die Probleme der staatlichen Beihilfe einer Lösung. Wie sich bereits bei der Besprechung von Variante C zeigte, sind zwei Lösungsansätze denkbar. Zum einen könnten die vom Fonds geleisteten Gelder vor dem Hintergrund des Altmark-Urteils als finanzielle Kompensationen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen deklariert werden. Dabei sind vier Bedingungen zu erfüllen, die sich aus dem Urteil Altmark60 ergeben: Erstens müssen die betreffenden Unternehmen (in diesem Fall Krankenversicherungen für jedermann) tatsächlich mit der Er-
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fuilung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen beauftragt worden sein und diese Verpflichtungen müssen gesetzlich eindeutig beschrieben werden. Bei der kommerziellen Variante D wird dies nicht einfach sein. Ausgangspunkt können die Annahmepflicht bei Personen mit erhöhten Risiken und das Angebot von Versicherungen für Landeseinwohner unter 18 Jahren sein. Zweitens müssen die Parameter, auf deren Grundlage die Kompensation berechnet wird (beispielsweise im Bereich des Lastenausgleichs) vorab auf objektive und transparente Weise festgelegt werden. Drittens darf die Kompensation nicht höher ausfallen als zur vollständigen oder teilweisen Deckung der Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen notwendig, wobei die Erträge und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. Viertens muss der Kompensationsbetrag, für den Fall dass die Auswahl nicht im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung erfolgt ist, auf der Grundlage der Kosten, die einem durchschnittlichen Unternehmen entstanden worden wären (unter Berücksichtigung der Erträge und einem angemessenen Gewinn aus der Erfüllung seiner Verpflichtungen), ermittelt werden. Erst wenn alle vier Bedingungen erfüllt sind, können die von dem „staatlichen Gesundheitsfonds" erfolgten Zahlungen an die Versicherer der Einstufung als staatliche Beihilfe entgehen. Wie sich bereits bei der Besprechung der Variante C zeigte, ist es sicherer, die von einem solchen Gesundheitsfonds geplanten Maßnahmen bei der Kommission im Rahmen von Art. 87—89 EGV anzumelden, da es der Kommission auf diese Weise ermöglicht wird, die eventuell als staatliche Beihilfe einzustufenden Maßnahmen zu genehmigen. Das mit einer falschen Einschätzung der Kriterien aus dem Altmark-Urteil verbundene Problem besteht darin, dass die Maßnahmen nachträglich als staatliche Beihilfe eingestuft werden können, und dass die Gelder aufgrund der unmittelbaren Rechtskraft der aufschiebenden Wirkung von Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV dann durch den Staat von den begünstigten Versicherern zurückzufordern sind. Ebenfalls wurde bei der Besprechung der Variante C erwähnt, dass zurzeit beim Gericht erster Instanz die Rechtssache British United Providern Association anhängig ist, in deren Mittelpunkt die Frage steht, ob das irische System des Risikoausgleichs staatliche Beihilfen nach sich zieht oder ob die aufgrund dieses Systems gewährten Vorteile als Kompensation für die Erfüllung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu betrachten sind. Das noch ausstehende Urteil des Gerichts wird mehr Klarheit verschaffen.
4.5. Variante E: Privatrechtliches Krankenversicherungssystem im öffentlich-rechtlichen Rahmen mit Opting-outRegelung für kommerzielle Versicherer Bei Variante E handelt es sich um eine Untervariante von Variante D. Auch hierbei ist jedermann verpflichtet, eine private Krankenversicherung bei privaten Versicherern abzuschließen. Der Unterschied besteht darin, dass ein Versicherer wählen
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kann, ob er als regulärer Privatversicherer oder als gemeinnütziges Unternehmen agieren möchte. Tritt er als Privatversicherer auf, gelten für ihn keine besonderen Rechtsvorschriften; er braucht sich grundsätzlich nur an die für ihn geltenden privatrechtlichen Regeln halten. Entschließt er sich jedoch, als gemeinnütziges Unternehmen zu agieren, hat er eine Reihe besonderer Rechtsvorschriften zu beachten: keine Gewinnorientierung, Annahmepflicht, Verbot der Beitrags- oder Leistungsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl und Verpflichtung zum Angebot eines Standardpakets. Ferner liegt es nahe, dass zwischen den gemeinnützigen Unternehmen ein Lastenausgleich stattfindet. Die Trennung zwischen kommerziellen Versicherern und gemeinnützigen Unternehmen wird dazu führen, dass vor allem letztere zahlreiche Personen mit erhöhten Risiken versichern. Dem steht gegenüber, dass der Staat den gemeinnützigen Unternehmen bestimmte finanzielle Vorteile gewähren wird, etwa in Form bestimmter steuerlicher Möglichkeiten oder Subventionen.61
Dritte Schadenrichtlinie Die Dritte Schadenrichtlinie gelangt sowohl bei kommerziellen Versicherern als auch bei gemeinnützigen Unternehmen zur Anwendung, denn immerhin tragen beide Kategorien von Versicherern Versicherungsrisiken. Die gemeinnützigen Unternehmen sogar in stärkerem Maße als kommerzielle Versicherer, da sie jede Person (auch solche mit erhöhten Risiken) annehmen müssen, so dass abzusehen ist, dass sie häufiger als kommerzielle Versicherer Leistungen erbringen müssen. Sowohl im Falle der eingeschränkten Auslegung (wirtschaftliche Tätigkeit) als auch einer großzügigen Interpretation (Versicherungsrisiko) des Kriteriums „Angebot von Versicherungen auf eigenes Risiko" ist die Dritte Schadenrichtlinie auf die Krankenversicherungen der Variante E anwendbar. Das Hauptmerkmal der Variante E besteht darin, dass Unternehmen freiwillig Normen (Annahmepflicht etc.) einhalten. Sie sind dazu nicht verpflichtet und genießen eine relativ große Freiheit (innerhalb der Grenzen des Privatrechts) bei der Fesdegung der besonderen und allgemeinen Versicherungsbedingungen. Es hat den Anschein, dass nationale Rechtsvorschriften über die Annahmepflicht etc. bei Variante E nicht die Bestimmungen aus Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie verletzen, weder im Fall der eingeschränkten noch der großzügigen Interpretation der genannten Artikel der Richtlinie. Schließlich ist der Versicherer nicht zur Einhaltung dieser Vorschriften verpflichtet, so dass sogar der Grundsatz der Tariffreiheit, auf dem Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie basieren, aufrechterhalten bleibt. Es ist durchaus denkbar, dass das Verbot aus Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie nicht verletzt wird, so dass eine Berufung auf die Ausnahme aus Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie unzulässig wäre.
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Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der nationale Gesetzgeber gezwungen ist, die Bestimmungen der Dritten Schadenrichtlinie — etwa hinsichtlich der finanziellen Solidität — auf die Krankheitsversicherer (die kommerziellen Unternehmen und die gemeinnützigen Unternehmen) anzuwenden. Das Verbot der Ausübung versicherungsfremder Tätigkeiten und die Bestimmungen für Vermögensanlagen gelten damit für alle Krankenversicherer der Variante E. Gemeinnützige Unternehmen dürfen somit keine eigenen Kranken- oder Pflegeeinrichtungen betreiben und nur so viele Aktien an Gesellschaften halten, die diese Einrichtungen betreiben, wie ihr Wert nicht den Rahmen der freien Mittel des jeweiligen Unternehmens übersteigt.62 Außerdem sind für Versicherer, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind (einschließlich der gemeinnützigen Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten) aufgrund des Prinzips der Herkunftslandkontrolle (country home control), die Finanzregulierungsbehörden dieser Mitgliedstaaten zuständig und nicht die niederländische Versicherungskammer. Diese Versicherer können aufgrund des Prinzips der einheitlichen Zulassung (singk licence) mit der im Niederlassungsmitgliedstaat erhaltenen Zulassung auf dem niederländischen Markt auftreten.
Sozialversicherungsverordnung (Verordnung 1408/71) Gemäß Art. 1 lit. j der Verordnung 1408/71 fallen Vertragssysteme der sozialen Sicherheit nicht unter die Bestimmungen dieser Verordnung. Die von den kommerziellen Versicherern in Variante E angebotene Versicherung ist wahrscheinlich als ein solches System zu qualifizieren, da die Art und Weise, in der die Krankenversicherung angeboten wird, keinem Komplex gesetzlicher Bestimmungen unterliegt.63 Bei gemeinnützigen Unternehmen scheint sich die Situation anders darzustellen. Sie sind, wenngleich auch auf freiwilliger Basis, den gesetzlichen Bestimmungen beim Angebot von Krankenversicherungen unterworfen. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung 1408/71 ist diese Verordnung auf alle gesetzlichen Regelungen über Krankenversicherungsleistungen anwendbar. Krankenversicherungen, die die gemeinnützigen Unternehmen in Form der Variante E anbieten, scheinen dieses Kriterium zu erfüllen. Wie bereits mehrfach ausgeführt, ist die Anwendbarkeit der Verordnung 1408/71 nicht mit grundsätzlichen Problemen verbunden, solange die Grundbedingungen der Verordnung, so beispielsweise die Konfliktregeln, berücksichtigt werden. Die Verpflichtung zur Versicherung von Landeseinwohnern kann nicht für die Personen gelten, die aufgrund der genannten Konfliktregeln in den Geltungsbereich eines sozialen Sicherungssystems eines anderen Mitgliedstaats fallen. Ferner ist eine Möglichkeit für Einwohner anderer Mitgliedstaaten, die gemäß diesen Regeln in den Geltungsbereich des niederländischen sozialen Sicherungssystems fallen, zu schaffen. Im Fall der Variante E bedeutet es, dass diese Personen berechtigt sind, sich bei den gemeinnützigen Unternehmen zu versichern. Da kommerzielle Versicherer ihre
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Produkte im Rahmen eines Vertragssystems der sozialen Sicherheit anbieten, sind sie nicht verpflichtet, den genannten Einwohnern anderer Mitgliedstaaten eine Krankenversicherung anzubieten.
Freizügigkeit Da die gesetzlichen Bedingungen für die Krankenversicherung der Variante E nicht durch die Schadenrichtlinien harmonisiert werden (zumindest, was den freiwilligen Charakter der Regulierung der anzubietenden Versicherungen angeht), ist zu untersuchen, ob die Freizügigkeit eingeschränkt wird. Eine solche Einschränkung liegt vor, wenn der Zugang zum Markt erschwert wird. Grundsätzlich ist dies nicht der Fall, da die nationalen Rechtsvorschriften einen fakultativen Charakter aufweisen. Also können Versicherer in anderen Mitgliedstaaten ihre Versicherungen ohne Rücksicht auf diese Vorschriften in den Niederlanden anbieten oder sich mit einer Filiale in den Niederlanden niederlassen und ihre Versicherungen von dort aus anbieten. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass angesichts der finanziellen Vorteile, die einem gemeinnützigen Unternehmen gewährt werden, und aufgrund des Imagevorteils, den dieser Status möglicherweise mit sich bringt, es auch Versicherern aus anderen Mitgliedstaaten möglich sein muss, als gemeinnütziges Unternehmen zu operieren. Würde dies nicht genehmigt, so läge eine nachträgliche Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs oder der Niederlassungsfreiheit vor, die aufgrund ihres diskriminierenden Charakters sehr wahrscheinlich nicht gerechtfertigt werden kann. Eine Verletzung des EG-Rechts liegt sogar dann vor, wenn man erfolgreich argumentieren könnte, dass der freie Verkehr nicht beschränkt wird, da die ausländischen Versicherer immer noch als kommerzielle Versicherer operieren können, denn in diesem Fall wird die Bestimmung des grundlegenden Verbots der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit aus Art. 12 EGV verletzt.64 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine verklausulierte Bestimmung, die darin besteht, dass ein gemeinnütziges Unternehmen eine Rechtsperson mit einer bestimmten Rechtsform nach niederländischem Recht sein muss, dem Anschein nach auch nicht zulässig ist. Mit der Forderung nach der Rechtspersönlichkeit soll sichergestellt werden, dass keine Gewinnorientierung vorliegt. Jedoch können nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten auch Unternehmen ohne Gewinnorientierung gegründet werden. Die Einschränkung, dass es sich um eine bestimmte Rechtsperson nach niederländischem Recht handeln muss, überschreitet das Maß des unbedingt Notwendigen. Man könnte argumentieren, dass dementgegen eine Bestimmung, nach der ein gemeinnütziges Unternehmen eine Rechtspersönlichkeit besitzen muss, mit der nach niederländischem Recht oder nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten keine Gewinnorientierung verbunden sein darf, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.
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Da bei dieser Variante keine Wahl zugunsten eines Erstattungs- oder Sachleistungssystems getroffen wurde, wird auf diesen Aspekt nicht weiter eingegangen. Bei der Besprechung der Varianten B, C und D wurde ausgeführt, in welchen Fällen gesetzliche Bestimmungen über Sachleistungen eine Beschränkung der Freizügigkeit darstellen können. Die den Landeseinwohnern auferlegte Krankenversicherungspflicht stellt keine Beschränkung der Freizügigkeit dar, vorausgesetzt, diese Verpflichtung wird so gestaltet, dass man sich auch bei Versicherern aus anderen Mitgliedstaaten versichern kann.
