Das Ende des Modells Schweden?: Das schwedische Produktionsregime in der Globalisierungsarena 1980–2000 [1 ed.] 9783428537969, 9783428137961

Lange galt das »Modell Schweden« als Musterbeispiel einer Marktwirtschaft, die erfolgreich die beiden Prinzipien Effizie

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German Pages 543 Year 2012

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Das Ende des Modells Schweden?: Das schwedische Produktionsregime in der Globalisierungsarena 1980–2000 [1 ed.]
 9783428537969, 9783428137961

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Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 85

Das Ende des Modells Schweden? Das schwedische Produktionsregime in der Globalisierungsarena 1980–2000

Von Gunnar Flume

Duncker & Humblot · Berlin

GUNNAR FLUME

Das Ende des Modells Schweden?

Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Herausgegeben von Margrit Grabas, Werner Plumpe, Reinhold Reith, Dieter Ziegler

Band 85

Das Ende des Modells Schweden? Das schwedische Produktionsregime in der Globalisierungsarena 1980–2000

Von Gunnar Flume

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Die Geschichtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 978-3-428-13796-1 (Print) ISBN 978-3-428-53796-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83796-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine lieben Eltern

Danksagung Die vorliegende Monographie ist die überarbeitete und gekürzte Fassung der Dissertationsschrift, die im Herbst 2009 an der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld eingereicht und nach der Disputation am 10. Mai 2010 mit summa cum laude bewertet wurde. Das diesem Werk zugrunde liegende Forschungsvorhaben über den institutionellen Wandel innerhalb des schwedischen Produktionsregimes im ausgehenden 20. Jahrhundert ging mit einem langen Schaffensprozess einher, an dem viele Personen und Institutionen indirekt beteiligt waren. Da ich kein Freund ausschweifender Danksagungen bin, möchte ich die folgenden Anmerkungen auf diejenigen beschränken, die maßgeblich mit Rat und Hilfe dazu beigetragen haben, dass dieses ambitionierte und langjährige Projekt Früchte trug. Allen voran möchte ich Prof. Dr. Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld nicht nur für die fachliche Betreuung danken, sondern auch für seine freundliche Unterstützung bei der Organisation und Finanzierung der Promotion. Angebracht an dieser Stelle ist auch eine Danksagung an das Stipendiatenprogramm ‚European Doctorate in the Social History of Europe and the Mediterranean‘, das mir nicht nur meinen Aufenthalt an der Södertörns Högskola in Stockholm ermöglichte, sondern ebenso die umfangreichen Recherchetätigkeiten andernorts in Schweden sowie die Vorstellung meiner Ergebnisse auf Konferenzen in Paris, Lissabon, Granada und Genf. In Stockholm begleiteten Prof. Dr. Lars Ekdahl und Prof. Dr. Kjell Östberg von der Södertörns Högskola den Fortschritt der Arbeit mit kritischen Hinweisen und organisatorischen Ratschlägen. Ihnen bin ich genauso zu Dank verpflichtet wie meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Lars Magnusson von der Universität Uppsala. Ein kollektiver Dank gilt weiterhin den rund vierzig schwedischen Managern, Gewerkschaftlern und Vorstandsmitgliedern aus den Fallstudienunternehmen, die sich für teilweise mehrstündige Interviews zur Verfügung stellten. Während dieser Gespräche habe ich trotz – oder gerade wegen – meiner hartnäckigen Fragetechnik nicht nur schwedische Tugenden wie Offenheit, Geduld und Gelassenheit kennen gelernt, sondern auch wertvolle Informationen erhalten, die den Erkenntnisfortschritt in mancherlei Hinsicht erheblich beförderten. Frau Prof. Dr. Margrit Grabas von der Universität des Saarlandes half schließlich freundlicherweise, die Publikation meiner Promotion zu ermöglichen.

8 Danksagung

Die vorliegende Arbeit wäre allerdings nicht zustande gekommen, hätten nicht meine lieben Eltern Arnold und Hildegunde Maria Flume die mühsame und langwierige Arbeit auf sich genommen, die umfangreiche Manuskriptfassung durchzusehen und zu korrigieren. Dafür und für ihre sonstige Unterstützung sei ihnen deswegen das vorliegende Buch gewidmet. Gunnar Flume

Inhalt I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Die Grundannahmen des Varieties of Capitalism-Ansatzes . . . . . . . . . . . 20 2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Unternehmensfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Unternehmenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Industrielle Beziehungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 d) Das Branchensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Zusammenfassung: Das Modell Schweden als Variante einer ­koordinierten Marktökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Grundlegende Merkmale der Innovations- und Wachstumspfade schwedischer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Anforderungen an die Fallstudienunternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Spezialist unter Spezialisten: Sandvik im Marktumfeld der ­schwedischen Stahlindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern: Vom ‚Mitternachtsraub‘ zum Vorzeigekonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Der ‚Mitternachtsraub‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Die Ära Eriksson: Die erfolgreiche Konsolidierung und Restrukturierung des Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Sandvik im schwedischen Branchensystem: Moderierte Produkt- und Marktaufteilung in der Spezialstahlbranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Die Ära Hedström 1994 –2000: Internationale Expansion im Zeichen der Konzentrationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Präventive Erwerbungen zur Sicherung der Marktposition: CTT Tools, Kanthal und Tamrock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5. Sandvik: Vorzeigeunternehmen des schwedischen Mikrokorporatismus?  144 a) Sozialpartnerschaft im Zeichen der Internationalisierung: Die Restrukturierung von Aushandlungsarenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6. Unternehmenskontrolle in den 1990ern: Von Skanska zur Svenska Handelsbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 7. Unternehmensfinanzierung: Defensive Finanzierungspolitik – offensive Adaption von Finanzmarktnormen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA . . . . . . . . . . . . . 174 1. Verbundwirtschaft, Höherveredlung, Vorwärtsintegration: Grundelemente der Innovationsstrategie SCAs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

10 Inhalt 2. Der Unternehmenspfad in den ‚kurzen‘ achtziger Jahren: Die Moder­ nisierung des Sundsvall-Distrikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Von ‚Ö 80‘ zur Verbundwirtschaft: Die Investitionsprogramme zum Ausbau der schwedischen Standorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Vom Primat der Koordination zum Primat der Konkurrenz? Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft im Wandel  . . . . . . . 196 a) Die verbandsgeleitete Branchenkooperation in der schwedischen Forstwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Produktstrategien und das Entstehen der ‚Big Three‘: SCA, MoDo und Stora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Aus drei mach zwei? Die fehlgeschlagene Zusammenarbeit mit MoDo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 d) Aus zwei mach eins: Die erfolgreiche Zusammenarbeit im Bereich Feinpapier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4. Die neunziger Jahre: SCA im Zeichen der Schwerpunktkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Die Internationalisierung des Konzerns: Erwerbungen und Verkäufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Stärkung der Marktposition im Druckpapiersegment: Der Erwerb von Laakirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Vorwärtsintegration: Erwerbungen im Bereich Verpackungen . . . . . . 221 d) Hygiene: Der mühsame Weg zur Marktführerschaft . . . . . . . . . . . . . . 223 5. Industrielle Beziehungen: Institutionelle Stabilität in Zeiten der Restrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 6. Vom Nachzügler zum Vorreiter: Veränderungen in der Corporate Governance und die Durchsetzung des Shareholder Value . . . . . . . . . . . 240 a) Die Kreuzverflechtung mit der SHB: Im Schutz und Dienst der Svenska Handelsbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Finanzierungspolitik: ‚Expansion mit Gewinn‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Die widerwillige Aufgabe der Kreuzverflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . 249 d) Custos: Die Konfrontation mit dem ‚Quartalskapitalismus‘ . . . . . . . . 252 e) Die Implementation von CVA und weiterer Finanzmarktnormen  . . . 265 IV. ‚Was gut ist für Ericsson, ist gut für Schweden‘: Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Besonderheiten des Innovationsregimes der Telekommunikationsindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Ericsson als ‚Systemhaus‘: Produkt- und Wirkungsfelder des ­Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren: Der schwierige Weg zum Systemanbieter in der Mobilkommunikation . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Development pair: Die Beziehung zwischen Ericsson und Televerket und die Diversifizierte Qualitätsproduktion in Gestalt von AXE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Inhalt11 b) ‚Ericsson log out‘: Das EIS-Projekt als erster gescheiterter Versuch zur Integration von Sprach- und Datenkommunikation . . . . . . . . . . . 300 c) Die Wiederbesinnung auf die traditionellen Stärken: Erste Erfolge in der Mobilkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 3. Veränderungen im Branchensystem: Der Durchbruch für Ericsson als globaler Mobilkommunikationsanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 a) Die Liberalisierung und Deregulierung des Telekommunikations­ wesens sowie die Öffnung der zentraleuropäischen Märkte  . . . . . . . 314 b) NMT: Der first mover-Vorteil der Skandinavier im analogen Mobilfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 c) GSM: Die Begründung eines einheitlichen europäischen digitalen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992 und das Entstehen eines global players in der Mobilkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Offensive in der Krise: Der Kostensprung durch die FuE-Ausgaben . 341 5. Der zweite Anlauf: Die Herausforderung der Verschmelzung von Daten- und Mobilkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Das Ende der Zusammenarbeit mit Telia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Sunk Costs: Das Scheitern von AX-N . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 c) Best Practice: Standardfindung im Infocom-Innovationsregime . . . . . 354 d) ‚String of Pearls‘: Die Akquisitionen in den USA . . . . . . . . . . . . . . . 356 6. Der Übergang zu offenen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 a) Die Zusammenarbeit mit Universitäten und Hochschulen . . . . . . . . . 367 b) Der Weltstandard W-CDMA: Die Allianz mit den Japanern . . . . . . . 377 7. Industrielle Beziehungen in einem Hochtechnologieunternehmen: Zwischen Konflikt und Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 a) Konflikttreiber: Outsourcing und Standortschließungen . . . . . . . . . . . 390 8. Finanzierungs- und Unternehmenskontrollstrukturen im institutionellen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 a) Entente cordiale: die Wallenberg-Familie und die Svenska Handelsbanken als aktive Eigentümer bei Ericsson . . . . . . . . . . . . . . 414 b) Erfahrungen mit dem Quartalskapitalismus: Die zögerliche Adaption von Finanzmarktnormen und die Entlassung Nilssons . . . . 436 c) Das plötzliche Erwachen: Das jähe Ende der new economy . . . . . . . 450 d) Das Ende der aktiven Eigentümer? Der Machtverlust der SHB und der Wallenberg-Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel . . . . . . . . . . . . . 463 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Interviewte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abbildung 1: Die Wallenberg-Sphäre 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Abbildung 2: Die SHB-Sphäre 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Abbildung 3: Struktur der schwedischen Exporte (SITC-Kriterien) 1995, in Mio. SKr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abbildung 4: Elemente der Innovationsstrategie Sandviks. . . . . . . . . . . . . . . . 97 Abbildung 5: Das Stenbeck-Engagement in der schwedischen Spezialstahlindustrie zu Beginn der achtziger Jahre. . . . . . . . . . 108 Abbildung 6: Vertikale Integration bei SCA zwischen 1980 und 2000. . . . . . 184 Abbildung 7: Kernelemente der Innovations- und Wachstumsstrategie SCAs. 185 Abbildung 8: Entwicklung globaler Mobilfunkstandards 1980–2000. . . . 324 / 325 Abbildung 9: Regelinterdependenzen der institutionellen Arrangements im Falle Sandviks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Abbildung 10: Regelinterdependenzen der institutionellen Arrangements im Falle SCAs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Abbildung 11: Regelinterdependenzen der institutionellen Arrangements im Falle Ericssons. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Tabelle 1:

Merkmale des schwedischen Produktionsregimes bis 1980. . . . 81

Tabelle 2:

Institutionelle Arrangements des schwedischen Produktionsregimes im 20. Jahrhundert: Kontinuität und Wandel . . . . . . . . 84

Tabelle 3:

Die Position schwedischer Stahlhersteller in ausgewählten Produktbereichen 1998. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Tabelle 4:

Anzahl schwedischer Spezialstahlhersteller 1965–1984. . . . . . . 125

Tabelle 5:

SCA: Veränderungen in der Wertschöpfungsstruktur . . . . . . . . . 186

Tabelle 6:

Wachstumsstrategien der schwedischen Zellstoffindustrie . . . . . 203

Tabelle 7:

Markt- und Innovationsstrukturen der Telekommunikationsindustrie bis 1990. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Tabelle 8:

Institutionelle Unterschiede im Standardisierungsprozess in CMEs und LMEs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Tabelle 9:

Institutionelle Veränderungsdynamiken in den Fallstudienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall? Nicht nur auf die deutsche Öffentlichkeit und Politik hat das ‚Modell Schweden‘ schon immer eine gewisse Faszination ausgeübt, galt es doch mit seiner harmonischen Synthese aus Effizienz und Gleichheit, der charakteristischen Kombination aus einer dezidiert weltmarktorientierten, hoch­ gradig vermachteten Unternehmenslandschaft, hohen wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und makrokorporatistischen Aushandlungsformen als nachahmenswertes Vorbild. Nicht selten wurde das Land im europäischen Norden als der locus classicus eines sozialdemokratischen Reformmodells apostrophiert, das nicht wenige als Alternative zu den Unvollkommenheiten eines totalitären Staatssozialismus sowjetischer Provenienz auf der einen und den sozialen Verwerfungen des Kapitalismus westlicher Prägung auf der anderen Seite betrachteten: Bereits in den 1930ern zeigte sich der US-amerikanische Journalist Marquis Childs so beeindruckt von Konsumentenkooperativen, niedrigen Mieten, den vergleichsweise generösen Altersversicherungen und der Allgegenwart von Moderation und sozialer Kohäsion, dass er den ‚schwedischen Weg‘ als einen nachahmenswerten Mittelweg zwischen den beiden großen antagonistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwürfen des 20. Jahrhunderts empfahl.1 In der Tat wurden weder Eigentumsverhältnisse noch marktwirtschaftliche Funktionsweisen in Frage gestellt, aber ein Regime industrieller Planung und Wohlfahrtsumverteilung sollte die dysfunktionalen Auswirkungen ökonomischer Prozesse im Zaum halten, ohne dass die sozialdemokratischen Wachstumsstimulierungsversuche die kapitalistische Natur der Produktion grundlegend herausforderten. Aus der Perspektive neoliberaler Verfechter einer économie pure musste dieses Modell der Politics against Markets wie eine pure Konfrontation anmuten, widersprach doch der universalistische Wohlfahrtsstaat mit seinen Leistungen ‚von der Wiege bis zur Bahre‘, die hohe Steuerprogression und die egalitäre Einkommensstruktur der propagierten Überlegenheit des freien und ungehinderten Spiels der Marktkräfte. Im Rahmen der Leitmotive Trygghet och Jämlikhet, Sicherheit und Gleichheit, konnte hingegen das Modell Schweden den Nimbus eines Gesellschaftsentwurfs entfalten, der sich in einer auf Konsens bedachten Gesellschaft besonders gut verwirklichen ließ und der scheinbar als bewusst intendiertes Meisterstück der rationalen Planung von Politik und 1  Childs, M., Sweden the Middle Way, New Haven 1936; Vgl. auch ders., Sweden: The Middle Way on Trial, New Haven 1980.

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Wirtschaft in der Machtübernahme der sozialdemokratischen Partei im Jahre 1932 seinen Ausgangspunkt hatte.2 Das Gefühl, sich als auserwähltes Volk wie im Schlaraffenland zu fühlen, wie der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Gunnar Myrdal zu Beginn der siebziger Jahre noch jubilierte, dürfte den Schweden anfangs der neunziger Jahre wohl vergangen sein, als nicht wenige Beobachter das Ende der einzigartigen Prosperitätskonstellation erkannt haben wollten.3 Spätestens mit der 1991 einsetzenden Rezession stand das ‚Modell Schweden‘ angesichts unübersehbarer Krisensymptome in Form hoher Arbeitslosigkeit, zurückgehender Wachstumsraten und gravierender Weltmarktanteilsverluste zur Disposition. Dass insbesondere in der deutschen Debatte ein ‚schwedischer Weg‘ oder auch ein ‚skandinavischer Weg‘ gelegentlich in etwas unkritischer Manier fast schon als Blaupause für eigene Reformanstrengungen empfohlen wurde, liegt wohl daran, dass dessen Stärke in der Wiedererlangung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit gesehen wird, ohne dabei weitreichende sozialstaatliche Errungenschaften aufzugeben. Dass die Rezession zu Beginn der neunziger Jahre einen heftigen, aber dennoch kurzen Einschnitt darstellte, lässt sich anhand einiger Daten illustrieren: Bereits 1994 signalisierte eine Wachstumsrate von 3,3 v. H., die im Vorjahr immerhin noch bei minus 1,8 v. H. gelegen hatte, das Ende der Rezession. Durch Ausgabenkürzungen und Steuerzuwächse verwandelte sich gleichzeitig das staatliche Defizit bis 1998 in einen Überschuss, während die zur Inflationsbekämpfung in exorbitante Höhen geschossenen Realzinsen nach 1995 auf unter zwei v. H. gedrückt werden konnten. Auch wenn die Ära der Vollbeschäftigung vorerst der Vergangenheit angehörte, nahm die Arbeitslosigkeit bis Oktober 1999 auf 4,5 v. H. ab und lag somit immer noch unter dem Niveau zentraleuropäischer Volkswirtschaften.4 Zumindest legt der Blick auf solche makroökonomischen Aggregationen den Schluss nahe, dass die ökonomischen Grundlagen für die Fortexistenz des Modells gegeben sind. Dafür spricht auch, dass die in westeuropäischen Ländern auftretende deutliche Spreizung in der Einkommensverteilung und damit verbundene wachsende soziale Ungleichheit in Schweden nicht im selben Ausmaß registriert werden konnte. Es ist wohl diese Fertigkeit, ein hohes Maß 2  Trautwein, H.-M., Sozialdemokratischer Modellbau im Wandel? Das Beispiel Schweden, in: Hein, E. (Hrsg.), Perspektiven sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik in Europa, Marburg 2000, S. 129 f. 3  Pontusson, J., Between Neo-Liberalism and the German Model: Swedish Capitalism in Transition, in: Crouch, C. / Streeck, W. (Hrsg.), Political Economy of Capitalism: Mapping Convergence and Diversity, London 1997, S. 55. 4  Benner, M. / Vad, T. B., Sweden and Denmark: Defending the Welfare State, in: Schmidt, V. / Scharpf, F. W. (Hrsg.), Welfare and Work in an Open Economy: Diverse Responses to Common Challenges, Oxford 1999, S. 421.



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an Wohlfahrtsstaatlichkeit auch in Zeiten schwierigen wirtschaftlichen Wandels beizubehalten, die Schweden und anderen skandinavischen Ländern erneut einen Vorbildcharakter verliehen hat. Dabei wird nur zu gerne übersehen, dass die Adaptivität solcher sozialorganisatorischer Strukturen schon alleine dadurch verkompliziert wird, dass ihre Hervorbringung nicht nur maßgeblich durch die jeweilige Geschichte des Landes bedingt ist. Dass Gesellschaften bestimmte Lösungen in sozio-ökonomischen Feldern hervorgebracht haben, hängt nicht nur alleine von politischen Präferenzen oder bestimmten Machtkonstellationen ab, sondern auch von ihrer Vereinbarkeit mit Mustern industrieller Spezialisierung, der Struktur der jeweiligen Unternehmenslandschaft oder bevorzugten Innovationsstrategien. Erstaunlicherweise ist die Bedeutung dieser ökonomischen institutionellen Grundlagen für das Modell Schweden lange Zeit nicht berücksichtigt worden. Das mag damit zusammenhängen, dass mit diesem Begriff selten ein systematischer Gesellschaftsentwurf umschrieben wird, sondern vielmehr ein heterogenes soziales Ensemble von politischen Routinen, Strukturen, Verhaltensmustern und Mentalitäten, die jeweils ihre eigene Geschichte haben und erst im Laufe der Zeit als eine zusammenhängende Struktur interpretiert wurden.5 Die vorliegende Arbeit maßt sich auch nicht an, das ‚Modell Schweden‘ in seiner Gesamtheit als eine kohärente Wirtschaftsund Gesellschaftsverfassung und deren Veränderungen zu untersuchen. Im Zentrum des Interesses stehen also nicht Veränderungen wohlfahrtsstaat­ licher Strukturen, grundlegende Reformen im Bildungswesen oder die Neuausrichtung in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, sondern ausschließlich die Analyse der institutionellen Arrangements dieser Volkswirtschaft zwischen 1980 und 2000. Wenn also fortan vom schwedischen Modell die Rede ist, dann soll darunter die schwedische Variante eines Produktionsregimes verstanden werden, das sich von einem deutschen, einem angelsächsischen oder auch einem italienischen Modell abhebt.6 Die Frage, welchen 5  In der Literatur werden folgende konstitutiven Wesensmerkmale des schwedischen Modells hervorgehoben: Ein aktiver Staat mit einem breiten politischen Mandat zur Intervention in den Marktprozess; ambitionierte und universelle Sozialprogramme mit generösen Einkommensersatzleistungen für ein breites Risikospektrum finanziert durch hohe Steuer- und Abgabensätze; die Intervention auf Arbeitsmärkten zum Zwecke der Vollbeschäftigung; starke Interessenorganisationen und eine durch allgemeine Konsenspolitik flankierte Sozialpartnerschaft, die die Tarifparteien in öffentliche Entscheidungsprozesse einbezieht; schließlich ein öffentlicher Beschäf­ tigungssektor sowie ein relativ großer Anteil öffentlicher Unternehmen. Vgl. zur Diskussion über die Wesensmerkmale Riegler, C. H. (Hrsg.), Schweden im Wandel – Entwicklungen, Probleme, Perspektiven, Berlin 1999. 6  Der Begriff Produktionsregime wird hier als Synonym für alle Ansätze verstanden, die die Gesamtheit der institutionellen Arrangements auf nationaler Ebene zu fassen versuchen. Dazu zählt das von Richard Whitley vertretene Konzept der ‚Business Systems‘, aber auch der von Richard Hollingsworth verwandte Begriff des

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Beitrag die institutionellen Arrangements des schwedischen Produktionsregimes zur Überwindung der Krise leisteten oder wie sie vice versa in deren Gefolge verändert wurden, hat bisher eine erstaunlich geringe Resonanz erfahren. Umgekehrt wurde auch in vergleichenden Studien der Produktionsregime-Literatur die skandinavische Volkswirtschaft meistens außen vor gelassen. In Schweden selbst ist Beobachtern Anzeichen eines Kontinuitätsbruchs in der Unternehmenskontrolle und -finanzierung gleichwohl nicht verborgen geblieben.7 Gleiches gilt für die Arena der industriellen Beziehungen, in denen der Zusammenbruch der zentralisierten Lohnverhandlungen zu Beginn der neunziger Jahre unwiederbringlich klar machte, dass die bisherige Stabilität makrokorporatistischer Aushandlungsformen an ihr Ende gelangt war. In der schwedischen Debatte wurden solche Anzeichen eines möglichen regime change nicht nur im Lichte der krisenbedingten Ereignisse zu Beginn der neunziger Jahre, sondern auch einer intensivierten weltwirtschaftlichen Integration wahrgenommen. Vollzog sich die Globalisierung schwedischer Unternehmen bis in die achtziger Jahre hinein eindimensional als Erschließung ausländischer Märkte, so mehrten sich mit dem Abflauen der Krise 1993 die Anzeichen, dass die schwedische Ökonomie nun auch selbst zum Zielgebiet ausländischer Investoren wurde. So war an der Stockholmer Börse ein massiver Zufluss ausländischen Kapitals zu verzeichnen. Während der achtziger und neunziger Jahre sollten zudem eine ganze Reihe führender schwedischer Unternehmen unter ausländische Kontrolle geraten. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob die schwedische Volkswirtschaft wie andere europäische korporative Marktwirtschaften ebenfalls eine Anpassung an das marktliberale Institutionengefüge angelsozialen Systems der Produktion. Vgl. zu den einzelnen Ansätzen Suzanne, B. / Dore, R. (Hrsg.) National Diversity and Global Capitalism, Ithaca 1996; Boyer, R. / Hollingsworth, J. R. (Hrsg.), Contemporary Capitalism: The Embeddedness of Institutions, Cambridge 1997; Amable, B., Institutional Complementarity and Diversity of Social Systems of Innovation and Production (WZB Discussion Paper FS I 99–309), Berlin 1999; Whitley, R. (Hrsg.), European Business Systems: Firms and Markets in their National Contexts, London 1997; Soskice, D., Globalisierung und institutionelle Divergenz: Die USA und Deutschland im Vergleich, in: Geschichte und Gesellschaft, Vol. 25, Nr. 2 (1999), S. 201–225. 7  Diese Veränderungen werden näher erläutert bei Reiter, J., Changing the Microfoundations of Corporatism: The Impact of Financial Globalisation on Swedish Corporate Ownership, Vol. 8, Nr. 1 (2003), S. 103–127; Henrekson, M. / Jakobsson, U., Ägarpolitik och ägarstruktur i efterkrigstidens Sverige, in: Jonung, L. (Hrsg.), Vem skall äga Sverige? Stockholm 2002, S. 21–64; Dies., The Transformation of Ownership Policy and Structure in Sweden: Convergence Towards the Anglo-Saxon Model? In: New Political Economy, Vol. 8, Nr. 1 (2003), S. 73–102; Dies., U., Where Schumpeter Was nearly Right – The Swedish Model and Capitalism, Socialism and Democracy, in: Journal of Evolutionary Economics, Vol. 11, Nr. 3 (2001), S. 331–358.



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sächsischer Prägung vollziehen musste, um in der Globalisierungsarena bestehen zu können. Die Ziele der vorliegenden Arbeit lassen sich vor dem Hintergrund der bisher dargelegten Problemdimensionen wie folgt präzisieren: Erstens soll auf der Basis bereits erbrachter Forschungsleistungen dargestellt werden, welche grundlegenden institutionellen Veränderungen sich auf der nationalen Ebene des schwedischen Produktionsregimes ausmachen lassen und inwiefern die Rahmenbedingungen für Unternehmen dadurch verändert wurden. Daran schließt zweitens eine Untersuchung auf der Basis vier konkreter Fallbeispiele an, die zeigen soll, wie sich dieser Wandlungsprozess in der Praxis schwedischer multinationaler Unternehmen niederschlug. Dass Unternehmen in der vorliegenden Untersuchung als Ausgangspunkt gewählt wurden, lässt sich nicht nur damit plausibilisieren, dass bisher in der internationalen Forschung zu Produktionsregimen unabhängig vom schwedischen Fall auf dieser Ebene angesiedelte Studien eher rar gesät sind und das Interesse sich vorrangig auf landes- oder branchenweite Transformationsprozesse richtete. In diesem Zusammenhang geht es auch nicht um die Schwächen eines Erkenntnisgewinns aus rein statistischen Aggregationen, die gelegentlich nur bedingt Schlüsse auf die ihnen zugrunde liegenden disparaten Prozesse und Ursachen zulassen. Privatwirtschaftliche Unternehmen lassen sich nicht nur als ökonomische Entitäten, sondern ebenso als soziale Gebilde begreifen, die neben betriebswirtschaftlichen Kalkülen auch den Funk­ tionslogiken auf sie einwirkender Makroakteure und -systeme Rechnung tragen müssen. Unternehmen bilden aber auch die sozialen Arenen, in denen institutionelle Praxen mit weiteren Umweltveränderungen abgestimmt werden müssen. Abwandlungen oder gar Brüche in Unternehmenspraktiken in Gestalt sogenannter branchenspezifischer business recipes wie der lean production können die industriellen Beziehungen einer Belastungsprobe aussetzen. Genauso kann die Akzeptanz neuer Gewinnmaximierungsstrategien wie der Shareholder Value-Philosophie auch auf das institutionelle Umfeld ausstrahlen.8 Außerdem müssen beispielsweise Veränderungen in der Unternehmensfinanzierung auf nationaler Ebene nicht geradewegs Auswirkungen in anderen institutionellen Feldern zeitigen, während die Konnexität in Unternehmen teilweise unmittelbarer offenbar wird. Insofern ermöglicht der gewählte Ansatz, die Vorzeichen institutionellen Wandels auf natio­naler Ebene durch eine Analyse auf Unternehmensebene zu validieren 8  Fligstein, N., The Structural Transformation of American Industry: An Institu­ tional Account of the Causes of Diversification in the Largest Firms, 1919–1979, in: Powell, W. W. / DiMaggio, P. J. (Hrsg.), The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago 1991, S. 311–336; Räsänen, K. / Whipp, R., National Business Recipes: A Sector Perspective, in: Whitley, European Business Systems, S. 46–60.

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und somit die gelegentlich wenig Erkenntnis fördernde bloße Juxtaposition von Phänomenen zu überwinden. Es gibt jedoch noch einen zweiten Grund, der für den im Rahmen der vorliegenden Arbeit gewählten methodischen Ansatz ins Feld geführt werden kann. So kann erstens der Nachweis geführt werden, wie Akteure – beispielsweise in Gestalt von ausländischen Kapitalgebern – zusammen mit veränderungswilligen einheimischen Kräften die von Unternehmen befolgten rules of the game zu ihren Gunsten verändern und auf diese Weise als Transformationsagenten firmieren. Unternehmen können jedoch auch darauf Einfluss nehmen, dass Regelsetzungen verändert werden, falls widersprüchliche Anforderungen bewältigt werden müssen und als Anlass genommen werden, die bisher sanktionierten Regeln neu zu formulieren. Neuere Studien fassen institutionelle Kontexte in diesem Sinne nicht als statische handlungsleitende Regelwerke auf, sondern als Ressourcen, die Wirtschaftssubjekte im Rahmen einer institutional entrepreneurship in Anspruch nehmen, aber auch über ein regeldeviantes Verhalten ignorieren können.9 Diese Wahrscheinlichkeit nimmt im Falle einer forcierten Internationalisierung zu, weil externe Märkte dann nicht mehr ausschließlich über Handelskanäle, sondern substitutiv durch Direktinvestitionen bedient oder zentrale Unternehmensfunktionen ins Ausland verlagert werden. In dieser Situation avancieren multinationale Unternehmen zu indifferenten institutionellen Kontexten agierenden global players, die nun über ein reales oder auch nur an­ gedrohtes regime shopping selbst Institutionen nach eigenem Gutdünken verändern oder beeinflussen können.10 Keineswegs verfügen jedoch Unternehmen über die Möglichkeit, ihre Globalisierungsstrategien völlig frei zu wählen, da sie in der Regel eng an den jeweiligen Innovations- und Wachstumspfad gekoppelt sind. Branchenspezifische Entwicklungen auf Güterund Faktormärkten restringieren in dieser Hinsicht die Wahlmöglichkeiten genauso wie firmenindividuelle Besonderheiten, wie eine Vielfalt von Studien zur Multidimensionalität der Internationalisierungspfade multinationaler Konzerne hinreichend belegt hat. Unabhängig von den institutionellen Rahmenbedingungen beeinflussen darüber hinaus Faktoren wie das Eigengewicht interpretativer Muster und individueller Perzeptionen sowie die berühmte bounded rationality unternehmerischen Handelns die Entscheidungshorizonte der Verantwortlichen. Unter Berücksichtigung dieser Prämissen lassen sich Veränderungen auf der Unternehmensebene innerhalb eines mehrdimensionalen Spannungsfeldes nachvollziehen, das Internationa9  Crouch, C., Capitalist Diversity and Change: Recombinant Governance and Institutional Entrepreneurs, Oxford 2005. 10  Streeck, W., The Transformation of Corporate Organization in Europe: An Overview, in: Touffut, J.-P. (Hrsg.), Institutions, Innovation and Growth: Selected Economic Papers, St. Gobain 2003, S. 38.



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lisierungserfordernisse, Veränderungen auf Faktor- und Gütermärkten und Firmenidiosynkrasien genauso eingehend berücksichtigt wie wirkungsmächtige Modifikationen institutioneller Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene. Die Grundintentionen der Fallstudien lassen sich also dahingehend präzisieren, dass erstens geklärt werden soll, welchen Einfluss institutionelle Arrangements auf die Trajektorie schwedischer multinationaler Unternehmen in Zeiten einer intensivierten Globalisierungsdynamik ausübten. Vor allem soll es aber darum gehen, inwiefern die unternehmensspezifischen Wachstums- und Innovationsstrategien sich in die institutionellen Arrangements einfügten. In diesem Zusammenhang soll aber auch die Frage erörtert werden, inwiefern durch neue Branchenimperative beziehungsweise Veränderungen auf Faktor- oder Gütermärkten ausgelöste Modifikationen dieser Strategien einen Veränderungsbedarf hinsichtlich der bestehenden Institutionenordnung entfaltet haben. Die vorliegende Arbeit kann insofern erhellen, inwiefern aufgrund marktstruktureller Zwänge ein Konvergenztrend zu einer institutionellen best practice zu registrieren war, weil Unternehmen sich aktiv als Agenten institutionellen Wandels betätigt haben oder umgekehrt Veränderungen in den institutionellen settings akzeptieren mussten, die von den eigenen stakeholdern ausgingen. Sie geht somit über Niveau und den Ansatz branchenbezogener Fallstudien sowie primär quantitativ gestützten Vergleichen hinaus und versucht auf diese Weise zur Klärung der Frage beizutragen, inwiefern in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Schweden ein irreversibler Pfadwechsel in Richtung der angelsächsischen Liberal Market Economies erfolgte oder ob sich eventuell infolge einer adaptiven Effektivität ein neues ‚schwedisches Modell‘ als hybrider Typus mit Elementen liberaler und korporativer Marktwirtschaften herausbildete. Das Fundament der empirischen Analyse bilden Dokumente und eine Reihe von Interviews, die mit Repräsentanten geführt wurden, die im Untersuchungszeitraum führende Funktionen innerhalb der vier Unternehmen innehatten. Zur Auswertung herangezogen wurden in erster Linie alle Unternehmenspublikationen wie die Geschäftsberichte und Firmenzeitschriften. Ebenso bot sich die Möglichkeit, Materialien der gewerkschaftlichen Betriebsorganisationen auszuwerten, die im schwedischen Archiv der Arbeiterbewegung vorzufinden sind. Vorrangig stützt sich die Analyse des Unternehmensgeschehens jedoch auf die Auswertung von Presseberichten aus den Wirtschaftsteilen schwedischer Tageszeitungen, Wirtschaftsmagazinen und Technikzeitschriften. Diese Publikationen sind teilweise in der Stockholmer Königlichen Bibliothek archiviert, teils über die Datenbank AffärsData zugänglich, von der der Autor im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an der Södertörns Högskola Gebrauch machen durfte. Ebenso aufschlussreiche Informationen wurden durch die Befragung ehemaliger Unternehmensrepräsentanten gewonnen, als zwischen März 2007 und Mai 2008 38 offene

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qualitative Interviews mit ehemaligen Unternehmensleitern, Vorstandsvorsitzenden, Unternehmensvorständen, Gewerkschaftsvertretern sowie Mitgliedern des leitenden Managements geführt werden konnten. Die Ergebnisse der empirischen Analysen werden in zweiten Teil wiedergegeben. Zunächst soll das Modellgebäude des Varieties of Capitalism-Ansatzes ausführlich erläutert werden, da dieser nicht nur das theoretische Fundament der Arbeit darstellt, sondern auch die Untersuchungsbereiche konkretisiert, denen im Kontext der Fallstudien ein besonderes Augenmerk zuteil werden soll. In Abschnitt I.3. werden daran anknüpfend die besonderen Merkmale des schwedischen Produktionsregimes herausgearbeitet und die Veränderungen umrissen, die sich auf der unternehmensübergreifenden Ebene zwischen 1980 und 2000 ergeben haben. Anschließend werden die Wachstumspfade der einzelnen Unternehmen unter besonderer Berücksichtigung dieses Wandels ausführlich analysiert. Die abschließende Synopse fasst die Ergebnisse zusammen und ordnet sie in die aktuelle Debatte ein. 1. Die Grundannahmen des Varieties of Capitalism-Ansatzes Die Frage, warum die Gestalt der politischen Ökonomien in der west­ lichen Welt so unterschiedliche nationale Ausprägungen fand, hat die Sozialwissenschaften beschäftigt, seitdem Ökonomen und Soziologen in den sechziger Jahren begannen, die behauptete Dichotomie zwischen atomistischer Konkurrenz des Marktes einerseits und hierarchisch geordneten Kontrollfunktionen oder organisatorischen Konzertierung andererseits in Frage zu stellen. Gehörte zu den Grundannahmen der mit walrasianischen Gleichgewichtsmodellen arbeitenden Neoklassik, dass deregulierte Märkte eine effizienzadäquate Faktorallokation und Entlohnung der Produktionsfaktoren gewährleisten sowie eine optimale Güterverteilung durch die Vermeidung von Knappheitsproblemen infolge des Tauschs auf Wettbewerbsmärkten ermöglichen, monierten solche Ansätze vor allem die Ignoranz der ceteris paribus Bedingungen, unter denen Konkurrenz- und Preismechanismen ihre Wirkungsweise entfalten sollten. Im Gefolge dieser Debatte entstand eine ganze Bandbreite komparativer Studien nationaler Modelle des Kapitalismus in Fachdisziplinen wie der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Volkswirtschaftslehre, die eine ganze Bandbreite von Konzepten und Methoden hervorbrachten.11 Der Varieties of Capitalism-Ansatz kann insofern als offene interdisziplinäre Forschungsagenda gesehen werden, die versucht, 11  Vgl. dazu die Übersicht bei Radice, H., Globalization and National Capi­ talisms: Theorizing Convergence and Differentiation, in: Review of Political Econ­ omy, Vol. 7, Nr. 4 (2000), S. 719–742.



1. Die Grundannahmen des Varieties of Capitalism-Ansatzes21

Forschungsergebnisse wie der Korporatismus-Forschung, der Theorie nationaler Innovationssysteme oder auch der Regulationstheorie zu amalgamieren, jedoch immer mit drei Grundannahmen operiert: Erstens werden ökonomische Handlungen grundsätzlich als soziale Handlungen im Rahmen gesellschaftlicher Kontexte begriffen. Zweitens widmet sich der Ansatz der Frage, wie Institutionen auf ökonomische Parameter wie Wachstum, Effizienz und Innovation einwirken. Drittens werden nationale Kapitalismusmodelle in einer holistischen Perspektive immer als interdependente Arrangements von Institutionen begriffen.12 Analysiert wird viertens die Organisa­ tion der Beziehungen zwischen Unternehmen, Kunden, Beschäftigten und Kapitaleignern innerhalb eines Rahmens von Anreizen und Beschränkungen, der gemäß der berühmten Northschen Definition als rules of the game in den institutionenökonomischen Sprachgebrauch eingegangen ist.13 Weil die Fähigkeiten von Unternehmen limitiert sind, ein Effizienz abträgliches Verhalten von stakeholdern wie Zulieferern, Kapitalgebern oder Arbeitnehmern zu sanktionieren, müssen Unternehmen in fünf zentralen Feldern Beziehungen entwickeln, um für ihre Kernkompetenzen entscheidende Koordina­ tionsprobleme infolge solcher Phänomene wie moral hazard, adverser Selektion und shirking zu lösen sind. Das gilt für die Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen der Unternehmen oder die Corporate Governance, also die Gestalt der Unternehmensführung und der Einflussnahme durch Eigentümer oder Kapitalgeber; das Finanzierungssystem; die industriellen Beziehungen, das Branchensystem (inter company system), also den zwischen- und überbetrieblichen Kooperationsverflechtungen zwischen Unternehmen, sowie schließlich dem Ausbildungswesen. Im Anschluss an empirische Studien wird zwischen zwei Idealtypen von Produktionsregimen differenziert, die sich durch distinktive Konfigurationen von Markt- und Hierarchie-Beziehungen innerhalb dieser Sphären voneinander abheben.14 Die angelsächsischen Liberal Market Economies (LMEs) 12  Deeg, R.  /  Jackson, G., How Many Varieties of Capitalism? Comparing the Comparative Institutional Analyses of Capitalist Diversity (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Discussion Paper 06 / 2), Köln 2006. 13  Die bekannteste Definition stammt wohl von Douglass C. North, der die rules of the game als „set of rules, formal or informal, that actors generally follow“ beschreibt. Als informelle Institutionen werden von ihm Sitten, Gebräuche, Mentalitäten und soziale Codes aufgefasst, während formelle Institutionen in Gestalt formeller Kontrakte auftreten. Reproduziert werden institutionelle Arrangements durch formelle und informelle Regeln, Strategien, kognitive Muster und Entscheidungsfindungssowie Problemlösungsroutinen, die vorhersagbare Verhaltensmuster der inkludierten Akteure zulassen. s. zur Definition North, D. C., Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, S. 3. 14  Whitley, R., Societies, Firms and Markets: the Social Structuring of Business Systems, in: Ders., European Business Systems, S. 6.

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sind gekennzeichnet durch eine Prädominanz des Wettbewerbs, eine kurzfristige Orientierung (‚short-termism‘) und kompetitive Marktarrangements. Ganz entsprechend der Projektionen der Neoklassik vertrauen Unternehmen in diesen Volkswirtschaften auf einen durch formale Kontrakte und strikte Definitionen der property rights abgesicherten Austausch von Informationen, Produkten und Dienstleistungen. Anders verhalten sich Wirtschaftssubjekte in den (Business) Coordinated Market Economies (CMEs), zu denen die meisten europäischen Staaten und Japan gezählt werden. Die Produk­ tionsregime dieser Länder zeichnen sich dadurch aus, dass in einem unterschiedlichen Ausmaß die Marktmechanismen teilweise durch Koordination und Nutzung von marktaversen Hierarchien begrenzt werden. Weitere Kennzeichen sind die Nutzung unvollständiger und impliziter Kontrakte genauso wie eine mal mehr, mal minder ausgeprägte interventionistische Rolle des Staates, die allerdings nie so weit geht, die kapitalistische Wirtschaftsverfassung in ihren Grundzügen anzutasten. Die eigentliche Originalität der VOC-Theorie besteht allerdings in der Behauptung, dass die Effizienz institutioneller Arrangements in LMEs oder CMEs in dem Grad zunimmt, je mehr die institutionellen settings aufeinander abgestimmt werden. Spezifische Institutionen können mit anderen Institutionen und deren Wirkungsweise interagieren oder auch inkompatibel sein. Sie können dann als komplementär definiert werden, wenn die Präsenz (oder Effizienz) der einen die Erträge (oder die Effizienz) der anderen erhöht. Je enger die institutionellen Sphären eines nationalen Kapitalismusmodells aufeinander abgestimmt werden, desto wahrscheinlicher ist, dass eine Veränderung in einem Teilbereich Wandel in allen anderen Teilbereichen auslöst. Dieser ‚institutionelle Isomorphismus‘ basiert auf der Annahme eines multilateralen, koevolutionären Wirkungsmechanismus zwischen Institutionen, so dass nur um den Preis des Effizienzverlustes die Komposition eines institutionellen Regimes à la carte möglich ist. So werden den Wahlmöglichkeiten aber auch Veränderungswünschen in der Hinsicht Schranken gesetzt, dass Institutionen pfadabhängig sind. Volkswirtschaften mit einem bestimmten Koordinationstypus in der einen Sphäre werden also dazu tendieren, komplementäre Praktiken in anderen Sphären auszubilden, auch wenn es Grenzen der Regelinterdependenzen innerhalb eines Produktionsregimes gibt.15 Was das schwedische, italienische oder deutsche Modell auszeichnet, ist nicht nur eine historisch gewachsene institutionelle Struktur, sondern auch der Umstand, dass sie bestimmte Güter effizienter produzieren können als andere, weil der dafür erforderliche institutionelle Rahmen nicht 15  Hall, P. / Soskice, D., An Introduction to Varieties of Capitalism, in: Dies. (Hrsg.), Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage, Oxford 2001, S. 18.



1. Die Grundannahmen des Varieties of Capitalism-Ansatzes23

in jeder Ökonomie vorhanden ist. Die jeweiligen Produktionsregime begünstigen oder benachteiligen infolge der Komplementarität die Verfolgung bestimmter Innovationsstrategien und sind insofern entscheidend, ob Unternehmen institutionelle komparative Kostenvorteile auf den Weltmärkten zur Geltung bringen können oder nicht. Ein erstes Indiz für die Plausibilität dieser Annahme ist der Umstand, dass liberale Marktökonomien radikale Innovationen, korporativ verfasste Marktwirtschaften hingegen inkrementelle Innovationen hervorbringen. In liberalen Ökonomien werden bevorzugt basale, mit einem hohen Risiko eines Marktversagens behaftete Innovationen in Produkte umgewandelt, die sich durch substantielle Veränderungen in Fertigungslinien, einem hohen Hochtechnologieinput und teilweise hohe Preissensitivität auszeichnen, weswegen Unternehmen in LMEs die Kontrolle der eigenen Kostenentwicklung in den Mittelpunkt stellen. Weiterhin werden technische Erfindungen zur Marktreife gebracht, die außerhalb gegebener Entwicklungslinien oft als Resultat intendierter FuE-Anstrengungen in Unternehmen oder öffentlichen Forschungseinrichtung entstehen und zu einer hochprofitablen Erschließung vollständig neuer Märkte und Kundenkreise führen. Unternehmen aus korporativen Marktwirtschaften bringen hingegen ausgereifte und kumulative Kerntechnologien innerhalb langer Produktlebenszyklen hervor, deren Erfolg an eine enge Beziehung zu den Kunden geknüpft ist und die oft das Ergebnis eines ‚learning by doing‘- oder ‚learning by using‘-Prozesses sind. Diese inkrementellen Innovationen begünstigen auf Kundenbedürfnisse zugeschnittene diversifizierte und schrittweise verbesserte hochwertige Produkte.16 Auf radikalen Innovationen basierende Produkte sind in der Regel infolge einer umfassenden Markterschließung mittels völlig neuer Produkte durch eine hohe Profitabilität, aber ebenso durch ein deutlich höheres Risiko des Marktversagens gekennzeichnet. Insofern bedürfen Unternehmen aus liberalen Marktökonomien einer institutionellen Umgebung, die schnell auf Marktsignale reagiert aber auch eine hohe Flexibilität und Risikobereitschaft toleriert. Die Unternehmensfinanzierung in angelsächsischen Ländern fußt deswegen maßgeblich auf Aktienmärkten mit einer schnellen und umstandslosen Bereitstellung finanzieller Mittel, was die Debitoren indessen dazu verpflichtet, die Erwartungen der Investoren nach einer kurzfristigen und zugleich hohen Rendite zu befriedigen. Das Innovationsregime korporativer 16  Zur Gestalt radikaler und inkrementeller Innovationen siehe insbesondere Herbig, P. A., The Innovation Matrix: Culture and Structure Prerequisites to Innovation, Westport 1994, S. 231–248; Freeman, C. / Perez, C., Structural Crises of Adjustment: Business Cycles and Investment Behaviour: in: Dosi, G. et al. (Hrsg.), Technical Change and Economic Theory, London 1988, S. 45 ff.; Ettlie, J. E., Organization Strategy and Structural Differences for Radical versus Incremental Innovation, in: Management Science, Vol. 30, Nr. 6 (1984), S. 682–695.

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Marktwirtschaften bedarf hingegen eines Umfeldes, das sich durch Beständigkeit auszeichnet. Infolge der Erfordernis hoch qualifizierter Arbeitskräfte auch in Krisenzeiten und eines langfristigen Investitionsgebahrens sind Unternehmen auf patient capital angewiesen, das sich nicht an kurzfristigen Profitabilitätszielen orientiert. Angesichts möglicher damit nicht vereinbarer Forderungen seitens der Kapitalmärkte wird in CMEs der Innenfinanzierung oder Bank- und Staatskrediten anstelle von Emissionen ein Vorrang eingeräumt, was zur Folge hatte, dass Aktienmärkte lange Zeit vergleichsweise unterentwickelt waren. Wenn Kapitalmärkte beziehungsweise Börsenkurse als Indikatoren für eine Bewertung der Leistungsfähigkeit von Unternehmen ausfallen, müssen die Kreditgeber auf andere Arten des Monitorings vertrauen können. In CMEs wird den Kontrollbedürfnissen von Banken durch die Zulassung von Universalbanken Rechnung getragen, die als Anteilseigner und Kreditgeber zugleich auftreten, während das Trennbankensystem angelsächsischer Spielart die Beziehung zwischen Kreditgebern und Debitoren strikt auf das reine Finanzgeschäft begrenzt. Weiterhin wird in korporativen Marktwirtschaften die indirekte ex post-Kontrolle durch den Aktienmarkt durch eine unmittelbare ex ante-Kontrolle in Gestalt der Repräsentation in den Aufsichtsgremien zur Sicherung des Einflusses in der Unternehmenspolitik ersetzt, so dass die Corporate Governance in CMEs durch eine hohe Kontrollintensität gekennzeichnet ist.17 Das verursacht ein Informationsgefälle zwischen Insidern und Outsidern, was die Attraktivität des Wertpapierverkaufs zusätzlich vermindert, erleichtert jedoch gleichzeitig die Entscheidungsfindung in der Frage, ob erzielte Gewinne für erneute Investitionen verwendet oder in Form von Dividenden aus dem Unternehmen entnommen werden sollen. Die in LMEs dominierende Shareholder Value-Philosophie, also die eindimensionale Ausrichtung der Unternehmenspolitik an den Renditeerwartungen der Aktienhalter, ist einfacher mit einer Innovationsstrategie zu kombinieren, mit der eine schnelle und hohe Rendite in Aussicht gestellt werden kann. Anleger in korporativen Marktökonomien verhalten sich hingegen wie stakeholder, deren Beteiligungsmotiv sich nicht auf den kurzfristigen Ertrag, sondern die Optimierung des Substanzwertes gründet und dem Umsatzwachstum einen höheren Stellenwert als der Renditesteigerung einräumt. Insbesondere in nationale Verflechtungsnetzwerke eingebundene Banken oder in mehreren Branchen aktive Großaktionäre fühlen sich zur Verfolgung gesamtwirtschaftlicher Ziele verpflichtet, die nicht immer mit kurzfristigen Anlegerinteressen übereinstimmen. Die Vorrangsstellung zumeist stabiler Aktionärskreise, die häufig zudem durch irgendeine Form hierarchischer 17  In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe ‚Corporate Governance‘ und ‚Unternehmenskontrolle‘ synonym verwendet.



1. Die Grundannahmen des Varieties of Capitalism-Ansatzes25

Kontrolle oder Netzwerkbeziehungen zusammengehalten werden, äußert sich auch in einem geringen Schutz der Interessen von Minderheitenaktionären, großzügigen Bilanzierungsvorschriften und anderer publizitätspflichtiger Insiderinformationen, auf die in liberalen Marktökonomien großer Wert gelegt wird. Zusätzlich schränkt die Präsenz mächtiger Eigentümer den Spielraum für einseitige Initiativen des Managements weitaus mehr als in LMEs ein, verstärkt aber zugleich die machtverteilende stakeholderOrientierung, da Unternehmensleitung und Eigentümer gezwungen sind, sich im Interesse des Unternehmens miteinander abzustimmen. Andererseits fällt mit dem geringen Vorkommen von feindlichen Übernahmen, wie sie in den LMEs an der Tagesordnung sind, ein Sanktionsmittel aus, Führungskräfte zu einem aktionärsfreundlichen Verhalten zu zwingen. Die Ausrichtung auf Markt- und Produktsegmente für technisch anspruchsvolle Produkte mit hoher Funktionalität verstärkt in vielen CMEs die Technikorientierung vieler Unternehmen, die sich vor allem in Rekrutierungs- und Karrieremustern des höheren Managements bis hin zur Konzernspitze bemerkbar macht, wo ein technisch-ingenieurswissenschaftlicher Hintergrund genau die gleiche oder sogar noch höhere Wertschätzung erfährt als die in LMEs bevorzugte finanz- oder betriebswirtschaftliche Kompetenz. Zudem verweilen Führungskräfte länger in ihren Ämtern, da die Bereitschaft, sie bei unbefriedigender Performanz auszutauschen, geringer ausgeprägt ist. Die Nutzung kooperativer Mechanismen lässt sich ebenso im nächsten Feld, dem Branchensystem oder inter company system nachweisen. Generell gilt, dass Unternehmen in korporativen Marktwirtschaften eine deutlich größere Neigung an den Tag legen, mit anderen Unternehmen oder auch Zulieferern im Rahmen formeller oder informeller Netzwerke zusammenzuarbeiten, auch wenn dabei die Gefahr besteht, dass wertschöpfungsrelevante Informationen oder Technologien auch anderen Wettbewerbern zugänglich gemacht werden. So werden Zulieferer nicht nur mit langfristigen Lieferverträgen ausgestattet, sondern durch eine gemeinsame Produktentwicklung, Komponentenherstellung oder die Weitergabe wertschöpfungsrelevanter Informationen eng an das Unternehmen gebunden. In liberalen Marktökonomien werden Aushandlungsprozesse hinsichtlich des Technologietransfers möglichst weit den Marktprinzipien unterworfen, so dass Unternehmen zu vertragsbasierten Transaktionen auf der Grundlage von Allianzen, Lizenzen oder Franchising greifen müssen, um fremde Innovationen für eigene Zwecke nutzen zu können. Zulieferer werden meistens auf Distanz gehalten und primär unter Kostengesichtspunkten ausgewählt. Auch ordnungspolitisch wird versucht, durch einen strikten Patentschutz, eine pluralistische und wettbewerbsorientierte Interessenpolitik sowie eine rigorose Anti-TrustGesetzgebung eine möglichst hohe Handlungskonformität gegenüber Wettbewerbsbedingungen zu erreichen. Spiegelbildlich gestattet in CMEs eine

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Interessenabstimmung innerhalb von mächtigen Wirtschaftsverbänden sowie eine moderate und gelegentlich freizügige Kartellpolitik die Umgehung marktlicher Konkurrenzmechanismen. Solche Verbände fungieren zudem als organisatorisches Dach für einen Technologietransfer, der nicht vertrag­ lichen Regelungen unterworfen ist, sondern oft in Abstimmung mit öffentlichen Technologietransfereinrichtungen ausgewählte Verfahrensinnovationen möglichst umfassend anderen Branchenunternehmen zugänglich macht. Dieses Pooling von Informationen löst ein Problem, das sich Arbeitgebern auch im Bereich der industriellen Beziehungen stellt. Unternehmen in korporativen Marktwirtschaften machen einen umfassenden Gebrauch von langfristigen Arbeitsverträgen, die dazu dienen, dass intensive produkt- und herstellungsbezogene Wissen eigener Mitarbeiter um Herstellungs- und Innovationsverfahren für die ebenfalls langfristig angelegte Produktentwicklung und Herstellung zu nutzen. Die Abhängigkeit von hochqualifizierten und mit einem profunden Wissen über firmenspezifische Produktionsprozesse ausgestatteten Arbeitskräften wird jedoch durch ein hold up-Problem in der Gestalt bedroht, dass diese Beschäftigten durch konkurrierende Unternehmen mit attraktiveren Entgelten abgeworben werden können. Diesem möglichen poaching wirken branchen- oder sogar landesweite Lohnfindungsformen entgegen: Durch egalitäre und für die jeweilige Berufsgruppe verbindliche Entgeltnormen entfällt der Anreiz für Arbeitnehmer, auf Abwerbeangebote einzugehen, was in CMEs zu einer niedrigen Arbeitsmarktmobilität führt. Eine hohe Beschäftigungsstabilität und arbeitnehmerfreundliche Kündigungsschutzgesetze führen genauso wie die gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmung zu einem consensus spending, so dass gerade in Zeiten raschen Strukturwandels mit hohen Transaktionskosten verbundene Konflikte meistens abgewendet werden können, auch Unternehmensleitungen nicht selten dem Arbeitsplatzerhalt einen höheren Stellenwert als der Ertragsstabilisierung zumessen. Arbeitgeber in LMEs können hingegen auf einen Arbeitsmarkt zurückgreifen, der sich durch eine hohe Mobilität auszeichnet, so dass im Falle des Scheiterns der mit radikalen Innovationen verbundenen riskanten Wachstumsorientierungen Beschäftigte schnell entlassen oder umgekehrt schnell angeworben werden können. Entsprechende schwache Kündigungsschutzbestimmungen verschaffen dem Management einen erheblichen Spielraum gegenüber einer flexiblen Belegschaft, der nicht durch zeit- und kostenintensive Mitbestimmungsprozeduren eingeengt wird. Entlohnungsnormen werden durch das Arbeitskräfteangebot und weniger durch Tarifverbände bestimmt, um entweder möglichst rasch qualifizierte Arbeitskräfte anwerben oder im Krisenfall Kosten durch Lohnsenkungen einsparen zu können. Unterschiede zwischen liberalen und korporativen Marktökonomien lassen sich zu guter Letzt auch im Bereich des beruflichen Ausbildungswesens ausmachen: Angesichts des hohen Gewichts von mit



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes27

industriespezifischen Qualifikationen ausgestatteten Arbeitskräften lässt die Zusammenarbeit von Unternehmen in CMEs innerhalb des Branchensystems die Setzung von Standards zu, die die Verzahnung von allgemeiner und beruflicher Bildung ermöglichen. So können einerseits firmenspezifische Ansprüche an eine möglichst praxisnahe Ausbildung befriedigt werden. Anderseits werden Auszubildende befähigt, erworbene Qualifikationen auch in anderen Unternehmen einzusetzen, ohne dass dem vormaligen Arbeitgeber infolge des Wissens um Produkte oder Herstellungsverfahren ein Schaden entsteht. Aufgrund des Widerstandes von Unternehmen in LMEs, eigenes Know-how außerhalb von Vertragsbeziehungen zu teilen, bleibt es den Arbeitnehmern in angelsächsischen Produktionsregimen überlassen, sich innerhalb des generellen Ausbildungssystems polyvalente, für vielfältige Zwecke nutzbare Qualifikationen anzueignen, die durch ein on-the-job ­training ergänzt werden. 2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes Dass an dieser Stelle die VOC-Theorie noch einmal so ausführlich in allen Einzelheiten wiedergegeben wurde, hat seinen Grund darin, dass sie im Folgenden als analytische Matrix genutzt werden soll, um die grundlegenden Charakteristika des schwedischen Produktionsregimes herauszuarbeiten. So werden die grundlegenden Veränderungen in den institutionellen settings und die damit verbundenen Herausforderungen identifiziert, denen sich schwedische Unternehmen zwischen 1980 und 2000 stellen mussten. Drei wesentliche Implikationen des Theoriegebäudes sollen auch forschungsleitend berücksichtigt werden: Zur Anwendung gelangen soll erstens die Problemfeldanalyse, auf die sich die VOC-Theorie im weitesten Sinne bezieht. Speziell die Analyse der Fallstudienunternehmen orientiert sich an der Frage, wie sich die Beziehungen zwischen den einzelnen Unternehmen und stakeholdern in Gestalt von Zulieferern, Kapitalgebern, Arbeitnehmern und anderen Unternehmen im Untersuchungszeitraum entwickeln. Folglich konstituieren zweitens im weitesten Sinne die vier Sphären des Produktionsregimes – die Unternehmensfinanzierung und -kontrolle, die industriellen Beziehungen und das inter company system – auch den analytischen Rahmen der fortlaufenden Untersuchungen und werden mit den Innovationsund Wachstumspfaden der einzelnen Unternehmen in Beziehung gesetzt.18 18  Dass im Folgenden das Ausbildungswesen als fünfte Sphäre außen vor gelassen wird, lässt sich damit begründen, dass erstens keine wesentliche Veränderungen zwischen 1980 und 1990 stattgefunden haben und auch im Rahmen der Feldstudien sich keine Hinweise ermitteln ließen, dass die Qualifikation von Arbeitnehmern im Rahmen schulischer oder betrieblicher Ausbildung ein nennenswerter Faktor auf dem Gebiet institutioneller Veränderungen darstellte.

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Gefragt wird abschließend, inwiefern eine Konnexität zwischen Unternehmensfinanzierung, Corporate Governance, Innovationsregime etc. zu beobachten ist und in welchem Ausmaß sie die Trajektorie des Unternehmens strukturiert. Im folgenden Abschnitt soll zunächst auf der Basis bereits erfolgter Forschungen ermittelt werden, welche grundlegenden Merkmale und differentiae specificae das schwedische Produktionsregime hinsichtlich der vier Sphären aufweist und sich insofern gegen andere koordinierte Marktökonomien abhebt, um im Anschluss daran die Inzidenzen eines Wandels herauszuarbeiten, der in den jeweiligen institutionellen Feldern auftrat. a) Unternehmensfinanzierung Dass der Begriff des patient capitalism im schwedischen Fall nicht nur ein leeres Schlagwort ist, lässt sich schon allein daran ermessen, dass viele der Beziehungen zwischen Banken und Industrieunternehmen sich über ein halbes Jahrhundert zurückverfolgen lassen und Veränderungen in diesen Beziehungen bis 1980 eher die Ausnahme darstellten. Viele der großen Unternehmen erhielten zu diesem Zeitpunkt ihre Kredite noch von derselben Bank wie um 1900, als das schwedische Bankenwesen seine noch heute gültigen Strukturen ausgebildet hatte.19 Der Status als industrieller Nachzügler erlaubte es, die Entwicklung unterschiedlicher institutioneller Spielarten in der Gestalt des britischen Trennbankensystems und des deutschen Universalbankensystems zu beobachten. In der Debatte standen sich Befürworter einer zügigen Mobilisierung von Kapital für eine forcierte Industrialisierung und Vertreter eines stabilen Bankenwesens und sicherer Einlagen gegenüber – eine Konfrontationslinie, die bis weit in das 20. Jahrhundert die politischen Debatten bestimmen sollte.20 Bewegten sich gesetzliche Bestimmungen bis 1892 ganz im Rahmen liberaler Maximen, so entfaltete sich um die Jahrhundertwende eine lebhafte Diskussion, ob nicht das Trennbankensystem nach britischem Vorbild nicht möglicherweise durch die deutsche Variante der Universalbanken mit der Möglichkeit zum Aktienbesitz abgelöst werden müsste.21 Der 19  Lindgren, H. / Sjögren, H., Banking Systems as ‚Ideal Types‘ and as Political Economy – the Swedish Case 1820–1914, in: Forsyth, D. / Verdier, D. (Hrsg.), The Origins of National Financial Systems: Alexander Gerschenkron Reconsidered, London 2003, S. 126–143. 20  Lindgren, H., Banking Group Investments in Swedish Industry: On the Emergence of Banks and Associated Holding Exercising Shareholder Influence on Swedish Industry in the First Half of the 20th Century (Uppsala Papers In Economic History, Research Report Nr. 15, 1989), Uppsala 1989. 21  Fritz, S., Affärsbankernas aktieförvärvsrätt under 1900-talets första decennier (Acta Universitatis Stockholmiensis, Studies in Economic History 14), Stockholm 1990.



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maßgebliche Grund dürfte darin liegen, dass das zunächst bevorzugte schottische Trennbankensystem nicht mit dem zutage tretenden Bedarf langfristiger Unternehmensfinanzierung vereinbar erschien. Offensichtlich inspiriert durch das deutsche Vorbild und angesichts des noch unterentwickelten schwedischen Obligationsmarktes hatten zu diesem Zeitpunkt die schwedischen Banken begonnen, sich für ein aktives Engagement in der Industrie zu interessieren.22 Allmählich übernahmen einzelne Finanzinstitute wie die Svenska Handelsbanken (SHB) in der schwedischen Zuckerindustrie oder die Stockholms Enskilda Bank (SEB) bei etlichen stahlverarbeitenden Unternehmen die Rolle von Hausbanken, was den Banken die Möglichkeit verschaffte, die Entscheidungen im eigenen Sinne zu beeinflussen. Damit trat die Mittelbeschaffung über die Inanspruchnahme von Aktienmärkten in den Hintergrund: Löste in angelsächsischen Unternehmen die Verbreiterung der Kapitalbasis mittels Anteilsstreuung die Praxis der Selbstfinanzierung allmählich ab, so übernahmen in Schweden spätestens nach der Krise 1878 die Großbanken die Aufgabe der Mobilisierung neuer finanzieller Mittel für die Industrie, auch wenn die Politik, in Sorge um mögliche negative Auswirkungen von Spekulationsgeschäften lange zögerte, verbleibende restriktive Bestimmungen zum Aktienbesitz aufzuheben.23 Wenn es einen Einschnitt in der jüngeren schwedischen Wirtschaftsgeschichte gab, die die Gestalt der Unternehmensfinanzierung maßgeblich verändern sollte, dann war es wohl die 1921 einsetzende Deflation, die bedingt durch die Rückkehr zum Goldstandard der seit 1910 andauernden Spekulationshausse ein Ende setzte. Da nahezu alle schwedischen Unternehmen unter den Auswirkungen zu leiden hatten, waren die Finanzinstitute nun teilweise dazu gezwungen, eine Eigentümerverantwortung in von ihnen kreditierten Unternehmen wahrzunehmen, da die drohende Welle von Bankrotten eine für die Banken nicht hinnehmbare Kapitalvernichtung bedeutet hätte. War der Besitz von Kapitalbeteiligungen bis dahin durch den Wunsch 22  Larsson, M., Aktörer, marknader och regleringar: Sveriges finansiella system under 1900-talet, Uppsala Papers in Financial History Report Nr. 1 1993, Uppsala 1993, S. 9. 23  Ein 1874 erlassenes Gesetz hatte den Banken den Besitz von Grundbesitz und Aktien noch explizit untersagt. Dank der intensiven Lobbyarbeit wurden 1911 die Bestimmungen so weit aufgeweicht, dass Großbanken neben dem Recht zum Aktienbesitz erstmals zusätzlich die Möglichkeit des Aktienerwerbs zugestanden wurde, die ebenfalls in den Emissionsgesellschaften verwaltet werden sollten. Dieses Gesetz bildete die Basis für alle weiteren Bankgesetzbestimmungen bis 1955 und erlaubte Finanzinstituten, de facto in derselben Manier zu agieren wie deutsche Universalbanken. Vgl. Zu den gesetzlichen Bestimmungen und der Struktur der Unternehmensfinanzierung Larsson, M. et al., Institutioner och organisationer på den svenska bankmarknaden: Erfarenheter från bankkrisen, Uppsala Papers in Economic History Nr. 8 (1996 / 97), Uppsala 1997.

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der Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik motiviert, akzeptierten die Banken angesichts unzureichender Liquiditätsreserven Anteile in Unternehmen als Sicherheit. Gleichzeitig nutzten im Rahmen der Neustrukturierung der Unternehmenslandschaft die Finanzinstitute die Möglichkeiten, zur Erweiterung ihres Einflussbereichs. Auch seitens der Politik wurde ihre Rolle nun anerkannt: Zwar wurde 1921 den Banken untersagt, Anteile in mit Aktien Handel treibenden Unternehmen zu besitzen und 1933 schaffte man das Aktienverwahrungsrecht unter dem Eindruck des kollabierenden Kreugerimperiums sogar ganz ab [vgl. Abschnitt IV.8.a)]. Mögliche Absichten, die etablierten Verflechtungen zwischen den heftig gegen diese Einschränkung protestierenden Banken und der Industrie grundlegend aufzubrechen, konnten jedoch nie realisiert werden, da die Industriebeteiligungen in Holdinggesellschaften ausgegliedert werden mussten, die jedoch nie der Kontrolle der Banken entzogen wurden.24 In einem anderen wichtigen Punkt fanden staatliche Regelsetzungen den offenen Zuspruch der Bankiers, als ausländischen Banken jedwede Geschäftstätigkeit schlicht verboten wurde. Dieser wirtschaftsnationalistische Geist prägte auch die Bestimmungen des novellierten Bankgesetzes von 1955, das nur schwedischen Bürgern das Recht auf den Aktienerwerb in schwedischen Banken zugestand. Die Deflationskrise sollte noch einem zweiten signifikanten Entwicklungstrend in Gestalt eines kontinuierlichen Konzentrationsprozesses im Bankenwesen Vorschub leisten, so dass schließlich die Großbanken unangefochten die Szenerie beherrschten.25 Dieser Konzentrationsprozess im Finanzwesen beförderte zusätzlich die Vertiefung der Beziehungen zwischen Banken und Großunternehmen.26 Diese Nutzung von Hierarchien und Netz24  1921 war der Staat den Banken weit entgegengekommen, da ihnen eine fünfjährige Übergangsfrist gewährt wurde, um die Aktien abzustoßen. Außerdem durften die Kreditinstitute zur Absicherung von Verbindlichkeiten weiter Wertpapiere besitzen. Ab 1934 bezog sich das Verbot nur auf den Erwerb neuer Aktien; die alten Wertpapiere durften also im Besitz der Banken bleiben. 25  SEB, Svenska Handelsbanken, Götabanken und Nordbanken zeichneten am Ende des 20. Jahrhunderts sogar zusammen für 95 v. H. der gesamten Kredite an den Unternehmenssektor verantwortlich. Vgl. Berglöf, E. / Sjögren, H., Combining Arm’sLength and Control-oriented Finance: Evidence from Main Bank Relationships in Sweden, in: Hopt, H. / Kanda, H. / Wymeersch, E. (Hrsg.), Comparative Corporate Governance: The State of the Art and Emerging Research, Oxford 2003, S. 787–808. 26  In einer Studie mit 50 börsennotierten Unternehmen konnten 40 v.  H. aller Unternehmen über Kreditlinien verfügen, die sich über die gesamte Untersuchungsperiode zwischen 1916 und 1947 erstreckten. Ein Drittel dieser Unternehmen pflegte nicht nur Kreditbeziehungen mit der jeweiligen Hausbank, sondern ließ diese auch die Wertpapieremissionen abwickeln. Das typische Muster der Verflechtung von Kredit- und Eigentümerpositionen in korporativen Marktwirtschaften lässt sich auch im diesem Fall identifizieren, da 1947 bei 46 börsennotierten Großunternehmen die Hausbank im Aktionärskreis des Unternehmens vertreten war. In einem



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werken fand auch ihren Ausdruck in einer bankenübergreifenden Zusammenarbeit zum Zwecke der Marktaufteilung. So war es unter den großen Banken nicht unüblich, Kreditgeschäfte bei großen industriellen Unternehmen untereinander abzusprechen.27 Nun bot sich schwedischen Unternehmen auch die Möglichkeit, abseits von Bankkrediten und der Innenfinanzierung andere Finanzierungsquellen in Gestalt des Aktienmarktes zu nutzen. Seit der Hochkonjunktur 1870 hatte sich in Schweden eine rege Emissionsaktivität entfaltet, die jedoch im Zuge der Deflationskrise signifikant zurückging. Zwei wesentliche Gründe sind wohl dafür ausschlaggebend, warum die schwedischen Kapitalmärkte bis Mitte der achtziger Jahre nahezu ein Schattendasein führten. Erstens beförderten die Corporate-GovernanceStrukturen die Vermachtung der Unternehmenslandschaft. Eine zu starke Inanspruchnahme von Emissionen konnte die Vormachtstellung der mächtigen Eigentümergruppen bedrohen, was Aktiengesellschaften einen Charakter von Kapitalaufbewahrungsstellen verlieh.28 Zweitens wurde aus dem politischen Raum fast alles dafür getan, die Anreize für eine Mittelbeschaffung über Kapitalmärkte möglichst klein zu halten. Die Präferenz für Selbstfinanzierungsinstrumente oder Bankkredite wurde durch die steuerpolitische Benachteiligung von Aktienemissionen gefördert, während die relativ niedrigen Steuern auf Unternehmensprofite Anreizstrukturen schufen, die Gewinne zu thesaurieren oder wieder zu reinvestieren. Die gezielte Benachteiligung der Außenfinanzierung wurde zusätzlich durch Investitionsnachlässe und ein Investitionsfondssystem verstärkt.29 Das machte Kapital für existierende Fünftel der untersuchten Unternehmen verfügten die Banken über die Mehrheit der Stimmrechte. Vgl. Sjögren, H., Bank och Näringsliv: Tvärsnittsanalyser och longitudinella studier av relationen mellan svenska företag och affärsbanker inom det bankorienterade finansiella systemet 1916–1947, Uppsala 1991. 27  Kartelle und Stipulationen wurden von dem Svenska Bankföreningen angeleitet, der 1970 sieben von den insgesamt 14 Kartellübereinkünften in der Finanzwirtschaft organisierte und sogar in die Kundenbeziehungen eingreifen konnte, so dass die Kundenkreise faktisch zwischen den Finanzinstituten aufgeteilt wurden. Umgekehrt achteten bei Verkäufen oder Fusionen die Eigentümer darauf, dass die Beziehungen zur vorherigen Hausbank aufrechterhalten wurden. Vgl. Lindgren, H., Longterm Contracts in Financial Markets: Bank-Industry Connections in Sweden, Illustrated by the Operations of Stockholms Enskilda Bank, 1900–70, in: Aoki, M.  /  Gustafsson, B. / Williamson, O. (Hrsg.), The Firm As a Nexus of Treaties, London 1990, S. 284, S. 272,281. 28  Wie eine Untersuchung von Börsenneueinführungen zwischen 1962 und 1991 zeigt, stellten diese nur selten darauf ab, den Aktienmarkt zur Beschaffung liquider Mittel zu benutzen. Das wirkliche Ziel war in den meisten Fällen, Aktien mit einer Art ‚Preisschild‘ zu versehen, um Eigentümerwechsel oder Aufkäufe zu vereinfachen. Vgl. Högholm, K. / Rydqvist, K., The Decision to Go Public: an Empirical Study of Swedish Corporations, Helsinki 1993. 29  Kapitalgesellschaften konnten auf sogenannte Investitionsfonds zurückgreifen, die es ihnen erlaubten, maximal 40 v. H. des jährlichen Bruttogewinns steuerfrei ei-

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Unternehmen leicht erhältlich, während es zugleich die Finanzmittel am offenen Kapitalmarkt austrocknete.30 Parallel tat der Staat wenig, um die eigenen Bürger zum Aktienerwerb zu ermutigen: Da kein Halbeinkünfteverfahren nach deutschem Vorbild angewandt wurde, mussten Dividendenempfänger ausgeschüttete Gewinne voll und nicht selten zu dem Grenzeinkommenssteuersatz von 80 v. H. versteuern, obwohl für privatrechtliche Gesellschaften in begrenztem Umfang ein steuerlicher Nachlass für Dividenden in Gestalt des sogenannten Annell-Abzuges zulässig war. Staatliche Stellen und das Industrieministerium sowie die Rentenversicherungsfonds stellten zusätzlich zinsgünstige Mittel zur Verfügung.31 Angesichts dieser geringen Relevanz der Kapitalmärkte als Finanzierungsinstrument verwundert es nicht, dass die Börsenkapitalisierung im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften äußerst gering war. Während die Börsenkapitalisierung 1975 berechnet als Anteil am BIP in den USA 48 v. H., in der Schweiz 30 v. H. und in Westdeutschland 12 v.  H. ausmachte, fiel der entsprechende Wert in Schweden mit gerade mal drei v. H. im Vergleich bescheiden aus.32 Koinzidierend nahmen die Eigenkapitalquoten aller schwedischen Großunternehmen kontinuierlich ab. Dieser Lenkungseffekt führte dazu, dass Unternehnem betrieblichen Fond zuzuführen, aus dem nach einer gewissen Frist Investitionen refinanziert werden konnten. 46 v. H. dieser Rücklagen mussten auf ein zinsfreies Sperrkonto bei der Notenbank überwiesen werden, während 54 v. H. den Unternehmen als frei zur Verfügung stehende Mittel belassen wurden. Der Vorstand der Arbeitsmarktbehörde AMS entschied über Zeitpunkt und Umfang der Rücklagenauflösung, die dann allerdings nicht für alle Investitionsvorhaben, sondern nur für Zwecke wie Kapitalstockerneuerung, FuE oder Gebäudeerweiterungen genutzt werden konnten. Die Regierung konnte durch die Freigabe von Mitteln dieser Investitionsfonds maßgeblich beeinflussen. Unternehmen brauchten im Falle der maximalen Ausnutzung aller Vergünstigungen sogar nur einen negativen effektiven Grenzsteuersatz von minus 47 v. H. zu entrichten, was real eine Subvention von 47 v. H. bedeutete. Vgl. dazu Aronsson, T. / Walker, J., The Effects of Swedens’s Welfare State on Labor Incentives, in: Freeman, R. B. / Topol, R. / Swedenborg, B. (Hrsg.), The Welfare State in Transition: Reforming the Swedish Model, Washington 1997, S. 203–26. 30  Ab 1952 musste die Emission von Wertpapieren sogar durch die Reichsbank genehmigt werden, um die Finanzierung von ausgewählten Wachstumsbranchen zu fördern, was zur Folge hatte, dass die Ausgabe von Industrieobligationen drastisch absank. Vgl. Larsson, M., Staten, S. 144, 148. 31  Das ab 1960 realisierte Rentensystem basiert neben der staatlich garantierten Grundrente auf Zusatzrenten, die aus insgesamt vier Pensionsfonds und der Lohnsummensteuer finanziert werden. Die Pensionsfondsmittel werden in Aktien und Anleihen schwedischer Unternehmen angelegt finanziert werden. Ende 1976 trugen die durch tripartistische Vorstände angeleiteten AP-Fonds mit 35 v. H. zum gesamten Kreditvolumen bei. Vgl. Kapitalmarknadsutredningen, Kapitalmarknaden i svensk ekonomi: Huvudbetänkande av Kapitalmarknadsutredningen (SOU 1978:11), Stockholm 1978. 32  David, T. / Mach, A., Institutionalisation and Questioning of Ownership Restrictions in Switzerland and Sweden: Paper presented at the 6th Annual meeting of the European Business History Association, Helsinki, 22.–24. August 2002.



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men anders als in angelsächsischen Staaten kaum Rücksicht auf Kleinak­ tionäre und deren Renditeanforderungen nehmen brauchten. Der staatliche Regulierungseifer beschränkte sich aber keineswegs auf die Arena der Kapitalmärkte, da die schwedische Kreditmarktpolitik nach dem zweiten Weltkrieg ganz im Zeichen niedriger Zinssätze zur Stimulierung wirtschaftlichen Wachstums stand.33 War den Banken in Gestalt von Holdinggesellschaften die Möglichkeit verblieben, über indirekte Eigentümerschaft Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen zu nehmen, blieb das Passivgeschäft einer strikten Reglementierung unterworfen, die in Gestalt einer intensiven Bankenaufsicht, der Konkurrenz durch staatliche Finanzinstitute, Beteiligung des Staates an Gemeinschaftsgründungen der Banken und ab 1970 der Entsendung von Vertretern der Regierung in die Verwaltungsorgane der Banken ihren Ausdruck fand.34 Den Auftakt machten 1948 und 1952 ‚freiwillige‘ Übereinkommen mit Geschäftsbanken über eine strikte Zurückhaltung bei der Kreditvergabe, die 1955 in offizielle Kreditplafondierungen bei einer allerdings flexibleren Niedrigzinspolitik mündeten, die einen möglichen Wettbewerb zwischen den Banken aufgrund solcher Zinsreglementierung praktisch auf ein Minimum beschränkten.35 Zinssätze waren an den Leitzins der Zentralbank gekoppelt, was einen nur bedingt risikoangepassten Einheitszinssatz hervorbrachte.36 Die Reichsbank selbst hatte keine selbständige Stellung, sondern wurde maßgeblich durch stabilisierungs- und finanzpolitische Überlegungen gesteuert. Zusätzlich verhinderten Wechselkurs­ bestimmungen und weitreichende Kapitalverkehrskontrollen einen Mittel­ abfluss, so dass multinationale Unternehmen ausländische Geldmärkte in Anspruch nehmen mussten, wollten sie Auslands- oder Direktinvestitionen 33  Henrekson, M. / Jakobsson, U., Where Schumpeter was Nearly Right – the Swedish Model and Capitalism, Socialism and Democracy, in: Journal of Evolutionary Economics, Vol. 11, Nr. 3 (2001), S. 341. 34  Die Regierung entsandte je nach Größe der Bank bis zu fünf Vertreter in die Vorstände. 35  Zu den Maßnahmen der Reichsbank vgl. Jonung, L., Riksbankens politik 1945–1990, in: Werin, L. (Hrsg.), Från räntereglering till inflationsnorm, Stockholm 1993, S.  315 ff. 36  Banken mussten zusätzlich Quotenbestimmungen einhalten, die mit der Regelung der Pfandbriefemissionen und Bar- und Mindestreservevorschriften kontrolliert wurden. Flankiert durch die Niedrigzinspolitik der Reichsbank und hohe Mindestreserveeinlagen konnte man billige Kredite für das Bauwesen, aber auch Bezieher von Niedrigeinkommen garantieren und die Inflationsgefahr minimieren. Auslandsgeschäfte waren schwedischen Banken deswegen nicht gestattet, weil man fürchtete, dass die Banken im Falle einer Wechselkursveränderung ihre meistens in kurzfristigen Titeln gehaltenen ausländischen Verpflichtungen liquidieren und so die Geldpolitik zu weitreichend beeinflussen konnten. Vgl. dazu Kapitalmarknadsutredningen, Kapitalmarknaden i svensk ekonomi: Huvudbetänkande av Kapitalmarknadsutredningen (SOU 1978:11), Stockholm 1978, S. 598.

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tätigen. Umgekehrt war der Verkauf ausländischer Wertpapiere auf schwedischen Märkten generell nicht gestattet.37 Kann diesen Rigiditäten aus einer institutionenökonomischen Perspektive aufgrund niedriger Informationskosten, der Risikoaversion und der Vermeidung adverser Selektion ein Vorteil attestiert werden, erwiesen sich die regulativen Instrumente als zu unflexibel, um veränderten Umweltbedingungen adäquat zu begegnen. Zu Beginn der achtziger Jahre ließen wachsende Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite, höhere Inflationsraten und die stärkere internationale Verflechtung der Volkswirtschaft dann die traditionellen Instrumente der Zentralbank weitgehend unwirksam werden.38 Die wachsende Wirkungslosigkeit der Regularien angesichts der massiven securitization und disintermediation in der Gestalt der Substitution von Bankkrediten durch handelbare Wertpapiere und dem Ausweichen auf andere Finanzierungsquellen sowie der Notwendigkeit staatlicher Mittelbeschaffung beförderten offensichtlich die Einsicht, die Schranken auf Geld- und Devisenmärkten komplett zu beseitigen. Innerhalb von nur neun Jahren wurden alle geld- und devisenpolitischen Restriktionen abgebaut. In der sogenannten ‚Novemberrevolution‘ 1985 erfolgte die Freigabe der Kreditzinsen und der Aufhebung der quantitativen Kreditrestriktionen, die mit der weitgehenden Freigabe der Anleiheemissionen im Januar 1989 ihren Abschluss fand. Die diskriminierenden Bestimmungen für ausländische Anteilseigner fanden im Juli 1989 mit der Beseitigung aller Einschränkungen beim Erwerb aus- und inländischer Aktien, für Direktinvestitionen und hinsichtlich des Erwerbs von Auslandsimmobilien ihr Ende.39

37  Deren Ankauf durch Inländer war ebenfalls nur eingeschränkt möglich. Vgl. dazu Marterbauer, M., Budgetpolitik im „Modell Schweden“: Der schwedische Konsolidierungserfolg und die Handlungsalternativen für Österreich, Frankfurt 1989, S. 164. 38  Dieser Entwicklung lagen folgende Ursachen zugrunde: Erstens die teils steuerlich geförderte hohe Kreditnachfrage der Privathaushalte ohne parallele Ausweitung des Kreditangebots; zweitens das Aufkommen nicht von den Bankenbestimmungen erfassten neuen Finanzintermediären und grauen Kreditmärkten; drittens die überschüssige Liquidität großer Unternehmen, die zu deren Inwertsetzung interne Finanzgesellschaften schufen; viertens die Schaffung neuer Finanzierungsquellen und Schuldtitel zur Finanzierung des Staatsdefizits, so dass auch der Staat zunehmend ein nachlassendes Interesse an deren Beschränkung zeigte; fünftens die immer schwieriger werdende wirksame Steuerung von Währungen und Zinsen durch die extremen Schwankungen im internationalen Währungsgefüge, da beispielsweise schwedische Unternehmen immer öfter offene Fremdwährungspositionen eingingen. Zur staatlichen Finanzierungspolitik und den Ursachen Vgl. Kalderén, L. / Karlström, U., Ekonomisk obalans och statlig utlandsupplåning från mitten av 1970-talet, in: Dahmén, E. (Hrsg.), Upplåning och utveckling: Riksgäldskontoret 1789–1989, Stockholm 1989, S. 309–339.



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Nicht nur diese Liberalisierung, sondern die daraus resultierende massive Bedeutungszunahme der Aktienmärkte in Schweden wurde von vielen Beobachtern zu Recht als Anzeichen eines institutionellen Wandels gewertet, da die Börsenkapitalisierung in Schweden Ende des Jahrhunderts Werte erreichte, die der von Großbritannien oder der USA glich.40 Generell sind Aktienmärkte immer wichtiger geworden und haben die Kreditfinanzierung als hauptsächliche Finanzierungsquelle abgelöst.41 So zeigt die seit 1980 sprunghaft angestiegene Börsenkapitalisierung und die Neueinführung von Unternehmen an der Stockholmer Börse, dass die Bereitschaft von Unternehmen, Aktienmärkte als Finanzierungsinstrument zu nutzen, auf eine hohe Resonanz gestoßen ist. Bezifferte sich der Tagesumsatz 1985 an der Stockholmer Börse noch auf bescheidene 0,3 Mrd. Skr, so waren es 2000 17,8 Mrd. Skr.42 Diese neue Wertschätzung lässt sich auch durch eine Analyse von 352 neuen Notierungen an der Stockholmer Börse zwischen 1979 und 1997 bestätigen, die dokumentiert, dass die Zahl der Börseneinführungen von 134 auf 245 jährlich stieg, auch wenn hauptsächlich relativ kleine, neu notierte und privat kontrollierte Unternehmen Aktien emittierten.43 Hat sich Schweden also den Verhältnissen in angelsächsischen Ländern in quantitativer Hinsicht angeglichen, so trifft dies auch in qualitativer Hinsicht zu. In den 1980ern entstanden neue Options- und Terminmärkte, die die Börsen­ hausse zusätzlich begünstigten.44 Diese Ausdifferenzierung an den Kapitalmärkten spiegelt auch eine zweite Entwicklung in Gestalt der Ausbildung 39

39  Einzelne ausländische Investoren durften seit Juli 1990 maximal 40 v. H. des Aktienkapitals bzw. 20 v. H. der Stimmrechte bei schwedischen Banken erwerben. 40  Hinsichtlich vieler Kennziffern führte Schweden sogar in den neunziger Jahren die Rangliste europäischer Staaten an. Vgl. dazu die Übersicht bei Holmén, M. / Högfeldt, P., A Law and Finance Analysis of Initial Public Offerings, in: Journal of Financial Intermediation, Vol. 13, Nr. 3 (2004), S. 324–358. 41  Henrekson, M. / Jakobsson, U., Swedish Model of Corporate Ownership and Control in Transition, Working Paper Series in Economics and Finance 521, Stockholm School of Economics, Stockholm 2003, S. 4. 42  Lybeck, J., Svensk finansmarknad, in: Bergman, L. / Söderström, H. T. (Hrsg.), Marknad och politik, 6. Auflage, Stockholm 2004, Tabelle 8.2, S. 288. 43  Agnblad, J. et al., Ownership and Control in Sweden – Strong Owners, Weak Minorities and Social Control, in: Barca, F. / Becht, M. (Hrsg.), The Control of Corporate Europe, Oxford 2001, S. 228–258. Die Anzahl der registrierten Aktiengesellschaften an der Stockholmer Börse erhöhte sich von 197 in 1981 auf 1120 im Jahr 2000. Vgl. dazu die Angaben des Statistiska Centralbyrå, Statistik Årsbok för Sverige, verschiedene Jahrgänge. 44  1984 gründete man die Stockholm Optionsmarknad OM Fondkommission AB, die sich zu einem der großen Geschäftserfolge entwickelte, so dass anfangs der 1990er selbst in London ein Optionsmarkt nach schwedischem Vorbild etabliert wurde. 1987 folgte die Gründung des Optionsmarktes Arbitech, der rasch einen Marktanteil von über 30 v. H. erlangen konnte. Vgl. Lindgren, H., Aktivt Ägande: Investor under växlande konjunkturer, Stockholm 1994, S. 263.

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von risikoaffinen Venture-Kapitalmärkten wider, wie sie für liberale Marktökonomien charakteristisch sind. Im Vergleich mit den übrigen europäischen Volkswirtschaften hatte Schweden bereits 1995 den drittgrößten Risiko­ kapitalmarkt. Auch neue Börsenindizes und das Interesse ausländischer Kapitalinvestoren an kleineren IT-, Telekommunikations- und Pharmazieund Biotechnikunternehmen haben das Gewicht der Risikokapitalmärkte gestärkt.45 Schließlich machte sich im Zuge der Liberalisierung auch eine schrittweise Lockerung der alten Netzwerkbeziehungen zwischen Banken und Industrie bemerkbar, während Aktienmärkte als Finanzierungsinstrument an Gewicht gewannen. Die Bedeutung der Geschäftsbanken wurde durch geringe Eigenkapitalquoten und das Entstehen von Anleihemärkten verringert, so dass sich die Kreditgeberstruktur sich weiter auffächerte.46 Unternehmensspitzen legten nun zunehmend die Neigung an den Tag, mehr als eine Bankverbindung einzugehen und die Hauptbank zu wechseln.47 Auch wenn die Mehrheit der Bankenbeziehungen eine signifikante Kontinuität aufweist, gehen etliche Beobachter so weit, die Beziehungen zwischen Banken und Industrie in Schweden nun als Hybridsystem zu charakterisieren, in deren Rahmen zwar die Hausbanken ihre angestammte Rolle weiterhin ausüben, die Beziehungen zu den Zweitbanken gemäß den für LMEs typischen arm’s length-Beziehungen ausgestaltet wird.48 b) Unternehmenskontrolle Grundlegend stellt sich in jedem Unternehmen ein Prinzipal-Agent-Problem, da Eigentümer versuchen, ihre Präferenzen durchzusetzen und damit in Konflikte mit anderen Akteuren innerhalb und außerhalb des Unternehmens geraten. Bei der Ausgestaltung der Beherrschungs- und Überwachungsfunktionen müssen Lösungen gefunden werden, um eine transaktionskostenminimierende Informationsbeschaffung zu garantieren oder opportunistisches Verhalten auszuschließen, was umso schwieriger wird, je mehr Interessens45  Zur Entwicklung des schwedischen Venture-Kapitalmarktes vgl. Karaömerioglu, D. / Jacobsson, S., Nya resultat om svensk venture capital-industri, in: Ekonomisk Debatt, Vol. 28, Nr. 3 (2000), S. 259–266. 46  Zwischen 1990 und 200 hat sich die Zahl der Geschäftsbanken von 21 auf 48 erhöht, während die Anzahl der Sparkassen von 104 auf 77 zurückging und die kooperativen Sparkassen sich völlig von jeglicher Geschäftstätigkeit zurückgezogen haben. Vgl. dazu Statistiska Centralbyrå, Statistik Årsbok för Sverige, Vol. 88, Örebro 2001, Tabelle 437, S. 406. 47  Berglöf, E., Ownership of Equity and Corporate Governance, in: Baums, T. H. /  Buxbaum, R. M. (Hrsg.), Institutional Investors and Corporate Governance, Berlin 1993, S. 311–328. 48  Berglöf / Sjögren, Combining, S. 789.



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gruppen auf Entscheidungen Einfluss nehmen können. In Zentrum institu­ tionenökonomischer Analysen stand häufig der Interessenskonflikt zwischen Eigentümern, die eine höchstmögliche Verzinsung für ihr eingesetztes Kapital erwirtschaften wollen, während das Management ein möglichst uneingeschränktes Direktionsrecht erstrebt. Galt das Augenmerk klassischer Corporate-Governance-Theorien folglich lange der Abstimmung von Manager- und Kapitalgeberbedürfnissen, so erweitern neuere Ansätze die Perspektive um die Einbettung der Kapitalgesellschaften in unternehmensübergreifende Netzwerke und Machtbeziehungen sowie die Befolgung formeller und informeller sozialer Regeln über gesetzliche Vorgaben hinaus. Wie noch zu zeigen sein wird, würde gerade im schwedischen Fall eine Analyse der Unternehmenskontrollstrukturen in einer Verengung auf die Überwachungs- und Herrschaftsorgane ohne die hochgradig spezifische Ausgestaltung der Eigentümerrollen rudimentäres Stückwerk bleiben. Nähert man sich dem Untersuchungsfeld zunächst auf der rein rechtlichen Ebene, dann ist festzuhalten, dass in Schweden nicht das deutsche Modell des Zweikammersystems übernommen wurde. Im Unterschied zur angelsächsischen Variante mit ihrem monistischen Board-System fordert das schwedische Aktienrecht, dass Vorstand und Konzernleitung nicht vollständig identisch sein dürfen. Genau wie in anderen CMEs wird in Schweden jedoch die indirekte ex-post-Kontrolle des Managements in Gestalt des Aktienmarktes durch eine direkte ex-ante-Kontrolle ersetzt. Der Verkställande Direktör (VD), der in etwa dem deutschen Vorstandsvorsitzenden oder dem angelsächsischen CEO entspricht und zumeist Mitglied des Vorstandes ist, wird im Gegensatz zum deutschen Gesellschaftsrecht mit seiner Doppelstruktur darauf verpflichtet, Anweisungen des Vorstandes zu befolgen, auch wenn zu massive Eingriffe in die operativen Geschäfte seitens des Kontrollgremiums untersagt sind.49 Tradition im schwedischen Gewerbeleben ist, dass der VD auf Vertrauensbasis des Vorstandes sein Unternehmen führt und häufig am Ende seiner Karriere in die Rolle des Ordförande Direktör (OD) wechselt, der in Aktiengesellschaften dem Vorstand präsidiert.50 Diese Praxis förderte die Herausbildung von Loyalitätsbeziehungen zwischen Prinzipalen in Gestalt der externen Vorstandsmitglieder und den Agenten in 49  Seit ein neues Unternehmensrecht 1948 in Kraft trat, konnte die Position des VDs, dessen Funktion erst 1944 gesetzlich definiert worden war, und die des ODs nicht mehr in einer Hand vereinigt werden. Vgl. zu rechtlichen Aspekten der Unternehmensführung und -kontrolle insbesondere Åsbrink, E. et al., Svensk kod för ­bolagsstyrning, Stockholm 2004. 50  Als Konzernchef wird der VD in Aktiengesellschaften bezeichnet, die als Holdings bestehend aus Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften organisiert sind. In solchen Unternehmen übernimmt der OD auch formell den VD-Posten der Muttergesellschaft, obgleich das operative Geschäft dem VD überlassen wird, der die Tochtergesellschaften anleitet.

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Gestalt der Konzernleitung, was harte Sanktionen im Falle der Unterperformance unwahrscheinlich machte und die Herausbildung von impliziten Verträgen zur Absicherung der Belange aller involvierten stakeholder förderte. Wie stark Vorstände darüber hinaus als Arenen für die Pflege von Netzwerkverbindungen und den Aufbau von Sozialkapital genutzt wurden, lässt sich daran erkennen, dass in der Nachkriegszeit die Kontrollorgane bis zu 42 Mitgliedern umfassen konnten.51 Erinnert dieser interne Aufbau stark an die Gepflogenheiten in deutschen Unternehmen, so zeichnet sich das schwedische Modell der Unternehmenskontrolle durch mehrere Besonderheiten aus. Gegen die zersplitterte Eigentümerlandschaft, wie sie für Großbritannien oder die USA charakteristisch ist, hebt sich Schweden mit konzentrierten Eigentumsverhältnissen auf der Grundlage einer relational geringen Aktienbasis ab. Hält in nur 9,9 v. H. aller britischen Unternehmen ein einziger Großaktionär mindestens die Hälfte des gesamten Aktienbestandes, so sind es in Schweden 34,9 v. H.52 Immerhin 53 v. H. aller schwedischer Unternehmen zeichnen sich durch konzentrierte Eigentümerstrukturen aus.53 Die Macht der schwedischen Großaktionäre stützt sich vorrangig auf die Nutzung von Stimmrechtsdifferenzierungen in Gestalt von A- und B-Aktien.54 Im Januar 1992 waren ungleich verteilte Aktienstimmrechte bei 90 v. H. der an der Stockholmer Börse notierten Unternehmen anzutreffen.55 In diesem Zusammenhang ist auffällig, 51  Auch heute sind schwedische Unternehmensvorstände im internationalen Vergleich noch relativ groß, obwohl sich die durchschnittliche Zahl der Mitglieder, die 1985 noch bei elf lag, sich bis 1999 in vielen Unternehmen auf neun verringerte. Vgl. Söderström, H.-T. et al., Ägarmakt och Omvandling: Den svenska modellen utmanad, Stockholm 2003. 52  Berglöf, E. / Burkart, M., European Takeover Regulation, in: Economic Policy, Vol. 18, Nr. 1 (2003), S. 179. 53  Das Untersuchungssample bezog die größten 20 Unternehmen in 27 Volkswirtschaften ein. s. dazu La Porta, R. / Lopez de Silanes, F. / Shleifer, A., Corporate Ownership Around the World, in: Journal of Finance, Vol. 54, Nr. 2 (1999), S. 471–517. 54  Beide Aktienvarianten berechtigen zwar zur gleichen Dividende, werden aber hinsichtlich der Ausübung von Stimmrechten unterschiedlich gewichtet: In der Regel entspricht eine B-Aktie dem Zehntel des Wertes einer A-Aktie (1:10), so dass Kapitalgeber eine ungleich größere Menge an B-Aktien erwerben müssen, wollen sie mittels Stimmrechten Einfluss auf Unternehmensentscheidungen nehmen. Umgekehrt ermöglicht der Besitz der Mehrstimmrechtsaktien in Gestalt der A-Aktien, dass auch bei Neuemissionen zwar dem Unternehmen einerseits mehr Kapital zugeführt wird, andererseits die Macht der Alteigentümer infolge der Stimmrechtsasymmetrien nicht angetastet wird. 55  Auch in diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass der Staat wenig dafür tat, um die damit entstehende Kontrollmacht einzudämmen. Seit dem Aktiengesetz von 1848 waren der Nutzung von A- und B-Aktien keine Grenzen gesetzt, so dass etliche Unternehmen sogar Stimmrechtsasymmetrien von 1:1000 ausnutzten. Erst



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes39

dass dies sowohl für Börseneinführungen als auch für sonstige Emissionen zutreffend ist: Eine Analyse von 233 Börseneinführungen zwischen 1980 und 1997 und allen Neuemissionen seit 1984 zeigt, dass 90 v. H. aller privatwirtschaftlicher Börseneinführungen auf das bewährte Instrument asymmetrischer Stimmrechte zurückgreifen und die Emissionsvolumina zudem eher bescheiden ausfallen.56 Der Unterschied wird vor allem im Vergleich zu den USA deutlich, wo gerade mal fünf v. H. aller börsennotierten Aktien­ gesellschaften von Stimmrechtsasymmetrien Gebrauch machen.57 Dass die unterschiedlichen Aktienkategorien gezielt zur Machtabsicherung eingesetzt werden, wird daran ersichtlich, dass bei 70 v. H. der Unternehmen mit asymmetrischen Stimmrechten und über 90 v. H. der Kapitalgesellschaften, in denen gewichtige Kapitalgeber mehr als 25 v. H. der Stimmrechte halten, bei weiteren Emissionen nur B-Aktien emittiert werden. So können schwedische große Kapitalgeber sich leisten, ihre Beteiligungsquoten hinsichtlich der stimmrechtsschwachen B-Aktien nicht unbedingt aufstocken zu müssen: In den neunziger Jahren verfügten die 10 größten Kapitalgeber durchschnittlich über 68,9 v. H. der A-Aktien, aber nur 53,3 v. H. der B-Aktien.58 Eine rege Börsenaktivität wird durch die Praxis erschwert, dass bei Börseneinführungen die Besitzer der A-Aktien durchschnittlich 68,5 v. H. der Stimmrechte behalten und nach fünf Jahren meistens immer noch zwei Drittel der Stimmrechte besitzen.59 Die Nutzung dieser Instrumente sichert 1944 wurde das Verhältnis zwischen A- und B-Aktien gesetzlich auf 1:10 festgeschrieben, wiewohl mit großzügigen Ausnahmeregelungen für Unternehmen wie Ericsson, Electrolux, Alfa-Laval, SKF, Swedish Match und Holmén, die das vor dem Gesetz genutzte Verhältnis von 1 : 1000 uneingeschränkt beibehalten durften. Vgl. Isaksson, M. / Skog, R., Aspects of Corporate Governance, Stockholm 1994. 56  Holmén, M. / Högfeldt, P., A Law and Finance Analysis of Initial Public Offer­ ings, in: Journal of Financial Intermediation, Vol. 13, Nr. 3 (2004), S. 324–58. 57  Söderström, H.-T. et al., Ägarmakt och Omvandling: Den svenska modellen utmanad, Stockholm 2003, S. 65 f. 58  Die Bevorzugung der Alteigentümer gegenüber Neuaktionären wird weiterhin dadurch gewahrt, dass immerhin 12 v.  H. aller schwedischen Unternehmen und 20 v. H. der mit asymmetrischen Stimmrechten ausgestatteten Unternehmen Bestimmungen über Vorkaufsrechte in ihren Unternehmensordnungen verankert haben. Vgl. Agnblad, J. et al., Ownership and Control in Sweden – Strong Owners, Weak Minorities and Social Control, in: Barca, F. / Becht, M. (Hrsg.), The Control of Corporate Europe, Oxford 2001, S. 237; 240. 59  Bebchuk, L. A. / Kraakman, R. / Triantis, G. Stock Pyramids, Cross-Ownership, and Dual Class Equity: The Creation and Agency Costs of Separating Control from Ownership Rights, NBER Working Paper Nr. 6951, Washington 1999. Wenn Kontrollposten veräußert werden, dann häufig als Blocktransfer, so dass eine Streuung von A-Aktien unterbunden wird. Normalerweise handeln die Hauptaktionäre des Bieterunternehmens und des Aufkaufsobjektes die Übernahmemodi einvernehmlich aus. Charakteristisches Merkmal der schwedischen Aktienmärkte im

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Großaktionären eine so überragende Stellung, dass auf die Einführung von Stamm- und Vorzugsaktien sowie von Stimmrechtsbegrenzungen, wie es das deutsche Aktienrecht zulässt, verzichtet wurde.60 Eine weitere Gemeinsamkeit mit anderen korporativen Marktwirtschaften weist Schweden außerdem in der Gestalt auf, dass feindliche Übernahmen eher die Ausnahme darstellen. Diese hochgradige Stabilität in den Unternehmenskontrollstrukturen lässt sich bis in das frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Gegensatz zu der Entwicklung in vielen angelsächsischen Ländern lässt sich im Falle Schwedens keine allmähliche Separierung der Kapital- und Verwaltungsfunktionen beobachten, sondern eine Fortdauer des anfänglichen Familienkapitalismus bis weit in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, neben dem sich ein entrepreneurialer und ein Managerkapitalismus entfaltete.61 Die schwedischen Unternehmenskontrollstrukturen wurden durch eine jahrzehntelange Vorherrschaft einer Wirtschafts- und Finanznobilität in Gestalt von Familien geprägt, die in der dritten bis fünften Generation das schwedische Wirtschaftsleben dominierten. 1990 kontrollierten sie von den 50 größten schwedischen Unternehmen alleine 41 Unternehmen, in denen sie sich nicht selten bereits anlässlich der Gründung als Kapitalgeber oder als Firmengründer betätigt hatten. Neben den Familien, die ihre Rechte später meistens indiFalle von Übernahmen ist zudem, dass der Bieter schon bereits über eine in der Regel langfristig aufgebaute Beteiligung in dem Zielunternehmen verfügt. Durchschnittlich verfügen in 31 v. H. aller Übernahmefälle die Bieter bereits über 50 v. H. der Stimmrechte im Zielunternehmen. Vgl. Agnblad, Ownership. 60  Wallander, J., Korsägande, röstvärden och makten över företagen, in: Hägg, I. et al., Att äga stora företag – några ägares erfarenheter, Stockholm 1987, S. 24 f. Das schwedische Aktienrecht kennt bei tiefgreifenden Entscheidungen eine qualifizierte Mehrheit, verlangt aber, dass Jahreshauptversammlungen keine Beschlüsse fassen dürfen, die einzelnen Aktieneignern einen ‚ungebührenden Vorteil‘ auf Kosten des Unternehmens oder anderer Aktionäre verschafft. Solche Bestimmungen haben dazu geführt, dass trotz fehlender machtaufsplitternder Unternehmensverfassungen im europäischen Vergleich ein relativ stabiler Minderheitenschutz zur Anwendung gelangt. Vgl. dazu die vergleichende Untersuchung von Dyck, A. / Zingales, L., Private Benefits of Control: An International Comparison, in: Journal of Finance, Vol. 59, Nr. 2 (2004), S. 537–600. 61  Im Erklärungshaushalt der schwedischen Wirtschaftshistoriographie wird häufig auf das Dreistadienmodell Alfred Chandlers rekurriert, um zu plausibilisieren, warum sich in Schweden nie ein Managerkapitalismus herausbildete und infolge dessen auch andere Kontrollinstrumente und Eigentümerrollen fortexistierten. Bei Chandler und Daems wird der Managerkapitalismus als finales Stadium einer Entwicklungslinie interpretiert, die ihren Anfang im Familienkapitalismus nimmt und konsekutiv über den Entrepreneurskapitalismus zu einer völligen Trennung von Eigentümer- und Managementfunktionen führt. Vgl. dazu Glete, J. Swedish Managerial Capitalism: Did it ever Become Ascendant? In: Business History, Vol. 35, Nr. 2 (1993), S. 104.



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes41

rekt über steuerbegünstigte Stiftungen oder Holdinggesellschaften ausübten, lassen sich die Banken als zweiter wichtiger Eigentümerkreis ausmachen, die, wie bereits gezeigt, durch Kreditverbindungen und Kapitalbeteiligungen in die Unternehmensgeschicke involviert waren. Ähnlich wie im Falle der Unternehmensfinanzierung hatte auch die Deflation zu Beginn der 1920er als Wasserscheide in der Geschichte der schwedischen Unternehmenskontrollstrukturen gewirkt, die nicht nur viele Unternehmen aus der Gründerzeit der 1890er Jahre, sondern auch ihre Besitzer zum Marktaustritt zwang. Die Krise löste somit eine Reihe von Konzentrationsprozessen aus, die eine Reihe robuster Großunternehmen im Besitz einer kleinen Gruppe von Banken und Familien hervorbrachte. Lässt sich seit Mitte der zwanziger Jahre eine weitgehend homogene Szenerie der Eigner schwedischer Unternehmen beobachten, so ragen mit der Unternehmensgruppe der Svenska Handelsbanken-Sphäre und der Wallenberg-Sphäre zwei Akteure heraus, denen bis heute eine herausragende Bedeutung zukommt. Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts hielten diese beiden Unternehmensgruppen in der Mehrzahl der großen schwedischen Industrieunternehmen Kapitalbeteiligungen und noch am Ende des Untersuchungszeitraums kontrollierten die mit den Sphären verbundenen Holdinggesellschaften 54 v. H. des gesamten Marktwertes der Stockholmer Börse.62 Sowohl im Falle der Unternehmensgruppe, die durch die Familie Wallenberg kontrolliert wurde, als auch der Svenska Handelsbanken lassen sich eine Reihe von strukturellen Übereinstimmungen ausmachen, mit denen die innere Konkurrenz beschränkt und die Geschlossenheit nach außen abgesichert wurde. Erstens machten beide umfassenden Gebrauch von den A- und B-Aktien, um ihre Unternehmensgruppen aufzubauen und gegen Übernahmeversuche abzusichern. Wie sehr die Stimmrechtsasymmetrien einen Markt verzerrenden Effekt hatten, lässt sich am Beispiel der mit der Wallenberg-Sphäre verbundenen Holdinggesellschaft Investor illustrieren, die 1998 14 schwedische Großunternehmen mit einem Börsenwert kontrollierte, der 42 v. H. der Marktkapitalisierung der Stockholmer Börse entsprach. Gleichzeitig bezifferte sich der Anteil Investors an der gesamten Börsenkapitalisierung nur auf 4,6 v. H., weil die Holdinggesellschaft in fast allen Unternehmen, wie das folgende Schaubild verdeutlicht, mit Hilfe der A- und B-Aktien höhere Stimmrechts- als Kapitalbeteiligungen einsetzen konnte:

62  Agnblad,

Ownership, S. 244.

42

I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Knut & Wallenbergs stiftelse Marianne & Marcus Wallenbergs stiftelse Wallenbergs minnesfond

41,3 (19,4)

Investor

19,5

100

100

Patricia

SEB

25,9

Saab

Incentive 17,9

50

Saab Automobile

18,6

Svenska Dagbladet

Scania

42,0(26,5)

Atlas Copco

20,3(14,2)

18,6

21,3(17,7)

SAS Sverige

17,2 (12,7)

Stora ABB Sverige

32,9(13,4)

OM Gruppe

3/7

SKF

10,6

48,3 (1,4)

Electrolux

SAS

12,0(10,2)

45,7(2,6)

Astra 50 38,7(4,3)

Ericsson

Diligentia 12,0

ABB (Zürich)

WM- 5,2(12,9) Data

Stimmrechtsbeteiligungen in v. H. (in Klammern die Kapitalbeteiligungen) Abbildung 1: Die Wallenberg-Sphäre 199863 63  Sundin, A. / Sundqvist, S.-I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag 1998, Stockholm 2000, S. 50.



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes43

An der Spitze der Unternehmensgruppen stand immer eine Holdinggesellschaft, die ursprünglich eingerichtet worden war, damit die Banken dort ihren Aktienbesitz deponieren konnten.64 Die Wallenberg-Familie nutzte als zentrales Kontrollinstrument die Holdinggesellschaft Investor, die sich teils im direkten Besitz der Familie, teils im Besitz einiger Familienstiftungen befand, so dass insgesamt 50 v. H. der Stimmrechte bei Investor eingesetzt werden konnten.65 Auf ähnliche Weise sicherte sich die HandelsbankenSphäre in den neunziger Jahren mit Hilfe der Holdinggesellschaft Industrivärden umfassende Beteiligungspakete in elf börsennotierten Unternehmen, die 1998 12 v. H. der gesamten Börsenkapitalisierung ausmachten.66 Investor entsprach im Falle der Svenska Handelsbanken das 1943 gegründete Industrivärden. Diese Holdinggesellschaften wurden nicht nur zu der für Banken gesetzlich vorgeschriebenen Sicherung des Aktienbesitzes eingerichtet, sondern dienten zunehmend auch als Netzwerke für Bankdirektoren, Industrielle und Investmentfondsmanager. Neben den Stimmrechts­ asymmetrien machten die Sphären auch noch von einem zweiten Instrument Gebrauch, das insofern das zweite hervorstechende Merkmal der schwedischen Corporate Governance-Strukturen darstellt. Mittels Beteiligungspaketen meistens in Höhe von 10 bis 20 v. H. wurde in Gestalt von Überkreuzverflechtungen Einfluss auf andere Unternehmen genommen. Wurden nach außen die schwedischen business groups durch die Nutzung dieses Arsenals marktaverser Instrumente abgesichert, so wurden nach innen die Beziehungen zwischen Prinzipalen und Agenten durch eine zur Kapitalverflechtung teilweise parallel laufende Personenverflechtung verdichtet, die die Monitoringkosten verringerte und den Aufbau von Sozialkapital ermöglichte.67 Die 64  Daneben konnten zusätzlich die Pensionsstiftungen und Pensionskassen sowie die Gewinnanteilsfonds der SEB oder der SHB eingesetzt werden, deren Aktienbestand normalerweise in der eigenen Sphäre konzentriert wurde. 65  Die Wallenberg-Stiftungen konnten in der Holdinggesellschaft nur 19,4 v. H. der stimmrechtsschwachen, aber 41,3 v. H. der stimmrechtsstarken A-Aktien einsetzen. Durch diese Nutzung der Stimmrechtsasymmetrien konnten diese Stiftungen, auf die selbst gerade mal ein v. H. des Marktwertes der Stockholmer Börse entfiel, beachtliche 42 v. H. des gesamten Marktwertes kontrollieren, wenn alle Unternehmen berücksichtigt werden, in denen Investor direkt oder indirekt eine Mehrheitsbeteiligung hielt. Vgl. Agnblad, Ownership. 66  Henrekson / Jakobsson, Swedish Model, S. 28. 67  So wurden die Kooperations- und Abhängigkeitsbeziehungen in den Sphärenunternehmen durch die Entsendung loyaler Vorstandsmitglieder gewahrt. Die VDs nahmen auch in anderen Vorständen der Unternehmensgruppen Mandate wahr und betätigten sich so als Netzwerkagenten. So zeigt eine Untersuchung gestützt auf ein Sample mit 694 Vorstandsmitgliedern aus dem Jahr 1994, dass diese insgesamt 969 Vorstandspositionen innehatten. Diese Netzwerkdichte wird auch in dem Umstand ersichtlich, dass 34 v. H. aller schwedischen VDs auch in anderen Vorständen ver­ treten sind. Vgl. Jonnergård, K., The Impact of Changes in the Corporate Gover-

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall? SHB Pensionsstiftelse Tore Browaldhs stiftelse SHB Pensionskassa Jan Wallanders och Tom Hedelius vetenskapliga stiftelse SHB Personalstiftelse Oktogonen SHB Aktiefonder SHB Aktiesparfonder SHB Livsförsäkring SHB Allemansfonder

11,0(9,3)

17,5 (13,2)

6,7(5,7)

Industrivärden

5,1 (3,8)

14,9(3,8)

20,2(11,8)

Skanska

23,0

Svenska Handelsbanken

4,3(3,3)

AGA

PLM

11,2

7,7(5,9)

Sandvik

Custos

4,5

Volvo

7,7

Atle

12,1

Diös

4,6

SSAB

1,3

26,4(2,3) 11,2(8,8) 17,1(2,5)

24,1(9,3)

Ericsson

8,2(3,4)

SCA

Bergman & 23,9(11,8) Beving

Stimmrechtsbeteiligungen in v. H. (in Klammern die Kapitalbeteiligungen) Abbildung 2: Die SHB-Sphäre 199868

nance System on the Boards of Directors Experiences from Swedish Listed Companies, in: International Studies of Management and Organization, Vol. 34, Nr. 2 (2004), S. 113–152. 68  Sundin, A. / Sundqvist, S.-I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag 1998, Stockholm 2000, S. 50.



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes45

Mitgliedschaft in den Unternehmensvorständen überlappte sich infolgedessen häufig, so dass in einzelnen Fällen vor allem herausragende Repräsentanten sogar bis zu zwanzig Vorstandsmandate innehatten.69 Die Sphärenunternehmen schufen darüber hinaus interne Arbeitsmärkte für Unternehmensleitungen, weil nur selten VDs und Vorstandsmitglieder in die Vorstände anderer Unternehmen außerhalb der Sphäre eintraten.70 Schließlich wurde durch die Bereitstellung von Kapital durch Banken wie der SEB oder der SHB die Einflussmöglichkeiten umfassend abgesichert. So kreditierte die SEB als Hausbank der Wallenbergs vorrangig die Unternehmen der Sphäre, die etwa mit einem Drittel zu den Bankaktiva beitrugen.71 Die Sphärenunternehmen platzierten ihre Überschussliquidität in der Bank und ließen sie Gesamtlösungen für die Finanzierung neuer Projekte ausarbeiten.72 Die Unternehmen ihrerseits hießen die Externalisierung möglicher Insolvenzrisiken willkommen, da man sich auf Banken und Eigner verlassen und sich den eigenen Wachstumsbestrebungen widmen konnte. Dabei konnten sie nicht nur auf eine prinzipielle Bereitschaft der Kapitalgeber zählen, Rentabilitätsanforderungen für einen gewissen Zeitraum zurückzustellen. Durch die konsequente Orientierung auf kriselnde Unternehmen agierten diese als ‚owners of last resort‘, da deren Restrukturierung auch unter teilweise er69  Marcus Wallenberg saß 1959 nicht weniger als 33 Unternehmen als OD vor und nahm zugleich Vorstandsmandate in 31 anderen Vorständen wahr. Heute ist es zumeist ein exponierter VD mit Verbindungen zur SEB, der diese Funktion übernimmt. Vgl. Carlsson, R., Ownership and Value Creation – Strategic Corporate Governance in the New Economy, Chichester 2001. 70  Die Grenzen der Einflussbereiche wurden immer respektiert, obwohl sich Wallenberg-Sphäre und die Svenska Handelsbanken-Sphäre immer in einer gewissen Rivalität gegenüberstanden. So kauften sich die Wallenberg-Holdinggesellschaften niemals bei den Kernunternehmen der Svenska Handelsbanken wie AGA oder bei SCA mit einem Kontrollposten ein. Vgl. dazu Collin, S.-O., Ägande och effektivitet: Wallenberggruppens och Svenska Handelsbankengruppens struktur, funktion och effektivitet (Lund Studies in Economics and Management Nr. 35), Lund  /  Malmö 1997, S. 40. 71  Schon in der Zwischenkriegszeit hatte die SEB aufgehört, feste Beziehungen zu großen börsennotierten Unternehmen außerhalb der Unternehmensgruppe zu pflegen. Netzwerkbeziehungen wurden auch zu anderen Sphären oder Eigentümergruppierungen geknüpft, indem mit einem hohen Prestige ausgestattete Bankiers oder Unternehmer für den SEB rekrutiert wurden. Im Falle größerer Unternehmen, die außerhalb der Wallenberg-Sphäre standen, verzichtete die Familie auf den Versuch einer Einflussnahme beispielsweise über die Funktion als Hausbank. Wie die enge Kooperation zwischen der SEB und den Unternehmen der Wallenberggruppe vonstatten ging, wird beschrieben bei Olsson, U., Bank, familj och företagande: Stockholms Enskilda Bank 1946–1971, Stockholm 1976, S. 246 ff. 72  Zusätzlich überließen sie den Finanzinstituten die Vermittlung in- und ausländischer Kontakte, womit sie umgekehrt zur Ausdehnung möglicher Aktivitäten der Bank in neue Geschäftsfelder beitrugen. Lindgren, Aktivt Ägande, S. 263,272.

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

heblichem Einsatz eigener finanzieller Mittel unterstützt wurde. Beteiligungen wurden auch bei unterdurchschnittlicher Performanz aufrecht erhalten, selbst wenn dadurch der Ertrag der Hausbank in Mitleidenschaft gezogen wurde.73 Diese institutionelle Praxis, auch in Stagnationsphasen unter dem Einsatz eigener Mittel für das Wohlergehen der Unternehmungen einzustehen, hat ihre Entsprechung im prägnanten Begriff des ‚aktiven Eigentümers‘ gefunden.74 Durch die Bereitschaft, die jeweiligen Unternehmensleitungen auch in kritischen Phasen zu stützen, trugen sie dazu bei, die Anzahl neuer Unternehmensgründungen gering zu halten, boten aber auch Gewähr für die Rahmenbedingungen, in denen inkrementelle Innovationen zur Marktreife entwickelt werden konnten. Kontinuität und Machterhalt wurden als handlungsleitende Maximen immer höher bewertet als die kurzfristige Ertragslage. Allerdings wächst damit auch die Gefahr von Fehl- oder Überinvesti­ tionen, einer langsameren Investitionsgeschwindigkeit und höheren Schuldenständen. In der Tat scheint es, dass schwedische Kapitalgeber in ihre Unternehmen ‚überinvestieren‘, anstelle die erwirtschafteten Gewinne regelmäßig an die Eigner auszuschütten.75 Die Kehrseite der auf Kontinuität angelegten Insider-Kontrolle war die Abschottung nach außen, auch wenn zugleich die schwedische Lösung des Prinzipal-Agent-Problems die Vielzahl von Interessenskonflikten auf eine mögliche Interessensdivergenz zwischen Vorstand und Hauptkapitalgebern reduzierte.76 Die fortschreitende Vermach73  Glete, J., Nätverk i Näringslivet: Ägande och industriell omvandling i det mogna industrisamhället 1920–1990, Stockholm 1994, S. 313. 74  Der Wirtschaftshistoriker Hans Sjögren hat in Anschluss an seine empirischen Studien die wesentlichen Grundmerkmale dieser Eigentümerkategorie herausgearbeitet: Erstens zählten zu diesem Kreis in der Regel die Hauptkreditgeber oder Besitzer von mindestens fünf v. H. der Aktienstimmrechte in einem Unternehmen. Zweitens beanspruchten diese Kapitalgeber Vorstandspositionen, um an der Beschlussfassung über die langfristige Unternehmensorientierung teilzunehmen und gegebenenfalls intervenieren zu können. Drittens unterschieden sich aktive Eigentümer von anderen Kapitalgebern dadurch, dass sie in mindestens zwei Krisenphasen mit deutlich geringerer Profitabilität ihre Kapitaleinlage aufrechterhielten. Diese langfristig ausgeübte Rolle als Kontrolleigner implizierte, dass sie die Verantwortung für die Erneuerung der Unternehmen wahrnahmen und so Unternehmensleitungen ein stabiles Umfeld und die finanziellen Voraussetzungen für langfristige Investitionsentscheidungen sowie Umstrukturierungen verschafften. Zuletzt verfügten aktive Eigentümer über eine hohe Netzwerkkapazität, um unternehmensexterne Kompetenzen und Informationen für das Unternehmen nutzbar machen zu können. s. dazu Sjögren, H., Den uthålliga kapitalismen: Bolagsstyrningen i Astra, Stora Kopparberg och Svenska Tändsticksbolaget, Stockholm 2005, S. 16. 75  Eklund, J. / Wiberg, D., A- mot B-laget: En match för den svenska ägarmodellen, in: Ekonomisk Debatt, Vol. 34, Nr. 5 (2006), S. 25. 76  Kann eine breite Streuung von Aktien wie in liberalen Marktökonomien fragliche und riskante Prestigeprojekte begünstigen, können vermachtete Besitzstruktu-



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes47

tung der Unternehmenskontrolle beschnitt in der Tat die Möglichkeiten anderer Investorengruppen oder Kleinaktionäre, die Wirtschaftsnobilität ernsthaft herauszufordern und mögliche Fehlentwicklungen in Unternehmen zu korrigieren. Besaßen Haushalte 1945 immerhin noch 75 v. H. aller schwedischen Unternehmensbeteiligungen, verringerte sich ihr Anteil bis 1980 auf 20 v. H., so dass der Streubesitz dementsprechend abnahm.77 Bezeichnenderweise stieg die Nutzung asymmetrischer Stimmrechte kontinuierlich an: Waren es 1950 nur 18 v. H. aller Unternehmen, die Mehrstimmrechtsaktien zuließen, bezifferte sich der Anteil 1968 schon auf 32 v. H., 1978 auf 57 v. H. und 1985 auf 76 v. H.78 Die außerordentliche hohe Stabilität, die das gesamte schwedische Modell des organisierten Kapitalismus seit seiner entscheidenden Formierungsphase in den zwanziger Jahren kennzeichnete, schien jedoch in den achtziger Jahren an ihr vorläufiges Ende gelangt zu sein. Durch freiwillige Rückzüge oder durch das Fehlen eines Erben hatten sich etliche Familien zurückgezogen.79 Parallel verschwanden mit Ausnahme von Investor und Industrivärden die familien- oder stiftungsbezogenen Holdinggesellschaften, durch Transfer des Besitzes in einzelne Unternehmen oder asset-stripping: Gab es anfangs der achtziger Jahre noch rund 25 Holdinggesellschaften, so reduzierte sich deren Anzahl bis 1995 um ein Drittel.80 Insgesamt sind diese Holdinggesellschaften nach der Einführung von angelsächsisch beeinflussten Portfoliowahlstrategien zu einer mehr ertragsfixierten Platzierungspolitik übergegangen.81 Schon in den späten siebziger Jahren gelang es darüber hinaus einer ganzen Reihe von Großunternehmen wie Volvo, Skanska oder Trelleborg, ren es attraktiv erscheinen lassen, anstelle der Gewinnentnahme die Substanzvermehrung über neue Investitionen zu betreiben. Dass diese Annahme nicht ganz von der Hand zu weisen ist, indiziert eine Studie mit 95 schwedischen Unternehmen, die zeigt, dass vor allem die Unternehmen mit Stimmrechtsdifferenzierungen durchschnittlich geringere Investitionserträge erzielen als die ohne Stimmrechtsdifferenzierungen. Durchschnittlich wurden diese Unternehmen von fünf Eignern kontrolliert, die zusammen 60 v. H. der Stimmrechte einsetzen konnten. Vgl. Bjuggren, P.-O. / Eklund, J. E. / Wiberg, K. D., Ownership Structure, Control and Firm Performance: The Effect of Vote Differentiated Shares, in: Applied Financial Economics, Vol. 17, Nr. 16 (2007), S. 1323–1334. 77  Henrekson / Jakobsson, Ägarpolitik, S. 2. 78  Isaksson / Skog, Aspects. 79  Von den 14 Eigentümerfamilien aus der Gründerzeit, die Glete in seiner umfassenden Studie nach der Deflationskrise 1921 identifiziert hatte, fand 1988 eine Untersuchung nur noch sieben Familien vor. Vgl. Ägarutredning, Ägande och inflytande i svenskt näringsliv: huvudbetänkande, (SOU 1988:38), Stockholm 1988. 80  Vgl. dazu die Übersicht in Agnblad, Ownership, Schaubild 9.5. 81  So wandelte sich Investor von einer Holdinggesellschaft mit einem stark diversifizierten Aktienportfolio immer mehr zu einer Investmentgesellschaft mit einer Konzentration auf bedeutende Kontrollposten, während die Risikostreuung durch

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

sich infolge eines machtpolitischen Vakuums oder einer geschickten Formierung von Koalitionen aus dem Einflussbereich der Sphären zu lösen und somit vergleichsweise spät einen Managerkapitalismus ohne mächtige Eigentümer im Hintergrund zu begründen. Diese ‚Revolution der Direktoren‘ weitete nicht nur den Spielraum des Managements aus, sondern forderte die Vormachtstellung der Sphären heraus, da mit Hilfe von Überkreuzverflechtungen nicht nur eine nicht genehme Einflussnahme verhindert, sondern auch eigene Unternehmensgruppen aufgebaut wurden.82 Eine weitere Gruppe, die seit Mitte der achtziger Jahre auf den Plan trat, waren die ausländischen Anteilseigner. Lange waren trotz der vergleichsweise frühen Integration Schwedens in die Weltwirtschaft die Möglichkeiten nicht-schwedischer Aktionäre umfassend beschnitten worden.83 1979 waren die rigiden Bestimmungen erstmals gelockert worden, so dass in den achtziger Jahren ausländische Investoren sich verstärkt bei schwedischen Großunternehmen einkauften, auch wenn die Regierung an der Genehmigungspflicht vorerst festhielt. Spätestens 1993 waren dann im Zuge der Kapitalmarktliberalisierungen die letzten Hürden zum Erwerb schwedischer Wertpapiere beseitigt worden.84 Befand sich 1991 nur 8,3 v. H. des Grundkapitals in ausländischen Händen, sollte dieser Wert bis 1999 auf 38,7 v. H. hoch schnellen.85 Ein immer größerer Anteil des Kapitals wurde durch institutionelle Anleger in Gestalt der schwedischen Pensionsfonds aber auch schwedischer Investmentfonds kontrolliert. Verwalteten diese Fonds 1970 noch weniger als einen verteilten Wertpapierbestand in den Hintergrund geriet. Vgl. Lindgren, H., Aktivt Ägande: Investor under växlande konjunkturer, Stockholm 1994, S. 280. 82  Gab es 1963 nur zwei Überkreuzverflechtungen, wurden 1978 schon 24 Unternehmen registriert, die auf dieses Mittel zurückgriffen. 1988 konnten 26 Kreuz- oder Ringverflechtungen identifiziert werden, unter Anwendung des Kriteriums, das Unternehmen mindestens zwei v. H. Stimmrechte in dem Zielunternehmen hielten. Vgl. dazu Isaksson, M. / Skog, R., Corporate Governance in Swedish Listed Companies, in: Baums, T. / Buxbaum, R. / Hopt, K. (Hrsg.), Institutional Investors and Corporate Governance, Berlin / New York 1994, 287–310. 83  1934 hatte ein Gesetz Beteiligungen einzelner ausländischer Eigner in Unternehmen auf das Maximum von 20 v. H. der Stimmrechte begrenzt, mit der Konsequenz, dass deren Zahl kontinuierlich schrumpfte. Wertpapierkäufe bedurften nach dem Krieg zusätzlich einer grundsätzlichen Genehmigung durch die schwedische Reichsbank. 84  Angaben nach Ägarutredningen, Ägande. Zuvor hatten Unternehmen in ihren Unternehmensordnungen noch die Kategorie der ‚gebundenen‘ Aktien festschreiben müssen, deren Erwerb im Gegensatz zu den ‚freien‘ Aktien nur schwedischen Investoren vorbehalten war. Als Folge veränderter Gesetzgebung und des Wegfalls dieser Unterscheidung durften fortan auch Ausländer im unbegrenzten Ausmaß Aktien erwerben. 85  Sundin, A. / Sundqvist, S.-I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag 2000, Stockholm 2000, S. 22.



