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German Pages 160 [153] Year 2012
+++++++ Hans-Peter von Peschke +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
Das Ende des Römischen Reiches! Wendepunkte der Geschichte
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Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart, unter Verwendung einer Abbildung von picture alliance (Romulus legt Kaiserinsignien nieder. Absetzung des Kaisers Romulus Augustulus durch den germanischen Heerführer Odoaker am 28. August 476; Holzstich, um 1880, nach Zeichnung von Hermann Knackfuss [1848–1915]. Berlin, Slg. Archiv f. Kunst & Geschichte). © 2012 Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Thomas Theise, Regensburg Kartographie: Peter Palm, Berlin Gestaltung: Stefanie Silber, www.silbergestalten.de Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth Druck und Bindung: Beltz Druckpartner, Hemsbach ISBN: 978-3-8062-2425-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-2656-0 eBook (EPUB): 978-3-8062-2657-7 Besuchen Sie uns im Internet: www.theiss.de
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Inhalt Ein Kindkaiser wird abgesetzt
.................................
7
4. September 1229 ab urbe condita – 4. September 476 n. Chr. . . . . . .
8
Ein Wendepunkt, den keiner merkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
»Toll trieben es die alten Römer« – der Fall Roms im Film . . . . . . . . . . . . . . . 16
Die hundert Jahre vor dem Ende
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Ein Koloss auf eisernen Füßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Teilung des Imperiums in Ost und West und die Reichsreform . . . . . . . . . »Schlimmer als Cannae« – die Niederlage von Adrianopel . . . . . . . . . . . . . Völkerwanderung – was bedeutet das eigentlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Fall Roms 410 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ewiges Rom – Visionen und Ideologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzzeitige Restauration und neue Germaneneinfälle . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hunnen kommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeit der Wirren und ein letztes Aufbäumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Ende des Weströmischen Reiches
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Der Machtzuwachs der Heermeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die römische Armee in der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hofbürokratie, Senat und Großgrundbesitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Bewusstsein von der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schwierigkeiten der spätantiken Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die unterschiedliche Entwicklung Ostroms und Westroms . . . . . . . . . . Die letzten Jahre des Weströmischen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Versuche einer Neuordnung
23 28 30 32 34 36 39 42 47
51 52 54 58 59 63 65 67
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Ein germanischer König Italiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Odoaker beim hl. Severin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
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+ ++ 6 + ++ Inhalt +++ Theoderichs »Kampf um Rom« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nibelungenlied und Dietrichsage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Justinians »Kampf um Rom« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Felix Dahns Roman »Kampf um Rom« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Italien fällt an die Langobarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Osten des Imperiums überlebt – kleiner und mit viel Glück . . . . . . . . »Dunkle Zeiten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Reiche und Machtkonstellationen in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 80 83 86 88 89 95 97
Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Rom als Projektionsfläche der jeweiligen Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . Erben des Imperiums – Rom im frühen und hohen Mittelalter . . . . . . . . . . Das Heilige Römische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Renaissance entdeckt Rom neu – und das finstere Mittelalter . . . Die Aufklärer deuten den Fall des Imperiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Einfall der Barbaren – Fortschritt oder Verhängnis? . . . . . . . . . . . . Römische Was-wäre-wenn-Geschichten in Literatur und Wissenschaft . . . . . . »Der Untergang des Abendlandes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 110 112 115 116 119 120 123
Ein vorsichtiges Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Warum das Imperium fiel ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Was wäre geschehen, wenn ...? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Bruch oder Übergang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Anhang Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzviten der wichtigsten Herrscher und Heerführer . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geografisches Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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+ + + Die Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles + + + 7 + + +
++ + Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + + Für die Menschen des Imperiums ist es eigentlich ein ganz normaler Tag. In Rom diskutiert man über das Wagenrennen und die steigenden Getreidepreise. In Konstantinopel ist man froh über das Ende des Bürgerkriegs und sieht den nächsten Intrigen am Kaiserhof gelassen entgegen. Und in Ravenna, der Hauptstadt des Westens, erwartet man die Absetzung des alten und die Ausrufung eines neuen Kaisers. Auch das ist nichts Ungewöhnliches am 4. September im Jahre 1229 nach der Gründung Roms.
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+ ++ 8 + ++ Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + +
4. September 1229 ab urbe condita – 4. September 476 nach Christus Ravenna, 8 Uhr Ein Kind hat Angst. Sein Vater ist tot, und jetzt hat auch sein Onkel die letzte Schlacht und sein Leben verloren. Verloren und einsam fühlt er sich in dem riesigen Palast in Ravenna, wo an diesem Morgen selbst die Sklaven versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Obwohl er doch zumindest dem Namen nach ihr Herr ist, der Herrscher über die fünfzig Millionen Menschen des größten, wenn auch bröckelnden Reiches der Welt, des Imperium Romanum. Romulus haben ihn seine Eltern genannt nach einem der legendären Gründer des ewigen Rom und ihm zur Erinnerung an den ersten großen Kaiser den Namen Augustus gegeben. Oft genug haben ihn die Hofbeamten hinter seinem Rücken Augustulus, Kaiserlein, genannt – die Männer seiner germanischen Leibwache rufen ihn in gutmütigem Spott ganz offen so. Aber das kümmert ihn im Moment nicht, er hat jetzt nur noch Angst. Ist er, obgleich Marionette in den Händen seiner Familie und Kind, einer der römischen Kaiser, die mit dem Schwert entthront werden wie so viele in diesem Jahrhundert?
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Konstantinopel, 8 Uhr An diesem Morgen betet Zeno, Kaiser des Ostens, in der Hagia Eirene, der dem Heiligen Frieden gewidmeten mächtigen Basilika. Er bittet vor allem um inneren Frieden, den er so sehr vermisst hat. Ist er doch gerade aus einem zwanzigmonatigen Exil in Syrien nach Konstantinopel heimgekehrt. Er konnte die Stadt ohne Gegenwehr einnehmen – praktisch alle dem Usurpator Basiliskos verbliebenen Militärs und Beamten waren zu ihm übergelaufen. Dieser elende Versager, denkt er, durch ihn hat er die größte Niederlage seiner Herrschaft erlitten. Mit einem großen Heer hatte er Basiliskos nach Afrika geschickt, aber wegen seiner Überheblichkeit hat dieser den Feldzug gegen die Vandalen verloren. Wie wichtig wäre die Rückeroberung der afrikanischen Provinzen gewesen, denn ohne die Steuern und das Getreide aus Afrika ist Rom verloren, zumindest Westrom. Als er aufsteht, sieht er in seinem Gefolge den Goten Theoderich, Anführer der Amaler. Zeno kennt ihn schon lange, war er doch jahrelang als Geisel am Hof in Konstantinopel. Ohne ihn und seine Kämpfer, das weiß der Kaiser, hätte er den Thron so schnell nicht zurückgewonnen. Ganz offiziell hat er ihn zu seinem »Waffensohn« ernannt. Auch wenn ihm die Abhängigkeit von dem jungen Gotenfürsten zu schaffen macht, er braucht ihn noch, zunächst einmal gegen dessen eigenes Volk. Wenn er gegen den Namensvetter Theoderich
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+ + + Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + + 9 + + + Strabo zieht, ebenfalls einen Goten, der den aufständischen Basiliskos unterstützt hat, will er »seinen« Theoderich sogar zum obersten Heermeister ernennen. Aber dann sollte man ihn loswerden, vielleicht nach Westen ablenken ...
Rom, 9 Uhr Die Ewige Stadt erwacht wie immer in diesen Monaten in brütender Hitze. Die meisten vornehmen Familien sind trotzdem von ihren Landgütern in die Sicherheit ihrer Stadtvillen zurückgekehrt – eine Vorsichtsmaßnahme, denn wieder einmal scheinen Unruhen nicht ausgeschlossen. Marodierende Soldaten, die seit Monaten ihren Sold nicht erhalten haben, haben einige Güter an der Ostküste geplündert. Heermeister Orestes und sein Bruder Paulus – beide aus guten römischen Familien – sind von den meuternden Legionären unter dem Barbaren Odoaker erschlagen worden. Und Romulus Augustulus, das Kind auf dem Kaiserthron, wird den Tag nicht überleben, davon ist man in den Palästen und Mietskasernen Roms überzeugt. Und dann wird das altbekannte Spiel beginnen um die Kaisernachfolge, an dem sich Ostrom, die Senatoren des Westens, die Chefbeamten und die Armeespitze beteiligen …
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Ravenna, 9 Uhr Die ganze Nacht hat Odoaker, von den germanischen Truppen zum »König Italiens« ausgerufen, mit seinen Ratgebern verbracht. Die meisten raten ihm, den Kindkaiser zu töten und sich selbst zum Imperator ausrufen zu lassen. Doch dagegen spricht alle Tradition: Es scheint undenkbar, dass sich der Sohn eines Thüringers und einer ostgermanischen Skirin auf den weströmischen Thron setzt, er ist ja nicht einmal Provinzialrömer! Und wenn er irgendeine Marionette aus dem Senatorenstand oder der Hofbürokratie zum Herrscher des Westens ausrufen lässt? Auch diese Lösung schmeckt Odoaker nicht. Wie schnell kann einer dieser intrigengewohnten Römer höchst eigene Pläne verfolgen! Und dann ist da noch der Kaiser in Ostrom. Ihn gilt es für eine Lösung zu gewinnen, bei der sich Odoaker Zeno zwar unterstellt, aber als »rex Italiae« dennoch ungestört schalten und walten kann ...
Ravenna, 10 Uhr Kindkaiser altern schnell! Sie kennen sich bald so gut aus in den Intrigen wie die Erwachsenen und wissen um alle Gerüchte, die am Hof umgehen. Natürlich hat Romulus Augustulus schnell vom Tod seines Vaters Orestes in der Schlacht von Piacenza erfahren, obwohl ihm das sein Onkel Paulus vorenthalten wollte. Und gestern ist auch dieser mit
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+ ++ 10 +++ Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + + dem letzten Aufgebot der Getreuen gefallen. Jetzt hat er niemanden mehr – all die Speichellecker um ihn sind verschwunden. Geblieben ist der Mönch Eugippius, sein Beichtvater. Romulus Augustus sieht sich vorsichtig nach allen Seiten um, hastet zur kleinen Basilika San Giovanni Evangelista, der dem Evangelisten Johannes geweihten Hofkirche. Ein Mann in einer Kutte winkt aus dem kleinen Raum seitlich des Altars. Nach schnellem Kniefall eilt der Junge zu Eugippius, der beruhigend auf ihn einredet. Odoaker sei zwar vom Teufel zu seinem Aufruhr angestiftet worden, aber um sein Leben müsse Romulus nicht fürchten, sagt der Mönch. Der Barbar wolle es sich nicht mit den mächtigen Großgrundbesitzern und Senatoren verderben – es würde sich schlecht machen, wenn er seinen Machtantritt mit dem Blut eines Knaben befleckt. Romulus und seine Mutter könnten mit ihm, Eugippius, nach Sizilien kommen, in das »castellum Lucullanum«, ein hochherrschaftliches Haus, er erhalte dazu 6000 Solidi jährliche Apanage. Davon könne er gut leben …
Rom, 11 Uhr In den Gassen der Ewigen Stadt ist die Lage des Imperiums kein Thema. Dass es irgendwo brennt, ist Alltag. Natürlich hat sich in Rom schnell herumgesprochen, dass Heermeister Orestes im Kampf gegen aufständische Barbaren-
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legionäre gefallen ist. Wer nach der Beseitigung des Augustulus – dass er in den nächsten Tagen ermordet wird, bezweifelt niemand – Kaiser wird, kümmert höchstens einige Senatoren. Den Mann auf der Straße interessiert viel mehr das Wagenrennen, das am späten Nachmittag im Kolosseum stattfinden wird. Gladiatorenkämpfe gibt es dort nicht mehr – vor genau 150 Jahren hat Kaiser Konstantin sie verbieten lassen. Todeswürdige Verbrecher werden nicht mehr ad bestias verurteilt, sondern ad metalla, zur Zwangsarbeit in den Minen. Immerhin freut sich ganz Rom auf das Schauspiel nach dem Wagenrennen. Wegen anhaltenden Erfolgs wird noch einmal der »Tod des Herkules« aufgeführt, ein überführter Mörder wird am Schluss des Dramas als todwunder Held zum Gaudium des Publikums auf loderndem Scheiterhaufen sterben …
Ravenna, 12 Uhr Diese Stadt ist tiefste Provinz, denkt der für Finanzen zuständige Senator. Sieht man von den miserablen Reiterspielen im Hippodrom und den spärlichen Dichterlesungen in den Thermen einmal ab, was gibt es da schon an Kultur? Seit dem Tod Kaiser Valentinians – und das ist zwei Dutzend Jahre her – hat sich kein bedeutender Poet oder Dramenschreiber mehr hierher verirrt – in dieser Stadt gibt es nur Militär und Verwaltung. Eigentlich müsste er noch drei
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+ + + Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + + 11 + + + Jahre hier ausharren, bis er seine Ämterlaufbahn abgeschlossen hat und nach Rom zurückkehren kann. Aber vielleicht ändert sich schon heute alles. Wer wohl nach dem lächerlichen Kindkaiser auf den Thron kommt? Eigentlich strebt keiner der hier anwesenden Senatoren dieses Amt an, er selbst hat eine vorsichtige Anfrage eines Vertrauten von Odoaker rundweg abgelehnt. Wer den Purpur nimmt, verliert bald den Kopf, lautet ein geflügeltes Wort unter den Hofbeamten. Da spielt er lieber hinter den Kulissen der Macht mit, wo die wirklichen Entscheidungen getroffen werden. Vielleicht braucht es überhaupt keinen eigenen Kaiser mehr
Ostroms, obwohl er das als Diplomat so offen nicht sagen würde. Sicher, Ravenna war und ist ein großer Hafen und seit dreihundert Jahren Sitz der Reichsflotte und der Admiralität. Aber nicht deshalb wurde es zur Hauptstadt des Westens, sondern weil der Kaiser und sein Hofstaat vor den Westgoten fliehen mussten und die von Sümpfen umgebene Stadt praktisch nicht einzunehmen war. Allerdings stinkt es deshalb in der flirrenden Sommerhitze hier nach Fisch und fauligem Sumpf! Und trotzdem ist Ravenna vom Provisorium zur ständigen Hauptstadt geworden. Aber die Thermen, die wenigen Kirchen und auch der Palast – immerhin hat Galla
für den Westen? Immerhin ist mit Odoaker jetzt ein Barbar Heermeister, der als ehemaliger Chef der kaiserlichen Wache die Verhältnisse gut kennt und weiß, was er verlangen kann und was nicht. Sicher, man wird die Anliegen seiner Germanensöldner irgendwie befriedigen müssen. In diesen sauren Apfel kann man beißen, sagt sich der Finanzsenator. Und wenn Odoaker dafür seine Beziehungen zu den Stämmen in Gallien spielen lässt und dann dort die Plünderungen aufhören, das Wirtschaftsleben wieder in Gang kommt und damit auch Steuern fließen …
Placidia, natürlich eine Prinzessin aus Ostrom, einen einigermaßen ansehnlichen errichten lassen –, all das lässt sich weder mit Konstantinopel noch erst recht mit Rom vergleichen. Zunächst einmal hatte man alles Geld in den Bau und die Restaurierung starker Mauern gesteckt an den Stellen, wo die Stadt nicht durch Wasser und Sümpfe geschützt war. Nein, denkt der Botschafter, dieses Ravenna ist keine Hauptstadt, nicht für einen römischen Kaiser. In seinen Straßen dominieren die Barbaren, jetzt, wo sie einen der ihren zum rex Italiae ausgerufen haben, erst recht. Soll er doch diesen Titel behalten – der Titel des Imperators, des einzigen und ewigen Herrschers soll dorthin zurückkehren, wo er hingehört, nach Nova Roma, nach Konstantinopel,
Ravenna, 13 Uhr Ravenna, das ist schlichtweg Provinz – so empfindet es auch der Botschafter
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+ ++ 12 +++ Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + + wo künftig das ungeteilte Herz des Imperiums schlagen soll …
rückkehren wird – und den jeweils starken Mann im Westen schwächen, wer auch immer das ist …
Konstantinopel, 13 Uhr Kaiser Zeno hat die Delegation aus Italien lange warten lassen und sie dann über Terrassen mit sprudelnden Brunnen zur kleinen Audienzhalle führen lassen. Wie es das höfische Zeremoniell vorsieht, sitzt er starren Blicks im Prunkgewand auf seinem Thron, hinter ihm goldglitzernde Fresken, die »armen Brüder« aus dem römischen Westen sollen nur merken, dass der Große Palast das irdische Abbild des himmlischen Paradieses verkörpert. Eine Delegation von Senatoren aus Rom ist gekommen, händeringend erklärt ihr Wortführer, dass Heermeister Orestes und der Senat von Rom den Usurpator Basiliskos unterstützt hätten, sei die Folge eines Missverständnisses und man habe doch nicht … Der Kämmerer des Kaisers schneidet dem Diplomaten das Wort ab. Nur mit einem Ohr hört Zeno zu: Nicht der Heermeister Orestes sei für Konstantinopel maßgebend und erst recht nicht dessen Söhnchen Romulus, sagt der Kämmerer schneidend, der einzig wahre weströmische Kaiser sei der aus Italien nach Dalmatien vertriebene Julius Nepos! Der oströmische Herrscher lächelt in sich hinein: Diesen vertriebenen Kaiser kann er im Spiel um die Macht gut nutzen – auch wenn dieser niemals auf den Thron von Ravenna zu-
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Ravenna, 14 Uhr Die veränderte Atmosphäre ist schon zu spüren, als Romulus Augustulus fast widerstrebend die große Audienzhalle in Ravenna betritt. Nicht zeremonielles Schweigen, sondern lautes Gemurmel empfängt ihn. Einer seiner Leibwächter, den er nun weniger als Schutz denn als Bedrohung empfindet, begleitet ihn bis zur Stirnseite des Saals. Auf den Stufen vor dem Thron steht – über der Rüstung eine prunkvolle Toga tragend – der neue Heermeister Odoaker. Der nickt ihm zu, und Romulus stelzt in feierlich zeremoniellen Schritten, wie man ihn gelehrt hat, die Marmortritte hinauf. Ein hoher Beamter in Senatorentoga – ist es Roms ehemaliger Stadtpräfekt Quadratianus? – verliest feierlich eine Erklärung, der zufolge er, Romulus Augustus, als Herrscher des Hesperium Imperium, wie das Weströmische Reich genannt wird, für immer und ewig auf den Thron verzichtet. Romulus nickt wortlos, steht auf und überlegt, ob er den Saal verlassen soll. Aber dann bleibt er vor der Tür stehen und dreht sich um. Odoaker steht noch immer, und keiner der ehrwürdigen Männer in ihren feierlichen Togen bewegt sich Richtung Thron. Gibt es keinen neuen Kaiser? Oder will Odoaker gar selbst? Undenk-
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+ + + Ein Kindkaiser wird abgesetzt + + + 13 + + + bar! Einer seiner Unterführer ruft: Salve, Odoacer, rex Italiae! Laut stimmen die Bewaffneten in ihren Prunkrüstungen ein, die Hofbeamten und Senatoren gedämpfter. Odoaker breitet die Hände aus, verspricht seinen Leuten und ihren Familien fruchtbares Land und den Italikern die Wiederherstellung von Recht und Ordnung, die pax Romana. Die Königsinsignien freilich will er nach Konstantinopel schicken, dort seien sie bes-
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ser aufgehoben. Der Westen des Reiches, so sagt er, brauche keinen eigenen Kaiser mehr, er werde ihm als magister utriusque militiae et patricius, als Heermeister und Vertrauter des oströmischen Kaisers, nach bestem Wissen und Gewissen dienen … Später wird man sagen, an diesem 4. September 476 sei das Weströmische Reich untergegangen.
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+ ++ 14 +++ Ein Meer aus Trümmern und Leichen + + +
++ + Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + + Es gibt keinen Kaiser mehr! Eigentlich hätte eine Welle der Erschütterung durch das Weströmische Reich gehen müssen. Aber es gab ja noch einen Kaiser in Ostrom! Und Heermeister wie Odoaker hatten die eigentliche Macht schon zuvor ausgeübt! Erstaunlich nur, dass der abgesetzte Kaiser noch am Leben war! Im Übrigen hatte man ganz andere Sorgen. Erst Jahrzehnte später begannen einige Historiker zu begreifen, dass der 4. September 476 eine Zäsur darstellte.
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+ ++ Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + + 15 + + + Imperien sterben langsam. Wenn sie von Feinden überrannt werden und stürzen, müssen die Säulen, auf denen sie jahrhundertelang standen, brüchig geworden sein. Wer die Gründe für das Ende eines großen Reiches erkennen will, muss das komplexe Zusammenspiel innerer und äußerer Ursachen analysieren und darf auch den Zufall – den für Historiker unbeliebtesten, da unberechenbarsten Faktor – nicht außer Acht lassen. Und manchmal ist es ausgerechnet ein eher marginales Ereignis, das die Wendemarke einer Epoche oder das historische Datum für den Untergang eines Reiches setzt. Die Absetzung des Romulus Augustulus ist ein solches Datum, ein Wendepunkt. Die Institution, das Amt, mit dem das mächtigste Reich der Welt untrennbar verbunden schien, existiert nicht mehr. Es gibt keinen Kaiser von Westrom mehr, und damit hat auch Westrom zu existieren aufgehört. Für die Zeitgenossen war es vielleicht ein eher nebensächliches Ereignis in einer als bedrückend und bedrohlich empfundenen Entwicklung. Je weiter zurück das Geschehen jenes 4. September 476 aber lag, umso mehr empfand es die Nachwelt als Markstein im lang andauernden Prozess des Niedergangs eines glorreichen Imperiums, und es erhielt so einen überhöhten symbolischen Wert. Vermutlich als erster hat 511 der sizilianische Abt Eugippius in seiner Lebensbeschreibung des hl. Severin in einem Nebensatz die Absetzung des Romulus Augustulus – der als gut dotierter Pensionär in einer benachbarten Villa lebte – als eine Zeitenwende charakterisiert. In diesem Sinne notiert der Historiker Marcellinus Comes gut vierzig Jahre später in seinem »Chronicon« für das Jahr 476: Odoaker machte den Orestes sofort nieder; den Sohn des Orestes, Augustulus, verurteilte er zum Exil auf dem Landgut Lucullanum in Kampanien. Das Westreich des römischen Volkes, das im Jahr 709 nach Gründung Roms Augustus Octavian als erster beherrschte, ging mit diesem Augustulus unter – nach 522 Jahren aufeinanderfolgender Herrscher. Von da an machten sich die Könige der Goten Rom zu eigen. Freilich waren solche Aussagen durchaus tendenziös – zumindest zu Zeiten Kaiser Justinians waren solche Meinungen in Ostrom höchst willkommen, stützten sie doch dessen Ansicht, dass
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+ ++ 16 +++ Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + +
»Toll trieben es die alten Römer« – der Fall Roms im Film Das römische Imperium war und ist ein
sem komödiantischen Filmmusical der
beliebtes Filmthema, weil sich hier vor
Irrungen und Wirrungen laviert sich ein
prächtiger Kulisse große Geschichte und
arbeitsscheuer Sklave durch das Luxus-
blutige Schlachten, Machtkämpfe und
leben und kämpft gegen vertrottelte
verwickelte Intrigen, aber auch Liebes-
Politiker und dummdreiste Legionäre
dramen darstellen lassen. Die ersten
um Liebe, Leben und Freiheit.
großen Monumentalfilme wie »Quo va-
Ebenso tiefschürfend wie witzig sind
dis« (1951) , »Ben Hur« (1959), oder
zwei weitere Filme. In der dreizehntei-
»Cleopatra« (1963) spielen zu Beginn
ligen Fernsehserie »Ich Claudius, Kaiser
der Kaiserzeit; die unzähligen als
und Gott« (1976, Regie: Herbert Wise)
»Sandalenfilme« bezeichneten B-Pro-
werden Augustus und seine Familie so ge-
duktionen greifen bis in die sagenhafte
zeigt, als würden mit ihnen Dekadenz und
Gründung Roms zurück. Meist spielen
Niedergang des Imperiums schon begin-
muskelbepackte Helden, oft Gladiatoren,
nen. 1965 verfilmte Helmut Käutner Dür-
die Hauptrolle.
renmatts Stück »Romulus der Große«,
Nebenthemen sind gelegentlich Völ-
eine eher unhistorische Parabel über die
lerei und Dekadenz als wichtige Kenn-
letzten Tage des Weströmischen Reiches:
zeichen des Imperiums, in Streifen wie
Der letzte Kaiser züchtet Hühner, trinkt
»Caligula« (1979) oder »Messalina«
Spargelwein und sehnt den Einmarsch
(1977) geht es um ausschweifenden Sex
der Germanen herbei!
bis zum Exzess. Ein cineastisches High-
Sehr viel ernsthafter nimmt sich der
light, das Sandalen- und Monumental-
1964 vom Regisseur Anthony Mann ge-
filme auf die Schippe nimmt und kein
drehte Monumentalfilm »Der Untergang
Klischee über das alte Rom auslässt, ist
des Römischen Reiches« des Themas
Richard Lesters Filmmusical »Toll trie-
an. Etwas unhistorisch beginnt der Un-
ben es die alten Römer« (1966). In die-
tergang um 180 n. Chr., wenn der von
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+ + + »Toll trieben es die alten Römer« – der Fall Roms im Film + + + 17 + + +
Alec Guiness glänzend gespielte Marc
perium retten können. Doch Commodus
Aurel seinen Kampf gegen die Germanen
lässt die friedlich feiernden Germanen
endlich siegreich beendet. Er will nun
von einer Soldateska töten.
nicht seinen Sohn Commodus zum Nach-
Im Jahr 2000 gab es ein Remake
folger machen, sondern den Tribun Livi-
fast gleichen Inhalts: In dem mit fünf Os-
us. Doch der Kaiser wird vorher vergiftet,
cars prämierten Film »Gladiator« (Re-
und der größenwahnsinnige und laster-
gie: Ridley Scott) ist es ein fulminanter
hafte Commodus führt Rom seinem
Russell Crowe alias »Maximus«, der sich
Verderben entgegen. Held Livius sieht
dem dekadenten Commodus entgegen-
aus Loyalität zum Kaiserhaus lange zu,
stellt. Am Ende sterben beide – und auch
dann aber wendet er sich gegen den
das Imperium scheint am Ende. Hier wird
Imperator, den er schließlich tötet. Ein
neben der Dekadenz und inneren Schwä-
Happy End gibt es nicht: Livius wendet
che des Reiches die Professionalität der
sich angewidert von Rom ab, und zum
römischen Armee geradezu zelebriert,
Schluss des Films sagt ein Sprecher im
ein Thema, das auch in Filmen wie »Die
Off: »Ein Weltreich beginnt nicht erst
letzte Legion«, »King Arthur«, »Centuri-
dann unterzugehen, wenn die äußeren
on« (2010, Regie: Neil Marshall) oder
Feinde es bekämpfen, sondern wenn es
»Der Adler der siebten Legion« (2011,
von innen her zerfällt.« In diesem Film
Regie: Kevin Macdonald) eine wichtige
wird vieles kolportiert, was der Normal-
Rolle spielt. Bei letzteren beiden Filmen
sterbliche über den Fall des Imperiums
ist der Untergang einer Legion in den un-
zu wissen glaubt: Rom ist dekadent, die
wirtlichen Wäldern Britanniens Vorbote
Führung inkompetent und in Intrigen
des Untergangs und des vergeblichen
verwickelt, der Kaiser größenwahnsin-
Versuchs, einen Ausgleich mit den Bar-
nig. Schließlich: Integration und Verstän-
baren geschweige denn deren Integrati-
digung mit den Barbaren hätten das Im-
on zu erreichen.
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+ ++ 18 +++ Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + +
In dem Streifen »Die letzte Legion« (2007, Regie: Doug Lefler) wird Romulus
Verkommenheit der christlichen Kirche angeprangert.
Augustulus ganz unhistorisch statt nach
Aus einem anderen Blickwinkel und
Sizilien nach Capri verbannt, wo er wun-
in einer anderen Region des Imperiums
derbarerweise das Schwert Julius Cae-
beschäftigt sich der spanische Regis-
sars entdeckt. Damit flieht er nach Bri-
seur Alejandro Amenábar in »Agora – Die
tannien, wo es eine letzte dem Kaiser-
Säulen des Himmels« (2009) mit der
haus treu ergebene Legion geben soll. Die
neuen Staatsreligion. Im Mittelpunkt steht
Legionäre aber sind längst Bauern, erst
die an der Bibliothek von Alexandria leh-
nach langem Hin und Her lassen sie sich
rende Philosophin Hypatia (355–415),
zum Kampf gegen die räuberischen An-
die im eskalierenden Streit zwischen
gelsachsen bewegen. Am Schluss stellt
fanatischen Christen und Anhängern der
sich – was für eine Überraschung – Ro-
alten Religion steht und ihm letztendlich
mulus Augustulus als Vater eines gewis-
zum Opfer fällt. Ihre Ermordung und
sen Artus heraus, und Caesars Schwert
Schändung wird von Kirchenkritikern
trägt die Aufschrift »E. S. Calibur«. Eine
seit langer Zeit als Beispiel für die intole-
immer noch gewagte, aber nicht ganz so
rante und frauenfeindliche Haltung des
hanebüchene Verknüpfung vom Ende des
frühen Christentums gesehen. Hier reiht
Imperiums und der Artus-Sage finden wir
sich dieser preisgekrönte Monumental-
in »King Arthur« (2004, Regie: Antoine
film auch ein in die schon zu Zeiten der
Fuqua). Dienstverpflichtete Sarmatenrei-
Renaissance aufkommende Auffassung,
ter unter ihrem Anführer Artorios verbün-
das Christentum trage eine Mitschuld
den sich nach schweren Kämpfen mit den
am Verfall des kulturellen und wissen-
Ureinwohnern gegen die eindringenden
schaftlichen Erbes des römischen Impe-
Sachsen. Dabei wird nicht nur die Deka-
riums.
denz des alten Reiches, sondern auch die
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+ ++ Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + + 19 + + + die Reste des Hesperium Imperium, des Westreichs, nun direkt dem Herrscher in Konstantinopel unterstellt seien, da es im Westen kein Kaisertum mehr gebe. Deshalb vermuten einige heutige Historiker, dass hinter solchen Meinungen der römische Kaiser Justinian als »Chefideologe« steckt, um sein alle Reichsteile übergreifendes Kaisertum zu legitimieren. Jedenfalls verankerte sich die Absetzung des Romulus Augustulus in den Köpfen der Annalisten und Geschichtsschreiber bis ins 20. Jahrhundert als Wendepunkt. Wenn man den Fall Westroms wie die meisten heutigen Historiker nicht einem einzelnen Ereignis zuordnen will, sondern als Prozess begreift, kann man sich fragen, wann denn der Niedergang begonnen habe. So setzen manche Wissenschaftler den Beginn des »Untergangs des Römischen Reiches« mit dem Tod Marc Aurels und der Herrschaft seines unfähigen Sohnes Commodus an – adaptiert im gleichnamigen Monumentalfilm von 1964. Andere wieder verlegen den Anfang vom Ende in die Zeit der Soldatenkaiser. Das Ende dieser wirren Periode durch die Machtübernahme Diokletians und seine Reichsreform wird dann je nach Lesart als zeitweilige Stabilisierung oder als Wende zu einer wenn auch kurzen Spätblüte des Imperiums angesehen. Mit dieser Reichsreform, die zu mehr Effizienz, aber auch zu einer Bürokratisierung des Imperiums führte, beginnt die Spätantike, eine Periode, die nicht nur – wie vor allem frühere Historiker behaupteten – von Niedergang gekennzeichnet war, sondern auch von kultureller Blüte, von rascher wirtschaftlicher Erholung nach Krisen, ja sogar von erstaunlichen militärischen Siegen nach verheerenden Niederlagen. Dennoch, Niederlagen prägten zwei Drittel dieser Periode, angefangen mit der Schlacht von Adrianopel 378, einer für das gesamte Reich einschneidenden, wenn auch oströmischen Niederlage. Bedeutende Zäsuren sind dann etwa die Plünderung der Stadt Rom 410, der Tod des Aëtius 456 und der Beginn der Herrschaft Theoderichs 493. Die Epoche endet 568 mit der Inbesitznahme Italiens durch die Langobarden – ein Datum, das oft auch als Endpunkt der Völkerwanderung gilt. Dennoch ist das Jahr 476 zum Symbol des Niedergangs geworden, weil man das Römische Reich durch einen Kaiser repräsen-
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+ ++ 20 +++ Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + + tiert sah. Um es mit Friedrich Dürrenmatt zu sagen, der sein Drama »Romulus der Große« (1956) mit den Worten des gewesenen Kaisers enden lässt: »Damit, meine Herren, hat das römische Imperium aufgehört zu existieren.« Sicher ist, dass mit diesem Akt das Weströmische Reich als politische Organisationsform faktisch nicht mehr bestand. Sicher ist auch, dass von diesem Zeitpunkt an alle Bemühungen, das Weströmische Reich als Gesamtgebilde, das den früheren Westen des Imperiums umfasste, zu erhalten, vergeblich blieben. Was folgte, war einerseits der kurzfristig erfolgreiche Versuch Ostroms, sich einige Reste – Italien und Afrika – einzuverleiben oder zumindest nicht gefährlich werden zu lassen. Andererseits strebten germanische Heerführer und Könige danach, auf den Trümmern des Imperiums ihr eigenes, möglichst großes Reich zu errichten. Schon aus propagandistischen Gründen legitimierten sie ihre Staatsgründung als Nachfolge des Imperiums mit oder ohne Duldung des oströmischen Kaisers. Doch auch wenn auf diese Weise Strukturen des alten Imperiums regional in die neuen Reiche übergingen, die zentralen Strukturen und mit ihnen ein eigentliches Zentrum waren verloren. Die Römer in den Provinzen arrangierten sich, ja verschmolzen im günstigsten Fall mit den neuen Eliten. Imperien sterben langsam, und für ihren Fall gibt es nicht eine einzige Erklärung oder eine klar zu benennende Hauptursache, vielmehr sind es komplexe innen- und außenpolitische Faktoren. Gleichwohl sollte man eine Gesamtwertung und eine Gewichtung der Einzelursachen – wie sie am Ende dieses Buches vorgenommen wird – nicht scheuen. Dass eine solche Deutung indessen oft mehr über die Gegenwart des analysierenden Historikers sagt als über die beschriebene Epoche, birgt ein zusätzliches spannendes Moment. Reizvoll ist auch eine kontrafaktische Betrachtung: Gab es Momente, in denen der Fall des Imperiums wenn auch nicht verhindert, so doch hätte verzögert werden können? Weitaus wichtiger als solche Überlegungen und als die Festlegung des einen, unzweifelhaften Wendepunkts ist die Frage, was denn der Fall des Weströmischen Reiches für die Nachwelt, für den weiteren Verlauf der Geschichte bedeutete. Folgte dieser Epoche – wie immer man sie datiert – eine harte Zäsur, ein Bruch, eine
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+ + + Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + + 21 + + + dunkle Zeit? Oder sind solche dark ages eher Erfindungen späterer Epochen, ideologisch geprägte Überspitzungen eines eher unspektakulären Transformationsprozesses? Auch darauf gibt es keine einfache Antwort. Aber sehen wir uns zunächst einmal die hundert Jahre vor dem Fall an …
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+ ++ 22 +++ Ein Wendepunkt, den keiner merkt + + +
+++ Die hundert Jahre vor dem Ende +++ Durch die Reichsreform schien Mitte des vierten Jahrhunderts das Imperium gefestigter denn je. Aber dann kamen Katastrophen: die verheerende Niederlage von 378, die Eroberung Roms 410, der Verlust der reichen Provinzen Afrikas und schließlich die Hunnen. Das Imperium zeigte, was noch in ihm steckte und erholte sich jeweils erstaunlich schnell. Aber jede Krise zehrte an den Kräften, vor allem, weil man sich in den kurzen Erholungspausen Machtkämpfe und Intrigen leistete.
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+ + + Ein Koloss auf eisernen Füßen + + + 23 + + +
Ein Koloss auf eisernen Füßen Mitte des 4. Jahrhunderts war das Imperium Romanum ein unerschütterlich scheinendes Reich. Von Euphrat und Tigris im Osten bis zu den Säulen des Herkules, von den reichen Provinzen Nordafrikas bis zum britannischen Hadrianswall herrschten ein Recht und ein Kaiser. Ein Netz von gut befestigten Straßen durchzog das riesige Territorium, geschützt von unzähligen Grenzbefestigungen, die oft durch Wälle verbunden waren, dem Limes. Zudem sicherte ein gewaltiges, höchst professionelles Berufsheer den inneren und äußeren Frieden. In über fünfhundert Jahren hatten die Römer höchst unterschiedliche Völker ihrer Herrschaft einverleibt. Städte und Regionen unterstanden dem gleichen Gesetz und hatten ähnliche Verwaltungsstrukturen, jedoch weitgehende Autonomie, solange sie ihre Steuern und Abgaben bezahlten. Latein wurde die gemeinsame Sprache zumindest der Eliten und veränderte regionale Sprachen nachhaltig. Vor allem aber: Die zuvor unterworfenen Völker nahmen römische Sitten und Gebräuche spätestens in der dritten Generation an und konnten damit recht gut leben. Sie waren gleichsam »gut integriert«. Auch wenn sich die Menschen als Gallier oder Griechen, Ägypter oder Spanier verstanden – sie identifizierten sich gleichermaßen als Römer. Die Unterschiede waren weniger regional als vielmehr sozial. Überall im Reich gab es eine vielleicht fünf Prozent umfassende reiche und politisch aktive Landbesitzerschicht, aus der sich die bürokratisch-militärische Elite rekrutierte. Dazu kamen eine Mittelschicht in den Metropolen und arme Gruppen in Stadt und Land, die sich zwar zu gelegentlichen Unmutsäußerungen bis hin zu seltenen lokalen Aufständen bewegen ließen, aber doch im Großen und Ganzen besser lebten als vor der Einverleibung ins Imperium. Die Unterschicht bildeten die armen, immer mehr in Abhängigkeit geratenden Bauern und die Sklaven. Dazu kamen die von allen Schichten verachteten »Barbaren«, bürgerrechtslose Gesellen, die von außerhalb stammten und deshalb nur als Sklaven und zur Belustigung in den Arenen der Groß- und Provinzstädte taugten.