Wettbewerbsrecht Sowohl die kommerziellen Versicherer als auch Unternehmen mit Gemeinwohlaufgaben sind Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts. Für beide gilt, dass die anwendbaren Rechtsvorschriften die freie Wirkung der Marktmechanismen für zulässig erklären. Da der Staat gemeinnützige Unternehmen mit einer besonderen Aufgabe im Bereich der Risikosolidarität beauftragt hat, gibt es gute Argumente dafür, diese Aufgabe als Aufgabe im allgemein-wirtschaftlichen Interesse zu qualifizieren, so dass Art. 86 Abs. 2 EGV für gemeinnützige Unternehmen zur Anwendung gelangt. Privatversicherer und gemeinnützige Unternehmen müssen das Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs einer wirtschaftlichen Vormachtstellung einhalten. Inwieweit dies zu Problemen führt, hängt davon ab, welche Rolle die Selbstregulierung bei Variante E spielt. Für den Fall, dass der Staat davon ausgeht, dass der Lastenausgleich ohne Einschaltung des Gesetzgebers zustande kommen soll, müssen gemeinnützige Unternehmen, möglicherweise gemeinsam mit einer Reihe kommerzieller Versicherer, diesbezügliche Absprachen treffen. Aufgrund dieser Absprachen werden die durch Versicherte mit erhöhten Risiken entstandenen Schadenskosten, also wesentliche Kosten des Versicherungsprodukts, auf die unterschiedlichen Versicherer umgelegt, wobei diese Kosten ohne die Existenz von Absprachen von dem einzelnen Versicherer zu tragen wären. Der Wettbewerb zwischen den Versicherern hinsichtlich dieser Kosten wird eingeschränkt, und diese Einschränkung ist vermutlich spürbar, und deswegen wird das Kartellverbot verletzt. Es ist nicht zu erwarten, dass die NMa für diese Absprachen eine Freistellung gewähren wird, da er den strittigen Absprachen zur Risikosolidarität des so genannten Solidaritätsprotokolls sehr kritisch gegenüberstand. Ein anderer Lösungsansatz, der übrigens nur dann Perspektiven bietet, wenn keine Privatversicherer an den Absprachen beteiligt sind, kann darin bestehen, sich auf die Ausnahme der Aufgabe im allgemein-wirtschaftlichen Interesse zu berufen, die in Art. 86 Abs. 2 EGV und für „niederländische Kartelle" in Art. 11 Mededingingswet festgelegt ist. Bisher verhält sich die NMa sehr zurückhaltend, den Ausnahmegrund der Aufgabe im allgemein-
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wirtschaftlichen Interesse anzuwenden.65 In Erwägung gezogen werden könnte, eine auf nationaler Ebene erfolgende Freistellung bei Absprachen über Lastenausgleiche zwischen Versicherern einzuführen. Eine solche Freistellung würde jedoch die Anwendung des Kartellverbots aus Art. 81 EGV unberührt lassen. Da nach Inkrafttreten der in Abschnitt 3.2. besprochenen Verordnung 1/2003 (mit 1. Mai 2004) die NMa auf Absprachen, die sich auf den zwischenstaatlichen Handel auswirken, das EG-Wettbewerbsrecht anwenden muss, und da von Kartellen, die im gesamten Staatsgebiet tätig sind, in den meisten Fällen angenommen werden kann, dass sie sich auf den zwischenstaatlichen Handel auswirken, werden die NMa und nationale Gerichte bei Absprachen über Lastenausgleiche zwischen Versicherern vermutlich häufig Art. 81 EGV bei Nichtberücksichtigung nationaler Freistellungen anwenden. Der Lösungsansatz, Absprachen zum Lastenausgleich staatlicherseits für allgemeinverbindlich zu erklären, ist gleichfalls sehr riskant. Vermutlich kommt es zu einer Verletzung der Bestimmungen aus Art. 10 i.V.m. Art. 81 EGV. Dazu ist anzumerken, dass es sich bei einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung um eine staatliche Maßnahme mit bindendem Charakter handelt, die nach Maßgabe des Verbots aus Art. 29 und Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie zu bewerten ist. Was an dieser Stelle zu den Absprachen über einen Risikoausgleich geäußert worden ist, gilt auch, wenn gemeinnützige Unternehmen Absprachen zur Annahmepflicht, zur Nichtgewinnorientierung, zum Umfang des Leistungspakets und zum Verbot der Beitrags- und Leistungsdifferenzierung treffen. Es geht um wichtige Unternehmensentscheidungen im Bereich der Krankenversicherungen. Wenn eine hinreichende Zahl von Versicherern an diesen Absprachen beteiligt war, liegt eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs vor. Auch dann, wenn der Staat bestimmte Bestandteile einer Verpflichtung in Rechtsvorschriften kleidet und den gemeinnützigen Unternehmen die weitere Regelung mittels Selbstregulierung überlässt, wird das Kartellverbot vermutlich verletzt. Im Wettbewerbsrecht wird davon ausgegangen, dass vom Gesetzgeber geschaffene Freiräume durch Wettbewerb und nicht durch Absprachen ausgefüllt werden.66 Falls die Rolle der Selbstregulierung begrenzt bleibt, treten weniger wettbewerbsrechtliche Probleme auf. Wenn die Annahmepflicht, die Verpflichtung zum Angebot eines Standardpakets und das Verbot der Leistungs- und Beitragsdifferenzierung gesetzlich geregelt sind, wird das Wettbewerbsrecht nicht verletzt. Die Regulierung ist in diesem Fall eine staatliche Angelegenheit und keine Angelegenheit der Unternehmen. Probleme im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen können allerdings entstehen, wenn die Regulierung schwerpunktmäßig staatlicherseits erfolgt. Zunächst einmal werden bei Variante E gemeinnützigen Unternehmen bestimmte finanzielle Vorteile gewährt. Dies birgt automatisch die Gefahr in sich, dass diese als staatliche Beihilfen qualifiziert werden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, so zeigte sich bei der Bespre-
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chung anderer Varianten, dass bei einem Lastenausgleichssystem, in dessen Rahmen der Staat eine wichtige Rolle spielt, ein vom Staat verwalteter Lastenausgleichsfonds gegründet wird. Auch die durch diesen Ausgleichsfonds gezahlten Gelder werden sehr wahrscheinlich als staatliche Beihilfe qualifiziert werden. Wie dargelegt, bestehen zwei Lösungsansätze für Probleme im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen. Zunächst einmal kann versucht werden, Vorteile aus den Möglichkeiten, die das Altmark-Urteil bietet, zu ziehen. Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt werden: Erstens müssen begünstigte Unternehmen, in diesem Fall gemeinnützige Unternehmen, tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen (in diesem Fall Krankenversicherungen für jedermann) beauftragt und die Verpflichtungen müssen eindeutig per Gesetz beschrieben worden sein. Eine solche Argumentation lässt sich wahrscheinlich für gemeinnützige Unternehmen (im Gegensatz zu den Versicherern der kommerzielleren Variante D) gut untermauern. Eine wichtige Rolle wird bei der Argumentation zweifellos spielen, dass durch die Tätigkeiten der gemeinnützigen Unternehmen eine Gesundheitsversorgung für jedermann gewährleistet wird, da auch Personen mit erhöhten Versicherungsrisiken angenommen werden. Zweitens müssen die Parameter, anhand derer die Kompensation berechnet wird (beispielsweise im Bereich des Lastenausgleichs) vorab auf objektive und transparente Weise festgelegt worden sein. Drittens darf die Kompensation nicht höher ausfallen als notwendig, um die Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen vollständig oder teilweise abdecken zu können, wobei die Erträge und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. Hinzuweisen ist auf die bereits zitierte Rechtssache British United Providern Association, mit dem sich gegenwärtig das Gericht erster Instanz befasst. Das Urteil wird auch in der Beurteilung der Frage wichtig sein, inwieweit Variante E Elemente staatlicher Beihilfe enthält. Sollte der Staat beschließen, gemeinnützigen Unternehmen bestimmte Steuervorteile zu gewähren, ist es denkbar, dass Kompensationen höher ausfallen als notwendig. Schließlich ist die Besteuerung kein Mittel, um jeweils unternehmensbezogen genau festzustellen, ob die entstandenen Kosten abgedeckt wurden. Viertens muss, wenn die Auswahl der Bewerber nicht über eine öffentliche Ausschreibung erfolgt ist, der Kompensationsbetrag auf der Grundlage der Kosten, die einem durchschnittlichen Unternehmen entstanden worden wären (unter Berücksichtigung der Erträge und einem angemessenen Gewinn aus der Erfüllung seiner Verpflichtungen) ermittelt werden. Nur wenn alle vier Bedingungen erfüllt sind, ist es möglich, dass die vom Staat gewährten finanziellen Vorteile und die vom staatlich verwalteten Gesundheitsfonds erfolgten Zahlungen nicht als staatliche Beihilfe betrachtet werden. Insbesondere dann, wenn gemeinnützige Unternehmen Vorteile aus zwei staatlichen Subventionierungsquellen genießen, ist es bedeutsam festzustellen,
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ob die gewährten finanziellen Kompensationen auch nicht über das Maß des Notwendigen hinausgehen. Wie bei der Besprechung der Varianten C und D dargelegt wurde, ist es sicherer, wenn die vom Staat gewährten finanziellen Vorteile bei der Kommission im Rahmen von Art. 87—89 EGV angemeldet werden, da es der Kommission auf diese Weise ermöglicht wird, diese zu genehmigen, und zwar für den Fall, dass sie (etwa bei einer falschen Anwendung der Kriterien aus dem Urteil Altmark) doch den Charakter staatlicher Beihilfen besitzen. Eine falsche Einschätzung der Kriterien aus dem Altmark-Urteil führt dazu, dass die Maßnahmen nachträglich als staatliche Beihilfe angesehen werden müssen und die Gelder aufgrund der unmittelbaren Rechtskraft der aufschiebenden Wirkung von Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV durch den Staat von den begünstigten Versicherern zurückgefordert werden müssen. Private Parteien können diesbezüglich nationale Gerichte anrufen. Die Kompensation für die Annahme von Personen mit erhöhten Risiken kann hohe Kosten verursachen. Der Staat kann sich daher veranlasst fühlen, an gemeinnützige Unternehmen hohe Summen zu zahlen. Hierdurch kann leicht der Verdacht der Zahlung staatlicher Beihilfe entstehen. Es ist daher zu empfehlen, die Kommission zu konsultieren.
4.6. Schlussfolgerungen Fast alle Varianten bergen Möglichkeiten für Kollisionen mit dem EG-Recht in sich. Selbst Variante A mit ihrem ausgeprägten öffentlich-rechtlichen Charakter kann sich dem Einfluss des EG-Rechts nicht entziehen. Bei Variante E, bei der fakultative staatliche Vorschriften einen zentralen Platz einnehmen, können bestimmte Aspekte gegen das EG-Recht (insbesondere das Wettbewerbsrecht) verstoßen. Die bedeutendsten rechtlichen Komplikationen sind, vor allem bei den Varianten B, C und D, auf die Dritte Schadenrichtlinie zurückzuführen. Dabei ist es - unter dem Aspekt der Beziehung zum europäischen Recht — unerheblich, ob eine Versicherung von Rechts wegen besteht oder eine Versicherungspflicht vorliegt. Vor allem aufgrund der verschwommenen Formulierungen der Art. 29, Art. 39 und Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie lässt sich nur schwer feststellen, inwieweit bestimmte nationale Vorschriften zulässig sind oder nicht. Hierdurch könnte die Begründung eines Gesundheitssystems, etwa auf die Ausnahmebestimmungen in Art. 54 der Richtlinie, problematisch werden. Wenn davon ausgegangen wird, dass die europäischen Bestimmungen zur Freizügigkeit auf solche nationalen Vorschriften anwendbar sind, fällt die Gefahr eines Verstoßes gegen das EG-Recht um ein Vielfaches geringer aus. Ausgehend vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann bei einer Bewertung nach Maßgabe der Ausnahmebestimmungen untersucht werden, ob zwischen dem euro-
Kapitel 4: EG-Recht, GesundheitsVersorgung und Beteiligung privater Versicherer 127
päischen Binnenmarkt und den Belangen des Gesundheitswesens ein angemessenes Gleichgewicht besteht. Der Grund dafür, dass eine solche nuancierte Herangehensweise unter den Bedingungen der Dritten Schadenrichtlinie kaum möglich ist, besteht darin, dass das Verbot aus Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie recht unterschiedlich ausgelegt werden kann, so dass die nationalen Vorschriften — unabhängig davon, was sie besagen — für unzulässig zu erklären oder eingeschränkt auszulegen sind, so dass sich diese Vorschriften — mit Ausnahme der Vorschriften zu den Beiträgen — in ihrer Gesamtheit außerhalb des Geltungsgebiets des Verbots befinden. Eine vergleichbare Argumentation greift für den Fall der eingeschränkten Auslegung der Ausnahmebestimmungen aus Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie, da bei einer solchen Interpretation die Gesamtheit der nationalen Vorschriften, die gegen Art. 29 und 39 verstoßen, nicht gerechtfertigt werden kann. Bei einer großzügigen Interpretation von Art. 54 der Richtlinie spielt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Rolle. Somit ist eine nuancierte Betrachtung möglich. Weitere Komplikationen treten im Zusammenhang mit den Bestimmungen zur staatlichen Beihilfe am augenfälligsten in Erscheinung. Obwohl ein Verstoß gegen diese Bestimmungen aufgrund der unmittelbaren Rechtswirkung der aufschiebenden Wirkung von Art. 88 Abs. 3 letzter Satz EGV (Rückforderung der gewährten Vorteile) weit reichende Folgen haben kann, bestehen Möglichkeiten zur Ausräumung der entstandenen Probleme (gemäß Altmark-Urteil oder durch Anmeldung bei der Kommission). Der Einfluss des EG-Rechts auf die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten scheint unumkehrbar zu sein. Die Regeln des EG-Rechts durchdringen diese nationalen Systeme. Dabei handelt es sich jedoch um ökonomische Regeln, die der Wirkung des Binnenmarktes förderlich sein sollen. Der Tatsache, dass das Gesundheitswesen ein Bereich des öffentlichen Interesses darstellt, können die Mitgliedstaaten gerecht werden, indem sie sich auf die Ausnahmegründe berufen, die in den Regeln zur Freizügigkeit enthalten sind. Der Einfluss des europäischen Wirtschaftsrechts auf die Gesundheitsversorgung ist dennoch nicht frei von Auswirkungen auf die Marktordnung, die die Mitgliedstaaten in diesem Sektor anstreben (ist beispielsweise ein regulierter Markt möglich?). Im nächsten Kapitel wird auf diese Problematik näher eingegangen.
Anmerkungen: 1. 2.
Dies folgt aus den bereits zitierten Urteilen in der Rechtssache Poucet und Pistre sowie der Rechtssache Cisal. Vgl. Punkte 12 u. 13 zur Begründung des Urteils Garcia.
128 Kapitel 4: EG-Recht, GesundheitsVersorgung und Beteiligung privater Versicherer
3. Wie in einer vorstehenden Anmerkung bereits dargelegt, sind nationale Gerichte berechtigt, in einem Vorabentscheidungsverfahren aus Anlass eines konkreten Rechtsstreits Vorabentscheidungsfragen zur Interpretation des EG-Rechts zu stellen. 4. Vgl. Punkt 61 der Urteilsbegründung in der Rechtssache Freskot. 5. Vgl. Punkt 62 der Urteilsbegründung in der Rechtssache Freskot. 6. Vgl. Punkt 63 der Urteilsbegründung in der Rechtssache Freskot. 7. Vgl. Punkte 65-69 der Urteilsbegründung in der Rechtssache Freskot. 8. Vgl. Punkte 70-73 der Urteilsbegründung in der Rechtssache Freskot. 9. Vgl. J. Nickless, The Internal Market and the Social Nature of health Care, in: M. McKee, E. Mossialos/R. Baeten, Brüssel 2002, S. 63—69. Vgl. in diesem Zusammenhang G. Davies, Weifare as a Service, Legal Issues of Economic Integration 2002, S. 36f. 10. Vgl. den Bericht "New NHS hospitals will be built, staffed and run from abroad" vom 29. Juni 2003 unter www.telegraph.co.uk/news. 11. Vgl. in diesem Zusammenhang Rechtssache 45/87 (Dundalk), Slg. 1988, S. 4929. 12. Rechtssache C-343/95 (Diego Call), Slg. 1997, S. 1-1547. 13. Vgl. Abschnitt 3.4., in dem diese vier Bedingungen beschrieben werden. 14. Vgl. in diesem Zusammenhang das Urteil Skandia und das Urteil Association basco-béarnaise des opticiens indépendants (bereits zitiert). 15. Vgl. Verlening vrijstelling verbod op het zelf leveren van farmaceutische hulp, in: Staatscourant 1998, 246, S. 36, und Besluit algemene vrijstelling van verbod op zelf leveren van huisartsenzorg en deelneming in instellingen voor huisartsenzorg, in: Staatscourant 2002, 209, S. 24. 16. Hierunter wird das finanzielle Risiko verstanden, dass einer Versicherungsbeziehung infolge des Unwägbarkeitsfaktors zu Eigen ist. Vgl. B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 14. 17. Vgl. in diesem Zusammenhang E. Steyger, a.a.O., 2002, S. 95. 18. Pieters beurteilt die Zulässigkeit der Verpflichtung aus dem niederländischen Recht für private Versicherer, in bestimmten Umständen eine Standardversicherung im Sinne des WTZ anbieten zu können, eher kritisch. Vgl. D. Pieters, a.a.O., S. 73-77. 19. Wie bereits in Abschnitt 2.2.2. dargelegt, sind aufgrund von Verordnung 1408/71 Sachleistungen nicht, Geldleistungen hingegen wohl exportierbar. 20. Vgl. hierzu F. Pennings, Introduction to European Social Security Law, 3. Aufl., Den Haag 2001, S. 69ff. 21. Dieses Urteil wurde in Abschnitt 2.1. zitiert. 22. Vgl. Punkt 32 der Urteilsbegründung in der Rechtssache Sodemare. 23. Vgl. auch Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 40-45. 24. Ebd., S. 43-45. 25. In Punkt 24 zur Begründung des Erlasses der Dritten Schadenrichtlinie, die Art. 54 (die Ausnahmebestimmung für Krankenversicherungen) erläutert, wird vorgebracht, dass es den Mitgliedstaaten erlaubt ist, Vorschriften für Höchstpreise zu erlassen und eine Verpflichtung zur Beteiligung an Lastenausgleichssystemen aufzuerlegen. Angesichts der Verbindung, die zwischen Höchstpreisen und Lastenausgleichssystemen hergestellt wird, ist zu folgern, dass staatliche Maßnahmen, die Versicherer zur Hinnahme von Verlusten zwingen, diese Richtlinie verletzen. 26. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 39f.