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ein v. H. des akkumulierten Börsenwertes, konnten 1997 die nunmehr 400 schwedischen Aktienfonds schon 14 v. H. auf sich vereinen und sogar Kontrollpositionen in einzelnen Unternehmen erlangen.86 Diese neuen Eigentümer verzichteten in der Regel darauf, durch eine Repräsentation im Vorstand die Verantwortung für die Entwicklung des Unternehmens zu übernehmen und ließen nur wenig Zweifel, im Falle einer wahrgenommenen Unterperformance die Beteiligungen auch zügig wieder veräußern zu wollen. Zu der koalitionsunwilligen Gruppe müssen auch die Börsenspekulanten gerechnet werden, die die Hausse der Aktienmärkte in den achtziger Jahren hervorbrachte und denen es gelang, eigene Unternehmensgruppen aufzubauen, so dass die alteingesessenen Eigner unter Zugzwang gesetzt wurden, die eigenen Kontrollposten für den Machterhalt in den eigenen Kernunternehmen kräftig auszubauen. Die traditionelle Dominanz der schwedischen Großeigentümer wurde von solchen Eignern genauso in Frage gestellt wie parallel die Adaption angelsächsischer Corporate Governance-Praktiken eingefordert wurde.87 So hat sich die Einbeziehung des Managements in Grundsatzentscheidungen deutlich intensiviert und damit US-amerikanischen Praktiken angenähert.88 Eine stärkere Finanzmarktorientierung spiegelt auch die Verbreitung von US-amerikanischen Rechnungslegungsstandards, die Erhöhung und Koppelung von Managervergütung an ertragsbezogene Kennziffern sowie die Intensivierung der Investor-Relations-Aktivitäten wider.89 Ein letzter Anhaltspunkt für eine wachsende institutionelle Diskontinuität waren die Übernahmeaktivitäten, die seit den achtziger Jahren sprunghaft zugenommen hatten. Waren in den fünfziger Jahren durchschnittlich eine und in den siebziger Jahren vier Übernahmen jährlich zu verzeichnen, werden

86  Pålsson, A.-M., Fondbolagen – de ovilliga och olämpliga ägarna, in: Ekonomisk Debatt, Vol. 29, Nr. 1 (2001), S. 39. 87  David, T. / Mach, A., The Specificity of Corporate Governance in Small States: Institutionalization and Questioning of Ownership Restrictions in Switzerland and Sweden, in: Federowicz, M. (Hrsg.), Corporate Governance in a Changing Economic and Political Environment, Houndmills 2003, S. 242. 88  Vgl. zu diesem Aspekt Jonnergård, K. / Kärreman, M., Board Activities and the Denationalization of Ownership – The Case of Sweden, in: Journal of Management and Governance Vol. 8, Nr. 3 (2004), S. 245. Offensichtlich als Konsequenz internationaler Code of Conduct-Standards wurden Komitees nach angelsächsischem Vorbild eingerichtet, die zwar eine Zergliederung und Individualisierung der Vorstandsarbeit beförderten, aber meistens explizit dazu dienten, die Entscheidungsfindung der Vorstände gegenüber Öffentlichkeit und Streubesitzaktionären transparenter zu machen. Vgl. Sjöstrand, S.-E. / Petrelius, P., Rekrytering av koncernstyrelser: nomineringsförfaranden och styrelsesammansättning med fokus på kvinnors ställning och möjligheter, Stockholm 2002. 89  Veranen, J. / Cassel, P., Värdeskapande ägande: när företagets ägare, styrelse, ledning och medarbetare arbetar mot samma mål, Göteborg 1998.

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diese äußerst bescheidenen Werte kontrastiert durch die 253 Übernahmeangebote zwischen 1980 und 1992, von denen 212 erfolgreich waren.90 c) Industrielle Beziehungen Dass den schwedischen industriellen Beziehungen auch in international angelegten Untersuchungen soviel Aufmerksamkeit zuteil wurde und oft als Kernstück des schwedischen Modells angesehen wurden, erscheint evident: In kaum einer anderen Volkswirtschaft gibt es eine so umfassende Organisation der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in überbetrieblichen Interessensorganisationen, die nicht nur zu einer weit reichenden Inklusion der Arbeitnehmer in Entscheidungsprozesse führte, sondern auch zum Entstehen eines ‚Angebotskorporatismus‘, der auf viele andere politische und gesellschaftliche Bereiche ausstrahlte.91 Aus einer institutionenökonomischer Perspektive lassen sich trotz damit verbundener Zugeständnisse an Arbeitnehmer hinsichtlich der Lohnfindung und der Einflussnahme auf unternehmenspolitische Entscheidungen trotzdem Vorteile vor allem in der Hinsicht abgewinnen, dass die dadurch geförderten langfristigen und stabilen konfliktarmen Arbeitsbeziehungen Transaktionskosten senkende Auswirkungen haben. Fügen sich die schwedischen industriellen Beziehungen damit in das Grundmuster der Coordinated Market Economies ein, so heben sie sich hinsichtlich drei wichtiger Eigenarten auch gegenüber Verhältnissen in anderen korporativen Marktwirtschaften ab. Erstens übersteigt der Organisa­ tionsgrad der schwedischen Gewerkschaften den von Arbeitnehmervereinigungen in anderen Ländern bei weitem.92 Merkwürdigerweise ist es allen 90  In den neunziger Jahren hat sich diese Dynamik noch einmal beschleunigt: Insgesamt summieren sich die Übernahmen inklusive der Akquisitionen durch ausländische Eigner in diesem Zeitraum auf 250, was neun v. H. aller börsennotierter Unternehmen betreffen sollte. Vgl. Berglöf, E., Ownership of Equity and Corporate Governance, in: Baums, Institutional Investors, S. 311–328. 91  Damit lassen sich die schwedischen industriellen Beziehungen relativ weit außen auf einer Achse verorten, die von hochgradig konfliktiven Auseinandersetzungen auf der einen Seite und den Verhandlungsroutinen eines pazifizierenden Korporatismus auf der anderen Seite reicht, also jenes Systems, in deren Rahmen sich Interessensträger in einer begrenzten Anzahl von nichtkonkurrierenden, hierarchisch organisierten und funktional differenzierten Gruppen zusammenschließen. So die klassische Definition von Schmitter, P., Still the Century of Corporatism? In: Review of Politics, Vol. 36, Nr. 1 (1974), S. 85–131. 92  Die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht schlägt sich auch in von ihnen ausgehandelten Tarifverträgen nieder, die alleine in der Privatwirtschaft 88 v. H. und unter Einbeziehung des öffentlichen Sektors 92 v. H. aller Arbeitnehmer erfassen. Hinsichtlich des Deckungsgrads branchenweiter Entgeltnormen umgerechnet auf alle Erwerbstätigen übertrifft Schweden ebenfalls weit den europäischen Durchschnitt, da selbst in Deutschland oder Belgien mit ihrer Tradition machtvoller Tarifverbände



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nordischen Ländern mit ihren universalistischen Strukturen nie gelungen, die Grenze zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben, so dass die Gewerkschaften sich in drei großen Dachverbänden organisiert haben. Größter schwedischer Dachverband ist die Landsorganisation (LO), eine mit der sozialdemokratischen Partei verbundene Richtungsgewerkschaft, der Ende 2000 rund zwei Millionen Mitglieder angehörten, von denen allerdings rund 760.000 Mitglieder im öffentlichen Sektor beschäftigt waren. Die mit der LO konkurrierenden Angestelltengewerkschaften teilen sich nach Sektoren und teilweise auch nach Berufen und Qualifikationsniveaus auf: Die TCO umfasst die Einzelgewerkschaften der Angestellten, die sich in privatwirtschaftlichen Lohnverhandlungen meistens zu Verhandlungskartellen in Gestalt des Privattjänstemannakartell (PTK) zusammenschließen.93 In der PTK war der Svenska Industritjänstemannaförbundet (SIF) durchgängig die weitaus größte Arbeitnehmervereinigung noch vor dem Zusammenschluss aller Angestellten mit Leitungsfunktionen mit dem Namen Svenska Arbetsledareförbundet (SALF). Ein gewisses Gewicht hat der Ende der 1950er entstandene Civilingenjörsförbundet (CF) als Vereinigung aller Akademiker entfalten können, die vorrangig um Ingenieure wirbt. Ganz den Annahmen der VOC-Theorie entsprechend stehen diesen Gewerkschaften starke Wirtschaftsvereinigungen – angeleitet durch den Svenska Arbetsgivareföreningen (SAF) – gegenüber, die immerhin 75 v. H. aller Arbeitgeber einschließen. Im Gegensatz zu anderen Ländern zeichnen sich diese rund 100 Verbände durch einen hohen Zentralisierungsgrad aus und können in Tarifkonflikten auf weitreichende Sanktionsmittel wie Aussperrungen und Streikfonds zurückgreifen.94 kaum die 50 v. H.-Marke überschritten wird. Bemerkenswert ist auch, dass der in anderen europäischen Ländern zu verzeichnende Bedeutungsverlust ausgeblieben ist: Verloren zwischen 1980 und 1995 die französischen Gewerkschaften die Hälfte, die britischen ein Drittel und die deutschen Gewerkschaften 15 v. H. ihrer Mitglieder, waren in Schweden 1998 81 v. H. der Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisiert, die somit die höchsten durchschnittlichen Mitgliederzahlen in Europa vorweisen konnten. Selbst freiberufliche Arbeitnehmer aus der Internet- und Kommunikationsbranche, die in anderen europäischen Ländern fast so gut wie nie einer Arbeitnehmerorganisation angehören, sind in Schweden zu 40 v. H. Mitglied einer Gewerkschaft. Vgl. Murhem, S., Turning to Europe: A New Swedish Industrial Relations Regime in the 1990s, (Uppsala Studies in Economic History, Nr. 68), Uppsala 2003, S. 409 f. 93  Die dritte große Konföderation ist die SACO, von deren Mitgliedern 75 v. H. im öffentlichen Dienst tätig waren. Vgl. zu den Strukturen Nilsson, C., The Swedish Model: Labour Market Institutions and Contracts, in: Hartog, J. / Theeuwes, J. (Hrsg.), Labour Market Contracts and Institutions: A Cross-National Comparison, Amsterdam 1993, S. 246. 94  Vgl. zu den Arbeitgeberverbänden Kjellberg, A., Sweden: Restoring the Model? in: Ferner, A. / Hyman, R. (Hrsg.), Changing Industrial Relations in Europe, Oxford 1998, S. 57–117.

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Zweitens zeichnen sich die industriellen Beziehungen durch die Besonderheit zentralisierter und zugleich dezentralisierter Verhandlungsstrukturen aus. Während in vielen Ländern die Tarifparteien auf Branchenebene die maßgebliche Entscheidungsinstanz innerhalb der Lohnfindungsstrukturen darstellen, wurden in Schweden seit Ende der fünfziger Jahre bis 1991 landesweite Manteltarifverträge zwischen den Dachorganisationen SAF und LO beziehungsweise PTK abgeschlossen. Diese Zentralisierung der Tarifvereinbarungen tastete jedoch nie den erheblichen Spielraum der betrieb­ lichen Gewerkschaftsorganisationen an, die die Umsetzung von Tarifvereinbarungen, aber auch eine ganze Bandbreite an Fragen wie Mitbestimmung, Arbeitsplatzsicherheit, Fortbildung bis hin zu den wichtigen Lohnzuschlägen eigenständig regeln. Außerdem sind diese als Klubs bezeichneten Grund­ organisationen für alle Kontakte und Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zuständig und nehmen auch die Mitbestimmungsrechte wahr.95 Ein dritter Unterschied zu anderen Ländern besteht darin, dass in Schweden der Adressat von Mitbestimmungsprozeduren nicht die eigenen Arbeitnehmer sind. Die Arbeitgeberseite verhandelt hingegen direkt mit den Gewerkschaften, so dass gewerkschaftsunabhängige Gruppierungen ohne Verbandsanbindung nicht in die Kontrollorgane gelangen können.96 Die ausgeprägte gewerkschaftliche Organisationsmacht wird häufig auf die Hegemonie der schwedischen Sozialdemokratie oder das Genter Modell zurückgeführt. Die formative Phase des schwedischen Korporatismus lässt sich aber bereits in den ersten 15 Jahren des 20. Jahrhunderts verorten, da es zu diesem Zeitpunkt die ersten systematischen Bestrebungen gab, die Arbeitsmarktparteien in die politische Beschlussfassung einzubinden.97 Die95  Dem dadurch erzeugten sehr hohen Gewicht der gewerkschaftlichen Grundorganisationen in den eigenen Verbänden entspricht eine ausgesprochene Dominanz einzelner Unternehmen in den Wirtschaftsvereinigungen: Sowohl in der SAF als auch Branchenverbänden konnten vor allem Großunternehmen nahezu durchgängig ihre Interessen durchsetzen, weil sich die Stimmrechte nach den gezahlten Beiträgen richten. Vgl. Pestoff, V., Towards a New Swedish Model of Collective Bargaining and Politics, in: Crouch, C. / Traxler, F. (Hrsg.), Organized Industrial Relations in Europe: What Future? 3. Auflage, Aldershot 2001, S. 158. 96  Der Beschluss über die Wahrnehmung einer Vorstandsrepräsentation soll laut Gesetz von Arbeitnehmerorganisationen gefasst werden, die ein Tarifabkommen mit dem Unternehmen unterzeichnet haben. Allerdings schließen die gesetzlichen Bestimmungen nicht aus, unternehmensexterne Gewerkschaftsvertreter zu berufen, empfehlen aber, Vertreter betrieblicher Gewerkschaftsorganisationen zu bevorzugen. 97  Der erste Schritt zur Einbeziehung der Tarifparteien wurde in den örtlichen Arbeitsämtern getan, die ab 1903 mit bipartistischen Vorständen besetzt wurden. Auch der Beirat des 1912 ins Leben gerufenen staatlichen Amtes für So­zialfragen bezog Arbeitnehmer und -geber ebenso ein wie die 1913 eingerichtete Altersvorsorgebehörde. Vgl. Rothstein, B., Den korporativa staten: intresseorganisationer och statsförvaltning i svensk politik, Stockholm 1992, S. 86 ff.



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se Integration in die Entscheidungsfindung wurde sukzessive auf fast alle Einrichtungen ausgedehnt, die sich mit sozial- oder wirtschaftspolitischen Fragen befassten.98 Zusätzlich unternahm die sozialdemokratische Regierung nach 1950 umfassende Anstrengungen, die Arbeitsmarktparteien durch formelle und informelle Konsultationen einzubinden, um eigene Entscheidungen unter Einbeziehung aller Einzelinteressen möglichst breit abzustimmen.99 Auch in den zahlreichen Kommissionen der Nachkriegszeit, die sich mit notwendigen Branchenrationalisierungen oder einer Modernisierung der krisengeschüttelten Grundstoffindustrie befassten, konferierten Vertreter des Staates mit Gewerkschaften und Arbeitgebern, um eine breite gesellschaftliche Akzeptanz möglicher Einschnitte und Umstrukturierungen zu erreichen.100 Dahinter verbarg sich aber auch die Parteien übergreifende Überzeugung, den Verbänden ein möglichst hohes Maß an Selbstregulierung zuzugestehen, so dass ähnlich wie in Deutschland sich die Funktion des Staates in den industriellen Beziehungen auf eine Rahmengesetzgebung beschränkt. Angefangen von der Prämierung von Verbesserungsvorschlägen in Betrieben bis hin zu Vorruhestandsregelungen wird ein breites Spektrum an Fragen durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Tarifvertragsparteien abgedeckt, die in anderen Ländern durch gesetzliche Bestimmungen 98  Anfangs der 1980er waren dann 5000 SAF-Vertreter und 1000-LO-Vertreter in über 600 öffentlichen Vorständen, Komitees und Räten aktiv. Bis Anfang der neunziger Jahre saßen Vertreter von LO, TCO und der Arbeitgebervereinigung Industriförbundet im Vorstand der Steuerbehörde; die SAF war in den Vorständen der Arbeitsmarktbehörde AMS, der staatlichen Schulaufsicht, in den Leitungsgremien der Universitäts- und Hochschulbehörde und des Reichsversicherungswerks vertreten. Vgl. zu diesem Aspekt vor allem Rothstein, B., Explaining Swedish Corporatism: The Formative Moment, in: Scandinavian Political Studies, Vol. 15, Nr. 3 (1992), S. 173–191. 99  Markantester Ausdruck dieser schwedischen Spielart der konzertierten Aktion waren regelmäßige informelle Gesprächszirkel wie der ‚Donnerstagsklub‘, der Persönlichkeiten aus Gewerkschaften, Industrie und der Regierung versammelte um wirtschaftspolitische Fragen zu erörtern und die zeitweilig angespannten Beziehungen zwischen Regierung, Gewerkschaften und der Industrie zu glätten. Dieses Forum wurde ab 1955 durch die konsultativen Harpsund-Gespräche abgelöst, anlässlich derer die Teilnehmer Themen wie Forschungs- und Entwicklungsinitiativen, die Haltung zur EWG oder wirtschaftspolitische Initiativen diskutierten, ohne dass bindende Entscheidungen getroffen wurden. Zur Bedeutung der ‚Harpsund-Demokratie‘ siehe Lewin, L., Planhushållningsdebatten, Stockholm 1967, S. 383 ff. 100  Die sozialdemokratische Regierung hatte insbesondere in der Nachkriegszeit versucht, durch mehrere tripartistische Kommissionen in Gestalt der sogenannten Branchenräte und Vorschlägen einer indikativen Rahmenwirtschaftsplanung die Wettbewerbsfähigkeit der schwedischen Volkswirtschaft zu verbessern. Solche Vorhaben scheiterten jedoch am Widerstand der Industrie. Zur Geschichte dieser staatlichen Initiativen vgl. vor allem Benner, M., The Politics of Growth: Economic Regulation in Sweden 1930–1994 und Pontusson, J., The Limits of Social Democracy: Investment Politics in Sweden, Ithaca / London 1991.

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geregelt werden.101 Diese Bevorzugung korporatistischer Aushandlungsroutinen erstreckte sich sogar auch auf das institutionelle Feld der beruflichen Ausbildung, bis 1971 alle Berufsausbildungsprogramme formell und organisatorisch der Allgemeinbildung gleichgestellt und in das allgemeine Schulsystem eingegliedert wurden.102 Der legendäre samförståndsandan, also das in der gesamten schwedischen Gesellschaft weit verbreitete Bemühen um Kompromisse erklärt aber nur zum Teil das ubiquitäre Bestreben, durch Einbindung aller Konfliktparteien in institutionelle Arrangements zu einer größtmöglichen Harmonisierung widerstrebender Interessen gelangen. Schon im frühen 19. Jahrhundert wollten ähnlich wie die deutschen Kathedersozialisten die ‚Harmonieliberalen‘ durch Wohlstandsbildung die pauperisierten Arbeiter zu Mitbürgern erheben.103 Umgekehrt zeichnete sich schon früh eine reformistische Ausrichtung der erstarkenden Arbeiterbewegung ab, die unter dem Vorzeichen des funktionalen Sozialismus Mitte der zwanziger Jahre von Vergesellschaftungsvorstellungen Abschied nahm und fast vorbehaltlos die marktwirtschaftliche Produktions- und Eigentumsstruktur akzeptierte.104 Trotz dieser Rahmenbedingungen war Schweden in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts eines der streikanfälligsten Länder in Europa.105 Die Auseinandersetzungen spielten sich zwischen zwei gut organisierten Konfliktparteien ab, deren schnell steigender Mitgliederzuwachs primär einer aggressiven Konfliktstrategie der Arbeitgeber geschuldet war, die bis 1938 eine radikale Senkung und Standardisierung der Löhne und 101  Mit Bestimmungen wie dem Gesetz über Vermittlung bei Streitfragen von 1920, dem Gesetz über Tarifvereinbarungen 1928 und dem Gesetz über das Asso­ ziationsrecht und Tarifverhandlungen 1936 kodifizierte der Staat weitgehend eine bereits stattfindende Praxis. Die Ausnahme bildete die Einführung einer Arbeitsgerichtsbarkeit im Jahr 1928. 102  Zu diesem Aspekt vgl. insbesondere Olofsson, J., Svensk yrkesutbildning – vägval i internationell belysning, Stockholm 2005. 103  Prominente Sozialliberale wie Adolf Hedin, Sven-Adolf Hedlund und Fridtjuv Berg plädierten dafür, eine Sozialgesetzgebung und Arbeitsschutz in Schweden nach deutschem Vorbild durchzusetzen. Vgl. dazu Magnusson, L., Den synliga handen: Nation, stat och det industriella bygget, Stockholm 2005, S. 184. 104  Kaum ein anderes Dokument hat diese Sichtweise so prägnant auf den Punkt gebracht wie der Titel des gemeinsamen Nachkriegsprogramms von LO und sozialdemokratischer Partei aus dem Jahr 1944 unter dem bezeichnenden Titel ‚Effizienz und Demokratie‘: Industrielle Demokratie sollte zu Effizienzsteigerungen führen, genauso wie Sozialpolitik einer höheren Produktivität und Effizienz nicht im Wege stehen sollte. Vgl. Runeby, N., Americanism, Taylorism and Social Integration: Action Programmes for Swedish Industry at the Beginning of the Twentieth Century, in: Scandinavian Journal of History, Vol. 4, Nr. 3 (1978), S. 21–46. 105  Zwischen 1900 und 1927 erreichte die durchschnittliche Konfliktdauer pro Jahr mit 37 Tagen einen international unübertroffenen Spitzenwert. Vgl. Göransson, H., Kollektivavtalet som fredspliktsinstrument: De grundläggande förbuden mot stridsåtgärder i historisk och internationell belysning, Stockholm 1988.



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betrieblicher Sozialleistungen anstrebten. Dabei deutete sich ein Grundkonflikt an, der aufgrund der poaching-Problematik das Feld der industriellen Beziehungen bis in die Gegenwart hinein prägen sollte. Das Dilemma der schwedischen Arbeitgeber vor allem in den Exportbranchen bestand bis in die 1930er darin, einerseits die Löhne niedrig zu halten, um ihre Produkte zu international wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten zu können. Auf der anderen Seite mussten die Arbeitsverdienste steigen, um das Abwandern der Arbeitnehmer in binnenmarktorientierte Branchen einzudämmen und die Anreize zur Emigration in Länder mit relational höheren Entgelten niedrig zu halten.106 Anders als binnenmarktorientierte Wirtschaftszweige konnten die Exportindustrien die Lohnkosten nicht direkt an die Konsumenten weitergeben. Infolge der Bemühungen um eine Deckelung der Lohnzuwachsraten wurde im Durchschnitt zwischen 1919 und 1938 jährlich ein Drittel der Arbeiter in meistens durch die Arbeitgeber verursachte Arbeitskonflikte verwickelt, was den Gewerkschaften immer neue Mitglieder zutrieb.107 Obwohl 1930 bereits zwischen 60 und 80 v. H. aller Entgelte durch Branchentarifverträge normiert wurden, bestand insbesondere die problematische Diskrepanz zwischen Binnenmarktsektoren und Exportindustrien nach wie vor fort. Die Arbeitgeber wollten durch Branchen übergreifende Reichsabkommen ein Ausspielen der Arbeitgeber gegeneinander durch die Gewerkschaften verhindern.108 Aber auch auf der Gegenseite hatte die zwischengewerkschaftliche Solidarität gelitten, da die relational schlechter bezahlten Arbeiter in international exponierten Wirtschaftszweigen nicht einsahen, die höheren Lohnforderungen der Beschäftigten in den Binnenmarktbranchen mittragen zu müssen.109 Dieser Konflikt löste eine Debatte aus, ob die Macht in der LO ebenfalls nicht besser zentralisiert werden müsste, um Lohnsteigerungen in den Binnenmarkt orientierten Branchen zu deckeln und gleichzeitig die niedrigen Entgelte in der Exportwirtschaft zu steigern. 1938 106  Vgl. zur Bedeutung der Emigration Stråth, S., The Organisation of Labour Markets: Modernity, Culture and Governance in Germany, Sweden, Britain and ­Japan, 2. Auflage, London 1997, S. 74. 107  Vgl. dazu Swenson, P. A., Capitalists against Markets: The Making of Labor Markets and Welfare States in the United States and Sweden, Oxford 2002. 108  Obwohl die SAF bei der Lohnzurückhaltung in den international ausgerichteten Industrien Erfolge verzeichnen konnte, waren in den Binnenmarktbranchen signifikante Lohnzuwächse nicht zu vermeiden. Vgl. ebd., Fn. 7, S. 102. 109  Vor allem die hohen Löhne im Baugewerbe und die daraus resultierenden Preise für den Häuserbau und bei den Lebensmitteln reduzierten die Lebensstandards der Arbeiter. Im berüchtigten Bäckerkonflikt von Skromberga 1925 verweigerten Bergleute, deren Löhne 50 v. H. unter dem von den Bäckergewerkschaftern verlangten Tariflohn lagen, deswegen den geforderten Kaufboykott der weiter produzierenden Bäckereien. Dieser Konflikt löste eine Debatte um eine intensivere Zentralisierung in der LO aus, um den Interessen der Niedriglohnindustrien besser Rechnung zu tragen. Vgl. dazu ebd., Fn. 29, S. 198.

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unterzeichneten dann SAF und LO das Abkommen von Saltsjöbaden, das trotz seiner eher bescheidenen praktischen Auswirkungen die doppelten Konfliktlinien in und zwischen den Tarifparteien neutralisierte, indem man informell die Lohnführerschaft der Exportwirtschaft akzeptierte und somit die für Gewerkschaften und Unternehmer gleichermaßen störende poachingProblematik beseitigte.110 Der entscheidende Durchbruch für branchenübergreifende Zentralverhandlungen ereignete sich allerdings erst nach dem Krieg, als nun plötzlich die Exportindustrie mit höheren Löhnen Arbeitskräfte aus den Niedriglohnbranchen abwerben konnte, was die Attraktivität einer intersektoral kontrollierbaren Lohnstruktur in diesem Wirtschaftszweig schlagartig steigen ließ, so dass ab 1956 die Ära der brachenübergreifenden industrieweiten Manteltarifverträge begann.111 Die Arbeitgeber in Hochlohnsparten profitierten unzweideutig von der Lohnzurückhaltung, die den spillover von Lohnforderungen und den Personalumsatz hemmte und insofern schwedische Produkte preislich wettbewerbsfähig hielt.112 Auf der Gegenseite wurde die Zustimmung durch ein wirtschaftspolitisches Leitbild befördert, das die Gewerkschaftsökonomen Gösta Rehn und Rudolf Meidner konzipiert hatten und das auf dem LO-Gewerkschaftskongress 1951 als offizielle Leitlinie verabschiedet wurde.113 Sicherte das System der solida110  Zu den formellen und informellen Aspekten vgl. Appelquist, J., Ett institutionellt perspektiv på den svenska modellen: Effektivitet och institutionell förändring på den svenska arbetsmarknaden från Saltsjöbadsavtalet till Åmanlagarna (Lund Papers in Economic History Nr. 70), Lund 2001. 111  Die hohen Effektivlöhne konterkarierten das von der Regierung verteidigte Primat der Geldwertstabilität, die durch Lohnzurückhaltungsappelle und Preiskontrollen die Tarifparteien zu disziplinieren versuchte. Die Gewerkschaften mussten 1951 / 1952 durch Druck der Regierung und 1956 durch die SAF mit einer Aussperrungsdrohung regelrecht an den Verhandlungstisch gezwungen werden, damit durch ein branchenübergreifendes Zentralabkommen ein inflationstreibender Lohnwettbewerb abgewendet werden konnte. Vgl. Kjellberg, A., Arbetsgivarstrategier i Sverige under 100 år, in: Strøby Jensen, C. (Hrsg.), Arbejdsgivere i Norden: En sociologisk analyse af arbejdsgiverorganiseringen i Norge, Sverige, Finland og Danmark, Kopenhagen 2000, S. 182. Zur den Details der Zentralvereinbarungen vgl. vor allem Fregert, K., Wage contracts, Policy Regimes and Business Cycles: A Contractual History of Sweden 1908–1990, Lund 1994. 112  Das erleichterte die Akzeptanz des von der LO propagierten Prinzips der ‚gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit‘, das, wie die Debatten in dem SAF-Lohnkomitee belegen, nur mit der ‚Zahlungsfähigkeit‘ der Unternehmen in Übereinstimmung gebracht werden musste. Vgl. dazu Swenson, Capitalists, S. 133. 113  Durch die Verringerung der Lohnspreizung sollten nicht wettbewerbsfähige Industrien verdrängt werden, indem durch landesweite, zentral ausgehandelte höhere Lohnsätze für Geringverdiener ineffizient arbeitende Unternehmen zu Rationalisierungen oder zum Marktaustritt gezwungen wurden. Arbeitnehmer, die durch diese forcierte Restrukturierung ihren Arbeitsplatz verloren hatten, sollten mittels einer aktiven Arbeitsmarktpolitik in prosperierende Branchen transferiert werden.



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rischen Lohnpolitik ein hohes Maß an Einkommensgleichheit, so trug sie gleichzeitig zu einer Erhöhung der volkswirtschaftlichen Effizienz durch den Lohndämpfungseffekt bei. Diese Auseinandersetzungen hatten eine andere Frage, nämlich die der Mitbestimmung für längere Zeit in den Hintergrund rücken lassen. Begehrlichkeiten seitens der Gewerkschaften, auch auf betriebliche Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen zu können, hatten zunächst wie ein rotes Tuch auf die Industrie gewirkt: Die berühmte Klausel 23 in der Charta der SAF, die das uneingeschränkte Prärogativ der Arbeitgeber zur ‚Anleitung und Verteilung der Arbeit‘, Einstellungen und Kündigungen und dem Verbot von closed shop-Regularien festschrieb, galt nahezu als sakrosankt.114 Obwohl die Klausel ein Dorn in den Augen der Gewerkschaften war und 1976 durch die Gesetzgebung aufgehoben wurde, verschwendeten sie lange Zeit nur wenig Energie auf die Beseitigung dieses Zustands.115 Das Betriebsräteabkommen von 1946, das die Einrichtung von Betriebsräten für alle Unternehmen verbindlich festschrieb und das bezeichnenderweise ohne staatliche Gesetzgebung im Rahmen von Verhandlungen zwischen den Arbeitsmarktparteien zustande kam, verschaffte den Arbeitnehmern auch keine Einflussmöglichkeiten, die mit dem § 23 verbundenen Vorrechte zu beschneiden.116 Hohe Steuersätze und eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik sollten korrespondierend eine inflationäre Lohnentwicklung wie auch eine zu hohe Gewinnentwicklung im Zaum halten. Überhöhte Lohnsteigerungen sollten über die Kapitalbildung der Pensionsversicherungen als Finanzierungsquelle von Unternehmen abgeschöpft werden. Die in Abschnitt I.2.a) beschriebene Geld- und Finanzpolitik auf der Basis niedriger Zinsen, Kreditrationierungen und Kapitalverkehrskontrollen sollte die Selbstfinanzierung der Unternehmen fördern, so dass nicht hohe Kapitalkosten die Investitions­ tätigkeit und somit das angestrebte Ziel der Vollbeschäftigung behinderten. Die Wirtschaftspolitik der sozialdemokratischen Regierung war seit 1957 mit den Vor­ gaben des Rehn-Meidner-Modells kompatibel. Zu Intentionen und Funktionsweise des Rehn-Meidner-Modells vgl. Erixon, L., A ‚Third Way‘ in Economic Policy – A Reappraisal of the Rehn-Meidner Model in the Light of Modern Economics, in: International Papers in Political Economy, Vol. 9, Nr. 2 (2002), S. 1–61. 114  Die LO-Führung hatte im sogenannten Dezemberkompromiss von 1906 diese Vorrechte vollständig akzeptiert, um im Gegenzug das Recht der Arbeitnehmer auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft durchsetzen zu können. Vgl. Swenson, Capital­ ists, S. 81. 115  Stråth, Organisation, S. 80. 116  Grundsätzlich gab die LO Vereinbarungen mit der SAF immer den Vorzug vor einer Gesetzgebung und wollte die Ausgestaltung einer möglichen Mitbestimmung von einer ihr zugrunde liegenden Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern abhängig machen. Erst mit der Novellierung der Vereinbarung 1966 wurde den Betriebsräten ein größerer Einfluss im Bereich des Personalmanagements und der -planung zugestanden. Die Mitbestimmungsdiskussion in der Nachkriegszeit wird beschrieben bei Schiller, B., Samarbete eller konflikt: medbestämmande i Sve-

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Dass Schweden in der Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern trotz der Organisationsmacht der Gewerkschaften im internationalen Vergleich lange nicht gerade eine Avantgardeposition einnahm, ist wohl darauf zurückzuführen, dass in den Gewerkschaften wirtschaftsdemokratische Vorstellungen ganz in der Tradition des ‚Funktionssozialismus‘ mit dem Effizienz- und Rationalisierungsgedanken verknüpft wurden. Ganz in diesem Sinne hatte der Paragraph §4 des Betriebsräteabkommens von 1966 den Betriebsrat als ‚ein Organ für Information und Konsultation zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern vertreten durch deren gewerkschaftliche Organisationen innerhalb des Unternehmens‘ beschrieben, der sich der Aufgabe annehmen sollte, auf Produktivitätszuwächse und höhere Arbeitszufriedenheit hinzuwirken.117 In der Frage einer Ausdehnung der Mitwirkungsrechte auf die Unternehmensvorstände hatten die Gewerkschaften bis Mitte der siebziger Jahre eine zurückhaltende Haltung vertreten.118 Ähnlich wie auch in anderen Ländern wurden dann in Schweden im Verlauf der siebziger Jahre eine Reihe staatlicher Bestimmungen erlassen, die die Rechte von Arbeitnehmern systematisch stärkten. 1973 wurde den Gewerkschaften eine verbindliche Vorstandsrepräsentation zugesichert. Das Beschäftigungssicherheitsgesetz (LAS) garantierte ab 1974 den Arbeitnehmern verhältnismäßig großzügige Kündigungsschutzregeln einschließlich Sozialauswahlkriterien. Schließlich schrieb das Mitbestimmungsgesetz (MBL) von 1977 die Verhandlungsnotwendigkeiten und -rechte noch einmal generell fest.119 Bezeichnenderweise enthielt rige 1965–1982, in: Fleming, D. (Hrsg.), Industriell demokrati i Norden, Lund 1990, S. 301. 117  Als Aufgaben wurden im Einzelnen festgeschrieben: die Aufrechterhaltung der Absprachen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten; die Steigerung der Einsicht für Beschäftigte in die ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen sowie das Zustandekommen des Geschäftsresultates, die Verbesserung der Sicherheit, des Arbeitsschutzes, des Arbeitsmilieus und der Förderung der Berufsausbildung. 118  Ein interner LO-Bericht über die Möglichkeiten der industriellen Demokratie von 1971 sah die Vorstandsvertretung noch vorrangig als ein Mittel zur Informa­ tionsgewinnung und nicht als Weg zur Partizipation in der Entscheidungsfindung. So lehnte die LO das deutsche Modell einer paritätischen Mitbestimmung sogar entschieden ab, da man die Gefahr von Loyalitätskonflikten der in den Vorstand entsandten Gewerkschaftsvertreter als zu hoch einschätzte. Vgl. Pontusson, Limits, S.  163 f. 119  Das Beschäftigungssicherheitsgesetz LAS von 1974 bestimmt, dass Beschäftigungsverträge von unbestimmter Länge als normiertes Normalarbeitsverhältnis gelten und dass der Arbeitgeber nachvollziehbare Gründe zur Entlassung eines Arbeitnehmers geltend machen muss. Zudem muss im Falle von Entlassungen strikt das Senioritätsprinzip gemäß der last in – first out-Regel angewandt werden. Die Regierung Bildt hat ab 1991 einige arbeitgeberfreundlichere Regelungen durchgesetzt, von der sozialdemokratischen Partei nach ihrem Wahlsieg 1994 fast alle wie-



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dieses Gesetz keine detaillierten Bestimmungen, sondern verpflichtete die Arbeitsmarktparteien darauf, entsprechende Vereinbarungen auf Branchenund auf der Unternehmensebene mittels Abkommen zu konkretisieren. Die Verhandlungen um ein Abkommen in der Privatwirtschaft fanden erst im August 1981 zwischen LO und SAF abgeschlossenen ‚Entwicklungsabkommen‘ (UVA) seine gültige Fassung.120 Anders als im Falle der im deutschen Betriebsverfassungsgesetz festgelegten substantiellen Informations- und Mitbestimmungsrechte werden in Schweden die prozedural gefassten Mitbestimmungsrechte nur in einer Rahmengesetzgebung garantiert. Vor allem hinsichtlich der Reichweite auf Vorstandsebene verbleiben die Bestimmungen unterhalb des deutschen Modells der paritätischen Mitbestimmung. So entsenden die Gewerkschaften nur zwei bis drei Vertreter in den Konzernvorstand, da durch das schwedische Aktienrecht festgeschrieben ist, dass Arbeitnehmer niemals eine Vorstandsmajorität ausüben dürfen.121 Das mit 69 Paragraphen überschaubare MBL muss erst durch entsprechende Vereinbarungen mit den Gewerkschaften auf Branchen- und Unternehmensebene konkretisiert werden, was eine weitgehende Flexibilität und Rücksichtnahme auf betriebliche Eigenarten garantieren sollte.122 Die gewerkschaftlichen Klubs müssen zwar laut Mitbestimmungsgesetz von Anfang an über alle die Arbeitnehmer betreffenden Veränderungen informiert werden, es ist jedoch eine zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften umstrittene Frage, ob Gewerkschaftsvertreter bereits in den Steuerungs- und Planungsphasen zu ­beteiligen sind. Das Mitbestimmungsrecht räumt den Arbeitgebern zudem der rückgängig gemacht wurden. So wurden Probe- oder Zeitanstellungen wieder von 12 auf sechs Monate reduziert und Ausnahmen von der last in – first out-Regel gestrichen. Streikmaßnahmen gegen Einmann- oder Familienunternehmen wurden ebenso wieder zugelassen wie das gewerkschaftliche Vetorecht gegen Arbeitskräfte mit Zeitarbeitsverträgen. 120  Die Verhandlungen wurden vor allem durch die unnachgiebige Position der TCO erschwert. Vgl. Schiller, Samarbete, S. 315. 121  Allerdings tritt in Schweden das Mitbestimmungsgesetz schon bei 25 Beschäftigten in Kraft. Ab 1988 konnte die Arbeitnehmerrepräsentation im Vorstand auf drei Vertreter erweitert werden, falls das Unternehmen mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigte und in verschiedenen Branchen aktiv war. Diese Regelung sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass angesichts der gewerkschaftlichen Vielfalt auch kleineren Verbänden die Möglichkeit einer Vorstandsrepräsentation eingeräumt werden sollte. Vgl. zu der schwedischen Mitbestimmung im Vergleich zum deutschen Modell Schneider, O., Industrielle Beziehungen in Deutschland: das Beispiel der Unternehmensmitbestimmung – zugleich ein Blick auf Schweden und Österreich, in: Walter, H. (Hrsg.), Wachstum, Strukturwandel und Wettbewerb: Festschrift für Klaus Herdzina, Stuttgart 2000, S. 333–374. 122  Vgl. zu den Eigenarten der schwedischen Mitbestimmung im europäischen Vergleich Müller-Jentsch, W. / Sperling, H.-J. / Weyrather, I., Neue Technologien in der Verhandlungsarena: Schweden, Großbritannien und Deutschland im Vergleich (Schriftenreihe industrielle Beziehungen, Bd. 12), München 1997.

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einen weit reichenden Interpretations- und Handlungsspielraum ein und verpflichtet sie vor allem zur Informationsweitergabe.123 Zudem sind grundsätzlich immer erst Verhandlungen auf Betriebsebene vorgesehen und nur im Falle der Nichteinigung muss der Arbeitgeber mit übergeordneten gewerkschaftlichen Instanzen verhandeln. Empirische Untersuchungen zeigen, dass dementsprechend die breite Mehrheit der Vereinbarungen auf Unternehmensebene getroffen wird, was die Herausbildung und Verhandlungsmacht starker betrieblicher Grundorganisationen umso mehr förderte.124 Insgesamt hat die Arbeitsgesetzgebung der siebziger Jahre die Aushandlungspraxis routinisiert und dabei dezentrale Verfahren und Arrangements gefördert. Spielten Unternehmen und betriebliche Grundorganisationen ohnehin eine wichtige Rolle bei der Konkretisierung der Tarifverträge, wurden sie im Rahmen der Aushandlung von Verfahrensinnovationen und Veränderungen in der Arbeitsorganisation noch einmal aufgewertet. Die verhandelte Mitbestimmung hat seither erstens in der betrieblichen Arbeit von Projektund Entwicklungsgruppen und der Heranziehung von externen Beratungsleistungen ebenso ihre Stärke bewiesen wie in der Beteiligung beider Akteure an staatlich geförderten Forschungs- und Aktionsprogrammen zur Arbeits-, Organisations-, und Technikgestaltung.125 Zweitens nahmen die Aushandlungsprozesse eher den Charakter von gemeinsamen Konsultationen als von harten konfliktiven Verhandlungen an, da die Gewerkschaften Gewinnziele und -vorgaben oder auch Restrukturierungen mit Arbeitsplatzverlusten akzeptierten. Umgekehrt bemühten sich Unternehmensleitungen um eine umfassende Information der Arbeitnehmervertretungen und nahmen in Beschlussfassungsprozessen Rücksicht auf deren Belange und Standpunkte. Damit waren die Grundlagen für ein Co-Management gegeben, dass einerseits auf der Akzeptanz der Mitbestimmung durch die Arbeitgeberseite fußt, falls sie nicht als systemveränderndes Mittel zur Infragestellung der eigenen property rights aufgefasst wird. Auf der Gegenseite bekennen sich Arbeitnehmervertretungen zur Effizienzorientierung und zur Verfolgung 123  So präjudiziert § 33 des MBL ausdrücklich eine Interpretationshoheit und § 34 gesteht ihnen ein Interpretationsvorrecht bei der Umsetzung von getroffenen Entscheidungen zu. Die Verhandlungsinitiative liegt immer bei dem Arbeitgeber (§ 11), Der Arbeitgeber muss nicht mit einer weiteren Organisation verhandeln, wenn er nicht durch Abkommen dazu verpflichtet ist (§ 13). Entscheidungen müssen aber immer solange vertagt werden, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. (§ 12). Außerdem kennt dass Gesetz ‚Befangenheitsregeln‘ bei Themen wie Arbeitskämpfen oder Tarifpolitik, bei denen die Arbeitnehmervertreter von Vorstandssitzungen ausgeschlossen werden können. 124  Edlund, S. et al., Views on Co-Determination in Swedish Working Life (Acta Societatis juridicae Lundensis, Nr. 105), Lund 1989, S. 18. 125  Nilsson, T., Fackets nya roll: Från förhandling till partssamverkan i lokalt utvecklingsarbete, in: Arbetsmarknad & Arbetsliv, Vol. 3, Nr. 3 (1997), S. 185–192.



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einzelwirtschaftlicher Interessen, wenn diese auch sozialverträglich ausgestaltet werden sollen.126 Ganz in diesem Sinne wird in der schwedischen Industrie folglich der Mitbestimmungsgedanke nicht mehr in Frage gestellt, so dass eine Mehrheit der VDs und ODs Ende der neunziger Jahre eine Verringerung der Arbeitnehmerrepräsentation in den Kontrollorganen sogar ablehnte.127 Genau wie im Falle der Corporate Governance und der Unternehmensfinanzierung ereignete sich auch im Bereich der industriellen Beziehungen ein weitreichender institutioneller Wandel, der ähnlich wie im Falle der Unternehmensfinanzierung durch pfadabhängige Rigidisierungen verursacht wurde, die immerhin das gesamte schwedische Lohnfindungsmodell zur Disposition stellen sollten. Die gravierendste Veränderung betraf die zentralisierten Tarifstrukturen, die bis in die 1970er Jahre hinein eine lohninduzierte Inflation vermieden hatte, indem eine durch einzelgewerkschaftliche Konkurrenz und Engpässe auf Teilarbeitsmärkten erzeugte Lohn-Preis-Spirale abgewendet werden konnte. Das makrokorporatistische Modell der solidarischen Lohnpolitik hatte jedoch einen entscheidenden Webfehler, da sie nicht betriebliche Entgeltzuschläge unterband. Diese Aufschläge und Lohndriftskompensationsklauseln kristallisierten sich seit 1970 immer mehr als zentrales Problem heraus, als zur Produktivitätsverbesserung und Reduzierung der hohen Absentismusraten die exportorientierten Unternehmen den Bedarf an außertariflichen Entgeltanreizen auf der Unternehmensebene entdeckten und eine Lohndrift erzeugten, auf die immerhin die Hälfte aller Lohnsteigerungen in der Nachkriegszeit entfiel.128 Zur Dämpfung dieser inflationsfördernden Lohnkostenexplosion sollten andere Branchen und vor allem der immer weiter expandierende öffentliche Sektor eine Lohnzurückhaltung praktizieren, wozu allerdings weder die immer mächtiger werdenden Gewerkschaften im öffentlichen Sektor und auch nicht die Geringverdiener 126  Vgl. zum Co-Management in theoretischer Perspektive King, C. D.  / Van de Vall, M., Models of Industrial Democracy: Consultation, Co-Determination and Workers‘ Management, Den Haag / Paris 1978. 127  Dreiviertel der schwedischen VDs antworteten in einer Befragung, dass sie persönlich gute Erfahrungen mit der Mitbestimmung gemacht hätten und mehr als 70 v. H. der Vorstandsmitglieder bewerteten die Arbeitnehmervertretung generell als positiv. Vgl. Levinson, K., Employee Representatives on Company Boards in Sweden, in: Industrial Relations Journal, Vol. 32, Nr. 3 (2001), S. 265 ff.; Levinson, K., Anställdas representation i företagsstyrelser – en enkätundersökning av svenskt ­näringsliv, in: Arbetsmarknad & Arbetsliv, Nr. 2 (2000), S. 81. 128  Diese Lohndriftskompensationsklauseln sollten sicherstellen, dass auch die Niedriglohnbranchen zum Zuge kamen, indem sie durch Aufschläge für die Lohndrift in den Hochlohnbranchen einen Ausgleich erhielten. Zur Entwicklung in den 1970ern vgl. Scharpf, F., Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa, Frankfurt / New York 1987, S.  210 f.

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bereit waren. Gleichzeitig brach der alte doppelte Konflikt zwischen Hochund Niedriglohnbranchen sowie Export- und Binnenmarktindustrie wieder auf. Als die Tarifverhandlungen immer mehr an Konfliktintensität zunahmen mehrten. sich die Stimmen, die einen Ausstieg aus den landesweiten Zentrallohnverhandlungen befürworteten.129 Der langsame Abschied von den Zentralvereinbarungen war jedoch schon ab 1976 durch einen wirtschaftspolitischen Systemwechsel eingeleitet worden, der mit den volkswirtschaftlichen Implikationen des Rehn-MeidnerModells brach.130 Der lohninduzierten Kostenkrise der schwedischen Volkswirtschaft bis 1982 begegneten die Regierungen vor allem mit wiederholten Abwertungen der Krone, was 1983 zu der Situation führte, dass die schwedische Inflationsrate doppelt so hoch war wie die der G7-Länder. Spätestens 1987 war jedoch klar, dass die schwedische Stabilisierungspolitik trotz Vollbeschäftigung ihr Ziel verfehlt hatte: Die Kostensteigerungen waren seit 1982 jedes Jahr wesentlich höher ausgefallen als in den Konkurrenzländern, so dass sich die hohen Inflationsraten verstetigten. Das Problem der Preisniveaustabilisierung wurde nun vollends an die Arbeitsmarktparteien delegiert, aber die anhaltend hohe Arbeitskräftenachfrage war mit weiterer Lohnzurückhaltung nicht mehr in Einklang zu bringen. Der Nachfrageüberschuss auf den Arbeitsmärkten – 1988 meldeten 63 v. H. der schwedischen 129  Ohnehin wurde das Verhandlungsklima durch die Idee der Lohnverdienerfonds zusätzlich belastet, in denen die Arbeitgeber einen kryptosozialistischen Angriff auf ihre Handlungsfreiheit witterten. 1976 wurde auf dem LO-Kongress der Plan vorgestellt, private Gewinne teilweise abzuschöpfen und an Fonds zu übergeben, die der Kontrolle paritätisch besetzter Vorstände unterstanden. Eine Grundintention war die Beschneidung ‚exzessiver Profite‘, die durch die solidarische Lohn­ politik hervorgerufen worden waren, um sie in produktive Investitionen umzulenken. Im Hintergrund wirkten auch Vorstellungen einer Demokratisierung der Unternehmensentscheidungen, um dadurch MNUs von der Abwanderung ins Ausland abhalten zu können. Der Vorschlag stieß auf den heftigen Widerstand der Industrie. Nach langwierigen Diskussionen führte die sozialdemokratische Regierung 1984 eine weithin entschärfte Variante mit fünf Regionalfonds unter der Leitung paritätisch besetzter Vorstände ein, die jedoch von der Arbeitgeberseite boykottiert wurden. Die Finanzierung erfolgte über erhöhte Pensionsversicherungsabgaben und eine Gewinnteilungssteuer in Höhe von 20 v. H. des Gewinns der Aktiengesellschaften, um die Mittel in schwedischen Aktienunternehmen anzulegen. 1992 schaffte die bürgerliche Regierung die Fonds vollständig ab. Zu den Lohnverdienerfonds vgl. die Studie von Viktorov, I., Fordismens kris och löntagarfonder i Sverige, Stockholm Studies in Economic History, Nr. 51, Stockholm 2006. 130  Vgl. zu dem Zusammenwirken zwischen lohnpolitischen Entwicklungen und veränderten volkswirtschaftlichen Rahmensetzungen die Darstellung in Swenson, P. / Pontusson, J., The Swedish Employer Offensive against Centralized Bargaining, in: Iversen, T. / Pontusson, J. / Soskice, D. (Hrsg.), Unions, Employers, and Central Banks: Macroeconomic Coordination and Institutional Change in Social Market Economies, Cambridge / Mass. 2000, S. 77–106.



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Industriebetriebe einen Facharbeitermangel – verunmöglichte es den Gewerkschaften geradezu, mäßige Tarifverträge abzuschließen. Bereits 1983 hatte die Metall-Gewerkschaft dem Angebot des Arbeitgeberverbandes höherer, aber rein branchenspezifischer Lohnzuwächse nicht widerstehen können. Ab 1988 verschoben sich auch innerhalb der LO die Prioritäten hin zu einer ‚solidarischen Arbeitspolitik: Analog zu der Funktionslogik der solidarischen Lohnpolitik sollte eine abgeflachte Arbeitsorganisation und Weiterbildungsangebote Geringverdiener dazu befähigen, über den Erwerb neuer Qualifikationen ihre Verdienstmöglichkeiten zu steigern.131 Im Februar 1990 setzte dann allerdings die SAF mit einer endgültigen Absage an reichsweite Abkommen den Schlusspunkt in der fast vierzigjährigen Geschichte der Landesmanteltarifverträge. Mit dem Zusammenbruch sahen sich die Akteure einem institutionellen Vakuum gegenüber, das offen ließ, ob die Entwicklung nicht in einer kompletten Flexibilisierung und Dezentralisierung der Tarifverhandlungen nach angelsächsischen Vorbild kulminieren würde. Sogar eine komplette Abkehr von der schwedischen Tradition des Makrokorporatismus stand im Raum, nachdem die SAF sich 1991 aus sämtlichen Leitungsinstanzen der öffent­ lichen Behörden zurückgezogen hatte.132 Zunächst versuchte die Regierung nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch der sogenannten RehnbergKommission mit verordneten Lohnstopps und Streikverboten der grassierenden Inflation Herr zu werden. Eine tripartistische Mediationskommission konnte mit einer zweijährigen Stabilisierungsvereinbarung bis 1992 mit einem bedeutend niedrigeren Lohnsteigerungszuwachs erstmals die LohnPreisspirale durchbrechen. Mit dieser Kommission zeichneten sich zum ersten Mal die Konturen eines neuen Lohnaushandlungsregimes ab, um die Tradition konsensstiftender Vereinbarungen auf nationaler Ebene fortzuführen. Hatten sie bisher entschieden auf der Tarifautonomie insistiert, ließen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften nun darauf ein, unter Einbeziehung 131  Zur solidarischen Arbeitspolitik vgl. insbesondere Nilsson, T., The Future Role of the Swedish Unions: Increased Local Cooperation for Production, in: Economic and Industrial Democracy, Vol. 20, Nr. 3 (1999), S. 461–482; Mahon, R., From Solidaristic Wages to Solidaristic Work: A Post-Fordist Historic Compromise from Sweden? in: Clement, W. / Mahon, R. (Hrsg.), Swedish Social Democracy: a Model in Transition, Toronto 1994, S. 385–314. 132  Daraufhin schloss die bürgerliche Regierung auch die Gewerkschaftsvertreter aus. Ungeachtet des proklamierten Rückzugs existieren immer noch Gremien wie der SAF-LO-Arbeitsmarktrat und der Berufssicherheitsrat. Befragungen von ehemaligen Mitgliedern zeigen jedoch, dass anders als zuvor in solchen Gremien nicht mehr nach gemeinsamen Lösungen gesucht wird, sondern die Tarifparteien dazu neigen, nunmehr nur die eigenen Forderungen zu präsentieren. s. Rothstein, B. / Bergström, J., Korporatismens fall och den svenska modellens kris, Stockholm 1999, S. 101 ff.; Kjellberg, Sweden, S. 94.

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von Mediatoren und wissenschaftlich erarbeiteter Leitlinien zu verhandeln.133 Die Vermittler strebten Tarifverträge mit einer möglichst langen Laufzeit ohne Kompensationsklauseln und zugleich eine erweiterte Lohnfindung auf der Unternehmensebene an. Vor allem bildeten die Verhandlungen den Auftakt zu einer normengeleiteten Lohnfindung, die von dem LOÖkonomen Per-Olof Edin initiiert wurde und die als EFO-Modell das Zustandekommen weiterer Tarifabkommen nachhaltig beeinflussen sollte. Die lohnsetzende Leitfunktion der Exportwirtschaft wurde nun vorbehaltlos anerkannt.134 Nach erneuten harten Tarifauseinandersetzungen Mitte der neunziger Jahre verpflichteten sich acht Gewerkschaften und 12 SAF-Verbände im März 1997 im Rahmen des sogenannten Industriavtalet auf die Befolgung der Tarifempfehlungen, die unter Anleitung von Mediatoren von einer bipartistischen Kommission ausgearbeitet wurden.135 Das 1999 erneuerte Abkommen entsprach mit seinen moderaten Lohnsteigerungen nicht nur wissenschaftlichen Normenvorgaben, sondern kam mit seiner sechsjährigen Laufzeit den Bedürfnissen der Arbeitgeber entgegen. Zugleich verkörperte es einen Durchbruch für die Arbeitnehmervereinigungen, weil die vollkommene Dezentralisierung der Tarifabkommen und das Auseinanderdriften der Gewerkschaften abgewendet werden konnte.136 Die Abkommen hatten nicht 133  Vgl. dazu detailliert Elvander, N. / Holmlund, B., The Swedish Bargaining System in the Melting Pot: Institutions, Norms and Outcomes in the 1990s, Solna 1997; Elvander, N., Avtalsrörelsen 2001: Den nya lönebildningsregimen på prov, in: Ekonomisk Debatt, Vol. 31, Nr. 1 (2003), S. 16. 134  Das EFO-Modell (benannt nach den LO- und SAF-Ökonomen Edin, Faxén und Odhner) modellierte einen geschützten und international offenen Sektor. Die Lohnführerschaft sollte beim exponierten Sektor liegen und der dortige Nominallohnzuwachs dem Inflationsausgleich und Produktivitätszuwachs entsprechen. Da die Produktivität im geschützten Sektor langsamer anstieg, ging bei gleicher Lohnentwicklung von dort immer ein leichter Inflationsdruck aus, der aber laut den Annahmen des Modells verkraftet werden konnte, solange die Wettbewerbsfähigkeit des exponierten Sektors gewahrt blieb. Nachfolger des EFO-Modells wurde 1998 das FOS-Modell, das die Volkswirtschaft in einen Exportsektor, einen privaten und öffentlichen geschützten Sektor unterteilte. Vgl. dazu Ryner, Capitalist Restructuring Globalization and the Third Way: Lessons from the Swedish Model, London / New York 2003, S. 136. 135  Die Vereinbarungen umfassen prozedurale Regeln für Lohnverhandlungen und eine Verpflichtung zur Kooperation. Ein gemeinsames ‚Industriekomitee‘ – zusammengesetzt aus führenden Repräsentanten der Arbeitgebervereinigungen und Gewerkschaften – berufen die Mitglieder eines ‚ökonomischen Rates‘ mit vier unabhängigen Ökonomen und einer Gruppe von unparteiischen Vorsitzenden, die als Mediatoren in Lohnverhandlungen wirken und selbst das Recht zur ‚Einfrierung‘ von Konflikten für zwei Wochen haben. Vgl. dazu Albåge / Larsson, Industriavtalet. 136  Ab 1997 firmierte diese verbandsübergreifende Allianz einschließlich der acht größten Gewerkschaften unter dem Namen Facket inom industrin, die fortan als permanentes Kooperationsorgan fungierte. Das 1992 gegründete Tarifverhandlungs-



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nur zur Folge, dass die Arbeitgebervereinigung der mechanischen Industrie ihre Opposition gegen Zentralvereinbarungen aufgab, sondern dass sich der tarifäre Deckungsgrad auf nahezu alle Kernbranchen der schwedischen Industrie erstreckte. Die neue Gestalt der Lohnaushandlung basierte vor allem auf der Stärkung des bis 1990 kaum entwickelten Schlichtungswesens, das seit Herbst 1995 einen fast regelgleichen Charakter erhalten hatte. Immerhin erhielten im Jahr 2000 60 v. H. der Beschäftigten ihre Arbeitseinkommen infolge von durch Vermittlung zustande gekommenen Tarifabkommen.137 Die Verpflichtung auf konsensstiftende Aushandlungsverfahren führte dazu, dass in Schweden nach einer kurzen Phase vermehrter Arbeitskonflikte zwischen 1970 und 1990 nach wie vor im Vergleich zu anderen west­ lichen Ländern eine niedrige Konfliktintensität aufweist. Auch wenn die Arbeitgeber lange Tariflaufzeiten und einen vergrößerten Spielraum für Arbeitsplatzverhandlungen erreichten, konnten die Gewerkschaften sicher sein, dass das System überbetrieblicher Lohnvereinbarungen intakt blieb.138 Die zunehmende Inzidenz von Tarifflucht und Tarifbruch, wie sie andere Regime industrieller Beziehungen in Europa hinnehmen mussten, ist in Schweden ausgeblieben. Insgesamt verlagerte sich während der 1990er jedoch die Tariffindung von Zentral- auf Unternehmensebene: Zentralverhandlungen wurden durch Branchenverhandlungen ersetzt und Branchentarife wiederum durch eine betriebliche Lohnfindung.139 Gleichzeitig sollten in den Betrieben Mitarbeiterabkommen nicht nur die überkommene Trennung in Arbeiter und Angestellte, sondern auch flexiblere Vereinbarungen über Arbeitszeit, Arbeitseinsatz und Entlohnung ermöglichen. Manteltarifbündnis Metall-SIF-CF bildet den Kern einer gewerkschaftlichen Allianz. Diese innerverbandliche Kooperation fand ihre Entsprechung in der Gründung von sieben Branchenvereinigungen innerhalb der SAF, die die Koordination effektiver ausgestalten sollte. 2000 diente das Industriavtalet als Modell für die Verhandlungsordnung im öffentlichen Sektor, die in Zukunft von einer im gleichen Jahr eingerichteten staatlichen Schlichtungsbehörde angeleitet werden sollte. 137  Das staatliche Vermittlungsinstitut Statens Förlikningsmannaexpedition gab es bereits seit 1906. Die neue Behörde konnte verbindliche Zeitpläne festlegen und eine verbindliche Schlichtung einleiten, sobald das Risiko eines Arbeitskampfes ersichtlich wurde. Auch konnten vor dem Auslaufen alter Tarifabkommen neue Vereinbarungen geschlossen werden. 138  Bei der Durchsetzung von kollektiven Tarifverträgen zeigten sich die schwedischen Gewerkschaften in jeglicher Hinsicht kompromisslos: Da das schwedische Streikrecht den Einsatz von Blockaden und auch von Sympathiestreiks zulässt, wurde davon rege Gebrauch gemacht, um Unternehmen – darunter auch eine begrenzte Anzahl ausländischer Unternehmen – zur Anerkennung bereits gültiger Tarifverträge zu zwingen. Vgl. dazu Lindberg, H., Konflikt, konkurrens och korporativa karteller – Nya konfliktmönster och konfliktdimensioner på svensk arbetmarknad 1993–2005, Konferenzpapier Umeå, 7.–8. Mai 2007, Diagramm 3, Tabelle 6, S. 23, 25. 139  Kjellberg, Restoring, S. 92.

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verträge ließen im höheren Ausmaß als zuvor eine individuelle und differenzierte Lohnfindung gewichtet nach Verantwortlichkeit und Schwierigkeit der Beschäftigung, individueller Leistungsfähigkeit, Schwierigkeit und dem Prinzip steigernder Entlohnung im Falle zunehmender Verantwortlichkeiten zu.140 Das verringerte den Effekt einer solidarischen und egalitär orientierten Lohnpolitik genauso wie Gewinnbeteiligungssysteme und Vorzugsaktien, die während der 1990er eine größere Verbreitung gewannen.141 d) Das Branchensystem Das bisher im Feld der Unternehmensfinanzierung und -kontrolle sowie der industriellen Beziehungen dokumentierte Primat kooperativer oder hierarchischer Mechanismen lässt sich ebenso im schwedischen Branchensystem nachweisen, auch wenn das vorhandene Quellenmaterial es nicht zulässt, dessen Strukturen in seinem historischen Entwicklungskontext nachzuzeichnen. Liberale und korporative Marktökonomien unterscheiden sich im Hinblick auf das Branchensystem erstens hinsichtlich der Beschaffenheit der Marktstruktur beziehungsweise den Teilnehmerzahlen des Marktes; zweitens im Bezug auf Marktordnung, die durch ordnungspolitische Rahmensetzungen bestimmt wird; drittens im Ausmaß der Zusammenarbeit in Gestalt von befristeten Allianzen, Netzwerken und die Unterstützung des Technologietransfers durch öffentliche Einrichtungen und schließlich viertens in den Beziehungen zu den Zulieferern. Was die Marktstrukturen in Schweden grundlegend auszeichnet, ist das massierte Vorkommen mono­ poloider oder duopolider Marktformen in einzelnen Wirtschaftszweigen, obwohl die schwedische Wirtschaftspolitik zu keinem Zeitpunkt die gezielte Formierung von national champions betrieb.142 Nicht selten wirkten Markt140  Elvander / Holmlund,

Swedish Bargaining System, S. 29 f. C., Spelets regler: Institutioner och lönebildning på den svenska arbetsmarknaden 1850–2000, Stockholm 2002, S. 267 ff. 142  So müssen Alfa-Laval (Separatoren), SKF (Kugellager), Atlas Copco (Kompressoren und Bergbaubohrmaschinerie), Ericsson (Telekommunikation) und ABB (Stromerzeugung und Transmissionssysteme) keine Rücksicht auf einheimische Konkurrenten nehmen, auch weil sie ihre Marktdominanz nutzten, Wettbewerber schon in einem frühen Wachstumsstadium aufzukaufen. Vgl. Schybergson, P., Large Enterprises in Small Countries, in: Larsen, H.-K. (Hrsg.), Convergence? Aspects on the Industrialisation of Denmark, Finland and Sweden 1870–1940 (Commentationes Scientarium Socialium Nr. 58), Helsinki 2001, S. 145. Unternehmen profitierten eher davon, dass Aufgaben der öffentlichen Hand, die in anderen Ländern durch Staatsbetriebe oder Behörden wahrgenommen wurden, an private Betreiber delegiert wurden. So wurde 1946 Vattenfall das alleinige Recht zum Bau und Unterhalt des Elektrizitätsnetzes und Telegrafverket zum Betrieb des Telekommunikationsnetzes überlassen; in der Luftfahrt konnten sich die Fluggesell141  Lundh,



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strukturen in Schweden außerdem so, als seien Branchensegmente und internationale Märkte unter Wettbewerbern systematisch aufgeteilt worden.143 Unternehmen scheinen dennoch im Grundsatz die jeweilige Produktdomäne des einheimischen Konkurrenten zu respektieren, wie die Spezialstahl- oder Pharmaziehersteller, die sich auf ihr Produktsegment beschränkten und so dem unmittelbaren Wettbewerb untereinander auswichen.144 Diese Wettbewerbskonstellationen sollten jedoch nicht zur Schlussfolgerung verleiten, dass innerhalb des inter-company-Systems angesichts des ohnehin hohen Marktvermachtungsgrades ansonsten kompetitive Beziehungen zwischen Konkurrenten vorherrschten. So nutzten schwedische Unternehmen nahezu jede Gelegenheit, den preisgesteuerten Austausch von Produkten mittels einer ganzen Reihe von Kooperationsformen zu umgehen. Seit der ersten Trustifizierungswelle in den 1890ern hatten schwedische Unternehmen selten eine Möglichkeit ausgelassen, Verkaufsabsprachen einzugehen, so dass in den 1920ern ein Bericht zu dem Schluss kam, dass in Schweden vielleicht mehr als in jedem anderen Land Kartellbildungen an der Tagesordnung waren.145 1989 wurden 15 v. H. der gesamten Verkäufe von Gütern und Dienstleistungen in Schweden durch Kartellvereinbarungen arrangiert, von denen 55 v. H. wiederum durch Preisfestsetzungsvereinbarungen zustande gekommen waren, die beispielsweise in den USA per se schaften SAS und Linjeflyg auf ihrem Heimatmarkt unbeschwert von jeglicher Konkurrenz entfalten. Solche Monopole waren zwar auch in anderen Ländern üblich, aber entweder unterlagen sie wie in den USA einer scharfen behördlichen Kontrolle oder es waren wie in Frankreich ohnehin staatliche Unternehmen. Vgl. zur Geschichte und Rolle dieser Unternehmen Kaijser, A., I fädrens spår: den svenska infrastrukturens historiska utveckling och framtida utmaningar, Stockholm 1994. 143  Saab-Scania konnte in Schweden vor allem von Lieferverträgen mit öffent­ lichen Einrichtungen profitieren und konzentrierte seine Anstrengungen auf den europäischen Raum, während Volvo schon früh versuchte, überseeische Märkte zu erschließen. Ähnliche Aufteilungen finden sich beispielsweise bei Frontladern, bei denen Ålö-Maskiner in Europa und Nordamerika präsent war, Bergsjö-Trima sich hingegen auf Skandinavien beschränkte. Vgl. zu diesen Strategien Porter, M. / Sölvell, Ö. / Zander, I., Advantage Sweden, Basingstoke 1993, S. 178 f. 144  In etlichen Fällen hat eine solche duopolistische Binnenmarktrivalität nicht nur das Ausweichen auf ausländische Märkte befördert, sondern auch das Hervorbringen technologischer Neuerungen. So stand die Entwicklung neuer Lastwagenserien bei Volvo und Scania zeitweise ganz im Zeichen des Bestrebens, den Konkurrenten zu überflügeln. Dergleichen ereignete sich bei Sandvik und Fagersta, die sich gegenseitig dazu trieben, angesichts der Wettbewerbsvorteile des Konkurrenten selbst neue Innovationen hervorzubringen. Vgl. Sölvell, Ö., Internationell konkurrenskraft måste sökas hos företagen, in: Bengtsson, E. / Ems, E. (Hrsg.), Exportindustrins Framtid: är konkurrenskraft i fara? (SIND 1988:2), Stockholm 1988, S. 136. 145  Magnusson, L., An Economic History of Sweden, London 2000, Fn. 23, S. 159.

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strafbar waren.146 Diesem marktaversen Verhalten setzten weder bürgerliche noch sozialdemokratische Regierungen ernsthaften Widerstand entgegen. Nicht nur im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern, sondern auch europäischen Staaten zeichnete sich die schwedische Wettbewerbspolitik seit dem ersten Kartellgesetz 1946 durch eine bemerkenswerte Laxheit aus.147 Trotz einiger Verschärfungen durch die Gesetzesnovellen in den Jahren 1953, 1956 und 1982 – so wurden feste Bruttopreise und die Bildung von Angebotskartellen 1953 untersagt – durften Kartellvereinbarungen weitgehend uneingeschränkt genutzt werden, auch wenn sie zuvor von einem Preis- und Kartellamt genehmigt werden mussten und im Falle der ‚Zuwiderhandlung gegen öffentliche Interessen‘ annulliert werden konnten. Noch 1992 wurden insgesamt 1250 Kartellvereinbarungen registriert.148 Bezeichnenderweise wurde diese freizügige Praxis nicht durch einen politischen Paradigmenwechsel, sondern durch die Übernahme supranationaler Normen in Gefolge des angestrebten Beitritts zur Europäischen Union bewirkt: Die 1993 durchgesetzte Modifikation des Wettbewerbsrechts als Vorwegnahme der EU-Bestimmungen erachtete Preisabsprachen oder Marktanteilvereinbarungen fortan als illegal. Dementsprechend wurde im gleichen Jahr das Kartellregister aufgelöst und eine neu eingerichtete Wettbewerbsbehörde wachte über die Einhaltung der neuen Marktordnung.149 Die politisch tolerierte Marktmacht spiegelte sich nicht nur in den Teilnehmerzahlen des Marktes, sondern ebenso in der Struktur der Unterneh146  Zu dem gesetzlichen Kartellbestimmungen vgl. Fölster, S. / Peltzman, S., The Social Costs of Regulation and Lack of Competition in Sweden: A Summary, in: Freeman, Welfare State, S. 315. 147  Sieht die Antitrust-Tradition angelsächsischer Marktwirtschaften die produktive und allokative Effizienz am Besten durch Wettbewerb in den Produkt- und Faktormärkten gewährleistet, wird diese Aufgabe in nordischen Volkswirtschaften in der Bewährung der Unternehmen im internationalen Wettbewerb gesehen. Vgl. Hjalmarsson, L., The Scandinavian Model of Industry Policy, in: Blomström, M. / Meller, P. (Hrsg.), Diverging Paths: Comparing a Century of Scandinavian and Latin American Economic Development, Washington 1991, S. 246. 148  Die Wettbewerbsbehörde, die durch ein der makrokorporatistischen Tradition entsprechend tripartistisch besetztes Kontrollorgan angeleitet wurde, sollte ein Kartellregister führen, bei der auch solche Abkommen angemeldet werden sollten, die keine marktverzerrenden Effekte hatten. Ein Überblick zu Kartell- und Preisabsprachen bis Mitte der achtziger Jahre findet sich in Konkurrensen i Sverige: en kartläggning av konkurrensförhållandena i 61 branscher, (Rapport till konkurrenskommittén, SOU 1991:28), Stockholm 1991. 149  Vereinbarungen zwischen kleinen Unternehmen sind noch ausnahmsweise gestattet, wenn sie dadurch den Druck auf große Unternehmen verstärken. Vgl. zur Deregulierung der Wettbewerbspolitik in Schweden Bergman, M. A., Competition Law, Competition Policy and Deregulation, in: Swedish Economic Policy Review, Vol. 9 (2002), S. 93–128.



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menslandschaft wider, die sich im Kern als eine große Anzahl Produkt spezialisierter Großunternehmen beschreiben lässt, die immer wieder erfolgreich bewiesen haben, dass sie zu eigener Erneuerung und Hervorbringung neuer Innovationen in der Lage waren. Wurden neue Innovationsfelder in anderen Volkswirtschaften in der Regel durch kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) erschlossen, so fällt im Falle Schwedens auf, dass dieser Unternehmenstypus relativ schwach ausgeprägt war. Neu entstehende Unternehmen wiesen häufig eine enge organisatorische Anknüpfung an etablierte Großunternehmen auf, wie das Kugellagerunternehmen SKF aus Gamlestaden entstand und der Automobilkonzern Volvo wiederum als spinoff aus SKF hervorging. Noch 1989 entstanden von 100 Innovationen zwar 40 in kleineren Firmen, aber 50 v. H. dieser Unternehmen hatten ihre Ursprünge wiederum in einem Großunternehmen.150 Auch ansonsten wurden die Beziehungen durch finanzielle Verbindungen und Eigentümerrelationen weiter gepflegt. Solche Ausgründungen aus Großunternehmen waren lange ein markantes Kennzeichen des schwedischen Branchensystems, bevor mit staatlicher Hilfe der in den neunziger Jahren entstehende Risikokapitalmarkt eigenständige Unternehmensgründungen förderte.151 Obwohl die Anzahl der KMUs in diesem Jahrzehnt leicht gewachsen ist, hat Schweden bemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt nach wie vor mehr Großunternehmen als jedes andere Land, die zudem auf eine lange Geschichte zurückblicken können. Zieht man die Umsatzwerte als Indikator heran, dann wurden 35 der größten 50 schwedischen Firmen, die 2000 tätig waren, vor 1914 gegründet.152 Diese Präponderanz der Großunternehmen machte sich auch in der Hervorbringung von Innovationen bemerkbar: Basiert auf einem Sample mit 150  Nicht selten wurde eine Innovation noch in dem Stammunternehmen entwickelt, in denen der Erfinder noch tätig war und in fünf von acht untersuchten Fällen wurde das anschließend ausgegliederte spin-off von einem anderen Unternehmen in einer späteren Phase aufgekauft. s. dazu Granstrand, O. / Alänge, S., The Evolution of Corporate Entrepreneurship in Swedish Industry: Was Schumpeter Wrong? In: Journal of Evolutionary Economics, Vol. 5, Nr. 2 (1995), S. 144. Auch eine andere Studie dokumentiert, dass 66 v. H. ihrer Panelunternehmen Abkoppelungen waren, bei denen die Geschäftsidee bei einem anderen Unternehmen entstand. Vgl. Dahlstrand, L., Growth and Incentiveness in Technology-Based Spin-off Firms, in: Research Policy, Vol. 26, Nr. 3 (1997), S. 331–344. 151  Eine Studie zur Gründungshäufigkeit zwischen 1920 und 1991 dokumentiert, dass besonders seit den fünfziger Jahren die Zahl der jährlichen Firmenanmeldungen trotz umfassender staatlicher Förderungsangebote drastisch abnahm. Vgl. Braunerhjelm, P. / Carlsson, B., Entreprenörskap, småföretag och industriell förnyelse 1968– 1991, in: Ekonomisk Debatt, Vol. 21, Nr. 4, (1993), S. 317–328. 152  NUTEK / ALMI, Tre näringspolitiska utmaningar – Allianser för hållbar tillväxt, Stockholm 2001.

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

international erfolgreichen Innovationen, die ihren Patenthaltern einen Umsatz von mindestens 20 Mio. Skr einbrachten, lässt sich zeigen, dass auf kleinere und mittlere Unternehmen nur 20 v. H. der technischen Neuerungen, hingegen auf Großunternehmen 76,5 v. H. entfielen.153 Alleine 14 MNUs trugen mit 77,4 v. H. zu den gesamten schwedischen FuE-Aufwendungen bei.154 Die tendenzielle Randständigkeit technologisch versierter mittelständischer Unternehmen hat dazu geführt, dass schwedische Zulieferer anders als in Deutschland nur in Ausnahmefällen zu Weltmarktführern aufsteigen konnten. Bezeichnenderweise haben schwedische Großunternehmen bei der Auswahl von Technologien, Material, Komponenten und Maschinerie häufig ausländischen Teileherstellern den Vorzug gegeben.155 Wie eine Studie aus den achtziger Jahren zeigt, tendierten schwedische Zulieferer dazu, sich durch eine niedrigere FuE-Intensität auszuzeichnen und nur technisch wenig komplexe Operationen durchzuführen. Zudem waren nur wenige einheimische Zulieferer in der Lage, einheimischen Großunternehmen ins Ausland zu folgen: Von 140 schwedischen Teileherstellern lieferten nur vier v. H. ihres Outputs an Tochtergesellschaften schwedischer MNUs, während gleichzeitig die gleichen Abnehmer in Schweden für 43 v. H. ihres Umsatzes aufkamen. Viele Zuliefererunternehmen hatten folglich schon in den achtziger Jahren mit Schwierigkeiten zu kämpfen, der Internationalisierung ihrer Abnehmer auf eine angemessene Weise zu begegnen.156 Die Zusammenarbeit im Rahmen von Kartellen war aber nur eine Variante strategischer Koordination genauso wie die zahlreichen Vertriebsallianzen, von denen für den Verkauf technisch kompatibler Systeme ausgiebig Gebrauch gemacht wurde.157 Anders verhält es sich, wenn Wertschöpfungs153  Nur in für die schwedische Wirtschaft tendenziell untypischen Innovationsfeldern wie Computern, Büroausrüstung und nicht-elektronischer Maschinerie lässt sich eine Vorrangstellung kleinerer und mittlerer Unternehmen ausmachen. Hingegen sind in nahezu allen Leitbranchen der schwedischen Industrie wie der Forstwirtschaft, dem Maschinenbau sowie der Eisen- und Stahlindustrie Großunternehmen Ausgangspunkt von Innovationen. Nur die Pharmazie als eine in den siebziger Jahren entstehende Branche jüngeren Datums musste sich vollständig auf universitäre Innovationen verlassen, als der einzige Bereich, in dem der Staat indirekt eine Rolle als Technologieinitiator einnahm. Vgl. Granstrand, O. / Alänge, Evolution, S. 139. 154  Davon entfielen auf die Fahrzeugindustrie in Gestalt von Volvo und SaabScania alleine 30 v. H. Vgl. die Angaben bei Granstrand, O. / Alänge, Evolution, Tabelle 3, S. 141. 155  Statens Industriverk (SIND), Svenska underleverantörer i dag – i morgon: importkonkurrerande leveranser av insatsvaror till svensk verkstadsindustri (SIND 1982:13), Stockholm 1982. 156  Braunerhjelm, P., Svenska underleverantörer och småföretag i det nya Europa, in: The Journal of the Economic Society of Finland, Vol. 44, Nr. 4 (1991), S. 219– 228. 157  Porter / Sölvell / Zander, Advantage.



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes71

abschnitte und Produktionsstufen einbezogen werden, die den technologischen Kern einzelner Unternehmen tangieren. Schwedische Unternehmen haben durch die Nutzung meist zeitlich begrenzter Allianzen einen Weg gefunden, mittels projektbezogener Anstrengungen Produktentwicklungsabschnitte oder Verfahrensinnovationen gemeinsam zu organisieren und auf diese Weise nicht nur die Kosten im Zaum zu halten, sondern durch die potenzierte Wissensakkumulation neue Technologien oder Anwendungstechniken hervorzubringen. Charakteristisch für das schwedische Branchensystem war die Existenz zahlreicher development pairs, die unter gelegentlicher Einbeziehung öffentlicher Technologieförderungsangebote die Hervorbringung bestimmter Innovationen vereinfachen sollten. In zeitlicher Hinsicht konnte diese Zusammenarbeit von einem tagtäglichen lockeren informellen Austausch bis hin zu groß angelegten Projekten mit einer Zeitspanne über mehrere Jahre reichen. Im Gegensatz zu Beziehungen, in denen ein großes Unternehmen als Prinzipal und zahlreiche Satellitenfirmen als Agenten auftreten, arbeiteten die Unternehmen als Vertragspartner zusammen, die Aufgaben und Risiken genauso wie Gewinne und Verluste teilten und eigene Innovationsresultate zum Endprodukt beisteuerten.158 Solche Entwicklungsprojekte konnten bis zu zwanzig Jahren andauern, um beispielsweise eine zufrieden stellende Materialqualität zu erreichen. In einigen Fällen kam es zur Ausbildung von Netzwerken, in denen die Wertschöpfung gleich mehrerer Unternehmen überbetrieblich angeordnet wurde159 Diese laterale Integration im Rahmen von Allianzen und development pairs reichte auch über die Grenzen der jeweiligen Wirtschaftszweige hinaus, bei der staatliche 158  Auf diese Weise konnten Fläkt und Götaverken infolge einer schon 1927 eingeleiteten Zusammenarbeit eine führende Position auf den Weltmärkten erringen, weil Umweltkontrollinstrumente von Fläkt bei Reinigungssystemen mit den elektrostatischen Luftfiltern von Götaverken kombiniert wurden. Ähnlich gelang es Vattenfall, durch die Zusammenarbeit mit ASEA seine Starkstromübertragungstechniken deutlich zu verbessern und 1954 das erste Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystem der Welt in Betrieb nehmen. Vgl. Glete, J., High Technology and Industrial Networks: Some Notes on the Cooperation between Swedish High Tech­ nology Industries and their Customers, Konferenzpapier „International Research Seminar on Industrial Marketing“, Stockholm, 29.–31. August 1984, Stockholm 1984, S. 18. 159  So brachte eine langfristig orientierte Kooperation zwischen Stahlproduzenten in den fünfziger Jahren Ferritaustenitstähle mit hoher Korrosionsresistenz hervor. Weitere Erfolgsbeispiele waren der von ASEA / ABB und der Eisenbahngesellschaft SJ entwickelte Hochgeschwindigkeitszug X-2000 oder die Mehrzweckkampfflugzeuge der JAS-Serie, bei deren Konstruktion Saab, das Materialbeschaffungssamt der Streitkräfte und eine Reihe weiterer Unternehmen zusammenwirkten. Beispiele für solche devel­opment pairs finden sich bei Håkansson, H. et al., Industrial Technological Devel­opment: A Network Approach, London 1989, S. 141 f. und Fridlund, M., Den gemensamma utvecklingen: staten, storföretaget och samarbetet kring den svenska ­elkrafttekniken, Stockholm 1999.

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Einrichtungen und Branchenvereinigungen bei der Kontaktvermittlung oder dem Technologietransfer behilflich waren.160 Mit Hilfe einer wechselseitigen Einbeziehung in zahllose Komitees und task forces, in denen große und kleine Unternehmen im Rahmen einer organisatorischen Konzertierung ihre Bedürfnisse abstimmten, halfen solche ‚Brückenorganisationen‘ Verfahrens­ innovationen auch für andere Unternehmen nutzbar zu machen, die unter anderen Umständen nur innerhalb weniger Unternehmen zur Anwendung gelangt wären.161 Unterstützt wurde diese Arbeit durch eine ganze Reihe branchenspezifischer Institute und Einrichtungen, die so zu Produktivitätsvorsprüngen auch in Industrien mit einem niedrigen Veredelungsgrad beitrugen. Diese branchenorientierten Einrichtungen wurden ergänzt durch Forschungseinrichtungen und Universitätsinstitutionen, die spezielle anwendungsorientierte Gebiete abdecken und für den Input neuester wissenschaftlicher Ergebnisse beitrugen.162 Zudem sind sie gelegentlich mit Unterstützung schwedischer MNUs mit der Aufgabe betraut, auch außerhalb Schwedens neue Verfahrenstechnologien zu evaluieren und für die Informationsdissemination unter schwedischen Unternehmen zu sorgen. Diese auf einen reibungslosen Transfer neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse abstellende Bereitstellung von Potenzialfunktionen durch ein ausdifferenziertes Netzwerk von Einrichtungen kann in Schweden auf eine lange Tradition zurückblicken, auch wenn lange an der Trennung zwischen universitärer Ausbildung in Humboldtscher Tradition und technischen Hochschulen mit enger Anknüpfung zur Industrie festgehalten wurde.163 Besonders nach 1880, als die Produktdifferenzierung in der Industrie immer mehr an Gewicht gewann, funktionierte der Wissenstransfer aus dem öffentlichen Raum in privatwirtschaftliche Strukturen so gut, dass in vielen Unternehmen erst in der Zwischenkriegszeit spezielle FuE-Abteilungen eingerichtet 160  Håkansson,

Industrial Technological Development, S. 76. B., Innovation and Success in Sweden: Technological Systems, in: de la Mothe, J. / Paquet, G. (Hrsg.), Evolutionary Economics and the New Political Economy, London 1996, S. 269. 162  Zu den herausragenden Einrichtungen zählten in diesem Zusammenhang neben der Kungliga Tekniska Högskola (KTH) in Stockholm und der Göteborger technischen Hochschule Chalmers (CTH) das Forschungsinstitut für Forstwirtschaftsprodukte (STFI), die Königliche Akademie für Forsten und Landwirtschaft (KSLA), die schwedische Gesellschaft für Bildprozesstechnologie (SSAB), die Stiftung für Metallurgische Forschung (MEFOS), das Institut für Betriebstechnik (IVF), das Korrosionsinstitut (KI), das Institut für Metallurgieforschung (IM), das schwedische Silikatforschungsinstitut (SSFI) und das Institut für Oberflächenchemie (YKI). Zu solchen Einrichtungen siehe Porter, M. / Sölvell, Ö. / Zander, I., Advantage Sweden, Basingstoke 1993, S. 76. 163  Vgl. Thorslund, J. G.  / Elg, L. / Sandgren, P., End of an Era? Governance of Swedish Innovation Policy (VINNOVA Analysis 2006:01), Stockholm 2006, S. 16 f. 161  Carlsson,



2. Das Profil des schwedischen Produktionsregimes73

wurden. Trotzdem ließ der schwedische Staat auch weiterhin nichts unversucht, um polyvalente Potenzialfunktionen bereitzustellen, die wirtschaft­ liche Tätigkeiten produktiver gestalten sollten und eine Verarbeitung neuester universitärer Erkenntnisse gewährleisteten. Eine weitere Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wurde 1919 mit der Ingenjörsvetenskapsakademin (IVA) anlässlich einer Diskussion um Energiefragen gegründet. 1934 wurde aufgrund mangelnder finanzieller Kapazitäten und organisatorischen Defiziten das hälftig von Staat und Unternehmen finanzierte Uppfinnarekontoret ins Leben gerufen, der Erfindern bei einer eventuellen Ausbeutung ihrer Ideen beiseite stehen sollte. Ab 1968 sollte im Rahmen der Bemühungen um eine aktive Industriepolitik der Styrelsen för Teknisk Utveckling (STU) die zahlreichen Räte, Komitees und ad hoc-Einrichtungen besser zusammenführen und strukturieren. Auch das im gleichen Jahr gegründete Industrieministerium, das Statens Industriverk (SIND) zur Administrierung von Branchenprogrammen und die staatliche Investeringsbanken sollten Rationalisierungsmaßnahmen in der Industrie unterstützen, ein verbessertes Angebot industrieller Finanzierungslösungen bieten und eine ausreichende staatliche Finanzierung von FuE garantieren.164 In den siebziger Jahren wurden zum ersten Mal nationale Programme zur Förderung von FuE und Kompetenzen in ausgewählten Wachstumsbereichen wie der Mikroelektronik initiiert und die ersten Technologieparks gegründet. 1985 wurden in Schweden 79 verschiedene Zentren, Parks, Stiftungen zur Förderung von direkten Kooperationen zwischen Hochschulen und der Industrie gezählt.165 Insbesondere in den neunziger Jahren wurden die Bemühungen noch einmal verstärkt, um diese Kontakte weiter auszubauen und die Bildung neuer Technologiecluster voranzutreiben. 1988 rief man das Teknopolprogram zur Finanzierung von hochschulnahen Innovationszentren ins Leben und 1994 richtete man mit Mitteln aus den abgewickelten Lohnverdienerfonds in Höhe von 10 Mrd. Skr neue unabhängige Forschungsstiftungen ein, 164  Daneben waren seit den sechziger Jahren eine ganze Reihe kleinerer Einrichtungen tätig, wie die 1968 zur Technologieförderung gegründete Svenska utvecklings AB (SUAB), die ähnlich wie die Svenska Industrietablerings AB (SVETAB) vorrangig neue Unternehmen zur Ansiedlung in krisengeschüttelten Regionen bewegen sollte. Der Unterstützung einzelner Erfinder und kleine Unternehmen widmete sich der 1973 gegründete Statens Utvecklingsfond (SUFO) mit Anleihen für neue Produkte, Prozesse und Systeme, gefolgt von dem Industrifonden für ausgewählte Entwicklungsprojekte, der 1978 in 24 separate Entwicklungsfonds überführt wurde. Vgl. zur Frühgeschichte der staatlichen Innovationsförderung Vedin, B.-A. / Niederbach, P. (Hrsg.), Innovationer för Sverige: Betänkande av Innovationsutredningen (SOU 1993:84), Stockholm 1993, S. 31 f. 165  Der mit deutlich erweiterten Finanzrahmen ausgestattete STU betrieb zum ersten Mal eine systematische Förderung ausgewählter Innovationsfelder wie der Medizin-, Umwelt- und Transporttechnologie. Vgl. Jamison, National Styles, S. 327.

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

die mit ausgewählten Programmen in speziellen Innovationsfeldern die Wettbewerbsfähigkeit der schwedischen Wirtschaft stärken sollten. Technologiebasierte Firmen wurden in den neunziger Jahren durch den Nachfolger des STUs, dem schwedischen Nationalrat für industrielle und technische Entwicklung (NUTEK) gefördert, der sich auf als strategisch erkannte Bereiche wie Materialtechnik, Halbleiter und Biotechnik konzentrierte.166 3. Zusammenfassung: Das Modell Schweden als Variante einer koordinierten Marktökonomie a) Grundlegende Merkmale der Innovations- und Wachstumspfade schwedischer Unternehmen In der bisherigen Übersicht wurde mit den Innovationsstrategien ein Aspekt ausgelassen, den die VOC-Theorie im strengeren Sinne nicht zu den Sphären eines Produktionsregimes rechnet, anhand dessen sich aber zeigen lässt, wie infolge des Zusammenspiels der institutionellen Arrangements in komparative Vorteile auf den Gütermärkten umwandeln können. Zu Erklärung der Stärken schwedischer Unternehmen genügt es nicht, wie die Neoklassik oder die Außenhandelstheorie in ricardianischer Tradition auf die vorteilhafte Faktorausstattung mit Gütern oder Produktionsfaktoren zu rekurrieren, obwohl es sich im Falle des skandinavischen Landes mit seinen natürlichen Reichtümern in Gestalt von Holz- und Eisenerzvorkommen sogar anbietet. Schweden dient in vielerlei Hinsicht als ein Musterbeispiel für einen Transformationsprozess, an dessen Ende nicht die konsekutive Ablösung dieser rohstoffbasierten Wirtschaftsstruktur durch ein verarbeitendes Gewerbe mit einem ausgeprägten Wissensinput stand. Bis in den 1870er sollten Rohstoffe, gering veredelte Halbfabrikate und Landwirtschaftsprodukte im Außenhandel mit rund 80 v. H. dominieren und erst in der Zeit 166  Zusätzlich sollen seit 1994 sieben ‚Technologiebrückeninstitutionen‘ in wirtschaftlichen Zentren bei der Umwandlung universitärer Forschungsleistungen und den im Cluster tätigen kleinen und mittleren Unternehmen bei Patentersuchen, Vermittlung von Risikokapital etc. assistieren. So hat sich die Stiftung für strategische Forschung der Aufgabe der Förderung von Schlüsseltechnologien wie Life Science oder Nanotechnik angenommen. Die KK-Stiftung soll die Wettbewerbsfähigkeit der schwedischen Wirtschaft durch Unterstützung neuer Hochschulen und den Aufbau von Forschungsmilieus fördern. Vinnova soll Politik, Forschung und Gewerbeleben zusammenführen und die Weiterentwicklung von IKT, Biotechnik und Materialforschung und weitere ausgewählte Wachstumsbereiche im Rahmen drei- bis fünfjähriger Spezialprogramme unterstützen. Vgl. zu Aufgaben und Zielsetzungen der Stiftungen Gergils, H., Dynamiska innovationssystem i Norden? Danmark, Finland, Island, Norge och Sverige, Stockholm 2006.



3. Zusammenfassung75

nach dem zweiten Weltkrieg tendierte der Strukturwandel dann deutlich in die Richtung einer verminderten Abhängigkeit von den landesspezifischen Ressourcen. Die Ausrichtung auf rohstoffbasierte, energie- und kapitalintensive Prozessindustrien wurde jedoch beibehalten, auch wenn in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts eine deutliche Verschiebung hin zu wissensintensiveren Tätigkeiten stattfand.167 So haben seit den achtziger Jahren vor allem die Telekommunikationsindustrie und Pharmazie als zwei typische Hightechbranchen einen deutlich höheren Stellenwert erlangen können. Trotz des Hervortretens dieser neuen Wirtschaftszweige lässt sich die Kontinuität im Wandel schon allein daran erkennen, dass die Industrien des 19. Jahrhunderts wie die Forstwirtschaft und die Eisen- und Stahlindustrie neben Maschinenbau und der Transportfahrzeugbranche bis in die Gegenwart zu den schwedischen Schlüsselindustrien zählt. Darunter ragt nach wie vor der Forstwirtschaftssektor hervor, dessen Stellenwert sich daran ermessen lässt, dass dessen Nettoexporte die kumulierten Nettoexporte der Fahrzeugindustrie, der Elektronik- und Pharmazieprodukte aufwiegen. Der Strukturwandel vollzog sich auch deswegen nicht in der Gestalt einer bruchhaften Ablösung alter durch völlig neue wirtschaftliche Aktivitäten, weil neue Produktfelder häufig innerhalb von verbundwirtschaftlichen Struk­ turen erschlossen wurden. So veranlasste der harte Berggrund, den schwedische Eisenerzunternehmen bearbeiten mussten, das Entstehen einer Bergbautechnik- und Sprengmittelindustrie. Allmählich erweiterten Unternehmen dieser neuen Teilbranchen mit Bergbohrern, Kompressoren, Transport- und Verladesystemen, Pumpen, Mahlmaschinen und Explosionsstoffen ihren Wirkungskreis über den eigenen Heimatmarkt hinaus. Dieser spill overEffekt lässt sich ebenso im Falle der schwedischen Forstwirtschaft nachweisen, die neben einer ganzen Reihe von ausdifferenzierten Papierqualitäten auch international führende Ausrüstungsbedarfshersteller für Produkte wie Sodahausdampfkessel, Zellstoffkocher oder Pumpenbedarf hervorbrachte.168 Durchsetzungsfähigkeit haben schwedische Hersteller auch in Produktbereichen wie Kugellagern, Verpackungen, Prozessautomationsanwendungen und 167  Vgl. dazu Hansson, P. / Lundberg, L., Från Basisindustri till högteknologi? Svensk näringsstruktur och strukturpolitik, Stockholm 1995; Blomström, M. / Kokko, A., From Natural Resources to High-Tech Production: The Evolution of Industrial Competitiveness in Sweden and Finland (CEPR Discussion Paper Nr. 3804), Februar 2003. 168  Auch die Hersteller von karbidbeschichteten Sägeblättern konnten einen Marktanteil von rund 60 v. H. auf Weltmärkten erlangen, weil die eigene Sägemühlenindustrie besondere Anforderungen an die Materialhärte stellte. Die große Elektrizitätsabhängigkeit der schwedischen Papier- und Zellstoffindustrie beförderte wiederum die Entwicklung energiesparender Produktionsprozesse und die Marktführerschaft bei Dampfturbinen oder Turbinen für hydro-elektrische Stromerzeugung. Vgl. dazu Porter, Advantage.

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Produktionskontrollsystemen bewiesen. Nicht so stark eingebettet in regionale Cluster ist die Transportwirtschaft mit den Schwergewichten SaabScania und Volvo. Die schwedische Volkswirtschaft hat darüber hinaus eine lange Tradition der Herstellung von militärischen Gütern. Insgesamt tragen bis heute – gemessen als Anteil an der aktiven Handelsbilanz – durch lange Produktlebenszyklen gekennzeichnete Kapitalgüterprodukte aus dem Maschinenbau, Motorfahrzeuge, Papier- und Zellstoff-, sowie Eisen- und Stahlprodukte zu den Exporterfolgen bei (vgl. Abb. 3). So bestätigt die Konstanz der Branchenstruktur auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Projektionen der VOC-Theorie, die die Stärken korporativer Marktwirtschaften in kleinen, schrittweisen Verbesserungen hochwertiger Produkte verortet und weniger in einem abrupten und weitreichenden technischen Umbruch, der mehrere Wirtschaftszweige grundlegend berührt oder die Entstehung völlig neuer Branchen auslöst.169 Die meisten Unternehmen haben die ursprüngliche Innovationsidee beibehalten und in Gestalt von Diversifikationen in neue Produktlinien stetig weiterentwickelt. Die schwedische Wirtschaft blieb dem Muster der inkrementellen Innovation in einem überaus beständigen organisatorischen Rahmen verhaftet.170 Umgekehrt offenbart die schwedische Ökonomie bis heute in den Bereichen Schwächen, die im klassischen Sinne als Domäne liberaler Marktökonomien gelten: Die Halbleiterindustrie hat genauso wenig herausragende Strukturen ausbilden können wie die Biotechnologie. Das gilt auch für die chemische Industrie, die trotz einer gewissen Tradition als Hersteller von Chloraten und anderen Chemikalien für die Papier- und Zellstoffindustrie nie über ein bescheidenes Dasein hinauskam. Wie anderen CMEs mangelt es darüber hinaus dem schwedischen Dienstleistungssektor an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. 169  Nur wenige Wirtschaftszweige sind aufgrund mangelnder Wettbewerbsfähigkeit völlig verschwunden. Allerdings hat die vor achtzig Jahren führende Schiffsbauindustrie mit einem Anteil von rund fünf bis zehn v. H. an der Weltproduktion ihren Niedergang nicht aufhalten können, obwohl sie elementare Innovationen wie den Schiffsdieselmotor und die elektrische Schweißnaht hervorbrachte. Wenngleich die südschwedischen Werften bei den Ro-Ro-Schiffen eine führende Stellung innehatten, konnten sie dem Kostendruck durch die koreanischen und japanischen Produzenten nicht standhalten, so dass ab 1975 die Regierung Stützungsmaßnahmen einleiten musste, um Traditionswerften zu retten. 170  Dieses inkrementelle Innovationsmuster lässt sich auch auf Unternehmens­ ebene nachweisen: Von vierzehn führenden schwedischen Großunternehmen konnten neun durch Produktimitation reüssieren, während vier ihre Ausgangsinnovation abwandelten. Mindestens 80 v. H. der dazugekommenen Produkte oder Prozessinnovationen wiesen allerdings eine wie auch immer geartete Verknüpfung zu bereits bestehenden Produktbereichen oder -linien auf. Vgl. Granstrand / Alänge, Evolution, Tabelle 3, S. 141.



3. Zusammenfassung77 Landwirtschaftsmaschinen und -bedarf

3.341.633

Flüssigkeitspumpen und -beförderungserzeugnisse

3.344.907

unbearbeitete Etenpolymere (SITC 571)

3.506.491

Eisenerz

3.537.046

Aluminium

3.824.015

Kugellager

3.852.308

Medizinische Instrumente

3.889.244

Nicht-elektrische Maschinerie oder Motoren

4.190.414

Andere Holzerzeugnisse (SITC 635)

4.207.281

Kupfer

4.324.098

Maschinerie zur Papier- und Papierzellstoffherstellung

4.456.772

Kompressoren, Pumpen und Zentrifugen

4.538.290

gewalztes Eisen, unlegierte Stähle (SITC 673)

4.565.881

Erzeugnisse aus unedlen Metallen (SITC 699)

4.795.380

Elektronische Maschinerie (SITC 778)

4.933.313

Erzeugnisse für den Haushaltsgebrauch

5.046.764

Stromüberführungsbedarf

5.377.036

Eisen- und Stahlröhren, Rohrteile

5.514.084

Stahl- und Eisenstangen

6.182.343

Maschinerie zur Abkühlung oder Erwärmung (SITC 741 )

6.271.152

Erzeugnisse aus Papierzellstoff, Papier oder Pappe (SITC 642)

6.747.587

Plastikerzeugnisse (SITC 893)

6.859.731

Handwerkzeug und Maschinenwerkzeug

6.906.118

Messinstrumente (SITC 874)

7.384.642

Weitere nicht-elektrische Maschinerie (SITC 745)

7.490.126

Weitere Maschinerie für Spezialbedarfe (SITC 728)

7.503.450

Möbel, Matratzen und Bettwäsche

8.679.739

Maschinerie für die mechanische Materialbehandlung

8.686.154

Produkte aus legierten Stählen

8.772.289

Gruben- und Baumaschinerie

8.837.161

Luftfahrzeuge, Trägerraketen, Raumfahrtbedarf

9.226.334

Raffinierte Mineralölprodukte

9.229.693

Verbrennungskolbenmotoren Lastwagen und Spezialfahrzeuge Papierzellstoff und -abfall Medikamente Gesägte oder gehobelte Holzwaren Fahrzeugteile und -zubehör Pkws

10.205.368 11.004.735 14.568.202 16.777.101 18.785.702 26.233.762 30.338.019

Telekommunikations- und Funkbedarf Papier und Pappe

46.435.312 47.623.475

Quelle: Angaben des Statistiska Centralbyrå (www.ssd.scb.se / databaser)

Abbildung 3: Struktur der schwedischen Exporte (SITC-Kriterien) 1995, in Mio. SKr

78

I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Entscheidend für den industriellen take-off, der seit den 1870ern immer mehr Gestalt annahm, war die Verwissenschaftlichung der Produktion, die unter dem Begriff der zweiten industriellen Revolution in die moderne Wirtschaftsgeschichte eingegangen ist.171 Vor allem im Vergleich mit den lateinamerikanischen Ländern, die anfänglich mit vergleichbaren Vorteilen hinsichtlich der Faktorausstattung ihren Weg in die Weltwirtschaft fanden, wird ersichtlich, dass man sich in Schweden nicht einfach auf den vorhandenen Rohstoffreichtum verließ.172 Ähnlich wie im Falle Deutschlands gelang es, sich während des 19. Jahrhunderts aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit zu befreien, nicht zuletzt weil aus dem politischen Raum viel dafür getan wurde, den Rückstand gegenüber führenden Wirtschaftsnationen aufzuholen. Vor allem anlässlich des Baus des Göta-Kanals im Jahr 1832 hatte sich jedoch herausgestellt, dass die Fortentwicklung technisch-naturwissenschaftlicher Kompetenzen gebraucht wurde, wollte man fortan nicht dauerhaft auf fremde Ingenieure und die Methodik des learning by doing angewiesen sein. Ab Mitte des Jahrhunderts wurde damit begonnen, das technische Ausbildungswesen nach deutschem Vorbild zu reformieren.173 Zwischen 1870 und 1914 war die Zahl der schwedischen Ingenieure bereits so hoch, dass gemessen in Relation zur Erwerbsbevölkerung Schweden sogar führende Nationen wie Deutschland oder Frankreich ausstach.174 Von dieser Verwissenschaftlichung der Produktion sollten zunächst die Forstwirtschaft und die Stahlindustrie profitieren. Schwedische Erfinder haben jedoch nicht nur in den naturstofflich orientierten Wirtschaftszweigen, sondern auch in so unterschiedlichen Produkt- und Technologiefeldern wie verstellbaren Schraubenschlüsseln, Dampfturbinen, Kugellagern, Ultra- bzw. Milchzentrifugen, Gasleuchttürmen, feuchtigkeitsresistenten Verpackungen, Sicherheitsstreichhölzern, hydraulischen Bergbohrmaschinen, Generatoren und Strahlentherapiegeräten bahnbrechende Innovationen hervorgebracht. Solche Innovationen entstanden häufig im Rahmen von Unternehmensneugründungen im späten 19. Jahrhundert, die als genius companies in die schwedische 171  Die zeitliche Verortung folgt Schön, L., En modern svensk ekonomisk historia: Tillväxt och omvandling under två sekel, Stockholm 2000, S. 24. 172  Blomström / Meller, Issues. 173  Zu den Reformen der voruniversitären beruflichen Ausbildung vgl. Ahlström, G., Technical Competence and Industrial Performance: Sweden in the 19th and early 20th Centuries, (Lund Papers in Economic History, Nr. 14 1992), Lund 1992. 174  Bereits um die Jahrhundertwende hatten die beiden führenden schwedischen Technologieinstitute soviel über Bedarf ausgebildet, dass viele aufgrund drohender Arbeitslosigkeit in die USA auswanderten. Vgl. zur Entwicklung des schwedischen Ausbildungswesens im internationalen Vergleich siehe Ahlström, G., Engineers and Industrial Growth: Higher Technical Education and the Engineering Profession ­during the Nineteenth and Early Twentieth Centuries: France, Germany, Sweden and England, London 1982.



3. Zusammenfassung79

Wirtschaftsgeschichte eingingen, da sie nicht nur von Ingenieuren und Technikern gegründet, sondern auch geführt wurden. Diese Dominanz von Technikern und Ingenieuren in den Leitungsstrukturen häufig ist ohne finanzwirtschaftliche Kompetenzen bis in die Gegenwart hinein für schwedische Unternehmen charakteristisch geblieben, was eine Orientierung zu Produkt- und Prozessverbesserungen begünstigt.175 Die Einbringung wissenschaftlicher Ergebnisse ist aber nur ein Teil innovativer Produktmodernisierungen, deren Erfolg durch die Berücksichtigung spezifischer Problemlösungen für Herstellungsverfahren, Anwendungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten bedingt ist. Inkrementelle Innovationen werden auf konkrete Anwendungskontexte zugeschnitten, um auf diese Weise Kundenbedürfnisse besser befriedigen zu können.176 Ganz diesem Paradigma entsprechend hatten schwedische Hersteller schon früh enge und feste Beziehungen zu Kunden durch eine frühe Integration der Vertriebswege geknüpft, so dass Informationen über Kundenbedürfnisse an die eigenen Planungs- und Konstruktionsabteilung weitergegeben und auf diese Weise langfristige Bindungen etabliert werden konnten.177 Das Paradigma der standardisierten Massenproduktion fordistischen Typs, wie es zunächst in den Vereinigten Staaten seine Hochzeit erlebte, hat in Schweden ähnlich wie in Deutschland allerdings erst relativ spät und von nicht zu übersehenden Anfangsschwierigkeiten begleitet Einzug gehalten. Dass die Skandinavier in dieser Hinsicht zu den Nachzüglern gehörten, war weniger einer grundsätzlichen Reserviertheit gegenüber US-amerikanischen Produktionsphilosophien geschuldet. Grundlegend zeigten sich schwedische Unternehmen gegenüber produktivitätssteigernden und beschäftigungssenkenden Prozessinnovationen bis in die Gegenwart hinein aufgeschlossen, wie man an der frühen computergestützten Automation der Industrie, der vergleichsweise raschen Computerisierung und IuK-Technologien im Dienstleistungssektor erkennen kann.178 Dass die schwedische Industrie sich im Gegenzug sehr zögerlich gegenüber einer Einführung einer standardisierten abstellen175  Porter / Sölvell / Zander,

Advantage Sweden. die gleiche Richtung zielen auch begleitende Serviceleistungen wie die zeitgerechte Produktbereitstellung oder begleitende Finanzierungslösungen. Vgl. zu den Bedingungen der immateriellen Produktion Abelshauser, W., Kulturkampf – Der deutsche Weg in die Neue Wirtschaft und die amerikanische Herausforderung, Berlin 2003, S. 105. 177  In einzelnen Fällen wurden Produkte sogar erst in Zusammenarbeit mit schwedischen Kunden entwickelt, bevor sie auf internationalen Märkten lanciert wurden. Vgl. zu dem Zusammenwirken Hörnell, E. / Vahlne, J.-E., Multinationals: The Swedish Case, London / Sydney 1986, S. 50; Hägg, I. et al., Företag i nätverk: ny syn på konkurenskraft, Stockholm 1982, S. 27. 178  Edquist, C., Innovationspolitik för Sverige – mål, skäl, problem och åtgärder (VINNOVA Forum – Innovationspolitik i Fokus, VFI 2002:2), Stockholm 2002. 176  In

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

den Massenproduktion verhielt, war wohl im Wesentlichen darin begründet, dass die Grundvoraussetzung eines großen Binnenmarktes für die notwendigen positiven Skaleneffekte nicht vorhanden war. Der Erfolg auf den Auslandsmärkten hatte folglich noch mehr als in anderen Ländern eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, so dass sich die Internationalisierung der schwedischen Unternehmen in der langfristigen historischen Entwicklung nahezu ab ovo usque ad mala darstellt. Auch wenn in der neueren schwedischen Wirtschaftsgeschichte dem Binnenmarkt für die industrielle Entwicklung ein weitaus höherer Stellenwert zugemessen wird als früher, lässt sich die Bedeutung der Einbettung der skandinavischen Ökonomie in die globale Weltwirtschaft allein schon daran ablesen, dass der Auslandshandel schon im späten 19. Jahrhundert schneller wuchs als das Bruttoinlandsprodukt.179 Gemessen mit dem von Ietto-Gillies entwickelten Index hinsichtlich des Streuungsgrades von Auslandsaktivitäten erreichten immerhin zwei Drittel aller schwedischen Unternehmen schon vierzehn Jahre nach ihrer Gründung den höchsten Internationalisierungsgrad der Transnationalität.180 Bis heute ist diese ausgeprägte Internationalisierung ein Markenzeichen der schwedischen Unternehmen geblieben, die bis zu 90 v. H. ihres Umsatzes im Ausland absetzen. Im Jahr 2000 trug die Gruppe multinationaler Unternehmen, die 60 v. H. ihrer Produktion außerhalb des Heimatlandes disloziert hatten, zu einem Drittel der schwedischen Beschäftigung, zu 75 v. H. der gesamten FuE-Aufwendungen und zu zwei Dritteln des gesamten schwedischen Exportaufkommens bei.181

179  Die Problematik der Rolle des Binnenmarktes und der Außenwirtschaft wird unter anderem behandelt bei Jörberg, L., Growth and Fluctuations of Swedish Industry 1869–1912: Studies in the Process of Industrialisation, Stockholm 1961; zu der gegenwärtigen Debatte vgl. Schön, historia, S. 34 ff. 180  Die Indexierung im Modell von Ietto-Gillies berücksichtigt nicht nur bestimmte Parameter wie Exportanteil, Direktinvestitionen oder den Anteil der Auslandsbeschäftigten, sondern sieht den Grad der geographischen Streuung der Produktion als entscheidend an. Der Grad der Unternehmensglobalisierung wird also nicht alleine an dem Umstand bemessen, ob ein Unternehmen einen Auslandsmarkt bearbeitet, sondern auf wie vielen Auslandsmärkten es vertreten ist. Ein Unternehmen gilt als um so transnationaler, je gleichmäßiger Standorte und Beschäftigte weltweit verteilt sind. Vgl. dazu die empirische Analyse von Palmer, R., Historical Patterns of Globaliza­ tion: The Growth of Swedish Long-Standing Transnational Corporations, 1890s– 1990s (Acta Universitatis Stockholmiensis 33), Stockholm 2001, S. 213. 181  Kokko, A. / Gustavsson, P., Sveriges konkurrensfördelar för export och multinationell produktion (Bilaga 6 till Långtidsutredningen), Stockholm 2003, S. 69.



3. Zusammenfassung81

b) Anforderungen an die Fallstudienunternehmen Vor dem Hintergrund der bisherigen Ergebnisse ist es möglich, zumindest im Ansatz den Isomorphismus zu rekonstruieren, der der Funktionsweise des schwedischen Produktionsregimes zugrunde liegt. Tabelle 1 Merkmale des schwedischen Produktionsregimes bis 1980 Finanzierung

• Rigide Kapitalmarktkontrollen, intensive Reglementierung der Unternehmensfinanzierung • Indikative Steuerung von Finanzströmen • Geringe Ausdifferenzierungsgrad der Kapitalmärkte • Geringe Bereitschaft zur Nutzung von Kapitalmärkten • Prävalenz der Innenfinanzierung • Langfristige, über Jahrzehnte andauernde Kreditbeziehungen mit Hausbanken

Industrielle Beziehungen

• Starke Gewerkschaften und Wirtschaftsvereinigungen • Hoher tarifvertraglicher Deckungsgrad • Konsensstiftende verhandelte Mitbestimmung mit Vorrechten für Arbeitgeber • Branchenübergreifende landesweite Manteltarifverträge und hochzentralisierte Lohnaushandlungsstrukturen

Unternehmenskontrolle

• Vorherrschaft von business groups und Familieneigentümern • Einbettung der Hausbanken in die business groups • Geringer Streubesitz • ‚Aktive Eigentümer‘ mit langfristiger Stakeholder Value-Orientierung • Hochgradig vermachtete Besitzstrukturen abgesichert durch Stimmrechtsasymmetrien und gerichtete Kreuz­verflechtungen • Schwacher Umsatz von Kontrollblöcken • Wenige feindliche Übernahmen • Technikerdominierte Unternehmensleitungen mit Nähe zum Eigentümer

Branchensystem

• Freizügige Kartellgesetzgebung • Marktstrukturen mit Monopolen und Duopolen • Unternehmensgründungen in Form von spin-offs • Abgestimmter Technologietransfer und -weiterentwicklung im Rahmen von Netzwerken und development pairs • Gemeinsame Vertriebsallianzen • Öffentliche polyvalente Potenzialfunktionen zur Nutzbar­machung wissenschaftlicher Erkenntnisse • Schwache Zulieferer mit niedrigem Internationalisierungsgrad

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

Erstens ist festzuhalten, dass die schwedische korporative Marktwirtschaft ihre komparativen Vorteile durch die Inwertsetzung von Rohstoffen sowie in der Bedienung qualitäts- statt preiskompetitiver Märkte zur Geltung bringen kann, in denen eine Einbringung wissenschaftlicher Ergebnisse in den Innovations- und Produktionsprozess, die Reaktion auf Kundenbedürfnisse und die darauf zugeschnittenen Dienstleistungen ausschlaggebend für den unternehmerischen Erfolg sind. Aus Sicht der Unternehmen und der Kapitalgeber rechnen sich die damit verbundenen Investitionen nur über längere Zeiträume. Sie haben eine langfristig ausgerichtete Unternehmensfinanzierung zur Voraussetzung, die von den schwedischen Hausbanken unter der Voraussetzung bereitgestellt wurde, dass sie die Kreditnehmer effektiv überwachen konnten. Das leistete einem System der internen Unternehmens­ aufsicht Vorschub, das spätestens am Anfang des 20. Jahrhunderts Gestalt annahm, als den schwedischen Banken das Recht eingeräumt wurde, als Universalbanken tätig zu werden. Dass trotz der Vorsicht vor möglichen spekulationstreibenden Auswirkungen den Finanzinstituten das Recht zum Aktienbesitz durchsetzen konnten, spricht dafür, dass im Zuge einer Pfadabhängigkeit der schwedische Staat die Notwendigkeit einsah, eine im Prozess der Selbstdurchsetzung ausgebildeten Komplementarität zwischen Innovations- und Wachstumspfad und Unternehmensfinanzierung sowie die dadurch entstehenden increasing returns nicht durch eine neutralisierende politische Weichenstellung zu verhindern. Dass sich die Beziehungen zwischen Unternehmen und Kreditgebern immer mehr verdichteten, kann auf zwei Ursachen zurückgeführt werden: Erstens waren die Banken teilweise selbst in die Eigentümersphären eingebunden oder kontrollierten selbst eigene business groups. Zweitens wurden von ordnungspolitischer Seite hohe Hürden gesetzt, um die Möglichkeiten der Außenfinanzierung über Aktienmärkte zu verhindern, was nicht nur der Innenfinanzierung, sondern auch der Inanspruchnahme der Dienste dieser Finanzintermediäre Vorschub leistete. Die Konnexität zwischen langfristigen unternehmerischen Entscheidungshorizonten anstelle kurzfristiger Renditeimperative und darauf abgestimmten institutionellen settings gewinnt im Feld der Unternehmenskontrolle noch stärker an Kontur. Die mit Technikern besetzten und vorrangig intern rekrutierten Unternehmensleitungen konnten sich auf den Rückhalt ‚aktiver Eigentümer‘ mit einer langfristigen Stakeholder Value-Orientierung verlassen, die auch in Krisenzeiten nicht nur eine wirksame Barriere gegen feindliche Übernahmen bildeten, sondern auch Gewähr dafür boten, dass langfristig angelegte Wachstumsstrategien nicht durch kurzfristige Ertragsforderungen konterkariert wurden. Die aktiven Eigentümer wiederum konnten ihre hochgradig vermachteten Besitzstrukturen durch Stimmrechtsasymmetrien und gerichtete Kreuzverflechtungen absichern, was zu einem geringen Umsatz von Kontrollblöcken und einem überschaubaren Auftreten von Eigentümerwechseln führte.