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+ ++ 24 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + Freilich geriet das Reich im 4. Jahrhundert buchstäblich an seine Grenzen. Neue Eroberungen jenseits von Rhein und Donau würden mehr kosten als einbringen, schon die britannischen Provinzen galten bei der kühl kalkulierenden imperialen Bürokratie als Zuschuss- , wenn nicht als Verlustgeschäft. So stand Verteidigung im Vordergrund, und auch einer Einwanderung standen die römischen Eliten skeptisch gegenüber. Vor allem wehrte sich in seltener Einigkeit die ursprüngliche wie die in den letzten Jahrhunderten integrierte Bevölkerung – eine »Mittelschicht«, die um ihren Wohlstand fürchtete – gegen alle Arten von Zuwanderung, egal ob die Betreffenden mit dem Schwert oder mit dem Bettelstab an die Pforten des Reiches klopften. Angesichts der Ausdehnung des Imperiums war eine Aufteilung in Herrschaftsbereiche notwendig geworden. Zwar blieb Rom auch im 4. Jahrhundert die offizielle Hauptstadt, doch im Osten wurde Konstantinopel das neue Zentrum mit Antiochia als zweiter Schaltstelle, im Westen residierten die Kaiser in Mailand und Trier, näher an potenziellen Konfliktherden. Die Säulen des späten Reiches waren die Spitzen des Militärs und eine wachsende Hofbürokratie, die palatini. Der in Rom tagende Senat genoss zwar noch hohes Ansehen, hatte aber außer in der Stadt selbst an Einfluss verloren. Das zeigte sich deutlich daran, dass die Senatoren dem Kaiser nachreisen mussten, letztere aber immer seltener die Ewige Stadt besuchten. Die Herrscher selbst wurden zunehmend ein in höhere Sphären entrücktes Symbol, das allerdings großen Einfluss auf die hohen Bürokraten und Militärs – das galt auch umgekehrt – und die letzte Entscheidungsgewalt hatte. Diese Elite hatte erheblich bei der Kaisernachfolge mitzureden und konnte sogar eine blutige oder unblutige Absetzung inszenieren. Als strategische Hauptgefahr sah man die Perser im Osten an, die sich zu einer zweiten Großmacht entwickelten. Die verheerende Niederlage gegen Schapur I. im Jahr 260 und die darauf folgende lebenslange Gefangenschaft Kaiser Valerians waren Menetekel und Ansporn zugleich. Die Konsequenz war eine Wirtschafts- und Heeresreform, die dem Militärapparat höchste Effizienz verlieh, das Imperium aber auch an den Rand seiner finanziellen Möglichkeiten brachte. Den Barbaren, die sich immer
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+ + + Ein Koloss auf eisernen Füßen + + + 25 + + + wieder an Rhein und Donau zeigten und glaubten, ins Imperium vordringen zu können, fühlte man sich militärisch überlegen – und war es lange Zeit auch. Noch 357 hatten 12 000 römische Legionäre ein dreifach überlegenes Alamannenheer bei Straßburg vernichtend geschlagen. Potenzieller Schwierigkeiten jenseits von Rhein und Donau entledigte man sich weniger mit Krieg als nach dem Divide-etimpera-Prinzip, indem man einige Germanenstämme zu foederati, zu Verbündeten machte, mit Waffen ausstattete und gegen andere Gruppierungen Krieg führen ließ. Der rege Kontakt mit den Germanen zeitigte aber auch langfristige Folgen. So lernten diese, wenn sie sich bei der römischen Armee verdingten, deren Kampftaktiken kennen. Zudem profitierten Roms Vasallengebiete durchaus von Handel und Technologietransfer. Am wichtigsten war eine Agrarrevolution, die kurzfristig die periodisch auftretenden Hungerkrisen milderte und langfristig zu einem Bevölkerungswachstum führte. Ebenso bedeutend wurde die wachsende Produktion und Verarbeitung von Eisen, die nicht nur den Handel, sondern auch die Quantität und Qualität der Waffen erhöhte. Insgesamt wuchs der Wohlstand in der damals bei den germanischen Stämmen noch breiten Schicht der »Freien«, wenn auch die Anführer und ihre Familien am meisten profitierten. Für die meisten Römer war indessen Persien die große Gefahr, während man die Germanen mit militärischen und vor allem diplomatischen Mitteln glaubte, leicht in Schach halten zu können. So erschien die Geschichte des Imperiums den meisten Zeitgenossen bis zum letzten Viertel des 4. Jahrhunderts bei allen kurzzeitigen Rückschlägen und inneren Wirren als fast durchgängige Erfolgsgeschichte – was sie ja durchaus auch war. Einen Fall des Imperiums in den nächsten hundert Jahren hätten auch die größten Pessimisten nicht vorausgesehen. Gleichwohl erkannten Realisten, dass das Reich nicht nur an seine an den Marksteinen sichtbaren Grenzen gestoßen war – eine weitere Aus- oder gar Überdehnung konnte es sich nicht leisten, die Ernährung der Bevölkerung, die Finanzierung von Infrastruktur und Militär konnten gerade noch aufrechterhalten werden, die durchaus vorhandenen Rücklagen wurden knapper.
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+ ++ 28 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + +
Die Teilung des Imperiums in Ost und West und die Reichsreform Ende des 3. Jahrhunderts war das Im-
immer ein Herrscher vor Ort, an der Front,
perium zu groß geworden, um nur von
in aufständischen Provinzen oder auch
einem Mann beherrscht zu werden. Dies
bei aufmüpfigen Soldaten war. Diokletian
und mannigfache andere Probleme hat-
verfügte außerdem, dass in der Regel kei-
ten sich in der Reichskrise von 235 bis
ne Söhne oder Verwandten Mitkaiser sein
285 n. Chr. gezeigt, als das Imperium
sollten – ein Prinzip, das allerdings nach
von oft schnell wechselnden Soldaten-
seinem Tod nicht mehr galt. Auf jeden Fall
kaisern beherrscht wurde. Der 284 an
bot die Tetrarchie ein Mehr an Stabilität, da
die Macht gekommene Kaiser Diokletian
eingearbeitete »Juniorkaiser« als Nach-
schuf, nachdem er zunächst zwei Riva-
folger bereitstanden. Eine Folge dessen
len ausgeschaltet hatte, eine Tetrarchie,
aber war, dass sich die Verwaltung von
eine Viererherrschaft. Schon früher hat-
Rom weg näher an die bedrohten Grenzen
ten Herrscher Söhne oder Favoriten zu
verschob. Das Ewige Rom war nur noch
Caesaren, das heißt ihren designierten
ideelle Hauptstadt des Imperiums, im Wes-
Nachfolgern gemacht – Diokletian baute
ten wurde es von Mailand, später Ravenna
dieses System aus.
und Trier, im Osten schließlich von Kons-
285 ernannte er den Feldherrn Maximi-
tantinopel als neuen Zentren abgelöst.
an zum Caesar, ein Jahr später wurde die-
Weniger spektakulär, aber ebenso
ser als Augustus gleichberechtigter Mit-
wirksam war die durch Diokletian einge-
kaiser. Das Reich wurde zwischen ihnen in
leitete Verwaltungsreform. Die Provinzen
eine West- und eine Osthälfte geteilt und
wurden verkleinert – es gab statt zwölf
jedem von beiden 293 ein Caesar als un-
nun mehr als hundert –, gleichzeitig wur-
tergeordneter Mitkaiser beigegeben.
den größere regionale Einheiten, die so-
Hauptvorteil des neuen Systems war,
genannten Diözesen geschaffen. Über-
dass bei inneren und äußeren Krisen –
fällig war die Trennung von ziviler und
auch wenn diese gleichzeitig auftraten –
militärischer Verwaltung, eine Reform,
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+ + + Die Teilung des Imperiums in Ost und West und die Reichsreform + + + 29 + + +
die das nur noch vom Kaiser abhängige
wurden, ein klareres, einheitliches Verfah-
Militär stärkte und an den jeweiligen
ren zu schaffen. Damit wollte man die
Herrscher band. Gleichzeitig wurde unter
Staatseinnahmen und -ausgaben besser
Diokletian und seinen Nachfolgern das
und langfristig planen können und natur-
Heer reformiert. Die Zahl der Legionen
gemäß auch mehr herausholen. Ob Letzte-
verdoppelte sich auf etwa siebzig, die
res gelang oder nur mehr Steuerdruck, Kla-
Mannschaftsstärke wurde allerdings re-
gen und Bürokratie das Resultat waren,
duziert. Vor allem aber war wichtig, dass
ist unklar. Zur Stabilisierung der Landwirt-
das Heer in zwei Gruppen aufgeteilt wur-
schaft wurden Bauern und Landpächter
de: zum einen in die Grenztruppen, die in
an den Boden gebunden. Sicher ist, dass
speziell angelegten Befestigungen lebten
durch die Einsetzung spezialisierter Be-
und von dort aus operierten, zum ande-
amter die Bürokratie größer, aber auch
ren in bewegliche, überall einsetzbare
effizienter wurde. Umfangreicher wurde
Armeen, deren Kern nach wie vor die Fuß-
auch das kaiserliche Zeremoniell. Der pom-
truppen bildeten, bei denen es jedoch im-
pöse Herrscherkult – für die Monarchen
mer mehr Reiterei und andere Spezial-
höchst anstrengend und bei den meisten
truppen gab. Außerdem wurde die Ver-
wenig beliebt – sollte der Identifizierung
sorgung der Legionen verbessert, sie er-
mit Reich und Monarchen dienen. Ob und
hielten mehr Geld und das vor allem
inwieweit all diese Reformen tatsächlich
rechtzeitig. Entsprechende Mängel hat-
durchgeführt wurden oder in manchen
ten zu Aufruhr und zur Unterstützung von
Reichsteilen nur auf dem Papier standen,
Usurpatoren geführt.
lässt sich schwer abschätzen. Dass mit
Im zivilen Bereich versuchten die Im-
dieser großen Reform das Imperium gefes-
peratoren durch Steuerreformen, bei de-
tigt wurde für die kommenden Stürme, gilt
nen die Abgaben anhand von Bodengröße
dagegen als sicher.
und eingesetzten Arbeitskräften ermittelt
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+ ++ 30 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + +
»Schlimmer als Cannae« – die Niederlage von Adrianopel Genau hundert Jahre vor dem Ende des Weströmischen Reiches zog ein gewaltiger Flüchtlingstreck am Nordufer der Donau entlang. Es waren mehr als 100 000 Männer, Frauen und Kinder, manche sprechen gar von 200 000, die ihr Hab und Gut auf Wagen mit Zugochsen mit sich führten. Die meisten von ihnen waren Goten, ein Teil aus der heutigen Ukraine, die anderen aus grenznahen Gebieten wie der Walachei und Moldawien. Sie wollten unter den Schutz des Imperiums. Ausgelöst hatte ihre Wanderung ein bis dahin unbekanntes Reitervolk aus dem fernen Osten – die Hunnen. Derartige Ereignisse waren den Römern weder neu noch gänzlich unwillkommen, hatte man doch solche Flüchtlinge gelegentlich schon als Bauern in Grenzregionen angesiedelt, die jungen Männer für die Armee rekrutiert und einige im Einverständnis mit ihren Führern in die Sklaverei verkauft. Doch diesmal verfolgte der Kaiser des Ostens, Valens, das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Immerhin waren geschätzte 20 000 Mann kriegserfahren und gewaltbereit, falls es zu keiner Einigung kommen würde. Auch weil erneut ein Krieg mit Persien drohte, wollte der Imperator des Ostens sich keine zweite Front an der Donau leisten. Schließlich schloss er ein Abkommen, das für das Imperium eigentlich zu viele, für die Zuwanderer dagegen zu wenige Zugeständnisse enthielt. Als lokale Bürokratie und Militär die Goten schikanierten und übervorteilten, kam es fast zwangsläufig zu einem Kleinkrieg. Das kleine römische Provinzheer wurde besiegt, die Germanen plünderten den nun wehrlosen Balkan. Anfang des Jahres 378 sammelte Valens Truppen, nachdem er sich an der persischen Front eine Art Waffenstillstand erkauft hatte. Gratian, der Kaiser des Westens, hatte seine Hilfe zugesagt. Doch die verzögerte sich, er musste eine unerwartete Invasion der Alamannen am Rhein abwehren. Einige Wochen wartete Valens ab, dann verlor er die Geduld. Als es am 9. August 378 bei Adrianopel (heute Edirne, Türkei) zur Schlacht kam, unterschätzten der Kaiser und seine Heerführer die Zahl und Schlagkraft der gotischen Truppen sowie deren tak-
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+ + + Ein Koloss auf eisernen Füßen + + + 31 + + + tisches Geschick. Seine Ratgeber, so schreibt der oströmische Historiker Zosimos, veranlassten den Kaiser, mit seiner ganzen Streitmacht in den Krieg zu ziehen, da ja die Barbaren so gut wie gänzlich verloren seien und ihm ein müheloser Sieg winke. Zwar drängten die römischen Legionen die Goten bis auf eine hartnäckig verteidigte Wagenburg zurück, dann aber kamen völlig unerwartet Reiter, überrannten den linken Flügel der Römer und fielen dem Zentrum in die Flanke. Die Schlacht wurde auch zur persönlichen Katastrophe für Valens: Nur mit ein paar Begleitern konnte sich der Kaiser in ein Dorf flüchten, das nicht ummauert war. Die Feinde aber häuften von allen Seiten her Holz um die Siedlung, warfen Feuer hinein und verbrannten samt den Einwohnern alle im Ort befindlichen Flüchtlinge, so dass kein einziger Mensch auch nur zur Leiche des Kaisers vorzudringen vermochte, berichtet Zosimos. Für römische Historiker wie Ammianus war es die schlimmste Niederlage seit Cannae. Und auch der Schock im Imperium war gewaltig, vor allem deshalb, weil ein Kaiser schmählich gefallen und die Legende von der Unbesiegbarkeit der Legionen nachhaltig zerstört war. Bei nüchterner Betrachtung erweist sich die Schlappe als weniger schlimm. Auch wenn an die 10 000 Römer auf dem Schlachtfeld geblieben waren – noch hatte das Imperium knapp eine halbe Million Mann unter Waffen. Und den höchstens 200 000 Goten stand eine siebzig Millionen zählende Bevölkerung gegenüber. Zudem: Die Goten konnten zwar plündern und brandschatzen, an eine Eroberung der stark befestigten Garnisonslager oder gar der Städte war indessen nicht zu denken. Dazu reichten ihre militärischen Fähigkeiten nicht aus – noch nicht. Ob sie wollten oder nicht, sie mussten sich arrangieren. Auch der neue Kaiser Theodosius suchte nach einem Kompromiss, der das Imperium weniger kostete als ein anstrengender und zeitraubender militärischer Sieg. Im Friedensabkommen von 382 kapitulierten die Goten zwar nominell – das war für die imperiale Reputation und die Propaganda notwendig –, sie erhielten jedoch Land und mussten weder Tribute zahlen noch Sklaven oder Kämpfer für die Arena stellen. Langsam änderte sich die bislang harte und konsequente Politik gegenüber den Barbaren. Im Imperium wuchs das Bewusstsein für mögliche Krisen – nicht in
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+ ++ 32 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + +
Völkerwanderung – was bedeutet das eigentlich? Völkerwanderungen gab es schon im-
Imperiums lebten. Barbaren waren ein-
mer. In frühgeschichtlichen Zeiten lebten
fach das Gegenteil von Römern, sie wa-
die Menschen als Nomaden, und auch
ren unzivilisiert, wild und hatten
sesshaft gewordene Stämme verließen,
Sitten und Gebräuche, über die man
getrieben von Klimaveränderungen und
nur den Kopf schütteln konnte.
schlechten Ernten, von Hunger und Krieg,
So sind die schriftlichen Quellen
ihre zeitweilige Heimat. Solche Völker-
höchst summarisch und aus einem ideo-
wanderungen sind bis in die Gegenwart
logischen Blickwinkel verfasst, sei es,
bekannt. In der abendländischen Ge-
dass der Glanz der römischen Zivilisa-
schichte gibt es aber die Vorstellung von
tion vor dem Hintergrund barbarischer
der Völkerwanderung – als Begriff in der
Primitivität noch deutlicher hervortre-
Renaissance eingeführt –, womit eine
ten sollte, sei es, dass ein Mahner wie
Epoche vom Ende des 4. bis zum Ende
Tacitus seinen Landsleuten germa-
des 6. Jahrhunderts gemeint ist, un-
nische »Tugenden« als Spiegel vorhal-
trennbar verbunden mit dem Ende des
ten wollte. Inzwischen versuchen Archä-
Weströmischen Reiches.
ologen wie Peter Wells durch Funde aus
Die wandernden Völker kennen wir
der Völkerwanderungszeit »die Bar-
zunächst nur aus der Sicht der Römer.
baren sprechen« zu lassen – ein ebenso
Für die Römer bildeten die Barbaren eine
lohnendes wie mühseliges Unterfangen.
Projektionsfläche. Von den Griechen als
Sicher ist, dass keine Völker im mo-
die Leute definiert, die nicht vernünftig
dernen Sinne an die Grenzen des Imperi-
reden konnten, sondern nur ein unarti-
ums kamen. Es waren Zusammenschlüs-
kuliertes »bar, bar« zustande brachten,
se verschiedener Stämme, oft mit ver-
fielen darunter alle, die nicht römische
schiedenen Kulturen und Sprachen. Not
Bürger waren. Jene waren seit 212 alle
und Hunger sowie vielleicht der Bericht
Erwachsenen, die in den Grenzen des
eines Wanderers von einem Reich, in dem
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+ + + Völkerwanderung – was bedeutet das eigentlich? + + + 33 + + +
es sich besser leben lässt, hatten eine
leicht glaubten sie auch – und das durch-
Gruppe im Nordosten aufbrechen lassen.
aus nicht immer zu Unrecht –, dass sich
Eine andere, von einem stärkeren Noma-
die Römer bei Androhung von Angriff und
denvolk vertrieben, schloss sich an, und
Verheerung bereit finden würden, ihnen
eine dritte Gruppe sah die Vorbeiziehen-
Gold, Münzen und Schmuck oder auch be-
den und fasste rasch den Entschluss zur
gehrte Waren zu geben.
Auswanderung in dem festen Glauben,
Vor allem aber waren es aus Solda-
dass alles besser sei als das ewige Leben
ten und Zivilisten gemischte Gruppen,
am Rande des Existenzminimums. Je
die Hunger, Kriegswirren oder einfach nur
näher man dem gelobten Land kam, des-
der Vision vom besseren Leben in Rich-
to häufiger traf man auf Krieger oder
tung Römisches Reich trieben. Geführt
Händler, die zu berichten wussten, dass
wurden sie von verschiedenen Stammes-
man sich dort gut als Söldner verdingen
fürsten, meistens aus alteingesessenen
konnte, dass es dort Straßen und weiße
Geschlechtern, von denen sich einige
Häuser gebe ...
vielleicht schon in der römischen Armee
Manchmal waren es auch nur Militär-
verdingt hatten und nun als Pfadfinder
verbände, die aus den verschiedensten
und Promotoren dienten. Solche »Stäm-
Gründen Richtung Imperium aufbrachen.
me« waren in vielen Fällen bereit, von
Vielleicht wollten sie nur rauben – sie hat-
den römischen Behörden gestellte Be-
ten ausspioniert, dass einige Grenzab-
dingungen zu erfüllen, sich formal oder
schnitte schlecht bewacht waren und sie
sogar formell zu unterwerfen, bei einer
gut durchschlüpfen konnten. Vielleicht
Ansiedlung Steuern in Naturalien zu zah-
suchten sie ihr Glück und wollten sich bei
len oder junge Männer für die Armee zu
der römischen Armee bewerben. Viel-
stellen.
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+ ++ 34 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + Gedanken, sondern im Handeln. Mehr und mehr ersetzten die Reichen ihre Villen auf dem Lande durch ebenso prächtige Stadthäuser. Zwei Dinge aber hatten sich gezeigt: zum einen, dass das Imperium so angespannt war, dass es zwei Krisen auf einmal – wie die Gotenkrise auf dem Balkan und den Alamannenansturm am Rhein – nur schwer bewältigen konnte, zum anderen waren die Hunnen erstmals ins Bewusstsein zumindest der Lenker des Reichs getreten, ein Volk, das – wie Ammianus schreibt – von einer schrecklichen Begierde erfüllt ist, fremdes Gut zu rauben. Entkleidet man diese Aussage ihrer ideologischen Komponente, heißt das nichts anderes, als dass nun auch dieses Reitervolk durch Gerüchte von einem großen Reich mit unermesslichem Reichtum angelockt wurde.
Der Fall Roms 410 Was folgte, waren zwei Jahrzehnte trügerischer Ruhe, vor allem an der germanischen Grenze. Dann erschütterten neue Angriffe das Imperium. 405 zog Gotenkönig Radagais eine blutige Spur bis nach Italien, bis er 406 vom Heermeister Stilicho bei Florenz geschlagen werden konnte. Im Dezember desselben Jahres fielen Verbände der Vandalen, Sueben und Alanen – Letztere waren Persisch sprechende Nomaden – in Gallien ein, plünderten das Land und zogen weiter Richtung Spanien. Für einige Zeit gingen Teile dieser wichtigen und vor allem steuerträchtigen Provinz dem Westreich verloren. Auslösendes Moment all dieser Bewegungen waren vermutlich wieder die Hunnen, die daran gingen, jenseits der römischen Grenzen ihr eigenes Reich aufzubauen. Die Schwäche Galliens und das zeitweise Abgeschnittensein vom Reich veranlassten römische Heerführer in Britannien zum Aufstand. Unter Konstantin III. errichteten sie ein eigenes kleines Reich, das bald auch die nördlichen Teile Galliens umfasste. Die größten Probleme bereiteten aber die nach 382 im Reich angesiedelten Goten, die aus denen ihnen gesetzten Grenzen aus-
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+ + + Der Fall Roms 410 + + + 35 + + + brechen wollten. 395 zeigte der neue gotische König Alarich bei einem Aufstand erstmals Muskeln – es kam zu Kämpfen, die aber nach einer Goldzahlung Ostroms wieder abflauten. Dabei stand das Reich vor einem Dilemma: Einerseits wollten die Kaiser, vor allem der oströmische, die fremden Scharen ruhig halten, andererseits benötigten sie immer wieder deren Kampfkraft, ja sie setzen sie sogar gezielt als Drohung, aber auch als tatsächliche Heeresmacht gegen den anderen Landesteil ein. Auch Alarich suchte seine Position durch wechselnde Bündnisse zu stärken, zog 401 nach Italien, musste sich dann aber zurückziehen. Wenige Jahre später ging er ein Bündnis mit dem weströmischen Heerführer Stilicho ein – das von diesem versprochene Gold blieb aber aus. Nach Stilichos Ermordung entschloss sich der Gote zu einem Vabanquespiel. Mit einer kleinen Streitmacht überquerte er die Alpen Richtung Rom, wo sich ihm weitere Germanen – es war zu fremdenfeindlichen Pogromen gekommen – anschlossen. Vor den Mauern Roms erpresste er ein Lösegeld von 5000 Pfund Gold, 30 000 Pfund Silber sowie wertvolle Gewürze, Seide und Pelze. Das reichte, um seine Männer erst einmal zufriedenzustellen, langfristig jedoch wollten die Goten Siedlungsland mit fruchtbarem Boden. Als der weströmische Kaiser Honorius auf Zeit spielte, zog Alarich erneut vor Rom, ließ dort einen ihm genehmen Kaiser wählen und sich zu dessen oberstem Feldherrn ernennen. So gestärkt wollte er erneut mit Honorius verhandeln. Statt zu Gesprächen kam es aber zu einem Angriff auf Alarichs Delegation, dem es nun endgültig reichte. 410 führte er sein immer weiter gewachsenes Heer erneut nach Rom. Endlich rückten sie in Rom ein und plünderten es, berichtet der Historiker Jordanes, nicht ohne anzumerken: Sie legten jedoch nicht, wie es wilde Völker gewöhnlich tun, Feuer an und duldeten es nicht, dass die heiligen Orte irgendwie verunehrt wurden. So kam es – wie Peter Heather anmerkt – zu einer »der manierlichsten Plünderungen, die Rom je erlebt hatte«. Die Bevölkerung durfte in den Kirchen Sankt Peter und Sankt Paul Zuflucht suchen – die Denkmäler wurden zwar allen glitzernden Tands beraubt, blieben aber intakt, und es kam nur zu kleineren Bränden. Freilich, alles was wertvoll schien und nicht niet- und nagelfest war, schleppten die Sieger weg.
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+ ++ 36 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + +
Ewiges Rom – Visionen und Ideologien Imperien haben in Religion und Tradition
sen literarischen Quellen und steinernen
wurzelnde Staatslegenden, aus denen sie
Zeugnissen wissen, war sich ein Großteil
ihren Machtanspruch und ihre Legitima-
der freien Bürger in dieser Auffassung
tion ableiten. In der von Vergil verfass-
einig, sie verband die Einwohner Roms
ten sagenhaften Gründungsgeschichte
mit den Menschen, die nach und nach
Roms – diese »Aeneis« war seit der Kai-
das römische Bürgerrecht erhielten, das
serzeit sozusagen die erste Schulfibel
von 212 an für das ganze Imperium galt.
aller Römer – erklärt Göttervater Jupiter,
Selbstverständlich fand diese Ideologie
dass er Rom unbegrenzt Macht und Zeit,
auch ihre Kritiker.
eine »Herrschaft ohne Ende« gegeben
Auch ein großes Reich altere und
habe. Und als Aeneas die Unterwelt betritt,
müsse schließlich sterben, mahnten
bekommt er das bald formelhafte Tu re-
Schriftsteller wie Lactanz oder Ammia-
gere imperio populos, Romane, memento
nus – vor allem dann, wenn sich seine
zu hören: »Sei eingedenk, Römer, mit dei-
Bürger von den mores maiorum, den Sit-
nen Befehlen die Völker zu lenken und
ten der Vorfahren, abwendeten und der
ihnen friedliche Gesinnung aufzuerlegen,
Dekadenz verfielen. Freilich, die meisten
die Unterworfenen zu schonen und die
dieser Mahner hielten das Imperium für
Aufsässigen in die Knie zu zwingen.«
erneuerungsfähig und verwiesen dar-
So entstand nach der Zeitenwende
auf, dass es aus allen Krisen gestärkt
eine von Augustus und seinem Hofstaat
hervorgegangen sei. Das werde auch
geprägte Rom-Ideologie: Roma aeterna,
weiterhin so sein, wenn sich die Men-
das Ewige Rom herrscht als caput mun-
schen nur der alten Tugenden erinnerten
di, als Haupt der Welt mittels der pax
und zu den Traditionen ihren Vorväter
Romana, des römischen Friedens über
zurückkehrten.
ein imperium sine fine, ein Reich ohne
Anders sahen das zunächst mit
Grenzen. Nach allem, was wir aus zahllo-
Blick auf das nahende Jüngste Gericht
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+ + + Ewiges Rom – Visionen und Ideologien + + + 37 + + +
die meisten christlichen Autoren. Wie war
und Bronze. Das vierte Imperium, aus
die Ideologie vom ewigen Rom mit der
einer Mischung aus Ton und Erz beste-
neuen Religion vereinbar? Im 3. Jahrhun-
hend, war Rom. Der alles zerschmet-
dert waren die Kirchenväter und from-
ternde Fels war der »Herr und Erlö-
men Autoren Gottes Weltgericht und dem
ser« – mit seiner Ankunft endet die Ge-
baldigen Ende aller irdischen Reiche noch
schichte der Menschheit. Rom, das
jeden Moment gewärtig. Mit und nach
vierte Reich, so folgerte der Kirchenva-
Konstantin gewannen auch bei den An-
ter, werde also bis zum Jüngsten Gericht
hängern des Christentums die Optimisten
fortbestehen und könne deshalb nicht
die Oberhand. Kirchenvater Hieronymus
untergehen. Im christlich erneuerten Im-
wurde im Alten Testament beim Prophe-
perium manifestiere sich die gottge-
ten Daniel fündig. Der hatte Nebukad-
wollte Ordnung für das irdische Dasein,
nezar, dem Herrscher Babylons, einen
das Gottesreich auf Erden, das Jesus
Traum gedeutet, in dem ein Riesenstand-
prophezeit habe.
bild aus verschiedenen Materialien von
Freilich musste immer wieder erklärt
einem gewaltigen Stein zermalmt wurde.
werden, wie und warum Barbaren und
Während sich die Bestandteile der Sta-
Reichsfeinde an eben jenem Imperium
tue in Luft auflösten, wurde aus dem
Romanum Christianum rüttelten. Prinzipi-
Stein ein gewaltiger Fels. Daniel inter-
ell – so der spanische Theologe und His-
pretierte die vier Bestandteile der
toriker Orosius – habe das Imperium
Plastik als vier aufeinanderfolgende
durch die Annahme des Glaubens einen
Weltreiche, für Babylon als erstes stand
großen Schritt nach vorn gemacht, die
der Kopf aus Gold. Hieronymus präzi-
großen Probleme aber seien als Gottes
sierte die Deutung: Auf Babylon folgten
Strafe für die Sünder und als Mahnung für
Persien und Alexanders Mazedonien, die
die Gerechten anzusehen. Kirchenvater
ihnen zugeordneten Stoffe waren Silber
Augustinus löste die Problematik da-
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durch, dass er den irdischen Staat zwar
den in der Kirche als der Gemeinschaft
als von Gott gewollte Ordnungsmacht
der Gläubigen manifestiere und im
darstellte, die aber ständig in Gefahr sei,
himmlischen Königreich sein überir-
von den Bösen und Sündern beherrscht
disches Pendant habe. Eine Vorstellung,
zu werden. Dieser Mixtur aus Gutem und
die ebenso in das Mittelalter hinein-
Bösen stellte er den Gottesstaat, die
reichte wie die Idee vom Ewigen Rom als
Civitas Dei, entgegen, der sich auf Er-
Viertem Reich.
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+ + + Der Fall Roms 410 + + + 39 + + + Sachlich gesehen war es für das Imperium und vor allem für Rom selbst ein höchst unerfreuliches Ereignis, doch hatten beide im Laufe der Geschichte schon Schlimmeres einstecken müssen. Weitreichender waren die Gefühle, die die meisten Imperiumsbürger bei dieser Schreckensnachricht hatten. Kirchenvater Hieronymus schrieb fassungslos: In einer Stadt ging eine ganze Welt unter. Die Anhänger der alten Religion nahmen die Eroberung Roms als Beweis für die Wirkungslosigkeit des Christentums und meinten, unter den alten Göttern wäre das nicht möglich gewesen. Doch zum Erstaunen der Zeitgenossen erholte sich das Imperium von diesem Schicksalsschlag schnell.
Kurzzeitige Restauration und neue Germaneneinfälle Der Nachfolger Stilichos war ein eigentlich eher unscheinbarer, wenig charismatischer Heermeister namens Flavius Constantius, der nach der Eroberung Roms durch Alarich vor kaum lösbaren Schwierigkeiten stand: Die Goten blieben eine ständige Bedrohung, Gallien und Spanien waren ausgeplündert und zum großen Teil von Invasoren und Usurpatoren besetzt. Immerhin konnte er bis 413 das Problem der abtrünnigen Nebenkaiser in Britannien und Nordgallien lösen, indem er diese gegeneinander und gegen ihre eigenen Armeen ausspielte. Am Ende wurden ihre Köpfe auf Pfählen in die neue Hauptstadt Ravenna gebracht, eine wegen undurchdringlicher Sümpfe kaum einnehmbare Stadt, in der schon Kaiser Honorius vor Alarich Zuflucht gesucht hatte. Der Eroberer Roms war noch 410 unerwartet gestorben, dennoch waren die Westgoten für das Westreich das entscheidende Problem, das nicht mit Waffengewalt zu lösen war. Deren neuer Anführer Athaulf hatte sich mit der Kaisertochter Galla Placidia vermählt und mit ihr einen gemeinsamen Sohn, der aber frühzeitig starb und mit ihm alle Thronansprüche. So konnte Flavius Constantius mit einer Mischung aus Diplomatie und Intrigen einen erfolgreichen Putsch gegen Athaulf anzetteln und mit den neuen gotischen Machthabern ein Abkommen schließen. Er siedelte die Westgoten 418 in Aquitanien an, behandelte sie als Verbündete und ließ sie dann später gegen die Vandalen kämpfen,
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+ ++ 40 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + die sich in Spanien gegen die Alanen durchgesetzt hatten. Im Austausch gegen Weizenlieferungen erhielt er Galla Placidia zurück, die er dann – gegen ihren Willen – heiratete und mit der er einen legitimen Thronerben zeugte. Als Flavius Constantius 421 zum Kaiser gekrönt wurde und bald darauf unerwartet starb, war ihm eine angesichts der Ausgangslage beachtliche Wiederherstellung des Weströmischen Reiches gelungen. Freilich war es eine Restauration mit einigen Schwächen: Britannien gehörte praktisch nicht mehr zum Reich, Spanien war immer noch in Teilen besetzt, und in den übrigen Provinzen gab es vor allem wegen der Plünderungen und Kriegsverheerungen erhebliche Steuerausfälle. Hätte es nicht die reichen nordafrikanischen Provinzen gegeben, der Sold für die Legionen wäre nicht bezahlbar gewesen. So aber gab es eine noch immer stattliche weströmische Armee – etwas kleiner zwar, etwas schlechter ausgebildet und mit wachsendem germanischen Anteil –, die nach wie vor ein entscheidender Machtfaktor war. Doch kaum hatte sich die Lage stabilisiert, lebten Machtkämpfe und Palastrevolutionen wieder auf. Im Mittelpunkt der Intrigen stand Galla Placidia, nunmehr Kaiserwitwe und de facto Regentin für ihren Sohn Valentinian III., der 425 – noch als Kind – zum Kaiser proklamiert und auch von Ostrom unterstützt wurde. Die starke Frau verstand es glänzend, die verschiedenen Heermeister gegeneinander auszuspielen, bis sich Ende 433 ein gewisser Flavius Aëtius durchsetzte. Diese innerrömischen Kämpfe sahen die germanischen Völker mit wachem wie wachsendem Interesse, vor allem die Vandalen. Geiserich, seit 428 neuer Herrscher der Vandalen und Alanen, suchte Gebiete, wo ihn die Römer mit ihren gotischen Hilfstruppen nicht ständig bedrohen und gegebenenfalls angreifen konnten, und glaubte sie in Afrika gefunden zu haben. Im Mai 429 setzte er mit seinem gesamten Volk auf Booten über die Straße von Gibraltar nach Nordafrika über – eine logistische Meisterleistung, die die Römer völlig überraschte. Schnell überrannten seine kampferfahrenen Truppen die schwach verteidigte Provinz Mauretania, und in den folgenden Monaten arbeitete er sich an der Küste nach Osten vor. Schrittweise wurden die reichen römischen
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+ + + Der Fall Roms 410 + + + 41 + + + Gebiete erobert, und da diese sowohl wichtige Weizenlieferanten waren als auch hohe Steuereinnahmen erbrachten, tat das dem Imperium wirklich weh. Als Flavius Aëtius 433 der starke Mann des Westens wurde, sah er sich wie Flavius Constantius knapp zwanzig Jahre zuvor vor eine Herkulesaufgabe gestellt: In Nordafrika standen die Vandalen und Alanen, in Teilen Galliens wüteten Aufrührer und Plünderer. Diese »Bagauden« genannten Marodeure gehörten verschiedenen Stämmen und Gruppen an, die sich vor allem im Nordwesten Galliens bei der Auflösung der gewohnten Zustände von Recht und Ordnung gebildet hatten. Im Südwesten Galliens und in Teilen Spaniens hatte es Aëtius mit den Westgoten und Sueben zu tun, im Norden diesseits und jenseits des Rheins mit Franken, Burgunden und Alamannen. Zunächst einmal sorgte er in Nordafrika für vorläufige Ruhe: 435 erhielten die Vandalen in einem Vertrag den Westen der römischen Provinzen, zwei Drittel Numidiens sowie die beiden reichsten Provinzen Nordafrikas blieben jedoch dem Imperium erhalten. So gestärkt ging der Heermeister nun gegen die Burgunden vor, die weitgehend vernichtet wurden – was später ins Nibelungenlied eingeht, wobei Attila an die Stelle von Aëtius tritt. Die Reste des Stammes siedelte er am Genfer See an. 439 nahm sich der »letzte Römer«, wie Aëtius in Konstantinopel bewundernd genannt wurde, auch der Gotenfrage an. Die Goten hatten sich einmal mehr erhoben, und weil für ihre Niederwerfung auch die gesamte weströmische Heeresmacht nicht ausreichte, warb Aëtius hunnische Hilfstruppen an. So wurden die Goten erst einmal in die Schranken gewiesen. Diesen Konflikt, der Westrom aufs Äußerste beanspruchte, nahm der Vandalenkönig Geiserich zum Anlass, die restlichen römischen Provinzen Nordafrikas aufzurollen – seine Schiffe erschienen auch vor der Küste Siziliens. Dieser Angriff traf Ostrom empfindlich, Westrom jedoch im Kern. Deshalb rafften sich die in den letzten Jahren immer wieder verfeindeten Brüder zu einer gemeinsamen Aktion auf – ein gewaltiges Heer zur Rückeroberung Nordafrikas wurde aufgestellt. Doch es kam nicht zum Feldzug, eine neue, für das Imperium noch größere Gefahr wurde
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+ ++ 42 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + greifbare Wirklichkeit: die Hunnen. Sie waren dem Kaiser in Konstantinopel zu nahe gekommen, als dass er sich auf irgendein afrikanisches Abenteuer einlassen wollte. Immerhin gelang es Aëtius 442, mit Geiserich einen neuen Vertrag auszuhandeln. Westrom erhielt Mauretanien und Numidien zurück, der Vandale behielt aber die ertragreicheren Provinzen, wurde zum rex socius und amicus Roms ernannt und sein Sohn sogar mit Eudokia, der Tochter Valentinians III., verlobt. Der »Verbündete und Freund« Roms erklärte sich zwar zu Getreidelieferungen bereit, dennoch waren die Auswirkungen für das Westreich verheerend. Es hatte seine bedeutendsten Steuereinnahmen verloren.