Kapitel 4: EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer 129
27. Vgl. das Schreiben vom 12. April 2002 des Gesundheitsministers und -Staatssekretärs zur Reform des Gesundheitssystems, Kamerstukken II 27 855, Nr. 17, S. 4f. u. S. 24—43. Darin wird dargelegt, dass es mit Blick auf das Ubergangsstadium in einem von Wettbewerb bestimmten Kontext wünschenswert ist, aufgrund der großen Zugangshemmnisse sektorspezifische Wettbewerbsregeln für das Gesundheitswesen zu schaffen. 28. Vgl. in diesem Zusammenhang M.T. de Gans, a.a.O., S. 373f. De Gans zufolge ist es wahrscheinlich, dass bestimmte Gelder, die etwa zu Lasten der vom CVZ verwalteten allgemeinen Mittel an sjekenfondsen ausgezahlt werden, Maßnahmen der staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV sind. 29. Aufgrund dieser Bestimmung sind gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit vom Anwendungsbereich der Schadenrichtlinien ausgenommen. 30. Vgl. in diesem Zusammenhang B.J. Drijber/G.RJ. de Groot, a.a.O., S. 27. 31. Vgl. ebd., S. 14f. 32. Wie bereits Abschnitt 2.2.1. zu entnehmen war, enthalten beide Richtlinien das gleiche Verbot. Aus Art. 39 folgt, dass das Verbot des Art. 29 auch in dem Fall gilt, wenn Versicherungsdienstleistungen von Versicherern anderer Mitgliedstaaten angeboten werden. 33. Vgl. in diesem Zusammenhang B.J. Drijber/G.RJ. de Groot, a.a.O., S. 17-19. 34. Vgl. hierzu weiter Abschnitt 2.2.1. 35. Vgl. beispielsweise Punkt 17 der Rechtssache C-202/94 (Van der Feesten), Slg. 1996, S. 1-355, Punkt 13 der Rechtssache C-149/94 (Vergy), Slg. 1996, S. 1-299, und Punkt der Rechtssache 173/83 (Kommission gegen Frankreich), Slg. 1985, S. 491. 36. Vgl. auch I.G.F. Cath, De keuze voor een privaat of publiek stelsel wordt niet bepaald door het EU-recht (Memorandum vom 20. Februar 2003), S. 21. 37. Vgl. ebd., S. 20f. 38. Vgl. Art. 1 lit. ) Verordnung 1408/71. 39. Vgl. in diesem Zusammenhang Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 20013/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 31, und B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 31. 40. Vgl. in diesem Zusammenhang Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 20013/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 38. 41. Vgl. ebd., S. 33-36. 42. Gerechtshof Den Bosch 19. November 2002 (Janssen et al. gegen VGZ), in: VR 2003, Nr. 41. Dieses Urteil wird besprochen in J.W. van de Gronden, Vrij verkeer en zorgverzekeringen: medisch toerisme in Europa?, in: VR 2003, S. 69-75. 43. Vgl. in diesem Zusammenhang Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 20013/31a, Den Haag, 3. April 2001, S. 45. 44. Vgl. beispielsweise Rechtssache C-l 71/91 (Lornoy), Slg. 1992, S. 1-6523, verbundene Rechtssachen C-261/01 u. C-262/ 01 (Van Calster), 21. Oktober 2003, nicht gesondert aufgeführt und verbundene Rechtssachen C-34/01 bis C-38/01 (Enirisorce), 27. November 2003, nicht gesondert aufgeführt 45. Vgl. hierzu Abschnitt 4.3. 46. Vgl. die Entscheidung der Kommission vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache N 46/2003, Ireland Risk equalisation scheme in the Irish health insurance market. Dieser Entscheid wurde auf folgender Internetsite veröffentlicht: http://ec.europa.eu/community_law/state_aids/ comp-2003/n046-03.pdf.
130 Kapitel 4: EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer 47. Das Geschäftszeichen dieser Rechtssache beim Gericht erster Instanz ist T-289/03. Vgl. Abi. EG 2003, C-264/32. 48. Vgl. ebenfalls E. Steyger, a.a.O., 2002, S. 96. 49. Wie bereits mehrfach erwähnt, fallen aufgrund von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit nicht unter den Anwendungsbereich der Schadenrichtlinien. 50. Wie bereits Abschnitt 2.2.1. zu entnehmen war, enthalten beide Richtlinien das gleiche Verbot. Aus Art. 39 folgt, dass das Verbot des Art. 29 auch für den Fall gilt, dass Versicherungsdiensdeistungen von Versicherern anderer Mitgliedstaaten angeboten werden. 51. Vgl. in diesem Zusammenhang die Publikation T. R. Ottervanger/M.A. de Jong, a.a.O., 2002, S. 5f., in der die Ansicht vertreten wird, dass das stärker regulierte System aus dem Papier Vraag aan bod der Kritik unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit weniger standhält als das System des SER. 52. Vgl. in diesem Zusammenhang B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 25ff. 53. Vgl. ebenfalls Advies inzake Europeesrechtelijke aspecten van een stelsel van ziektekostenverzekering van de Interdépartementale Commissie Europees recht, ICER 2001-3/31 a, Den Haag, 3. April 2001, S. 31, und B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 31. 54. Vgl. Punkt 51 der Urteilsbegründung zum Urteil IKA (bereits zitiert). 55. Vgl. B.J. Drijber/G.R.J. de Groot, a.a.O., S. 31. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Beschluss Nr. 191 vom 18. Juni 2003 über die Ersetzung von Formblatt E 111 und Formblatt E 111 B durch eine europäische Krankenversicherungskarte, Abi. EG 2003, L 276/19, hinzuweisen. Aufgrund dieses Beschlusses wird ab 1. Juni 2004 die europäische Krankenversicherungskarte bei der Vergütung medizinischer Behandlungen bei einem vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat des Wohnortes verwendet. 56. Vgl. hierzu F. Pennings, a.a.O., S. 143. 57. Vgl. dazu auch I.G.F. Cath, De keuze voor een privaat of publiek stelsel wordt niet bepaald door het EU-recht (Memorandum vom 20. Februar 2003), S. 19f. 58. Vgl. Punkt 38 der Urteilsbegründung zu den verbundenen Rechtssachen C-430/99 u. C431/99 (Sea-Land), Slg. 2002, S. 1-5235. 59. Im Urteil Sea-Land wurde ausgeführt, dass der Rechtfertigungsgrund die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit war, die für einen Lotsen- bzw. Navigationsdienst unerlässlich ist. Vgl. Punkt 42 des Urteils Sea-Land. 60. Dieses Urteil wurde in Abschnitt 3.4. zitiert. 61. Vgl. in diesem Zusammenhang die Notiz Naar meer menselijke maat in de gezondheidszorg. Discussievoorstel om tot een betere verantwoordelijkheidsverdeling in de gezondheidszorg te komen der Zweite-Kammer-Fraktion der CDA (Den Haag, September 1999), S. 25 u. S. 42, in der vorgeschlagen wird, die als gemeinnützige Unternehmen tätigen sgekenfondseti von der Gewinnsteuer zu befreien. Eher allgemein wird in diesem Zusammenhang von einem eventuellen Interessenaustausch gesprochen. 62. Dies folgt aus den bereits zitierten Urteilen Skandia und Association basco-béarnaise des opticiens indépendants. 63. Im Übrigen können Mitgliedstaaten vertragliche Systeme der sozialen Sicherheit, die von Verordnung 1408/71 ausgenommen werden, unter bestimmten Grundvoraussetzungen durch Anmeldung dem Geltungsbereich der Verordnung unterwerfen. Dies ergibt sich aus Art. 1 lit. j Verordnung 1408/71. 64. Für eine Anwendung des Diskriminierungsverbots im Gesundheitswesen vgl. das bereits zitierte Urteil Ferlini. 65. Vgl. beispielsweise Punkt 35-44 der Leitlinien der NMa für den Gesundheitssektor.
Kapitel 4: EG-Recht, Gesundheitsversorgung und Beteiligung privater Versicherer 131
66. Vgl. in diesem Zusammenhang die verbundenen Rechtssachen 240-242, 261-262, 268 u. 269/82 (Stichting Sigarettenindustrie), Slg. 1985, S. 3831, in denen der Gerichtshof entschied, dass der von den Vorschriften über Höchstpreise gebotene Spielraum (niedrigere Preise festzustellen), nicht durch Preisabsprachen aufgehoben werden darf. Außerdem hat die NMa geurteilt, dass Absprachen zwischen Angehörigen (para)medizinischer freier Berufe, die darauf abzielen, keine Verträge unterhalb des Kraft WTG zustande gekommenen Höchsttarifs abzuschließen, gegen Art. 6 Mededingingsrnt verstößt. Vgl. beispielsweise die Entscheidung der d-g NMa vom 18. Juni 1999 in der Rechtssache 407/882 (Amicon), den Beschwerdebescheid in derselben Rechtssache vom 13. Dezember 2000, die Entscheidung der d-g NMa vom 19. April 2000 in der Rechtssache 767/141 (Zorg en Zekerheid und Theo de Graaf Brillen), die Entscheidung der d-g NMa in den Rechtssachen 590 und 1972, Amicon Zorgverzekeraar - frei niedergelassener Physiotherapeut (Freistellung) und in der Rechtssache 1570 Sanders gegen Amicon Zorgverzekeraar (Beschwerde) vom 15. Dezember 2000, die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 537, Landelijke Huisartsen Vereniging, vom 11. April 2001 und die Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 912, CZ-Apotheker, vom 6. Juli 2001
132 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Losungsansätze
Kapitel 5
Schlussfolgerungen und Lösungsansätze 5.1. EG-Recht, private Initiativen und Allgemeininteresse Zuweilen wird unterstellt, das EG-Recht zwinge zu einer eindeutigen Entscheidung zwischen staatlichen Maßnahmen und freiem Wirken der Marktelemente,1 beispielsweise auf dem Gesundheitssektor.2 Auch in der Diskussion um die Gesundheitsreform wurde diese Auffassung vorgebracht.3 Diese Sichtweise wird allerdings zu sehr von Schwarz-Weiß-Denken bestimmt und von rezenteren Entwicklungen im EGRecht nicht bestätigt. Der Gerichtshof ist bereit, in einem öffentlich-rechtlichen Rahmen getroffene Absprachen zu bestätigen, sofern nachgewiesen werden kann, dass die betreffenden Eingriffe notwendig und verhältnismäßig sind. Die Urteile in den Rechtssachen Smits und Peerbooms sowie Müller-Fauré verdeutlichen dies anschaulich. Bei stationären Behandlungsmaßnahmen gelang den Niederlanden der Nachweis, dass der Eingriff in die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs angesichts der besonderen Merkmale der betreffenden Dienstleistungen und des betreffenden Marktes erforderlich war, während dem Land bei der ambulanten Gesundheitsversorgung ein solcher Nachweis nicht gelungen ist. Es kommt darauf an nachzuweisen, welche Mängel im Bereich der Marktwirkung ein Eingreifen aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich werden lassen. In diesem Zusammenhang kann auch auf das Urteil in der Rechtssache Glöckner verwiesen werden, in dem eine staatlicherseits erfolgte Wettbewerbsbeschränkung auf dem Gesundheitssektor unter Hinweis auf Art. 86 Abs. 2 EGV als zulässig erachtet wurde. Die Argumente wurden auch von den beteiligten nationalen Parteien angeführt: Das strittige zugesprochene Alleinrecht im Bereich Krankentransporte war erforderlich, da im Falle der Zulassung des freien Spiels der Marktkräfte die dringend medizinische Hilfe in ruhigen Zeiten oder in regionalen Randgebieten gefährdet werden könnte.4 Auch in Bereichen außerhalb des Gesundheitssektors gibt es Urteile, in denen akzeptiert wird, dass private Parteien in einer Marktsituation das Allgemeininteresse verfolgen. Im Brentjens-Urteil5 wurde den sozialen Partnern trotz eventuell beschränkender Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt der Abschluss von Tarifverträgen gestattet. Solche Absprachen verletzen nicht das Kartellverbot, wenn sie sich auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen beziehen.6 Im gleichen Urteil wurde akzeptiert, dass Rentenkassen eine so stark ausgeprägte soziale Funktion erfüllen und deshalb eine Aufgabe im allgemein-wirtschaftlichen Interesse im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EGV verkörpern. Im Urteil Wouters (siehe Abschnitt 3.2.) wurden Absprachen zu Standespflichten, die zwischen bestimmten Angehörigen freier Berufe (in diesem Fall Anwälte) getroffen wurden, ebenfalls dahingehend beurteilt, dass sie nicht gegen das
Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze 133
Wettbewerbsrecht verstoßen. Aus den Mitteilungen der Kommission über Art. 81 Abs. 3 EGV (Freistellung vom Kartellverbot), der zu dem sogenannten Modernisation Package gehört, geht hervor, dass bei der Anwendung dieser Ausnahmebestimmung auf das Kartellverbot Zielsetzungen berücksichtigt werden dürfen, die durch andere Vertragsbestimmungen erfüllt werden (Nicht-Wettbewerbsziele), solange alle Kriterien von Art. 81 Abs. 3 EGV eingehalten werden.7 In den in Abschnitt 3.4. besprochenen Urteilen Ferring und Altmark können Ausgleichszahlungen, die bestimmten Unternehmen mit Blick auf Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben gewährt werden, der Einstufung als staatliche Beihilfe entgehen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird den Mitgliedstaaten innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen Raum gelassen, um Vorschriften zu erlassen, die aus Gründen des Allgemeininteresses notwendig sind. In der Rechtssache PreussenElektra8, urteilte der Gerichtshof großzügig. Er genehmigte nationale Vorschriften, die privatwirtschaftliche Stromproduzenten verpflichteten, in ihrem Vertriebsgebiet aus erneuerbaren Energiequellen produzierten Strom zu über dem Marktwert liegenden Mindestpreisen abzunehmen. Diese nationale Regelung trug dem Gerichtshof zufolge zu einer Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen bei. In der Rechtsprechung des EuGH zu den golden shares, die verschiedene Mitgliedstaaten an bestimmten privatisierten Unternehmen besitzen, wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Anwendung der Freizügigkeitsbestimmungen die Sorgen der Mitgliedstaaten nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Sachlage rechtfertigen können, dass die Mitgliedstaaten einen bestimmten Einfluss auf privatisierte Unternehmen mit Dienstleistungen im allgemeinen oder strategischen Interesse behalten.9 Obwohl die Anerkennung dieser Besorgnisse den Mitgliedstaaten keinen Freibrief verschafft, kann die Beherzigung des Allgemeininteresses ein Grund sein, die Freizügigkeit zu beschränken, sofern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wird (was übrigens in einer Reihe von golden shan-¥H\e.n nicht der Fall war). In der Rechtssache Kommission gegen Deutschland in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit für Versicherer (zu der vor dem Inkrafttreten der Dritten Schadenrichtlinie ein Urteilsspruch gefallt wurde) hat der Gerichtshof sogar anerkannt, dass es im Bereich der Versicherungen zwingende Erfordernisse des Gemeininteresses gibt, die, wenn dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wurde, Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können.10 Im Bereich der Schadensversicherungen ist also eine Rechtsprechung vorhanden, die ein Eingreifen in die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs mit Blick auf das Allgemeininteresse grundsätzlich als zulässig betrachtet, auch wenn diese Rechtsprechung aus einer Zeit stammt, in der dieser Bereich noch nicht durch die Dritte Schadenrichtlinie harmonisiert worden war.
134 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
Auf der europäischen Gesetzgebungs-Ebene vollziehen sich nennenswerte Entwicklungen. So ist auf Art. 16 EGV hinzuweisen, der davon ausgeht, dass Dienstleistungen von allgemein-wirtschaftlichem Interesse, die in der Regel auf der Grundlage privater Initiativen erbracht werden, ordnungsgemäß funktionieren müssen. Zur Entwicklung der Politik hinsichtlich der Problematik der Diensdeistungen von allgemein-wirtschaftlichem Interesse hat die Kommission kürzlich ein Grünbuch erstellt11, anhand dessen die Mitgliedstaaten konsultiert werden. In älteren Vorschriften sind Vereinbarungen zu finden, bei denen die private Initiative eine wichtige Rolle spielt.12 Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie ist hierfür ein gutes Beispiel. Im Rahmen bestimmter Grundvoraussetzungen wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, private Versicherer einzuschalten, um eine Krankenversicherung, die bestimmten Personenkategorien zugänglich ist, anbieten zu können.