3. Zusammenfassung83

Lässt sich also die Hypothese formulieren, dass die institutionellen Arrangements der Unternehmensfinanzierung und der Corporate Governance gute Rahmenbedingungen für die Verfolgung inkrementeller Innovationsstrategien boten, so lassen sich die Besonderheiten der schwedischen industriellen Beziehungen nicht nur im Zeichen der Transaktionskostenproblematik deuten. Vermutlich noch mehr als im Falle anderer korporativer Volkswirtschaften hat die Scheidung in einen stark binnenwirtschaftlich zentrierten und einen stark exportorientierten Sektor ein neuralgisches Problem in Gestalt eines poaching-Dilemmas aufgeworfen, auf das Unternehmer und Gewerkschaften seit dem Saltsjöbaden-Abkommen mit den landesweiten Manteltarifverträgen seit den fünfziger Jahren eine Antwort gefunden hatten. Gleichzeitig profitierte die Arbeitgeberseite davon, dass sich die Arbeiterbewegung schon früh darauf festlegte, von einer weitreichenden Verstaatlichung oder der Durchsetzung einer volkswirtschaftlichen Rahmenplanung abzusehen und sich über ihre dezentralisierte Struktur und ihre Verpflichtung auf ein Co-Management gut in die Betriebspolitik einbinden ließ. Die schwedischen Gewerkschaften sahen die von ihnen angestrebte Verteidigung der Vollbeschäftigung durch die Förderung der Wachstums- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen am ehesten gewährleistet, auch weil ein gut ausgebauter und im internationalen Vergleich generöser Wohlfahrtsstaat und eine aktive Arbeitsmarktpolitik eine sozialverträgliche und rasche Wiedereingliederung von Arbeitslosigkeit Betroffenen erleichterte. Auch die institutionellen Arrangements im Bereich des Branchensystems mit seinen Vertriebsallianzen und weitreichenden Formen eines staatlich unterstützten abgestimmten Technologietransfers und der Weiterentwicklung von Innovationen im Rahmen von development pairs können als eine Reaktion auf die außerge­ wöhnliche Exportabhängigkeit der schwedischen Unternehmen gewertet werden. Dass die Unternehmen trotz der Vielzahl monopoloider und duopoloider Marktformen einen so weit reichenden Gebrauch davon machten, beweist ein ums andere Mal, dass sich innerhalb des korporativ verfassten Branchensystems eine Wirtschaftskultur entfaltete, die strategischen Koordinationen anstelle der Steuerungskonfiguration des Marktes den Vorzug gab. Allerdings ist zu vermuten, dass die von durch die Eigentümersphären und freizügige Wettbewerbsregeln beförderte Vorherrschaft der Großunternehmen maßgeblich dazu beitrug, dass sich kein stabiler ‚Unterbau‘ der schwedischen Volkswirtschaft in Gestalt von auch international wettbewerbsfähigen kleinen und mittleren Unternehmen und Zulieferern herausbilden konnte. Vor dem Hintergrund der theoretischen Implikationen der Produktionsregime-Theorie und den bisherigen Ergebnissen der Analyse des schwedischen Modells auf nationaler Ebene soll im Rahmen der Fallstudien folgende heuristische Matrix zur Anwendung gelangen. Wie bereits einleitend er-

84

I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

wähnt, gilt erstens ein besonderes Augenmerk der Rolle aller relevanter stakeholder wie den Kunden, Zulieferern, Kapitalgebern, den eigenen Beschäftigten und anderen Unternehmen. Zweitens soll danach gefragt werden, wie institutionelle Arrangements in den einzelnen Feldern des Produktionsregimes – also der Unternehmenskontrolle und -finanzierung, den industriellen Beziehungen sowie dem Branchensystem – innerhalb der vier Unternehmen umgesetzt werden und welche signifikanten Veränderungen sich in diesem Zusammenhang ausmachen lassen. Dabei sind drittens die bereits erkannten Veränderungsbewegungen auf nationaler Ebene einzubeziehen, wie sie in Tabelle 2 aufgeführt werden: Tabelle 2 Institutionelle Arrangements des schwedischen Produktionsregimes im 20. Jahrhundert: Kontinuität und Wandel

Finanzierung

Besondere Merkmale des schwedischen Produktions­regimes bis 1980

Anzeichen für institutionellen Wandel zwischen 1980 und 2000

• Rigide Kapitalmarktkontrollen, intensive Reglementierung der Unternehmensfinanzierung

• Umfassende Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte

• Indikative Steuerung von Finanzströmen

• Ausgeweitete Inanspruchnahme von Aktienmärkten zur Unternehmensfinanzierung

• Niedriger Ausdifferenzierungsgrad finanzieller Märkte • Geringe Bereitschaft zur Nutzung von Kapitalmärkten Prävalenz der Innenfinanzierung • Langfristige, über Jahrzehnte andauernde Kreditbeziehungen mit Hausbanken Industrielle Beziehungen

• Starke Gewerkschaften und Wirtschaftsvereinigungen • Hoher tarifvertraglicher Deckungsgrad • Konsensstiftende verhandelte Mitbestimmung mit Vorrechten für Arbeitgeber • Branchenübergreifende landesweite Manteltarifverträge und hochzentralisierte Lohnaushandlungsstrukturen

• Lockerung der Beziehungen zu den Hausbanken • Entstehen eines Risiko­ kapitalmarktes

• Dezentralisierung der Lohnaushandlungsstrukturen, Zusammenbruch des Systems landesweiter Manteltarifverträge • Verlagerung der Lohn­ findung auf Unternehmensebene



Corporate Governance

3. Zusammenfassung85 Besondere Merkmale des schwedischen Produktions­regimes bis 1980

Anzeichen für institutionellen Wandel zwischen 1980 und 2000

• Vorherrschaft von business groups und Familieneigentümern

• Verschwinden der ‚15 Familien‘

• Einbettung der Hausbanken in die business groups

• Schwächung der Position der ‚Aktiven Eigentümer‘

• Geringer Streubesitz

• Unabhängige Unter­ nehmensleitungen

• ‚Aktive Eigentümer‘ mit langfristiger Stakeholder Value-Orientierung

• Stärkeres Gewicht ausländischer Eigen­tümer

• Hochgradig vermachtete Besitzstrukturen abgesichert durch Stimmrechtsasymmetrien und gerichtete Kreuzverflechtungen

• Stärkeres Gewicht insti­tutioneller Investoren

• Schwacher Umsatz von Kontrollblöcken

• Steigende Akzeptanz von Shareholder ValueStrategien

• Wenige feindliche Übernahmen

• Zunahme von Über­ nahmen

• Technikerdominierte Unternehmensleitungen mit Nähe zum Eigentümer Branchen­ system

• Freizügige Kartellgesetzgebung • Marktstrukturen mit Monopolen und Duopolen

Striktere Kartellgesetz­ gebung

• Abgestimmter Technologietransfer und -weiterentwicklung im Rahmen von Netzwerken und development pairs • Gemeinsame Vertriebsallianzen • Öffentliche polyvalente Potenzialfunktionen zur Nutzbarmachung wissenschaft­ licher Erkenntnisse • Schwache Zulieferer mit niedrigem Internationalisierungsgrad

So ist im Fall der Unternehmensfinanzierung zu thematisieren, im welchen Ausmaß die Fallstudienunternehmen Finanzmärkte in Anspruch nahmen oder auf Eigenmittel vertrauten. Von besonderer Relevanz ist weiterhin die Frage, ob im Gefolge der Deregulierung und Liberalisierung der Finanz-

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I. Schweden: Vom Modell zum Sanierungsfall?

märkte dazu übergegangen wurde, verstärkt auf Aktienmärkte zurückzugreifen und ob die Mittelbeschaffung auf ausländische Kapitalmärkte umorientiert wurde. Auf vergleichbare Weise soll im Feld der Unternehmenskontrolle geprüft werden, welche Konsequenzen der Rückzug familialen Eigen­ tümer, die Schwächung der Position der aktiven Eigentümer und die ‚Revolution der Direktoren‘ sowie das zunehmende Gewicht der institutionellen Investoren nach sich zog. Interessant ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Frage, ob im Gefolge dieser Neustrukturierung eine verstärkte Finanzmarktorientierung anstelle der bisher befolgten Stakeholder ValuePhilosophie trat und wie sie in den Fallstudienunternehmen durchgesetzt wurde, sondern auch, ob sich ausländische Investoren als Transformationsagenten betätigten. Relativ offen sind die Auswirkungen im Feld der industriellen Beziehungen und des Branchensystems, aber auch hier lassen sich, ohne den Ergebnissen der Fallstudien allzu sehr vorzugreifen, deutliche Wandlungs- oder Restrukturierungsprozesse ausmachen. Für das Sample wurden vier Unternehmen ausgewählt, die gewährleisten sollen, dass der systemimmanente Wandel in der Institutionenordnung genauso berücksichtigt wird wie die charakteristischen Innovations- und Wachstumsstrategien, die von schwedischen Unternehmen verfolgt werden. Darum konzentriert sich diese Arbeit auf Großunternehmen, die bezogen auf Umsatz, Export und Beschäftigtenzahl während des Untersuchungszeitraumes zu der Spitzengruppe der zehn größten schwedischen Unternehmen gerechnet werden können.182 Da diese im Untersuchungszeitraum ihre Auslandsaktivitäten erheblich ausweiteten, kann zudem davon ausgegangen werden, dass sich für sie die eingangs beschriebene Herausforderung stellte, in unterschiedlichen nationalen Produktionsregimen agieren zu müssen. Dass für die Studie Ericsson, SCA und Sandvik als Fallstudienunternehmen ausgewählt wurden, hat nicht nur damit zu tun, das sie alle die bisher genannten Kriterien erfüllen, sondern auch das Spektrum der schwedischen Volkswirtschaft in mehrerlei Hinsicht abbilden.183 Da den Grundstoffindustrien bis in die Gegenwart hinein eine hohe Bedeutung zukommt, sind mit dem Forstwirtschaftsunternehmen SCA sowie dem Hartmetall- und Stahl­ unternehmen Sandvik zwei Unternehmen ausgewählt worden, die zu dieser Gruppe gerechnet werden können. Für Ericsson spricht zudem, dass der 182  Der Unternehmensauswahl liegen die Daten zugrunde, die im Periodikum Sveriges största företag ab 1984 kompiliert wurden. Vgl. dazu Sveriges största före­ tag, Stockholm 1984. 183  Die ursprüngliche Dissertationsfassung umfasst noch ein viertes Fallstudienunternehmen in Gestalt von Volvo. Die Ergebnisse dieser Fallstudie sind nachzulesen in Flume, G., Small ist (not) beautiful: Der schwierige Weg Volvos in der Globalisierungsarena 1980–2000, in: Perspektiven. Schriftenreihe der BMW-Group – Konzernarchiv (in Vorbereitung).



3. Zusammenfassung87

Stockholmer Konzern nahezu mit der einheimischen new economy gleichgesetzt werden kann, also jener neu entstandenen Wirtschaftsstruktur rund um Informations- und Kommunikationstechnologien, die während der neunziger Jahre maßgeblich zum Aufschwung beitragen sollte. Das Sample bietet schließlich nicht nur einen Querschnitt hinsichtlich der Branchenzugehörigkeit, sondern auch der Wachstumsmodi: Während Ericsson in das Segment der Hochtechnologieunternehmen mit einer eher spezifischen Innovationsstrategie eingeordnet werden kann, gehört Sandvik zu den hochspezialisierten Nischenunternehmen, deren Unternehmenserfolg mit einer verstetigten innovativen Produktmodernisierung verknüpft ist. SCA ist hingegen auf Produktmärkten tätig, die eine Volumen- oder Massenproduktion mit den klassischen Erfolgsparametern der Kostensenkung und der Erwirtschaftung von Skalenerträgen voraussetzen. Insofern kann grosso modo sichergestellt werden, dass die Wirkungsmacht von Firmen- oder Branchenimperativen, Veränderungen auf den Produktmärkten oder anderen nicht institutionellen Faktoren in der Unternehmensumwelt angemessen beurteilt werden kann.

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik Die Beschäftigung mit der Sandvik AB dürfte bei dem einen oder anderen Kenner der schwedischen Wirtschaft die Frage hervorrufen, ob eine eingehende Untersuchung dieses Unternehmens wirklich Nennenswertes hinsichtlich der institutionellen Wandlungsprozesse im schwedischen Produktionsregime am Ende des 20. Jahrhunderts hervorbringen kann. Der mittelschwedische Hersteller von Stahl- und Hartmetallprodukten darf trotz seiner umfassenden Internationalisierungsbemühungen nicht gerade zu den exponierten schwedischen Vorzeigeunternehmen gerechnet werden, die auch außerhalb der Landesgrenzen einen überdurchschnittlichen Bekanntheitsgrad erlangt haben. Das dürfte weniger dem Umstand geschuldet sein, dass es gemessen an Aggregatgrößen und Kennziffern wie Umsatz und Beschäftigung das kleinste der hier untersuchten Unternehmen ist, obwohl 1999 die 300 Einheiten des Konzerns in 130 Ländern mit 34.000 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von ca. 40 Mrd. SKr erwirtschafteten. Was Sandvik als Untersuchungsobjekt jedoch zunächst einmal prädestiniert, ist die Zugehörigkeit zu einer Branche, die unzweideutig zu den Schlüsselsektoren des industriellen take-offs im späten 19. Jahrhundert gerechnet werden muss und bis in die Gegenwart hinein in ihrer Bedeutung für die Außenwirtschaft nicht zu unterschätzen ist. Dass Schweden sich schon frühzeitig mit Eisen- und Stahlprodukten in das europäische Handelsgefüge eingliedern konnte, lag vor allem an den günstigen Ausstattung mit Rohstoffressourcen: Eisenerze und die zur Verhüttung benötigte Holzkohle waren reichlich vorhanden und anders als die finnischen und russischen Konkurrenten konnten schwedische Händler und Kaufleute zudem den geografisch bedingten Vorteil ausnutzen, dass die europäischen Haupthandelsrouten schnell erreichbar waren. Noch im 18. Jahrhundert hatte Schweden neben Russland dank der schier unerschöpflichen Eisenerz- und Holzkohlevorräte die Weltmärkte unangefochten beherrscht.1 Roheisen sollte auch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein vor Hafer oder Holz das wichtigste Exportprodukt des Landes darstellen, welches bis zur Erschließung eigener Vorkommen in den Appalachen seinen Weg selbst in die US-amerikanischen Nagelmanufakturen fand.2 Diese Prä1  Schätzungen gehen davon aus, dass 40 v. H. der weltweiten Eisenverarbeitung in diesem Zeitraum mit Rohstoffen oder Halbfabrikaten aus Schweden bewerkstelligt wurde. Vgl. Arpi, G., Sveriges järnhantering, Stockholm 1957, S. 37 ff. 2  Magnusson, Economic History, S. 111; Attman, A., Svenskt järn och stål 1800– 1914 (Jernkontorets bergshistoriska skriftserie, Nr. 21), Stockholm 1986, S. 9.



II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik89

ponderanz in der Exportstruktur sollte jedoch nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass die Existenz bedeutender Eisenvorkommen mehr oder minder automatisch zu einer konkurrenzfähigen Stahlverarbeitung führte. Traditionell war ein herausragendes Merkmal der schwedischen Eisenverarbeitung die Vielzahl kleiner Produktionsanlagen und Protomanufakturen als Ergebnis des notwendigen Zugangs zu Holzkohle und Wasserkraft. Paradoxerweise hatte die schwedische Eisenindustrie trotz ihrer günstigen geografischen Nähe zu Eisenerzfeldern und Wäldern angesichts im Ausland entwickelter neuer Verarbeitungsverfahren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts empfindliche Absatzeinbußen hinnehmen müssen. Durch den Durchbruch des auf die Verwendung von Holzkohle verzichtenden Puddeleisenverfahrens in Großbritannien, wohin rund die Hälfte der schwedischen Roheisenexporte verschifft wurden, war bis 1860 ein deutlicher Rückgang der Exporte zu verzeichnen. Erst ab 1840 konnten sich schwedische Hersteller auf dem angestammten Hauptabsatzmarkt wieder allmählich behaupten, nachdem der Lancashireprozess der Holzkohlebefeuerung angepasst werden konnte.3 Die neuen überlegeneren Herstellungsverfahren hatten jedoch offensichtlich die Erkenntnis reifen lassen, dass mit einer zergliederten Produktionsstruktur und mit den klassischen holzkohlebasierten Verfahren sich die ­Position der noch jungen schwedischen Stahlindustrie nicht halten lassen würde. Die erste grundlegende Antwort auf die Herausforderung durch zunächst britische und später deutsche Stahlunternehmen war eine umfassende Rationalisierung der Produktion.4 Die zweite Antwort auf die spürbare Unterlegenheit war eine Hinwendung zu Qualitätsprodukten und die rasche Adaption von damit verbundenen Herstellungsverfahren. Lange hatten sich die Ausfuhren verarbeiteter Stahlprodukte auf Draht und Röhren beschränkt, die mit dem Durchbruch der Walzwerktechnik in den 1860ern in großen Quantitäten gefertigt werden konnten. Neu entdeckte Eisenerzfelder in Grängesberg, Gällivare und Kiruna, die zunächst fast ausschließlich für Exportzwecke bestimmt waren, hatten einen Strukturwandel in Gang gesetzt, der mit dem Durchbruch neuer Bearbeitungsverfahren einher ging.5 Weil die in Schweden weit verbreitete Siemens-Martin-Methode im Hin3  Schön,

Svensk ekonomisk historia, S. 97. 1875 und 1910 halbierte sich die Anzahl der kleinen Schmieden, die teilweise auf eine Geschichte bis in die frühe Neuzeit zurückblicken konnten, von 224 auf 112. Vgl. Attman, Svenskt järn, S. 39. 5  Das bisher nutzlose phosphathaltige Erz konnte in Kombination mit Holzkohle mit einem niedrigen Schwefelgehalt in ein verwendungsfähiges Material verwandelt werden. So wurde der zwischenzeitliche Rückstand der einheimischen Hersteller gegenüber der englischen und deutschen Konkurrenz wieder aufgeholt. Vgl. dazu Jörnmark, J., Skogen, staten och kapitalisterna: skapande förstörelse i svensk bas­ industri 1810–1950, Lund 2004, S. 87. 4  Zwischen

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

blick auf die durch Hochöfen ermöglichte Volumenproduktion der Bessemer- und Thomasmethode unterlegen war, bot sich die Herstellung von Qualitätsprodukten an, die im hohen Grad auf Spezialstählen basierten. Anfang des 20. Jahrhunderts war der ‚Schwedenstahl‘ bereits ein fester Begriff, mit dem infolge der Nutzung unterschiedlicher Herstellungsmethoden vom Lancashireprozess bis hin zu Bessemerverfahren eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Rohstahlsorten wie Kohlenstoff- oder Martinsstahl und weiter veredelte Produkte gefertigt werden konnten.6 Bis heute ist die Herstellung von mit Molybdän, Wolfram, Nickel, Kobalt und Chrom legierten Produkten wie rostfreiem Stahl, Hochgeschwindigkeits-, Trageoder Werkzeugstahl ein herausragendes Merkmal der Industrie geblieben. Entfiel auf diese Kategorie in anderen Volkswirtschaften durchschnittlich bei fünf bis zehn v. H. des gesamten Outputs, trug Spezialstahl in Gestalt von rostfreien Stahlsorten, Trage- und Werkzeug- sowie Hochgeschwindigkeitsstahl zu 60 v. H. des gesamten schwedischen Outputs bei.7 1. Spezialist unter Spezialisten: Sandvik im Marktumfeld der schwedischen Stahlindustrie Ähnlich wie andere Unternehmen lässt sich Sandvik zu der ‚zweiten Generation‘ in der Branche zählen, also den Spezialstahlherstellern, die neben den traditionellen Schmieden und Eisenmanufakturen durch den systematischen Einsatz neuer Techniken mit einem wissenschaftlichen Input zunehmend an Gewicht gewinnen sollten. Der Ingenieur Göran Fredrik Göransson hatte am 18. Juli 1858 Aufsehen erregt, indem er als erster in Schweden überhaupt in einer Bergslagener Siedlung namens Edsken nach dem Erwerb der Patentrechte das Bessemerverfahren zur Anwendung gebracht hatte. Die Sandvikens Jernverks Aktiebolag nahm nach einem ersten Fehlschlag unter seiner Führung im Mai 1868 die Produktion von Drähten, Röhren und Blechen auf.8 Was das kleine und bescheidene Unternehmen rasch aufblühen ließ, war der schnell steigende Bedarf nach Qualitätsstahl in Gestalt von Bergbohrern, die bereits seit den frühen Anfängen zu den 6  Fritz, M., Svenskt stål: Nittonhundratal: från järnhantering till stålindustri (Jernkontorets bergshistoriska skriftserie, Nr. 33), Stockholm 1997, S. 14 f. 7  Håkansson, Industrial Technological Development, S. 45. Es gab mit Stora Kopparberg nur einen relevanten Hersteller von billigem Massenstahl, und es dürfte wohl kaum ein Zufall gewesen sein, dass dieses Unternehmen zugleich der entschiedenste Verfechter protektionistischer Hürden gegenüber ausländischen Wettbewerbern war. Vgl. Jörnmark, Skogen, S. 233. 8  Bereits zu Beginn der 1880er kam eine Kaltwalzenabteilung hinzu, die Halbfertigprodukte wie Stahlgürtelreifen sowie Stahlbänder für Korsetts, Rasierklingen und Wasseruhren hervorbrachte.



1. Spezialist unter Spezialisten91

herausragenden Produkten gehörten, genauso wie Schneidestahl für die mechanische Industrie oder den ab 1886 hergestellten Sägen.9 Die Massenfertigung in großen Serien hatte erst relativ spät im Jahr 1898 mit gewalzten Kesselröhren und ab 1913 mit Förderbändern und -anlagen ihren Auftakt genommen. Ab 1924 festigte das Unternehmen seinen Status als weltweit führender Anbieter für Trichtermetalle, nachdem die ersten nahtlosen rostfreien Stahlröhren in Form von Verdampferröhren in der ersten europäischen Pilgerschrittwalze in Serienproduktion gingen.10 In den 1930ern folgte die Herstellung von Schweißdrähten und im gleichen Jahrzehnt konnte sich der Konzern mit dem Prädikat des Weltmarktführers auf dem Feld der Stahlfederherstellung schmücken. Es war jedoch nicht nur diese Produktvielfalt, die Sandvik von anderen schwedischen Stahlunternehmen unterschied. Erstens war das Bergslagener Unternehmen durch die späte Gründung in den 1860ern nicht in den jahrzehntelangen Umstrukturierungsprozess zur Konzentration der verstreuten Produktionsorte involviert und musste auch nicht die dafür erforderlichen Ressourcen bereitstellen. Die konnten zweitens vielmehr dafür eingesetzt werden, das Produktsortiment rasch zu erweitern und mittels hoch veredelter Produkte gezielt profitable Nischen zu erschließen. Das Unternehmen war drittens zwar durchgängig als Stahlunternehmen tätig, nahm jedoch immer eine Sonderstellung am Rande der Branche mit vielfachen Überschneidungen zur mechanischen Industrie ein, was die Position des Unternehmens im Branchensystem nachhaltig beeinflussen sollte (vgl. Abschnitt II.3.). Schon dass die Kernidee des Unternehmens nicht der Zugang zu Ressourcen, sondern die Inwertsetzung einer Innovation in Gestalt des Bessemer-Prozesses war, verdeutlicht viertens die Zugehörigkeit zu den genius companies des späten 19. Jahrhunderts, die ihre Erfolge mit der Umsetzung einer immateriellen Wertschöpfung begründeten. Der entscheidende Schritt, dem Sandvik seine führende Stellung im Spezialmetallbereich verdanken sollte, war jedoch erst nach dem zweiten Weltkrieg erfolgt. 1958 war das Management zu der Erkenntnis gelangt, dass die Hochphase einiger Produkte sich ihrem Ende zuneigte und man zog daraus die Konsequenz, sich zunächst auf rostfreie und nahtlose Röhren zu konzentrieren. Zusätzlich setzte der VD Wilhelm Haglund auf kalt gewalzte und gehärtete Bandprodukte, Rasierklingen, Blattventile, Federmaterial, rostfreie 9  Zur Frühgeschichte Sandviks vgl. Hedin, G., Ett svenskt järnverk: Sandviken och dess utveckling, Uppsala 1938; Haglund, W., Levebröd: Strövtåg I minnet och brukshistorien, Stockholm 1978; Sebardt, C., Sandvikens järnverk 1938–1957: Sandvikens kallvalsverk 1930–1940, Stockholm 1992. 10  Hedebrant, O. et al., Transformation: Sandvik 1862–1987: From a Steelworks Into a High Technology Industrial Group, Sandviken 1987, S. 21.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Schweißelektroden und chirurgische Nadeln, die mit Metallen wie Titanium, Aluminium und Vanadium legiert wurden, mit denen die FuE-Abteilung der Stahlsparte ab 1959 gezielt experimentiert hatte. Als Haglund 1966 das Unternehmen verließ, realisierte Sandvik zwar immer noch den Großteil seiner Gewinne mit Stahl, aber die Spezialmetallherstellung war bereits auf dem Weg, das zukünftige Profil des Unternehmens zu prägen. Allmählich etablierte sich das Unternehmen als größter Hersteller für legierte Spezialmetallprodukte wie dünne Rasierklingenstahlbänder, Blattventilstahl für Kompressoren und verschiedene Typen von Federmaterial, die vorrangig von der mechanischen Industrie nachgefragt wurden. Die reine Stahlerzeugung bekam zunehmend einen komplementären Charakter, da Produkte wie Dampferzeugerröhren nur noch zu 10 bis 30 v. H. aus Stahl, ansonsten aus Legierungen wie Nickel und Chrom bestanden.11 Weniger die Ausrichtung auf hochspezifische Spezialstahlqualitäten, sondern der Verbundwerkstoff Hartmetall sollte jedoch die Erfolgsgeschicke des Unternehmens im weiteren Verlauf nachhaltig bestimmen. Bereits Ende 1941 hatte die Unternehmensleitung noch unter Carl Sebardt eine zukunftsweisende Entscheidung getroffen, als zusätzlich die Hartmetallverarbeitung als völlig neues Produktfeld für den Konzern erschlossen werden sollte, das keinerlei originären Verbindungen zu dem Kerngeschäft Stahl aufwies. Stahl machte schon 1987 nur noch ein Drittel der Aktivitäten aus, während Hartmetallprodukte einschließlich Hartmetallwerkzeug und Bergbohrern die Hälfte des Umsatzes verantworteten.12 1990 entstammten 52 v. H. des Konzernerlöses von insgesamt 16,4 Mrd. SKr aus dem Verkauf von Hartmetallprodukten.13 Hartmetall besteht aus harten keramischen Partikeln in einer weichen metallischen Matrix, das in der Regel unter Verwendung von gepresstem und gesintertem Pulver aus Wolframkarbid und Kobalt hergestellt wird. Das Pulver kann erhitzt oder auf andere Weise verdichtet werden, um auf diese Weise hochfeste und materialdichte Werkstücke zu erzeugen. Hartmetalle werden auch mit einer Bindelegierung aus Titaniumkarbid, Tantalkarbid und Niobiumkarbid oder anderen Metallen wie Nickel, Chrom, Molybdän oder Eisen zur Erhöhung der Hitzebeständigkeit hergestellt. In Deutschland hatte das keramische Sinterprodukt seit seiner Erfindung durch Karl Schröter und dem Erwerb der Patentrechte 1923 durch Osram vor allem durch die KruppMarke Widia einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Nachdem der Werkstoff in Verbindungen mit Tantal- oder Titankarbid um 1930 seinen Durchbruch erlebt hatte, interessierten sich rund 15 bis 20 schwedische Stahlhersteller, 11  Interview

mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. Göransson till Eriksson: Sandvik 125, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 3 (1987), S. 10–13. 13  Branschen där bara de hårdasta överlever, in: Veckans Affärer, 14. März 1990. 12  Från



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darunter Uddeholm, Fagersta und Luma Lampan für das Material. Fagersta hatte in Schweden unter Umgehung der Kruppschen Patentrechte eine eigene Hartmetallvariante unter dem Namen Seco entwickelt. Bei Luma Lampan, wo das Material für die Herstellung von Lampendrähten verwendet wurde, war ein Ingenieur namens Hans Wolff auf die Idee gekommen, das Material für panzerbrechende Munition und Bergbaubohrer zu nutzen. Durch ein zehnjähriges, 1941 mit Luma abgeschlossenes Abkommen bekam Sandvik Zugang zu dem Verfahren, das in Gestalt von Hartmetallstiften erfolgreich für die eigenen Bohrerkronen verwendet werden konnte, die in Granitbergbaubohrern eingebaut wurden. Dadurch, dass sich an der Außenschicht ein hoher Grad von Wolframkarbid konzentrierte, während sich zum Inneren hin Kobalt und zum Kern wieder das Wolframkarbid verdichtete, erhielten die Bohrer eine außerordentliche Materialhärte. Dieses Anwendungsverfahren sollte den schwedischen Bergbau während der 1940er und 1950er revolutionieren, da der zuvor extrem hohe Bohrstahlverbrauch infolge der Kombination drastisch reduziert werden konnte. Nach der Übernahme der Luma-Produktion und dem Abschluss eines Abkommens mit Atlas Diesel im Herbst 1947, wodurch nebenbei der Konkurrent Fagersta ausmanövriert werden konnte, vermarkteten Sandvik und Atlas Copco fortan gemeinsam die ‚schwedische Methode‘, womit die Kombination der Hartmetall beschichteten Bergbaubohrer Sandviks mit der Gesteinbohrmaschinerie Atlas Copcos bezeichnete wurde. Atlas Copco bekam zusätzlich das alleinige Verkaufsrecht der Bergbohrer zugesprochen und vertrieb sie zusammen mit eigenen Bergbaumaschinen. Der Einsatz von Hartmetall beschränkte sich indes nicht auf Anwendungen im Bergbau. Allmählich wurde das Potenzial des Werkstoffes auch bei Fertigteilen erkannt, die unter Einsatz des Sinterverfahrens für die Metallbearbeitung gefertigt wurden.14 Entgegen etlicher Voraussagen konnte Hartmetall in der schneidenden Bearbeitung zu Lasten des Schnellstahls, der Mitte der neunziger Jahre nur noch 50 v. H. des für die Werkzeugherstellung genutzten Materials ausmachte, schnell an Gewicht gewinnen.15 Dementsprechend sollte der weltweite jährliche Verbrauch an Hartmetall zwischen 1945 und 1985 von bescheidenen 10.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen ansteigen, während der Schnellstahlverbrauch im gleichen Ausmaß zurückging.16 Der Durchbruch in der Werkzeugherstellung war Sandvik 1968 ge14  Mit gehärtetem Kohlenstoffstahl hatte die Bearbeitungszeit bei Schweißoperationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch rund 100 Minuten betragen, die dann mit Hilfe von Schnellstahlwerkzeug auf eine halbe Stunde verringert werden konnte. In Testverfahren stellte sich dann heraus, dass Hartmetall die Bearbeitungszeit auf rund fünf bis sechs Minuten reduzieren konnte. 15  Välfärdsproblem i Seco Tools, in: Affärsvärlden, 1. Juni 1994. 16  Sandvik världsetta, in: Dagens Industri, 6. August 1987.

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lungen, als die Konzerningenieure unter Einsatz eines Coating-Verfahrens die Ummantelung von Wendeschneidplatten mit einer Schicht aus einem anderen Material ermöglichten. Diese Wendeschneidplatten waren gegen Ende der fünfziger Jahre als Ersatz für Drehmeißel und Fräswerkzeuge mit hartgelöteten Spitzen aufgekommen. Eingespannt in Werkzeughalterungen konnten sie mit triangulär, rund oder eckig geformten Schneiden für eine Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden. Das Unternehmen hatte mit dem schweizerischen Uhrenforschungsinstitut LSRH eine Zusammenarbeit bei Außenbehandlungsmethoden mit CVD oder PVD aufgebaut und in dessen Rahmen die Beschichtungstechnik Gamma Coating entdeckt, die im Rahmen nun eigener Anstrengungen in der 1953 in Betrieb genommen Fabrik in Västberga weiterentwickelt wurde.17 Auf die Außenseite der Hart­ metallschneiden wurde mittels eines später computergesteuerten Prozesses durch Begasung zusätzlich eine mikroskopische dünne Lage aus Titannitrit, Aluminiumoxid, Wolfram- oder Titankarbid mit dem Durchmesser einiger Tausendstel Millimeter appliziert, um so eine Materialhärte zu gewinnen, ohne die Zähigkeit der Wendeschneidplatte zu gefährden, die in der Regel durch eine Kobaltlegierung sichergestellt wurde. Die Gebrauchsdauer der Wendeschneidplatten, die an ihrer Spitze einen Druck von 100 Megapascal sowie chemische Angriffe aushalten mussten und zudem durch eine Temperatur von 1000 Grad schnell deformieren konnten, konnte nachhaltig verlängert werden, so dass deren Haltbarkeit auf einmal mit 67 v. H. zunahm.18 Zwei Drittel aller schwedischen Wendeschneidplatten waren anfangs der neunziger Jahre mit einer Beschichtung versehen. Bereits 1967 war Sandviks Hartmetallsparte zum globalen Marktführer im Bereich der Wendeschneidplatten aufgestiegen, auch weil bis dahin der Konzern systematisch sämtliche Konkurrenten auf dem Heimatmarkt aufgekauft hatte. Die Gesamtheit aller Produktfelder – angefangen von der Hartmetall- bis hin zur Spezialstahlproduktion – wurden im Konzern während der Untersuchungsperiode innerhalb von fünf Sparten organisiert. Sandvik Steel als die traditionelle und kapitalintensivste Kernsparte des Konzerns produzierte Röhren, Bänder, Draht und Stangen in rostfreien und hoch legierten Stählen. 1985 machten rostfreie, nahtlose Röhren, mit denen Sandvik sich in Europa die Position eines Marktführers verschafft hatte, 60 v. H. des Verkaufs aus. Die Sparte konnte mit einer ganzen Reihe Spezialstahllegierungen aufwarten. 20 v. H. entfielen auf dünne, rostfreie Bänder für Produkte wie Rasierklingen oder Verwendungszwecke in der Feinmechanik, Elektronik oder Druckereien und weitere 20 v. H. auf rostfreien Federdraht und Schweißma17  Ett företag i världsklass, in: N. N. (Hrsg.), C som Coromant: En marknadledares utveckling, Sandviken 1999, S. 80. 18  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007.



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terial.19 Reiner Handelsstahl wurde hingegen kaum hergestellt: Der Großteil der Rohstahlproduktion in Sandviken, in der Mitte der achtziger Jahre nur noch 10 v. H. aller Konzernbeschäftigten arbeiteten, war für die Weiterveredelung innerhalb des Konzerns bestimmt. Die Hartmetalleinheit orchestrierte alle Aktivitäten, die auch im weiteren Sinne der Hartmetallproduktion zugerechnet werden konnten und die im Maschinenbau, in der Luft- und Raumfahrtindustrie, bei Fahrzeugherstellern sowie schließlich im Formen- und Gesenkbau ihre Abnehmer fanden. In der 1951 in Betrieb genommen Fabrik in Gimo beschränkte man sich nicht nur auf die Herstellung des auch konzernextern vertriebenen Hartmetallpulvers und der Wendeschneidplatten, sondern stellte zusätzlich eine ganze Bandbreite an Spezialwerkzeugen wie Schlitz- und Walzfräsen, bohrende Walzenstirnfräsen, Maschinensägeblätter und Spiralbohrer her, die unter dem Namen Sandvik Coromant vertrieben wurden. Diese Werkzeuge und Schneidplatten konnte in eigener oder auch fremder (computer-)numerisch gesteuerter Maschinerie, die Sandvik im Rahmen seines Produktsortiments zur Verfügung stellte, zum Einsatz gelangen. Voll automatisierte Produk­ tionssysteme wie das CAD / CAM-basierte Automated Production Cell wurden seit 1975 im baden-württembergischen Laudenbach bei der Einheit Coromant Engineering entworfen.20 Neben diesen beiden Kernsparten des Konzerns wurden in drei weiteren Geschäftsbereichen die Aktivitäten zusammengeführt, die jeweils die Weiterveredelung von Hartmetall und Spezialstahl im Rahmen eigener Produktlinien betrieben. Dazu zählte der Geschäftsbereich Sandvik Rock Tools, der den internationalen Markt für Bergbohrer dominierte und infolge der verwendeten Hartmetallbohrkronen eine enge Bindung an Sandvik Coromant aufwies. Der Konzern konnte ein breites Sortiment an rotierenden Bohrkronen anbieten, die mit extrem materialresistenten Hartmetallbohrstiften bestückt waren, so dass die gleichzeitig stattfindende Bohrung und Gesteinszertrümmerung Sprengungen unnötig machte. Durch die Zusammenarbeit mit Atlas Copco und durch ein erneuertes Produktprogramm konnte Ende der 1970er mit hydraulischen Bergbohrern und Bohrkronen der Niedergang im Bergbau wie auch der Anlagenindustrie erfolgreich pariert werden. Als neues Expansionsfeld setzte man in den achtziger Jahren auf Ölbohrgerätschaften, in denen infolge eines größeren Umsatzvolumens genauso ein attraktiver Wachstumsbereich vermutet wurde wie im Werkzeug für das Losbrechen von Bergwerksmineralien in Gestalt von Hartmetall 19  „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 59. 20  Sandvik: format verktyg, teknik för 1980-talet, in: Veckans Affärer, 3. Dezember 1983.

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bestückten Schleif- und Kratzwerkzeugen. In der Säge- und Handwerksparte mit dem Namen Sandvik Saws and Tools wurden Handwerkssägen, Metallschneidewerkzeuge, Kettensägekomponenten, Metallsägeblätter, Windeisen, Feilen und andere Handwerkzeuge für den Konsumentenbedarf gefertigt. Diese Werkzeuge konnten als die einfachste Variante der Weiterveredelung der eigenen Stahlproduktion gesehen werden, wenn auch die Sägezähne zusätzlich mit einer Beschichtung aus Schnellstahl versehen werden mussten. Bei Handsägen und Bogenfeilenblättern konnte Sandvik seine traditionelle Stellung als Marktführer wahren, obwohl die Vielzahl kleiner Hersteller zumeist mit einem sehr begrenzten Absatzradius eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz darstellten.21 In der Sparte Sandvik Process Systems als einer ursprünglichen der Stahlherstellung zugeordneten und dann später separierten Produkteinheit wurde die Herstellung von Stahlbändern, Prozessanlagen und automatischen Sortiersystemen angesiedelt. Vorrangig der eigene Rotoform-Prozess als ein Arrangement aus Stahlbandkühlern und Aufgabesystemen sollte ein Erfolg in der chemischen Industrie und der Lebensmittelherstellung werden.22 Zu Beginn der 1980er hatte man nach Akquisitionen zusätzlich Kühler, Trockner und Pressen in das Produktprogramm aufgenommen, das etwas später um Trocknungsanlagen für Papierherstellung, Bandpressen für technisches Laminat, Platinen, glasfiberverstärktes Plastik sowie Sortierungsausrüstung für die Stückgutverladung ergänzt wurde.23 Beschränkt man sich auf das Kriterium der bisher dokumentierten Produkt- und Materialwahl, dann lässt sich argumentieren, dass der evolutionäre und inkrementelle Charakter schon hinsichtlich der Stoffumwandlung klar zutage tritt. Insofern entsprach das Muster der Innovationsstrategie Sandviks in dieser Hinsicht ganz der in korporativen Marktwirtschaften bevorzugten inkrementellen Innovationsstrategien, die auf kleine, schrittweise Verbesserungen hochwertiger Produkte abstellen. Dieses Element bildet die bei Sandvik verfolgte Innovationsstrategie allerdings genauso unzureichend wie rein summarische Kategorien beispielsweise in Gestalt der FuEAufwendungen, Patente oder auch die qualitative Gestalt der unternehmerischen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen. Grundsätzlich postuliert die VOC-Theorie, dass Innovationsprozesse im komplexen Gefüge von Institutionen und unternehmensexternen stakeholdern untersucht werden sollten. Was Sandvik nahezu mustergültig in die Tat umsetzte, war das Paradig21  Sandviks tysta revolution: Skär guld med hårdmetall och trappar ner stålet, in: Veckans Affärer, Nr. 13 (1980), S. 70–72, S. 71. 22  Från Göransson till Eriksson: Sandvik 125, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 3 (1987), S. 10–13. 23  Sandvik Geschäftsbericht 1984; Sandvik Geschäftsbericht 1981.



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ma der immateriellen Produktion. Die Kernelemente der Innovationsstrategie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Preisführerschaft

Fertigung hochqualitativer Produkte

Ausgefächertes Produktspektrum

Herstellung von Nischenprodukten

Maximale Anpassung an Kundenbedürfnisse

Hohe Fertigungstiefe

Abbildung 4: Elemente der Innovationsstrategie Sandviks

Zunächst war es die Verpflichtung auf Forschung und Entwicklung, der bei der Qualitätssicherung von Produkten ein entscheidender Stellenwert zuerkannt wurde. Das Bergslagener Unternehmen nahm im Vergleich mit internationalen Konkurrenten, aber auch mit anderen schwedischen Spezialstahlherstellern eine federführende Stellung bei der Nutzung neuer Methoden und Erkenntnisse ein. Bei Sandvik Coromant, dem Geschäftsbereich für Hartmetallprodukte, wurden fünf bis sechs v. H. des Jahresumsatzes für die Weiterentwicklung der eigenen Produkte ausgegeben, während der USamerikanische Hauptkonkurrent Kennametal es bei 2,5 v. H. bewenden ließ. Berechnet man die FuE-Kosten als Anteil am Konzernumsatz, sollte Sandvik allerdings nie zu Hochtechnologieunternehmen wie Ericsson oder Astra aufschließen: Die durchschnittlichen Aufwendungen für FuE und Qualitätssicherung sollten nur selten den Wert von 4 v. H. überschreiten. Ähnlich wie andere schwedische Unternehmen pflegte Sandvik Verbindungen zu der an Universitäten betriebenen Grundlagenforschung durch ‚gesponserte‘ Industriedoktoranden, der Bereitstellung hochmoderner Elektronenmikroskope wie für die Metallografie an der KTH oder der Teilnahme mit anderen schwedischen Firmen an spezifischen Projekten, wie der Erforschung von neuen Spritzgussverfahren am pulvertechnischen Zentrum der Chalmers Tekniska Högskola. Darüber hinaus wirkte das Unternehmen bei der Bildung eines nationalen Kompetenzzentrums für Hochtemperaturkorrosion mit und stiftete mehrere Forschungsstipendien für Doktoranden an der KTH, der Chalmers Tekniska Högskola und der physikalischen Materialforschung der Universität Uppsala.24 Die Bedeutung des wissenschaftlichen Inputs durch 24  Geschäftsbericht Sandvik 1995; Geschäftsbericht Sandvik 1996, S. 7; Vektorteknik för kataloger: alltid öppet på internet, in; Magasinet Verkstäderna, Nr. 12

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diesen Wissenstransfer sollte jedoch nicht überschätzt werden. Insgesamt befolgte das Unternehmen die grundlegende Maxime, eigene Laboratorien zu betreiben, um möglichst wenig von Universitäten abhängig zu sein. Neue, nicht in der Herstellung eingesetzte Grundstoffe wie Aluminium oder Keramikvarianten sollten möglichst selbst erforscht werden, um auf diese Weise konkrete Anwendungsmöglichkeiten möglichst frühzeitig und in enger Koppelung an die eigene Grundforschung auszuloten.25 Dieses Bestreben nach einer höchstmöglichen Kontrolle der verarbeitenden Herstellung lässt sich auch an dem Umstand erkennen, dass vorrangig bei Hartmetall der Status eines Selbstversorgers bewahrt werden sollte. Dementsprechend wurde von der Möglichkeit des externen Stahlzukaufes oder der kompletten Abwicklung der eigenen Rohstahlverarbeitung kein Gebrauch gemacht, da man Beeinträchtigungen der Qualität der eigenen Stahllegierungen fürchtete.26 Auch die wenigen Zulieferer – bei Coromant beschränkte sich die Anzahl auf ein rundes Dutzend – waren eng an das Unternehmen gebunden. Abgesehen von Eisenerz und Metallen im Falle der Stahlsparte und den Hartmetallrohstoffen für Coromant war die übrige Wertschöpfungskette nahezu vollständig im Unternehmen angesiedelt.27 Das Thema Outsourcing wurde in der Konzernleitung mit Zurückhaltung behandelt, da man sich keinen großen Gewinn davon versprach und wegen der hoch bewerteten angestrebten Lieferungszuverlässigkeit zudem keine Abhängigkeit von externen Akteuren eingehen wollte. Auslagerungsschritte bezogen sich primär auf administrative Funktionen, aber nicht auf die Produktionstechnik.28 Selbst die Produktionsmaschinerie (1998), S. 28–29; Sandvik hoppas på ny teknik, in: Svenska Dagbladet, 2. Dezember 1992. 25  Die FuE-Abteilung erforschte auch andere Werkstoffe wie Keramik, die zeitweise als Konkurrenz für Hartmetall aufgefasst wurden. Vgl. Zur Anwendungsforschung Interview mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 21. Februar 2007; Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007; „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 56–59. 26  Få hot mot Sandvik: Nu banas väg för nya köp, in: Veckans Affärer, Nr. 44 (1988), S. 88. 27  Världsledande på hål: Coromant provar torrbearbetning efter kundkrav, in: Ny teknik, Nr. 13 (1999), S. 9. Vgl. zu der Bedeutung der Zulieferer die Einschätzung eines ehemaligen Mitglieds der Konzernleitung: „Wir importieren Schrauben aus der Schweiz, einige Plastikverpackungen und Stahl, das wars“. Vgl. Interview mit Interview mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 21. Februar 2007. 28  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007; Interview mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 1. März 2007. Erst mit der Gründung der Sparte Sandvik Mining and Construction 1998 und infolge von den in den neunziger Jahren getätigten Erwerbungen ergab sich die allerdings nach wie vor bescheiden genutzte Möglichkeit zur sequentiellen Fertigung, bei der einzelne Montageschritte oder die Komponentenherstellung ausgelagert wer-



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wurde bei Sandvik konstruiert und gefertigt, was dem Unternehmen den Status des größten schwedischen Maschinenherstellers einbrachte, da es nach Angabe von Konzernvertretern keinen gab, der die sehr hohen Anforderungen des Unternehmens hätte erfüllen können.29 Dieses Vertrauen in die eigenen Stärken erscheint auch angebracht angesichts eines beachtlichen Diversifikationsgrades der Produkte. Schon alleine die Stahlsparte produzierte Lager- / Verbindungsröhren für die Papier- und Zellstoffindustrie, Titanröhren für die Luftfahrtindustrie, Federdraht für die Fahrzeug- und Elektroindustrie und Zirkoniumkapselröhren für die Energiewirtschaft.30 Das Sortiment erstreckte sich darüber hinaus auf Chirurgienadeln, Komponenten für Schweizer Uhren, Autotelefonantennen, Rasierapparatklingen, Pkw-Katalysatoreneinsätze, Federn für Sprühmechanismen in französischen Parfumflaschen bis hin zu Kameragehäusen. Dementsprechend breit gestaltete sich das Spektrum der Kunden, das unter anderem von der Fahrzeug- und Flugbranche, der Montan-, Öl- und Gasindustrie, der Elektrizitäts- und Forstwirtschaft, Medizintechnik, Pharmazie bis hin zur mechanischen Industrie reichte. Diese Vielfalt an Abnehmern sicherte der Unternehmensspitze nicht nur einen hohen Grad an Handlungsfreiheit gegenüber den Kunden, deren Wert wie im Falle Ericssons noch gezeigt werden wird, nicht unterschätzt werden sollte (vgl. Abschnitt IV.1.). Sie ermöglichte zusätzlich einen Ausgleich von konjunkturellen Schwankungen, falls diese in einer Branche zu verstärkten Nachfrageeinbrüchen führen sollten. Infolgedessen sah sich Sandvik anders als das Forstwirtschaftsunternehmen SCA nicht dazu gezwungen, über einen langen Zeitraum und mittels Erwerbungen eine Konversion in höher veredelte Produktbereiche anzustreben. (vgl. Abschnitt III.2.). Am beeindruckendsten waren jedoch Produktvielfalt und Zahl der Produkteinführungen bei Sandvik Coromant, das jährlich bis zu 25.000 verschiedene Produkte herstellte und im Jahr 2000 eigenen Angaben zufolge alleine 1500 neue Produkte jährlich lancierte.31 In Gimo stellten 1991 die 1750 Beschäftigten insgesamt 12.000 verschiedene Produkte zum Fräsen, Drehen und Bohren her, wovon ein Großteil dabei auf die Wendeschneidden konnten, indem beispielsweise Motoren, Getriebe, Lastwagenhinterachsen oder Zermahlungsmaschinen für das eigene Produktsortiment von international tätigen Zulieferern wie Caterpillar zugekauft wurden. Vgl. Interview mit Anders Ilstam, Halmstad, 3. September 2007. 29  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 30  Nu gäller det att Sandvik inte slår sig till ro, in: Affärsvärlden, Nr. 22 (1987). S. 63; Vektorteknik för kataloger: alltid öppet på Internet, in; Magasinet Verkstäderna, Nr. 12 (1998), S. 28–29; „Vi måste mäta oss med våra konkurrenter inte med varann.“, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 1 (1992), S. 14. 31  Sandvik Geschäftsbericht 2000, S. 15.

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platten entfiel, von denen 1982 2000 und 1991 sogar 8000 verschiedene Varianten existierten.32 Diese Vielfalt verursachte zwischenzeitlich sogar eine ungewollte, mit ernsthaften Marketingproblemen verbundene Unübersichtlichkeit, weil die Verkaufsorganisation schlicht damit überfordert war, die Produktvielfalt und -qualitäten nachzuvollziehen und zu vermitteln.33 Dieses Muster der scheinbar exzessiv praktizierten Diversifikation kann aber nicht losgelöst betrachtet werden von den engen Kundenbeziehungen, denen der Konzern ein außerordentlich hohes Gewicht zumaß. Wie bereits dargelegt, müssen inkrementelle Produktinnovationen durch die Berücksichtigung der Wünsche ausgewählter Kundenkreise oder als langfristig angelegte Verbesserung bestehender Produktpaletten auf der Grundlage detaillierten Wissens über Probleme und Bedürfnisse der Kunden überzeugen. Deren Anforderungen wurden im Rahmen direkter und enger Kontakte in Erfahrung gebracht. Bereits Firmengründer Göransson hatte durch ausgedehnte Reisen ein Kontaktnetz geknüpft und direkte Verkaufskanäle ins Ausland anstelle des üblichen Verkaufs durch Handelshäuser bevorzugt, um so Kunden technische Assistenz und Installationsdienstleistungen anzubieten. Der Konzern hatte die Verkaufsagenten bereits in den 1920ern durch eigene Vertriebsgesellschaften ersetzt. Das Netz der ausländischen Tochtergesellschaft sollte neuen technologischen Entwicklungen folgen, Wissen an Kunden und umgekehrt neueste Bedürfnisse an die eigene FuE-Abteilung vermitteln.34 Dabei versuchte das Unternehmen, wo immer möglich, den Direktkontakt mit den Abnehmern ohne Zwischenstationen zu suchen und gab dafür sogar 1987 sein komplettes Vertragshändlernetz in den USA mit 240 Vertragspartnern komplett auf.35 Vor allem mit dem Aufkommen der Hartmetallprodukte wurde nichts unversucht gelassen, enge Bindungen zu den Abnehmern aufzubauen. Der Mitte der fünfziger Jahre tätige VD Wilhelm Haglund reiste anfangs selbst im Lande umher, um in schwedischen kleineren Werkstätten die Vorzüge der Coromantwerkzeuge zu demonstrieren und praktische Erfahrungen mit den dortigen Werkzeugabteilungen auszutauschen.36 Diese Nähe wurde später in über 20 Coromant-Schulen 32  Vändskär ger Gimo världsplacering, in: Svenska Dagbladet, 20. Januar 1991; Brynäsar’n fixar flödet: Rullande påläggskalv höjer produktiviteten, in: Ny teknik, Nr. 50 (1991), S. 12–13. 33  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 34  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 35  Sandvik sätter USA-dottern på fötter igen: Resultaten stiger med färre mellanhänder och byråkrater, in: Dagens Industri, 5. Juli 1987. 36  Zudem wurde dem Kundenservice schon in der Markteinführungsphase durch ein Netz von unternehmenseigener Schleifstationen in Stockholm, Malmö, Göteborg, Kopenhagen, Oslo und Helsinki eine hohe Priorität eingeräumt. Vgl. Haglund, W., Begynnelsen för Coromantverktyg, in: N. N. (Hrsg.), C som Coromant: En marknadledares utveckling, Sandviken 1999, S. 11.



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gepflegt, die die mit Systemen und Instrumenten arbeitenden Mitarbeiter der Zielunternehmen schulen sollten, um sie in der Anwendung der Werkzeuge einzuweisen und zu qualifizieren.37 Auch in der Stahlsparte fand ein regelmäßiger Gedankenaustausch in Gestalt von Seminaren und Konferenzen statt. So wurden neue Forschungsergebnisse gemeinsam mit den FuE-Einheiten von AKW-Betreibern erörtert, die Sandvik-Dampferzeugerröhren nutzten.38 Diese engen Beziehungen zu den Kunden dienten zwei Zielsetzungen: Erstens ging es darum, Kunden früh in ein Produktentwicklungsstadium einzubeziehen, in dem deren Wünsche systematisch an die FuE-Abteilung weitergeleitet wurden, so dass Produkte möglichst passgenau dem Kundenkontext angepasst werden konnten.39 Die durchgängig angestrebte Fertigungstiefe von nahezu 100 v. H. hatte seinen Grund nicht zuletzt in dem Vorsatz, eine möglichst enge Koppelung zwischen Produktentwicklung und Produktion anzustreben.40 Durch das globale Netz der eigenen Verkaufskontore bei gleichzeitigem bewussten Verzicht auf Vertriebswege in fremden Händen konnte man beispielsweise die Bedürfnisse der Automobilindustrie in Erfahrung bringen, um auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Schneidewerkzeuge zusammen mit den Abnehmern zu entwickeln. Die grundlegenden Intentionen wurden von dem ehemaligen VD Clas-Åke Hed­ ström wie folgt umrissen: „Ohne Vertriebshändler kann man mit den Schlusskunden sprechen. Mit Scania als Kunde kann man dann erörtern: Was macht ihr gerade, was für Anforderungen stellt ihr? Da akquiriert man die Informationen, die dann in die Produktentwicklung einfließen. Koppele die Produktentwicklung nahe an die Produktionstechnologie, um so für die Produktion zu designen und Kosten und Zeit zu sparen … Verkaufe direkt an den Kunden und entwickle Produkte zusammen mit Kunden, höre auf den Kunden, höre auf die Forderungen, die er stellt, gehe auf seine Probleme ein, manchmal ist es so, dass er die Lösung nicht sieht, vielleicht bist du es, der die Lösung hat, so dass das Werkzeug nicht so oft ausgetauscht werden muss. Das spart eine Menge Zeit.“41

Diese Marktbearbeitungsstrategie erklärt, warum so viel Wert darauf gelegt wurde, die gesamte Wertschöpfungskette – angefangen von der Produktentwicklung bis hin zur Vermarktung – innerhalb des Konzernrahmens anzusiedeln. Schon im Rahmen der Produktentwicklung wurde letztlich darüber entschieden, welches Material oder welche Legierung verwendet werden musste, um die spezifischen Erfordernisse der einzelnen Kunden zu 37  Sandvik

Geschäftsbericht 1984, S. 5. mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 39  Interview mit Per Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007. 40  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 41  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 38  Interview

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befriedigen. Umgekehrt konnte Sandvik im Rahmen solcher dialogischer persönlicher Kontakte mit Lieferanten für neue Verfahren interessiert werden, wie es im Falle der Beschichtungstechnik für die Hartmetallwendschneidplatten geschah.42 Um diese Anforderungen von Kundenbedürfnissen schon in die Produktentwicklung einzubringen, bildeten die Entwickler oder Ingenieure einen Teil der Vertriebseinheiten, weil es nur eine begrenzte Anzahl Verkäufer gab, die die Vorzüge der jeweiligen Erzeugnisse in all ihrer Komplexität vermitteln konnten.43 Außerdem testeten Produktentwickler die Produkte bei Kunden, genauso wie Kunden zu Testvorführungen und Diskussionen nach Sandviken eingeladen wurde, um eine möglichst enge Abstimmung mit deren Bedürfnissen abzusichern. Dieser enge Kontakt war ohnehin angesichts der schieren Menge der bis zu 2000 Produktvarianten notwendig, da Informationen übermittelt werden mussten, wie diese für Maschinen, Operationen etc. nutzbar gemacht werden konnten und vor allem, welche konkreten Vorteile mit deren Nutzung hinsichtlich technologischer Effizienz oder Kostenersparnis verbunden waren.44 Die Verkaufsteams versuchten in dieser Hinsicht die Botschaft zu vermitteln, dass Sandviks qualitativ anspruchsvolle Produkte die Kosten oft effizienter senken würden als preiswertere Werkzeuge.45 Auffallend ist, dass diese Marketingstrategie auch in Produktsegmenten wie den Wendeschneidplatten angewandt wurde, in denen Hersteller ansonsten mit Kostenargumenten um Kunden wetteiferten. Stattdessen wurde das hohe Leistungsvermögen anstelle des Preises herausgestellt, obwohl die nicht als ein Stück Würfelzucker großen Wendeschneidplatten einen enorm hohen Verschleiß an den Tag legten und die schneidende Bearbeitung gerade mal weniger als 10 v. H. der Nutzungszeit ausmachte.46 Coromant-Schneiden waren zwar teurer, konnten jedoch in einem bedeutend längeren Zeitraum und bei höheren Geschwindigkeiten eingesetzt werden. Als ein weiteres Element der Kundenbetreuung offerierte Sandvik Systemlösungen, die die Erleichterung des Austausches, der Messung und Kontrolle von Werkzeug ermöglichten.47 Alleine 65 v. H. des 42  Interview

mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 21. Februar 2007. ausgeprägte Orientierung auf Materialentwicklung ermisst sich zudem daran, dass die überwiegende Mehrheit der Verkäufer über technische anstelle von betriebswirtschaftlichen Qualifikationen verfügte. Vgl. zur Ausbildung Interview Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 44  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 45  Sandvik: Förvärv ökar tempot, in: Veckans Affärer, Nr. 49 (1997), S. 32–34; Dolda värden i Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 16 (1996), S. 54–59. 46  Få hot mot Sandvik: Nu banas väg för nya köp, in: Veckans Affärer, Nr. 44 (1988), S. 89. 47  Flera varningssignaler efter Sandviks vinsttap, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1982). S. 22–26; „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 57. 43  Die



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FuE-Budgets bei Sandvik Coromant wurden für die Weiterentwicklung und Verbesserung der maßgeschneiderten Schneiden aufgewendet, um Nutzungsdauer und die Passung für unterschiedliche Formen der Materialbearbeitung zu optimieren.48 Das Unternehmen hatte 1958 – zeitgleich mit den ersten austauschbaren Wendeschneidplatten – ein speziell auf sie zugeschnittenes Halterungssystem namens T-Max und in den siebziger Jahren Datensysteme zur Kalkulation von Schneidedaten, Maschinenzeiten und Maschinenkosten bei wechselnden Operationen in das Produktprogramm aufgenommen.49 Sandvik konnte so die Automatisierung der Werkzeughallen begleiten, indem die eigene Rahmenausrüstung adäquat und beständig erweitert wurde. Die Kenntnisse über solche Hilfsmittel konnten auch bei modularen Werkzeugsystemen wie dem 1983 lancierten Block Tool System genutzt werden, das unterschiedliche Werkzeugeinheiten in einer gemeinsamen Koppelung zusammenführte und durch einen automatischen Werkzeugtausch an hoch mechanisierte und automatisierte Herstellungsprozesse anpasste.50 1989 präsentierte Sandvik Coromant ein PC-Programm namens Coroplan für die Werkzeugzurichtung bei Fräs-, Dreh- und Bohraktivitäten, welches anzeigte, welches Werkzeug verwandt werden sollte, um optimale Schnittgrößen zu ermöglichen.51 Die Erfahrungen mit solchen Kunden begleitenden Serviceleistungen flossen zusätzlich in umfangreichere Angebote zur Verzahnung zwischen Kundenwünschen und Produktentwicklung ein, die maßgeblich von dem Aufkommen der elektronischen Datenverarbeitung profitierten [vgl. Abschnitt II.2.b)]. Die Maxime „Nur ein qualifiziertes Produkt an einen qualifizierten Kunden“52 umschreibt den dritten Aspekt der bei Sandvik verfolgten Innovationsstrategie, nämlich die Ausrichtung auf hoch veredelte Produkte, mit denen ein signifikanter und überproportionaler Marktanteil erwirtschaftet werden konnte. Die Strategie, in Nischen hoch veredelte Produkte herzustellen, war ein mehr als hundert Jahre altes Postulat und wurde von dem zwischen 1984 und 1994 amtierenden VD Per-Olof Eriksson wie folgt beschrieben: „Unsere Zielsetzung ist die globale Dominanz in abgegrenzten 48  Sandviks tysta revolution: Skär guld med hårdmetall och trappar ner stålet, in: Veckans Affärer, Nr. 11 (1990), S. 84–85. 49  Jedes individuelle Werkzeug konnte mit einem programmierbaren Datenträger versehen werden, der das Steuersystem der CNC-Maschine informierte. S. Hedebrant, Transformation, S. 151. 50  Sandvik Geschäftsbericht 1982. 51  Das Programm berechnete sogar Leistungsbedarf, Bearbeitungszeit und -kosten, nachdem die Nutzung der Werkzeugmaschinerie, Materialbearbeitung und Arbeitsoperationen anhand eines Kriterienkatalogs spezifiziert worden waren. Vgl. Verktygsberedning med datorstöd, in: Dagens Industri, 9. Oktober 1989. 52  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

ausgewählten Marktnischen … diese Perspektive gilt für alle Teile des Konzerns.“53 Unternehmen, die diese Strategie der Differenzierung mit einer Preisführerschaft verknüpfen, streben eine Stellung in der Branche an, in der die eigenen Produkte oder Dienstleistungen als einzigartig empfunden werden und deren Preis nicht direkt mit denen der Konkurrenz verglichen werden kann. Durch eine starke Marktposition sollten sämtliche Geschäftsbereiche die Preisführerschaft erringen, indem die Preise auf einem hohen Niveau stabilisiert wurden, so dass es Konkurrenten verunmöglicht wurde, gewinnbringend zu wirtschaften und der Markteintrittsappetenz neuer Akteure hohe Hürden entgegengesetzt wurden. So wurde die Verteidigung einer einmal erreichten Marktposition dadurch erleichtert, dass bei höher veredelten Spezialstahlprodukten für Neueinsteiger angesichts hoher Entwicklungsund Gestehungskosten die Barrieren sehr hoch waren, da bis zur Zulassung 5 bis 10 Jahre vergingen und Sandvik dank seiner frühen Spezialisierung diese Hürde nicht zu nehmen brauchte.54 Diese Preisführerschaft unterschied sich von der häufig von Unternehmen aus liberalen Marktökonomien angestrebten Kostenführerschaft, die über Skalenerträge Marktanteile sichert, indem durch Stückkostendegression alle anderen Konkurrenten ausmanövriert werden.55 Sandvik versuchte hingegen eine Fokus- mit einer Differenzierungsstrategie zu kombinieren, indem die Qualitätsorientierung im Rahmen der Nischenorientierung auf eine Zielgruppe und ein Produktsegment eingegrenzt wurde.56 Dementsprechend wurden die eigenen Sparten explizit darauf verpflichtet, Produktnischen zu lokalisieren, in denen eine angestrebte dominante Marktposition erreicht werden konnte und die im Gegenzug für Massenproduzenten uninteressant war.57 Der VD Per-Olof Eriksson pointierte die Kriterien und die Vorteile dieser Marktführerschaft wie folgt: „Man sucht etwas, was gegen die Konkurrenz verteidigt werden kann. Zielsetzung war, dass man doppelt so groß sein muss wie der nächste Konkurrent; in dieser Situation ist man nahezu unangreifbar.“58

53  Få hot mot Sandvik: Nu banas väg för nya köp, in: Veckans Affärer, Nr. 44 (1988), S. 88–93. 54  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 55  Unter der Voraussetzung, dass die Preissensitivität bei den Nachfragern besonders ausgeprägt ist, können Fixkosten auf ein größtmögliches Produktionsvolumen verteilt werden, wie durch den größtmöglichen Einsatz von Gleichteilen in diversen Modellen oder Produkttypen. Falls sich eine kontinuierliche Kostensenkung einstellt, können dann dauerhafte Gewinnmargen abgesichert werden. 56  Zu den Unterschieden in diesen Markterschließungsstrategien Porter, M., Competitive Advantage: Creating and Sustaining Superior Performance, New York 1985. 57  Sandvik Geschäftsbericht 1985, S. 2. 58  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007.



1. Spezialist unter Spezialisten105

Dieses Postulat galt selbst für die Stahlsparte, in der ein gewisser Grad der Massenproduktion für die Erwirtschaftung von Skalenerträgen erforderlich war und auch ausdifferenzierte Erzeugnisse unter dem Einfluss der Stahlkonjunkturen standen, beziehungsweise die Kostensensitivität angesichts der größeren Volumina deutlich ausgeprägter war.59 Dennoch hatte man seit den sechziger Jahren den Spezialstahlmarkt systematisch auf mögliche Nischen hin überprüft.60 Die Produktion von medizinischem Draht für Chirurgennadeln verdeutlicht das Bemühen, in der Nische zu wachsen genauso wie die rostfreien Bänder oder die gehärteten Stahlbänder, die nicht den gleichen Konjunkturschwankungen ausgesetzt waren wie die Röhrenproduktion, in der das Unternehmen sich auf rostfreie nahtlose Röhren spezialisiert hatte.61 Anhand dieser Produktgruppe lässt sich zeigen, wie sehr der Konzern mit seiner Nischenstrategie erfolgreich war, da Sandvik in diesem sehr spezifischen Bereich immerhin einen Weltmarktanteil von 10 v. H. vorweisen konnte. Als Anteil an dem gesamten Stahlweltmarkt im Jahr 2000 machten rostfreie nahtlose Röhren jedoch nur einen Anteil von 0,02 v. H. aus.62 Das Agieren in solchen ausgewählten Wachstumsfeldern bedingte zwar eine Expansion parallel zu Kundengruppen wie der AKW-Industrie, die zu einem Großabnehmer für die seit 1968 hergestellten Dampferzeugerröhren für die Druckwasserreaktoren wurde, verschaffte jedoch dem Bergslagener Konzern die Stellung als einer der drei weltweit größten Hersteller. Die erfolgreich errungene Preisführerschaft konnte aber nur in der Nische konsolidiert werden. Bei Röhren für Nuklearbedarf wetteiferten nur sechzehn, bei den Dampferzeugerröhren sogar nur vier Hersteller um Aufträge, darunter Sandvik mit einem Marktanteil von 25  v. H.63 Eine vergleichbare Situation fand sich auf dem Markt für Bergbaubohrer, auf dem Atlas Copco mit Sandvik-Bohrern, Secoroc und die südafrikanische Boart jeweils ein Viertel des Weltmarktes für sich beanspruchen konnten, während der Rest auf kleinere Produzenten entfiel.64 Noch eindeutiger war die Lage im Falle der Hartmetallschneideplatten: Zu Beginn der 1990er kontrollierten zwei schwedische Hersteller, nämlich ­Seco Tools und Sandvik Coromant, beides Tochtergesellschaften im Besitz 59  Interview

mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 21. Februar 2007. 61  Nya forutsättningar för sanerade Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 4 (1986), S. 34–41. 62  Kreativ förnyelse på Sandvik, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 5 (2000), S. 20. 63  Glänade affärer: Sandviks kärnkraftsrör hävdar sig påvärldsmarknaden, in: Dagens Industri, 15. September 1992. 64  Dyrköpt seger i bergborrs-VM men Sandvik ser ljuset i tunneln, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 4 (1990), S. 12–16. 60  Interview

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

des Sandvik-Konzerns, zwei Drittel des Weltmarktes.65 Bezogen auf alle Hartmetallprodukte versorgten beide Sparten 25 v. H. des Weltmarktes mit eigenen Produkten; den Rest teilten sich drei US-amerikanische, drei japanische und zwei westdeutsche Unternehmen.66 Zugleich wurden Branchensegmente tendenziell gemieden, in denen die Konkurrenz unnötig groß war, wie der Bereich des Schnellstahls, in dem weltweit etwa 2500 Firmen um Marktanteile kämpften.67 2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern: Vom ‚Mitternachtsraub‘ zum Vorzeigekonzern a) Der ‚Mitternachtsraub‘ Lässt sich, wie später noch gezeigt werden wird, in der Befolgung der Wachstums- und Innovationsstrategie eine ausgesprochene Beständigkeit feststellen, so kann dieser Schluss nicht für die Unternehmenskontrollstrukturen zutreffen. Im Falle des Bergslagener Unternehmens ereigneten sich nicht nur gleich drei bedeutende Eigentümerwechsel, womit Sandvik zweifellos aus dem Kreis der Fallstudienunternehmen herausragt; zwischen 1980 und 2000 lösten sich strategische Hauptaktionäre ab, die jeweils unterschiedlichen Eigentümerkategorien zugeordnet werden können. Genauso wie das Unternehmen als ein Beispiel für die genius companies des späten 19. Jahrhunderts angeführt werden kann, lässt es sich hinsichtlich der Unternehmenskontrollstrukturen zunächst als ein Exempel für die Tradition des schwedischen Familienkapitalismus deuten. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts sollte das Unternehmen dann in den Einflussbereich Skanskas geraten, einem jener Unternehmen, die sich im Gefolge der ‚Revolution der Direktoren‘ außerhalb der beiden Sphären als gewichtiger Eigentümer im schwedischen Wirtschaftsleben etablieren konnten. Ab 1997 sollte schließlich die Svenska Handelsbanken hinter den Kulissen als aktiver Eigentümer wirken. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein konnte die Familie des Unternehmensgründers ihren Einfluss im Unternehmen wahren: Karl Fredrik Göransson, Enkel des Firmengründers, leitete das Unternehmen in Absprache mit seiner Schwester als moderner und sozialer Arbeitgeber und wurde als einer der Initiatoren des Saltsjöbaden-Abkommens angesehen. Anfangs der vierziger Jahre machte Göransson seinen jungen Verwand65  Skärpan hänger på tusendelarna: Företagen eggade varandra, in: Ny teknik, Nr. 11 (1991), S. 50–51. 66  Sandvik med ny ägare: Storstädning gav flygande start, in: Veckans Affärer, Nr. 32 (1984), S. 27; Seco Tools: Krisföretag blev lönsamhetskomet, in: Veckans Affärer, 14. August 1986. 67  Sandvik slår rekord, in: Veckans Affärer, 28. August 1995.



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern107

ten Carl Sebardt zum VD, der schon 1946 nach Meinungsverschiedenheiten seinen Posten wieder aufgab. Weil Göransson selber wieder die Geschicke des Unternehmens bestimmen wollte, markierte dies den Auftakt zu einem Jahrzehnt anhaltenden Konflikt zwischen den beiden Familien. Konflikte entzündeten sich jedoch nicht nur an der Einflussnahme Göranssons, sondern ebenso an dem Wunsch des Managements, durch Neuemissionen die Expansion des Unternehmens abzusichern. Dadurch wurde die Vorherrschaft der Familie in Frage gestellt, da neuen Kapitalgebern zwangsläufig ein Mitentscheidungsrecht eingeräumt werden musste, die den Interessen der Göranssons zuwiderlaufen konnten. Dieser trade-off zwischen Machtbewahrung und notwendiger Unternehmensfinanzierung sollte schließlich zum Ende der familialen Vorherrschaft führen, als eine Neuemission zum Zweck der Unternehmensmodernisierung nicht mehr abgewendet werden konnte. Der amtierende VD Wilhelm Haglund konnte sich dabei auf die Unter­ stützung des bei Sandvik als Vize-OD amtierenden Hugo Stenbeck verlassen, der 1958 die Aktienmehrheit bei Korsnäs übernahm. Über dieses Forstwirtschaftsunternehmen erwarb der Jurist zusammen mit seiner Holdinggesellschaft Kinnevik 12,5 v. H. der Stimmrechte anlässlich einer Neuemission bei Sandvik. Carl Sebardt verließ das Unternehmen und die Epoche der ­Göranssons, Sebardts und der dritten dominierenden Eigentümerfamilie, den Magnusons fand ihr Ende, auch wenn aus Traditionsgründen der Familie Magnuson bis 1983 ein Vorstandsmandat zugestanden wurde. Zusammen mit der Korsnäs-Gruppe war Sandvik das industrielle Vorzeigeobjekt innerhalb der Stenbeck-Sphäre, die der Advokat Hugo Stenbeck ab 1936 zusammen mit dem Großgrundbesitzer Wilhelm Klingspor rund um die AB Kinnevik als machtpolitischem Nukleus aufgebaut hatte. Zu den wichtigsten Unternehmen dieser Sphäre gehörten auch eine Reihe neuerer Spezialstahlunternehmen wie Uddeholm und Fagersta (vgl. Abb. 5). Kinnevik kontrollierte bei Sandvik rund eine Million Aktien und im Konfliktfall konnte Stenbeck – die Klingspor-Familie trat nur noch als passiver Eigentümer auf – sich zusätzlich auf Korsnäs verlassen, dass rund 985.000 Aktien mobilisieren konnte, so dass anfangs der achtziger Jahre mit rund 25 v. H. der Stimmrechte die Dominanz Kinneviks über ein sicheres Fundament verfügte. Dabei konnten die Eigner sich den Unterschied zwischen A- und B-Aktien zunutze machen, die bei Sandvik wie bei anderen schwedischen Unternehmen auch mit einem Unterschied von 1:10 bewertet wurden, so dass die Eigner mit einem geringeren Kapitalaufwand als in einer Situation mit einheitlichen Wertpapierkategorien ihre Macht sichern konnten (vgl. Abbildung 5). Die Ablösung Stenbecks und der Eintritt des neuen Großeigners Skanskas fiel in eine Periode, als sich sowohl Sandvik als auch und sein dominierender Eigenkapitalgeber in erheblichen Turbulenzen befanden. Der bis 1979

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Familie Stenbeck

25 v. H. 10 v. H. Kinnevik

Korsnäs 30 v. H.

14,1 v. H.

12,4 v. H.

Sandvik 40 v. H.

Fagersta

35 v. H.

100 v. H. Secoroc

Seco Tools 45 v. H.

2,5 vH 45 v. H. Uddeholm

65 v. H.

Uddeholm Strip Steel

Abbildung 5: Das Stenbeck-Engagement in der schwedischen Spezialstahlindustrie zu Beginn der achtziger Jahre68

amtierende VD Arne Westerberg, der anschließend auf die Position des ODs wechselte, sowie sein Nachfolger Lennart Ollèn hatten ein ambitioniertes Aufkaufsprogramm für die Säge- und Prozessbändersparte in Gang gesetzt, das beginnend mit dem Kauf von Disston in den USA 1977 sich durchgängig als Enttäuschung herausstellen sollte.69 68  Stimmrechtsanteile in v. H. Angaben nach Doldis styr Sandvik från utlandet: Hårdmetall avgör framtiden, in: Dagens Nyheter, 10. Februar 1982. 69  Schon die ab 1970 eingeleitete Arrondierung diverser einheimischer Unternehmen für die Konsumentenwerkzeugsparte waren mit erheblichen Kosten verbunden,



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern109

1978 wurde die britische Spooner Industries Ltd. für die Prozesssystemsparte erworben, die aber ebenfalls angesichts einer durchgängig negativen Profitabilität als Fehlinvestition eingestuft werden musste. Was aber den meisten Unmut hervorrief, war die auch intern umstrittene Akquisition einer 65 v. H.-Mehrheitsbeteiligung bei dem Wolframprodukthersteller Eurotungstène im Jahr 1980. Selbst der Vorstand musste im Geschäftsbericht 1982 einräumen, dass einige der Erwerbungen sich so ungünstig entwickelten, dass man sich im Falle Disstons nach nur fünf Jahren zum Verkauf entschlossen hatte und im Falle Eurotungstènes Hoffnungen an ein umfangreiches Rationalisierungsprogramm knüpfte.70 Sandvik war nach diesen großen Erwerbungen außerdem schuldenfinanziert, was bei den hohen Zinssätzen der achtziger Jahre eine zusätzliche Erschwernis bedeuten sollte.71 1981 musste dann der Konzern trotz einer Umsatzsteigerung mit neun v. H. das schwerste Jahr seit 1972 bestehen, da man gleichzeitig einen Rückgang der Bruttogewinnmargen auf 15 v. H. hinnehmen musste, den niedrigsten Wert seit neun Jahren. Neben der schlechten Stahlkonjunktur trugen ausgerechnet die Sägen- und Werkzeugsparte zum Gewinnrückgang bei. Der ansonsten zuverlässige Gewinnmotor in Gestalt der Hartmetallsparte war ebenfalls nicht frei von Problemen, da eine neue, allerdings mit niedrigeren Gewinnmargen verbundene Werkzeuggeneration vor der Einführung stand.72 Im Folgejahr mussten die Aktionäre zur Kenntnis nehmen, dass der Jahreskonzerngewinn mit 310 Mio. SKr 40 v. H. niedriger ausfiel als das Vorjahresergebnis von 510 Mio. SKr. An der Börse verringerte sich der Wert der Aktien angesichts der fortlaufenden schlechten Nachrichten von 265 SKr im August 1981 auf 160 SKr während des dritten Quartals 1982. Diese Krise fiel zusammen mit Streitigkeiten, die den Haupteigentümer selbst betrafen. Der Sohn des 176 verstorbenen Hugo Stenbecks, Jan Stenbeck, betrieb von New York aus mit teilweise recht unkonventionellen Methoden die Umstrukturierung der schwedischen Spezialstahlsindustrie. 1978 und 1979 hatte Kinnevik 59.000 Sandvik-Aktien gegen 1.415.000 Aktien bei Fagersta getauscht, um auf diese Weise eine nähere Zusammenarbeit zwischen den beiden Stahlunternehmen einzufädeln. Jan Stenbeck war jedoch gleichzeitig in Konflikt mit seinen Schwestern geraten, die ihre Kinnevik-Beteiligung an Außenstehende verkaufen wollten, die ein lukrativeres was ab 1977 zu chronischen Defiziten geführt hatte. Vgl. zu den Akquisitionen Sandviks tysta revolution: Skär guld med hårdmetall och trappar ner stålet, in: ­Veckans Affärer, Nr. 13 (1980), S. 70–72. 70  Sandvik Geschäftsbericht 1982, S. 2. 71  Nya forutsättningar för sanerade Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 4. (1986), S. 34–41. 72  Sandviks trimmar egna bolag: „Dags skörda frukterna“, in: Veckans Affärer, Nr. 12 (1982), S. 69.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Angebot als der Bruder vorgelegt hatten. Letztendlich musste der Familienzwist sogar gerichtlich und zuungunsten Jan Stenbecks entschieden werden. Im Herbst 1983 kam es dann sogar zu tief gehenden Konflikten mit der Börsenaufsicht, da Kinnevik von Fagersta übernommen werden sollte, was aber aufgrund unklarer Verträge das Einschreiten der Aufsichtsbehörde nach sich zog. Jan Stenbeck hatte offensichtlich mit dem Tausch der SandvikAktien vorgehabt, Fagersta anstelle der Holdinggesellschaft als Plattform für eine von ihm dominierte Unternehmensgruppe aufzubauen. Das Unterfangen stieß jedoch auf heftigen Widerstand: Der schwedische Verband der Kleinaktionäre kritisierte, dass das Angebot von Fagersta für Kinnevik seine Anleger benachteiligen würde und einer von Fagerstas Revisoren zeigte seinen Auftraggeber sogar wegen Urkundenfälschung an. Die Börse schloss sowohl Kinnevik als auch Fagersta kurzfristig vom Tagesgeschäft aus. Diese medienträchtigen Turbulenzen dürften das Vertrauen der übrigen großen Sandvik-Aktionäre in die Leitungstroika des Konzerns – bestehend aus Jan Stenbeck, OD Arne Westerberg und dem Korsnäs-VD Nils Lind­ qvist – kaum gesteigert haben.73 So ist es auch kaum verwunderlich, dass die feindliche Übernahme, die als ‚Mitternachtsraub‘ in die schwedische Wirtschaftsgeschichte einging, nur mit Hilfe der Unterstützung einiger alteingesessener Kapitalgeber realisiert werden konnte. Im Herbst 1982 hatte eine unbekannte Gruppe ein Aktienpaket mit etwas über 10 v. H. der Stimmrechte aufgekauft, vermutlich um von Stenbeck dessen Erwerb zum deutlichen Überpreis zu erzwingen, worauf Stenbeck sich allerdings nicht einließ. Das Aktienpaket war dann der Skånska Cementgjuteriet (SCG) angeboten worden, die im Februar 1983 die 865.000 A-Aktien zu einem Preis von 260 SKr pro Aktie erwarb.74 Weitergehende Ambitionen hatte der VD des schonischen Baukonzerns Bengt Haak zunächst noch von sich gewiesen und bei einem Treffen mit Stenbeck zum Ausdruck gebracht, dass man keine Erhöhung der Kapitalbeteiligung plane. Solche Aktienkäufe erregten auch nicht unbedingt Aufsehen, da die SCG anfangs der 1980er ein umfassendes Aktienportfolio erwarb und später zusammen mit Volvo über ein ausgeklügeltes System mit Kreuzverflechtungen neben der SHB- und Wallenberg-Sphäre zum dritten großen Machtzentrum innerhalb der schwedischen Wirtschaft aufsteigen sollte. Der Rückzug der Familie Wehtje aus der Skånska Cementgjuteriet und der Skånska Cement (Euroc) hatte anfangs der 1970er zu heftigen Machtkämpfen geführt, als das Gewerkschaftsunternehmen BPA Einfluss in diesen Unternehmen zu erlan73  Elisabeth Stenbeck-Silfverstolpe war 1982 aus dem Vorstand ausgeschieden. Stenbeck konnte sich zudem auf das Votum von Carl-Gustaf Klingspor verlassen. 74  Cementgjuteriets kupp mot Jan Stenbeck: Så planerades maktövertagandet i Sandvik, in: Veckans Affärer, 22. September 1983.



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern111

gen versuchte. 1974 ergriffen die Mitglieder der Konzernleitung Gegenmaßnahmen mit Hilfe dreier Verwaltungsgesellschaften, die sich im Besitz der beiden Industrieunternehmen befanden und die zunächst Eurocs Kontrollposten bei der SCG und dann einen Kontrollposten bei Euroc übernahmen. Gestützt auf diese Kreuzverflechtung avancierte die SCG allmählich zu einem aktiven Mitspieler auf den Unternehmenskontrollmärkten. Zentrale Person hinter den rein machtpolitischen Diversifizierungsanstrengungen war der VD Bengt Haak, der ganz im Sinne der ‚Revolution der Direktoren‘ offen das Recht des Managements zur Kontrolle des eigenen Unternehmens proklamierte. Ausgestattet mit einer großen Liquiditätsbasis hatte sich die SCG bis 1983 eine dominierende Position bei SKF, Säfveån und den Graningeverken verschafft und wie Haak enthüllte, trug man sich im Mai 1983 mit dem Gedanken, sich auch bei Kinnevik einzukaufen.75 Ob von Beginn an die Aktienkäufe darauf zielten, Sandvik zu übernehmen, ist nach wie vor offen; jedenfalls sah sich Haak aufgrund schwacher Quartalsberichte und negativer Analysteneinschätzungen offensichtlich zum Handeln aufgefordert.76 Am 6. September konnte SCG von dem 4. APFonds weitere 279.000 Aktien entsprechend 6 v. H. der Stimmrechte zum Preis von 350.000 SKr erwerben. Am 11. September 1983 forderte die SCG-Tochtergesellschaft Albus eine außerordentliche Aktionärsversammlung bei Sandvik, um den Vorstand auszutauschen. Diese Forderung wurde am nächsten Tag seitens der SCG selbst mit Verweis auf den schwachen Quartalsbericht und die gescheiterten Unternehmenskäufe noch einmal aufgenommen.77 Am gleichen Tag wurde bekannt, dass SCG seinen Posten auf 25 v. H. gesteigert hatte.78 Andere Eigentümer wie die Investment AB Beijer mit 3,1 v. H., Trygg-Hansa mit 0,3 v. H., SPP und AMF mit zusammen 6 v. H. der Stimmrechte hatten ihre Unterstützung für die SCG signa­lisiert, die nun gegen Kinnevik mit 11 v. H. und das von Stenbeck kontrollierte Korsnäs-Marma mit 14,1 v. H. eine Mehrheit von ungefähr 40 v. H. der Stimmrechte ins Feld führen konnte. Die Svenska Handelsbankens Pen­ sionsstiftelse mit 4,7 v. H. verhielt sich neutral. Bezeichnenderweise verwei75  Ny bomb från Haak: SCG-imperiet bryts upp – „för omodernt“, in: Veckans Affärer, 22. September 1983. 76  Skåningarna har köpt 10 procent i Sandvik, in: Dagens Industri, 21. März 1983; Cementgjuteriets Bengt Haak bryter tystnaden: „Därför tog vi kontrollen i Sandvik, in: Dagens Industri, 20. September 1983. 77  Ein weiterer Kritikpunkt waren die Kinnevik-Interessen in Fagersta und Sandvik bei den parallel stattfindenden Stahlabkommensverhandlungen, die laut SCG eventuelle Nachteile für Sandvik hätten erzeugen können. Vgl. Unik åtgärd i svenskt näringsliv: „skåningarna“ avsätter hela styrelsen i Sandvik, in: Dagens Industri, 13. September 1983. 78  Kuppen i Sandvik cementgjuteriet talar maktspråk, in: Veckans Affärer, 15. September 1983.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

gerten die anderen Stenbeck-Familienmitglieder ihrem prominentesten Mitglied ebenfalls die Unterstützung und erklärten, im Konfliktfall ihre Stimmen nicht für die eine oder andere Seite in die Waagschale zu werfen.79 Jan Stenbeck hatte versucht, durch den Kauf von Sandvik-Aktien an der Börse seiner Verdrängung aus dem Unternehmen entgegen zuwirken, aber angesichts der breiten Front, die sich ihm entgegenstellte, gab er nun den Kampf um Sandvik auf, um den Rest seines Imperiums zu retten. Am 21. September 1983 kündigte Korsnäs-Marmas den Verkauf der eigenen Beteiligung bei Sandvik an, die teils an SCG, teils an den 4. AP-Fonds veräußert wurden, der auf diese Weise mit den 60.000 Aktien für den Kaufpreis von ca. 200 Mio. SKr quasi den 6vH-Posten zurück erhielt, den der Fonds Mitte September an SCG veräußert hatte. Ende September kaufte der schonische Baukonzern dann die 934.000 Aktien, die die AB Kinnevik noch kontrollierte, da Stenbeck sich nun mit dem Verlust des Unternehmens abgefunden hatte.80 Den Verkaufserlös in Höhe von 400 Mio. SKr nutzte der Finanzmann dazu, sich eine einflussreiche Position bei Fagersta zu verschaffen. 1985 war dann mit dem Verkauf eines Restpostens von 300.000 Aktien durch Korsnäs-Marma die Ära Kinnevik bei Sandvik endgültig beendet.81 Diese für schwedische Verhältnisse ungewöhnliche, weil feindliche Übernahme, schürte zunächst Spekulationen, dass die Intention bei dem offensiven Vorgehen die Zerstückelung des Konzerns gewesen sei, mit dem Ziel, die Hartmetallwerkzeugherstellung an SKF und die Bergbaubohrersparte an Atlas Copco zu verkaufen. Das wies jedoch Bengt Haak umgehend zurück und bekundete Interesse, gemeinsam mit anderen Eignern an der Restrukturierung des Unternehmens aktiv mitzuwirken.82 Als erstes Signal an die anderen Eigner verringerte die im gleichen Jahr in Skanska umbenannte SCG – wie schon frühzeitig angekündigt – 1984 ihre Beteiligungsquote zunächst um 10, später um weitere zwei v. H. Durch den Verkauf von B-Aktien an Skandia, Trygg Hansa, Cardo, SPP Investor und Providentia wurden so die Aktien faktisch wieder an diejenigen übereignet, die sie zum Zwecke der feindlichen Übernahme an Skanska delegiert hatten. Weitere zwei v. H. wurden an ausländische Eigentümer für 360 Mio. SKr übereignet. 79  Bra att cementgjuteriet sätter fart på Sandvik, in: Dagens Industri, 14. September 1983. 80  Korsnäs säljer Sandvik-aktier, in: Veckans Affärer, 10. November 1983; Skattefrihet ger SCG chans till lönsamhet, in: Veckans Affärer, Nr. 37 (1983), S. 55–57; Efter Sandvik försäljningen, in: Veckans Affärer, 29. September 1983. 81  Korsnäs säljer Sandvik-aktier, in: Dagens Industri, 19. September 1985. 82  Cementgjuteriets Bengt Haak bryter tystnaden „Därför tog vi kontrollen i Sandvik“ in: Dagens Industri, 2. September 1983; Ny bomb från Haak: SCG-imperiet bryts upp – „för omodernt“, in: Veckans Affärer, 22. September 1983.



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern113

Allerdings war Skanska nach wie vor mit 26 v. H. der Stimmrechte oder 216 Millionen A-Aktien der bestimmende Eigentümer, gefolgt von dem 4. APFonds mit 7,3 v. H., SPP mit 5 v. H. und der Handelsbankensphäre (Oktogonen und Personalstiftungen) mit 5,5 v. H.83 Diese Eigentümerverhältnisse sollten bis 1997 im Kern unverändert bleiben. An dem Handlungsspielraum der Unternehmensleitung sollte sich durch den Eigentümerwechsel vorerst nichts ändern. Der in New York ansässige Jan Stenbeck hatte als Haupteigentümer mehr im Hintergrund gewirkt und auf das operative Geschäft nur wenig Einfluss genommen.84 Bedeutende Veränderungen sollten sich mit dem neuen Haupteigentümer in dieser Hinsicht nicht ereignen, auch wenn nun die Möglichkeit bestand, anstehende Erwerbungen ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeiten des größten Eigners zu realisieren. Da die meisten Vorstandsmitglieder bislang auf Vorschlag Jan Stenbecks benannt worden waren, sah sich Skanska mit der Aufgabe konfrontiert, das Kontrollgremium neu zu besetzen, da dessen Mitglieder in Gestalt von Jan Stenbeck, OD Arne Westerberg, Carl-Gustaf Klingspor und Nils Landqvist als Korsnäs-VD zu enge Verbindungen zu Kinnevik hatten, um weiter im Vorstand mitwirken zu können. Bis auf Sonesson-VD HansEric Ovin wurde der gesamte Vorstand ausgetauscht und die Aktionärsversammlung berief auf Vorschlag des Nominierungskomitees den Konzernleiter ASEAS Percy Barnevik zum neuen OD. Mit Percy Barnevik war ein alter Bekannter mit der anstehenden Sanierungsaufgabe betraut worden, der ein Jahrzehnt später zu einem der wichtigsten Figuren des schwedischen Wirtschaftslebens aufsteigen sollte. Der studierte Ökonom hatte seine Karriere 1969 im Unternehmen begonnen und ab 1975 die US-Tochtergesellschaft geleitet. 1979 war Barnevik einem Angebot von ASEA gefolgt, die Position des VDs in dem Elektronikkonzern zu übernehmen. Dass sowohl Barnevik als auch Skanska die personelle Kontinuität zu wahren versuchten, lässt sich daran erkennen, dass Barnevik anlässlich der Wahl zum OD Göran Ahlström und der von ihm eingeleiteten Sanierungsanstrengungen seine Unterstützung zusicherte und den VD auch weiterhin in seiner Position beließ. Ahlström verließ allerdings zu Jahresbeginn 1984 überraschend das Unternehmen Richtung Sydkraft und wurde durch Per-Olof Eriksson ersetzt. Auch diese Entscheidung bürgte für Beständigkeit: Der ausgebildete Ingenieur hatte 1965 als Forschungsleiter für Stahl im Unternehmen angefangen, 1971 die Leitung der FuE-Einheit übernommen und 1975 bei Coromant die ersten Erfahrungen als Produktionslei83  SCG säljer Sandvik-aktier för 360 Mkr, in: Dagens Industri, 16. Februar 1984; Naturligt schackdrag som kan ge kursen ett lyft, in: Dagens Industri, 16. Februar 1984; Skånska minskar innehavet i Sandvik, in: Dagens Industri, 30. August 1984. 84  Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

ter gesammelt. AB 1976 hatte er als VD die Sandvik-Tochtergesellschaft Seco Tools mit Erfolg geleitet, die 1973 mit einer 65 v. H.-Mehrheitsbeteiligung von Fagersta übernommen worden war. Diese personalpolitischen Entscheidungen fügen sich in ein Rekrutierungsmuster ein, das in nahezu idealtypischer Hinsicht die ausgeprägte produktivistische Orientierung und den Vorrang für Hauskarrieren abbildet, wie sie für die schwedischen Corporate Governance-Strukturen charakteristisch waren. Die meisten Managementposten wurden durch interne Rekrutierung mit Personal besetzt, das nicht selten sogar über zwei Jahrzehnte im Unternehmen tätig war. Diese damit bewirkte hohe Binnenzentriertheit entsprach dem Leitgedanken, dass mittels dieser personellen Kontinuität eine einheitliche und stabile Unternehmenskultur beibehalten werden sollte.85 Das galt mit Sicherheit für die Unternehmensspitze selbst, an der zwei von drei VDs, die allesamt aus dem Unternehmen kamen, in die Position des ODs aufrücken sollten. Das traf zunächst auf Arne Westerberg zu, der 1979 als VD abtrat und anschließend zum Vorstandsvorsitzenden berufen wurde. Sein Nachfolger Lennart Ollèn, vormals Leiter der Stahlabteilung und dann Vize-VD bis 1979, schied allerdings recht bald aus dem Unternehmen aus. Es folgte ein kurzes Intermezzo mit dem einzigen unternehmensfremden Akteur, dem vormaligen Invik-VD Göran Ahlström, der an der Spitze von Halmstads Järnverk und der Dala-Ljusna-Gruppe einschlägige Branchenerfahrungen gesammelt hatte. Diese kurze Phase rascher Führungswechsel sollte dann mit dem Amtsantritt Per-Olof Erikssons und Percy Barneviks, die beide ihre Karriere bei Sandvik begonnen hatten, ihr Ende finden. Erst 1994 wurde mit Clas Åke Hedström, dem ehemaligen Leiter der Hartmetallsparte, ein neuer VD berufen, der dann 2002 Percy Barnevik als OD beerbte. An den Leitungsstrukturen, also dem abzüglich der Arbeitnehmervertreter mit zwei, später drei Mitgliedern relativ kleinen Vorstand und der Konzernleitung fallen drei weitere grundlegende Eigenschaften auf. Sieht man von Ausnahmen wie den studierten Ökonomen Percy Barnevik oder dem langjährigen Vize-VD Leif Sunnermalm ab, dann zeichnet sich erstens eine Dominanz ingenieurstechnischer Qualifikationen in der Unternehmensleitung ab, der offensichtlich vor juristischen oder finanzwissenschaftlicher Fachkenntnissen ein Vorrang eingeräumt wurde.86 Auffällig ist zweitens die Entsendung von Sandvik-Managern oder Vorstandsvertretern in Vorstände anderer skandinavischer Stahlunternehmen, darunter etliche, die wie SKF 85  Direktörernas

favorit, in: Veckans Affärer, Nr. 15 (2001), S. 50–53. Schlussfolgerung lässt sich zumindest anhand von Angaben aus den Sandvik-Geschäftsberichten für die neunziger Jahre und anhand von eigenen Internet-Recherchen nachvollziehen. 86  Diese



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern115

zwischenzeitlich als potentielle Aufkaufobjekte gehandelt wurden. Umgekehrt fanden sich auch Vertreter von schwedischen und finnischen Stahlunternehmen oder stahlverarbeitenden Herstellern wie Svedala, Ovako, SKF oder SSAB in den Reihen des Vorstandes des Bergslagener Unternehmens wieder, was die Ausbildung von Netzwerkstrukturen innerhalb der Branche maßgeblich befördert haben dürfte und Transaktionskosten senkende Konsequenzen in Gestalt von geräuschlosen Übernahmen oder Produktaufteilungen förderte. b) Die Ära Eriksson: Die erfolgreiche Konsolidierung und Restrukturierung des Konzerns Die Unternehmensspitze hatte sich auf vier Maßnahmen verständigt, die auf einer außerordentlichen Zusammenkunft im Oktober 1983 den SandvikAktionären vorgestellt wurden und die den bereits eingeschlagenen Sanierungskurs noch konsequenter fortschreiben sollten: Erstens sollte eine weitgehende Restrukturierung alle Verlustquellen so weit wie möglich beseitigen, was nichts Anderes als das faktische Aus für alle Expansionsbestrebungen in der Prozesssystem- und Konsumentenwerkzeugsparte darstellte; zweitens sollte die Organisation an Veränderungen vor allem in den Volumina angepasst werden; drittens sollte die Kapitalumschlagsgeschwindigkeit durch die Verringerung der Lagerhaltungskosten gesteigert werden; und schließlich sollte das Unternehmen ganz im Sinne der beschriebenen Innovations- und Wachstumsstrategie Marktanteile in profitablen Produktsegmenten gezielt vergrößern.87 Was Percy Barnevik zunächst initiierte, war vor allem eine Beschleunigung des bereits eingeleiteten Sanierungskurses durch eine kompromisslose Bilanzbereinigung. Lagerhaltungswerte wurden umfassend abgeschrieben und bisher unrealisierte Wechselkursverluste wurden in ihrer Gänze einschließlich der 216 Mio. SKr angenommen, die ein Angestellter bei Währungstermingeschäften verspekuliert hatte, was laut Bengt Haak nicht unwesentlich zur Unruhe unter den Eignern beigetragen hatte. Zusammen mit erheblichen Abwicklungskosten ergab dies bilanzierte Verluste über 1,4 Mrd. SKr. Um die Lücke auf der Seite der Passiva zu schließen, beschloss der Vorstand, den 15,5 v. H.-Anteil bei dem Energieunternehmen Krångede für 450 Mio. SKr an Sydkraft zu verkaufen. Infolge der Abwicklung etlicher Produktionsstätten, dem Rückbau der Lagerhaltung und anderen Kapitalrationalisierungsmaßnahmen konnte weiteres Kapital freigesetzt werden, um die Zinslasten bedeutend zu verringern.88 Per-Olof 87  Geschäftsbericht

Sandvik 1983. med ny ägare: Storstädning gav flygande start, in: Veckans Affärer, Nr. 32 (1984), S. 27. 88  Sandvik

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Eriksson und Percy Barnevik gelang es, innerhalb nur eines Jahres einen Verlust von minus 179 Mio. SKr in einen operativen Gewinn von etwa einer Mrd. SKr umzuwandeln. Zu den Maßnahmen gehörte auch ein umfassendes Personalabbauprogramm. Bereits 1982 gab die Unternehmensleitung bekannt, in Schweden 1000 der insgesamt 11.710 Stellen in der Produktion vor allem bei der Konsumentenwerkzeugsparte zu streichen; die Hartmetallsparte sollte die gerade in Betrieb genommene Fabrik in Tierp vollständig abwickeln.89 Zwischen 1980 bis 1985 sollte sich die Zahl der Beschäftigten insgesamt von 33.000 auf 23.700 Beschäftigte verringern. Die Sanierungsanstrengungen beschränkten sich allerdings keineswegs auf den Personalrückbau. Die einschneidendste Veränderung war die radikale Dezentralisierung der Funktionsbereichsorganisation, hinsichtlich derer das neue Management aber an Reformschritte der alten Unternehmensleitung unter Lennart Ollén anknüpfen konnte. Zwei Wochen nach der Jahreshauptversammlung 1983 rief Göran Ahlström alle Manager zusammen und präsentierte den Plan für eine Organisationsreform der Gruppe. Nun erfolgte eine Aufgliederung in sieben selbständige Produkteinheiten, drei Regionalgesellschaften und zwei Servicegesellschaften. Die Leiter der Geschäftsbereiche sollten fortan über volle Handlungsfreiheiten mit der Ausnahme von Entscheidungen über grundlegende Unternehmensbelange verfügen. Die Einflussnahme der Konzernleitung wurde über die Präsenz der Konzernleitung in den Vorständen der jeweiligen Tochtergesellschaft gesichert. Der Konzernstab wurde drastisch von 500 Angestellten auf 50 Mitarbeiter verschlankt und das überzählige Personal in den Leitungsfunktionen der einzelnen Sparten platziert. Die Geschäftsbereiche mussten nun Dienstleistungen der Muttergesellschaft oder von Service-Einheiten einkaufen.90 Die Dezentralisierung der operativen Umsetzungskompetenz verfolgte das Ziel, jeder Einheit zu ermöglichen, die Geschäftsentwicklung möglichst in eigene Hände zu nehmen. Die Kooperation zwischen den Sparten sollte auf freiwilligen Vereinbarungen und nicht auf Zentraldirektiven basieren, auch wenn die Konzernleitung aufgrund des Eifers einzelner VDs gelegentlich 89  Sandvik behöver minska med 1000, in: Dagens Industri, 24. September 1982; Sandvik fortsätter städa: 500 tjänstemän måste flyttas om, in: Dagens Industri, 20. Mai 1983. 90  Frihet för dotterbolagen kann lösgöra initiativkraft, in: Chefen, Nr. 2 (1985), S. 4–5. Die ausländischen Tochtergesellschaften wurden allerdings nicht in die Divisionalisierung miteinbezogen, sondern hatten eine Anbindung an die jeweiligen Regionalgesellschaften. Jeder Geschäftsbereich übte seine eigene Marktverantwortung aus, auch wenn im Ausland Ressourcen und Informationssysteme nach wie vor gemeinsam genutzt wurden. Vgl. Dolda värden i Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 16 (1996), S. 54–59.



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern117

auftretende Konflikte lösen musste.91 Selbst Erwerbungen wurden zunächst in den Vorständen der Geschäftsbereiche diskutiert und dann durch die Muttergesellschaft genehmigt.92 Auf diese Weise strebte die Unternehmensspitze des Hartmetall- und Stahlunternehmens eine substantielle Verbesserung durch die Beseitigung von X-Ineffizienzen infolge einer möglichst optimalen Nutzung personeller und finanzieller Ressourcen an, in dessen Gefolge strategisch unwichtige oder verlustbringende Einheiten eliminiert werden sollten.93 Die umfassende Dezentralisierung der Umorganisation implizierte, dass die Geschäftsbereiche fortan für ihre Finanzen, Gewinnsituation und Investitionsentscheidungen selber die Verantwortung trugen, auch wenn nach außen hin weiterhin als Konzern bilanziert wurde, um eventuellen Zerstückelungsgelüsten einen Riegel vorzuschieben.94 Die Produktpolitik stand ganz im Zeichen der Bemühungen, die Kernaktivitäten wieder ins Zentrum zu rücken. Die unter Westerberg eingeleitete Wachstumsstrategie mit dem Fokus auf die Prozesssystem- und Konsumentenwerkzeugparte wurde faktisch komplett aufgegeben. Zunächst sollte die Sparte Sandvik Saws and Tools aus der Verlustzone geführt werden. Bereits 1981 wurde unter neuem Management eine Reorganisation mit Eliminierung der Verlustquellen und der Straffung der Wertschöpfungsstruktur durch die Ausrichtung an den Kernaktivitäten begonnen und hatte unprofitable ausländische Produktionsstätten abgewickelt.95 Im Rahmen des ‚Profile 83‘-Plan wurden nach Vorbild der Dezentralisierung auf der Konzernebene die operative Verantwortlichkeit auf fünf Produktzentren mit eigenen Ressourcen für Produktentwicklung, Herstellung, Marketing und Administration aufgeteilt.96 Nachdem sich die Sparte wieder erholt hatte, war Mitte der achtziger Jahre als einzige Verlustquelle die Prozesssystemsparte übrig geblieben, die unter Westerberg ebenfalls umfassende Akqui91  Sandvik med ny ägare: Storstädning gav flygande start, in: Veckans Affärer, Nr. 32 (1984), S. 29; Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007. 92  Interview mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 1. März 2007. 93  Sandvik Geschäftsbericht 1985, S. 2. 94  Daran war vor allem den Verantwortlichen bei dem Gewinngeber Sandvik Coromant gelegen, um aufgrund der eigenen Übergewinne nicht Aufkauf-Begehrlichkeiten zu wecken. Intern waren Kosten schon vorher strikt getrennt und schon nach Produktbereich verrechnet worden. Vgl. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 95  Bereits zu Beginn der achtziger Jahre hatte man sich aus Argentinien, Brasilien und Kanada zurückgezogen und in den USA die Produktion zurückgefahren. S. Flera varningssignaler efter Sandviks vinsttap, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1982), S. 22–26. 96  Die Produktlinien wurden nach Nutzer- und Distributionskategorien ebenfalls neu geordnet. S. Sandvik Geschäftsbericht 1983, S. 10; Sandvik Geschäftsbericht 1985, S. 9.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

sitionen auf dem Feld der Kühl- und Zubereitungsverfahren für die Bäckerei- und Lebensmittelindustrie getätigt hatte.97 Ähnlich wie im Falle der Konsumentenwerkzeugsparte setzte die Konzernleitung ab 1985 eine Neuordnung der Organisation mit vier internationalen Produktzentren durch, die jeweils für ihre Geschäftsaktivitäten die Verantwortung übernahm.98 Die fehlgeschlagene Diversifizierung wurde aufgegeben, um sich vollständig auf die Herstellung von Stahlbändern für Transportsysteme zu konzentrieren.99 Der Verkauf der Spooner-Gruppe 1986 für 61 Mio. SKr, die immerhin 23 v. H. des Umsatzes der Prozesssystem-Sparte ausgemacht hatte, leitete eine Rückbesinnung auf die klassischen Stärken im Produktfeldern wie Stahlbändern, automatisierten Sortierungssystemen und Prozesssystemen für die Überführung von geschmolzenem Material ein.100 Ebenso wie im Fall von Sandvik Saws and Tools trugen die Konsolidierungsbemühungen der Konzernleitung auch im Falle der Prozesssysteme relativ schnell Früchte: Hatte 1983 die Sparte noch einen Verlust von 38 Mrd. SKr erwirtschaftet, konnte dieser schon im Folgejahr auf sieben Mrd. SKr reduziert werden und 1985 konnte Sandvik Process Systems sogar einen Gewinn in Höhe von 62 Mio. SKr vorweisen. Die Sanierungsanstrengungen bezogen jedoch auch Sandvik Coromant ein, das laut Per-Olof Eriksson eine Sonderstellung in den strategischen Planungen des Konzerns einnahm, weil die Expansionsmöglichkeiten am viel versprechendsten erschienen und Hartmetall seit den achtziger Jahren im Vergleich zu Schnellstahl immer mehr an Gewicht gewann.101 Konnte die Wiederherstellung der Profitabilität bei den anderen kriselnden Sparten durch Veräußerungen, Produktportfoliobereinigungen und die Rückführung 97  Weitere erworbene Kühl- und Zubereitungsunternehmen für Bäckereien und Süßigkeitenhersteller waren die Lewis Refrigeration und die Alto Corporation and Jahn. Vgl. Sandvik satsar på livsmedelsindustrin genom att köpa företag, in: Dagens Industri, 27. Januar 1981. 98  Vom Stuttgarter Hauptsitz der Sparte aus wurde zukünftig die Herstellung von Anlagen für chemische Zwecke angeleitet und die Transportbänderherstellung in Sandviken konzentriert. Das Produktzentrum für die Sortierungsanlagenherstellung wurde in Japan und das Produktzentrum für Lebensmittelindustriebedarf von Großbritannien angesiedelt. Vgl. dazu Vinst i Sandviks tyska dotter, in: Dagens Industri, 24. Juni 1986. 99  „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 56–59. 100  Zuvor war es erfolgreich gelungen, dank der Konzentration auf Brot- und Keksofenbedarf sowie der Wiederbelebung des Verkaufes in den USA Spooner wieder in die Gewinnzone mit einem Ertrag von acht Mio. SKr zu führen. Vgl. Gökungeklipp: Så tjänade Sandvik miljoner, in: Veckans Affärer, 29. Januar 1987. 101  „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 56–59.



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern119

auf die Kernkompetenzen bewerkstelligt werden, so geriet neben den notwendigen Veräußerungen einiger ausländischer Verlusttreiber wie Eurotungstène, Neva Tools, Num Engineering und Carbide Products die Prozess­ optimierung in den Fokus der Sanierungsanstrengungen.102 Zu Beginn der achtziger Jahre hatten die Lager Kapital in Höhe von rund zwei Mrd. SKr gebunden. Ziel eines Kapitalrationalisierungsprogramms war die Halbierung des gesamten Lagerbestandes, um so mindestens eine Milliarde SKr Kapital freisetzen und die Umsatzgeschwindigkeit des Warenlagers verfünffachen zu können. 1982 wurde das ‚Projekt Direktdistribution‘ gestartet, das die Liefersicherheit deutlich erhöhen sollte und in dessen Gefolge zwischen 1982 und 1985 der Lagerbestand in zwei Zentrallagern in den Niederlanden und in Gimo konzentriert wurde. Ergänzt durch zwei später hinzukommende Zentrallager in den USA und Japan, die als Puffer fungierten, sollten sie die zahlreichen kleineren Lager ersetzen, die Sandvik auf jedem Auslandsmarkt unterhielt, die wiederum aus Kostendeckungsgründen jedoch nicht mehr als 3000 bis 4000 standardisierte Artikel führen durften, was zur Folge hatte, dass bestimmte Produkte oft nicht vorrätig waren.103 Wie bereits dargelegt, bestand ein wesentlicher Grundpfeiler der Innovationsstrategie Sandviks darin, den Kunden ein breit gefächertes Sortiment von auf Kundenbedürfnissen zugeschnittenen Produkten anbieten zu können, die möglichst zügig und ohne hohe Distributionskosten bereitgestellt werden sollten. Die Herausforderung, die das Hartmetall- und Spezial­ stahlunternehmen meistern musste, bestand darin, einerseits die Lagerhaltungskosten zu verringern, andererseits aber keine Abstriche an dem für das Unternehmen wichtigen Kundenservice in Gestalt möglichst kurzer Lieferzeiten zu machen. Schon 1982 war zur Verkürzung der Lieferzeiten ein Computersystem namens Sandship installiert worden, das komplett ­ohne schriftliche Dokumente auskam. Mittels automatischer Registrierung wurden die Aufträge der Tochtergesellschaften nun zentral registriert, an die jeweiligen Tochtergesellschaften weitergeleitet und so das interne Verrechnungssystem drastisch vereinfacht, wodurch ab 1991 Kunden in Europa ihre Bestellungen teilweise schon 40 Stunden nach Auftragseingang erhielten.104 Im Laufe der achtziger Jahre wurde das Distributionssystem für die Auftragsverarbeitung der 19.000 Produktvarianten auf ein weltumspannendes Computersystem und einen frühen Vorläufer des e-commerce 102  Bei

Eurotungstène behielt Sandvik allerdings eine 49 v. H.-Beteiligung. weiteres Element zur Verringerung der Kapitalbindung waren die bis 1991 eingeführten split points als regionale Terminals, von denen die Güter weiterbefördert wurden. Vgl. dazu Nu lastas trailern på dataskärmen, in: Veckans Affärer, 4. September 1991. 104  Skeppningsdata via tele minskar dokumentflödet, in: Dagens Industri, 10. Juni 1982. 103  Ein

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namens Electronic Data Interchange (EDI) umgestellt, um die Konzernvorgabe umsetzen zu können, in Europa innerhalb von 24 Stunden, in Übersee innerhalb von 48 Stunden den jeweiligen Besteller zu erreichen.105 Die durch computerisierte Bestellungs- und Verwaltungssysteme möglich gewordene Verringerung der Lagerhaltungskosten hatte einen so herausragenden Stellenwert, dass Sandvik sich 1988 bei dem größten skandinavischen Computerberatungsunternehmens Programator mit einer 26,76 v. H.-Beteiligung einkaufte, die bis 1992 auf 51,47 v. H. erhöht wurde.106 Durch die Fortschritte in der Datenverarbeitung konnten die Bestellungen schnell an die Zentrallager weitergeleitet werden, so dass Kunden auf den europäischen Hauptmärkten innerhalb von ein bis zwei Tagen das jeweilige bestellte Produkte zugestellt wurde, gleichzeitig aber Lagerkosteneinsparungen in Höhe von 500 Mio. SKr verzeichnet werden konnten. Von den Segnungen der Computertechnologie profitierte Sandvik aber noch in ganz anderer Hinsicht. Seit den neunziger Jahren konnten Kunden bei Sandvik Coromant Produkte bestellen, die nach Parameterprogrammen erstellt wurden, so dass automatisch die NC-Daten in der Herstellung abgerufen werden konnten. Das versetzte die Abnehmer in die Lage, spezifische Werkzeuge zu bestellen, auch wenn diese nicht in dem Standardsortiment vorrätig waren. Voraussetzung dafür war eine Modularisierung der Produkte, die es zugleich ermöglichte, dass die Produktentwicklung mit der Programmierung und nicht mit mehr wie üblich mit Konstruktionszeichnungen begann. Diese auch als Rule Based Design oder Rule Based Manufacturing bekannte Regelbeschreibung wurde in ein objektorientiertes System eingegeben, um ein CAD-Modell zu erstellen. Infolge der Modularisierung konnten die CAD-Daten auch für ein anderes Produkt verwendet werden, da in einer Produktlinie bis zu 50 v. H. der Produktentwicklung identisch waren. So konnten die Aufhängungen von Walzenstirnfräsern auch bei anderen Produkten verwendet werden und mussten deswegen nicht immer neu konstruiert werden. Ein entscheidender Stellenwert in den Rationalisierungs­ anstrengungen muss jedoch nach Angabe von Konzernvertretern dem bei Sandvik eigens entwickelten Computer Aided Process Planning-System 105  Sandvik:

Bara två centrallager, in: Veckans Affärer, 19. Februar 1987. wurde dieser von der ansonsten verfolgten Konzentration auf das Kerngeschäft abweichende Schritt, dass auf diese Weise Erfahrungen zum Daten gestützten Ausbau eines weltweiten Logistiksystems gesammelt werden konnten. Der Kauf erwies sich allerdings als Fehlschlag, da das an sich profitable Kerngeschäft bei Progamator durch die krisengeschüttelte Finanzgesellschaft Finansor belastet wurde. 1992 wurde das Unternehmen mit Verlust an Cap Gemini Sogeti verkauft, da der an der Stockholmer Börse mit 75 Mio. SKr bewertete Aktienposten für nur 43 Mio. SKr verkauft wurde. Vgl. Köpsugen, Dagens Industri, 12. September 1988; Bara Priskrig kan hota det starka Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 36 (1988), S. 54–61; Sandvik tar över Programator, in: Dagens Nyheter, 8. Februar 1992. 106  Begründet



2. Sandviks Wachstumspfad in den 1980ern121

(CAPP) zugemessen werden, das die Automation des Produktdesigns durch die Verknüpfung von den CAD-generierten Designparametern mit CAMgenerierten fertigungsrelevanten Informationen für die Maschinen- und Anlagensteuerung erheblich beschleunigte.107 Mit den Parametern wurde das im Computer eingespeicherte nächstliegende Produktdesign lokalisiert und mittels CAD bearbeitet. Darauf aufbauend konnten den Kunden sogar Informationen zu Kosten und Lieferungszeit übermittelt werden. Die Nutzung von CAPP, das sich mit seinem Möglichkeiten zum erweiterten Kundenservice nahtlos in die von Sandvik verfolgte Strategie der Diversifizierten Qualitätsproduktion einfügte, führte zu drastischen Kostenersparnissen in Höhe von bis 92 v. H., da die gesamte Administration entfiel und Kunden fortan sogar die Wahl der entweder im Kosten- oder Lieferungsvergleich jeweils mehr überzeugenden internationalen Herstellungseinheit offenstand.108 Ab Mitte der neunziger Jahre konnten Kunden zusätzlich online über das von Sandvik und anderen Firmen betriebene dänische Webportal Industrilink ihre Präferenzen eingeben, so dass die Coromant-Produkte nun im Internet bestellt werden konnten. Da auch hier die Bestellung direkt in die Produktion weiter vermittelt wurde, verkürzte sich der Bestellvorgang inklusive Offerte eines maßgeschneiderten Produktes von einigen Wochen auf zehn Minuten.109 Zur Kostenersparnis setzte die Coromant-Sparte zusätzlich auf eine Beschleunigung der Durchlaufzeiten in der Herstellung. 1985 / 1986 hatte die Werksleitung in Gimo angesichts unzureichender Produktivitätsziffern und eines hohen Personalumsatzes die Beseitigung der Fehlerquellen im Herstellungsprozess mittels Produktionsflussgruppen in Angriff genommen. Diese selbst gesteuerte Teamarbeit basierte auf Arbeitsgruppen mit einer flachen Hierarchie ohne Vorarbeiter und 10 bis 20 Beschäftigten, die von der Planung, Qualitätskontrolle bis hin zur Herstellung alles selbst organisierten [vgl. Abschnitt IV.3.b)]. Die Bearbeitungszeiten konnten so bei Bohrern zwischen 1986 und 1990 von 38 auf vier Tage und im Falle der Wendeschneidplatten von 45 auf 15 Tage verkürzt werden.110 107  Zu den Anwendungsmöglichkeiten von CAPP in der industriellen Organisa­ tion vgl. Cay, F. / Chassapis, C., An IT View on Perspectives of Computer Aided Process Planning Research, in: Computer in Industry, Vol. 34, Nr. 4 (1997), S. 307– 337. 108  Sandvik kortar ledtiderna i konstruktionen, in: Ny teknik, Nr. 20 (2000), CAD-Beilage Nr. 3, S. 10; Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 109  Sandviks våroffensiv blev populär, in: Svenska Dagbladet, 9. Juni 1996; Succésajt i Sandviken, in: Affärsvärlden, 25. Oktober 2000; Starkare än stål, in: Dagens Industri, 17. Juli 1999. 110  Dementsprechend wurde das Entlohnungssystem in einen fixen Grundanteil für den einzelnen Beschäftigten und einen Produktivitätsbonus für die Gruppe aufgeteilt. Vgl. Sandviks snabbaste fabrik, in: Dagens Industri, 26. September 1990.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Das ermöglichte Coromant, mit einem um 80 v. H. gesteigerten Produktionsvolumen und einer um 30 v. H. gesteigerten Maschinenauslastung das Personal um ein Drittel zu verringern. Die Bearbeitungszeiten wurden mit 80 v.  H. verkürzt, so dass Gimo zur effektivsten Produktionsanlage im ganzen Konzern wurde.111 3. Sandvik im schwedischen Branchensystem: Moderierte Produkt- und Marktaufteilung in der Spezialstahlbranche In der bisherigen Betrachtung der Sanierungsmaßnahmen fehlt mit der Stahlsparte ein Geschäftsbereich, der seine Restrukturierungsphase bereits Mitte der achtziger Jahre abgeschlossen hatte, die aber unvollständig bleibt, wenn die Besonderheiten des Branchensystems außen vor gelassen werden. Konnte die schwedische Eisen- und Stahlindustrie in ihrer Gesamtheit auf eine lange Tradition zurückblicken, so galt dies auch in gewisser Weise für die Branchenkooperation in Gestalt eines gemeinsamen Austausches über Technologietransfereinrichtungen und der Artikulation gemeinsamer Interessen im Rahmen von Wirtschaftsvereinigungen. Welche Rolle solche Organisationen spielten, lässt sich allein schon daran erkennen, dass die bereits 1747 gegründete Branchenorganisation Jernkontoret Göransson bei der Gründung seines Unternehmens in finanzieller Hinsicht behilflich gewesen war. Wie ausnahmslos alle anderen schwedischen Stahlhersteller war Sandvik ebenfalls in dieser Branchenvereinigung organisiert, die sich schon im späten 19. Jahrhundert zum Ziel gesetzt hatte, an Hochschuleinrichtungen gewonnene Kenntnisse der Grundlagenforschung wie auch konkrete Erkenntnisse über Prozessinnovationen an die Mitgliederunternehmen weiterzugeben.112 Teilweise kooperierten die schwedischen Stahlunternehmen aber auch direkt mit Hochschulen wie der KTH oder spezialisierten Forschungsinstituten wie MEFOS, die durch Pilotfabriken oder spezielle Entwicklungsunternehmen neuere Forschungserkenntnisse wie im Rahmen des KaldoProzesses hervorbrachten, der unter einer optimalen Schrottausnutzung in der sauerstoffbasierten Stahlherstellung ein international vielfach nachgeahmtes Herstellungsverfahren darstellte. In den direkten Transfers waren 111  Interview

mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. ging es um neue Stahlstoffe, Schmelzstahlprozesse oder Schmelzöfen, aber auch um Initiativen zur Einführung neuer Produktionstechniken wie Kugelsinter oder der Nutzung von Eisenschwamm, um Prozesstechniken zu optimieren. Hinsichtlich neuer Techniken zur Verringerung des Energieverbrauchs oder Verunreinigungen spielte Jernkontoret ebenfalls eine wichtige Vermittlungsrolle. Vgl. dazu Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 112  Dabei



3. Sandvik im schwedischen Branchensystem123

auch die seit Mitte der 1960er gegründeten spezialisierten Forschungseinrichtungen wie das Korrosionsinstitut (KI), das Korrosions- und Metallforschungsinstitut (KIMAB) und das schwedische Silikatforschungsinstitut (SSFI) einbezogen, die später teilweise in dem Institutet för Verkstads­teknisk Forskning (IVF) aufgingen.113 Branchensysteme werden durch eine Vielzahl von Möglichkeiten strategischer Koordination geprägt, von denen die Zusammenarbeit über Technologie- oder Wirtschaftsvereinigungen nur eine Variante darstellt. Ohnehin war angesichts der hohen Fertigungstiefe und des elementaren Interesses, Forschungsergebnisse möglichst konkret mit Anwendungsmöglichkeiten zu verknüpfen, Sandvik weder daran interessiert noch darauf angewiesen, einen umfassenden Technologietransfer in Anspruch zu nehmen. Weitere Formen der nicht organisationsvermittelten Zusammenarbeit nutzte der Konzern in Gestalt der für Überseemärkte gebildeten gemeinsamen Verkaufsgesellschaft Associated Swedish Steels AB (ASSAB), die 1945 durch Fagersta, Sandvik, Hellefors und Uddeholm gegründet worden war, aus der sich Sandvik allerdings nach kurzer Dauer wieder zurückzog. Außerdem traf Sandvik mit Fagersta 1979 ein Abkommen, um Fagersta-Produkte überall dort zu vermarkten, wo der Vertragspartner über keine eigenen Tochtergesellschaften verfügte.114 Gelegentlich verständigten sich die Hersteller auch auf gegenseitige Hilfszusagen in Notsituationen.115 Was jedoch das Branchensystem der schwedischen Stahlindustrie vorrangig auszeichnete, war der hohe Grad der Produktaufteilung. 1998 konnte der Präsident Jernkontorets berichten, dass die schwedische Stahlindustrie so strukturiert war, dass jedes Unternehmen eine führende Produktnische besetzte und nicht mit den anderen schwedischen Herstellern konkurrierte. Gleichzeitig konnten alle diese Hersteller für sich beanspruchen, in der Nische jeweils Weltmarktführer zu sein:

113  Solche Einrichtungen pflegten auch Kontakte mit ausländischen Instituten wie dem MIT in den USA, dem französischen IRSID oder dem belgischen CRD, die auf eine ähnliche Weise Ergebnisse der Hochschulforschung für die Branche nutzbar machen sollten. Vgl. dazu Håkansson, Industrial Technological Development, S. 99. 114  Die Kinnevik Investment AB war zum damaligen Zeitpunkt Mehrheitseigner bei Sandvik und Fagersta, weswegen eine Kooperation also explizit erwünscht war. s. dazu Hedebrant, Transformation, S. 68. 115  So konnte Fagersta nach einem Brand ein altes Abkommen über Hilfeleistungen in Anspruch nehmen und von Nyby-Uddeholm, Sandvik und Avesta Hilfe bei der Röhrenproduktion anfordern. Vgl. dazu Efter branden i betverket: Konkurrenterna hjälper Fagersta, in: Dagens Industri, 5. November 1981.

124

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik Tabelle 3 Die Position schwedischer Stahlhersteller in ausgewählten Produktbereichen 1998 116

SSAB

Weltmarktführer bei hochfesten Stählen und bei Abrasivstahl

Ovako Stahl SKF-Hofors

Weltmarktführer bei Kugellagerstahl

Kanthal

Weltmarktführer bei elektrischen Heizdrähten

Erasteel Kloster

Weltmarktführer bei Hochgeschwindigkeitsstahl

Fagersta Stainless

Einer der Weltmarktführer bei Qualitätswalzdraht, geschweißten rostfreien Röhren und Bergbohrstahl

Avesta Sheffield

Größter Hersteller bei kalt gewalzten Schwerblechen und rostfreien Platten

Böhler Uddeholm

Weltmarktführer bei Werkzeugstahl

Höganäs

Weltmarktführer bei Eisen und Mischpuder

Sandvik

Weltmarktführer bei nahtlosen Röhren116

Wie die folgende Übersicht dokumentiert, war bis 1984 nahezu die gesamte Produktion unter den Herstellern aufgeteilt worden. Auch der nicht der Stahlbranche zugerechnete Hartmetallbereich präsentierte sich als ein Duopol mit Fagersta und Sandvik, da seit deren systematischen Aufkäufen kleinerer Wettbewerber ab 1970 nur noch die beiden Unternehmen in diesem Bereich tätig waren. Dieser Prozess der Produktaufteilung lässt sich bis in das frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen und zeigt nahezu exemplarisch, wie gering in Schweden die Bereitschaft vorhanden war, die Restrukturierung von Branchen alleine einem marktlich gesteuerten Selektionsprozess zu überlassen. Bereits 1903 hatte der Industrielle und Politiker Arvid Lindman die Zusammenführung der sechs führenden schwedischen Unternehmen zur rationelleren Nutzung der Eisenerzbestände, einer Verringerung der Transportkosten und eine gemeinsame Verkaufsorganisation vorgeschlagen, aber erst 1927 hatten unter Anleitung der SHB vier Stahlwerke zum Fagersta-Konzern fusioniert.117 Insgesamt standen die zwanziger Jahre ganz im Zeichen einer 116  Diverse Autoren, Swedish Specializing in Specialty Steel, in: Sweden International Magazine, Nr. 3 / 4, Vol. 19 (1998), S. 30. 117  Fritz, Svenskt stål, S. 40 f.



3. Sandvik im schwedischen Branchensystem125 Tabelle 4 Anzahl schwedischer Spezialstahlhersteller 1965–1984 Produkt

118

1965

1974

1984

Grobblech

3

3

1

Feinbleche

4

4

1

Stangen

7

3

1

Walzdraht

5

3

1

Geschweißte Röhren

5

5

1

Werkzeugstahl

7

4

1

Schnellstahl

3

2

1

Kugellagerstahl

1

1

1

Elektrobleche

1

1

1

Spezialstahlbänder

4

4

2

Bau- und Konstruktionsstahl

5

5

2118

umfassenden Rationalisierung, als infolge neuer Brennstoffe wie Koks und Schrott durch den Übergang von Bessemer- und Martins- zu Elektrostahl kleinere Holzkohleöfen und Schmiedeeisenwerke geschlossen oder für die Produktion von Flussstahl umgebaut wurden.119 Zeitgleich orientierten sich immer mehr Unternehmen auf Spezialstähle um: Einsetzend mit der Verdrängung des Bessemerstahls durch Elektrostahl ließ sich ab 1931 ein immer größeres Gewicht des Qualitätsstahls zu Lasten des gewöhnlichen Handelsstahls beobachten, der allerdings noch lange das Hauptexportprodukt der Branche darstellte.120 War im Europa der fünfziger Jahre im Gefolge des Wiederaufbaus noch nahezu jede Stahlsorte rentabel, so sollte sich dies bald ändern. Die zügige Rekonstruktion und eine ab den sechziger Jahren spürbare neue Konkurrenz aus Ostblockstaaten und Ländern wie Brasilien und Australien, in denen neue Eisenerzgruben erschlossen und Stahlgigan118  Die Daten wurden zusammengestellt nach Pettersson, J.-E., Från kris till kris: den svenska stålindustrins omvandling under 1920- och 1970-talen, Stockholm 1988; Tabelle 3.11, S. 58; Tabelle 8.2, S. 197. 119  Eine Übersicht über die Erwerbungen und Fusionen findet sich bei Pettersson, Kris, Tabelle 3.11, S. 58. 120  Dazu gehörten Bandstahl, Stahlschienen sowie Schwer- und Grobbleche. Vgl. Larsson, svensk ekonomisk historia, S. 89; Fritz, Svenskt stål, S. 31 f.