Die Hunnen kommen Die Saat des ganzen Verderbens und der Ursprung der ganzen Katastrophen, so schon Ende des 4. Jahrhunderts der Schriftsteller Ammianus Marcellinus in seiner »Römischen Geschichte«, war Folgendes: Das Volk der Hunnen! Dieses kampfkräftige und ungezähmte Menschengeschlecht, das von einer schrecklichen Begierde erfüllt ist, fremdes Gut zu rauben, durchquerte raubend und mordend die Nachbarländer. Hinter diesem Zerrbild standen für das Imperium gleichwohl erschreckende Tatsachen: Das bislang unbekannte Nomadenvolk aus den Steppen des Fernen Ostens hatte innerhalb weniger Jahrzehnte ein riesiges Herrschaftsgebiet aufgebaut, das nun bis an die Grenzen des Imperiums reichte. Grundlage seines Erfolgs war das exzellente Zusammenspiel von wendiger Reiterei und treffsicherem Pfeilschießen, wobei die Bogen in Material und Machart denen der Gegner deutlich überlegen waren. In offener Feldschlacht umzingelten die Hunnen ihre Gegner, überschütteten sie mit ihren Geschossen, zogen sich wieder zurück, um die zermürbten und erschöpften Gegner schließlich niederzumachen oder zur Aufgabe zu zwingen. Dieser Taktik hatten die Germanen wenig entgegenzusetzen. Spätestens 440 war jenseits von Karpaten und Kaspischem Meer eine militärische Großmacht entstanden. Kurzfristig schien
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+ + + Die Hunnen kommen + + + 43 + + + dies zumindest dem Westen des Imperiums sogar zu nutzen, da die Völker, die bis dahin vor den Hunnen geflohen waren, dies nun nicht mehr konnten und stattdessen gewaltsam in das Hunnenreich eingegliedert wurden. Doch die Reiterkrieger wussten sehr wohl um das in ihren Augen vor Schätzen überquellende Imperium. Dieses wiederum kannte die Kampfstärke der Reiter und warb diese oft und gern als Hilfstruppen an. Unter anderem mit der Folge, dass die hunnischen Söldner die Kampfweise des römischen Berufsheers ebenso kennenlernten wie die Schwierigkeiten, mit denen das Imperium zu kämpfen hatte. Zunächst begnügten sich die Hunnen noch damit, mit ihrer militärischen Stärke zu drohen, und erhielten als Geschenke verbrämte Zahlungen für ihr Stillhalten. Von 440 an glaubten die Hunnen jedoch, durch Eroberung und Plünderung mehr herausholen zu können als solche Goldund Silberzahlungen. Dafür stand ihr neuer Anführer Attila. Ihm gelang 442 mit der Eroberung von Naissus erstmals die Einnahme einer Stadt – vielleicht wurden dabei sogar Belagerungsmaschinen eingesetzt, die die Hunnen bei Heermeister Aëtius kennengelernt hatten. Der Friede, der nie mehr als ein Waffenstillstand war, wurde mit immer größeren Goldmengen erkauft. 447 zogen Attilas Horden durch die Schluchten des Balkans, plünderten, brandschatzten und schlugen nebenbei alle Römerheere, die ihnen vor die Pfeile kamen. Kurzzeitige Kampf- und Atempausen mussten die Oströmer mit schmählichen Abkommen und Gold erkaufen. 450 zeigte sich Attila gegenüber den überraschten oströmischen Unterhändlern konziliant und versicherte, dass er nun Frieden halten wolle. Das war vermutlich ernst gemeint, denn der Hunnenfürst war ein kühler Rechner. Die leicht zu erobernden Landstriche im Osten waren sämtlich ausgelaugt und jedes Plünderungsgutes nahezu bar – bei jedem weiteren Vordringen wäre das Kosten-Nutzen-Verhältnis unkalkulierbar gewesen. Gegen den Westen indessen, den er durch seine Söldner, aber auch durch Geiseln an seinem Hof gut kannte und als schwächlich einschätzte, wollte er vorgehen und deshalb Ruhe im Osten haben. Daran war auch der Kaiser in Konstantinopel interessiert, da so
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+ ++ 44 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + nicht er, sondern sein Mitherrscher im Westen mit der Hunnengefahr konfrontiert sein würde. Während Attila seine Heere sammelte, bereitete er den Vorstoß diplomatisch vor, indem er Unruhe stiftete. Den Weströmern versprach er, nur gegen die Goten vorzugehen, gleichzeitig schickte er Boten zu Geiserich und schlug einen Zweifrontenkrieg vor. 451 begann er seinen Feldzug – über Koblenz und Trier marschierte er in Gallien ein. Dem »letzten Römer« Aëtius aber gelang ein diplomatisches Meisterstück: Er vermochte nicht nur die ansonsten in Kleinkriege gegeneinander verzettelten italischen und gallischen Armeen Westroms zu einen, sondern auch die meisten germanischen Stämme, unter ihnen die kampfstarken Westgoten und Burgunden, für ein Bündnis zu gewinnen. Sie alle verband die Furcht vor Plünderungen und der bekannten Grausamkeit der »Gottesgeißel«. Auf den Katalaunischen Feldern kam es zur Schlacht, die von Zeitgenossen und späteren Chronisten zu einer welthistorischen gemacht wurde. Fast mythisch beschreibt sie der römisch-gotische Geschichtsschreiber Jordanes: Der Kampf wurde heftiger, verwirrend, monströs, unerbittlich – eine Schlacht, die in den alten Zeiten allen Berichten zufolge nicht ihresgleichen hat. Ein Bach, der zwischen niedrigen Ufern dahinfloss, war angeschwollen durch einen seltsamen Strom und wurde durch fließendes Blut zum Sturzbach. Jene, die durch ihre Wunden getrieben wurden, ihren brennenden Durst zu löschen, tranken Wasser, das mit Blut vermischt war. Nüchterner betrachtet, konnte das von Aëtius geführte Heer standhalten, und schon das war ein unerwarteter Erfolg. Attila war von dem Ergebnis so geschockt, dass er sich in sein Lager zurückzog und sogar an den Tod dachte. Man sagt aber, der König, der auch in der verzweifelten Lage seinen Mut und seine Stärke bis zuletzt bewahrte, schreibt Jordanes, habe aus Pferdesätteln einen Scheiterhaufen errichten lassen und, falls die Feinde eindringen sollten, sich in die Flammen stürzen wollen, damit niemand die Freude haben solle, ihn zu verwunden, oder er, der Beherrscher so vieler Völker, in die Hände seiner Feinde fiele. Doch bald wurde klar, dass der Kampf unentschieden geendet hatte. Aëtius konnte nicht nachsetzen, vor allem weil sein Bündnis schwächer wurde: Der Westgotenkönig
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+ + + Die Hunnen kommen + + + 45 + + + Theoderich war gefallen, und seine potenziellen Nachfolger stritten lieber um den Thron als mit den Hunnen. Diese fühlten sich für eine weitere Offensive zu schwach und zogen sich zurück – vorerst. Schon 452 wollte Attila Revanche und ins Herz Westroms, nach Italien, vorstoßen. Die Alpenfestung Aquileia hielt den Vormarsch lange auf, dann aber ging es zügig über Padua, Vicenza, Verona, Brescia und Bergamo voran. Nach der Eroberung von Mailand trat ihm Papst Leo I. persönlich entgegen, um ihn vom weiteren Vordringen abzuhalten, wie Jordanes berichtet: Danach ließ Attila alsbald ab von seiner gewohnten Wut und kehrte dahin zurück, von wo er gekommen war. Vermutlich hat den Hunnen die päpstliche Intervention weit weniger beeindruckt, als spätere Kirchenhistoriker und Hollywoodfilme uns glauben machen wollen. Die zermürbenden Kleinangriffe auf seine Truppen und vor allem den Nachschub durch das diesmal auch vom neuen oströmischen Kaiser unterstützte Heer des Aëtius machten dem Strategen Attila klar, dass er zu weit von seiner Basis entfernt war und dass es ihm an logistischer Unterstützung mangelte. Also blies er zum Rückzug, nicht ohne Oberitalien noch einmal kräftig zu plündern. Attilas Ruf als Eroberer und damit auch der seiner Hunnen war nun angeschlagen. Dennoch wollte er es im nächsten Jahr noch einmal versuchen. Doch bevor es dazu kommen konnte, starb Attila. Wie weithin üblich brachen nun erst einmal Nachfolgekämpfe aus. Dazu kamen weitere Probleme, wie der portugiesische Bischof Hydatius dankbar berichtet: Die Hunnen, die Italien ausgeplündert und auch viele Städte erstürmt hatten, sind von Gott mit vom Himmel herabgekommenen Katastrophen bestraft worden, mit Hungersnöten und verschiedenen Seuchen. Freilich, so verheerend die Angriffe Attilas gewesen waren und so schrecklich für die unmittelbar betroffene Bevölkerung, wirklich vernichtend waren sie weder für das Oströmische noch für das Weströmische Reich. Die Hunnen konnten verheeren, plündern und erpressen, für eine dauerhafte Eroberung war aber selbst ihre gewaltige Militärkraft zu gering. Viel bedeutender vor allem für Westrom war der Verlust der afrikanischen Provinzen
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+ ++ 46 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + und Spaniens, weil dadurch gewaltige Einnahmen und damit die Mittel für die Bezahlung der Armee fehlten. Doch wegen der Hunnengefahr musste die Rückeroberung Afrikas 440 erst einmal aufgeschoben werden – Aëtius konnte nicht gegen die Sueben in Spanien vorgehen und musste die Westgoten als Bündnispartner umwerben, statt sie in die ausgehandelten Grenzen zu zwingen. Das abtrünnige Britannien war ohnehin schon aus dem Blickfeld der Herrscher und Heermeister in Ravenna geraten. Wie 410 entsprach auch 452 die Stimmung nicht der tatsächlichen Lage, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Subjektiv sahen die Römer wieder optimistisch in die Zukunft: Der Barbarensturm war abgewehrt, wieder einmal hatte das Imperium allen Gefahren getrotzt, und – so sahen es zumindest die Prediger – das in Papst Leo I. verkörperte Christentum hatte über die Heiden triumphiert! In der rauen Wirklichkeit aber sah die Situation so aus: Das Westreich hatte ganz Britannien, weite Teile Spaniens und die ertragreichsten Provinzen Nordafrikas verloren, die Westgoten und Burgunden waren Herren wichtiger Regionen Galliens, und die Westrom verbliebenen Provinzen waren von den Kriegen mehr oder weniger mitgenommen und ausgeplündert. Was die Hunnen betrifft, gibt es zwei Paradoxe. So erscheint es als ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass das Reich, das zumindest indirekt den Untergang des Weströmischen Reiches bewirkt hat, eher zerfiel als dieses. Nach Attilas Tod begehrten die unterworfenen Völker auf, errangen Siege und ernteten Niederlagen gegen ihre zerstrittenen Herren, die noch einmal in Ostrom einfielen und 469 eine verheerende Niederlage erlitten. Aber auch ohne diesen Todesstoß war der Niedergang des Hunnenreiches in den beiden Rückzügen Attilas angelegt. Seine Macht gründete auf Eroberung, Plünderung und Tributen, und als dieser Kitt, der das Reich zusammenhielt, immer dünner wurde, verschwand die Hunnenherrschaft genau so schnell, wie sie entstanden war. So paradox wie folgerichtig war aber auch, dass mit dem Ende der Hunnengefahr die germanische Bedrohung wieder stärker wurde. Denn das Imperium und seine Verbündeten hatten mit der Niederschlagung der Hunnen auch deren Reich zerstört, das die bedrohten Grenzen wie ein Cordon sanitaire abgeschirmt hat-
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+ + + Die Hunnen kommen + + + 47 + + + te. Nun waren die Schleusen wieder offen. Zunächst manifestierte sich dies in Flüchtlingsströmen – die Verlierer der Nachfolgekämpfe im vormaligen Herrschaftsgebiet der Hunnen suchten Zuflucht. So kamen auch ein gewisser Odoaker und Teile seines Skirenstamms ins Reich, mit seinen Leuten wurde die schwächelnde Armee aufgefüllt, er selbst machte Karriere …
Zeit der Wirren und ein letztes Aufbäumen Mit dem Abflauen der Hunnengefahr sah Kaiser Valentian III., der sich nicht zu Unrecht als bloße Marionette und Galionsfigur des Aëtius sah, die Möglichkeit, sich von der schier allmächtigen Vaterfigur zu befreien. Er tat dies gemeinsam mit dem römischen Senator Petronius Maximus und seinem Privatkämmerer Heraclius auf die inzwischen üblich gewordene Weise: Bei einem Vortrag über Steuerfragen wurde Aëtius von den Verschwörern erdolcht. Valentinian setzte als Heermeister einen gewissen Avitus ein, bevor er nur sechs Wochen später ebenfalls einem Attentat zum Opfer fiel, woraufhin sich Petronius Maximus frohgemut zum Kaiser proklamieren ließ, sich dessen aber auch nur zweieinhalb Monate erfreuen konnte. Zur Legitimation verheiratete er seinen Sohn mit Valentinians Tochter Eudokia, die jedoch zuvor schon mit dem Sohn König Geiserichs verlobt worden war. Seine wirkliche oder auch nur gespielte Empörung nahm der Vandalenherrscher zum Anlass oder zum Vorwand, mit Schiffen und Truppen vor der Küste Roms zu erscheinen. Als Kaiser Petronius das sah, floh er aus der Stadt. Wütende Römer warfen Steine auf ihren feigen Möchtegern-Herrscher, der vom Pferd fiel und erschlagen wurde. Dann kamen die Vandalen und hausten in Rom »wie die Vandalen«. Inzwischen hatte sich Heermeister Avitus – er hat vor allem gallische Senatoren hinter sich – zum Kaiser proklamieren lassen. Er versicherte sich dabei der Unterstützung der Westgoten. Damit hatte das Westreich eine Grenze überschritten – erstmals mischten germanische Fürsten direkt bei der Thronvergabe mit. Die Heermeister der italischen Armee, Ricimer und Majorian, widersetzten sich gemeinsam dem neuen Kaiser. Sie besiegten ihn 456 und
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+ ++ 48 +++ Die hundert Jahre vor dem Ende + + + setzten ihn ab, worauf er unter ungeklärten bis merkwürdigen Umständen starb. 457 wurde Majorian – er kam aus einer alten römischen Soldatenfamilie – zum Kaiser ausgerufen. Sein Bündnispartner Ricimer war der stärkere von beiden – hinter ihm standen die großen germanischen Truppenkontingente –, aber eben kein waschechter Römer, sondern Enkel eines Westgotenkönigs und Sohn einer Suebenprinzessin. Unter Aëtius hatte er Karriere gemacht, war ein hoch qualifizierter Offizier, der nicht nur Ansehen in der Armee selbst genoss, sondern auch ausgezeichnete Verbindungen zu allen umliegenden Stämmen hatte, ob diese ins Reich »integriert« waren oder nicht. Als sich Ricimer 461 mit Majorian entzweite, war das Ergebnis klar: Ricimer ließ seinen Rivalen absetzen und fünf Tage später ermorden. Ein Grund dafür war das folgenschwere Scheitern Majorians bei dem Versuch, Afrika zurückzuerobern. Im Frühjahr 461 hatte er rund dreihundert Schiffe mit Truppen vor der spanischen Küste versammelt, um nach Mauretanien überzusetzen und gleichzeitig vandalische Stellungen in Sizilien anzugreifen. Doch Geiserichs Spione hatten den Flottenaufmarsch längst gemeldet – er ließ in einem Überraschungsangriff die Schiffe zerstören, womit die Invasion gescheitert war. Wieder einmal zeigte sich die Überheblichkeit römischer Militärs, die in taktische Fehler mündete. Auch ein gerissener »Barbar« wie der Vandalenherrscher verfügte über eine fähige Aufklärung und war sehr wohl in der Lage, mit Hilfe einheimischer afrikanischer Seeleute eine Flotte einzusetzen. Ricimer hatte nach Majorians Absetzung und Ermordung alle Hände voll zu tun, die Lage im verbliebenen Weströmischen Reich zu stabilisieren. Er regierte als eine Art Vizekaiser, wagte aber wie die Heermeister vor und nach ihm den Tabubruch nicht, sich als gebürtiger Barbar selbst inthronisieren zu lassen. Er setzte einen römischen Senator namens Libius Severus als Kaiser-Marionette ein. Dieser schwache Herrscher war aber für Ostrom nicht akzeptabel, auf dessen finanzielle und militärische Hilfe der Westen angewiesen war. So war Ricimer vermutlich erleichtert, als Severus – manche munkelten gar eines nicht natürlichen Todes – starb. In all diesen Wirren hatten die germanischen Stämme im
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+ + + Die Hunnen kommen + + + 49 + + + Reich ihre Positionen ausbauen können. Avitus ließ den Westgoten für ihre Unterstützung in Spanien freie Hand, Majorian erlaubte den Burgunden, aus ihrer Enklave auszubrechen und Städte an der Rhone einzunehmen, und Ricimer gab den Westgoten Stadt und Region Narbonne samt Steuereinnahmen.
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+ ++ 50 +++ Die Hunnen kommen + + +
++ + Das Ende des Weströmischen Reiches + + + Hundert Jahre zuvor war das Weströmische Reich ein wirtschaftlich blühendes, mit einer ausgezeichneten Infrastruktur versehenes und von einem professionellen Berufsheer geschütztes Land, das in der Größe seiner Bevölkerung und den finanziellen Ressourcen allerdings an seine Grenzen stieß. 465 war das Weströmische Reich nur noch ein Torso. In den Stürmen der Zeit war das, was seine Stabilität ausgemacht hatte, zerbröckelt – ein Koloss auf tönernen Füßen.
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+ + + Der Machtzuwachs der Heermeister + + + 51 + + +
Der Machtzuwachs der Heermeister Frühere Historiker haben für den Niedergang des Weströmischen Reiches eine Hauptursache, zumindest einen entscheidenden Faktor gesucht – heute wissen wir, dass dafür ein komplexes Zusammenspiel von inneren und äußeren Umständen gesorgt hat. Im vorhergehenden Kapitel wurde die Bedrohung von außen in den Vordergrund gestellt, zu Beginn dieses Kapitels werden einige innere Faktoren genauer beleuchtet. Das Imperium war und blieb eine Militärmonarchie – seit Augustus benötigten die Herrscher die Loyalität der Armee und der Armeeführung. Seit der Trennung von ziviler und militärischer Verwaltung waren die hohen Offiziere und ihre Truppenteile nur mehr dem Herrscher Gehorsam schuldig, nicht mehr politischen Instanzen wie dem Senat. Es entstand ein enges wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kaiser mit seiner wachsenden Hofbürokratie und der militärischen Elite. Ohne Letztere konnte der Herrscher sich nicht gegen innere und äußere Feinde durchsetzen, aber auch das Militär war auf Legitimation durch den Imperator und Augustus als Repräsentant des Reiches angewiesen. Dass allerdings das Kaisertum durch Machtkämpfe und Intrigen bis hin zu Putsch und Mord an Autorität verlor, kümmerte die Militärführung wenig. Für sie hieß es: Je schwächer die Kaiser, desto stärker die Armeespitze. Diese verkörperten die magistri militum, die Heermeister. Diese Oberbefehlshaber der Armee wurden angesichts der ständigen Bedrohung der Grenzen und der Gefahr von Invasionen immer wichtiger. In dieser Situation kam es vor allem im westlichen Teil des Imperiums zu einer bedeutenden strukturellen Veränderung – der zunehmenden Germanisierung des Heeres. Eine Folge dessen war, dass auch germanische Offiziere Karriere machen, sich auszeichnen und sogar Heermeister werden konnten. Sie wurden es auch wegen ihrer guten Beziehungen zu den verschiedenen Stämmen, die innerhalb und außerhalb des Imperiums siedelten, die sie leichter als Hilfstruppen anwerben, mit denen sie Abkommen aushandeln und vermitteln konnten.
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+ ++ 52 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + +
Die römische Armee in der Spätantike Wer Rom beherrschte, musste die Armee
Mit der seit dem 2. Jahrhundert wach-
beherrschen. Seit den Bürgerkriegen im
senden Bedrohung von außen änderte sich
1. Jahrhundert v. Chr. hatte sich diese
die Zusammensetzung der Armee allmäh-
Kontrolle verlagert: War es früher eine
lich. Hatten Augustus und seine Nachfolger
zivile Behörde, konkret der Senat gewe-
vor allem an der Grenze stationierte Legi-
sen, auf dessen Anweisung das Militär
onen, von denen sie bei Bedarf Kontingente
handeln musste, befahlen ihm nun Herr-
abzogen und zu den Kriegsschauplätzen
scher, die sich in der Nachfolge Caesars
schickten, legten spätere Kaiser immer
als Kaiser etabliert hatten. Im 1. Jahr-
mehr Wert auf ständig kampfbereite, mobi-
hundert n. Chr. gab es ein ständiges
le Truppen. Sie suchten auch die Nähe zu
Heer von einer viertel bis einer halben
den Brennpunkten des Geschehens, die
Million Soldaten – zur Hälfte Legionäre
sich an die Grenzen verlagerten, und ver-
und zur Hälfte Hilfstruppen, daneben
legten ihr Hauptquartier und ihren Lebens-
noch ein paar Prätorianer. Das war we-
mittelpunkt von Rom weg an diese Orte.
nig bei einer Gesamtbevölkerung von
Der Reichsteilung unter Diokletian
etwa fünfzig Millionen. Aber diese gut
folgte die Teilung in ein Ost- und ein West-
ausgebildeten und hoch professionellen
heer. Zugleich vergrößerte sich die Ge-
Truppen reichten aus, um die pax Roma-
samtzahl der Truppen, auch wenn sie
na aufrechtzuerhalten und die Grenzen
wohl nie viel mehr als eine halbe Million
zu schützen. Den Kern bildeten die Fuß-
Mann umfasste. Allerdings waren die Ver-
truppen, dazu gab es Bogenschützen,
luste durch die immer zahlreicheren
Schleuderer sowie Reiterei. Hochspe-
Konflikte in der Spätantike größer, das
zialisierte Kriegsmaschinen, die Feuer,
Heer musste mit weniger erfahrenen
schwere Pfeile und Steine schleuderten,
Kämpfern oder gar Söldnern von jenseits
kamen sowohl in Feldschlachten wie bei
der Grenze aufgestockt werden, womit
Belagerungen zum Einsatz.
eine geringere Kampfkraft einherging.
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+ + + Die römische Armee in der Spätantike + + + 53 + + +
Bedeutender noch war die veränderte
neten Legionäre wurden immer noch aus
Zusammensetzung des Heeres, denn je
Römern gebildet, also Menschen, die das
erfolgreicher Rom wurde, desto wehrmü-
Bürgerrecht besaßen. Als dies schwie-
der wurde seine Kernbevölkerung. Wa-
riger wurde – die Kriege und Krisen des
rum sollte man sein Leben – wenn jenes
3. und 4. Jahrhunderts forderten einen
als römischer Bürger durch Handel und
hohen Blutzoll und die Rekrutierung im
Wandel, aber auch durch Brot und Spiele
Inneren wurde immer mühsamer –, fiel
ganz andere Chancen bot – aufs Spiel
diese letzte Römern vorbehaltene Domä-
setzen? Zumindest der Dienst als einfa-
ne. So schritt die Germanisierung der
cher Soldat war nicht gerade erstrebens-
Armee schnell voran. Wenn die Kaiser
wert. Also nahm die Tendenz zu, andere
Gruppen von Barbaren die Ansiedlung im
in Dienst zu nehmen, die sich zudem in
Reich erlaubten, war dies meist mit der
großer Zahl anboten. Zunächst waren es
Verpflichtung verbunden, dass diese jun-
Bauernsöhne aus entfernteren Provin-
ge Männer für die Armee zu stellen hat-
zen, die so einem als elend empfundenen
ten. Entsprechende Verträge gab es auch
Leben entkommen wollten, bald aber
mit verbündeten Stämmen jenseits der
auch junge Männer von jenseits der Gren-
Grenzen. Ein wichtiger Schritt war auch,
zen, die der Sold und auch das Leben im
dass bald ganze Kampfverbände rekru-
gelobten Land lockte.
tiert und besoldet wurden, die ihrem un-
Erst stellte man die Barbaren nur für die Hilfstruppen ein, die schwerbewaff-
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mittelbaren Anführer näher standen als dem jeweiligen Oberkommandierenden.
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+ ++ 54 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + Weil die westlichen Kaiser nicht mehr über die Finanzmittel verfügten, ihre Armee ohne barbarische Blutauffrischung aufzustellen und ausreichend zu besolden, kam solchen Heermeistern immer größeres Gewicht zu. In deren Händen lag seit der Herrschaft Valentinians II. im Westen immer mehr Macht. So weigerte sich Heermeister Arbogast schlichtweg, seine von Valentinian II. beschlossene Entlassung anzuerkennen – vermutlich war er an der Ermordung des Herrschers 392 sogar beteiligt. Sein Nachfolger Stilicho wurde nun ganz offiziell »Erster Heermeister« und damit praktisch »Vizekaiser«. Um die Bedeutung des Amtes zu unterstreichen, erhielten die Heermeister den Ehrentitel patricius. Figuren wie Stilicho oder später Aëtius konnten nicht mehr abgesetzt, sondern nur ermordet werden. 456 kam mit Avitus sogar ein ehemaliger Heermeister auf den Thron. Bezeichnenderweise wurde er dann aber von seinen beiden eigenen Heermeistern Majorian und Ricimer abgesetzt. Ricimer setzte sich im folgenden Machtkampf durch. Als der germanische Heerführer 472 starb, hatte er drei Kaiser gestürzt – Avitus, Majorian und Anthemius – und zwei proklamiert – Libius Severus und Olybrius. All das zeigte, dass das Kaisertum immer mehr an Autorität verlor und die Loyalität gegenüber dem Herrscher in der Armee geringer wurde. Das scheinbar Undenkbare, der gänzliche Verzicht auf einen Kaiser zumindest im Westen rückte in den Bereich des Möglichen. Dafür spricht, dass nur vier Jahre später eine Senatorendelegation in Konstantinopel ganz ungeniert über diese Möglichkeit verhandelte.
Hofbürokratie, Senat und Großgrundbesitzer Für ein antikes Staatswesen hatte das Römische Reich eine höchst effektive, auf klaren Verordnungen beruhende Verwaltung. Soweit wir es heute beurteilen können, beruhte diese auf einem auch den damaligen Kommunikations- und Infrastrukturmöglichkeiten geschuldeten Subsidiaritätsprinzip: Alle Aufgaben wurden soweit als möglich von den kleineren Einheiten oder auf der untersten Ebene wahrgenommen. Das trug ganz wesentlich zur inneren Stärke und zugleich zur Romanisierung des Reiches bei.
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+ ++ Der Machtzuwachs der Heermeister + + + 55 + + + Städte und Regionen waren bis auf die Abgaben an die Zentrale weitgehend autonom, gegen kleinere militärische Übergriffe durch örtliche Kommandanturen und Garnisonslager geschützt und konnten sich – was allerdings immer schwieriger wurde – bei größeren Krisen und Kriegen auf die Zentrale verlassen. Hier zeigte sich in den letzten Jahrzehnten des Reiches eine Kehrseite des Systems: Die Kaiser und die zentrale Bürokratie versuchten der wachsenden Misere durch rigide Maßnahmen wie Zwangsaushebungen oder Bindung an Beruf und Scholle Herr zu werden. Sie hatten damit aber wenig bis keinen Erfolg, da dies von den regionalen Verwaltungen unterlaufen wurde. Trotzdem blieb das ganze System so flexibel und eingespielt, dass es sich nach einer Krise wie etwa der Einnahme Roms 410 schnell erholte. Dass es zu solchen Katastrophen kam, war natürlich auch menschlicher Unzulänglichkeit geschuldet. Manche Historiker haben den Niedergang Roms vor allem darauf zurückgeführt. So haben zur Niederlage von Adrianopel natürlich korrupte römische Beamte, die den hungernden Goten überteuerte und verdorbene Lebensmittel andrehten, beigetragen, weil so jede friedliche Lösung unmöglich wurde. Und der schon von zeitgenössischen Historikern geschmähte Kaiser Honorius war ein denkbar schlechter Verhandlungspartner für Gotenkönig Alarich. Dass sich zwei römische Heerführer in Afrika befehdeten als Geiserich kam, hat dem Imperium ebenso geschadet wie all die Kämpfe zwischen den Heermeistern, die Usurpatoren in Gallien und Britannien und die Morde und Intrigen am Kaiserhof. Menschliche Schwächen oder Unfähigkeit für das Ende des Weströmischen Reiches verantwortlich zu machen, hieße aber zu vergessen, dass derlei überall und zu jeder Zeit geschieht. Gerade in den Jahren seit Adrianopel 378 stand den Unfähigen und Intriganten eine Reihe höchst fähiger und tatkräftiger Männer gegenüber wie Theodosius, Arbogast, Stilicho, Flavius Constantius, Aëtius und nach 476 Odoaker oder Theoderich. So sehr man über ihre Methoden streiten kann, unstrittig sind bei allen auch von ihnen begangenen Fehlern ihre Leistungen auf politischem und militärischem Gebiet. Jedoch wären all ihre oft erstaunlichen
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+ ++ 56 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + Erfolge nicht möglich gewesen, hätten sie sich nicht auf eine robuste und sich schnell erholende Wirtschaft, eine eingespielte Zivilverwaltung und einen professionellen Militärapparat stützen können. Der gut geschmierte Apparat erlaubte Politik, Militär und Bürokratie aber auch, sich immer mehr von den eigentlichen Aufgaben zu entfernen. Ähnlich wie heute wurden für die »politische Klasse« Intrigen und Machtspiele wichtiger als die Auseinandersetzung mit der rauen Wirklichkeit, die oft erst dann durchdrang, wenn Barbaren oder unbezahlte eigene Truppen an die Tore der Hauptstadt klopften oder die Kassen wieder einmal gänzlich leer waren. Kaum aber war die letzte Katastrophe gemeistert, stürzte sich der Hof erneut in das Kaiser-Hofkämmerer-HeermeisterWechselspiel, wurden Fraktionen gebildet und Intrigen eingefädelt. Das politische Parkett wurde zu einer Scheinwelt, zu einer von den wirklichen Schwierigkeiten immer weiter entfernten Inszenierung. Gestützt wurde dies durch immer größeren Pomp, das immer aufwändiger gewordene sprichwörtliche »byzantinische Hofprotokoll«, zu dem es eben auch gehörte, in hochtönenden Phrasen die Realität schönzufärben. Zugeständnisse und Niederlagen wurden da als huldvolle Gesten des Herrschers verbrämt, und vielleicht glaubte manch hoher Beamter lieber dem glänzenden Schein als der unbequemen Wirklichkeit. Die Heermeister, die sich zumindest mit den militärischen Fakten auseinandersetzen mussten, waren Teil dieses Spiels. Denn sie benötigten neben der Unterstützung ihrer Truppen auch Legitimation seitens der Politik. Genau hier kam im 5. Jahrhundert der Senat wieder zum Zuge. In Rom – inzwischen de facto nicht mehr Hauptstadt – war er natürlich noch das bestimmende Gremium, als Legislative und Entscheidungsinstrument für das Gesamtreich hatte er seit der Transformation der Republik zum Imperium faktisch kaum noch Bedeutung. Der Senat hatte keine klar definierten Rechte – wenn er etwas entschied, bedurfte es der Zustimmung des Kaisers. War dieser allerdings – wie bei den letzten Kaisern im Regelfall – schwach, erhöhte sich der Spielraum des Senats, der personell die großen Familien des Imperiums mit reichem Grundbesitz repräsentierte. Gerade in den letzten Jahr-
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+ + + Der Machtzuwachs der Heermeister + + + 57 + + + zehnten des Weströmischen Reiches konnte der Senat seinen Einfluss wieder stärken, weil seine Zustimmung die Wahl des Imperators in den Augen der Öffentlichkeit legitimierte – bei einer durch die Ereignisse verunsicherten Bevölkerung war das durchaus wichtig. Die Kaiser ihrerseits stärkten den Senat, weil er ein Gegengewicht zum übermächtigen Militär und seinem Heermeister bilden sollte. Zudem erhofften sie vom Senat Vorschläge zur Lösung innenpolitischer Schwierigkeiten, die sich mit dem Schwert allein kaum beheben ließen. Für ihre Loyalität erwarteten die Senatoren vom Kaiser, dass er ihnen Besitz, Prestige und eine in ihren Augen adäquate Ämterlaufbahn ermöglichte. All dies war spätestens seit den Wirren um 450 nicht mehr möglich – der Senat intrigierte im Bunde mit Heermeistern und oströmischen Diplomaten oft gegen den Kaiser. Die letzte, wohl lange kaum für möglich gehaltene Konsequenz war dann vielleicht das Gefühl, dass ein weströmischer Kaiser eigentlich höchst überflüssig sei. Die großen Familien mischten aber nicht nur via Senat im Machtspiel mit. Sie waren als Großgrundbesitzer am Wohlergehen der Regionen und Städte interessiert, in denen sie Ländereien besaßen. Sie unterstützten also auch Heermeister, von denen sie sich konkrete Hilfe erwarteten, wie etwa die gallischen Senatoren ihren »Landsmann« Avitus. Um Besitz und Einfluss zu retten, bestand auch die Tendenz, sich nolens volens mit den potenziellen oder gar faktischen neuen Machthabern in ihrem Gebiet, den germanischen Stämmen, zu arrangieren. Damit schloss sich der Kreis zur provinziellen Bürokratie. Auch bei denen, die sich um das konkrete Wohl und Wehe, ja das nackte Überleben ihrer Bürger zu kümmern hatten, wuchs die Neigung, statt aussichtslosem Kampf, Plünderung und Vergewaltigung den jeweiligen Eroberern ein Bündnis oder eine einigermaßen moderat verlaufende Unterwerfung anzubieten und sie zu neuen Schutzherren zu machen. Der römische Verwaltungsapparat blieb dabei teilweise erhalten, wodurch eine gewisse Kontinuität in Organisation, Wirtschaft und Kultur in Zeiten großen Umbruchs gegeben war.
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+ ++ 58 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + +
Das Bewusstsein von der Krise Vermutlich haben die Menschen in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts die Krisensymptome gespürt, ohne sich über die Tragweite der Entwicklung im Klaren zu sein. Die Niederlage von Adrianopel galt vielen als Mahnzeichen. Doch Krisen hatte das Imperium schon viele erlebt. Die Plünderung Roms durch Alarichs Goten galt schon eher als Menetekel, dass der pars occidentis, der Westen des Imperiums, in großer Gefahr sei. Die ständigen Schwierigkeiten mit den Barbaren zermürbten die Menschen, und im Auftauchen der Hunnen sahen viele das Ende des Reiches, manche Christen sogar die Endzeit vor dem Jüngsten Gericht gekommen. Umgekehrt wurden die Rückzüge Attilas und der Tod der »Gottesgeißel« mit fast überschäumender Freude aufgenommen in der Hoffnung, das Imperium habe das Schlimmste überstanden und werde sich – wenn auch gewandelt – in alter Größe wieder erheben. Vermutlich war für die allermeisten Menschen das Überleben des Imperiums ein sehr fernes, abstraktes Phänomen – ihnen ging es um das eigene Überleben, das Überleben ihrer Stadt, ihrer Region. Und da dachten sie in solch hektischen Krisenzeiten nur in kurzen Fristen, waren pragmatisch und zu allen möglichen Kniffen und Kompromissen bereit. Das dreihundert Jahre lang verbindende Bewusstsein, das zu einer die Regionen übergreifenden, sinnstiftenden Identität wurde, Teil der Romanitas zu sein – innen von einer gemeinsamen Rechtsordnung getragen und nach außen von starken Grenztruppen geschützt –, jener Stolz gerade auch der eroberten und inzwischen gut integrierten Völker, »Römer« zu sein und in geordneten Verhältnissen und zumindest in relativem Wohlstand zu leben –, dieses reichsumspannende Band wurde fadenscheinig und vielleicht erst wieder bewusst, als der Fall des Imperiums Tatsache war, und grub sich als Sehnsucht nach einer glorreichen, vielleicht auch nur guten alten Zeit in das historische Bewusstsein der Völker ein. Dafür sorgten schon die Dichter und Denker jener Zeit, die versuchten, die Geschehnisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Die Deutungsmuster waren freilich verschieden, je nachdem, ob es sich um Heiden oder Christen, um Optimisten
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+ ++ Der Machtzuwachs der Heermeister + + + 59 + + + oder Pessimisten handelte. Schon in der Blütezeit Roms hatte Quintilian mit dem bald sprichwörtlichen Deficit omne quod nascitur – »Alles was entsteht, vergeht auch« – auf das Ende des Reiches hingewiesen. Livius hatte auf seine eigene Zeit gemünzt geschrieben, dass auch große Reiche sterben, wenn sie mit sich selbst uneins werden. Angesichts der ständigen inneren Kämpfe schien für viele Zeitgenossen diese Endzeit gekommen. Für viele Kirchenväter handelte es sich ohnehin um eine »Endzeit«, sie erwarteten Apokalypse und Jüngstes Gericht. Optimisten klammerten sich an die Idee vom Ewigen Rom, Roma aeterna, das auch diese Krise überstehen und sich zu neuer Größe erheben werde. Hatte sich die frühchristliche Kirche noch in den ultimis diebus, in den letzten Tagen vor dem Jüngsten Gericht gewähnt, änderten immer mehr christliche Autoren ihre Meinung, seit ihr Glaube zur Staatsreligion geworden war. Ein neues Rom sei im Entstehen – eines im Himmel, eines auf Erden –, und dieses irdische Reich werde zumindest bis zum Ende der irdischen Welt und dem Beginn des Jüngsten Gerichts als letztes großes Reich bestehen. Dieser Gedanke wird überleben, das Frankenreich etwa wird sich als Nachfolger des Imperium Romanum begreifen. Die christliche Kirche wird diesen Übergang vom alten Reich in die Nachfolgestaaten theologisch legitimieren.