5.2. EG-rechtliche Komplikationen bei der Einbeziehung privater Krankenversicherungen Obwohl es den Mitgliedstaaten im Rahmen des EG-Rechts möglich ist, mit Blick auf das Allgemeininteresse privatwirtschaftliche Unternehmen einzuschalten, führt die von den Mitgliedstaaten im Bereich des Gesundheitswesens verfolgte Politik, die privaten Krankenversicherern viel Raum lässt, zu Problemen. Der Beurteilung im letzten Kapitel ist zu entnehmen, dass bei Varianten, in denen diese Versicherer eine Rolle spielen - d.h. in Variante B bis einschließlich E - EG-rechtliche Komplikationen auftreten. (Die Varianten wurden in Kapitel 1 beschrieben.) Variante A, die den am stärksten ausgeprägten öffentlich-rechtlichen Charakter besitzt, wies die wenigsten Komplikationen auf (wenn sich die Zulassung von Marktstimuli auf ein Mindestmaß beschränkt). Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Dritte Schadenrichtlinie auf dieses System nicht anwendbar ist. Doch selbst bei Variante A kann unter bestimmten Umständen ein Verstoß gegen das EG-Recht nicht ausgeschlossen werden. Dass es Komplikationen gibt, bedeutet nicht automatisch, dass ein Verstoß gegen EG-Recht vorliegen muss. Das Auftreten von Widersprüchen zum EG-Recht kann auf der Grundlage der beiden folgenden Tatsachen erklärt werden. Zunächst bestehen trotz einer seit den Urteilen Kohll und Decker stetig zunehmenden Rechtsprechung im Spannungsfeld Gesundheitsversorgung und EG-Recht (insbesondere was den Bereich der Freizügigkeit anbetrifft) nur relativ wenige Fälle der Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen nationaler Regelsetzung im Bereich Krankenversicherer und dem EG-Recht. Aus diesem Grund müssen Schlussfolgerungen zur möglichen Vereinbarkeit nationaler Vorschriften mit den Gemeinschaftsbestimmungen zur Freizügigkeit oder der Dritten Schadenrichtlinie vorsichtig gezogen werden. Damit haftet ihnen eine gewisse Unsicherheit an. Es gibt schlichtweg keine Rechtsprechung zu nationalen Vor-
Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze 135
Schriften im Gesundheitsbereich, etwa in Bezug auf die Annahmepflicht, das Verbot der Beitragsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl oder eine Lastenausgleichsverpflichtung. Es gibt keine völlige Klarheit darüber, ob solche Vorschriften beispielsweise einer Beurteilung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz standhalten können. Die Analyse basiert auf einer Einschätzung, die ihrerseits auf einer analogen Anwendung der sich auf andere Arten staatlicher Regulierung beziehenden Rechtsprechung beruht. Diese Unsicherheit hängt sicherlich mit neuen Politikvorhaben der Mitgliedstaaten zusammen, insbesondere dann, wenn diese im Bereich der Gesundheit und der sozialen Sicherheit liegen. Eine zweite Ursache für Komplikationen liegt in den unklaren Formulierungen der Bestimmungen der Dritten Schadenrichtlinie, die auf dem Gesundheitssektor eine zentrale Rolle spielen. Wie in Abschnitt 2.2.1. nachgewiesen, können hinsichtlich der angemessenen Interpretation der Verbotsbestimmung der Art. 29 und 39 und der Ausnahmebestimmung von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie Diskussionen entstehen. Selbst in der wichtigen Frage nach der Tragweite der Schadenrichtlinien besteht keine Klarheit: Was ist unter einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit zu verstehen, wenn es nicht in den Wirkungsbereich dieser Richtlinien fällt? Die Beurteilung anhand der Dritten Schadenrichtlinie besitzt daher rein hypothetischen Charakter. Die Bewertving der verschiedenen Varianten der Krankenversicherungen gemäß der Dritten Schadenrichtlinie kann allein auf der Grundlage von Hypothesen erfolgen. Von einem System des Typs B bis hin zu einem System des Typs D (oder des Typs E, für den Fall, dass ein Staat bei dieser Variante der Krankenversicherung allen Versicherern bestimmte Verpflichtungen auferlegt) ist es möglich, dass die von einem Mitgliedstaat als notwendig erachtete Regulierung der Krankenversicherungen die Dritte Schadenrichtlinie verletzt. In der nachstehenden Tabelle wird hinsichtlich der Varianten B, C, D und E angegeben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Schadenrichtlinien anwendbar sind („Anwendbarkeit"), wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Verbot aus Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie verletzt wird („Verstoß gegen Art. 29"),13 und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass, bei einer Verletzung der Art. 29 und 39 der Ausnahmegrund aus Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie vorliegt („Erfüllt Art. 54"). Variante A bleibt bei dieser Betrachtung außen vor, da die Schadenrichtlinien auf das durch diese Variante verkörperte System nicht anwendbar sind. Bei Variante E wird, wie bereits bei der Beurteilung dieser Variante nach der Dritten Schadenrichtlinie in Abschnitt 4.5., davon ausgegangen, dass die relevanten staatlichen Vorschriften einen fakultativen Charakter besitzen. Die Tabelle stellt sich wie folgt dar:
136 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
Tabelle: Die Dritte Schadenrichtlinie und die Varianten der Krankenversicherungen Varianten
Anwendbarkeit
Verstoß gegen Art. 29
Entspricht Art. 54
B
nicht ausgeschlossen14
recht wahrscheinlich15
argumentierbar16
C
sehr wahrscheinlich
recht wahrscheinlich17
argumentierbar18
D
sehr wahrscheinlich
recht wahrscheinlich19
argumentierbar20
E
sehr wahrscheinlich
wahrscheinlich nicht21
argumentierbar22
Aus der Tabelle geht hervor, dass selbst bei Variante B, die eine relativ hohe öffentlich-rechtliche Ausprägung aufweist, eine Verletzung der Dritten Schadenrichtlinie möglich ist. Ebenfalls wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Dritten Schadenrichtlinie bei den Varianten C und D höher ist. Bei Variante E ist diese Wahrscheinlichkeit bedeutend geringer, es sind jedoch, wie sich in Abschnitt 4.5. zeigte, zahlreiche wettbewerbsrechtliche Probleme zu lösen. Nicht übersehen werden sollte jedoch, dass sich die Komplexität der Bewertung verschiedener Gesundheitssysteme nach Maßgabe der Dritten Schadenrichtlinie nur schwer schematisch darstellen lässt. Mit Hilfe der vorstehenden Tabelle soll vor allem dargestellt werden, wie hoch der Grad der Rechtsunsicherheit (aufgrund fehlender Rechtsprechung) im Zusammenhang mit den relevanten Bestimmungen der Dritten Schadenrichtlinie ist. Im Jahr 1997 veröffentliche Ter Kuile sein Buch zum Verhältnis zwischen Gesundheitsversorgung und EG-Recht (Onzekerheden over de invloed van Gemeenschapsrecht op de nationale gezondheidszorg).23 Obwohl die Rechtsprechung zum EG-Recht und Gesundheitsbereich seitdem nicht abgenommen hat, ist festzustellen, dass für die nationale Regulierung von Krankenversicherungen auch nach 1997 noch sehr viel Klärungsbedarf besteht. Dafür lassen sich zwei Gründe anführen: Zunächst tragen, wie bereits erwähnt, die verschwommenen Formulierungen einer Reihe von wichtigen Artikeln der Dritten Schadenrichtlinie zu dieser Unklarheit bei. Ferner ist eine optimale Rechtssicherheit nur dann möglich, wenn sich der Gerichtshof über das Verhältnis zwischen EG-Recht und einem bestimmten nationalen Gesundheitssystem ausgesprochen hat. Die Systeme unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat in sehr starkem Maße, so dass nicht von vornherein deutlich ist, welche Konsequenzen das Urteil des Gerichtshofs auf das Gesundheitssystem eines Mitgliedstaates und für die Gesundheitssysteme anderer Mitgliedstaaten hat. Darüber hinaus ändern auch die Mitgliedstaaten selbst regelmäßig die praktische Ausgestaltung ihrer Gesundheitssysteme, so dass man sich fragen muss, inwieweit ein Urteil über das ehemalige System eines Mitgliedstaats noch für das neue System desselben Mitgliedstaats relevant ist.
Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze 137
5.3. Rechtliche Konsequenzen Trotz dieser fehlenden Klarheit steht hinsichtlich der nationalen Kranken- und Pflegeversicherungssysteme eines fest: Die EG-rechtlichen Vorschriften sind von Bedeutung für diese Systeme und bis hin zur (fast) 100%igen öffentlich-rechtlichen Variante A können die europäischen Regeln der Politik einzelner Mitgliedstaaten entgegenstehen. Mit welchen rechtlichen Folgen kann nun ein Mitgliedstaat, dessen Politik sich im Bereich der Krankenversicherungen im Widerspruch zum EG-Recht befindet, konfrontiert werden? Zunächst kann die Kommission gegen einen Mitgliedstaat, der beispielsweise seinen Verpflichtungen aus der Dritten Schadenrichtlinie nicht nachkommt, ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EGV einleiten. Wird ein Mitgliedstaat vom Gerichtshof verurteilt und verletzt er seine vertraglichen Pflichten weiterhin, kann die Kommission erneut gegen ihn beim Gerichtshof vorgehen; in diesem Verfahren kann der Mitgliedstaat laut Art. 228 Abs. 2 EGV zur Zahlung einer Vertragsstrafe oder eines Zwangsgeldes verurteilt werden.24 Gegen nationale Vorschriften, die beispielsweise gegen die Dritte Schadenrichtlinie verstoßen, kann bei nationalen Gerichten vorgegangen werden. Wie bereits erwähnt, können Richtlinienbestimmungen, die nicht in Rechtsvorschriften umgesetzt wurden, unmittelbare Rechtskraft erlangen und so kann sich eine private Partei vor Gericht darauf berufen.25 Darüber hinaus sind nationale Gerichte gehalten, die nationalen Rechtsvorschriften so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den geltenden EG-Richtlinien auszulegen (richtlinienkonforme Interpretation).26 Außerdem kann ein Mitgliedstaat von einem nationalen Gericht dazu verurteilt werden, den Schaden privater Parteien, den diese wegen einer Verletzung einer EG-Richtlinie oder einer anderen EG-rechtlichen Bestimmung seitens des Staates erlitten haben, zu ersetzen.27 Die Problematik der verspäteten oder nicht korrekten Umsetzung von EGRichtlinien spielt in verschiedenen Bereichen in den Niederlanden eine Rolle und kann gewichtige Konsequenzen haben. Zurzeit betrifft dies die neuen europäischen Richtlinien zur Telekommunikation28, die noch nicht in niederländische Rechtsvorschriften umgesetzt wurden, wobei die Umsetzungsfrist bereits am 25. Juli 2003 ablief.29 Ein Mitgliedstaat, der seinen Verpflichtungen, die sich unter anderem aus der Dritten Schadenrichtlinie ergeben, nicht nachkommt, geht beachtliche Risiken ein. Bei kommerziell ausgeprägten Systemen sind Rechtsverfahren vor nationalen Gerichten — angesichts des großen Interesses der Versicherungsgesellschaften an Urteilen, in denen bestimmte nationale Vorschriften als Verstoß gegen diese Richtlinie gewertet werden —, nicht ausgeschlossen.
138 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
5.4. Befindet sich die Variante mit den meisten Einschränkungen in Übereinstimmung mit dem EG-Recht? Die vorstehend gezogenen Schlussfolgerungen sind insofern bemerkenswert, als sie unterstellen, dass in dem Maße, in dem sich die Mitgliedstaaten für mehr Marktfreiräume innerhalb des Systems der Krankenversicherungen entscheiden, die Möglichkeit von Komplikationen mit den Regeln für den Binnenmarkt — insbesondere den Regeln aus der Dritten Schadenrichtlinie — größer wird. Bei der Betrachtung einer Situation, deren Entstehung vor allem in den verschwommenen Formulierungen einer Reihe von Artikeln der Dritten Schadenrichtlinie liegt, bietet sich folgendes Bild: Die Variante mit den am weitesten reichenden Freizügigkeitseinschränkungen zieht (in ihrer reinsten Ausprägung) die wenigsten EG-rechtlichen Probleme nach sich, vor allem, weil feststeht, dass die Dritte Schadenrichtlinie auf diese Variante nicht anwendbar ist. Bei Varianten, die dem Wirken der Marktkräfte den größten Raum lassen (vor allem die Varianten C und D), entstehen die meisten Kollisionen mit dem EG-Recht. Dies ist im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, aufgrund dessen die Mitgliedstaaten aus Gründen der Freizügigkeit zur Entscheidung für die am wenigsten einschränkenden Maßnahmen verpflichtet sind, eine bemerkenswerte Schlussfolgerung. Die äußerste Konsequenz könnte sein, dass sich ein Mitgliedstaat unter dem Druck der Regelsetzung zur Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes in Europa für ein in starkem Maße reguliertes Gesundheitssystem entscheidet, das vom Ideal des Binnenmarktes weit entfernt ist. Das andere Extrem, nämlich eine Variante, bei der private Versicherer ihre Krankenversicherungen ohne nennenswerte staatliche Regulierung anbieten, stellt angesichts der besonderen Eigenschaften des Gesundheitsversorgungsmarkts keine wirkliche Alternative dar. Auch in Ländern, in denen private Krankenversicherungen eine wichtige Rolle spielen, sah sich der Staat zu einem gewissen Maß an Regulierung des Gesundheitssektors veranlasst.30 Wenn ein Mitgliedstaat im Gesundheitsbereich durch die Zulassung von Privatversicherern auf Privatinitiativen zurückgreifen will, entsteht Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem EG-Recht, und dabei insbesondere mit der Dritten Schadenrichtlinie. Diese Schlussfolgerung kann auch folgendermaßen formuliert werden: Sobald ein Mitgliedstaat im Rahmen der Gesundheitsversorgung Marktanreizen zur Erreichung bestimmter Effizienzvorteile mehr Möglichkeiten einräumen will, und hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherer ein System regulierter Marktwirkung installieren möchte, steht nicht eindeutig fest, ob die Dritte Schadenrichtlinie dies überhaupt erlaubt. In welchem Umfang ist es den Mitgliedstaaten in Bereichen der sozialen Sicherheit und Krankenversicherungen möglich, das Marktordnungsmodell der regulierten Marktwirkung zu verwenden? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. Jeder Mitgliedstaat, der hinsichtlich der Ausgestaltung sei-
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nes Gesundheitssystems eine regulierte Marktwirkung einfuhren möchte, stößt auf Probleme im Zusammenhang mit der Rechtsunsicherheit. Die Ursache dieser Rechtsunsicherheit liegt in der mehr oder weniger diagonal verlaufenden Verteilung der Zuständigkeiten innerhalb des Gefuges von Binnenmarkt/ Gesundheitssystem zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten begründet. Im nationalen Recht wird dem öffentlichen Interesse an der Gesundheitsversorgung Rechnung getragen, durch das EG-Recht wird es jedoch als Marginalie behandelt, wenn es sich dazu im Widerspruch befindet. Eine der zentralen Zielsetzungen des EG-Rechts besteht jedoch in der Schaffung des Binnenmarktes, so dass von dem Vorrang des EG-Rechts im Gesundheitssektor eine gewisse liberalisierende Tendenz ausgeht, was nicht auf allen Sektoren der Fall ist: In der Umweltpolitik verfugt die Europäische Union über eigene Regulierungsbefugnisse, so dass Probleme, die durch Konflikte zwischen europäischer Marktintegration und Umweltfragen entstehen, auf europäischer Ebene durch Rechtsvorschriften gelöst werden können. Auf dem Gesundheitssektor verfügt die Europäische Union nicht über solche Befugnisse. Führt das Fehlen dieser Befugnisse nicht dazu, dass die Mitgliedstaaten gezwungen sind, sich für ein bestimmtes Krankenversicherungssystem zu entscheiden, während sie gerade deswegen die meisten Regulierungsbefugnisse im Gesundheitsbereich nicht der Europäischen Union übertragen wollten, um selbst die Wahlfreiheit hinsichtlich des Gesundheitssystems zu behalten? Wenn ja, wäre dies eine paradoxe Folge des Ganzen.
5.5. Lösungsansätze auf Grundlage der Dritten Schadenrichtlinie Ausgehend von der im Gutachten des Wissenschaftlichen Instituts der CDA, dem CDA-Wahlprogramm und des Koalitionsvertrages der zweiten Regierung Balkenende geäußerten Präferenz zur Einführung einer privatrechtlichen Variante mit öffentlich-rechtlichen Rahmenvorgaben und den Vorhaben der Regierung zur Einführung dieser Variante (Finanäeel Dagblad, 13. Dezember 2003) werden nachfolgend einige Schritte erläutert. Wie können Mitgliedstaaten, die privaten Kranken- und Pflegeversicherern eine wesentliche Rolle im Gesundheitsbereich einräumen möchten, die entstandenen Probleme lösen? Diese Mitgliedstaaten könnten eine Vier-SchritteStrategie verfolgen, die sich aus den im Anschluss beschriebenen Schritten zusammensetzt. Damit soll einerseits mehr Rechtssicherheit geschaffen werden, anderseits wird den Parteien, die gemeinnützigen Unternehmen einen Platz im Rahmen des europäischen Rechts verschaffen wollen, dazu die Möglichkeit gegeben.