126

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

ten erschaffen wurden, setzten die schwedischen Stahlhersteller erneut unter Druck. Eine Neustrukturierung hatte seit 1975 erneut auf der Tagesordnung gestanden, als der weltweite Nachfragerückgang, der Niedergang der schwedischen Werften und auch die stagnierende Nachfrage nach leichteren Blechen den Rohstahlkonsum zwischen 1974 und 1985 um 51 Millionen Tonnen hatten abfallen lassen. Den Absatzproblemen war in den siebziger Jahren mit einer umfassenden Umstellung von Walz- zum Stranggießverfahren und von einem vollständigen Übergang von Martinsstahl zu Elektro- und Bessemerstahl begegnet worden, aber es zeichnete sich ab, dass alleine mit solchen Veredelungsschritten die Überkapazitäten nicht in den Griff zu bekommen waren. Bereits 1969 hatte das Jernkontoret einen Bericht zur Verbesserung der generellen Gewinnlage durch Strukturrationalisierungen in Gestalt von Fusionen und einer Konzentration der Produkte bei den wettbewerbsfähigsten Herstellern vorgelegt. Der schwedische Staat war nicht zuletzt als Eigner des mit Verlust arbeitenden Norrbottens Järnverk AB (NJA) ebenfalls an solchen Lösungen interessiert, so dass im Februar 1976 eine staatliche Enquete-Kommission die Arbeit aufnahm. Als erstes Ergebnis wurde der Handelsstahlkonzern SSAB mit dem Staat, Stora und Gränges als Teilhabern gebildet, der ab 1982 erstmals ein positives Geschäftsresultat vorweisen konnte.121 Darüber hinaus konnten mit einer Reihe von Herstellern Abkommen ganz im Sinne der Empfehlungen des Jernkontorets über eine Aufteilung der Produktlinien getroffen werden: 1976 hatte Stora Kopparberg mit dem Verkauf der eigenen Werkzeugstahl- und Schnellstahlherstellung an Uddeholm und Fagersta den ersten Schritt gemacht, gefolgt von der Stora-Tochtergesellschaft Domnarvet, die mit Gränges vereinbarte, die Schwerblech- und Feinblechherstellung untereinander aufzuteilen.122 Desgleichen legten die Gewerkschaften 1978 einen Vorschlag zur Aufteilung von Walzdraht und Armierungsstahl vor, der mit der Bildung von BoxholmSmedjebacken 1982 realisiert wurde. Dieser Prozess der moderierten Produktaufteilung beschränkte sich aber nicht auf den Bereich des Handelsstahls. Eine zweite staatliche EnqueteKommission für Spezialstahl unter dem Vorsitz des Televerket-Generaldirektors Tony Hagström hatte 1976 ihren Abschlussbericht präsentiert, der nach eingehender Analyse aller Unternehmen und Produktionsstandorte ein pessimistisch gestimmtes Bild der Zukunftsaussichten zeichnete. Der härtere Importwettbewerb bei gleichzeitig nachlassender Nachfrage aufgrund von Materialsubstitution, der fortdauernde Kapazitätsüberhang und die steigen121  Handelsstålsutredningen, Handelsstålsindustrin inför 1980-talet: betänkande (Statens offentliga utredningar, 1977:16), Stockholm 1977. 122  Fritz, Svenskt stål, Fn. 45, S. 135.



3. Sandvik im schwedischen Branchensystem127

den schwedischen Lohnkosten wogen den Vorteil des geografischen Rohstoffzugangs nicht mehr auf. Ganz nach dem Vorbild des Handelsstahls sollte durch Fusionen, Produkt- und Marktaufteilung sowie der Ausmusterung einfacher und preissensitiver Qualitäten die schwedische Spezialstahlindustrie ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen.123 1978 war angesichts der prekären Situation bei Uddeholm überlegt worden, nach dem Vorbild der SSAB einen Großkonzern für Spezialstahl mit 18.000 Mitarbeitern und 15 Produktionsstätten zu formen. Dieses Modell war jedoch schon ein Jahr später verworfen worden. Stattdessen konnte mit Hilfe der Investeringsbanken die Kommission eine Aufteilung zwischen Werkzeugstahl und rostfreien Produkten durchsetzen, indem Uddeholm mit Gränges ein gemeinsames Unternehmen für Werkzeugstahl und mit Sandvik eine gemeinsame Tochtergesellschaft für rostfreie Produkte gründete: Diese Uddeholm Strip Steel als erste konkrete Manifestation der Produktaufteilung im Spezialstahlbereich wurde 1979 mit Sandvik als Teilhaber gebildet, die zunächst die Bandstahlproduktion Uddeholms in Munkfors und 1982 zusätzlich die SKF Steelstrip AB in Bångbro übernahm.124 Die dennoch fortdauernde Krise hatte 1982 eine Neuauflage der Kommission erforderlich gemacht, die nun alle relevanten Spezialstahlunternehmen wie Fagersta, Avesta, Nyby Uddeholm und Sandvik mit zusammen 13.000 Mitarbeitern einbezog. Der am 30. Juni 1983 vorgestellte Bericht schlug vor, Metallurgie und Schwerbleche in einem Unternehmen und die Bandund Röhrenproduktion in einem anderen zu bündeln. Laut Tony Hagström sollte dementsprechend die Schwerblechproduktion bei Avesta und in NybyUddeholms Anlage in Degerfors angesiedelt werden, während Fagersta und Sandvik zusammen mit Nyby-Uddeholm eine Band- und Röhrengesellschaft gründen sollten. Eines von insgesamt vier schwedischen Spezialstahlwerken sollte im Gegenzug stillgelegt werden. Die Chancen für die Produktaufteilung schienen noch zu steigen, als Jan Stenbeck durch den Einstieg Kinneviks bei Fagersta nun die Entscheidungen in beiden Spezialstahlkonzernen beeinflussen konnte.125 Etliche komplementäre Produktbereiche in der 123  Handelsstålsutredningen,

Handelsstålsindustrin. wurden auch die anderen Produktbereiche aufgeteilt: Im gleichen Jahr erblickte die Kloster Speedsteel AB das Licht der Welt, die aus den Schnellstahlsparten von Fagersta und Uddeholm gebildet wurde. Für rostfreien gezogenen Draht bildeten Uddeholm und Gunnebo ein gemeinsames Unternehmen namens Gunnebo Uddeholm Stainless AB. SKF wurde gleichzeitig Teileigner in der USAB. In der Uddeholm Strip Steel hielt Sandvik zunächst eine Beteiligung von 35 v. H., später 55 v. H. Vgl. USAB tar över SKF Steelstrip, in: Dagens Industri, 7. September 1982. 125  In der Tat zeigte man sich bei Kinnevik nicht abgeneigt, die metallurgischen Spezialstahlkapazitäten bei Sandvik zu konzentrieren und Fagersta zu Verhandlun124  Dementsprechend

128

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Röhren- und Drahtherstellung – Fagersta stellte geschweißte Röhren, Sandvik nahtlose Röhren her und der Walzdraht des mittelschwedischen Stahlproduzenten wurde bei Sandvik zu Kleindraht verarbeitet – nährten sogar Gerüchte über eine Fusion. Aber die Zusammenführungsmaßnahmen beschränkten sich letztendlich auf einen gemeinsamen Vertrieb in der Schweiz und den Niederlanden und eine nicht ins Gewicht fallende Auftragsfertigung in den Anlagen beider Konzerne. Eine Kooperation zwischen Fagersta und Sandvik unter Einbeziehung von Atlas Copco wurde ausdrücklich von beiden Unternehmensleitungen abgelehnt, auch wenn Verhandlungen darüber geführt wurden, ob Sandvik Fagerstas Walzanlagen für den Bergbohrstahl übernehmen sollte.126 Dass solche Bemühungen im Sande verliefen, lässt sich nicht nur auf die Verdrängung Stenbecks aus dem Eigentümerkreis Sandviks zurückführen, sondern auch darauf, dass das Bergslagener Unternehmen ohnehin nur peripher von den Umstrukturierungen berührt wurde. Der Neigung, sich auf etwaige Arrangements einzulassen, war angesichts der geringen Schnittmengen mit anderen Herstellern nicht besonders ausgeprägt. Infolge der konsequent befolgten Nischenphilosophie hatte Sandvik früher als andere Spezialstahlunternehmen den Rückzug aus der Massenstahlherstellung angetreten. Ab 1977 sollten alle Gruben, Hütten, Martinsöfen und unprofitable Walzlinien veräußert oder geschlossen werden. Zwei Jahre später fand die rein Eisenerz basierte Stahlherstellung mit der Niederlegung der Martinsstahlherstellung in Sandviken ihr endgültiges Ende.127 Auch die Produktion der Konjunktur empfindlichen Kohlenstoffröhren sollte in den achtziger Jahren zugunsten rostfreier Röhren vollends abgewickelt werden.128 Als Konsequenz dieser Rationalisierungsschritte konnte Sandvik Steel Ende der achtziger Jahre ein größeres Sortiment von höher veredelten Stählen mit Zirkonium- und Titanlegierungen als jedes andere Spezialstahlunternehmen anbieten und sich auf diese Weise gegen konjunkturelle Schwankungen absichern. Obwohl die europäische Stahlindustrie sich von dem Absatzrückgang nur mühsam erholen sollte, schrieb Sandviks Stahlsparte nur bis 1982 einige Jahre rote Zahlen. Der Konzern wurde nicht so sehr von Volumen- und Preisveränderungen wie beispielsweise das Konjunktur empfindliche Avesta getroffen, weil sich im Sortiment Sandviks keine Massenprodukte wie kalt gen über eine Veräußerung dementsprechender Produktsegmente zu zwingen. Vgl. Stålkrönika: Fagersta får vika sig för Kinnevik, in: Dagens Industri, 18. April 1984. 126  Sandvik Geschäftsbericht 1980; Flera varningssignaler efter Sandviks vinsttap, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1982), S. 23; Fagersta behåller „godbitar“ och tyr sig till Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 13 (1982), S. 77. 127  Nya forutsättningar för sanerade Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 4. (1986), S. 34–41. 128  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007.



3. Sandvik im schwedischen Branchensystem129

gewalzte Bänder befanden, die einen Preisverfall von ungefähr 25 v. H. jährlich verkraften mussten.129 Durch die systematische Höherveredelung konnte man auch deutlich höhere Gewinnspannen pro Produkt realisieren: Stahlhersteller konnten mit Kohlenstoffröhren einen Erlös von zwei SKr pro Kilo realisieren, mit rostfreien Röhren einen Erlös von 10 bis 20 SKr, aber mit Zirkonium- oder Titanröhren 100 SKr.130 Wie sehr sich die von Sandvik eingeschlagene Transformationsstrategie bewährt hatte, lässt sich daran erkennen, dass 1986 SSAB als Hersteller von Handelsstahl mit einem durchschnittlichen Kilopreis in Höhe von 4 SKr für seine Produkte rechnen konnte. Sandvik hingegen mit 40 SKr.131 Angesichts dieser Sonderstellung trafen auch weitere Vorstöße hinsichtlich einer Zusammenarbeit in der Sandvikener Konzernzentrale auf nur mäßigen Widerhall. Göran Ahlström hatte zwar eine grundlegende Bereitschaft zum Produkttausch bestätigt, aber angesichts der hochgradigen Spezialisierung der eigenen Stahlsparte und deren Ausrichtung auf hoch veredelte Produkte die Spielräume für ein Zusammengehen als gering eingeschätzt und der eigenen Stahlproduktion eine ‚leuchtende Zukunft‘ prophezeit.132 Ab Frühjahr 1983 hatten Nyby-Uddeholm, Sandvik und Fagersta auf Initiative der Spezialstahlkommission erneut über die Gründung einer Stahlgesellschaft für rostfreie Röhren verhandelt, die mit 1600 Mit­ arbeitern und einem geschätzten Umsatz von 1,5 Mrd. SKr der weltweit größte Konzern in diesem Segment geworden wäre.133 Im Herbst 1983 war dann gleichwohl offenbar geworden, dass die Vorstellungen Hagströms keine Unterstützung fanden, nicht zuletzt, weil die Gewerkschaften für eine ‚kleine Lösung‘ mit Nyby-Uddeholm und Avesta vorsprachen, womit Fagersta und Sandvik außen vor blieben.134 Erst 1984 wurde ein erneuertes Abkommen zwischen den Spe­ zialstahlunternehmen 129  Sandvik

kan dela ut mycket mer, in: Affärsvärlden, Nr. 12 (1996), S. 59 f. mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 131  Damit übertrumpfte der Bergslagener Konzern selbst andere Spezialstahlhersteller wie Avesta, das 29 SKr für seine Produkte nehmen konnte. Vgl. Nya forutsättningar för sanerade Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 4 (1986), S. 34–41. 132  Sandviks nye VD: för mig är inget heligt, in: Dagens Industri, 30. August 1983. 133  Anfangs gab es erhebliche Differenzen über die Frage, ob es nicht besser jeweils eine Band- und eine Röhrengesellschaft ins Leben gerufen werden sollte. Vgl. Nytt stålbolag med 1.600 anställda: blir världsstörst på rostfria rör, in: Dagens Industri, 29. April 1983. 134  Zudem forderte Industrieminister Thage Peterson, dass in einem neu formierten Spezialstahlgiganten ein Mehrheitseigner für mindestens für zehn Jahre die Geschicke regeln sollte, was in den involvierten Unternehmen mit erheblicher Reserviertheit aufgenommen wurde. Vgl. Stålfusion utan Fagersta, in: Dagens Industri, 15. September 1983; Specialstålet: Regeringen kräver ägaransvar, in: Dagens Industri, 11. November 1983. 130  Interview

130

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Avesta, Nyby-Uddeholm, Fagersta und Sandvik geschlossen.135 Als Resultat kam eine Aufteilung zustande, in deren Rahmen sich Sandvik auf lange, schmale Produkte wie Röhren, Draht und Dünnbänder und Avesta sich auf flache Produkte wie Platten und breite Bänder konzentrierte. Die Mehrheitsbeteiligung Uddeholms in dem Unternehmen Nyby-Uddeholm wurde durch Avesta übernommen. Die 1983 neu gegründete Avesta Sandvik Tube, an der Sandvik eine 25 v. H.-Beteiligung und die Fagersta AB eine 75 v. H.-Beteiligung hielt, sollte fortan neben der neu gebildeten Fagersta Stainless die Herstellung geschweißter Röhren übernehmen. Das Unternehmen stieg mit einer Kapazität von 20.000 Tonnen, 280 deutschen und schwedischen Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 300 Mio. SKr auf einem Schlag zum weltgrößten Hersteller in dieser Produktsegment auf. Für Sandvik bot sich auf diese Weise die Möglichkeit für ein breiteres Produktsortiment geschweißter Röhren, da durch die Kooperation die metallurgische Kompetenz sowie die Warmwalzanlagen Avestas genutzt werden konnten.136 Ein weiterer Produktbereich, in dem Sandvik in der Umstrukturierung teilnahm, war warm gewalzter Draht, der in Schweden nur noch an drei Standorten in Bofors, Fagersta und Uddeholm hergestellt wurde. Sandvik hatte bereits das eigene Walzwerk in Sandviken niedergelegt und den Draht zunächst in Bofors, später in Fagersta im Rahmen einer Auftragsherstellung fertigen lassen. Nachdem auch die Drahtwalzwerke in Bofors und Uddeholm abgewickelt wurden, verblieb als Unternehmen nur noch die Fagersta Stainless, in die sich Sandvik für 50 Mio. SKr einkaufte.137 Solche Erwerbungen und Absprachen zielten jedoch nicht auf elementare Kernbereiche der Stahlsparte. Die konzertierten Absprachen boten für Sandvik die Möglichkeit, das geschäftliche Risiko in tendenziell peripheren Aktivitäten zu minimieren. Insofern machte man auch keine Anstrengungen, die abgesteckten Produktionsfelder wieder in Frage zu stellen. 1989 verkaufte Sandvik Steel den 50 v. H.-Anteil an der Uddeholm Strip Steel an die Uddeholm AB, obwohl sich die Tochtergesellschaft mit insgesamt 800 Beschäftigten als weltweit führender Hersteller vom kalt gewalzten Präzisionsbandstahl mit einem Umsatz in Höhe von 44 Mio. SKr etabliert hatte.138 Spätestens mit der Auflösung der gemeinsamen Gesellschaft namens Bruksinvest zeichnete 135  Die Unternehmensspitze Sandviks zeigte allerdings nur ein mäßiges Interesse und musste im Gegensatz zu Fagersta, dass rund 25 Mio. SKr in gemeinsame Projekte investieren wollte, regelrecht überredet werden, sich auf das Arrangement einzulassen. Vgl. Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007. 136  Geschäftsbericht Sandvik 1983, S. 9. 137  Allerdings waren dort nur 150 Arbeitnehmer mit der Herstellung von Walzdraht und kleineren metallurgischen Arbeiten beschäftigt. Vgl. Interview Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 138  Sandvik lämnar Strip Steel, in: Dagens Industri, 16. Mai 1989.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000131

sich ab, dass die Ära der Restrukturierung im schwedischen Branchensystem sich ihrem Ende zuneigte. 1982 hatten Avesta, Fagersta, Uddeholm und Sandvik jeweils 100 Mio. SKr und der schwedische Staat 400 Mio. SKr in diese Gesellschaft eingebracht, die Neuansiedlungen in von Niederlegungen betroffenen Gemeinden fördern sollte. Nach anhaltender Kritik wegen ihrer Wirkungslosigkeit war Bruksinvest 1992 aufgelöst und das Kapital auf die einzelnen Unternehmen je nach Einlagenhöhe rückverteilt worden.139 Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Phase der moderierten Produktaufteilung in der schwedischen Spezialstahlbranche dann endgültig abgeschlossen. 4. Die Ära Hedström 1994 –2000: Internationale Expansion im Zeichen der Konzentrationsstrategie Die Sanierungs- und Rationalisierungsanstrengungen unter der Leitung Barneviks und Erikssons trugen Mitte der achtziger Jahre ganz offensichtlich Früchte: Sandvik konnte 1985 zum ersten Mal nach drei Jahren wieder das Verkaufsvolumen mit 10 v. H. steigern, begünstigt dadurch, dass der Umsatzschwerpunkt sich nicht zuletzt infolge der Devestitionen wieder nach Europa verschoben hatte, wo Sandvik nicht nur die Hälfte des Umsatzes realisierte sondern auch höhere Gewinnmargen erwirtschaften konnte.140 Mit einem Vorsteuergewinn in Höhe von 1,678 Mrd. SKr und einem Reingewinn in Höhe von 517 Mio. SKr erreichte der Konzern 1986 eine genauso hohe Profitabilität wie 1974. Die Eigenkapitalquote lag bei 30 v. H., die liquiden Mittel bezifferten sich auf 2,5 Mrd. SKr, was einen positiven Cashflow über eine Mrd. SKr nach Abzug von Investitionen, Steuern und Dividende zur Folge hatte. Dieses Wachstum bei einer dauerhaft positiven Ertragslage konnte in den folgenden Jahren fortgesetzt werden, ohne dass die Konzernleitung nennenswerte Änderungen in ihrer Unternehmenspolitik vornahm. Immerhin ist Sandvik von den im Rahmen der Fallstudien untersuchten Unternehmen das einzige gewesen, dass trotz stetiger Expansion zwischen 1980 und 2000 nur ein einziges Verlustjahr hinsichtlich des operativen Gewinns zu verzeichnen hatte, und auch im Blick auf die durchschnittliche Rentabilitätsentwicklung schwedische Vorzeigeunternehmen wie Ericsson oder Volvo ausstach. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass vor allem der Umsatz des Unternehmens selbst in der Rezession zu Beginn 139  Avesta hatte eine Beteiligungsquote von 35 v.  H., Kinnevik und Uddeholm Tooling jeweils 25 v. H. und Sandvik 15 v. H. Vgl. Brukinvest delas upp mellan de fyra ägarna, in: Svenska Dagbladet, 17. Januar 1992; Regeringen avgjorde: Bruksinvest slaktas, in: Dagens Industri, 17. Januar 1992. 140  „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 56–59.

132

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

der neunziger Jahre nur unbedeutend zurückging. Da die Kundengruppen über verschiedene Branchen hinweg verteilt waren und so zufolge Percy Barnevik die Empfindlichkeit gegenüber Konjunkturabschwüngen auf diese Weise wesentlich abgefedert wurde, sollte sich der Erfolg der konsequent befolgten Nischen- und Differenzierungsstrategie um so mehr bestätigen.141 Per-Olof Eriksson sollte bei seinem Abgang seinem Nachfolger 1994 einen konsolidierten Konzern hinterlassen: Seit dem Amtsantritt 1984 hatten sich Umsatz und Gewinn verdoppelt und der Aktienkurs hatte sich mit immerhin 1000  v. H. erhöht.142 Insofern waren in der Ära des in den Vorstand wechselnden VDs durch die Kosteneinsparungen und Rationalisierungsmaßnahmen die Grundlagen für die ab 1994 von dem neuen VD Clas Åke Hedström forcierte expansive Wachstumspolitik mit immer mehr Erwerbungen und Direktinvestitionen im Ausland gelegt worden. Die Ausrichtung auf Auslandsmärkte wie USA, Frankreich, Westdeutschland, Großbritannien, Italien und Japan, die schon 1980 mit 92 v. H. zum Umsatz des Konzerns beitrugen, war seit jeher ein Markenzeichen des Stahlunternehmens gewesen.143 Aber schon vor dem ersten Weltkrieg konnte das Unternehmen einen Exportanteil von bis zu 80 v. H. bezogen auf den eigenen Umsatz vorweisen. Diese dezidierte Exportabhängigkeit ging auch im Falle Sandviks mit einer frühzeitigen Internationalisierung der Unternehmensstrukturen einher, die bis in die Gründungsphase des Unternehmens zurückreichte. Hatte man zunächst vorrangig Märkte in Russland, Frankreich und Großbritannien beliefert, wurde allmählich mit der Gründung von lokalen Repräsentationen und Tochtergesellschaften in Ländern wie Peru, Chile, Venezuela, Malaysia, Thailand und Hongkong die Präsenz über den europäischen Raum hinaus ausgeweitet. 1937 konnte das Unternehmen bereits ein globales Netz mit 20 Tochtergesellschaften einsetzen, die vorrangig in Europa, aber auch in Argentinien oder Kanada tätig waren.144 Vor allem die sechziger und siebziger Jahre sollten ganz im Zeichen einer Erschließung neuer Märkte durch Direktinvestitionen stehen, in deren Rahmen die Hartmetallsparte eine federführende Rolle einnahm. Ab 1961 begann die Konzernleitung, im Rahmen des bereits erwähnten Investitionsprogramms Fabriken in Mexiko und Brasilien zu errichten, denen ab 1971 Werke in den USA und Kanada folgten. Seit Ende der 1960er war auch ein in Eigenregie aufgebautes Stahlwerk im indischen Poona in Betrieb. 1980 waren in 37 Volkswirtschaften und 1998 in 52 Ländern Tochtergesellschaften 141  Stärkt finansnetto räddar årets vinst, in: Veckans Affärer, 5. September 1990; Nya förvärv enda chans för Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 23 (1991), S. 48–51. 142  Öka tempot, Sandvik – Nye VD:n Clas Åke Hedström bör lägga in en högre växel, in: Veckans Affärer, 24. Mai 1994. 143  Sandvik Geschäftsbericht 1980. 144  Hedebrant, Transformation, S. 13.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000133

des Konzerns tätig.145 Wie erfolgreich sich das Unternehmen mit seiner Diversifizierten Qualitätsproduktion selbst in hochgradig schwierigen Absatzgebieten bewährte, zeigt der Fall des japanischen Marktes, der erstens aufgrund der wirtschaftspolitisch bedingten Abriegelung und zweitens wegen der starken Stellung japanischer Konkurrenten für europäische Unternehmen traditionell sehr schwer zu erschließen war. Zu Beginn der neunziger Jahre erwirtschaftete der Konzern mit 13 Regionalkontoren, zwei Fabriken und 400 Mitarbeitern in dem ostasiatischen Land einen Umsatz von einer Mrd. SKr und offerierte den japanischen Abnehmern 1800 verschiedene Hartmetallschneidevarianten.146 Immerhin konnten die Schweden in Japan einen Marktanteil von beachtlichen 10 v. H. gegen renommierte Unternehmen wie Sumitomo, Toshiba oder Mitsubishi verteidigen. Die Internationalisierung Sandviks in Gestalt von Unternehmenskäufen und Werksgründungen war nach den anfänglichen Fehlinvestitionen in der Prozesssystem- und Konsumentenwerkzeugsparte zunächst gebremst worden und gewann erst 1987 mit dem Erwerb von Carboloy und TI Stainless Tubes wieder an Fahrt. Insgesamt erwarb der Konzern zwischen 1981 und 2000 57 Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen. Diese Vielzahl sollte jedoch nicht zu dem Schluss verleiten, dass der Wachstumspfad Sandviks im wachsenden Ausmaß durch das buying anstelle des making geprägt wurde. Grundlegend lautete jedoch das Credo der Konzernleitung, dass organisches Wachstum den Konzern in seiner Entwicklung tragen sollte. Ein Wachstum aus eigener Kraft strebte der Konzern nur in Asien an, wo durch Direktinvestitionen oder Kooperationen mit einheimischen Partnern der Umsatz von 17 v. H. auf 30 v. H. erhöht werden sollte.147 Ansonsten indizieren die bescheidenen Beschäftigtenzahlen und Umsatzwerte der Aufkauf­ objekte, dass das Unternehmen ähnlich wie SCA bei kleinen Firmen die Gelegenheit nutzte, die durch eine schwierige Marktsituation oder einem Eigentümerwechsel in dem Zielunternehmen entstanden war. Zweitens ist augenfällig, dass sowohl Eriksson als auch Hedström auf die Setzung geografischer Schwerpunktinvestitionen verzichteten.148 Drittens folgten die 145  Palmer,

Historical Patterns. trappar upp kampen om Japan, in: Dagens Industri, 26. März 1990; Sandvik ökar takten i Japans Norrland, in: Dagens Industri, 6. Februar 1992. 147  Die Aufnahme einer eigenen Herstellung in Gestalt von greenfield transplants wie auf dem wichtigen chinesischen Markt war infolge der Bedingungen der dortigen Behörden ohnehin unumgänglich, wollte man nicht die Chance zur Etablierung auf dem wichtigsten asiatischen Wachstumsmarkt verpassen. Vgl. zu den Aktivitäten in China Nu kommer Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1991), S. 34–37; Sandvik in China, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 3 (1998), S. 56. 148  Zeitweise lag der Akzent auf Sicherung der Marktposition in den USA, während in der Ära Hedström Asien in das Zentrum des Interesses rückte. Den Erwerbungsbestrebungen waren in dieser Region allerdings Grenzen gesetzt, weil japani146  Sandvik

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Erwerbungen je nach Geschäftsbereich teilweise unterschiedlichen Implikationen. Die Breite des Produktsortiments und die Variationsmöglichkeiten in der Materialentwicklung ermöglichten der Hartmetallwerkzeugsparte die umfassende Integration von Produktbereichen mittels Akquisitionen, in denen das Bergslagener Unternehmen nur unzureichend vertreten war.149 Hingegen ging es der Leitung der Stahlsparte vorrangig um die Erschließung neuer Marktanteile, in Ausnahmefällen wie der indischen Choksi auch um die Möglichkeit zur Steigerung der Produktionsvolumina.150 Erwerbungen in den USA und die Errichtung des Stahlwerkes in Poona waren zudem maßgeblich motiviert, die Zollbarrieren zu überspringen.151 Etablierungen der Bergbohrersparte wie in China, Kanada, USA, Südafrika, Chile, Brasilien gründeten sich auf die Notwendigkeit, den Abstand zu den Kunden so gering wie möglich zu halten.152 Was die Erwerbsstrategie allerdings grundlegend prägen sollte, war das massierte Vorkommen ‚präventiver Aufkäufe‘, die im Zusammenhang mit der angestrebten Verteidigung oder Erringung der Preisführerschaft gesehen werden müssen. Per-Olof Eriksson beschrieb die zentrale Intention der Akquisitionspolitik wie folgt: „Ja, das war nahezu ein Klassiker bei Sandvik: man kaufte Konkurrenten, noch nicht einmal, um deren Produktion zu bekommen, sondern schlicht deren Marktanteile. Wir haben systematisch immer Konkurrenten gekauft. Es war immer die Devise, unsere Geschäfte innerhalb der Kernkompetenzen abzuwickeln und Marktanteile zu kaufen. Es gab nur eine Ausnahme, und das war China, wo wir lange um die Eröffnung von Produktionsstätten kämpfen mussten.“153 sche Konkurrenten Sandvik bereits in vielen Fällen zuvorgekommen waren, selbst wenn die Schweden sich im Laufe der Zeit in Ländern wie Indien, Australien oder Korea mittels Erwerbungen eine profunde Ausgangsbasis für die angestrebte Markt­ erschließung verschaffen konnten. Vgl. dazu Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007; Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 149  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 150  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 151  Besonders die USA hatten in den späten achtziger Jahren mit hohen Zöllen die eigene kriselnde Stahlindustrie zu schützen versucht, indem der Importanteil am Stahlverbrauch auf 18 v. H. reduziert werden sollte. Sandvik Steel musste zwischen 1987 bis 1991 rund 50 Mio. SKr Strafzölle entrichten, obwohl die GATT deren Regelwidrigkeit festgestellt und gleichwohl erfolglos deren Abschaffung gefordert hatte. Deswegen begann man 1994 zusammen mit Sumitomo mit der Herstellung von rostfreien Röhren, um die protektionistischen Maßnahmen zu umgehen. Vgl. dazu Sandvik slipper ej strafftull, in: Veckans Affärer, 24. April 1991; Sandvik vann i USA: Slipper strafftullar, in: Dagens Industri, 9. Mai 1992; Sandvik slipper USA:s ståltullar: Tillverkning tillsammans med värsta konkurrenten i „amerikanskt“ företag, in: Dagens Nyheter, 7. Februar 1994. 152  Interview mit Anders Ilstam, Halmstad, 3. September 2007. 153  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000135

Entscheidend war also nicht die Profitabilität des Aufkaufsobjekts, sondern seine Marktposition.154 So hatte Sandvik bereits 1973 das Hartmetallunternehmen Seco Tools in den Konzern eingegliedert, womit der ebenfalls interessierte US-Konkurrent Carboloy das Nachsehen haben sollte. Auch im Falle der russischen MKTS sollte die Unternehmensleitung dem US-Wettbewerber Kennametal zuvorkommen, obwohl die Fabrik mit 600 Mitarbeitern erst zehn Jahre nach dem Erwerb einigermaßen profitabel wirtschaftete.155 Der Kauf des tschechischen Dampferzeuger-Röhrenherstellers Valcovny Trub Chomutov erfolgte ebenfalls erst, nachdem die Hinweise sich mehrten, dass Konkurrenten wie Schöller, Bleckmann und Valorec ihr Interesse angemeldet hatten.156 a) Präventive Erwerbungen zur Sicherung der Marktposition: CTT Tools, Kanthal und Tamrock Vier Erwerbungen in Gestalt von Precision Twist Drill, CTT Tools, Kanthal und Tamrock ragen alleine schon wegen der Umsatz- und Beschäftigtenzahlen aus der Masse der Akquisitionen heraus. Welche Bedeutung diesen Erwerbungen zugemessen werden muss, lässt sich schon daran erkennen, dass von dem 1998 erzielten Jahresumsatz des Konzerns in Höhe von 40 Mrd. SKr immerhin alleine 10 Mrd. SKr auf die Großerwerbungen Tamrock, Kanthal und Precision Twist Drill entfielen.157 Diese Erwerbungen müssen wohl im Lichte der deutlich offensiveren Wachstumsstrategie gesehen werden, die der neue VD Clas Åke Hedström nach seinem Amtsantritt 1994 zum Maßstab gemacht hatte. Genau wie sein Vorgänger fühlte sich Hedström der Maxime verpflichtet, dass Sandvik innerhalb der angestammten Wachstumsfelder verbleiben und nicht in branchenfremde Aktivitäten diversifizieren sollte.158 Ganz im Sinne des vorsichtigen Kurses von PerOlof Eriksson waren auch die Wachstumsziele des Konzerns eher bescheiden gewesen. Bis zum Amtsantritt Hedströms hatte man sich zum Ziel gesetzt, den Umsatz mit zwei v. H. jährlich zu steigern. Was sich nun ändern sollte, waren die Ambitionen hinsichtlich des Unternehmenswachstums: der Konzern sollte nun nicht mehr mit vier, sondern mit sechs v. H. im Umsatz bis 2003 wachsen, wovon vier v. H. in Gestalt organischen Wachstums und zwei v. H. über Erwerbungen realisiert werden sollten.159 154  Interview

mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 1. März 2007. polnische Baildonit wurde von Sandvik Coromant aus den gleichen Gründen gekauft. Vgl. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 156  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 157  Sandvik på ny köpjakt, in: Finanstidningen, 10. September 1998. 158  Sandvik: Förvärv ökar tempot, in: Veckans Affärer, Nr. 49 (1997), S. 32–34. 155  Die

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Die ambitionierte Wachstumspolitik ging zugleich einher mit einer neuen Gewichtung zweier Bereiche, die bis dahin im Schatten der CoromantSparte standen. Kurz nach dem Amtsantritt Hedströms war die Konzernleitung nach einer umfassenden Portfolioanalyse unter späterer Hinzuziehung einer Unternehmensberatung zu dem Schluss gekommen, dass Unternehmen so umzustrukturieren, dass drei möglichst gleich große Sparten für Stahlund Hartmetallwerkzeuge, für Bergbaubedarf und für Stahl entstehen sollten.160 Dieser angestrebte Zuschnitt konnte jedoch nicht ohne Erwerbungen herbeigeführt werden, da es der Stahl- und der Bergbausparte an der nötigen kritischen Masse fehlte, um mit Sandvik Coromant mithalten zu können. Im Falle der Hartmetallsparte hatte der Konzern mit CTT Tools bereits die entscheidende Großakquisition getätigt, die allerdings weniger als offensiver, sondern vielmehr als präventiver Kauf die eigene Marktposition schützen sollte: Das Sandvik auf diese Weise in den an und für sich gemiedenen Bereich der Schnellstahlwerkzeuge diversifizierte, hatte seinen Grund darin, dass Anwender und Schnellstahl verarbeitende Werkzeughersteller zunehmend in der Lage waren, eigenständig Hartmetallschichten auf den preiswerteren Schnellstahl zu applizieren. Indem sie unbearbeitetes Hartmetall kauften, um nach der Bearbeitung selbst Bohrer und anderes Werkzeug anbieten zu können, waren die Schnellstahlhersteller auf dem Weg, in die Domäne der Hartmetall verarbeitenden Werkzeughersteller einzubrechen.161 So sah man sich in Sandviken zu einer Gegenreaktion in Gestalt des Erwerbs nahezu gezwungen, weil das SKF-Tochterunternehmens mit 3900 Beschäftigten und einem Umsatz von zwei Mrd. SKr weltweit führend bei Schnellstahl für Metallbearbeitung war, auch wenn es in der Vergangenheit kaum einen Gewinn erwirtschaftet hatte. Da Schnellstahl in denselben Bereichen wie Hartmetall zur Anwendung kam, wurde CTT Tools bei Sandvik Coromant angesiedelt, das ab 1992 in den Geschäftsbereich Sandvik Tooling einging.162 159

Zu einer ähnlichen Reaktion sah sich der Konzern auch gezwungen, wollte das Unternehmen seine führende Stellung auf den Bergbohrermärkten nicht verlieren, die den globalen Siegeszug der ‚schwedischen Methode‘ verdank159  Geschäftsbericht Sandvik 1995, S. 7; Sandvik ändrar sig, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1994), S. 81–85; Sandvik på ny köpjakt, in: Finanstidningen, 10. September 1998. 160  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 161  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007; Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 162  Nu kommer Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1991), S. 34–37. In die Sparte Sandvik Tooling wurde auch Precision Twist Drill eingeordnet, ein 1997 erworbenes US-Unternehmen, das CTT Tools eine bessere Ausgangslage in den USA durch sein großes Einzelhandelsnetzwerk verschaffen sollte.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000137

te. In der gesamten Nachkriegszeit waren Sandviks Bergbaubohrer gemeinsam mit dem Bergbaubedarf Atlas Copcos vertrieben worden. 1988 kam die überraschende Meldung, dass die über vierzig Jahre währende Zusammenarbeit mit Atlas Copco ihr Ende gefunden hatte. Der Grund, warum die Beziehungen zwischen den beiden langjährigen Partnern so abrupt endeten, war der Erwerb des aus dem Fagersta-Konzern herausgelösten Bergbaubohrerherstellers Secoroc durch Atlas Copco, womit das Unternehmen gegen die Abmachung mit Sandvik verstieß, sich nicht im jeweiligen Produktbereich des Partners zu engagieren.163 Atlas Copco-VD Tom Wachtmeister hatte im Januar 1987 die Offerte zur Kündigung des Abkommens nur deswegen ausgeschlagen, weil eine erhebliche Schadenersatzsumme angefallen wäre.164 PerOlof Eriksson hatte nach eigenen Angaben nach dem Kauf von Secoroc vergebens versucht, die Leitung des Stockholmer Unternehmens zu einer anderen Lösung zu bewegen, aber Wachtmeister legte eine offensivere Gangart an den Tag als seine Vorgänger.165 Das vierzig Jahre alte Abkommen wurde im Juni 1988 schon eine Woche nach dem Secoroc-Kauf gekündigt, da Atlas Copco nun zwei miteinander konkurrierende Handelsmarken hätte vertreiben müssen, so dass ab dem 1. August 1988 die Kooperation ihr offizielles Ende fand, obwohl Sandvik in einigen Bereichen eine begrenzte Zusammenarbeit mit Secoroc praktiziert hatte.166 Befürchtungen, dass mit dem Verlust des langjährigen Vertriebspartners die Sparte Sandvik Rock Tools, ihre Marktposition einbüßen würde, konnten jedoch schnell zerstreut werden. Die bestehende Infrastruktur und der Markenname erwiesen sich schnell ebenso als Vorteil wie der Umstand, dass die Kunden es gewöhnt waren, nach Sandviken zu kommen, um Produkte und deren Handhabung kennen zu lernen.167 Durch den schnellen Aufbau eines eigenen Vertriebsnetzes mit 180 teilweise von Atlas Copco abgeworbenen Verkäufern konnte der Weltmarktanteil bei 20 bis 25 v. H. stabilisiert werden, während Atlas Copco und Secoroc, das im Gegensatz zu Sandvik die Bohrköpfe ohne Hartmetall fertigte, einen Rückgang von 50 auf 163  Schon im Jahr zuvor waren erste Gerüchte aufgekommen, dass die Zusammenarbeit mit Atlas Copco nicht mehr friktionsfrei zu funktionieren schien, obwohl im gleichen Jahr die Vereinbarung über die Vertriebszusammenarbeit neu ausgehandelt worden war. Nu gäller det att Sandvik inte slår sig till ro, in: Affärsvärlden, Nr. 22 (1987), S. 62–65. 164  Nyckelpersoner i dubbelroll, in: Dagens Industri, 25. Juni 1990. 165  Allerdings konnte dieser neben der als ungenügend empfundenen Rendite bei dem Verkauf der Sandvik-Produkte auch ins Feld führen, dass Secoroc mit einer deutlich breiteren Produktpalette im Vergleich zu Sandvik Rock Tools deutlich besser abschnitt. Vgl. Köpsugen, in: Dagens Industri, 12. September 1988. 166  Sandvik säger upp Atlas Copco-avtalet, in: Dagens Industri, 5. Juli 1988. 167  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

35 v. H. bis 1990 hinnehmen mussten.168 Atlas Copco lancierte daraufhin eine zweite Warenmarke neben Secoroc namens Atlas Copco Rock Tools, um Kunden von Sandvik und anderen Konkurrenten abzuwerben, was einen veritablen Marktanteilskrieg zwischen den beiden früheren Partnern auslöste.169 Mit großzügigen Rabatten versuchten Sandvik und Atlas Copco ihre Marktanteile auszubauen, was zu einem Preisverfall führte. Bezogen auf das Niveau von 1988 sackten die Preise bis 1990 um 10 bis 15 v. H. ab, bis dann 1991 eine Stabilisierung eintrat.170 Wie viel dieser Preiskrieg alle Beteiligten kostete, ist unklar; Schätzungen gingen davon aus, dass beide früheren Partner jeweils Verluste in einer Größenordnung von 300 Mio. SKr erlitten.171 Wie wichtig in der Sandvikener Konzernleitung dessen ungeachtet der Kampf um Marktanteile bewertet wurde, verdeutlicht der Umstand, dass der Sparte entgegen den ansonsten gepflegten Prinzipien der finanziellen Selbstverantwortlichkeit flüssige Mittel zur Verfügung gestellt wurden, obwohl man sich durchaus bewusst war, dass diese Auseinandersetzung etliche Millionen SKr verschlingen würde.172 Ohnehin kam aber die neue Konstellation deutlich ungelegen, da bereits 1987 zwei Großerwerbungen stattgefunden hatten, die die Wachstumsambitionen der Sparte deutlich zur Geltung brachten. Der Erwerb von Hughes Mining Tools hatte Sandvik Rock Tools zu einem der drei größten Lieferanten von Kohlebrechwerkzeug auf allen großen westlichen Märkten gemacht und durch den Einkauf bei der Stratabit sollte die Sparte sich mit Diamantbohrungstechnik vertraut machen können, um für Öl- und Gasbohrungstechnologie ein ausreichendes Know-how aufzubauen.173 Nichtsdestotrotz hatte der Preiskrieg gleichwohl die Gewinnmargen von 20 auf zwei v. H. schrumpfen lassen und der Fortbestand der Sparte war angesichts eines Rentabilitätsniveaus unterhalb der Gewinnschwelle und eines Anteils am Konzernumsatz in Höhe von sieben v. H. keineswegs eine Selbstverständlichkeit, obwohl die Verantwortlichen bei Sandvik Rock Tools es als einen 168  Dyrköpt seger i bergborrs-VM men Sandvik ser ljuset i tunneln, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 4 (1990), S. 12–16; Atlas / Sandvik: Kraftiga förluster med marknadskrig, in: Veckans Affärer, 5. September 1990. 169  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 170  Duellen: Sandvik och Atlas i hårt priskrig, in: Dagens Industri, 22. Mai 1990; Atlas / Sandvik: Kraftiga förluster med marknadskrig, in: Veckans Affärer, 5. September 1990; Slut på borrkriget mellan Atlas och Sandvik, in: Dagens Industri, 8. Juni 1991. 171  Kampen om Tamrock, in: Dagens Industri, 11. Mai 1996. 172  Allerdings musste die Geschäftseinheit später die geliehenen Beträge zurückzahlen. Vgl. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 173  Weitere ergänzende kleinere Erwerbungen in diesem Bereich waren die Danit A / S in Dänemark und die Europa-Einheit von Carboloy Limited für Hartmetallgegenstände.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000139

wichtigen Vorteil gegenüber den Konkurrenten ansahen, einen Zugang zu FuE und Produktion von sowohl Hartmetall als auch Spezialstahl zu haben. In dieser Situation bot sich 1991 die Chance, bei der finnischen Tamrock mit einer 25 v. H.-Beteiligung einzusteigen, mit der Sandvik bereits in Fragen der Produktentwicklung einen regelmäßigen Austausch gepflegt hatte.174 Auf diesem Weg konnte die angestrebte Vorwärtsintegration verwirklicht werden, da mit dem Gruben- und Anlagenmaschinenhersteller schon seit 1989 eine Zusammenarbeit praktiziert wurde, in dessen Rahmen die Finnen in einigen Ländern Rock Tools-Bergbohrer und Sandvik im Gegenzug Tamrock-Maschinerie vertrieben. Dieser gemeinsame Vertrieb sollte durch den Erwerb Tamrocks eine dauerhafte Basis erhalten, obwohl Tamrock wie die Konkurrenten Ingersoll Rand und Atlas Copco Bergbaumaschinerie im Sortiment hatte, mit deren Verkauf Sandvik keine Erfahrungen hatte und die man nur widerwillig übernehmen wollte.175 Wollte man jedoch auf dem Märkten bestehen, musste man den Schritt wagen, da Sandvik-Kunden meistens Bohrer und Maschinerie in einem Paket erwarben. Der Haupteigner Tamrocks in Gestalt des Mischkonzerns Tampella war aufgrund von Fehlinvestitionen anfangs der neunziger Jahre in eine Finanzierungskrise geraten. Was einen Auskauf von Tamrock erschwerte, war die Tatsache, dass die Tochtergesellschaft mit einem Umsatz von drei bis vier Mrd. SKr zum Kerngeschäft gerechnet wurde. Deswegen wurde kompromisslos darauf bestanden, dass Sandvik nicht Tamrock, sondern stattdessen den gesamten Tampella-Konzern übernehmen sollte, was in der Konzernzentrale in Sandviken jedoch zunächst kategorisch ausgeschlossen wurde.176 Dort hatte man sich entschieden, bis zu 40 v. H. bei Tampella zu erwerben, um auf diesem Wege Tamrock aus dem Konzern herauszulösen, da man auf diese Weise dank der nun auf 49 v. H. erhöhten Beteiligung von dem Vorkaufsrecht für den restlichen Tamrock-Aktienbestand Gebrauch machen wollte.177 Erst als die norwegische Kværner-Gruppe und der finnische Rauma-Konzern ebenfalls bei Tampella einstiegen und das 174  Sandvik Geschäftsbericht 1988, S. 2; Sandvik tar „hämnd“ på Atlas Copco: Går samman med finländsk konkurrent, in: Dagens Industri, 23. Januar 1989. 175  Ny VD och gammal metod ska lyfta SMC, in: Veckans Affärer, 16. November 1996; Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 176  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. Da half auch die liberalere Regelung des finnischen Aktiengesetzes nicht, dass eine Übernahme der restlichen Anteile nach dem Erwerb von zwei Dritteln verbindlich vorsah. Vgl. zu den Details der Verhandlungen Hård strid om finska Tampella: Sandvik ligger bäst till, in: Dagens Nyheter, 15. April 1996; Hård strid om Tampella: Sandvik och Svedala ger bud, in: Dagens Nyheter, 18 Mai 1996. 177  Sandvik och Svedala i finsk dragkamp, in: Svenska Dagbladet, 14. April 1996.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

ebenfalls interessierte Svedala aus dem Bieterprozess ausschied, konnte Sandvik die verbleibenden Miteigner Tamrocks auskaufen. Die neue Tochtergesellschaft brachte nicht nur ein Sortiment mit Bohrmaschinen, Lastern und Ausrüstung für Gruben- und Baumaschinerie mit ein, sondern zusätzlich einen Umsatz von ca. acht Mrd. SKr, 5200 Mitarbeitern und 50 Tochtergesellschaften in 24 Ländern.178 Sandvik Rock Tools war nach der Integration Tamrocks nun genauso groß wie Atlas Copco CMT, das notabene zu Beginn des Jahrzehnts abgewunken hatte, als es um einen Kauf von Tamrock ging.179 Zusätzlich konnte mit dem Zerkleinerungsmaschineriehersteller Nordberg ein neuer Kooperationspartner gewonnen werden, mit dem man quasi ein volles Produktsortiment in Gestalt von Bohrstahl (Sandvik), Bohrmaschinen und Verfrachtung (Tamrock) und Zerkleinerungsanlagen (Nordberg) offerieren konnte.180 Der neu formierte Geschäftsbereich Sandvik Mining and Construction rundete mittels weiterer Erwerbungen wie Bröyt, Böhler, Drillmasters und Beltreco das Produktsortiment um komplementären Bergbaubedarf ab. Neben dem Ausbau der Bergbohrersparte war es der Stahlbereich, der unter Hedströms Leitung eine Renaissance erleben sollte. Den kapitalintensiven Nahtlosröhren galt nach wie vor das Hauptaugenmerk, für die das Unternehmen seit den achtziger Jahren umfassende Schwerpunktinvestitionen in Gestalt zweier neuer Kaltwalzwerke, einem neuen Röhren- und Drahtwalzwerk getätigt hatte. Zur Verstärkung der eigenen Position hatte Sandvik 1987 Sterling Tubes gekauft, Großbritanniens größten Hersteller von nahtlosen rostfreien Röhren. Vor allem hinsichtlich der Draht- und Stahlbandprodukte stellte es sich jedoch weitaus schwieriger dar, die ehrgeizigen wachstumspolitischen Ziele mit eigenen Möglichkeiten zu vereinbaren. Die Expansion in diesem Produktfeld wurde zögerlich angegangen, auch weil Teilbereiche wie Schweißdraht immer mehr zu einem Massenprodukt während der neunziger Jahre verkamen und somit der Nischenphilosophie entgegenstanden.181 Zusätzlich tat man sich sichtbar schwer damit, Nischen wie Federdraht für medizinische und feinmechanische Applikationen zu erschließen, obwohl Sandvik über Drahtziehwerke für Federstahl in Schweden, Spanien und USA verfügte und 1987 in Schweden Gunnebo als größten Konkurrenten im Bereich rostfreier Draht erworben hatte.182 178  Finska

1997.

Tamrock blir helägt av Sandvik, in: Svenska Dagbladet, 11. November

179  Sandviks köpvåg, in: Dagens Industri, 21. August 1996; Kampen om Tamrock, in: Dagens Industri, 11. Mai 1996. 180  En seger, en oavgjord: Dags för Hedström, att tala med Per-Olof-Norberg, in: Veckans Affärer, 3. Juni 1996. 181  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 182  Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000141

Ab 1992 hatte die Unternehmensleitung deswegen den Kauf von Kanthal angestrebt, das sich trotz seiner geringen Größe mit nur 500 Beschäftigten, aber einem Umsatz von 1,7 Mrd. SKr eine globale marktführende Stellung in der Nische für elektrisches Widerstandsmaterial verschafft hatte. Das Produktsortiment des Unternehmens aus Hallstahammar, das vor allem in Asien erfolgreich war, wurde zu zwei Dritteln von hoch legierten Stählen und Hochtemperaturmaterial für Erwärmungszwecke bestimmt und fügte sich insofern in die Innovationsstrategie Sandviks mit der Ausrichtung auf Nischen nahezu nahtlos ein. Das Kerngeschäft des 1931 gegründeten Unternehmens war metallisches und keramisches Widerstandsmaterial, das vor allem in Heizleitern von Haushaltsmaschinen und industriellen Öfen zu Anwendung gelangte. Diese Produkte wurden zumeist mit einer Kanthallegierung versehen, eine legendäre Legierungsverbindung aus Chrom, Eisen und Aluminium, die Unternehmensgründer Hans von Kantzow erfunden hatte. Auch mit diesem Unternehmen existierten Beziehungen auf der Produktionsebene, da Sandvik und Kanthal mittels Auftragsherstellung in den Anlagen oder bei der Warmwalzung von Stahlbändern und -draht sowie der Extrusion von Röhrenmaterial zusammenarbeiteten.183 Ebenso wie im Falle Tamrocks sollte sich auch der Erwerb Kanthals als mühsames Unterfangen darstellen, da Per-Olov Norberg, OD der als Haupteigner Kanthals auftretenden Investmentgesellschaft Trustor, das Übernahmeangebot schroff zurückwies.184 Bis Mai 1997 konnte Sandvik zwar 23,67 v. H. der Stimmrechte erwerben, aber angesichts der hartnäckigen Intransigenz Norbergs schienen ähnlich wie im Falle Tamrocks die Aufkaufspläne zum Scheitern verurteilt.185 Die Rettung aus der blockierten Situation kam etwas unverhofft in Gestalt des britischen Investors Lord Moyne, der Norberg das Angebot unterbreitet hatte, ihn bei Trustor auszukaufen und ihm im Gegenzug die Kanthal-Ak­ tien von Trustor zu überlassen, worauf Norberg am 20. Mai 1997 einging. Am 10. Juni 1997 hatte Moyne jedoch dieses Abkommen für ungültig erklärt und einen Vertrauten nach Sandviken geschickt, um dem Streit ein Ende zu bereiten. Trustors außerordentliche Aktionärsversammlung stimmte am 15. Juni 1997 schließlich zu, 50 v. H. der Kanthal-Wertpapiere an den Höchstbietenden Sandvik für 895 Mio. SKr zu verkaufen.186 Sandvik kont183  Kanthals styrelse avvisar bud, in: Dagens Nyheter, 2. Juni 1996; Sandvik Geschäftsbericht 1996. 184  Trustors VD hoppas på samarbete med Sandvik, in: Svenska Dagbladet, 10. April 1996. 185  Budet på Atlantica lär väcka intresse, in: Dagens Nyheter, 24. Februar 1997; Sandvik in i Kanthals styrelse: Samarbete efter bråk, in: Dagens Nyheter, 15. Mai 1997. 186  Sandvik nära ta över Kanthal, in: Finanstidningen, 13. Juni 1997; Sandvik vann kampen om Kanthal, in: Finanstidningen, 16. Juni 1997.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

rollierte nach dem Erwerb der Trustor-Beteiligung rund 97 v. H. der Stimmrechte, so dass die Möglichkeit gegeben war, nach dem Auskauf der verbleibenden Kapitalgeber Kanthal in eine konzerneigene Tochtergesellschaft im Vollbesitz umzuwandeln.187 Abgeschlossen wurde die Restrukturierung des Konzerns mit dem Verkauf der Konsumentenwerkzeugsparte im Jahr 1999. Mit dem Verkauf setzte die Konzernleitung einen Schlusspunkt hinter das jahrelange Bemühen, den Geschäftsbereich zu konsolidieren und eine gesunde Wachstumsbasis zu verschaffen. Dass in den neunziger Jahren ein Verkauf bereits mehrmals auf die Tagesordnung des Vorstands gelangt war, hatte seinen Grund weniger darin, dass Sandvik Saws and Tools eine durchschnittlich schwächere Profitabilität demonstriert hatte als andere Geschäftsbereiche, sondern in struktureller Hinsicht nahezu allen Prinzipien der Innovationsstrategie des Konzerns widersprach. Erstens rangierte das Unternehmen hinsichtlich des Umsatzes nur auf dem sechsten Platz und konnte insofern auch nicht die angestrebte Preisführerschaft ausüben. Zweitens blieb die gesuchte Kundennähe durch den Verkauf in Großhandelsketten und Einkauf­ organisationen verwehrt. Drittens kam es nicht auf FuE-intensive Materialtechnologie, sondern auf Design und Markenstärke an, zwei Faktoren, die dem Technologie orientierten Konzern eher fremd waren. Die Konzernleitung hatte sich in den späten achtziger Jahren zunächst darauf festgelegt, die Ertragslage durch eine Erweiterung des Produktprogramms zu stabilisieren, aber laut internen Schätzungen hätte die Sparte ihren Umsatz verdreifachen müssen, um eine zufriedenstellende Gewinnsituation erreichen zu können.188 Diese Bestrebungen mittels einer Akquisition zu erreichen, waren aber von wenig Erfolg gesegnet: Vor allem in Europa präsentierte sich die Branche mit einer zergliederten Eigentümerstruktur und keiner der großen Hersteller stand zum Verkauf an.189 Mit dem Erwerb von Bahco Verktyg im Jahr 1991 hatte man zwar hinsichtlich des Umsatzes eine erwünschte Verbesserung erreicht, aber der Kauf erwies sich als Fehlschlag, so dass erst nach etlichen langwierigen Rationalisierungsanstrengungen die angestrebte durchschnittliche Gewinnspanne von 8 v. H. erreicht werden konnte.190 Per187  Sandvik lägger nytt bud, in: Dagens Nyheter, 11. Juni 1997; Norberg lämnar Kanthal, in: Finanstidningen, 16. März 1998. 188  Nya förvärv enda chans för Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 23 (1991), S. 51. 189  Atlas Copco Tools, Fiskars oder die SKF-Werkzeugabteilung wurden als relevante Aufkaufobjekte gehandelt, wie auch die französische Facom. Vgl. Dags att bjuda upp med pengar i fickan, in: Veckans Affärer, Nr. 12 (1992), S. 40–42; Ledningen överväger kraftigt höjd utdelning, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1991), S. 34–37. 190  Zwischen 1997 und 1999 musste dennoch die Anzahl der Herstellungseinheiten von 17 auf 12 reduziert werden. Vgl. Sandvik går framåt, in: Affärsvärlden, Nr. 20 (1998), S. 55–57.



4. Die Ära Hedström 1994 –2000143

Olof Eriksson hatte lange mit Konkurrenten über eine Lösung verhandelt, in dessen Rahmen die Sparte ausgegründet und als eigenständiges Börsenunternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung eines fremden Kapitalgebers fortgeführt werden sollte. Die Diskussionen mit französischen und deutschen Interessenten und vor allem den US-amerikanischen Herstellern Stanley und Cooper hatten jedoch zu keinem für alle Seiten zufriedenstellenden Ergebnis geführt, so dass Eriksson bereits 1991 eine Ausgliederung nicht mehr ausschließen wollte.191 1994 war Hedström nach einer Substanzbewertung endgültig zum Schluss gelangt, dass Sandvik Saws and Tools nicht mehr recht ins Bild passte. Da Sägen und Werkzeuge nicht direkt an die einzelnen Kunden, sondern über Einzelhändler vertrieben wurde, hegte der VD die Befürchtung, dass deren Marktmacht noch zunehmen würde, weil diese Abnehmer nun begannen, selbst mit eigenen, in Billiglohnländern hergestellten Werkzeugsortimenten die Position ihrer Zulieferer zu schwächen. Sandviks Hochqualitäts- und Hochpreissägen von Sandvik Saws and Tools wurden nur als ‚Türöffner‘ genutzt, um die eigenen Produkte besser vermarkten zu können. Zudem machte sich die Konkurrenz aus Niedriglohnländern direkt bemerkbar, da Käufer ohne Fachkenntnisse nicht den Qualitätsunterschied wahrnahmen.192 Vergleichbare Gründe hatten die Konzernleitung darüber hinaus zur Veräußerung der Einheit für automatische Sor­ tierungssysteme an die US-Investmentgesellschaft Advent International bewogen, da auch diese Einheit von den Vermarktungsprinzipien abwich und Sandvik sich offensichtlich schwer damit tat, ganze Systeme anstelle von Komponenten oder Verbrauchsmaterial zu verkaufen.193 Die verbleibenden Geschäftseinheiten wurden so reorganisiert, dass Sandvik Hard Mate­ rials in die Sparte Sandvik Tooling einging und die Prozesssystemsparte dem Geschäftsbereich für Stahl untergeordnet wurde. Damit hatte 1999 die Unternehmensspitze das Ziel verwirklicht, zukünftig mit drei gleich großen und schlagkräftigen Geschäftsbereichen operieren zu können. 191  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007; Vgl. Nya förvärv enda chans för Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 23 (1991), S. 51. 192  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. Dass die Produktsparte zum Schluss eine immer geringere Wertschätzung erfuhr, lässt sich daran erkennen, dass noch nicht einmal der hoch veredelte eigene Stahl verwendet, sondern der Werkstoff extern zugekauft wurde. Vgl. Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. 193  Flera varningssignaler efter Sandviks vinsttap, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1982), S. 24. Hinzu kam, dass einzelne Erwerbungen in der Prozesssystemsparte nicht den erhofften Stabilisierungseffekt erbracht hatten. Eine Trennung von der gesamten Sparte kam allerdings nicht in Frage, weil die Trennung von der Transportbänderherstellung den Verlust eines eindeutigen Gewinnbringers nach sich gezogen hätte. Vgl. Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

5. Sandvik: Vorzeigeunternehmen des schwedischen Mikrokorporatismus? Ähnlich wie auch in den anderen untersuchten Unternehmen lassen sich im Falle Sandviks schon in den Anfangsjahren umfangreiche Anstrengungen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation der eigenen Beschäftigten nachweisen, die in Gestalt einer ausgebauten Gesundheitsvorsorge, einer Sparkasse für die Beschäftigten sowie Sportstätten ihren Ausdruck fand. Was den Stahlkonzern zusätzlich gegenüber anderen Unternehmen abhob, war eine Vorreiterrolle bei der Begründung verstetigter Aushandlungsroutinen zwischen Arbeitnehmern und der Unternehmensleitung abseits der Erörterung von Lohnforderungen. Schon in den zwanziger Jahren hatten regelmäßige Diskussionen zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten über Fragen des Arbeitslebens und andere Aspekte betrieblicher Sozialintegration stattgefunden, die dann in denen von der sozial-karitativ engagierten Sigrid Göransson 1923 begründeten so genannten ‚Mittwochstreffen‘ einen organisatorischen Rahmen gefunden hatte. Die 1945 vertraglich vereinbarten ‚Zusammenarbeitskomitees‘, die in jeder Einheit mit mehr als 20 und später 30 Beschäftigten einzurichten waren, bedeuteten in gewisser Hinsicht eine Vorwegnahme des zwischen SAF und LO 1946 geschlossenen Betriebsräteabkommens.194 Dass die Arbeitgeber in diesem Gremium ebenfalls vertreten waren, verweist darauf, dass die Mitbestimmungsroutinen wie im Falle anderer schwedischer Unternehmen nicht auf die Durchsetzung wirtschaftsdemokratisch-partizipatorischer Absichten abstellten, sondern als Möglichkeit zur Effektivierung betrieblicher Abläufe begriffen wurden. Das traf auch für die weiterhin existierenden Zusammenarbeitskomitees zu, die im Sinne der ‚Förderung der Produktion und der Verbesserung des Arbeitsklimas‘ vorrangig der Informationsweitergabe dienten und wie der Betriebsrat paritätisch mit Abteilungsleitern und Gewerkschaftsrepräsentanten besetzt waren. Diskutiert wurden eine ganze Bandbreite an Fragen wie Technik, Qualitätsprobleme, Arbeitsbedingungen und -methoden, Investitionsund Desinvestitionsbeschlüsse sowie die Organisationsstruktur des Konzerns, immer der Maxime folgend, dass die Steigerung der Produktionseffizienz im Einklang mit einer Wahrung eines guten Arbeitsklimas und der Einhaltung tarifpolitischer Rahmensetzungen erfolgen müsse.195 Das Prinzip, dass 194  Konsequenterweise wurde das zentrale Zusammenarbeitskomitee, das als höchste Verhandlungsinstanz der betrieblichen Ausschüsse diente, 1948 zu einem Gesamtbetriebsrat umformiert. Acht Vertreter der Unternehmensleitung, darunter VD, Vize-VD, Wirtschafts- und Verwaltungsvorstand trafen in der Folgezeit viermal im Jahr mit 14 Gewerkschaftsrepräsentanten zusammen, um über die Situation der Produktionsanlagen und der Produktsparten zu informieren. 195  Im Gegenzug wurden Gewerkschaftsrepräsentanten in einer Vielzahl von Gremien wie der Unternehmenssterbekasse, dem Vorschlagskomitee oder selbst in der



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ein Verhandlungsorgan auf jeder organisatorischen Ebene seine Entsprechung finden sollte, wurde auch beim Konzernrat befolgt, der 1984 durch Konzernräte in den neu gebildeten Geschäftsbereichen ergänzt wurde, die in der Regel zweimal im Jahr zusammentraten. Im obersten Kontrollorgan in Gestalt des Konzernvorstands war den Arbeitnehmerorganisationen bereits 1972 das Anrecht auf eine Repräsentation zuerkannt worden, immerhin zwei Jahre vor der offiziellen verbindlichen gesetzlichen Regelung. Hinsichtlich der gewerkschaftliche Verhandlungsmacht und dem Bestreben, den betrieblichen Grundorganisationen ein möglichst hohes Gewicht zukommen zu lassen, präsentierte sich Sandvik als typisches schwedisches Unternehmen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad an den schwedischen Produktionsorten war mit rund 99,5 v. H. bei den Arbeitern und rund 90 v. H. bei den Angestellten selbst für schwedische Verhältnisse ungewöhnlich hoch, auch weil in Stahl- und Metallunternehmen die Arbeitnehmer traditionell eine höhere Neigung zum Eintritt in Interessensvereinigungen als in anderen Branchen an den Tag legten.196 Anlässlich der organisatorischen Neuordnung des Unternehmens im Jahr 1984 hatte die MetallGewerkschaft die Dezentralisierung auch innerorganisatorisch nachvollzogen, indem Klubs auf der Ebene der neuen Geschäftsbereiche eingerichtet wurden, die dann die Verantwortlichkeit für die Tarifverhandlungen übernahmen.197 Das größere Gewicht der Klubs spiegelte einen allgemeinen Trend in der Stärkung der unternehmensbezogenen Basisorganisationen wider, die seit den siebziger Jahren einsetzte und die den betrieblichen Klubs ein immer weiteres Aufgabenspektrum zuordnete.198 Die Klubs wurden im Falle der Metallgewerkschaft durch eine Dachorganisation (‚Samorganisation‘) koordiniert, die einmal monatlich zur gegenseitigen Information oder PlaRedaktion der Personalzeitung ein Mitspracherecht eingeräumt. Zu den organisatorischen Strukturen der Mitbestimmung vor 1980 vgl. vor allem Företagsnämnd och samarbetskommittéer, Sandvik, ohne Jahresangabe; Företagsnämnd, riktlinjer för Information och samråd, Sandviken 1972. 196  Die Zahlenangaben sind von Bo Boström im Interview als Schätzwert für den Zeitraum zwischen 1980 und 2000 angegeben worden. Vgl. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27 März 2001. 197  Vorher waren diese durch die Metallabteilung 135 angeleitet worden, die als Regionalverband der Metallgewerkschaft alle gewerkschaftlichen Organisationen im Raum Sandviken organisierte. 198  Kjellberg, A., Facklig organisering. Dass Sandvik im Vergleich zu Ericsson in dieser Hinsicht eher ein Nachzügler war, dürfte vor allem dem Umstand zugrunde liegen, dass die deutlich geringeren Beschäftigtenzahlen einer weitergehenden Dezentralisierung entgegenwirkten, um die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht nicht einzuschränken. Bei der SIF, die als Zusammenschluss der Angestellten noch geringere Mitgliederzahlen als die LOGewerkschaft aufwies, war auf die Bildung betrieblicher Klubs ganz verzichtet worden.

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nung gemeinsamer Aktivitäten – vornehmlich im Bildungsbereich – zusammentrat und Wahlen für Kontrollorgane wie den Konzernvorstand abhielt. Das Gremium war jedoch auf reine Koordinationsfunktionen ohne Prärogative oder Weisungsbefugnisse gegenüber den betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen beschränkt.199 Allerdings gerieten mit einer Ausnahme, als es um die Mittelverteilung für Umweltzwecke ging, die MetallKlubs nie in einen grundlegenden Interessensdissens.200 Trotz gewisser organisatorischer Unterschiede gestalteten sich auch die Beziehungen zu den PTK-Gewerkschaften laut Aussagen von Metall-Vertretern als weitgehend spannungsfrei, nicht zuletzt weil ab 1980 die Bemühungen verstärkt wurden, sich über sporadische Konsultationen hinaus im Rahmen eines gemeinsamen Forums besser abzustimmen. Gemeinsame Besuche von Metall- und PTK-Vertretern an Produktionsstandorten gehörten ebenso dazu wie gemeinsame Beratungen der dortigen Metall-Gruppenvorstände mit den Vorständen von SIF und SALF. Die Autonomie der Klubs erlaubte eine erhebliche Spannbreite an Spielarten der Arbeitsorganisation, aber auch unterschiedliche Entlohnungsmodelle in den einzelnen Geschäftsbereichen. Konsequenterweise hatte man ab 1984 auch die Lohnaushandlung auf der Ebene der Geschäftsbereiche angesiedelt. Zwar gaben der Metall-Zentralvorstand und die samorganisation sowie bei den PTK-Gewerkschaften die entsprechenden Instanzen Lohnempfehlungen ab, aber die entscheidende Aushandlungsinstanz waren die bei den Geschäftsbereichen angesiedelten Gewerkschaftsorganisationen. Aufgrund ihres Lohnverhandlungsrechtes gibt es bis heute je nach Ort unterschiedliche Tarifstrukturen im Konzern, obwohl die Lohnspreizung zwischen den Standorten sich in Grenzen hielt, was aber Werksleitungen ermöglichte, relativ zügig auf Veränderungen des lokalen Arbeitskräfteangebots mit Lohnzu- oder -abschlägen zu reagieren. Auch wurde das Konzept der in Gimo erfolgreich eingeführten Produktionsflussgruppen in der Lidköpinger Bogensägeblattfabrik und der Handsägenfabrik in Bollnäs mit den gleichen Erfolgsergebnissen hinsichtlich Arbeitskosten und Durchlaufzeiten nachgeahmt. Konsequenterweise wurde auch hier das Akkordlohnsystem zugunsten eines Bonussystems ersetzt, jedoch nie umfassend auf den ganzen Konzern ausgedehnt.201 Auch die Regelungsformen der Arbeitszeit variierten erheblich: Als Mitte der neunziger Jahre eine konjunkturangepasste Flexibilisierung der Arbeitszeit durchgesetzt wurde, beschränkte sich diese 199  Interview

mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2001. mit Eino Honkamäki, Gimo, 22. März 2007; Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2001. 201  Allt blev bättre: Sandviks sågfabrik visar vägen, in: Dagens Industri, 14. Januar 1992. 200  Interview



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Maßnahme auf Gimo.202 Umgekehrt hielt man dort lange an einem Akkordlohnsystem fest, dass in Sandviken und anderswo seit 1993 sukzessive abgeschafft worden war. Bei Coromant wurden die Tariflöhne mit einem resultatsbezogenen Bonus verknüpft, welcher bei Sandvik Tooling in Folge der Implementation des CAPP-Systems aufgegeben worden war. Unberührt von diesen Variationen blieb allerdings durchgehend das im Jahr 1986 auf Initiative der Gewerkschaften eingerichtete Gewinnbeteiligungssystem auf Konzernebene, das eine gewisse Umverteilung zwischen Einheiten und Geschäftsbereichen ermöglichen sollte, um zu große, betrieblich bedingte Entgeltunterschiede wieder zu nivellieren.203 Jenseits dieser strukturellen Prinzipien und der Umsetzung selbst vereinbarter Regularien oder gesetzlicher Vorgaben war es aber vor allem das Klima des gegenseitigen Vertrauens, das den industriellen Beziehungen bei Sandvik seinen Stempel aufdrücken sollte. Das manifestierte sich in Fragen wie der Einrichtung eines Pausenraumes, aber auch in Diskussionen um die Erneuerung des Maschinenparks bis hin zu Unternehmenskäufen oder Niederlegung von Fabriken, wobei im Unterschied zu den anderen Fallstudienunternehmen die Initiative zu MBL-Verhandlungen häufig in erster Linie von der Arbeitgeberseite ausging und nicht von den Gewerkschaftlern.204 In einigen Einheiten ging die Zusammenarbeit soweit, dass selbst Einstellungsprofile an neue Produktionsleiter mit den Gewerkschaften abgesprochen wurden und diese im Zuge des Bewerbungsverfahrens bei den Arbeitnehmervertretern vorstellig werden mussten.205 Diese dialogische Kultur machte sich nicht nur bei Fragen bemerkbar, die Arbeitnehmer unmittelbar und elementar betrafen, sondern für alle Planungsphasen, was sich anhand der nicht selbstverständlichen Gleichbehandlung illustrieren lässt, die die gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertreter im Konzernvorstand erfuhren: „Ich will es mal so sagen: Ich sitze seit 1988 im Konzernvorstand … Es gab keinen einzigen Erwerb, über den ich nicht informiert war; es gab keinen einzigen Verkauf, über den ich nicht informiert war. Wir sind genauso informiert wie alle anderen im Vorstand. Wir wissen, was in drei, vier Jahren in China produziert werden wird, genauso wie in Indien; wir wissen, welche Risikostandorte es gibt, die von der Schließung bedroht sind; wir haben Informationen über potentielle Aufkaufskandidaten auf der Liste, die regelmäßig im Konzernvorstand durchgegangen wird … Die Metaller erhielten die Informationen genau zum selben Zeit202  Avtal om flextid räddar 200 metalljobb i Gimo Sandvik, in: LO-Tidningen, 9. Februar 1996; Facket kritiserar lokalt avtal, in: Svenska Dagbladet, 9. Juni 1996. 203  Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007; Ett ljus i mörkret: Vinstdelningsystem i Sandvikskoncernen, in: Arbetarehistoria: Meddelanden från Arbetarerörelsens arkiv och bibliotek, Nr, 4 / 1, Vol. 56–57 (1990 / 1991), S. 53 f. 204  Interview mit Eino Honkamäki, Gimo, 22. März 2007. 205  Interview Anders Ilstam, Halmstad, 3. September 2007.

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punkt wie alle anderen; als ich einmal mit dem AGA-Boss Sven Ågrup [ein Mitglied des Konzernvorstandes, G. F.] im Fahrstuhl zusammen fuhr, fragte er mich ärgerlich nach gewissen Informationen … da wusste ich, dass er genauso viel wusste wie ich, wir bekamen die Informationen zeitgleich.“206

a) Sozialpartnerschaft im Zeichen der Internationalisierung: Die Restrukturierung von Aushandlungsarenen Dass die industriellen Beziehungen im Falle Sandviks dauerhaft in ihrem irenischen Charakter erhalten blieben, hat wohl auch mit einer Reihe von begünstigenden Rahmenfaktoren zu tun. Mögliche Spannungen blieben aus, weil Konflikte um den Arbeitsplatzerhalt infolge von Kündigungswellen oder Auslagerung von Arbeitsplätzen wegfielen. Die Frage des Outsourcings sollte anders als im Falle Ericssons bei Sandvik schlicht nicht auf der Agenda von Gewerkschaften und Konzernleitung auftauchen, da im Hinblick auf die angestrebte maximale Fertigungstiefe und umfassende backward integration wie schon erwähnt schlicht kein Bedarf bestand, Produktionsabschnitte an fremde Hersteller auszulagern. Zweitens hat Sandvik infolge der schnell greifenden Sanierungserfolge nur im Rahmen der bis 1985 andauernden Rationalisierungsmaßnahmen umfassend Personal abgebaut.207 Selbst in der Rezession zwischen 1990 und 1993 verzichtete das Unternehmen – gegen den landesweiten Trend – auf Entlassungen der Beschäftigten geringfügig. Später nutzte man vor allem das Instrument der Vorzeitpensionierungen, um an allen Standorten mit der Ausnahme der Coromant-Fabrik in Gimo ungefähr alle drei, vier Jahre den Personalüberhang auf eine konfliktfreie Weise abzubauen.208 Bei solchen Gelegenheiten offenbarte sich dann, wie wichtig einerseits die umfassende Informationspolitik des Konzerns war, anderseits aber die Gewerkschaften selbst im Rahmen eines Co-Managements mit Maßnahmen soziale Härten abfedern konnten. Das Management profitierte von einer grundlegenden Bereitschaft der Interessensorganisation, unbequeme Entscheidungen mitzutragen. So hatten die Gewerkschaften anfänglich mit einer gewissen Reserviertheit bis hin zur offenen Ablehnung auf die von Eriksson initiierten Dezentralisierungspläne reagiert, da Befürchtungen über eine so eingeleitete Zerstückelung des Konzerns die Runde machten.209 Die Skepsis galt vor allem dem Umstand, dass es angesichts der strikten Aufteilung und Zuweisung der Verantwortlichkeiten keine gegenseitige Unterstützung gab, so dass ein Be206  Interview

mit mit 208  Interview mit 209  Interview mit 207  Interview

Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. Eino Honkamäki, Gimo, 22. März 2007.



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schäftigungsabbau im Falle manifester Unterperformanz einzelner Einheiten nicht durch eine Quersubventionierung aufgefangen werden konnte. Da die Geschäftsbereiche des Konzerns nun als nicht notierte Aktiengesellschaften geführt wurden, die nach schwedischem Arbeitsrecht die Verantwortung für die Personalpolitik wahrnahmen, wurde nach innen und außen die Verantwortung deutlich, eigene Gewinne zu erwirtschaften und so das Personal zu motivieren, eventuell harte Strukturmaßnahmen mitzutragen. In der Tat sollten die Geschäftsbereiche den bisher praktizierten Transfer von Personal zwischen den Produktbereichen begrenzen.210 Nach anfänglichem Zögern war die Dezentralisierung auch von den Gewerkschaften akzeptiert worden, obwohl die Sparten sich nun nicht mehr auf die Hilfe der Muttergesellschaft und deren Finanzmittel verlassen konnten.211 Ebenso hatten die Arbeitnehmervertreter den Beschluss zum Verkauf von Sandvik Saws and Tools mitgetragen, weil sämtliche Standorte erhalten blieben.212 Wie die Arbeitnehmerorganisationen in diesem Zusammenhang die Entscheidungsfindung begleiteten, verdeutlicht die Beschreibung eines gewerkschaftlichen Konzernvorstandsmitgliedes: „Wir setzten uns zusammen, bevor irgendetwas offiziell war und machten eine informelle Analyse von Snap-On mit Material von den Gewerkschaften … Wir setzten uns in einem kleineren, inneren informellen Kreis mit denen in Bollnäs und Lidköping zusammen und gingen die Sachlage noch mal durch, welche Einheiten von der Schließung bedroht waren … Aber als der Beschluss gefasst wurde, hatten wir quasi ein Konzept fertig: Schon als die Nachricht die Runde machte, konnten wir sagen, was, wer und wo in Schweden betroffen sein würde. Das wurde tatsächlich ein Erwerb, wir konnten jedoch versichern, dass es keine Werksschließungen geben würde und so war es sehr viel ruhiger … So haben wir alle Erwerbungen und Verkäufe behandelt, unabhängig, ob sie nun gut oder schlecht waren. Wir gingen alles inoffiziell durch, auch in etwas kleineren Kreisen. Aber als der Beschluss letztendlich gefasst wurde, da wussten wir immer, wie die Betroffenen eine andere Arbeit bekommen konnten. So können wir drei Monate vorher beginnen, da beginnt die Arbeit, dass Maßnahmepakete fertig sind, wenn der Beschluss dann offiziell wird.“213

Eine dritte Quelle möglicher Konflikte neben Outsourcing und Devesti­ tionen bot sich in Gestalt der forcierten Internationalisierung der Produktion 210  Interview

mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007. machten sich im Fall einer Fabrik in Windsor / USA, die die Vorgabe des break-even nach fünf Jahren verfehlt hatte, die Arbeitnehmervertreter für einen finanziellen Konzernbeitrag stark. Da dem zuständigem Geschäftsbereich Sandvik Saws and Tools jedoch die dafür notwendige Liquidität fehlte, wies die Unternehmensspitze dieses Ansinnen ab. Vgl. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27.  März 2007. 212  Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 213  Interview mit Bo Boström, 27. März 2007. 211  So

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dar, die Sandvik spätestens seit 1992 durchlief. Globalisierung berührt die Arbeitsmarktparteien schon deshalb, weil infolge von Öffnungs- und Integrationsprozessen die Einkommenselastizität der Nachfrage nach dem Faktor Arbeit steigen kann und insofern Arbeitsmarktparteien einen Kontrollzuwachs oder -verlust erfahren können. Eine mögliche Belastungsprobe für mikrokorporatistische Konstellationen durch eine Internationalisierung der Produktion lässt sich auf betrieblicher Ebene immer dann ausmachen, wenn Erwerbungen nicht komplementär sind, sondern einen substitutiven Charakter erhalten, bei der Wertschöpfungssequenzen umgestaltet oder an geografisch von einander getrennten Orten disloziert werden. Die Inklusion ausländischer Herstellungseinheiten in die innerbetriebliche Wertschöpfung kann durch drei verschiedene Implementationsstrategien realisiert werden, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen für die Arbeitnehmer haben: Erstens, indem ähnliche Phasen der Produktion an anderen Standorten dupliziert werden; zweitens, wenn konsekutive, aufeinander bezogene Phasen der Produktion an unterschiedlichen Standorten angesiedelt werden, die Intra-Unternehmensprodukte generieren, um die Inlandsproduktion zu vervollkommnen und drittens durch eine Diversifikation in Form multipler Wertschöpfungsketten. Vor allem im ersten Fall ergibt sich ein Druckpotential, das von der Arbeitgeberseite im Rahmen eines Benchmarking-Prozesses, also der komparativen Evaluation der Kostenstruktur und Performanz un­ terschiedlicher Standorte, dazu genutzt werden kann, bei gleichwertigen Produktionsbedingungen Konzessionen von den Beschäftigten zu verlangen. So wird mit Bezugnahme auf multinationale Konzerne argumentiert, dass die exit option der Arbeitgeberseite durch den kontinuierlichen Standortwettbewerb gestärkt wird, weil die Interessensvertretungen der Arbeitnehmer in einer konkreten Verhandlungssituation nicht einschätzen können, wie real die Standortkonkurrenz ist. Diese Problematik kann auch innerbetriebliche Sozialbeziehungen in ein Ungleichgewicht geraten lassen, das sich mit dem Begriff des Asymmetrieproblems fassen lässt. Während Unternehmen ceteris paribus die ausgeweiteten endogenen Mobilitätspotenziale infolge sinkender Transport- oder Informationskosten ausnützen können, werden für die Gewerkschaften angesichts der Immobilität des Faktors Arbeit die Sanktionsmöglichkeiten beschnitten. Unternehmen können hingegen von allen drei Optionen voice, exit und loyalty Gebrauch machen. So kann nicht nur realen, sondern allein schon der Drohung der Standortverlagerung das ­Potential zugeschrieben werden, mikrokorporative Aushandlungsspielräume nachhaltig zu verändern.214 Grundlegend bejahten auch die Gewerkschaften 214  Diese Problematik wird ausführlicher dargelegt bei Dörre, K. / Elk-Anders, R. /  Speidel, F., Globalisierung als Option: Internationalisierungspfade von Unternehmen, Standortpolitik und industrielle Beziehungen, in: SOFI-Mitteilungen, Nr. 25 (1997), S. 47.



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Sandviks die forcierte Internationalisierung, allerdings immer im Bewusstsein, dass ihre Beschäftigungsverhältnisse nicht in Gefahr gerieten. „Generell kann man sagen, dass wir uns darüber im Klaren waren, das der größte Teil des Wachstums im Ausland geschehen musste. Die Aktivitäten hier in Schweden sind sehr kapitalintensiv, weniger arbeitsintensiv. Wir wurden insofern nicht ins Ausland gezwungen wie andere … Wir sind nun in Japan, China, USA etc. etabliert, was uns eine gewisse Sicherheitsstreuung gab, wenn es zu protek­ tionistischen Maßnahmen kommen sollte. Es gab jedoch niemals Diskussionen, beispielsweise Gimo zu schließen. Das war bei den ausländischen Produktionseinheiten anders, wo wir nach Erwerbungen gelegentlich die Produktion abstießen, um weiterzukommen.“215

So war man sich auf Seiten der Gewerkschaften sehr wohl bewusst, dass eine Verlagerung der zentralen schwedischen Produktionsorte niemals zur Disposition stand. Trotz der Abhängigkeit von den Exportmärkten dachte die Unternehmensspitze in der Tat zu keinem Zeitpunkt daran, die Herstellung dementsprechend vor Ort anzusiedeln. 1995 wurden zwar 90 v. H. des Absatzes außerhalb des eigenen Heimatmarktes realisiert, aber 60 v. H. der Produktion blieben in Schweden angesiedelt. Diese Diskrepanz sollte auch noch vier Jahre später vorherrschen, als der Auslandsumsatz den Spitzenwert von 95 v. H. erreicht hatte. Immerhin war auch der Anteil der Beschäftigten im Ausland nicht zuletzt als Ergebnis der Direktinvestitionen und Unternehmenskäufe von 20 v. H. im Jahr 1960 auf 71 v. H. im Jahr 1998 gestiegen.216 Dass die Internationalisierung in Einklang mit den Arbeitnehmern vollzogen werden konnte, hatte mehrere Gründe. Erstens war es gelungen, mit dem europäischen Betriebsrat ein Forum zu schaffen, das sinnvoll für eine Begründung korporatistischer Aushandlungsformen auf internationaler Ebene genutzt werden konnte. Es spricht wohl für die Wertschätzung der Mitbestimmung durch die Konzernleitung, dass die Initiative zur Gründung des europäischen Betriebsrates nicht von Gewerkschaften, sondern von Per-Olof Eriksson ausging.217 Die Debatten zwischen Konzernleitung und Gewerkschaften über Struktur und Inhalt des zukünftigen Gremiums waren 1992  /  1993 abgeschlossen, so dass 1994, immerhin zwei Jahre bevor die europäische Direktive in Kraft trat, ein europäischer Betriebsrat gebildet wurde. Es war sowohl für die schwedischen Gewerkschaftsvertreter wie für die Unternehmensleitung wohl etwas ernüchternd zu sehen, wie unterschiedlich 215  Interview

mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007. Historical Patterns, S. 170. 217  Der VD hatte im Übrigen auch angeregt, in Europa herumzureisen und an den anderen Produktionsstätten das Sandvik-Modell der industriellen Beziehungen vorzustellen, um die praktizierte Kultur der Einvernehmlichkeit auch auf die europäische Ebene zu übertragen. Vgl. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 216  Palmer,

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die Kulturen industrieller Beziehungen in den einzelnen Ländern waren. „Das ging nun nicht so leicht wie erwartet, dann kamen die unterschied­ lichen Kulturen hinzu. Das hat sich nicht mit dem EWC (European Work Council, G. F.) verändert, wir sind halt unterschiedlich. Man glaubte, man könnte die Unterschiede durch den EWC beseitigen, aber das ging nicht.“218 So sollten nach Auffassung der Konzernleitung die außerbetrieblichen deutschen IG-Metall-Vertreter kein Vertretungsrecht ausüben. Die schwedischen Gewerkschafter hatten jedoch erfolgreich auf der Gültigkeit des Regelwerkes des jeweiligen Herkunftslandes beharren können, obwohl die befragten Metall-Vertreter den vereinzelt so wahrgenommenen fehlenden Informa­ tionshintergrund der betriebsfremden deutschen Repräsentanten mit der Zeit deutlich als Defizit einschätzten. Vermutlich war das ein Grund, warum Konzernleitung und Gewerkschaften sich einig waren, in erworbenen Unternehmen keinen institutionellen Transfer des schwedischen Mitbestimmungsmodells durchzuführen.219 Eine Aufwertung hat das Gremium paradoxerweise dann erfahren, als die Gewerkschaften 2002 eine Dreiteilung entsprechend den drei Geschäftsbereichen durchsetzen konnten. Vorher oft mit der Erörterung ‚weicher‘ Fragen wie Umweltaspekten beschäftigt, hatte sich mit drei Betriebsräten nun ein Forum entwickelt, das von beiden Seiten eine deutlich höhere Anerkennung erfuhr: „Bei Sandvik Tooling mit seinen 70 Fabriken und vergleichbaren Fertigungsstrukturen und gleicher Maschinerie wird der EWC gegenwärtig dazu genutzt, zu diskutieren, welche Fabrik ausreichend gut ist und welche geschlossen werden muss. Anfangs war es schwierig, Mitglieder der Konzernleitung oder die Leiter der Geschäftsbereiche dort hinzu bewegen, aus Zeitgründen … Heute stehen sie Schlange, um informieren zu können und das auf eine professionelle Weise. Das wurde deutlich verbessert, als der EWC aufgeteilt wurde. Und da kam dann nicht mehr der Chef des Chefs, sondern die Chefs kamen, alle Topchefs mussten sich zur Verfügung stellen. Nun war plötzlich ein direkter Dialog möglich, da auch deren Pendants auf gewerkschaftlicher Seite kamen. Nun sind es die Arbeitgeber, die einen Weltkonzernrat einrichten wollen. Die Konfrontationslinie war nun allerdings nicht mehr Gewerkschaft gegen Gewerkschaft, sondern vielmehr Unternehmensleitung gegen Unternehmensleitung, Produktionsorte gegen Produktions­ orte.“220

Grundsätzlich war es kein deklariertes Ziel der Konzernleitung, die Wertschöpfung zu gleichen Teilen auf alle Produktionsstandorte zu verteilen. Zwar wurden in Gimo, Västberga oder der 1998 in Betrieb genommenen Anlage in Mexiko die gleichen Produktionsmethoden angewendet. Ein of218  Interview

mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. mit Eino Honkamäki, Gimo, 22. März 2007. 220  Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 219  Interview



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fensives benchmarking war bis ins Jahr 2000 jedoch kein Thema, da Sandviken und Gimo im Vergleich mit den ausländischen Standorten hinsichtlich Produktivität und Produktqualität immer wieder deutlich besser abschnitten. Trotzdem kam es im Vorstand gelegentlich immer wieder zu Diskussionen, die Lohnkostenvorteile der osteuropäischen oder ostasiatischen Schwellenökonomien offensiver zu nutzen. Umgekehrt zeigten sich die Gewerkschaften gelegentlich besorgt, da etliche Tochtergesellschaften wie Kanthal bei der Errichtung von chinesischen transplants parallel die Produktion in Schweden abwickelten. Auch in diesem Fall hatten Konzernleitung und Gewerkschaften einen Kompromiss gefunden, der einerseits dem Wunsch nach einer höheren Kostensensitivität Folge trug, andererseits aber die Befürchtungen der Arbeitnehmer vor einem Ausspielen der Standorte gegeneinander und damit verbundenen Lohneinbußen oder gar Arbeitsplatzverlusten in Grenzen hielt. Das Steuerungsmodell mit Vertragscharakter, das gegen Ende der Untersuchungsperiode zwischen Gewerkschaften und Unternehmensleitung diskutiert und zwischen 2000 und 2002 implementiert wurde, war eng an den Produktzyklus gekoppelt und implizierte, dass Verlagerungen aufgrund von Lohnkosten mehr oder minder ausgeschlossen waren. Ohnehin schlugen die Kosten für Maschinerie in vielen Produktionsabschnitten bezogen auf die gesamten Entstehungskosten mit mindestens 70 v. H., gelegentlich sogar 87 v. H. zu Buche. Der entscheidende Grund für Verlagerungsbeschlüsse war insofern die Kapitalproduktivität: Produktionsverlagerungen bei Nutzung identischer Maschinerie erbringen in dieser Situation keinen Gewinn. Bei Sandvik wurde deswegen ein Modell zur Anwendung gebracht, dass zwischen drei Produktkategorien unterschied: Produkte, die kostendeckend hergestellt werden; Erzeugnisse die einen Ertrag zwischen sieben bis acht v. H. erwirtschaften und drittens Produkte, die einen Ertrag über 15 v. H. erwirtschaften. Die ersten Produkte mit einem niedrigeren Veredelungswert, meistens aus dem drei Jahre zurückliegenden Produktzyklusabschnitt, werden an die Produktionsorte in Indien, China und Osteuropa disloziert. Bei Produkten mit dem zweiten Schwellenwert erfolgt eine Kooperation oder Aufteilung zwischen schwedischen und ausländischen Standorten. Bei einem Ertrag von über 15 v. H. verbleibt die Produktion definitiv in Sandviken oder Gimo. Die Gewerkschaften sind nach eigenen Angaben explizit bereit, Produktionsverlagerungen zu befürworten, falls die Kriterien dieses Modells stringent befolgt werden.221

221  Interview

mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007.

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6. Unternehmenskontrolle in den 1990ern: Von Skanska zur Svenska Handelsbanken Im Gegensatz zu Ericsson oder SCA war Sandvik das einzige Unternehmen, das im Untersuchungszeitraum gleich zweimal einen Eigentümerwechsel hinnehmen musste. Ähnlich wie im Falle des Mitternachtsraubes war auch der Eintritt eines neuen dominanten Kapitalgebers in den Eigentümerkreis von Turbulenzen begleitet, die allerdings diesmal nicht ihre Ursache in einer krisenhaften Situation Sandviks hatten. Skanska hatte bis 1992 auf eine Kreuzverflechtung mit Volvo vertrauen können, aber im Zuge der Wirtschaftskrise und der sich anbahnenden Renault-Fusion hatten sich beide Konzerne darauf verständigt, die gegenseitigen Kapitalbeteiligungen aufzugeben, die außerdem durch weitere Verflechtungen in Investmentgesellschaften wie Protorp oder Custos abgesichert worden waren. Dieser Rückzug war allerdings in erster Linie fundamentalen realwirtschaftlichen Zwängen geschuldet, da die Immobilienkrise zu Beginn der neunziger Jahre die generelle ökonomische Situation des Bauunternehmens so drastisch verschlechtert hatte, dass sämtliche Aktiva mobilisiert werden mussten, um die eigene Substanz zu retten. Als Konsequenz fehlte Skanska jedoch selber plötzlich ein Akteur im Hintergrund, der im Falle einer feindlichen Übernahme oder dem Einkauf eines unbeliebten Kapitalgebers einen wirksamen Schutz bieten konnte. Ein Instrument der Kreuzverflechtung zwischen Volvo und Skanska war die Investmentgesellschaft Custos gewesen, die beide Konzerne gegen eine feindliche Übernahme absicherte, indem beide Unternehmen umfassende Beteiligungen bei Custos erworben hatten und über ihre Position im Vorstand dafür Sorge trugen, dass sich Custos ebenso umfassend in den beiden Unternehmen engagierte. 1993 hatte Volvo seine gesamte Beteiligung veräußert, so dass nur noch Skanska seine Beteiligung aufrecht erhielt. Percy Barnevik, der nicht nur bei Sandvik, sondern nach dem Abgang von Bengt Haak als OD bei Skanska amtierte, hatte bei vielen Gelegenheiten seine Distanz gegenüber solchen machtpolitischen institutionellen Instrumenten zu erkennen gegeben und sich auch für eine Auflösung der gegenseitigen Kapitalbeteiligungen zwischen Custos und Skanska stark gemacht.222 Im April 1995 hatte Skanska-VD Melker Schörling angekündigt, die eigenen Custos-Aktien den eigenen Aktionären mit einem Preisabschlag von 25 v. H. anzubieten, selbst wenn Custos weiterhin Haupteigner bei Skanska bleiben sollte.223 Der Wertpapier222  Percy Barnevik förklarar sig: „Korsägandet är tillfälligt“, in: Finanstidningen, 19. Januar 1996; Aseas framtid tvingar Barnevik skaffa ny bas, in: Finanstidningen, 24. Januar 1996. 223  Sandvik jagar företag utan större lycka, in: Dagens Industri, 15. Juni 1995.



6. Unternehmenskontrolle in den 1990ern155

besitz Skanskas in der Investmentgesellschaft wurde dementsprechend auf 2,5 v. H. der Stimmrechte reduziert, wodurch einem Einstieg anderer Kapitalgeber nichts mehr im Wege stand. Diese Chance nutzte eine andere Investmentgesellschaft namens Öresund, die bald 25 v. H. der Stimmrechte bei Custos kontrollierte. Allerdings verfügte Custos weiterhin über 23,6 v. H. der Stimmrechte bei Skanska, so dass die früher als Transmissionsriemen genutzte Kapitalanlagegesellschaft nunmehr als größter Eigentümer die Geschicke des Baukonzerns maßgeblich beeinflussen konnte. Diese Situation zwang Sandvik dazu, sich plötzlich selbst auf dem Markt für Unternehmenskontrolle zu betätigen, da Öresund über Custos nun in der Lage war, die Geschicke im schonischen Baukonzern und auf diese Weise auch bei Sandvik im eigenen Sinne beeinflussen zu können. Wie im Falle SCAs noch ausführlicher dargelegt werden wird, hatten die ÖresundEigner Sven Hagströmer und Mats Qviberg in der Tat nicht vor, sich auf eine passive Rolle zu beschränken [vgl. Abschnitt III.6.d)]. Weil Skanska wiederum mit 26,1 v. H. der Stimmrechte größter Eigentümer bei Sandvik war, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass auch im Falle des Bergslagener Unternehmens Entscheidungen getroffen würden, die möglicherweise den Interessen der Konzernleitung zuwiderliefen und dass der eigene Haupteigentümer etwaigen kurzfristigen Kapitalmarktinteressen nachgab.224 Solche Eventualitäten waren nicht ganz von der Hand zu weisen, da Sandvik zu dieser Zeit über erhebliche Liquiditätsreserven verfügte, die mög­ licherweise Begehrlichkeiten Rendite orientierter Investoren hätten wecken können. Angesichts dieser Gefahr sahen sich sowohl Sandvik und Skanska zum Handeln gezwungen. Nachdem Öresund im Dezember 1995 sich als größter Eigentümer bei Custos etabliert hatte, hatten im Dezember 1995 und Januar 1996 Skanska und Sandvik jeweils 1,8 Millionen A-Aktien bei Custos erworben und konnten so zusammen 9,7 v. H. der A-Aktien mobilisieren, um so die alte Kreuzverflechtung zwischen Skanska und Custos nun allerdings unter der Einbeziehung Sandviks in kleinerer Form wieder auferstehen zu lassen. Die Rückkehr des alten Eigners sollte jedoch auf wenig Gegenliebe stoßen. Sven Hagströmer hatte die Nachricht ebenso reserviert aufgenommen wie die Verantwortlichen bei Robur, die 13,3 v. H. der Stimmrechte bei Custos einsetzen konnten. Obwohl damit nur zweitgrößter Eigner, war dessen Positionierung nicht ganz ohne Brisanz, da Robur auch bei Skanska 224  Interview  Diese Gefahr

mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 1997. wäre drei Jahre zuvor übrigens noch größer gewesen: Custos hatte 1992 alle Seco Tools-Aktien und auch alle Sandvik-Aktien für 564 Mio. SKr verkauft, so dass die 3,45 v. H. der Stimmrechte nicht mehr eingesetzt werden konnten. Vgl. dazu Custos säljer Sandvik, in: Dagens Industri, 7. Mai 1992.

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über 10,96 v. H. und bei Sandvik 11,6 v. H. der Stimmrechte verfügte. Der Fonds der schwedischen Sparkassen hatte darüber hinaus öffentlich deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Ära der Kreuzverflechtungen vorbei sei und bei Custos die Zukunft den institutionellen Investoren gehöre. Gleichzeitig hatten Sven Hagströmer und Mats Qviberg verlauten lassen, dass ihr Engagement bei Custos als langfristig zu betrachten sei. Dass die beiden Finanzmänner Custos nicht so schnell wieder aus der Hand geben wollten, war auch aus einem anderen Grund nachvollziehbar: Die Beteiligung bei Custos machte zum Jahreswechsel 1996 beachtliche 44 v. H. des ÖresundPortfolios aus, weil die Investmentgesellschaft ab 1995 umfassend Beteiligungen abgebaut hatte und nur noch 26 anstelle von 36 Kontrollposten hielt. Obwohl Per-Olof Eriksson zum neuen OD bei Custos gewählt wurde, wurde ersichtlich, dass Öresund sich nicht auf die Rolle eines passiven Zuschauers beschränken lassen wollte.225 Der schwelende Konflikt eskalierte schon Mitte Januar 1996, als Per-Olof Eriksson in einem Interview offen verlangte, dass Öresund seinen Posten an den 4. AP-Fonds verkaufen sollte, was Öresund mit der Forderung quittierte, einen neuen OD einzusetzen. Da die Investmentgesellschaft die Mehrheit der anderen Kapitalgeber hinter sich wusste, verständigten sich die Großaktionäre Custos‘ darauf, dass Eriksson zugunsten des AGA-VDs Marcus Storch den OD-Posten aufgeben sollte.226 Auch wenn der frühere Sandvik-VD zusammen mit Melker Schörling weiter im Vorstand verblieb, wurde offenbar, dass Skanska und Sandvik in dem Machtkampf zum Nachgeben gezwungen worden waren. Freiwillig hätten beide Unternehmen wohl kaum eingelenkt, aber am 15. April 1996 machte die Nachricht die Runde, dass Öresund zusammen mit weiteren Verbündeten 60 v. H. der Stimmrechte einsetzen konnte, so dass jegliches Opponieren zum Scheitern verurteilt war.227 Wenig überraschend wollte der sowohl bei Skanska und Sandvik als OD amtierende Percy Barnevik die nun plötzlich als ‚zeitlich begrenzte‘ deklarierte Verflechtung bei nächster Gelegenheit definitiv auflösen.228 Skanska überließ am 10. September 1996 den gesamten Custosposten mit 1,8 Millionen Aktien für 227 Mio. SKr an Öresund, dass nun 29,9 v. H. der A-Aktien und 23,2 v. H. der B-Aktien mobilisieren konnte.229 Die 500.000 Custos-Aktien verkaufte Sandvik Mitte September für 240 Mio. SKr an verschiedene schwedische institutionelle Eigner.230 225  „Custosaktier skall avyttras snarast“, in: Svenska Dagbladet, 20. Januar 1996; Jag trodde att det var ett illasinnat rykte, in: Dagens Industri, 19. Januar 1996. 226  Barnevik slår tillbaka – köper Custos igen, in: Dagens Industri, 18. Januar 1996. 227  Sandvik och Skanska säljer Custosinnehav, in: Finanstidningen, 16. April 1996. 228  Barnevik bjuder ut cornerpost i Custos, in: Dagens Industri, 23. Januar 1996. 229  Skanska kliver av Custos, in: Finanstidningen, 11. September 1996.



6. Unternehmenskontrolle in den 1990ern157

Wie später im Falle SCAs noch eingehender gezeigt werden wird, bezeugen diese Ereignisse, wie neue Aktionärsgruppen die alteingesessenen aktiven Eigentümer herausforderten. Kapitalgeber wie Hagströmer und Qviberg beziehungsweise die mit ihnen verbundenen Investmentgesellschaften waren nicht bereit, sich mit einer passiven Eigentümerrolle zufrieden zugeben und anderen alteingesessenen Investoren den Vortritt zu lassen. Darüber hinaus ist auffallend, dass sich diese Finanzinvestoren nun in Koalitionen zusammenfanden, um ihre Interessen gemeinsam durchzusetzen. Wahrscheinlich nicht zuletzt befördert durch das gescheiterte Unterfangen, die Kontrolle über Custos wieder zu erlangen, hatte sich die Skanska-Leitung 1997 dazu entschlossen, sämtliche Beteiligungen vollständig aufzugeben und sich ganz den industriellen Aktivitäten zu widmen. Schon drei Jahre zuvor waren alle Wertpapiere mit einem Bezug zur Bauoder Immobilienbranche als Kern des Börsenportfolios deklariert worden. Für eine Einmaldividende von acht bis zehn Mrd. SKr sollte nun 1997 der Restbestand verkauft werden, zu dessen geschätzten Marktwert von 11,9 Mrd. SKr die Sandvik-Wertpapiere – entsprechend 20,1 v. H. der B-Aktien und 25,9 v. H. der A-Aktien – alleine mit 10,4 Mrd. SKr beitrugen.231 Durch ein Abkommen im April 1997 mit Industrivärden überliess Skanska 22 Millionen A-Aktien für 4,1 Mrd. SKr entsprechend einem Stückpreis von 185 SKr pro Aktie an die Holdinggesellschaft der Svenska Handelsbanken, die bereits über ihre Pensions- und Gewinnbeteiligungsfonds drittgrößter Eigentümer bei dem Stahlunternehmen war. Alleine Industrivärden, in dessen Portfolio Sandvik mit 17 v. H. als drittgrößte Beteiligung geführt wurde, verfügte nun über 10,2 v. H. der A-Aktien und 7,9 v. H. der B-Aktien. Zusammen mit den anderen SHB-Pensionsstiftungen und der eigenen Gewinnbeteiligungsstiftung Oktogonen konnte die Svenska Handelsbanken, die immer Sandviks Hausbank gewesen war, bei Sandvik 18,9 v. H. der Stimmrechte einsetzen. Damit war die Ära des südschwedischen Baukonzerns als strategischer Großaktionär beendet, der mit dem Verkauf seiner Beteiligung einen Gewinn von 9,1 Mrd. SKr erzielte.232 Zusätzlich kontrollierte Industrivärden 14 v. H. der Stimmrechte bei Skanska und konnte so einen beschränkten Spielraum gegen Öresund mit seinen 23,6 v. H. ausnutzen. Schon während seiner kurzen Amtsdauer als Custos-OD hatte Eriksson Offerten von Industrivärden bekommen, bei Sandvik eine umfas230

230  Öresund, das 200.000 Aktien aus diesem Paket erwarb, konnte nun seinen Besitz auf 11,2 Millionen SKr Aktien, entsprechend 30,5 v. H. der A-Aktien und 23,6 v. H. der B-Aktien erhöhen. Vgl. Sandvik ute ur Custos, in: Dagens Industri, 14. September 1996. 231  Ägarbyte i Sandvik, in: Dagens Industri, 27. September 1997. 232  Aktier för 5 miljarder köps tillbaka, in Dagens Nyheter, 6. Mai 1997; Skanskas reavinst i Sandvik högre än vänat, in: Dagens Industri, 24. Mai 1997.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

sende Kapitalbeteiligung zu erwerben und so die Gefahr zu bannen, dass über Skanska die kurzsichtigen Eigner auf diese Weise indirekt im Unternehmen Einfluss entfalten könnten.233 Genau wie im Falle Skanskas konnte sich die Konzernleitung auch bei der SHB darauf verlassen, dass sie ihren Spielraum weiter ausnutzen konnte.234 Der Aktionärskreis hatte sich während der neunziger Jahre jedoch nicht nur dahingehend verändert, dass der Haupteigentümer und somit der ‚aktive Eigentümer‘ im Hintergrund wechselte. Die auffälligste Veränderung war der wachsende Anteil ausländischer Eigentümer. Ohnehin hatte die schwedische Stahlindustrie ab 1990 einen Zufluss ausländischen Kapitals erlebt, allerdings nicht vorrangig in Gestalt von Aufkäufen durch ausländische Stahlhersteller. Der Anteil ausländischer Investoren rangierte jedoch in den 1990ern deutlich unter dem Durchschnitt, der bei anderen schwedischen Großunternehmen registriert werden konnte. Auch bei Sandvik waren nicht-schwedische Kapitalgeber in auffällig geringer Anzahl vertreten. Zwar hatte die Internationalisierung der eigenen Kapitalbasis ihren Auftakt mit dem 1981 bei der Reichsbank erfolgreich beantragten Dispens genommen, 200.000 Aktien ins Ausland verkaufen zu können und 1987 wurde Sandvik nach London auch in den USA und an der Tokioer Börse notiert, wo japanischen Interessenten 500.000 Aktien offeriert wurden.235 Die geringe Menge lässt allerdings den Schluss zu, dass es weniger um eine systematische Erschließung ausländischer Finanzierungsquellen ging, sondern um ein price tag, um den eigenen Namen auf ausländischen Märkten bekannt zu machen. Dass sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre allmählich im Kreis der Kapitalgeber auch immer mehr ausländische Investoren fanden, dürfte wohl auch den Anstrengungen Hedströms zu verdanken sein, den Zufluss ausländischen Kapitals deutlich zu erhöhen. Solche Anstrengungen waren durchaus von Erfolg begleitet: 1994 befanden sich nur 15 v. H. der Aktien im ausländischen Besitz, zwei Jahre später waren es schon 18 v. H. Immer233  Dass die Bank bei Sandvik einstieg, war nicht von Seiten des Zielunternehmens offensiv angebahnt worden, sondern Ergebnis der Kontakte, die während der Auseinandersetzung um Custos entstanden waren. Vgl. Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 1997. 234  Das galt selbst in personeller Hinsicht: Obwohl OD Percy Barnevik wegen seiner Funktion als OD bei Investor mittlerweile zur Wallenberg-Sphäre gerechnet werden musste, bekundeten SHB-Repräsentanten öffentlich, dass Barnevik in seinem Amt verbleiben sollte. Das war nicht ohne eine gewisse Brisanz, da Investor Großeigner bei Atlas Copco war und mögliche Interessenskonflikte nicht ganz ausgeschlossen werden konnten. Vgl. „Barnevik bra för Sandvik“, in: Dagens Industri, 18. April 1998. 235  AGA och Sandvik vill sälja aktier utomlands, in: Veckans Affärer, 2. April 1981.



6. Unternehmenskontrolle in den 1990ern159

hin war 1999 mit der Chase Manhattan Bank zum ersten Mal ein gewichtiger ausländischer Investor unter den größten zehn Aktionären vertreten. Dass sich die Aufmerksamkeit dieser ausländischen institutionellen Kapitalgeber allmählich auch dem mittelschwedischen Spezialstahl- und Hartmetallunternehmen zuwandte, dürfte zunächst der Professionalisierung der Finanzmarktkommunikation insgesamt geschuldet sein, die insbesondere Clas Åke Hedström seit seinem Amtsantritt maßgeblich forciert hatte. Zwar hatte es schon unter Eriksson einen regelmäßigen Austausch mit Finanzmarktakteuren gegeben, aber solche Kontakte beschränkten sich in der Regel auf Zusammenkünfte und Gespräche mit VD und dem Finanzvorstand. Zusätzlich hatten Kapitalgeber, Analysten und Journalisten auf einem im Herbst veranstalteten Kapitalmarkttag ausführlichere Informationen erhalten, aber auf die Einrichtung einer Investor Relations-Abteilung hatte der Konzern lange verzichtet. Ausführliche Präsentationen der Unternehmensstrategie in Gestalt von road shows, die bei Ericsson und im geringeren Ausmaß auch bei SCA eine Selbstverständlichkeit darstellten, fanden nur einmal jährlich in Großbritannien statt; die US-Aktionäre wurden mit Unterbrechungen alle zwei Jahre kontaktiert, während die deutschen oder französischen Finanzmärkte nahezu vollständig ignoriert wurden. Es war das erklärte Ziel Hedströms, die Kommunikation mit ausländischen Investoren erheblich zu verbessern. Nach der Amtsübernahme war es vor allem die neu geschaffene Investor Relations-Abteilung, die Kontakte systematisieren und durch verstetigte und professionalisierte Informationsstrukturen aufwerten sollte. Von 1994 bis 1998 wurde die Anzahl der road shows in Großbritannien auf drei erhöht und die Reisen in den USA nun jedes Jahr durchgeführt. Die nun fünf anstelle der früheren zwei Kapitalmarkttage jährlich sollten einmal in den USA, zweimal in London und zweimal in Schweden abgehalten werden.236 Die Vorstellung der Quartalsberichte in Stockholm wurde um ausführliche Präsentationen ergänzt. Nun standen bei Bedarf auch die Leiter der Geschäftsbereiche zur Verfügung, um auf spezifische Fragen zu antworten.237 Diese Intensivierung und Professionalisierung der Finanzmarktkommunikation diente zwei Zwecken: Erstens dem eher nebenrangigen Ziel, Volatilitäten an den Börsen durch unkontrollierte Informationsabflüsse aus einzelnen Herstellungseinheiten zu vermeiden. Zweitens kann diese neue Informationspolitik als Ausdruck einer Kapitalmarkt orientierten strategi­ schen Ausrichtung aufgefasst werden: „Es diente teilweise eigentlich dazu, Sandvik bekannter zu machen … Es brauchte viel Zeit, den Analytikern zu erklären, damit sie Sandvik ‚verstanden‘, die ganzen Geschäfte waren 236  Sandvik

jagar företag utan större lycka, in: Dagens Industri, 15. Juni 1995. mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007.

237  Interview

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

kompliziert. Es ging um die richtige Bewertung, damit Sandvik nicht unterbewertet wird. Information war eine Art, den Börsenkurs zu beeinflussen. Entweder ist man unter- oder überbewertet. Und Information war ein Mittelweg, damit Sandvik richtig bewertet wurde.“238 Dieses nun deutlich hervortretende Bemühen um eine größere Offenheit belegt auch die ab 1993 stattfindende separate Ausweisung der Betriebsergebnisse der einzelnen Geschäftsbereiche, die zuvor mit dem Hinweis abgelehnt worden war, dass eine detaillierte Segmentberichterstattung der Konkurrenz zu viel offenbaren würde.239 Schon anlässlich der Börsennotierung in New York 1987 wurden die Angaben gemäß den aktionärsfreund­lichen Generally Accepted Accounting Principles (GAAP)-Prinzipien gemacht.240 Die mit dem Amtsantritt Hedströms sich deutlich abzeichnende Rücksichtnahme auf Aktionärsinteressen beschränkte sich allerdings nicht auf eine veränderte Informationspolitik. Ein weiterer Grundgedanke der Shareholder Value-Philosophie ist die Bekanntmachung von Zielrenditen, um wertschaffende und wertvernichtende Aktivitäten zu unterscheiden. Solche Vorgaben werden als Zielgrößen mit Mindestverzinsungen zur Effektivierung der internen Kapitalallokation und dem Erkennen von X-Ineffizienzen vorgegeben. Die 238  Interview

mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. kassakista full trots kristider, in Dagens Nyheter, 14. März 1993. 240  Bei diesen Rechnungslegungsstandards, die gemäß in den angelsächsischen Liberal Market Economies befolgten institutionellen Praktiken die Informationsbedürfnisse von Unternehmensoutsidern in den Vordergrund stellen, sind die Möglichkeiten zur Bildung stiller Reserven stark eingeschränkt und die Dichte der Bestimmungen höher, auch wenn die Ausschüttungsbemessungsfunktion aufgrund der separaten Ermittlung von handelsrechtlichem und steuerrechtlichen Jahresabschluss wegfällt. Abschlüsse demonstrieren bei Befolgung der Regelsetzungen eine höhere Volatilität, weil die Nutzung bilanzpolitischer Spielräume hinsichtlich Vermögensund Ertragslage eingeschränkt wird. Hinsichtlich der schwedischen Vorschriften betraf das erstens die Ermittlung der latenten Steuerschulden, also den bilanzierten Differenzen zwischen dem steuer- und handelsrechtlich ermittelten (vorläufigem) Steueraufwand. In den USA werden alle latenten Steuern beachtet, die zeitliche Differenzen zwischen Buchführungswert und Steuerwert der Aktiva und Passiva sowie steuerlichen Verlustabzüge betreffen. Zweitens muss bei Erwerbungen gelegentlich ein höherer Anschaffungswert kalkuliert werden, da gemäß US-Regularien die Bewertung von eigenen Aktien als Akquisitionswährung detaillierter ausgewiesen und somit ein höherer Anschaffungswert eingestellt werden muss. Im Falle von GAAP werden auch genauere Detailangaben zu Pensionsrückstellungen hinsichtlich Verzinsung und Versicherungsberechnung verlangt. Die Vorschriften sehen im Gegensatz zur schwedischen Praxis drittens auch keine Möglichkeit vor, Anlagenwerte höher als die Anschaffungskosten zu bewerten. Gleiches gilt auch für unausgenutzte Wechselkursdifferenzen bei Termingeschäften im Falle erwarteter zukünftiger Transaktionen, die in Schweden verbucht werden können, in den USA hingegen nicht. Viertens werden in Schweden die Zinsanforderungen für Anlageinvestitionen nicht aktiviert. Vgl. zu den Details Sandvik Geschäftsbericht 1987. 239  Sandviks



6. Unternehmenskontrolle in den 1990ern161

Einhaltung transparenter Bilanzierungsvorschriften und Renditevorgaben für einzelne Geschäftsbereiche sollen Schwächen und Stärken aufdecken, indem Unternehmen ihr profitabelstes Kerngeschäft definieren. Geschäftsbereiche und untergeordnete Einheiten sollen nicht nur diese Mindestverzinsungsansprüche einhalten, sondern auch im Falle der Nichteinhaltung mit der Konsequenz rechnen, ausgegliedert oder abgespalten zu werden. Verknüpft mit einer Segmentberichterstattung können Zielrenditen außerdem einer Quersubventionierung von Einheiten oder Geschäftsbereichen entgegenwirken, die als Verlusttreiber die Gesamtrentabilität des Konzerns beeinträchtigen. Hedström hatte auf einem Kapitalmarkttag 2000 ein ehrgeiziges Wachstumsziel mit sechs v. H. jährlich bis 2003 vorgegeben, was im Unterschied zu früher zukünftige Erwerbungen nicht einschloss. Zuvor hatte Sandvik seine Ziele an der Maßgabe orientiert, vier v. H. durch organisches Wachstum und zwei v. H. durch Unternehmensakquisitionen zu realisieren. Allerdings verbarg sich hinter dieser Entscheidung kein plötzlich erwachter Ehrgeiz, um Aktionäre zu beeindrucken, sondern eine Angleichung an den Umstand, dass Sandvik infolge der Erwerbungen wie Tamrock und Kanthal ohnehin ein Unternehmenswachstum mit sechs v. H. realisierte.241 Allerdings waren dem Monitoring angesichts der umfassenden Struktur der Geschäftsbereiche deutliche Grenzen gesetzt: So wurde kritisiert, dass Kanthal und Sandvik Process Systems als Einheiten innerhalb der Sparte Sandvik Mining and Construction nicht getrennt ausgewiesen wurden und auf vage Informationen vertraut werden musste, beispielsweise dass Kanthal mehr als die Hälfte des Resultates der Sparte ausmache. In dem Geschäftsbereich Sandvik Tooling wurden die Resultate für die Einheiten CTT Tools und Sandvik Automation nicht konkretisiert, deren Gewinnspannen erheblich unter denen von Coromant gelegen haben dürften. Zudem wies das Unternehmen nicht die Rentabilität der Einheiten aus, obwohl das Unternehmen die Rendite auf eingesetztes Kapital als Para­ meter für die Gesamtzielvorgaben des Konzerns verwandte.242 Allerdings wurden intern keine Zielvorgaben für die jeweiligen Einheiten spezifiziert, sondern die Rentabilität nach einem im Unternehmen entwickelten Steuerungsmodell für jedes einzelne Produkt kalkuliert.243 Ebenso verzichtete Sandvik auf die Festsetzung expliziter Cashflow-Zielsetzungen, die vor al241  Interview

mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. in: Affärsvärlden, Nr. 35 (2000), S. 38. 243  Dieses Modell war bereits Anfang der achtziger Jahre von dem damaligen Finanzvorstand Carl-Erik Björkegren eingeführt worden und hatte sich nach Angaben von Unternehmensvertretern als exzellentes Steuerungsinstrument herausgestellt. Intern wurden damit die Ertragsforderungen festgesetzt, die allerdings nicht in die Öffentlichkeit gelangten. Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 242  Stålvärk,

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lem bei SCA als bilanzielles Instrument einer Shareholder-Value-Orientierung dienen sollten [vgl. Abschnitt III.6.e)]. Die produktivistische Orientierung des Bergslagener Unternehmens kam auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass die Wachstumsziele sich am Umsatz und nicht an der Rendite orientierten. Allerdings verband Hedström mit den neu formulierten Zielsetzungen den Anspruch, die Konzernorganisation zu höheren Leistungen anzuspornen. In Probleme geratene Einheiten oder Geschäftsbereiche sollten sich in Zukunft nicht darauf verlassen können, dass sie die Konzernleitung durch Erwerbungen ‚retten‘ würde.244 Das galt vor allem für einige neu erworbene Tochtergesellschaften der Sparte Sandvik Mining and Construction wie Voest-Alpine Eimco, Roxon und Driltech Mission, die im Falle der Verfehlung vorgegebener Ertragsziele zum Verkauf stehen sollten.245 Aufgrund der trägen Nachfrage in der Bergbau- und Grubenindustrie und der nicht immer zufriedenstellenden Ergebnisse von Tamrock musste innerhalb des Geschäftsbereichs ein umfassendes Strukturprogramm mit dem Rückbau von 1000 Arbeitsplätzen eingeleitet werden, um so die Vorgabe von 10 v. H. hinsichtlich der Nettoumsatzrendite einlösen zu können.246 7. Unternehmensfinanzierung: Defensive Finanzierungspolitik – offensive Adaption von Finanzmarktnormen Fraglich ist nun, warum die Konzernspitze ab Mitte der neunziger Jahre allmählich einen Paradigmenwechsel vollzog. Die erste mögliche Ursache kann darin gesucht werden, dass aus dem Kreis der Kapitalgeber Druck auf die Konzernleitung ausgeübt wurde, die Unternehmensstrategie in dieser Frage neu auszurichten. So wird angenommen, dass eine ausgeweitete Kapitalmarktorientierung umso wahrscheinlicher wird, je höher die Beteiligungsquote institutioneller Anleger ausfällt. In der Tat sind, wie das Kapitel zu SCA noch dokumentieren wird, schwedische institutionelle Investoren im Rahmen einer aktiven Portfoliopolitik dazu übergegangen, die von ihnen favorisierte Finanzmarktorientierung in den Unternehmen, in denen sie Beteiligungen hielten, durchzusetzen [vgl. Abschnitt III.6.d)]. Im Falle Sandviks gibt es aber so gut wie keine Anzeichen, dass die Unternehmensspitze – von welcher Seite auch immer – zu einer aktionärsfreundlicheren Politik gedrängt wurde. 244  Sandvik

ska växa 6 procent, in: Dagens Nyheter, 27. Mai 2000. Sandvik, in: Affärsvärlden, 1999 (Nr. 24), S. 48–51. 246  Fullvärderat Sandvik, in: Finanstidningen, 16. Juni 1999. 245  Mindre



7. Unternehmensfinanzierung163

Das traf auf die Haupteigentümer wie Skanska oder die Svenska Handelsbanken genauso zu wie auf Robur, SPP, den SEB-Aktienfond, den AMFPensionsfond sowie den 4. AP-Fonds, also die schwedischen institutionellen Investoren, die über lange Jahre an ihren Beteiligungen festhielten. Die hypothetische Chance der Durchsetzung einer ihnen genehmeren Unternehmenspolitik mussten indes als gering bis unwahrscheinlich eingeschätzt werden, da sie eine weitreichende und handlungsfähige Aktionärskoalition hätten formieren müssen, um sich gegen SHB oder Skanska durchzusetzen. Auch aus den Reihen der ausländischen Eigentümer hatte die Unternehmensspitze in dieser Hinsicht wenig zu befürchten. Ohnehin fanden sich unter der Mehrzahl der ausländischen Eigentümer vorrangig anonyme Eigner und Verwalter. Der Einstieg des berüchtigten Finanzspekulanten George Soros, der 390.000 B-Aktien bei Sandvik erwarb, sollte nur eine kurzfristige Episode bleiben.247 Etwas länger hielten sich der PCM Global Fund, die Putnam Funds oder der Britel Fund, deren Beteiligungen zusammengenommen aber nie maximal 0,7 v. H. der Kapitaleinlage überstiegen. Deren Haupt­ augenmerk richtete sich vor allem auf Dividende und Ertrag und weniger auf Aspekte der Unternehmenssteuerung, wie Per-Olof Eriksson feststellte: „Es gab etliche Eigner ohne Ambitionen, das merkte ich auf einem Seminar in Colorado, die wollten nur Geld verdienen. Keine der US-amerikanischen Eigner hatte auch nur die geringsten Ambitionen, das Unternehmen zu beeinflussen.“248 Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht auch die Neigung angelsächsischer Investoren, von einem Erwerb stimmrechtsstarker Wertpapiere abzusehen. Im Jahr 1999 befanden sich zwar 17 v. H. der B-Aktien im Besitz von nicht-schwedischen Eignern, aber nur 10 v. H. der A-Aktien. Selbst die Chase Manhattan Bank als größter ausländischer Kapitalgeber hatte sich damit begnügt, 3,1 v. H. der B-Aktien, aber nur 0,5 v. H. der A-Aktien zu kontrollieren. Eine Durchsetzung der Kapitalmarktorientierung kann aber nicht nur auf eine mangelnde Interessenskongruenz zwischen Kapitalgebern und Management zurückgeführt werden, sondern auch eine Antwort auf zunehmenden Wettbewerbsdruck auf den Produktmärkten darstellen. Finanzmarktnormen werden in diesem Zusammenhang von Seiten des Managements implementiert, um dann im Konflikt mit stakeholdern mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Erfüllung desiderativer Aktionärserwartungen höhere Rentabilitätsziele beziehungsweise damit verbundene Maßnahmen wie den Rückbau von Arbeitsplätzen oder die Abspaltung von Einheiten mit unterdurch247  Soros vågar satsa svenskt: Valutaspekulant köper in sig i Investor, Sandvik, Skandia och Esselte, in: Dagens Nyheter, 11. September 1993; Svenska aktier drar utländska placerare, in: Dagens Nyheter, 30. Juli 1994. 248  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

schnittlicher Performanz durchsetzen zu können. Für diese Erklärung spricht im Falle Sandviks allerdings weder die Kontinuität der Sozialpartnerschaft noch der krisenfrei verlaufende Wachstumspfad des Unternehmens. Eine dezidierte Kapitalmarktorientierung kann aber auch erzwungen werden, wenn das Unternehmen dazu übergeht, seine Tätigkeiten über eine Reihe von Emissionen zu finanzieren und folglich ein Interesse entsteht, über einen hohen Aktienkurs die Zeichnung neuer Wertpapiere attraktiv zu machen. Warum die Bedürfnisse der Kapitalmarktakteure ab Mitte der neunziger Jahre eine so deutlich höhere Wertschätzung erfuhren, kann in der Tat nicht losgelöst von der Finanzierungspolitik Sandviks betrachtet werden, obwohl von den vier Fallstudienunternehmen der Bergslagener Konzern dasjenige Unternehmen sein sollte, das am wenigsten auf Kapitalerhöhungen zurückgreifen sollte. Nur zur Gewinnbeteiligung der eigenen Beschäftigten hatte man eine Ausnahme gemacht. 1981 hatte das Unternehmen einen Aktiensparfonds für die Beschäftigten eingeführt und bot 1987 allen Beschäftigten eine Wandelanleihe mit vierjähriger Laufzeit zum 12-prozentigen Zinssatz an, von der 12 v. H. der Arbeiter und 60 v. H. der Angestellten Gebrauch machten.249 Auch während der neunziger Jahre sollte sich an der augenscheinlichen Indifferenz abgesehen von drei Ausnahmen etwas ändern: Für den Erwerb von CTT Tools, den das Unternehmen rund zwei Mrd. SKr kosten sollte, hatte Sandvik zusätzlich zur Kreditaufnahme von 1,2 Mrd. SKr 800.000 C-Aktien an SKF emittiert, die zwischen 1992 und 1995 keine Dividende erbrachten und ab 1997 in B-Aktien umgewandelt werden konnten. Das Göteborger Kugellagerunternehmen wurde mit 1,5 v. H. der B-Aktien und 0,2 v. H. der B-Aktien der vierzehntgrößte Eigentümer bei Sandvik, obwohl der Bergslagener Konzern vermutlich über genug Reserven und in jedem Fall über eine ausreichende Bonität verfügt hätte, um den Kauf vollständig über Eigenmittel oder Kreditaufnahme zu finanzieren. Aber diese Privatplatzierung sollte neben der zweimaligen erneuten Ausgabe von Belegschaftsaktien die einzige Emission in den neunziger Jahren bleiben. So beschloss 1997 der Vorstand, das Aktienkapital durch eine gerichtete Neuemission von 507.000 A-Aktien an die Personalstiftung für die eigenen Mitarbeiter zu erhöhen, um dem Konzern ein Kapitalbetrag von 101,5 Mio. SKr zuzuführen. 1999 zeichneten noch einmal 70 v. H. der Mitarbeiter eine weitere Wandelanleihe mit einem Volumen von 955 Mio. SKr, die im Übrigen auch die Mitarbeiter außerhalb Schwedens einschloss.250 249  Insgesamt beteiligten sich daran 2500 Beschäftigte. Vgl. Sandvik Geschäftsbericht 1980, S. 19; Sandvikare har satsat 85 Mkr i konvertibler, in: Dagens Industri, 12. August 1985. 250  Nyemission i Sandvik, in: Dagens Nyheter, 31. Mai 1997.