Die Rolle der Kirche In den vier Jahrhunderten seines Bestehens hatte das Christentum eine geradezu atemberaubende Entwicklung genommen und war zu einem bedeutenden Machtfaktor geworden. Es hatte sich schnell und in allen Schichten ausgebreitet. Das Evangelium, die »frohe Botschaft« mit dem Gebot der Nächstenliebe im Mittelpunkt, verbunden mit der Verheißung der Auferstehung und des ewigen Lebens, sprach Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete an. Die Anziehungskraft war auch deshalb groß, weil die Anhänger dieser Religion nicht nur Lippenbekenntnisse abgaben, sondern für Arme und Kranke sorgten und sogar bereit waren, für ihren Glauben zu sterben. All dies war nichts Neues, auch früher
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+ ++ 60 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + hatte es Märtyrer gegeben, Priester, die sich um die Armen kümmerten oder Propheten, die ein besseres Jenseits versprachen, aber in seiner einzigartigen Kombination verschiedener Überlieferungen fand die neue Religion umso mehr Anklang, je mehr Schwierigkeiten sich im Reich zeigten. Im Verlaufe dieses Prozesses änderten sich auch die Ansichten von Theologen und Kirchenvätern zum Imperium und seiner Rolle. Wurde es anfangs noch mit der »großen Hure Babylon« verglichen und sein alsbaldiges Ende durch Feuer und Schwert als Vorspiel zum Jüngsten Gericht erwartet, gab es bald auch positive Varianten: Jesus wurde als der himmlische, Augustus als der irdische Friedensfürst bezeichnet, immer mehr wurde auch ein erneuertes, christliches Rom als letztes großes Reich auf Erden für möglich gehalten und propagiert. Auch zeigte sich, dass römisches Staatsverständnis und christliche Religion nicht unvereinbar waren, zumindest Letztere erwies sich als anpassungsfähig. Hatte Jesus selbst nicht gesagt: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ...« (Markus 12,17)? Und auch wenn er die Armen und die Sünder als Brüder bezeichnet hatte, zu Aufstand und Revolte hatte er sie nicht aufgerufen. Vielmehr betonte die Kanonisierung und Auslegung des nunmehr schriftlich fixierten Evangeliums, dass das Leben im »irdischen Jammertal« eine Prüfung sei, bei der sich jeder Mensch auf dem Platz, an den ihn Gott gestellt hat, auch im Leid bewähren könne, um sich die ewige Seligkeit zu verdienen. Gab es in den ersten Jahrhunderten der neuen Religion noch viele Stimmen, die den Wehrdienst für problematisch, ja unchristlich hielten, so erläuterten Kirchenväter wie Augustinus später, dass Jesus und Paulus sich nicht generell gegen das Soldatentum ausgesprochen hätten, dass Liebe und Strenge sich nicht ausschlössen, auch wenn es dazu manchmal das Schwert brauche. Langsam, aber sicher setzte sich auch hier die Auffassung vom »gerechten Krieg« durch, der freilich von einem christlichen Herrscher durchgeführt und von der Kirche legitimiert werden müsse. Ein wirkliches Problem zwischen Kaiser und Staat war lange Zeit das »Kaiseropfer«, das von den Christen als Götzendienst verstanden wurde, da es ja einem vergöttlichten Herrscher dar-
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+ ++ Der Machtzuwachs der Heermeister + + + 61 + + + gebracht wurde. Die Verweigerung dieser Loyalitätsgeste wurde Grundlage für die letzten Christenverfolgungen unter Diokletian. Aber schon seine Nachfolger beugten sich der Macht des Faktischen, fanden andere Demutsgesten, mit denen christliche Legionäre und Beamte gut leben konnten, deren Dienste die Imperatoren je länger je mehr benötigten. Dass Theodosius das Christentum zur Staatsreligion erhob, um damit dem Reich ein zusätzliches, identitätsstiftendes Korsett zu verpassen, war nur eine logische Folge. Die christliche Kirche war zwar noch nicht zu einem Staat im Staate geworden, aber doch zu einer gut organisierten Institution. Den Laien stand ein Klerus aus Berufspriestern gegenüber, an dessen Spitze in jeder Stadt vor allem im Osten des Reiches ein Bischof stand. Im Westen waren die Sprengel zunächst größer. Die nächste Hierarchieebene bildeten die Metropoliten, die Bischöfe der Provinzhauptstädte, wobei jene aus Alexandria, später Konstantinopel, und Rom eine Sonderstellung beanspruchten und bald auch durchsetzten. Spätestens seit dem Aufstieg zur Staatsreligion wurde die christliche Kirche durch Schenkungen wohlhabender Privatleute, aber auch der kaiserlichen Familie reich – vermutlich war sie am Ende des Weströmischen Reiches nach den Staatsbetrieben der zweitgrößte Grundbesitzer. Im Westteil des Imperiums nahm die Kirche eine besondere Stellung ein. Während sich in Konstantinopel Patriarch und Kaiser am gleichen Ort befanden und der weltliche Herrscher Konflikte meist zu seinen Gunsten lösen konnte – und sei es mit Gewalt –, residierte der Papst in Rom allein. Seinen Führungsanspruch innerhalb der Christenheit begründete er damit, dass er legitimer Nachfolger des von Jesus selbst mit der Kirchenführung beauftragten Apostels Petrus sei, und er übernahm neben der geistlichen zunehmend auch die weltliche Führung des Ewigen Roms. Im Jahr 492, nicht einmal zwanzig Jahre nach dem offiziellen Ende des westlichen Kaisertums, sprach Papst Gelasius erstmals davon, dass es auch auf Erden zwei Gewalten gebe, die des Königs und die des Pontifex – diese altrömische Bezeichnung hatten die Päpste für sich übernommen. Der Kirche wurde am Beginn der modernen Diskussion um das Ende des Weströmischen Reiches viel Schuld am Fall des Im-
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+ ++ 62 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + periums zugewiesen. Edward Gibbons etwa meinte: »Die Geistlichkeit verkündete mit Erfolg die Lehre der Geduld und des Kleinmutes, die Tatkraft der Gesellschaft wurde entmutigt, und die letzten Reste soldatischen Geistes wurden in den Klöstern begraben.« Für diese Vermutung gibt es ebenso wenig Beweise wie dafür, »dass die Aufmerksamkeit der Kaiser von den Feldlagern auf Synoden abgelenkt« wurde. Kaiser und Hofstaat ließen sich von ganz anderen Dingen als der Religion ablenken und die Bürger den Mut nicht wegen christlicher Prediger sinken. Gibbons erweist sich hier als Fortsetzer der dem alten Glauben verhafteten Kritiker, die die Schwäche Roms der neuen Religion zuschoben. Und auch der Vorwurf, dass »ein beträchtlicher Teil des öffentlichen und des privaten Besitzes den scheinbaren Erfordernissen der Barmherzigkeit und der Frömmigkeit dargebracht« wurde, sticht kaum angesichts der Tatsache, dass Adel und staatliche Stellen auch zuvor schon viel Geld für Tempel, Opfer und vor allem den eigenen Prunk ausgegeben hatten. Dass es tatsächlich eine Umorientierung vom »Diesseits« – etwa durch Vernachlässigung staatsbürgerlicher Pflichten wie Ämterlaufbahn oder Wehrdienst – in Richtung auf das himmlische »Jenseits« gegeben hat, scheint eher unwahrscheinlich. Zumindest gab es ja auch durchaus »positive« Aspekte im Christentum: mehr Menschlichkeit, mehr Einbezug der Unterschichten und eine neue Staatsreligion als zusätzliches Korsett angesichts brüchiger werdender alter Wertvorstellungen. In der Regel kamen Imperium und Kirche gut miteinander aus. Mehr noch, die von den Kirchenvätern inspirierten Predigten stützten das Reich, ganz gleich, ob sie Schwierigkeiten als Heimsuchung Gottes wegen des Sittenverfalls darstellten oder die Vision des Imperium Romanum Sanctum mit dem Kaiser als Stellvertreter Gottes auf Erden propagierten. Die kaiserliche Verwaltung schuf die rechtlichen Voraussetzungen für die Integration der Kirche in das Reich: Die Einteilung der Diözesen folgte jener der Provinzen, Städte und Stadtbezirke. Kurzum: Die Kirche fügte sich vortrefflich in die spätantike Bürokratie ein. Erwähnt werden muss auch, dass die meisten der eindringenden Germanen Christen waren, wenn auch nicht katholischer Ausrichtung. Viel-
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+ ++ Der Machtzuwachs der Heermeister + + + 63 + + + leicht hat dies die Konflikte gelegentlich gemildert – etwa bei der »humanen« Plünderung Roms im Jahre 410, als Alarich und seine arianischen Westgoten den Bürgern Kirchen als sichere Zuflucht boten.
Die Schwierigkeiten der spätantiken Wirtschaft Ihre Hochblüte hatte die römische Ökonomie im 1. und 2. Jahrhundert erlebt. Mit einer für damalige Verhältnisse intensiven Landwirtschaft wurden Städte und Heer versorgt, Massengüter wie Keramik und Waffen in großen Betrieben erzeugt und dank der entwickelten Infrastruktur weit verbreitet. Während sich die Art zu produzieren in der Spätantike wenig änderte, so doch die Umstände. Angesichts wachsender Bedrohungen von außen musste auf jeden Fall die Versorgung der Armee sichergestellt werden, ebenso galt es, genügend Nahrungsmittel für die Großstädte zu Verfügung zu stellen, deren soziale Stabilität bei jeder Hungerkrise gefährdet war. Zudem wurde in Stadt und Land die Schere zwischen Arm und Reich größer. All diese Gefahren suchte die spätantike Bürokratie durch Verordnungen einzudämmen. Eine schleichende, aber gravierende Entwicklung war, dass es immer weniger freie Bauern gab, von denen immer mehr gesetzlich an die Scholle gebunden wurden. Stattdessen wurde die Nahrungsmittelproduktion zunehmend von den Großgrundbesitzern bestimmt, deren Land Kolonen, abhängige Bauern, bestellten. Auch Sklaven arbeiteten dort; ihr Anteil wird jedoch meist überschätzt, sie machten höchstens ein Viertel aus, und ihre Zahl ging zurück. Auf solchen Gütern wurden auch Handwerker angestellt, oft der Keim späterer Dörfer. Vielleicht haben auch Steuerdruck und immer neue Vorschriften viele Menschen dazu getrieben, sich in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern zu begeben. Am meisten Land besaßen die Staatsbetriebe und die kaiserliche Familie sowie später die Kirchen, aber auch die alteingesessenen Senatorenfamilien. All diese Güter wurden immer mehr durch Verwalter oder Pächter bewirtschaftet. Bei allen Gewerben, die nach Ansicht der Bürokratie wichtig für die Versorgung waren, wurde ein Erbgang vom Vater auf den
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+ ++ 64 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + Sohn eingeführt, etwa für Metzger oder Müller. Waffen und Kleider für die Armee wurden in Staatsbetrieben produziert. Diese Verordnungen sorgten für soziale Spannungen, die der Staat durch Privilegien, Subventionen oder Steuererleichterungen für die Betroffenen abzumildern suchte. Das wiederum verlangte Geld – doch woher sollte man es nehmen? Verlorene Provinzen bedeuteten verlorene Steuereinnahmen; geplünderte und vom Krieg verwüstete Gebiete benötigten Subventionen und Steuererlasse; weniger Handel hieß weniger Steuern auf Waren. Kurz: Die Staatskassen waren leer, Reserven kaum vorhanden. Valentinian III. ließ den Feingehalt des Goldes in neugeprägten Münzen von 99 auf 95 Prozent senken – den erhöhten Münzgewinn strich der Fiskus ein. Zudem erließ er eine neue Steuer auf alle An- und Verkäufe, was – so genau wissen wir es nicht – die Einnahmen vermutlich geringfügig erhöhte, die Schattenwirtschaft dagegen deutlich verstärkte. Das Problem war vor allem: Kann man Steuern eintreiben, wenn alles drunter und drüber geht? Erstaunlicherweise ging das bis 460/65 offenbar irgendwie und immer wieder. Dank der etablierten regionalen Verwaltungsstrukturen erholten sich die einzelnen Städte relativ schnell und führten auch Geld an die Zentrale ab – nicht genug, aber immerhin. Die Legionäre erhielten dann ihren Sold, wenn auch manchmal verspätet. Hinzu kamen gelegentliche Siege über die Barbaren, die etwas Gold in die Kassen spülten, sei es durch Tributzahlungen, die Rückeroberung von geplünderten Gütern oder den Verkauf der Besiegten in die Sklaverei. Wahrscheinlich hatte sich Anfang der 460er-Jahre die Lage der Staatskasse verbessert, weil Maßnahmen gegen Korruption und Schattenwirtschaft griffen und die zuvor durch Steuererlasse angekurbelte Wirtschaft wieder mehr Geld einbrachte. Zudem wurde der Goldgehalt in den Münzen nochmals auf nunmehr 93 Prozent gesenkt. Dass überhaupt eine gewisse wirtschaftliche Erholung möglich war, hatte auch mit den technischen Neuerungen der Spätantike zu tun. Auf dem Land gab es immer mehr Wassermühlen; durch den Einsatz des Kummets als Geschirr für Zugtiere wurde die Produktion erhöht, vermutlich auch durch den Ersatz von Sklaven in der Landwirtschaft durch schollengebundene Hörige.
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+ + + Die unterschiedliche Entwicklung Ost- und Westroms + + + 65 + + + Im Bereich des Handwerks entwickelte sich die Seidenverarbeitung, und nicht zuletzt wurden – ein Segen für die Bürokratie – die Buchrollen durch Codices ersetzt. So anpassungsfähig sich die Wirtschaft auch erwies, grundsätzlich befand sich der weströmische Staat in einem Teufelskreis: Die territorialen Verluste und Plünderungen führten zu gravierenden Einnahmeverlusten. Dieses Geld wäre für militärische Maßnahmen, die bei einem sich in der Defensive befindenden Reich auch taktische Offensiven, sprich Rückeroberungen und Gebietssicherungen, ermöglichten, notwendig gewesen. Diese finanziellen Möglichkeiten hatte das Westreich spätestens seit Mitte des 5. Jahrhunderts nicht mehr. Und Ostrom?
Die unterschiedliche Entwicklung Ost- und Westroms Seit der verwaltungstechnischen Trennung hatte sich der oströmische Teil zum dominierenden entwickelt. Die Hofbürokratie Konstantinopels entwickelte sich trotz oder gerade wegen der Persergefahr zu einer immer effizienteren Behörde, die aus finanzstarken, vergleichsweise friedlichen Provinzen hohe Steuereinnahmen verbuchen konnte. Je mehr die Kaiser des Westens in die Abhängigkeit ihrer Heermeister gerieten und ihr Reich von Intrigen und Thronwirren erschüttert wurde, umso mehr fühlten sich die Herrscher des Ostreichs als Primus inter Pares und bemüßigt, Einfluss auf das Geschehen bei den minderen Brüdern zu nehmen. Zunächst war allerdings eher der Osten gefordert. Die Niederlage bei Adrianopel, die Kriege gegen die Goten waren neben der immer wieder aufflammenden Persergefahr eine ständige Herausforderung, die Konstantinopel finanziell und militärisch viel abverlangte, die es aber bewältigte. Erst die Hunnengefahr zeigte Grenzen auf: Zunächst suchte man die wilden Reiter durch immer höhere Tribute abzuhalten, dann vergeblich mit militärischen Mitteln, und schließlich nahm man es zumindest billigend in Kauf,
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+ ++ 66 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + dass sich Attila von Ostrom ab- und Westrom zuwandte. Das hieß freilich nicht, dass man den Westen dem Ansturm der Barbaren hilflos aussetzen wollte, gleichzeitig bot man um des größeren Einflusses willen diplomatische, aber auch – wenn das um 450 auch nur in geringem Maße möglich war – finanzielle und militärische Hilfe an. Immerhin pflegte man ja auch die verwandtschaftlichen Beziehungen – die langjährige Regentin Galla Placidia war eine oströmische Prinzessin, Theodosius II. war ein Cousin Valentians III. Der Westen hatte die Hilfe aus Konstantinopel verzweifelt nötig. Denn spätestens ab Mitte des 5. Jahrhunderts schien es, als sei der Zerfall des bis dahin zusammenhängenden westlichen Teils des Imperiums nicht mehr aufzuhalten. Da gab es die hausgemachten Sezessionisten: 454 machte sich in Dalmatien der weströmische Feldherr Marcellus selbständig – die Zentrale hatte keine Möglichkeit, darauf zu reagieren. Zwei Jahre später sagte sich die gallische Oberschicht von Westrom los, weil »ihr« Kaiser Avitus abgesetzt wurde. Der Aufstand konnte immerhin nach zwei Jahren niedergeschlagen werden. Erfolgreicher war 461 Aegidius, Oberkommandierender der gallischen Armeen und Freund des abgesetzten Majorian: Er und später sein Sohn Sygarius beherrschten einen Teil Mittel- und Nordgalliens, der später in Chlodwigs Frankenreich aufging. Britannien war für Rom inzwischen sowieso Niemandsland geworden. Im übrigen Gallien, wo in den Streitkräften ohnehin Burgunden und Goten dominierten, suchte der Westgotenkönig Eurich – zum Teil mit den, zum Teil gegen die Vandalen – sein eigenes unabhängiges Reich zu schaffen. Das Ergebnis war ein kleines westgotisches Gebiet in Spanien und ein größeres in Südfrankreich. Gerade dort stemmten sich viele vornehme Römer gegen diese Entwicklung – zum Teil zahlten sie sogar eine Privattruppe aus eigener Tasche. Als dies wenig an der Entwicklung änderte, versuchte sich die römische Oberschicht mit den Germanen zu arrangieren, auch wenn sie dafür zunächst als »Verräter« beschimpft wurde. 475 schloss Kaiser Julius Nepos sogar einen Vertrag mit den Goten unter König Eurich, indem diese nicht mehr nur als Bündnispartner, foederati, sondern auch als amici, als Freunde des
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+ + + Die unterschiedliche Entwicklung Ost- und Westroms + + + 67 + + + Kaisers firmierten – ihr zusammengeraubter Besitz in Spanien und Gallien wurde anerkannt. So entstand ein westgotisches Reich mit römischen Zügen, in dem die Goten Verwaltung und Recht weitgehend übernahmen, ja sogar einige Sitten der römischen Oberschicht. Für die alten römischen Eliten war diese Art der Verschmelzung mit Sicherheit das beste Arrangement. Wohl am gravierendsten war der Verlust der nordafrikanischen Provinzen an die Vandalen, die nach ihren Erfahrungen in Spanien auf ein eigenständiges Reich aus waren und keine auch nur formelle Einbindung ins Imperium anstrebten. Nach dem Vertrag von 442 weiteten sie ihr Einflussgebiet – die jeweiligen Wirren des Westreichs nutzend – systematisch aus, schufen Stützpunkte in Sizilien und plünderten 455 sogar Rom. Alle Anstrengungen, die Vandalen zu vertreiben, scheiterten schon im Ansatz. Besonders wichtig für die Zentrale war noch Noricum, die Hügelzone zwischen Voralpen und Niederösterreich. Hier ging es um die für das Militär, aber auch für den Fernhandel wichtigen Alpenpässe. Alle römischen Administrationen suchten zumindest Teile der Provinz zu halten. Wie wichtig sie das nahmen, zeigt sich daran, dass der Sold bis Anfang der 470er-Jahre mehr oder weniger regelmäßig gezahlt wurde; erst nach 475 blieben die Zahlungen aus. Wenig später eroberten die Rugier das Land. Fazit: Schon um 465 herrschte Westrom nur über Italien und über Teile Galliens, im Wesentlichen die heutige Provence.
Die letzten Jahre des Weströmischen Reiches Das war die Lage, als der vom magister militum Ricimer als Marionette eingesetzte Kaiser Libius Severus 465 starb. Ohne die Hilfe Ostroms, das sah der Heermeister zu seinem Missvergnügen ein, war das Reich nicht mehr zu halten. Also ließ er sich nach einem 17-monatigen Interregnum auf einen Kompromiss ein. Auf Vorschlag Kaiser Leos wurde 467 der oströmische General Anthemius zum Imperator des Westens proklamiert. Wichtiger als der neue Herrscher war das Gold, das er mitbrachte und mit dem Männer für das Heer angeworben werden konnten. Mit den verstärkten Legionen gelang es, die Herrschaft über Südgallien zumindest no-
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+ ++ 68 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + minell wiederzuerlangen. Entscheidend aber – und darin waren sich beide Teile des Imperiums einig, deshalb auch das starke finanzielle Engagement Ostroms – war die Wiedergewinnung Nordafrikas. So rüsteten Leo und Anthemius mit der gewaltigen Summe von 120 000 Pfund Gold eine riesige Flotte aus. 468 stach diese Armada mit mehr als tausend Schiffen und rund 50 000 Mann an Bord in See und ankerte sechzig Kilometer entfernt von Karthago an der tunesischen Küste. Das Unternehmen endete in einem Fiasko: Die Vandalen wussten um die Gefahr und hatten nicht einmal Spione nötig, denn die Römer segelten in einer Mischung aus Überheblichkeit und Dummheit direkt Richtung Karthago. Sie verzichteten damit auf das Überraschungsmoment. Vielleicht hielten sie die Vandalen für schlechte Seefahrer – womit sie wohl recht hatten. Doch dank der Verpflichtung geübter einheimischer Kapitäne und Matrosen hatten die Germanen eine wenn auch kleine, so doch schlagkräftige Flotte, die die Römer durch überfallartige Angriffe in Nervosität versetzte. Als die Winde drehten, setzten die Vandalen Brander ein. Sie legten Feuer an die Boote, die sie selbst beigeholt hatten, und ließen sie mit geschwellten Segeln auf die römische Flotte zutreiben. Wo diese Fahrzeuge auftrafen, lagen Schiffe in großer Zahl beieinander, die Beute der Flammen wurden, berichtet der oströmische Historiker Prokop. Das Ergebnis war verzweifelte Panik. Soldaten und Seeleute riefen einander Befehle zu und versuchten mit Ruderstangen, die Brander und die eigenen Schiffe voneinander zu trennen, was zu einem wilden Getümmel führte. Und dann waren auch schon die Vandalen zur Stelle … Die Römer wehrten sich tapfer, doch letztlich vergebens. Mit den verbliebenen Männern war weder eine Landung noch eine Invasion möglich. So vereitelte eine Kombination aus widrigen Winden und taktischer Überheblichkeit den wohl erfolgversprechendsten und zugleich letzten gemeinsamen ost- und weströmischen Versuch, die ertragreichen Provinzen zurückzugewinnen. Nun war auch der Hauptgrund dafür entfallen, dass der weströmische Heermeister Ricimer einen oströmischen General auf dem Thron geduldet hatte. Und da der magister militum schon vorher wenig Begeisterung gezeigt hatte, Männer und Gold für in
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+ + + Die unterschiedliche Entwicklung Ost- und Westroms + + + 69 + + + seinen Augen wenig erfolgversprechende Rückeroberungen einzusetzen, wuchsen die Spannungen zwischen beiden und entwickelten sich zu Machtkampf und Bürgerkrieg. Am Ende tötete Ricimers Neffe Gundobad, ein Burgundenfürst, Mitte 472 den Kaiser. Wenig später starb der mächtige Heermeister und Kaisermacher eines unerwarteten, aber natürlichen Todes. Gundobad übernahm sein Amt und setzte 473 den Römer Glycerius als Kaiser ein. Nur ein Jahr später verließ Gundobad das Imperium – er war ein burgundischer Prinz und wollte lieber König der Burgunden werden als starker Mann in einem schwachen Reich … Ohne die Unterstützung eines Heermeisters war Kaiser Glycerius weniger als eine Marionette, und das wusste er auch. Als 474 der Favorit von Ostroms Kaiser Zeno, der Dalmatiner Julius Nepos, in Rom landete, gab er auf und ließ sich zum Bischof von Salona weihen, wohin er, da er überlebt hatte, freudig entschwand. Der neue Herrscher brachte nur wenig Geld, aber als Heermeister einen Mann namens Orestes mit, der eine wichtige Figur am Hof der Hunnen und deren Gesandter in Konstantinopel war. Inzwischen waren auch die Reste des Weströmischen Reiches am Ende. Irgendwann in diesem Jahr 474 konnte der Sold an den Großteil der Armee nicht mehr bezahlt werden. Die Soldaten taten, was sie in solchen Fällen immer zu tun pflegten – sie plünderten. Als Heermeister musste sich Orestes mit dieser Situation auseinandersetzen, und er versprach den meuternden Legionären Land, wohl wissend, dass das der italischen Oberschicht gar nicht recht sein konnte, denn dieser musste er das Land wegnehmen. Orestes wagte, was er als Befreiungsschlag sah: Er vertrieb den in seinen Augen unfähigen und schwachen Julius Nepos. Der floh zunächst aus Rom und verschanzte sich kurze Zeit in Ravenna. Schließlich ging er zurück nach Dalmatien, wo er seinen Thronanspruch aufrechterhielt, bis er 480 starb. Für manche Historiker ist Nepos deshalb der »letzte weströmische Kaiser«. Orestes als neuer starker Mann Italiens wollte als Heermeister und patricius im Hintergrund bleiben und ließ deshalb seinen minderjährigen Sohn Romulus am 31. Oktober 475 zum Kaiser proklamieren. Der Knabe mit dem Namen des Stadtgründers werde, so hoffte er, zumindest beim weströmischen Adel besser gelitten sein,
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+ ++ 70 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + als wenn er sich selbst mit dem Odium des Kaisersturzes zum neuen Imperator proklamiert hätte. Außerdem – da war er Pragmatiker genug – wollte und konnte er angesichts der vor ihm liegenden schwierigen Aufgaben nicht noch irgendwelche Repräsentationspflichten wahrnehmen. Es war dies ein letzter Schritt im unaufhaltsamen Machverlust des Kaisertums – der Imperator Augustus war zu einer bloßen Marionette und Repräsentationsfigur geworden, während der Heermeister alle Amtsgeschäfte übernahm. Orestes merkte bald, dass er zwischen allen Stühlen saß. Ostrom weigerte sich, mit ihm zu verhandeln, weil er mit Julius Nepos seinen Favoriten aus dem Land getrieben hatte. In seiner Verzweiflung nahm er mit dem oströmischen Usurpator Basiliskos Kontakt auf und setzte damit aufs falsche Pferd. Auch ein weniger nachtragender Mensch wie der oströmische Kaiser Zeno hätte ihm das nicht vergessen! Der italische Adel war seine wichtigste Stütze, aber als Großgrundbesitzer wehrten sich die Senatoren und Händler vehement dagegen, Ackerland an germanische Legionäre zu geben. Vor allem, wenn es ihr eigenes war! Aber die Soldaten pochten immer heftiger auf die versprochene Landzuteilung. Ihre Forderungen vertrat Odoaker, Sohn eines adeligen Thüringers und einer Skirenprinzessin, einer der Anführer der kaiserlichen Leibgarde. Mit einem Teil der meuternden Soldaten marschierte er Richtung Pavia. Weitere Truppen schlossen sich an, und vor den Toren der Stadt wurde er zum Rex Italiae ausgerufen. Für die germanischen Legionäre, die den Großteil der versammelten Armee stellten, war der Königstitel etwas Vertrautes und weit wichtiger als die Bezeichnung Imperator oder Kaiser. Nach dieser Proklamation vertrieben Odoakers Truppen Orestes und setzten ihm bis nach Piacenza nach. Am 28. August kam es zur Schlacht, bei der der Heermeister fiel. Orestes Bruder Paulus stellte sich Odoaker vor Ravenna noch einmal entgegen und verlor ebenfalls Gefecht und Leben. Wenig später wurde Romulus Augustus, den einige Spötter wegen seiner Jugend und Bedeutungslosigkeit »Augustulus«, »Kaiserlein«, nannten, offiziell abgesetzt. Anders als bei den üblichen Thronwirren wurde der Kindkaiser nicht umgebracht, sondern mit der stattlichen Jahresapanage von 6000 Solidi in eine Villa
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+ + + Die unterschiedliche Entwicklung Ost- und Westroms + + + 71 + + + am westlichen Stadtrand Neapels ins Exil geschickt. Romulus – so schreibt ein Chronist – habe Odoaker wegen seiner Jugend gedauert, andere vermuten, dass sich seine Mutter Barbaria erfolgreich für sein Leben eingesetzt hat. Vermutlich gingen die Überlegungen des neuen Heermeisters Odoaker weiter. Die Frage der Landzuweisungen an Barbaren in Italien war das Pièce de resistance seines politischen Überlebens. Das hatte auch der letzte Großgrundbesitzer nach der Niederlage des Orestes merken müssen. Nolens volens mussten sie in dieser Frage nachgeben und in einer anderen zumindest ihr Gesicht wahren: in der Frage der Thronfolge. Italien war und ist der Kern des alten Imperiums, Italien muss italienisch bleiben, das war der Slogan des Senats und des italischen Adels! Und ein Barbar auf dem Thron, einer wie Odoaker, das war eine schier unmögliche Provokation für Hauptstädter wie Provinzrömer, aber auch für Ostrom. So blieb als beste Lösung: Odoaker besetzt den Thron überhaupt nicht mehr und fungiert gegenüber dem nichtrömischen Teil des Heeres als rex Italiae. Als Heermeister nahm er praktisch die Befugnisse eines Kaisers wahr, ohne diesen Titel zu beanspruchen, und unterstellte sich noch dazu der formellen Oberhoheit des oströmischen Kaisers. Um dies zu demonstrieren, schickte er die kaiserlichen Gewänder und das Diadem, die ornamenta palatii, die Reichsinsignien des Westens, nach Ostrom. Dass er dabei nicht das Odium auf sich nehmen wollte, den letzten Herrscher des Westens ermordet zu haben, war diplomatisch klug. Genau in diesem Sinne verhandelte dann eine Delegation des römischen Senats beim oströmischen Kaiser Zeno. Der zeitgenössische Historiker Malchus von Philadelphia charakterisiert deren Position so: Es gebe keine Notwendigkeit für eine geteilte Herrschaft, ein gemeinsamer Kaiser reiche für beide Territorien vollkommen aus. Darüber hinaus teilten sie mit, sie hätten Odoaker, einen Mann von politischer und militärischer Erfahrung, gewählt, ihre Interessen wahrzunehmen, Zeno möge ihn nun in den Rang eines Patricius erheben und ihn damit beauftragen, Italien zu regieren. Damit war auch die Fiktion eines eigenständigen weströmischen Teils des Imperiums aufgegeben – des Weströmische Reich als Herrschaftsgebilde hatte aufgehört zu existieren.
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+ ++ 72 +++ Die unterschiedliche Entwicklung Ost- und Westroms + + +
++ + Versuche einer Neuordnung + + + Wenn auch ohne Kaiser – das Weströmische Reich gab es noch, als Torso. Der Erste, der sich um die Stabilisierung der Reste kümmerte, war Odoaker. Dann kamen die Ostgoten, noch einmal Ostrom und dessen Kaiser Justinian und schließlich die Langobarden. Während der Osten des Reiches kleiner und mit Glück überlebte, zeigten und entwickelten sich in Resteuropa neue Machtkonstellationen, der Übergang ins Mittelalter.
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+ + + Ein germanischer König Italiens + + + 73 + + +
Ein germanischer König Italiens Mit der unblutigen Absetzung des »Kaiserleins« Romulus und der Übertragung der ornamenta palatii, der Kaiserinsignien, nach Byzanz war das fast nur noch aus Italien bestehende Weströmische Reich auch formell Geschichte. Dafür, so die im Oktober 476 bei Kaiser Zeno vorsprechenden Senatoren aus Rom, genüge ein »Beschützer« und den habe die Apenninen-Halbinsel in Odoaker. Gegenüber dieser Abordnung zeigte sich der Oströmer eher ungnädig und verwies darauf, dass für ihn der nach Dalmatien geflohene Julius Nepos noch immer weströmischer Kaiser sei – diese Karte im Spiel um den Einfluss im Westen wollte er in der Hinterhand behalten. Gleichzeitig versicherte Zeno durch eigene Diplomaten Odoaker seines Wohlwollens und erkannte ihn faktisch als rex Italiae an. Odoaker seinerseits unterstellte sich formell der Oberhoheit Ostroms, was indessen kaum mehr als eine Geste war. Mit dieser Lösung konnten alle gut leben, denn der am Hof der Hunnen aufgewachsene Germane war tatkräftig und pragmatisch. Zunächst einmal sanierte er die Finanzen und stabilisierte die Wirtschaft. Ein erster Schritt war die gezielte Ansiedlung von Söldnerfamilien, womit er auch die Ruhe in der Armee wiederherstellte. Sizilien gewann er 477 zurück, wenn er dafür auch horrende Tribute an die Vandalen zahlen musste. Nach dem Tod des Julius Nepos holte er mit oströmischem Segen auch Dalmatien heim ins Reich, verzichtete aber gleichzeitig auf weite Teile der Provence und die Provinz Noricum. 487 konnte er die Rugier, die diese Provinz plünderten, zwar besiegen, aber das war keine Dauerlösung, denn dahinter kamen die Langobarden. Also ließ Odoaker die römischen Bürger, die das wollten, durch seinen Bruder nach Italien umsiedeln. Die dadurch möglichen Einsparungen bei den Militärausgaben waren ein Segen für den maroden Staatshaushalt. Das auf den italischen Kern geschrumpfte, lediglich um die dalmatinische Küste erweiterte Reich wäre dennoch nicht verteidigungsfähig gewesen, hätte Odoaker nicht geschickt taktiert. Mit Vandalen und Westgoten kam er gut aus, nachdem er sie mit Land oder Gold friedlich gestimmt hatte, gegenüber Kaiser Zeno zeigte
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+ ++ 74 + ++ Versuche einer Neuordnung + + +
Odoaker beim hl. Severin
Viele Autoren des 5. und 6. Jahrhunderts
Rat bei Arm und Reich, beim niedrigen
beklagen den Niedergang des Imperiums,
Volk und auch am Königshofe des Germa-
aber nur wenige schildern konkret, was
nenlandes, schreibt Eugippius und be-
sich abspielte und was es für den nor-
richtet dann von einer merkwürdigen Be-
malen Bürger bedeutete. Ein solcher
gegnung: Viele waren in frommer Erge-
Glücksfall für Historiker ist die Biografie
benheit vor der Klause des heiligen
»Das Leben des heiligen Severin«, die
Mannes erschienen und hatten schon aus
der Abt Egippius Anfang des 6. Jahrhun-
Severins Mund ihr Heil vernommen. Unter
derts in einem Kloster auf Sizilien ver-
ihnen auch Odoaker, der nachmals Italien
fasste. Wie der Protagonist stammte
beherrschte, ein hochgewachsener jun-
auch der Autor aus der wichtigen Provinz
ger Mann, damals in ganz armseligem
Noricum, die den größten Teil des heu-
Gewande. Als er nun gebückt dastand,
tigen Österreichs und kleinere Gebiete
um nicht mit dem Scheitel an die Decke
Bayerns und Sloweniens umfasste.
der niedrigen Zelle zu stoßen, erfuhr er
Nach dem Tod Attilas tauchte dieser
von dem Manne Gottes seine glorreiche
für die Einwohner zunächst seltsame
Zukunft. Zum Abschied sagte er ihm:
Heilige in Niederösterreich auf. Über sei-
»Geh nach Italien, geh; zwar bist du jetzt
ne Herkunft wurde gerätselt, aus Sprache
mit armseligen Fellen bekleidet, aber bald
und Gebaren aber gefolgert, dass er aus
wirst du viele reichlich beschenken.«
Italien und aus einer vornehmen Fami-
Interessanter als diese Anekdote ist
lie stammen müsse. Schnell erwarb er
die Beschreibung des Niedergangs. Als
sich einen Ruf als wortgewaltiger Predi-
das Römische Reich bestand, erhielten
ger und Seelsorger, aber auch als Helfer
die Soldaten vieler Städte für die Bewa-
und Diplomat. Der Ruf des frommen
chung des Grenzwalls den Sold aus öf-
Mannes Severin hatte sich weit über alle
fentlichen Mitteln. Als diese Regelung
Lande verbreitet. Man schätzte seinen
aufhörte, zerfielen zugleich mit dem
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+ + + Odoaker beim hl. Severin + + + 75 + + +
Grenzwall auch die militärischen Ein-
nig zukunftsträchtig war. Aus dieser Ein-
heiten. Im Kastell Batavis – es gab der
sicht – ob sie, wie Eugippius behauptet,
Stadt Passau ihren späteren Namen –
vom hl. Severin vermittelt wurde, wissen
wollten sich einige Legionäre damit nicht
wir nicht – erwuchsen ungeschriebene
abfinden und schickten eine Abteilung
Übereinkünfte: Die Kämpfer schützten
Soldaten Richtung Italien, um den ihnen
nun »ihre« Städte vor anderen umher-
zustehenden Sold abzuholen. Doch sie
ziehenden und marodierenden Gruppen.
wurden unterwegs von Barbaren umge-
Dafür mussten die »Schutzbefohlenen«
bracht, ohne dass es jemand erfuhr. Als
Tribut leisten, vor allem in Form von Nah-
nun eines Tages der heilige Severin in sei-
rungsmitteln, Gold oder Schmuck, aber
ner Zelle las, schlug er plötzlich das Buch
auch durch Arbeiten den Stammesgrup-
zu und begann unter lautem Seufzen zu
pen technisch überlegener Handwerker.
weinen. Seine Mönche ließ er schleunigst
Severin starb 482 in Favianis, dem
zum Fluss laufen, denn der werde rot von
heutigen Mautern. Als nun der Heilige
Menschenblut sein. Und alsbald kam die
sein Ende auf dieser Welt herannahen
Kunde, dass die Leichen der vermissten
spürte, teilte er seinen Schülern mit,
Soldaten von der Strömung an Land
dass die Tage der römischen Herrschaft
getrieben worden seien.
an der Donau bald zu Ende sein und die
Nun kamen immer neue kleinere und
Römer nach Italien heimkehren würden.
größere Stammesgruppen – viele hatten
Dann sollten auch sie diese Stadt Favia-
unter der seit Attilas Tod schwindenden
nis verlassen und seine Gebeine mit sich
Hunnenmacht gelebt – in die unbewachte
nach Italien nehmen, da das menschen-
Provinz und die wenig befestigten Sied-
leere Land in eine wüste Einöde verwan-
lungen. Die Invasoren merkten schnell,
delt werden würde. Sechs Jahre später
dass die Plünderung und weitgehende
ordnete Odoaker den Rückzug aller Itali-
Zerstörung von Städten und Dörfern we-
ker aus der Provinz Noricum an. Dem
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Treck schlossen sich die Mönche des
Bei Faviana in der Klause, fern dem
Klosters an und nahmen die Gebeine
lauten Weltgetümmel,
ihres Gründers mit. Und noch eine wei-
saß der heilige Severinus blickend in
tere Prophezeiung des Heiligen sollte
den Abendhimmel;
sich erfüllen. Auf Odoaker angesprochen sagte er: Odoaker ist unbehelligt drei-
[...]
zehn bis vierzehn! Gedeutet wurde dies
Plötzlich pocht es an der Türe, und
als die Zahl der Regierungsjahre – und
noch eh er sich erhoben,
tatsächlich ließ ihn Theoderich 493 er-
haben Krieger breitgeschultert
morden.
schon den Leib hereingeschoben.
Severin wurde in Castellum Luculla-
Felle decken ihren Körper; dass sie
num auf Sizilien beerdigt, wo die Ordens-
deutschen Stammes waren,
gemeinschaft ein neues Kloster gründete
sieht er an den blauen Augen, an
und Eugippius als Abt seine Severin-Bio-
den langen blonden Haaren.
grafie verfasste. Damit schließt sich ein weiterer Kreis: Prominenter Nachbar der
[...]
frommen Brüder war ein gewisser Romu-
Fahre hin getrosten Mutes! Heute
lus Augustulus, den Odoaker abgesetzt
arm an Glückes Gaben,
hatte und der mit einer üppigen Pension
wirst du bald schon vielen, vieles
ausgestattet hier Exil und Lebensabend
auszuteilen haben;
verbrachte. Die Begegnung des Heiligen
König Odoaker heißen wirst du und
mit dem Barbaren hat viele Jahrhunderte
auch Rom besiegen
später der Dichter Martin Greif (1839–
und es wird in deinen Händen das
1911) – von manchen Kollegen als eher
Geschick der Erde liegen.«
bemüht denn begabt bezeichnet – in markige Verse gefasst:
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+ + + Ein germanischer König Italiens + + + 77 + + + er sich unterwürfig, so dass dieser ihn sogar offiziell als Heermeister anerkannte. Seinen germanischen Soldaten, durch Sold und Land ruhig gestellt, war er »ihr« König, und den italischen Eliten galt er als »Beschützer«, der für politische und vor allem wirtschaftliche Stabilität sorgte. Die katholische Kirche gab zu all dem ihren Segen, hatte sich doch durch die Abschaffung des westlichen Kaisertums ihre Stellung als Ordnungsmacht verstärkt. Noch einmal zeigte sich die Kraft, die dem Kernland des einstigen Imperiums innewohnte. Die kurzzeitige Blüte hing indessen an einer Person – eine »Odoaker«- Dynastie wollten weder die Senatoren in Rom noch der Kaiser in Byzanz.