140 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
1. Schritt: Standpunktbestimmung seitens der Kommission Es muss eine Abstimmung mit der Kommission erfolgen, bei der zu untersuchen ist, auf welche Weise diese Gemeinschaftseinrichtung, die die Aufsicht über die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ausübt, wichtige Bestimmungen wie die der Art. 29, 39 und 54 der Dritten Schadenrichtlinie auslegt. Im Rahmen dieser Konsultationen kann von den beteiligten Mitgliedstaaten eindeutig herausgestellt werden, weshalb bestimmte nationale Grundvoraussetzungen, etwa bei der Annahmepflicht, dem Verbot der Beitragsdifferenzierung und dem Risikoausgleich, notwendig und verhältnismäßig sind. Dabei wird natürlich die Tatsache eine Rolle spielen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs mit der Zeit Möglichkeiten geschaffen hat, von den (Sozial-)Versicherungen die Einhaltung bestimmter gesetzlicher Grundvoraussetzungen zu fordern. Falls die Kommission ebenfalls der Auffassung ist, dass sich diese Vorschriften in Übereinstimmung mit der Dritten Schadenrichtlinie befinden, sei es wegen der eingeschränkten Interpretation der Verbote aus Art. 29 und 39 der Dritten Schadenrichtlinie, sei es wegen einer breit angelegten Interpretation von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie, kann die Kommission deshalb ersucht werden, diesen Standpunkt schriftlich zu erfassen und zu veröffentlichen. So kann beispielsweise die Interpretationsmitteilung der Kommission in Bezug auf den freien Diensdeistungsverkehr und die Allgemeininteressen im Versicherungswesen angepasst werden. Ebenso kann ein Schreiben oder ein anderes Dokument, in dem die Kommission ihre Interpretation darlegt, veröffentlicht werden. Wenn sich die Kommission positiv zum Vorhaben eines Mitgliedstaates, ein bestimmtes System privater Krankenversicherungen einzuführen, äußert, wird sie, wenn dieses Vorhaben umgesetzt werden soll, nicht so bald ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat eröffnen. In einem eventuellen Rechtsverfahren vor einem nationalen Gericht wegen der Unvereinbarkeit dieses Gesundheitssystems mit der Dritten Schadenrichtlinie kann sich der Staat durch Verweis auf die offizielle Standpunktbestimmung der Kommission rechtfertigen. In den Niederlanden ist diese Situation eingetreten. Auf Veranlassung des niederländischen Gesundheitsministers hat Eurokommissar Bolkenstein einen Brief entsandt, in dem der Plan der niederländischen Regierung, eine private Grundversicherung einzuführen, auf die Übereinstimmung mit dem EG-Recht — namentlich mit der Dritten Schadenrichtlinie — überprüft wurde.31 In diesem Brief spricht sich die Kommission für eine großzügige Interpretation des Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie aus: Diese Ausnahmebestimmung für die Gesundheitsversorgung kann auch herangezogen werden, wenn eine private Krankenversicherung das soziale Sicherheitssystem künftig ersetzt. In diesem Schreiben kommt zum Ausdruck, dass im Prinzip ein Mitgliedstaat aufgrund von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie privaten Krankenversicherern soziale Verpflichtungen wie die Annahmepflicht, die
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Verpflichtung, eine bestimmte Mindestdeckung für Krankheitskosten anzubieten, das Verbot einer Prämiendifferenzierung nach Risiko und die Verpflichtung zur Teilnahme an Risikoausgleich, auferlegen kann. Wichtig ist aber, dass diese nationalen Verpflichtungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und deshalb den freien Versicherungsverkehr nicht mehr als notwendig einzuschränken. Außerdem weist die Kommission darauf hin, dass das System des Risikoausgleichs im Hinblick auf die Regeln staatlicher Subventionen geprüft werden muss. In der vorliegenden Studie wurde dies in Kapital 4 für die verschiedenen Varianten durchgeführt. Weiterhin erinnert die Kommission daran, dass die Vertragsregeln für den freien Leistungsverkehr eingehalten werden müssen, falls beschlossen wird, bei der privaten Krankenversicherung von Versorgung in Naturalleistungen auszugehen. Auch diese Gefahr wurde innerhalb dieser Untersuchung konstatiert, vor allem bei Variante B, die in Kapitel 4 Punkt 2 behandelt wird. Verhindert werden soll, dass die Niederlande, wenn dieser Mitgliedstaat eine Privatversicherung für die kurative Versorgung einführt, die Prinzipien verletzt, die in Gerichtsurteilen, wie in der Rechtssache Smits und Peerboom sowie Müller-Faure festgelegt sind. Selbstverständlich hat der Gerichtshof bei der Interpretation der Dritten Schadenrichtlinie das letzte Wort. Bei gegebenenfalls stattfindenden Verfahren vor dem Gerichtshof (etwa aufgrund von Vorabentscheidungsfragen eines nationalen Gerichts) wird dem Standpunkt der Kommission vor dem EuGH erhebliches Gewicht beigemessen, wie sich auch im Urteil Kommission gegen Italien zeigte. In Abschnitt 2.2.1. wurde bemerkt, dass sich der Gerichtshof in diesem sich auf die Dritte Schadenrichtlinie beziehenden Urteil bei seiner Formulierung des Grundsatzes der Tariffreiheit von der Interpretationsmitteilung der Kommission zum freien Dienstleistungsverkehr und vom Allgemeininteresse im Versicherungswesen leiten ließ. Wenn die Kommission in dieser Interpretationsmitteilung oder in einem anderen Dokument einen positiven Standpunkt zu einem System privater Krankenversicherungen erkennen lässt, kann die Entscheidung des Gerichtshofs vorweggenommen und darauf verwiesen werden, dass sie zugunsten einer breit angelegten Interpretation der Ausnahmebestimmung von Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie oder einer engeren Interpretation des Verbots aus Art. 29 und Art. 39 dieser Richtlinie ausfallen wird. Es ist zu erwarten, dass der Gerichtshof bei der Bewertung eines nationalen Gesundheitssystems nach Maßgabe der Dritten Schadenrichtlinie zu einem bestimmten Zeitpunkt der Zielsetzung aus Marginalie Nr. 23 der Begründung zum Erlass der Dritten Schadenrichtlinie (Zugang zu einer Krankenversicherung für jedermann) und dem Integrationsgrundsatz der Gesundheitsversorgung aus Art. 152 Abs. 1 EGV gerecht werden wird (wie er auch dem Umwelt-Integrationsgrundsatz Rechnung trug, als die Ausschreibungspolitik eines Mitgliedsstaates nach Maßgabe einer EGAusschreibungsrichtlinie zu beurteilen war).32 Möglicherweise erkennt der Gerichtshof dann eine nationale Regelsetzung an, die den Zugang zu einer Krankenversiche-
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rung und Bedürfnisse des Gesundheitswesens gewährleistet. Wird dieser Weg eingeschlagen, so ist bei der Umsetzung genau zu untersuchen, hinsichtlich welcher Eigenschaften des Gesundheitssektors und des Gesundheitsmarktes Eingriffe erfolgen sollten, und zu gewährleisten, dass diese Eingriffe nicht über das Maß des Notwendigen hinaus erfolgen. In einem gegebenenfalls stattfindenden Verfahren vor dem Gerichtshof ist anschließend darzulegen, weshalb ein Gesundheitssystem, das dem öffentlichen Interesse gerecht wird, nicht aufrechterhalten werden kann, wenn bestimmte nationale Vorschriften für die Annahmepflicht etc. keinen verbindlichen Charakter besitzen. Daneben ist es von wesentlichem Interesse, dass ein Mitgliedstaat, der sein System unter anderem auf einer weitgefassten Interpretation von Art. 54 oder einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 und Art. 39 der Dritten Schadenrichtlinie begründen möchte, eine aktive Interventionspolitik führt, auch in Angelegenheiten, die nicht das eigene System betreffen, in denen es jedoch um prinzipielle Fragen wie die Interpretation wichtiger Bestimmungen der Dritten Schadenrichtlinie oder die Anwendbarkeit der Gemeinschaftsregeln auf Freizügigkeit, Wettbewerb und staatliche Beihilfen auf den Gesundheitssektor geht.33 Eine solche Vorgehensweise verringert nach allem Dafürhalten das Risiko, dass ein System privater Krankenversicherungen als Widerspruch zum EG-Recht betrachtet wird.
2. Schritt: Anpassung der Dritten Schadenrichtlinie Mehr Klarheit und Rechtssicherheit wird natürlich durch eine Anpassung der Dritten Schadenrichtlinie geschaffen. Da die Kommission das Initiativrecht zur Unterbreitung von Vorschlägen besitzt, sind auch beim zweiten Schritt Absprachen mit der Kommission von wesentlicher Bedeutung. Zweifelsohne muss der Rat, d.h. die anderen Mitgliedstaaten der EU, einer Änderung zustimmen. Da das Europäische Parlament in Fragen des Binnenmarkts Mitgesetzgeber ist35, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass auch diese Gemeinschaftseinrichtung einer Änderung der Dritten Schadenrichtlinie zustimmt. Beim zweiten Schritt wird mehr Klarheit und Rechtssicherheit als beim ersten Schritt erreicht, doch erfordert dieser mehr Zeit. Wer wie die Christdemokratie die Ambition verfolgt, Unternehmertum im Dienste des Gemeinwohls mittels einer bestimmten Rechtsordnung ebenfalls europarechtlich zu ermöglichen, muss natürlich auch den zweiten Schritt vollziehen, einmal abgesehen von der derzeitigen Diskussion zur Ausgestaltung des Gesundheitssystems. Es geht dabei schließlich um die Ordnung der Gesellschaft und dies ist vor allem Sache des offiziellen Gesetzgebers.
Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze 143
3. Schritt: Spezielle europäische Regelung für Krankenversicherungen In Kapitel 2 wurde erwähnt, dass in der Entwurfsphase der Dritten Schadenrichtlinie die Konsequenzen dieser Richtlinie für Krankenversicherungen nicht in ausreichendem Maße beachtet wurden. Es besteht Bedarf nach einer EG-Regelsetzung, die das Verhältnis von Binnenmarkt und Krankenversicherungen in ausgewogener und transparenter Weise regelt.36 Ein anschauliches Beispiel stellt die Resolution des Europäischen Parlaments über die Zusatzkrankenversicherung37 dar, in der die Kommission vom Parlament aufgefordert wird zu untersuchen, ob eine Richtlinie für solche Krankenversicherungen geschaffen werden muss. Der Inhalt einer EG-Regelung für den Binnenmarkt und die Krankenversicherungen braucht nicht darin zu bestehen, dass eine vollständige Harmonisierung der Krankenversicherung auf europäischer Ebene zu erfolgen hat. Beim heutigen Stand des EG-Rechts ist die Europäische Union nicht dazu befugt, da gemäß Art. 152 Abs. 5 EGV die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens in vollem Umfang zu wahren ist. Wie bereits ausgeführt, hat sich hinsichtlich der Textvorschläge des Europäischen Konvents zum Entwurf einer Verfassung für die Europäische Union in diesem Punkt wenig geändert. Es kann jedoch entschieden werden, die Spielregeln hinsichtlich der Zulassung privater Krankenversicherer auf europäischer Ebene festzulegen, um auf diese Weise größere Rechtssicherheit und mehr Transparenz zu erlangen. Dann wird für den Fall, dass ein Mitgliedstaat die Einführung einer bestimmten Variante unter Beteiligung privater Versicherer plant, Regeln festgelegt, welche Vorschriften dieser Mitgliedstaat erlassen darf und welche Rahmenbedingungen zu beachten sind, ohne dass der entsprechende Mitgliedstaat dabei zur Einführung der besagten Variante verpflichtet wäre. Dieser Ansatz ist nicht neu: Im Bereich der sozialen Sicherheit besteht im Zusammenhang mit der Arzneimittelvergabe bereits ein Regulierungsrahmen in Form der so genannten Transparenzrichtlinie.38 Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, bestimmte Verfahrensvorschriften zu beachten, falls sie die Arzneimittelpreise in der einen oder anderen Weise regulieren möchten. Es steht ihnen frei, Vorschriften über Arzneimittelpreise zu erlassen. Damit beschränkt sich diese Richtlinie auf die Aufstellung bestimmter Spielregeln. Es könnten Untersuchungen darüber angestellt werden, inwieweit es möglich ist, eine Transparenzrichtlinie für Krankenversicherungen auf europäischer Ebene zu schaffen. Eine solche Richtlinie sollte auf die Schaffung des Gleichgewichts zwischen der Wirkung des Binnenmarkts und den Interessen des Gesundheitswesens ausgerichtet werden. Argumente für die Schaffung einer solchen Richtlinie könnten darin bestehen, dass die Wirtschaftsregelsetzung des EG-Rechts Eingang in die nationalen Gesundheitssysteme finden — in der Literatur wird dies auch als Eurocreep bezeichnet39 — und dass ein solcher Eurocreep nicht zur Ausgewogenheit zwischen
144 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
europäischer Marktintegration und den Interessen des Gesundheitswesens fuhrt.40 Es besteht ein Bedarf an Regelsetzung auf europäischer Ebene, die eine moderne Form sozialer Sicherheit im Gesundheitsbereich ermöglicht, bei der eine regulierte Marktwirkung eine wichtige Rolle spielt.41 Untersucht werden sollte, inwieweit eine Transparenzrichtlinie für Krankenversicherungen auf Art. 95 EGV (Rechtsgrundlage für Maßnahmen der EU im Bereich des Binnenmarkts) begründet werden kann, denn schließlich bietet Art. 152 EGV (Bestimmung des EG-Vertrags zur Gesundheitsversorgung) keine Rechtsgrundlage für eine solche europäische Maßnahme. Es ist nachzuweisen, dass eine solche Richtlinie tatsächlich den Zweck verfolgt, die Bedingungen für die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern, wobei von einem hohen Niveau des Gesundheitsschutzes ausgegangen werden kann und muss;42 für eine rechtliche Nutzung dieser juristischen Grundlage reicht es nicht aus, Unterschiede zwischen nationalen Rechtsvorschriften zu konstatieren und die damit einhergehenden Risiken abstrakt auszulegen.43 In einer Transparenzrichtlinie für Krankenversicherungen kann festgelegt werden, welche nationalen Vorschriften bei der Annahmepflicht, beim Verbot der Beitragsdifferenzierung aufgrund einer Risikoauswahl und der Verpflichtung zur Teilnahme an einem Lastenausgleichssystem ein Mitgliedstaat erlassen darf, wenn er eine bestimmte Variante der Krankenversicherung unter Beteiligung privater Versicherer einführen möchte. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nicht gezwungen werden, eine bestimmte Variante einzuführen. Die Transparenzrichtlinie kann die Möglichkeit der Auswahl einer von verschiedenen Varianten vorsehen, ohne dass dabei die Mitgliedstaaten zur Übernahme einer dieser Varianten verpflichtet werden. Für den Fall, dass eine Transparenzrichtlinie für Krankenversicherungen erlassen wird, ist es logisch, mit einer Regelung festzulegen, inwieweit die Dritte Schadenrichtlinie noch auf Krankenversicherungen anwendbar ist. Selbstverständlich ist ein Mitgliedstaat, der beabsichtigt, eine Transparenzrichtlinie für Krankenversicherer zu schaffen, von der Kommission abhängig, die das Initiativrecht zur Unterbreitung von Vorschlägen besitzt, die von anderen Mitgliedstaaten und vom Europäischen Parlament (es handelt sich in diesem Fall um eine Richtlinie für den Binnenmarkt, sodass gemäß Art. 95 EGV das Mitentscheidungsverfahren anzuwenden ist) eingereicht werden.44 Angesichts der Befügnisse über die das Europäische Parlament gemäß Art. 95 EGV verfügt, empfiehlt sich die vorherige Konsultation der Fraktionen des Europäischen Parlaments.