7. Unternehmensfinanzierung165

Dass der Konzern eine solche Zurückhaltung in der Frage der Außenfinanzierung an den Tag legte, erklärt sich daraus, dass es angesichts umfassender eigener finanzieller Rückstellungen keine Notwendigkeit für eine Grundkapitalerhöhung gab. War die Eigenkapitalquote bis 1984 auf 28 v. H. zurückgegangen, sollte sie bis 1989 auf 46 v. H. ansteigen und fortan diese Marke auch nicht mehr unterschreiten. Nach den zügigen Sanierungsanstrengungen und der erfolgreichen Konsolidierung hatte Sandvik bereits zum Jahreswechsel 1984 / 1985 ein Liquiditätspolster in Höhe von 2,2 Mrd. SKr aufgebaut und konnte zusätzlich auf eine Reserve von 1,2 Mrd. SKr in nicht genutzten Bankkrediten zurückgreifen, was eine Überliquidität von einer Mrd. SKr bedeutete. Angesichts der Zinslage hatte der Konzern nicht nur einen Teil des Kapitals in kurzfristigen Papieren thesauriert, sondern angekündigt, dass die angestrebte Expansion aus eigenen Mitteln finanziert werden sollte. Trotzdem rechneten Unternehmensvertreter damit, die Eigenkapitalquote sogar noch erhöhen zu können.251 In einem Interview gab Eriksson bekannt, dass die Liquidität von 2,5 Mrd. SKr zur Schuldentilgung – besonders einiger Kredite mit einer Laufzeit von fünf Jahren – genutzt werden sollte, insbesondere der während der siebziger Jahre aufgenommen großen Dollaranleihen in den USA, als Sandvik sich dort mehr oder minder erfolglos an einer ambitiösen Markterschließungsoffensive versucht hatte.252 Angesichts der Hochzinspolitik der Reichsbank in den frühen neunziger Jahren hatte Eriksson durchaus in Übereinstimmung mit dem Ziel, eine Rendite auf eingesetztes Kapital mit 20 v. H. zu realisieren, die Barmittel als Finanztitel bei den Banken hinterlegt.253 Eriksson rechtfertigte die Sparsamkeit mit den durchschnittlichen Wachstumsziffern der Branche in Höhe von ein bis zwei v. H. jährlich, die es ratsamer erscheinen ließen, die Überschüsse auf dem Geldmarkt mit Zinssätzen in Höhe von 13 v. H. bis 14 v. H. zu platzieren.254 Anfangs der 1990er waren die Zinsgeschäfte in der Tat ein Faktor, der nicht unbedeutend zu der Gewinnsituation des Industriekonzerns beitrug: 1993 konnten Finanztransaktionen 350 Mio. SKr in die Kasse spülen, auch wenn der Betriebsgewinn von 1,61 Mio. SKr als Ergebnis der Realinvestitionen gesteigert worden war.255 Sandvik verfolgte prinzipiell eine äußerst vorsichtige Platzierungsstrategie und investierte vorrangig in 251  „Nya“ Sandvik testas i nästa Lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 59. 252  Per-Olof Eriksson, VD i Sandvik: „Företagsköp finns åter i planerna“, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1985), S. 94–97. 253  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 254  Dags att bjuda upp med pengar i fickan, in: Veckans Affärer, Nr. 12 (1992), S. 40–42. 255  Ränte-fest: Hundratals miljoner till storföretagen, in: Dagens Industri, 11. September 1992.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

schwedische Obligationen und andere langfristige Finanztitel.256 Pläne, wie ASEA oder Volvo eine eigene Tochtergesellschaft für Finanzgeschäfte zu gründen und somit die Liquiditätsüberschüsse systematisch für größere ­Finanzoperationen einzusetzen, gab es allerdings nie. Die anhaltend gute Ertragslage und die boomende Konjunktur hatten dazu geführt, dass seit 1987 der Konzern auf Liquiditätsreserven zurückgreifen konnte, die sich fortan auf niemals weniger als vier Mrd. SKr addierten. Der hohe Cashflow des Konzerns, der nur in einigen Jahren infolge von Großakquisitionen ins Minus rutschte, führte dazu, dass die liquiden Mittel und die kurzfristigen Platzierungen größer waren als die zinstragenden Schulden. Nichtsdestotrotz legte die Unternehmensspitze Wert darauf, diese Reserve nicht zu schmälern. 1990 wurden Immobilien in Kista und Västberga mit einem Reingewinn von 215 Mio. SKr verkauft, so dass die liquiden Mittel sich nunmehr auf rund sechs Mrd. SKr summierten.257 Auch bei Erwerbungen achtete die Konzernleitung penibel darauf, nicht in einen Überbietungswettbewerb mit anderen Aspiranten einzutreten.258 Die liquiden Mittel betrugen 1992 immer noch rund fünf Mrd. SKr, die im Jahr zuvor durch einen Kreditrahmen von 10 Mrd. SKr ergänzt worden waren.259 Diese beharrliche Akkumulation von Finanzmitteln war, wie noch anhand der anderen Unternehmen gezeigt werden wird, angesichts der überhitzten Boomphase in Schweden und der vorteilhaften konjunkturellen Rahmenbedingungen in den achtziger Jahren nichts Ungewöhnliches. Das, was Sandvik aber gegenüber anderen Unternehmen auszeichnete, war die Thesaurierung der Mittel, die die Verbindlichkeiten mit mehreren Milliarden Kronen dauerhaft überstiegen. Offensichtlich sah die Konzernleitung keine Notwendigkeit, die Überliquidität für Erwerbungen und Investitionsprogramme einzusetzen. Die zur Verfügung stehenden flüssigen Mittel sollten die Investitionsvolumina ab 1984 gelegentlich um das Doppelte oder sogar Dreifache übersteigen und erst ab 1997 sollte sich das Verhältnis umkehren. 256  Låga

1997.

räntor inte bara glädjeämne för Sandvik, in: Dagens Industri, 14. Januar

257  Sandvik:

1990.

Reavinst ökar kassan med 215 Mkr, in: Dagens Industri, 11. Mai

258  Aus der Bieteschlacht um Norton, einem führenden Schleifmaterial- und Hartmetallrädchenhersteller, hatte sich Sandvik schon frühzeitig zurückgezogen und Konkurrenten wie BTR sowie dem letztendlichen Käufer Saint-Gobain das Feld überlassen. Im Falle des deutschen Hartmetallherstellers Hertel versuchte das Unternehmen ebenfalls nicht, das höhere Angebot des US-Konkurrenten Kennametal zu überbieten. Vgl. Dags att bjuda upp med pengar i fickan, in: Veckans Affärer, Nr. 12 (1992), S. 40–42; Sandvikköp stoppas av kartellmyndighet, in: Dagens Industri, 30. September 1994. 259  Nya förvärv enda chans för Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 23 (1991), S. 48–51.



7. Unternehmensfinanzierung167

Diese Konstanz in der Kapitalstruktur war jedoch aus einer finanzmarktorientierten Perspektive nicht unbedingt wünschenswert. Entscheidend aus einer Aktionärsperspektive ist der Ertrag auf das Eigenkapital. Dieser Ertrag steigt automatisch, wenn die Überliquidität in Form einer Sonderdividende ausgeteilt wird. Das trifft auch auf Realinvestitionen zu, falls deren Ertrag höher ausfällt als der von Zinsen aus Finanzgeschäften. Die Rendite auf das Eigenkapital steigt auch im Falle einer Schuldenfinanzierung, falls der Ertrag auf das Gesamtkapital höher ist als die durchschnittlichen Bankzinsen sind. Rein bilanztechnisch kann dadurch sogar ein Wert schaffender Effekt bewirkt werden, da sie in der Gewinn- und Verlustrechnung abzugsfähig sind und so steuermindernd den Cashflow an die Finanziers weiterleiten können. Zudem lässt sich argumentieren, dass die Wahrscheinlichkeit kapitalzerstörender Investitionen durch ein leichtsinniges Verhalten des Managements angesichts eines hohen Eigenkapitalpuffers steigt und einem betrieblichen Konservativismus beziehungsweise einer nachlassenden Bereitschaft der Mitarbeiter zur kontinuierlichen Erneuerung Vorschub geleistet wird. Viele Analytiker forderten eine Änderung der konservativen Finanzpolitik entweder in Gestalt von Sonderdividenden oder durch eine Reihe groß dimensionierter Erwerbungen. In der Tat wurden an der Stockholmer Börse Unternehmen mit einer signifikanten Überkapitalisierung bei gleichzeitiger Investitionszurückhaltung abgewertet, was die Wahrscheinlichkeit von feindlichen Übernahmen erhöhte. Diese Eventualität hatte schon zu Beginn der neunziger Jahre die Konzernleitung dazu veranlasst, sich dagegen zu wappnen. Sandvik war das erste schwedische Unternehmen, welches in seiner Unternehmensordnung eine Einlösepflicht einführte, die eine Übernahme gegen den Willen anderer Miteigner erheblich erschwerte. Bereits in der Unternehmensordnung von 1983 war festgelegt worden, dass auf Aktionärsversammlungen niemand für mehr als 25 v. H. der vertretenden Stimmrechte votieren konnte.260 1992 waren die Bestimmungen noch einmal verschärft worden. Sobald ein Aktio­ när fortan mehr als 33,3 v. H. der stimmrechtsstarken Aktien erwarb oder 50 v. H. der gesamten Stimmrechte berechnet auf den gesamten Aktienbestand (also inklusive der B-Aktien) auf sich vereinigte, musste von ihm ein verpflichtendes Angebot an alle übrigen Aktionäre unterbreitet werden, deren A-Aktien zu übernehmen. Dieses Übernahmeangebot sollte sich darüber hinaus an dem durchschnittlichen Tageskurs der Stockholmer Börse und dem gewichteten Durchschnittspreis orientieren, zu dem der Bieter innerhalb der letzten sechs Monate Aktien erworben hatte, so dass der Veräußerungswert nicht durch den Bieter selbst bestimmt werden konnte.261 Weiter260  Sandvik Unternehmensordnung § 5, Fassung angenommen auf der Aktionärsversammlung am 6. Mai 1983.

168

II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

hin hatte die Hauptversammlung am 22. Mai 1992 den Vorschlag akzeptiert, dass eine Mehrheit von mindestens 70 v. H. auf einer Aktionärsversammlung erforderlich sein sollte, um Geschäftsbereiche zu verkaufen oder – vorausgesetzt, dass bereits eine Teilnotierung eines Geschäftsbereiches stattgefunden hatte – eine Verringerung des Besitzanteils Sandviks auf unter 51 v. H. zu billigen.262 Die neue Unternehmensordnung war gleichwohl nicht das Resultat eines akuten Übernahmeversuches. Nach dem Floating der schwedischen Krone 1992 waren viele Stahlunternehmen auch mit einer stabilen Struktur in Schwierigkeiten geraten, was die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme erhöhte. Trotz der stabilen eigenen Gewinnlage machte die Verlustsituation der Konkurrenten offenbar Eindruck. In der Stärkung der Position der Minderheiteneigner sah der Vorstand eine gute Garantie, mit einem starken Eigentümer an der Seite den Aufkaufgelüsten kurzsichtiger Spekulanten einen Riegel vorzuschieben.263 Es war aber auch die Überfülle an eigenen Finanzmitteln, weswegen die machtaufsplitternde Unternehmensverfassung eingeführt wurde: „Nein, eine akute Bedrohung lag eigentlich nicht vor – es waren hingegen Diskussionen über mehrere Jahre und es war vor allem die große Kasse und da wollten wir einen Schutz gegen jeden Aufkäufer, wen auch immer.“264 261

Wurden mit der Einlösepflicht den Begehrlichkeiten möglicher raiders wirksame Grenzen gesetzt, blieb immer noch die Frage offen, ob nicht die eigenen Aktionäre in Gestalt einer Sonderausschüttung oder verstetigter Dividendensteigerungen von der guten Ertragslage des Konzerns und den gebildeten Rücklagen profitieren sollten. Eriksson war den Kritikern schon 1993 etwas entgegenkommen, als er sich im Falle mangelnder Alternativen darauf festlegte, die Überliquidität an die eigenen Aktionäre auszuschütten.265 Die 261  Zwar galt das Angebot nur für sechs Monate, aber im Falle, dass der Bieter hinsichtlich der Stimmrechte die 50 v. H.-Grenze überschritt, musste die Prozedur wiederholt werden, so dass zögerlichen Aktienhaltern eine zweite Möglichkeit zum Verkauf eingeräumt wurde. Vgl. Sandvik Unternehmensordnung §7; Fassung angenommen auf der Aktionärsversammlung am 22. Mai 1992. 262  Sandvik Unternehmensordnung § 10, Fassung angenommen auf der Aktionärsversammlung am 22. Mai 1992. Der Vorstand hatte bei der Gelegenheit geplant, die Amtszeit für Vorstandsmitglieder auf drei Jahre zu begrenzen, was aber nach Beanstandungen zurückgenommen wurde. Eine Änderung der Unternehmensordnung in diesem Sinne wäre allerdings schwer durchzusetzen gewesen, da nach § 15 des Aktienrechts dafür die Zustimmung von neun Zehnteln aller Aktionäre erforderlich war. Vgl. Kritik mot Sandviks „mur“, in: Dagens Industri, 2. Juni 1992. 263  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 1997. 264  Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2001. 265  Ledningen överväger kraftigt höjd utdelning, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1991), S. 34–37; Nöjd VD sover gott om natten, in: Dagens Nyheter, 14. März 1993.



7. Unternehmensfinanzierung169

angestrebte expansive Wachstumspolitik, gestützt auf Erwerbungen sowie die avisierte Erschließung des chinesischen und indischen Marktes, hatte allerdings den VD in der Überzeugung bestärkt, die Reserven vorerst für Realinvestitionen einzusetzen. Der Vorstand hatte dementsprechend beschlossen, die Mittel für Produktentwicklungsmaßnahmen und für die Erschließung der osteuropäischen und ostasiatischen Wachstumsmärkte zu nutzen.266 Da seit 1992 die Gewinne stetig angestiegen waren und die Finanzposition des Unternehmens auch nicht durch die Großerwerbungen tangiert wurde, war die Vorsicht in der Mittelverwendung nicht mehr zu rechtfertigen.267 1995 summierten sich die liquiden Mittel auf 6,5 Mrd. SKr; ein Jahr später waren es immer noch 4,5 Mrd. SKr. Trotz Erwerbungen verfügte Sandvik dank des Cashflows nach wie vor über ein bedeutendes Reinvermögen, da die Liquidität die Verbindlichkeiten mit mehreren Milliarden SKr überstieg, obwohl der Zinsertrag bedeutend geringer ausfiel als drei Jahre zuvor. Trotzdem hatte Hedström noch 1995 eine Überführung der Liquidität in Form einer Sonderdividende abgelehnt, obwohl weder große Erwerbungen anstanden noch steigende FuEAufwendungen die Reserven spürbar belasteten.268 Den alternativen Vorschlag, die Aktien von Seco Tools, in dem Sandvik 90 v. H. der stimmrechtsstarken Aktien kontrollierte, an die eigenen Aktionäre auszuteilen, hatten sowohl Eriksson als auch Hedström mehr oder minder definitiv ausgeschlossen.269 Es sollte noch bis zum März 1997 dauern, als der Vorstand beschloss, angesichts des stetig anwachsenden Konzerngewinns und Cashflows die entstandene Überkapitalisierung mittels der Einlösung von Aktien zu einem Wert von insgesamt vier Mrd. SKr zu beseitigen. Das machte den Weg frei für eine höhere Bewertung der Sandvik-Aktien, da nun aus der Sicht finanzmarktorientierter Ansätze die Kapitalstruktur des Konzerns durch die Verringerung des Eigenkapitals mit 20 v. H. auf 16 Mrd. SKr optimiert worden war.270 Weitere in diese Richtung weisende Maßnahmen waren jedoch nicht nötig. Die zu Jahresanfang 1997 auf 64 v. H. angestiegene Eigenkapitalquote war ohnehin nach dem Erwerb von Kanthal bis Mitte 1997 auf 51 v. H. abgesunken und das bis 1995 akkumulierte Liquiditätspolster abzüglich der zinstragenden Schulden mit rund vier Mrd. SKr hatte sich bis Mitte 1999 aufgrund der Großakquisitionen in eine Nettoschuld von 10,8 Mrd. SKr transformiert.271 266  Sandviks

guld ska ge mer metall, in: Svenska Dagbladet, 27. August 1994. mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007. 268  Sandvik jagar företag utan större lycka, in: Dagens Industri, 15. Juni 1995. 269  Eriksson vill dela ut Sandviks kassa, in: Dagens Industri, 28. Januar 1994. 270  Geschäftsbericht Sandvik 1997. Hedström hatte eigenen Angaben zufolge einen Rückkauf eigener Aktien favorisiert, der aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war. Vgl. Sandvik löser in aktier för 4 miljarder kronor, in: Dagens Industri, 25. Februar 1997. 271  Sandvik är i slagläge, in: Dagens Industri, 31. August 1999. 267  Interview

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

Auch schien die Konzernleitung den Aufbau zu großer Kapitalreserven in Zukunft vermeiden zu wollen. So bezeichnete Åke Hedström 1999 eine ­Eigenkapitalquote von mindestens 40 v. H. als erstrebenswert, was immerhin noch sieben v. H. unter dem im Halbjahresbericht ausgewiesenen Wert lag.272 Trotz der vorsichtigen und konservativen Finanzierungspolitik hatte sich der Vorstand grundsätzlich dazu entschlossen, den Interessen der Anteilseigner auf dem Wege höherer Gewinnausschüttungen deutlich mehr Beachtung zu schenken. Die Dividendenpolitik war während der achtziger Jahre auch nach den schwierigen Jahren nur moderat modifiziert worden, was sich allerdings in den 1990ern ändern sollte. Die Dividendenausschüttungen stiegen seit 1993 mit 33 v. H. jährlich. Diese stärkere Berücksichtigung von Aktionärsbelangen setzte schon 1992 ein, als trotz eines Gewinnrückgangs mit 30 v. H. der Vorstand eine Erhöhung der Dividende beschloss. Bereits 1993 teilte Sandvik die Hälfte des Nettogewinns aus. 1994 wurde die Dividende um 67 v. H. und 1995 um 60 v. H. erhöht. 1996 entsprach die Ausschüttungsquote immerhin 58 v. H. des Reingewinns, die 1990 noch auf dem Niveau von 20 v. H. gelegen hatte. Die eigenen Aktien sollten nun mindestens einen Wertzuwachs erwirtschaften, der erstens über dem Branchendurchschnitt und zweitens deutlich über dem Zinsniveau risikofreier langfristiger Finanzplatzierungen liegen sollte, was laut Auffassung des Vorstandes durchaus mit dem ehrgeizigen Expansionsprogramm in Einklang gebracht werden konnte.273 Spätestens ab 1997 war das Entgegenkommen an Rendite orientierte Erwartungen von Kapitalmarktteilnehmern nicht mehr zu übersehen, als der Vorstand den Anteilseignern zusagte, mindestens 50 v. H. des Nettogewinns auszuschütten, obgleich, wie Hedström anmerkte, die Möglichkeiten zu weiteren Groß­ erwerbungen dadurch eingeschränkt wurden.274 Der Vorstand schlug für 1997 sogar eine Dividende von 7,00 SKr vor, immerhin rund 70 v. H. des Gewinns, so dass der durchschnittliche Ausschüttungsanteil zwischen 1993 und 1997 mit durchschnittlich 54 v. H. sogar die selbst gesteckten Vorgaben übertreffen sollte.275 Zur ausgeweiteten Aktienmarktorientierung gehört auch der Vorschlag des Vorstandes im August 2000, dass rund 300 leitenden Mitarbeitern kostenfrei 1,4 Mio. Aktienoptionen angeboten wurden, die nach drei Jahren gegen Wert272  Sandviks

1999.

273  Sandvik

VD positiv till återköp av egna aktier, in: Dagens Industri, 24. Juni

Geschäftsbericht 1995, S. 7. kassor: Industrivärden borde lösa in egna aktier, in: Dagens Nyheter, 16. Februar 1997; Claes Hedström – Starkare än stål, in: Dagens Industri, 17. Juli 1999. 275  Sandvik Geschäftsbericht 1997. 274  Överfyllda



7. Unternehmensfinanzierung171

papiere eingetauscht werden konnten. Die Zuteilung wurde allerdings nicht, wie es SHV-orientierte Modelle vorsehen, an die Börsenkursentwicklung sondern an die Entwicklung der Kapitalrendite im Vorjahr gekoppelt, ohne dass der Geschäftsbericht detaillierte Angaben zu den damit verknüpften Bedingungen machte.276 Als letztes Element einer ausgeweiteten Finanzmarkt­ orientierung kann der 1999 gefasste Beschluss gedeutet werden, sämtliche A- in B-Aktien umzuwandeln und somit die Barriere der Stimmrechtasymmetrie preiszugeben, mit dessen Hilfe aktive Eigentümer wie die SHB oder Skanska ihre Schutzfunktion mit einem geringen eigenen Kapitaleinsatz hatten wahrnehmen können. Die Aktionärsversammlung am 4. Mai 2000 beschloss auf Antrag des Vorstandes die Änderung der Unternehmensordnung, so dass Sandvik-Aktien seit dem 11. Mai 2000 ohne Stimmrechtsunterschiede gehandelt wurden.277 Durch die Umwidmung aller 189 Millionen A- in B-Aktien sollte eine höhere Bewertung bei etlichen Börsenindices zustande kommen, um auf diese Weise für die nun insgesamt 258 Millionen einheit­ lichen B-Aktien Käufer zu attrahieren, da nicht nur Sandviks A-Aktien mit einem gewissen Abschlag gehandelt wurden, sondern auch im Vergleich zu den B-Aktien einen niedrigeren Umsatz demonstrierten.278 Der Vorschlag hatte zur Folge, dass die Handelsbanksphäre und Robur gleich große Eigentümer mit jeweils 15 v. H. Stimmrechtsanteil wurden. Aufgrund des nun rechtlich zugelassenen Rückkaufs eigener Aktien beschloss die Aktionärsversammlung am 7. Mai 2001, zusätzlich den Vorstand zu mandatieren und rund 12 Millionen der eigenen Aktien zurückzukaufen. Auch ein solches Aktienrückkaufprogramm wird in der Regel als Kapitalmarkt orientiert eingestuft, weil überschüssige Liquidität abgebaut und den Anteilseignern zurückgegeben wird, die insofern von einer höheren Eigenkapitalrendite profitieren. Zudem kann die Verknappung des Aktienangebots steigende Kurse bewirken, falls die Ertragslage des Unternehmens stabil bleibt.279 Dass der Vorstand sich zur Beseitigung der Stimmrechtsasymmetrien entschloss, hatte seine Ursachen weniger in dem Bemühen, den Interessen kleinerer Wertpapierhalter durch die Beseitigung der Machtasymmetrien ein höheres Gewicht einzuräumen. Tatsächlich hatte das oberste Kontrollgremium diese Barriere als überflüssig angesehen. Wie viele andere schwedische Unternehmen auch hatte Sandviks Konzernleitung dem eigenen Börsenkurs 276  Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Bonusprogramm mit fünfjähriger Laufzeit abgeschlossen worden, das dem VD ermöglichte, bis zu 42.000 Aktienoptionen zu erstehen. Vgl. Geschäftsbericht Sandvik 2000. 277  Geschäftsbericht Sandvik 2000. 278  Sandviks VD: „Kurvorna pekar åt rätt håll“, in: Dagens Industri, 19. Februar 2000; Full fart på alla Sandviks marknader, in: Svenska Dagbladet, 5. Mai 2000; Går mot en enda aktie, in: Svenska Dagbladet, 19. Februar 2000. 279  Geschäftsbericht Sandvik 2000.

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II. Erfolgsunternehmen in der Nische: Sandvik

in den achtziger Jahren noch wenig bis gar keine Aufmerksamkeit geschenkt.280 Bereits 1992 hatte Eriksson angesichts der Diskussion um potentielle ausländische Aufkäufer jedoch darauf hingewiesen, dass raiders primär unterbewertete Firmen attackierten und ein hoher Aktienkurs die beste Verteidigung sei, weil eine Übernahme schlicht und einfach zu teuer werden würde.281 Die Aufgabe der A-Aktien, folgt man den Ausführungen seines Nachfolgers, stellte in der Tat auf diesen Effekt ab: „Es ist meiner Auffassung ein Fehler, sich mit diesen komischen Mitteln zu schützen, sollte jemand kommen und Sandvik zu einem anderen Wert kaufen als den Börsenkurs – ja, dann soll er es tun! Es ist sehr wichtig, das Sandvik richtig bewertet wird … Das war auch das, was der Vorstand sagte: Wir sollten uns nicht mit komischen Mitteln schützen … Die raiders gucken auf die Aktie mit dem höchsten Börsenumsatz. Teilt man die Aktien in zwei unterschiedliche Varianten ein und da ist der Umsatz niedriger, als wenn man mit einer Aktie handelt … Faktisch ist eine einheitliche Aktie ein besserer Schutz: Der Handel mit Aktien sollte steigen. Viele ausländische institutionelle Anleger sehen auch darauf, wie der Handel umsatzmäßig verläuft. Wir gelangten zu der folgenden Einschätzung auch mit Hilfe externer Instanzen: Der Aktienkurs sollte steigen. Was er tatsächlich auch tat.“282

In der Tat reagierte die Stockholmer Börse positiv auf den Kurs der Unternehmensführung, dem zusätzlich durch die beeindruckende Wachstumsund Gewinnentwicklung Gewicht verliehen wurde. Stagnierte der Tageskurs der Sandvik-Wertpapiere 1990 noch bei rund 11,35 Skr, durften die Aktionäre während der neunziger Jahre einen kontinuierlichen Wertzuwachs registrieren, so dass die Aktien 1998 zu einem durchschnittlichen Tageskurs von 43,75 Skr gehandelt wurden.283 Mit dem Instrument der Stimmrechtsasymmetrien wurde allerdings auch ein Instrument aufgegeben, dass im Falle einer feindlichen Übernahme eine Zergliederung des Konzerns im Gefolge eines leverage buy outs erfolgen könnte. Ein solches Szenario einer fremdfinanzierten Übernahme, in der Konzerne aufgespalten werden, um zur Begleichung der Akquisitionsverbindlichkeiten neu gebildete Unternehmen abzustoßen, konnte im Falle Sandviks aufgrund der ausgeprägten Verschiedenheit der Stahl- und der Hartmetallsparte nicht ganz ausgeschlossen werden, da sich die Synergien zwischen den beiden Leitsparten auf die Material- und Werkzeugsentwicklung beschränkten.284 In der Tat wird wiederum die Analyse SCAs zeigen, dass sich schwedische ­Unternehmen in den neunziger Jahren nicht mehr sicher sein konnten, sich 280  Interview

mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 21. Februar 2007. att bjuda upp med pengar på fickan, in: Veckans Affärer, 18. März 1992. 282  Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. 283  Referenzwert ist jeweils der Tagesschlusskurs des Börsentages am 2. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober. Daten von http://www.sandvik.com. 284  Sandvik Geschäftsbericht 1995. 281  Dags



7. Unternehmensfinanzierung173

solchen Begehrlichkeiten zu widersetzen. Die Gefahr einer Zerstückelung wurde jedoch von Hedström als gering eingeschätzt. Gleichzeitig machte der VD deutlich, dass man sich in so einem Fall nicht den Wünschen der Kapitalgeber widersetzen würde: „Ja, aber wer soll denn das kaufen? Ich weiß nicht, Sandvik Steel ist sehr spezialisiert und ein Antitrust-Verfahren würde sofort in Gang gesetzt werden, das Risiko ist klein. Und es sind so unterschiedliche Geschäfte. An wen bitte schön, soll man Tooling verkaufen? Das Risiko, so haben wir das eingeschätzt, das ist klein. Wenn es die Eigner wollen und es für einen Fehler halten, dann müssen wir den Lauf der Dinge eben passieren lassen und können uns nicht mit management­ egoistischen Standpunkten aufhalten.“285

Insofern kann im Falle Sandviks die allmähliche Adaption von Elementen der Shareholder Value-Philosophie damit erklärt werden, dass Aktienpreisabschläge verhindert werden sollten, um umgekehrt durch einen hohen Aktienkurs die Gefahr einer feindlichen Übernahme zu minimieren. Auf diese Weise setzte Sandvik mit Erfolg die Idee in die Tat um, die eigene Marktkapitalisierung als Barriere gegen eine feindliche Übernahme zu nutzen. 1991 bezifferten Schätzungen den Börsenwert des Unternehmens auf 32 Mrd. SKr, so dass die neue Unternehmensordnung einen Übernahme­ interessenten finanziell stark gefordert hätte.286 Im Zuge der Umwidmung wurde die Summe für einen Erwerb schon auf 50 Mrd. SKr veranschlagt. Zudem verfügte Sandvik mit der Svenska Handelsbanken als aktiver Eigentümer über eine weitere wirksame Barriere im Hintergrund, deren Einverständnis für eine Übernahme erst einmal erforderlich war.287 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Gewerkschaften diesen aktionärsfreundlichen Kurs mitgetragen haben, obwohl der Mittelabfluss in Gestalt erhöhter Dividenden in Zeiten stagnierender oder rückgehender Gewinne die Möglichkeiten beschnitt, Arbeitsplatz sichernde Investitionen zu finanzieren. Ein abweichendes Votum gegen die Dividendenerhöhungen gab es seitens der Arbeitnehmervertreter im Vorstand nicht: „Wir hatten ja früher niedrige Dividenden. Historisch hatten Metall und Gewerkschaften eine Einstellung, die lautete, wir wollen nicht so viel austeilen, lieber wieder investieren. Ja, aber wir sahen, dass wir einerseits auf die Kreuzverflechtung mit Industrivärden vertrauen konnten, die ja unglaublich stark war. Ein hoher Ertrag und eine hohe Dividende gibt ja einen effektiven und den besten Schutz, … und diese Philosophie hält bis heute, heute teilen wir 50 v. H. oder mehr aus, das schafft einen hohen Börsenwert und das garantiert den besten Schutz gegen welchen Aufkaufversuch welcher Natur auch immer.“288 285  Interview

mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007. kommer Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1991), S. 34–37. 287  Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007. 288  Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007. 286  Nu

III. Vom Forstwirtschaftszum Hygieneunternehmen: SCA Analogien zwischen Sandvik und dem Forstwirtschaftsunternehmen1 Sveriges Cellulosa Aktiebolaget (SCA) lassen sich einige finden: Beide gehören zu den Nachzüglern in ihre jeweiligen Branche; beide lassen sich zu den Grundstoffindustrien des Landes zählen; und beide gehören jeweils einem Wirtschaftszweig an, der in historischer Perspektive die Integration Schwedens in die Weltwirtschaft maßgeblich dadurch beförderte, indem zunächst unbearbeitete Rohstoffe und später daraus gewonnene Zwischen- oder Fertigprodukte in andere Länder exportiert wurden. Vermutlich noch mehr als die Stahl- und Eisenindustrie kann die Forstwirtschaft einen komparativen Nutzen aus dem Reichtum an natürlichen Ressourcen ziehen. Schweden gehört mit einem Waldbestand von 23 Millionen Hektar zu den dicht bewaldetsten Ländern der Erde. Rund 55 v. H. der Flächen sind mit Fichten und Kiefernwäldern und im geringeren Ausmaß auch mit Birkenbeständen bedeckt.2 Ein weiterer Wettbewerbsvorteil vornehmlich in Nordschweden ist der Zugang zu Wasserkraft und damit die mögliche Ausnutzung niedriger Energiekosten, die in der Forstwirtschaft eine wichtige Rolle spielen, so dass die schwedische Zellstoff- und Papierindustrie rund 70 v. H. des eigenen Energiebedarfs selbst decken kann. Angesichts dieser vorteilhaften Ausstattung verwundert es nicht, dass das skandinavische Land bis heute zu den führenden Produzenten insbesondere bei Zellstoff und Papierprodukten gehört. So teilt sich die schwedische Volkswirtschaft hinsichtlich der Nutzholzverarbeitung einen Spitzenplatz mit den USA, Kanada und China und wird in Statistiken als siebtgrößter Papierhersteller und drittgrößter Exporteur von Papier- und Zellstoff mit einem Weltmarktanteil von 12 v. H. geführt. Auch bei bearbeiteten Weichholzprodukten haben schwedische Hersteller einen Weltmarktanteil von ungefähr neun v. H. verteidigen können. 1  Zum leichteren Verständnis werden unter forstwirtschaftlichen Aktivitäten im Folgenden alle Aspekte angefangen von der Holzbewirtschaftung, der Weiterverarbeitung zu Bau- und Nutzholz sowie der Zellstoff-, und Papierprodukten subsumiert. Wenn fortan von Forstwirtschaftsunternehmen die Rede ist, dann schließt dieser Begriff auch die Papier- und Zellstoffunternehmen ein. Gemäß SCAs eigener Definition, die auch in diesem Kapitel zur Anwendung gelangt, wird die Hygienesparte nicht dazu gezählt. 2  Vgl. dazu die Angaben in Skogsstyrelsen, Skogsstatistisk Årsbok 2007, Jonköping 2000.



III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA175

Ob das Gewicht dieser Branche der schwedischen Volkswirtschaft wirklich zum Vorteil gereicht, wird allerdings von verschiedener Seite in Frage gestellt. Grundsätzlich war die Forstwirtschaft nicht nur durch einen hohen Rohstoffinput, sondern auch durch eine ebenso hohe Kapitalintensität bei einem gleichzeitig niedrigen Veredelungsgrad gekennzeichnet, was sie gegen mögliche Exportoffensiven von Konkurrenten mit einer relational besseren Faktorkostenausstattung verwundbar machte. Ein nahezu permanente Begleiterscheinung waren folglich Prophezeiungen über ihren Niedergang aufgrund ausländischer Konkurrenz. Solche Kassandrarufe waren schon um 1900 nichts Ungewöhnliches, als aufgrund fallender Transportkosten in der immer stärker werdenden sibirischen Konkurrenz die Ursache für einen allmählichen Niedergang der schwedischen Forstwirtschaft ausgemacht wurde. In der Zwischenkriegszeit, als die Zellstoff- und Papierindustrie mit 27 v. H. zum Löwenanteil der schwedischen Exporte beitrug, herrschte hingegen die Befürchtung vor, dass die kanadische oder die US-Forstwirtschaft möglicherweise die führende Stellung Schwedens auf den Weltmärkten bedrohen könnte. In den siebziger Jahren wurde dann die Gefahr in Gestalt von Unternehmen aus Schwellenländern verortet, die neue Nutzholzsorten wie Eukalyptusbäume und andere schneller nachwachsende Arten erschließen konnten.3 Unbestritten hat die Bedeutung der Forstwirtschaft für die schwedische Ökonomie, gemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt von durchschnittlich sechs bis sieben v. H. in den sechziger Jahren auf vier bis fünf v. H. in den neunziger Jahren, leicht abgenommen. Nach wie vor überstiegen gleichwohl die Nettoexportwerte dieses Wirtschaftszweiges in diesem Jahrzehnt mit rund 14 v. H. die kumulierten entsprechenden Werte der schwedischen Pharmazie, Fahrzeug- und Elektronikindustrie. Im späten 19. Jahrhundert wären Niedergangsszenarien noch als völlig unwirklich zurückgewiesen worden. In der Region um die Stadt Sundsvall konnte gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermutlich die höchste Sägewerksdichte auf der ganzen Welt registriert werden.4 Dass das Wachstum der Sägewerke, die sich dort angesichts der naheliegenden riesigen norrländischen Forstareale und den vorteilhaften Transportmöglichkeiten über die zum Norrbotten abfließenden Flüsse agglomerierten, bereits zwei Jahrzehnte später ins Stocken geriet, hatte mit dem raschen Aufkommen einer anverwandten Sparte und deren Nachfrage nach demselben rohstofflichen Input zu tun. 1874 war es dem Chemiker Carl Daniel Ekman gelungen, einen 3  Solche Krisenszenarios haben sich freilich ebenso wenig bewahrheitet wie der prognostizierte Nachfragerückgang nach Papier aufgrund neuer Recyclingmethoden sowie der Substitution von Holz durch Plastik, Beton oder Glas als Baumaterialien oder auch das Ausmaß des Waldsterbens. Vgl. dazu Wibe, S., Den svenska skogs­ industrins marknadsställning och konkurrenskraft, Umeå 2004, S. 12. 4  Magnusson, Economic History, S. 98; Glete, Ägande, S. 164.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Zellstoff für feinere Papiersorten mittels eines von ihm entwickelten Sulfitverfahrens hervorzubringen, was die Papierherstellung auf einen Schlag revolutionierte und die Papierpreise innerhalb von dreißig Jahren um ein Drittel schrumpfen ließ.5 Genauso schnell wie sich nicht wenige Herstellungsstätten von Eisen- auf die profitablere Nutzholzverarbeitung umgestellt hatten, erfolgte in Norrland der nächste Schritt in die Zellstoffproduktion: Nur innerhalb von zwanzig Jahren steigerte die Zellstoffindustrie ab 1869 die Produktion von 3000 Tonnen auf 80.000 Tonnen. Dass – ähnlich wie im Falle der schwedischen Stahlindustrie auch in der Forstwirtschaft – Wissenschaft und rohstoffbasierte wirtschaftliche Tätigkeiten eine fruchtbare ­Symbiose einzugehen vermochten, beweist auch eine zweite bahnbrechende schwedische Innovation in Gestalt braunen Umschlagspapiers. Auch als Kraftpapier bezeichnet, wurde es bis weit in das 20. Jahrhundert ein weltweites Erfolgsprodukt, weil nun Packmaterial und Säcke unter drastisch verringerter Ausnutzung von Holz oder Jute kostengünstig hergestellt werden konnten.6 Die beiden Innovationen trugen maßgeblich dazu bei, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Zellstoffindustrie allmählich die außenwirtschaftliche Leitfunktion übernahm. Hatte Schweden bis dahin den Spitzenplatz als größter Sägeholzwarenexporteur innegehabt, so verdankte das Land der rasch aufblühenden Industrie nun auch die Stellung als dominierender Zellstoffexporteur.7 Die Zellstoffindustrie konnte ihre komparativen Vorteile allerdings nur solange zur Geltung bringen, wie das für die Verarbeitung zu Holzschliffzellstoff, Sulfitzellstoff und Kraftzellstoff vorhandene Fichtenholz in ausreichenden Massen in den schwedischen Breitengraden vorhanden war. Die langsam wachsenden skandinavischen Nadelhölzer zeichneten sich zwar durch den Vorzug kräftiger Holzfasern aus, die besonders für die Papierqualität entscheidend waren. Sie benötigten allerdings auch längere Wiederaufforstungsperioden. Das wiederum beförderte ein extensives Wachstumsmuster in Gestalt einer nahezu hundert Jahre andauernden Erschließung neuer Forstareale in Ödlanden. Da die biologische Wachstumsphase der begehrten Nadelhölzer bis zum Einschlag rund hundert Jahre andauerte, musste jeder 5  Sulfitzellstoff wird durch das Verkochen weicher Fichtenholzsägespäne und unter Zugabe von Schwefeldioxid unter Beigabe einer in Wasser gelösten Basis hergestellt. Sulfatzellstoff wird unter Verwendung von weichen oder harten Holztypen und mittels Zugabe von Natriumhydroxid und Natriumsulfit in einer kürzeren Herstellungszeit erzeugt. Außerdem sind bei der Herstellung von Sulfatzellstoff alle Holzarten verwendbar. 6  Peterson, C., The Emergence of Two National Concepts and Their Convergence Towards Common Nordic Regime in the Global Forest Industry, in: Donner-Amnell, J. / Lehtinen, A. / Sæther, B. (Hrsg.) Politics of Forests – Industrial Regimes in the Age of Globalisation, Aldershot 2004, S. 206. 7  Glete, Ägande, S. 197.



III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA177

Forstnutzer folglich hundertmal so große Abholzungsgebiete besitzen, wie er pro Jahr verbrauchte. Sägewerke und Zellstoffindustrie konnten zunächst koexistieren, da für Sulfat- und Holzschliffzellstoff mit niedriger Qualität auch Sägewerksabfall, Durchforstungs- oder Jungholz verwendet wurde und insofern Zellstoffunternehmen auch auf das Nadelholz arme Süd- und Westschweden auswichen. Die Sägewerke konnten ebenfalls nicht alle Holzsorten verarbeiten, sondern waren auf den Einschlag hoher und alter Bäume angewiesen, die nur in den unberührten Wäldern Nordschwedens vorzufinden waren. So gerieten sie in offenen Konflikt vornehmlich mit den Sulfatzellstofffabriken, die mit dem Aufkauf grosßer Forstgebiete in Nordschweden begonnen hatten und einen Kampf um die begehrten großen Fichtenbäume auslösten.8 Es waren jedoch nicht nur die Querelen um den Rohstoffzugang, sondern ebenso die hohen Anschaffungs- und Betriebskosten, die in der Branche der Notwendigkeit zur Hervorbringung großer wirtschaftlichen Einheiten Vorschub leisteten. Sowohl Sägewerke als auch die Papier- und Zellstoffindustrie hatten ihre Ursprünge in kleinen und mittleren Unternehmen, die aus Eisenmanufakturen hervorgegangen waren und sich teilweise sogar noch in deren Besitz befanden. Konnten Sägewerke im Familienbesitz durchaus profitabel wirtschaften, hatten Ankauf, Reinigung und Lagerung von Nutzholz und die technikintensive Produktion einen stetig wachsenden Kapitalbedarf der Zellstoffunternehmen verursacht. Lange ermangelte es aber an dazu erforderlichen großen wirtschaftlichen Einheiten, da die Besitzverhältnisse unverändert blieben. Trotz der gemeinsamen Rohstoffbasis gab es zwischen Sägewerken und Papier- sowie Zellstoffunternehmen keine Eigentümerbindungen. Der hartnäckige Strukturkonservativismus vermögender Sägewerksbesitzer verhinderte bis in die zwanziger Jahre hinein die Herausbildung eines schlagkräftigen Zellstoffkonzerns.9 Wie noch später in Abschnitt III.7.a) detailliert auseinandergesetzt werden wird, übernahm die Svenska Handelsbanken die Aufgabe, als Großfinanzier bei Fusionen oder Akquisitionen innerhalb der norrländischen Forstwirtschaft hilfreich zur Seite zu stehen. Deren VD Helmer Stén hatte anlässlich einer zufälligen Begegnung mit Ivar Kreuger die Idee artikuliert, den Schwierigkeiten schwedischer Forstwirtschaftsunternehmen durch ein Konzerngebilde zu 8  Ausweichmöglichkeiten gab es nicht, da bereits um 1850 die süd- und mittelschwedischen Nadelholzbestände genauso aufgezehrt waren wie die Areale an der norrländischen Küstenlinie. Zu den Spannungen zwischen Sägemühlen und der Zellstoffbranche vgl. Sveriges Lantbruksuniversitet (Hrsg.), Norrländsk skogshistoria: människan, skogen och industrin, Stockholm 1992. 9  Erst bei der Etablierung der großen Sulfatzellstofffabriken ab 1913 wirkten Sägewerksunternehmen und -besitzer als Bauherren und Eigentümer mit. Vgl. Glete, Ägande, S. 179 ff.; 195.

178

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

begegnen, das durch Größeneffekte Skalenerträge und zugleich eine durchgehende Rationalisierung der Produktionsstrukturen ermöglichen konnte. Selbst ein begeisterter Anhänger des Kartellgedankens, hatte der Wirtschaftsmagnat 1929 fünf der sechs größten Zellstoffproduzenten in der Sundsvallregion davon überzeugen können, mittels einer Betreibergesellschaft die Preisführerschaft zu sichern und weitere Strukturrationalisierungen fortan gemeinsam durchzuführen. Eine Gesellschaft unter dem Dach der KreugerHolding sollte die Zusammenarbeit zwischen den zehn Standorten in Sundsvall, Munksund, Kramfors und Holmsund überwachen und als Betreibergesellschaft für die 1931 errichtete gemeinsame Sulfatzellstofffabrik in Östrand fungieren. Als am 4. November 1929 der Name SCA ins Aktienregister eingetragen wurde, war das neue Gebilde freilich nicht mehr als ein Konglomerat lose verkoppelter Einheiten mit äußerst begrenzten Befugnissen für die in Stockholm ansässige Zentrale, dessen Zusammenhalt sich auf Zellstoffabsatz und den Einkauf von Energie und Chemikalien beschränkte. Obwohl SCA seine Konkurrenten hinsichtlich der Zellstoffproduktion bei weitem überflügelte, behielten sich die einzelnen Standorte in fast allen operativen Fragen die letztliche Entscheidung vor und verfügten nach wie vor über eigene Vorstände, Buchführung, Verkaufsorganisation. Auch der Waldbestand wurde getrennt verwaltet.10 Den maßgeblichen Schritt zur Herausbildung eines einheitlichen Konzerngebildes hatte erst der ab 1949 amtierende VDs Axel Enström mit einem Organisationsplan getan, der darauf abzielte, die Tätigkeiten zusammenzuführen.11 Die eigentliche Grundsatzentscheidung für den bis in den Untersuchungszeitraum verfolgten Innovations- und Wachstumspfad fiel ebenfalls in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, als in Schweden das integrierte Forstwirtschaftsunternehmen mit Verbindungen mehrerer Tätigkeitsfelder wie Zellstoff, Papier, Nutzholz und Sägeholz das Licht der Welt erblickte. Grundsätzlich erlaubte die gemeinsame Rohstoffbasis Forstwirtschaftsunternehmen verschiedene Kombinationsmöglichkeiten innerhalb der Wertschöpfung, die 10  Noch 1930 wurde das Unternehmen in einer Selbstbeschreibung hauptsächlich als finanzieller Intermediär für die Teilunternehmen und Haupteigner präsentiert. Vgl. dazu Utterström, G. et al., SCA 50 år: studier kring ett storföretag och dess föregångare, Sundsvall 1979, S. 74. 11  Die zuvor mit einer hohen Autonomie ausgestatteten technischen Direktoren wurden mit stabähnlichen Aufgaben betraut und ein gemeinsamer Arbeitsausschuss eingerichtet, aber erst im Herbst 1969 wurden alle Aktivitäten in der Muttergesellschaft als gesonderte Geschäftsbereiche nach Produktumfeld ausgewiesen. Bis dahin hatten vier geografisch gegliederte Teilbereiche in Gestalt der Sundsvall-, Kramfors-, Holmsund- und Munksundgruppe das Unternehmen strukturiert, die im Zuge der Transformation in eine produktorientierte Linienorganisation in die Muttergesellschaft integriert wurden. Vgl. dazu Haslum, B., Från Galtströms järnbruk till SCA: återblickar i ett storföretags historia 1673–1993, Sundsvall, 1993, S. 127.



III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA179

anfänglich sogar eine Verknüpfung mit der Stahl- und Eisenindustrie zuließ.12 Der Vorzug der Integration bestand darin, grundsätzlich einzelne Abschnitte der Wertschöpfung entweder weiter im unternehmensinternen Wertbildungsprozess zu nutzen oder sie in Gestalt von Produkten zu veräußern. So konnte Nutzholz unter Nutzung von Energie entweder zu unternehmensextern vertriebenen Holzprodukten oder Zellstoff umgewandelt werden. Zellstoff veräußerte man ebenfalls entweder als Handelszellstoff oder verarbeitete es zu Papier, Pappe oder anderen Fertigprodukten. Auch Energie konnte neben der Nutzung im eigenen Produktionsprozess in Gestalt von Elektrizität an Abnehmer verkauft werden, seitdem beginnend mit der Nutzung von Dampfsägen Forstwirtschaftsunternehmen an den großen Norrlandflüssen eine umfassende Energiegewinnung aus Wasserkraft aufgebaut hatten. Vor 1945 hatte SCA sich auf die Produktion von Nutzholz unter Zuhilfenahme der eigenen Energiegewinnung beschränkt, das teilweise als Produkt an konzernexterne Abnehmer veräußert, teilweise zur Weiterveredelung in Gestalt von Sulfit- und Sulfatzellstoff genutzt wurde. Neben der Zellstoffherstellung – die eigentliche raison d’être des Unternehmens – betätigte sich SCA auch als Hersteller von Halbfertigprodukten in Gestalt von gesägten Holzwaren. Aus dem Holbestand der eigenen Forstareale wurden die konzerneigenen Sägewerke beliefert, die von jedem gefällten Baum 50 v. H. nutzen konnten, während der Rest als Zellstoff weiterverarbeitet wurde.13 Die Zellstoffproduktion wurde wiederum von der 1954 gebildeten Bålforsens Kraft AB (BÅKAB) mit Strom versorgt, der zu 73 v. H. in acht norrländischen Wasserkraftanlagen generiert wurde. Was als der erste entscheidende Wendepunkt in der gesamten Firmengeschichte angesehen werden kann, war der in der Nachkriegszeit gefasste Entschluss der Unternehmensspitze zu einer Vorwärtsintegration in die Papierherstellung. Axel Enström hatte in dem 1954 verabschiedeten Entwicklungsplan die Devise ausgegeben, die Schwerpunktinvestitionen auf die Verbesserung der Produktqualität auszurichten, während die Zellstoffproduktion auf größere und wenige schlagkräftige Einheiten konzentriert werden sollte. Zunächst sollte der Anteil des gebleichten Sulfatzellstoffs zu Lasten des ungebleichten Sulfatzellstoffes ausgeweitet werden, um Konjunkturschwankungen besser ausgleichen zu können.14 Damit hatte das Unternehmen den ersten noch bescheidenen Schritt zu einer Höherveredelung 12  Integrationsmöglichkeiten ergaben sich durch Holzkohle und Wasserkraft, die sowohl bei dem Eisenerzabbau als auch in der Forstwirtschaft zum Einsatz kamen. Infolgedessen gab es sogar Unternehmen wie Stora und Uddeholm, die in zwei Branchen tätig waren, da sie von der Eisenverarbeitung in forstwirtschaftliche Aktivitäten diversifizierten. Vgl. Glete, Ägande, S. 79. 13  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 14  Haslum, Galtströms järnbruk, S. 163.

180

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

seiner Produkte gewagt, wiewohl SCA in den fünfziger und sechziger Jahren noch 51 v. H. der schwedischen Exporte ungebleichten Sulfatzellstoffes verantworten sollte. Der Beschluss war dadurch befördert worden, dass das Unternehmen auf ausländischen Märkten spürbar unter Druck geraten war.15 Vor allem auf dem wichtigen lead market der Vereinigten Staaten mussten die schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen Rückschläge hinnehmen. Vor dem Krieg war die Hälfte der SCA-Zellstoffexporte über den Atlantik verschifft worden, weil die USA einen höheren Anteil an Zellstoff verbrauchten als ganz Europa zusammen. Ab 1947 konnten die dortigen Papierfabriken, die zuvor maßgeblich mit skandinavischem Zellstoff beliefert worden waren, durch neue technische Verfahren Zellstoff aus Kiefernwäldern gewinnen und nun durch eine Rückwärtsintegration mit eigenen Zellstoffanlagen die eigene Zeitungspapierherstellung versorgen.16 Zusätzlich sollten die Nordamerikaner immer mehr dank niedrigerer Entwaldungskosten die Skandinavier nicht nur auf dem eigenen, sondern auch auf den europäischen Märkten herausfordern. Solange der US-Binnenmarkt stark war, brauchten sich zwar weder europäische noch schwedische Zellstoffunternehmen zu bekümmern. Wurde das Überangebot zu groß und begann die Fakturierungswährung der Forstwirtschaftsprodukte in Gestalt des Dollars zu sinken, nutzten die nordamerikanischen Hersteller die Gelegenheit und setzten ihre Überschüsse zu Dumpingpreisen in Europa ab.17 Solche Attacken setzten der gesamten europäischen Papier- und Zellstoffindustrie ­erheblich zu, der es erst 1967 gelingen sollte, die US-Amerikaner in das eigene System von Preisabsprachen einzubinden.18 Offensichtlich leistete die veränderte Marktkonstellation Überlegungen in der Vorstandsetage Vorschub, dass die Entscheidung zur Herstellung ge15  Vgl. zur Diskussion Melander, A., Industrial Wisdom and Strategic Change: The Swedish Pulp and Paper Industry 1945–1990 (Jönköping International Business School JIBS Dissertation Series Nr. 1), Jönköping 1997, S. 114. 16  Folglich verschob sich das Gewicht der schwedischen Papier- und Zellstoff­ exporte, von denen 1937 noch 28 v. H. in die USA verschifft worden waren, nach Westeuropa, das zu Beginn der achtziger Jahre sogar 87 v. H. der schwedischen Exporte abnahm. Vgl. Peterson, Emergence, S. 213 ff.; Melander, Industrial Wisdom, S. 96. 17  So führte das Ausweichen kanadischer Papierproduzenten alleine im ersten Halbjahr 1991 zu Exportsteigerungen in die EG mit 40 v. H. und Preisrückgängen mit ca. 30 v. H. Vgl. Prisras på presspapper, in: Dagens Nyheter, 10. März 1992. 18  Lilja / Moen, Transnational Competition, S. 146. Allerdings orientierten sich die Amerikaner durchgängig sofort wieder auf den eigenen Markt, sobald dort die Nachfrage wieder spürbar anzog. Wenn der Preis für Zellstoff oder Papierprodukte in den USA hoch war, dann lohnte es sich umgekehrt auch für SCA, dorthin zu exportieren. Vgl. Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007; Interview mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007.



III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA181

bleichten Sulfatzellstoffes nicht ausreichen würde, um die eigene Position ausreichend zu befestigen. Einen Ausweg sahen die schwedischen Produzenten erstens in der Verbilligung der Produkte durch eine Herstellung in großen Einheiten, um so Skalenerträge erwirtschaften zu können; zweitens in einer Vorwärtsintegration zu höher veredelten Produkten wie Kraftliner, Wellpapier und Zeitungspapier, die in Westeuropa nur im kleinen Quantitäten hergestellt wurden.19 Ganz in diesem Sinne hatte Eije Mossberg als Nachfolger Axel Enströms mit der Veräußerung kleiner Einheiten sowie der Rationalisierung größerer Produktionsanlagen begonnen und in seiner Amtszeit die in der Öffentlichkeit teilweise heftig kritisierte Schließung von insgesamt 18 Standorten durchgesetzt. Die Niederlegung der Anlagen in Söråker und Ulvvik 1958 leitete einen Konversionsprozess hin zu Sulfatzellstoff ein, dem bis 1980 sieben Sulfit- und Holzschliffzellstoffanlagen zum Opfer fielen.20 Das wichtigste Element der Höherveredelung war jedoch der 1955 gefasste Beschluss zum Bau einer Zeitungspapierfabrik in Ortviken, um die einseitige Abhängigkeit der Handelszellstoffmärkte zu verringern.21 Da bei Zeitungspapier und auch bei Kraftliner im Verhältnis zum Papier weniger Nutzholz zur Anwendung gelangte, konnten damit die eigenen Überschüsse nutzbringend und kostensenkend abgesetzt werden.22 1958 waren die jähr­ lichen Herstellungskapazitäten in der Ortvikener Fabrik schon auf 70.000 Tonnen ausgebaut worden, die 1966 noch mit einer dritten Zeitungspapiermühle bestückt wurde.23 Die Strategie der Vorwärtsveredelung bei gleichzeitiger Senkung der Bruttokosten manifestierte sich auch in der Inbetriebnahme der Kraftlinerfabrik in Munksund. Kraftliner besteht aus gebleichtem oder ungebleichtem Sulfatzellstoff mit einem besonders hohen Anteil langer Fasern, und eignete sich infolge der hohen Festigkeit als Deckschicht für Wellpappe oder Vollpappe. Zusammen mit der US-amerikanischen Cham­ pion International Corporation, die 1985 von SCA aufgekauft wurde, wurde Kraftliner in den beiden Fabriken in Obbola und Munksund mit einer Jah19  Rydberg, S., Papper i perspektiv: massa- och pappersindustri i Sverige under hundra år (Skogsindustrierna Historiska utskottets skriftserie Nr. 10), Stockholm 1990, S. 97. 20  Haslum, B., Galtströms järnbruk, S. 166. 21  SCA Geschäftsbericht 1980, S. 11. Die integrierte Produktion von Zellstoff und Papier war bis dahin in erster Linie von kleineren süd- und mittelschwedischen Zellstofffabriken und von Stora und Holmen betrieben worden. 22  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 23  Damit hatte sich die Konzernleitung auch endgültig von der Idee einer Vorwärtsintegration in Chemie verabschiedet, mit der VD Torsten Hérnod bis 1953 geliebäugelt hatte. Vgl. Haslum, B., Galtströms järnbruk, S. 13.

182

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

reskapazität von rund 600.000 Tonnen hergestellt.24 Kraftliner sollte für SCA in den sechziger Jahren zu einem sehr ertragreichen Produkt werden, weil die Verpackungsindustrie in diesem Jahrzehnt stark expandierte.25 Die zuständige Einheit SCA Nordliner war zu Beginn der neunziger Jahre der weltweit größte Kraftlinerexporteur und vereinigte immerhin 40 v. H. der gesamten schwedischen Produktion auf sich.26 Die Aufnahme der Herstellung von Endprodukten wie Wellpappeschachteln sollte den Konzern weniger anfällig für die Konjunkturschwankungen in der Forstwirtschaft machen und auch als ein Schritt hin zum Endkunden verstanden werden. 1972 verständigte sich die Konzernleitung unter der Leitung des Mossberg-Nachfolgers Bo Rydin auf einen Entschluss, der den zukünftigen Weg des Unternehmens im Untersuchungszeitraum prägen sollte und dem hinsichtlich seiner Tragweite die gleiche Bedeutung zugemessen werden muss wie dem Einstieg in die Zeitungspapierproduktion. Gestützt auf die bisher betriebene Strategie des Rückbaus Konjunktur empfindlicher zugunsten höher veredelter Produktbereiche, sollte nun die Transformation von einem Rohstoff- in ein Konsumprodukteunternehmen auf der Agenda des Konzerns stehen. Jede zukünftige Investition sollte entweder die Herstellungskosten verringern oder den Konzern weniger empfindlich gegenüber Konjunkturschwankungen machen. Obwohl die Nachfrage nach Zellstoff um 1975 nahezu explosionsartig in die Höhe geschossen war und der schwedischen Forstwirtschaft insgesamt ein goldenes Jahrzehnt beschert hatte, wurde die Hälfte des SCA-Umsatzes 1979 bereits von der Verpackungs-, Hygiene- und Energiesparte sowie Sunds Defibrator erwirtschaftet, während 1974 noch 80 v. H. des Umsatzes auf genuin forstwirtschaftliche Aktivitäten wie die Zellstoffherstellung und -verarbeitung zu Zeitungspapier entfielen.27 Bo Rydin hatte in diesem Sinne die Abwicklung der Sulfitzellstofffabriken konsequent weitergeführt.28 Der SCA-Konzernleitung war klar, dass auch 24  SCA-klipp

i Obbola, in: Dagens Industri, 17. Oktober 1985. mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 26  SCA Geschäftsbericht 1989, S. 7. 27  Geschäftsbericht SCA 1982, S. 5. Die Sunds AB verantwortete alle technischen Großprojekte wie den Bau neuer Anlagen, neue Raffinier- und Bleichungstechniken, Energiesparmethoden oder thermo-mechanische Innovationen. Außerhalb des Konzerns hatte sich Sunds Defibrator zu Beginn der achtziger Jahre als Ausrüsterunternehmen auf der Basis eigener Innovationen für die verbesserte Holzausnutzung den Status eines Weltmarktführers erarbeitet. Vgl. zu Sunds Paketlösningar för framtidens massaindustri, in: Dagens Industri, 5. Dezember 1984. 28  Deren Existenz innerhalb des Konzerns fand mit der Schließung der letzten Anlage in Kramfors 1977 dann ihr endgültiges Ende. Striktere Umweltbestimmungen hatten Sulfit- und Holzschliffzellstoff aus Kostengründen ohnehin unattraktiv gemacht, so dass mittlerweile gebleichter Sulfatzellstoff für Druckpapier und Pappe 25  Interview



III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA183

der Markt für ungebleichten Sulfatzellstoff stark zurückging und nur Kraftliner ein Produkt war, mit der man gegenüber der nordamerikanischen Konkurrenz bestehen konnte. Parallel wurde eine radikale Verringerung des Konjunktur empfindlichen unbearbeiteten unternehmensextern vertriebenen Handelszellstoffes angestrebt. Rund zwei Drittel des Zellstoffs wurde anfangs der achtziger Jahre in den eigenen oder teileigenen Tochtergesellschaften weiter veredelt. Wurden 1981 noch 25 v. H. der gesamten eigenen Zellstoffproduktion als Handelszellstoff durch die SCA Pulp Sales International in London vertrieben, so verringerte sich dieser Anteil drastisch und machte 1985 nur noch 10 v. H. der gesamten Zellstoffkapazität von rund einer Million Tonnen aus. Infolge der Erwerbungen avancierte SCA dann Mitte der neunziger Jahre zu einem Nettokäufer von 500.000 bis 600.000 Tonnen Zellstoff jährlich und wies im Jahr 2000 eine ausgeglichene Rohstoffbilanz aus.29 Was jedoch die zweite einschneidende Zäsur in der Unternehmensgeschichte darstellen sollte, war die Entscheidung zur vertikalen Diversifizierung in die Hygieneartikelherstellung. Damit tat das Unternehmen den letzten und entscheidenden Schritt zu Ausbildung der Produktstruktur, die SCA bis zum Ende der Untersuchungsperiode beibehielt und zugleich im gewissen Ausmaß von anderen schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen und den bis dahin befolgten Branchenimperativen absondern sollte. Das Engagement hatte eine Vorgeschichte, an deren Anfang paradoxerweise eine im Konzern gemachte Entdeckung stand. Im Oktober 1963 konnte Chef­ ingenieur Axel Wennerblom im SCA-Forschungslaboratorium nachweisen, dass eine CMC-Folie mit Papier als temporäre Sperre für Wasser unter Befeuchtung der Folienseite standhielt, während die andere Seite sich auflöste.30 Die mit dieser dann weiterentwickelten Technik hergestellten Damenbinden wurden durch die im Oktober 1971 gegründete Tochtergesellschaft Sancella Ltd. unter dem Namen Libresse vermarktet. 1972  /  1973 hatte sich die SCA-Leitung noch gegen eine weitere eigene Expansion in diesem Produktfeld entschieden, das technisch und hinsichtlich der Vermarktung von den übrigen Aktivitäten des Konzerns relativ weit entfernt lag. Der entscheidende Schritt erfolgte erst mit dem Einstieg bei der Mölnlycke AB. Dem Göteborger Unternehmen, bei dem SCA bis 1975 eine mit 40 v. H. zur gesamten schwedischen Zellstoffproduktion beitrug. Vgl. Blomström / Kokko, Natural Resources, S. 24. 29  Die gleiche galt für Kraftliner, von dessen Jahresproduktion 1989 in Höhe von 637.000 Tonnen nur 196.000 Tonnen an konzerneigene Verpackungsunternehmen geliefert wurden. Vgl. SCA: Rekordrapport, in: Veckans Affärer, 4. September 1995; Tuff tid väntar Mölnlycke i SCA, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1989), S. 80–83. 30  CMC ist ein wasserlösliches Zellulosederivat, das in der Papier-, Textil-, Lebensmittel- und Kosmetikindustrie angewandt wird.

184

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA Gesägte Holzprodukte

Energie

Feinpapier Zeitungspapier SC-Papier

Nutzholz

LWC-Papier Sulfatzellstoff

Kraftliner

Recyclingzellstoff

Testliner

Wellpappe

Verpackungsprodukte TMP-Zellstoff CTMP-Zellstoff

Hygieneartikel

Halbfertigprodukte

Abbildung 6: Vertikale Integration bei SCA zwischen 1980 und 2000

Beteiligung in Höhe von zunächst 11,6 v. H. erwarb, wurden viel versprechende Wachstumsmöglichkeiten nachgesagt. Dazu bedurfte es einer gesicherten Finanzierungsbasis, die ein profitabel wirtschaftender Forstwirtschaftskonzern im Hintergrund genauso sicherstellen konnte wie eine verstetigte Zellstoffversorgung. Auf der anderen Seite bestand bei SCA ein vitales Interesse an einer Konvertierung des eigenen Zellstoffes zu Hygieneprodukten im Rahmen der anvisierten Weiterveredelungsstrategie und an einer Stützung der eigenen kleinen unprofitablen Hygienesparte. Bis 1978 hatte SCA sämtliche Aktien im Tausch gegen eigene neu emittierte Aktien und Obligationen erworben. Vervollständigt wurde das Produktspektrum des Sundsvaller Konzerns durch den Einstieg in die Feinpapierproduktion. Die Kraftpapiersparte hatte während der siebziger Jahre erhebliche Defizite erwirtschaftet, so dass mit deren Transformation zur Feinpapierherstellung in Wifsta eine chronische Verlustquelle beseitigt werden konnte. Die dortige Kraftpapierherstellung war 1981 endgültig eingestellt worden, um die Produktion von Sackpapier, Laminatpapier und anderen Spezialpapiersorten zu einer Feinpapieranlage mit einem Jahresproduktionsvolumen von 140.000 Tonnen jährlich umzubauen.31 Die Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens ab 1980 machte 31  SCA

Geschäftsbericht 1986.



1. Grundelemente der Innovationsstrategie SCAs185

SCA zu dem einzigen schwedische Forstwirtschaftsunternehmen, das neben den Halbfertigprodukten Zeitungspapier, Feinpapier, Kraftliner, Wellpappe und Hygieneprodukte offerierte (vgl. Abb. 6). 1. Verbundwirtschaft, Höherveredlung, Vorwärtsintegration: Grundelemente der Innovationsstrategie SCAs Vor dem Hintergrund des bisherigen Rekurses ist es nun möglich, die grundlegenden Elemente der Innovationsstrategie des Sundsvaller Forstwirtschaftskonzerns auch im Hinblick auf mögliche stakeholder zu umreißen. Vorläufig gilt dies nur für die Forstwirtschaftsbereiche, da die bei Möln­ lycke angesiedelte Hygienesparte im Abschnitt III.5.e) gesondert behandelt wird. Transformation hin zu höherveredelten Produkten

Langfristigkeit

Verbundproduktion

Erhöhung der Kapitalproduktivität

Abbildung 7: Kernelemente der Innovations- und Wachstumsstrategie SCAs

Was den Innovations- und Wachstumspfad des Unternehmens vorrangig auszeichnete, war die Leitidee der Restrukturierung oder Verschiebung der Wertschöpfung hin zu Enderzeugnissen. Wie Tabelle 5 bestätigt, verlagerte sich der Schwerpunkt im Produktportfolio immer mehr von Halbfertigprodukten wie Sulfat- und Sulfitzellstoff oder Kraftliner hin zu Enderzeugnissen wie Verpackungen oder Hygieneartikeln. Berechnet als prozentueller Anteil von Veränderungen in der Produktionskette, entfiel auf die Enderzeugnisse zwischen 1945 und 1960 noch ein bescheidener Anteil in Höhe von 8 v. H. Dass die Unternehmensspitze die Transformation danach maßgeblich forcierte, lässt sich daran erkennen, dass zwischen 1961 und 1980 der entsprechende Wert auf 41 v. H. hoch schnellte und sich in der Untersuchungsperiode mit 46 v. H. stabilisierte. Auch wenn SCA bis 1985 in die klassischen Forstwirtschaftsparten wie Handelszellstoff, Kraftliner und Holzverarbeitung noch rund 4,7 Mrd. SKr

1945–1960

1961–1980

1981–2000

Gesamt

 2

 1

 1

 8

13

Halbfertigprodukte

Enderzeugnisse

Marketing

Mehr­ebenen

Gesamt

100  v. H.

61  v. H.

8  v. H.

8  v. H.

15  v. H.

8  v. H.

27

 3

 2

11

 8

 3

100  v. H.

11  v. H.

7  v. H.

41  v. H.

30  v. H.

11  v. H.

45

 5

 1

34

 1

 4

100  v. H.

11  v. H.

2  v. H.

76  v. H.

2  v. H.

9  v. H.

85

16

 4

46

11

 8

100  v. H.*

19  v. H.

5  v. H.

54  v. H.

13  v. H.

9  v. H.

* Melander, A., Strategic Changes in the Swedish Forest Industry: SCA and MoDo in Ccomparison, Paper EBHA Conference 2001, Tabelle 3, S. 19.

 1

Anzahl der Prozentueller Anzahl der Prozentueller Anzahl der Prozentueller Anzahl der Prozentueller Anteil der VeränderunAnteil der VeränderunAnteil der VeränderunAnteil der VeränderunVeränderungen in der Veränderungen in der Veränderungen in der Veränderungen in der Produktions- gen in der Produktions- gen in der Produktions- gen in der Produktions- gen in der Produktionskette Produktionskette Produktionskette Produktionskette kette kette kette kette

Rohstoffe

Periode

Tabelle 5 SCA: Veränderungen in der Wertschöpfungsstruktur

186 III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA



1. Grundelemente der Innovationsstrategie SCAs187

investieren sollte, strebte die Konzernleitung in ihrer langfristigen Strategie eine Verschiebung hin zu Konsumentengütern in Gestalt der Hygieneprodukte an, da man in diesem Bereich zu Recht eine stabilere Gewinnentwicklung und höhere verstetigte Wachstumsraten vermutete als in den konjunkturempfindlichen Forstwirtschaftseinheiten.32 Diese Verschiebung lässt sich auch in der Entwicklung des operativen Gewinns nachvollziehen, da die Verpackungssparte und Mölnlycke / SCA Hygiene einen konstant wachsenden Beitrag zur Ertragslage leisteten. Diese immerhin innerhalb eines Zeitraums von fünfzig Jahren vollzogene Transformation beinhaltete jedoch einige weitere Implikationen und musste zudem etlichen branchenspezifischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Zunächst war diese Langfristigkeit bedingt durch die hohe Kapitalintensität aller Unternehmungen. Diese langfristige Ausrichtung schlug sich auch in den strategischen Vorgaben nieder, die innerhalb einer Perspektive von fünfzehn Jahren auf der Basis einer Einschätzung der Konkurrenzsituation und Extrapolationen der Nachfrageentwicklung, die Wachstums- und Ertragsvorgaben inklusive angestrebter Unternehmenserwerbungen festlegten.33 Die Forstwirtschaft insgesamt zeichnete sich durch eine signifikante Realkapitalintensität und lange ­Amortisierungsphasen für Investitionen aus. Erhebliche Preis- und Nachfragefluktuationen verursachten zudem eine unstete Gewinnsituation und die langfristige Profitabilität der Industrie fiel im Vergleich mit anderen Branchen bescheiden aus.34 Dass zusätzlich umfassende finanzielle Vorleistungen erbracht werden mussten, lag vorrangig an der erforderlichen Produktionstechnologie: Eine neue Papiermühle, die in der Regel dreißig Jahre in Betrieb war, kostete 1982 zwischen 800 Mio. und einer Milliarde SKr und gegen Ende der Untersuchungsperiode immerhin rund 2,5 Mrd. SKr, so dass die Anschaffung angesichts eines durchschnittlich geringen Kapitalertrages und möglicher starker Preis- und Konjunkturschwankungen in jedem Fall ein gewisses Risiko darstellte. Auch die Umrüstung einer Papiermaschine schlug 1980 mit rund 0,5 Mrd. SKr, später mit 1,5 Mrd. SKr zu Buche, wobei der Großteil auf Gebäudeneubauten, Maschinerie und Betriebsausrüstung wie computerisierte Steuerungsinstrumente entfielen. Arbeits- und Ausbildungskosten fielen hingegen kaum ins Gewicht.35 Entscheidend für den Unternehmenserfolg war also die Kapitalproduktivität, während der Faktor Arbeit eine 32  SCA

Geschäftsbericht 1986. und -beschlüsse wurden im Abstand von fünf Jahren getroffen und überprüft. Vgl. Ekonomistyrning: Långtidsplanering – för tidigt att dödförklara, in: Ledarskap / Ekonomen, Nr. 3 (1988), S. 49. 34  Lilja, K. / Räsänen, K. / Tainio, R., A Dominant Business Recipe: the Forest Sector in Finland, in: Whitley, European Business Systems, S. 143. 35  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 33  Investitionsprognosen

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

untergeordnete Rolle spielte. Die Möglichkeiten zur Kostenexternalisierung wie beispielsweise durch Ausgliederung von Wertschöpfungsabschnitten waren gering, weil die Fertigungstiefe wie bei Sandvik nahezu 100 v. H. betrug. Eventuellen Outsourcing-Aktivitäten waren deutliche Grenzen gesetzt, weil vorgefertigte Teile kaum in der Herstellung zum Einsatz kommen konnten. Zwar kamen bei der Erneuerung des Maschinenparks auch Zulieferer zum Zuge, aber in Bereichen wie der Holzbewirtschaftung, der eigenständigen Energieversorgung oder der Distribution mit der eigenen Containerschiffsflotte setzte der Konzern zumindest bis zu Beginn der neunziger Jahre fast vollständig auf die eigenen Fähigkeiten. SCA musste sich zweitens schon alleine aus biologischen Gründen einer langfristig ausgerichteten Wachstumsstrategie verpflichtet fühlen, da die Pflanzungen erst nach 50 bis 60 Jahren abgeholzt werden konnten.36 Zur grundlegenden Versorgung mit Holz konnte der Konzern auf einen eigenen Waldbestand zwischen den beiden Flüssen Indalsälven und Ljusnan zurückgreifen, dessen Marktwert 1984 auf 12 Mrd. SKr taxiert wurde.37 Aufgrund des 1986 1.804.000 Hektar großen Waldgebiets im Eigenbesitz hatte SCA den höchsten Selbstversorgungsgrad mit Nutzholz in ganz Europa.38 So konnte eine dauerhafte Nutzholzversorgung sichergestellt werden, da mit dem umfangreichen Waldbesitz durchschnittlich 55 bis 60 v. H. des eigenen Bedarfs gedeckt werden konnten, was einem Jahresverbrauch von fünf bis sechs Millionen Kubikmetern gleichkam.39 Die Konzernleitung ließ keine Gelegenheit aus zu betonen, dass man nicht daran dachte, den eigenen Waldbestand zu veräußern.40 36  So der ehemalige Finanzvorstand: „Eigentlich ist ja der Waldbesitz langsichtig, mit 100 Jahren Wachstum bis zur Nutzung.“ Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 37  Das entsprach immerhin fünf v.  H. der schwedischen Landfläche oder sieben v. H. der für wirtschaftliche Zwecke vorgehaltenen Forstflächen. Vgl. Råd till SCA: bud på Esselte förnuftigare än motköp i Industrivärden, in: Dagens Industri, 18. Mai 1982. 38  Strategiskt vägval för SCA: stark sits ger valfrihet, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1982), S. 74–76; Svårfångade skogsvärden, in: Dagens Industri, 11. Mai 1990. 39  Zusätzlich kultivierte die konzerneigene Baumschule Bogrundet 70 Millionen Pflanzen pro Jahr. Schon in den sechziger Jahren war die Bepflanzung mit der Fichtensorte Pinus Contorta eingeleitet worden, die 1986 20 v. H. des Bestandes abdeckte und im Gegensatz zu einheimischen Sorten schon nach 40 bis 60 Jahren zum Holzeinschlag bereit stand, was einen höheren Ertrag pro Arealeinheit ermöglichte. Vgl. Geschäftsbericht 1981; SCA Geschäftsbericht 1986, S. 3; Geschäftsbericht SCA 1987. 40  Nur bei einzelnen Gelegenheiten wie im Krisenjahr 1992 wurden 15.000 bis 18.000 Hektar Wald für 200 Mio. SKr verkauft, was allerdings nur einem v. H. des gesamten Waldbestandes des Konzerns entsprach. Vgl. Affärer i korthet: SCA, in: Veckans Affärer, 6. Mai 1992.



1. Grundelemente der Innovationsstrategie SCAs189

Zweifellos indizieren die Langfristigkeit des Transformationsprozesses und die Gestalt der Vorwärtsintegration, dass das Wachstum ähnlich wie bei Sandvik im Rahmen einer inkrementellen Innovationsstrategie erfolgte. Dass SCA wohl kaum als Unternehmen mit einer radikalen Innovationsstrategie eingeordnet werden kann, lässt sich schon allein an den bescheidenen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung erkennen: 1984 wurden gerade mal 1,3 v. H. des Konzernumsatzes von 10 Mrd. SKr für FuE-Anstrengungen in Zellbiologie, Biotechnik, Bakteriologie, Steuerungs- und Systemtechnik sowie die Entwicklung effektiver und umweltverträglicher Produktionsprozesse aufgebracht.41 Auch wenn SCA 1997 über 1500 einzelne Patente verfügte und ab 1992 zwischen 50 und 70 neue Patentanträge stellte, war das Unternehmen doch damit weit von Größenordnungen selbst der mechanischen Industrie entfernt.42 Eine Nischenstrategie oder eine diversifizierte Qualitätsproduktion nach dem Vorbild Sandviks konnte von SCA schon in Ermangelung nennenswerter Produktvarietäten nicht verfolgt werden. So existierten im Druckpapiersortiment mit Zeitungspapier, SC- und LWC-Papier nur drei Varianten mit unterschiedlichen Flächengewichten.43 Insofern ergab sich nicht die Alternative, die Nachfrage mit einem differenzierten Angebot zu bedienen oder mittels permanenter Produktverbesserungen überdurchschnittliche Erträge zu erzielen und neue Märkte zu erschließen. Im Gegensatz zu den selbst hervorgebrachten Innovationen Sandviks, die eine dauerhafte und profitable Innovationsrendite versprachen, veräußerte SCA Produkte oder Produktionslinien, die sich gar nicht oder kaum von denen der Konkurrenz unterschieden. Eine Preisführerschaft konnte der Konzern ohnehin nicht ausüben, da nur Konkurrenten wie Norske Skog, Stora oder die US-Produzenten infolge ihrer Konzentration auf eine Produktlinie mit einem hohen Herstellungsvolumen Preisbewegungen in ihrem Sinne beeinflussen konnten.44 Dazu war SCA schon deswegen nicht imstande, weil die seit 1950 betriebene Ausdifferenzierung des Produktangebots im Rahmen der Verbundproduktion einer solchen one product strategy entgegenstand. Dieser Punkt berührt einen weiteren Aspekt, nämlich die Einbeziehung der Kunden, die wie im Falle Sandviks eine entscheidende Rolle für den Erfolg der eigenen Marktbearbeitungsanstrengungen spielten. Ähnlich wie das Stahl- und Hart41  SCAs huvudstrategi: Minska flisen i massan, in: Dagens Industri, 28. November 1984. 42  SCA Geschäftsbericht 1997; SCA Geschäftsbericht 1999. 43  Auch die Auswahl der Kraftlinersorten beschränkte sich auf braunen Kraftliner, weissen Kraftliner und den recyclingbasierten Testliner. 44  Vgl. zu den generellen Wachstums- und Markterschließungsstrategien der skandinavischen Papier- und Zellstoffindustrie insbesondere Kald, M., Strategic Positioning: a Study of the Nordic Paper and Pulp Industry, in: Strategic Change, Vol. 12, Nr. 6 (2003), S. 335 ff.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

metallunternehmen versuchte auch SCA, langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen, obgleich dieser stakeholder-Gruppe im Rahmen der Innovationsstrategie nicht eine so entscheidende Bedeutung zugemessen werden kann wie im Falle Ericssons oder auch Sandviks [vgl. Abschnitte II.1. und IV.1.a)]. Mit Ausnahme der Hygienesparte hatten die Geschäftsbereiche alle einen festen Kundenkreis aufgebaut, teilweise mit über zwanzig Jahre andauernden Beziehungen, da auch die Abnehmer von Zellstoff, Kraftliner oder Zeitungspapier ihrerseits an stabilen Relationen interessiert waren. Diese gründeten sich wie im Falle der Kraftpapiersparte zumeist auf informelle gentlemen ­agreements, vorher vereinbarte Quantitäten über eine Zeitspanne von mehreren Jahren zu liefern, um einer gelegentlich auftretenden hohen monatlichen Preisvolatilität entgegenzuwirken, auch wenn insgesamt erratische Preisbewegungen in der Forstwirtschaft kaum an der Tagesordnung waren.45 Auch die Zeitungspapiersparte war strategische Allianzen mit Grosskunden wie der Göteborgs-Posten, dem Springer-Verlag, der Frankfurter Rundschau und den von Murdoch kontrollierten britischen Zeitungen eingegangen, die auf vereinbarten Lieferkontingenten bis zu 50.000 Tonnen basierten.46 Am ausgeprägtesten war die Zusammenarbeit in der Verpackungssparte, die sich einem Polypol gegenübersah. Die Verantwortlichen versuchten, ähnlich wie bei Sandvik Kundenanforderungen bereits in der Produktion entgegenzukommen, teils durch CAD-Anwendungen für verschiedene Drucksimulationen, teils durch speziell auf die Abnehmer zugeschnittene Lösungen, die in einem Brüsseler Designzentrum unter anderem für Unternehmen aus der Getränkeund Lebensmittelwirtschaft entworfen wurden. Durch Rücksichtnahme auf unterschiedliche Produktionsbedingungen und dadurch bedingte Variationen in der Verpackungsformgebung sollten auch hier langfristige Beziehungen zu Kunden aufgebaut werden.47 Allerdings sollte diese Praxis nicht den Ein45  Interview

mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. bedeutete auch, dass SCA trotz hoher Transportkosten obendrein die New York Post mit Papier belieferte, da die Zeitung zum Murdoch-Imperium gehörte. In Großbritannien gehörten Daily Express und die Associated Press zu den namhafteren Kunden. In Frankreich unterhielt SCA Vertragsbeziehungen mit der Société Anonyme Papier pour la presse (SAPP), einer Einkaufsorganisation der französischen Verlage mit einem Zentrallager in Rouen. Mit den großen Stockholmer Tageszeitungen pflegte SCA allerdings keine Beziehungen, weil diese von Holmen beliefert wurden, das seine Zeitungspapierproduktion in der Nähe der schwedischen Hauptstadt angesiedelt hatte. Im gewissen Ausmaß pflegte die Zeitungspapiersparte auch auf besondere Kundenwünsche einzugehen, indem umweltfreundlicher TCF-Zellstoff für die Papierherstellung angewandt oder im Zuge der Umstellung auf verringerte Flächengewichte besonderes Augenmerk auf die Druckqualität gelegt wurde. Vgl. Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007; Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007. 47  Zu deren Vertiefung setzte man ähnlich wie das Hartmetall- und Stahlunternehmen auf flankierenden Produktservice, indem SCA die Abnehmer mit – allerdings 46  Das



1. Grundelemente der Innovationsstrategie SCAs191

druck erwecken, dass das Forstwirtschaftsunternehmen eine Strategie der diversifizierten Qualitätsproduktion verfolgte. Angesichts fehlender Möglichkeiten zur Produktinnovation mussten sich Unternehmen wie SCA auf eine Strategie der Kostenführerschaft verlegen. In dieser Hinsicht konnten die schwedischen Forstwirtschaftskonzerne den elementaren Vorteil des kostengünstigen Rohstoff- und Energiezugangs zur Geltung bringen, der auch den Nachteil der geografischen Distanz zu den in Westeuropa beheimateten Hauptabnehmern aufwog.48 Riskierte der Konzern mit der Absicherung der Rohstoffbasis nicht eine Verschlechterung der Gewinnmargen aufgrund steigender Rohstoffpreise, so bot es sich zur Erwirtschaftung von Skalenerträgen an, die Fixkosten auf ein größtmögliches Produktionsvolumen zu verteilen, um die Stückkosten niedrig zu halten. Gleichzeitig konnten wie gezeigt Verbunderträge in dem Mehrproduktunternehmen durch stoffliche Verkettungseffekte realisiert werden, indem Halbfertigprodukte wie Zellstoff oder Kraftliner in einem anderen Produktionsabschnitt Verwendung fanden. In dieser Konstellation konnte SCA Schwankungen bis zu einem gewissen Grad ausgleichen: Preisbewegungen bei Zellstoff, Nutzholz oder Energie, die sich negativ auf die Kostenstruktur bei Halbfertig- und Enderzeugnissen auswirkten, konnte der Konzern mittels Externverkäufen begegnen und so Preisbewegungen sogar einen Vorteil abgewinnen. Angesichts der Preissensitivität bei Rohstoffen galten die Bestrebungen des Konzerns infolgedessen weniger der innovativen Produktmodernisierung, sondern primär der Prozesseffektivierung. Für SCA bot sich vor allem die Chance, durch eine wesentlich höhere Nutzholz­ ausnutzung die Kostenstruktur positiv beeinflussen zu können. Diese Faustregel sollte insbesondere bei der Modernisierung der Produktionsanlagen und der dabei erfolgten Umstellung auf Nutzholz sparende Zellstoffqualitäten in den achtziger Jahren erfolgreich angewandt werden. Solche Effizienzgewinne konnten aber auch durch die geringere Holzausnutzung in Form geringerer Flächengewichte von Papier- und Wellpappeprodukten erwirtschaftet werden, die wiederum Fortschritte in der Herstellungstechnik ermöglichten. So hatte sich SCA angesichts der steigenden Energiepreise schon während der siebziger Jahre auf niedrigere Papierflächengewichte spezialisiert, mit dem Resultat, dass der Konzern 1980 den höchsten Marktanteil bei den niedrigsten Flächengewichtsqualitäten mit 42 oder 45 m2 Flächengewicht für sich beanspruchen konnte.49 Eine weitere Möglichkeit nicht selbst gefertigter – Maschinerie ausstattete, um deren Abstimmung zwischen Produktion und Verpackung zu vereinfachen. Vgl. Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 48  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 49  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

zur Verringerung der Preissensitivität bot sich in einer Aushebelung marktlicher Allokationsmechanismen durch Kartelle und eine Branchenkoopera­ tion, von der bis Mitte der achtziger Jahre ausgiebig Gebrauch gemacht wurde, was sowohl für Absprachen hinsichtlich der Input-preise als auch möglicher Kapazitätsbegrenzungen galt und oligopolistischen Marktformen den Weg bahnte [vgl. Abschnitt III.4.]. 2. Der Unternehmenspfad in den ‚kurzen‘ achtziger Jahren: Die Modernisierung des Sundsvall-Distrikts a) Von ‚Ö 80‘ zur Verbundwirtschaft: Die Investitionsprogramme zum Ausbau der schwedischen Standorte Ganz im Sinne der angestrebten Prozesseffektivierung sollte sich in den achtziger Jahren das Augenmerk der Konzernleitung zunächst auf die Modernisierung der schwedischen Produktionsanlagen wie Ortviken, Östrand und Wifsta im Sundsvall-Distrikt richten, die 1980 als ‚Ö 80‘-Projekt ihren Auftakt nahm. Abgesehen von dem Ausbau der Elektrizitätsgewinnung im niederen Ljungangebiet und der Erweiterung des Sägewerks in Lugnvik wurde auf wesentliche Schwerpunktinvestitionen in Produktfelder wie Verpackungen und Hygieneartikel, die sich also auf Enderzeugnisse bezogen, weitestgehend verzichtet.50 Erst ab 1987 sollten die eingesetzten Mittel für die Tochtergesellschaft Mölnlycke die der klassischen Forstwirtschaftsbereiche in Gestalt der Zellstoff- und Papierherstellung übersteigen. Erklärtes Ziel des ‚Ö 80‘-Investitionsprogramms war erstens die Verringerung des Nutzholzverbrauches pro Zellstofftonne, um neben einer verbesserten Kostenstruktur auch dem Problem einer Rohstoffverknappung beizukommen. Zu diesem Zwecke wollte SCA sich auf Produkte konzentrieren, bei denen so wenig Holzzellstoff wie möglich weiter veredelt wurde, auch wenn das Sundsvaller Unternehmen schon zu Beginn der achtziger Jahre als eines der wenigen zellstoffverarbeitenden und -herstellenden Forstwirtschaftsunternehmen vollständig ohne Importe auskam.51 Ganz in diesem Sinne wurde der Einsatz Holz sparender Zellstoffgewinnungsverfahren wie Thermo Mechanical Pulp (TMP) und Chemico-Thermomechanical Pulp (CTMP) zu Lasten des Sulfit- und Sulfatzellstoffes forciert. Chemischer Zellstoff, der Mitte der achtziger Jahre schon nur noch mit fünf v. H. zu 50  SCA Geschäftsbericht 1980; SCA hotar flytta delar utomlands, in: Dagens Industri, 5. Mai 1988. 51  Importen av massaved för dyr, in: Dagens Industri, 16. Juli 1981.



2. Der Unternehmenspfad in den ‚kurzen‘ achtziger Jahren193

Buche schlug, sollte hingegen möglichst ganz aus der Weiterverarbeitung verbannt werden.52 CTMP wurde hauptsächlich bei dem Großabnehmer Mölnlycke zu Weichpapier und Hygieneprodukten wie Taschentücher, Menstruationsschutz und Windeln weiterverarbeitet, während TMP hauptsächlich für die Erzeugung von Zeitungspapier benutzt wurde. TMP und auch der später in der Zeitungsproduktion verwendete Refiner-Holzstoff Refiner Mechanical Pulp (RMP) konnten in den bereits in Betrieb befindlichen Papiermühlen angewandt werden und beanspruchten nur 2,5 m3 Nutzholz pro Tonne anstelle von 5 m3 im Falle des chemischen Zellstoffs, der als Sulfatzellstoff bei Kraftliner weiterverarbeitet wurde. Mit CTMP konnten sogar 90 v. H. der Holzfasermasse gewonnen werden.53 Zweitens sollte die Aufrüstung der Produktionsanlagen die Energiekosten spürbar absenken, da ein gesteigerter Holzfasereinsatz und der gesteigerte Veredelungsgrad die Energieabhängigkeit hatte steigen lassen und das als Abfallprodukt entstehende Baumrindenpulver war als Brennstoffalternative im Vergleich zu Öl oft zu teuer.54 Zusätzliche Rationalisierungsgewinne mittels verringerter Produktionskosten versprach man sich drittens durch die Schaffung großer Einheiten und dementsprechender Produktionsanlagen. Im Sinne der beschriebenen Zielsetzungen wurde das Stammwerk in Östrand ab 1980 umgebaut, um den CTMP-Bedarf Mölnlyckes und der neu aufgenommenen Feinpapierherstellung in Wifsta zu decken. Im Falle der Sulfatzellstoffproduktion entschied man sich aufgrund der geografischen Nähe zu Kiefern- und Birkennutzholzbeständen für eine grundlegende Modernisierung des Standortes, da Fichtenzellstoff nur in Östrand, aber nicht in Ortviken oder Matfors verwendet werden konnte. Bereits 1979 war die Entscheidung über eine umfassende technische Erneuerung mit erneuerter Rinden- und Späneverarbeitung, chemischen Recyclingmethoden, neuen Sodahausdampfkesseln und Bleichungsanlagen gefallen, die die 1983 geschlossene Bleichungsanlage mit Chlor-Alkalinen ersetzten. 75 v.  H. der Fabrik wurden umgerüstet, die Produktion auf neue Span- und Rindenhandhabung und eine völlig neue ‚braune‘ Zellstofflinie mit kontinuierlicher Sauerstoffdelignifizierung ausgerichtet, so dass 1982 die Produktion von CTMP-Sulfatzellstoff mittels einer Anlage für 80.000 Jahrestonnen aufge52  SCAs huvudstrategi: Minska flisen i massan, in: Dagens Industri, 28. November 1984. 53  Zudem war es gelungen den Bleichungsprozess dank einer bei Sunds Defibrator entwickelten Technik von fünf auf drei Schritte zu verkürzen, was den Energieverbrauch deutlich senkte. Paketlösningar för framtidens massaindustri, in: Dagens Industri, 5. Dezember 1984. 54  Allerdings musste SCA Mitte der achtziger Jahre 30 v. H. mehr Energie zukaufen als zu Beginn des Jahrzehnts. Vgl. SCA-Chefen Bo Rydin: Elberoendet konstant i tio år – stäng inte av kärnkraften! In: Nordisk cellulosa, Nr. 8 (1986), S. 36–37.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

nommen werden konnte.55 Nach Investitionen von insgesamt über 1,73 Mrd. SKr begannen im gleichen Jahr die ersten Lieferungen, so dass 1985 rund 300.000 Tonnen gebleichter Sulfatzellstoff und 65.000 Tonnen CTMPZellstoff mit hoher Absorptionsqualität das Werk verließen.56 1991 wurden die Herstellungskapazitäten von CTMP erneut um zusätzliche 130.000 Tonnen jährlich aufgestockt. Die Ausbaubemühungen in den neunziger Jahren in Östrand standen mehr im Zeichen des Umweltschutzes, als 1993 der Bau einer neuen Bleicherei für eine halbe Mrd. SKr begonnen wurde. Zwei Jahre später investierte das Sundsvaller Unternehmen noch einmal 500 Mio. SKr, um 1996 die erste weltweite vollkommen chlorfreie Sulfatbleicherei der Öffentlichkeit vorstellen zu können. Die neue Zellstoffanlage konnte nun 365.000 Tonnen produzieren, die zu 75 v. H. in den eigenen Anlagen verarbeitet wurden. So wurde außer in der Druckpapieranlage in Ortviken der Östrand-Zellstoff im österreichischen Laakirchen für SC-Papier und auch in Wifsta angewendet, wo SCA zusammen mit der deutschen PWA eine Anlage für die Herstellung von Feinpapier unterhielt.57 Diese Verbundproduktion fand auch ihre Entsprechung in den Bemühungen um Energiekosteneinsparungen, als 1991 mit der Integration der Feinpapierherstellung in Wifsta mit der Sulfatzellstoffherstellung in Östrand begonnen wurde. Das 800 Mio. SKr teure Vorhaben mit dem Namen ‚WÖ Integration‘ umfasste die Verlegung von Zellstoff- und Kondensatleitungen von Östrand nach Wifsta über eine drei Kilometer lange Strecke auf dem Meeresgrund vor Sundsvall. Durch die 1989 in Betrieb genommene Leitung sparte man Wärmeenergie, die rund 20.000 cl3 Erdöl gleichkam.58 Ab 1975 war die Sulfatfabrik in Obbola bei Umeå für die Kraftlinerproduktion umgebaut und stärker in den Konzern eingebunden worden, indem SCA bis 1985 in der zuständigen Tochtergesellschaft Obbola Linerboard AB den Besitzanteil auf insgesamt 75 v.  H. zu Lasten des Miteigentümers St. Regis steigerte. Da die Kraftlinerkapazität angesichts der dominanten Position SCAs ohnehin keines großen Ausbaus bedurfte, beschränkten sich die Erneuerungsinvestitionen meistens auf eine Größenordnung von weniger 55  SCA färdiginvesterat: Var satsar pengarna? In: Affärsvärlden, Nr. 15 (1984), S. 36–40. 56  Nur 100.000 Tonnen des Sulfatzellstoffs wurden außerhalb des Konzerns veräußert. Vgl. „Färdiginvesterat“: SCA rustat för expansion, in: Veckans Affärer, Nr. 21 (1985), S. 58–61. 57  Östrand ökar kapaciteten och minskar utsläppen, in: Svensk Papperstidning, Nr. 3 (1996), S. 38–39. 1987 erwarb SCA 41 v. H. der Aktien in der Wifstavarf AB von PWA, so dass man insgesamt in der Feinpapierfabrik Wifstavarf AB 91 v. H. hielt. Vgl. SCA Geschäftsbericht 1987. 58  SCA binder ihop Östrand med Wifstavarf, in: Nordisk Cellulosa, Nr. 10 (1988), S. 8–13.



2. Der Unternehmenspfad in den ‚kurzen‘ achtziger Jahren195

als 100 Mio. SKr wie dem Ersatz der Nasspartie in Obbola 1998 oder einer Bleichanlage für Laubholzzellstoff 1995 in Munksund bei Piteå. Ganz andere Investitionsvolumina waren im Zusammenhang mit dem Ausbau der Zeitungspapierproduktion in Ortviken an der Tagesordnung. Zeitungspapier war eine veritable cash cow des Konzerns, da die Zeitungspapierpreise bis 1972 / 1973 stagniert hatten, aber seit der Ölkrise konnte SCA die Preise um 10, dann 20 und später sogar um 50 v. H. erhöhen. Da immer mehr Tageszeitungen gegründet wurden, schwächte sich die Nachfrage nicht ab. Mit diesen Übergewinnen konnten die anstehenden Investitionen getätigt werden, da parallel der Zellstoffpreis absackte. Ortviken bot dank eines dort zur Anwendung gelangenden einzigartigen Bogenformkonzeptes beste Voraussetzungen für ein hochqualitatives Zeitungspapier mit einem geringen Flächengewicht.59 Die Fabrik konnte in Spitzenzeiten 600.000 Tonnen Zeitungspapier herstellen, in schlechteren Zeiten wurde eine Kapazität von 300.000 Tonnen nicht unterschritten. Die in den Ortviken getätigten Investitionen hingen jedoch von der Modernisierung der Östrand-Fabrik und der dortigen Zellstoffqualitäten im Rahmen des Ö80-Projektes ab.60 1981 hatte die Konzernleitung beschlossen, die Kapazitäten für Zeitungspapier von 370.000 auf 540.000 jährlich auszubauen.61 In Ortviken hatte man bereits 1973 eine TMP-Anlage in Betrieb genommen, während gleichzeitig die alte Sulfitfabrik und die Holzschliffzellstofftechnik bis 1984 abgewickelt wurden, so dass der Standort zu einem der größten Lieferanten von TMP für Zeitungspapier avancierte.62 Ein Jahr später wurde in Ortviken nach 1958 und 1967 die dritte Zeitungspapiermaschine mit einer Kapazität von 210.000 Tonnen in Betrieb genommen, die 1,2 Mrd. SKr kosten sollte und anstelle von Holzschliffzellstoff mit RMP arbeitete.63 Als erste Fabrik weltweit konnte Ortviken auch die im Herstellungsprozess entstehende Abwärme extern an die Kommune weiterverkaufen.

59  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007.  Zeitungspapier wurde in Ortviken und in der zu Beginn der neunziger

Jahre geschlossenen kleineren Anlage in Matfors hergestellt. 60  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 61  SCA bygger ut i Ortviken, in: Dagens Industri, 1. September 1981. 62  Die Herstellung von TMP erforderte weniger Holznutzrohstoffe und Öl als chemischer Zellstoff. 63  Holzzellstoff als älteste Zellstoffvariante wird auf mechanische Weise hergestellt, indem durch starkes Pressen der Holzstämme auf einem rotierenden Schleifstein Holzfasern entstehen. Da keine Siebung oder chemische Behandlung stattfindet, hat Holzzellstoff nicht nur einen geringeren Festigkeitswert, sondern enthält auch Bestandteile, die einen Vergilbungsprozess beschleunigen, was ihn für eine höherwertige Papierproduktion nur in Maßen verwendungsfähig macht.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

3. Vom Primat der Koordination zum Primat der Konkurrenz? Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft im Wandel a) Die verbandsgeleitete Branchenkooperation in der schwedischen Forstwirtschaft Die Geschichte des Branchensystems in der schwedischen Forstwirtschaft reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück und wird in der historischen Rückschau vorrangig im Zusammenhang mit der eingangs geschilderten Auseinandersetzung um Ressourcen betrachtet, die nicht nur in Schweden, sondern in der gesamten Forstwirtschaft weltweit bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zu den Begleitumständen aller unternehmerischen Aktivitäten gehörte. Der Aufgabe, damit verbundene Konflikte so weit wie möglich durch institutionelle Arrangements zu unterbinden, widmete sich eine Vielzahl von Zusammenschlüssen und Branchenvereinigungen, die in der Regel auf eine lange Tradition zurückblicken konnten. Schon mit dem 1890 ins Leben gerufenen Svenska Trämassaföreningen (STF) und den nur ein Jahr später gegründeten Organisationen Svenska Cellulosa Förening (SCF) und Svenska Pappersbruk Förening (SPF) wurde der Anspruch demonstriert, eigene Belange über den Weg der Verbandskoordination durchzusetzen. Dieses Bestreben galt dabei vorrangig der Marktaufteilung und Preisabsprachen: War der 1908 gegründete Svenska Pappers- och Cellulosaingeniörsföreningen (SPCI) als Einrichtung zur Verbesserung technischer Standards und zur Fortentwicklung der Industrie gedacht, fungierten diese Vereinigungen als reine Kartellverbünde. Ihre Hochzeit hatte die Praxis strategischer Koordination innerhalb der schwedischen Forstwirtschaft wohl mit dem 1933 gegründeten Skogsindustriernas samarbetsutskott und in fünf Sektionen gegliederten Preiskartellen erlebt. Mit dem 1943 ins Leben gerufenen allskandinavischen Samarbetsrådet för Nordens Skogsindustrier war es sogar gelungen, über die Landesgrenzen hinaus Absprachen mit den finnischen Konkurrenten auszuhandeln.64

64  Auch auf der europäischen Ebene bildeten skandinavische Hersteller die Speerspitze in Kartellverbünden mit globaler Reichweite wie dem 1932 gegründeten Scankraft für Kraftpapier oder dem bereits 1928 gebildeten TICON-Zeitungspapierkartell. Während des Korea-Krieges sollten es wiederum schwedische Hersteller sein, die zusammen mit finnischen Forstwirtschaftsunternehmen die Initiative ergriffen, um dem weltweiten Preisverfall gemeinsam entgegen zuwirken. Vgl. dazu ­Lilja / Moen, Coordinating Transnational Competition, S. 146; zur Geschichte der Branchenvereinigungen Melander, A., Industry-wide Belief Structures and Strategic Behaviour: The Swedish Pulp and Paper Industry 1945–1980, in: Scandinavian Economic History Review, Vol. 53, Nr. 1 (2005), S. 109 ff.



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft197

Diese intensiv betriebene Zusammenarbeit zwischen Forstwirtschaftsunternehmen war nicht nur die Reflexion einer schwedischen Kultur der Zusammenarbeit, sondern handfest motiviert durch die Frage des Rohstoffzugangs und der Sorge, dass ein unkontrollierter Wettbewerb in einem Preiskollaps enden würde. Wurden marktwidrige Preisabsprachen vornehmlich im Rahmen internationaler Abmachungen verhandelt, so dienten die schwedischen Branchenvereinigungen als Plattform, mittels Vereinbarungen die eigenen Produktionskapazitäten aufeinander abzustimmen. Die immer wieder aufkeimenden Befürchtungen über eine empfindliche Verknappung der Nutzholzbestände leisteten den Initiativen zur Zusammenarbeit Vorschub. Besonders zwischen 1945 und 1958 sowie 1970 und 1979 wurden die Diskussionen von der tief gehenden Sorge bestimmt, dass eine bevorstehende Nutzholzknappheit die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Industrie nachhaltig beeinträchtigen könnte.65 Bereits 1945 hatte der SCF deswegen ein Komitee ins Leben gerufen, dass die Zellstoffproduktionskapazitäten ermitteln und zuteilen sollte.66 1974 schlossen mehrere Zellstoffnutzer ein freiwilliges Abkommen, welches die Holznutzung restringierte und das bis in die achtziger Jahre hinein mehrmals verlängert werden sollte. Auch auf der Ebene des Holzzukaufs wurden marktliche Beziehungen dem Primat der korporativen Aushandlung unterworfen. 1947 hatten 18 Forstwirtschaftsunternehmen, darunter auch SCA, ein gemeinsames Einkaufskartell namens Nordsveriges virkesköpare ins Leben gerufen, um ihre Rohstoffversorgung sicherzustellen. Gelegentlich kauften sich die Forstwirtschaftsunternehmen im Falle von Unterkapazitäten auch untereinander Nutzholz ab.67 Dass solche Bemühungen über ein konzertiertes Vorgehen in Fragen der Rohstoffakquisition hinausreichten, zeigen die regelmäßig wiederkehrenden Berichte über Preisabsprachen, von denen schwedische Hersteller auch nach der schrittweisen Durchsetzung liberaler Wettbewerbsprinzipien auf den globalen Zellstoff- und Papiermärkten in der Nachkriegszeit unverändert Ge65  Melander,

Industry-Wide Belief, Tabelle 2, S. 110. zog sich SCA 1953 aus einer durch den SCF konzertierten Absprache über Begrenzungen der Produktionsvolumina zurück. Vgl. Melander, Industrial Wisdom, S.  112 f. 67  Dabei handelte es sich allerdings selten um beträchtliche Überkapazitäten. sondern um kleinere Mengen, deren An- oder Verkauf meistens auf informellem kurzem Wege ausgehandelt wurde: „Ja, beispielsweise von Modo, da kauft man, allerdings gibt es keine langfristigen Lieferverträge, sondern man kauft direkt nach Bedarf, am Telefon … die Verantwortlichen für die Wälder kennen sich ja alle … das ist aber ein kleiner Wert.“ Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. Zusätzlich hatten 1976 die elf führenden schwedischen Holz- und Zellstoffunternehmen ein gemeinsames Einkaufsunternehmen gegründet, das Zellstoffholzquantitäten in den USA einkaufte und nach Schweden verschiffte. Vgl. Melander, Industry-Wide Belief, S. 114. 66  So

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

brauch machten. In einigen Bereichen wie dem Zeitungspapiermarkt hatte die damit verbundene strategische Koordination auch eine offizielle organisatorische Entsprechung gefunden. Zusammen mit anderen Herstellern, darunter auch die anderen großen schwedischen Produzenten Stora und Holmen, bildete SCA die Verkaufsgesellschaft Tidningsbruken, in der einheit­ liche Preise und gelegentlich auch einheitliche Produktvorgaben wie das Flächengewicht abgesprochen wurden.68 Trotz der vermeintlichen Vorteilhaftigkeit solcher Marktgemeinschaften war die Hochphase der verhandelten Rohstoffnutzung und der Ausschaltung marktgesteuerter Preismechanismen in den achtziger Jahren aus zwei Gründen bereits zum Erliegen gekommen. Erstens hatte sich die Lage auf den Nutzholzmärkten in den achtziger Jahren nicht zuletzt durch die Einführung von Recyclingmethoden erheblich entspannt. Zweitens gerieten die Versuche, sich auch im Verkauf untereinander abzustimmen, zunehmend in Konflikt mit strengeren Wettbewerbsregeln. Vor allem in der EG, wo der Rückhalt der freizügigen schwedischen ordnungspolitischen Bestimmungen fehlte, fielen die skandinavischen Forstwirtschaftsunternehmen mit solchen Methoden unangenehm auf: Unter den zwanzig schwedischen Unternehmen, die zwischen 1981 und 1999 die meisten Bußgelder wegen Preisabsprachen entrichten mussten, befanden sich alleine dreizehn Forstwirtschaftsunternehmen.69 Da Westeuropa für nahezu alle schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen den wichtigsten Absatzmarkt darstellte, musste diese sich nolens volens den Auflagen der Brüsseler Wettbewerbshüter beugen, die ihrerseits auch nicht zögerten, von ihren Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die auch SCA in wiederkehrender Regelmäßigkeit zu spüren bekommen sollte.70 Es waren aber nicht nur supranationale Regelsetzungen, son68  Interview

mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. dazu die Angaben bei Van der Woude, M. / Jones, C. / Lewis, X., EC Competition Handbook, London 1998. 70  1981 wollte die EG ein Zellstoffpreiskartell zwischen 12 schwedischen Produzenten darunter auch SCA ausgemacht haben und leitete ein Verfahren mit möglichen Strafgeldern in Höhe von 400 Mio. SKr ein, was immerhin bis zu 10 v. H. des Zellstoffjahresumsatzes dieser Unternehmen entsprach. 1986 musste dann die ASSILeitung zugeben, angesichts des durch die Exporte südamerikanischer Lieferanten verursachten Preisverfalls mit SCA Absprachen bezüglich Kraftliner getroffen zu haben. 1992 wurden Stora, Modo, SCA und Fiskeby Board verdächtigt, wiederum Kraftlinerpreise untereinander abgesprochen zu haben. 1998 wurde SCA neben anderen schwedischer Forstwirtschaftsunternehmen wie Stora, Modo und Fiskeby aufgrund des Versuches einer Kartellbildung zu einer Zahlung von 18,7 Mio. SKr verurteilt. Vgl. zu den einzelnen Vorkommnissen EG anklagar massaexportörer, in: Dagens Industri, 24. September 1981; EG: Assi och SCA prisdumpar, in: Dagens Industri, 29. August 1986; Assi godtar EGs nya papperspris, in: Dagens Industri, 15. April 1987; Svenskar misstänks för kartell, in: Svenska Dagbladet, 31. Dezember 1992; Fyra svenska skogsbolag får böta, in: Dagens Nyheter, 15. Mai 1999. 69  Vgl.



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft199

dern auch die Verschärfung staatlicher Bestimmungen in Schweden, die den fortdauernden Koordinationsbemühungen ein Ende bereiteten. Nach der Einführung des neuen Kartellgesetzes 1993, das mehr oder minder ein Vorgriff auf die EU-Wettbewerbsregeln nach dem angestrebten Beitritt Schwedens darstellte, beschlossen SCA, MoDo und ASSI, das Einkaufskartell Nordsveriges virkesköpare aufzulösen. Fortan verhandelte das Sundsvaller Unternehmen wie die anderen direkt mit den Waldbesitzervereinigungen.71 Bereits mit dem EU-Beitritt wurden alle offiziellen Kartellvereinigungen wie Tidningsbruken aufgelöst, auch wenn nach Angaben von SCA-Vertretern selbst die Kunden dessen Existenz als positiv empfanden und sich für den Fortbestand stark machten.72 Das Panorama der organisatorischen Substruktur des Branchensystems der schwedischen Forstwirtschaft würde allerdings mit der Reduzierung auf die Kartellverbindungen nur unzureichend beschrieben. Wirtschaftsvereinigungen wie der Skogsindustriförbundet und die Nachfolgeorganisation Skogsindustrierna sowie der Svenska Skogsindustrins Förening (SSIF) dienten primär der Durchsetzung branchenspezifischer Interessen im politischen Raum wie den für die Forstwirtschaft besonders relevanten Energie- und Umweltfragen und fungierten als Verhandlungsorgane in Tarifverhandlungen. Daneben verfügte der Industriezweig ähnlich wie die schwedische Stahlindustrie über ein gut ausgebautes organisatorisches Netzwerk für technologische Zusammenarbeit, das durch halböffentliche und öffentliche Forschungseinrichtungen flankiert wurde. Gemeinsame Innovationsanstrengungen wurden durch das 1942 gegründete und anteilig durch die Regierung und Forstwirtschaft finanzierte Skogstekniska Forskningsinstitutet (STFI) angeleitet, das als Plattform für den Wissenstransfer und -austausch zwischen Hochschulen und Unternehmen diente. So hatte der STFI maßgeblich dazu beigetragen, dass an Hochschulen wie der KTH spezielle Forschungseinrichtungen und Professuren eingerichtet wurden, um der zunehmenden technologischen Komplexität der Papier- und Zellstoffherstellung Rechnung zu tragen.73 Auf STFI-Konferenzen und Seminaren wurden mit Hilfe einbe71  Skogsindustrier skrotar virkeskartell i Norrland, in: Dagens Industri, 15. Oktober 1993; Skogsbolag slopar virkeskartell, in: Dagens Nyheter, 16. Oktober 1993. 72  Formelle Absprachen waren in der Zeitungspapiersparte auch nicht unbedingt erforderlich: „Man bewegt sich nicht in deren Markt, dann dringen sie auch nicht in unsere Märkte ein, das ist ein gewisser Respekt für denjenigen, der schon in einem gewissen Bereich etabliert ist. Es gibt keine direkten Preisabsprachen, da erst der größere Hersteller hinausgeht und ankündigt, die Preise zu erhöhen. Was macht der kleinere Hersteller da? Er erhöht die Preise auch.“ Vgl. Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 73  Der STFI wirkte auch an der Skogsindustriella Forskarskola mit, die als virtuelle Schule für Forstwirtschaftsstudierende von der TH Luleå, der TH Chalmers in Göteborg, der KTH in Stockholm und der Universität Umeå betrieben wurde und an

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

zogener Hochschuleinrichtungen Themen wie die Kultivierung schneller wachsender Fichtensorten, verbesserte Durchforstung, Zellstofftechnologien, Beschichtungsprobleme, Holzfaserbehandlung bis hin zu maschinellen Steuerungs- und Diagnosesystemen erörtert. Selbst die Modernisierung der Maschinerie wurde teilweise in Zusammenarbeit mit STFI und NUTEK betrieben, die dazu spezifische Projekte mit einzelnen Unternehmen durchführten.74 SCA war als Teileigner bei dem STFI genauso vertreten wie bei Packforsk, das eine vergleichbare Funktion für Verpackungs- und Wellpappehersteller wahrnahm und später in den STFI eingegliedert wurde.75 Dementsprechend hatten überdies die Zeitungspapierhersteller bis zur Auflösung der Dachorganisation Tidningsbruken das Tidningsbrukens Forskningslaboratorium betrieben, in dem ein regelmäßiger Austausch über Entwicklungsprojekte und technische Fragestellungen erfolgte.76 Die Kooperationsbereitschaft mit diesen Brancheninstituten, zu denen noch das allerdings mehr auf die Grundlagenforschung ausgerichtete Träforskningsinstitutet gerechnet werden muss, nahm jedoch in dem Ausmaß ab, in dem das für die Beziehungen mit Kunden relevante Know-how der Unternehmen tangiert wurde.77 Dass auch die enge Abstimmung auf diesem Feld durch kompetitive Verhältnisse abgelöst wurde, ging nicht zuletzt auf die Initiative von SCA selbst zurück. Bereits 1987 hatte der SCA-VD Sverker Martin-Löf die vollständige Auflösung des STFI in den Raum gestellt und vorgeschlagen, mittels einer Aufteilung in regierungsfinanzierte Basisforschung und anwendungsorientierte Kooperationsprojekte zwischen den Unternehmen anstehende Prozessrationalisierungen effizienter durchführen zu können.78 Ganz im die auch das Institut für Oberflächenchemie (Ytkemiska Institutet, YKI) und das Institut für optische Forschung (Institut för optisk forskning, IOF) angeschlossen waren. Auch für die Industrieforschungsstudenten wurden Mittel aus Forschungsfonds bereitgestellt, um in ausbildungsbezogenen Projekten eine möglichst dichte Verknüpfung zwischen Grund- und Anwendungsforschung zu bewerkstelligen. Zur ausreichenden Berücksichtigung der Interessen der Forstwirtschaft wurden die anleitenden Steuerungsgruppen jeweils mit Personal aus Hochschuleinrichtungen und Industrie besetzt. Vgl. Skolan styr forskare mot skogsindustrin, in: Svensk Papperstidning, Nr. 5 (1998), S. 65. 74  Datorstöd minskade förbrukningen av maskinbeklädnad i Obbola, in: Svensk Papperstidning, Nr. 9 (1997), S. 22–24. 75  In Abstimmung mit dem Emballageforskningsinstitutet führte Packforsk gemeinsame Projekte betreffend Kompressionsvermögen und Verpackungseigenschaften teils unter Einbeziehung firmenspezifischer Erkenntnisse durch. Vgl. Interview mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 76  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007; Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007. 77  Interview mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 78  Löf, Sverker Martin: SKrota STFI, in: Svensk Papperstidning, Nr. 3 (1987), S.  6 ff.



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft201

Sinne des Nachfolgers Bo Rydins hatte die Einrichtung ab 1989 ihren Fokus vollständig auf die Basisforschung ausgerichtet. Obwohl Löf sich lobend über die Reformmaßnahmen äußerte, gab SCA 1999 seine Mitgliedschaft im STFI vollständig auf, nachdem zuvor die Sparte SCA Packaging die Teil­ eigentümerschaft bei Packforsk ebenfalls aufgekündigt hatte.79 Die Gründe für diesen Schritt sind sicherlich im gesamten Entwicklungspfad SCAs angelegt. Erstens reichten die Bedürfnisse in den Schwerpunktbereichen über die bei STFI vorrangig betriebene Anwendungsforschung hinaus. Für die Hygieneaktivitäten, die bei SCA ein immer größeres Gewicht erhielten, fehlte jegliche Anbindung, da der STFI sich rein forstwirtschaftlichen Belangen widmete. Angesichts des beschränkten Nutzens war die Mitgliedschaft bei Packforsk und STFI für das Sundsvaller Unternehmen zunehmend uninteressant.80 Ähnlich wie im Falle Sandviks bot sich die Möglichkeit an, anstelle des Umwegs über die Branchenvereinigungen die direkte Zusammenarbeit mit den Universitäten zu suchen und für das Unternehmen relevante Forschungs- und Innovationsbereiche mittels der Finanzierung von Stellen und Einrichtungen zu fördern. Das galt beispielsweise für den Verpackungsbereich: Gab es in Schweden rund acht bis zehn Professuren für Forstwirtschaft an Universitäten und technischen Hochschulen, so war von diesen keine einzige dezidiert auf Aspekte der Verpackungstechnologie ausgerichtet. Dank der unternehmenseigenen Stiftung Bo Rydins stiftelse wurde dann in Lund eine Professur für Verpackungslogistik eingerichtet.81 Die gleiche Stiftung, die mit einem Grundkapital von 42 Mio. SKr ausgestattet worden war, hatte schon während der achtziger Jahre einen zusätzlichen Lehrstuhl an der Universität von Umeå für Zell- und Molekularbiologie finanziert, der dezidiert auf forstwirtschaftliche Erkenntnisse zugeschnitten war.82 Auch im Ausland konnten durch einen Austausch mit Universitäten wissenschaftliche Erkenntnisse für Produktinnovationen nutzbar gemacht werden. Im Falle der für die Verpackungssparte wichtigen Feuchtigkeitsbarrieren wurde die Zusammenarbeit mit der Universität von Florida gesucht, 79  Allerdings setzte der Sundsvaller Konzern in bestimmten Teilprojekten die Zusammenarbeit fort. Vgl. Interview mit Sverker Martin-Löf in: MoDo blir inget dotterbolag till SCA! In: Svensk Papperstidning  /  Nordisk cellulosa, Nr. 1 (1991), S. 20–24; Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007. 80  Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 81  Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 82  SCA Geschäftsbericht 1986, S. 28. Enge Beziehungen pflegte SCA auch zu der 1993 gegründeten Mitthögskolan in Sundsvall. Da dieser norrländische Universitätsverbund wichtige forstwissenschaftliche Forschungseinheiten unterhielt, platzierte SCA die eigenen Forschungslaboratorien in räumlicher Nähe zu dieser Einrichtung. Vgl. dazu Konsolideringen ha påverkat forskningen, in: Svensk Papperstidning, Nr. 11 (2000), S. 8–9; SCA står kvar på sina tre ben, in: Svensk Papperstidning, Nr. 9 (2000), S. 9.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

die gegen Ende der achtziger Jahre ein später in der gesamten Branche viel genutztes Berechnungsmodell für Haltbarkeit und das Aussehen von Beschichtungen entwarf. Auch mit der Universität von Cambridge wurde bei instant print-Methoden zusammengearbeitet, was allerdings von nur wenig Erfolg begleitet sein sollte.83 b) Produktstrategien und das Entstehen der ‚Big Three‘: SCA, MoDo und Stora Es erscheint zwar plausibel, dass infolge eines wachsenden staatlichen Regulierungsbedarfes und einer aus Sicht von SCA mangelhaften Ausrichtung in den innovationsbezogenen Transfereinrichtungen die Neigung zur Branchenkooperation allmählich abnahm. Ähnlich wie im Falle Sandviks korrespondierte die nachlassende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einer produktbezogenen Ausdifferenzierung der schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen, die SCA infolge seiner Wachstumsanstrengungen in der Hygiene- und Verpackungssparte zunehmend an den Rand dieses Wirtschaftszweiges stellte. Im Unterschied zur Stahlindustrie lassen sich die schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen nicht nur hinsichtlich ihrer Produkte, sondern auch ihrer Strategien in vier Kategorien einteilen (Tabelle 6). Die Nischenstrategie wurde nur von einigen kleineren Herstellern wie Rottneros praktiziert, das bis zu 47 verschiedene Zellstoffqualitäten meistens in kleinen Serien herstellte, die anschließend zu Produkten wie Viskoseunterwäsche, Dämmplatten, Haushaltstissue, fettdichtem Butterbrot- oder Wachspapier weiterverarbeitet wurden.84 Ähnlich wie im Falle Sandviks waren in dieser Gruppe enge Kundenbindung, die Preisführerschaft in der Nische und der hohe Diversifikationsgrad die ausschlaggebenden Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg. Ein weiteres Charakteristikum dieser Unternehmen war ihre bescheidene Größe hinsichtlich Umsatz und Beschäftigung, die offensive Erwerbungsschritte im Ausland aufgrund unzureichender finanzieller Möglichkeiten erschwerte. Die Strategie der Massenproduktion beschränkte sich ebenfalls auf wenige Unternehmen wie Rottneros, die versuchten, ganz den Vorteil des einheimischen Nutzholzangebotes auszuspielen, indem fast ausschließlich Handelszellstoff produziert wurde. FuEAnstrengungen waren völlig auf die Ertragssteigerung ausgerichtet. Durch den konsequenten Verzicht auf eine Vorwärtsintegration konnten Skalen­ 83  Interview

mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. Unternehmen waren die Nutznießer der in Schweden entwickelten Kenntnisse um chemische Zellstoffbehandlungsprozesse, die später auch zu komparativen Vorteilen hinsichtlich neuer Zellstoffqualitäten wie TMP und CTMP führen sollten. Vgl. Porter / Sölvell / Zander, Advantage Sweden, S. 79. 84  Solche



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft203 Tabelle 6 Wachstumsstrategien der schwedischen Zellstoffindustrie

Strategie

Wachstumsmodus

Probleme

Unternehmen

Nischen­ strategie

Ausdifferenzierung

Geringe Größe

Klippan, Munkedal

Preisführerschaft

Fehlende Ressourcen

Enge Kundenbindung Preissensitive Massen­ produktion

Fehlende Integration

Spezialisierte Integrationsstrategie

Economies of scope

Umfassende Integrationsstrategie

Economies of scale and Hoher finanzieller Stora, MoDo, SCA Aufwand scope

Monostruktur des Umsatzes

Konjunktur­ anfälligkeit

Rottneros, Södra Skogsägarna

Attraktivität als Aufkaufsobjekt

Iggesund, Holmen, Assi Domän, Billerud

Relational hohe FuE-Kosten

erträge dann erwirtschaftet werden, falls Zellstoff im großen Umfang auf den Weltmärkten abgesetzt werden konnte. In der Produktion realisierte Kostensenkungen erlaubten es, die Gewinnmargen auch bei konstanten Produktionsvolumen und stabilem Qualitätsniveau aufrecht zuerhalten. Diese Unternehmen waren allerdings äußerst anfällig für Konjunkturschwankungen und das perennierende Preisdumping durch die Nordamerikaner. Zudem sah man sich mit dem Aufkommen des Recyclingpapiers einer ernsthaften Bedrohung der eigenen Wettbewerbsposition ausgesetzt. Economies of scope – verbunden mit einer begrenzten Nutzung von Skalenerträgen – wurden im Rahmen der begrenzten Integrationsstrategie erprobt: Diese Unternehmen spezialisierten sich in der Regel auf eine Produktlinie, praktizierten aber in deren Rahmen eine limitierte Ausdifferenzierung. So stellte Holmen Zeitungspapier, kalandriertes Papier und beschichtetes Papier her, Assi-Domän Getränkekartons und Verpackung für Lebensmittel sowie Iggesund gebleichten Karton, Faltkarton, und Kartons mit Barrierefunktionen. Gemeinsam war vielen Unternehmen dieser Kategorie das Fehlen von eigenen Nutzholzwäldern. Ihre bescheidene Größe machte sie allerdings auch zu Aufkaufsobjekten für die Unternehmen der nächsten Gruppe. Die erweiterte Integrationsstrategie blieb den großen international tätigen Unternehmen in Gestalt von SCA, Mo och Domsjö AB (Modo) und Stora vorbehalten und vereinigte die Vorteile der Massenproduktion mit einer

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

begrenzten Ausdifferenzierung des Produktangebots. Die Expansion in neue Produktsegmente, begleitet von einer vertikalen Integration, wie sie SCA seit 1950 umgesetzt hatte, wurde auch von STORA und MoDo angestrebt. Alle verfügten über eigene Nutzholzwälder, die für Zellstoffqualitäten oder Handelszellstoff genutzt und für eine eigene Pappe- oder Papierproduktion eingesetzt werden konnte. Neutralisierte diese Strategie konjunkturelle Schwankungen durch eine Vielfalt an Produktlinien, so forderte sie auch eine kritische Masse hinsichtlich der Unternehmensgröße, um die Erweiterung des Produktsortiments mittels Akquisitionen oder greenfield investments realisieren zu können. Was diese Gruppe zudem auszeichnete, war eine Vielfalt von Produkten und eine Verschmelzung von Strategievarianten wie Massenproduktion und Differenzierungsstrategie, Kosteneffektivität und Preisführerschaft.85 Der in der Nachkriegszeit einsetzende Strukturwandel hatte einen Konzentrationsprozess befördert, an dessen Ende sich MoDo, SCA und STORA als die entscheidenden Akteure in der schwedischen Papier- und Zellstoffindustrie herauskristallisierten. 1990 waren 20 schwedische Unternehmen in der Zellstoff-, Karton- und Papierherstellung aktiv, aber diese drei trugen alleine mit 75 v. H. zum kumulierten Umsatz der gesamten Branche bei.86 Dass die Big Three eine so dominante Stellung in Schweden errangen, lässt sich auch auf einen umfassenden Marktbereinigungsprozess zurückführen, den vorrangig MoDo und STORA durch eine Reihe von Akquisitionen maßgeblich forciert hatten. Alleine die Anzahl von Übernahmen in Schweden – darunter Uddeholm (1978), Billerud (1984), Nymölla (1985), Holmen (1988), Papyrus (1986) und Iggesund (1988) – zeigt das Bestreben beider Unternehmen, die Führungsrolle in der jeweiligen Produktarena zu erlangen oder noch weiter auszubauen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Akquisitionen ergaben sich Überschneidungen zwischen SCA, MoDo und Stora, da SCA Feinpapier, Verpackungsprodukte, Hygieneprodukte und Wellpappe im Sortiment hatte, Stora Feinpapier und Zeitungspapier herstellte und MoDo Feinpapier, Hygieneprodukte, Zeitungsprodukte und Karton produzierte. c) Aus drei mach zwei? Die fehlgeschlagene Zusammenarbeit mit MoDo Obwohl hinsichtlich des Produktspektrums Stora und MoDo eine nahezu identische Ausrichtung aufwiesen, machten immer wieder Gerüchte über eine Zusammenarbeit zwischen den beiden norrländischen Unternehmen MoDo und SCA die Runde. Das Unternehmen aus Örnsköldsvik hatte sich 85  Vgl.

zu den einzelnen Strategien Kald, M., Strategic Positioning. Natural Resources, S. 24.