Theoderichs »Kampf um Rom« Die kurze italische Ruhe wurde gestört, weil Ostrom ein germanisches, besser ein gotisches »Problem« nicht lösen konnte. Der Amalerfürst Theoderich, ein Ostgote, der als Knabe jahrelang als Geisel am Hof von Konstantinopel gelebt hatte, hatte den von Usurpatoren kurzzeitig vertriebenen Kaiser Zeno unterstützt und ihm zurück auf den Thron geholfen. Hochgeehrt wurde er gegen einen anderen Ostgotenherrscher geschickt, der sich auf die falsche Seite geschlagen hatte: Theoderich Strabo. Kaiser Zeno trieb damit ein Doppelspiel: Er leistete dem jungen Amaler weder die versprochene Waffen- noch die Finanzhilfe, weil er darauf hoffte, dass sich die Germanenfürsten gegenseitig schwächen würden. Die beiden Theoderiche verbündeten sich aber, statt einander die Köpfe einzuschlagen. Doch das Verwirrspiel ging noch weiter: Als Theoderich gegen Konstantinopel zog, machte Zeno Strabo zu seinem Heermeister und hintertrieb so das Bündnis der beiden Goten. Der neue Heermeister schloss sich jedoch bald wieder einem Putsch gegen den Kaiser an und zog plündernd durch die Lande. Nun war Theoderich wieder geliebter »Waffensohn« und »Patricius« des Herrschers. Jetzt ließ sich Theoderich – nach Strabos Tod 481 König aller Ostgoten – nicht mit Titeln und neuen Versprechungen abspeisen, sondern holte sich das, was ihm und seinem Volk seiner Meinung nach zustand, als Beute aus Mazedonien, Thessalien und Thrakien.
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Nibelungenlied und Dietrichsage
Zwei mittelalterliche Epen nehmen auf
nen, doch in alten Überlieferungen war
die Völkerwanderungszeit Bezug und
der legendäre Heerführer präsent und
sind sogar miteinander verknüpft: die
passte auch wegen eines weiteren histo-
Geschichten um den Helden Dietrich von
rischen Ereignisses gut in die Sage: 453,
Bern und das weitaus bekanntere Nibe-
so Jordanes in seiner Gotengeschichte,
lungenlied. Während dessen erster Teil
wurde die Tochter eines germanischen
um den Drachentöter Siegfried auf alte
Fürsten namens Ildikó mit Attila verheira-
nordische Sagen und deren mündliche
tet. Am Morgen nach der Hochzeitsnacht
Überlieferung zurückgeht, hat der zwei-
fand man sie tränenüberströmt neben
te Teil vermutlich einen historischen Kern
dem Bett ihres Gatten, der an Blutsturz
in der Vernichtung des Burgundenrei-
oder – wie andere vermuteten – an Gift
ches um das Jahr 436. Offenbar wurden
gestorben war. Für den oder die Nibelun-
die Burgunden Anfang des 5. Jahrhun-
gendichter wurde aus dieser Ildikó die
derts als föderiertes Volk am Rhein an-
burgundische Kriemhild.
gesiedelt. Wo genau, wissen wir nicht,
Vielleicht spielt auch die Geschichte
nur das Nibelungenlied nennt Worms
der fränkischen Merowinger in die Sage
als Zentrum. Vermutlich versuchte König
hinein. Deren König Chilperich hatte un-
Gundohar, ihr Gebiet zu vergrößern, was
standesgemäß eine Magd namens Fre-
zu einer Strafexpedition des Heermeis-
degunde geheiratet, während sein Halb-
ters Aëtius führte, der mittels hunni-
bruder und Rivale Sigibert mit einer
scher Hilfstruppen einen Vernichtungs-
Brunichild verheiratet war. Fredegund
feldzug gegen die Burgunden führte. Die
entschied den Kampf, der für Chilperich
Reste des Volkes siedelte er dann nörd-
fast schon verloren war, dadurch, dass
lich des Genfer Sees an.
sie Sigbert mittels vergifteter Messer
Attila, der Etzel der Nibelungensage,
ermorden ließ. Vermutlich sind in das
war damals noch nicht König der Hun-
Nibelungenlied mehrere solcher Versatz-
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+ + + Nibelungenlied und Dietrichsage + + + 81 + + +
stücke eingegangen, deren Ursprünge
ziert. Allerdings hat der historische Ost-
längst vergessen und durch die Überlie-
gotenkönig nicht wie in der Sage am Hofe
ferung kaum mehr erkennbar sind.
Attilas gelebt, sondern war Geisel in Kons-
Am Ende des Nibelungenliedes taucht
tantinopel. Zudem lebte der Hunnen-
Dietrich von Bern auf, versucht zunächst
könig viel früher, und die Rabenschlacht
zu vermitteln und beendet schließlich
schlug Theoderich gegen Odoaker. Der
den Kampf, indem er Gunther und Hagen
historische Ermanarich, der in der Diet-
besiegt und der rachsüchtigen Kriemhild
richsage die Schurkenrolle spielt, wurde
übergibt. Als die ihren Bruder und dann
375 von den Hunnen besiegt. Vermutlich
den finsteren Tronjer tötet, schlägt ihr
ist auch hier wieder Sagenhaftes und
Meister Hildebrand, Dietrichs Waffen-
Historisches vermischt. Dietrichs Bern
meister, den Kopf ab. Weniger abgeklärt
ist Verona, eine wichtige Stadt im Reich
erscheint in der ursprünglichen »Thidrek-
Theoderichs. Dessen Vater hieß Thiudimir
saga« Dietrich zunächst als junger, über-
aus dem Geschlecht der Amaler – die
mütiger Ritter, der allerlei Abenteuer, da-
Entsprechung in der Sage ist Dietmar aus
runter einen Drachenkampf zu bestehen
der Amelungensippe. Erwähnenswert, da
hat. Als sein Onkel Ermanarich, der Herr-
amüsant, ist eine Deutung beider Sagen
scher Roms, gegen ihn zu Felde zieht,
durch den Privatgelehrten Heinz Ritter-
flieht er zu Attila und dient diesem viele
Schaumburg, der glaubt, dass sich alle
Jahre. Zum Dank dafür erhält er ein Hun-
Ereignisse im späteren Norddeutschland
nenheer, mit dem er seinen Onkel in der
abgespielt haben: Attila sei ein Friesen-
»Rabenschlacht« vor Ravenna besiegt.
prinz gewesen und Dietrichs Bern das
Dietrich wird seit dem Hochmittelalter mit Theoderich dem Großen identifi-
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heutige Bonn. Mit der Schweizer Hauptstadt Bern hat Dietrich nichts zu tun.
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+ ++ 82 +++ Versuche einer Neuordnung + + + Damit wurde der Ostgotenkönig für den verschlagenen oströmischen Kaiser erst recht zum Problem. Zeno verfiel schließlich auf die Idee, den unbequemen Germanen abzulenken: Theoderich sollte Odoaker besiegen, um – so sah es ein Vertrag vor – an Stelle des Kaisers, bis dieser dorthin komme, in Italien zu herrschen. Sollte er scheitern, wäre Zeno wohl auch nicht unglücklich gewesen – und auf den ersten Blick sah es tatsächlich so aus, als sei das kleine Ostgotenkontingent dem Heer des von Odoaker stabilisierten weströmischen Restreichs unterlegen. Doch die Ostgoten erhielten Unterstützung von weiteren Germanenstämmen, vor allem von starken westgotischen Hilfstruppen. So konnte Theoderich Odoaker in den Jahren 489 bis 491 bis nach Ravenna zurücktreiben. Die Stadt war aber uneinnehmbar wie eh und je. Erst als Theoderich den Hafen und damit die Nahrungsmittelversorgung blockieren konnte, kam es zu Friedensverhandlungen. Auf Vorschlag des Bischofs von Ravenna – hier wird die gewachsene Rolle der Kirche deutlich – einigten sich beide Fürsten 493 darauf, gemeinsam zu regieren. Zehn Tage nach der Vertragsunterzeichnung ließ Theoderich – angeblich beim Versöhnungsmahl – Odoaker, dessen Familie und Vertraute ermorden. Anders als der blutige Beginn verlief Theoderichs bis 526 dauernde Herrschaft. Er rang um die Anerkennung Ostroms, die ihm erst Zenos Nachfolger Anastasius gewährte. Im dritten Jahr nach seinem Einrücken in Italien gab er auf Rat des Kaisers Zeno die Tracht eines Untertans und die Kleidung seines Volkes auf, nahm die Zeichen königlichen Schmucks an als König der Goten und Römer, schreibt der Historiker Jordanes. Mit der Rücksendung der palatii ornamenta, des weströmischen Königsornats, war das Ostgotenreich zumindest nominell Teil des Imperiums – im Auftrag des oströmischen Kaisers herrschte Flavius Theodericus Rex in Italien über Goten und Römer. Das bedeutete aber auch die Aufrechterhaltung der Fiktion, dass die Reste Westroms Teil des Gesamtreiches blieben. Theoderich wirkte dabei als König eines Bündnispartners und stand eine Stufe unter dem Kaiser. Er konnte Edikte erlassen, aber keine Gesetze. Auch das römische Bürgerrecht durfte er nicht verleihen. All das mussten Ostrom oder die zuständigen Senatsbehörden absegnen, auch wenn es nur Formalien
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+ + + Ein germanischer König Italiens + + + 83 + + + waren. So erschien das Porträt Theoderichs auch nicht auf Münzen. Allerdings verstand er sich selbst als Fortsetzer des Römischen Reiches und von dessen Traditionen. Er setzte alles daran, für ein friedliches Miteinander von Goten und italischen Römern zu sorgen. Außenpolitisch suchte er die Germanenreiche durch Heiratspolitik aneinander zu binden und von Konflikten untereinander abzuhalten – mit mäßigem Erfolg. Vor allem gegen den Aufstieg der Franken in Gallien war er weitgehend machtlos. 507 fiel deren Herrscher Chlodwig trotz eindringlicher Mahnungen Theoderichs ins Westgotenreich ein und siegte. Die Franken eroberten Bordeaux und Toulouse. Erst als eine Kriegsdrohung aus Ravenna kam, zogen sie sich in ihre neue Hauptstadt Paris zurück. Als Chlodwig 511 starb und sein Reich altem germanischen Brauch folgend aufgeteilt wurde, war die Expansion des Frankenreichs vorläufig gestoppt. Theoderichs Vision, Römisches und Gotisches zu verschmelzen, scheiterte an den Intrigen eines Teils des ostgotischen Adels ebenso wie an den alten weströmischen Eliten. Ungeachtet der Frage, ob sie je eine Chance hatte, bleibt Fakt, dass mit Theoderich die Germanen in Italien die Macht übernahmen. Zwar hatten vor ihm schon die aus Königsgeschlechtern stammenden Heermeister Ricimer und Gundobad regiert – allerdings noch mit einem Schattenkaiser. Odoaker verzichtete auf einen solchen, suchte aber vergeblich die offizielle Anerkennung Ostroms, die Theoderich schließlich erhielt. Letzterer verstand sich bei aller diplomatischen Rücksicht auf Byzanz als souveräner Herrscher, als König aller Italiener – seien es Goten oder Römer.
Justinians »Kampf um Rom« 526, ein Jahr nach dem Tod Theoderichs, der den Beinamen »der Große« erhielt, wurde ein weiterer »Großer« Kaiser von Byzanz: Justinian I., der es freilich zuerst mit innenpolitischen Schwierigkeiten und der persischen Front zu tun hatte. Als im Osten dank horrender Tributzahlungen Ruhe eintrat, konnte er sich dem eigentlichen Ziel seiner Außenpolitik zuwenden: dem Westen. Jus-
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+ ++ 84 +++ Versuche einer Neuordnung + + + tinian hatte einen Traum: Zunächst insgeheim und später auch propagandistisch sah er sich als Kaiser und als Retter des gesamten Imperiums – und damit auch des westlichen Teils. Gleichwohl war Justinian zuerst Realist und kühler Rechner. Also wandte er sich vorerst dem Teil des Reiches zu, der für den Osten bedeutend, für den Westen aber überlebenswichtig war: Nordafrika. Dort hatten sich die Vandalen häuslich eingerichtet. Als ihr König Gelimar auf Sardinien einen Aufstand niederschlagen ließ und ein Großteil seiner Truppen deswegen abwesend war, setzte der byzantinische Feldherr Belisar mit einem vergleichsweise kleinen Heer so überraschend über, dass er Karthago nahezu kampflos einnehmen konnte. Im Dezember 534 kam es zur Entscheidungsschlacht – Gelimer ergab sich, und das getreidereiche und einträgliche Gebiet wurde Ostrom angegliedert. Prinzipiell zeigt sich am Zusammenbruch des Vandalenreiches, dass die Germanenvölker zahlenmäßig nicht so stark waren und deshalb von einem gut geführten Heer wie dem Ostroms durchaus zu schlagen waren, wenn es denn taktisch klug und ohne Überheblichkeit vorging. Freilich machten sich die »Befreier« aus Byzanz durch ihre rigiden Steuerforderungen sehr schnell unbeliebt; bis in die 540er-Jahre kam es immer wieder zu Unruhen und – für Justinian weitaus ärgerlicher – zu Steuerausfällen. Währenddessen begann 535 der eigentliche »Kampf um Rom«. Konstantinopel hatte die erbliche Ostgotenherrschaft offiziell nie anerkannt, und Italien schien Justinian reif zur Rückeroberung. Theoderichs Politik einer Aussöhnung und langsamen Verschmelzung von Ostgoten und Römern war schon zu seinen Lebzeiten gescheitert. Nach seinem Tod übernahm seine Tochter Amalasuintha die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn. Wie ihr Vater suchte sie einen Weg zum gedeihlichen Miteinander von Römern und Goten und zeigte an ihrem eigenen Leben und der Erziehung ihres Sohnes deutlich, dass sie diese als Anpassung an die in ihren Augen höhere römische Zivilisation und Kultur verstand. Das führte zu immer größeren Konflikten mit dem gotischen Adel, in dessen Händen sich zwar die militärische Macht befand, doch objektiv betrachtet war die Lage der Goten nicht einfach. Denn die 20 000 bis 30 000 gotischen Soldaten und die mehr als 100 000
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+ + + Ein germanischer König Italiens + + + 85 + + + Menschen umfassende ostgotische Volksgruppe waren eine verschwindend kleine Minderheit und deshalb angreifbar. Wegen ihrer Nähe zu Ostrom und ihren Kontakten zu Kaiser Justinian entmachtete ihr Vetter und Mitregent Theodahad Amalasuintha – deren Sohn war inzwischen gestorben –, verbannte sie auf eine Insel und ließ sie schließlich ermorden. Das war für Justinian ein willkommener Anlass, den vermutlich schon länger geplanten Feldzug gegen das Ostgotenreich zu beginnen. Der in Afrika siegreiche Feldherr Belisar landete in Sizilien. Der daraufhin von den Ostgoten neu gewählte König Vitigis leistete hinhaltenden Widerstand und drängte die Oströmer sogar in die Defensive. Die Wende brachte die vergebliche Belagerung von Rom, die von Februar 537 bis März 538 dauerte. Die Stadt konnte sich halten, die Ostgoten mussten sich von den Mauern Roms zurückziehen. 539 hielten sie sich an Mailand schadlos und eroberten es. Die Stadt wurde geplündert, alle Männer wurden getötet und alle Frauen von burgundischen Hilfstruppen als Sklavinnen mitgenommen. Justinian wollte dem immer grausameren Kampf ein Ende machen – er schlug als Demarkationslinie den Po vor und verlangte die Hälfte des gotischen Kronschatzes für den Frieden. Belisar hintertrieb die durchaus mögliche Verwirklichung dieses Plans und eroberte durch eine List Ravenna, wo Vitigis schließlich kapitulierte. Sich schon als Sieger fühlend, verärgerten die Byzantiner durch Plünderungen und Steuereintreibungen die italische Bevölkerung, von der sich immer mehr eine Gotenherrschaft zurückwünschten. Der neue, 542 erhobene charismatische Gotenkönig Totila brachte noch einmal ein großes Heer zusammen und konnte fast das gesamte von Theoderich beherrschte Gebiet wiedergewinnen und Belisar zurückdrängen. Kurzzeitig konnte er sogar Rom erobern. Dabei half ihm, dass Ostrom seit 540 wieder Krieg gegen die Perser führte. Es war ein zäher Kampf mit Erfolgen auf beiden Seiten und der Konsequenz, dass Italien kreuz und quer verwüstet wurde – wie nie in den Zeiten des Imperiums. Langfristig waren Justinians Ressourcen größer. Im Frühjahr 552 kam der byzantinische Feldherr Narses mit einem kampferprobten Heer von über 30 000 Mann, darunter langobardische
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+ ++ 86 +++ Versuche einer Neuordnung + + +
Felix Dahns Roman »Ein Kampf um Rom« 1876–78 veröffentlichte der Historiker
Übermacht, aber auch das Geschick des
und Schriftsteller Felix Dahn (1834–
Narses, der Verbündete der Goten zum
1912) mit seinem »Ein Kampf um Rom«
Verrat an diesen und zum Überlaufen wäh-
einen der jahrzehntelang populärsten
rend der Schlacht bewegt, führen schließ-
Geschichtsromane. Der Professor, der
lich zur Niederlage und zum Tod Totilas.
sich vor allem mit der Spätantike und der
Nun führt Teja als letzter König der Goten
Zeit der Völkerwanderung beschäftigte,
die Überreste des Heeres zum Vesuv, wo
schildert darin seine Version vom Kampf
sie in einem Engpass den Feinden lange
und Untergang der Ostgoten in der Zeit
standhalten können. Cethegus, der auf
nach Theoderich. Nach dessen Tod sieht
ein freies Rom unter seiner Herrschaft
der römische Senator Cethegus die Zeit
gehofft hatte, wird von Narses und Justi-
gekommen, Ostrom unter Kaiser Justini-
nian ausgebootet. In seiner Verzweiflung
an und die Ostgoten gegeneinander aus-
schließt er sich dem Kampf gegen die Go-
zuspielen. Die ausbrechenden Wirren will
ten an, sucht den Zweikampf mit Teja, bei
er nutzen, ein selbständiges Weströmi-
dem beide Kämpfer sterben. Nach fast
sches Reich wiederaufzurichten. Cethe-
tausend Seiten schließt der Riesenschmö-
gus wiegelt Theoderichs Töchter gegenei-
ker, der Generationen von jungen Männern
nander auf und benutzt gegen Justinian
bewegt hat, mit einem tragischen, an das
dessen Gattin Theodora – nur dem byzan-
Ende des Nibelungensage erinnernden
tinischen General Narses ist er an Ver-
Gedicht. Die letzten Überlebenden mar-
schlagenheit nicht gewachsen. Der neue
schieren an den Siegern vorbei:
gotische König Vitigis ist seinen Intrigenspielen gegenüber machtlos, erst dessen
Gebt Raum, ihr Völker, unsrem Schritt,
charismatischer Nachfolger Totila erzielt
Wir sind die letzten Goten,
Erfolge und drängt Ostroms Feldherren
Wir tragen keine Krone mit
Belisar und Cethegus in die Defensive. Die
Wir tragen einen Toten.
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+ + + Felix Dahns Roman »Ein Kampf um Rom« + + + 87 + + +
Der später als Prototyp des »Professoren-
Felix Dahn hat in seinen Memoiren
romans« geltende »Ein Kampf um Rom«
die hinter seinen Werken stehende Welt-
gibt vor, gut recherchiert zu sein. Ange-
sicht als »tragisch-heroisch« definiert.
sichts der wenigen und zudem höchst in-
Sie sehe nicht »das Glück der Menschen
terpretierbaren Quellen kann er diesen
als Weltzweck«, fordere gleichzeitig »Le-
Anspruch jedoch nicht erfüllen. Vielmehr
bensfreude und Pflichterfüllung«, wobei
handelt es sich um einen »sinnstif-
sie »in dem Heldenthum (dem geistigen,
tenden« Roman, der das wenige Jahre zu-
sittlichen wie kriegerischen) für das Volk
vor gegründete zweite Deutsche Reich um
höchste Ehre, höchste Pflicht und höchste
einen zweiten germanischen Mythos ne-
Beglückung findet.« Mit Sicherheit hat
ben Hermann dem Cherusker bereichern
Dahns Roman in Deutschland das Bild der
will, nämlich den um Theoderich und sei-
Völkerwanderung und des Untergangs
ne heldenhaften Nachfolger. Sie sollten
Roms am nachhaltigsten geprägt.
als Vorbild für junge Männer dienen und
1968/69 wurde »Ein Kampf um Rom«
die Wehrbereitschaft stärken. Der Roman
von Robert Siodmak in zwei Teilen ebenso
war aber auch eine moderne Heldensage,
monumental wie unkritisch verfilmt. Dra-
die den Fall eines großen Volkes zeigen
maturgische Bocksprünge – so tötet
und als Warnung dienen sollte. Felix Dahn
Cethegus im Kampf statt Totila seine
wollte das eben erst gegründete Bis-
eigene Tochter und begeht Selbstmord –
marckreich vor Überheblichkeit und Deka-
können nicht recht überzeugen, und auch
denz warnen, aber auch vor Heimtücke
Orson Welles als Justinian kann den scha-
und Verrat. Der große Gegenspieler der
len Gesamteindruck kaum mindern.
Ostgoten, der listige und verschlagene Cethegus, ist frei erfunden.
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+ ++ 88 +++ Versuche einer Neuordnung + + + Hilfstruppen. Anfang Juli 552 schlugen sie die zahlenmäßig unterlegenen und erschöpften Truppen Totilas, der in der Schlacht fiel. Im Oktober desselben Jahres verlor dann der Rest der Goten unter ihrem letzten König Teja die letzte Schlacht. Nun herrschte über Italien wieder Ostrom – freilich nur für kurze Zeit. Die Ostgoten unterwarfen sich und entschwanden ins Reich der Sagen und Legenden.
Italien fällt an die Langobarden 568, Kaiser Justinian war gerade drei Jahre tot, kamen die Langobarden. Sie hatten kurz zuvor das Gepidenreich zerschlagen – der Sage nach ließ ihr König Alboin aus dem Schädel des besiegten Gepidenherrschers einen Trinkbecher herstellen und zwang dessen Tochter am Tag ihrer Heirat, mit ihm aus diesem Gefäß zu trinken. Dann zogen er und seine Männer nach Italien, dessen Reichtümer sie schon als Hilfsvolk Ostroms kennengelernt hatten. Verschiedene andere Kriegergruppen schlossen sich ihnen an. Alboin berief sich darauf, dass der byzantinische Heermeister und Regent Narses sie gerufen habe. Mit dessen Regime waren die Bürger der Apenninen-Halbinsel höchst unzufrieden, vor allem mit den Steuereintreibern. Vielleicht wollte Narses die Langobarden auch als Gegengewicht zu den immer bedrohlicher werdenden Franken nutzen. Doch seine Rechnung ging nicht wirklich auf. Die Langobarden plünderten und eroberten Teile des schon durch die Gotenkriege verheerten Italiens und setzten sich im Norden und in der Mitte der Apenninen-Halbinsel fest. 569 fielen Verona, Trient und Mailand. Pavia leistete drei Jahre Widerstand, wurde Anfang 572 eingenommen und nominell Hauptstadt des Langobardenreiches. Dieses zerfiel schließlich in 35 weitgehend selbständige Herzogtümer – erst zu Beginn des 6. Jahrhunderts erfolgte unter König Agilulf eine Stärkung der Zentralmacht. Die Langobarden vermochten nie, ganz Italien unter ihre Herrschaft zu bringen, Byzanz verblieben wichtige Enklaven wie Ravenna
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+ + + Italien fällt an die Langobarden + + + 89 + + + und Rom und Teile des Südens; einige Seestädte konnten sich selbständig machen und diesen Status halten. Die Langobarden waren in den Augen der Einheimischen weniger »zivilisiert« als etwa die Goten, die vor ihrem Einfall in Italien schon fünfzig Jahre »Integration« in Ostrom erfahren hatten. Alboin und seine Nachfolger waren auch weit weniger an einer Verschmelzung von Römer- und Germanentum interessiert, als es etwa Theoderich gewesen war. Auch wenn sich die schon länger ansässigen Bewohner zwangsläufig mit den neuen Herren arrangierten – der Einschnitt war tief. Das vom Gotenkrieg verwüstete Land konnte sich nicht erholen, Handel und Wirtschaft gingen zurück, teilweise ging man sogar wieder von der Geld- zur Naturalwirtschaft über, die Infrastruktur wurde nicht oder kaum unterhalten, Kulturdenkmäler wurden als Steinbrüche missbraucht. Die Bevölkerung und die Städte schrumpften. Schuld daran war allerdings nicht nur der Dauerkrieg, sondern auch die sogenannte Justinianische Pest, eine zur Regierungszeit des oströmischen Kaisers ausgebrochene Seuche, die von Ägypten ausgehend die Bevölkerungszahl dezimierte. An der sichtbaren Verschlechterung der Lebensverhältnisse änderte auch nichts, dass die Langobarden und die mit ihnen gekommenen Menschengruppen – mehr als 200 000 werden es nicht gewesen sein – sich in nur wenigen Generationen anpassten, die Sprache ihres neues Siedlungsgebietes annahmen – seitdem spricht die Wissenschaft von Italienisch – und regionale Behörden und Institutionen weiternutzten, wo sie noch vorhanden waren. Vermutlich spielte die katholische Kirche, deren Glauben ja die Bevölkerungsmehrheit anhing, eine wichtige Rolle. Sie half mit ihrem Einfluss, ihrem Herrschaftswissen und ihren intakten Verwaltungsstrukturen der neuen Oberschicht, die sie mit sanftem Zwang vom arianischen zum katholischen Glauben bekehrte.
Der Osten des Imperiums überlebt – kleiner und mit viel Glück Fast vierzig Jahre währte die Herrschaft Justinians I., unter dem das Imperium Romanum für kurze Zeit noch einmal nahezu in seinen alten Grenzen wiedererstand. Die Regierungsbilanz des
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+ ++ 90 +++ Versuche einer Neuordnung + + + von manchen Historikern auch als »letzter römischer Imperator« bezeichneten Herrschers war aber gemischt. Die siegreichen Kriege in Nordafrika, Italien und dem südlichen Spanien und die weit weniger erfolgreichen Kämpfe gegen das sassanidische Perserreich kosteten viel Geld – zu viel Geld. Eine verheerende Seuche, die von 541 an in allen Mittelmeerländern auftrat und als Justinianische Pest bezeichnet wurde, traf die ohnehin schon geschwächte Wirtschaft nachhaltig. Innenpolitisch verewigte sich der Kaiser mit dem Bau der bislang größten christlichen Kirche, der Hagia Sophia in Konstantinopel, vor allem aber mit der Zusammenfassung des umfangreichen römischen Rechts, die später die abendländische Rechtsauffassung prägte. Der im 11. Jahrhundert von italienischen Gelehrten wiederentdeckte »Corpus juris civilis« ebnete den Weg zu einer modernen Rechtsprechung, die im Widerspruch zu den als »Barbarengesetzen« bezeichneten Rechtsvorschriften des Frühmittelalters stand. Die bürgerkriegsähnlichen Zwistigkeiten zwischen den verschiedenen Christenfraktionen vermochte Justinian indessen nicht zu schlichten, und er hinterließ seinem Nachfolger Justin II. eine leere Staatskasse. Der versuchte zwar an die Politik seines Onkels anzuknüpfen, stieß aber schnell an Grenzen. Der schrittweisen Eroberung Italiens durch die Langobarden im Jahr 568 hatte Ostrom nichts entgegenzusetzen, weil ein Religionsstreit mit den ägyptischen und syrischen Provinzen das Reich lähmte und massive Steuererhöhungen auf ebenso massiven Widerstand stießen. Vor allem aber hatte Justin II. gar keine Zeit, sich dem Westen zu widmen. Nördlich der Donau drohten die Awaren nach Ostrom einzudringen – er versuchte sie mit einigen letztlich erfolglosen Feldzügen einzuschüchtern. Dann suchte er einen außenpolitischen Erfolg gegen die Perser, mit denen seit 562 ein brüchiger, wegen hoher Tributzahlungen als schmählich empfundener Friede bestand. So provozierte Justin II. einen Krieg, der fast in einem Fiasko endete. Nach zwei Jahren befand sich Ostrom an allen Fronten auf dem Rückzug, und Justin – vielleicht wegen der Niederlagen geisteskrank geworden – übergab die Regierungsgeschäfte seinem Mitregenten Tiberios I., der die letzten Finanzreserven angriff, um die Armee aufzurüsten. Als Tiberios I. 582 starb, übernahm der erfolgreiche
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+ + + Italien fällt an die Langobarden + + + 91 + + + General Maurikios die Herrschaft und schaffte es nach zähem Hin und Her, 591 mit den Persern Frieden zu schließen. Das war umso nötiger, als seit 580 Slawen auf den Balkan zogen und dort siedelten. Immer wieder drangen einige Truppen auf Reichsgebiet vor, plünderten den Peloponnes und bedrohten sogar Byzanz, während die Awaren einige Festungen an der Donau einnahmen. Schritt für Schritt drängten die oströmischen Truppen die Invasoren zurück, schlugen sie in Thrakien und verfolgten sie bis in die heutige Walachei. Für kurze Zeit war die nördliche Grenze wieder sicher. Maurikios versuchte auch, die noch verbliebenen Teile des Westreiches zu unterstützen, indem er einzelne germanische Stammesführer gegeneinander ausspielte. So unterstützte er die Merowinger, damit sie ins Langobardenreich einfielen. Die Kämpfe wurden aber sofort eingestellt, als das Gold aus Ostrom ausblieb. Denn bald wurden alles Gold und alle Kräfte gegen die Perser gebraucht. Zuvor aber kam es zu einem für Ostrom bislang einmaligen und fatalen Zwischenspiel. Der Centurio Phokas, ebenso brutal wie demagogisch, putschte gegen den Kaiser und ließ ihn und seine Familie umbringen. Nun hatte auch Byzanz seinen erfolgreichen Usurpator. Die höchst kritischen späteren Chronisten schildern die Herrschaft des Phokas als tyrannisches Chaos. Von Unterordnung oder einer formalen Anerkennung der Oberhoheit Roms war nicht mehr die Rede – faktisch nahm Phokas die Herrschaft der Langobarden über Italien hin, auch wenn er der letzte Kaiser war, dem ein Gebäude auf dem Forum Romanum gewidmet war und der den Titel Imperator Augustus trug. Nicht nur im Westen zeigte er sich machtlos, er unternahm auch nichts gegen die Ausbreitung der Slawen und Awaren auf dem Balkan. Die Perser nutzten die Situation zu einer Kriegserklärung unter dem Vorwand, Rom von einem Usurpator befreien zu wollen. Ob Phokas tatsächlich mehr hätte tun können, als die vordringenden Perser zurückzuschlagen, bleibt bei aller Kritik der Nachwelt fraglich. 610 stürzte Herakleios, Sohn des Regenten der Provinz Karthago, den Kaiser, ließ ihn ermorden und trat nach bürgerkriegsähnlichen Wirren dessen Nachfolge an.
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+ ++ 92 +++ Versuche einer Neuordnung + + + All dies schwächte Ostrom so sehr, dass die Perser 612 nach Kleinasien vordringen konnten. Dort wurden sie zwar zurückgeschlagen, konnten aber in den nächsten Jahren Syrien erobern, wobei zuerst Damaskus und dann Jerusalem fiel – das Heilige Kreuz wurde zur symbolträchtigen Kriegsbeute. Schlimmer noch war, dass bis 619 auch Ägypten, die Kornkammer Ostroms, in die Hände der Sassaniden fiel. Herakleios ließ eine Münze mit der Aufschrift adiuta Romanis (Unterstütze die Römer, Gott!) prägen. Die Lage war mehr als verzweifelt, denn nun drangen Slawen und Awaren weiter auf den Balkan vor. Dass die Westgoten unterdessen die letzten bislang oströmischen Regionen in Spanien eroberten, war eher eine historische Fußnote. Herakleios erwog, Byzanz aufzugeben und sich in die »Festung Karthago« zurückzuziehen, wohin ihm aber nur wenige seiner verbliebenen Truppen folgen wollten, so dass er sich zu einem Vabanque-Spiel entschloss. Er kratzte die letzten Finanzreserven zusammen. Das bedeutete, dass er nicht nur eigenes Gold, sondern auch das der Kirche und reicher Oströmer einschmelzen ließ – mit deren zähneknirschender Zustimmung. Bei den Awaren erkaufte er sich mit einem Teil dieses Geldes ein paar Jahre Frieden und rüstete mit dem Rest sein Heer auf. An der Spitze dieser Armee drang er immer tiefer in persisches Gebiet ein, siegte mit Glück und Geschick oder erreichte auf dem Schlachtfeld zumindest ein Unentschieden. Eine einzige Niederlage wäre nicht nur sein persönliches Ende, sondern auch das des Reiches gewesen. Nach vier Jahren Krieg schien das einzutreten: Awaren und Sassaniden belagerten Konstantinopel. Doch weil durch die Flotte eine totale Einschließung der Stadt verhindert wurde und Nahrung und Nachschub eintrafen, mussten sich die Belagerer schließlich zurückziehen. Nun konnte Herakleios wieder in die Offensive gehen und verstärkte seine Truppen, während sich auf persischer Seite die Stimmen mehrten, den Krieg zu beenden. Nachdem Herakleios Siege im persischen Kernland errungen hatte, kam es im Lager der Sassaniden zu Unruhen und schließlich zum Putsch: Großkönig Chosrau II. wurde ermordet, und die neuen Herrscher boten Frieden an. Herakleios sagte nur zu gern zu, denn auch er
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+ + + Italien fällt an die Langobarden + + + 93 + + + war am Ende seiner Kräfte. Die Perser gaben Syrien und Ägypten zurück, jedoch keine zusätzlichen Gebiete. Auch Tribut zahlten sie nicht. Ostrom hatte also lediglich das Reich in seinen alten Grenzen wiederhergestellt. Immerhin gaben die Perser das Heilige Kreuz zurück – dessen wird in der orthodoxen Kirche bis heute gedacht. Bei all den pompösen Siegesfeiern wurde zweierlei nicht bedacht: Zum einen, dass Ostrom extrem geschwächt und finanziell ausgeblutet war, zum anderen, dass es beim erbitterten Streit zwischen Persien und Byzanz einen lachenden Dritten gab: die zum neuen Glauben, dem Islam, bekehrten Araberstämme. Gelang Herakleios im Jahr 629 gerade noch deren Abwehr, so fiel Syrien 636 nach vierjährigem Kampf. Schuld an der Niederlage war weniger das Unterschätzen des Gegners als vielmehr der angesichts der leeren Staatskassen verzweifelte Versuch der kaiserlichen Beamten, in den von den Persern »befreiten« Gebieten die während der zwanzigjährigen sassanidischen Herrschaft nicht entrichteten Steuern auf einen Schlag einzutreiben. Da war der Bevölkerung eine Herrschaft der Muslime, die zumindest anfangs vergleichsweise tolerant waren, doch lieber. 642 verlor Ostrom auch Palästina und Ägypten, das Gebiet um Karthago konnte es noch bis 692 halten. Armenien ging Mitte des 7. Jahrhunderts verloren. Weitaus schlimmer traf es die Perser, deren gesamtes Reich nun unter die Herrschaft der Muslime fiel. In der »Doctrina Jacobi nuper baptizati«, einer zwischen 630 und 640 verfassten religiösen Schrift, in der ein fremder Prophet erwähnt wird – vielleicht Mohammed –, heißt es: Vom Ozean, von Britannien, Hispanien, Francia und Italien bis Hellas, Thrakien, Ägypten und Afrika waren bis in unsere Tage römische Grenzsteine und die Standbilder der Kaiser zu sehen, denn auf Gottes Geheiß waren ihnen all diese Völker untertan. Doch nun sehen wir das Römerreich geschrumpft und erniedrigt. So gab es spätestens Anfang des 8. Jahrhunderts kein eigentliches Oströmisches Imperium mehr. Aus den verblieben Resten um Konstantinopel hatte sich ein kleines Reich gebildet, das nur noch die Stadt selbst, Kleinasien sowie Teile Griechenlands und der Ägäis umfasste. Es war ein griechisches Reich, und der Herr-
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+ ++ 94 +++ Versuche einer Neuordnung + + + scher nannte sich, obwohl er sich auf die römische Tradition berief, nicht mehr imperator, sondern basileus. In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts vermochte Byzanz arabische Angriffe auf die Hauptstadt abzuwehren. 150 Jahre nach der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers stand auch das Oströmische Reich kurz vor seinem Ende. Wie in Westrom waren die Staatskassen leer, Heer und Bevölkerung am Ende ihrer Kräfte, zudem war das Reich von inneren Krisen geschwächt. Dass Herakleios mit seiner Offensivstrategie, dem Vorstoß ins Kernland des Feindes, 626 Erfolg hatte, galt den Zeitgenossen als »göttliches Wunder« und späteren Historikern als Ausdruck militärischen, diplomatischen und propagandistischen Geschicks, gepaart mit glücklichen Zufällen. Ohne diese hätte die Landkarte des östlichen Mittelmeers womöglich anders ausgesehen. Doch auch so markieren die Jahre ab 626 im Osten des einstigen Imperiums das Ende der Spätantike. Das oströmische oder frühbyzantinische Reich wurde zum Byzanz des Mittelalters. Ständig in Abwehrkämpfe verwickelt, konnte sich der Nachfolger Ostroms halten – und das war eigentlich erstaunlich. Den Arabern misslang im 8. Jahrhundert die Eroberung Konstantinopels erneut, angeblich wurden sie neben dem strengen Winter durch den vermutlich ersten größeren Einsatz von sogenanntem griechischen Feuer zurückgeworfen. Diese auch als »flüssiges Feuer« bezeichnete Brandwaffe war ein brennbares Gemisch, das mittels einer Art Druckpumpe auf die gegnerischen Schiffe gespritzt und dort entzündet wurde. Auf dem Balkan war der neue Gegner das aufstrebende Reich der Bulgaren, mit dem es nach mehreren Kriegen zu einem Modus Vivendi kam, der durch die Annahme des Christentums begünstigt wurde. Altes Wissen und Traditionen, Verwaltung und Militär waren in Konstantinopel nicht nur bewahrt, sondern weiterentwickelt worden. Hinzu kam aber auch Glück, das Byzanz nicht nur überleben half, sondern im 9. und 10. Jahrhundert sogar zu einer neuen Blüte und kurzzeitiger Expansion führte. Im Hoch- und Spätmittelalter konnte sich Byzanz als Regionalmacht im Mittelmeer etablieren, bis Konstantinopel 1453 von den Osmanen erobert wurde. Dieses Datum galt späteren Historikern als Epochen-
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 95 + + + grenze, die das Ende des Mittelalters markiert. Sicher ist, dass das Imperium Romanum mit dem Fall Konstantinopels endgültig der Vergangenheit angehörte.