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4. Schritt: Verankerung allgemeiner Prinzipien im Europäischen Grundgesetz Ganz allgemein stellt sich die Frage, inwieweit die Organisation des Gesundheitssystems eine Angelegenheit ist, die vor allem von den Urteilen des Gerichtshofs und der zufalligen Kasuistik der dem Gerichtshof vorgelegten Rechtssachen abhängig gemacht werden sollte. Liegt hier eine Aufgabe für den Gesetzgeber und die politisch Verantwortlichen begründet? Ein nicht unwichtiger Teil dieser Aufgabe wäre auf europäischer Ebene zu leisten, angesichts des Einflusses, den das europäische Recht bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten besitzt. Derzeit finden im Rahmen der Regierungskonferenz anlässlich der Vorschläge des Konvents zur Zukunft der Europäischen Union Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten über einen Vertrag für die europäische Verfassung statt. Die europäische Integration besitzt weit reichende Folgen für die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten. Im Interesse des weiteren Fortgangs der europäischen Integration und einer verantwortungsvollen Wahrung der allgemeinen Interessen des Gesundheitswesens ist es wünschenswert, dass in absehbarer Zeit wesentliche Prinzipien für die Kranken- und Pflegeversicherungen in der europäischen Verfassung festgeschrieben werden. Schließlich hat gemäß Art. 11-35 und Art. 11-35 der Konventvorschläge für die europäische Verfassung jeder Bürger einen Anspruch auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge, zur medizinischen Versorgung, ein Recht auf Zugang zu den Einrichtungen der sozialen Sicherheit und zu Sozialdiensdeistungen. Auf längere Sicht ist in der europäischen Verfassung festzulegen, wie dies innerhalb der Europäischen Union realisiert werden soll und welche Zuständigkeitsverteilung es zwischen der Europäischen Union und den einzelnen Mitgliedstaaten geben soll.
5.6. Lösungsansätze für das Wettbewerbsrecht und staatliche Beihilfen Nicht nur die Unklarheiten im Zusammenhang mit der Dritten Schadenrichtlinie führen zu rechtlichen Komplikationen. Bei den vorgenommenen Bewertungen nach Maßgabe des Wettbewerbsrechts, hat sich bereits herausgestellt, dass insbesondere auf dem Einkaufsmarkt für Gesundheitsleistungen Probleme entstehen können. Die Durchsetzung des Verbots des Missbrauchs wirtschaftlicher Vormachtstellungen führt nicht automatisch zur Entstehung neuer Leistungsanbieter auf dem Markt, während die Regeln zur Überwachung der Bildung von Kartellen aufgrund der Probleme auf dem Einkaufsmarkt für Gesundheitsleistungen Fusionen verbieten können, die keine Probleme in Hinsicht auf den Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt verursachen. Die Übergangssituation, in der sich der Gesundheitssektor derzeit befindet, kann Anlass zur Einführung sektorspezifischer Wettbewerbsregeln sein, die
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vor allem auf ein besseres Funktionieren des Einkaufsmarkts für Gesundheitsleistungen abzielen. Eine Frage, die zum Beispiel im niederländischen Kontext Beachtung verdient, ist die nach der Rolle der Nma im Rahmen sektorspezifischer Regeln.45 Diese niederländische Behörde verfügt bereits über ausreichende Erfahrung bei der Anwendung der allgemeinen Wettbewerbsregeln auf dem Gesundheitssektor. Aus dem kürzlich ergangenen AOK-Urteil, in dem das Gericht Krankenkassen nicht als Unternehmen betrachtet, wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Krankenversicherern und dem Wettbewerbsrecht kompliziert sein kann. Die Probleme im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen sind ebenfalls lösbar, schon deshalb, weil unrechtmäßig vergebene, staatliche Beihilfen zurückgefordert werden müssen. Da die Kommission in diesem Bereich spezielle Genehmigungsbefugnisse besitzt, empfehlen sich Konsultationen mit ihr. Im Ergebnis dieser Konsultationen kann sich ergeben, dass bestimmte Maßnahmen wegen der möglichen Qualifizierung als staatliche Beihilfe mitteilungspflichtig sind. Die Konsultationen bieten den Vorteil, dass weitere Probleme, etwa im Zusammenhang mit der Dritten Schadenrichtlinie, zur Sprache gebracht werden können. Angesichts des Einflusses des EG-Rechts auf die Organisation des Gesundheitssystems sollte Brüssel frühzeitig am Entwurfsprozess beteiligt werden. Aus der langen Geschichte zur Reform des Versorgungssystems in den Niederlanden kann folgende Lehre gezogen werden: Die Dritte Schadenrichtlinie entstand zur Zeit der DekkerVorschläge (Anfang der 1990er Jahre). Damals wurde mit Blick auf das WTZ, unter anderem auf niederländischen Druck, Art. 54 der Dritten Schadenrichtlinie geschaffen. Zu Beginn der neunziger Jahre erfolgte bei der Formulierung dieser Bestimmung eine deutliche Ausrichtung auf die im Gesundheitswesen geltenden Absprachen. Es fiel jedoch überhaupt nicht auf, dass diese Richtlinie auch auf eine Basiskrankenversicherung anwendbar sein könnte, die sich im Rahmen einer regulierten Marktfunktion zu behaupten hat.46 Ein solcher Konstruktionsfehler lässt sich vermeiden, indem auf europäischer Ebene möglichst frühzeitig Initiativen im Gesundheitsbereich entwickelt werden.
Anmerkungen: 1.
Vgl. beispielsweise L. Bergkamp, Corporate Governance and Social Responsibility: A New Sustainability Paradigm?, in: European Environmental Law Review 2002, S. 143 u. S. 146. 2. Vgl. das Gutachten des Raad voor de Volksgezondheid en Zorg für den Gesundheitsminister, Europa en de gezondheidszorg, Zoetermeer 1999, S. 54. 3. Vgl. das Gutachten des Raad voor de Volksgezondheid en Zorg für das Pharmaceutical Committee der American Chamber of Commerce in The Netherlands, Gezondheidszorg en Europa: een kwestie van kiezen, Zoetermeer 2002, S. 43. 4. Vgl. Punkte 52, 53 u. 58 der Begründung zum Urteil Ambulanz Glöckner (bereits zitiert). 5. Rechtssache C-67/96 (Albany), verbundene Rechtssachen C-115/97, C-116/97 u. C-117/97 (Brentjens) und die Rechtssache C-219/97 (Drijvende Bokken), Slg. 1999, S. I-5751ff.
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6. So entschied der Gerichtshof in der Rechtssache C-222/98 (Van der Woude), Slg. 2000, S. p. I7111, dass Tarifvereinbarungen zwischen den sozialen Partnern hinsichtlich der Krankenversicherung von Arbeitnehmern zu günstigeren Arbeitsbedingungen beitragen und daher, wie auch die Tarifvereinbarungen über Rentenregelungen in der Brentjens-Rechtsprechung, durch das Kartellverbot nicht berührt werden. 7. Vgl. Randnummer 42 der Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV (Mitteilung der Kommission), Pb.2004 C101/97. Diese Mitteilung ist erforderlich, da, wie bereits in Abschnitt 3.2. dieser Studie dargelegt wurde, Art. 81 Abs. 3 EGV ab dem 1. Mai 2004 auch von nationalstaatlichen Behörden angewandt werden kann. Die endgültige Fassung des Standpunktes der Kommission über das Verhältnis zwischen Art. 81 Abs. 3 EGV und Nicht-Wettbewerbsinteressen findet sich, wenn auch knapp gefasst, aber weniger missverständlich als die Version, die im Konzept der Mitteilung festgelegt war. In Marginalie Nummer 38 ihres Mitteilungsentwurfs zu den Leitlinien über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV (Abi. EG 2003, C-243/62) lässt die Kommission allerdings verlauten, dass bei der Prüfung anhand der Freistellungskriterien von Art. 81 Abs. 3 EGV anderen Interessen als denen des Wettbewerbs ein Platz eingeräumt werden kann, dass jedoch nationalstaatliche Behörden Unternehmen nicht in die Lage versetzen dürfen, den Wettbewerb einzuschränken, um Ziele von allgemeinem Interesse zu verfolgen. Die letzten Worte, die vor allem die Missverstände verursachten, sind zu Recht gestrichen. Gilliams zweifelt übrigens an der Klarheit schaffenden Wirkung einer solchen Mitteilung, da bei der Prüfung anhand von Art. 81 Abs. 1 EGV (Kartellverbot) den Interessen der Standespflichten der Anwaltschaft Raum gegeben wurde. Dies ergibt sich aus H. Gilliams, Modernisation: from policy to practice, in: European Law Review 2003, S. 466, Fußnote44. 8. Rechtssache C-379/98 (PreussenElektra), Slg. 2001, S. 1-2099. 9. Vgl. Punkt 43 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-483/99 (Kommission gegen Frankreich), Slg. 2002, S. 1-4781, Punkt. 43 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C503/99 (Kommission gegen Belgien), Slg. 2002, S. 1-4808; Punkt 47 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-367/98 (Kommission gegen Portugal), Slg. 2002, S. 1-4731 u. Punkt 66 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache C-463/00 (Kommission gegen Spanien), 13. Mai 2003, nicht gesondert aufgeführt. 10. Vgl. Punkt 33 zur Begründung des Urteils in der Rechtssache 205/84 (Kommission gegen Deutschland), Slg. 1986, S. 3755. 11. Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg. 12. Bei der Entwicklung von EG-Rechtsvorschriften bestehen aufgrund der seit 1985 verwendeten Harmonisierungsmethode des „neuen Konzepts" (New Approach) bereits seit längerem Erfahrungen mit der Beteiligung privater Parteien. Mit Richtlinien, insbesondere im Bereich des Binnenmarkts, wird (in gewissem Maße) die Befugnis zur Aufstellung bestimmter technischer Standards, vor allem in den Bereichen Sicherheit und Gesundheit, an privatwirtschaftliche „European Standards associations" delegiert. Sobald die Kommission diese Standards genehmigt hat, ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass die Produkte, die diesen Standards entsprechend hergestellt wurden, die grundlegenden Anforderungen aus der betreffenden Richtlinie erfüllen. Unlängst hat die Kommission die Mitteilung „Verbesserte Umsetzung der Richtlinien des neuen Konzepts" veröffentlicht. Ziel ist die Verbesserung der genannten Gesetzgebungstechnik. Vgl. ENTR PE 2002/248/G1 New Approach. In der Literatur wurde die Auffassung verteidigt, dass trotz aller Kritik, die man gegen diese Technik für den Erlass von Rechtsvorschriften äußern kann, die Legitimität und die Qualität der europäischen Rechtsvorschriften dank des neuen Konzepts verbessert wurden. Vgl. C. Joerges/H. Schepel u. E. Vos, The Laws Problems with the Involvement of Non-Governmental Actors in
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23. 24.
25. 26.
Europes Legislative Processes: The Case of Standardisation under the New Approach, Florence 1999, insbesondere S. 5f., S. 9, S. 26f. u. S. 39-^3. Da Art. 39 inhaltlich nicht von Art. 29 abweicht, wird der erstgenannte Artikel in der Tabelle nicht gesondert zitiert. Bei einer breit angelegten Interpretation des Begriffs „Angebot auf eigenes Risiko" (das Kriterium aus dem Urteil Kommission gegen Belgien) fallt Variante B in den Anwendungsbereich der Dritten Schadenrichtlinie, bei einer eingeschränkten Interpretation dieses Begriffs nicht. In Abschnitt 4.2. wurde hinsichtlich der Prüfung der nationalen Regulierung der Krankenversicherung des Typs B auf Typ C verwiesen. Dort ergab sich, dass Regulierungsmaßnahmen auf nationaler Ebene bei einer großzügigen Interpretation von Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie diesem Artikel der Richtlinie häufig entgegengewirkt wird. Bei einer eingeschränkten Interpretation liegt, abgesehen von den Vorschriften zu den Beiträgen, keine Verletzung dieser Bestimmung vor. Was bei der Besprechung der Variante C hinsichtlich Art. 54 ausgeführt wurde, gilt auch für Variante B. Bei einer großzügigen Interpretation ist es durchaus denkbar, dass die nationale Regulierung der Krankenversicherung unter die Ausnahmebestimmungen dieses Richtlinienartikels fällt, bei einer eingeschränkten Interpretation jedoch ist dies unmöglich. Wie bereits im Zusammenhang mit Variante B angemerkt wurde, stehen zahlreiche nationale Vorschriften bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 29 hierzu nicht im Widerspruch. Bei einer breit angelegten Interpretation ist dies hingegen sehr wohl der Fall. Bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 54 können die einzelstaatlichen Vorschriften, die Art. 29 verletzen, nicht durch diese Ausnahmebestimmung gerechtfertigt werden. Im Gegensatz dazu werden bei einer breit angelegten Interpretation von Art. 54, für die es auch gute Argumente gibt, die einzelstaatlichen Vorschriften, die Art. 29 verletzen, durch diese Ausnahmebestimmung gerechtfertigt, sofern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wird. Bei Variante D gilt hinsichtlich Art. 29, was zu Variante C ausgeführt wurde. Bei einer eingeschränkten Interpretation von Art. 54 werden alle einzelstaatlichen Vorschriften, die Art. 29 verletzen, nicht durch diese Ausnahmebestimmung gerechtfertigt. Bei einer weiten Interpretation von Art. 54 werden die einzelstaatlichen Vorschriften, die Art. 29 verletzen, jedoch durch diese Ausnahmebestimmung gerechtfertigt, sofern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wird. Das Risiko, dass die fakultativen Vorschriften Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie verletzen, ist gering, jedoch nicht völlig auszuschließen, solange dazu keine Rechtsprechung vorhanden ist. Sollten die fakultativen Vorschriften Art. 29 der Dritten Schadenrichtlinie verletzen, gilt hinsichtlich Art. 54 das Gleiche, was zu diesem Artikel bei Variante D bemerkt wurde, da der Inhalt dieser Vorschriften nicht (oder nur geringfügig) von den Vorschriften, die bei Variante D greifen, abweicht. B.H. Ter Kuile, Onzekerheden over de invloed van Gemeenschapsrecht op de nationale gezondheidszorg, Deventer 1997. Dies ist bisher nur zwei Mal vorgekommen. Es ging dabei um den Mitgliedstaat Griechenland, der hartnäckig die Verletzung bestimmter EG-Richtlinien zum Umweltschutz fortsetzte. Vgl. Rechtssache C-387/97 (Chania), Slg. 2000, S. 1-5047 und Rechtssache C-278/01 (Kommission gegen Spanien), 25. November 2003, nicht gesondert aufgeführt. Vgl. beispielsweise Rechtssache 148/78 (Ratti), Slg. 1979, S. 1629. Vgl. beispielsweise Rechtssache 14/83 (Von Colson u. Kamann), Slg. 1984, S. 1891.
Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze 149
27. Vgl. beispielsweise die verbundenen Rechtssachen C-6/90 u. C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, S. 1-5357 und die verbundenen Rechtssachen C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame), Slg. 1996, S. 1-1029. Vgl. auch Punkt 40 der Begründung des Urteils in der Rechtssache C-424/97 (Haim), Slg. 2000, S. 1-5123, in deren Mittelpunkt die Verletzung des EG-Rechts durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein stand. 28. Es handelt sich hierbei um Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), Abi. EG 2002, L 108/7, Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), Abi. EG 2002, L 108/21, Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen in Bezug auf elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), Abi. EG 2002, L 108/33, Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Universaldienst und Nutzerrechte an elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), Abi. EG 2002, L 108/51, Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), Abi. EG 2002, L 201/37, und Richtlinie 2002/77/EG der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Wettbewerbsrichtlinie), Abi. EG 2002, L 249/21. 29. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung dieser Richtlinien befindet sich derzeit in Behandlung. Vgl. Kamerstukken 28 851. 30. Vgl. T.S. Jost, Private or Public Approaches to Insuring the Uninsured: Lessons from International Experience with Private Insurance, in: New York University Review 2001, S. 430f. 31. Dieser Brief ist als Anhang beigefügt. 32. Vgl. das bereits zitierte Urteil Concordia. 33. Es ist augenscheinlich, dass die Urteile in solchen Rechtssachen weit reichende Folgen für das System der Krankenversicherungen eines solchen Mitgliedstaates besitzen können. 35. Vgl. Art. 95 EGV. Diese Bestimmung erklärt das Mitentscheidungsverfahren von Art. 251 EGV für anwendbar auf die Schaffung von Richtlinien und Verordnungen im Bereich des Binnenmarkts. Aufgrund dieses Verfahrens kann das Europäische Parlament das Entstehen neuer Rechtsvorschriften verhindern. 36. Hinsichtlich eines solchen Plädoyers (bereits 1995) vgl. G.J.A. Hamilton, Ziektekostenverzekering in Europees perspectief. Nederland de grote stelselwijziging voorbij, in: Medisch Contact 1995, S. 1472. 37. Vgl. Abi. EG 2001, C-223/339 (Resolutie 2000/2009 (INI)). Diese Resolution wurde von einem Ausschuss unter dem Vorsitz Rocards vorbereitet. 38. Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Humanarzneimitteln und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme, Abi. EG 1989, L 40/8. 39. J. Nickless, The Internal Market and the Social Nature of Health Care, in: M. McKee/E. Mossialos u. R. Baeten, The Impact of EU Law on Health Care Systems, Brüssel 2002, S. 79. 40. J. Nickless, a.a.O., S. 81. Dem Pressebericht der Kommission vom 9. Dezember 2003 (IP/03/1678) zufolge wird inzwischen auf europäischer Ebene (Kommission, Europäisches Parlament, Gesundheitsminister und Vertreter des europäischen Gesundheitssektors) über die Folgen des EG-Rechts und des Rechts auf Freizügigkeit für Patienten für die Gesundheitsversorgung nachgedacht.