86  Blomström / Kokko,



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft205

nach dem zweiten Weltkrieg hauptsächlich als Handelszellstoffproduzent betätigt und ab 1964 erfolgreich eine Feinpapierproduktion aufgebaut, als dieser Papiertypus in Schweden im Gegensatz zum weniger veredelungsintensiven Zeitungspapier noch kaum verbreitet war. Ende der siebziger Jahre konkretisierte strategische Planungen hatten das ehrgeizige Ziel der Verbreiterung des Produktsortiments zur Formierung eines SCA und Stora ebenbürtigen Konzerns ins Auge gefasst, was mit Hilfe angestrebter Erwerbungen realisiert werden sollte. 1983 glückte es MoDo, die Beteiligungsquote bei dem Kartonhersteller Iggesund nach einem Machtkampf mit Stora auf 55 v. H. zu steigern und 1988 den Zeitungs- und Druckpapierhersteller Holmen als Tochtergesellschaft einzugliedern.87 Mit den vier Geschäftsbereichen Feinpapier, Hygieneprodukte und Wellpappe sowie der Handelszellstoffproduktion von 700.000 Tonnen konnte der VD Bernt Löf Anfang der neunziger Jahre behaupten, mit einem Jahresumsatz von rund 22 Mrd. SKr und 17.000 Beschäftigten neben SCA und Stora das dritte große schwedische Vorzeigeunternehmen zu leiten. Obwohl auch SCA einen dreimal höheren Umsatz und eine durchschnittlich höhere Anlagenrendite erzielte, gab es in dem Transformationsmuster beider Unternehmen eine Reihe von Ähnlichkeiten. Beide hatten zunächst die Höherveredelung der Halberzeugnisse in Gestalt der Zellstoffqualitäten in den Mittelpunkt ihrer Modernisierungsbemühungen gestellt und darauf aufbauend Investitionen für Fertigerzeugnisse getätigt.88 Beide waren Mitglied im Einkaufskartell Nordsveriges virkesköpare; die Wälder der beiden Unternehmen lagen nahe beieinander und Feinpapier bot ein geeignetes Zusammenarbeitsfeld, da MoDo sich im Gegensatz zu SCA den Status eines profilierten großen Feinpapierherstellers erworben hatte. Im Bereich des Druckpapiers hätte der Konzern in Sundsvall von Größenvorteilen infolge einer Kooperation mit der MoDo-Tochtergesellschaft Holmen profitieren können, die sich auf Standardzeitungspapier spezialisiert hatte. Bei der für die Zellstoffverarbeitung erforderlichen Herstellung chemischer Zusatzstoffe waren Synergieeffekte sogar bereits vorhanden, da die Natriumklorat herstellende DoKem sowie die Chlor und Alkalium herstellende Domsjö Klor gemeinsam von SCA und MoDo besessen wurden.89 87  Weitere Akquisitionen im Ausland wie die britische Thames Board (1988) und Alicel / Alipap (1991) in Frankreich folgten, während die Weichpapiersparte 1989 aufgrund der als zu gering eingeschätzten Größe veräußert wurde. Vgl. zur Entwicklung bei Modo während der achtziger Jahre Andersson, T., Strukturförändringar och utvecklingsstrategier inom svensk skogsindustri – Tre exempel: MoDo, SCA och STORA, (Sveriges Lantbruksuniversitet, Institutionen för Skog-Industri-Marknad Studier, Rapport Nr. 31), Uppsala 1993. 88  Melander, Strategic Changes. 89  Vgl. Kampen om MoDo, in: Affärsvärlden, Nr. 16 (1992), S. 31–37.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Dass sich SCA die Chance bot, über eine Beteiligung bei MoDo eine Zusammenarbeit anzubahnen, hatte mit den Schwierigkeiten zu tun, die infolge der Überstrapazierung finanzieller Mittel bei MoDo aufgetreten waren. Indirekt hatte das offensive Erwerbsgebahren des Konzerns die an sich stabile Eigentümerkoalition erodieren lassen. 1988 hatte Modo, das in seiner Unternehmensordnung eine Stimmrechtsbegrenzung von 25 v. H. und neben A- und B- sogar noch C-Aktien vorschrieb, noch überschaubare Mehrheitsverhältnisse. Die Kempe-Sphäre, als eine Verbindung zwischen dem langjährigen VD und späteren OD Matts Carlgren und der Familie Kempe-Carlgren konnte teils durch Privatbesitz, teils durch vier Familienstiftungen 40,6 v. H. der Stimmrechte einsetzen. Für den Kauf des Kartonunternehmens Iggesund hatte Matts Carlgren Iggesund-Aktien für 370 Mio. SKr auf privater Basis erworben. Dem MoDo-OD waren jedoch aufgrund seiner Schwierigkeiten bei der Begleichung der Zinszahlungen von den in den Strudel der Bankenkrise geratenen Finanziers die Kreditlinien gekündigt worden.90 Da Carlgren nicht mehr seine entstandenen Verbindlichkeiten bedienen konnte, begann das Interesse SCAs Formen anzunehmen, die über eine formlose Kooperation hinausgingen. Bereits im Sommer 1990 hatte MoDo auf SCAs Initiative Gespräche über eine Zusammenarbeit bei Druckpapier eingeleitet, die jedoch zunächst angesichts wachsender Unsicherheit hinsichtlich der Eigentümersituation bei MoDo nicht weit gediehen. Durch den Kauf der MoDo-Aktien Carlgrens sowie des Postens der Sanna Holding AB und der Tidnings AB Marieberg für 1,4 Mrd. SKr im September 1990 wurde SCA mit 34 v. H. der A-Aktien der stärkste Eigentümer bei MoDo. Da der Sundsvaller Konzern mit den Kempestiftungen zusammenwirkte, konnten man 50 v.  H. der A-Aktien und 26 v.  H. der B-Aktien einsetzen.91 Dass der Konzern aus Sundsvall zum Zuge kam, gründete sich jedoch weniger auf ein abgesprochenes Zusammengehen. Carlgren hatte mit seinem Verkauf SCA den Vorzug vor Fredrik Lundberg gegeben.92 90  Die MoDo-Hausbank Svenska Handelsbanken hatte seine Bitte um einen Kredit abschlägig beschieden, so dass Nordbanken und SE-Banken einsprangen. Vgl. SCA berett lägga bud på hela MoDo, in: Veckans Affärer, 19. Dezember 1990. 91  Auf Initiative der Kempe-Familie wurde zusätzlich ein jeweiliges Vorkaufsrecht für die eigenen Aktienposten vereinbart. Vgl. MoDo blir inget dotterbolag till SCA! In: Svensk Papperstidning / Nordisk cellulosa, Nr. 1 (1991), S. 20–24. 92  Der Immobilienmillionär war mit 25 v. H. einer der beiden Großeigentümer bei MoDo, aber Carlgren hatte in dem Sundsvaller Konzern offensichtlich einen vertrauenswürdigeren Eigentümer gesehen, weil im Falle Lundbergs Unsicherheit darüber vorherrschte, ob er nicht zum Kreis kurzfristig denkender Spekulanten gerechnet werden musste. „Fegt att förklara sig jävig“, in: Svenska Dagbladet, 18. Mai 1992; Bo Rydin, styrelseordförande, SCA: låg dollar största hotet mot skogen, in: Veckans Affärer, 1991, Nr. 3 (1991), S. 40.



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft207

Malten schon etliche Beobachter das Zukunftsszenario eines Stora ebenbürtigen zweiten großen Forstwirtschaftsgiganten aus, zeigten sich etliche Akteure bei MoDo davon selbst wenig begeistert. Als erstes traten die MoDo-Gewerkschaften auf den Plan, die gegen den neuen Haupteigner öffentlich protestierten.93 Schwerer ins Gewicht fiel allerdings wohl das obstinate Verhalten des VDs Bernt Löf, der dem Einstieg SCAs im eigenen Unternehmen entschieden entgegengearbeitet hatte.94 Bo Rydin und Sverker Martin-Löf hatten zwar öffentlich versichert, dass eine Übereinkunft existiere, beide Unternehmen ihre Unabhängigkeit zu lassen und es keine Pläne gebe, MoDo in den eigenen Konzern zu integrieren. Die wiederkehrenden Einlassungen Bernt Löfs, der in der Öffentlichkeit immer wieder die für das eigene Unternehmen angeblich unvorteilhaften Kooperationsvorschläge monierte, deuten jedoch auf alles andere als einen vorhandenen Willen zur Zusammenarbeit, so dass sich der SCA-VD mehrmals deutlich irritiert zeigte.95 Dass der VD MoDos ein derartiges ostentatives Selbstbewusstsein an den Tag legte, dürfte vorrangig dem Umstand geschuldet sein, dass SCA trotz seiner Rolle als stärkster Eigner sich nicht auf eine Unterstützung eigener Pläne bei anderen Investoren verlassen konnte. Entgegen früherer offizieller Verlautbarungen zeigten sich weder Fredrik Lundberg noch Carl Kempe zu einer ménage à trois bereit.96 Die Blockade rührte insbesondere von Uneinigkeiten bei dem Vorgehen im Zeitungspapier- und Grafikpapierbereich. Die SCA-Leitung hatte Synergieeffekte in Höhe von 1 bis 1,5 Mrd. SKr errechnet, falls SCAs Zeitungspapiersparte mit Holmen zusammengehen würde. Die MoDo-Leitung hatte die Kalküle jedoch als unzutreffend abgefertigt und stattdessen vorgezogen, nach einem ausländischen Partner Ausschau zu halten.97 Ein ähnliches Bild der Uneinigkeit zeigte sich dann im Januar 1993, als die Frage eines konzertierten Vorgehens bei der Neustrukturierung der norrländischen Sägewerke gar nicht erst auf die Tagesordnung des MoDo-Vorstandes gelangt war.98 Dass die Neigung zur Zusammenarbeit in Sundsvall immer mehr nachließ, dürfte zusätzlich durch die 93  SCA och MoDo blir lika stort som Stora, in: Dagens Industri, 12. Dezember 1990. 94  Immerhin hatte der MoDo-VD Fredrik Lundberg die vertrauliche Information zukommen lassen, dass Carlgren zum Verkauf seiner Aktien gezwungen sei. Vgl. „Carlgren valde att inte sälja till mig“, in: Dagens Industri, 14. Dezember 1990. 95  Resultatras för MoDo, in: Dagens Nyheter, 17. März 1992; Samarbetet uteblev: SCA besviken på MoDo efter miljardköpet, in Dagens Nyheter, 17. März 1992; Modos Bernt Löf fortsätter omstruktureringen, in: Finanstidningen, 6. Februar 1992; Löf står fast, in: Dagens Industri, 14. Mai 1992. 96  Kempe och Carlgren blockerar MoDo-SCA, in: Dagens Industri, 14. März 1992. 97  Modo: SCA deltar i nyemissionen, 22. September 1993. 98  Modo friar till SCA? In: Finanstidningen, 18. Januar 1993.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

zunehmend angespannte Gewinnsituation MoDos befördert worden sein.99 Obwohl der Verkauf der BÅKAB die finanziellen Spielräume SCAs wieder erweitert hatte, war man in Sundsvall zu der Einsicht gelangt, dass gegen die Obstruktionspolitik keine wie auch immer geartete Interessengemeinschaft aufgebaut werden konnte. Die angespannte Gewinn- und Finanzlage MoDos hatte zwischenzeitlich einer Kooperationsbereitschaft kurzzeitig Auftrieb verliehen, da Fredrik Lundberg versuchte, sich doch noch mit SCA ins Benehmen zu setzen, indem er eine Übernahme MoDos durch ein Konsortium bestehend aus SCA, Lundberg und einem dritten Partner ins Spiel brachte. Auch wenn damit der unliebsame VD ausmanövriert werden konnte, verliefen die Bemühungen in Ermangelung eines potenten dritten Alliierten wie beispielsweise des zwischenzeitlich hoch gehandelten US-Ver­ packungsmittelherstellers International Paper im Sande.100 SCA tauschte schließlich 3,8 Millionen A-Aktien sowie 102.209 B-Aktien gegen 5,1 Millionen B-Aktien Fredrik Lundbergs, der mit den nun vorhanden 49,9 v. H. aller Stimmrechte zum unangefochtenen Haupteigner MoDos aufsteigen sollte.101 Die erworbenen B-Aktien ermöglichten SCA, die Beteiligungstitel in Tranchen am Markt zu günstigsten Konditionen zu verkaufen.102 Mit dem Rückzug von Rydin aus dem MoDo-Vorstand auf der Aktionärsversammlung im Mai 1994 war dann das Intermezzo als MoDo-Eigner endgültig Geschichte.103 99  Zusätzliche Finanzierungskosten in Höhe von 1,6 Mrd. SKr für den Kauf einer 83 v. H.-Beteiligung bei der französischen Alicel / Alipap und der stagnierende Zellstoff- und Feinpapierverkauf hatten 1992 zu einem Gesamtverlust von 700 Mio. SKr geführt, was den Marktwert der SCA-Aktien kräftig schrumpfen liess. S. SCA kräver Bernt Löf:s avgång, in: Veckans Affärer, 8. September 1993; Modos Bernt Löf fortsätter omstruktureringen, in: Finanstidningen, 6. Februar 1992. 100  SCA sollte dann Holmen und Iggesund gegen den Tausch eigener SCA-Aktien übernehmen. Vgl. Lundberg och SCA planerar bud på Modo, in: Finanstidningen, 30. Juni 1993; Christer Zetterberg hjälper Fredrik Lundberg i Modo, in: Finanstidningen, 1. Juli 1993; Lundbergs tar hand om Modo, in: Finanstidningen, 19. Oktober 1993. 101  Der Überwert der A-Aktien wurde so durch eine Relation von 1,3:1 zwischen B- und A-Aktien kompensiert. Zusätzliche Sicherheit gab auch eine von SCA erworbene Verkaufsoption, die B-Aktien wieder spätestens zum 17 Oktober 1996 an die LE Lundbergsföretagen zum Stückpreis von 300 SKr zu veräußern. Vgl. SCA minskar MoDo-innehav, in: Dagens Industri, 20. November 1993. 102  Da sich der Aktienkurs schon im Januar bei 300 SKr pro Aktie einpendelte, bot sich SCA schneller als erwartet die Chance, durch Verkäufe die kumulierten Investitionskosten von 1,6 Mrd. SKr zumindest zu saldieren. Vgl. SCA:s Modoinvestering snart hemma, in: Finanstidningen, 12. Januar 1994, SCA säljer Modoinnehav, in: Dagens Nyheter, 8. April 1994. 103  Einzig und allein im Bereich der Distribution hatte eine gemeinsame Zusammenarbeit einen etwas längeren Bestand. Zur besseren Auslastung der Frachtsysteme befuhr SCA mit seinen Schiffen alle Transportstrecken zwischen Norrland, Großbri-



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft209

d) Aus zwei mach eins: Die erfolgreiche Zusammenarbeit im Bereich Feinpapier Dass SCA nur fünf Jahre später und diesmal erfolgreich eine Zusammenarbeit mit MoDo anstrebte, hatte seine Gründe in dem Bereich Feinpapier. Ähnlich wie auch Sandvik zu Beginn der achtziger Jahre wandte SCA hierbei erfolgreich das Verfahren an, randständige Bereiche auszulagern und sich durch das Zusammengehen mit einem einheimischen Branchenpartner eine tragfähige Basis zu verschaffen.104 Generell passte das Erzeugnis, das zu 80 v. H. als Kopierpapier in den Einzelhandel gelangte, als bulkware nicht in das Konzept der Höherveredlung und hatte sich in Sundsvall schnell den Ruf als non-profit business erworben.105 Ohnehin fehlte es an etlichen Voraussetzungen, um in dem Produktsegment erfolgreich bestehen zu können. Bereits im Geschäftsbericht 1980 wurde dargelegt, dass SCA nach eigenen Angaben die Herstellung von Feinpapier nur in Kooperation mit einem Partner hatte aufnehmen können, da man keinen Zugang zu Birkenzellstoff hatte und die Kosten für die Herstellung eines ganzen Sortiments auf einer einzigen Maschine zu hoch waren. Zudem verfügte der Konzern nicht über die erforderlichen Marktkenntnisse auf dem Feinpapiermarkt.106 Um diese Mängel auszugleichen, hatte SCA mit der süddeutschen PWA eine Zusammenarbeit eingeleitet, die als größter Feinpapierhersteller in Westeuropa die Marktkenntnisse besaß, die man in Sundsvall vermisste. Die Herstellung sollte durch eine neue Gesellschaft namens Wifstavarfs AB betrieben werden, in der der SCA und PWA jeweils 50 v. H. der Anteile hielten. Die Zusammenarbeit sollte aber die hoch gesteckten Erwartungen nur teilweise erfüllen. Anlässlich des Umbaus der gemeinsamen Fabrik in Wifstannien und den Niederlanden, während Modo für die Transporte über die Ostsee nach Lübeck verantwortlich war. Vgl. SCA gör vinsten på sjön, in: Dagens Industri, 23. Oktober 1996; Frakttiden från Umeå till England har minskat från 14 till 10 dagar, in: Dagens Industri, 23. Oktober 1996. 104  Als Feinpapier werden alle hochwertigen, holzfreien, und hadernhaltige Papiersorten klassifiziert, die für anspruchsvollere Zwecke wie Landkarten-, Zeichenoder Banknotenpapiere eingesetzt werden. Während für die Herstellung von holzhaltigen Druckpapieren 1,5 bis 2 m3 Zellulose genutzt wurden, waren für Feinpapier 5 m3 hochqualitative und reine Zellulose notwendig, was zu einem verteuerten Rohstoffinput führte.Vgl. Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 105  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. Es gab zwar gewisse Überschneidungen in den Anwendungsbereichen von LWCund Feinpapier, aber nur bei beschichtetem Feinpapier, welches SCA im Gegensatz zu der unbeschichteten Variante nicht im Sortiment führte. Vgl. „Skogsaktier vänder snart uppåt“: SCA-chefen tror amerikansk högkonjuktur ska smitta av sig, in: ­Dagens Nyheter, 1. April 1995. 106  SCA Geschäftsbericht 1980, S. 3.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

ta hatte man abgesprochen, dass SCA die Produktion übernehmen sollte, PWA hingegen den Verkauf. Aufgeteilt wurde dann allerdings nicht der Marktgewinn, sondern der Kundenkreis, aus dem SCA die unbedeutenderen Kunden übernahm, PWA hingegen die vorwiegend in Westdeutschland beheimateten gewichtigeren Abnehmer, so dass das Mannheimer Unternehmen einen deutlich größeren Nutzen aus der Kooperation ziehen konnte.107 Als PWA seine Aktivitäten von unbeschichtetem auf beschichtetes Feinpapier umstellte, nutzte SCA 1987 die Gelegenheit, den Partner sukzessive auszukaufen. Im Februar 1990 wurde eine neue Produktionslinie zur Herstellung von A4-Kopierpapier mit dem Namen Wifsta Office mit 45.000 A4-Bögen pro Minute in Betrieb genommen, die das unbeschichtete Feinpapier mit einer Jahreskapazität von 140.000 Tonnen ergänzte. 1992 fasste die Unternehmensspitze den Beschluss, noch einmal 45 Mio. SKr zum Ausbau der Jahresproduktion der A4-Formatlinie von 50.000 auf rund 90.000 Tonnen einzusetzen.108 Mit dem Scheitern einer wie auch immer gearteten Allianz mit MoDo hatte sich aber dann die Möglichkeit zerschlagen, durch ein Arrangement den Feinpapierbereich zu einem schlagkräftigen Bereich umzubauen. Seit Ende 1996 hatte SCA verlautbaren lassen, die Feinpapiersparte veräußern zu wollen.109 Deren Zukunft konnte im Frühling 1999 durch den Zusammenschluss mit MoDos entsprechender Sparte geklärt werden. In Gestalt der neu gegründeten Modo Paper AB wurde Europas drittgrößtes Feinpapierunternehmen mit einem Umsatz von 18,6 Mrd. SKr, rund 6000 Arbeitnehmern und einer Kapazität für 1,7 Millionen Tonnen Feinpapier geschaffen.110 Die beiden Sparten ergänzten sich gegenseitig, da MoDo sich auf unbeschichtetes Feinpapier im A4-Format für Bürobedarf spezialisiert hatte, während SCA beschichtetes Feinpapier in Großbögen für Druckereien herstellte.111 Die Anlage in Östrand sollte die Produktion beider Feinpapiervarianten mit Zellstoff versorgen.112 Zufolge Konzernangaben sollten solche Synergieeffekte Einsparungen in Höhen von 350 Mio. SKr auf Jahresbasis ermöglichen, in 107  Interview

mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. investerar i finpapper, in: Dagens Nyheter, 11. Januar 1992. 109  SCA satsar på Asien med Weyerhaeuser, in: Svenska Dagbladet, 30. August 1996. 110  SCA Geschäftsbericht 1999, S. 3; MoDo Paper – ny finpappersjätte, in: Svensk Papperstidning, Nr. 6 (1999), S. 52. 111  SCA och Modo nära storaffär, in: Dagens Industri, 16. April 1999; En helt riktig affär, in: Svenska Dagbladet, 29. April 1999. 112  SCA – Värdepapper, in: Affärsvärlden, 23. Februar 2000; Svensk finpappersjätte bildas, in: Svenska Dagbladet, 29. April 1999; Fusionsrykte föder affärer i skogsaktier: SCA och Modo verkar hetast i funderingar om samarbete, in: Dagens Nyheter, 27. April 1999. 108  SCA



3. Das Branchensystem der schwedischen Forstwirtschaft211

deren Genuss aber bald neue Eigner kamen, da MoDo Paper 2000 an der Börse notiert wurde. Schon im Januar 2000 wurde die Beteiligung an Metsä-Serla für 6,5 Mrd. SKr veräußert, was SCA einen Reingewinn von 2,66 Mrd. SKr einbrachte und die Möglichkeit verschaffte, sich endgültig vom Feinpapiermarkt zurückzuziehen.113 Auch in einem anderen Fall hat das Sundsvaller Unternehmen erfolgreich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch die Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen einen Randbereich im eigenen Produktportfolio eine stabilere Grundlage zu verschaffen. Zwischenzeitlich hatte SCA einen Verkauf der eigenen Sägewerke erwogen, da diese sich mit Anpassungen in konjunkturell schlechten Phasen schwer taten, sich dann aber während der neunziger Jahre nach einem Partner umgeschauten.114 Mit dem im April 1998 beschlossenen Investitionsprogramm zur Modernisierung und Spezialisierung der Sägewerke in Tunadal, Lugnvik, Holmsund und Munksund hatte die Konzernleitung noch einmal unterstrichen, dass sie an der Sparte für gesägte Holzwaren auch zukünftig festhalten wollte. SCA investierte 1999 400 Mio. SKr in ein neues Sägewerk, das die möglichen Produktionsvolumina nahezu verdoppelte, auch wenn im Ausgleich die Kapazitäten in Holmsund gedrosselt wurden.115 So konnte SCA seinen Status als größter schwedischer Hersteller von gesägten Holzwaren mit einer Produktionskapazität von 540.000 Kubikmetern erfolgreich verteidigen. Die im Jahre 2000 erfolgte Bildung der AB Graninge-SCA mit 393.000 Hektar Wald und fünf Sägewerken mit einer Gesamtkapazität von 735.000 Kubikmetern zeigt aber auch, dass der Konzern – ähnlich wie im Falle des Feinpapiers – eine erfolgreich praktizierte Risikoteilung zu nutzen verstand, um eine schlagkräftige Struktur zu schaffen, mit der Stora und Assi Domän, den 113  Das finnische Unternehmen wollte sich vollkommen auf beschichtetes Papier und Karton konzentrieren und verkaufte deswegen seine Weichpapier- und Wellpappesparte sowie den Geschäftsbereich für unbeschichtetes Feinpapier. Das Abkommen schloss deswegen auch den Erwerb der Wellpappeabteilung von Metsä-Serla ein, was SCA den Status als Europas größter Wellpappeproduzent und darüber hinaus den Zugang zu Märkten wie Finnland, Griechenland und Russland verschaffte. Schon 1999 war eine Beteiligung von 11,2 v. H. bei Metsä Tissue erworben worden, die später auf über 20 v. H. erhöht worden war. Metsä-Serla wollte zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht verkaufen und hatte sogar als Gegenmaßnahme den eigenen Anteil am Grundkapital von 59,2 auf 56,9 v. H. gesteigert. Vgl. SCA expanderar österut, in: Dagens Industri, 10. August 1999; SCA växer i Metsä Tissue, in: ­Dagens Industri, 2. September 1999; SCA Geschäftsbericht 2000. 114  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 115  SCA gör Norrlands största sågverksinvestering: 400 miljoner satsas på nya sågverket i Munksund, in: Norrländsk tidskrift, Nr. 8 (1999), S. 18–19; SCA specialiserar sina sågverk, in: Göteborgs-Posten, 14. Oktober 1998; SCA investerar 400 Mkr i sågverk, in: Dagens Industri, 15. Dezember 1998.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

beiden anderen großen einheimischen Kontrahenten, in der Sägewerksbranche Paroli geboten werden konnte.116 4. Die neunziger Jahre: SCA im Zeichen der Schwerpunktkonzentration a) Die Internationalisierung des Konzerns: Erwerbungen und Verkäufe Wie auch bei Sandvik sollte sich der Wachstumspfad SCAs während der neunziger Jahre durch eine Reihe von Erwerbungen auszeichnen, die die Struktur des Konzerns allerdings weitaus nachhaltiger beeinflussen sollten als im Falle des schwedischen Hartmetall- und Stahlunternehmens. Das Sundsvaller Unternehmen unterschied sich während der achtziger Jahre kaum von der übrigen schwedischen Forstwirtschaft, die hauptsächlich einheimisch basiert war und über nahezu keine Produktionsstätten im Ausland verfügte. Verglichen mit den Exporten war die Internationalisierung der Produktion bemerkenswert niedrig.117 Ab 1987 sollte dann eine Erwerbungswelle im Ausland einsetzen, die das Investitionsniveau in Schweden bei weitem überstieg.118 Auch SCA bewerkstelligte seine Verzehnfachung des Nettoumsatzes zwischen 1980 und 2000 maßgeblich über Akquisitionen und nur im geringen Ausmaß durch organisches Wachstum. Aber nicht nur in quantitativer Hinsicht zeichnete sich das Sundsvaller Unternehmen aus: Anders als bei den anderen Fallstudienunternehmen war die Internationalisierung der Produktion ab den 1990ern fast schon eine Grundvoraussetzung der Innovations- und Wachstumsstrategie, da die angestrebte Transformation von einem Rohstoff- in ein Konsumentengüterunternehmen erst durch Erwerbungen verwirklicht werden konnte. Die internationale Expansion kann im gewissen Sinne als zweiter Anlauf verstanden werden, da bereits in den sechziger Jahren Beteiligungen in Wellpappeunternehmen erworben wurden. Solche Akquisitionen nahmen sich allerdings vergleichsweise bescheiden aus gegen die Sulfatzellstoff­ 116  Graninge-SCA

2000.

bildar nytt sågverksbolag, in: Dagens Industri, 29. Februar

117  Hellgren, B. / Melin, L., Business Systems, Industrial Wisdom and Corporate Strategies, in: Whitley, European Business Systems, S. 188. 118  Diese Umorientierung auf Auslandserwerbungen fällt insbesondere im Vergleich mit den finnischen Forstwirtschaftsunternehmen auf, deren Expansion im Ausland von einem proportionalen Ausbau der Standorte in Finnland begleitet wurde. Vgl. zu den unterschiedlichen Entwicklungen der finnischen und schwedischen Forstwirtschaft Peterson, C., Finsk ingenjörskonst och svenskt imperiebyggande: en jämförande studie av finsk och svensk skogsindustri, Stockholm 1996, S. 11.



4. Die neunziger Jahre213

fabrik, die 1965 in Gestalt der Skeena River Ltd. als gemeinschaftliches transplant mit der kanadischen Columbia Cellulose in der Nähe von Vancouver errichtet wurde, um mit einer Jahresproduktion von 230.000 Tonnen gebleichtem Sulfatzellstoff den Absatz in Europa und in Nordamerika steigern zu können. Dieser erste Internationalisierungsschritt scheiterte jedoch in erster Linie an der Selbstherrlichkeit des Partners, der in der Skeena River Ltd. mit 60 v. H. die Mehrheitsbeteiligung hielt, so dass nach heftigen Querelen die SCA-Beteiligung 1970 veräußert wurde. Etwas mehr Nachhaltigkeit muss den Versuchen zugebilligt werden, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen. 1966 wurde der Schritt auf den deutschen Markt mit dem Erwerb von 20 v. H. bei den Aschaffenburger Zellstoffwerken AG (AZ) getan.119 Nach der Fusion zwischen AZ und der Zellstofffabrik Waldhof AG zur neuen Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg (PWA) stockte das Sundsvaller Unternehmen seine Beteiligung auf 26,2 v. H. auf.120 Abgesehen davon betrieb SCA während der siebziger Jahre jedoch eine äußerst zurückhaltende Erwerbspolitik.121 In Schweden waren der Erwerb Mölnlyckes und Defibrators sowie die Bildung der Obbola Linerboard die einzigen bedeutenden Investitionen, die außerhalb des Konzernrahmens getätigt wurden. Auch in den frühen achtziger Jahren beschränkten sich die Erwerbungen auf kleinere Unternehmen für die Mölnlycke-Gruppe, da bis dahin der Modernisierung der Anlagen im Sundsvall-Distrikt Priorität eingeräumt worden war.122 Erst 1987 wurde mit dem niederländischen Inkontinenzpflege-Produkthersteller Ancilla zum ersten Mal wieder seit längerem ein Unternehmen außerhalb Schwedens in den Konzern eingegliedert. Sollte SCA bis 1987 insgesamt acht Unternehmen aufkaufen, gewann die Erwerbsneigung mit 55 Akquisitionen dann deutlich an Dynamik. Alleine zwischen Januar 1998 und Sommer 1999 sollte SCA von den Investitionskosten in Höhe von 17,2 Mrd. SKr den Hauptteil für den Erwerb neuer Unternehmen aufwenden. Drei strukturelle Merkmale der Akquisitionen stechen bei der Analyse ins Auge: Erstens waren sie bis Mitte der neunziger Jahre fast vollständig auf den europäischen Markt ausgerichtet.123 Die Etablierung auf den europäi119  Zudem stellte AZ Weichpapier her, das zu Tüten, Tragetaschen und Servietten weiterverarbeitet wurde. 120  Waldhofs Wellpappeherstellung wurde 1974 in einer Gesellschaft namens Zewawell AG organisiert, an der PWA und SCA jeweils eine 50 v. H.-Beteiligung hielten. Sowohl PWA und Zewawell wurden im großen Umfang mit gebleichten Sulfatzellstoff und Kraftliner von SCA versorgt. Vgl. Haslum, S. 188. 121  Die einzige Direktinvestition ereignete sich in Gestalt eines 50 v. H.-Anteils in der niederländischen Smurfit B. V. im Jahr 1978. 122  Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 123  Es hatte durchaus Diskussionen gegeben, sich auch in Nordamerika zu etablieren oder in Südamerika sogar ein transplant in Gestalt einer Zellstofffabrik in

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

schen Märkten war der Unternehmensspitze so wichtig, dass man mit dem gescheiterten Übernahmeversuch der deutschen Feldmühle sogar in Kauf nahm, mit Feinpapier und Karton zwei Produktkategorien zu inkorporieren, die eigentlich nicht zu den favorisierten Wachstumsbereichen gehörten.124 Erst mit dem Erwerb von Johnson & Johnson im Jahr 2000 wurde eine Direktinvestition von Bedeutung im außereuropäischen Raum getätigt.125 Ein weiterer Beleg für die Vorsicht der Konzernleitung ist der Umstand, dass für die Erschließung des asiatischen Raumes vorrangig Joint-Ventures genutzt wurden, vorrangig um die Kenntnisse des Partners auf den für SCA völlig unbekannten Märkten nutzen zu können.126 Zweitens war die Erwerbs- und Internationalisierungsdynamik je nach Geschäftsbereich unterschiedlich ausgeprägt. Im Falle Mölnlyckes, das schon 1980 über ein flächendeckendes Netz mit vierzehn ausländischen Produktionsstätten vornehmlich in Westeuropa verfügte, ging es um vorrangig um Marktanteile und den Entwicklungsgrad des Zielmarktes, auf dem man die eigenen Marketing- und Herstellungskompetenzen zur Geltung bringen konnte.127 Da der Schwerpunkt in Europa lag, Mölnlycke mit global bekannten Markennamen operierte und die Transportkosten wenig ins Gewicht fielen, gab es folglich kaum Anreize für weitere Internationalisierungsschritte in Gestalt von Direktinvestitionen. Eine ähnliche Konstellation traf für die Druckpapiersparte zu: Auch hier erfolgte der Absatz des Zeitungspapiers in Westeuropa mit kurzen Transportabständen. Ohnehin waren angesichts der Notwendigkeit eines geografisch nahen Zugangs zu Energie und Nutzholzbeständen die Erwerbsoptionen begrenzt.128 Die Verarbeitung zu frischen Holzzellstofffasern konnte nur ortsnah geschehen, weil Fichtenholz spätestens 21 Tage nach der Entholzung verarbeitet werden musste. Ohnehin war ein unschlagbarer Vorteil der schwedischen Standorte SCAs, Brasilien zu errichten, aber pessimistische Kalkulationen hatten den Vorstand bewogen, solche Pläne schon frühzeitig wieder aufzugeben. So galt – auch befördert durch die Lernerfahrungen der missglückten transatlantischen Expansion in den sechziger Jahren – zumindest bis 1992 der Grundsatzbeschluss, die Position in ­Europa aus­zubauen und keine Experimente in Nordamerika zu wagen. Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007; Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 124  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 125  Allerdings war schon 1992 bei dem Verbandsmaterial- und InkontinenzpflegeProduktehersteller Scott Health Care eine erste Beteiligung in Nordamerika erworben worden. Vgl. Martin-Löf aviserade nya köp på stämman, in: Dagens Industri, 29. April 1997. 126  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. 127  SCA Geschäftsbericht 1980, S. 22. 128  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007; Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007.



4. Die neunziger Jahre215

dass der Konzern an seinen Stammwerken für die Abholzung und Aufbewahrung von Fichten, Kiefern, Birken, Säge- und Hobelspänen in einem bestimmten Muster auf ein selbst konzipiertes Kosten einsparendes Logistiksystem zurückgreifen konnte.129 Und drittens bedingten, wie noch detailliert zu zeigen sein wird, die Erwerbungen untereinander: So wies MartinLöf darauf hin, dass SCA erst nach dem Reedpack-Kauf über eine TestlinerProduktion verfügte, die wiederum den Einstieg in die Wellpappeherstellung bei einem anderen Erwerbsobjekt PWA überhaupt möglich machte.130 Der Kauf von Reedpack lässt sich nicht unmittelbar einer Sparte zuordnen, da sie die gesamte Rohstoffbasis des Konzerns betraf. Es waren allerdings keine ökonomischen Gründe, die für eine umfassende Erschließung der Altpapierrohstoffe sprachen, obwohl sich seit den achtziger Jahren eine Möglichkeit bot, so eventuellen Nutzholzverknappungen begegnen zu können. Altpapier in Gestalt von Papier-, Karton- oder Wellpappeabfall, konnte indes nicht in allen Herstellungsbereichen zum Einsatz gelangen, weil bei der Wiederverwendung ständig ein Anteil von Frischfasern zugefügt werden muss, da sich sonst die Qualität der Altpapierfasern bei jeder wiederholten Verwendung verschlechtert. Gegen eine zu hohe Integration in die eigene Herstellung sprach vor allem die schlechtere Holzfaserbewirtschaftung. Bei der Herstellung einer Tonne holzfreien Papiers wurden fünf m3 Zellstoff­ fasern verbraucht, bei eine Tonne holzhaltigen Papiers jedoch nur 1,5 m3 Zellstofffasern.131 In einigen Anwendungsbereichen wie Kraftpapier, das beinahe zu 100 v. H. aus Zellstofffasern bestand, konnte Altpapier nicht verwendet werden, da es zu viele beschädigte Fasern enthielt und so die Stofffestigkeit beeinträchtigte. Trotz der offensichtlichen produktionstechnischen Nachteile zwangen die immer größere Attraktivität der Recyclingrohstoffe bei Verbrauchern und gesetzliche Rahmenvorgaben nahezu alle europäischen Branchenakteure und folglich auch SCA zur Überdenkung ihrer Standortpolitik. In Deutschland, dem größten Absatzmarkt des Sundsvaller Unternehmens, mussten seit 1995 80 v. H. des Papiers eingesammelt werden, was ausschlaggebend dafür war, dass das Angebot an recyceltem Papier deutlich anstieg.132 Paradoxerweise 129  SCA:

Ännu ett snäpp finare, in: Veckans Affärer, 20. Mai 1996. ska stärka SCA, in: Svenska Dagbladet, 16. Januar 1995. 131  Frisches Holz wurde auch deswegen vorgezogen, weil weniger Chemikalien im Herstellungsprozess verbraucht wurden und damit bessere Papierqualitäten erzeugt werden konnten. Vgl. Interview Bernt Norberg, Stockholm 23. August 2007. 132  Auch aus Kundenkreisen wurde der Druck erhöht: so hatten vier der bedeutendsten deutschen Zeitungsverlage eine Umweltdeklaration verfasst, in der die Papierhersteller zur einer Nutzung eines größeren Anteils Recyclingpapiers aufgefordert wurden. Vgl. Tyska krav på svensk skog: Tidningsutgivare ställer miljövillkor för köp av papper, in: Dagens Nyheter, 30. Januar 1994. 130  PWA-affären

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fanden sich im Gefolge dieser Aufwertung die Rohstoffressourcen nun nicht in großen unberührten Wäldern, sondern in der Nähe bevölkerungsreicher Agglomerationen. In Westeuropa war die recyclingbasierte Produktion durchaus profitabler als in Skandinavien, da die Recyclingpapierpreise 30 bis 35 v. H. und die Energieaufwendungen 25 v. H. niedriger waren, auch wenn die Verwendung chemischer Zusätze zur Beseitigung aller Druckerschwärzerückstände auf der Kostenseite ins Gewicht fiel. Dieser Umstand lag auch dem ersten spektakulären Großerwerb SCAs in Gestalt der britischen Reedpack 1990 für 5,7 Mrd. SKr zugrunde, die eine Verpackungssparte mit einem Gesamtumsatz von 4,8 Mrd. SKr und 7700 Beschäftigten sowie eine Papiersparte mit einem Umsatz von 2,5 Mrd. SKr und 2500 Beschäftigten einbrachte.133 Ausschlaggebend für den Kauf war weniger das damit verbundene Größenwachstum, sondern dass Reedpack 640.000 Tonnen Zeitungspapier und Wellpappe zu über 95 v. H. aus Recyclingpapier herstellte und zugleich Großbritanniens größter Großhändler für Recyclingpapier mit einem Einsammlungssystem namens Blue Bank war. Die zentrale Produktionsanlage im südenglischen Aylesford war durch die Nähe zu London und den Niederlanden, Deutschland und Frankreich geografisch günstig nahe an den neuen Rohstoffquellen platziert. Nach dem Erwerb avancierte SCA mit einem Anteil von neun v. H. zum europäischen Marktführer bei Recyclingpapier und reihte sich unter Europas großen Recyclingunternehmen auf Anhieb als zweitgrößter Akteur ein.134 Immerhin war nach dem Kauf die Hälfte der SCA-Produktion recyclingbasiert. Bis 1997 sollte SCA dann zum größten Akteur in Europa auf dem Recyclingpapiermarkt mit einem Selbstversorgungsgrad von 82 v. H. werden.135 Mit dem Investitionsprogramm im Sundsvall-Distrikt und dem ReedpackErwerb waren die Bemühungen für eine Modernisierung und Erweiterung 133  Schon zwei Jahre vorher hatte man versucht, Reedpack zu erwerben, als das Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 8,8 Mrd. SKr durch ein ManagementBuy-Out gemeinsam mit einigen Banken und dem Pensionsfond der British Coal von Reed International ausgekauft wurde. 134  Konkurrenten waren Cellulose du Pin, Assi und International Paper mit jeweils vier v. H. Marktanteil. Vgl. SCA tar ledningen i skogsjättarnas mara, in: ­ Veckans Affärer, Nr. 47 (1990), S. 74–77; SCA Geschäftsbericht 1991. 135  Damit rangierte man auch weit vor den schwedischen Konkurrenten Stora, der traditionell eine distanzierte Auffassung zu Recyclingpapier hegte, allerdings infolge des Feldmühle-Erwerbs selbst einen Anteil von 20 v. H. in der Produktion verwenden musste. Bei MoDo waren es nur fünf bis sechs v. H. Später gründete SCA zusammen mit anderen Papierproduzenten in Schweden das Einsammelunternehmen Pressretur, an dem sich SCA mit einem Drittel beteiligte. Vgl. SCA tar ledningen i skogsjättarnas mara, in: Veckans Affärer, Nr. 47 (1990), S. 74–77; SCA Recycling säljer 2,4 miljoner ton returpapper, in: Svensk Papperstidning, Nr. 12 (1994), S. 20– 21; SCA Geschäftsbericht 1995.



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der Rohstoffbasis mehr oder minder abgeschlossen. Wie bereits dargelegt, hatte sich die Konzernspitze seit Mitte der siebziger Jahre um eine Schwerpunktsetzung im Bereich der Fertig- und Konsumentenprodukte zum Zwecke höherer Ertrags- und Wachstumsraten beziehungsweise eines Ausgleichs der Zyklizitäten der konjunkturempfindlichen Forstwirtschaftseinheiten bemüht. Die Erneuerung und Vertiefung der Verbundwirtschaft, die als ­ ‚Ö 80‘-Projekt im Jahr 1980 seinen Auftakt genommen hatte, war von der Konzernleitung bereits mit dem Hintergedanken betrieben worden, die damit erwirtschafteten Mittel später in die Hygiene- und Verpackungsparte fließen zu lassen.136 Diese Transformation von einem Rohstoff- in ein Konsumentenunternehmen stand nun spätestens ab 1990 auf der Agenda der Konzernspitze, die die drei Sparten Grafisches Papier, Hygiene und Verpackungen zu den zentralen Wachstumsbereichen auserkoren hatte, was auch das seit 1990 verwendete Emblem in Gestalt eines verschlungenen Dreiecks symbolisieren sollte. Im Gegenzug wurden drei Geschäftsbereiche aufgegeben, die zu den integralen Bestandteilen der forward integration und backward integration gerechnet werden müssen. Mit Sunds Defibrator trennte sich SCA von einem zunehmend problematischen Bereich, der sich auf einem Markt gekennzeichnet durch starke Schwankungen zunehmend mit immer weniger Erfolg bewährt hatte.137 SCA Shipping als zuständige Einheit für die Verschiffung der SCA-Produkte sollte eingegliedert in die Transforest AB eine größere Schlagkraft entfalten.138 Der Verkauf der BÅKAB im Jahr 1992, zweifelsohne die spektakulärste Veräußerung, war hingegen intern heftig umstritten, wurde aber neben den dadurch frei werdenden dringend benötigten flüssigen Mitteln damit begründet, dass man infolge der ab 1996 vollendeten Deregulierung der schwedischen Energiewirtschaft mit sinkenden Preisen rechnete und zudem plante, über Leitungen von Deutschland nach Schweden Energie kostengünstig importieren zu 136  Interview

mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 138  Mossberg hatte ab 1967 ein eigenes Distributionsnetz mit Terminals in Sundsvall, Hamburg, London und Genua inklusiver dreier Schiffe aufgebaut. Das Distributionssystem beruhte auf Konzentration der Endlagerung auf zwei Hafenterminals in Sundsvall und Umeå, die eine Vielzahl kleinerer verstreuter Lagerungsstätten ersetzten. Mit drei 1967 und 1968 gebauten Spezialfahrzeugen, die 1996 für einen Stückpreis von 200 Mio. SKr durch neue Schiffe mit einer Kapazität von jeweils 12.500 Tonnen ersetzt wurden, konnten rund 1,5 bis 2,5 Millionen Tonnen Zellstoff, LWC-Rollen oder Zeitungspapier jährlich verschifft werden, die in Auslandsterminals in Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden angelandet wurden.SCA byter fartygsfilosofi: Bättre renovera än köpa nytt, in: Dagens Industri, 15. November 1985, SCA satsar på sjötransporter, in: Svensk Papperstidning, Nr. 12 (1994), S. 16–17; SCA håller spanskt varv flytande, in: Dagens Industri, 29. Mai 1996. 137  Interview

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können. Zum Leidwesen der Konzernleitung sollte allerdings die Periode fallender Preise nur sechs bis sieben Jahre andauern.139 b) Stärkung der Marktposition im Druckpapiersegment: Der Erwerb von Laakirchen Noch stärker als im Falle Sandviks war jedoch das Unternehmen darauf angewiesen, sich die notwendige kritische Masse in allen drei Produktfeldern in Gestalt von Erwerbungen zu verschaffen. Der erste Bereich, in dem die Erneuerung in Gestalt der Transformation hin zu höherveredelten Produktbereichen schon relativ früh abgeschlossen wurde, war die Papierproduktion. 1988 war beschlossen worden, für rund 2 Mrd. SKr die Produktion in Ortviken für beschichtetes LWC-Papier umzurüsten. Im November 1990 begann man mit der Umstellung der alten Zeitungspapiermaschine PM 1 in Ortviken auf eine Herstellungskapazität mit 165.000 Tonnen für LWC-Papier. Als Leight Weighted Coated Paper wird holzhaltiges, beidseitig gestrichenes Rollenoffsetpapier und Tiefdruckpapier bezeichnet, das mit einem geringen Gewicht von 39 bis 80 g / qm2 vorrangig für Zeitschriften, Magazine oder Versandhauskataloge mit beschichteten Seiten genutzt wird.140 1996 wurde auch die Papiermaschine PM 4 nach Investitionen von 1,4 Mrd. SKr auf LWC-Qualität umgestellt, um so auf eine Gesamtkapazität von 410.000 Tonnen zurückgreifen zu können.141 Mit der Umstellung auf LWC bezeugte das Unternehmen den Willen, im Rahmen gegebener Strukturen in höher veredelte Produktfelder vorzustoßen, die durchschnittlich höhere Gewinnmargen versprachen. Für diese Sorte, dem neben SC-Papier überproportionale Wachstumsraten vorausgesagt wurden, konnten die Hersteller gelegentlich durchschnittlich doppelt so hohe Preise verlangen wie für normales Zeitungspapier, da LWC-Papierqualitäten insbesondere bei Druckerzeugnissen mit hohen Anforderungen an Bildwiedergabe und Gewicht eingesetzt wurden.142 Mit dem Schritt erwies sich SCA als Vorreiter, da die 139  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, Der Verkauf eines Bereichs, den Sverker

28. Mai 2008. Martin-Löf als strategischen und kontinuierlichen Gewinnbringer klassifiziert hatte, wurde allerdings dadurch erleichtert, dass die Aufrüstung der Anlagen im Sundsvall-Distrikt aber auch der steigende Veredelungsgrad der Produkte und die Verwendung von Recyclingholzfasern die ausgeprägte Energieabhängigkeit des Konzerns verringert hatten. Vgl. SCA Geschäftsbericht 1991; Vgl. SCA betalar skulder, in: Dagens Nyheter, 10. März 1992. 140  LWC bestand zu einem Drittel aus TMP-Zellstoff, einem Drittel Sulfatzellstoff aus Östrand und einem weiteren Drittel aus Südengland importierten Kaolin. Vgl. En Pappersallianz med plats på världstoppen, in: Affärsvärlden, Nr. 28 (1990), S. 65–67. 141  SCA startar ny pappersmaskin, in: Dagens Industri, 11. Januar 1996. 142  Für Zeitungspapier wurde rund 3000 SKr pro Tonne bezahlt; SC-Papier schwankte meistens um 3500 bis 4000 SKr und LWC-Papier um 4000 bis 4500 SKr. Vgl. Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007.



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Umstellung auf LWC zwar auch von anderen schwedischen Unternehmen erwogen, aber aufgrund des hohen Energiebedarfs wieder verworfen worden war. Die Kostenempfindlichkeit hielt sich aber aufgrund der stagnierenden Zellstoffkosten bei SCA in Grenzen.143 Mittels des Erwerbs der Laakirchen AG mit 2000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 2,3 Mrd. SKr im Jahr 1988 konnte mit SC-Papier eine weitere höher veredelte Papiervariante in das Produktportfolio aufgenommen werden. Diese ungestrichene superkalandrierte Papierqualität als ein satiniertes, mit Füllstoffen versehenes Naturpapier wird ähnlich wie LWC in erster Linie hauptsächlich für Magazine und Zeitschriftenbeilagen genutzt. Weil es hohen Ansprüchen hinsichtlich Oberflächengüte und Lichtundurchlässigkeit standhalten musste, versprach SC-Papier als eine höher preisige Papierqualität dementsprechend höhere Gewinnmargen als Zeitungspapier. Da sich die Eigentümerfamilie Heinzel aus dem Geschäftsleben zurückziehen wollte, wurde SCA auf einen Schlag nicht nur Eigner einer Weichpapier- und einer SC-Maschine, sondern der größten europäischen Anlage mit einer Produktionskapazität von 33.000 Tonnen SC-Papier.144 Der Kauf von Laakirchen war mehr oder minder Schlusspunkt und Vollendung der Strategie im Papierbereich innerhalb eines Dreiklangs aus Verbundproduktion, Transformation hin zu höher veredelten Produkten und konjunktureller Ausbalancierung.145 So konnte SCA erstens den eigenen Zellstoff in Ortviken und Laakirchen weiterverarbeiten und je nach Auslastung der Anlagen verteilen. Zweitens konnten wie bereits gezeigt, höhere Gewinnmargen infolge der Umstellung auf die qualitativ hochwertigen Sorten SC- und LWC-Papier realisiert werden. Und drittens verfügte SCA mit Kapazitäten in allen drei Papiersorten nun über die Möglichkeit, konjunkturelle Schwankungen innerhalb des Produktportfolios auszugleichen, da es je nach Über- oder Unterkapazität bei den Produkten auf dem gesamten Druckpapiermarkt Verdrängungseffekte gab. Auch wenn der Konzern insbesondere im Vergleich zu den finnischen Herstellern wie UPM-Kymme143  Interview

mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007. erwirtschaftete die restlichen 40 v. H. des Umsatzes mit Weichpapier- und Hygieneprodukten wie Toilettenpapier, Papiertaschentüchern und Verbandsartikeln, deren Export sich allerdings weitgehend auf den Alpenraum und Westdeutschland beschränkte. Die nicht auf SC-Papier bezogenen Einheiten konnten jedoch ohne Probleme in die SCA-Tochtergesellschaft Mölnlycke integriert werden. Vgl. Laakirchenköpet, in: Veckans Affärer, 27. Oktober 1988. 145  Ein weiteres Projekt in Gestalt einer Zeitungspapiermaschine, die zusammen mit der französischen Cellulose du Pin in Betrieb genommen werden sollte, wurde trotz der attraktiven niedrigen Energiekosten in Frankreich zwei Jahre später aufgegeben, da es angesichts des schnelleren Kapazitätsausbaus bei den Wettbewerbern zu riskant wurde. SCA bygger i Frankrike, in: Dagens Industri, 6. September 1988, Tuff tid väntar Mölnlycke i SCA, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1989), S. 80. 144  Laakirchen

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ne mit einer viermal größeren Produktionskapazität sich noch als vergleichsweise kleiner Hersteller ausnahm, konnte der Konzern nun als Hersteller aller Druckpapierqualitäten sich einen ausbalancierenden Effekt zunutze machen. Überkapazitäten bei LWC zogen Produktionssteigerungen bei SCPapier nach sich, die wiederum Preissenkungen für LWC zur Folge hatten. Analog gab es bei Preissenkungen für SC-Papier Kapazitätsausweitungen bei Zeitungspapier. Umgekehrt konnte bei einem Mangel an LWC-Qualitäten SC-Papier zu LWC-Preisen verkauft werden, was auch ein Nachziehen der Zeitungspapierpreise bewirkte.146 Zudem bot sich mit der Zeitungs- und Druckpapiersparte infolge einer konstanteren Entwicklung die Chance, konjunkturelle Bewegungen in der weitaus anfälligeren Verpackungs- und Hygienesparte auszugleichen.147 Mit dem Beschluss des Vorstandes über ein dreijähriges drei Mrd. SKr umfassendes Investitionsprogramm Ende August 1993 für die Sparte SCA Graphic Paper wurde der Bau einer LWC-Maschine für 1,3 Mrd. SKr in Ortviken und einer Recyclingpapieranlage in Laakirchen für rund 350 Mio. SKr projektiert. Damit legte sich das Leitungsgremium auf die generelle Linie fest, infolge des kostengünstigen Zugangs zu Recyclingrohstoffen auf dem europäischen Kontinent dort die Produktion von SC-Papier und gewöhnlichem Zeitungspapier zu konzentrieren, während Ortviken den komparativen Vorteil frischer Holzfasern für hoch veredelte Papierqualitäten ausnutzten, wie Sverker Martin-Löf anlässlich der Vorstellung des Halbjahresberichtes 1993 bekannt gab.148 Dass diese Produktlinie mit den höchsten Gewinnmargen in Schweden angesiedelt wurde, hatte in erster Linie technische Gründe. Nach viermaligem Durchlauf durch die Papiermaschine enthielt Recyclingzellstoff keine Fasern mehr und war untauglich für starke Papiersorten, weswegen Recyclingwertstoffe bei LWC anders als bei Zeitungspapier nahezu vollkommen unverwendbar waren.149 SC-Papiere bestehen überwiegend aus Holzstoff, Zellstoff und Recyclingfasern und haben einen hohen Füllstoffanteil. Mit einer gewissen Qualität konnten also auch Recyclingfasern für die SC-Papieranlage in Laakirchen eingesetzt werden, was im Falle von LWC nur schwer möglich war.150 Entsprechend stellte man die Produktion in Ortviken auf LWC mit einer gleichzeitigen Erhöhung der Kapazität von 200.000 auf 380.000 Tonnen um. Da sich die Recyclingwertstoffe am besten für die Zeitungspapierproduktion eigneten, wurde im Zuge des Ausbaus der Recyclinganlagen im britischen Aylesford für 1,5 146  Interview

Bernt Norberg, Stockholm 23. August 2007. mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 148  SCA gör miljardemission, in: Svenska Dagbladet, 28. August 1993. 149  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 150  Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007. 147  Interview



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Mrd. SKr die Gesamtproduktion auf 370.000 Tonnen gesteigert, während die Zeitungspapierlieferungen aus Schweden sukzessive abnahmen.151 Der Großteil des benötigten Recyclingzellstoffs wurde bei Aylesford Newsprint weiterverarbeitet. In diesem zusammen mit der südafrikanischen Mondi Paper betriebenen Joint Venture investierte die Konzernleitung weitere drei Mrd. SKr in eine neue Papiermaschine mit einer Produktionskapazität von 280.000 Tonnen. Bis 2000 konnte sich SCA als weltweit neuntgrößter Papierhersteller mit einer Jahresproduktion von sechs Millionen Tonnen ­ behaupten.152 c) Vorwärtsintegration: Erwerbungen im Bereich Verpackungen War die Expansion auf dem Druckpapiermarkt mit dem Erwerb Laakirchens abgeschlossen, so richtete sich nun das Augenmerk auf Verpackungen, um die Sparte zu einem dritten Standbein des Konzerns aufzubauen, die vorrangig als Abnahmegarant für die eigene Linerproduktion gedient hatte. Ein Drittel der Kraftlinerkapazität aus Obbola und Munksund wurde 1981 an vier Verpackungsunternehmen im Teilbesitz SCAs geliefert.153 Diese in den sechziger und siebziger Jahren erworbenen Unternehmen erwiesen sich jedoch nur als begrenzt erfolgreich. Die anderen Teilhaber, darunter auch spätere Hauptkonkurrenten wie Jefferson Smurfit hatten genau wie SCA das Ziel verfolgt, über die Vorwärtsintegration die Abnahme eigener Linerkontingente sicherzustellen. Diese Konstellation war gelegentlich geschickt von den VDs der Tochtergesellschaften ausgenutzt worden, um die eigenen Eigentümer gegeneinander auszuspielen. Besonders unzufriedenstellend wurde die Situation in der britischen UK Corrugated und der Smurfit Corrugated Ireland eingeschätzt, weil die Rentabilität deutlich unter den Zielvorgaben lag und auch kein Auskauf der anderen Teileigentümer möglich war. Nur bei der dänischen Danisco mit einem geschäftsfremden Partner war dank einer fundierten Marktkenntnis die Lage besser, aber die Anteile bei der deutschen Zewawell, Smurfit Corrugated Ireland und UK Corrugated wurden nach und nach verkauft.154 Trotz dieser unzufrieden stellenden ersten Expansions- und Internationalisierungsphase hatte SCA Packaging Mitte der achtziger Jahre den break-even 151  SCA Geschäftsbericht 1993; Skogsbolag ligger lågt med satsningar, in: ­Dagens Nyheter, 5. September 1994; SCAs nya pappersbruk behöver inga träd, in: Dagens Industri, 15. März 1994. 152  Skogsindustrin en vinnare, in: Dagens Nyheter, 28. Oktober 2000. 153  Största risken för SCA: att nya maskiner inte startar, in: Veckans Affärer, Nr. 16 (1981), S. 60–61. 154  SCA fortsätter banta, in: Dagens Industri, 5. April 1991.

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dank eines immer mehr steigenden Verpackungsbedarfs erreicht, der allerdings im wachsenden Ausmaß an ausdifferenzierte Konsumentenwünsche angepasst werden musste. Dabei kam dem Sundsvaller Konzern entgegen, dass sich die Nachfrage immer mehr in den Bereich von Produkten mit einem höheren Veredelungsgrad verschob. Dazu zählten gegen Fett oder Feuchtigkeit resistente Barriereprodukte oder mit stoßdämpfenden Materialien wie Zellkunststoff verbundene Wellpappe, die als maßgeschneiderte Produktlinien mit immer aufwendigeren Druck-, Reklame- und Präsentaufschriften versehen wurden. So konnten Wellpappeverpackungen ihren Marktanteil deutlich zu Lasten von Kartonverpackungen ausbauen, gegen deren Produktion sich SCA in der Nachkriegszeit entschieden hatte. 1987 wurde ein neuer Strategieplan im Vorstand vorgestellt, der zur Einschätzung kam, dass SCA über genug Marktkenntnisse verfügte, nun aber eine gewisse kritische Masse erreichen musste. Die Tochtergesellschaft SCA Emballage, die mit der Herstellung von Wellpappe betraut war, hatte bereits 1984 das Verpackungsunternehmen Skarwell von Fiskeby übernommen, womit SCA Emballage als größtes schwedisches Wellpappeunternehmen mit einer Kapazität von 780.000 Tonnen zugleich ein bedeutender Akteur auf einigen europäischen Märkten wie Deutschland oder Irland wurde.155 Damit war die Intention der Erwerbungen schon vorgegeben, nämlich auf den großen europäischen Märkten mit Tochtergesellschaften im Vollbesitz zu wachsen, so dass man in Sundsvall im Gegensatz zu früher mögliche Alleingänge des ausländischen Managements effektiver unterbinden konnte.156 Was die Konzernleitung anstrebte, war nicht weniger als die Verdoppelung der Marktanteile während der neunziger Jahre, die vor allem durch Erwerbungen in Deutschland und Spanien, später auch in Osteuropa zustande kommen sollte.157 Die Verpackungsbranche zeichnete sich grundsätzlich durch die Eigenart aus, als local business betrieben zu werden, da Wellpappefabriken in der Regel einen Kundenkreis nur in einem Umkreis von 200 Kilometern versorgten. Infolgedessen war auch SCA zur Erlangung der Marktstärke auf ein Netzwerk von Wellpappefabriken angewiesen, um die Kunden überall in Europa versorgen zu können.158 SCA erwarb deswegen kleinere und mittlere Familienunternehmen, was das teilweise etwas erratische Erwerbsmuster erklärt, da die Eigner der Aufkaufobjekte nicht notwendigerweise ihre Unternehmen verkaufen mussten und warten konnten, bis ein Höchstangebot vorlag. Hinsichtlich der dafür notwendigen Linervolumina konnten seit dem Erwerb von Reedpack auch die Reserven der Reedpack-Tochtergesellschaft Reed Corrugated ge155  „Färdiginvesterat“: SCA rustat för expansion, in. Veckans Affärer, Nr. 21 (1985), S. 58–61. 156  Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 157  SCA:s dilemma: allians eller emission? In: Affärsvärlden, 15. April 1993. 158  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008.



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nutzt werden. Vorher stellte SCA fast ausschließlich Kraftliner aus ungebleichtem Sulfatzellstoff her, der als Außenschicht für Wellpappe verwendet wurde. Nun konnte auch Testliner aus Recyclingzellstoff mit einer Zwischenschicht aus Fluting angewendet werden, so dass bis 1997 die Produktionskapazität auf ca. 280.000 Tonnen Testliner und Fluting anstieg.159 Als Vorteil sollte sich im Nachhinein die Entscheidung der Unternehmensspitze herausstellen, im Gegensatz zu den großen Marktführern Norske Skog, Stora oder Jefferson Kappa nicht durch ein auf Volumina ausgerichtetes organisches Wachstum zu expandieren, sondern der Varietät der Kundenbedürfnisse durch verschiedene Erwerbungen zu begegnen.160 Als maßgebliches Kriterium bei Akquisitionen galt deswegen neben der Marktkenntnis die Befähigung, Kundenbedürfnisse zu verstehen und mit spezialisierten Materialkenntnissen und Drucktechniken darauf eingehen zu können. Unter anderem wurde darauf geachtet, dass die Unternehmen bereits einen relativ hohen Veredelungsgrad wie bei Verpackungen für Schwertransporte vorweisen konnten, was höhere Anforderungen an Design, Druck und den Kundenservice einschloss.161 d) Hygiene: Der mühsame Weg zur Marktführerschaft Unbestritten galt der Hygienesparte in Gestalt der 1975 arrondierten Tochtergesellschaft Mölnlycke noch vor der Verpackungs- und Druckpapiersparte das Hauptaugenmerk der Konzernleitung, weil die Transformation in ein Konsumentenproduktunternehmen hier am entschiedensten vorangebracht werden konnte. Die Mölnlycke-Gruppe bestand 1980 aus sieben Sparten mit Orientierung auf Hygiene-, Freizeit- und Bekleidungsprodukte sowie Babypflege, Menstruationshygiene und einer chemisch-technischen Sparte für Seife und Haarwaschmittel. Neben der Krankenhausgruppe, die fertige Sets für Wunden- und Geschwürverbände, Operationstücher aus Vliesstoffen und Inkontinenzverbände produzierte, ergänzte eine eigene Weichpapierherstellung für Produkte wie Servietten, Haushalts- und Toilettenpapier das Sortiment.162 Es war jedoch nicht nur die geografische Distanz 159  PWA-affären ska stärka SCA, in: Svenska Dagbladet, 16. Januar 1995; SCA Recycling säljer 2,4 miljoner ton returpapper, in: Svensk Papperstidning, Nr. 12 (1994), S. 20–21. Als Fluting wird aus Halbzellstoff gefertigtes Rohpapier bezeichnet, das eine Mischung aus Altpapier und Laubholz enthält. Solche gemischten Papierqualitäten können auch für die Produktion von Weich- und Zeitungspapier eingesetzt werden. 160  Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 161  Fullt upp för Sverker, in: Affärsvärlden, Nr. 39 (1996), S. 95. 162  Eine Spinnerei und eine Nähfadenfabrik für Industrie- und Haushaltsbedarf sowie eine Reihe Konfektionsunternehmen waren wohl mehr eine Reminiszenz an

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zwischen Sundsvall und Göteborg oder die Verschiedenartigkeit der Produkte, die die beiden Unternehmen trennte. So trafen in Gestalt von SCA und Mölnlycke zwei Welten aufeinander, wie ein Interviewpartner feststellte: „Die waren stark daran interessiert, was der Kunde A, was der Kunde B und der Kunde C dachte, mit völlig anderen Zeithorizonten. Das war Mölnlyckes Charakteristikum. Bei SCA dachte man an Nutzholz und Zellstoff. Kapital war langfristig einzusetzen. Das war eine völlig andere Welt. Es war aber auch so, das Mölnlycke SCA als cash cow sah, faktisch dessen Geld haben wollte, um es dann für eigene Zwecke einsetzen zu können, um dann die Welt zu erobern mit den Mölnlycke-Produkten, die natürlich besser als die der Wettbewerber waren. Es war so, dass man im eigenen Konzern zwei unterschiedliche Kulturen aufgebaut hatte.“163

Die Unterschiede zu den klassischen Forstwirtschaftsaktivitäten waren in der Tat erheblich. Erstens stellte Mölnlycke nicht bulkware wie Kraftliner oder Druckpapier her, obwohl ähnlich wie bei SCA eine auf Volumen ausgerichtete Massenproduktion bei gleichzeitiger Konzentration auf wenige Fabriken betrieben wurde. Auch wurde in Göteborg eine hohe Fertigungstiefe angestrebt, um alle Schritte in der Wertschöpfung selbst zu kontrollieren.164 Neben der Ausnutzung von Skalenvorteilen genoss jedoch zweitens die Produktentwicklung eine deutlich höhere Priorität, was sich in erster Linie in den FuE-Anstrengungen bemerkbar machte, die die Aufwendungen anderer Geschäftsbereiche um ein Vielfaches übertrafen.165 Drittens musste Mölnlycke ein sehr viel höheres Gewicht auf die Vermarktung legen. Die Forstwirtschaft als Prozessindustrie war ausgerichtet auf die Herstellung, in der die Wettbewerbsfähigkeit durch eine ständige Optimierung des KostenNutzen-Verhältnisses aufrechterhalten wurde. Eine differenzierte Preispolitik oder gar eine Produkt- und Marktleistungsgestaltung mittels Produktentwicklung, -design und -marketing lohnte sich nicht, da auch die Konkurrenz zu vergleichbaren Bedingungen produzierte. Solche Spielräume konnte und musste man bei Mölnlycke hingegen ausschöpfen: Mit der Ausnahme des die Ursprünge Mölnlyckes als Textilunternehmen: Bereits 1981 dominierten die Hygieneprodukte wie die Einwegprodukte für Krankenhäuser mit 80 v. H. den Umsatz deutlich. Dass Mölnlycke an solchen branchenfremden Aktivitäten, die auch die Herstellung von Plastikfreizeitbooten einschlossen, bis Ende der achtziger Jahre festhielt, lag an deren zufriedenstellender Rentabilität, obwohl die Investitionsprogramme zu diesem Zeitpunkt ausschließlich auf den Ausbau der konsumentenbezogenen Hygieneprodukte abstellten. Vgl. SCA framgångar för Mölnlycke dämpar koncernens vinstfall, in: Veckans Affärer, 5. November 1981; Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007. 163  Interview mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 164  Allerdings wurde die Einheit für Produktionsmaschinerie im norwegischen Tønsberg in den neunziger Jahren verkauft. 165  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008.



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Menstruationsschutzes war vor allem bei Windeln aufgrund der zeitlich ­limitierten Nutzungsphase die Kundenbindung hochgradig volatil, so dass folglich immer wieder neue Kundengenerationen erschlossen werden mussten. Das bedeutete viertens wesentlich kürzere Investitionspläne als bei SCA, um bei kurzfristigen Modetrends wie beispielsweise unterschiedlichen Jungen- und Mädchenwindeln mithalten zu können. Die kürzere Planungsperspektive war zudem durch einen weiteren Faktor bedingt: Konnte die Laufzeit der Papiermühlen bis zu 50 Jahre andauern, betrug die Abnutzungszeit von zur Windelherstellung genutzter Maschinerie höchstens ein Jahr, so dass die Kapitalumschlagsgeschwindigkeit bei Mölnlycke wesentlich höher war, während hingegen die Kapitalbindung deutlich geringer ausfiel. Mölnlycke war also im Gegensatz zu SCA insgesamt von einem taktischen, kurzfristigen Denken geprägt, während bei SCA die strategische Entwicklung sich wie schon gezeigt in über zehnjährigen Transformationsperioden vollzog. Die Neigung zur Kooperation bis hin zu Preisabsprachen war den Akteuren in der Hygienewirtschaft fünftens genauso fremd wie die Teilung von Wissen über Branchenorganisationen, auch wenn man sich das Know-how der technischen Hochschule Chalmers in Göteborg zu nutzen machen wusste. Mölnlycke war sechstens im Vergleich zu SCA ein noch stärker international ausgerichtetes Unternehmen mit einem globalen Verkaufsnetz und einem Auslandsumsatz, der 1980 mit 80 v. H. den anderer SCA-Sparten deutlich überflügelte.166 Diese fundamentalen Disparitäten in der Unternehmenskultur fanden ihren Niederschlag in einem Arrangement, das der Leitung in Göteborg einen großen Ermessensspielraum zugestand und die Tochtergesellschaft organisatorisch vollständig von den Forstwirtschaftseinheiten getrennt hielt. Bereits als Mölnlycke 1975 von SCA erworben wurde, gab es eine Art Übereinkunft zwischen den Unternehmensleitungen, dass Mölnlycke weiterhin eigenständig agieren und dass nur der SCA-Konzernvorstand in wichtigen Fragen das letztendliche Entscheidungsgremium bilden sollte. Nichtsdestotrotz war das Hygieneunternehmen insbesondere in finanzieller Hinsicht eindeutig auf den Beistand des Mutterkonzerns angewiesen, da man bei Mölnlycke mit anstehenden Erwerbungen angesichts der eigenen Größe wohl überfordert gewesen wäre.167 Es gab jedoch auch eine Verbindung in der Produktion in Gestalt des Fluffzellstoffes, der in Göteborg für Kinderwindeln, Erwachseneninkontinenz-Produkte und Tissue-Produkte genutzt werden konnte. Schon 166  Zusätzlich verfügte man aufgrund zahlreicher bereits in den siebziger Jahren getätigter Direktinvestitionen über einen wesentlich höheren Grad der Auslandsproduktion. Mölnlycke war auch der einzige Geschäftsbereich, in dem die Zahl der im Ausland Beschäftigten der in Schweden schon 1980 übertraf. Vgl. Största risken för SCA: att nya maskiner inte startar, in: Veckans Affärer, Nr. 16 (1981), S. 60–61. 167  Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007.

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bei dem Erwerb der Kapitalbeteiligung im Jahr 1975 war die Grundidee gewesen, dass SCA den Zellstoff liefern sollte, da die Leitung der Tochtergesellschaft zu der Einsicht gelangt war, dass man diesen von keinem anderen Lieferanten zu einem besseren Preis bekam und so entstandene freie Mittel für die internationale Expansion einsetzen konnte. Deswegen war im Rahmen des ‚Ö 80‘-Projektes in Östrand die spezielle Anlage für einen qualitativ guten und infolge der aufgrund der höheren Nutzholzausnutzung preiswerten CTMP-Zellstoff mit guten Absorptionseigenschaften errichtet worden, den Mölnlycke im vollen Umfang von etwa 100.000 Tonnen abnehmen sollte.168 Die anfänglichen hohen Erwartungen des Ersatzes für den bisher verwandten chemischen Zellstoff wurden jedoch nur zum Teil befriedigt: Es stellte sich bald heraus, dass die Qualität so unbefriedigend war, so dass Mölnlycke nicht den vollen Preis entrichten wollte, was in Sundsvall wiederum auf Unverständnis stieß.169 Trotz solcher Unwägbarkeiten, die gelegentlich zu Verstimmungen zwischen den beiden Unternehmensleitungen führten, war jedoch unumstritten, dass Mölnlycke im Konzern zu den ausgewählten Wachstumsbereichen gehörte. Der Umsatz der Tochtergesellschaft wuchs zwischen 1978 und 1987 mit durchschnittlich 10 v. H. und überholte 1986 den der Forstwirtschaftssparten. Die Tochtergesellschaft war 1987 das bevorzugte Investitionsobjekt, nachdem das auf die Modernisierung der Anlagen in Sundsvall abstellende Investitionsprogramm abgeschlossen war und nun der hohe Cashflow des Mutterkonzerns für Erwerbungen genutzt werden konnte. Bis 1988 hatte sich das Augenmerk überwiegend auf kleine schwedische Unternehmen im Familienbesitz gerichtet.170 Trotz der Marktanteile von rund 50 v. H. in Skandinavien war der Erfolg in Westeuropa ausgeblieben. Dieser weiße Fleck auf der Landkarte sollte 1988 beseitigt werden, indem 168  Konsequenterweise wurde 1990 / 1991 die CTMP-Herstellung in Östrand auch organisatorisch bei Mölnlycke angesiedelt. Andere Konkurrenten wie Procter & Gamble verwendeten übrigens Sulfatzellstoff. Vgl. SCA Geschäftsbericht 1990. 169  Mölnlycke musste so den größeren Teil des Fluffzellstoffes, 1988 immerhin etwa 40 v. H., von anderen Lieferanten wie STORA und US-amerikanischen Herstellern zukaufen. Vgl. SCA tar grepp om hela Västeuropa, in: Veckans Affärer, 28. Januar 1988. 170  Die getätigten Erwerbungen standen allerdings zunächst nicht im Zeichen einer stärkeren Ausrichtung auf Hygieneprodukte. Größere Erwerbungen waren die skandinavische Playtex-Wallco für die chemotechnische Sparte (1983) und die niederländische Ancilla für absorbierende Inkontinenzprodukte (1986). Die Übernahme der Cederroth AB, die unter anderem Krankenhausprodukte und Hygieneprodukte wie Seife herstellte, sollte trotz intensiver Bemühungen scheitern. Vgl. zu den Erwerbungen Mölnlycke, in: Dagens Industri, 16. Juni 1987; Mölnlycke tar över Playtex-Wallco, in: Dagens Industri, 21. November 1983; Mölnlycke gav upp: säljer Cederroth-post, in: Dagens Industri, 27. Juni 1992.



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SCA für rund zwei Mrd. SKr die Peaudouce-Gruppe mit 3000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 2,5 Mrd. SKr erwarb, der mit Windeln, Menstrua­ tionsschutz, Verbandsartikeln und Weichpapier vorrangig in Frankreich erwirtschaftet wurde.171 Mit dem Erwerb, der Mölnlycke nun auch innerhalb des SCA-Konzerns zu einem schwergewichtigen Faktor machte, wurde auch die Ausrichtung auf Fluffprodukte noch einmal deutlich unterstrichen, hatte allerdings auch zur Folge, dass bezogen auf den Umsatz die Aus­ richtung auf Babywindeln von 15 auf 25 v. H. anstieg.172 Mit dem Erwerb war die Spitzenposition in Europa bei Hygieneprodukten mit einem Marktanteil von rund 25 v. H. und immerhin der dritte Platz weltweit hinter den US-Unternehmen Kimberley Clark sowie Procter & Gamble vorerst ge­ sichert. Es war aber ausgerechnet der Branchenriese Procter & Gamble, der den Expansionsplänen einen Strich durch die Rechnung machen sollte. Die USAmerikaner hatten nahezu zeitgleich mit Mölnlycke den Beschluss gefasst, gezielt den europäischen Markt zu erschließen, sie konnten dabei auf ungleich größere Skalenvorteile in der Produktion, finanzielle Ressourcen und weit reichende Erfahrungen in der Vermarktung zählen. Mit seinen sämt­ lichen Sparten setzte Procter & Gamble Mitte der neunziger Jahre 225 Mrd. SKr um, gegen die sich selbst der SCA-Konzernumsatz mit 34 Mrd. SKr nahezu zwergenhaft ausnahm. Bei der Markterschließung setzten die USAmerikaner auf eine bewährte Kombination aus Preisdruck, intensivem Marketing und schneller Produktentwicklung, was sinkende Gewinnmargen in der ganzen Hygienewirtschaft zur Folge hatte. Procter & Gamble verließ sich in diesem Zusammenhang auf ein auch von anderen US-Firmen in Europa gern genutztes Verfahren, die Einführungspreise möglichst niedrig zu halten, um später mit einer hohen Marktdurchdringung die Preise zu erhöhen. Dementsprechend lagen die Preise für das Vorzeigeprodukt in Gestalt der Pampers-Windel 15 bis 20 v. H. unter dem der Mölnlycke-Produkte.173 Die ersten Konsequenzen der unwillkommenen Konkurrenz bekam man in Göteborg ab 1989 merklich zu spüren, als sich die Gewinnspannen nicht mehr so beeindruckend entwickelten wie zuvor. Seit 1982 hatte Mölnlycke den eigenen Gewinn mit jährlich 32 v. H. steigern können. Dass 1990 jedoch zum ersten Mal eine Stagnation verzeichnet werden musste, hatte seine Ursachen auch darin, dass Procter & Gamble ausgerechnet in Schweden seinen Marktanteil bei Babywindeln auf 45 v. H. hatte erhöhen können, während dementspre171  SCA

tar grepp om hela Västeuropa, in: Veckans Affärer, 28. Januar 1988. machten dann die Fluffprodukte, also Kinderwindeln, Menstruationsund Inkontinenzprodukte mit 7,6 Mrd. SKr rund 60 des Umsatzes aus. Vgl. Så ­lyckades Mölnlycke vinna tillbaka kunderna, in: Veckans Affärer, 22. September 1993. 173  Mölnlycke rustat för Procters marknadskrig, in: Finanstidningen, 1. Juni 1992. 172  1993

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

chend die Mölnlycke-Marke Libero von 60 v. H. auf 40 v. H. absackte.174 Die Attacken der US-Amerikaner erfolgten zudem zu einem Zeitpunkt, als man in Göteborg völlig mit der langwierigen Integration von Peaudouce in den Konzern beschäftigt war, die dadurch erschwert wurde, dass die Franzosen eine überdimensionierte Produktionsstruktur mit zu vielen kleinen Fabriken aufrecht erhielten, zwischen denen die Windeln infolge verschiedener Produktionsstufen hin und her transportiert werden mussten.175 Die Leitung versuchte der Herausforderung mit einer Straffung des Produktportfolios, der Abwicklung von neun Standorten und einem Abbau von 1700 Arbeitsplätzen sowie einer intensivierten Produktentwicklung zu begegnen.176 Mit den Kostensenkungen im Rücken lancierte Mölnlycke zwischen 1990 und 1993 immerhin 12 große Produkteinführungen bei Windeln, sechs bei Menstruationsschutz und fünf auf dem Inkontinenzproduktmarkt. 1993 konnte Mölnlycke 50 v. H. des Umsatzes und des Konzerngewinns SCAs beisteuern, aber schon 1994 verringerte sich das Betriebsergebnis der Tochtergesellschaft wieder um 19  v. H.177 Es waren ausgerechnet die Produktportfoliobereinigungen, die Mölnlycke nun empfindlicher gegen erneute Attacken auf den westeuropäischen Märkten machte, auch wenn Peaudouce bis 1990 im Gegensatz zu anderen einheimischen Herstellern seine Position hatte wahren können.178 Die mühsam gewahrte Stellung wurde jedoch vollends in Frage gestellt, als das texanische Hygieneartikelunternehmen Kimberly-Clark einen vergleichbaren Versuch unternahm, den kontinentaleuropäischen Windelmarkt zu erobern. Angesichts eines Verlustes von 500 bis 600 Mio. SKr und zusätzlich belastet durch verdoppelte Preise für CTMP-Zellstoff, der mit 70 v. H. bei den Produktionskosten zu Buche schlug, kündigte Mölnlycke erneut ein Rationalisierungsprogramm an. 1996 war man jedoch zu dem Schluss gekommen, dass ein Marktanteil in Europa von mindestens 20 bis 25 v. H. erforderlich sein müsste, um weiterhin profitabel wirtschaften zu können, was angesichts der verschärften Konkurrenzlage mit Procter & Gamble und nun auch Kimberly-Clark kaum zu schaffen war.179 Folglich 174  Amerikansk konkurrens tränger ut Mölnlycke, in: Dagens Industri, 9. Oktober 1990; Så lyckades Mölnlycke vinna tillbaka kunderna, in: Veckans Affärer, 22. September 1993. 175  „Svenskarna kom som erövrare“: SCAs köp satte fart på fransk blöjfabrik, in: Dagens Industri, 21. Mai 1992. 176  Mölnlycke siktar på Östeuropa efter EG-bakslaget, in: Dagens Industri, 7. November 1991; Mölnlycke, in: Veckans Affärer, 10. Oktober 1990; Mölnlycke, in: Veckans Affärer, 22. August 1990. 177  SCA Geschäftsbericht 1994. 178  Mölnlycke lägger ned fyra fabriker, in: Dagens Industri, 10. Oktober 1990. 179  Backar i blöjkriget: Mölnlycke drar sig ur flera stora marknader, in: Dagens Industri, 3. April 1996.



4. Die neunziger Jahre229

wurde erst der britische, dann der deutsche und belgische und zuletzt auch der französische Markt aufgegeben, auf dem man immerhin einen Anteil von 15 bis 20 v. H. vorweisen konnte.180 Die schlechtere Kostenstruktur war noch durch Schließungen in den Griff zu kriegen, aber gegen die Produktentwicklungsmöglichkeiten Procter&Gambles, das im immer schnelleren Tempo Neuheiten lancierte, konnte Mölnlycke nicht ankommen. Irgendwann stellte sich die Gewissheit ein, dass die US-Amerikaner schlicht und einfach zu groß waren, als das Mölnlycke diesem globalen Akteur bei Windel- und Damenbinden etwas entgegenzusetzen hätte und dessen Produktinnovationen man teilweise schlicht imitierte.181 1996 wurde die verlustbringende Peudouce-Windelherstellung für 3,1 Mrd. SKr an den Konkurrenten Kimberly-Clark veräußert, was laut Sverker Martin-Löf das Ende des vierjährigen ‚Windelkrieges‘ bedeuten sollte.182 Die unzufriedenstellende Situation bei Mölnlycke, das nach wie vor für die Hälfte des Konzernumsatzes aufkam, zwang die Konzernleitung zum Handeln. Unter dem ab 1990 amtierenden Mölnlycke-VD Jack Forsgren mehrten sich die Spannungen, da die Göteborger sich hartnäckig den Versuchen widersetzten, sich stärker in den Konzern einbinden zu lassen.183 Insbesondere an der Frage, private label oder tailor brands zu vermarkten, entzündete sich ein Grundsatzstreit. Im Rahmen des private label-Vertriebs übernahmen die Grossisten das Marketing und vertrieben die jeweiligen Hygieneprodukte unter dem eigenem Markennamen mit der Konsequenz einer durchschnittlich geringeren Profitabilität für die Hersteller. Mölnlycke wollte im Gegensatz zu Sverker Martin-Löf genauso wie Procter & Gamble vollständig auf tailor brands, also eigene Markennamen setzen.184 In dieser Frage machte sich der Unterschied zwischen der auf Produktions­ effizienz orientierten Kultur des Forstwirtschaftsunternehmens SCA und der Marketingausrichtung Mölnlyckes deutlich bemerkbar.185 Auch die Fehl­ 180  Sverker Martin-Löf machte zudem deutlich, auch den niederländischen Markt aufgeben zu wollen, falls die Konkurrenz dort zu groß werden sollte. Vgl. Mölnlycke ger upp på blöjmarknaden, in: Dagens Nyheter, 4. April 1996; SCA viker sig i den europeiska blöjstriden, in: Dagens Industri, 28. August 1996. 181  Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007. 182  Die Abmachung mit Kimberley-Clark schloss auch die Übernahme des britischen Weichpapierherstellers Prudhoe ein. Mölnlycke durfte zudem die die Warenmarke Kleenex für zehn Jahre in Großbritannien anwenden. Vgl. Ger upp Frankrike: Blöjkrig över för SCA. Svenska bolaget klarade inte konkurrensen, in: Dagens Nyheter, 28. August 1996. 183  Egen linje fick VD på fall, in: Dagens Nyheter, 7. Juni 1994. 184  SCA Geschäftsbericht 1997, S. 2. 185  Überdies gab es Meinungsverschiedenheiten über den Spielraum der Tochtergesellschaft, den der Konzern-VD deutlicher als früher beschränkt sehen wollte. Vgl. Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

investitionen in Frankreich wurden der Leitung Mölnlyckes zum Vorwurf gemacht, da der Konzern dafür umfassende eigene finanzielle Mittel bereitgestellt hatte.186 Die Spannungen kulminierten schließlich in der Entlassung Forsgrens 1994, womit auch ersichtlich wurde, dass die Konzernleitung deutlicher als früher die Fäden in der Hand hielt.187 Im Zusammenhang mit dem Verkauf der Windelproduktion bei Peaudouce hatte der neue VD auch die strategischen Wegemarken vorgezeichnet, mit denen Mölnlycke seine Position zu halten versuchte. Erstens sollten neue Märkte in Osteuropa und in Ostasien mit Hilfe eines modernisierten Maschinenparks erschlossen werden. Hinsichtlich der umstrittenen Priorität für tailor brands oder private labels fand man zweitens zu einem Kompromiss, indem Produkte unter eigenem Markennamen vertrieben, aber ebenso Produkte für den immer mehr an Einfluss gewinnenden Einzelhandel hergestellt wurden, auf den wichtigen skandinavischen Märkten jedoch dem private label-Vertrieb der Vorzug gegeben wurde.188 Der klassischen SCAPhilosophie entsprach auch die Umorientierung auf Away from Home-Produkte, also der Direktbelieferung von Hotels, Restaurants und Industrie mit einem deutlich geringeren Marketingaufwand.189 Drittens sollten Fluffprodukte für Inkontinenz- und Menstruationsschutz, die selbst bei Peaudouce zu den Gewinnbringern gehört hatten, mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Während in den Medien nur von dem Windelkrieg die Rede war, hatten schon die Vorbereitungsarbeiten begonnen, sich in eine ganze Reihe anderer Aktivitäten wie Weichpapier für industriellen Gebrauch, EinmalOperationsprodukte und Tissue zu verbreitern.190 Damit konnte man auch auf andere Kräfteverhältnisse vertrauen, da Mölnlycke den Markt für Inkontinenzprodukte mit seiner erfolgreichen Marke Tena mehr oder minder beherrschte. Konnte Procter & Gamble die Trends im Falle der Windeln beeinflussen, so war es im Falle der Erwachseneninkontinenzwindeln Mölnlycke.191 In Europa konnte so ein Marktanteil von 70 v. H. bei Produkten für leichte Inkontinenzbeschwerden erreicht werden, so dass eventuellen Atta186  Interview

mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. VD sparkas efter schism, in. Finanstidningen, 30. Mai 1994; Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. 188  Der Einzelhandel erreichte nun in großen Volkswirtschaften wie Deutschland oder Großbritannien Marktanteile bis zu 50 v. H. Vgl. SCA i hård strid om mjukt papper, in: Veckans Affärer, 14. Dezember 1998. 189  SCA Geschäftsbericht 1995. 190  SCA ger upp i franskt blöjkrig, in: Svenska Dagbladet, 28. August 1996; Den nye Mr Kleenex, in: Veckans Affärer, 2. September 1996; Mölnlycke växer i Asien – Planerar tillverkning i Japan, Kina och Taiwan, in: Dagens Industri, 9. August 1995. 191  Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007. 187  Mölnlyckes



4. Die neunziger Jahre231

cken aus Nordamerika mit Gelassenheit entgegengesehen werden konnte.192 Zudem wurde eine umfassende Portfoliobereinigung in Angriff genommen, in dem alle Haushaltshygiene- oder Krankenpflegeprodukteinheiten abgespalten wurden.193 Die Windelproduktion wurde nochmals modernisiert, so dass man nach Angaben von SCA-Vertretern zumindest in dieser Hinsicht mit Procter & Gamble mithalten konnte.194 Das umfassende realignment wurde durch die Entscheidung flankiert, durch eine größere Produktvarianz mit Weichpapier- und Fluffprodukten der scheinbar übermächtigen Konkurrenz Paroli zu bieten.195 Durch diesen Schritt näherte man Mölnlycke wieder deutlich an die eigenen Forstwirtschaftsbereiche an, da Weichpapier oder Tissue bedeutend mehr Zellstoff verbrauchte als die Hygienefluffprodukte wie Windeln. Erst damit kam endlich die enge Verbindung zwischen Hygiene- und Forstwirtschaftsparten zustande, auch wenn die bescheidene Größe der Weichpapiermaschinen nach wie vor nicht der Produktionskultur der Forstwirtschaftseinheiten entsprach.196 Mit dem 1995 beschlossenen Wiedereinstieg in Weichpapier revidierte SCA die zehn Jahre zuvor beschlossene Ausrichtung auf Fluff- anstelle von Weichpapierprodukten. 1986 war Mölnlycke nach dem Erwerb der Edet AB zum viertgrößten europäischen Weichpapierproduzenten aufgestiegen, hatte aber 1990 den gesamten Tissue-Bereich aufgrund der als zu gering eingeschätzten Marktanteile wieder verkauft.197 Der zweite Anlauf im Hygienegeschäft sollte von mehr Erfolg gekrönt sein, der sich aber wiederum auf eine spektakuläre Großakquisition gründete. Der Entschluss zur Umorientierung auf das Weichpapiergeschäft koinzidierte mit dem Kauf einer 60 v. H.-Beteiligung bei den deutschen PWA im Jahr 1995.198 Die Beteiligung, die zwei Jahre später noch einmal auf dann insgesamt 75 v. H. aufgestockt wurde und die sich das Sundsvaller Unternehmen insgesamt 7,18 Mrd. SKr kosten ließ, machte SCA mit einem Umsatz von 56 Mrd. SKr auf einen Schlag zum größten europäischen Forstwirtschaftskonzern.199 Zum Zeitpunkt des Erwerbs war PWA das größte unabhängige deutsche Hygiene- und Forstwirtschaftsunternehmen, das mit den Herstellungsberei192  SCA

tar sitt första steg in i USA, in: Svenska Dagbladet, 12. Mai 2000. mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007. 194  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 195  PWA-affären ska stärka SCA, in: Svenska Dagbladet, 16. Januar 1995. 196  Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007. 197  Vorher hatte man schon Croisset in Frankreich erworben. Vgl. SCA Geschäftsbericht 1987, S. 16. 198  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 1987 war im Zuge der Übernahme von Wifstawarf auch die PWA-Beteiligung in Höhe von 11 v. H. veräußert worden. 199  PWA-affären ska stärka SCA, in: Svenska Dagbladet, 16. Januar 1995. 193  Interview

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

chen Druckpapier, Weichpapier und Verpackungen fast wie eine Kopie SCAs wirkte.200 Dank des Erwerbs schnellte der eigene Weichpapierumsatz von 3,1 Mrd. SKr auf 10,6 Mrd. SKr hoch, so dass Mölnlycke hinter Scott Paper in Europa auf einen Marktanteil von 17 v. H. kam und 1995 bereits die Hälfte des Umsatzes mit Weichpapier erwirtschaftete.201 Im August 1999 rundete ein weiterer Großerwerb im Private Label-Segment die auf Europa ausgerichtete Expansion ab, indem für 2,5 Mrd. SKr die britische AM Paper Group mit einer Kapazität von 60.000 Tonnen erworben wurde, so dass SCA in Großbritannien einen Marktanteil von 30 v. H. vorweisen konnte.202 Auf dem gesamten europäischen Weichpapiermarkt kam SCA so auf einen Marktanteil von 21 v.  H. noch vor Kimberly-Clark und Fort James.203 5. Industrielle Beziehungen: Institutionelle Stabilität in Zeiten der Restrukturierung Ähnlich wie bei Sandvik kann das Kapitel der industriellen Beziehungen im Falle des Sundsvaller Konzerns eher gestrafft abgehandelt werden. Generell waren die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Forstwirtschaft durch eine weit zurückreichende Tradition der Zusammenarbeit gekennzeichnet, da schon in den patriarchal gelenkten Sägemühlen des 19. Jahrhunderts sich die Besitzer um das Wohlergehen ihrer Arbeiter sorgten. In den neunziger Jahren fand sich im auffälligen Kontrast zu der konfliktiven Vorgehensweise der VI – der Arbeitgebervereinigung der mechanischen Industrie – in den Arbeitgebervereinigungen der Forstwirtschaft eine deutliche Bereitschaft, mit der Gegenseite neue Manteltarifverträge abzuschließen.204 Die Kosten managerieller Kontrolle waren in der Forstwirtschaft weniger hoch als in der mechanischen Industrie, weil die Arbeitgeber mit ihren Massenquantitäten hochgradig standardisierter Produkte keiner ausdifferenzierten Produktionsstrategien und damit verbunde200  Überdies erlangte SCA auf diese Weise auf einen Schlag Zutritt auf dem weitgehend unerschlossenen deutschen Markt und wurde zugleich zu dem europäischen Marktführer bei Wellpappe. Vgl. „Nu sprider vi oss i Europa.“, in: Veckans Affärer, Nr. 3 (1995), S. 26–27; Ett köp i rättan tid, in: Dagens Nyheter, 7. Januar 1995; SCA blir europeisk pappersjätte: Sammanslagning med Tysklands stora skogsbolag PWA betyder entrebiljett till den tyska marknaden, in: Dagens Nyheter, 7. Januar 1995. 201  På kontinenten ska det hända saker, in: Veckans Affärer, 9. Januar 1995. 202  AM Papers Konvertierungskapazitäten sollten auch für die Konvertierung von Papierrollen aus der drei Jahre zuvor erworbenen Anlage in Prudhoe genutzt werden. Vgl. Brittiskt köp bara början för SCA, in: Svenska Dagbladet, 1. September 1999. 203  SCA blir Europaetta efter brittiskt köp, in: Dagens Industri, 1. September 1999. 204  Elvander / Holmlund, Swedish Bargaining System, S. 65.



5. Industrielle Beziehungen233

nen variabilisierten Anreizstrukturen bedurften und folglich der Forderung nach höherer Lohnflexibilität ablehnend bis indifferent gegenüberstanden. Die Kapitalintensität machte die Forstwirtschaft aber in Tarifauseinandersetzungen verwundbarer. Da die Abnehmer zudem auf den Weltmärkten schnell andere Lieferanten finden konnten, war die Forstwirtschaft einer der Branchen, die sich seit jeher für zentralisierte Lohnverhandlungen stark gemacht hatten. Kann den Forstwirtschaftsunternehmen schon allein aus diesem Grund ein Interesse an einem funktionierenden System korporatistischer Strukturen mit dementsprechend starken Verhandlungsparteien unterstellt werden, so sah man sich ohnehin einem Verhandlungspartner gegenüber, der ähnlich wie in der Stahlindustrie infolge eines hohen Organisationsgrades eine beeindruckende Verhandlungsmacht ins Feld führen konnte. Die betrieblichen Grundorganisationen von Pappers, der zuständigen LO-Gewerkschaft in der schwedischen Forstwirtschaft, konnten bei SCA durchschnittlich 97 v. H. und gelegentlich sogar 100 v. H. aller Arbeiter an einzelnen Produktionsorten organisieren.205 Grosso modo entsprach der Aufbau der gewerkschaft­ lichen Organisation und der Mitbestimmungsgremien bei SCA denen bei Sandvik, auch wenn die hohe Kapitalintensität und die dadurch bedingte geringere Anzahl von Arbeitnehmern in den einzelnen Produktionsstätten im Unterschied zur Stahlindustrie dem gewerkschaftlichen Dezentralisierungsstreben Grenzen setzte.206 Ähnlich wie bei Sandvik waren auch bei dem Forstwirtschaftskonzern innergewerkschaftliche Spannungen eher die Ausnahme. Sporadische Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Pappers, entstanden dann und wann anlässlich von Investitionsentscheidungen, da die Grundorganisationen der bevorzugten Produktionsstandorte auf deren schnelle Umsetzung drängten.207 Das weitgehend konfliktfreie Verhältnis der Gewerkschaften untereinander war vornehmlich einer gewerkschaft­ lichen Koordinationsgruppe zu verdanken, die bei SCA als einem der ersten schwedischen Unternehmen eingerichtet worden war, und die für eine Ab205  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April Einen etwas geringeren Organisationsgrad konnten

2007. SIF und CF vorweisen, die zusammen rund 90 bis 92 v. H. der Angestellten zu ihren Mitgliedern zählten. Vgl. Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 206  Im Gegensatz zur Metallgewerkschaft bildeten die Pappers-Abteilungen, deren Zuständigkeitsbereich sich auf den ganzen Ort und somit auch auf andere Forstwirtschaftsunternehmen erstreckte, und nicht die betrieblichen Klubs die gewerkschaftlichen Grundeinheiten. Hingegen fanden sich betriebliche SIF-Klubs bei jeder Produktionsanlage, die sich in Sundsvall mit den insgesamt 13 Logistik-, Verwaltungsund Produktionseinheiten zu einem Verbund zusammengeschlossen hatten, um der Arbeitgeberseite besser entgegentreten zu können. Vgl. Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 207  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

stimmung der Interessen und Standpunkte sorgte.208 Ansonsten wurden die Kräfteverhältnisse dadurch gewahrt, dass in den Gremien wie dem Konzernrat und im Konzernvorstand nach der Erweiterung der regulären Vorstandsplätze 1990 Pappers jeweils einen Vertreter mehr entsandte.209 Anders als im Falle Sandviks waren auch bei SCA seit 1973 die gewerkschaftlichen Organisationen im Konzernvorstand und in den Vorständen der Geschäftsbereiche vertreten. Zusätzlich wurden Arbeitnehmerbelange im Konzernrat verhandelt, einem Mitbestimmungsgremium mit bis zu 60 Personen, in das aus jeder gewerkschaftlichen Grundorganisation drei bis vier Delegierte entsandt wurden, um eine große Streuung der Informationen zu erreichen.210 Die Gewerkschaften bei SCA konnten für die Arbeit auch auf eine professionalisierte Beratung in Gestalt von Arbeitnehmerberatern zurückgreifen, die von dem Unternehmen bezahlt wurden. Die Arbeitnehmerberater gingen auf das 1985 zwischen LO, SAF und PTK abgeschlossene Entwicklungsabkommen zurück und verschafften betrieblichen Organisationen das Recht, im Falle von Veränderungen, die wesentliche Auswirkungen auf Beschäftigungsverhältnisse hatten, die Dienste eines unparteiischen, von außerhalb des Unternehmens kommenden Ökonomen in Anspruch zu nehmen. Intention dieser durch die Unternehmen finanzierten Beratungstätigkeit war, dass die Gewerkschaften in die Lage versetzt werden sollten, die Gründe der angestrebten Veränderungen eigenständig zu analysieren und selbst Stellung dazu nehmen zu können.211 Ähnlich wie bei Sandvik waren es allerdings weniger die formellen, sondern die informellen Mitbestimmungswege, die maßgeblich dazu beitrugen, den industriellen Beziehungen ihren kooperativen Charakter zu verleihen. Es waren vor allem die Zusammenkünfte vor den Vorstandstreffen, denen seitens der Gewerkschaften die größte Möglichkeit zugemessen wurde, die Beschlussfassung beeinflussen zu können, da sich die Konzernleitung in entscheidenden Fragen zuerst mit gewichtigen Eigentümern abstimmte. 208  Interview mit Allerdings sorgte

Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. eine Abstimmung im Konzernrat 1985 für Verstimmungen, als SIF, SALF und CF dank der Unterstützung von einigen Pappers-Delegierten die Wahl des SIF-Repräsentanten Tjell-Åke Hägglund in den Konzernvorstand durchsetzen konnten, so dass der Kandidat von Pappers das Nachsehen hatte. 209  Die mit einem Organisationsgrad von 6,7 v. H. bei den Angestellten sehr kleine CF hatte sogar nur widerwillig die Mandate wahrgenommen. Vgl. Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 210  Die Anzahl der Mitglieder wurde später verringert und ein jeweils vor den Konzernvorstandssitzungen zusammentretender Zentralkonzernrat eingerichtet, der durch Konzernräte auf Geschäftsbereichebene ergänzt wurde. Diese traten viermal jährlich zusammen, während der Zentralkonzernrat infolge der fünfmal im Jahr stattfindenden Vorstandstreffen fünfmal jährlich einberufen wurde. 211  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007.



5. Industrielle Beziehungen235

Auch der direkte und persönliche Kontakt in die Konzernspitze wurde von gewerkschaftlicher Seite in diesem Kontext als bedeutend eingeschätzt: „Aber es gab natürlich auch informelle Wege über den Vorstand, man konnte zu dem VD gehen und gewisse Sachen thematisieren und das ist eigentlich ungeheuer gut … Auch dass man die Sicherheit hat, dass man Informationen überprüfen kann und vertrauen kann, auch dass man sich an die Ökonomieseite bzw. den Assistent der Konzernleitung wenden und fragen kann, stimmt diese und jene Information etc. Dass man Sachen überprüfen kann, das will man gerne haben.“212

Mit etwas Vorsicht kann hinsichtlich einer Beurteilung des gewerkschaftlichen Spielraums der Schlusssatz gezogen werden, dass sich das Management zwar kooperationsbereit gab, sich aber in vielen Fragen das letzte Wort vorbehielt. So wurden anders als bei Sandvik bei anstehenden Unternehmenserwerbungen die Arbeitnehmerseite zwar informiert, in den Entscheidungsprozess allerdings nicht umfassend einbezogen.213 Dass bei SCA praktizierte Co-Management seitens der Gewerkschaften war also nicht alleine auf eine grundlegende unternehmens- oder arbeitgeberkonforme pragmatische Grundeinstellung zurückzuführen, sondern auch dem Umstand geschuldet, eigene Interventionsmöglichkeiten zu bewahren, wie die Stellungnahme eines gewerkschaftlichen Konzernvorstandsmitglieds zum Ausdruck bringt: „Wir haben ja kein Beschlussfassungsrecht. Das heißt: Wir müssen ständig Argumente haben und zeigen, können wir das so oder so machen und zeigen, was das für Konsequenzen hat für die Kunden und wie die Leute reagieren werden … Wir hatten allerdings nie die Möglichkeit oder die Chance, im Vorstand so etwas durchzusetzen, es ist eigentlich so, dass man die Sachen beeinflussen muss, bevor sie in den Vorstandsraum gelangen. Und dafür braucht man Informationskanäle, um etwas zu machen.“214 Dass die Beziehungen zwischen Arbeitgeberseite und Gewerkschaften abseits der Tarifauseinandersetzungen auf der Konzernebene weitestgehend konfliktfrei blieben, hatte nicht nur damit zu tun, dass die hauptsächlichen Felder der Auseinandersetzung sich mehr auf der betrieblichen Ebene hinsichtlich der Lohnfindung, des Arbeitsumfeldes und der Personalpolitik fanden. Erstens konnten sich die Beschäftigten sicher sein, dass im Falle eines Arbeitsplatzrückbaus die Konzernleitung alles versuchen würde, so­ ziale Härten durch beschäftigungssichernde Maßnahmen abzufedern. Die Auflösung von Beschäftigungsverhältnissen wurde in der Hauptsache in 212  Interview

mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007; Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. 214  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. 213  Interview

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Gestalt von Vorzeitpensionierungen realisiert, weswegen es im Falle von anstehenden Rationalisierungen auch keine großen Auseinandersetzungen gab.215 Darüber hinaus konnten Arbeitnehmer im Falle von Umstrukturierungen damit rechnen, dass die Konzernleitung nach Möglichkeiten suchen würde, Ersatzarbeitsplätze anzubieten. VD Bo Rydin unterstrich 1981 in einem Interview explizit das Bemühen, angesichts konjunkturell bedingter Schrumpfungsprozesse, Beschäftigte auf andere Stellen im Konzern zu versetzen.216 Dementsprechend wurde bei der Schließung der Papierfabrik in Matfors den Beschäftigten ein neuer Arbeitsplatz in Ortviken angeboten.217 Dieses Szenario eines durchgängig sozialverträglich betriebenen Personalrückbaus hatte jedoch aus gewerkschaftlicher Perspektive auch seine Grenzen, die besonders in den Krisenjahren 1990 bis 1993 deutlich wurden. Neben Transport- und Nutzholzkosten gerieten auch die Personalkosten ins Visier der Konzernleitung, die den Beschluss fasste, insgesamt 7000 Stellen weltweit abzubauen, um durch Einsparungen in der Zellstoff- und Papierherstellung sowie Nutzholzbearbeitung die Kosten mit 750 Mio. SKr zu senken. Sverker Martin-Löf hatte zwar in der Frage von Lohnzugeständnissen eine Konzilianz der Gewerkschaften feststellen können.218 Der avisierte Personalrückbau um 20 v. H. bis 1993, von dem immerhin 4600 Stellen in Schweden betroffen waren, stieß jedoch insbesondere bei Pappers auf Kritik. Zwar konnten die Gewerkschaften von ihrem gesetzlich verbrieften Recht auf die Auswahl der zu Entlassenen Gebrauch machen, aber diesmal gelangten die ansonsten genutzten Maßnahmen wie vorzeitige Pensionierungen und Altersteilzeit nicht zur Anwendung. In dieser Situation war die Konzernleitung in der Wahrnehmung des Pappers-Repräsentanten im Konzernvorstand auch nicht an einvernehmlichen Lösungen interessiert.219 Dass ähnlich wie im Falle Sandviks dennoch der Arbeitsplatzabbau nicht zu einem dauerhaften Konfliktthema zwischen Gewerkschaften und Unternehmensleitung wurde, ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich die Verringerung von Beschäftigungsverhältnissen nach den Krisenjahren zu Beginn der neunziger Jahre in überschaubaren Grenzen hielt und in der Regel Arbeitnehmer im Ausland traf. Der Problemdruck war für die Belegschaften in dem Forstwirtschaftsunternehmen in dieser Hinsicht also deutlich geringer als für die Arbeitnehmer bei Ericsson (vgl. Abschnitt IV.7.). 215  Interview

mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. MoDo och NCB subventioner då protesterar jag högljutt.“, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1980), S. 64–67, S. 67. 217  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007. 218  SCA vill sänka lönerna: Skogsbolag i knipa räknar med stöd från de anställda, in: Dagens Nyheter, 23. Oktober 1992; SCA räknar med nollresultat, in: Veckans Affärer, 28. Oktober 1992. 219  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. 216  „Får



5. Industrielle Beziehungen237

Trotzdem stellte sich genau wie bei Sandvik gegen Ende der achtziger Jahren eine weitere grundlegende Herausforderung für die industriellen Beziehungen in Gestalt der mit den Großakquisitionen von Peaudouce oder Reedpack einsetzenden umfassenden Internationalisierung, die rein theoretisch die Möglichkeit bot, durch eine Kostenarbitrage den eigenen Gewerkschaften Konzessionen abzuringen. Generell nahmen die Arbeitnehmervereinigungen ähnlich wie im Falle des Bergslagener Konzerns keine ablehnende Einstellung gegenüber der Internationalisierung ein, da ihnen bewusst war, dass die Begrenztheit des Rohstoffzugangs die Verlagerungsmöglichkeiten von Produktionsabschnitten einschränkte. Zwar wurden vor allem während der intensivierten Akquisitionsphase intern Befürchtungen laut, dass die für Erwerbungen eingesetzten Mittel zu Lasten der schwedischen Standorte gehen würden, was sich aber nicht bewahrheitete.220 So hielt sich der durch Internationalisierungsschritte bedingte Arbeitsplatzrückbau in Grenzen und traf vorrangig eine überschaubare Anzahl von Angestellten in Leitungsfunktionen wie im Falle der Verlagerung von Teilen der Produktentwicklung und der Vermarktung Mölnlyckes nach Brüssel zur Ausnutzung dortiger steuerlicher Vergünstigungen oder dem Umzug der SCA HygieneGeschäftsbereichsleitung 1999 nach München-Ismaning.221 Größere Produktionseinheiten wie Laakirchen in Österreich, Aylesford in Großbritannien und das Kombinat Wifsta-Östrand und somit die dort beschäftigten Arbeitnehmer konkurrierten jedoch schon deswegen nicht mit­ einander, weil die Produktaufteilung einen Wettbewerb um Investitionen ausschloss. Nicht zuletzt deswegen gab es in der Papier- Zellstoff- und Verpackungsherstellung kein innerbetriebliches Benchmarking, sondern einen Vergleich zwischen SCA und den Konkurrenten anhand der Bilanzkennziffern. Auch durch die offene Haltung zwischen den schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen in der Anwendungsforschung konnte ein Qualitätsbenchmarking betrieben werden, das aber auf die Effektivierung der Maschinen abstellte.222 Das galt allerdings nur eingeschränkt für die Hygienesparte: Wurden die klassischen Bereiche der Forstwirtschaft einem Konkurrenz-Benchmarking unterzogen, erfolgte im wachsenden Umfang bei Mölnlycke mit der Einführung von Just in Time-Methoden ein interner Abgleich der Kosten- und Produktivitätsperformanz, in dessen Rahmen sich das Controlling und der Druck auf die Beschäftigten zur Erfüllung von 220  Interview

mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. till belgisk frizon: „Lättare rekrytera experter“, in: Dagens Industri, 30. Mai 1986; Mölndal, förlorade dragkampen, in: Göteborgs-Posten, 15. August 1997, Svenskt företag – bortom svensk skatt, in: Göteborgs Posten, 20. März 1999. 222  Interview mit Ulf Frölander, Stockholm 2007. 221  Mölnlycke

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Vorgaben nach 1995 deutlich intensivierte.223 Grundlegend waren bei Mölnlycke nach Auffassung von Gewerkschaftsvertretern die Beziehungen deutlich angespannter, was sich nicht nur in Alltagskonflikten, sondern auch in einer deutlich geringeren Informationsbereitschaft bemerkbar machte. Anlässlich der Einführung eines Bonussystems für Angestellte, das bei Mölnlycke nicht übernommen wurde, sahen sich die Gewerkschaften sogar gezwungen, bei der Konzernleitung zu intervenieren, um auf diesem Wege erfolgreich ihre Forderungen durchzusetzen.224 Prinzipiell konnten die Beschäftigten des Unternehmens ab November 1995 über einen europäischen Betriebsrat nicht nur zusätzliche Mitbestimmungsrechte ausüben, sondern auch durch koordinierende Absprachen untereinander ein mögliches Ausspielen der Produktionsstandorte unterbinden. Das neue Gremium systematisierte die vorherigen sporadischen Treffen, die es gelegentlich mit ausländischen – zumeist deutschen oder finnischen Vertretern – gegeben hatte. Im Gegensatz zu Sandvik war die Initiative aber nicht von der Unternehmensleitung ausgegangen, sondern von Pappers. Bereits als Sunds Defibrator an die finnische Rauma-Repola Oy im Jahr 1990 verkauft worden war, konnten die Gewerkschaften ein in Finnland gesetzlich nicht vorgeschriebenes, aber vertraglich garantiertes Mitbestimmungsorgan durchsetzen.225 Die in diesem Zusammenhang gesammelten Erfahrungen und das Bewusstsein, auch selbst in so eine Situation geraten zu können, hatten die Diskussionen um die Notwendigkeit eines europäischen Betriebsrates dann deutlich befördert und zu ersten Abstimmungstreffen mit den Gewerkschaften an ausländischen Produktionsorten wie Laakirchen und Aylesford geführt. Grundlegend zeichnete sich der Europäische Betriebsrat SCAs gegenüber den entsprechenden Gremien bei den anderen Fallstudienunternehmen durch eine deutlich höhere Informationsfrequenz und Einbeziehung von Führungskräften aus.226 223  In diesem Rahmen kam es gelegentlich auch zu Spannungen mit den Gewerkschaftsorganisationen der nicht bei Mölnlycke, sondern bei SCA angesiedelten Weichpapiereinheiten, mit denen man intern um Produktionskapazitäten konkurrierte und die erst allmählich durch einen systematisierten Informationsaustausch entspannt werden konnten. Vgl. Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. 224  Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. 225  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. Das war durchaus keine Selbstverständlichkeit: 1998 sollten die Arbeitnehmervertreter bei Stora anlässlich der Fusion mit der finnischen Enso ihren Gesetz im Aufsichtsrat verlieren. 226  Sechs selbständige Referenzgruppen mit jeweils 50 Mitgliedern wurden eingerichtet, deren Mitglieder mit der Leitungen der Geschäftsbereiche mindestens zweimal im Jahr zusammentrafen. Ein übergreifender Rat mit zwei Repräsentanten des Spartenmanagements mit zwei Vertretern jeder Referenzgruppe traf sich im gleichen Zyklus mit der Konzernleitung. Vgl. SCA Geschäftsbericht 1995, S. 7.



5. Industrielle Beziehungen239

Ähnlich wie bei Sandvik sollte sich schnell herausstellen, dass die Prägekraft der landesspezifischen institutionellen Rahmen äußerst stark war, was sich zunächst in unterschiedlichen Vorstellungen über die Rolle von internen und externen Gewerkschaftsvertretern offenbarte. Anders als bei Sandvik opponierten nicht nur die Unternehmensvertreter, sondern auch die schwedischen Gewerkschaften gegen die Einbeziehung von externen Verbandsrepräsentanten, die seitens der deutschen und italienischen Gewerkschaften eingefordert wurde. Als ein unternehmensfremder Vertreter der deutschen IG Bauen-Agrar-Umwelt in den PWA-Vorstand entsandt werden sollte, ließen die schwedischen Gewerkschaften das noch widerwillig zu, verweigerten ihm aber einen Platz im europäischen Konzernbetriebsrat. Solche Handlungen evozierten auf der deutschen Seite den Vorwurf, dass sich die schwedischen Gewerkschaftsrepräsentanten wie ‚Unternehmensvertreter‘ gerieren würden.227 Differenzen gab es auch über die Frage, inwiefern der EWC als Konsultations- oder als Verhandlungs- und Mitbestimmungsorgan zu sehen war. Während französische Vertreter dort Fragen wie Standortschließungen oder -verlagerungen zur Sprache bringen wollten, empfanden schwedische Vertreter diese Auffassung als unzureichende Nachvollziehung notwendiger Rationalisierungsschritte und betonten die Funktion des Gremiums als Informationseinrichtung.228 An dem für die schwedischen industriellen Beziehungen typischen Primat der betrieblichen Ebene als Aushandlungsarena wurde auch von den Gewerkschaften selbst um den Preis eines unsolidarischen Verhaltens konsequent festgehalten: „Betriebliche Probleme sollen auch betrieblich gelöst werden, so weit es geht, da sind wir ein typisches schwedisches Unternehmen. Vor allem die Franzosen denken, dass wir solche Fragen im Konzernvorstand thematisieren sollen, aber das machen wir nicht. Da haben wir uns verweigert.“229 In das Bild der institutionellen Varietät auf dem Gebiet der industriellen Beziehungen fügt sich auch das Bemühen des Konzerns ein, die jeweiligen landesspezifischen Gegebenheiten nicht durch die Einführung des schwedischen Mitbestimmungsmodells zu verändern. Überwiegend nach Erwerbungen wurden zwar Zusammenkünfte des zuständigen Managements an ausländischen Produktionsorten abgehalten, um die Distanz zu den Beschäftigten zu verringern und wie im Falle Italcartas mögliche Ängste der Beschäftigten vor Entlassungen zu zerstreuen.230 Allerdings ging diese Offenheit 227  Interview

mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 229  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. 230  Auch die Situation bei dem französischen PLC, wo die CGT-Repräsentanten abwechselnd an der Vorstandssitzung teilnahmen, um nicht zu viel Nähe zu der Unternehmensleitung aufkommen zu lassen, konnte mit Hilfe der LO in Schweden entspannt werden, die den Franzosen die Vorzüge der schwedischen industriellen 228  Interview

240

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

nicht so weit, in erworbenen Unternehmen wie Reedpack eine nicht gesetzlich vorgeschriebene Vorstandsrepräsentation einzuführen, an der die britischen Gewerkschaftsvertreter auch gar nicht interessiert waren, die im Falle von Problemen vielmehr eine Zusammenarbeit mit den schwedischen Arbeitnehmerorganisationen suchten.231 6. Vom Nachzügler zum Vorreiter: Veränderungen in der Corporate Governance und die Durchsetzung des Shareholder Value a) Die Kreuzverflechtung mit der SHB: Im Schutz und Dienst der Svenska Handelsbanken Legt die von der Konzernspitze verfolgte Wachstumsstrategie im Sinne der von der VOC-Theorie postulierten Regelkomplementarität eine Entsprechung im Feld der Corporate Governance nahe, wird es vielleicht überraschen, dass ausgerechnet das Sundsvaller Unternehmen sich ab Mitte der neunziger Jahre durch eine Kapitalmarktorientierung auszeichnete, die es auch aus dem Kreis der untersuchten Unternehmen herausragen lässt. Für Kenner der Branche mag dieses Ergebnis vielleicht überraschend wirken, standen doch Forstwirtschaftsunternehmen in dem Ruf, Investoren mit kurzfristigen Gewinninteressen abzuschrecken, ja geradezu ‚kapitalzerstörend‘ zu wirken. Auch SCA rangierte lange nicht gerade auf den vorderen Rängen der Analystenempfehlungen: Behäbig, langfristig ausgerichtet, mit einer deutlich produktivistischen Orientierung des Managements und einer hohen Kapitalbindung musste sich die Konzernspitze den Vorwurf gefallen lassen, den Interessen von Aktionären nicht genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Dass man es sich in Sundsvall leisten konnte, deren Bedürfnisse hinten anzustellen, lag nicht zuletzt an dem Umstand, dass SCA fast von Beginn an zur der Sphäre der Svenska Handelsbanken gerechnet wurde. Das Bankhaus fungierte schon früh als Hauptbank für nahezu die gesamte norrländische Forstwirtschaft, die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Beziehungen vermitteln konnte. Vgl. Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 231  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. Die Arbeit des Europäischen Betriebsrates von SCA und die Probleme und Erwartungen der Arbeitnehmervertreter werden genauer erörtert bei Andersson, M. /  Thörnqvist, C., Regional Clusters of Communication: Between National and European Identities, in: Whittall, M. / Knudsen, H. / Huijgen, F. (Hrsg.), Towards a European Labour Identity: The Case of the European Work Council, London 1997, S. 94–110.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter241

turbulente Zeiten zu überstehen hatte. Die ab 1920 einsetzende Deflationskrise hatte zu einer immer höheren Schuldenbelastung der Forstwirtschaftsunternehmen und einer Verschlechterung der Eigenkapitalquote geführt, so dass die Banken die Gelegenheit nutzten, durch die Umwandlung von Kreditlinien in Aktienkapital oder verpfändete Wertpapiere Unternehmenseigner zu werden.232 Auf diesem Weg hatte auch die Svenska Handelsbanken nach dem spektakulären Zusammenbruch von Ytterstfors-Munksund Beteiligungen an norrländischen Unternehmen erworben. Allerdings hatte das Bankhaus selbst mit einer umfassenden Schuldenlast zu kämpfen und sah sich gleichzeitig zu einem kraftraubenden Engagement in einer Reihe kriselnder Stahlunternehmen gezwungen, so dass der Finanzmagnat zunächst als Hauptinvestor bei SCA firmierte.233 Nach dem Zusammenbruch von Kreuger & Toll war SCA 1934 an der Börse notiert worden und die Svenska Handelsbanken nutzte die Gelegenheit, für drei Millionen SKr 300.000 SCA-Aktien zu erwerben. Jedoch hielt sich der Wunsch nach einem Engagement in dem durch einem zwischenzeitlichen Zellstoffpreisverfall krisengeschüttelten Gebilde, dessen Börsenwert sich außerdem im Gefolge der Insolvenz Kreugers von 100 Mio. SKr auf vier Mio. SKr verringert hatte, zunächst in Grenzen. Im Dezember 1934 wurde der Großindustrielle Axel Wenner-Gren sogar Haupteigner bei SCA, ohne dass der Electrolux-Gründer mit nennenswerten Ideen zur Geschäftsentwicklung beitrug. Auch wenn sich an dieser Konstellation bis 1947 offiziell nichts ändern sollte, konnte die SHB durch umfassende Kreditlinien die Kontrolle stetig ausbauen und maßgeblich zur erforderlichen Sanierung beitragen. 1947 kaufte die SHB Wennergrens verbleibende Aktien auf, so dass SCA formell als Tochtergesellschaft der Bank geführt wurde. Nachdem im Zuge des Forstwirtschaftsbooms der Nachkriegszeit das Unternehmen wieder an der Stockholmer Börse notiert, verblieb eine Mehrheit von 500.000 Aktien bei Industrivärden, so dass die SHB nun auch nach außen als Hauptkapitalgeber des Forstwirtschaftskonzerns auftrat. 1961 und 1962 kaufte SCA seinerseits ein Kontrollpaket bei Industrivärden, so dass die Bindungen die Gestalt einer Überkreuzverflechtung annahmen. Damit konnte die Bankengruppe zumindest teilweise ihr grundlegendes Dilemma des Fehlens eines starken Eigentümers lösen. Anders als im Fall der Wallenberg-Familie wurde die SHB über einen 232  Außerdem bedurfte es zur Ausnutzung von Skalenerträgen eines immer größeren Kapitalbedarfs für den Forsterwerb, was zur Folge hatte, dass die norrländischen Unternehmen immer mehr auf das Wohlwollen ihrer Kreditgeber angewiesen waren. Vgl. zum Engagement der Banken in Norrland Glete, Ägande, S. 218; Ders., Nätverk, S. 86. 233  Da zudem die eigene Holdinggesellschaft im Strudel des Deflationsprozesses kurz vor dem Bankrott stand, war es der Bank selbst nicht möglich, Aktien bei der neu gegründeten SCA zu erwerben. Vgl. Hildebrand, I omvandlingens tjänst, S. 293.