»Dunkle Zeiten« Ob die meisten Menschen den Fall des Imperiums als Rückfall, das 6. und 7. Jahrhundert als »dunkle Zeit« erlebt haben, wissen wir nicht. Die einfachen Leute in Gallien, Spanien, Rätien und Noricum, später auch in Italien selbst lebten während der letzten hundert Jahre des Westreichs in ständiger Gefahr von Krieg und Plünderung, denen vielfach regionale Wirtschafts- und Hungerkrisen folgten. Dann gab es wieder Phasen der Erholung, verbunden mit der Hoffnung auf ein Leben wie in der guten alten Zeit. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass die Masse der Menschen die Veränderungen nach dem Fall des Imperiums durchaus bemerkte, auch wenn Lebenserwartung und »Generationengedächtnis« seinerzeit kurz waren. In erster Linie hatten sich die Menschen jedoch mit ihrer unmittelbaren Lebenswirklichkeit zu beschäftigen, sich mit den neuen Herrschern zu arrangieren und zu bewahren, was zu bewahren war. Es galt, die Städte zu erhalten, auch wenn sie kleiner wurden, wenigstens eine regionale Wirtschaft in Gang zu bekommen und damit das Überleben zu sichern. Wahrscheinlich vermissten die Menschen die Stabilität, die ihnen das Imperium tatsächlich oder auch nur in der oftmals verklärenden Rückschau gegeben hatte. Viele der neuen Reiche waren kurzlebig, eine einzige Krise oder ein Krieg konnte bewirken, dass sie verschwanden – wie die der Gepiden oder Heruler, von denen wir heute nicht viel mehr kennen als den Namen. Rückblickend lässt sich vor allem anhand archäologischer Funde belegen, dass der Fall des Hesperium Imperium für den Alltag gravierende Folgen hatte – je weiter man von Italien aus Richtung Westen und Norden ging, desto mehr. Der Handel, vor allem der Fernhandel ging erheblich zurück. Olivenöl, früher eine Massenware, war kaum mehr zu finden, Wein, wenn er denn überhaupt
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+ ++ 96 +++ Versuche einer Neuordnung + + + noch angebaut wurde, nur auf den regionalen Märkten, und die zuvor in fabrikähnlichen Stätten gefertigten Schüsseln oder Becher wurden nun in häuslicher oder anderweitig begrenzter Produktion hergestellt. Auch in anderen Bereichen nahm die Qualität des Handwerks ab, weil in schlechten Zeiten die Prioritäten für die Produktion anders gesetzt wurden und weil alte Fertigkeiten verloren gingen. Häuser wurden nicht mehr vorwiegend aus Stein, sondern in Fachwerk gebaut, wobei die Stadthäuser oder Bauernkaten des Frühmittelalters nicht mit den schmucken Fachwerkgebäuden späterer Zeiten zu verwechseln sind. Kultbauten wie Tempel wurden – wenn sie nicht zu christlichen Kirchen umgewidmet wurden – der Not gehorchend oft als Steinbrüche genutzt, vor allem für Stadtbefestigungen. Münzen wurden kaum noch geprägt, an einigen Orten ging man sogar zur Natural- und Tauschwirtschaft zurück. Hinzu kam, dass die fest gebauten und schnurgeraden Straßen, Prunk- und Markenzeichen des Imperiums, vernachlässigt wurden. Gravierender noch war, dass technische Errungenschaften in Handwerk und Agrarwirtschaft in Vergessenheit gerieten und das Bildungsniveau merklich sank. Die Einwohnerzahlen in den Städten gingen zurück – je weiter vom Mittelmeer entfernt, umso dramatischer. In jenen Gegenden dominierten wieder Dörfer und Weiler, bei einem Leben auf dem Land mit Subsistenzwirtschaft war eine ausreichende Ernährung eher gesichert als beim Leben in der Stadt. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass wohl aus diesem Grunde im Frühmittelalter kein Nahrungsmangel herrschte. Eine Folge der Regionalisierung und Zersplitterung war auch die Auseinanderentwicklung der Sprachen. Auf nahezu dem gesamten vormaligen Reichsgebiet entstanden unterschiedliche »romanische« Sprachen, in Britannien und jenseits des Rheins dominierte das Germanische, in einzelnen Gebieten setzten sich sogar keltische Dialekte durch. Grundlegend änderte sich auch die Militärstruktur. Die Nachfolgereiche verfügten nicht mehr über ein stehendes Heer, das sie sich auch gar nicht hätten leisten können. Die nach wie vor hochprofessionelle Militärelite – dieser »Wirtschaftszweig« war wie in der gesamten Menschheitsgeschichte nie von einem Niedergang betroffen – finanzierte sich in den kommenden Jahrhunderten zu-
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 97 + + + nehmend auf andere Weise: Die Bewaffneten erhielten von ihrem Herrscher Land, das ihnen Einkünfte sicherte, und mussten dafür zur Verfügung stehen, wenn der Herrscher sie rief. Der Transformationsprozess von der Spätantike zum frühen Mittelalter war für die Masse der Menschen schmerzhaft, auch wenn – wie immer in solchen Umbruchszeiten – einige Eliten nach wie vor gut lebten. Und wie immer wurde auch manches Gute weitergeführt: nützliche Verwaltungsstrukturen und Rechtsvorschriften. Höchst wichtig war auch, dass der katholische Glaube eine Klammer um die auseinandergebrochenen Teile des Weströmischen Reiches bildete. Über alle Grenzen hinweg wurde Latein zur Lingua franca und Gelehrtensprache. Eine wichtige Rolle spielten auch die Klöster – in ihnen wurde das alte Wissensgut aufbewahrt und oft nach Jahrhunderten wiederentdeckt und fruchtbar gemacht. Vor allem aber blieb je länger, je mehr die Erinnerung an das Imperium im kollektiven Gedächtnis der Völker. Und die Eliten – Adel und Kirche – verstanden sich ganz bewusst als Fortsetzer des Römischen Reiches und legitimierten ihr Handeln damit.
Neue Reiche und Machtkonstellationen in Europa Das sicherlich einschneidendste Ereignis in der nachimperialen Welt war der Aufbruch der arabischen Stämme. Nicht Hunger und Not, sondern Missionseifer trieb sie an, auch wenn sie Gold und andere Beute gewiss nicht verachteten. Die Muslime wollten die von Mohammed gestiftete und von seinen Nachfolgern kanonisierte Religion verbreiten, und sie trafen dabei auf zwei Großreiche, die sich gegenseitig geschwächt und zerrieben hatten. Das Perserreich fiel ihnen bis 651 ganz in die Hände, Ostrom in weiten Teilen. Erst fiel Syrien, dann Palästina und Ägypten, schließlich die Provinz Africa um Karthago, und 711 überquerten die Mauren die Straße von Gibraltar. Der schnelle Vormarsch war nur zum Teil darauf zurückzuführen, dass die flexiblen arabischen Reiterscharen den geschwächten, unbeweglichen und ausgebluteten Heeren der beiden alten Reiche überlegen waren. Vor allem verstanden es ihre Herrscher,
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+ ++ 98 +++ Versuche einer Neuordnung + + + mit der Bevölkerung der eroberten Gebiete vergleichsweise gut auszukommen. Sie zwangen dieser nicht die eigene Lebensweise und Religion auf, und die Steuern und Abgaben hielten sich gemessen an dem, was die Perser oder Ostrom gefordert hatten, in Grenzen. So sehr die neuen Herren an ihrer Religion festhielten, waren sie zugleich bereit, von Kultur und Wissenschaft des römischen Imperiums zu lernen und sie weiterzuentwickeln. Mit Spanien trafen sie auf einen der erfolgreichsten Nachfolgestaaten des Imperiums. Dort hatte sich die seit Beginn des 5. Jahrhunderts verworrene Situation geklärt. 409 waren Sueben, Vandalen und Alanen über die Pyrenäen gezogen; die zwei Letzteren setzten 429 nach Afrika über. Im Westen, im Bereich des heutigen Portugals gründeten die Sueben ein Königreich, das zeitweilig sogar von Rom anerkannt wurde und auf Expansion bedacht war. Doch stieß dieses erste germanische Königreich auf römischem Boden auf einen stärkeren Gegner: die Westgoten. Diese hatten große Teile Südgalliens de facto unter ihre Kontrolle gebracht und nach der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern – als Verbündete von Heermeister Aëtius hatten sie gemeinsam Attilas Vormarsch in der Nähe des heutigen Troyes gestoppt – ihren Einfluss auf die römische Politik derart verstärkt, dass ihr König Theoderich II. einen Freund, den römisch-gallischen Adeligen Avitus, kurzzeitig auf den Kaiserthron setzen konnte. Auch schlug er in einem Feldzug die Sueben vernichtend und begann, Gebiete im Osten der ehemaligen Provinz Hispanien zu besiedeln. Theoderichs Nachfolger Eurich ging dann gemeinsam mit Teilen der gallorömischen Elite auf Konfrontationskurs zum dahinsiechenden Westrom und weitete sein Gebiet systematisch Richtung Spanien aus. 507 kam es fast zur Katastrophe. Die Franken unter Chlodwig schlugen die Westgoten vernichtend und eroberten einen Großteil des südlichen Galliens. Dass sich die auf Spanien zurückgedrängten Westgoten halten konnten, verdankten sie einzig dem damals mächtigen Ostgotenfürsten Theoderich, der sich kurzerhand zu ihrem König erklärte und Chlodwig damit weitere Eroberungsgelüste nahm. 526 wurde das Westgotenreich wieder selbstständig. Obwohl nach einer weiteren Niederlage alle noch ver-
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 99 + + + bliebenen Regionen Galliens bis auf einen kleinen Küstenstreifen an die Franken verloren gingen, konnte sich das Toledanische Reich – benannt nach seiner Hauptstadt Toledo – stabilisieren und sogar ausweiten. Der Versuch der Oströmer, Cordoba und Carthago Nova, das heutige Cartagena, 552 von Süden her zurückzuerobern, wurden vereitelt – Anfang des 7. Jahrhunderts wurden die Byzantiner ganz aus Spanien vertrieben. Mit der endgültigen Unterwerfung der Sueben und weiterer einheimischer Stämme kontrollierten die Westgoten nun fast die ganze Iberische Halbinsel. Mit der Einführung des Katholizismus konsolidierte sich das Reich. Durch die Kirche erhielt es ein Korsett, zu dem auch die Schriftsprache Latein und eine Kodifizierung des Rechts gehörten. Kunst und Kultur blühten, mit Isidor von Sevilla wirkte dort der wohl bedeutendste Denker des Mittelmeerraums. Das Westgotenreich hatte allerdings auch ein höchst problematisches Erbe der letzten hundert Jahre des Imperiums übernommen, nämlich Intrigen und ständige Machtkämpfe der Adelsfamilien um den Thron, die das Land erschütterten. Dass von den siebzehn Königen des 7. Jahrhunderts mehr als zehn abgesetzt und viele davon ermordet wurden, schwächte das Reich und vor allem seine Kampfkraft erheblich. Nachdem das Heer der Muslime 711 die Meerenge von Gibraltar überquert hatte, wurde der letzte Westgotenkönig Roderich I. vernichtend geschlagen. Die Hauptstadt Toledo ergab sich kampflos, einige Städte wie Sevilla leisteten noch Widerstand. Die Mauren, die immer neue Truppen aus Afrika kommen ließen, konnten die Eroberung der Iberischen Halbinsel 719 abschließen. Ein Jahr zuvor hatte in Asturien unter dem Westgoten Pelagius ein Aufstand der Christen stattgefunden – die Keimzelle der Reconquista, der christlichen Rückeroberung Spaniens, die erst 1492 abgeschlossen werden konnte. Freilich hätte diese Reconquista nie Erfolg gehabt, wären die Mauren nicht auf einen anderen Nachfolgestaat des Weströmischen Reiches gestoßen, die Franken. Begründer von deren Reich war Chlodwig, Sohn des fränkischen Fürsten Childerich, den Rom als Verwalter in Nordgallien eingesetzt hatte. 482 an die Macht gekommen, besiegte Chlodwig zunächst den aus einer in Lyon ansässigen vornehmen römischen
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+ ++ 100 +++ Versuche einer Neuordnung + + + Familie stammenden Sygarius, der sich als früherer magister militum in den 470er-Jahre als »römischer König« selbstständig gemacht hatte. Dann arrondierte er sein Gebiet, indem er die anderen fränkischen Stammesherrscher, die rheinischen Alemannen und schließlich die Westgoten schlug, deren südgallisches Reich er usurpierte. Chlodwigs Söhne setzten die Eroberungen fort, die Burgunden, Thüringer und süddeutschen Alemannen wurden dem nach der Königssippe benannten fränkischen Merowingerreich einverleibt. Das Reich der Merowinger war der eigentliche Gewinner des Ostgotenkrieges – für ihre Hilfe überließ Gotenkönig Vitiges ihnen 536 die Provence, später gewannen sie ganz Rätien ohne größeren Widerstand. Der Erfolg der Franken resultierte wohl nicht nur aus ihrer Anzahl, sondern auch daraus, dass hier ein selbstständiger, ursprünglich römischer Kampfverband mit vergleichsweise überlegener Militärtechnologie Schritt für Schritt ein Reich eroberte und dass dessen Elite in den gemeinsamen Erfolgen als Krieger eine verbindende Lebensweise fand. Ausgesprochen geschickt war auch der von Chlodwig befohlene Übertritt zum katholischen Glauben, der dem jungen Frankenreich die Unterstützung der Kirche sicherte sowie Siegern und Besiegten ein gemeinsames geistiges Band gab. So entstand aus römischer Provinzialtradition, katholischem Glauben und auf Gefolgschaft beruhendem germanischen Lebensstil eine Art fränkische Identität. In diesem Großreich herrschten bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts formell die Merowinger, doch gewannen die sogenannten majores domus, die Hausmeier, zunehmend an Einfluss. Diese waren zunächst nur für das Funktionieren des Hofstaates zuständig, dann auch für die Verwaltung aller königlichen Güter und Einnahmen. Schließlich wurden sie von Vertrauten des Königs zu den eigentlichen Leitern der Staatsgeschäfte und schafften es sogar, das Hausmeieramt erblich zu machen – mehr allerdings nicht. Mehrere Versuche, das Königsamt zu usurpieren, scheiterten am Widerstand anderer Adelsgeschlechter. Der bedeutendste dieser Hausmeier war Karl Martell, der von 719 an das Fränkische Reich mit eiserner Hand regierte. In die abendländische Geschichte ging er ein, als er im Jahr 732 als
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 101 + + + Führer einer Koalition aus Franken, Langobarden, Sachsen und Friesen die Araber in der Schlacht von Tours und Poitiers besiegte. Damit hielt er den bis dahin unaufhaltsam scheinenden Vormarsch der muslimischen Truppen auf, die bis 759 noch einen Teil des Frankenreichs um Narbonne besetzt hielten und sich dann nach Spanien zurückzogen. Entscheidend für den endgültigen Sieg war die nach 732 eingeführte Heeresreform, die eine schwer gepanzerte Adelsreiterei anstelle der bisher aus freien Bauern und deren Knechten bestehenden Fußkämpfer zum wichtigsten Teil der Armee machte. Diese später Ritter genannten Kämpfer konnten ihre Rüstung und ihre Hilfstruppen nur durch an sie verliehene Güter, die Lehen, finanzieren. So nahm das Mittelalter seine uns vertraute Gestalt an. Unter dem Sohn Karl Martells erfuhr das Frankenreich weiteren Aufschwung. Nachdem Pippin III. seinen Bruder Karlmann und den letzten Merowingerkönig Childerich III. ins Kloster verbannt hatte, ließ er sich nach biblischem Vorbild zum König salben. Während sein Vater das Frankenreich im Norden im Kampf gegen Sachsen, Friesen, Bajuwaren, Thüringer und Alemannen erweitert hatte, zog Pippin nach Süden gegen die Langobarden und verband dies mit einem die kommende Zeit prägenden Schachzug. Er verbündete sich mit dem Papst, dem er einen eigenen Staat versprach, den späteren Kirchenstaat – die sogenannte Pippinsche Schenkung. Dafür sollte das Oberhaupt der katholischen Kirche ihn und seine Nachkommen als legitime Könige des Frankenreiches anerkennen. Pippins Sohn Karl – später »der Große« genannt – trat in die väterlichen Fußstapfen, überschritt im Jahr 773 die Alpen und begann einen weiteren Feldzug gegen die Langobarden. Deren Reich, das inzwischen weite Teile Italiens umfasste, wurde zerschlagen und ihr letzter König Desiderius in ein Kloster verbannt. Von nun an beherrschte Karl als rex Francorum und Langobardorum fast das gesamte westliche Europa. Im Laufe seiner 47-jährigen Herrschaft eroberte er auch die Gascogne und Aquitanien, unterwarf und christianisierte die Sachsen, beendete die relative Selbständigkeit Bayerns, zerschlug im zweiten Anlauf das Reich der Awaren unter Mitnahme von deren beträchtlichem Schatz
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+ ++ 102 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + +
Europa zur Zeit Pippins
Skoten
Angelsachsen Briten
Atlantischer Ozean
Sachsen
REICH DER FRANKEN Awaren Venedig
ASTURIEN REICH DER LANGOBARDEN Toledo
Lissabon
Barcelona
Rom
Korsika
Neapel Sardinien
Córdoba
OSTRÖMISCHES
Granada
Cádiz
Karthago
Tanger
Sizilien
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Syracus
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M i t te l m e
© Theiss Verlag/Peter Palm
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 103 + + +
Ausdehnung unter dem Propheten Mohammed, 622–632 Gebietsgewinne unter den vier rechtgeleiteten Kalifen, 632 – 661 Gebietsgewinne unter dem omajadischen Kalifat, 661 – 750 Gebiet des Oströmischen Reiches um 700
Ausbreitung des Islam
Slawen
Ar
Chazaren
Wo
lga
Bulgaren K as p i s ch e s M e e r
Magyaren
Awaren
Türken S chwa r zes
au
n Do
Tiflis
M eer
Trapezunt Adrianopel
Konstantinopel Ancyra Mosul
Smyrna
Hamadan
ris
Tig
S
Tarsus
(BYZANTINISCHES) REICH Antiochia Eu
Zypern
ph
rat
Bagdad
Kreta
Damaskus
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Kufa Basra
Jerusalem Alexandria Fustat (Kairo)
ÄGYPTEN Nil
R o tes M eer
Medina
ARABIEN
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+ ++ 104 +++ Das Ende des Weströmischen Reiches + + + und arrondierte sein Reich auch um kleinere Gebiete im Norden und Osten. Der 795 zum Papst gewählte Leo III. floh – vom aufmüpfigen römischen Stadtadel angefeindet und schließlich aus der Stadt vertrieben – zu Karl und erneuerte das Bündnis zwischen katholischer Kirche und Frankenreich. Im Sommer des Jahres 800 zog Karl Richtung Italien, wo ihn der auf seinen Druck wieder eingesetzte Leo III. empfing. Am Weihnachtstag wurde der Frankenkönig zum Kaiser gekrönt und mit einer Titelflut bedacht, wie sie seit den Tagen des Romulus Augustulus kein Herrscher im Westen Europas mehr auf sich vereint hatte. Karl war nun »Durchlauchtigster Augustus, von Gott gekrönter Friedensbringer und Herrscher des Römischen Imperiums und von Gottes Gnaden auch König der Franken und Langobarden« (Carolus serenissimus Augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam dei rex Francorum atque Langobardorum). Karl sah sich als Nachfolger und zugleich Erneuerer Roms und auf gleicher Augenhöhe mit seinem östlichen Kollegen, dem Basileus von Byzanz. Für seine Zeitgenossen war mit der Kaiserkrönung die translatio Imperii vollendet. Eine eigenständige Entwicklung durchliefen die Britischen Inseln. Trotz der Dauerbedrohung nördlich des Hadrianwalls lebte es sich im 4. Jahrhundert noch so gut in der britannischen Provinz, dass auch die Kaiser immer wieder gern Eboracum, das heutige York, aufsuchten. Dann aber begann mit zwei Putschen der rasche Niedergang. 383 kam aus Britannien Magnus Maximus mit seinen Truppen, der Kaiser Gratian schlug und sich im Norden einen kurzlebigen Machtbereich schuf. Ein weiterer Usurpator, Konstantin III., setzte 407 aufs Festland über, von wo er und seine Truppen nicht mehr zurückkamen. Zu diesem militärischen Aderlass kam, dass seit Beginn des 5. Jahrhunderts der Großteil der britischen Legionen zum Schutz der näher an Rom gelegenen Regionen abgezogen wurde und der Sold für den Rest ausblieb. Britannien blieb seitdem für das Imperium out of sight, so dass sich der Niedergang dort schneller als im übrigen Westreich vollzog. Bereits Mitte des Jahrhunderts – dafür sprechen alle archäologischen Erkenntnisse – waren die Lebens-
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 105 + + + verhältnisse deutlich schlechter, die römischen Villen und Siedlungen weitgehend verlassen. Irgendwann im 5. Jahrhundert kamen die Angeln und die Sachsen. Es war, wie der keltische Priester Gildas schreibt, eine schreckliche Zeit für die Menschen auf der Insel: Alle wichtigen Städte wurden unter Einsatz von Sturmböcken dem Erdboden gleichgemacht, auch alle Einwohner – kirchliche Würdenträger, gewöhnliche Priester und Normalbürger wurden niedergemacht, während die Schwerter schimmerten und überall die Flammen knisterten … Mitten auf den Plätzen wurden die Grundsteine hoher Mauern und Türme aus den mächtigen Fundamenten herausgerissen, heilige Altäre, Leichenteile, bedeckt mit purpurnen Krusten geronnenen Bluts, sahen so aus, als habe man sie in einer kolossalen Traubenpresse miteinander verrührt. Die Sachsen gründeten im Osten ihre Fürstentümer, während im Westen einige Königreiche romanisch-keltischen Ursprungs bestehen blieben. Es war eine dunkle, legendenumwobene Zeit, aus der mittelalterliche Dichter und Sänger die Geschichten um König Artus und seine Tafelrunde woben. Die Landnahme der Angeln und Sachsen war nicht die letzte Invasion der Britischen Inseln. 1066 kamen Wilhelm der Eroberer und seine Normannen. Diese »Krieger aus dem Norden« waren ursprünglich in Skandinavien ansässig. Seit Beginn des 7. Jahrhunderts überfielen Dänen, Schweden, Norweger und Balten – sie erhielten den Sammelnamen Normannen oder »Seekrieger«, altnordisch vikingr – mit ihren Langbooten die Küsten Europas und erreichten sogar Konstantinopel. Einige von ihnen gründeten Reiche wie auf Sizilien oder in der Normandie im Norden Galliens, von der aus Wilhelm dann Richtung England aufbrach. Um die Jahrtausendwende hatte sich die Mittelmeerwelt grundlegend verändert. Einziges Überbleibsel des alten Imperiums war das Oströmische Reich. Byzanz hatte dem Ansturm der Araber getrotzt und war eine anerkannte Mittelmacht, mehr aber auch nicht. Wie ein Halbmond erstreckten sich die Kalifate vom Nahen Osten über Nordafrika bis nach Spanien – eine blühende Kultur, die ihrerseits von den türkischen Seldschuken bedroht wurde.
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+ ++ 106 +++ Versuche einer Neuordnung + + + Das Zentrum Europas hatte sich nach Norden verschoben. In der Mitte des Abendlandes lag ein relativ instabiles Gebilde, das sich als Nachfolgestaat des Imperium Romanum verstand und sich später auch offiziell »Heiliges Römisches Reich« nannte. Es war aus dem Ostfränkischen Reich entstanden, dem größeren Teil jenes riesigen Gebietes, das um 800 von Karl dem Großen beherrscht wurde. Diesem Frankenherrscher war es für kurze Zeit gelungen, fast das ganze europäische Gebiet des alten Imperiums unter seine Kontrolle zu bringen. Wenn später europäische Visionäre von der »Einheit des Abendlandes« und einem »geeinten Europa« sprechen werden, tun sie das fast immer mit Verweis auf Karl den Großen. Um das Jahr 1000 war das sich auf das römische Erbe berufende Reich ein großes Territorium mit wechselnden Grenzen, wenn auch das spätere Deutschland dessen Kern bildete. Anders als Frankreich oder Großbritannien wurde es nie zu einem Nationalstaat mit ausgeprägter nationaler Identität. Das Bewusstsein, Bürger des Reiches zu sein, wurde vor allem bei den kleinen Leuten immer von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammesoder Landesfürstentum überdeckt. Das Reichsoberhaupt wurde gewählt, der hohe Adel und die Geistlichkeit – später die Kurfürsten – kürten den Herrscher, am liebsten einen möglichst schwachen. Die Könige und Kaiser ihrerseits setzten alles daran, den Erbgedanken durchzusetzen und versuchten ihre Abhängigkeit zu vermindern, indem sie ihre Hausmacht stärkten, die ihnen eigenes Einkommen und Truppen sicherte. In ihrer Funktion als König waren sie Regierungschefs mit beschränkten Vollmachten, vor allem in der Außenpolitik, wenn Kriege drohten, und als Schlichter bei inneren Fehden. Der Kaisertitel diente vor allem der Reputation und Repräsentation und legitimierte durch die göttliche Weihe ihre Macht. Mit der Kaiserkrönung war eine Demutsgeste gegenüber dem Papst verbunden, der sich mit dem weltlichen Herrscher zumindest auf Augenhöhe wähnte. Vom Ringen um die weltliche und/oder geistliche Dominanz wurde das Reich immer wieder fast zerrissen. Auch deshalb gelang eine Integration des in Kleinstaaten zerfallenen Italiens immer nur teilweise und nie dauerhaft.
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+ + + »Dunkle Zeiten« + + + 107 + + + So war das Reich ein von ständigen inneren Kämpfen geschwächter Dachverband von Fürstentümern und entwickelte sich anders als die umliegenden Länder nicht weiter. Frankreich, England und das durch die Reconquista erstarkende Spanien wurden Nationen mit großer Zentralgewalt. Sie expandierten über Europa hinaus, und das Zentrum des Abendlandes verschob sich von der Mitte wieder an die Peripherie. So war der europäische Normalfall erreicht, ein Nebeneinander und leider oft auch ein Gegeneinander von Staaten und Nationen. Die Rivalität führte immer wieder zu erbitterten Kriegen, die nicht nur auf dem alten Kontinent ausgetragen wurden. Nach den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurde die Sehnsucht nach Frieden und Miteinander wieder größer. Bei der Vision vom »gemeinsamen Europa«, vom »Europa der Vaterländer« wird auf die Geschichte verwiesen, auf Karl den Großen als »ersten Europäer« und auf das Imperium Romanum als Beispiel eines Reiches, in dem glückliche Bürger in Rechtssicherheit und Frieden lebten.
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+ ++ 108 +++ »Dunkle Zeiten« + + +
++ + Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + ++ Aufstieg und Fall des Römischen Reiches boten Dichtern und Denkern aller Jahrhunderte das gigantische, oft überzeichnete Panorama einer faszinierenden Vergangenheit. In dem von Dekadenz und dräuenden Barbareneinfällen geprägten schauerlichen Bild des sterbenden Imperiums fanden und finden manche oft und gern Parallelen zur eigenen Zeit. So wurde die Beschäftigung mit Roms Fall vielfach zur Projektionsfläche gegenwärtiger Probleme und Ängste.
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+ + + Rom als Projektionsfläche der jeweiligen Gegenwart + + + 109 + + +
Rom als Projektionsfläche der jeweiligen Gegenwart Die Ewige Stadt, das Goldene Rom, Glanz und Fall des Imperiums waren und sind ein wesentlicher Teil abendländischen Geschichtsverständnisses und europäischer Identität. Wer immer die Frage »Woher kommen wir?« stellte, für den war das Weströmische Reich ein ganz wesentlicher Bestandteil der Vorgeschichte unseres Kontinents, aber auch der einzelnen Länder. Auch wenn wir gar nicht mehr wissen, dass viele lateinische Wörter in unsere Sprache eingingen und altrömische Traditionen bis in die Gegenwart reichen – die Namen großer Feldherrn und Kaiser, wichtige Ereignisse dieser Zeit blieben im historischen Gedächtnis der Völker. Auch ihre Dichter und Denker sowie die Demagogen sind jederzeit abrufbar. So haben Glanz und Untergang Roms Generationen abendländischer Gelehrter und Historiker beeindruckt und beschäftigt. Das ganze Mittelalter bezog sich in seiner imperialen Idee auf Rom, die Kirche machte die Stadt Rom nicht zufällig zu ihrem Mittelpunkt, der Aufbruch zu neuen, auch geistigen Welten wurde nicht von ungefähr als Renaissance bezeichnet, als »Wiedergeburt« der – verklärten – Antike. Auch fast alle imperialen Ideen im neuzeitlichen Europa haben Bezug zum Imperium Romanum. Bis in unsere Zeit waren Aufstieg und Fall Roms ein welthistorisches Paradigma. Oswald Spengler (1880–1936), Geschichtsphilosoph und Autor von »Der Untergang des Abendlandes« (1918–22), schrieb gar, dass das Römertum »uns, die wir auf Vergleiche angewiesen sind, immer den Schlüssel zum Verständnis der eigenen Zukunft bietet«. So waren und sind die Fragen nach den Ursachen für den Untergang Westroms nicht nur ein Streit zwischen Fachgelehrten, die einen weltbewegenden Prozess in seiner Komplexität verstehen wollen, sondern auch Spiegel der jeweiligen Zeit – das gewaltige spätantike Panorama wird zur Projektionsfläche der aktuellen Ängste. Was als Analyse der Vergangenheit erscheint, wird verbunden mit einem mehr oder weniger deutlichen Fingerzeig darauf, was für Schlussfolgerungen aus der Geschichte zu ziehen sind.
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+ ++ 110 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + + Man könnte dieses kollektive historische Gedächtnis mit einem Apothekerregal vergleichen, das ein Dutzend unterschiedlicher Schubladen mit entsprechenden Arzneien enthält. Wenn in der Gegenwart das Problem Überfremdung auftaucht, über Dekadenz oder Sittenverfall geklagt oder mangelnder Selbstbehauptungsund Wehrwille konstatiert wird, dann wird die jeweilige Schublade aufgezogen und die Vergangenheit bemüht, dann wird mahnend auf den Untergang des Römischen Reiches verwiesen. Diese Art von »Lernen aus der Geschichte« hat nicht nur im Abendland eine unheilige Tradition. So müssen wir in Bezug auf die Rezeption und Deutung der Spätantike immer die Perspektive des jeweiligen Beobachters berücksichtigen, wenn wir uns mit seinen Schlussfolgerungen auseinandersetzen. Manchmal sagt eine wissenschaftliche Darstellung – beruhe sie noch so sehr auf angeblich »objektiven« Fakten – mehr über die Zeit des Autors als über die behandelte Epoche. Das wiederum macht Rezeptionsgeschichte so überaus spannend.
Erben des Imperiums – Rom im frühen und hohen Mittelalter Schon für die Zeitgenossen waren das Ewige Rom, die pax Romana, die länderübergreifende Romanitas irgendetwas zwischen Realität und Vision. Diese verklärte Sicht auf die gute alte Zeit gewann gerade in den letzten Jahrzehnten des Weströmischen Reiches an Bedeutung und wirkte über die Grenzen des Imperiums hinaus. Für Barbaren aller Art, denen womöglich noch ein anderer Stamm im Nacken saß, war es das gelobte Land, das Gold, auf jeden Fall aber Nahrung und sichere Zukunft verhieß. So überdauerte die Vorstellung von dem, was Rom einmal war oder gewesen sein könnte, im historischen Gedächtnis der Völker diesseits und jenseits des Limes. Bezeichnend war, dass Konstantinopel den Topos vom Ewigen Rom, das für Frieden und Wohlstand zu sorgen hatte, sehr schnell übernahm. Bereits im 5. Jahrhundert stellte man dort in Malerei und Drama der gealterten, ja greisen Roma die junge, moderne und unverbrauchte Tochter Konstantinopel gegenüber. Ein Bild,
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+ + + Rom als Projektionsfläche der jeweiligen Gegenwart + + + 111 + + + das unter Justinian oft und gern verwendet wurde, rechtfertigte der Kaiser damit doch seine als Restauratio imperii verstandenen Pläne, das gefallene Westreich zu erobern und unter eine einheitliche Herrschaft, diejenige Ostroms, zu stellen. Und als schließlich Byzanz fiel, sahen die russischen Zaren sich als dessen Erben und damit auch als jene des Römischen Reiches – Moskau als das Dritte Rom. Als Erben Roms fühlten sich auch die Germanen, die das Reich oder Teile davon erobert hatten. Odoaker, dann Theoderich und schließlich der Franke Chlodwig sahen sich als »Fortsetzer« des Römischen Reiches und legitimierten ihre Herrschaft ganz bewusst damit, dass sie römische Verwaltungsstrukturen, römisches Recht, römisches Zeremoniell und römische Religion – das Christentum in der sich schließlich durchsetzenden katholischen Richtung – übernahmen. Der erste Höhepunkt dieser Translatio imperii ist die Krönung Karls des Großen zum »römischen« Kaiser. Der Frankenherrscher hatte in dieser Lesart durch die »Übertragung« des Titels das Recht, im gesamten ehemalige Reichsgebiet für Frieden zu sorgen, Recht zu sprechen und Gesetze zu erlassen, wobei er sich explizit auf das römische Recht – was in vielen Teilen schon als Gewohnheitsrecht übernommen war – stützen und seine Entscheide damit legitimieren konnte. Die Vorstellung der translatio imperii hatte auch eine höchst brisante kuriale Variante. Die römisch-katholische Kirche, deren Organisation und Institutionen den Fall des Weströmischen Reiches und die folgenden Jahrhunderte mehr oder weniger unbeschadet überstand und eine Art geistiger Klammer der neuen Reiche bildete, fühlte sich nicht ganz zu Unrecht als die eigentliche Fortsetzerin des Römischen Reiches. Schon Papst Leo I., der nach seiner spektakulären Begegnung mit Attila den Beinamen »der Große« erhielt, hatte den Titel des obersten römischen Priesters, des pontifex maximus, angenommen. Und in der geschickt gefälschten, aber weithin für wahr gehaltenen Konstantinischen Schenkung wurde gesagt, Kaiser Konstantin I., der Große (reg. 306–37), habe Papst Silvester I. die geistliche und weltliche Herrschaft über Rom und Italien, wenn nicht über das ganze Weströmische Reich übertragen. Die konfliktträchtige Schlussfolgerung
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+ ++ 112 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + +
Das Heilige Römische Reich
Karl der Große hatte sein fast ganz West-
Herrschaft lediglich Glanz und Legitima-
europa umfassendes Reich im Sinne der
tion verleihen wollte. Der feierliche Akt
translatio imperii als direkten Nachfol-
fand bezeichnenderweise nicht in Rom
ger des Imperium Romanum angesehen.
statt, sondern in Aachen, wo er sich auf
Dies allein schon deshalb, weil es nach
dem Thron, den er für jenen Karls des
der Lehre des Propheten Daniel nur vier
Großen hielt, salben und krönen ließ.
Reiche vor der Apokalypse gibt, deren
Otto I. und die ihm nachfolgenden
letztes Rom ist. Deshalb musste auch
Kaiser sahen sich als mit allen Macht-
nach theologischer Auffassung Karls
befugnissen ausgestattete Stellvertreter
Reich unbedingt an das alte Imperium
Gottes auf Erden, was im Investitur-
angeschlossen werden und durfte nicht
streit Ende des 11. Jahrhunderts von
untergehen.
den Päpsten vehement bestritten wurde:
Als das Frankenreich zerfiel, griffen
Diese betrachteten das Imperium dem
die Ottonen diesen Anspruch für das von
Sacerdotium, die weltliche der kirch-
ihnen regierte Ostfränkische Reich auf.
lichen Gewalt untergeordnet. Vermutlich
Sie hielten sich gegenüber den anderen,
als Antwort auf diesen Anspruch fanden
weniger bedeutenden Teilen von Karls
oder erfanden Beamte des Stauferkaisers
Reich – dem Westfränkischen Reich und
Friedrich II. den Begriff des Sacrum Impe-
dem in zahlreiche Fürstentümer zer-
rium. Die Bezeichnung »Heiliges Reich«
splitterten Mittelreich – für berechtigt,
finden wir erstmals in Urkunden aus dem
als stärkste europäische Macht das ka-
Jahr 1157. Rund hundert Jahre später,
rolingische Erbe anzutreten. Die Kaiser-
mitten in der von den Zeitgenossen als
krönung Ottos I. im Jahr 962 gilt denn
so schrecklich empfundenen kasierlo-
auch als Geburtsdatum des Heiligen Rö-
sen Zeit des Interregnums, taucht die Be-
mischen Reiches, auch wenn der Sachse
zeichnung »Heiliges Römisches Reich«
kein neues Reich schuf, sondern seiner
auf. In dieser Periode zwischen der Abset-
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+ + + Das Heilige Römische Reich + + + 113 + + +
zung Friedrichs II. und der Wahl Rudolfs
rat aus weltlichen und geistlichen Fürs-
von Habsburg 1273 sehnten sich viele
tentümern vor allem noch auf Gebiete
Zeitgenossen nach einem Sacrum Imperi-
deutscher Zunge erstreckte. Ein übergrei-
um Romanum – das Gottesgnadentum
fendes Reichsbewusstsein, geschweige
der Kaiser wird mit dem Hinweis auf das
denn ein Nationalgefühl ist damit nicht
Römische Reich im Sinne der Nachfolge
verbunden. Bis zu seinem Ende 1806
verbunden. Erst Mitte des 15. Jahrhun-
bleibt die Bezeichnung »Heiliges Rö-
derts folgt der Zusatz Nationis Germa-
misches Reich Deutscher Nation« er-
niae. Diese Präzisierung trug der Tatsa-
halten.
che Rechnung, dass sich das Konglome-
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+ ++ 114 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + + der Kurie war, dass das Kaisertum deshalb nur vom Papst übertragen werden konnte mit der obligaten Krönung in Rom als sichtbarem Zeichen. Später würden mächtige Kirchenfürsten wie Innozenz IV. die Stellung der katholischen Kirche noch überhöhen: Christus habe Petrus die höchste weltliche Gewalt übertragen, insofern habe Konstantin ja eigentlich nur den Zustand wiederhergestellt, der dem göttlichen Willen entspricht. Der Keim für den Investiturstreit war gelegt. Wie die Päpste nahmen auch im Hochmittelalter die Herrscher immer wieder Bezug auf das Römische Reich, das in ihren Augen in erneuerter Form weiterlebte. Zur Jahrtausendwende ließ Kaiser Otto III. auf die Münzen mit seinem Bildnis den Begriff renovatio imperii prägen. Vor allem für die Stauferkaiser Friedrich Barbarossa und Heinrich VII. wurden restauratio und renovatio zu Kampfbegriffen, mit denen sie die Unterwerfung ehemaliger Reichsteile auf der italischen Halbinsel forderten. Bischof Otto von Freising, einer der wichtigsten Gelehrten am Hof Barbarossas, sah eine translatio imperii, die von Rom über Byzanz, das Franken- und das Langobardenreich zum Heiligen Römischen Reich führte. Er stellte auch eine Kaiserliste auf, die Augustus eröffnete und Konrad III. als 93. Kaiser abschloss. Aber auch andere entstehende europäische Mächte führten ihre Herrschaft auf Rom zurück. Der mittelalterliche Dichter Chrétien de Troyes sah Frankreich als Fortsetzerin von Griechenland und Rom, und der englische Bischof Richard de Bury sah eine translatio imperii von Athen über Rom und Paris nach London. Über all diese Nuancen und Differenzen hinweg aber hielt sich im Mittelalter die Auffassung, dass das Römische Reich nie untergegangen sei: Einmal, weil sich das Heilige Römische Reich als dessen legitimer Nachfolger sah, zum anderen, weil das Römische Reich als letztes Imperium vor dem Weltgericht angesehen wurde. Die mit dem Heiligen Römischen Reich eng verbundene Idee der translatio imperii blieb auch in der Renaissance für einige Staatstheoretiker der über Europa hinausgreifenden Reiche in modifizierter Form wichtig. Spanien und Frankreich rekurrierten ganz bewusst auf die Vorstellung vom christlichen Königreich,
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+ + + Die Renaissance entdeckt Rom neu – und das finstere Mittelalter + + + 115 + + + England verstand sich eher als Träger des ursprünglich von Griechenland und Rom ausgehenden zivilisatorischen Fortschritts. Ex oriente lux – all diese neuen Weltmächte verband die Auffassung, dass Fortschritt und moderne Zivilisation aus dem Osten kamen, von den frühen Kulturen des Nahen Ostens und Persiens über Griechenland und Rom nach Spanien, Frankreich und England. Von Letzterem übernahmen diese Auffassung die Siedler, die Amerika schließlich als god’s own country verstanden und ihre Aufgabe unter anderem darin sahen, das »Licht der Zivilisation« erst nach Westen über den Kontinent und schließlich über den Pazifik zu tragen.