150 Kapitel 5: Schlussfolgerungen und Lösungsansätze
41. Vgl. E. Steyger, a.a.O., 2002, S. 97. 42. Dies ist eine Folge des in der Einleitung besprochenen Integrationsgrundsatzes im Bereich Gesundheit, der sich aus Art. 152 Abs. 1 EGV ergibt. 43. Vgl. beispielsweise die Rechtssache C-376/98, Deutschland gegen Parlament und Rat (Tabakrichtlinie), Slg. 2000, S. 1-8419, und Rechtssache C-491/01 (British American Tobacco), Slg. 2002, S. 1-11453. 44. Wie bereits erwähnt, ergibt sich aus Art. 251 EGV, dass das Europäische Parlament einen Vorschlag für eine Richtlinie oder Verordnung im Mitentscheidungsverfahren zurückweisen kann. 45. In seinem Schreiben vom 21. November 2003 (Kamerstukken II, 29 324, 2003-2004, Nr. 1) hat der Gesundheitsminister jedoch festgestellt, dass eine Gesundheitsbehörde gegründet wird. Die Aufsicht durch diese Behörde soll die Aufsicht durch die NMa ergänzen. 46. In der Begründung des Gesetzentwurfs für ein Gesetz zur zweiten Phase der Krankenversicherungsreform, eingereicht am 8. Juni 1990, wird ausgeführt, dass angesichts der Tatsache, dass man von Rechts wegen versichert sei, ein gesetzliches soziales Sicherungssystem vorliege, so dass die Schadenrichtlinien nicht greifen würden. Dies würde sich anders darstellen, wenn mehr Marktelemente zugelassen werden würden. Des Weiteren würden die Zusatzversicherungen mit privatrechtlichem Charakter sehr wohl unter die Schadenrichtlinien fallen. Vgl. Kamerstukken 1989/90, 21 592, Nr. 3, S. 20f., und das Gutachten des Raad van State, Kamerstukken 1989/90, 21 592, B, S. l l f . Abschnitt 2.2.1. und Kapitel 4 der vorliegenden Studie ist zu entnehmen, dass aufgrund der (zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden) Rechtsprechung des Gerichtshofs die Tatsache, „von Rechts wegen versichert zu sein", nicht ausschlaggebend für die Qualifikation eines Krankenversicherungssystems als gesetzliches soziales Sicherungssystem im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d der Ersten Schadenrichtlinie ist. Im Übrigen war die Dritte Schadenrichtlinie vom 18. Juni 1992 zum Zeitpunkt der Einreichung des bewussten Gesetzentwurfs (8. Juni 1990) noch nicht in Kraft getreten.
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154 Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtsprechungsverzeichnis Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften 56 u. 58/64 8/72 120/73 2/74 8/74 36/74 85/76 5/77 13/77 35/77 86/78 120/78 148/78 52/79 84/82 238/82 240-242,261,262, 268 u. 269/82 286/82 u. 26/83 14/83 72/83 173/83 249/83 205/84 209-213/84 45/85 C-62/86 267/86 313/86 45/87 C-303/88 C-6/90 u. 9/90 C-41/90 C-45/90 C-l 59/90 320/90 C-l 59/91 u. C-160/91 C-171/91 C-245/91 C-267/91 C-293/92 C-46/93 u. C-48/93
Consten u. Grundig, Slg. 1966, S. 449 • • 50 VCH, Slg. 1972, S. 977 • • 50 Lorenz, Slg. 1973, S. 1471 • • 56 Reyners, Slg. 1974, S. 631 --11 Dassonville, Slg. 1974, S. 837 •• 12-13 Walrave u. Koch, Slg. 1974, S. 1405 • • 9 Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, S. 461 • • 54 Tedeschi, Slg. 1977, S. 1555 • • 19 INNO gegen ATAB, Slg. 1977, S. 2115 -54 Beerens, Slg. 1977, S. 2249 • • 33 Peureux, Slg. 1979, S. 897 • • 13 Cassis de Dijon, Slg. 1979, S. 649 •12-13 Ratti, Slg. 1979, S. 1629 • • 24,113 Debauve, Slg. 1980 • • 12 Deutsche Beihilfe fur Textilindustrie, Slg. 1984, S. 1451 • • 56 Duphar, Slg. 1984, S. 523 • • 17, 64, 73, 83, 93 Stichting Sigarettenindustrie, Slg. 1985, S. 3831 • 103 Luisi u. Carbone, Slg. 1984, S. 377 • • 10,11 Von Colson u. Kamann, Slg. 1984, S. 1891 -113 Campus OU, Slg. 1984, S. 2727 • • 19 Kommission gegen Frankreich, Slg. 1985, S. 491 • • 79 Hoeckx, Slg. 1985, S. 973 • • 32 Kommission gegen Deutschland, Slg. 1986, S. 3755 • • 20,109 Asjes, Slg. 1986, S. 1425 • • 54 Verband Sachversicherer, Slg. 1987, S. 405 • • 46 Akzo, Slg. 1991, S. 1-3359 • • 46 Van Eycke, Slg. 1988, S. 4769 • • 54 Lenoir, Slg. 1988, S. 5391 • • 19 Dundalk, Slg. 1988, S. 4929 -65 Italien gegen Kommission, Slg. 1991, S. 1-1433 • • 56-57 Francovich, Slg. 1991, S. 1-5357 ••113 Höfner, Slg. 1991, S. 1-1979 • • 38, 53 Paletta, Slg. 1992, S. 1-3423 • • 32 Grogan, Slg. 1991, S. 1-4685 • • 10 Corbeau, Slg. 1993, S. 1-2533 • • 48 Poucet und Pistre, Slg. 1993, S. 1-637 • • 22, 39, 64-65 Lornoy, Slg. 1992, S. 1-6523 • • 85 Ohra, Slg. 1993, S. 1-5851 • • 54 Keck, Slg. 1993, S. 1-6097 • • 12 Almelo, Slg. 1994, S. 1-1501 • • 48 Brasserie du pêcheur u. Factortame, Slg. 1996, S. 1-1029 •• 113
Rechtsprechungsverzeichnis
C-323/93 C-348/93 C-384/93 C-415/93 C-39/94 C-55/94 C-149/94 C-202/94 C-238/94 C-244/94 C-70/95 C-120/95 C-343/95 C-l/96 C-35/96 C-67/96 C-108/96 C-l 58/96 C-160/96 C-l63/96 C-176/96 C-203/96 C-266/96 C-38/97 C-l 15/97 u. C-116/97 C-l74/97 P C-219/97 C-241/97 C-302/97 C-387/97 C-424/97 C-108/98 C-l 80/98 u. C-l 84/98 C-l90/98 C-206/98 C-209/98 C-222/98 C-239/98 C-281/98 C-296/98 C-367/98 C-368/98 C-376/98 C-379/98 C-411/98
Centre d'insémination de la Crespelle, Slg. 1994, S. 1-5077 • • 53 Kommission gegen Italien, Slg. 1995, S. 1-673 • • 56 Alpine Investments, Slg. 1995, S. 1-1141 • • 12 Bosman, Slg. 1995, S. 4921 •• 9,12 La Poste, Slg. 1996, S. 1-3547 • • 57 Gebhard, Slg. 1995, S. 1-4165 • 12 Vergy, Slg. 1996, S. 1-299 •• 79 Van der Feesten, Slg. 1996, S. 1-355 •• 79 Garcia, Slg. 1996, S. 1-1673 • • 20, 22, 61 FFSA, Slg. 1995, S. 1-4015 •• 39, 57 Sodemare, Slg. 1997, S. 1-3395 •• 10, 70-71 Decker, Slg. 1998, S. 1-1831 -10,13-14, 21, 34, 36, 63, 70, 72,110 Diego Cali, Slg. 1997, S. 1-1547 • • 66 Compassion, Slg. 1998, S. 1-1251 - 1 9 Kommission gegen Italien, Slg. 1998, S. 1-3851 • • 54 Albany, Slg. 1999, S. 1-5751 -39, 107 Mac Quen, Slg. 2001, S. 1-837 •• 12-14 Kohll, Slg. 1998, S. 1-1931 •• 10,13-14, 34, 36, 63,70, 72,110 Molenaar, Slg. 1998, S. 1-843 •• 35, 70 Raso, Slg. 1998, S. 1-533 -53 Lehtonen, Slg. 2000, S. 1-2681 • • 9 Dusseldorp, Slg. 1998, S. 1-4075 • • 48 Corsica Ferries France, Slg. 1998, S. 1-3949 • • 53 Librandi, Slg. 1998, S. 1-5955 - 5 4 Brentjens, Slg. 1999, S. 1-6025 u. C-l 17/97 •• 39, 53, 107-108 FFSA, Slg. 1998, S. 1-1303 • • 39, 57 Drijvende bokken, Slg. 1999, S. 1-6121 -39,107 Skandia, Slg. 1999, S. 1-1879 • • 24, 68,100 Konle, Slg. 1999, S. 1-3099 -12 Chania, Slg. 2000, S. 1-5047 - 1 1 3 Haim, Slg. 2000, S. 1-5123 • • 113 RI.SAN.Srl, Slg. 1999, S. 1-5219 -12 Pavlov, Slg. 2000, S. 1-6451 • • 38, 55, 86 Graf, Slg. 2000, S. 1-493--12 Kommission gegen Belgien, Slg. 2000, S. 1-3509 • • 20-22, 68, 75,111 Sydhavnens, Slg. 2000. S. 1-3743 •• 53 Van der Woude, Slg. 2000, S. 1-7111 -108 Kommission gegen Frankreich, Slg. 1999, S. 1-8935 -22-23 Angonese, Slg. 2000, S. 1-4139 • • 9 Kommission gegen Frankreich, Slg. 2000, S. 1-3025 • • 25 Kommission gegen Portugal, Slg. 2002, S. 1-4731 • • 108 Vanbraekel, Slg. 2001, S. 1-5363 •• 11,14, 70 Deutschland gegen Parlament u. Rat (Tabakrichtlinie), Slg. 2000, S. 1-4819-19, 119 PreussenElektra, Slg. 2001, S. 1-2099 •• 108 Ferlini, Slg. 2000, S. 1-8081 -11,101
156 Rechtsprechungsverzeichnis
448/98 C-109/99 C-157/99 C-309/99 C-324/99 C-385/99 C-430/99 u. C-431/99 C-475/99 C-483/99 C-503/99 C-513/99 C-53/00 C-218/00 C-280/00 C-326/00 C-355/00 C-463/00 C-34/01 t/m C-38/01 C-56/01 C-59/01 C-l 56/01 C-198/01 C-261/01 u. C-262/01 C-264/01 u. C-306/01, C-354/01 u. C-355/01 C-278/01 C-300/01 C-491/01 C-34/02 C-205/03P
Guimont, Slg. 2000, S. 1-6 - 1 3 Association basco-béarnaise des opticiens indépendants, Slg. 2000, S. 1-7247 "23-24, 68,100 Smits u. Peerbooms, Slg. 2001, S. 1-5473 -2,11,14-15, 31, 34, 63-64, 70, 72, 96,107 Wouters, Slg. 2002, S. 1-1577 • • 9, 43, 59,108 DaimlerChrysler, Slg. 2001, S. 1-9897 • • 19 Müller-Faure, 13 mei 2003, n.a.g. • • 2,11,14-17, 34-35, 51, 62-64, 70, 72-73, 83, 96, 107 Sea-Land, Slg. 2002, S. 1-5235 • • 96 Ambulanz Glöckner, Slg. 2001, S. 1-8089 • • 48, 53, 59, 67, 107 Kommission gegen Frankreich, Slg. 2002, S. 1-4781 • • 108 Kommission gegen Belgien, Slg. 2002, S. 1-4808 • • 108 Concordia, Slg. 2002, S. 1-7213 •• 37,116 Ferring, Slg. 2001, S. 1-9067 • • 58,108 Cisal, Slg. 2002, S. 1-691 • • 39, 61, 65 Altmark, 24 juli 2003, n.a.g. • • 58-59, 67, 75, 85-87, 98, 104-105,108 IKA, Slg. 2003, S. 1-1703 • • 34, 91-92 Freskot, 22 mei 2003, n.a.g. • • 20-22, 62-63 Kommission gegen Spanien, 13. Mai 2003, n.a.g. "108 Enirisorce, 27. November 2003, n.a.g. • • 85 Inizan, 23 oktober 2003, n.a.g. • • 14, 16, 34 Kommission gegen Italien, Slg. 2003, S. 1-1759 25-26,29, 76-78, 88,116 Van der Duin, 3. Juli 2003, n.a.g. • • 34 CIF, 9. September 2003, n.a.g. " 5 5 Van Calster, 21. Oktober 2003, n.a.g. • • 85 AOK Bundesverband et al., Conclusie A-G van n.a.g. -40-41,48 Kommission gegen Spanien, 25. November 2003, nicht gesondert aufgeführt - 1 1 3 Salzmann, 13. Mai 2003, nicht gesondert aufgeführt - 1 3 British American Tobacco, Slg. 2002, S. 1-11453 •• 19,119 Sante Pasquini, 19. Juni 2003, nicht gesondert aufgeführt • 19 • FENIN, noch in Behandlung (Abi. EG 2003, C-l 84/19) • •41,66, 73
Rechtsprechungsverzeichnis 157
Gericht erster Instanz T-46/97 T-54/99 T-319/99 T-l 16/01 u. T-l 18/01 T-289/03
SIC, Slg. 2000, S. 11-2125 •• 57 max.mobil Telekommunikation Service, Slg. 2002, S. 11-313 " 2 FENIN, 4. März 2003, n.a.g. •• 39-41 P & O European Ferries, 5. August 2003, nicht gesondert aufgeführt • • 56 British United Provident Association, noch in Behandlung (Abi. EG 2003, C-264/32) • • 86, 98
Entscheidungen der Kommission Entscheidung der Kommission vom 14. Dezember 1989 in der Rechtssache IV/32.202 - APB, Abi. EG 1989, L 18/35--38 Entscheidung der Kommission vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache N 46/2003, Ireland Risk equalisation scheme in the Irish health insurance market (einsehbar unter: http://ec.europa. eu/community_law/state_aids/comp-2003/n046-03.pdf) • • 86, 98
Niederländische Rechtsprechung Rb. = Rechtbank (Gericht) Vz. = Voorzitter (Vorsitzende(r)) Rb. Roermond 13. November 2001, Smits (RZA 2002,14) " 1 5 Rb. Roermond 6. Dezember 2001, Peerbooms (RZA 2002,15) - 1 5 Rb. Groningen 21. Januar 2002, Alpha Kliniek (RZA 2002, 52) " 1 5 Rb. Maastricht 13. Februar 2002, Alpha Kliniek (RZA 2002,163) - 1 5 WTZKV 20. Februar 2002, Knieoperation (RZA 2002,100) - 15 Rb. Maastricht 6. März 2002, CZ (AB 2002,164 u. RZA 2002, 81) - 1 6 WTZKV 20. März 2002, Asklepios Paulinen Kliniek (RZA 2002,137) - 1 5 Vz. Rb. Den Haag 9. April 2002, Alpha Kliniek (RZA 2002, 82) - 1 5 Rb. Middelburg 23. April 2002, Alpha Kliniek (Awb 99/201) - 1 5 Rb. Utrecht 24. Mai 2002, Alpha Kliniek (Rechtssache SBR 01/890) - 1 5 Rb. Utrecht 24. Mai 2002, künstliche Befruchtung (Rechtssache SBR 01/243) " 1 5 Rb. Maastricht 24. Mai 2002, Alphakliniek (RZA 2002,123) - 1 5 Rb. Utrecht 27. Mai 2002, Magenbandoperation (RZA 2002, 126) " 1 5 Rb. Haarlem 21. Juni 2002, künstliche Befruchtung (RZA 2002, 168) " 1 5 Rb. Zutphen 11. Juli 2002, Lymphödem (RZA 2002,199) - 1 5 Rb. Leeuwarden 20. September 2002, Alpha Kliniek (Rechtssache 01/145) - 1 5 Gerechtshof Den Bosch 19. November 20002, Jansen et al. gegen VGZ (VR 2003, Nr. 41) -84, 95 Rb. Maastricht 26. September 2003, A. gegen VGZ (Rechtssache AWB 03/16 ZFW) " 1 7
Entscheidungen des Generaldirektors der niederländischen Wettbewerbsbehörde (d-g NMa) Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 165, Sophia Ziekenhuis - Ziekenhuis/Verpleeghuis De Weezenlanden vom 5. Juni 1998 • • 38 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 1165, ANOZ-ANOVA/ZAO vom 29. Dezember 1998-39, 47
158 Rechtsprechungsverzeichnis
Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 882/44, Amicon (Freistellungsantrag) und in der Rechtssache 407/49, Texincare u. Tevic gegen Amicon (Beschwerde) vom 18. Juni 1999 •• 39, 43-44,103 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 224, Inkooporganisatie Multizorg vom 25. Oktober 1999-44 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 169/28, HIC vom 3. Dezember 1999 • 44 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 181, Zorgkantoren vom 10. März 2000 • • 39—41 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 767/141, Zorg en Zekerheid u. Theo de Graaf Brillen vom 19. April 2000 - 43,103 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 346, Intrakoop Coöperatieve Inkoopvereniging voor gezondheids- en seniorenzorg vom 18. August 2000 • • 38 Entscheidung der d-g NMa in den Rechtssachen 652 u. 145, Inkoopsamenwerkingsovereenkomst ziekenfondsen VGZ, OZ en CZ vom 13. Oktober 2000 • • 44 Beschwerdeentscheid des d-g NMa in der Rechtssache 882, Amicon Zorgverzekeraar vom 13. Dezember 2000 • • 43,48,103 Entscheidung der d-g NMa in den Rechtssachen 590, 1570 u. 1972, Amicon Zorgverzekeraar Vrijgevestigde Fysiotherapeut (Freistellung) und Sanders gegen Amicon Zorgverzekeraar (Beschwerde) vom 15. Dezember 2000 -38,43,103 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 537, Landeüjke Huisartsen Vereniging vom 11. April 2001 •• 38,43,103 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 912, CZ-Apotheker vom 6. Juli 2001 • • 38, 43, 103 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 1915, Zilveren Kruis-Geneesmiddelenformularium Kennemerland vom 23. August 2001 • • 44 Beschwerdeentscheid des d-g NMa in Sachen LHV, Rechtssache 2513 vom 21. Dezember 2001 - -43 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 2554, Molenpad, vom 3. September 2002 • • 46, 73 Entscheidung der d-g NMa in der Rechtssache 2605, Solidaritätsprotokoll vom 16. Dezember 2002-45
Sonstige nationale Gerichte Entscheidung des britischen Compétition Commission Appeal Tribunal vom 1. August 2002 in Sachen Bettercare • • 40
Anhang
Lid van de Europese Commissie
B-1049 Brüssel
MIN. v. VOLKSGEZONDHKID. — WELZUN EN SPORT INGFKOMI-N
- h DEC. 2G03 r.DBO podaNr.