242

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

langen Zeitraum durch eine Allianz aus Unternehmensleitern und Bankdirektoren angeleitet, ohne dass die kontrollierten Unternehmen sich nennenswert bei ihrer Bank in Form von Beteiligungen engagierten. Die Kontrollstrukturen waren deswegen durchgängig durch ein System von checks and balances gekennzeichnet, das im Vergleich zur Wallenberg-Sphäre eine deutlich komplexere und in machtpolitischer Hinsicht auch fragilere Struktur aufwies. Anstelle eines starken Eigners oder reziproker Verflechtungsstrukturen dienten die Pen­ sions- und Personalstiftungen Oktogonen und SHB Pensionsstiftelse sowie einige durch ehemalige VDs und ODs begründete Stiftungen als Kontrollinstrumente, die in der Bank zusammen zwischen 6 bis 14 v. H. der Stimmrechte ausübten. Da die Beteiligungen anderer Großaktionäre wie die der Versicherungsgesellschaften SPP, TryggHansa, Folksam, Wasa und Skandia nur selten mehr als 5 v. H. der Stimmrechte umfassten und der Rest des Grundkapitals sich auf Streubesitz verteilte, musste sich der Bankenvorstand nicht unliebsamen Investoren beugen.234 Ein weiterer Unterschied zu der Wallenberg-Sphäre war, dass die Bank neben SCA nur bei Ericsson, AGA und PLM über wirklich bedeutende und große Aktienposten verfügte, so dass das Forstwirtschaftunternehmen einen basalen Pfeiler im Portfolio der Holdinggesellschaft Industrivärden repräsentierte.235 Das war auch das Ergebnis einer im Vergleich zu den Wallenbergs wesentlich marktorientierten Geschäftspolitik, die mit der Ausnahme dieser als strategisch klassifizierten vier Beteiligungen nicht davor scheute, Beteiligungen und Kreditlinien schneller als andere Sphären aufzugeben. Industrivärden, das selbst über drei bis fünf v. H. der stimmrechtsstarken Aktien bei der Bank verfügte, wurde selbst nicht ausschließlich durch die Bank und ihre Stiftungen kontrolliert, die zusammen nur eine Minderheitenbeteiligung von rund 20 v. H. hielten. Weil in der Holdingge234  Diese Autonomie wurde außerdem dadurch abgesichert, dass sich das Kontrollgremium auf der Aktionärsversammlung mittels Vollmachten eine Mehrheit sicherte. Da zusätzlich eine Klausel in der Unternehmensordnung vorsah, dass niemand mehr auf der Aktionärsversammlung als fünf v. H. der Stimmrechte wahrnehmen durfte, hätte sich eine weitreichende von der Vorstandslinie abweichende Koalition zur Durchsetzung von Aktionärsinteressen zusammenfinden müssen. Vgl. zun den Strukturen der Unternehmenskontrolle insbesondere Handelsbankgruppen: Imperiet försvagas utan stark ägare, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1984), S. 22; A-aktier skyddar industrin: Börsens utspel välkomnas, in: Dagens Nyheter, 27. Januar 1995. 235  Bei SCA hielt Industrivärden 1984 10,1 v. H. der B-Aktien und 22 v. H. der A-Aktien, bei Ericsson 3,5 v. H. der B-Aktien und 22,4 v. H. der A-Aktien, allerdings mit der Besonderheit, dass die B-Aktien im Verhältnis zu den A-Aktien mit 1:1000 gewichtet wurden. Bei AGA kontrollierte die Holdinggesellschaft 10,0 v. H. der A-Aktien und 12,8 v. H. der B-Aktien, bei PLM waren es 15,0 v. H. der B-Aktien und 18,9 v. H. der A-Aktien. Vgl. Industrivärden, in: Veckans Affärer, 7. Juni 1984; Detta är Industrivärden, 1. Juni 1984.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter243

sellschaft SCA noch vor der SHB-Pensionsstiftung und Oktogonen als größter Kapitalgeber auftrat, sprachen auch manche Beobachter von einer SCA-Svenska Handelsbanken-Sphäre. Obwohl Bo Rydin 1984 die Inanspruchnahme der SCA-Aktiva für etwaige Zwecke als aktiver Eigentümer öffentlich ebenso kategorisch abgelehnt wie seine grundsätzliche Gegnerschaft zu Überkreuzbeteiligungen betont hatte, sprach die Akquisitionspolitik seines Unternehmens eine andere Sprache.236 Gleichzeitig mit dem zwischenzeitlichen Einstieg Volvos bei Industrivärden 1982 hatte SCA weitere 100.000 Aktien in der Holdinggesellschaft erworben und war mit 6,6 v. H. zum zweitgrößten Eigner aufgestiegen. Diese Beteiligung wurde 1984 auf 9 v. H. und bis 1990 auf 20 ausgebaut, so dass zusammen mit den SHB-Stiftungen andere Aktionäre oder zwischenzeitlich einflussreiche Miteigner ohne Anbindung an die Bank wie Ratos, Beijer oder Fredrik Lundberg in Schach gehalten werden konnten.237 Zudem verfügte SCA über Vorkaufsrechte für das Dosen- und G ­ etränkeverpackungsunternehmen PLM und das Industriegasunternehmen AGA, zwei wichtigen Kernunternehmen der Bankengruppe. Industrivärden besaß wiederum 23 v. H. bei SCA vor Custos mit 17 v. H. Zu den flankierenden Elementen der Kreuzverflechtung gehörte auch die Ausbildung von Verflechtungsnetzwerken über personelle Bande. Sowohl Bo Rydin als auch Sverker Martin-Löf waren jeweils im Vorstand der Handelsbanken repräsentiert; Bo Rydin, der seit 1973 dem Vorstand angehörte, amtierte sowohl bei SCA auch bei Industrivärden als OD. In den achtziger Jahren hatte die Svenska Handelsbanken die Annäherung an Volvo betrieben, das 1981 in Gestalt von Volvo-Beijer 10 v. H. der Aktien bei Industrivärden erwarb.238 Im Gefolge dieser Absicherungsstrategie trat Volvo-OD Pehr G. Gyllenhammar in den SCA-Vorstand ein.239 Umgekehrt hatte ab 1989 Bo Rydin auch als Vorstandsmitglied bei Volvo amtiert. Im Vorstand des von der Bank kontrollierten AGA nahm mit Sverker Martin-Löf ebenfalls ein gewichtiger Repräsentant des Forstwirtschaftskonzerns Platz. Mehr noch als im Falle Sandviks war der Vorstand des Forstwirtschaftskonzerns mit seinen zehn ordentlichen Mitgliedern und zunächst drei, ab 236  Handelsbankgruppen: Imperiet försvagas utan stark ägare, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1984), S. 22. 237  Storaffär i tysthet: Volvo störste ägare i Industrivärden, in: Dagens Industri, 27. April 1982; SCA färdiginvesterat: Var satsar pengarna? In: Affärsvärlden, Nr. 15 (1984), S. 39; Industrivärden: Ratos störst, in: Dagens Industri, 31 Januar 1989. 238  Storaffär i tysthet: Volvo störste ägare i Industrivärden, in: Dagens Industri, 27. April 1982. 239  Die Wahl des Volvo-Konzernchefs darf deswegen als signifikant bewertet werden, weil Volvo überhaupt gar keine Anteile in SCA besaß. Vgl. Närmande Volvo och Industrivärden, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1989), S. 29.

244

III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

1991 fünf Stellvertretern ein Instrument der Eigentümerkontrolle. Sieht man von dem Forsteigner und VD der Stäringe AB Robert Francke und Gunnar Dahlsten, dem VD des Streichholzunternehmens Swedish Match ab, gab es im Vorstand kaum externe Branchenkompetenz.240 Hingegen nahmen dort herausgehobene Repräsentanten der Svenska Handelsbanken wie Tore Browaldh, der bis 1988 als OD SCAs amtierte, sowie Carl-Erik Feinsilber, Clas Reuterskiöld oder Tom Hedelius Platz, die entweder bei der Bank oder bei Industrivärden als VD tätig waren. Auch der zweitgrößte langjährige Kapitalgeber, die Investmentgesellschaft Custos, entsandte regelmäßig ihren VD in den Vorstand des Forstwirtschaftsunternehmens. Ähnlich wie bei Sandvik mussten sich die Vorstandsmitglieder mit einem im hohen Ausmaß intern rekrutierten Management abstimmen, das ähnlich wie im Falle des Bergslagener Unternehmens auf eine lange Verweildauer bei SCA zurückblicken konnte. Für eine hohe personalpolitische Kontinuität bürgten alleine schon die Führungspersönlichkeiten: Der Ökonom Bo Rydin, der seine Ausbildung an der Handelshochschule in Stockholm erhalten hatte, war nach Zwischenstationen bei der SEB, Marma-Långrör sowie Gullhögens bruk 1972 in den Konzern eingetreten und schon ein Jahr später zum VD SCAs berufen worden. Diese Funktion übte Rydin bis 1988 aus, um anschließend als OD des Vorstandes zu amtieren. Ihm folgte als VD Sverker Martin-Löf, der nach seinem Ingenieursstudium zunächst als Projektleiter am Svenska Träforskningsinstitutet und dann bei MoDo Chemetics umfangreiche Erfahrungen in der Branche erworben hatte. Ab 1977 für SCA tätig, hatte Löf sich besonders als Sanierer der Tochtergesellschaft Sunds Defibrator ausgezeichnet. Wie das Beispiel dieser beiden Führungspersönlichkeiten erahnen lässt, wurden ähnlich wie bei Sandvik führende Managementposten vorwiegend mit intern rekrutiertem Personal besetzt, das nicht nur über eine ingenieurstechnische Ausbildung, sondern auch über eine lange Branchen- und Unternehmenserfahrung verfügte. b) Finanzierungspolitik: ‚Expansion mit Gewinn‘ 241 Mit dem Schutz der zugleich als Hausbank auftretenden Handelsbanken konnte der Forstwirtschaftskonzern eine Finanzierungspolitik betreiben, die trotzdem durchgängig durch ein eher vorsichtiges Verhalten geprägt war. Interessanterweise implizierte die Rolle des Kerneigentümers nicht, dass ein Hauptteil der Finanzgeschäfte durch die SHB abgewickelt wurde. Zwar betreute das Stockholmer Kreditinstitut alle finanziellen Transaktionen des 240  Die Ausnahme bildete der Besitzer des Forstwirtschaftsunternehmens Stäringe AB Robert Francke, der zwischen 1970 und 1993 dem Vorstand angehörte. 241  Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter245

Konzerns in Schweden, aber infolge des konstant steigenden Investitionsvolumens im Ausland verlor es zunehmend an Gewicht. Prinzipiell bevorzugte man in Sundsvall eine Konstellation mit mehreren Finanzintermediären, so dass die SHB bei etlichen Finanzoperationen nicht gegenüber anderen Konkurrenten bevorteilt wurde.242 Betrachtet man zunächst die Eigenkapitalquote als Gradmesser für die Finanzierungspolitik des Konzerns, dann präsentiert sich SCA genau so finanziell stabil wie Sandvik, da die Quote in der Regel bei 37 v. H. lag. So muss allerdings relativierend hinzugefügt werden, dass SCA angesichts der umfangreichen Investitionsprogramme und Erwerbungen den Eigenkapitalanteil durch etliche Emissionen erhöhte und nicht durchgängig wie Sandvik Eigenfinanzierungsmittel für Investitionen in Anspruch nahm. So wurde Fremdkapital in Eigenkapital umgewandelt, ohne dass der Verschuldungsgrad merklich stieg. Zu diesem Zweck nahm der Konzern vor allem in den achtziger Jahren ausländische Kapitalmärkte in Anspruch. Mitte der sechziger Jahre war die schwedische Bankeninspektion zu dem Schluss gekommen, dass die Svenska Handelsbanken zu intensiv in die konjunkturempfindliche Forstwirtschaft verwickelt sei, so dass die Bank ihre Kreditlinien bedeutend zurückfahren musste. Es erwies sich jedoch als außerordentlich leicht, Kreditgeber in den Ländern, wohin SCA exportierte, zu interessieren, so dass schon 1973 die erste internationale Obligation in Westdeutschland mit einem Volumen von 80 Mio. DM emittiert wurde. Zur Finanzierung des umfangreichen Investitionsprogramms in Östrand folgte 1982 eine in London platzierte Wandelanleihe mit einem Rahmen von 19 Mio. USA-Dollar mit einer Laufzeit von 15 Jahren, die ausländischen Interessenten die Chance bot, die Wertpapiere in diesem Zeitraum in freie B-Aktien umzuwandeln. 1983 folgte dann kombiniert mit einem Aktiensplit die nächste Wandelanleihe über 400 Mio. SKr, 1987 eine Emission mit einem Volumen von 700 Mio. SKr und schließlich eine dritte auf europäische Kapitalmärkte zielende Wandelanleihe von 730 Mio. SKr.243 Das Mittel der Privatplatzierung wandte SCA nur in einem einzigen Fall an, als 1985 nach dem Kauf der Svanö AB mit ihrem Waldbesitz von 165.000 Hektar neben einem Barbetrag im 242  In der Praxis stellte sich das folgendermaßen dar: „Wir versuchten, in jedem größeren Land eine Hausbank zu haben, das war unser Prinzip. Bei dem Cash Pooling hatten wir eine Bank für ganz Europa. Die SHB war sozusagen die cash cowBank in Schweden. Dann hatten wie eine Reihe Wandelanleihen, da war die Emittentenbank keineswegs die SHB. Wir versuchten sogar, eine gewisse Konkurrenz unter den Banken aufrecht zu erhalten, das war nahezu ein Sport.“ Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 243  SCA vill ha 400 mkr av aktieägarna, in: Dagens Industri, 9. März 1983; Rekordvinster SCA +315 Stora +560 MoDo +424 Vinstökning i Mkr, in: Dagens Industri, 15. Oktober 1987; SCA emitterar konverteringslån, in: Dagens Industri, 12. Januar 1989.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Rahmen einer Neuemission 1.250.000 B-Aktien an die Familien Ekman und Mannerfelt ausgegeben wurden.244 Parallel zu den ambitionierteren Expansionszielen und den umfassenden Akquisitionen erhöhte sich die Mittelbeschaffung am Kapitalmarkt während der neunziger Jahre deutlich. Dass von Kapitalmärkten als Finanzierungsinstrument Gebrauch gemacht wurde, war zunächst dem Ansinnen geschuldet, die großen Erwerbungen ohne eine drastische Erhöhung der eigenen Schuldenlasten zu bewerkstelligen. Alleine die Großerwerbungen Reedpack, Laa­ kirchen und Peaudouce zu Beginn der neunziger Jahre kosteten zusammen rund neun Mrd. SKr, zu deren Finanzierung SCA bis 1994 Aktien im Gegenwert von 2,4 Mrd. SKr emittierte.245 1998 wollte SCA 870 Mio. SKr durch die Ausgabe von Belegschaftsaktien in Gestalt einer zinsfreien Wandelanleihe für Investitionen im Hygiene- und Verpackungsbereich erhalten.246 1999 setzte dann mit der gleichen Zielsetzung eine Rekordemission mit 4,6 Mrd. SKr den vorläufigen Schlusspunkt, um die Erwerbungen mit dem Volumen von insgesamt 8,5 Mrd. SKr zu finanzieren, ohne den Verschuldungsgrad über Gebühr zu steigern.247 Nur der Kauf von PWA mit 5,7 Mrd. SKr wurde vollständig schuldenfinanziert, da nach Aussage des Finanzvorstandes Åke Rietz die Kreditlinien dafür ausreichend waren.248 Diese defensive Finanzierungspolitik lässt sich auch an dem Umgang mit Verbindlichkeiten ablesen. 1980 hatte man als Ziel ausgegeben, 80 v. H. des Östrand-Projektes maßgeblich durch Selbstfinanzierung zu bestreiten. Nur rund ein Fünftel des Investitionsplanes sollte durch Schuldenaufnahme vorrangig im Ausland finanziert werden, der Rest durch laufende Mittel.249 Diese Vorsicht schien allerdings zwischenzeitlich angesichts der 25,5 Mrd. SKr, die zwischen 1988 bis 1992 für Investitionsprogramme und Unternehmenskäufe aufgewendet wurden, zur Makulatur zu verkommen, auch wenn im gleichen Zeitraum Aktivitäten mit einem Wert von 9,8 Mrd. SKr veräußert wurden. Dessen ungeachtet schwollen die Nettoverbindlichkeiten von 3,7 auf 18,4 Mrd. SKr in 1990 an, so dass die Eigenkapitalquote auf 25 v. H. absank. Die umfassenden Investitionen und der Kauf der MoDo-Aktien für 1,4 Mrd. SKr hatten dazu geführt, dass sich die Kennziffern des Unternehmens drastisch verschlechterten, obwohl alleine 1991 Unternehmensverkäu244  SCA segrade 245  SCA

1994.

i kampen om Svanö AB, in: Veckans Affärer, 14. November 1985. köper franskt – gör ny miljardemission, in: Dagens Industri, 19. März

246  SCA siktar mot redovisning i euro, in: Svenska Dagbladet, 1. April 1998; Fler borde ta efter SCA-erbjudande, in: Svenska Dagbladet, 2. April 1998. 247  Brittiskt köp bara början för SCA, in: Svenska Dagbladet, 1. September 1999. 248  SCA blir störst i Europa, in: Svenska Dagbladet, 7. Januar 1995. 249  Geschäftsbericht SCA 1980, S. 2.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter247

fe für fünf Mrd. SKr die Belastung der Passiva verringern sollten. Die allgemeine Rezession 1992 hatte jedoch einen Preisverfall zwischen 15 und 25 v. H. bei Kraft- sowie Testliner und Zeitungspapier, aber auch für Zellstoff und Nutzholzgüter verursacht.250 Insbesondere der Kauf von Reedpack hatte dem Konzern eine Schuldenlast von 5,7 Mrd. SKr aufgebürdet, so dass SCA die internationalen Rating-Agenturen mühsam überzeugen musste, nicht herab gestuft zu werden. Trotzdem hielt die Konzernleitung hartnäckig an ihrer Wachstumsstrategie fest: Sverker Martin-Löf konzedierte in der Rückbetrachtung zwar, dass der Kauf von Reedpack zu einem falschen Zeitpunkt passiert sei, bezeichnete jedoch den Erwerb zu einem Preis, der immerhin dem zehnfachen des Gewinns Reedpacks entsprach, als unabänderlich.251 Die angespannte finanzielle Situation änderte sich allerdings auf einen Schlag, als die Båkab für 11 Mrd. SKr an den Energieversorger Sydkraft mit einem Reingewinn von 6,7 Mrd. SKr verkauft wurde. Diese 1991 vereinbarte Transaktion diente neben den in Abschnitt III.5. geschilderten Gründen vor allem der Verminderung der Verbindlichkeiten, da somit die Schuldenlast mit einem Schlag von 17,8 Mrd. SKr auf 8,6 Mrd. SKr halbiert werden konnte.252 Der Verkauf war durchaus nicht unumstritten: Die BÅKAB umfasste angesichts einer Stromerzeugung von 4,6 Gigawattstunden immerhin fünf v. H. der schwedischen Energieproduktion, so dass SCA nur der von Stora Kopparberg übertroffene zweitgrößte Wasserenergieproduzent des Landes war.253 Außerdem war die Tochtergesellschaft ein wichtiger Gewinngeber, der Mitte der achtziger Jahre 70 v. H. des Stroms an Außenstehende veräußerte und in angespannten Zeiten wie im Jahr 1978 rund 40 v. H. des Konzerngewinns verantwortet hatte.254 Im Vorstand dauerten die Debatten immerhin zwei Jahre an, bevor ein Beschluss gefasst wurde, zu dessen Untermauerung noch zwei Gutachten erstellt wurden, die die Richtigkeit des Handelns bestätigen sollten. Zu guter Letzt hatte die durchgängig negative Resonanz auf den Aktienmärkten auf die spürbare Verringerung der Eigenkapitalquote den Vorstand zu diesem einschneiden250  SCA

föll 1 miljard, in: Dagens Nyheter, 12. Juni 1992. ska stärka SCA, in: Svenska Dagbladet, 16. Januar 1995. 252  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 253  Råd till SCA: bud på Esselte förnuftigare än motköp i Industrivärden, in: Dagens Industri, 18. Mai 1982. 254  60 v. H. der Energie gingen an große elektrizitätsintensive Industrien und der Rest an Weiterverteiler mit ca. 120.000 Kunden hauptsächlich im südlichen und mittleren Norrland. Vgl. „Färdiginvesterat“: SCA rustat för expansion, in. Veckans Affärer, Nr. 21 (1985), S. 58; SCA Geschäftsbericht 1989, S. 9; SCA-chefens strategi ger resultat: mindre skog ökar slagkraften, in: Veckans Affärer, Nr. 13 (1979), S. 19. 251  PWA-affären

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

den Schritt bewogen.255 Erst nach einem gewissen Zeitintervall wagte man mit PWA wieder einen schuldenfinanzierten Kauf. Dass diese Zurückhaltung auch einem auf Vorsicht bedachten Vorstand geschuldet war, verdeutlicht die Wahrnehmung des Finanzvorstandes: „Dann war einer der Motive bei der BÅKAB natürlich auch die Verstärkung der Eigenkapitalquote. Wir haben auch lange mit dem Vorstand über den Verschuldungsgrad, ob das 0.7 oder besser sein sollte, diskutiert. Der Vorstand wollte eine höhere Eigenkapitalquote, einige wollten im Vorstand, dass SCA ein A-Unternehmen sein sollte, mit dem besten Rating, dass wir keine Risiken eingehen sollten, kein Minus haben sollten … Wir wurden definitiv vorsichtiger in den neunziger Jahren.“256

Fraglich ist, ob sich dieses Beharren auf die systematische Verringerung der Fremdverschuldungsquote sich auch in der Dividendenpolitik widerspiegelt. Weil Dividendenzahlungen eine Möglichkeit zur Entnahme flüssiger Mittel aus dem Unternehmen bieten, müssen sich Unternehmen in Stagnations- oder Krisenzeiten zwischen der Bedienung der Zinsen einerseits und den Interessen der Aktionäre andererseits entscheiden. Dass auch hier zunächst dem Prinzip der Unternehmenskonsolidierung Vorrang eingeräumt wurde, bezeugt die verfolgte Politik der Dividendenglättung bis Mitte der neunziger Jahre: Auch in ertragsschwächeren Jahren wurde die Gewinnausschüttungen nicht überragend verringert, dafür aber auch in den ertragsstarken Jahren nur unterproportional gesteigert. In den besonders ertragsschwachen Jahren zu Beginn der neunziger Jahre stagnierten die Dividenden bei hohen Thesaurierungsquoten. Bemerkenswert sind aber die kontinuierlichen Dividendensteigerungen, die ab 1995 mit Erhöhungen um 27 v. H. einsetzen. Ein erster Blick zeigt, dass nach einem Rückgang zu Beginn der neunziger Jahre die Ausschüttungen konstant zugenommen haben, mit einer Steigerung von rund 10 v. H. jährlich. Zahlte SCA 1990 eine Dividende in Höhe von 2,93 SKr, so erhöhte sich der Ausschüttungsbetrag 1996 auf 4,96 SKr und 2000 auf 7,75 SKr. Obwohl der Spielraum angesichts der Übergewinne ab 1995 nicht voll ausgeschöpft wurde, so lässt sich doch argumentieren, dass den Anlegerinteressen im späteren Untersuchungszeitraum mehr Genüge getan wurde als zuvor. Allerdings war dies ein Kompromiss zwischen der vorsichtigen Auffassung des Haupteigners und Forderungen nach einer ausgeweiteten Gewinnbeteiligung.257 255  Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007; Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 256  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 257  So zumindest der ehemalige Finanzvorstand: „Ja, die SHB war vorsichtiger in dieser Angelegenheit. aber es war ein wichtiges Prinzip, man sollte niemals eine Dividende senken … selbst in schlechten Zeiten, es ist besser, sie unverändert zu halten. Deswegen hing es die ganze Zeit in der Luft, vorsichtig zu steigern und nicht



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter249

c) Die widerwillige Aufgabe der Kreuzverflechtung Fraglich ist nun, ob die offensivere Ausschüttungspolitik auf eine generelle unternehmenspolitische Reorientierung im Zeichen der Aufwertung von Aktionärsinteressen zurückgeführt werden kann. In der Tat ist dies für SCA zutreffend, fand aber unter ganz anderen Vorzeichen statt als im Falle Sandviks. Zunächst lässt sich festhalten, dass dies keineswegs ein Resultat der umfassenden Inanspruchnahme von Aktienmärkten war. Die Gefahr, mit neuen ‚unliebsamen‘ Kapitaleignern konfrontiert zu werden, war nach Aussagen von Unternehmensvertretern kein Faktor, der Entscheidungen über eine Erhöhung des Grundkapitals maßgeblich beeinflusste.258 Vielmehr machte sich in diesem Zusammenhang ein Wandlungsprozess bemerkbar, der vornehmlich die Unternehmenskontrolle und die Schutzfunktion der Handelsbanken insofern betraf, als dass Industrivärden dazu gezwungen wurde, die Überkreuzverflechtung mit SCA aufzugeben. Sowohl Sverker Martin-Löf als auch Tom Hedelius hatten Mitte 1996 noch öffentlich ihre grundsätzliche Unterstützung für Kreuzverflechtungen als Schutz gegen ausländische Übernahmen und spekulative Attacken bekundet.259 Etliche Aktionäre der SHB in Gestalt institutioneller Investoren wie Versicherungsgesellschaften und Investmentfonds waren jedoch nicht mehr bereit, die Instrumentalisierung der Holdinggesellschaft für primär machtpolitische Zwecke mitzutragen. Bis in die neunziger Jahre hinein hatte sich diese Akteursgruppe von der aktiven Unternehmenskontrolle weitgehend ferngehalten, bis dann ab 1994 ein deutlicher Bewusstseinswandel einsetzte. Hatten bis dahin diese ‚inaktiven‘ Eigentümer im Falle von Unzufriedenheit mit dem unternehmenspolitischen Kurs von ihrer exit option in Gestalt der Veräußerung von Beteiligungspaketen Gebrauch gemacht, lässt sich ab Mitte des Jahrzehnts ein grundlegender Wandel im Verhalten feststellen: Deutlicher als zuvor wurde nun auf eigene Aktionärsinteressen verwiesen und im Falle einer nicht zufriedenstellenden Performanz des jeweiligen Beteiligungsobjekts auf Veränderungen gedrungen. Vor allem an dem Substanzrabatt oder Konglomeratsabschlag bei Industrivärden nahmen die schwedischen institutionellen Investoren nun im wachsenden Ausmaß kräftig zu steigern; sonst hätten wir in schlechten Zeiten senken müssen und das durfte nicht eintreffen … das war die allgemeine Auffassung im Vorstand.“ Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 258  Dieser Beweggrund wurde von dem ehemaligen Finanzvorstand im Interview ausgeschlossen: „Es gab aber eigentlich nicht diese Verbindung … nein, so dachten wir nicht, wir brauchten ja Geld. das war kein Faktor. Der Börsenkurs steuerte keine Investitionsbeschlüsse, das waren die Erwerbungen.“ Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 259  … men här får Browaldh stöd, in: Dagens Industri, 28. Juni 1996.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Anstoß.260 Dieser Substanzrabatt oder auch ‚Macht­ rabatt‘ war auch eine dauerhafte Begleiterscheinung bei Holdinggesellschaften wie Industrivärden oder Investor: Da diese für den Machterhalt der jeweiligen Sphäre genutzt wurden, trat derselbe Effekt in der Gestalt auf, dass deren Börsenwert weit unter dem durchschnittlichen Börsenwert aller gehaltenen Beteiligungen lag. Anders ausgedrückt, mangelte es an Anreizen zum Kauf von Industrivärden-Aktien, solange diese nicht zur Wertsteigerung der Beteiligungen eingesetzt wurden. Aus der Perspektive einer kapitalmarktorientierten Unternehmensführung handelt es sich insofern um Wertvernichtung. Etliche große schwedische Fondverwalter und Versicherungsunternehmen hatten mit dem Verkauf ihrer Industrivärden-Aktien gedroht, falls der Bankenvorstand sich nicht stärker bei der Steigerung des Börsenwertes engagieren würde. Bei Industrivärden konnten die institutionellen Investoren zusammen 34 v. H. der A-Aktien und 44 v. H. der B-Aktien ins Feld führen, noch vor SCA mit 20 v. H. der Stimmrechte und 15 v. H. der stimmrechtsschwachen Aktien. Die Nordbanken, AMF Pension und Robur forderten im November 1994 mit deutlichem Verweis auf ihre exit option eine Erhöhung des Börsenkurses, indem entweder das Unternehmen PLM verkauft oder an die Industrivärden-Aktionäre übereignet werden sollte.261 Alternativ würde die Auflösung der Kreuzverflechtung mit SCA eine Wertsteigerung bewirken. Verärgert hatten diese institutionellen Investoren einen Rückgang des Börsenkurses um 10 v. H. seit Jahresbeginn und einen parallelen Anstieg des Substanzrabbats von 30 auf 40 v. H. registrieren müssen, den man laut Robur-VD Anders Lannebo gerne auf 25 v. H. reduziert wissen wollte. Generell wurde missbilligt, dass sowohl Industrivärden als auch SCA zu sehr durch die Interessen des jeweiligen Managements gesteuert seien und nicht durch die der Aktionäre. Die Führungsspitze der Holdinggesellschaft musste sich weiterhin den Vorwurf gefallen lassen, dass die Industrivärden zu illiquide sei, um neue Investoren attrahieren zu können. Umgekehrt monierten Analytiker im Hinblick auf SCA, dass auch das Forstwirtschaftsunternehmen mit seiner Beteiligung im Wert von rund 1,5 Mrd. SKr zu viel Kapital in Industrivärden binden würde.262 260  Eigentlich bezieht sich der Begriff auf das Nicht-Sichtbarwerden des Wachstumspotenzials innerhalb komplexer Unternehmenskonglomerate. Solche Unternehmen müssen damit rechnen, an Kapitalmärkten mit einem Börsenabschlag gehandelt zu werden, in Gestalt einer Differenz zwischen realem Kurswert und dem aufsummierten Kurswert der einzelnen Unternehmensbestandteile. Vgl. zu diesem Aspekt vor allem Morck, R. / Shleifer, A. / Vishny, R. W., Do Managerial Objectives Drive Bad Acquisitions? in: Journal of Finance, Vol. 45, Nr. 1 (1990), S. 31–48. 261  Im Falle eines Verkaufs sollte der Gewinn an die Industrivärden-Aktionäre ausgeteilt werden.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter251

Die Drohkulisse hatte offensichtlich Eindruck hinterlassen, aber ohne Weiteres wollte man die schützende Hand nicht preisgeben. SCA hatte 1994 vier v. H. der Industrivärden-Stimmrechte an die banknahe Stiftung Jan Wallander & Tom Hedelius stiftelse för samhällsvetenskaplig forskning verkauft und damit der SHB die Möglichkeit verschafft, nun rund 16 v. H. der Stimmrechte in Industrivärden einsetzen zu können. Zu Beginn des Jahres 1995 hatte dessen ungeachtet die Aufgabe der Vorkaufsrechtsregelungen zwischen Svenska Handelsbanken, AGA und SCA die Auflösung der Kreuzverflechtung zwischen Industrivärden und SCA angebahnt. Zum ersten Mal deutete Rydin öffentlich an, dass es zu einem Verkauf des gesamten Aktienpaketes entsprechend 22,32 v. H. der Stimmrechte kommen könnte.263 Einschränkend hatten Rydin und Löf jedoch zur Bedingung gemacht, dass für das Paket mit einem geschätzten Wert von 873 Mio. SKr ein angemessener Marktwert realisiert werden müsse, um die SCA-Expansionspläne auf eine solide Finanzierungsbasis zu stellen, aber auch die angestrebte verbesserte Kursentwicklung bei Industrivärden durchzusetzen.264 Im November 1995 wurden 2,1 Mio. A-Aktien an diverse institutionelle Investoren veräußert, was einen Reingewinn von 60 Mio. SKr einbrachte.265 Zu diesem Zeitpunkt hatte das Forstwirtschaftsunternehmen bereits die Vorkaufsrechte für 10 v. H. in dem von Industrivärden kontrollierten PLM, aus dem sich die Holdinggesellschaft später ganz zurückziehen sollte, ebenfalls aufgegeben.266 262

Die neu entdeckte Bereitschaft gegenüber den Bedürfnissen der Miteigentümer bei Industrievärden hatte aber auch ihre Grenzen. Obwohl angesichts der Dimension anstehender Großerwerbungen wie PWA, Rexam, Prudhoe oder Lantero eine Totalveräußerung aller Industrivärden-Aktien die benötigte Kapitalbasis erheblich verbreitert hätte oder alternativ eine Sonderdividende an die eigenen Aktionäre hätte ausgezahlt werden können, brachte Rydin in einem Interview im Oktober 1996 zum Ausdruck, dass nur der SHB nahe stehende und oder freundlich gesinnte Investoren als Käufer in Frage kommen würden. Die Offerte einer Gruppe institutioneller Investoren, den angesichts eines deutlich gestiegenen Börsenkurses von 300 SKr pro 262  „En fondförvaltare som gjort lika dåliga affärer hade sparkats“, in: Dagens Nyheter, 4. Dezember 1994; Industrivärden i knipa: Storägare hotar att sälja om inte ledningen ser till att aktiekursen höjs, in: Dagens Nyheter, 29. November 1994. 263  SCA:s återställare, in: Affärsvärlden, Nr. 3 (1995), S. 28. 264  SCA redo gå ur Industrivärden: Skogsbolaget behöver pengar till expansion, in: Dagens Nyheter, 3. Januar 1995; SCA ökar ägandet i PWA, in: Dagens Industri, 4. März 1995. 265  SCA minskar i Industrivärden, in: Dagens Industri, 15. November 1995. 266  SCA och AGA lämnar PLM, in: Dagens Industri, 4. Oktober 1995; Spritt ägande i PLM, in: Svenska Dagbladet, 12. Oktober 1995.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Aktie auf 1,5 Mrd. SKr veranschlagten Posten komplett zu kaufen, blieb ohne Resonanz.267 Die Vorbedingung wurde auch von Löf auf einem Kapitalmarkttag im Januar 1997 noch einmal zur Sprache gebracht, als er einerseits den Willen zur Auflösung der Kreuzverflechtung noch einmal bekräftigte, andererseits in dieser Frage keine Eile angebracht sah, weil der Kreis der ausdrücklich als Käufer erwünschten langfristig agierenden Investoren zu beschränkt sei.268 Die letztendliche Lösung im Frühjahr 1997 mit dem Verkauf von 6,5 v. H. der B-Aktien und 9 v. H. der A-Aktien der Holdinggesellschaft an ausländische Anleger und an die eigene Pensionsstiftung mit einem Reingewinn von 350 bis 400 Mio. SKr war wohl ein Ausgleich zwischen den Anforderungen des Aktienmarktes und den eigenen Vorstellungen. SCA behielt einen Restposten von fünf v. H. der stimmrechtsstarken Aktien und vier v. H. der B-Aktien.269 Zudem hatte SCA ein Übereinkommen mit der eigenen Pensionsstiftung getroffen, drei v. H. der stimmrechtsstarken Industrivärden-Aktien gegen Waldbesitz zu tauschen, so dass der Konzern einen Waldbestand im Umfang von cirka 25.000 Hektar erhielt und insgesamt einen Reingewinn von 125 Mio. SKr erzielen konnte.270 d) Custos: Die Konfrontation mit dem ‚Quartalskapitalismus‘ Die zunehmende Ausrichtung der Aktionärsinteressen sollte sich aber nicht auf die schrittweise Auflösung der Kreuzverflechtung beschränken. Im Gegensatz zu Sandvik spielten in diesem Zusammenhang Veränderungen in der Eigentümerkonstellation des Forstwirtschaftsunternehmens eine wesentlich größere Rolle. Mitte der neunziger Jahre lassen sich drei bedeutende Eigentümergruppen bei SCA identifizieren, die zusammen rund 79 bis 82 v. H. der Stimmrechte in die Waagschale werfen konnten: Nach wie vor war die SHB-Sphäre infolge der Kapitaleinlage Industrivärdens und ihrer diversen Stiftungen der bedeutendste Machtfaktor. Zusammen mit der SCAPensionsstiftung konnte sie rund 27 v. H. der Stimmrechtsaktien in SCA 267  Flera spekulanter på SCA:s post i Industrivärden, in: Finanstidningen, 13. November 1996. 268  Zusätzlich verwies der VD auf die Wertsteigerung der Industrivärden-Aktien durch eine positive Kursentwicklung, die einen raschen Verkauf als ungünstig erscheinen ließen. Vgl. SCA vacklar om när korsägandet försvinner, in: Finanstidningen, 31. Januar 1997. 269  4,5 v. H. der B-Aktien und 6 v. H. der A-Aktien wurden als in D-Mark aus­ gezeichnete Schuldverschreibung mit einer Laufzeit von fünf Jahren verkauft, die gegen Industrivärden-Aktien getauscht werden konnte. So konnte sich SCA billig kreditieren und gleichzeitig die Wertpapiere an ausländische Investoren veräußern, ohne dass diese unmittelbar ihr Stimmrecht einsetzen konnten. 270  Vgl. SCA säljer aktier i Industrivärden: Korsägande upplöses, in: Dagens Nyheter, 17. April 1997.



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mobilisieren, da Industrivärden nach wie vor 9,5 v. H. der B-Aktien und 24 v. H. der A-Aktien hielt. Zur nächsten bedeutenden Gruppe müssen die ausländischen Eigentümer gerechnet werden, die 1999 zusammen immerhin 25 v. H. des Grundkapitals ihr Eigen nennen durften. Schon 1982 wurde beträchtliche Energie darauf verwendet, SCA für ausländische Kapitalinvestoren, Banken und Kreditinstitute in erster Linie in den USA und Großbritannien interessant zu machen. Mehr als 250.000 SCA-Aktien waren seit März 1983 in London registriert.271 Seit Januar 1984 wurden die Wertpapiere auch auf der US-amerikanischen OTC-Liste und seit November 1984 an der Osloer Börse notiert, die SCA neben Stockholm und London als Hauptkapitalmarkt betrachtete.272 Der Schwerpunkt des Börsenumsatzes sollte sich allerdings nicht wie im Falle Ericssons an andere ausländische Börsen verschieben.273 Der Anteil ausländischer Eigentümer in den achtziger Jahren war ebenfalls überaus überschaubar: Von den 53 Mio. SCA-Aktien befanden sich 1986 gerade mal zwei Millionen im Besitz von Ausländern.274 Ganz im Gegensatz zur Stahl­ industrie sollten die schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen aber innerhalb nur weniger Jahre durchaus einen ansehnlichen Zufluss ausländischen Kapitals erleben. Sowohl bei SCA aber auch bei MoDo oder Stora waren bereits 1993 nicht-schwedische Investoren zur zweit- oder drittgrößten Eignergruppe aufgestiegen.275 Diese heterogene Gruppe, die 1993 8,4 v. H., 1996 16 v. H. und 1999 25 v. H. des Grundkapitals auf sich vereinigte, konnte bis 1999 ein Viertel aller SCA-Wertpapiere erwerben. Als dritte bedeutende Gruppe lassen sich institutionelle Investoren ausmachen, zu der neben der Investmentgesellschaft Custos auch der 5. AP-Fonds, SPP, Trygg-Hansa, die Aktienfonds der Nordbanken, der SEB und der Sparbanken gerechnet werden müssen. Custos war der größte Eigner innerhalb dieses Aktionärskreises mit rund 24 v. H. der A-Aktien, während die anderen Beteiligungen durchschnittlich drei oder vier v. H. hielten. Da Industrivärden als langjähriger Eigner den Kurs der Konzernleitung mitgetragen hatte, bleiben nur die ausländischen Eigner und die institutionellen Investoren, denen ein Interesse an Veränderungen im Falle so wahrgenommener unbe271  Geschäftsbericht

1982, S. 7. Geschäftsbericht 1984. 273  Zwischen 1990 bis 1995 ließ SCA seine Aktien an der New Yorker Börse sogar delisten. Der Umsatz an der Stockholmer Börse war selbst 1999 mit 128 Millionen Aktien nahezu doppelt so hoch wie an der Londoner Stock Exchange mit 56 Millionen Aktien. SCA-aktier till New York, in: Dagens Industri, 29. September 1995; SCA Geschäftsbericht 2000, S. 10. 274  SCA Geschäftsbericht 1986, S. 5. 275  Utländskt ägande ökar starkt. En femtedel av börsvärdet hos utländska placerare, in: Dagens Nyheter, 14. September 1993. 272  SCA

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

friedigender operativer Performanz attestiert werden kann. Ein genauerer Blick auf Besitzverhältnisse und Anlageverhalten der nicht-schwedischen Investoren enthüllt allerdings recht schnell, dass von einem aktiven Eigentümerverhalten kaum die Rede sein kann, wie auch Vorstandsvertreter bestätigen.276 Erstens waren die Fluktuationen und der Streuungsgrad innerhalb dieser Eigentümergruppe beachtlich: Mit der Ausnahme US-amerikanischer Investoren wie dem Putnam Fund oder dem Ivy International Fund, die maximal über 0,6 bis 0,7 v. H. der Stimmrechte verfügten, befanden sich keine größeren Aktienpakete in der Hand eines einzelnen nicht-schwedischen Eigentümers. Die übergroße Mehrheit der Aktien wurde durch ausländische Verwalter und Treuhänder verwaltet. Zweitens gab es ähnlich wie bei Sandvik auch im Falle SCAs ein deutliches Desinteresse an den Stimmrechtsaktien. Der kumulierte Kapitalbestand im ausländischen Besitz war bei den B-Aktien fast doppelt so hoch wie bei den A-Aktien, bei der der Ausländeranteil niemals über das Niveau einer zu vernachlässigenden quantité négligeable hinauskam. Zu guter Letzt legten die ausländischen Eigner keinen Wert darauf, Vertreter in den SCA-Vorstand zu entsenden, was die Schlussfolgerung nahe legt, dass kein signifikantes Interesse vorhanden war, Einfluss auf die Unternehmensführung zu nehmen. Vermutlich wegen dieser Passivität galt diese Investorengruppe sogar als begehrenswerter Eigner.277 Auf diese für den eigenen Handlungsspielraum vorteilhafte Toleranzbereitschaft konnte die Unternehmensleitung im Falle der schwedischen institutionellen Investoren, und vor allem im Falle des langjährigen Eigners Custos nicht mehr vertrauen. Die frühere Holdinggesellschaft der Skandinaviska Banken hatte sich in den siebziger Jahren aus der Abhängigkeit der Bank gelöst und zunehmend wie eine freistehende Investmentgesellschaft agiert, auch wenn sich die Leitung einem klassischen langfristigen Eigentümerengagement ganz nach dem Vorbild der Sphären verpflichtet fühlte.278 In den achtziger Jahren fungierte Custos als ein Stützpfeiler des Gyllenhammarschen Volvo-Imperiums, hatte sich jedoch nach Ende der Kreuzverflechtung zwischen Skanska und Volvo immer deutlicher zu einer Investmentgesellschaft nach US-amerikanischem Vorbild entwickelt. Diese Neuausrichtung hatte spätestens dann deutliche Konturen angenommen, als 276  Interview

mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. der ehemalige Finanzvorstand: „Sie waren sehr sehr anonym. Da gab es keine Forderungen wie nach höheren Dividenden oder Sichtweisen; sie stimmten mit den Füßen ab im Falle von Unzufriedenheit. Es war aber durchaus gewollt, mehrere ausländische Eigentümer zu haben, deswegen machte man auch mehrere road shows in den USA. Es waren ja ‚gute Eigner‘ mit Geld, ohne Stimmen …, vielleicht besser als schwedische Spekulanten.“ Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 278  Glete, Makten, S. 260 ff. 277  So



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Mats Qviberg und Sven Hagströmer 1994 mittels ihrer Finanzholding Öresund mit 25 v. H. Hauptaktionäre bei Custos wurden. Durch weitere Zukäufe zusammen mit anderen institutionellen Eignern wie den Aktienfonds der SEB und der Sparbanken konnte nicht nur die zwischenzeitliche Allianz zwischen Skanska und Sandvik, sondern auch die Handelsbanken-Sphäre mit ihren 13,7 v. H. der A-Aktien bei Custos ausmanövriert werden. Wie bereits im Abschnitt II.6. gezeigt, hatten bereits im Machtkampf um Custos die alteingesessenen Investoren merken müssen, dass Qviberg und Hagströmer nicht daran dachten, aufkommende Konflikte durch Kompromisse zu entschärfen. Mit den beiden Haupteigentümern trat nun bei Custos jemand auf den Plan, der sich ganz der Shareholder Value-Philosophie angelsächsischer Provenienz verschrieben hatte, also einer Politik, die auf die einseitige Bedienung der Finanzinteressen von Kapitalgebern und damit auf die Steigerung der Aktienkurse abstellt. Diese eindimensionale Ausrichtung auf den Aktienkurs war nicht völlig unbegründet: Trotz des beeindruckenden 7,5 Mrd. SKr schweren Portfolios mit SCA, Hufvudstaden, Skanska, Sandvik, SKF, Euroc, Perstorp und S-E-Banken hatte man zu stark auf zinsempfindliche Wertpapiere gesetzt. Custos litt zudem wie andere Investmentgesellschaften auch unter dem Konglomeratsabschlag, der Mitte 1995 30 v. H. ausmachte.279 Der neue VD Christer Gardell hatte erklärt, in Zukunft nach dem Vorbild des erfolgreichen Investmentbankers Warren Buffett eine Prämie anstelle eines Abschlags zu erwirtschaften und zu diesem Zwecke nur in Unternehmen mit hohem Wertzuwachs investieren zu wollen. Der Gewinn sollte mindestens drei Prozenteinheiten über dem durchschnittlichen Anleihezinssatz liegen und der Abschlag mittelfristig von dreißig auf zehn v. H. verringert werden.280 Diese ehrgeizigen Ziele sollten nun durch den Ausbau der Aktionärsorientierung in den Kernbeteiligungen realisiert werden. Neben der Beteiligung bei SCA zählten dazu noch Hufvudstaden, Skanska und Perstorp; der restliche Besitz machte nur noch acht v. H. des Aktienportfolios aus.281 Das Hauptaugenmerk im Sinne einer maximalen Wertsteigerung richtete sich nun ganz auf den Forstwirtschaftskonzern. Dass 279  Börsportföljen

betydligt sämre än index, in: Dagens Industri, 9. August 1995. der Unternehmensordnung war sogar eine Klausel verankert worden, im Falle der Nichteinhaltung dieses Ziels eine Komplettliquidation durch die Aktionärsversammlung zuzulassen. Vgl. Custos: Heliga innehav hämmar aktien, in: Veckans Affärer, 31. August 1998. 281  Indirekt konnte Custos SCA auch über Industrivärden beeinflussen, da zeitgleich mit der Verringerung des SCA-Besitzes Öresund Industrivärden-Aktien erworben hatte und 6,9 v. H. der Stimmrechte bei Industrivärden einsetzen konnte. Vgl. Custos ökade börsportfölj, in: Dagens Nyheter, 9. September 1996; Hagströmer välkomnar Rydins utspel, in: Finanstidningen, 23. September 1996. 280  In

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ausgerechnet SCA in den Fokus geriet, war kein Zufall, da zwischen 1996 und 1999 Custos die Beteiligungen bei Fabege, Hufvudstaden, Sandblom & Stohne, Skanska, Drott sowie ASG abstoßen und gleichzeitig 4,5 Mrd. SKr an die eigenen Kapitalgeber emittieren sollte.282 Bereits Gardells Vorgänger Lars Öberg hatte 1996 deutliche Worte für die vermeintlich ungenügende Performanz von SCA gefunden und eine Verkleinerung der Geschäftsbereiche sowie ein verringertes Investitionsniveau zugunsten einer deutlich erhöhten Dividende gefordert.283 1996 hatte dann Christer Gardell die SCAKonzernleitung mit der Forderung konfrontiert, dass man die Stückelung des Forstwirtschaftsunternehmens in zwei oder drei Teile zum Zwecke eines höheren Aktienkurses in Erwägung zog.284 Durch die Teilnotierung der Geschäftsbereiche sollte der Börsenwert der Werttreiber – vorrangig von SCA Hygiene – erhöht werden, wodurch indirekt der Börsenwert der neuen Managementholding gesteigert werden sollte. Die zum eigenen Geschäftsbereich aufgewertete Feinpapiersparte sollte nach den erforderlichen Rationalisierungen abgestoßen werden. Durch Austeilung des damit realisierten Gewinns sollte der Börsenwert maßgeblich erhöht werden. Es war aber nicht nur der Custos-VD, der die strategische Ausrichtung des Konzerns in Zweifel zog. Der Sundsvaller Konzern wurde wie auch wie andere Forstwirtschaftsunternehmen im Allgemeinen bezichtigt, dem Unternehmens- anstelle des Gewinnwachstums den Vorzug zu geben und damit ‚kapitalzerstörend‘ zu wirken. Für SCA erstellte Kalkulationen veranschlagten die Wertdifferenz zwischen einem integrierten Konzern und den einzelnen Teilen auf 30 bis 40 v. H., was für Custos eine Wertsteigerung von 600 bis 800 Mio. SKr bedeutet hätte.285 Andere Schätzungen wollten sogar versteckte Werte in einer Größenordnung von 10 bis 12 Mrd. SKr pro Geschäftsbereich erkennen, so dass durch eine Aufteilung 40 Mrd. SKr freigesetzt hätten werden können, weit mehr als der auf 28 Mrd. SKr veranschlagte Marktwert.286 Die Kritik richtete sich jedoch auch auf die vermeintliche Fehleinschätzung der Konzernleitung, dass sich entgegen den Prognosen die Verpackungssparte als zu anfällig für Konjunkturschwankungen zeige und die SCA-Struktur die Wertstruktur mehr verstecke als offen lege.287 282  Custos:

Heliga innehav hämmar aktien, in: Veckans Affärer, 31. August 1998. i sista minuten, in: Dagens Industri, 9. Mai 1996. 284  Custos pekas ut: Maktkamp väntas i SCA, in: Dagens Nyheter, 20. September 1996. 285  SCA – Aptitligt i bitar, in: Affärsvärlden, 12. Juni 1996. 286  SCA i strukturdilemma: Ledningen pressad – Trycket från storägare motiverar kurslyft, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996. 287  Die Verpackungssparte war trotz der exponierten Position im Gegensatz zu der Hygiene- und Druckpapiersparte in der Tat zumindest bis 1996 keine cash cow des Konzerns, was angesichts der ihr zugedachten Stellung als Wachstumsbereich 283  Kritik



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Custos machte sich auch für eine Aufgabe der Druckpapiersparte stark, da so der Status als Hygieneunternehmen deutlicher zutage treten würde, was wiederum eine höhere Bewertung im Vergleich zu anderen Forstwirtschaftsunternehmen evozieren sollte. Das war zwar auch die Intention der SCAKonzernleitung, aber mit einem Verkauf wollten Hagströmer und Qviberg diese Entwicklung beschleunigen. Löf sah sich angesichts des wachsenden Drucks im Oktober 1996 sogar genötigt, die Großeigner zu einer Stellungnahme hinsichtlich der von der Konzernleitung verfolgten Strategie aufzufordern. Offensichtlich wollte sich der VD Rückhalt gegen die Analytikereinschätzungen verschaffen, die im Falle einer Zerstückelung eine Erhöhung des Börsenwerts mit 40 bis 50 v. H. prognostizierten, was Löf als ‚unglaubliche Fehleinschätzung‘ bewertete und gleichzeitig darauf verwies, dass man wesensfremde Bestandteile wie die Energiesparte ausgegliedert habe.288 Der SCA-Vorstand positionierte sich auf seiner Sitzung am 18. Dezember 1996 dann einstimmig gegen die Custos-Forderung einer separaten Börsennotierung der Hygienesparte.289 Ganz offensichtlich hatten nach den Erfahrungen des Windelkrieges die Zweifel überwogen, dass SCA Hygiene sich alleine auf den Weltmärkten gegen Kimberly-Clark und Procter & Gamble behaupten könne.290 Auf dem Kapitalmarkttag am 30. Januar 1997 waren aber wiederum mehrere Stimmen – und nicht nur von Custos – laut geworden, die eine Umwandlung des Konzerns in eine Managementholding befürworteten.291 Sverker Martin-Löf hatte jedoch solche Forderungen auf der Zusammenkunft mit Verweis auf Synergieeffekte energisch zurückgewiesen und zur Sicherheit diesen Begriff, wie aufmerksame Beobachter feststellten, während seiner Ansprache gleich siebenundvierzigmal wiederholt.292 Wie bereits gezeigt existierten auf der Produktionsebene zweifelsohne Verbindungen zwischen den klassischen Tätigkeitsfeldern der Forstwirtschaft wie der Zellstoffherstellung und der Weiterveredelung in Gestalt von Papier- oder Hygieneprodukten. Alle Geschäftsbereiche verwendeten Frischholz- oder Recygelegentlich zu Irritationen führte. Vgl. Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007. 288  Martin-Löf kräver ägarnas stöd kring SCA:s strategi, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996. 289  Auch Lars Thunell, der sowohl bei Custos als auch SCA als Vorstandsmitglied tätig war, votierte mit der Vorstandsmehrheit. Vgl. Kompakt tystnad bland SCA:s storägare, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996; Det här är önskeaffärerna 1997, in: Dagens Nyheter, 22. Dezember 1996. 290  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 291  SCA vacklar om när korsägandet försvinner, in: Finanstidningen, 31. Januar 1997. 292  Folk i farten: Sverkers mantra, in: Dagens Industri, 15. Februar 1997.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

clingfasern, die entweder dem konzerneigenen Forstbestand oder den Recyclingwertstoffsammeleinrichtungen entstammten und innerhalb des Sundsvallkombinates oder in Aylesford zu Zwischen- oder Endprodukten weiter veredelt wurden.293 Eine weitere Gemeinsamkeit wurde von Löf in der gemeinsamen geografischen Ausrichtung aller Geschäftsbereiche auf den europäischen Raum gesehen.294 Es war allerdings die von ihm um 1990 eingeleitete Konzentrationsstrategie, die den Forderungen der Kritiker ungewollt Nachdruck verlieh, weil die drei Kernbereiche fortan eine Trennlinie markierten, die eine Abspaltung von Sparten mit einer unbefriedigenden Ertragslage problemlos erscheinen ließ. Die Unternehmensorganisation war bereits in den achtziger Jahren so umgestaltet worden, dass einem solchen Unterfangen nur wenige Hindernisse entgegengestanden hätten. Ab dem 1. Januar 1984 waren alle Einheiten von der Muttergesellschaft in Tochtergesellschaften im Vollbesitz umgewandelt worden. Mit dem Jahreswechsel 1989 / 1990 fanden durchgreifende Organisationsveränderungen statt, in deren Zentrum die Delegation der operativen Verantwortung an die einzelnen Geschäftseinheiten stand. Auf Konzernebene verantwortete man nur noch die langfristige Kapitalversorgung, FuE und die Personaladministration.295 Diese Dezentralisierung trug auch dem Umstand Rechnung, dass die Gemeinsamkeiten sich in der Nutzung des Zellstoffs erschöpften und es nur bei gewissen Forschungsfragen, Maschinentechnik sowie zwischen Verpackungs- und Druckpapiersparte bei der Drucktechnik Überschneidungen gab.296 Die Konzernleitung bestimmte allerdings den wichtigen internen Zellstoffpreis und behielt sich in Finanzierungsfragen immer das letzte Wort vor. Auch durften die Tochtergesellschaften ihre Gewinne nicht einbehalten.297 Dass Forstwirtschaftskonzerne durchaus den Forderungen von rendi293  Der Konnex zur Hygienesparte war allerdings wesentlich schwächer, da der wesentliche Teil der Fluffzellstoffs von Stora und US-amerikanischen Herstellern zugekauft wurde, weil die beste Qualität in den dortigen Südstaaten vorzufinden war. Vgl. Fullt upp för Sverker, in: Affärsvärlden, Nr. 39 (1996), S. 94, Äntligen svarar SCA, in: Affärsvärlden, Nr. 46 (1997), S. 46. 294  SCA i strukturdilemma: Ledningen pressad – Trycket från storägare motiverar kurslyft, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996. 295  1990 folgte auch die Gründung einer eigenen ‚Hausbank‘ für die fünf Geschäftsbereiche, die die Überschussliquidität in Finanztiteln platzieren und die Kreditaufnahme sowie den Handel mit Valuta organisieren sollte. Zudem wurden die Geschäftsbereiche dazu verpflichtet, die Anwendungsforschung selbst zu betreiben, während die Basisforschung in einer zentralen FuE-Einheit erfolgen sollte. Aber auch die Einheit SCA Research wurde Ende der neunziger Jahre aufgelöst und auf die Geschäftsbereiche aufgeteilt. SCA Geschäftsbericht 1989; Konsolideringen ha påverkat forskningen, in: Svensk Papperstidning, Nr. 11 (2000), S. 8–9. 296  Interview mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007. 297  Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007; Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008.



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teorientierten Investoren nachgaben, zeigte das Vorgehen des US-Konzerns Kimberly-Clark, der zwischen 1996 und 1999 die vertikale Integration radikal minimierte, indem die Holz- und Zellstoffsparte verkauft und kostenintensive Bereiche systematisch wegrationalisiert wurden.298 Auch andere US-Unternehmen wie Georgia Pacific hatten ihren Forstbestand in einer eigenständigen Aktiengesellschaft organisiert und an der Börse notiert. Ebenso hatte der Besitz SCAs Begehrlichkeiten geweckt, dessen bilanzielle Bewertung sogar als Exempel angeführt wurde, wie freie Mittel durch Bildung stiller Reserven versteckt wurden.299 Diese systematische Unterbewertung wurde in der Bilanz SCAs ersichtlich, in der der Waldbestand 1990 mit einem Wert von 9,2 Mrd. SKr, im Jahr 2000 nur noch mit 4,7 Mrd. SKr ausgewiesen wurde. Eine auf Marktpreisen basierte Schätzung veranschlagte den Wert hingegen auf 16 Mrd. SKr.300 Angesichts dieser Differenz scheint es zumindest fraglich, ob nicht durch eine systematische Unterbewertung eventuelle Übernahmeinteressenten ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Auch Gardell hatte sich im Vorstand zum Fürsprecher einer Veräußerung des Waldbestandes gemacht. Trotz des Vorwurfs der hohen Kapitalbindung und dass SCA den Holzbestand nicht mehr als Teil des Kerngeschäfts ansah, lehnte Martin-Löf eine Teilnotierung angesichts eines fehlenden Interesses von Privatpersonen und zu geringer Angebote seitens möglicher Investoren ab.301 Zwar deutete der VD immer wieder an, SCA Hygiene oder auch den eigenen Forstbestand mittels separater Börsennotierungen auch anderen Eignern zugänglich zu machen und so indirekt über gesteigerte Dividendenzuflüsse den eigenen Unternehmenswert zu erhöhen.302 Bis heute ist SCA allerdings alleiniger Eigner seiner Waldbestände, auch weil ein grundlegendes Hemmnis in Gestalt restriktiver gesetzlicher Bestimmungen nicht umgangen 298  Dags

att kalhugga SCA, in: Veckans Affärer, Nr. 9 (1999), S. 42–43. war sogar ein externer akademischer neutraler Sachverstand hinzugezogen worden war, um eine adäquate Schätzung der im Waldbestand verborgenen Aktiva vorzunehmen. Die 1989 vorgenommene Bewertung des verwertbaren Forstbestandes mit 4800 SKr pro Hektar war für etliche Branchenkenner jedoch nur begrenzt nachvollziehbar, hatten doch andere Unternehmen wie Stora ihre Forstareale auf 6400 SKr pro Hektar taxiert. Vgl. SCA: Klar att lyfta, in: Dagens Industri, 24. März 1987; SCA försiktigt värderat, in: Dagens Industri, 5. Mai 1989. 300  Svårfångade skogsvärden, in: Dagens Industri, 11. Mai 1990; SCA söker skogspartner, in: Dagens Industri, 6. September 2000. 301  Außerdem sah der VD angesichts der geringen Anzahl der Forstbesitzer in Norrland die Gefahr, dass der Ankauf von Nutzholz zu niedrigen Preisen verunmöglicht würde Vgl. Interview mit Löf, in: Skogens Konung, in: Veckans Affärer, Nr. 1 (2001), S. 34. 302  SCA-chefen öppnar för börsnotering av Mölnlycke, in: Dagens Industri, 8. August 1997; SCA – Värdepapper, in: Affärsvärlden, 23. Februar 2000. 299  1987

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werden konnte, die bei Verkäufen von Forstbeständen eine staatliche Genehmigung voraussetzten.303 Ohnehin gab es nach den Erfahrungen mit der BÅKAB triftige Gründe, am eigenen Waldbesitz festzuhalten, da erstens ein langfristiges Lieferungsabkommen mit dem neuen Eigner abgeschlossen werden musste und zudem SCA sich möglichen Preisfluktuationen ähnlich wie im Energiebereich ausgesetzt sehen konnte.304 So zeigte sich die Konzernleitung gegenüber allen Ausgliederungs- und Zerstückelungsforderungen zum Zwecke der kurzfristigen Gewinnmaximierung kompromisslos. Schon Mitte der achtziger Jahre hatte Rydin angesichts damaliger, teilweise geglückter Übernahmeversuche von US-Forstwirtschaftsunternehmen durch corporate raiders deutlich die Unvereinbarkeit derer Zielsetzungen mit der langfristigen Ausrichtung seines Konzerns herausgestrichen: „Für diejenigen, die einen schnelles Geschäft machen wollen, ist SCA ein verlockendes Ziel. Durch den Verkauf von Wald und Energie, das Zusammenstreichen des Investitionsprogramms ist SCA attraktiv … Das wäre jedoch verheerend für das Unternehmen, in dem die langfristige Planung ausschlaggebend ist.“305 Auch sein Nachfolger Sverker Martin-Löf hielt an der langfristigen Wachstumsstrategie fest und erteilte allen Bestrebungen nach einer Änderung des Expansionspfades durch eine Ausgliederung einer Sparte eine deutliche Absage: „Die Strukturen verändern sich ständig und SCA hat viele Teile aus unterschiedlichen Gründen aufgegeben. SCA waren wie viele andere stark im Bereich Energie engagiert, den wir aber in einem frühen Stadium aufgrund extrem schlechter Synergien abstießen. Wir waren auch groß bei Maschinen mit Sunds Defibrator. Zu Beginn der achtziger Jahre entschieden wir uns jedoch, auf Verpackungen und Hygiene zu setzen, in der Veredelung weiter fortzuschreiten und zyklischen Problemen und Dollarschwankungen zu entkommen, unter denen die Forstwirtschaftsunternehmen litten. Aber das war ein sehr langfristiges Setzen, es wäre komisch gewesen, auf halbem Wege abzubrechen. Es gab aber einen Glauben, das erneuerte Unternehmen erheblich höher notiert werden sollten. Das war ein Missverständnis. Das durften wir erfahren, als wir den Feinpapierbereich verkauften und sahen, wie enorm knickerig der Markt war.“306 303  SCA

söker skogspartner, in: Dagens Industri, 6. September 2000. Problematik wurde von dem ehemaligen Vize-VD wie folgt umschrieben: „Ohne Lieferungsabkommen mit dem neuen Eigner würde dies auch kein Forstwirtschaftsunternehmen wagen. Das ist ja die industrielle Basis … Das geht nicht. Man muss 100 v. H. sicher sein, dass man Zugang zum Wald hat, sonst müssen sie aus dem Baltikum oder Russland kaufen und das kann teuer werden. Dann kontrolliert man den Preis nicht mehr; die Rohstoffversorgung kann zu teuer werden.“ Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 305  Interview mit Bo Rydin, VD i SCA: „Vi ska se till att behålla tätpositionen.“ in: Veckans Affärer, Nr. 4 (1985), S. 62–65. 306  Interview mit Löf, in: Skogens Konung, in: Veckans Affärer, Nr. 1 (2001), S. 34. 304  Die



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Die Konzernleitung präsentierte als Antwort auf alle Zerstückelungsforderungen am 13. September 1996 Kalkulationen, die Synergiegewinne in Höhe von 1,5 bis 2 Mrd. SKr zwischen den drei Geschäftsbereichen auf der Basis von FuE, gemeinsamer Rohstoffnutzung, Logistik und Leitungsressourcen ausmachen wollten. Ein sogar eigens eingerichteter neuer Geschäftsbereich namens SCA Raw Materials and Logistics sollte unter Beweis stellen, dass die behaupteten Synergieeffekte durch die gemeinsame Zellstoff- und Recyclingfaserversorgung, Distribution, Logistik und Energieversorgung nicht nur auf dem Papier vorzufinden waren.307 Mit der gemeinsamen Einkaufsorganisation entsprach man damit sogar einem Bedürfnis Mölnlyckes an einer engeren Zusammenarbeit in diesem Bereich.308 Allerdings wurde der hypothetische Verlust von 700 Mio. SKr für jede Geschäftseinheit im Falle einer Zerstückelung stark angezweifelt. Gewisse Zweifel an der Reliabilität der Berechnungen wurden auch dadurch genährt, dass SCA sich weigerte, die Parameter der Synergieberechnungen offen zu legen.309 Ungeachtet dessen konnte schon auf dem Kapitalmarkttag am 30. Januar 1997 die Konzernleitung dank verringerter Kapitalbindung in der Lagerhaltung sowie eines positiven Cashflows plausibilisieren, dass man die durch Synergieeffekte möglichen Kostensenkungen auch tatsächlich realisieren konnte.310 Zwei Jahre später gaben Konzernvertreter an, die innerhalb von vier Jahren zu realisierende Vorgabe, die Kosten bei Rohstoffakquisi­tion, internen Dienstleistungen und Logistik mit 1,2 Mrd. SKr zu reduzieren, bereits erreicht zu haben. Insgesamt konnten vorrangig bei Logistikstrukturen durch ein konsequentes Supply Chain Management mit einer Senkung der Lagerbestände und einer ganzheitlichen Optimierung des Lieferprozesses Kosten eingespart werden.311 Durch die zeitgleich erfolgte Börsennotierung der Feinpapiersparte konnte der Konzern insgesamt höher bewertet werden, da die Orientierung auf Hygiene und Verpackungen noch deutlicher hervortrat ohne dass gleichzeitig die Kontrolle über die Sparte verloren ging. Die Börse hatte durchaus positiv auf diese Maßnahme reagiert. Zwei Betriebsanalysen hatten die Vorteilhaftigkeit der Verbundstruktur so überzeugend offen gelegt, dass selbst Christer Gardell zumindest intern auf die Linie Löfs einschwenkte.312 307  Martin-Löf anlägger moteld, in: Dagens Industri, 11. Dezember 1996; SCA lugnar kritiker, in: Veckans Affärer, 3. Februar 1997. 308  Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 2007. 309  Budgeten blev börsens räddning efter dålig vecka, in: Dagens Nyheter, 22. September 1996; Custos pekas ut: Maktkamp väntas i SCA, in: Dagens Nyheter, 20. September 1996. 310  SCA ännu en skogspessimist, in: Dagens Industri, 31. Januar 1997. 311  Utnyttjade synergier minskade kostnader, in: Svenska Dagbladet, 16. Dezember 1999; Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007. 312  Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Dass der Custos-VD zumindest zwischenzeitlich von seinen Forderungen Abstand nahm, dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass die Konzernleitung sich der Unterstützung des wichtigsten Kapitalgebers sicher sein konnte. In der Tat hatte der Vorstand ernsthafte Debatten über eine Teilnotierung des Waldbestandes oder SCA Hygiene geführt, aber die Großeigner und besonders die Handelsbanken hatten sich in dieser Frage eindeutig dagegen entschieden.313 Insgesamt bot die Handelsbanksphäre mit 30,5 v. H. der A-Aktien nicht nur einen ausreichenden Schutz gegen mögliche Übernahmeaspiranten, sondern auch gegen die Forderungen, die von Custos an die Unternehmensspitze herangetragen wurden. Interessanterweise fand sich die Svenska Handelsbanken damit in einer ähnlichen Rolle wie bei Sandvik wieder: Die offenen und sichtbaren Kreuzverflechtungen wurden abgelöst durch eine Schutzkonfiguration, in der eine informelle Rolle als ‚weißer Ritter‘ durch Industrivärden eingenommen wurde.314 Auch nach Auflösung des Kreuzeigentums gab es eine Art gentlemen’s agreement, das die Bank über Industrivärden im Fall der Fälle in Absprache mit der Konzernleitung intervenieren würde: „Man kann sagen, das [die Kreuzverflechtung, G. F.] hörte auf und hörte trotzdem nicht auf.“315 Oder wie ein Mitglied der Konzernleitung es ausdrückte: „Das wurde als wichtig angesehen, dass man ein stabiles, langfristiges Eigentum hatte. dass man dann die Verbindung löste, war dann eine Konzession an den Aktienmarkt; aber es war auch so, dass das Arrangement weniger deutlich gemacht wurde, man ‚kehrte es unter den Teppich‘… der Effekt war aber der gleiche.“316 Die gleiche Einschätzung wurde noch mal von gewerkschaftlicher Seite bestätigt: „Man vertraute darauf, dass SCA ein gutes und starkes Unternehmen war und auch das Industrivärden als eine Art US-Kavallerie agieren würde.“317 Trotz der neuen grundsätzlichen Offenheit gegenüber den Forderungen Rendite orientierter Investoren war also nach wie vor klar, dass die Konzernleitung auf den Rückhalt der aktiven Eigentümer vertrauen konnte. Christer Gardell, der auf der nächsten Hauptversammlung Thunell als Vertreter im SCA-Vorstand ablösen sollte, hatte im Februar 1997 der Konzernleitung zwar bescheinigt, nun konsequenter als früher dem Börsenwert mehr Aufmerksamkeit zu widmen und gab bei der Gelegenheit bekannt, das SCA 313  Interview

mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. hatte die Svenska Handelsbanken in Verbund mit Industrivärden ihre Position noch weiter ausgebaut und ist mit 43,1 v. H. unangefochtener Großeigner bei SCA, was auch die Gewerkschaften beruhigt haben dürfte, die die Auflösung der Kreuzverflechtung mehrheitlich negativ beurteilt hatten. Vgl. Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. 315  Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007. 316  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 317  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. 314  Mittlerweile



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in Custos’ Portfolio als langfristiger Besitz zu sehen sei.318 Ungeachtet dessen attackierte er auf der Aktionärsversammlung der Investmentgesellschaft am 29. April 1997 die Unternehmensleitungen von SCA, Skanska, Hufvudstaden und Perstorp in heftigster Manier: Die Unternehmen hätten sich in den zehn Jahren als reine Kapitalzerstörer entpuppt, so dass deren Kurs nicht mehr zu tolerieren sei. Insbesondere an SCA entzündete sich die Kritik: Zufolge von Gardells präsentierten Daten bezifferte sich die Kapitalzerstörung im Falle des Forstwirtschaftsunternehmens – berechnet auf die Gewinnentwicklung – in dieser Periode auf 9 v. H., deutlich höher als bei Skanska mit 4,3 v. H. oder Perstorp mit 2,3 v. H.319 Der VD lobte bei der Gelegenheit ausdrücklich Unternehmen wie Sandvik, die die Gewinne erhöhen würden, ohne das Eigenkapital dafür zu stark in Anspruch zu nehmen, wandte sich gegen einen zu großen Aufbau finanzieller Reserven und betonte die Notwendigkeit von auf Aktienmärkten bezogenen Anreizsystemen für das Management.320 Den Möglichkeiten zur Durchsetzung solcher Forderungen waren jedoch Grenzen gesetzt. Erstens war die SCA-Leitung vermutlich über bestimmte Absichten bei Custos informiert, da Industrivärden nach wie vor eine 7,7 v. H.-Beteiligung bei Custos hielt.321 Zweitens gelang es der Investmentgesellschaft nicht, zusätzliche SCA-Aktien am freien Markt zu erwerben und auf diesem Wege den eigenen Einfluss im Forstwirtschaftsunternehmen auszudehnen.322 Da dieser Weg verwehrt blieb, versuchte die Holdinggesellschaft, über den Vorstand ihren Einfluss zu vergrößern. Custos hatte bis 1996 nur einen Vorstandsposten besetzt, hatte aber im Nominierungskomitee für die Neuwahl des Vorstandes 1997 einen weiteren Posten gefordert, allerdings ohne die Unterstützung der anderen institutionellen Investoren, die eine eigene Vertretung reklamierten. Unstrittig war, dass der von Custos 318  „Fördubblad försäljningstillväxt inom kort“: Martin-Löf försöker övertyga om att storlek är viktigt, in: Dagens Nyheter, 9. Februar 1997. 319  Allerdings waren es 17 v. H. bei der Immobiliengesellschaft Hufvudstaden. 320  Custosangrepp mot fyra storbolag, in: Dagens Industri, 30. April 1997. 321  Enskilda återuppstår på Nybrokajen, in: Dagens Nyheter, 6. Oktober 1996. 322  Indizien, dass so etwas geplant war, gab es durchaus: Bereits im September 1996 wurden die A-Aktien SCAs zu 140 SKr und die B-Aktien zu einem Tageskurs von 134 SKr gehandelt, was deswegen auffiel, weil die A- und B-Aktien des Unternehmens normalerweise zum gleichen Kurs gehandelt wurden und nicht mit einer fünfprozentigen Differenz. Die Aufkäufe wurden durch die Makler der SEB getätigt, so dass darüber spekuliert wurde, dass Custos damit seinen Anteil erhöhen wollte oder Öresund bzw. ein ausländischer Scheinkäufer hinter den Erwerbungen stand. Ein Aufkauf durch Öresund erschien Beobachtern plausibler, da die Investmentgesellschaft keine Aktien bei SCA hielt und insofern ein Erwerb von 10 v. H. in Absprache mit Custos nicht veröffentlichungspflichtig gewesen wäre. Vgl. Custos pekas ut: Maktkamp väntas i SCA, in: Dagens Nyheter, 20. September 1996.

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mandatierte, aber nicht zur Wiederwahl antretende VD von Trygg-Hansa Lars Thunell durch Gardell selbst ersetzt werden sollte. Die institutionellen Investoren hatten den Volvo-VD Sören Gyll als eigenen Kandidaten vorgeschlagen. Im Nominierungskomitee hatte dann Custos Erik Penser die Unterstützung entzogen, der ohne Anbindung an Eigentümerinteressen seit 1985 im SCA-Vorstand gesessen hatte. Ohne die Unterstützung des zweitgrößten Eigners musste Penser trotz des Protestes der betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen abtreten, aber auch Custos hatte das Ziel verfehlt, im Vorstand eine bedeutendere Rolle zu spielen.323 Dieser Zwist illustriert, dass Custos nicht in jedem Fall der Unterstützung anderer institutioneller Investoren sicher sein konnte, die offensichtlich dem Kurs Löfs mehr Vertrauen schenkten als den Vorschlägen Gardells. Im Vorstand selbst fand dieser mit seinen Forderungen keine Unterstützung anderer Vorstandsmitglieder, wohl ein Grund, warum sich die Diskussion zunehmend in die Medien verlagerte, in denen Gardell und andere Custos-Vertreter dann ihre Forderungen lautstark publik machten.324 Die Alternative war eine indirekte Einflussnahme, indem man sich bei einem anderen Großseigentümer SCAs einkaufte, um auf diese Weise das eigene Gewicht auszubauen. Durch systematische Käufe hatten Öresund und Custos rund 12 v. H. der Stimmrechte bei Industrivärden erworben, um eine schnellere Umwandlung bei SCA im Sinne eigener Vorstellungen zu erzwingen.325 Die 1999 getätigte Emission SCAs setzte dann möglichen weiteren Aufkäufen eine Grenze. Custos war nahezu gezwungen, daran teilzunehmen, wollte man verhindern, dass der eigene Stimmrechtsanteil von 20,1 auf 19,2 v. H. minimiert werden würde.326 Es sollte dann nur ein paar Monate dauern, bis sich die Nachricht verbreitete, dass Custos im gleichen Jahr nach einem Käufer für das eigene SCA-Aktienpaket mit 20,79 v. H. der Stimmrechte Ausschau hielt.327 Obwohl der Holdinggesellschaft hinsichtlich ihrer eigenen Wertsteigerungsziele sicherlich ein gewisser 323  Penser ut i kylan, in: Veckans Affärer, 21. April 1997; Martin-Löf aviserade nya köp på stämman, in: Dagens Industri, 29. April 1997. 324  Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007; Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. 325  Zudem wollte man sich einen gewichtigeren Einfluss bei der Wahl des Nachfolgers von Sverker Martin-Löf verschaffen, der für 2000 seinen Abgang als VD angekündigt hatte. Vgl. Nya maktköp ökar trycket på SCA, in: Dagens Industri, 26. August 1999. 326  Bezeichnenderweise befürworteten nach Aussage Sverker Martin-Löfs zwar alle Großeigner die Kapitalerhöhung, aber in erster Linie hätten die langfristigen Eigner das Vorhaben des Vorstands gestützt. Vgl. SCAs VD-byte avblåst, in: ­Dagens Industri, 18. September 1999; SCA blir Europaetta efter brittiskt köp, in: Dagens Industri, 1. September 1999. 327  Custos vill sälja SCA, in: Dagens Industri, 2. Juni 2000.



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Erfolg bescheinigt werden konnte, da der eigene Börsenabschlag mit 10 bis 20 v. H. unter dem Wert vergleichbarer Investmentgesellschaften wie Investor mit 33 v. H. lag, war man bei Custos zu der Einsicht gelangt, dass die hohe Abhängigkeit von der Performanz des Sundsvaller Konzerns, dessen Aktien 65 v. H. des Custos-Portfolios ausmachten, weitergehenden Ambitionen im Weg stand.328 Custos war gleichsam Opfer der eigenen Strategie geworden, zu stark auf ein Unternehmen zu setzen, dass trotz einer deut­ lichen Steigerung des Aktienkurses mit einem Kurs-Substanzwert-Verhältnis genauso wie alle anderen schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen an der Börse bewertet wurde.329 Die Ära des Rendite orientierten Investors fand dann im Jahr 2001 ihr endgültiges Ende, als Custos alle noch im Eigenbesitz verbliebenen Wertpapiere des Sundsvaller Forstwirtschaftsunternehmens abstieß. e) Die Implementation von CVA und weiterer Finanzmarktnormen Es waren aber nicht nur die Attacken des institutionellen Investors, die die Konzernleitung zu der Überzeugung brachten, den Anforderungen der Aktienmärkte deutlicher als zuvor Rechnung zu tragen. Aber nicht nur SCA musste sich während der neunziger Jahre dieser Herausforderung stellen, da Forstwirtschaftsunternehmen an der Stockholmer Börse nicht gerade eine hohe Wertschätzung erfuhren.330 Weltweit hatte die Kursentwicklung der Forstwirtschaftsunternehmen auf dem Niveau der übrigen Börsenunternehmen zwischen 1983 und 1996 gelegen, aber seitdem – verglichen mit einem Weltindex – um 35 bis 40 v. H. verloren. Der Ertrag auf das Eigenkapital hatte seit 1983 kontinuierlich unter den Ertragsforderungen der Börse gelegen, so dass im Gegensatz zu Pharmazie- und Telekommu328  Als problematisch erwies sich auch, dass Custos trotz der massiven Devestitionen, Ausverkäufe und Ausschüttungen an die eigenen Aktionäre keine neuen Erwerbungen getätigt hatte, mit denen das Portfolio besser hätte ausbalanciert werden können. Da half es auch nichts, dass bei sämtlichen erworbenen Unternehmen die Aktien deutlich an Wert zugelegt hatten. Vgl. zu dieser Entwicklung Fortsatt hög rabatt i Investor, in: Finanstidningen, 13. Oktober 2000. 329  SCA-uppgång efter slaktuppgifter, in: Dagens Industri, 3. Juni 2000. 330  Alleine die beiden Mobiltelefonnetzbetreiber Europolitan und Netcom, zwei verhältnismäßig kleine Vorzeigeunternehmen der schwedischen new economy, konnten 1998 einen akkumulierten Börsenwert von 55 Mrd. SKr vorweisen, fast soviel wie die hinsichtlich Umsatz und Beschäftigung um ein Vielfaches größeren Forstwirtschaftsunternehmen Stora, SCA, Modo, Rottneros und Korsnäs zusammen. Vgl. Industrin väger lätt på börsen: Analytikerna håller fast vid skogs- och verkstadsföretagen trots att informations- och tjänsteföretagen är dominerande, in: Dagens Nyheter, 12. Juli 1998.

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nikationsunternehmen Forstwirtschaftsunternehmen mit signifikanten Ak­ tienpreisabschlägen gehandelt wurden.331 Dementsprechend stellte sich für nahezu alle skandinavischen Forstwirtschaftsunternehmen gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Aufgabe, eine zunehmend auf globalem Niveau betriebene Expansion mit einer ausgeweiteten Kapitalmarktorientierung in Einklang zu bringen. Nahezu alle hatten sich darauf verpflichtet, den Belangen der Investoren deutlich mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen als zuvor.332 Angesichts der deutlich verbesserten Profitabilität 1999 stiegen die Börsenkurse für alle sieben großen skandinavischen Forstwirtschaftsunternehmen mit durchschnittlich 80 v. H. Auch wenn die Branche damit von dem allgemeinen Börsenboom profitiert haben dürfte, schien sie sich von dem zweifelhaften Ruf als Wertvernichter befreit zu haben.333 Mit rund 20 v. H. höheren Kurswerten übertrafen 1999 SCA und MoDo sogar die Steigerungsraten des Börsendurchschnitts um das Doppelte.334 Der SCA-Börsenkurs hatte während der achtziger Jahre deutliche Steigerungsraten gezeigt, nach der Rezession anfangs der neunziger Jahre bei 53, 71 Skr stagniert, um ab 1996 deutlich anzuziehen: Immerhin konnten sich SCA-Wertpapierbesitzer im Jahr 2000 an einem durchschnittlichen Tageskurs von 65,415 Skr erfreuen.335 Die zwischenzeitliche Zurückhaltung der Kapitalmarktteilnehmer war allerdings nicht nur Ausdruck einer grundlegenden Reserviertheit gegenüber den vermeintlichen Kapitalzerstörern, sondern auch auf eine unzufriedenstellende Gewinnentwicklung in der Branche. Mit der Ausnahme von ASSI Domän hatten alle Forstwirtschaftsunternehmen eine Verschlechterung in der Gewinnsituation hinnehmen müssen.336 Die 1996 bei SCA als Zielvorgabe festgesetzte Eigenkapitalrendite über 13 v. H. während eines Konjunkturzyklus war 1990 und 1995 zwar noch übertroffen worden, aber besonders in den Krisenjahren 1991 bis 1994 war der durchschnittliche Ertrag auf 331  Stora strukturaffärer behövs: Svensk skogsindustri måste få upp lönsamheten för att på sikt klara konkurrensen utländska producenter, in: Dagens Nyheter, 20. Februar 1998. 332  Donner-Amnell, J., To Be or Not To Be Nordic? How Internationalization Has Affected the Character of the Forest Industry and Forest Utilization in the Nordic Countries, in: Ders. / Lehtinen / Sæther, Politics, S.  186. 333  Allerdings wurden die US-amerikanischen Branchenkonkurrenten hinsichtlich des Kurs-Substanzwert-Verhältnisses mit 50 bis 80 v. H. höher bewertet. Vgl. Skogsbolagen in från kylan, in: Dagens Nyheter, 17. Januar 2000; SCA-uppgång efter slaktuppgifter, in: Dagens Industri, 3. Juni 2000. 334  Fusionsrykte föder affärer i skogsaktier: SCA och Modo verkar hetast i funderingar om samarbete, in: Dagens Nyheter, 27. April 1999. 335  Referenzwert ist jeweils der Tagesschlusskurs des Börsentages am 2. Januar, 1.  April, 1.  Juli und 1.  Oktober. Daten von http: /  / sca.com / en / Investors / SCA-share / . 336  Lätt att lova guld i gröna skogar, in: Dagens Industri, 11. Oktober 1996.



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bescheidene 3,5 v. H. abgesunken. Die manifeste negative Reaktion auf die Gewinnentwicklung und die laut gewordene Kritik von Kapitalmarktteilnehmern und Analysten und nicht zuletzt das Auftreten von Custos hatten die Konzernspitze dazu bewogen, der Geringschätzung am Aktienmarkt nun offensiv entgegen zu steuern. Immerhin hatte Sverker Martin-Löf in einer Umfrage im Herbst 1996 noch einen unrühmlichen Spitzenplatz errungen, als es um den VD aller in Stockholm notierten Börsenunternehmen ging, dessen Abgang die Börsianer am liebsten miterleben wollten.337 Drei Jahre später sollte die Wertschätzung ganz anders ausfallen, als SCA als das höchst bewerteste Forstwirtschaftsunternehmen herausstach.338 Damit honorierte die Börse wohl auch die Bemühungen des Konzerns, den Anforderungen der Kapitalmärkte mit einer Shareholder Value-Strategie ganz im angelsächsischen Stil im weitaus höheren Ausmaß Rechnung zu tragen, als dies bei allen anderen drei Fallstudienunternehmen der Fall war. Im Zuge der ab 1996 realisierten Gewinnsteigerungen war man in Sundsvall Rendite orientierten Investoren insofern entgegengekommen, als dass ein bedeutend größerer Anteil der erwirtschafteten Gewinne ausgeschüttet werden sollte. Im Geschäftsbericht für das Jahr 1996 wurde bekannt gegeben, dass der Konzern keine großen Umstrukturierungen oder laufende Investitionen plante. Stattdessen sollte der zukünftig erwirtschaftete Cashflow für weitere wertschaffende Expansionsinvestitionen und für eine erhöhte Dividende genutzt werden. Der Effektivgewinn der Aktien, gemessen als Wertentwicklung plus Dividende, sollte in einer Periode von fünf Jahren verdoppelt werden.339 Ähnlich wie bei Sandvik hatte man auch bei SCA den Wert eines steigenden Börsenkurses als Schutzmechanismus zu schätzen gelernt, da anders als bei dem Stahlunternehmen eine Übernahme zumindest mit einem konkreten Interessenten verbunden werden konnte, da es in der Tat bei der stark expandierenden Norske Skog Ambitionen gab, SCA zu erwerben.340 Neben der angekündigten offensiven Dividendenpolitik lässt sich an der Hervorhebung der Kennzahl des Cashflow die nun deutlich zutage tretende Orientierung auf den Shareholder Value ablesen. Bereits ab 1982 hatten die Geschäftsberichte den Anteil der jeweiligen Geschäftsbereiche am Konzernumsatz und -gewinn spezifiziert und eine Eigenkapitalrendite von 15 v. H. als Minimalziel für die Mehrzahl der Sparte vorgegeben, die innerhalb eines Konjunkturzyklus erreicht werden sollten. Allerdings begnügte man sich bei der Gewinnentwicklung der einzelnen Geschäftsbe337  SCA-chefen på charmoffensiv: „Fördubblad försäljningstillväxt inom kort“, in: Dagens Nyheter, 9. Februar 1997. 338  Sundin, A. / Sundqvist, S.- I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag, Stockholm 2001, S. 22. 339  SCA Geschäftsbericht 1996. 340  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007.

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

reiche oft mit den unklaren Attributen. Formulierungen wie ‚zufriedenstellende Gewinnentwicklung‘ oder ‚nicht zufriedenstellende Gewinnentwicklung‘ entsprachen höchstens den Mindestanforderungen des externen Monitorings. Diese vagen Vorgaben wurden von Vertretern einer Shareholder Value-Orientierung genauso kritisiert wie die Ausrichtung an klassischen Messgrößen wie die Eigenkapitalrentabilität oder die Gesamtkapitalrendite. Hingegen orientieren sie sich vornehmlich am Cashflow als Differenz zwischen zu erwartenden einzahlungswirksamen Erträgen und den zu erwartenden auszahlungswirksamen Aufwendungen. Diese Kennziffer gibt folglich darüber Auskunft, inwiefern bilanziertes Vermögen innerhalb einer Zeitpe­ riode während des Umsatzprozesses wieder gewonnen wird und inwieweit Mittel zu Substanzerhaltung und Erweiterungsinvestitionen ohne Fremdkapital selbst erwirtschaftet werden.341 Diese Bestimmung von Steuerungsgrößen als berechenbare Zielvorgaben anstelle der willkürlichen Setzung von Zielgrößen liegt einer ganzen Reihe verwandter oder differenzierter Ansätze mit einer unterschiedlichen Nuancierung von finanzmathematischen Kennziffern zugrunde.342 Auch als Reaktion auf die akkumulierte Schuldenlast hatten 1995 / 1996 Vertreter des Konzernfinanzstabes den Cashflow nach Investitionen und Umlaufvermögen jeder einzelnen Einheit aufgeschlüsselt und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass in vielen Bereichen wegen vieler laufender Investitionen kaum Zahlungsmittelüberschüsse vorhanden waren. Um die Notwendigkeit für den Cashflow zu schaffen, wurden die vorher genutzten 341  Um den Zeitwert des Geldes zu berücksichtigen, wird der Kassenzufluss auf den gegenwärtigen Wert abgezinst und der Abzinsungswert wie eine Variable der Kapitalkosten behandelt. Erwirtschaften Investitionen eine Rendite, die über den Kapitalkosten liegt, dann wird ein Shareholder Value erzeugt. Ziel eines jeden im Interesse der Aktionäre agierenden Unternehmens muss also sein, dass der auf den Gegenwartswert abgezinste zukünftige Cashflow höher ausfällt als die Kapitalkosten. Der Abzinsungswert der Cashflow Ströme wird in Gestalt von Mitteln der Fremd- und Eigenkapitalkosten kalkuliert. Die Fremdkapitalkosten werden als gegenwärtige Kreditkosten aufgefasst. Im Falle der Eigenkapitalkosten können jedoch keine Zinsen vorgegeben werden, da das Unternehmen als eigener Kapitalgeber auftritt. Vertreter der SHV-Philosophie schlagen deswegen vor, die Bereitschaft der Eigenkapitalgeber zu Investitionen oder zur Haltung von Anteilsscheinen als Kriterium anzuwenden. Diese Bereitschaft wird wiederum dadurch ermittelt, indem das systemische Risiko der Wertpapiere berechnet wird, das sich aus dessen Kursvolatilität ergibt. Vgl. Rappaport, A., Shareholder Value: Ein Handbuch für Manager und Investoren, zweite Auflage, Stuttgart 1999. 342  Dazu gehören der Cashflow Return on Investment-Modell (CFROI), dem Free Cashflow-Modell (FCF), dem Return on Invested Capital-Ansatz (RoIC), oder den vielfach genutzten prominenteren Modellen des Economic Value Added (EVA) oder Market Value Added (MVA). Einen genaueren Überblick der Ansätze bietet Becker, G., Marktorientiertes Rechnungswesen, Shareholder Value management und Controlling, in: WISU, Nr. 29 (2000), S. 53–55.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter269

Messgrößen der Return on Assets und die Kapitalrendite abgeschafft.343 Bei SCA wurde ab 1996 / 1997 das CVA-Modell (Cash Value Added) als Grundlage der Finanzkontrolle genutzt, das ähnlich wie Rappaport den diskontierten Cashflow als Schlüsselvariable identifiziert, jedoch bei Investitionen zwischen strategischen und nicht-strategischen Investitionen unterscheidet, die von SCA ab 1997 auch in den Geschäftsberichten ausgewiesen wurden.344 Ein wesentlicher Vorzug des CVA-Konzeptes war, dass es auch auf Divisions- und Geschäftsbereichsebene zur Anwendung gelangen konnte. Als strategische Investitionen wurden wachstumsfördernde Investitionen wie Erwerbungen klassifiziert; nicht-strategische Investitionen wie die Erneuerung des Kapitalstocks sicherten hingegen nur den Wert dieser strategischen Investitionen und sollten als variable Kosten aufgefasst werden. Jede Einsparung durch ein verringertes Warenlager war nun genauso viel wert wie der Ertrag. Es dauerte allerdings eine Weile, bis die stark technik­ orientierten Einheiten vor allem in den klassischen Forstwirtschaftssparten überzeugt werden konnten, dass entstehende Kapitalkosten vor allem durch die Lagerhaltung eingespart werden konnten. Vor allem SCA Packaging war erfolgreich, sogenannte A-, B-, und C-Aktiva zu definieren.345 Das CVA-Modell wurde jedoch nicht nur genutzt, um das Innenfinanzierungspotenzial des Forstwirtschaftsunternehmens zu verstärken. Ausgehend von den strategischen Investitionen wurden Cashflow-Zielsetzungen durch den Operating Cashflow Demand (OCFD) berechnet, der mit dem Operating Cashflow (OCF), einer Summe aus Betriebskapitalbewegungen, dem Gewinn vor Zinsen und Steuern sowie den nicht-strategischen Investitionen verglichen wurde. Nur im Falle, dass der OCF größer als der OCFD ausfiel, wurde ein Shareholder Value in Gestalt des so realisierten Cash Value Added (CVA) geschaffen.346 Akzeptabel waren in dieser Modellrechnung nur die Investitionen, deren Ertrag die Anforderungen der Investoren überstieg; ansonsten sollte das Kapital in Dividendenform an die Investoren zurückgegeben werden. Somit waren ab 1997 die Voraussetzungen für die Dividen343  Interview

mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. Cashflow wurde fortan definiert als Gewinn plus minus Betriebsmittel abzüglich der laufenden Investitionen. 345  Die als nicht notwendig eingestuften C-Aktiva wie Immobilien wurden dann verkauft. Als Anreiz wurden in den jeweiligen Geschäftsbereichen Boni an die Leitungsgruppen ausgegeben, um die Zielsetzung zu verwirklichen. Vgl. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 346  Um als Wert schaffende Investition klassifiziert zu werden, mussten sie im CVA-Index mindestens einen Wert von 1.1 oder 1.2 erreichen, da 1.0 den Kapitalkosten für die Investitionen entsprach. Zu den Details des Modells vgl. Peterson, C. /  Holmqvist, A. / Åström, M., Styrning mot ökat ägarvärde inom skogsföretaget SCA, in: Ekonomiska samfundets tidskrift,Vol. 3, Nr. 3 (2005), S. 129 ff. 344  Der

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

densteigungen auch gegeben, da der Cashflow der laufenden Geschäftstätigkeit dauerhaft positiv war. Der bewusste trade-off zwischen Unternehmenswachstum und Dividendenausschüttung, wie es ein SCA-Vertreter ausdrückte, fand auch seinen Niederschlag in den veröffentlichten Zielsetzungen, die nebenbei demonstrieren sollten, was für einen Gewinn das Unternehmen erbrachte, wenn es nicht zerstückelt war.347 Fand SCA keine lohnenden Investitionsobjekte, sollten die Mittel nicht thesauriert, sondern ausgeschüttet werden. Zeitgleich mit der Implementation des CVA-Modells wurde das jährliche Ertragsziel für die Eigenkapitalrendite auf 13 v. H. mit einer Risikoprämie von sechs v. H. taxiert; die strategischen Investitionen sollten einen Zuwachs im Cashflow von mindestens zehn v. H. generieren. Stabilisierten sich die Gewinne, konnte SCA die Kreditfinanzierung ausweiten, damit die Kapitalkosten senken und auf diese Weise den Unternehmenswert erhöhen. Sparten, die die Ertragsforderungen nicht mehr erfüllen konnten, sollten veräußert werden. Damit entsprach man den Prämissen der Shareholder Value-Philosophie, dass dort wo Kapital vernichtet wird, der jeweilige Unternehmensteil verkauft oder restrukturiert werden soll.348 In der Praxis transferierte SCA steigende Ressourcen in die Geschäftsbereiche Hygieneprodukte und Verpackungen, um dort Wachstum und Erwerbungen zu ermöglichen. Für die Bereiche der klassischen Forstwirtschaft galt es hingegen, eine optimale Kostenstruktur sicherzustellen.349 Genau wie Sandvik bemühte sich auch der Forstwirtschaftskonzern darum, den Informationsbedürfnissen von Investoren und Analytikern entgegenzukommen. So sorgte der Investor Relations-Verantwortliche des Konzerns dafür, dass die Kommunikation mit den Akteuren auf den Finanzmärkten an Intensität zunahm. Vornehmlich in London wurden nun mindestens drei Kapitalmarkttage jährlich abgehalten, deutlich mehr als zu Beginn der neunziger Jahre.350 Ein weiteres Element der Shareholder Value-Philosophie zur Sicherstellung der Kapitalmarktorientierung war eine performanzbasierte Managervergütung, die den Zielkonflikt zwischen Größenwachstum und Wertwachstum beheben soll und darüber hinaus dazu dient, eine mögliche adverse Selektion durch Manager als Agenten gegenüber ihrem Prinzipalen in Gestalt der Aktionäre auszuschließen. Anreizvergütungen in Gestalt der Koppelung von Managergehältern an den Aktienkurs in Form von Aktienoptionsprogrammen sollen das Unterlaufen von kapitalmarktorientierten Strategien verhindern, indem durch den Erwerb von Ak­tienoptionen ein 347  Interview

mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007. svarar SCA, in: Affärsvärlden, Nr. 46 (1997), S. 46. 349  SCA Geschäftsbericht 1998;, SCA Geschäftsbericht 1999, S. 8. 350  Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008. 348  Äntligen



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter271

Anreiz erzeugt wird, das Kursniveau nach oben zu treiben. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Verknüpfung solcher Programme mit operativen Erfolgskennziffern.351 Ganz im diesen Sinne hatte Rydin das Bonussystem beschrieben, das Prämien an die Entwicklung des Aktienkurses knüpfte und so ein aktionärsfreundlicheres Verhalten sichern sollte.352 Das 1997 eingeführte Bonussystem für das leitende Management variabilisierte die Vergütungsbestandteile mit zwei Determinanten. Erstens konnte ein maximaler Bonus von bis zu 30 v. H. zusätzlich zum Grundentgelt bei adäquater Steigerung der Kapitalrendite erreicht werden. Boni in Gestalt von Kaufoptionen konnten zusätzlich im Rahmen eines zweiten Systems gewährt werden, das zusätzlich 10 v. H. zum Festgehalt auslobte, falls die Wertentwicklung der SCA-Aktien zwischen 1997 und 1999 positiv ausfallen würde.353 Das 1999 erneuerte Modell für sechzig leitende Mitarbeiter koppelte die Boni nicht nur an den Wertzuwachs der Aktien im Vergleich zu vergleichbaren Unternehmen, sondern auch an die Realisierung der internen CashflowZielsetzungen.354 Die Aktienmarktorientierung trat noch deut­ licher in den Vordergrund, da nicht nur der Effektivertrag der SCA-Aktien als Berechnungsgrundlage diente, sondern auch Bonuszahlungen nur bei einer Dividendensteigerung im Vergleich zum Vorjahr angehoben werden sollten.355 351  Rappaport,

Shareholder Value, S. 133. System ohne Variabilisierung der Managervergütung gab es zwar schon 1987 für rund 30 leitende Führungskräfte, die jeweils zwischen 2000 bis 3000 Kaufoptionen für stimmrechtsschwache SCA-Aktien von Industrivärden erwerben konnten. 1990 wurde der gleichen Zielgruppe von Custos das Angebot unterbreitet, 186.000 Kaufoptionen erwerben zu können. Vgl. Interview mit Rydin in: Bra idé slå samman Custos och Industrivärden, in: Veckans Affärer, Nr. 18 (1997), S. 22–24; Optioner till SCA-toppen från Industrivärlden, in: Dagens Industri, 21. Dezember 1987; SCA-anställda köper 186.000 optioner i Custos, in: Dagens Industri, 8. Januar 1990. 353  SCA veröffentlichte jedoch nicht die zugrunde liegenden Berechnungsparameter. Vgl. zu den Angaben SCA Geschäftsbericht 1997, S. 49. 354  Anders als zuvor wurden die Vergütungen nicht nur als Aktienoptionen, sondern auch teilweise als Barbetrag ausbezahlt und die möglichen Zuschläge deutlich angehoben. 355  Das neue, ab 2001 geltende Bonussystem gliederte sich in einen langfristigen Bestandteil und eine einjährige Komponente. Der auf drei Jahre beschränkte langfristige Bestandteil wurde in Relation zu dem Effektivertrag der B-Aktie im Vergleich zu den Branchenkonkurrenten und der Börse insgesamt berechnet. KonzernVD und die Leiter der Geschäftsbereiche konnten maximal zusätzlich 45 v. H. des Grundvergütungsbetrags erhalten, während für die übrigen leitenden Mitarbeiter 35 v. H. in Form von Aktien und einem Barbetrag in Höhe von fünf v. H. in Aussicht gestellt wurden. Der für die Einjahresperiode bestimmte und als Barbetrag ausgezahlte Bestandteil konnte maximal 15 v. H. der Grundvergütung ausmachen, war jedoch von der Realisierung der operativen Cashflow-Ziele abhängig. Die Ziele sollten von einem bei dem Vorstand angesiedelten Entlohnungskomitee ermittelt 352  Ein

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III. Vom Forstwirtschafts- zum Hygieneunternehmen: SCA

Ab 2000 sollten dann ausschließlich die Cashflow-Ziele als Berechnungsgrundlage dienen. Mit der Spezifizierung der Schwellenwerte und die Koppelung an dezidiert kapitalmarktorientierte Variablen wie Gewinnausschüttung und Wertentwicklung eigener Aktien unterschied sich SCA deutlich von den anderen Fallstudienunternehmen, da deren aufgelegte Aktienoptionsprogramme ohne Referenzwerte bezüglich Dividende, Cashflow oder Aktienkursentwicklung nur im Ansatz einer Ausrichtung auf Aktionärs­ interessen entsprachen.356 Aber auch im Vergleich mit anderen Börsenunternehmen fiel das Forstwirtschaftsunternehmen auf: Die 942.000 Kaufoptionen, die die Mitglieder der Konzernleitung erwerben konnten, lagen deutlich im oberen Bereich der für Stockholmer Börsenunternehmen üblichen Gratifikationen, so dass auch in dieser Hinsicht SCA zweifellos eine Vorreiterrolle zuerkannt werden muss.357 Vielleicht lohnt es sich, abschließend noch die Haltung eines stakeholders zu thematisieren, der rein theoretisch die Konsequenzen in Form von schnelleren Ausgliederungen oder zügiger vorgenommenen Entlassungen zu tragen hatte, falls Vorgaben nicht umgesetzt werden konnten. Insgesamt haben sich die Gewerkschaften dem neuen Kurs zwar nicht offen widersetzt, aber in einigen Fragen zumindest eine kritische Haltung eingenommen. Vor allem die Liquiditätsverringerung in Gestalt des Abflusses durch Dividenden wurde durch die Arbeitnehmervertreter deutlich als negativ bewertet, so dass etliche Male im Vorstand die Zustimmung zu den erhöhten Ausschüttungen seitens der Pappers-Repräsentanten unterblieb. Dabei verweigerten sich die Arbeitnehmervertreter nicht grundsätzlich dem Ansinnen höherer Aktionärsrenditen, betonten jedoch zugleich die Notwendigkeit, Mittel vorrangig in Krisenzeiten für Investitionen vorzuhalten.358 Dieser Konflikt, der die industriellen Beziehungen vermutlich auf die Nagelprobe stellen würde, ist aufgrund der zufriedenstellenden Wachstums- und Gewinnentwicklung bisher ausgeblieben. Nicht zu Unrecht weisen Beobachter darauf hin, dass nach der Abschwungphase 1992 / 1993 eine Dekade mit werden, während die Zielvorgaben für die übrigen leitenden Mitarbeiter von dem VD selbst vorgeschlagen wurden. 356  Als Übergangslösung zwischen dem alten und ab 2001 geltenden Optionsmodell wurden die möglichen Bonizahlungen für das Jahr 2000 für den Konzern-VD und die Geschäftsbereichsleiter auf 20 v. H. sowie auf 15 v. H. für die übrigen leitenden Mitarbeiter angehoben. Auch sollte bereits für das Jahr 1999 neben den Kapitalrenditezielen ein Bonus ausgezahlt werden, falls die Cashflow-Zielsetzungen umgesetzt wurden. Vgl. zu den Details der kapitalmarktbezogenen Entgelte SCA Geschäftsbericht 1998, S. 31, 63 f.; SCA Geschäftsbericht 2000. 357  Vgl. dazu die Abbildung über die Anzahl der Kaufoptionen bei Sundin, A. / Sundqvist, S.-I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag, Stockholm 2001, S. 24–27. 358  Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007.



6. Vom Nachzügler zum Vorreiter273

einem ungewöhnlich langen Boom auch der Forstwirtschaft günstige Rahmenbedingungen bescherte, die das Erreichen ehrgeiziger Gewinnziele wesentlich erleichterte.359 Es spricht aber für die Stärke der korporatistischen Unternehmenskultur bei SCA, dass es gelungen ist, tiefgehende Konflikte über die kapitalmarktorientierte Ausrichtung des Unternehmens zu umgehen. Allerdings gab es einzelne Punkte, die von den Gewerkschaften nicht mitgetragen wurden. Auf Ablehnung traf das eingeführte Bonussystem, zu dem der PTK-Vertreter im Konzernvorstand im Interview sehr deutlich Stellung bezog. „Da waren wir definitiv dagegen. Nein, das beurteilten wir überhaupt nicht als positiv und haben durchgängig dagegen argumentiert. Wir haben jedoch eines geschafft: das Niveau einigermaßen unten zu halten, so dass SCA nicht das gleiche Niveau bekam wie Scania oder anderswo.“360 Die Zustimmung zu dem Bonussystem für die leitenden Angestellten war seitens der Gewerkschaften an die Bedingung geknüpft worden, dass die konzerneigene Pensionsstiftung auch für Arbeiter geöffnet wurde.361 Bereits 1984 war nach langwierigen Diskussionen ein Gewinnbeteiligungssystem für die 15.000 schwedischen Beschäftigten eingeführt worden.362 Auch das 1998 aufgelegte zweite Wandelanleihenprogramm erbrachte einen Kapitalzufluss von 298 Mio. SKr durch 42 v. H. aller Beschäftigten oder insgesamt 12.000 Mitarbeiter. Die Ankündigung im Geschäftsbericht 1998, die variabilisierten Bonussysteme auf sämtliche Mitarbeiter auszudehnen, wurde zwar zumindest im Untersuchungszeitraum nicht realisiert, zeigt aber das Bestreben der Unternehmensspitze, die Anreizsysteme nicht auf eine privilegierte Führungsgruppe im Konzern zu beschränken, ohne dabei wie Ericsson einen Konflikt in der Frage außertariflicher Lohnzuschläge zu riskieren [vgl. Abschnitt IV.7.a)].363

359  Donner-Amnell,

To Be or Not To Be Nordic, S. 191. mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 361  Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall, 3. April 2007. 362  1987 machten dann 8045 Mitarbeiter, immerhin 60 v.  H. der schwedischen und 20 v. H. der Auslandsangestellten, von dem Angebot Gebrauch, eine Wandelanleihe mit einem Emissionsvolumen in Höhe von 350 Mio. SKr zu zeichnen. Vgl. dazu Börsbolag följer Volvo: Tretton storföretag planerar vinstdelning, in: Veckans Affärer, 5. Mai 1983; Volvo får fler efterföljare, in: Veckans Affärer, 7. Januar 1983; SCA-anställda övertecknade, in: Dagens Industri, 9. Februar 1987. 363  SCA Geschäftsbericht 1998, S. 3. 360  Interview

IV. ‚Was gut ist für Ericsson, ist gut für Schweden‘: Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy In vielerlei Hinsicht kommt die Beschreibung des Wachstumspfades von Ericsson nicht ohne die Verwendung von Superlativen aus. Zweifellos muss dem Telekommunikationsunternehmen attestiert werden, eine herausragende Bedeutung für die Erholung der gesamten schwedischen Volkswirtschaft nach den turbulenten Krisenjahren zu Beginn der neunziger Jahre gespielt zu haben. Wurde in den achtziger Jahren noch Volvo regelmäßig als Referenz für die Stärke und Leistungsfähigkeit der schwedischen Volkswirtschaft genannt, so trifft dies im weitaus höheren Ausmaß für Ericsson im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 zu. Im Jahr 1998 exportierte der Konzern Güter und Dienstleistungen im Wert von 110,4 Mrd. SKr und damit rund doppelt so viel wie das Göteborger Fahrzeugunternehmen. Gleichzeitig kann das Aufsehen erregende Wachstum der gesamten schwedischen IKT-Branche fast ausschließlich auf den Stockholmer Telekommunikationskonzern zurückgeführt werden.1 Aber auch in Relation zu gesamtwirtschaftlichen Makroaggregationen wird der Stellenwert des Stockholmer Unternehmens deutlich: Trug Ericsson in 1990 mit 0,5 v. H. zum schwedischen Brutto­ inlandsprodukt bei, so waren es im Jahr 2000 2,6 v. H.2 Alleine zwischen 1992 und 1996 steigerte sich der Anteil Ericssons an den schwedischen Gesamtexporten und am Bruttoinlandsprodukt fast um das Doppelte. Dementsprechend entfiel ein beachtlicher Anteil der gesamten volkswirtschaft­ lichen Exporte auf Ericsson, der 1995 immerhin 10 v. H. und im Jahr 2000 sogar 15 v. H. ausmachte.3 Insgesamt steigerte Ericsson die Zahl der Beschäftigten während der neunziger Jahre im globalen Maßstab um 50 v. H. und in Schweden um 40 v. H.4 Auch auf den Börsenplätzen machte sich der 1  Andersson, T. / Braunerhjelm, P. / Jakobson, U., Det svenska miraklet i repris? Om den tredje industriella revolutionen, globalisieringen och tillväxten, Stockholm 2006, S. 66. 2  Lindmark, S. et al., Telecom Dynamics: History and State of the Swedish Telecom Sector and its Innovation System 1970–2003, (Final Report, VINNOVA Analysis VA 2004:04), Stockholm 2004, S. 147. 3  KONTAKTEN, Nr. 5 (2000), 23. März 2000. 4  Der Konzern realisierte im Gegensatz zu den meisten schwedischen Großunternehmen seinen Beschäftigungszuwachs vorrangig im eigenen Heimatland und nicht in den ausländischen Tochtergesellschaften. Erst 1998 kam es zu einem Trendbruch,



IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy275

Unternehmenserfolg in einer lang anhaltenden Hausse bemerkbar, die am 6. Dezember 1999 ihren Höhepunkt erreichte, als Ericssons Börsenwert die magische Schwelle von 1.000.000.000.000 SKr überstieg.5 Dass Ericsson zwischen 1980 und 2000 aufgrund seines überproportionalen Wachstums eine solche Bedeutung für die gesamte schwedische Volkswirtschaft erlangen konnte, verdankte der Konzern zweifellos dem globalen Aufkommen der Mobilkommunikation, deren weltweiter Aufstieg dem Kriterium eines radikalen innovatorischen Quantensprungs genügt, der vollständig neue Märkte und Kundenkreise hervorbringt. Was alleine für ein enormes Kundenpotenzial die Einführung der Mobilfunktechnik bedeuten sollte, verdeutlicht der Umstand, dass sich die Anzahl der Fernsprechteilnehmer von 11 Millionen im Jahr 1990 in nur acht Jahren auf rund 300 Millionen erhöhen sollte. Legt man alleine den globalen Bestand aller Mobiltelefonabonnenten zwischen 1994 und 2006 zugrunde, dann erhöhte sich alleine zwischen 1994 und 2000 deren Anzahl von einer auf rund 12 Millionen.6 Diese Entwicklung spiegelte sich auch in der Umsatzentwicklung Ericssons wider: Erwirtschaftete der Konzern mit dem Verkauf von Gütern und Dienstleistungen 1978 noch bescheidene 12 Mrd. SKr, waren es im Jahr 2000 273 Mrd. SKr. Hatte die Mobiltelefonsparte 1990 noch 11,5 Mrd. SKr umgesetzt, waren es 1999 schon über 170 Mrd. SKr.7 Die Mobiltelefonaktivitäten wuchsen zwischen 1983 und 2000 jährlich mit 40 v.  H.8 Zweifellos hat kein anderes schwedisches Unternehmen in jüngerer Zeit ein so derartiges Größenwachstum erfahren. Diese Auflistung beeindruckender Daten sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Aufstieg zu einem global führenden Mobilkommunikationsunternehmen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Kein anderes Unternehmen musste auf den Durchbruch seiner Erzeugnisse so lange warten.9 Erst 1996 war Ericsson in der Lage, auch durch einen Auftragseingang über der Schwelle von 100 Mrd. SKr einen Gewinn von mehr als 10 Mrd. SKr innerhalb eines Jahres zu erwirtschaften; vorher gelang das ausschließlich Volvo und dem Pharmazieunternehmen Astra.10 als den 5454 neu eingestellten Arbeitsplatzsuchenden 5481 Entlassungen gegenüberstanden. Vgl. „Ericsson ser oss som andra klassens människor“, in: LO-Tidningen, Nr. 3 (1999), S. 10 f. 5  Biljonbolaget Ericsson, in: Affärsvärlden, 8. Dezember 1999. 6  Vgl. die Angaben der ICT Indicators Database, http://www.itu.int  / ITU-D / ict /  statistics. 7  Kravmaskinen, in: Veckans Affärer, Nr. 38 (2000), S. 21. 8  Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 9  Der langjährige VD Lars Ramqvist lag wohl richtig, als er diese Zeitspanne auf 17 Jahre veranschlagte. Vgl. Internet ger telekomjätten ny marknad, in: Dagens Industri, 17. Februar 1997.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Es sind jedoch nicht nur diese quantitativen Aspekte, die Ericsson zu einem herausragenden Untersuchungsobjekt im Rahmen einer Analyse institutionellen Wandels im schwedischen Produktionsregime qualifizieren, sondern ebenso der Umstand, dass das Stockholmer Unternehmen aufgrund der Zugehörigkeit zur Informations- und Kommunikationsbranche zur new economy gezählt werden muss.11 Weitere Besonderheiten, die mit dieser Produktionsweise assoziiert werden, sind wissenschaftliche Erkenntnisse als entscheidender Produktionsfaktor, offene Innovationssysteme und das Phänomen der sogenannten concurrent innovation, also einer simultanen Entwicklung von Produkt- oder Prozessinnovationen, aber auch dynamische Kapital- und Arbeitsmärkte.12 Aufgrund dieser Merkmale, die sich eher in ein radikales Innovationsmuster einfügen, wird die new economy in der Regel als ein Produkt der angelsächsischen Liberal Market Economies gesehen.13 Ericsson bewegte sich als schwedisches Unternehmen in einer korporativen Marktwirtschaft und somit in einem vermeintlich disparaten institutionellen Umfeld. 10

10  Vinst: tio miljarder kronor. Fortsatta framgångar inom mobiltelefonin gav en vinstökning på 33 v. H., in: Dagens Nyheter, 12. Februar 1997. 11  Wendet man eine Minimaldefinition dieses nach wie vor relativ unscharfen Begriffs an, dann bedeutet ‚new economy‘ das Aufkommen einer wissensbasierten, forschungs- und entwicklungsintensiven Wirtschaftsstruktur, deren Potential auf dem Durchbruch von Internet und Mobilkommunikation und damit verbundenen generischen Standards, Technologien und Querschnittstechniken beruht. Sogenannte generic standards oder general-purpose technologies wie die Halbleitertechnik können für mehrere Technologien oder Dienstleistungen unter der Voraussetzung angewandt werden, dass es zur Hervorbringung komplementärer anwendungsnaher und auf bestimmte Funktionen zugeschnittener Techniken kommt. Diese begleitenden Innovationen zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie häufig in anderen Branchen zustande kommen, sondern auch dadurch, dass sie durch Anwender realisiert werden, die damit die Nutzungskontexte und die Fortentwicklung der gesamten Querschnittstechnologien beeinflussen können. Vgl. dazu Goldfarb, B., Diffusion of General-Purpose Technologies: Understanding Patterns in the Electrification of US Manufacturing 1880–1930, in: Industrial and Corporate Change, Vol. 14, Nr. 5 (2005), S. 745–773. 12  Vgl. zur Definition Fransman, M., Japan’s Computer and Communications Industry: The Evolution of Industrial Giants and Industrial Competitiveness, Oxford 1995. 13  Zur Debatte vgl. Amable, B., Is there an Institutional Base of the New Econ­ omy? Paper prepared for the international conference ‚The Regional Divide: Prom­ ises and Realities of the New Economy in a Transatlantic Perspective‘, Toronto, 3.–4. Mai 2002.



1. Besonderheiten der Telekommunikationsindustrie277

1. Besonderheiten des Innovationsregimes der Telekommunikationsindustrie Dass institutionelle Rahmenbedingungen vielleicht sogar mehr als in den drei anderen untersuchten Unternehmen ihre Relevanz entfalteten, hat zunächst damit zu tun, dass kein anderes Unternehmen seit seinen Ursprungsjahren zu einer derart intensiven Marktbeobachtung, großen Anpassungsforderungen an Kundenwünsche, einem erheblichen Produktsortiment und einem internationalen Aktionsradius gezwungen wurde. Wie viele andere ­ schwedische Ingenieure hatte der Firmengründer Lars Magnus Ericsson seine Studienjahre in der Schweiz und Deutschland zwischen 1872 und 1875 zugebracht und unter anderem bei Siemens & Halske erste Erfahrungen mit Telefonieprodukten sammeln können. Im April 1876 hatte der Ingenieur zusammen mit Carl Johan Andersson das Unternehmen LM Ericsson & Co für die Reparatur von Telegrafenapparaten eröffnet, dessen Tätigkeit bald auch auf Telefonapparate erweitert wurde.14 Den Durchbruch hatte die A.-B. L. M. Ericsson & Co jedoch dann erlebt, als die öffentliche Betreibergesellschaft Telegrafverket dem einheimischen Anbieter anstelle des global führenden US-Unternehmens Bell für die Ausrüstung des Reichstelefonnetzes den Vorzug gab und so den Weg für eine rasche Expansion Ericssons ab 1888 bahnte, nicht zuletzt weil dieses Netz schon früh die höchste Teilnehmerdichte in Europa vorweisen konnte.15 Der erste Einschnitt in dem Verhältnis zwischen Ericsson und dem wichtigsten Kunden ereignete sich 1891, als das Telegrafverket mit der eigenen Herstellung von Telefonapparaten und Schaltungen begann, so dass die einzige und fast schon überlebensnotwendige Alternative im Ausweichen auf ausländische Absatzgebiete bestand.16 Um 1900 exportierte Ericsson mehr als 90 v. H. seiner eigenen Produktion.17 Anders als im Falle der meisten schwedischen Unternehmen, die trotz der Abhängigkeit von den Auslandsmärkten nie daran dachten, ihre Exporte und ausländischen Vertriebsnetze durch Direktinvestitionen zu substituieren, ähnelte Ericsson folglich schon früh einem globalen Produktionsnetzwerk, das seinen home bias frühzeitig abgestreift hatte. 1995 entwickelte Ericsson Telekommunikationslösungen für Kunden in mehr als 100 Volkswirtschaften und im Jahr 2000 zeichnete sich dann nur eine Reihe von 20 Entwicklungsländern durch den 14  Der Zusatz LM für Lars Magnus Ericsson als Firmengründer wurde ab 1982 weggelassen. 15  Attman, A. / Kuuse, J. / Olsson, U., LM Ericsson 100 Years, Vol 1: The Pioneering Years: Struggle for Concessions: Crisis 1876–1932, Stockholm 1976, Diagramm 6, S. 23. 16  Ab 1953 wurde der Name auf Televerket verkürzt. 17  Attman / Kuuse / Olsson, Pioneering Years, S. 109 f.