Die Renaissance entdeckt Rom neu – und das finstere Mittelalter Bei den meisten Menschen des Mittelalters hatte das Bild von Rom und dem Römischen Reich wenig mit der Realität zu tun. Erinnerungen an eine legendäre gute alte Zeit wurden mit Visionen vom Paradies vermischt, dessen Abglanz manche bei einer Pilgerfahrt in die Ewige Stadt zu erhaschen suchten. Doch die Menschen, wenn sie sich nicht von Rhetorik und kurialem Pomp täuschen ließen, sahen auch das ganz reale Rom. Der Kleriker und Dichter Freidank fragte um 1230: Wo sind sie nun, die vormals über Rom herrschten? In ihren Palästen wächst Gras! Solche Klagen waren zugleich indirekte Mahnungen an Kaiser und Adel, aber auch die Kirchenfürsten, sich vor Sittenverfall und Falschheit zu hüten, sonst drohe ihnen wie den früheren Herrschern Roms Untergang und Gottesgericht. Langsam wurde das reale Rom für die zeitgenössischen Augenzeugen auch zum Exempel der Vergänglichkeit, und damit kamen erste Fragen zum Fall Roms auf. Dilatatio est causa destructionis, an Überdehnung sei Rom zugrunde gegangen, schrieb um 1300 der Spätscholastiker Johannes von Paris; andere Gelehrte begannen an der Theorie von den vier Reichen zu zweifeln.
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+ ++ 116 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + + Im Spätmittelalter änderte sich mit dem Humanismus auch der Blick auf die Antike. Das Diesseits und das Individuum standen im Mittelpunkt des neuen Weltbildes, wobei man sich – zu Recht oder Unrecht – auf die Antike berief. Damit einher ging die genauere Beschäftigung mit der abendländischen Vergangenheit und antiken Schriften, die man in den Klöstern zwar aufbewahrt, aber nicht wirklich gelesen hatte. Vor dem idealisierten Bild eines glorreichen römischen Imperiums erschien die von Hunger, Krieg und Seuchen geprägte Gegenwart als bedrückend und trist, sie verlangte eine Veränderung, die zu einem Gutteil als Wiedergeburt der Antike, als Renaissance verstanden wurde. Dass das Heilige Römische Reich eine nahtlose Fortsetzung jenes Imperiums sein sollte, wurde denn auch füglich bezweifelt. Das Ende des Römischen Reiches wurde als Tatsache begriffen. Damit aber stellte sich die Frage, wie es denn zum Fall eines so mächtigen Imperiums überhaupt hatte kommen können? Was war im Jahrhundert vor dem Untergang geschehen? Gleichzeitig wurde die Zeit danach bis zur Gegenwart Gegenstand der Betrachtung. Als erste bezeichneten die italienischen Humanisten die Spanne vom 6. bis zum 13. Jahrhundert als medium aevum, als Mittelalter, und diese Epoche wurde von ihnen ganz oder zumindest bis zum Jahr 1000 als Niedergang einer hochstehenden Zivilisation empfunden. Für Petrarca und andere Philosophen lag zwischen der hochstehenden griechisch-römischen Antike und ihrer Gegenwart ein langer Verfallsprozess, das »finstere Mittelalter«. Erst jetzt könne man, indem man die Schriften der Alten studiere, ihre Normen und Techniken nachahmen und wiederbeleben, ja sogar überbieten, zu einer neuen Zeit, zu neuen Ufern aufbrechen, durch imitatio und aemulatio zu einer Renaissance kommen. Der Reformator Martin Luther bezeichnete das Ende des Imperiums vermutlich als Erster in deutscher Sprache als »Fall«.
Die Aufklärer deuten den Fall des Imperiums Omnium rerum vicissitudo est, lautete ein der Antike entnommenes Credo der Humanisten: Alles ist der Veränderung unterwor-
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+ + + Die Renaissance entdeckt Rom neu – und das finstere Mittelalter + + + 117 + + + fen und damit auch vergänglich. Ob Erasmus von Rotterdam oder Machiavelli – sie alle hatten den Aufstieg und Fall des Römischen Imperiums mit dem Werden und Vergehen eines Menschen verglichen. Ein Reich hatte für sie denselben Zyklus wie ein Leben. Die Aufklärer wollten mehr, sie wollten aus der Geschichte lernen. Sie postulierten, dass geschichtlicher Fortschritt auch und gerade mit der kritischen Beschäftigung mit der Vergangenheit zu tun hätte. Und sie entdeckten wie Immanuel Kant in ihr den »Keim der Aufklärung«. Der Dialektiker Hegel sah die dunklen Jahrhunderte des Mittelalters als Antithese zur antiken Zivilisation, nun aber schwinge das Pendel der Geschichte wieder in die andere Richtung, aus der Synthese von Antike und Mittelalter erhebe sich die Menschheit auf eine höhere Stufe der Zivilisation. In seinen »Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Niedergangs« suchte Montesquieu nachzuweisen, dass die Römische Republik durch eherne Grundsätze und strenge Tugenden zur größten Macht des Abendlandes geworden sei. Dann aber, so schreibt er weiter, habe mit der schon unter Caesar einsetzenden Aufweichung dieser Maßstäbe der Niedergang begonnen und sich durch die wachsende Dekadenz beschleunigt. Die Zeitgenossen deuteten diese Schrift nicht nur als historischen Exkurs, sondern als versteckte Kritik am herrschenden Absolutismus. In seinem 1756 veröffentlichten »Essai« sah Voltaire die wachsende Flut von Barbaren zwar als wichtigen äußeren Faktor für den Niedergang des Imperiums, als hauptsächlichen inneren Grund aber sah er das Christentum. Seine Leser wussten, wen der Philosoph in der Gegenwart mit solchen Schlussfolgerungen treffen wollte. Der Ökonom Adam Smith deutete den Fall Roms 1763 aus dem Blickwinkel des »Dekadenzmodells«: Zu Zeiten der Republik seien die römischen Bürger Bauern und Krieger zugleich gewesen, was sich mit der Kaiserzeit geändert habe. Zur Schwächung des Reiches habe beigetragen, dass für die Verteidigung ein Berufsheer mit immer weniger Bürgern und immer mehr Barbaren zuständig war, während sich die meisten Bürger der Produktion, vor allem aber den schönen Dingen des Lebens zuwandten.
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+ ++ 118 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + + Das wohl umfangreichste und die Rom-Rezeption bis heute am nachhaltigsten prägende Werk aber schrieb im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts Smith’ Landsmann Edward Gibbons. Seine »History of the Decline and Fall of the Roman Empire« reichte bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 und umfasste allein bis zum Ende des Westreichs sechs dicke Bände. Es ist ein trotz seiner Materialfülle mit Lust geschriebenes und deshalb gut lesbares Werk, das weder mit witzigen Anmerkungen und Anekdoten noch mit entschiedenen Deutungen spart. »Der Niedergang Roms aber war die natürliche und unausweichliche Folge seiner übermäßigen Größe. Der Reichtum förderte den unumgänglichen Verfall, die Ursachen der Zerstörung vermehrten sich mit den ausgreifenden Eroberungen, und sobald die Zeit oder der Zufall die kunstvollen Stützen beseitigt hatte, brach der gewaltige Bau unter dem Druck seiner eigenen Last zusammen. Die Geschichte seines Einsturzes ist einfach und ganz offensichtlich, und statt zu fragen, warum das Römische Reich zerstört wurde, sollten wir vielmehr darüber erstaunt sein, dass es so lange bestanden hat«, so Gibbons in seinem resümierenden Schlusskapitel. Spätestens mit diesem Buch war das sterbende Imperium zur Projektionsfläche für die aufblühenden oder sich entwickelnden Reiche Europas geworden. Würden spätere Geschichtsschreiber ähnliche Trauer angesichts der Trümmer von London oder Paris empfinden wie er beim Anblick der immer noch imposanten Reste der Ewigen Stadt? Zugleich mit der Wehmut, dass die politische Einheit eines als kulturelle Größe gesehenen Abendlandes zerstört worden war, entstand die Vision eines politisch geeinten Europas, wobei die Frage, welchem Land dabei die Vorrangstellung gebühre, naturgemäß höchst umstritten war.
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+ + + Der Einfall der Barbaren – Fortschritt oder Verhängnis? + + + 119 + + +
Der Einfall der Barbaren – Fortschritt oder Verhängnis? So wurde die Frage, an wessen Wesen das Abendland genesen sollte, zum Streitpunkt zwischen national gesinnten Philosophen und Historikern. Ende des 18. Jahrhunderts sah Johann Gottfried Herder Rom »auf dem Siechbett« und betrachtete es deshalb als Fortschritt, dass die Germanen Rom zerstörten und sich von seiner Herrschaft befreiten: »Barbaren kommen herzu, nordische Riesen, denen die entnervten Römer wie Zwerge erscheinen; sie verwüsten Rom und geben dem ermatteten Italien neue Kräfte.« Auch Hegel beschrieb die Germanen und das aufkommende Christentum als Träger einer neuen Freiheit. Ähnlich, wenn auch aus einer ganz anderen Perspektive sahen Marx und Engels den Fall des Imperiums: Für sie war die Ablösung der Sklavenwirtschaft durch die Hörigkeit ein geschichtlicher Fortschritt – die Germanen waren damit Vollstrecker dessen, was die beiden Denker für eine geschichtliche Notwendigkeit hielten. Nicht nur deutsche Wissenschaftler vertraten die Auffassung, dass es positiv gewesen sei, dass die Germanen eine in ihren Augen dekadente Römerzivilisation gewaltsam beendeten. Der englische Historiker Edward Freeman hielt sogar die Auslöschung der romanisierten Briten durch die Angelsachsen für einen Fortschritt. Sonst, so schrieb er, »kann ich mir nicht vorstellen, dass wir je ein so großartiges und freies Volk geworden wären, wie wir es nun seit vielen Jahren sind«. So dienten im 19. und frühen 20. Jahrhundert die in das römische Imperium eindringenden Völker als Projektionsfläche für verschiedenste Nationalismen. Für Historiker deutscher Zunge – vor allem nach der Reichsgründung suchten sie im Germanentum eine historische Identität – war der »Sieg der Germanen« über Rom der Erfolg einer jungen, dynamischen Kultur über eine durch Dekadenz und Schwäche zerfallende Zivilisation. Angelsächsische und vor allem frankofone Autoren sahen das genau umgekehrt: Sie bezeichneten die anstürmenden Germanen als »Vandalen«, unter deren Schwertern eine Hochkultur zugrunde ging, der »finstere Zeiten« folgten.
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+ ++ 120 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + +
Römische Was-wäre-wenn-Geschichten in Literatur und Wissenschaft Nicht nur Literaten, auch Historiker hat
sein Sohn Commodus das Christentum
es seit jeher fasziniert, sich alternative
so stark bekämpfen, dass es sich aus
Verläufe der römischen Geschichte vor-
dem Westen zurückziehen muss. In die-
zustellen. Titus Livius etwa widmet im
sem 1876 erschienenen kontrafakti-
neunten Buch seiner römischen Ge-
schen Roman des französischen Philo-
schichte ganze vier Kapitel der Vorstel-
sophen Charles Renouvier entwickelt
lung, was passiert wäre, wenn Alexan-
sich dann ein Jahrhunderte überdau-
der der Große länger gelebt und sich
erndes Reich, dessen Stärke darin be-
gegen Rom gewandt hätte. Keine Frage,
steht, dass dort die Freiheit des Indivi-
die militärische Genialität des Makedo-
duums mehr gilt als religiöser Zwang.
niers hätte gegen die Drill und Strapa-
Das Christentum wird so indirekt – wie
zen gewohnte römische Armee verloren.
bei manchen Historikern – zur wesent-
Ganz anders Arnold Toynbee (1889–
lichen Ursache für den Fall des Imperi-
1975) in »Some problems of Greek«:
ums erklärt. Ein Thema, das auch den
Auch er lässt Alexander sein schweres
Autor Kirk Mitchell in seinem aus den
Fieber überleben, von der Welthaupt-
Bänden »Procurator«, »Imperator« und
stadt Alexandria aus den Rest Europas
»Liberator« bestehenden dreibändigen
erobern und eine Dynastie gründen, die
Opus »Germanicus« beschäftigt. Weil
bis in die Gegenwart die Welt beherrscht.
Pilatus Jesus verschont und sich das
Was-wäre-wenn-Geschichten
Christentum ohne Kreuzigung nicht
der Moderne beschäftigen sich mit ei-
durchsetzen kann, besteht das Römi-
nem möglichen Weiterleben des Römi-
sche Imperium bis in die Gegenwart fort.
schen Imperiums. Eine der ersten, deren
Ohne christliche Moral ist es aller-
Titel »Uchronie« der ganzen Literatur-
dings ein brutales Reich und in seiner
gattung den Namen gab, geht von der
technischen Entwicklung zurückgeblie-
Vorstellung aus, dass Marc Aurel und
ben.
Viele
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+ + + Römische Was-wäre-wenn-Geschichten in Literatur und Wissenschaft + + + 121 + + +
In eine ähnliche Richtung geht der
wird heller« analysiert Professor Barry
in einer mittelalterlichen Alternativwelt
Strauss die Folgen zweier Niederlagen
spielende Roman »Der Thron des Dra-
und kommt dann zu provozierenden
chens«, mit dem John M. Ford 1984 den
Schlussfolgerungen: Wenn Kaiser Valens
World Fantasy Award gewann. Kaiser Ju-
376 mehr Geduld und Urteilsvermögen
lian setzt sich gegen das Christentum
gehabt hätte, wären die Niederlage
durch, seine Nachfolger besiegen auch
von Adrianopel und damit der Fall des
den Islam, und das von Byzanz aus
Weströmischen Reiches vermeidbar ge-
geführte Reich beherrscht Kontinental-
wesen. Umgekehrt hätte eine Niederlage
europa und Asien. England ist das letzte
Karl Martells 732 bei Tours und Poitiers
christliche Bollwerk. In Oliver Henkels
zu einer arabischen Herrschaft in Euro-
mit dem deutschen Science Fiction Preis
pa geführt, die mit einer Blüte von Kul-
ausgezeichneten Buch »Die Zeitmaschi-
tur und Wissenschaft verbunden gewe-
ne Karls des Großen« gelingt es einem
sen wäre. Professor Alexander Demandt,
römischen Feldherrn, durch einen Sieg
eine der Koryphäen für die Spätantike,
über Odoaker das Weströmische Reich
hat das reizvolle Genre der »Ungesche-
zu erhalten und durch friedliche Integra-
henen Geschichte« trotz Kollegenschelte
tion der germanischen Völker zu stabili-
auch in Deutschland populär gemacht. In
sieren. Erst ein gewisser Frankenfürst
einem Aufsatz etwa fragt er, was eine
Karl will um das Jahr 800 herum die Ge-
Niederlage des Arminius und eine even-
schichte ändern. Doch auch Historiker
tuelle Ausweitung der pax Romana auf
befassen sich kontrafaktisch mit Ge-
Germanien bewirkt hätten? Demandt
schichte, auch wenn dies bei manchen
meint, dass das Weströmische Reich
Angehörigen ihrer Zunft noch als ver-
aufgrund des rascheren Zivilisations-
pönt und unwissenschaftlich gilt. In sei-
prozesses und der zusätzlichen militä-
nem Artikel »Das finstere Mittelalter
rischen Stärke der integrierten Germa-
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+ ++ 122 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + +
nenvölker den Stürmen der Völkerwan-
Wir hätten einen Nero jetzt,
derung vielleicht hätte trotzen können.
Statt Landesväter drei Dutzend.
Eine der kürzesten, amüsantesten und
Wir schnitten uns die Adern auf,
die Germanentümelei aufspießende his-
Den Schergen der Knechtschaft
torische Fantasie liefert Heinrich Heine
trutzend.
in seinem Gedicht »Deutschland – ein Wintermärchen«:
[...]
Wenn Hermann nicht die Schlacht
Gottlob! Der Hermann gewann die
gewann,
Schlacht,
Mit seinen blonden Horden,
Die Römer wurden vertrieben,
So gäb es deutsche Freiheit nicht
Varus mit seinen Legionen erlag,
mehr,
Und wir sind Deutsche geblieben!
Wir wären römisch geworden! In unserem Vaterland herrschten jetzt Nur römische Sprache und Sitten, Vestalen gäb es in München sogar, Die Schwaben hießen Quiriten! [...]
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+ + + Der Einfall der Barbaren – Fortschritt oder Verhängnis? + + + 123 + + + Vom 19. über das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart wurden auch andere Barbaren-Ängste geschürt. Das antike Rom wurde als eine Insel der Hochzivilisation und beispiellosen Kultur inmitten einer Flut von wilden Horden gesehen. Im Deutschland des Dritten Reichs waren es die als »Untermenschen« bezeichneten Slawen, vor denen man die Zivilisation retten zu müssen glaubte. Für Frankreich und Großbritannien firmierten ebendiese Deutschen als aggressive »Hunnen« – Kaiser Wilhelm II. hatte mit seiner »Hunnenrede« das passende Stichwort dazu geliefert. Noch heute greift die englische Boulevardpresse gern diese unfreundliche Bezeichnung auf. Heute bemühen Rechtspopulisten aller Art den Hinweis auf den Fall des Römischen Reiches, um vor dem Ansturm von »Migranten und Asylanten« auf die »Festung Europa« zu warnen, was wiederum deren Kritiker dazu brachte, das Problem tendenziell zu verharmlosen. In der Geschichtswissenschaft spiegelt sich diese Gegenströmung in Analysen, die das Befruchtende und Bewahrende im Aufeinandertreffen von Römern und Barbaren hervorheben und den Transformationsprozess von der Spätantike ins frühe Mittelalter als eher harmlos darstellen.
»Der Untergang des Abendlandes« So wie nationale Hybris auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zerschellte, wurden die progressistischen Deutungen von der Kraft der jungen Barbarenvölker wieder von zyklischen, pessimistisch anmutenden Geschichtsphilosophien überlagert. In dem 1918 erschienenen Buch »Der Untergang des Abendlandes« schreibt Oswald Spengler, dass man den »Blick auf die historische Formenwelt« werfen solle, »wenn man die große Krisis der Gegenwart begreifen will«. Ganz offen wagt er den »Versuch, Geschichte vorauszubestimmen«. So vergleicht er das Ende der Antike mit dem beginnenden 20. Jahrhundert – der Verfall und das Sterben der griechisch-römischen wie auch der abendländischen Kultur sei von barbarischer Gewalt und Weltkriegen begleitet. Anknüpfend an Spengler analysiert Arnold Toynbee als letzter großer Universalhistoriker in seinem vielbändigen Werk »Der Gang der Weltgeschichte« (1934–61) gemäß Untertitel »Aufstieg und
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+ ++ 124 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + + Fall der Kulturen«. Geprägt von dem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommenden Optimismus, sah er das Scheitern der Zivilisation anders als Spengler nicht als eine Art Naturnotwendigkeit. Die Zivilisation habe die Fähigkeit, auf die Bedrohungen der Gegenwart angemessen zu reagieren, sich zu einem allgemeinen »Weltstaat« zu entwickeln. Vielleicht sei diese Herausforderung aber auch zu groß und führe zu einer Überdehnung der Kräfte. Das war, so Toynbee, beim Untergang des Römischen Reiches der Fall – die Verkettung von imperialem Hochmut, Dekadenz und barbarischer Kraft seien zu viel gewesen. Wie schon im 19., so gab es auch im 20. Jahrhundert den weniger differenzierten und eher populistischen vergleichenden Blick auf die Spätantike. Amüsant und absurd zugleich ist die These des Sexualhistorikers W. A. Krenkel, der das Ende des Römischen Reiches auf die nachlassende Zeugungskraft der Römer zurückführte, weil sie zu heiß gebadet hätten. Sozialökonomen machten mit Blick auf die Revolution von 1918 die Ungleichheit für das Ende des Reiches verantwortlich, Militärs warnten vor Abrüstung und abnehmendem Wehrwillen, für Wirtschaftstheoretiker waren die zu hohen Steuern damals und in der Gegenwart der Grund allen Übels, und – mit Blick auf Hitler – Deutschland sei wie Rom an Militarismus, Totalitarismus und dem verhängnisvollen Zug nach Osten gescheitert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Zusammenbruch des britischen und französischen Kolonialreichs als Folge »imperialer Überdehnung« gedeutet. Umgekehrt wurde die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und schließlich der Europäischen Union als Rückbesinnung auf die abendländische Tradition gesehen, die Römischen Verträge seien nicht zufällig, sondern ganz bewusst in der Ewigen Stadt geschlossen worden. Im Kalten Krieg gegen die Barbarei wäre wie damals die Solidarität zwischen Römern und Germanen nun die zwischen den Abendländern angesagt. Europa und die ganze westliche Zivilisation benötigten auch eine starke gemeinsame Führung statt ständiger Querelen und Intrigen, an denen »schon das alte Rom gescheitert« sei. Später diente der Fall Roms auch als Menetekel für die Supermächte UdSSR und USA, denen wechselweise Überdeh-
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+ + + Der Einfall der Barbaren – Fortschritt oder Verhängnis? + + + 125 + + + nung, Dekadenz, imperialer Hochmut, Überalterung oder politische Führungsschwäche vorgeworfen wurden. Und im neuen Jahrtausend schüren Populisten mit Blick auf das alte Rom Ängste vor einer neuen Völkerwanderung, die das moderne Europa zerstören könnte. Insgesamt ist seit dem späten 20. Jahrhundert die weltgeschichtliche Deutung in den Hintergrund gerückt zugunsten einer detaillierten Analyse des Übergangs von der Spätantike in das Frühmittelalter. Kaum ein Historiker verfolgt mehr einen monokausalen Ansatz – die wichtigste Frage ist zumeist, ob es sich bei dem Geschehen um einen Verfall, einen scharfen Bruch oder einen doch eher moderaten Wandel handelt. Dass von der Spätantike zum Mittelalter ein Transformationsprozess stattfand, liegt auf der Hand. Dennoch werden in der Bewertung unterschiedliche Akzente gesetzt. Der irische Autor Peter Brown etwa deutet die Spätantike als »religiöse und kulturelle Revolution«. Im Mittelpunkt steht für ihn die Entwicklung von einer heidnischrömischen zu einer christlich-germanisch geprägten Welt – es handelt sich um eine Welt im Umbruch, nicht im Niedergang. Angemerkt werden sollte, dass sich sein weiterführender Ansatz vor allem auf Studien über das Oströmische Reich stützt. Im Anschluss an Browns Thesen provozierte der amerikanische Mediävist Walter Goffart mit der These, dass das Ende des Imperiums weit weniger dramatisch gewesen sei als früher dargestellt. Um nicht endlos Kleinkriege führen zu müssen, hätten die imperialen Eliten beschlossen, die Eindringlinge durch Ansiedlung und Besteuerung zu integrieren. Es sei der Versuch gewesen, »eine sinnvolle Beschäftigung« für die Barbaren zu finden. In seinem Buch »Barbaren und Römer« zieht er den provokanten Schluss: »Was wir den Untergang des Weströmischen Reiches nennen, war ein fantasievolles Experiment, das ein wenig außer Kontrolle geriet.« Letzteres bezeichneten Historiker wie der Londoner Professor Peter Heather und sein Oxforder Kollege Bryan Ward-Perkins als Verharmlosung. In seinem Buch »Der Untergang des Römischen Reiches« zeigt Heather, dass das Ende der Antike keineswegs ein friedvoller Übergang war, sondern ein von Krieg und Leid geprägter Zermürbungskampf. Und in »Invasion der Barbaren«, mit
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+ ++ 126 +++ Der Fall Roms in den Augen der Nachwelt + + + dem er seine Analyse fortsetzte, schildert und beweist er, dass es sich bei den ins Imperium Vordringenden nicht um gewaltlose Kleingruppen handelte. Heather meint, dass jede Darstellung der Spätantike diesen Tatsachen und den damit verbundenen Zerstörungen Rechnung tragen muss. Der gelernte Archäologe und Historiker Ward-Perkins untermauert diese Darstellung, indem er Zeugnisse für Plünderungen, Vergewaltigungen und andere Exzesse anführt. Und er zeigt auch, was am Ende dieses Prozesses stand: der Verlust handwerklichen und technischen Wissens. Freilich kann es auch Ward-Perkins nicht unterlassen, seinen Zeitgenossen einen Rat mitzugeben: »Die Römer waren vor dem Untergang genauso sicher wie wir heute, dass ihre Welt für immer im Wesentlichen unverändert bleiben würde. Sie lagen falsch. Wir wären gut beraten, nicht genauso selbstgefällig zu sein.« So war und ist der Blick auf das Ende des Weströmischen Reiches immer auch mit dem kritischen Blick auf die Gegenwart verbunden. »Diese Vergleiche«, schreibt der Historiker Alexander Demandt, »verleihen dem Ende der Alten Welt eine dauernde Aktualität, bergen aber die Gefahr der Übertreibung des Gemeinsamen auf Kosten der Unterschiede.«
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+ + + Der Einfall der Barbaren – Fortschritt oder Verhängnis? + + + 127 + + +
++ + Ein vorsichtiges Fazit + + + War es die innere Schwäche, oder waren es äußere Faktoren, die zum Ende des Weströmischen Reiches führten? Sicher ist, dass ein komplexes Geschehen mit endogenen und exogenen Faktoren den Fall des Reiches herbeiführte. Vermutlich war das Auftauchen der Hunnen eine Art Initialzündung, an dessen Ende eine historische Zäsur stand. Es war kein friedlicher Übergangsprozess in eine neue Zeit, sondern eine für die Zeitgenossen schmerzliche Entwicklung, auch wenn einige Errungenschaften des alten Imperiums erhalten blieben.
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+ ++ 128 +++ Ein vorsichtiges Fazit + + +
Warum das Imperium fiel ... Die Frage nach den Ursachen für den Untergang des Weströmischen Reiches wird unter Gelehrten nach wie vor gern und häufig diskutiert. Der Historiker Alexander Demandt hat in seinem Buch »Der Fall Roms« von A wie »Aberglaube und Absolutismus« bis Z wie »Zölibat und Zweifrontenkrieg« 210 Gründe aufgelistet, die von seinen Kollegen als ursächlich für das Ende Westroms genannt werden. Der Blick auf die Rezeptionsgeschichte hat gezeigt, dass nahezu alle Autoren mehr als nur einen Grund angeben. Die gelegentliche Schärfe der Auseinandersetzungen resultiert aus der Bewertung und Gewichtung der einzelnen Argumente. Immer wieder wird nach der Hauptursache gesucht und nach einer Antwort auf die Frage, ob endogene oder exogene Faktoren ausschlaggebend waren. Wer eine Synthese der ganzen Debatte versucht, muss sich zunächst vor Augen führen, dass der Untergang ein Prozess war, der mehr als ein Jahrhundert dauerte und in dem innere und äußere Faktoren zusammenspielten. Auch gilt es, den Faktor Zufall zu berücksichtigen und die Tatsache, dass Geschichte nicht determiniert ist, sondern eine komplexe Abfolge von Geschehnissen mit gleichsam offenem Ausgang. Allerdings sind zu einem gewissen Zeitpunkt schon Strukturen und Bedingungen gegeben, die die mögliche Entwicklung begrenzen. Der seriöse Historiker kann die Geschichte nur nach bestem Wissen und Gewissen nacherzählen: wie es gewesen sein könnte und warum – die ganze Wahrheit wird sich niemals rekonstruieren lassen. Viele Probleme hatten Ost- und Westrom gleichermaßen. Warum, so kann man fragen, hat dann der Osten als Reich fast ein Jahrtausend länger überdauert? Wachsende Steuerbelastung, eine vergleichsweise hochstehende, aber bis an die Grenzen ausgelastete, intensive Wirtschaft und eine um sich greifende Wehrmüdigkeit betrafen beide Reichsteile. Und auch für die äußeren Faktoren gilt: Der Druck von Persien und vom Balkan auf den Osten war genauso groß wie der von den an den Limes drängenden Stämmen an Rhein und unterer Donau. War die Verwaltung im Osten besser als im Westen? Die Rechts- und Reichsreform
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+ + + Warum das Imperium fiel ... + + + 129 + + + unter Justinian hat den Osten vermutlich besser auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet. Doch das war Anfang des 6. Jahrhunderts, vorher war Konstantinopel wie Ravenna ein Ort der Intrigen, erschüttert vom Bürgerkrieg. Wohl war die Politik der oströmischen Kaiser pragmatischer – sie verstanden es, den Druck von außen durch geschicktes Verhandeln zu mindern, was Tributzahlungen und die Ablenkung des Ansturms Richtung Westen zur Folge haben konnte. Vor allem aber, und darin liegt wohl der entscheidende Unterschied, blieb es in den ertragreichen Provinzen des Nahen Ostens relativ ruhig, die Wirtschaft florierte, und damit sprudelten auch die Steuereinnahmen. Auch wenn Goten und Hunnen Provinzen nördlich und westlich von Byzanz immer wieder verheerten, in der Staatskasse des Ostens blieb ein sicherer Grundstock. Die Rückeroberung Afrikas durch Belisar trug weiter zu einer gewissen Stabilisierung bei, die Ostrom überleben half, wenn auch nur für kurze Zeit. Vergessen wird oft, dass Byzanz im 7. und 8. Jahrhundert nur haarscharf einer Katastrophe entging. Wenn Kaiser Herakleios 626 die Perser nicht mit Glück und Geschick geschlagen hätte, wäre das Oströmische genau hundertfünfzig Jahre nach dem Weströmischen Reich untergegangen, und zwar infolge derselben innen- und außenpolitischen Schwierigkeiten. Eben diese Probleme führten aber dazu, dass das gewaltige Oströmische Reich zunächst einmal auf einen kleinen Nachfolgestaat zusammenschrumpfte. Erst um die Jahrtausendwende entwickelte sich das mittelalterliche Byzanz zu einer veritablen Macht am Mittelmeer. Anders als der Osten konnte der Westen dem äußeren Druck nicht standhalten. Auf den ersten Blick erscheint das angesichts Horden axtschwingender, den Limes bestürmender Barbaren, wie sie uns Historienfilme immer wieder vor Augen führen, naheliegend. Ein näherer Augenschein aber lässt uns stutzen: So groß waren die Barbarengruppen, zumindest deren kämpfende Teile nicht. Die bei Adrianopel siegreichen Goten waren vielleicht 20 000 Mann; der Gote Radagais, der 406 in Italien einfiel, hatte vielleicht 30 000 Mann, und die Vandalen und Alanen, die nach Afrika übersetzten, kamen mit 15 000 bis 20 000 Kriegern. Dem
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+ ++ 130 +++ Ein vorsichtiges Fazit + + + stand ein römisches Heer gegenüber, das um 375 im gesamten Imperium eine Stärke von mindestens 300 000 Mann hatte. Auch wenn Teile davon vielleicht weniger gut ausgebildet waren als hundert Jahre zuvor, sie hätten der Invasoren durchaus Herr werden können. Und das gelang ja auch immer wieder. So räumte Stilicho mit dem Heer des Radigisius schnell auf, als er seine Truppen beisammen hatte. Das Problem war, dass immer neue Gefahren auftauchten, dass immer dann, wenn ein Imperator oder sein Heermeister an einer Front siegreich war, an anderer Stelle ein neuer Stamm oder Usurpator sein Glück versuchte. Paradox war auch, dass die Barbaren jedweder Provenienz – mit Ausnahme der Hunnen vielleicht, die wohl eher plündern als dauerhaft herrschen wollten – das Imperium nicht zerstören wollten. Beim Angriff Attilas zeigte sich zudem, dass die verschiedenen Stämme lieber mit den Römern als mit den Hunnen zusammenarbeiten wollten. Überhaupt strebten die germanischen Stämme zunächst meist eine friedliche Einigung mit den Römern an: Sie wollten als Verbündete anerkannt werden, stellten dafür ihre Streitmacht zur Verfügung und erhielten im Ausgleich Sold, Nahrung und auch Land. Unter solchen Bedingungen konnte Aëtius seine Streitmacht gegen die Hunnen zusammenstellen. Dabei wussten die Römer, dass Krieg und reiche Beute für die Eindringlinge durchaus eine alternative Lebensform waren, wenn sie durch Land und Gold nicht zu befriedigen waren. Die Ressourcen dafür waren indessen begrenzt, wie spätere Heermeister wie Ricimer oder Orestes erleben mussten. Die Finanzlage war aufs Äußerste angespannt, wiederholt kam es durch Kriege zu Steuerausfällen, und die afrikanischen Provinzen fielen als Geldquelle völlig aus. So kam es immer wieder zu Soldausfällen und daraus resultierendem Streit. Dass die römischen Eliten trotz wachsender Schwierigkeiten immer wieder Zeit für Palastintrigen fanden und dass Usurpatoren aus dem eigenen Lager nach der Macht strebten, kam erschwerend hinzu. Auch innere Faktoren trugen zum Niedergang des Reiches bei – frühere Historiker sprachen zusammenfassend gern von Dekadenz, die sie in ihrer Wirkung jedoch übertrieben. Der Wehrwille hatte bei den römischen Bürgern kontinuierlich abgenom-
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+ + + Warum das Imperium fiel ... + + + 131 + + + men, eine Tendenz, die die Großgrundbesitzer unterstützten, da sie ihre Kolonen, die Pächter, lieber auf ihrem Land sahen als auf irgendeinem Schlachtfeld. Damit war eine der tragenden Säulen der früheren Expansion brüchig. Es gab auch Krisensymptome ganz anderer Art: Bilder und Plastiken waren weniger detailliert und sorgfältig gearbeitet als in der frühen Kaiserzeit; der Bildungsstand ging vermutlich zurück, und die Literatur lag nach einer letzten Blüte danieder. Die Masse der Menschen hatte anderes zu tun als zu lesen und konnte es vermutlich auch immer weniger. Die Strafen wurden drakonischer, wahrscheinlich eine Reaktion darauf, dass Diebstahl und Gewalt auch im Alltag zunahmen, aber auch, weil sich die Menschen gegen immer neue Vorschriften und Steuerlasten wehrten. Denn die Behörden, über deren Korruptheit geklagt wurde, versuchten vor allem durch immer neue bürokratische Maßnahmen den immer häufigeren Wirtschaftskrisen und dem Loch in der Staatskasse entgegenzuwirken. In für besonders wichtig gehaltenen Bereichen wurde sogar eine Art Berufs- und Schollenpflicht eingeführt. So sollten die Söhne von Handwerkern, Seefahrern, Bauern und Soldaten per Gesetz zur Nachfolge verpflichtet werden. Ob solche Absichtserklärungen durchgesetzt wurden oder überhaupt durchsetzbar waren, wissen wir nicht. Ausschlaggebender dürfte gewesen sein, dass einzelne Regionen, später ganze Provinzen als Geldeinnahmequelle ausfielen. Wenn sie zurückerobert oder befriedet wurden, waren Steuererleichterungen und Subventionen angesagt. Die Wirtschaftskraft war auch dort begrenzt, wo mehr oder weniger Frieden herrschte: Manufakturbetriebe und spätrömische Landwirtschaft waren zwar wesentlich produktiver als im Mittelalter, aber mit den Strukturen und Methoden der Antike kaum mehr zu steigern. Kurz: Die Wirtschaft war nicht mehr ausbaufähig. Das hieß aber auch, dass Integration, eine der Stärken des aufstrebenden Imperiums, nicht mehr funktionierte wie früher. Die Bürger hatten zunehmend Sorge um ihre Privilegien und verteidigten diese gegen Neuankömmlinge. Es war also kein Riesensturm von Barbaren, der das Weströmische Reich überrollte. Vergleichsweise kleine Gruppen von
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+ ++ 132 +++ Ein vorsichtiges Fazit + + + Germanen standen einem immer noch stattlichen Heer gegenüber. Auch wenn einzelne Legionen besiegt wurden – die Germanen lernten schnell von ihren römischen Lehrmeistern – und sogar die Stadt Rom zeitweilig fiel, den römischen Heermeistern gelang immer wieder, die Situation zu bereinigen, sei es durch militärische Siege, sei es durch Kompromisse mit den Stammesführern. Diese hatten – teils durch Erziehung wie Theoderich, teils durch eine römische Militärlaufbahn wie Odoaker oder der erste Merowinger Childerich oder einfach durch das Leben in der Romanitas – die Annehmlichkeiten und Vorteile des Lebens im Reich erkannt und waren bereit, Römisches zu übernehmen und bei ihren Leuten durchzusetzen. Und dennoch fiel das Imperium! Es war der ständige Kampf, der das Reich zermürbte. Immer wieder überquerten neue Gruppen Rhein und Donau, verlangten Land oder Nahrung und plünderten, wenn ihnen diese nicht gewährt wurden. Das Leben in den Provinzen wurde unsicherer, sogar in den Kernlanden Italiens, Handel und Wirtschaft kamen zumindest an den Brandherden zum Erliegen. Es war kein Flächenbrand, aber überall galt es, kleinere Brände zu löschen – bis die Feuerwehr kam, war es für die betroffenen Regionen oft schon zu spät. Eine solche Entwicklung macht Menschen allmählich müde, sie verlieren den Glauben an eine gedeihliche Zukunft. Je weniger die Zentrale in der Lage war, die einzelnen Regionen rasch zu schützen, desto stärker wurde die Neigung zu Separat- und Sonderlösungen, wuchs die Bereitschaft, sich mit den Eindringlingen zu arrangieren. Das Ergebnis war eine weitere Schwächung der überregionalen Strukturen. Die Frage, ob diese Entwicklung hauptsächlich innere oder äußere Gründe hatte, ist letztlich obsolet, auch wenn sich sagen lässt, dass die dargestellte Entwicklung ihren Ausgangspunkt vor allem in äußeren Faktoren hatte. Die Ausweitung der Hunnenmacht dürfte die Initialzündung gewesen sein. Zunächst waren es die den Hunnen weichenden Goten und andere Völker, die das Imperium beschäftigten und seine militärischen und finanziellen Mittel strapazierten. Als der Verlust reicher Provinzen wie Nordafrika und von Teilen Spaniens hinzukam, war die Lage äußerst
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+ + + Warum das Imperium fiel ... + + + 133 + + + angespannt. Dann brach nach Attilas Tod das Reich der Hunnen zusammen, worauf sich die germanischen Völker – von der Godesgisel befreit – erneut aufmachten.