Subjet:
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Tel. (32-2) 298.07.00
Brussels, 2 5 MI" CAB/PvB/D(03)0? l tf
2003
Dutch Health Insurance system. Letter of Mr. Hoogervorst dated 8th October to Commissioner Bolkestein
Dear Minister, / i e r t i
H«vv*,
Let me first thank you for our meeting on 1st October and for your helpful explanations of the plans of the Dutch government to reform the health insurance system. In your letter of 8th October you kindly provided further details. I would like to point out that, in the system laid down by the Treaty, Member States are free to organise their social security systems as they see fit. It is therefore for the legislation of each Member State to determine, firstly, the conditions concerning the right or duty to be insured under a social security scheme and secondly, the conditions for entitlement to benefit. The Commission may not determine how a Member State organises the financing of medical products and services provided under its own statutory social security system. All healthcare systems in the EU are facing major challenges and it falls primarily to Member States to meet this challenge. Nevertheless, as the Internal Market impacts on national health policies in a number of ways, particularly as regards cross-border provision of, and access to, treatment, the Commission is keen to participate in any reflection on this issue. The Court has made clear that, irrespective of the way in which Member States organise the provision of healthcare in their territories, the system chosen should respect Community Law and, in particular, the principle of the free provision of services set out at Article 49 of the EC Treaty. Furthermore, any system needs, of course, to respect provisions enshrined in secondary Community legislation. This concerns, in particular, the obligations undertaken by Member States under Regulation (EEC) 1408/71 relating to the coordination of social security systems.
Mr H. Hoogervorst Minister of Health Welfare and Sport Pamassusplcin 5 NL-2511 VX The Hafiue
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Anhang
Concerning the application of the provisions o f Regulation 1408/71, I agree with your analysis. According to Article 4, the Regulation applies to all legislation concerning the different branches of social security including sickness and maternity benefits. The legislation providing the basic insurance as envisaged by the Dutch draft has to be considered as legislation within the meaning of Article 4. Moreover, according to Article 5, Members States must specify the legislation and schemes referred to in Article 4. For the Court of Justice, the fact that a Member State has specified a law in its declaration must be accepted as proof that the benefits granted on the basis of that law are social security benefits within the meaning of Regulation 1408/71. I also agree with you that health care companies offering the standard policy should be considered as competent bodies for the application o f the Regulation. This should be reflected in the annexes of Regulation 574/72. May I now turn to the issue of the compatibility o f the reform o f the Dutch system with Community legislation on insurance. The EU insurance Directives do not alter the freedom o f a Member State to design its statutory social security regime and to decide how it will be organised. EU insurance legislation, and in particular the ThiFd Non-Life Insurance Directive (Directive 92/49/EEC), simply provides that, where a Member State decides to open up coverage o f a risk belonging to the statutory social security regime to private insurers, it has to accept that any Community insurance undertaking authorised in its home Member State may cover that risk on the basis of the freedom of establishment and the freedom to provide services. Article 54 o f the Third Non-Life Insurance Directive takes account of the particular situation of private health insurance serving as a partial or complete alternative to health cover provided by the statutory social security system. In my view, this proviso also covers the situation you are proposing namely, where a Member State decides to entirely assign the cover of statutory social security health insurance to private insurance undertakings which must conduct such activity at their own risk, following insurance techniques and on the basis o f contractual relationships governed by private law. Such an approach would constitute a complete alternative to the statutory social security regime to which the Directive refers. Because of the nature and social consequences of private health insurance contracts, which serve as a partial or complete alternative to the statutory social security regime, the Third Non-Life Insurance Directive allows a Member State to adopt specific legal provisions aimed at protecting the general good. To the extent that such requirements might restrict the freedom of establishment and the free provision of services, they must be objectively necessary and proportionate to the objective pursued.
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Anhang
In this context the objective of the Dutch Government is to guarantee health care as a basic social right. This means that all residents in the Netherlands should have access to health insurance, guaranteeing a basic package of essential care in return for an acceptable premium. To ensure that goal, the Dutch Government wishes to require that the proposed health insurance regime is based on the following principles : - open enrolment, - a basic minimum cover defined by the government and which must be provided by any health insurer, - the right of insurers to set their own premium rates as long as there is no discrimination on the basis o f the age, sex, health status and social circumstances o f the insured and - an equalisation fund to compensate insurers' losses because o f the risk profile of their portfolio. As I said during our meeting, I believe that these principles could be justified under Article 54 o f the Third Non-Life Insurance Directive, as they appear necessary to ensure the legitimate objectives pursued by the Dutch Government. However, I would underline that these principles must be applied in a manner which safeguards the proper functioning of the Internal Market. Therefore such measures should be confined to what is objectively necessary. In the absence o f a detailed and definitive legal text, it is not possible to say whether the Dutch system would meet these principles. In that context, I do not think that it would be proportionate to apply the requirements to any complementary insurance cover offered by private insurers which goes beyond the basic social security package of cover laid down by the legislation. In addition, the setting up of a risk equalisation scheme, which will be funded by a wage related employers' contribution and a government contribution to cover the cost incurred by insurers may need to be considered under the provisions of the Treaty concerning state aids. With respect to an obligation imposed by the law on insurers to provide insurance cover by means of benefits in-kind to insured persons, rather than through payments o f the cost incurred by the insured, it cannot be excluded that such a requirement could be in conflict with the provisions on the freedom to provide services. Indeed, it could create an important barrier to non-Dutch insurers who intend to conduct business in the Netherlands, as they would be obliged to pass appropriate agreements with local care providers in order to meet this obligation. It is not excluded that the burden o f such a requirement could have a dissuasive effect on these insurers who would then be in a difficult position to provide their insurance cover in the Netherlands. Such a requirement may therefore need to be analysed against the principles o f proportionality and necessity, according to the case-law of the Court of Justice.
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Your letter also mentions the option to place the new system outside the scope of the Insurance Directives. With respect to this issue, may I remind you that, according to the Court of Justice, insurance activities forming part of a statutory system of social security fall under the scope of the Insurance Directives when they are conducted by insurance undertakings at their own risk following insurance techniques and on the basis of contractual relationships governed by private law. The fact that they are conducted by undertakings having a legal form other than that expressly provided in the Insurance Directives may not be sufficient to validly exclude these activities from the scope of the Directive. A Member State may not allow an undertaking having another legal form to conduct insurance activities. Consequently, should the Netherlands decide to set up a system outside the scope of the Insurance Directives, they would therefore have to ensure that this activity could be not considered as an insurance activity. Finally, I should point out that the Commission does not usually gives its formal opinion on the drafts of future legislation that a Member State is considering. The European Court of Justice is the only body which is competent to decide whether a national law complies with EU law. Therefore the Commission's opinion on a draft or an outline of national legislation cannot prejudge the interpretation that the Court of Justice may give. Furthermore, the Commission wishes to underline that any opinion it might offer, is without prejudice to the sovereign powers of Members States' institutions holding legislative powers. My services, of course, remain at your disposal for any further information you may require. I hope that this reply may be of help in the process of reviewing the Dutch health insurance system. Yours sincerely,
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Gesundheitsmarketing Patienten-Empowerment ais Kernkompetenz Fred Harms / Dorothee Gänshirt Forum Marketing & Management Band 6 2005. XXIX/496 S., m. 136 Abb., geb. € 59,-. ISBN 978-3-8282-0317-4 In einer Zeit, in der die Menschen ihr Leben individuell gestalten, wirkt sich dieser Gestaltungswille auch auf die medizinische Versorgung aus. Die Medizin wird daher in immer stärkerem Maße zu einem normalen Bestandteil unseres Lebens. Patienten schlucken nicht länger bereitwillig, was man ihnen verschreibt, sondern sie verstehen sich mehr und mehr als selbstbewusste Manager der eigenen Gesundheit. Sie beschäftigen sich intensiv mit ihrer Erkrankung, haben ein großes Interesse an Gesundheitsthemen und - daraus resultierend - ein stark wachsendes Informationsbedürfnis; Folglich hat auch in Deutschland der Gesundheitsmarkt diese „neue" Zielgruppe entdeckt. Denn: Wer von seinen Kunden Loyalität erwartet, muss sich um sie kümmern. Direct-toConsumer (DtC) wird somit zum neuen Schlagwort für die Vermarktung innovativer Dienstleistungen. Weg von einem reinen Grund-(Wirk-)nutzen hin zu einem Gesundheitsservicepaket. Für diese Form des „Patienten im Visier"-Ansatzes liefert dieses Buch die Grundlagen und zeigt neue Wege in der direkten Patientenkommunikation auf. Inhaltsübersicht Unterwegs zu einem neuen Gesundheitsmarkt, G. Schulze Zukunftsperspektiven für pharmazeutisches Marketing, F. Harms, D. Gänshirt, M. Lonsert Weg in ein neues Geschäftsmodell der Pharmaindustrie, M. Lonsert, F. Harms Customer-Relationship-Management(CRM), F. Harms, D. Gänshirt, A. Graf Pharmamarkt und Finanzdienstleistung, O. Knöfel, S. Lang, S. Adler Innovationsmanagement als Grundlage der Kundenbindung, F. Harms, D. Gänshirt, M. Wörner, K.-E. Strohschön Gesundheitsmarketing als Managementkonzept, F. Harms, V. J. Kreyher Patientenbeziehungsmanagement in der Gesundheitsindustrie, R. Badenhoop, B. Ryf Die Gesundheitsrevolution, E. Huber, K. Langbein Wissen ist Macht, U. Goldmann-Posch Chancen und Fallstricke in der HealthcareKommunikation, Ch. Schumacher, P. Stegmaier
Virtuelles Marketing, F. Harms, D. Gänshirt Neue Kommunikationsstrategien, F. Harms, F. Rittinghaus, S. Zoller Gesundheit im Internet, B. Wallacher, M. Quinger, S. Bruder Apotheker im Aufbruch, A. Schweitzer, J. Plumanns-Maas Muss es immer die Apotheke an der Ecke sein? R. Däinghaus Marke! Die Erfolgsinnovation im Gesundheitsmarkt, G. Käfer Direkte Patientenkommunikation als Herausforderung, F. Schmittgall, W. Krenz, D. Besse Online Marketing in der ethischen Patientenkommunikation, 1. Drechsel Vernetztes Gesundheitswesen, M. Fuchslocher Telemedizin, J. Schweizer, J. Schlund Mit Verbänden in die Zukunft? U. Opherk Bedeutung von Venture Capital für medizinische Innovationen, S. Rohmann, F. Hofstetter, Alfred Scheidegger Summary (Englisch), F. Harms, D. Gänshirt
Wachstumsmarkt Gesundheit Peter O. Oberender, Ansgar Hebborn und Jürgen Zerth 2., grundlegend überarbeitete und aktualisierte Auflage mit 26 Abbildungen und einem Glossar 2006. 248 S, kt. € 16,90 UTB 2231. ISBN 978-3-8252-2231-4
Die sozialen Sicherungssysteme und vor allem das System der gesetzlichen Krankenversicherung geraten zunehmend in einen Rechtfertigungszwang. Die Politik versucht mittels immer neuer Regulierungen und Reglementierungen den Herausforderungen im Gesundheitswesen zu begegnen. Die vorliegende Darstellung gibt einerseits eine Analyse der Mängel und Steuerungsdefizite des deutschen Gesundheitswesens und entwirft andererseits ein Szenario einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung. Dabei werden theoretische Elemente der Gesundheitsökonomie praxisorientiert anhand des deutschen Gesundheitswesens diskutiert und die mannigfaltigen gesetzlichen Veränderungen berücksichtigt, so dass ein aktueller Überblick über den Status und die Entwicklungsperspektiven des deutschen Gesundheitswesens angeboten wird. Inhaltsübersicht I
Einleitung
II
Gesundheit als Cut Gesundheit zwischen Bedarf und Nachfrage Gesundheit als ein besonderes Gut? Zur Notwendigkeit einer Regulierung von Gesundheitsleistungen Sicherheit im Krankheitsfall - Wie lange noch? Grundprinzipien der Krankenversicherung Struktur der Sicherung Das Dilemma eines Wachstumsmarktes Lösungsversuche: Anspruch und Wirklichkeit Kriterien einer kritischen Würdigung Kostendämpfungsgesetze Gesundheits-Reformgesetz Gesundheitsstrukturgesetz Neuordnungsgesetze Gesundheitsreform 2000 Reform des Risikostrukturausgleichs Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) Synthese und Zwischenergebnis
11.1
11.2 11.3 III 111.1 111.2 111.3 IV IV.1 IV.2 IV.3 IV.4 IV.5 IV.6 IV.7 IV.8 IV.9
V
LUCIUS LUCIUS
Herausforderungen für das Gesundheitswesen V.1 Sozioökonomische Herausforderungen V.2 Politisch-rechtliche Herausforderungen V.3 Synthese aus Sicht des Sicherungssystems VI Reform des Gesundheitswesen: Szenarien VI.1 Diskussion jeder Reform: Grundfrage des Rationierungsphänomens VI.2 Zur Reformdiskussion im deutschen Gesundheitswesen VI.3 Reformoption I: Weiterentwicklung des Solidarprinzips VI.4 Reformoption II: Neudefinition der Solidarität VI.5 Zusammenfassung: Die Frage nach der nachhaltigen Leitidee VII
Wachstumsbranche Gesundheit: Perspektive und einzelwirtschaftlicher Ausblick VII.1 Langfristige Perspektive: Ein nachfragegesteuertes Gesundheitswesen VII.2 Blick auf die Gesundheitswirtschaft VIII Resümee
Stuttgart