Was wäre geschehen, wenn ...? ... Romulus Augustulus nicht abgesetzt worden wäre? Die wahrscheinlichste Variante wäre gewesen, dass eine noch instabilere Lage zu einer internen Auseinandersetzung zwischen italischen und barbarischen Truppen geführt hätte. Letztere hätten gewonnen und Westgoten und Franken sich noch ungehinderter in Gallien und Spanien ausgebreitet. Die Ostgoten unter Theoderich, von Kaiser Zeno Richtung Westrom abgedrängt, hätten den Stiefel weitaus schneller unter ihre Kontrolle gebracht als gegen einen Heermeister Odoaker, der Italien tatsächlich zumindest eine gewisse Stabilität brachte. Falls es bis zum Eindringen der Goten einen weströmischen Kaiser gegeben hätte, hätte Theoderich diesen zur Abdankung gezwungen, um sich als »König der Römer und Goten« formell unter die Oberhoheit Konstantinopels zu stellen. Doch selbst bei diesem Szenario wäre das Weiterregieren des Romulus Augustulus kaum mehr als eine Fußnote der Geschichte gewesen. Eine reizvollere Alternative hätte sich ergeben können, wenn Anthemius 468 die von Ost- und Westrom gemeinsam finanzierte Rückeroberung Afrikas gelungen wäre. Dass dies im Bereich des Möglichen lag, hat später Belisar mit einer vergleichsweise kleinen Truppe bewiesen. Statt aneinanderzugeraten, hätten Kaiser Anthemius und sein Heermeister Ricimer mit dem aus den reichen afrikanischen Provinzen nun wieder fließenden Geld ihre Legionen nicht nur bezahlen, sondern sogar aufstocken können. Es wäre ihnen möglich gewesen, Burgunden und Westgoten in ihre Schranken zu weisen und die dazumal ausgesprochen schwachen Sueben aus Spanien zu vertreiben. Vielleicht hätte dies keine wirkliche Wende gebracht, aber doch einen Zeitaufschub und eine gewisse Stabilität. Diese nicht ganz abwegige Spekulation führt uns zu der Frage, die viele Historiker immer wieder beschäftigte: Hätte es eine
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+ ++ 134 +++ Ein vorsichtiges Fazit + + + Möglichkeit gegeben, den Fall des Imperiums wenn auch nicht zu verhindern, so doch hinauszuzögern, sodass die Transformation in ein wie auch immer benanntes Zeitalter möglich gewesen wäre, ohne den Verlust von Wirtschaftskraft und Wissen, ohne dark ages? Wenn wir einen gleichbleibenden Druck von außen annehmen, hätte die innere Stabilität vergrößert werden müssen. Vor allem wäre es darum gegangen, die pax Romana einigermaßen dauerhaft zu etablieren und die Grenzen zu sichern, wobei eine maßvolle Einwanderung nicht nur möglich, sondern sogar sinnvoll gewesen wäre. Auf dieser Grundlage wäre eine stabile Wirtschaftsentwicklung möglich gewesen mit einem mäßigen Wirtschaftswachstum im Einklang mit der Bevölkerungsentwicklung. Dazu ein funktionierendes professionelles Heer, das nicht sehr viel größer als dasjenige Mitte des 5. Jahrhunderts hätte sein müssen. All dies hätte nicht nur die Rückeroberung Afrikas vorausgesetzt, sondern auch ein wirkliches Miteinander der Italiker und der »eingebürgerten« germanischen Stämme mit Landverteilung und Möglichkeiten des Landerwerbs, keiner Benachteiligung der Angesiedelten bei Steuern und Rekrutierungen sowie der Möglichkeit, schnell das römische Bürgerrecht zu erwerben. Das hätte allerdings für die eingesessene Bevölkerung einen gewissen Verzicht bedeutet. Hinzu kommt, dass man jahrhundertelang auf die Barbaren herabgesehen hatte, die als Sklaven, Gladiatoren und allenfalls als niedere Legionäre zu taugen schienen. Diese ideologischen Vorbehalte teilten nicht nur die meisten Italiker, sondern auch die Provinzialrömer, die, nachdem sie Anfang des 3. Jahrhunderts das Bürgerrecht erhalten hatten, römischer waren als die Römer. Der Gedanke gar, dass ein Barbar Kaiser werden könnte, war lange Zeit außerhalb aller Vorstellung. So weist die immerhin denkbare Vision einer einigermaßen friedlichen Transformation des Weströmischen Reiches in ein dann eben nicht »mittelalterliches« Herrschaftsgebilde geringe Wahrscheinlichkeit auf. Im Kleinen, in Städten und Regionen, konnten sich Einheimische und Eroberer durchaus »zusammenraufen«, im Großen musste eine solche Integration fast zwangsläufig scheitern.
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Bruch oder Übergang? Dass das Imperium fiel, ist eine Tatsache. Die Zeitgenossen haben es aus ganz praktischen Gründen bedauert, die Nachwelt aus den verschiedensten ideologischen Gründen. Viele Dichter und Denker haben aus dem Ereignis mehr als den Untergang eines Reiches gemacht, haben es vielmehr als herben Bruch, als Rückschritt für die menschliche Zivilisation gesehen. Von der frühen Renaissance bis ins 20. Jahrhundert finden wir immer wieder den Vergleich des Imperiums mit dem menschlichen Körper, der nach stürmischer Jugend und Reife altert und stirbt. So plausibel diese Analogie auf den ersten Blick scheint, so wenig trägt sie. Natürlich enden Reiche, und man kann ihren Beginn mit der Jugendzeit und ihre letzten Jahre mit dem Alter gleichsetzen, kann flotte Bemerkungen über ihre Pubertät machen und beim Alter mit Begriffen wie »Milde«, »Schwäche« oder »Vergreisung« operieren. Die eigentliche Frage aber ist, was mit und nach dem Tod geschehen ist. Kam da etwas Neues? War erst einmal Tabula rasa, oder setzten sich bestimmte Entwicklungslinien fort? Vollzog sich ein weitgehend bruchloser Übergang zu etwas Neuem? Was sich vom 4. bis 6. Jahrhundert in Europa abspielte, ist nicht mit Tod und neuem Leben zu beschreiben, es war ein Transformationsprozess. Doch auch dieser Begriff bleibt eine Worthülse, wenn man sie nicht mit Fakten füllt. Gab es Entwicklungen auf politischem, wirtschaftlichem, technischem, militärischem, kulturellem und geistigem Gebiet, die abbrachen, und andere, die sich fortsetzten, ja stärker wurden und die neue Zeit prägten? Und wie ist die Entwicklung sine ira et studio zu deuten? Wie immer man es auch betrachten mag: Das Ende des Weströmischen Reiches war eine historische Zäsur. Dass Strukturen und Traditionen in den Nachfolgestaaten weiterlebten, widerspricht nicht der Feststellung, dass es sich um einen Schnitt, einen Wendepunkt handelte. Ein in Jahrhunderten zusammengewachsenes Ganzes war in ein Kaleidoskop einander befehdender Herrschaften zerfallen. Hatte die pax Romana militärische Konflikte an die Grenzen verschoben, waren die Krieger als Landbesitzer jetzt überall sichtbar. Die Herrscher, die nicht mehr über stehende Heere geboten, verlangten von diesem Kriegeradel als Gegenleis-
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+ ++ 136 +++ Ein vorsichtiges Fazit + + + tung Waffendienste. Die Sklaverei, die es in den neuen Königreichen anfangs vereinzelt noch gab, wurde durch die Hörigkeit ersetzt – der ungeschriebene »Gesellschaftsvertrag« des beginnenden Mittelalters verhieß den Schwachen Schutz durch die Abhängigkeit von den neuen Herren, und das war eine viel persönlichere, spürbarere Unterordnung als im alten Imperium. In diesem neuen Zeitalter blieben viele Errungenschaften des Reiches auf der Strecke – je weiter man sich geografisch von Rom entfernte umso mehr. Der überregionale Handel wurde deutlich geringer, es fehlten in Großproduktion gefertigte Massenwaren, vor allem aber fehlte Kaufkraft. Die ausgebaute Infrastruktur, eine der bedeutendsten Leistungen des Reiches, verfiel im Westen. Das regionale Handwerk blieb, ja entwickelte sich, aber ebenso wie die Agrarproduktion auf niedrigerem Niveau. Wissen ging verloren: Plötzlich wusste niemand mehr, wie man Wasserleitungen wartete, geschweige denn neue baute. Oder wie man Weinreben veredelte und den Rebensaft kelterte. Die Bevölkerungsentwicklung in den Städten stagnierte, wenn sie nicht sogar zurückging. Nicht nur die einfachen Menschen, auch Teile der neuen Kriegerelite siedelten auf dem Land. Das Know-how des alten Reiches überlebte, wo es nicht gänzlich verlorenging, in den Klöstern, wo es oft Jahrhunderte seiner Wiederentdeckung harrte. Und doch lebte Rom – zum einen im Gedächtnis der Völker, zum anderen ganz real im oströmischen Byzanz und seinen Herrschaftsstrukturen sowie in Gestalt des Papstes als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, der im Jahr 800 den Herrscher des größten Nachfolgereiches, den Franken Karl, zum Kaiser krönte. Was ansonsten blieb, waren regionale Behördenstrukturen und Gesetze. Die neuen Herrscher übernahmen weitgehend das römische Recht und kooperierten mit der Kirche, deren Hilfe bei der Verwaltung sie mangels Alternativen gern in Anspruch nahmen. Vor allem aber entwickelte sich die römisch-katholische Kirche als einzige überlebende supranationale Organisation weiter und blieb eigenständig – nicht immer zur Freude der weltlichen Herrscher. So blieben einzelne Regionen des Imperiums in Gestalt von Diözesen erhalten. Amtssprache war nach wie vor das Latein, das auch in der Kirche maßgebend blieb. Auch die Auseinander-
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+ + + Warum das Imperium fiel ... + + + 137 + + + setzung mit Glaubensfragen, wie sie das Imperium seit Konstantin immer wieder erlebt hatte, war nicht beendet. Kulturell hat die Kirche im Blick auf die Antike zugleich zerstörend und bewahrend gewirkt: Indem sie viele Tempel samt Kleinodien übernahm, diese in Gotteshäuser umwandelte, die Gold- und Silberschätze einschmelzen und für eigene Statuen und Altarschmuck verwenden ließ, wurden viele Kunstwerke der Antike vernichtet. Zugleich waren die Klöster fast die einzigen Aufbewahrungsorte für alle Sparten griechischer und römischer Literatur, die sonst unwiederbringlich verloren gewesen wäre. Geblieben ist nicht zuletzt die Romanisierung von unten – in den auseinandergebrochenen Teilen des Reiches verschmolzen Invasoren und Einheimische zu einer neuen, römisch-christlich geprägten Bevölkerung mit einer aus alten und neuen Elementen gemischten Sprache. In diesem Transformationsprozess ging vieles von der alten Welt in das neue, später Mittelalter genannte Zeitalter über. Die Menschen, die diesen Umbruch miterlebten, kümmerte das kaum, sie wussten nichts von diesen Einzelheiten. Im kollektiven Gedächtnis blieb vor allem die verklärte Erinnerung an ein großes Reich, in dem Wohlstand, Gerechtigkeit und Frieden geherrscht haben sollen. In der Bezeichnung »Heiliges Römisches Reich« schwingt diese Sehnsucht mit. Bis heute hat die Beschäftigung mit dem Römischen Imperium für die Menschen des Abendlandes faszinierende Aktualität.
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+ ++ 138 +++ Anhang +++
Anhang Zeittafel 375 376
378 379 382 383
394 395
395–408 395/96 ab 400 401 402 405/06
406
406/07
Vorstoß der Hunnen Richtung Westen. Auf der Flucht vor den Hunnen ziehen die Goten an die Donau. Kaiser Valens nimmt sie in das Oströmische Reich auf. Schlacht von Adrianopel: Sieg der Westgoten über die Legionen des Valens, der selbst fällt. Theodosius I., der Große, wird Augustus des Ostens. Theodosius siedelt die Goten als Föderaten an der Donau an. Nominelle Herrschaft Valentinians II. im Westen, tatsächliche Macht in den Händen germanischer Heermeister. Nach bürgerkriegsähnlichen Wirren Alleinherrschaft des Theodosius. Nach dem Tod des Theodosius Teilung des Reiches auf seine Söhne Honorius (Westen) und Arcadius (Osten). Tatsächliche Herrschaft im Westen durch den Heermeister Stilicho, einen Vandalen. Der Balkan wird von den Westgoten unter Alarich verwüstet. Ravenna ist Hauptstadt des Weströmischen Reiches. Übergang Alarichs nach Italien. Niederlage Alarichs bei Verona; Stilicho vertreibt fürs Erste die Westgoten. Germanisches Heer unter Radagais greift Italien an und wird schließlich von Stilicho nahe Florenz geschlagen. Sueben, Alanen und Vandalen überschreiten am letzten Tag des Jahres den Rhein. Zwischen 407 und 409 werden große Teile Galliens verwüstet. Burgunden siedeln am Niederrhein.
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+ + + Zeittafel + + + 139 + + + 407 407–13 408 408–50 409 409–11 410
417 419 420 424–55
429–34 436
439 um 443 447 451 452/53 454
Die römischen Heere von Britannien und Nordgallien unterstützen den Usurpator Konstantin III. Verschiedene Gegenkaiser in Gallien. Die Goten unter Alarich dringen erneut vom Balkan her in Italien ein. Sturz Stilichos. Theodosius II. ist Kaiser im Oströmischen Reich. Die Vandalen und andere Stämme überqueren die Pyrenäen von Gallien nach Spanien. Die Iberische Halbinsel wird von Vandalen, Alanen und Sueben erobert und aufgeteilt. Rom wird von den Westgoten erobert, Alarich stirbt wenig später; Galla Placidia, die Schwester von Kaiser Honorius, wird gegen ihren Willen mit Athaulf, dem Nachfolger Alarichs, verheiratet. Vermählung der zurückgeholten Galla Placidia mit dem Heerführer Flavius Constantius. Die Westgoten (»Visigoten«) werden als Föderaten im südwestlichen Gallien (Aquitanien) angesiedelt. Nördlich der Donau entsteht das Großreich der Hunnen. Valentinian III., Sohn der Galla Placidia und des Constantius, wird Kaiser, seine Mutter übernimmt für ihn die Regentschaft. Zug der Vandalen nach Nordafrika. Vernichtung der Burgunden am Niederrhein durch den Heermeister Flavius Aëtius mit Hilfe hunnischer Hilfstruppen. Die Vandalen nehmen Karthago ein. Die Burgunden werden in der Nähe des Genfer Sees angesiedelt. Ostrom zahlt den Hunnen einen jährlichen Tribut von 2100 Pfund Gold. Schlacht auf den Katalaunischen Feldern; Attila zieht sich zurück. Die Hunnen greifen Italien an. Nach dem Tod Attilas langsame Erosion der hunnischen Macht. Sturz des Aëtius.
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+ ++ 140 +++ Anhang +++ 455
455–72 ab 456 467 468
472 473 475
476
480 482–511 489 493 493–526 507 526 527–65 533/34
Kaiser Valentinian wird ermordet, Eroberung und Plünderung Roms durch die Vandalen unter König Geiserich. Heermeister Ricimer ist der starke Mann des Westens. Die Westgoten dehnen ihre Macht über Spanien aus. Der oströmische Kaiser Leo I. macht seinen General Anthemius zum Westkaiser. Der gemeinsame Versuch der ost- und weströmischen Truppen, Afrika von den Vandalen zurückzuerobern, scheitert. Ricimer stürzt Anthemius. Tod Ricimers. Kaiser Leo I. entsendet Julius Nepos als neuen Kaiser in den Westen. Heermeister Orestes vertreibt Julius Nepos ins Exil und macht seinen Sohn Romulus Augustulus zum weströmischen Kaiser. Der Skire Odoaker besiegt als Anführer aufsässiger germanischer Truppen Orestes und lässt sich zum König Italiens ausrufen. Romulus wird abgesetzt und ins Exil geschickt. Nominelles Ende des Weströmischen Reiches. Der letzte von Ostrom anerkannte weströmische Kaiser Julius Nepos stirbt. Unter Chlodwig I. entsteht in Gallien ein fränkisches Großreich. Der Ostgote Theoderich zieht mit Billigung des oströmischen Kaisers Zeno nach Italien. Theoderich ermordet Odoaker. Theoderich der Große herrscht über das ostgotische Italien. Die Franken unter Chlodwig besiegen die Westgoten und beherrschen nun den Großteil Galliens. Tod Theoderichs in Italien; Thronwirren. In Ostrom Reichsreformen unter Kaiser Justinian I. Rückeroberung Afrikas durch oströmische Truppen.
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+ + + Zeittafel + + + 141 + + + 535–52 537 540 541
552 565 568
Rückeroberung Italiens durch kaiserliche Armeen (Restauratio imperii). Belagerung Roms durch die Ostgoten, große Zerstörungen. Die ostgotische Residenzstadt Ravenna wird durch den oströmischen Feldherren Belisar erobert. Ausbruch der Justinianischen Pest in Ägypten, von wo sie sich langsam über die ganze römische Welt ausbreitet. Ostgoten werden entscheidend geschlagen. Tod Justinians I. Einfall der Langobarden in Italien. Ende der Völkerwanderung.
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Kurzviten der wichtigsten Herrscher und Heerführer Flavius Aëtius (um 390–454) war als Heermeister seit 433 der starke Mann des Weströmischen Reiches. Erfolgreich verteidigte er die Provinz Gallien, dabei zerschlug er das Burgundenreich. Zur Abwehr der Hunnen brachte er ein großes Bündnis zustande, das Attila mit der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern 452 zum Rückzug zwang. 454 wurde er von Kaiser Valentinian und seinen Ratgebern ermordet. Seit 395 war Alarich (um 370–411) König der von Kaiser Theodosius I. im Reich angesiedelten Westgoten. Diese führte er vom Balkan nach Italien, um bessere Bedingungen und ausreichend Land zu erhalten. Zweimal belagerte er Rom und nahm es als erster germanischer Herrscher 410 ein. Wenig später starb er in Süditalien. Gemeinsam mit seinem Bruder Bleda vereinte Attila (um 406– 453) die meisten Hunnenstämme und gründete ein Großreich mit Zentrum im heutigen Ungarn. Seit 445 Alleinherrscher, unternahm er ständig Angriffe gegen das Imperium, die sich zunächst gegen Ostrom, 451 und 452 dann gegen das Westreich richteten, wo er allerdings gestoppt wurde. Nach seinem Tod 453 in der Hochzeitsnacht – die Umstände sind nicht geklärt – brach das Hunnenreich in Thronwirren schnell zusammen. Der Franke Chlodwig (466–511) aus der Dynastie der Merowinger errichtete nach dem Ende des Westreichs ein Königreich, das bis auf den Süden große Teile des heutigen Frankreichs sowie Belgiens und Regionen östlich des Rhein umfasste. Hauptstadt wurde Paris. Bedeutend für die weitere Entwicklung war auch, dass er – und damit seine Untertanen – zum katholischen Glauben übertrat und nicht wie die meisten germanischen Stämme zuvor zum arianischen Christentum.
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+ + + Kurzviten der wichtigsten Herrscher und Heerführer + + + 143 + + + Dem unter Stilicho aufgestiegenem Berufsoffizier Flavius Constantius (III.) (gest. 421) gelang es, den Westen des Imperiums nach den Krisenjahren 405 bis 410 wieder zu stabilisieren. Er besiegte mehrere Usurpatoren, konnte die Westgoten aus Italien vertreiben und schließlich als Verbündete gewinnen. Er heiratete Galla Placidia und zeugte mit ihr den späteren Kaiser Valentinian III. 421 wurde er selbst Kaiser an der Seite seines Schwagers Honorius, starb aber dann unvermutet. Die Schwester des weströmischen Kaisers Honorius, Aelia Galla Placidia (um 390–450), wurde 410 von den Westgoten gefangen genommen und musste deren König Athaulf heiraten. Nach dessen Ermordung wurde sie Frau des Flavius Constantius, der 421 für mehrere Monate Mitkaiser war. Nach dem Tod ihres Bruders Honorius übernahm sie die Regentschaft für ihren Sohn Valentinian III., bis sie von Heermeister Aëtius 433 faktisch entmachtet wurde. Der gemeinsame Herrscher der Vandalen und Alanen, Geiserich (um 389–477), setzte mit seinen Völkern 429 von Spanien nach Nordafrika über und eroberte zunächst Numidien und Mauretanien. 439 nahm er Karthago ein und erreichte schließlich ein Abkommen, das ihm den Großteil des vormals römischen Afrikas sicherte. 455 plünderten seine Soldaten Rom; zwei Rückeroberungsversuche Ost- und Westroms scheiterten. Als Sohn Kaiser Valentinians I. wurde Flavius Gratianus (359– 383), Gratian, schon 367 Mitkaiser und war von 375 an Kaiser des Westreichs. Als sein Onkel Valens nach der Schlacht von Adrianopel fiel, versuchte er die Goten zurückzudrängen. Das gelang aber erst durch eine Politikänderung des 379 von ihm als Kaiser des Ostens berufenen Theodosius I. Gratian selbst war an der Rheingrenze erfolgreich, verlor sein Leben aber im Kampf gegen Usurpatoren. Bereits als Kind wurde Flavius Honorius (384–423) von seinem Vater Theodosius I. zum Kaiser des Westens ernannt. Die wirk-
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+ ++ 144 +++ Anhang +++ liche Macht aber hatten andere: bis 408 Stilicho, als er durch eine Intrige entmachtet und hingerichtet wurde, von 411 an Flavius Constantius. Während er sich nach Ravenna flüchtete, eroberten und plünderten die Westgoten 410 die Stadt Rom. Als Neffe und Nachfolger des Heermeisters Dalmatiens wurde Julius Nepos (um 430–480) vom oströmischen Kaiser Leo II. zum Augustus des Weströmischen Reiches proklamiert. Nur ein Jahr nach Herrschaftsantritt wurde er von seinem Heermeister Orestes 475 vertrieben. Er kehrte nach Dalmatien zurück, wo er 480 ermordet wurde. Manchen Historikern gilt er als der letzte Kaiser Westroms. Flavius Petrus Iustinianus (um 482–565), Justinian I., war einer der wichtigsten Kaiser der Spätantike. Außenpolitisch gelang ihm mit der Rückeroberung Afrikas und Italiens eine zeitweilige Restauratio Imperii. Die von ihm in Auftrag gegebene Zusammenfassung des römischen Rechts, das Corpus Iuris Civilis prägte das spätere Rechtsverständnis des Abendlandes. Mit Großbauten wie der Hagia Sophia verlieh er Konstantinopel/Byzanz mehr Glanz. Der Skirenprinz Odoaker (um 433–493) floh in den Wirren der Hunnennachfolgekriege ins Weströmische Reich und stieg dort im Militär schnell auf. Er führte den Aufstand des germanischen Heeresteils gegen Heermeister Orestes an, dessen Truppen er schlug und dessen Sohn Romulus Augustulus er 476 absetzte. Als dem oströmischen Kaiser nominell unterstellter rex Italiae stabilisierte er den Rest Westroms erfolgreich, wurde aber 493 vom ostgotischen König Theoderich abgesetzt und ermordet. Der aus Pannonien stammende Orestes (um 430–476) war zunächst ein enger Mitarbeiter des Hunnenfürsten Attila. Nach dessen Tod machte er Karriere im Weströmischen Reich, dessen Heermeister er 475 wurde. Er trieb Kaiser Julius Nepos ins Exil und setzte seinen Sohn Romulus Augustulus als seine Marionette auf den Thron. Als er den germanischen Truppen Siedlungsland ver-
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+ + + Kurzviten der wichtigsten Herrscher und Heerführer + + + 145 + + + weigerte, erhoben diese sich unter ihrem Anführer Odoaker. Sie besiegten Orestes, der von ihnen getötet wurde. Der Heermeister Ricimer (um 405–472) stammte aus vornehmen westgotischen und suebischen Geschlechtern. Unter Aëtius begann sein Aufstieg. Nachdem er in den 460er-Jahren all seine Rivalen ausgeschaltet hatte, war er für mehr als zehn Jahre der starke Mann des Westreichs. Insgesamt stürzte er drei Kaiser und proklamierte zwei. Der Kindkaiser Romulus Augustus (um 460–ca. 520) wurde von seinem Vater Orestes 475 zum Kaiser des Weströmischen Reiches proklamiert. Wegen seiner offenkundigen Machtlosigkeit erhielt er den Spitznahmen Augustulus, Kaiserlein. Nach seiner Absetzung durch Odoaker lebte er mit einer stattlichen Apanage in einer Villa auf Sizilien. Der im Ostreich aufgewachsene Flavius Stilicho (um 360–408), Sohn eines Vandalen und einer Römerin, übernahm als Heermeister nach dem überraschenden Tod Theodosius’ I. die Regentschaft für dessen minderjährigen Sohn Honorius. Zunächst gelang es ihm, zwei westgotische Angriffe abzuwehren, nicht aber, die Grenzen nachhaltig zu schützen. Im Zuge einer Intrige wurde er abgesetzt und getötet. Dem Amalerfürsten Theoderich dem Großen (451–526) gelang es, fast alle Ostgotengruppen unter seiner Herrschaft zu vereinen. Nach wechselvollen Kämpfen im Oströmischen Reich – teils als Verbündeter, teils als Gegner des Kaisers – führte er sein Volk nach Italien. Nach dem Sieg über Odoaker 493 regierte er dort als König, konnte aber seine Vision einer Verschmelzung der gotischen mit der römischen Zivilisation nicht verwirklichen. In der Sage firmiert er als Dietrich von Bern. Flavius Theodosius (347–395), Theodosius I., der Große, zog aus der Niederlage von Adrianopel und den ständig an die Grenzen drängenden Völkern die Konsequenz, größeren Gruppen die
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+ ++ 146 +++ Anhang +++ Ansiedlung als autonome Verbände zu gestatten. Als zeitweise letzter Alleinherrscher des gesamten Reiches machte er das Christentum zur Staatsreligion und erließ scharfe Gesetze gegen das Heidentum. Flavius Valens (328–378) hatte als Kaiser des Ostens vor allem gegen die Perser und verschiedene Usurpatoren zu kämpfen. Seine größte Herausforderung kam, als 376 zwei gotische Gruppen infolge von Hunnenangriffen an die Donaugrenze kamen. Nach vergeblichen Versuchen eines Kompromisses kam es 378 bei Adrianopel zur Schlacht. Bei der verheerenden Niederlage verlor Valens sein Leben. Mit sechs Jahren von seinem Onkel auf den weströmischen Thron gesetzt, wurde der Sohn der Galla Placidia, Flavius Placidus Valentinianus (419–455), Valentian III., erst von seiner Mutter, dann vom Heermeister Aëtius dominiert. So blieb er eine Repräsentationsfigur. Erst als die Hunnengefahr nach Attilas Tod gebannt schien, beschloss er, sich Aëtius’ durch Mord zu entledigen. Durch Einheirat in die kaiserliche Familie 474 an die Macht gekommen, musste sich Flavius Zeno (um 425–491), Zenon, mit Machtkämpfen und Usurpatoren herumschlagen. Zwanzig Monate musste er sogar im Exil verbringen. Nach der Absetzung des Romulus Augustulus billigte er stillschweigend die Herrschaft Odoakers, war dann aber für den Aufbruch von Theoderichs Ostgoten nach Italien mitverantwortlich.
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+ + + Bibliografie + + + 147 + + +
Bibliografie Quellen
Literatur
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+ ++ 150 +++ Anhang +++
Geografisches Register A Adrianopel 19, 30, 55, 58, 65, 121, 129 Afrika 8, 20, 22, 40, 42, 45, 46, 48, 55, 85, 93, 98, 99, 129, 130, 133, 134 Ägypten 89, 90, 92, 93, 97 Alexandria 18, 61, 120 Aquitanien 39, 101 Arbogast 54, 55 Armenien 93 B Babylon 37, 60 Balkan 30, 34, 91, 92, 94, 128 Bayern 74 Bordeaux 83 Britannien 17, 18, 34, 39, 40, 46, 55, 66, 93, 96, 104 Byzanz 73, 77, 83, 84, 88, 91, 92, 93, 94, 99, 104, 105, 111, 114, 121, 129, 136 C Cartagena 99 Córdoba 99 D Dalmatien 12, 66, 69, 73 Damaskus 92 Donau 24, 25, 30, 75, 90, 128, 132 E Europa 72, 97, 101, 106, 107, 109, 114, 121, 123, 124, 135 F Florenz 34 G Gallien 11, 34, 39, 41, 44, 46, 55, 66, 67, 83, 95, 98, 99, 105, 133 Gascogne 101 Gibraltar 40, 97, 99 H Hispanien 93, 98 I Italien 9, 12, 19, 20, 34, 35, 45, 67, 69, 71, 73, 74, 75, 82, 83, 84, 85,
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88, 89, 90, 91, 93, 95, 101, 104, 106, 111, 119, 129, 132, 133 J Jerusalem 92 K Kampanien 15 Karthago 68, 84, 91, 92, 93, 97 Katalaunische Felder 44, 98 Konstantinopel 7, 8, 11, 12, 13, 19, 24, 28, 41, 42, 43, 54, 61, 65, 66, 69, 77, 81, 84, 90, 92, 93, 94, 95, 105, 110, 118, 129, 133 L London 114 M Mailand 24, 28, 45, 85, 88 Mauretanien 42, 48 Mazedonien 37, 77 Moldawien 30 N Narbonne 49, 101 Neapel 71 Nordafrika 23, 40, 41, 46, 67, 68, 84, 90, 105, 132 Noricum 67, 73, 74, 75, 95 Numidien 41, 42 O Österreich 67, 74 P Palästina 93, 97 Paris 83, 114, 115, 118 Passau 75 Pavia 70, 88 Persien 25, 30, 37, 93, 115, 128 Prokop 68 R Ravenna 7, 8, 9, 10, 11, 12, 28, 39, 46, 69, 70, 81, 82, 83, 85, 88, 129 Rhein 24, 25, 30, 34, 80, 128, 132 Rom 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 17, 19, 22, 24, 25, 28, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 42, 47, 52, 53, 55, 56, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 66, 67, 69, 73,
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+ + + Geografisches Register / Namensregister + + + 151 + + + 76, 77, 81, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 91, 98, 99, 104, 108, 109, 110, 111, 112, 114, 115, 117, 118, 119, 120, 123, 124, 128, 132, 136 S Sizilien 10, 18, 41, 48, 67, 73, 74, 76, 85, 105 Slowenien 74 Spanien 34, 39, 40, 41, 46, 49, 66, 67, 90, 92, 95, 98, 99, 101, 105, 107, 114, 132, 133 Syrien 8, 92, 93, 97
Toledo 99 Toulouse 83 Trient 88 Trier 24, 28, 44 U Ukraine 30 V Verona 45, 81, 88 W Walachei 30, 91
T Thessalien 77 Thrakien 77, 91, 93
Namensregister A Aegidius 66 Aëtius 19, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 54, 55, 80, 98, 130 Agilulf 88 Aiolis. Siehe Alarich 35, 39, 55, 58, 63 Amalasuintha 84 Ammianus 31, 34, 36, 42 Anthemius 54, 67, 133 Attila 41, 43, 44, 45, 46, 58, 66, 74, 75, 80, 81, 98, 111, 130, 133 Augustinus 37, 60 Avitus 47, 49, 54, 57, 66, 98 B Basiliskos 8, 9, 12, 70 Belisar 84, 85, 86, 129, 133 Brown, Peter 125 C Childerich III. 101 Chlodwig 66, 83, 98, 99, 100, 111 Commodus 17, 19, 120 Constantius 39, 40, 41, 55, 143 D Dahn, Felix 86, 87 Demandt, Alexander 121, 126, 128 Diokletian 19, 28, 52, 61
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E Engels, Friedrich 119 Erasmus von Rotterdam 117 Eugippius 10, 15, 74, 75, 76 Eurich 66, 98 F Ford, John M. 121 Freeman, Edward 119 Freidank 115 G Galla Placidia 11, 39, 40, 66 Geiserich 40, 41, 42, 44, 47, 48, 55 Gibbons, Edward 62, 118 Gildas 105 Glycerius 69 Goffart, Walter 125 Gratian 30, 104 Gundobad 69, 83 Gundohar 80 H Heather, Peter 35, 125, 126 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 117, 119 Heine, Heinrich 122 Henkel, Oliver 121 Herakleios 91, 92, 93, 94, 129 Herder, Johann Gottfried 119 Hieronymus 37, 39
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+ ++ 152 +++ Anhang +++ Hydatius 45 Hypatia 18
Q Quintilian 59
J Jordanes 35, 44, 45, 80, 82 Julius Nepos 12, 66, 69, 70, 73 Justinian 15, 19, 72, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 111, 129 Justin II. 90
R Radagais 34, 129 Renouvier, Charles 120 Ricimer 47, 48, 54, 67, 68, 69, 83, 130, 133 Romulus Augustulus 9, 12, 15, 18, 19, 76, 104, 133
K Kant, Immanuel 117 Karl der Große 111, 112, 121 Karlmann 101 Karl Martell 100, 101, 121 Konstantin I. 111 Krenkel, W. A. 124 L Leo III., Papst 104 Leo I., Papst 45, 46, 111 Libius Severus 48, 54, 67 Livius 17, 59, 120 Luther, Martin 116 M Machiavelli, Niccolò 117 Majorian 47, 48, 49, 54, 66 Malchus von Philadelphia 71 Marc Aurel 17, 19, 120 Marcellinus Comes 15 Marx, Karl 119 Maurikios 91 Mitchell, Kirk 120 Montesquieu, Baron de 117 N Narses 85, 86, 88 O Odoaker 9, 10, 11, 12, 14, 15, 47, 55, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 81, 82, 83, 111, 121, 132, 133 Olybrius 54 Orestes 9, 10, 12, 15, 69, 70, 71, 130 P Petrarca, Francesco 116 Phokas 91 Pippin III. 101
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S Schapur I. 24 Severin 15, 74, 75, 76 Smith, Adam 117, 118 Spengler, Oswald 109, 123, 124 Stilicho 34, 35, 39, 54, 55, 130 Strauss, Barry 121 Sygarius 66, 100 T Teja 86, 88 Theoderich der Große 8, 9, 19, 45, 55, 76, 77, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 98, 111, 132, 133 Theoderich Strabo 9 Theodora 86 Theodosius 55 Theodosius I., der Große 31, 61 Theodosius II. 66 Totila 85, 86, 87, 88 Toynbee, Arnold 120, 123, 124 V Valens 30, 31, 121 Valentinian II. 54 Valentinian III. 40, 42, 64 Valerian 24 Vitigis 85, 86 Voltaire 117 W Ward-Perkins, Bryan 125, 126 Wilhelm II. 123 Z Zenon 8, 9, 12, 69, 70, 71, 73, 77, 82, 133 Zosimos 31
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Informationen Zum Buch Wendepunkte der Geschichte – alle Hintergründe und Fakten! Das Römische Reich, einst Herrscher der Welt und Träger einer großartigen Kultur – doch letztlich wurde es mit einem schnöden formalen Akt abgeschafft. Aus damaliger Sicht kaum mehr als eine Randbemerkung der Weltgeschichte: Der Offizier Odoaker, Sohn eines Hunnen und einer Germanin, setzt am 28. August 476 den letzten römischen Kaiser ab und lässt sich zum König von Italien ausrufen. Diesen bedeutungslosen Jungen mit dem Spottnamen Augustulus, das Kaiserchen, zu töten, hält der Rebell gar nicht mehr für nötig, so ungefährlich schien er ihm. Es ist der letzte Schritt eines langen Untergangs. Für spätere Generationen markiert dieser Tag das Ende der Antike. Die Menschen tauschen wieder wie vor Jahrhunderten ihre Waren, vergessen technische Errungenschaften. Lange, düstere Jahrhunderte brechen an. Manchmal verändern wenige Minuten, eine einzige Entscheidung, ein kurzer Impuls oder ein perfekter Plan den Lauf der Geschichte. Die Eilmeldungen der Nachrichtenagenturen überschlagen sich – sofern Ticker und Korrespondenten schon erfunden sind. Für so entscheidende Ereignisse hätte jeder Fernsehsender sein Programm unterbrochen. Die Reihe »Wendepunkte der Geschichte« greift diese Höhepunkte heraus und bettet sie in ihren Zusammenhang ein: Was waren die Hintergründe, wer die Strippenzieher? Wie ist es zu dem Ereignis gekommen und wie wirkte es sich aus? Mit einem szenischen Einstieg, unterhaltsamen Texten, Karten, Hintergrundinformationen und Schaubildern gehen die Bände den historischen Ereignissen auf den Grund. Der journalistische Stil spricht vor allem ein jüngeres Publikum an.
Informationen Zum Autor Hans-Peter von Peschke ist Journalist und Stabschef beim Schweizer Radio DRS und hat zahlreiche Bücher zu historischen Themen verfasst.