278

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Makel aus, ohne eine lokale Repräsentanz des schwedischen Telekommunikationskonzerns auskommen zu müssen.18 Dass kein anderes Unternehmen folglich selbstbewusst von sich behaupten konnte, die Welt als Heimatmarkt betrachten zu können, sollte jedoch nicht der Schlussfolgerung Vorschub leisten, dass die zugleich weltumspannende Präsenz dem Stockholmer Telekommunikationskonzern immer zum Vorteil gereichte. Damit einher ging vielmehr eine Abhängigkeit von ausländischen Abnehmern, die Ericsson im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer ausländischer Konkurrenten erheblich benachteiligte, und die ihre Ursache in einer Reihe branchenspezifischer Besonderheiten hatte, die diesen Wirtschaftszweig zumindest bis zu Beginn der neunziger Jahre prägen sollten (vgl. Tabelle 7). Die generelle Marktsituation war gekennzeichnet durch eine einzigartige Situation mit Monopsonen in Gestalt zumeist staatlicher Telefongesellschaften, die die Infrastrukturinvestitionen verantworteten, während die Ausrüster neben der Bereitstellung von Produkten zusätzlich für Ausbildung, Wartung und Service Sorge tragen mussten. Grundlegend präsentierte sich auf der Nachfrageseite ein überschaubares Bild möglicher Kunden. Das betraf in erster Linie die gewinnträchtigen Systemkunden, die Aufträge für elementare Abschnitte der Netzarchitektur wie die Transmissionstechnik vergaben. Die Anzahl dieser Nachfrager hielt sich allerdings deutlich in Grenzen. Noch 1989 hatte Ericsson nicht mehr als 100 richtige ‚Systemkunden‘, die also entweder komplette Netzsysteme abnahmen oder die Nachrüstung und Modernisierung bereits in Betrieb befindlicher Netze mit Hilfe des Stockholmer Unternehmens betrieben.19 Selbst nach der weltweiten Liberalisierung und Deregulierung des Telekommunikationswesens in den neunziger Jahren, die den Markteintritt einer ganzen Reihe neuer Akteure nach sich zog, realisierte Ericsson einen maßgeblichen Teil des Umsatzes mit nur zehn Kunden, so dass Vorstand und Management erhebliche Energien darauf verwenden mussten, durch Kontakte mit dieser Klientel ihre Bedürfnisse in Erfahrung zu bringen.20 Ähnlich wie im Falle Sandviks waren also auch für Ericsson die Kundenkontakte entscheidend für den Markterfolg, aber anders als im Fall des Bergslagener Unternehmens sollten die Kunden Ericsson mit einer außerordentlichen Verhandlungsmacht gegenübertreten, die dazu genutzt wurde, den Ausrüstungsher18  KONTAKTEN,

Nr. 5 (2000), 23. März 2000. Nr. 9, 1989. 20  Ein weiterer Grund wird von dem Finanzvorstand wie folgt benannt: „Das hatte aber vor allem mit dem Forschungschef zu tun, der sagte: Konzentrieren wir uns auf die 12 bis 14 größten Netzbetreiber, dann schaffen wir auch den Rest des Marktes. Die sind ja immer noch sehr groß und dominant, wenn man diese Kunden nicht bekommt, das kann man sich nicht leisten.“ Vgl. Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 19  KONTAKTEN,



1. Besonderheiten der Telekommunikationsindustrie279 Tabelle 7 Markt- und Innovationsstrukturen der Telekommunikationsindustrie bis 1990

• Käufer als Monopsone • Geringe Anzahl von Nachfragern: nur rund 100 ‚Systemkunden‘ weltweit • Hervorbringung von dedicated assets • Langer Produktlebenszyklus mit geringer Auftragshäufigkeit • Lange Zeithorizonte in Kundenbeziehungen, Ausbildung von Beziehungen über enge technische Zusammenarbeit • Großbestellungen bis zu 100 Mio. SKr pro Auftrag • Wenige Innovatoren • Geschlossenes Innovationssystem mit Monopolbetreibern und protegierten nationalen Ausrüstungsherstellern • Hohe Eintrittsbarrieren durch technische Spezifikationen und Vorgabe von Standards

stellern eine ganze Reihe von Vorgaben zu machen, die von der Verkehrskapazität, Übertragungsqualität bis hin zur Anpassung der Technik an Gebäude reichten.21 Die Marktmacht wurde von den Netzbetreibern dazu genutzt, meistens an zwei Ausrüstungshersteller Aufträge zu vergeben, um im Falle technischen Versagens auf Ersatz zurückgreifen zu können, aber auch, um die Wettbewerbslage zu kontrollieren oder Möglichkeiten zur Preisarbitrage nutzen zu können.22 Zudem konnten sie im hohen Maße die Auswahl von Technologien und Transmissionstechniken beeinflussen, wie beispielsweise im Fall der Datenübertragungstechnik ATM, deren Adaption mehr oder minder vorgegeben wurde [vgl. Abschnitt IV.5.b)]. Aus institutionenökonomischer Perspektive wurde der Innova­tionsrhythmus Ericssons folglich durch dedicated assets vorstrukturiert, also Innovationen und Investitionen zugunsten eines bestimmten Kunden und der von ihm ge21  Interview

mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007. konnten innerhalb der Netze Produkte unterschiedlicher Anbieter kombiniert werden, so dass selbst bei Großaufträgen die Hersteller nicht sicher sein konnten, bei den wichtigen Nachrüstungsaufträgen automatisch den Zuschlag zu erhalten. Das führte dazu, dass bei von Ericsson veranstalteten technischen Kundenkonferenzen gelegentlich auch die eigenen Konkurrenten mit am Tisch saßen, da das reibungslose Funktionieren des Netzes vom Zusammenwirken aller einbezogenen Ausrüstungshersteller abhing. Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 22  Zudem

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wünschten Technologie, was weder bei SCA noch bei Sandvik der Fall war: „Alle Netzbetreiber waren interessiert daran, dass die Anforderungen an zukünftige Systeme und deren Zusammenarbeit und Evolutionsstrategien, das deren Bedürfnisse traf. … Die ganze Produktplanung Ericssons basierte darauf, dass man regelmäßige Treffen mit den Netzbetreibern hatte. In welchem Takt wollen sie von GSM zu der Einführung von 3G und so weiter, wie wird das mit den Festnetzen, wie sollen sich die entwickeln, wann wird es Fiberkabelübertragung geben und so weiter. Ericsson präsentiert dann seine Vorstellungen und dann sagt der Kunde, wir denken uns das so und so. Ja, wir sind mehrere Netzbetreiber, die denken, die Kapazität muss wachsen für neue Anwendungen, da müssen wir für die nächste Generation Steuerungssysteme einführen. Dann muss man zusammenpuzzeln, wer ist am wichtigsten zufrieden zu stellen. Das ist die Grundlage für die Produktfreigaben… Ericsson wurde mehr oder minder dazu gezwungen, gewisse Lösungen einzuführen, die Kunden gefordert haben.23

Diese Notwendigkeit der Befolgung von Kundenwünschen implizierte wiederum, dass der Konzern immer mit einem erheblichen Anteil an sunk costs rechnen musste, also jenem Teil der Fixkosten, der entweder durch Verkaufserlöse oder den Wert in dem nächsten Wertschöpfungsabschnitt nicht gedeckt ist, falls die Innovationen den Ansprüchen der Netzbetreiber nicht standhielten.24 Darüber hinaus hielten sich die Verkaufsgelegenheiten in Grenzen, da Telekommunikationssysteme in ihrer Gänze nur selten komplett neu installiert wurden, so dass das Hauptaugenmerk vorrangig den erstmaligen Bestellungen mit hoher Profitabilität und umfangreichen Folgeaufträgen galt.25 Die Telekommunikationsbehörden mussten allerdings ausreichend große Aufträge über einen so langen Zeitraum vergeben, dass der Lieferant mindestens eine durchschnittliche Verzinsung seiner Investitionen erzielte. Insofern waren einzelne Aufträge von herausragender Bedeutung.26 Positiv ins Gewicht fiel allerdings in diesem Zusammenhang, dass die Telekommunikationsbranche lange von konjunkturellen Schwankungen ver23  Interview

mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. soll dieser Umstand nicht zu dem Eindruck führen, dass Ericsson sich in jeder Situation vollständig den Vorgaben der Netzbetreiber unterzuordnen hatte: „Aber man sollte nicht glauben, dass das [die Beziehung zu den Netzbetreibern, G. F.] ausschließlich ein Druckverhältnis war: Auf der anderen Seite gab es nicht nur den demanding customer. Da gab es natürlich auch die Situation, da konnte man nur sagen: this is, what we have.“ Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007. 25  So blieben Vermittlungsanlagen 20 bis 30 Jahre in Betrieb, bis sie vollständig ausgetauscht werden mussten. 26  Alleine ein Auftrag des US-Netzbetreibers McCaw Cellular Communications sollte 1990 ausreichen, um Ericssons Marktanteil von 5 v. H. auf über 30 v. H. bei den nordamerikanischen Mobiltelefonsystemen zu erhöhen. Vgl. Ericsson störst i USA efter ny miljardorder, in: Dagens Industri, 4. Oktober 1990. 24  Allerdings



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schont wurde. In der Nachkriegszeit bauten zunächst die Industriestaaten gefolgt von Schwellenländern ihre Telefonnetze über mehrere Jahrzehnte aus, was einer regelmäßigen Auftragsvergabe Vorschub leistete. Die damit verbundenen langen Zeithorizonte förderten zusätzlich eine allmähliche Verdichtung der Beziehungen zwischen den Technikeinheiten für Planung, Transmission und Vermittlungsausrüstung, die es sowohl bei Ausrüstungsherstellern als auch Netzbetreibern gab. Auf dieser Ebene entwickelten sich nicht nur enge personelle Beziehungen, sondern es kam auch ein für die Ausrüstungshersteller anregender Austausch zustande, der sich wiederum in neuen Innovationen niederschlug.27 Die enge Abstimmung mit diesen Kunden begann zunächst in der Erprobungszusammenarbeit.28 Bei allen neuen Produkten, Teilsystemlösungen oder major upgrades erfolgte die Erstinstallation immer mit einem etablierten gewichtigen Kunden, was bedeutete, dass über dieses technische Teilprojekt in Gestalt von Erprobungen und einer gemeinsamen Weiterentwicklung in Detailfragen auch die Ingenieure der Netzbetreiber einbezogen wurden.29 Dadurch konnten wichtige Hinweise für Netzfunktionalitäten gewonnen werden, da die Netzbetreiber im Gegensatz zu den Ausrüstungsherstellern auch immer den Endkunden und dessen Bedürfnisse mit im Blick hatten.30 Ähnlich wie im Falle Sandviks 27  Auf regelmäßigen jährlichen Treffen mit den ‚Zukunftsgruppen‘ der Netzbetreiber fand ein Gedankenaustausch statt, der Aufklärung darüber bringen sollte, wie die zukünftigen Anforderungen und hauptsächlich Netzplanungen und Systemkapazitätsanforderungen an die Systeme aussahen. Solche Kontakte wurden auch durch internationale Projekte wie RACE gefördert, in deren Rahmen Forscher und Ingenieure von beiden Seiten zusammentrafen [vgl. Abschnitt IV.3.c)]. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007; Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 28  Diese Erprobungsarbeit war nicht ohne Relevanz, da mit den ‚Referenzkunden‘ neue Lösungen geprüft und Diskussionen geführt wurden, die für die Demonstration der technische Exzellenz Ericssons nicht unerheblich waren. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007. 29  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007; Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 30  Die Vorteile der Zusammenarbeit wurden wie folgt beschrieben: „Wenn man nicht nahe am Kunden arbeitet, würde das nicht gut gehen. dann versteht man nicht, was für die wichtig ist, deren Antriebskräfte … Sie sitzen ja auch näher an den Konsumenten … Das war auch so, dass wir nicht immer verstanden, wie man die Sachen machen musste, dass sie richtig funktionierten. Was das Gute ist: Man bekommt deren Perspektive auf Sachen und Dinge. Wie man Gespräche zusammenkoppelt über Funkbasisstationen, das ist beschwerlich und da gab es viele verschiedene Lösungen, in den analogen Systemen versuchte man, während des Gesprächs zu ermitteln, ob das Telefon sich einer neuen Funkbasisstation näherte. da musste signalisiert werden, ob ein Mobiltelefon sich näherte, was bei 3 Millionen Fernsprechteilnehmern immer schwerer wurde. Da bekamen wir den Hinweis, dass stattdessen das Telefon die Ermittlungs- oder Signalfunktion selbst übernehmen und

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legte Ericsson einen großen Wert darauf, Kundenbedürfnisse in Erfahrung zu bringen und die Abnehmer durch begleitende Dienstleistungen an das Unternehmen zu binden. Zu diesem Zwecke veranstaltete Ericsson seit 1956 vorzugsweise für den lateinamerikanischen Raum Wartungskonferenzen, auf denen sich die Betreiber austauschen konnten.31 Daneben wurden an ausländischen Standorten Ausbildungs- und Trainingszentren unterhalten, die ergänzt durch Regional Training Centres Anwender teilweise in Zusammenarbeit mit Hochschuleinrichtungen in bis zu 200 Kursen schulten.32 Diese Zusammenarbeit leistete unter anderem einer proprietären Technologieentwicklung Vorschub, die genauso wie das Aufkommen disparater Standards mögliche Interessenten von einem Engagement in der Branche abhielt.33 Als Konsequenz der außergewöhnlichen Marktmacht und den Besonderheiten der Technologieentwicklung präsentierte sich bereits in den siebziger Jahren ein überschaubares Szenario mit wenigen Ausrüstungsherstellern.34 Allerdings lässt sich dieser Kreis bis zu Beginn der achtziger Jahre in zwei Kategorien unterteilen: Die zahlenmäßig dominierende Gruppe der national champions zeichnete sich dadurch aus, auf die systematische Bevorzugung bei der Auftragsvergabe vertrauen zu können, so dass diese Hersteller den Schritt über die Landesgrenzen erst mit dem Durchbruch der digitalen Programmsteuerungsschaltungen und spätestens mit dem Aufkommen der Moermitteln soll, wo sich die nächste Funkbasisstation befindet. Solche Lösungen wurden im Zusammenwirken ermittelt. Umgekehrt denken die Betreiber eher mehr an die Apparate und weniger, wie das Netz funktioniert.“ Vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 31  Später kamen auch AXE-Konferenzen und ein AXE User Forum hinzu, in dem Betreiber zusammen kamen, neue Anforderungen skizzierten, Kritik übten und Unterhaltsfragen sowie weitere Details erörterten [Zur Bedeutung von AXE vgl. Abschnitt IV.2.a)]. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 19 (1994). 32  Das Bemühen um möglichst umfassende Serviceleistungen fand auch seinen Ausdruck in speziellen Programmen wie Ericsson Alliance, das neuen Netzbetreibern professionelle Dienste angefangen von Netzplanung, Baukonstruktion, Produktwartung, Systemkapazitätsplanung bis hin zu Beratung bei politisch-rechtlichen Problemen, Personalausbildung und weiteren Expansionsschritten anbot. Vgl. zu den Kooperationsprojekten KONTAKTEN, Nr. 5 (1989); KONTAKTEN, Nr. 1 (1993); KONTAKTEN, Nr. 4 (1998); KONTAKTEN, Nr. 16 (1995); KONTAKTEN, Nr. 3 (2000), 24. Februar 2000. 33  Welche Relevanz solche Standards entfalteten, wird in Abschnitt IV.3.b) noch ausführlicher behandelt. 34  Bei dem Hauptprodukt Ericssons, den Telefonvermittlungsstellen, teilten sich die Schweden Mitte der achtziger Jahre mit 14 anderen Herstellern wie AT&T, North­ern Telecom, der aus ITT und der französischen CGE gebildeten Alcatel, Siemens und NEC den weltweiten Markt. Vgl. Trots misslyckad datasatsning och dålig lönsamhet: Ericsson har säkrat en plats i A-laget, in: Affärsvärlden, Nr. 20 (1987), S. 58–67.



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bilfunktechnologie wagten.35 Zu der deutlich überschaubareren Gruppe der dezidiert international orientierten Unternehmen zählten neben Ericsson vorrangig Philips, GTE und ITT. Das Ericsson unzweifelhaft in diese Kategorie fiel, lag weniger an dem spezifischen Verhältnis zum einheimischen Netzbetreiber Televerket, der den Großteil der eigenen Bestellungen an die eigene Ausrüstungseinheit oder Ericsson und nicht an internationale Anbieter vergab. Mehr als andere schwedische Unternehmen musste sich die Unternehmensspitze mit dem Dilemma auseinandersetzen, dass der eigene Binnenmarkt trotz 20 bis 30 v. H. Marktanteil am Konzernumsatz zu wenig Wachstumspotenzial bot. Trotz der Bereitschaft oder Notwendigkeit, den Schritt über die Grenzen zu wagen, war die Position Ericssons zu Beginn der Untersuchungsperiode auf den nachfragestarken OECD-Märkten in Nordamerika und Westeuropa aufgrund des ubiquitären Protektionismus vor allem bei den Erstaufträgen alles andere als erfolgversprechend. In fast allen Ländern herrschten bis 1980 noch national abgeschottete, staatlich verwaltete und weitgehend kartellierte Industriestrukturen im Telekommunikationswesen vor.36 In Deutschland und Japan, die wohl nicht zufällig bei der in den achtziger Jahren einsetzenden Deregulierung die Nachzügler bilden sollten, bevorzugten die Monopolbetreiber einheimische Unternehmen genauso wie in Frankreich.37 Eine bessere Ausgangslage für ausländische Ausrüster blieb bis zu Beginn der achtziger Jahre auch in Großbritannien und den USA verwehrt.38 Die Verriegelung der westeuropäischen Märkte 35  Ein zweiter Grund für diesen Schritt war, dass der auftragsintensive Ausbau des Telefonnetzes in Europa und Nordamerika in den späten siebziger Jahren sein Ende gefunden hatte und die Internationalisierung eine Alternative der Markt­ erschließung bot. Vgl. dazu Noam, E., Telecommunications in Europe, New York /  Oxford 1992, S. 44 ff. 36  Schneider, V., Die Transformation der Telekommunikation: Vom Staatsmonopol zum globalen Markt (1800–2000), Frankfurt / New York 2001, S. 20. 37  Ganz in der Tradition dirigistischer Industriepolitik war dort 1975 Thomson in Staatsbesitz überführt und ausländische Betreiber dazu gezwungen worden, ihre französischen Tochtergesellschaften an diesen neu entstandenen national champion zu verkaufen. 38  Obwohl beide Länder zweifelsfrei zu den Vorreitern der Deregulierung gezählt werden müssen, genoss in den USA das hochgradig vertikal integrierte AT&T ebenso eine systematische Vorzugsbehandlung wie die einheimischen Ausrüstungshersteller GEC und Plessey in Großbritannien. Zur Stellung der einzelnen Netzbetreiber S. Dörrenbacher, C., Vom Hoflieferanten zum Global Player: Unternehmensorganisation und nationale Politik in der Welttelekommunikationsindustrie, Berlin 1999, S. 179; Dörrenbacher, C. et al., Regimewandel und Prozesskettenreengineering in der globalen Telekommunikationsindustrie, in: Naschold, Ökonomische Leistungsfähigkeit, S. 95–110; Bekkers, R., The Development of European Mobile Communications Standards: An Assessment of the Success of GSM, TETRA, ERMES and UMTS, Eindhoven 2001, S. 61.

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erlaubte Ericsson allerdings nur, dort als Zweitlieferant zu operieren, was im Falle Westdeutschlands sogar völlig unmöglich war.39 Als Konsequenz der ungleichen Eingangsvoraussetzungen auf den umsatzstarken westeuropäischen Märkten konzentrierte sich Ericsson auf die südeuropäischen und lateinamerikanischen Volkswirtschaften.40 Die dadurch entstehende Abhängigkeit insbesondere von lateinamerikanischen Netzbetreibern erzwang gelegentlich Zugeständnisse, denen die Stockholmer Konzernzentrale zustimmen musste, um nicht im Rennen um Aufträge den Kürzeren zu ziehen. Auch machten die Kunden in außereuropäischen Ländern weidlich von der Möglichkeit Gebrauch, mögliche Anbieter gegeneinander auszuspielen.41 Neben der Einbeziehung der Netzbetreiber in die Ericsson-Tochtergesellschaften war die Herstellung vor Ort eine ebenso gängige Forderung. Produktionsanlagen waren de facto eine Gegenleistung für Aufträge, die Ericsson erhielt.42 Abgesehen von solchen Oktroi zog das Engagement in Schwellenländern oft einen konstant niedrigen Cashflow nach sich, da mehr Aufträge als üblich vorfinanziert werden mussten, falls nicht die Weltbank oder andere Entwicklungsorganisationen dafür auf­ kamen.43 Nur auf den südeuropäischen Märkten unterblieben solche poli­ tischen Einflussnahmen, obwohl die südeuropäischen Netzbetreiber eine 39  Ein Ausweichen auf Comecon-Märkte verbot sich allein schon wegen der für die westliche Elektronikindustrie nahezu allumfassenden Cocom-Sanktionen, so dass abgesehen von der Lieferung einiger Transitstationen für die Sowjetunion im Jahr 1970 keine nachhaltigen wirtschaftlichen Kontakte über den eisernen Vorhang aufgebaut werden konnten. Erst mit dem Ende des kalten Krieges konnte Ericsson zunächst in Ungarn mit dem Bau einer Produktionsanlage für Vermittlungsstellen und Mobiltelefonausrüstung, und dann später auch in anderen ex-kommunistischen Staaten Fuß fassen. 40  Das relativ hohe Gewicht der Schwellen- und Entwicklungsländer in der Umsatzstruktur des Unternehmens wird schon allein daran ersichtlich, dass 1982 rund 25 v. H. aller schwedischen Exporte nach Südamerika, 17 v. H. der Exporte nach Asien und 10 v. H. der Exporte in afrikanische Länder durch Ericsson abgewickelt wurden. Vgl. Lång och enträgen bearbetning direkt på platsen – har gett Ericsson tätplatsen i svensk u-landsexport, in: Dagens Industri, 5. Dezember 1983. 41  So teilte die mexikanische Telekommunikationsbehörde 1980 mit, dass zwar der Auftrag zur Digitalisierung des Telekommunikationsnetzes an Ericsson ging, allerdings nur unter der Bedingung, dass neben einem Preisnachlass die staatliche Nafinsa in die Ericsson-Tochtergesellschaft TIM mit einer 31 v. H.-Beteiligung einsteigen konnte. Vgl. LM Ericsson Vorstandsprotokoll vom 13. Februar 1980, ARAB Nr. 4695. 42  Trotz der vielen Produktionsstandorte, die gelegentlich auch zur Anpassung an lokale technische Standards erforderlich waren, erfolgte immer eine zentrale Steuerung der Produktion im Konzern durch den zuständigen Produktionsverantwortlichen in Stockholm. Vgl. Interview mit Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007. 43  LM Ericsson Vorstand, Protokoll vom 29. März 1980, ARAB Nr. 4695.



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hohe vertikale Integration bei einer starken Position einheimischer Ausrüster anstrebten.44 a) Ericsson als ‚Systemhaus‘: Produkt- und Wirkungsfelder des Konzerns Wenn es ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal der Wachstums- und Innovationsstrategie Ericssons im Vergleich mit anderen Ausrüstungsherstellern gab, dann war es der Anspruch, als Systemhersteller aufzutreten. Die Überführung von Gesprächen innerhalb eines Fernsprechnetzwerks kann in drei Abschnitte unterteilt werden: Erstens die Schaltung und Vermittlung in Gestalt des sogenannten switchings, der aufwendigste Abschnitt innerhalb der Netzarchitektur, die supralokale und lokale Vermittlungsstellen und Transit- oder Zentralvermittlungsstellen umfasst; zweitens die Transmission und damit verknüpfte Übertragungseinrichtungen wie Kabel, Satelliten- oder Mikrowellenfunk sowie Multiplexausrüstung; und schließlich die Ausrüstung der End- oder Anschlussgeräte, also Festnetztelefone, Mobiltelefone, Fax, Telex und Nebenstellenanlagen für Firmen- oder Privatgebrauch sowie Modems. Als einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil hielt der langjährige VD Lars Ramqvist seinem Konzern zugute, dass sämtliche Ausrüstung für alle drei Abschnitte der Netzwerkarchitektur einschließlich des dazugehörigen Kundenservice durch Ericsson bereitgestellt werden konnte.45 Für den Status als ‚Systemhaus‘ hielt man auch an wenig profitablen Bereichen wie Paging oder Satellitentelefonen fest, pflegte aber auch unkonventionelle Projekte wie die ganze Mobilkommunikation oder Satellitensysteme, mit denen neue Kundenkreise außerhalb des angestammten Marktumfeldes erschlossen wurden. Im Gegensatz zu allen drei anderen Fallstudienunternehmen sollte der Telekommunikationskonzern auch keinen der gewichtigen Geschäftsbereiche im Untersuchungszeitraum veräußern, um den eigenen Anspruch des Systemlieferanten nicht zu gefährden. Konträr zu anderen Branchenkonkurrenten lässt sich das Profil des Unternehmens über seine Kernprodukte beschreiben, die auch bis Mitte der neunziger Jahre die organisatorische Ausrichtung des Konzerns strukturieren sollten. Als reiner Dienstleistungsbereich fungierte die Netzbausparte mit 11 Auslandsgesellschaften und zwei schwedischen Tochtergesellschaften. Später in den neunziger Jahren verschob sich das Betätigungsfeld auf die Beratung für neue Kunden, welche auf Beratung in der grundlegenden 44  In Spanien konnte sich Ericsson dank der zusammen mit Telefónica betriebenen Tochtergesellschaft Intelsa einen Marktanteil von 30 v. H. sichern. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 4 (1986), Mai 1986. 45  KONTAKTEN, Nr. 8 (1990).

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Technikwahl angewiesen waren. Die Komponentensparte, in die später die anfangs eigenständige Kabelsparte eingegliedert wurde, produzierte elektrische Kleinteile, Betriebsstützsysteme für Energieausrüstung, Kühlsysteme und die Mikroelektronik. Auffälligerweise hielt der Konzern hartnäckig an seinen Aktivitäten in diesem Bereich fest, obwohl der Wechsel von der analogen zur digitalen Mobilfunkgeneration die technologischen Anforderungen primär bei Funkbasisstationen hinsichtlich Halbleitern, Computerhardware und besonders Software deutlich erhöhen sollte. Das Management war deswegen gezwungen, unternehmensexternen Sachverstand über eine ganze Reihe von Kooperationsformen für sich nutzbar zu machen, ohne die Herstellung eigener Komponenten für die Kernsysteme aus der Hand zu geben.46 Immerhin war die Gefahr vorhanden, das auf diese Weise durch die Einbeziehung von Partnern oder Zulieferern wichtiges Knowhow in falsche Hände geraten könnte. Dieses Risiko wurde aber in Kauf genommen, da man ansonsten fürchtete, mit seinen Kerntechnologien nicht mehr auf dem Markt bestehen zu können.47 Mitte der neunziger Jahre war Ericsson der größte IKT-Komponentenhersteller Schwedens und verkaufte Komponenten im Wert von drei Mrd. SKr in 100 Ländern unter anderen an Konkurrenten, Netzbetreiber und Computerhersteller.48 Bei Energiemodulen, also Energieumwandlern, die direkt auf die integrierten Schaltungen in der Telekommunikationsausrüstung, Computern, etc. aufmontiert werden, war Ericsson Mitte der neunziger Jahre der weltweit größte Lieferant mit einem Volumen von rund fünf Millionen Einheiten.49 Vor allem im Bereich der Halbleiter und Computerchips ließ das Unternehmen nichts unversucht, um mit Hilfe einer ganzen Reihe von Kooperationspartnern die eigene Position zu festigen, obwohl die in Schweden vorhandene Innovationslandschaft ein solches Vorhaben nicht gerade begünstigte. Bei SLIC46  Ericsson

Geschäftsbericht 1991, S. 54.

47  Protokoll från koncernrådets sammanträde, 19. Februar 1987, ARAB Nr. 4695.  Auch in diesem Kontext zeigte sich die Macht der Netzbetreiber, die von ihren

Ausrüstungsherstellern die Beherrschung der Halbleitertechnik einforderten, auch um im Zweifelsfall auf deren Platinen zurückgreifen zu können, falls einer der großen Hersteller in Lieferungsschwierigkeiten geriet. Vgl. Han tror på Sverige: Lars Ramqvists Ericsson satsar 1 miljard på chipsfabrik, in: Veckans Affärer, 20. Juni 1994. 48  1996 blev ett svagt år för komponentdistributörnerna, in: Elektroniktidningen, Nr. 11 (1997), S. 24 f. Vor allem von den Halbleiterkomponenten wurden rund 70 v. H. für den eigenen Bedarf benötigt, während die Ausrüstung für Stromversorgung und Kühlung von Kommunikations- und Computersystemen hauptsächlich an externe Kunden ging. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 5 (1988). 49  Der Hauptteil der Komponenten für die eigene Produktion musste allerdings nach wie vor von externen Lieferanten wie Motorola hinzugekauft werden. Vgl. „Ericsson gör allt – än så länge …“, in: Veckans Affärer, 21. Oktober 1992.



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Leitungskreisen konnte Ericsson 1997 sogar den Status als global führender Lieferant mit 25 v. H. des Weltmarktes beanspruchen.50 Bereits 1971 wurde ein erstes Kooperationsabkommen mit National Semiconductor und im November 1983 ein zweites mit Advanced Micro Devices abgeschlossen, um das Wissen der US-Amerikaner in der hochinnovativen Halbleitertechnik für eigene Zwecke zu nutzen.51 Trotz dieses Erfolgs war das Know-how in Schweden zu schwach ausgeprägt, um auf Dauer mit den Amerikanern mithalten zu können. So wurde Ericssons CMOS-Schaltkreis zunächst im Nationalen Mikroelektronik-Programm [vgl. Abschnitt IV.6.a)] entwickelt, musste dann aber angesichts deutlicher Unzulänglichkeiten jedoch wieder zusammen mit AMD zur Produktionsreife gebracht werden.52 Das Interesse und die Ausbildung von Kompetenzen im Halbleiterbereich hatten sich bis in die siebziger Jahren deutlich in Grenzen gehalten, so dass die gesamte schwedische elektrotechnische Industrie maßgeblich auf US-Produkte zurückgreifen musste.53 Die Weiterentwicklung der Mikroelektronik basierte hauptsächlich auf der Kooperation mit Texas Instruments, da die Schweden weder finanziell noch technologisch in der Lage waren, die zunehmende Miniaturisierung der integrierten Schaltungen zu bewerkstelligen.54 Da die Größe der Mobiltelefone bis Ende der neunziger über den Kundenerfolg entschied, kam kleinen Schaltungen eine wichtige Bedeutung zu. In Kista wurde deswegen nach Investitionen in Höhe von einer Mrd. SKr im August 1994 die Produktion aufgenommen. Mit der eigenen Produktion 50  KONTAKTEN,

Nr. 9 (1997). hatte die Tochtergesellschaft Rifa die Pilotproduktion von integrierten Schaltkreisen in Kista aufgenommen und eigenständig durch Nutzung des Halbleitermaterials Galliumarsenid einen Subscriber Line Integrated Circuits-Leitungskreis speziell für AXE entwickelt, der die Leitung der Fernsprechteilnehmer an die Vermittlungsstelle anpasste, die Stromversorgung für Telefone steuerte und Ring- und Testrelais sowie Leitungszustand kontrollierte. Vgl. Ericssonägda Rifa arbetar med 1990-talets kretsar, in: Dagens Industri, 18. Juni 1984. 52  Ericsson Geschäftsbericht 1985. 53  Neben fehlendem Know-how waren die Kosten ein weiterer Faktor, die 1987 auf fünf Mrd. SKr veranschlagt wurden und die die Konzernspitze dazu bewogen, zum Erhalt des Status als Systemlieferant in der Halbleiter- und Mikroelektronik eine Kostenverringerung mittels Allianzen anzustreben. Vgl Protokoll från koncernrådets sammanträde, 19. Februar 1987, ARAB Nr. 4695. 54  Texas Instruments hatte vorzugsweise bei der Entwicklung eines Signalprozessors hilfreich zur Seite gestanden, der analoge und digitale Signale verarbeiten konnte, und der in Ericssons Mobiltelefonen zum Einsatz kam. Die US-Amerikaner mit Kenntnissen in der digitalen Signalverarbeitung wurden auch als Partner bei der Entwicklung von integrierten Basisbandchips für die dritte Generation der Mobilfunktechnologie bevorzugt. Vgl. Ericsson väljer Texas DSP för 3G, in: Elektroniktidningen Nr. 1 (2000), S. 6. 51  1976

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beispielsweise der strategisch wichtigen Siliziumchips konnte man von dem schwankenden Angebot des Marktes für Komponenten unabhängig werden, auch wenn Ericsson niemals mit zu den Systemführern bei Chips, Leitungskreisen und Standardschaltungen aufschließen wollte und konnte, weil ein kompletter Halbleiterprozessor – die Entwicklungskosten nicht mit eingerechnet – Investitionen von 10 Mrd. SKr erforderte.55 Mit weniger Schwierigkeiten sah sich der Konzern auf dem Gebiet der Optotechnik konfrontiert, da seit den achtziger Jahren ein breites eigenes Sortiment angefangen von Megabit- bis 10-Gigabit-Empfängern und -Sendern vorhanden war.56 Ähnlichen Herausforderungen wie in der Komponentensparte sah sich auch die Elektrizitäts-, Telekommunikations- und optische Fiberkabel herstellende Kabelsparte gegenüber, der es aber gelang, die notwendigen Innovationsschritte weitgehend ohne Hinzuziehung unternehmensexterner Akteure zu bewerkstelligen. Die zentrale Herausforderung für den Systemhersteller Ericsson bestand in der Transformation von koaxialen oder paarweise verdrillten Kupferkabeln, die elektrische Impulse übermittelten, hin zu Glasfaser- oder fiberoptischen Kabeln.57 Sieht man von den Jahren 1987 und 1988 ab, hatte die Verteidigungssparte mit der Kabelsparte die Funktion als zuverlässiger Gewinngeber gemein. Obwohl die Produkte der Sparte schwerlich als Telekommunikationsprodukte eingestuft werden konnten, waren allein die Synergieeffekte im Bereich der Transmissionstechnik Grund genug, an ihnen festzuhalten. Die FuE-intensive Einheit konnte mit einem durchaus beachtlichen Produktspektrum aufwarten, das von Roboter- und Flugelektronik, Mikrowellen- und Satellitenkommunikation. Aufklärungsradar, Laser- und Infrarotbedarf, Funkkomponenten, Chiffrierungsinstrumenten bis zum Landmobilfunk reichte, dessen Bedeutung sich dann im Zusammenhang mit der Mobilfunktechnik herauskristallisieren sollte.58 Ähnlich wie andere Unternehmen konnte man auf

55  Bei Leitungskreisen war Ericsson vor allem Siemens und Alcatel dauerhaft unterlegen. Der größte Teil der Leitungskreise musste 1998 in den USA und Asien zugekauft werden, da das Gerät Ericsson 788 von sechs insgesamt nur zwei eigenproduzierte Leitungskreise enthielt. Vgl. Ericsson satsar 600 Mkr i Kista, in: ­Veckans Affärer, 16. Januar 1991; Ericssons inköpare tjänar på krisen, in: Dagens Industri, 17. Januar 1998. 56  Bei solchen Produkten wie auch der Forschung zu Sendern, Empfängern und Verstärkern hatte sich Ericsson sogar einen weltweit führenden Ruf erworben. Vgl. Optokomponenter byggs för hand, in: Ny teknik, Nr. 37 (2000), Beilage, S. 12–13. 57  Diese konnten mittels in gewissen Intervallen gesendeten Lichtimpulsen die Übertragungsgeschwindigkeiten deutlich erhöhen und Kabel-TV-Übertragungen, wie auch Ferngespräche über das gleiche Netz übermitteln. Vgl. Glasfibern jämnar vägen för bredband, in: Ny teknik, Nr. 35 (2000), Beilage, S. 12 f.



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eine lange Zusammenarbeit mit den schwedischen Streitkräften zurückblicken, mit denen Ericsson innerhalb der Industriegruppe JAS sogar direkt kooperierte.59 In der Raumfahrttechnologie kooperierte Ericsson ab 1997 mit Saab in der gemeinsamen Gesellschaft Saab Ericsson Space AB, die 2000 aus dem Konzern heraus gelöst wurde, wodurch nach einem Einkauf bei Foikker Space Europas größter Zulieferer für die Raumfahrtindustrie entstand.60 Mit Hilfe der Verteidigungselektronik konnten auch für zivile Zielsetzungen wie bei Richtfunkverbindungen, Funkbasisstationen, Funkverbindungen, Antennen und Hochgeschwindigkeitselektronik Erkenntnisse gewonnen werden, die Ericsson später maßgebliche technische Wettbewerbsvorteile in der Mobilfunktechnik verschaffen sollten. Auch das andere Erfolgsprodukt namens Mini-Link kann als ein Beispiel für eine Technologie angeführt werden, die sich später aufgrund technischer Synergien in der Mobilfunktechnik bewähren sollte. Die Entwicklung analoger Richtfunkverbindungen hatte Ericsson von der norwegischen Elektrisk Bureau in den sechziger Jahren übernommen. Dadurch gewonnene Erkenntnisse über Hochgeschwindigkeitselektronik und Funkübertragung in höheren Frequenzbereichen flossen in die Entwicklung des digitalen MiniLink ein, das ursprünglich für Einbruchsalarmgeräte oder Geschwindigkeitsmesser konzipiert worden war. Mitte der achtziger Jahre bemerkte man, dass sich MiniLink ausgezeichnet für die Kommunikation zwischen den Funkbasisstationen und Schaltungen der Mobilsysteme eignete. Mit Hilfe von Mini-Link konnte Ericsson 40 v. H. des Weltmarktes für Richtfunkverbindungen 1999 kontrollieren.61 Auch die Kenntnisse im Bereich der Satellitensysteme, die 58

58  Ericsson Geschäftsbericht 1984; Ericsson Geschäftsbericht 1986, S. 39.  Auch andere militärische Systeme konnten für zivile Produkte verwandt werden:

Teile des zusammen mit SRA und Datasaab für das Kampfflugzeug Viggen entwickelten Zentralcomputers wurden bei der Konstruktion von AXE-Vermittlungsstellen genutzt, um die Signalbehandlung in extrem hohen Geschwindigkeiten zu meistern. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 4 (1981), August 1981. 59  So steuerte die sogenannte MI-Einheit für die Kampfflugzeuge F-35 Draken und Viggen Ziel- und Zielmessungssysteme bei, die auf selbst entwickelten RadarLasern und Infrarottechnik basierten. Zusammen mit dem Beschaffungsamt des Verteidigungsministeriums und Saabs Flugzeugsparte entwickelte man als Alternative zur AWACS-Technik das handlichere Erieye, das auch von kleineren Flugzeugen als der Boeing 767 getragen werden konnte. Bis 1999 wurden davon Systeme im Wert von 4 Mrd. Skr verkauft. Vgl. Ericssons radar flyger lika högt som JAS, in: Dagens Industri, 21. Oktober 1999. 60  Saab Ericsson Space war 1991 durch die Arrondierung der Raumfahrtabteilungen beider Unternehmen gebildet worden. Vgl. Saab Ericsson Space blir störst i Europa, in: Dagens Industri, 29. November 2000. 61  KONTAKTEN, Nr. 15 (1995); KONTAKTEN, Nr. 8 (1999), Beilage, 13. Mai 1999, S. 5; Lönsamheten pressas för Ericssons vinstmaskin, in: Dagens Industri, 24. August 1999.

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eine mögliche Transmissionsalternative für transkontinentale Kommunikation darstellten, wurden später für phasengesteuerte elektronische Antennen und die steuerbaren Antennen der Mobiltelefone angewandt.62 In der Funkkommunikationssparte wurde schließlich alles zusammengeführt, was für drahtlose Überführung für nicht-militärische Bestimmungen bezweckt war. Dazu zählten alle Mobilfunkaktivitäten inklusive Mobiltelefonen, Basisstationen und Landmobilfunk, aber auch Pager und Personensuchsysteme. Mobilfunktechnik konnte als translokaler Fernsprechdienst zunächst mit Auto-, später mit Mobiltelefonen als Endgeräten, als maßgeschneiderter Betriebs- oder Bündelfunk für Unternehmen, oder als Funkrufsysteme in Gestalt von Pagern betrieben werden.63 Auch in diesem Zusammenhang hatte sich die in Schweden praktizierte Zusammenarbeit zwischen Netzbetreiber und Ausrüstungshersteller bewährt: Das 1986 ins Leben gerufene Mobitex als System für mobile Datenkommunikation wurde von Teli und Ericsson in der 1988 gegründeten gemeinsamen Entwicklungsgesellschaft ERITEL hervorgebracht, die 1993 durch Ericsson übernommen und als Ericsson Mobile Data Design weitergeführt wurde.64 Während der neunziger Jahre avancierte Mobitex und der Nachfolger PMD 300 zum mehr oder minder globalen de facto-Standard für mobile Datenkommunikation, der auch für das im Januar 1992 präsentierte kabellose Computerdatenmodem Mobidem eingesetzt werden konnte.65 Auch diese Kenntnisse sollten sich als vorteilhaft für Übermittlungstechniken wie GPRS und die für Japan konstruierten WCDMA-Basistationen erweisen und zusätzlich den mit dem Mobilfunkstandard D-AMPS arbeitenden Kunden erleichtern, den Übergang zur dritten Generation der Mobiltelefonie zu wagen [vgl. Abschnitt IV.6.b)].

62  Elektronik på offensiven: Försvarets nedskärningar drabbar inte Ericsson Microwave, in: Dagens Nyheter, 15. April 1995. 63  In dem Geschäftsbereich wurde auch der Satellitenmobilfunk, der in der Seeund Luftfahrt mit speziellen Satellitentelefonen ein Anwendungsfeld gefunden hatte, nie zu einem bedeutenden Wachstumsmarkt. 64  KONTAKTEN, Nr. 4 (1994). Die Ericsson-Tochtergesellschaft SRA hatte zunächst ein Betriebsfunksystem namens MRS 4000 zur Nutzung wie Taxidiensten entwickelt. Televerket wollte das System in den achtziger Jahren zur Ausnutzung von Skaleneffekten für internationale Märkte weiterentwickeln, auch wenn Ericsson sich anfangs nur widerwillig auf das Unterfangen einließ. Ein Mobitex-Netz bestand genau wie Mobiltelefonnetze aus Haupt- und Lokalvermittlungsstellen, Basisfunkstationen und Endgeräten, die allerdings vom Kunden frei gewählt werden konnten. Informationen wurden in Gestalt von Datenpaketen gesendet. Das System war für Daten- und Textübermittlung mit einem offenen Standard optimiert worden, so dass auch Gerätschaften von anderen Herstellern angeschlossen werden konnten. 65  Trådlöst modem framme, in: Dagens Industri, 29. Januar 1992.



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren291

2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren: Der schwierige Weg zum Systemanbieter in der Mobilkommunikation a) Development pair: Die Beziehung zwischen Ericsson und Televerket und die Diversifizierte Qualitätsproduktion in Gestalt von AXE Die größte und wichtigste organisatorische Einheit des Konzerns war jedoch zweifellos der Geschäftsbereich für öffentliche Telekommunikation, der sich an die öffentlichen Telefongesellschaften und Festnetzbetreiber wandte und die 1980 die Hälfte des Konzernumsatzes verantwortete.66 Später wurde der Sparte auch die Unternehmenskommunikation zugeschlagen, die mehr oder minder eine auf Unternehmensbedürfnisse zugeschnittene Technikvarianten anbot, die für öffentliche Netze entwickelt wurden.67 Die Festnetzsparte verantwortete die Herstellung sämtlicher analoger und digitaler Transmissionsausrüstung und der Schaltungsvermittlungen.68 Insbesondere die Telefonvermittlungsstellen galten über Jahrzehnte hinweg als das Paradeprodukt des Konzerns, obwohl Ericsson den Wechsel von der manuellen zur automatisierten Telefonvermittlung anfänglich beinahe verpasst hätte.69

66  LM

Ericsson Geschäftsbericht 1980, S. 4. der Unternehmenskommunikation war die Nebenstellenanlage MD 110, quasi eine kleinere Variante der Vermittlungsstelle AXE, die 1998 als modernisierte Variante unter dem Namen BC10 lanciert wurde. MD 110 wurde zusammen mit DECT-Telephonen und dem Datenpaketvermittlungssystem X.25-Datennetz ERIPAX innerhalb eines kabellosen Unternehmenskommunikationssystems namens Freeset offeriert, das 1995 von Consono als modernisierter Version abgelöst wurde. Bei Nebenstellenanlagen konnte Ericsson seinen überwältigenden Erfolg mit AXE allerdings nicht wiederholen, und hielt 1992 nur einen Weltmarktanteil von sechs bis sieben v. H., auch wenn laut eigenen Angaben bei größeren Unternehmensstellen­ anlagen der Anteil auf 10 v. H. stieg. Vgl. Ericsson satsar på trådlösa kontor, in: Affärsvärlden, 7. Oktober 1992; Ericsson lanserar multimedia, in: Dagens Nyheter, 11. Februar 1995. 68  Deren Stellenwert wird allein schon daran ersichtlich, dass in von der Netzbauabteilung betreuten Netzen auch Produkte der Wettbewerber eingebaut wurden, allerdings nie eine Vermittlungsstelle anderer Unternehmen. Vgl. Lönsammast i Ericsson, in: Dagens Industri, 27. September 1988. 69  Der Ingenieur Knut Kåell hatte nach dem Ersten Weltkrieg ein System für automatische Telefonübertragung basierend auf elektromechanischer Technik entwickelt, dass als 500-Kreuzschienenschalter für lange Zeit mit dem Namen des Unternehmens verknüpft wurde. Vgl. zur Entwicklung der ersten Systemvermittlungsstellen bei Ericsson Jacobæus, C. et al., LM Ericsson 100 Years, Vol. III: Evolution of Technology 1876–1976, Stockholm 1977, S. 86 ff. 67  Kernstück

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Die entscheidende Herausforderung, der sich der Konzern in den 1970ern gegenüber sah, war die anstehende Digitalisierung der Vermittlungsstellen. Integrierte digitale Leitungsnetze versprachen nicht nur niedrigere Investi­ tionskosten, sondern gleichzeitig eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit und Raumersparnis, da durch digitale Technik auch ein Teil der Ausrüstung für die Umwandlung zwischen verschiedenen Modulationsmethoden eingespart und die Telefonstationen durch Programmtausch sukzessive an Veränderungen im Netz angepasst werden konnten.70 Mit der Entwicklung einer digitalen Variante einer Vermittlungsstelle hatte man sich in Stockholm vergleichsweise spät befasst. Als Vorläufer des AXE-Systems Ericssons wurde 1973 die zunächst noch voll elektronische, später computergesteuerte Schaltung namens AKE 12 entwickelt, gefolgt von der Variante AKE 13, beides zuverlässige Systeme, die aber zunehmend den neuen Maßstäben hinsichtlich der Übertragungsgeschwindigkeit nicht mehr standhalten konnten. Da der Konkurrent Metaconta bei vielen Netzbetreibern den Vorzug vor AKE erhielt, war man 1972 zu der Überzeugung gelangt, die Weiterentwicklung von AKE zu stoppen und stattdessen vollständig auf eine völlig neue Vermittlungsstelle zu setzen.71 In institutioneller Hinsicht kann die neue digitale Vermittlungsstelle namens AXE als exemplarischer Beleg dafür gewertet werden, wie der Stockholmer Konzern auf die Besonderheiten des Branchensystems eine Antwort fand, in der sich die Zusammenarbeit mit dem einheimischen Netzbetreiber Televerket genauso bewähren sollte, wie die durch die eigene Internationalisierung bedingte Fähigkeit des Konzerns, auf die unterschiedlichen Anforderungen internationaler Märkte flexibel zu reagieren. Unabhängig von den Fragen industriepolitisch motivierter Vorgaben in den Schwellenökonomien oder auf Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Vernetzungstätigkeiten wurde das Innovationsregime in der Telekommunikationsbranche, und speziell das Verhältnis zwischen Ausrüstungsherstellern und Netzbetreibern bis 1990 durch eine nahezu uneingeschränkte Vormachtstellung der Netzbetreiber geprägt, die in aller Regel mit nationalen Fernmeldeverwaltungen identisch waren. Hingegen zeichnete sich das Verhältnis zwischen Televerket und Ericsson durch die Eigenart aus, dass die schwedische Telekommunikationsbehörde gegenüber Ericsson in vier verschiedenen Rollen auftrat: Erstens als Kunde; zweitens als Konkurrent, drittens als Kooperationspartner in 70  LM

Ericsson Vorstand, Protokoll vom 13. Februar 1980, ARAB Nr. 4695. Entscheidung sollte sich im Nachhinein als dienlich herausstellen: Zu viele Defekte in den Systemen der Konkurrenz hatten Ericsson einen Wissensvorsprung verschafft, der dafür genutzt werden konnte, in aller Ruhe potentielle Fehlerquellen in den eigenen Prototypen zu eliminieren. Vgl. Fridlund, M., Switching Relations: The Government Development and Procurement of a Swedish Compu­ terized Electronic Telephone Switching Technology, Linköping 1998. 71  Diese



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren293

technologischen Fragen und viertens als Ericssons Referenz auf ausländischen Märkten. Von Anfang an hatte das Telegrafverket beginnend mit dem Ausbau des landesweiten Telefonnetzes fast ein Jahrhundert lang eine Zusammenarbeit mit Ericsson betrieben. Nicht untypisch für vergleichbare schwedische öffentliche Einrichtungen sollte Televerket eine doppelte Funktion wahrnehmen, nämlich einerseits als öffentliche Behörde, andererseits als ertragsorientiertes privatwirtschaftliches Unternehmen zur Aufbesserung des Staatsbudgets, was eine grundsätzliche Protegierung Ericssons als na­ tional champion weitestgehend ausschloss. Die marktbeherrschende Position des Unternehmens, dass 1991 100 v. H. der nationalen und 96 v. H. der internationalen Fernsprechkommunikation sowie 90 v. H. aller Mobilfunkgespräche abwickelte, war jedoch niemals ernsthaft in Frage gestellt worden. Trotz seiner Privilegien verlegte sich Televerket nicht auf eine Strategie des rent-seeking, sondern ermöglichte preisgünstige Telefongespräche, die im internationalen Kostenvergleich sogar 50 v. H. unter dem durchschnittlichen europäischen Niveau lagen.72 Gegenüber Ericsson trat der schwedische Netzbetreiber zunächst als Kunde auf, der 1980 hinsichtlich Telefonapparaten, Telefonschaltungssystemen, Transmissions- und Energieausrüstung der weitaus größte Abnehmer war.73 Nur 10 bis 20 v. H. der Aufträge wurden von Televerket ins Ausland vergeben.74 Die Beziehungen zwischen den Unternehmen wurden auch über personelle Beziehungen gepflegt, da Mitarbeiter aus der Ericsson-Konzernleitung häufig zu Televerket wechselten oder umgekehrt ehemalige Mitarbeiter des Netzbetreibers Aufgaben bei Ericsson übernahmen. Dass der einheimische Ausrüstungshersteller dessen ungeachtet nicht auf eine dauerhafte Bevorzugung bauen konnte, lässt sich daran erkennen, dass Ericsson nicht immer zwangsläufig den Zuschlag bei der Auftragsvergabe erhielt. 72  Die niedrigen Telefonkosten dürften eine triftige Erklärung dafür sein, warum es 1990 680 Anschlussleitungen pro 1000 Einwohner in Schweden gab, mehr als in jedem anderen Land. Vgl. Hultkrantz, L., Telecommunications Liberalisation in Sweden: Is „intermediate“ Regulation Viable? In: Swedish Economic Policy Review, Vol. 9, Nr. 2 (2002), S. 133–161. 73  Geschäftsbericht LM Ericsson 1980, S. 4. Auch andere öffentliche Einrichtungen wie die Eisenbahngesellschaft SJ oder die Stockholmer Nahverkehrsgesellschaft Stockholms Lokaltrafik sowie das schwedische Militär waren wichtige Kunden, allerdings nicht in der Schlüsselposition wie Televerket. 74  Die Beziehungen zwischen dem Stockholmer Telekommunikationskonzern und dem schwedischen Netzbetreiber wurden zudem dadurch gefestigt, dass Rahmenabkommen für Produkte und Systeme mit dreijähriger Laufzeit abschlossen. Vgl. Bilaga till protokoll från koncernrådets sammanträde, 16. November 1986, ARAB Nr. 4695; Protokoll från koncernrådets sammanträde, 23. Februar 1987, ARAB Nr. 4695; KONTAKTEN, Nr. 9 (1986), Dezember 1986.

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Televerkets bereits 1891 gegründete Gerätesparte namens Teli, die 1985 4000 Mitarbeiter beschäftigte, fungierte nicht zuletzt aus Kostengründen als Instrument einer Beschaffungspolitik, die die Monopolsituation Ericssons als schwedischer Ausrüstungshersteller immer wieder unterlief.75 Dennoch blieb Teli nach Ericsson der zweitgrößte einheimische Hersteller für Telekommunikationsbedarf. Dieses Wechselspiel von Kooperation und Wettbewerb sollte auch in den folgenden Jahrzehnten des Öfteren wiederkehren, obwohl der schwedische Netzbetreiber zu keinem Zeitpunkt etwaige Ambitionen hegte, die eigene Produktionssparte im Rahmen einer vertikalen Integration zu einem ernsthaften Konkurrenten Ericssons auszubauen. Mit der Doppelrolle als Konkurrent und Kunde war man auf Seiten des Ausrüstungsherstellers nicht immer zufrieden. Grundlegend war Ericsson schon aus Prestigegründen darauf angewiesen, Aufträge von Televerket zu erhalten, das im Übrigen bei vielen Gelegenheiten wie der Umstellung des Leitungsnetzes auf Glasfasertechnologie oder der Einführung von SDH im internationalen Vergleich als Pionier auftrat. Aufträge des einheimischen Netzbetreibers dienten als wichtige Referenz auf den für den Konzern so wichtigen Auslandsmärkten.76 Vorrangig in der Produktion nutzte der schwedische Netzbetreiber jedoch oftmals die Möglichkeit, die eigene Herstellungseinheit zu bevorteilen. Produzierte Ericsson in den sechziger Jahren noch 80 v. H. der Telefonapparate Televerkets, vergab das Staatsunternehmen immer mehr Aufträge an Teli, so dass Ericsson in diesem Bereich bereits in den achtziger Jahren keine Rolle mehr auf dem schwedischen Markt spielte, auch wenn 1985 Televerkets Vertriebsmonopol für Telefonapparate aufgehoben worden war. Durch die Bevorzugung der Gerätesparte konnte Ericsson das gemeinsam mit Televerket entwickelte Vorzeigeprodukt AXE nicht für seinen eigenen Heimatmarkt herstellen, da Televerket sämtliche Aufträge an Teli vergeben hatte, auch um die Sparte mit einem Mini75  Immerhin hatte Televerket durch die eigene Produktion bereits zwischen 1887 und 1900 maßgeblich zur Halbierung des inländischen Umsatzes Ericssons beigetragen, so dass lediglich die bereits skizzierte forcierte Internationalisierung die Verluste ausgleichen konnte, auch wenn in den zwanziger Jahren Ericsson wieder zum bevorzugten Lieferanten Televerkets aufstieg. Vgl. dazu Attman / Kuuse / Olsson, Pioneering Years. 76  Aus der Perspektive des Forschungsdirektors stellte sich die Situation so dar: „Telia sagte mal: Ihr wollte bei der Entwicklung dieses AXE-Systems dabei sein, in der Transmission, aber dann ist Schluss, dann haben wir die Freiheit von unseren Konkurrenten zu kaufen. Da verkauften wir ungefähr 7 v. H. in Schweden, so dass wir sagen konnten, wir haben deren Standpunkte zu 0,07 v. H. gewichtet … aber Schweden war natürlich auch speziell, das war auch ein ‚Prestigemarkt‘, das hätte natürlich trist ausgesehen, wenn Televerket ein anderes System als Ericssons genommen hätte, selbstverständlich.“ Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008.



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malvolumen rentabel zu halten.77 Zwar hatten sich beide Partner auf eine grundlegende Übereinkunft verständigt, dass Televerket die Exklusivrechte für den schwedischen Markt und Ericsson für das Ausland zugesprochen bekam, und der Ausrüster auch größere integrierte Systemlösungen in Schweden vermarkten durfte.78 Ericsson-OD Hans Werthén drohte 1986 offen mit Produktionsverlagerungen, weil Teli drei Viertel aller für den schwedischen Markt gedachten Vermittlungsstellen für das öffentliche Netz und nahezu alle Unternehmensschaltungen fertigte, so dass Ericsson die eigene Nebenstellenanlage MD 110 ausgerechnet auf dem eigenen Heimatmarkt nicht verkaufen konnte.79 Auch die Ausrüstung des schwedischen Netzes mit AXE-Vermittlungsstellen 1990 wurde so verteilt, dass der Tochtergesellschaft Teli den Löwenanteil mit 1,4 Mrd. SKr bekam, während Ericsson sich mit Aufträgen im Wert von 350 Mio. SKr begnügen musste.80 1991 weigerte sich Televerket, das als strategisch klassifizierte Produkt AXE an den einheimischen Konkurrenten Tele2 zu verkaufen, dem aufgrund des Televerket-Vertriebsmonopols auch die Möglichkeit versagt blieb, die Vermittlungsstelle von Ericsson zu erwerben.81 Das nach der Privatisierung in Telia umbenannte Televerket zögerte insbesondere im Falle der Breitband- und Datenkommunikationsausrüstung nicht, Aufträge an Konkurrenten zu vergeben.82 Auch auf dem Feld der Komponentenherstellung 77  1986 wurden 75 v. H. der Hardware für die Vermittlungsstelle AXE von Teli und nur 25 v. H. von Ericsson gefertigt, so dass in der Konzernzentrale Befürchtungen laut wurden, dass Teli zu einem ernsthaften Konkurrenten in der Produktion ausgebaut werden könnte. Vgl. Televerket tränger ut Ericsson, in: Dagens Industri, 9. Oktober 1986. 78  Protokoll från koncernrådets sammanträde, 1. September 1986, ARAB Nr. 4695. 79  Das Unternehmen arbeitete folglich offensiv auf die Aufhebung des Nebenstellenmonopols für Televerket hin, da VD Björn Svedberg den schwedischen Marktanteil mit sechs bis acht v. H. als zu niedrig bewertete und ihn durch Direktverkauf an den Kunden steigern wollte. Offenbar auf Druck US-amerikanischer Hersteller und Ericssons wurde das Monopol 1987 auch aufgehoben. Ericsson bekam später in Schweden das Recht zugestanden, größere integrierte Systemlösungen mit Unternehmensschaltungen zu vermarkten. Die Verkaufsgesellschaft namens Ericsson Sverige AB (ESA) mit 800 Arbeitnehmern für den schwedischen Markt der Unternehmenskommunikation wurde allerdings 1989 von Televerket übernommen. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde, 30. August 1988, ARAB Nr. 4695; Protokoll från koncernrådets sammanträde, 14. November 1986, ARAB Nr. 4695. 80  Ericsson får Sverigeorder, in: Dagens Industri, 1. November 1990. 81  Tele2 får inte köpa svenskt, in: Veckans Affärer, 24. April 1991. 82  Bereits 1986 hatte Televerket 40 v. H. seiner optischen Kabel in Japan erworben, obwohl es theoretisch möglich war, diese auch von Ericsson zu beziehen. 1988 vergab Televerket bei einem Datenvermittlungsnetz den Auftrag an die kanadische Northern Telecom, so dass bei der gemeinsamen Entwicklungsgesellschaft Ericssons und Televerkets namens Ellemtel ein Entwicklungsprojekt für gleiche Zwecke mit 120 Mio. SKr niedergelegt werden musste. Als im Juni 1995 das erste ATM-Netz

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gingen Ericsson und Televerket getrennte Wege, obwohl Televerket Anlagen für Felderprobungen zu Verfügung stellte. Angesichts dieser Verhältnisse könnte der Eindruck entstehen, dass zwischen Ausrüstungshersteller und Netzbetreiber rein marktliche Beziehungen vorherrschten. Was die Beziehung zwischen Ausrüstungshersteller und Netzbetreiber in Schweden weltweit auszeichnete, war ein extrem hoher Grad gemeinsamer Systemtechnologieentwicklung, welche im Ausland den Netzbetreibern vorbehalten blieb.83 Televerket und Ericsson hatten im Rahmen eines development pairs ihre Entwicklungsanstrengungen auf eine Weise zusammengeführt, wie sie sonst kaum in der Telekommunikationsindustrie vorzufinden war und die fast vierzig Jahre lang andauern sollte.84 Nahezu alle Kerntechnologien Ericssons wie AXE, MD 110, AXE-N und die ATM-Vermittlungsstellen wurden mit Televerket bei der gemeinsamen Tochtergesellschaft Ellemtel hervorgebracht.85 Die Anfänge dieser koordinierten Technologieentwicklung lassen sich bis in die fünfziger Jahre zurückverfolgen.86 Weil Televerket und Ericsson beide mit der Entwicklung namens Telia City Service zwischen Stockholm, Göteborg und Malmö eingeweiht wurde, erwarb Telia trotz Ericssons Investitionen in Höhe von rund sieben Mrd. SKr Produkte von Ericssons Konkurrenten, darunter Vermittlungsstellen von AT&T und die SDH-Ausrüstung von Marconi. 1998 vergab Telia Aufträge für wichtige Internet­ ausrüstung an die israelischen Volcatec und bevorzugte ein Jahr später Cisco, als es um den Ausbau des IP-gestützten Datenkommunikationsnetzes ging. Vgl. Zu den einzelnen Aufträgen Protokoll från koncernrådets sammanträde, 1. September 1986, ARAB Nr. 4695; BXC 8006, ETX-Bolagsstyrelse, Styrelseprotokoll Nr. 4  /  1988, 11. Februar 1988, ARAB Nr. 4695; Telia inviger första ATM-nätet – utan Ericsson, in: Dagens Industri, 16. Mai 1995; Telia Light ratar Ericsson, in: Dagens Industri, 24. November 1998; Telia köper tjänster från Cisco, in: Dagens Industri, 25. Februar 1999. 83  Auch der überwiegende Teil der Hardware-Herstellung war um 1980 bei den meisten staatlichen Monopolnetzbetreibern angesiedelt, die auf diese Weise Informationsasymmetrien vermeiden konnten, da infolge einer angemessenen Beurteilung von Kosten und Entwicklungspotentialen den Ausrüstungsherstellern Anreize fehlten, ihre Position zum Nachteil des Betreibers auszunutzen. Nur in Westdeutschland verließ man sich vollkommen auf die Kompetenz Siemens’, das lange die Systemführerschaft in der deutschen kommunikationstechnologischen Entwicklung beanspruchen konnte und erst angesichts des Scheiterns des elektronischen Vermittlungssystems EWS in den achtziger Jahren auch auf technischer Ebene eine Zusammenarbeit mit der Bundespost suchte. Vgl. Schneider, Transformation, S. 141. 84  Berggren, C. / Laestadius, S., Co-Development and Composite Clusters – the Secular Strength of Nordic Telecommunications, in: Industrial and Corporate Change, Vol. 12, Nr. 1 (2003), S. 91–114. 85  KONTAKTEN, Nr. 6 (1995). 86  Den ersten Schritt zu einer organisierten Zusammenarbeit hatte 1956 mit einem gemeinsamen Ausschuss begonnen, der mit nur sechs Mitgliedern mehr oder minder erfolglos die Anstrengungen zwischen Televerket und LME bei elektronischen Wählersystemen koordinieren sollte. Bei einem zusammen mit Televerket entwickelten



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computergesteuerter Telefonstationen auf der Stelle traten, war 1970 die gemeinsame Entwicklungsgesellschaft namens Ellemtel gegründet worden, um einerseits die merklich steigenden FuE-Aufwendungen durch eine Kostenteilung in den Griff zu bekommen. Andererseits ging es auch um die Erzeugung elektronischer Schaltungen, Daten- und Computernetzwerke und digitale Transmissionssysteme und qualitativ bessere Telefone, während die Herstellung durch Teli oder Ericsson getrennt realisiert wurde. Um möglichen Interessenkollisionen im Vertrieb von Produkten der gemeinsamen Entwicklungsgesellschaft aus dem Weg zu gehen, hatte man sich trotz gelegentlicher Reibereien auf die Grundformel verständigt, dass für bei Ellemtel entwickelte Produkte Ericsson für gewöhnlich den Verkauf im Ausland, Televerket hingegen in Schweden übernehmen sollte, auch wenn Ericsson Mitte der achtziger Jahre 70 v. H. der FuE-Aufwendungen bei Ellemtel verantwortete.87 Auf vergleichbare Weise wurde auch mit den Patentrechten verfahren, die nicht an Dritte weitergegeben werden durften.88 Welchen beträchtlichen Nutzen Ericsson aus der Zusammenarbeit zog, wird noch im Zusammenhang mit der Konstruktion von AXE und NMT genauer erörtert [vgl. Abschnitte IV.2.a) und IV.3.b)]. Darüber hinaus schätzte man im Konzern den durch Ellemtel möglich gewordenen engen Kontakt mit der Verwaltung Televerkets, da auf diese Weise die Anforderungen der Netzbetreiber bei eigenen Kernprodukten unmittelbar in der Entwicklungsarbeit berücksichtigt werden konnten.89 Televerket konnte sich Kreuzschienenschalter waren dann bereits Entwicklungsschritte hinsichtlich Design, Herstellungsprozess und Testverfahren zusammengeführt worden. Vgl. dazu Meurling, J. / Jeans, R., A Switch in Time: AXE – Creating a Foundation for the Information Age, London 19952, S. 27. 87  Organisatorisch und rechtlich lag zumindest die finanzielle Verantwortung bei Ericsson, das 1986 für 72,5 v. H. der Entwicklungskosten aufkam, auch wenn bei speziellen Projekten je nach Interessenlage der eine Partner 85 v. H. und der andere 15 v. H. verantwortete und grundlegende Forschungsprojekte zu jeweils 50 v. H. kofinanziert wurden. Die Teilung der Verantwortung kam auch darin zum Ausdruck, dass in den Leitungsstrukturen jeweils der Vize-OD-Posten durch Ericsson-Repräsentanten, der OD-Vorsitz hingegen durch den Televerket-Generaldirektor übernommen wurde. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde, 1. September 1986, ARAB Nr. 4695. 88  Sowohl Ericsson als auch Televerket behielten sich das Recht vor, bei Ellemtel hervorgebrachte Innovationen eigenständig weiterzuentwickeln. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 9 (1986), Dezember 1986. 89  Protokoll från koncernrådets sammanträde, 9.  September 1987, ARAB Nr. 4695. Durch die Zusammenarbeit wurde man bei Ericsson auch für neue Trends sensibilisiert, wie in den siebziger Jahren, als Televerket die wachsende Bedeutung der Datenverarbeitung erkannte und mit der Gründung der Teleinvest AB neue Wirkungsfelder wie Alarmsysteme, Luftverkehrskontroll- und Datenverarbeitungssystemen erschloss. Aus damit verbundenen Entwicklungsprojekten entstammte beispiels-

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umgekehrt eine hochtechnologische Kompetenz verschaffen und eine führende Rolle in der internationalen Standardisierungsarbeit erobern. So wurden die entscheidenden Arbeiten zu AXE bei Ellemtel ausgeführt, das 1970 die Entwicklung computergesteuerter Telefonstationen beider Unternehmen zusammenführte.90 Gleichzeitig stellte der schwedische Netzbetreiber wichtige Ressourcen und Know-how zur Verfügung und forcierte wichtige Entwicklungsphasen, als bei Ericsson die Skepsis überwog.91 Außerdem legte der schwedische Netzbetreiber einen großen Wert auf für Betreiber bedeutsame Aspekte wie die Kundenrechnungserstellung, Service für Anschlussinhaber und Fehlerberichte. Zugleich sollte das System einfach zu installieren und zu betreiben sein, was die Verwendung von Soft- und Hardware anging. AXE war zudem das einzige Vermittlungsstellensystem weltweit, in dem ein Prozessor in Gestalt eines APZ-Dualprozessorsystems zur Anwendung gelangte.92 Diese Rücksichtnahme, die möglicherweise bei einer alleine von Ericsson entwickelten Version in den Hintergrund getreten wäre, sollte sich später bei der Vermarktung als einer der entscheidenden Wettbewerbsvor­ teile herausstellen.93 Weniger als die Gefahr eines möglichen over-engineerings war entscheidend, dass es innerhalb der Konstellation eines development pairs gelang, das Handicap eines stark von Auslandsmärkten abhängigen Herstellers durch eine Diversifizierte Qualitätsproduktion in einen Vorteil umzuwandeln. Bei der Hervorbringung der speicherprogrammierten Steuerung in den weise Ericssons Datenpaketvermittlungssystem ERIPAX. Vgl. Karlsson, M., The Liberalisation of Telecommunications in Sweden: Technology and Regime Change from the 1960s to 1993, Linköping 1998S. 306, 314. 90  Vorher hatten Ericsson und Televerket getrennte Systeme hergestellt. Konkret sollte Ellemtel eine Nebenstellenanlage, ein Datennetz und eine neue Vermittlungsstellentechnologie zu entwickeln, für die Televerket sogar ein zuvor begonnenes Projekt aufgab. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde, 1. September 1986, ARAB Nr. 4695. 91  Vgl. zur Entstehungsgeschichte AXEs vor allem Vedin, B.-A., Teknisk revolt: Det svenska AXE-systemets brokiga framgångshistoria, Stockholm 1992. 92  Die Qualität von Telefonsystemen bemaß sich nach Grad der Zuverlässigkeit, weswegen Ausfälle auf ein Minimum reduziert werden sollten. Die duplizierten Zentralprozessoren sollten als redundante Systeme für einen ununterbrochenen Service sorgen, so dass die Netzwerke nur zweimal in zwanzig Jahren versagen durften. AXE war zusätzlich mit einem Fehlerüberwachungssystem für die intermodularen Signalwege ausgestattet, das unmittelbar Mitteilung machte, falls und vor allem wo der Fehler auftrat. Auch dies ging auf Anforderungen zurück, die von den Betreibern gestellt wurden. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2008. 93  AXE konnte beispielsweise parallel die Rechnung erstellen, den Zeitpunkt bestimmen, wenn das Gespräch begann und die Nummern kodieren. Entscheidend war, dass trotz hoher Auslastung aufgrund vieler gleichzeitiger Anrufe das Netz nicht zusammenbrach. Vgl. Meurling / Jeans, Switch, S. 37 f.



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siebziger Jahren kollidierten in der Entwicklungsarbeit zwei konträre Anliegen: Televerket wollte die neue Schaltung so weit wie möglich auf spezifische Gegebenheiten des eigenen Landes zuschneiden; Ericsson war hingegen interessiert an einer Lösung, die international gut verkaufbar war, was mit einer zu stark auf Schweden zugeschnittenen Variante hohe Umstellungsund Anpassungskosten mit sich gebracht hätte.94 Der Kompromiss war eine modulare Struktur, die das Netzwerk in ein System, Subsystem, Funktionsblöcke und Funktionseinheiten unterteilte, und die den Austausch von Modulen oder Block erlaubte, ohne die gesamte Systemarchitektur zu beeinträchtigen oder anpassen zu müssen, was sich später als grundlegender Vorteil herausstellte. AXE kann grundsätzlich beschrieben werden als eine Hardwareplattform mit Prozessoren, Speichern und anderen Komponenten: Je nach Anwendungsbereich konnte die Hardware mit verschiedenen Typen von Software verbunden werden. Die unabhängigen Module konnten unabhängige message parts mit Signalen zusammenlenken, zudem mit allen Programmiersprachen wie C oder PLEX arbeiten, da der Prozessor das Vermögen besaß, jedes Programm zu auszuführen.95 Jedes Modul verfügte über ein eigenes Softwareprogramm und Daten. Das ermöglichte bei einer Installation in ausländischen Kommunikationssystemen die existierende Software umzuschreiben oder alternativ eine völlig neue Software zu benutzen, was die Anzahl auszutauschender Module begrenzte. So konnte AXE nach Kundenwunsch angepasst und sowohl für Festnetz- als auch Mobiltelefonsysteme eingesetzt werden, da je nach Bedarf die disparaten Koppelungs- und Transitstationen der Vermittlungsstelle umgerüstet werden konnten. Komponenten konnten entfernt oder hinzugefügt werden, ohne dass das ganze System funktionsunfähig wurde. Der modulare Aufbau bedeutete zwar bei jeder Erstbestellung eine gewisse Neukonstruktion, aber aufgrund der modularen und flexiblen Anpassungsstruktur konnte die Netzwerkarchitektur schnell an neue Anforderungen der Kunden angepasst werden.96 Später betrieb man die Digitalisierung des Telefonnetzes, ohne dass umfas94  Ignorieren ließen sich die Anforderungen Televerkets jedoch nicht, da 1970 trotz der raschen Internationalisierung der einheimische Markt immer noch mit 37 v. H. zum Konzernumsatz beitrug. Vgl. Attman / Kuuse, Rescue. 95  PLEX war als Programmiersprache in den siebziger Jahren von Ericsson entwickelt worden, was trotz einiger technischer Mängel auch eine Verfahrensinnova­ tion darstellte, da sämtliche Konkurrenten mit Assemblerprogrammiersprachen arbeiteten. Mit PLEX als vorher nicht existenter modularisierter Software konnte man zum ersten Mal Programme in einer objektorientierten Struktur schreiben, was die angestrebte Austauschbarkeit von AXE-Modulen erleichterte. Man hätte sogar einen Prozessor pro Modul haben können, aber man hatte sich darauf verständigt, die gleiche Technik für sämtliche Module anzuwenden. Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 96  Ericsson Geschäftsbericht 1984, S. 7.

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sende Systembestandteile ausgetauscht werden mussten, was den Netzbetreibern ermöglichen sollte, die Umstellung kostengünstig abzuwickeln. Vor allem diese Errungenschaft sollte in den achtziger und neunziger Jahren AXE zu dem Durchbruch in einigen hundert Volkswirtschaften und Ericsson gleichzeitig zur Marktführerschaft bei digitalisierten Vermittlungsstellen verhelfen, was sich schon alleine daran ersehen lässt, das die Vermittlungsstelle bis 1999 in 130 Ländern installiert wurde. b) ‚Ericsson log out‘: Das EIS-Projekt als erster gescheiterter Versuch zur Integration von Sprach- und Datenkommunikation Dass der Vermittlungsstelle ein solcher bahnbrechender Erfolg beschert sein würde, ahnte zu Beginn wohl niemand. Der internationale Erfolg von AXE hatte 1977 mit der Bestellung durch die saudische Telekommunika­ tionsbehörde seinen Auftakt genommen. 1980 war das System schon in 25 Ländern eingeführt worden und drei Jahre später bereits in 45 Ländern. Zwanzig Installationen wurden in Form von Systemabkommen vereinbart, was bedeutete, dass Ericsson die Vollausrüstung des Telefonnetzes übernehmen durfte.97 Wie überraschend der Erfolg selbst für den Konzern kam, zeigt eine Studie Ericssons aus dem Jahr 1975, die für 1985 einen Verkauf von AXE in dreißig Ländern prognostizierte. Die Vermittlungsstelle war 1985 in 63 Ländern installiert worden, so dass umgerechnet auf die Anzahl neuer Telefonverbindungen der Konzern einen Weltmarktanteil von 13 v. H. erringen konnte.98 Trotz dieses richtungweisenden Innovationsschrittes, der maßgeblich zu Ericssons Vormachtstellung während der neunziger Jahre beitragen sollte, waren die siebziger Jahre alles andere als einfach gewesen. Vor allem das Jahr 1976 verlief, verursacht durch den Kollaps der gesamten brasilianischen Wirtschaft und dadurch ausgelöste Bestellungsstornierungen, als annus horribilis, so dass die schwedische Regierung Televerket dazu aufforderte, AXE-Vermittlungsstellen und PCM-Ausrüstung zu ordern, damit zumindest die Fabriken in Gang gehalten werden konnten.99 Diese Krisenerfahrungen hatten in der Konzernspitze einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Bereits 1979 hatte die erneuerte Unternehmensspitze die Erschließung neuer Geschäftsfelder zur grundlegenden strategischen Maxime 97  Ericsson

toppar på börsen, in: Dagens Nyheter, 13. Februar 1983. Geschäftsbericht 1984, S. 4. 99  Meurling, J. / Jeans, R., Ericssonkrönikan: 125 år av telekommunikation, Stockholm 2000, S. 289. 98  Ericsson



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren301

erhoben. Insgesamt stand der Beginn der achtziger Jahre noch ganz im Zeichen des Ausbaus der öffentlichen Telefonnetze, auf den rund 75 Prozent des Geschäftsvolumens entfielen. 1980 wurde der Konzernabsatz zu 50 v. H. durch den Verkauf von Telefonstationen und AXE bestimmt.100 Obwohl der Absatz der Vermittlungsstelle mit einer positiven Gewinnentwicklung einher ging, waren jedoch schon bereits leicht sinkende Gewinnmargen zu verzeichnen, da immer noch hohe Entwicklungskosten anfielen und auch die Wettbewerber nicht untätig geblieben waren.101 So nahm die Weiterentwicklung und vor allem die länderspezifische Anpassung mit rund einer Million SKr einen großen Teil der Kapitalmittel in Anspruch: Immerhin bezifferten sich die Entwicklungskosten bei AXE 1984 auf 11 v. H. des Umsatzes, entsprechend acht Mio. SKr.102 Erst 1988 konnte die Vermittlungsstelle die eigenen Entwicklungs- und Vermarktungskosten tragen.103 Ohnehin war der durchschlagende Erfolg zu Beginn der achtziger Jahre noch keineswegs abzusehen. Angesichts dieser Schwierigkeiten sondierte die Unternehmensleitung in den späten siebziger Jahren die Möglichkeiten zum Aufbau eines zweiten großen Geschäftsfeldes, da man die einseitige Orientierung auf die Schaltungen mit Skepsis betrachtete und wohl auch die Stabilität der Konkurrenten wie Siemens oder ITT im Auge hatte, denen es möglich war, konjunkturelle Einbrüche in der Telekommunikation durch andere Tätigkeiten abzumildern. Andere Unternehmen hatten eine vertikale Integration über Erwerb von Lizenzen für den Netzbetrieb angestrebt oder mit der Diversifikation in den verwandten Elektronikbereich ein zweites Standbein geschaffen, das volatilen Marktbewegungen entgegenwirken konnte. Beide Möglichkeiten blieben Ericsson durch frühzeitige Festlegungen verschlossen. Noch in den zwanziger Jahren hatte ein wesentlicher Teil der Aktivitäten darin bestanden, Telefonbetriebskonzessionen zu erwerben, um im Ausland als Netzbetreiber tätig zu werden. Da Telekommunikation zunehmend als hoheitliche Aufgabe des Staates aufgefasst wurde, verfügte das Unternehmen 1939 jedoch nur noch über Konzessionen in Polen, Italien, Spanien, Argentinien und Mexiko und strebte auch nach dem Krieg keine Wiederzulassung in anderen Ländern an. Auch später wurde die Maxime konsequent befolgt, diese Möglichkeit der Vorwärtsintegration nicht zu nutzen, selbst als dementsprechende Offerten gemacht wurden, im Rahmen von Konsortien einen 100  KONTAKTEN,

Nr. 3 (1980), Mai–Juni 1980. mit Johan Siberg, Stockholm 13. Juni 2007. 102  Nu lovar Ericsson att infria förväntningarna, in: Affärsvärlden, Nr. 18 (1983), S. 28–36; „Ericsson måste tjänar en ytterligare miljard“, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1984), S. 48–50. 103  „Visst har det svidit“, in: Veckans Affärer, Nr. 14 (1988), S. 100–103. 101  Interview

302

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Wiedereinstieg zu wagen.104 Auch als Teileigentümerschaften für die immer wichtiger werdenden Finanzierungslösungen unter den Konkurrenten während der neunziger Jahre an Bedeutung gewannen, unterstrich die Konzernleitung explizit, dass Ericsson keine Rolle als Netzbetreiber in welcher Gestalt auch immer anstrebte.105 Zweitens hatte ganz in der schwedischen Tradition der Produktaufteilung ein 1933 mit ASEA abgeschlossenes Kartellabkommen Ericsson alle Herstellung bei Kommunikationsausrüstung wie Stromkondensatoren, Messwerkzeug, Eisenbahnsignale und Telefonie, ASEA hingegen die elektrische Installation zugesichert, womit die Möglichkeit einer Elektroniksparte wie bei Siemens oder GEC schon frühzeitig wegfiel.106 Die Unternehmensleitung hatte bereits in den siebziger Jahren vor dem Hintergrund einer stagnierenden Nachfrage nach Telekommunikationsausrüstungsprodukten bei gleichzeitig steigendem Konkurrenzdruck in der Konvergenz zwischen Daten- und Telekommunikation eine Chance gesehen, die klassischen Stärken als Systemlieferant auszuspielen. Den Kunden wollte man mit durchdachten ganzheitlichen Lösungen gegenübertreten, und dabei die eigenen Systemkompetenzen angefangen von Telefonvermittlungsstellen bis hin zu Computerterminals zur Geltung zu bringen.107 Mit dem Schritt in die Datenkommunikation war man anfangs der achtziger Jahre allerdings nicht allein. Die übergroße Mehrheit der Computer- und Bürobedarfsunternehmen weltweit arbeitete daran, ein Informationsunternehmen aus einem Guss zu werden, wurden doch die jährlichen Zuwachsraten in diesem rasch aufblühenden Wirtschaftszweig mit einem globalen Umsatzvolumen von 40 bis 50 Mrd. SKr auf 10 v. H. veranschlagt.108 Allerdings bedeutete dieser Schritt auf mehr oder unbekanntes Terrain auch, dass Ericsson sich Computerunternehmen wie IBM, Univac, Hewlett-Packard, Büroma104  Ein Angebot, den US-Netzbetreiber McCaw zu kaufen, hatte man folglich in den achtziger Jahren abgelehnt. 1989 nahm Ericsson davon Abstand, in der mexikanischen Telmex Teileigner zu werden. Die letzte Betreibertätigkeit in Gestalt der argentinischen Tochtergesellschaft Compañía Argentina de Teléfonos wurde 1991 verkauft. Vgl. Han är placernarnas kelgris, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1993), S. 43–45; Mexiko vill ha Ericsson som delägare i Telmex, in: Dagens Industri, 25. September 1989. 105  Ericsson Geschäftsbericht 1994, S. 16. 106  Das Abkommen beinhaltete auch eine Marktaufteilung bei Kabeln, da beide Unternehmen in diesem Bereich tätig waren. Vgl. Meurling / Jeans, Ericssonkrönikan, S.  147, 156 f. 107  LM Ericsson Geschäftsbericht 1981, S. 4. 108  So hatte IBM die Telefongesellschaft Rolm und AT&T einen 25 v. H.-Anteil bei Olivetti erworben. Vgl. Ericsson Information byter både marknad och kunskapsområde: Sveriges största satsning, in: Affärsvärlden, Nr. 4 (1982), S. 15; Han ska återställa ordningen på EIS, in: Ledarskap / Ekonomen Nr. 3 (1985), S. 32 f.



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren303

schinenherstellern wie Xerox oder Olivetti und auch anderen Aspiranten wie Exxon gegenüber sah.109 1980 hatte der Konzern eine neue Sparte namens Ericsson Information Systems (EIS) gegründet, an der auch Televerket mit einem Minderheitenposten beteiligt war und die unter dem Leitung des späteren Konzern-VDs Lars Ramqvist drei Produktfelder verantwortete: erstens Datentransmissionsprodukte für Netze, Multiplexoren und Netzüberwachung; zweitens Netzzentralen und Knotenrechner für private Computernetze; und drittens Büroautomationsausrüstung mit Software, Systemprodukte für Arbeitsplatzstationen inklusive PCs, Druckerstationen sowie Datenübertragungseinrichtungen und Kommunikationsstationen. Diese Produkte sollten in einem Arbeitsplatzkonzept, dem ‚Papierlosen Büro‘ zusammengeführt werden, so dass business user ein vollständiges und aufeinander abgestimmtes Sortiment – angefangen von Schreibmaschinen über Computerterminals bis hin zu Telefonen – einsetzen konnten. Mit der 1978 bei Ellemtel entwickelten und 1980 lancierten digitalen Nebenstellenanlage MD 110 – eigentlich eine Büroversion von AXE – sollte eine Überführung von Daten, Text und Gesprächen über ein einheitliches Netzwerk ermöglicht werden, an das alle Gerätschaften angeschlossen werden konnten.110 Zusätzlich wollte der Konzern passende Software sowie Beratungs- und Dienstleistungen anbieten, wobei man sich die gesammelten Erfahrungen mit der Installation von AXE-Vermittlungsstellen zugute hielt.111 Um viele der für das Konzept des ‚Papierlosen Büros‘ erforderlichen Erzeugnisse im eigenen Produktsortiment vorhalten zu können, hatte die Konzernspitze ein umfassendes Akquisitionsprogramm in Gang gesetzt. Offiziell wurde Ericsson Information Systems durch die Verschmelzung der Ericsson-Abteilungen für Büroschaltungen, Informationssysteme und Fernsprechteilnehmerausrüstung mit dem im Dezember 1980 erworbenen Datasaab gegründet, das mit Bankterminalsystemen und Computerterminals bescheidene Erfolge erzielt hatte.112 Hinzu kam neben einer Reihe weiterer Akquisitionen die Computersparte des aus dem 109  Die Anzahl der Konkurrenten wurde auf fünfzig Unternehmen veranschlagt. Vgl. LM byter strategi: Jättemarknad lockar, in: Affärsvärlden, Nr. 19 (1981), S. 25. 110  Die digitale Nebenstellenanlage kam nur bei Kunden zum Einsatz, die ihr eigenes internes Telekommunikationsnetz aufbauen wollten. Vgl. Ericsson satsar på USAs persondatormarknad, in: Dagens Industri, 17. April 1984. 111  KONTAKTEN, Nr. 5 (1980), Oktober 1980. 112  Datasaab mit rund einer Mrd. SKr Umsatz umfasste 3400 neue Mitarbeiter, Fabriken in Stockholm und Linköping sowie 12 Tochtergesellschaften in Europa und den USA. Die restlichen 9,5 v. H. wurden von der Televerket-Tochtergesellschaft Teleinvest erworben. Damit sollte das gemeinsame Entwicklungstreben der beiden Kooperationspartner unterstrichen werden. 1985 übernahm Ericsson die Beteiligung Teleinvests. Vgl. Dahlgren, G. / Witt, P., Ledning av fusionsförlopp: en analys av bildandet av Ericsson Information Systems AB, Stockholm 1988, S. 260.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Electroluxkonzern heraus gelösten Facit mit einem Produktsortiment bestehend aus Schreibmaschinen, Computerausrüstung und Büromöbeln, die mit MD 110 kombiniert werden sollten. Zusätzlich kaufte sich Ericsson mit einem Drittel der Aktien bei dem Datenserviceunternehmen AU-System AB ein. Der Vorteil bei diesen Arrondierungen lag laut Angaben von Konzernvertretern auf der Hand, da man mit den Unternehmen komplette Produktreihen inklusive Vertriebsnetzen erwarb und somit kapital- und zeitintensive Entwicklungskosten sparen konnte.113 Mit Hilfe von Datasaab strebte das Management eine Vervierfachung des Umsatzes bis 1988 / 89 an, was dem gesamten Konzernumsatz für das Jahr 1981 entsprochen hätte. Die kühnen Visionen sollten jedoch recht bald einen Dämpfer bekommen. Schon bei der Stockholmer Kleincomputermesse im April 1983 präsentierte Ericsson einen PC, der – obwohl eigentlich ein Panasonic-Produkt – den Auftakt zu einem Desaster in der Produktpolitik darstellte, das Ericsson eine vorher nie gekannte Kritik eintrug, auch wenn zwei Jahre später der Durchbruch für die eigenen PCs in Europa festgestellt wurde.114 Trotz rasch aufeinander folgender Produktneueinführungen konnte der bescheidene Marktanteil bei PCs kaum über das Niveau von einem v. H. gesteigert werden.115 Schon nach einem Jahr stellte man den Einzelhandelsverkauf von PCs in den USA ein, und offerierte das Produkt nur noch als Teil der Arbeitsplatzsysteme.116 Verspätungen in der Entwicklungsarbeit, Komponentenmangel und Lieferungsverspätungen ließen erahnen, dass die Diversifizierungsschritte von mehr Komplikationen begleitet sein würden als ursprünglich gedacht. Schwerwiegender wog jedoch das Versagen in den eigenen Kernkompetenzen: Die Nebenstellenanlage MD 110 wurde nach einer unzureichenden Testphase auf den Markt gelassen, so dass Ingenieurs­ teams zu den bereits installierten Anlagen reisen mussten, um vor Ort bis 1985 rund 3000 Programmierfehler aus der Nebenstellenanlage zu eliminieren.117 113  LM

stöper om Datasaab, in: Veckans Affärer, 5. November 1981. Geschäftsbericht 1985. 115  Ny persondator från Ericsson, in: Dagens Industri, 15. Juni 1986. Nur der Alfaskop konnte zwischenzeitlich einen Marktanteil von 14 v. H. erlangen. Terminals stammten noch aus der Ära der Großrechner und ermöglichten den direkten Zugriff auf einen räumlich entfernten Computer. Ihre weiteste Verbreitung erlangten sie entsprechend in der Zeit der großen Zentralrechner. Das Aufkommen der PCs Ende der siebziger Jahre ließen Terminal-Systeme in den Büros schnell obsolet werden. 116  Ericsson halverar vid PC-fabriken i Bräkne-Hoby, in: Veckans Affärer, 15. August 1985. 117  Die nachholende Fehlerbereinigung musste auch bei den 2500er-Computern erfolgen. Vgl. Fortsatta förluster: PCn „lik i lasten“, in: Datornytt, Nr. 9 (1985), S. 37. 114  Ericsson



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren305

Auch im Falle der Banksysteme, einem kombinierten Angebot aus Minicomputern und Terminals, kam es in der Entwicklungsarbeit zu Verspätungen mit sieben bis acht Monaten, so dass selbst Ingenieure von der Arbeit mit AXE abgezogen werden mussten, um eine Beschleunigung zu erreichen. Büroschaltungen, PCs und Bankterminals machten zwar nur etwa 40 v. H. des Spartenumsatzes aus, aber Mängel bei einzelnen Produkten wogen um so schwerwiegender, als dass der EIS-Absatz zu 30 v. H. aus ganzen Systemen bestand und die Probleme insofern die gesamte Markterschließungsstrategie gefährdeten.118 In den technologischen Fehlschlägen manifestierte sich auch das Versagen der Harmonisierung zweier unterschiedlicher Unternehmenskulturen, die in einem völlig disparaten Markt- und Produktumfeld gewachsen waren.119 Im November 1984 musste die Gewinnprognose für die Sparte aufgrund niedriger Erträge und hoher Entwicklungskosten nach unten korrigiert werden, da sich die Verlust auf 217 Mio. SKr vor Zinsaufwendungen summierten, während alle anderen Sparten eine positive Gewinnentwicklung auswiesen.120 Bis Ende 1985 wuchs der Verlust auf 804 Mio. SKr an, so dass sich die Diversifizierungsanstrengungen zu einer immer größeren Hypothek für den Gesamtkonzern entwickelten. So musste sich Ericsson ganz auf den Geschäftsbereich für öffentliche Telekommunikation verlassen, der 1985 wieder fast 90 v. H. des Konzerngewinns verantwortete.121 Eine neue Organisation unter neuer Leitung sollte ein Maßnahmenprogramm mit Fokus auf Kostenreduktion, verbessertes Marketing sowie 118  Ericssons PCs waren Teil des Produktsortiments bei den Arbeitsplatzterminals. Vgl. Ericsson inför stor omställning: Bromsar och satsar men tappar tempo, in: Affärsvärlden, Nr. 6 (1985), S. S. 17. 119  Bei Facit und Datasaab fehlte das Wissen um den Verkauf von Systemen oder teilintegrierten Systemen mit Weichen und Computerausrüstung. Umgekehrt hatte Ericsson keine Erfahrung mit einem Marktumfeld, in dem mehrere 100.000 Kunden, kleine Bestellungen bis zu 100 Mio. SKr, kurze Zeithorizonte und kurze Produktzyklen völliges Neuland für einen Konzern bedeuteten, der lange und enge Beziehungen zu Kunden pflegte und in dem Großbestellungen für technisch hoch ausgereifte Produkte mit einem langen Produktzyklus an der Tagesordnung waren. Die Abteilungen des Telekommunikationsunternehmens waren zudem gewöhnt, von den Telekommunikationsverwaltungen spezifizierte Vorgaben zu bekommen und darauf aufbauend Produkte hervorzubringen. Offensichtlich herrschte an der Unternehmensspitze der Glaube vor, dass die eigene Produktkompetenz schon ausreichen würde. Eine Integration von EIS war von Beginn an offensichtlich auch gar nicht gedacht, da die Konzernleitung entschieden hatte, die neuen Wirkungsfelder in einer völlig separaten Sparte anzusiedeln. Eine mögliche Kooperation in Teilbereichen wie im Falle der Schreibmaschinen mit Olivetti wurde von OD Hans Werthén konsequenterweise abgelehnt. Vgl. VA frågar Hans Werthen, går in i Ericsson som arbetande ordförande, in: Veckans Affärer, 21. November 1985. 120  Prognosmiss i Ericsson, in: Dagens Industri, 20. November 1984. 121  Handlingsutrymmet krymper för Ericsson, in: Affärsvärlden, Nr. 41 (1985), S. 25–32.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

der Konzentration des Produktsortimentes auf 500 Artikel umsetzen.122 Das Maßnahmenprogramm mit der Aufgabe des Einzelhandelsverkaufs der Büro- und Computerprodukte oder dem Verkauf kleinerer Einheiten sollte jedoch ebenso wenig fruchten wie der Abbau von 6000 Stellen, die allerdings größtenteils in Gestalt von Unternehmensverkäufen realisiert wurden.123 Erst 1987 konnte EIS wieder ein Nullresultat mit einem Umsatz von 10 Mio. SKr erwirtschaften, was den saldierten Verlust von 1,3 Mrd. SKr für die Jahre 1982 bis 1986 allerdings nicht beschönigen konnte.124 Die Sparte mit immerhin 14.600 Mitarbeitern wurde 1988 an Nokia veräußert, was sich aber gezwungen sah, den dauerhaften Verlusttreiber bereits drei Jahre später dem Computerunternehmen ICL zu überlassen.125 1988 fand auch das nicht von Nokia übernommene Facit mit 2500 Mitarbeitern und einem Umsatz von zwei Mrd. SKr, welches mit rund ca. 20 v. H. zum EIS-Umsatz beigetragen hatte, in der norwegischen Design Funktion einen neuen Besitzer, so dass nun das von so ehrgeizigen Ambitionen begleitete Projekt des ‚Papierlosen Büros‘ endgültig der Vergangenheit angehörte. Dass Ericsson Mitte der achtziger Jahre plötzlich in eine fast existenzbedrohende Situation geraten sollte, hatte aber nicht nur mit den Schwierigkeiten bei der Integration von Daten- und Telekommunikation zu tun, sondern auch mit den offenbar werdenden Problemen in den USA. Nahezu zeitgleich mit dem Beschluss über das EIS-Projekt hatte sich die Konzernleitung darauf verständigt, den US-Markt umfassend zu erschließen. Der Schritt auf den damals größten Telekommunikationsmarkt der Welt erfolgte 1980 durch die Bildung eines Unternehmens mit dem Namen AnacondaEricsson. Zusammen mit dem US-Ölunternehmen Atlantic Richfield sollte den Telekommunikationsaktivitäten ein organisatorisches Dach verschafft werden, um die Stellung als größter Kabellieferant auf der westlichen Halbkugel auszubauen. Als Vorteil wurde in diesem Zusammenhang die technische Kompetenz Atlantic-Richfields vor allem in der fiberoptischen Kabelherstellung angesehen, aber die Kooperation sollte auch die Platzierung der EIS- und Telekommunikationsprodukte auf dem US-Markt er122  Zusätzlich wurden die Aktivitäten mit Ausnahme MD 110s auf den west­ europäischen Raum beschränkt. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde, 10. September 1985, ARAB Nr. 4695; Ericsson omorganiserar efter EIS-floppen, in: ­Veckans Affärer, 29. August 1985. 123  Stärkta finanser och nya AXE-marknader: Dags för offensiv i nygammalt Ericsson, in: Affärsvärlden, Nr. 7 (1988), S. 64–71. 124  Ericsson i konsortium för „europeisk skrivmaskin“, in: Veckans Affärer, 15. Mai 1986; Ericsson städar, in: Dagens Industri, 21. Januar 1988. 125  Nur die K-Abteilung mit den Nebenstellenanlagen MD 110 verblieb bei Ericsson. Vgl. auch Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll Nr. 5 1987–1988; Montag, 28. März 1987; ARAB Nr. 4695.



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren307

möglichen.126 Nach der von der Reagan-Administration beschlossenen Deregulierung und der Aufteilung von AT&T sah Ericsson eine Möglichkeit, sich als Kabellieferant bei den neu gegründeten Bell-Gesellschaften zu etablieren, auch wenn der Weltmarkt für Telekommunikationskabel von Western Electric dominiert wurde, das alleine 80 v. H. des US-Marktes beherrschte.127 Anacondas Kabelsparte mit elf Fabriken für Gruben-, Stromund Telekommunikationskabel wurde mit den US-Verkaufsgesellschaften Ericssons zusammengeführt, so dass zusammen ein US-Marktanteil von 10 v. H. eine gute Ausgangsbasis für die weitere Expansion bildete.128 1985 konnte dank Aufträgen von sechs der sieben Bell-Gesellschaften Ericsson nun als drittgrößter Hersteller bei den rentablen Optokabeln hinter AT&T und Siecor auftreten; so wurde zur Steigerung der Herstellungskapazität 1986 noch eine siebente Fabrik in Texarcana / Texas eröffnet.129 Sollten die Kabelaktivitäten ein solides ökonomisches Fundament für weitere Schritte auf dem US-Markt bilden, so war doch ursprünglich der Nebenstellenanlage MD 110 die Rolle zugedacht worden, als Durchbruchsprodukt für den US-Markt zu fungieren.130 Obwohl an die Etablierung in den USA wohl nicht weniger hochfliegende Erwartungen als an EIS insgesamt geknüpft worden waren, sollte dem Unterfangen ein ähnliches Schicksal bedacht sein; allerdings nicht nur, weil wie in Europa das ‚Papierlose Büro‘ als vollständiger Fehlschlag enden sollte. Das später in Ericsson Inc. umbenannte Anaconda-Ericsson machte seit seiner Gründung Verluste in einer Größenordnung von 700 Mio. SKr jährlich, selbst nachdem der Beschluss gefasst worden war, sich vollständig auf das Kabelgeschäft zu konzentrieren. Trotz des Umstandes, dass in den USA Ericsson 1987 als drittgrößter Kabelhersteller Beziehungen mit allen sieben Bell-Ge126  Verksamhetsberättelse för Verkstadsklubbarnas samorganisation: 8 Juni 1979– 13 Juni 1980, ARAB Nr. 4695. 127  Ericsson Geschäftsbericht 1983. 128  Davon entfielen 25 v. H. auf Bergbaukabel, sechs v. H. auf Baukabel und nur vier v. H. auf Telefonkabel. Der niedrige Wert der letzten Kategorie erklärt sich durch das Kabelmonopol der Netzbetreiber in Gestalt der Bell-Gesellschaften. Unter dem Dach der Anaconda-Ericsson Inc. wurden auch die lateinamerikanischen KabelTochtergesellschaften Arcos und Ericssons zusammengeführt. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 2 (1980), März–April 1980. 129  Neben einer Vertriebsallianz mit dem Unternehmen Honeywell hatte Ericsson zu diesem Zwecke ab 1981 kleinere US-Unternehmen wie Axxa, Tasvir und Vertimag aufgekauft und ein flächendeckendes Einzelhändlernetz für Bürosysteme eingerichtet. Vgl. Ericsson startar jakten på de amerikanska telejättarna, in: Veckans Affärer, 17. März 1983; Ericsson Geschäftsbericht 1986, S. 38. 130  Vgl. USA-satsning ett vågspel, in: Dagens Nyheter, 24. Februar 1985; „Om satsningen lyckas i USA, ligger hela världen öppen“, in: Veckans Affärer, Nr. 39 (1983), S. 99–101.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

sellschaften unterhielt, entschied man sich, angesichts der unzufrieden stellenden Rentabilität und permanenter Überkapazitäten die Kabelproduktion in den USA aufzugeben. 1988 wurden mit dem Verkauf der Spezialkabelabteilung an BICC und der Glasfaserkabeldivision an Alcatel die entsprechenden Konsequenzen aus dem Umstand gezogen, dass der US-Markt die einzige Verlustquelle der ansonsten profitablen Kabelsparte war.131 Die gescheiterten Anstrengungen in den USA und das offensichtliche Desaster im Falle von EIS bewirkten nicht nur den gegenteiligen Effekt, als ihnen ursprünglich zugedacht war, nämlich mögliche Schwankungen der Telekommunikationssparte auszugleichen. 1985 mussten die Aktionäre eine Verschlechterung des Betriebsgewinns mit 800 Mio. SKr zur Kenntnis nehmen, der neben den Schwierigkeiten der EIS-Sparte auch auf die Sparte für öffentliche Telekommunikation aufgrund des Verkaufsrückgangs bei analoger Transmissionsausrüstung und den Entwicklungskosten für die US-amerikanische AXE-Version zurückging.132 Weil der Anteil von Atlantic-Richfield übernommen und Kreditgarantien für die Betreiber neuer Mobilkommunikationssysteme abgegeben werden mussten, kamen noch zusätzliche finanzielle Belastungen auf das Unternehmen zu. Dass diese Häufung finanzieller Belastungen und Rückschläge nicht ohne Auswirkungen bleiben sollte, lässt sich an der Entwicklung der Eigenkapitalquote ermessen, die schon 1980 mit 33 v. H. nicht den Eindruck eines finanziell soliden Unternehmens vermittelte, und die bis 1985 auf 26 v. H. absacken sollte. Auch die äußerst bescheidene Kapitalertragsquote in Höhe von 6 v. H. brachte deutlich zum Ausdruck, dass die Investitionen mit einem Volumen von rund sechs Mrd. SKr die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten. Der neue Finanzvorstand Carl Wilhelm Ros, der 1985 sein Amt antrat, sah sich mit einer so prekären Finanzsituation konfrontiert, dass es schwierig war, die Löhne und Gehälter zu finanzieren.133 Zur Tilgung der Schuldenlast wurden alleine 1985 für eine Milliarde SKr Aktiva verkauft und ab Mitte 1986 veräußerte Ericsson noch einmal Unternehmensbestandteile mit einem Umsatz von sieben Mrd. SKr und verringerte die Zahl der Mitarbeiter um 18.000, so dass sich der Wert verkaufter Unternehmensbeteiligungen insgesamt auf 16,9 Mrd. SKr addierte. Durch diese Devestitionen reduzierte sich der Konzernumsatz um 8 Mrd. SKr, was immerhin 25 v. H. des 1987 erwirtschafteten Umsatzes in einer Größenordnung von 32,4 Mrd. SKr entsprach. 131  Kabel

blev kvarnsten för Ericsson i USA, in: Dagens Industri, 12. Januar 1988. die Entwicklungskosten für AXE bezifferten 1984 sich auf acht Mio. SKr, was immerhin 11 v. H. des Umsatzes entsprach. Vgl. zur Entwicklung der Kosten Nu lovar Ericsson att infria förväntningarna, in: Affärsvärlden, Nr. 18 (1983), S. 28–36; „Ericsson måste tjänar en ytterligare miljard“, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1984), S. 48–50. 133  Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 132  Alleine



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren309

Unter anderem mit den Reingewinnen aus den Verkäufen, die auf rund zwei Mrd. SKr geschätzt wurden, konnte der Konzern bereits 1986 eine positive Gewinnentwicklung und zum ersten Mal seit 1983 einen positiven Cashflow vermelden, auch wenn im Folgejahr die Bilanz nur ins Plus gewendet werden konnte, indem Reingewinne aus Aktien- und Immobilienverkäufen in das Betriebsergebnis eingestellt wurden.134 Offensichtlich hatte die fehlgeschlagene Strategie des reinen Zukaufs von Technik und Kompetenzen seine Spuren hinterlassen. 1986 wollte man sich wieder auf die eigenen strategisch wichtigen Technologien konzentrieren, mit denen ein ausreichendes Produktionsvolumen und stabile Renditen beibehalten werden konnten.135 Nach dem Verkauf der Netzbauabteilung waren nur die Verteidigungsprodukte der einzige Bereich, der außerhalb der Telekommunikation aus technologischen Gründen im Konzern gehalten wurde. Die Liquidität sollte in erster Linie für die Modernisierung und Anpassung der Vermittlungsanlage AXE aufgewendet werden, die 1988 wieder 50 v. H. des Konzernumsatzes ausmachte.136 Mit einem Auftrag aus Frankreich für Schaltungen, der 16 v.  H. des französischen Telekommunikationsmarktes sicherte, der ersten großen AXE-Bestellung in den USA durch US West und der erheblichen Verminderung der Verluste bei EIS wurde auch für außen stehende Beobachter ersichtlich, dass der Konzern sich auf einem Konsolidierungskurs befand.137 c) Die Wiederbesinnung auf die traditionellen Stärken: Erste Erfolge in der Mobilkommunikation Neben der Rückbesinnung auf die eigenen Stärken in der öffentlichen Telekommunikation rückte mit der Mobiltelefonie nun deutlich ein weiterer Bereich in den Vordergrund, der lange ein ausgeprägtes Nischendasein im Konzern gefristet hatte. Die Verbindung Ericssons zu Mobilfunksystemen ging bis in das Jahr 1919 zurück, als die Svenska Radioaktiebolaget (SRA) durch Ericsson, AGA und ASEA zur Entwicklung von Funktelegraphieausrüstung gegründet wurde.138 Erfolge hatte SRA seit 1943 mit dem mobilen 134  Reavinst räddar dyster utveckling i Ericsson, in: Veckans Affärer, 18. November 1987. 135  Ericsson Geschäftsbericht 1986. 136  Ericsson är på rätt väg: Finansiering problemet i ny tillväxtperiod, in: Affärsvärlden, Nr. 49 (1988), S. 48–54. 137  Nu måste Ericsson visa resultat också! In: Veckans Affärer, Nr. 21 / 22 (1987), S. 88–91. 138  Die Entwicklung SRAs nach dem zweiten Weltkrieg wird geschildert bei Mölleryd, B., Entrepreneurship in Technological Systems – The Development of Mobile Telephony in Sweden, Stockholm 1999.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Landfunk verzeichnen können, und in Polizei, Krankentransport, Feuerwehr und Forstwirtschaft, die mit Hilfe der Funktechnologie die Verschiffung von Holzstämmen längs der Ostseeküste bewältigen konnte, zuverlässige Abnehmer gefunden.139 Ab 1954 hatte man auch ein kleines Mobilfunkgerät angeboten, das im Fahrerraum eines Autos montiert werden konnte. Das Hauptaugenmerk galt jedoch der Entwicklung militärischer Mobilfunktechnik der Radarsysteme für die Kampfflugzeuge F-35 Draken und Lansen, weswegen SRA ab 1956 gemeinsam mit der MI-Abteilung Ericssons zusammenarbeitete, um deren Kenntnisse in der Mikrowellentechnik und Radartechnologie zu nutzen. SRA glich ansonsten einer Art „Garagenunternehmen“, das vollständig im Schatten der öffentlichen Telekommunikationssparte beziehungsweise EIS stand, allerdings in den Planungen der Unternehmensspitze auch keine große Rolle spielte.140 Eine Verbindung zu AXE, das zu dieser Zeit alle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, der Kerntechnologie des Konzerns existierte nicht.141 Da die Konzernleitung zu wenig Wachstumspotential in Mobiltelefonen sah, durfte die Einheit auch die Gesamtverantwortung für Mobiltelefonsysteme übernehmen, sich aber gleichwohl einer dauerhaften Indifferenz seitens der Unternehmensführung sicher sein, auch weil die britische Marconi eine Kapitaleinlage bei SRA hielt.142 Dass die Konzernleitung 1982 auch die Marconi-Beteiligung in Höhe von 28,5 v. H. erwarb, und SRA mit der MI-Abteilung in der neuen Tochtergesellschaft Ericsson Radio Systems zusammenführte, rührte weniger aus einem plötzlich aufkeimenden Interesse an der Technologie, sondern dem Umstand, dass Marconi nun von CSE General Electric besessen wurde, einem direkten Konkurrenten Ericssons im Bereich der öffentlichen Festnetze.143 Trotzdem wurden die ersten umfassenden zivilen Mobilfunkaktivitäten im Konzern immer noch mehr oder minder als Hobbyaktivität angesehen, auch weil sie keinen Gewinn erzielten, sondern nur laufende Kosten verursachten. Dass Ericsson den Betreibern ab 1982 integrierte Systeme inklusive AXE, Funkbasisstationen und Mobiltelefonen anbieten konnte und somit schon frühzeitig die Grundlage für den späteren bahnbrechenden Erfolg legte, weil 139  Als mobiler Landfunk wird die Variante des Funkdienstes verstanden, bei der mindestens eine der genutzten Funkstellen transportierbar ist. Mobiler Landfunkdienst sendet auf UKW-Frequenzen, manchmal auch auf Kurzwellenfrequenzen. 140  Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 141  Von der Unternehmenskultur wich man auch in der Hinsicht ab, dass erstens weder an großen und komplexen Systemen gearbeitet wurde und zumindest in Schweden der Abnehmer nicht Televerket, sondern deren Tochtergesellschaft Televerket Radio war. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm 13. Juni 2007. 142  Rebell bakom framgången, in: Veckans Affärer, 7. Oktober 1992. 143  Mölleryd, Entrepreneurship.



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren311

die Betreiber ab 1990 solche ganzheitlichen Lösungen nachfragen sollten, lässt sich wiederum auf die institutionelle Besonderheit der Zusammenarbeit mit Televerket zurückführen. Ähnlich wie andere Kommunikationsnetze bestand ein Mobilfunknetz aus drei Grundelementen: Erstens den Endgeräten in Gestalt von Mobiltelefonen; den Vermittlungsstellen als zentrale Knoten innerhalb eines Nachrichtennetzes, die mittels Netzübergangsfunk­ tionen die wahlweise Nachrichtenübermittlung ermöglichen. Weitere dezentralisierte Netzwerkknoten basieren drittens auf Netzwerkelementen wie Funkbasisstationen, Multiplexern, oder Routern für die Aktivierung bzw. Deaktivierung der zugewiesenen Funkkanäle, Verschlüsselung und Entschlüsselung sowie Verbindungs- und Empfangsqualitätskontrolle. Über Technologie für Endgeräte und teilweise auch für die Funkbasisstationen verfügte SRA spätestens ab 1977, als im Zuge der nun immer stärkeren Ausrichtung der Mobilfunktechnik für private Zwecke die Mobilfunkherstellungseinheiten der defizitären staatlichen Sonab erworben wurden. So konnte die Tochtergesellschaft 1979 Autotelefonsysteme lancieren, die, wie der Geschäftsbericht Ericssons 1980 wohlwollend vermerkte, auf eine rege Nachfrage stießen.144 Zur Stärkung der Position bei Funkbasisstationen erwarb Ericsson 1983 Magnetic und 1988 Radiosystems. Durch diesen Kauf verdoppelte Ericsson seinen globalen Marktanteil bei Funkbasisstationen auf 40  v. H.145 Infolge der Akquisitionen und eigener Entwicklungsanstrengungen konnte SRA zwar bereits Funkbasisstationen und Endgeräte anbieten, verfügte aber über keine zentrale Vermittlungsstelle. Als der Leiter der Technologieabteilung Televerkets Östen Mäkitalo sich an Ericsson mit der Idee wandte, die NMT-Mobilfunksysteme mit AXE auszurüsten, zeigte man sich alles andere als interessiert und wollte zunächst sogar veraltete Technologie einsetzen; die Skepsis der Verantwortlichen rührte daher, dass AXE erst kurz zuvor in der Pilotanlage in Södertälje installiert worden war und keine Erfahrungen mit realen Erprobungen vorlagen (zur Bedeutung von NMT vgl. Abschnitt IV.3.b)). Erst als Mäkitalo damit drohte, sich an den japanischen Konkurrenten NEC zu wenden, willigte man ein. Dass das Stockholmer Management eine so defensive Haltung an den Tag legte, beruhte auf der Einschätzung, dass das Wachstumspotential öffentlicher Mobiltelefonnetzwerke als nicht besonders viel versprechend eingeschätzt wurde. Trotzdem verfügte Ericsson wie übrigens auch Nokia spätestens ab diesem Zeitpunkt über alle drei Kernbestandteile der Mobilfunktechnik, nämlich Landmobilfunktechnik, Vermittlungsstellen und Endgeräte. Auch in anderen Volkswirtschaften hatten einzelne Hersteller zwar in jeweils einem dieser Bereiche eine füh144  LM

Ericsson Geschäftsbericht 1980, S. 29. Entrepreneurship.

145  Mölleryd,

312

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

rende Stellung erlangen können, ohne jedoch wie Ericsson ab 1982 / 1983 in allen drei Produktgebieten tätig zu sein.146 Ähnlich wie auch im Falle AXEs kam der Durchbruch für Ericssons Mobilfunksysteme aus Saudi-Arabien, als der Konzern gemeinsam mit SRA und Philips 1982 eine Order im Wert von über 900 Mio. SKr aus dem saudischen Kommunikationsministerium für den Ausbau eines landesweiten Mobiltelefonsystems erhielt.147 Auch danach war jedoch die Frage offen geblieben, ob die Mobiltelefonsysteme als reines und unverbindliches Komplement zu AXE vermarktet, oder ob die Vermittlungsstellen in die EricssonMobiltelefonsysteme integriert werden sollten. Wie wenig im Konzern zunächst auf eine Integration beider Technologien hingearbeitet wurde, lässt sich daran erkennen, dass Ericsson die Vermittlungsstellen und SRA Funkbasisstationen offerierte, eine mögliche Systemintegration aber dem Kunden überlassen wurde. 1982 hatte SRA-Leiter Åke Lundqvist zum ersten Mal im Rahmen von Auftragsverhandlungen auf einem Mobiltelefonsystem beharrt, in dem sämtliche Abschnitte der Netzwerkarchitektur von Ericsson geliefert werden sollten. Auslöser war ein Auftrag aus den Niederlanden, wo man sich dazu entschlossen hatte, ein Mobilfunknetz auf NMT-Basis aufzubauen. Ursprünglich sollte Ericsson AXE-Vermittlungsstellen und SRA Funkbasisstationen liefern. Überzeugungsarbeit für AXE war zwar nicht notwendig, da schon eine Anzahl der Vermittlungsstellen im Festnetz installiert worden war. Im Falle der Funkbasisstationen schien den Niederländern das Angebot des US-amerikanischen Weltmarktführers aufgrund der präsentierten Zellenplanung geeigneter, die der höheren Besiedelungsdichte in den Niederlanden besser Rechnung trug. Diese Bevorzugung eines Konkurrenten stieß in Stockholm noch nicht einmal auf großen Widerstand, da innerhalb der Sparte für öffentliche Telekommunikation in der damit erforderlichen Zusammenarbeit mit Motorola durchaus Vorzüge gesehen wurden. Åke Lundqvist konnte die Konzernleitung jedoch davon überzeugen, nicht von der Forderung nach der Lieferung eigener Funkbasisstationen abzurücken. So wurde den Niederländern mehr oder minder ein Junktim präsentiert, das die Lieferung der AXE-Vermittlungsstellen mit den Funkbasisstationen von SRA verknüpfte, was dazu führte, dass nach dem Einlenken der Telefonbehörde Ericsson zum ersten Mal dezidiert als Systemanbieter im Bereich der Mobilkommunikation auftrat. 1986 wurde dann im Geschäftsbericht offen hervorgehoben, dass Ericsson angefangen mit AXE als Schaltungen in Systemen bis hin zu den Funkbasisstationen und schließlich Endgeräten für 146  Lindmark,

Telecom Dynamics, S. 291. Bestellung war eigentlich eine Erweiterung eines bereits von LME und SRA installierten Mobiltelefonsystems für die Städte Riad, Dschidda und Dammam. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 1 (1982), März 1982. 147  Die



2. Ericssons Wachstumspfad in den achtziger Jahren313

alle Abschnitte der Mobilfunknetzarchitektur die entsprechende Ausrüstung zur Verfügung stellen könnte.148 Das Profil als Systemanbieter in der Mobilkommunikation wurde dann während der achtziger Jahre ausgerechnet auf dem Markt geschärft, auf dem sich Ericsson solange schwer getan hatte. Lundqvist hatte im Zusammenhang mit den Verhandlungen in den Niederlanden Kontakt mit US-Beratern aufgenommen, die angesichts der anstehenden Aufteilung von AT&T in den USA trotz der großen Dominanz Motorolas im Mobilfunk ein Engagement empfahlen. Trotzdem schien die Gelegenheit günstig, weil die Bell-Gesellschaften an mehr Wettbewerb und Vielfalt bei den Ausrüstungsherstellern interessiert waren. In aller Eile beantragte Ericsson 1982 bei der zuständigen Aufsichtsbehörde Lizenzen für AXE, Funkbasisstationen und Transmissionsausrüstung, um innerhalb eines Halbjahres die Systeme an US-Verhältnisse anzupassen, indem eine innerhalb der Verteidigungssparte entwickelte Funkverbindung für den US-Frequenzbereich umgerüstet wurde. 1983 kam der erste Auftrag für ein US-Mobilfunksystem aus Buffalo, das im Mai 1984 eingeweiht wurde.149 Zwei Jahre später hatte Ericsson bereits 15 Mobiltelefonsysteme in den USA installiert, so dass das Unternehmen bis 1989 in 15 Teilstaaten vertreten war und 23 v. H. des gesamten US-Mobiltelefonmarktes belieferte.150 So schloss Ericsson als einziger europäischer Hersteller zu AT&T und Motorola auf, die mit jeweils 40 v. H. und 30 v. H. über eine beachtliche Marktmacht verfügten.151 Wichtig erscheint aber in diesem Zusammenhang, dass der Erfolg für AXE in den USA erst eintrat, als die Vermittlungsstelle in den von Ericsson gelieferten Mobilfunksystemen eingebaut wurde. Insgesamt waren 1988 bereits von 3,9 Millionen Mobiltelefonen rund 1,6 Millionen an AXE-basierte Systeme angeschlossen, so dass sich Ericssons globaler Marktanteil bei analogen Mobiltelefonsystemen auf beeindruckende 40 v. H. Marktanteil summierte.152

148  Ericsson

Geschäftsbericht 1986. Entwicklungszeit des Systems wurde auf durchschnittlich zwei Jahre veranschlagt. Vgl. Rebell bakom framgången, in: Veckans Affärer, 7. Oktober 1992. 150  Ericsson Geschäftsbericht 1983; Ericsson Geschäftsbericht 1986. 151  „Förväntningarna är enorma“, in: Veckans Affärer, 15. Dezember 1988. 152  Ericsson Geschäftsbericht 1988, S. 8; Hans ord utlöste årets kursras: USAplacerare tålde inte sanningen om Ericssons vinst, in: Dagens Industri, 22. Dezember 1993. 149  Die

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

3. Veränderungen im Branchensystem: Der Durchbruch für Ericsson als globaler Mobilkommunikationsanbieter a) Die Liberalisierung und Deregulierung des Telekommunikationswesens sowie die Öffnung der zentraleuropäischen Märkte Der sich ab 1987 wieder einstellende Erfolg war aber nicht nur ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass das Unternehmen nach seiner Portfoliobereinigung mit dem Fokus auf Produkte für öffentliche Telekommunikation und Mobilkommunikation sich wieder auf seine traditionellen Innovationsstärken zurückbesonnen hatte. Vor allem die Beziehungen zu den Kunden hatten sich im Gefolge der allmählich einsetzenden Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte verändert. Dass sich Mobiltelefonsysteme in den USA wie auch Großbritannien relativ zügig zu einem viel versprechenden Produkt entwickelten, ist nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, dass beide Länder eine Vorreiterrolle bei der Deregulierung ihrer Telekommunikationsnetze einnahmen. Den ersten und radikalsten Schritt wagte die britische Regierung unter Margaret Thatcher im Jahr 1981, die eine umfassende Politik der Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung einleitete, private Netzanbieter zuließ und das britische Telekommunikationswesen fortan zu einem Experimentierfeld für neue Techniken wie mobile Datenübertragung oder Paging machte, das Ericsson zusammen mit der 1982 privatisierten British Telecom für sich zu nutzten wusste. In Großbritannien sollte das Stockholmer Unternehmen 1983 das eine der beiden landesabdeckenden Mobilfunksysteme liefern, welches in London, Bristol und Manchester erprobt werden sollte. Wichtiger als der britische Markt war jedoch der Durchbruch in den USA, wo Ericsson überhaupt erst zum Zuge kam, nachdem das faktische AT&T-Monopol 1984 mit der Aufteilung in die sieben regional ausgerichteten Regional Bell Operating Companies gebrochen war.153 Aber auch das Ende der Marktmacht der europäischen 153  Offiziell hatte es in den USA nie eine öffentliche Fernsprechbehörde gegeben, sondern die American Telephone and Telegraph Corporation (AT&T) hatte nach dem Kauf des Anlagevermögens von American Bell ein Telefoniemonopol errichtet. Die Aufsichtsbehörde namens FCC überwachte alle Dienste und gab vor, welche Gebühren, Dienstleistungen und Ausrüstung von Netzbetreibern angeboten werden durften. Grundsätzlich herrschte auf dem US-Markt zwar Wettbewerb, aber infolge der Kontrolle der 22 lokal ausgerichteten Bell Operating Companies sowie der Ferngespräche wickelte AT&T den Großteil der lokalen und translokalen US-Fernsprechkommunikation ab. Ende der siebziger Jahre war AT&T das größte Unternehmen der Welt und kontrollierte ein Vermögen, welches das Volkseinkommen einiger Länder übertraf. 1974 hatte das Justizministerium dann ein Antitrust-Verfahren gegen AT&T



3. Veränderungen im Branchensystem315

Fernmeldebehörden und Monopolnetzbetreiber zeichnete sich spätestens 1992 ab. In diesem Jahr hatte die EG-Kommission den Beschluss zur vollständigen Liberalisierung aller Telekommunikationsmärkte der Mitgliedsstaaten gefasst, was auch die letzten Nachzügler wie Deutschland unter Druck setzte, die systematische Benachteiligung ausländischer Anbieter zu unterbinden. Auch Kanada und Australien sowie Schwellenländer wie Brasilien oder Indien sollten in den neunziger Jahren die letzten Hürden eines eingeschränkten Wettbewerbs unter den Netzbetreibern abbauen. Spielten bei der Auftragsvergabe bis dahin die politische Patronage oder mögliche Beschäftigungseffekte infolge einer verpflichtenden Produktionsaufnahme durch den Ausrüstungshersteller eine entscheidende Rolle, rückten solche Faktoren nun in den Hintergrund, da die früheren Monopolisten sich zunehmend neuer Konkurrenz ausgesetzt sahen und nun auch mehr Wert auf Kosten, Lieferungspräzision und Servicequalität legten. Darüber hinaus nahm die vertikale Integration deutlich oder gar vollständig ab, meistens beginnend mit der Aufgabe des Endgeräteverkaufs. Das ermöglichte den Netzausrüstungsherstellern wie Ericsson, neue Wachstumsbereiche zu erschließen, was infolge der damit verbundenen Ausweitung des Produktangebots zur Ausnutzung von Skalenvorteilen eine Serienfertigung und Ausweitung der Produktion erforderlich wurde. Als Resultat expandierten die bisher auf die Binnenmärkte ausgerichteten Ausrüster wie AT&T, Philips, Alcatel, NT und Siemens nun auch interna­ tional, um für die größeren Volumina eine entsprechende Nachfrage zu sichern. Diese Verbreiterung kam Netzbetreibern entgegen, die einen innovativen und modernen Service bieten wollten und deshalb nach neuen Lieferanten Ausschau hielten, bedeutete aber auch das die Gruppe der interna­ tional ausgerichteten Ausrüstungshersteller um einige neue Konkurrenten ergänzt wurde.154 Als Konsequenz dieser veränderten Rahmenbedingungen forcierte die Konzernleitung den bisher schon beschrittenen Weg der Internationalisierung auch außerhalb der USA und Großbritanniens. Trotz hoher Eingangsinvestitionen bei Markterschließungen und Unterhaltskosten sollte das Ziel sein, 13 v. H. des weltweiten Bedarfs an Telekommunikationsgütern zu liefern.155 Die Ausgangsposition schien günstig, da nach eigener Eineingereicht, das 1982 sein Ende fand, als der Konzern sich bereit erklärte, die für Lokalnetze zuständigen Tochtergesellschaften abzustoßen. Ab 1984 nahmen diese sieben Regional Bell Operating Companies (RBOCs) den Betrieb auf, womit das Monopol AT&Ts beendet war. Vgl. zur Entwicklung AT&Ts und den Deregulierungsschritten in den USA Schneider, Transformation, S.  184 f. 154  Slutmemorandum till styrelsen, Oktober 1987: Att etablera en dominant position inom publik telekommunikation, ARAB Nr. 4695. 155  Protokoll från koncernrådets sammanträde, am 22. November 1988; ARAB Nr. 4695.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

schätzung im Bereich der öffentlichen Telekommunikation kein anderer Konkurrent einen so großen Deckungsgrad aufwies, der 1987 nur die Sowjetunion und Westdeutschland ausnahm.156 Diese Maximen lagen auch den strategischen Vorgaben zugrunde, die der neue VD Lars Ramqvist zwischen Herbst 1987 und Januar 1988 ausarbeitete, und die trotz kritischer Stimmen aus den Reihen der Finanzanalytiker vollständig vom Vorstand akzeptiert wurden. 1990 wurde die Haupttätigkeit des Konzerns als Entwicklung und Verkauf von Systemprodukten für Aufbau und Betrieb öffentlicher und privater Telefonnetze für Fest- und Mobilkommunikation definiert. AXE, MD110 und Mobilfunk galten nun als die zentralen Technologieplattformen, während alleine oder in Zusammenarbeit entwickelte komplementäre Produkte die Anzahl technischer und auf Kundenbedürfnisse zugeschnittene Lösungen steigern sollten.157 Die Plattformstrategie sollte ermöglichen, die kritischen Entwicklungseinsätze auf eine geringe Anzahl Systeme zu beschränken, so dass neue Netz- und Telefondienste auf bereits existierenden Architekturen aufbauen konnten.158 Ganz in diesem Sinne setzte die Konzernleitung auf die Marktanpassung von AXE, auch wenn zwischen 1986 und 1988 die Festnetzsparte die ihr zugedachte Funktion als Gewinngeber nicht hatte wahrnehmen können, da die Anpassungsleistungen mit erheblichen Kosten verbunden waren. Alleine die Entwicklungskosten für die Anpassung AXEs an US-Forderungen wurden auf rund 1,5 Mrd. SKr geschätzt.159 Dass sich relativ plötzlich die öffentliche Telekommunikation in ein hochprofitables Geschäft verwandelte, hatte seinen Grund in der Digitalisierung der europäischen Netze, in dessen Rahmen der modulare Aufbau AXEs sich als deutlicher Wettbewerbsvorteil herausstellte. Nicht nur in dieser Region, sondern auch anderswo in der Welt konnte der Stockholm Telekommunikationskonzern mit der dadurch möglichen schnellen und kostengünstigen Anpassung an bestehende Netzstrukturen immer mehr Vertragspartner gewinnen.160 Allmählich konnte Ericsson im Gefolge der Deregulierung seinen Ak­ tionsradius auch auf Regionen und Länder verbreitern, zu denen der Zugang bisher aufgrund der Bevorzugung einheimischer Anbieter verschlossen war. War man früher von Schwellenländern wie Saudi-Arabien und anderen Staaten in Lateinamerika sowie den südeuropäischen Ökonomien abhängig, 156  Slutmemorandum till styrelsen, Oktober 1987: Att etablera en dominant position inom publik telekommunikation, ARAB Nr. 4695. 157  KONTAKTEN, Nr. 9 (1990). 158  Ericsson Geschäftsbericht 1990, S. 14. 159  Ericsson är på rätt väg: Finansiering problemet i ny tillväxtperiod, in: Affärsvärlden, Nr. 49 (1988), S. 48–54, Lång väntan på USA-genombrott, in: Veckans Affärer, Nr. 3, (1989), S. 36–39. 160  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007.



3. Veränderungen im Branchensystem317

präsentierte sich seit Mitte der achtziger Jahre ein anderes Szenario: 1988 belieferte Ericsson nicht zuletzt dank AXE zwei Drittel der globalen Telekommunikationsmärkte, während es 1981 nur ein Drittel gewesen waren.161 Vor allem der Schritt auf die westeuropäischen Kernmärkte wie Großbritannien, Frankreich und Westdeutschland war für Ericsson jedoch ohne dortige einheimische Partner nicht möglich gewesen. Ähnlich wie auch in der Automobilindustrie bahnte sich auch in der Telekommunikationsbranche in den achtziger Jahren eine schrittweise Internationalisierung des Branchensystems an. Anders als im Falle der Automobilunternbehmen, bei denen es um mögliche Kostenersparnisse infolge einer gemeinsamen Verwertung von Komponenten ging, war die Kooperation mit Branchenpartnern wie mit der französischen Matra und der italienischen Italtel jedoch rein taktischer Natur. So verfügte das Stockholmer Telekommunikationsunternehmen meistens selbst über die Technologie des Partnerunternehmens.162 Auf außereuropäischen Märkten verfuhr Ericsson nach der Devise, vor allem Vertriebs- und Vermarktungswege durch eine Zusammenarbeit zu etablieren, wie im Falle des Joint Ventures mit Toshiba, das auf die Erschließung des verriegelten japanischen Marktes abstellte. b) NMT: Der first mover-Vorteil der Skandinavier im analogen Mobilfunk Diese ab Mitte der achtziger Jahre zunehmenden Kooperationen waren aber nicht die einzigen Veränderungen im Branchensystem. Viel entscheidender für den Durchbruch Ericssons im Bereich der Mobilkommunikation war der Umstand, dass sich das institutionelle Muster der Zusammenarbeit, wie es Ericsson und Televerket in Schweden praktizierten, auch auf euro­ päischer Ebene bewährte Vielleicht sollte an dieser Stelle kurz rekapituliert werden, welche vorteilhaften Eingangsvoraussetzungen Ericsson hinsichtlich der Mobilkommunikation zur Geltung bringen konnte: Erstens verfügte man mit AXE über eine Vermittlungsstelle, die sowohl für analoge als auch digitale Transmission und darüber hinaus für Mobilfunk- und Festnetze ver161  Stärkta finanser och nya AXE-marknader: Dags för offensiv i nygammalt Ericsson, in: Affärsvärlden, Nr. 7 (1988), S. 65. 162  Neben dem Marktzutritt ging es auch um die Schaffung von Gegengewichten gegen kurzfristige Zusammenschlüsse: So hatten sich Nokia, Alcatel und AEG zeitweise zu einer Allianz formiert, gegen die sich Ericsson durch eine Kooperation mit Siemens, Matra und Orbitel auf den drei wichtigsten EG-Märkten eine Gegenposition verschaffen wollte. Solche Kooperationen wurden auch dahingehend gedeutet, US-amerikanische Hersteller wie Lucent oder NEC aus dem europäischen Markt herauszuhalten. Vgl. Kampen om mobiltelefoner: Nokia-allians mot Ericsson, in: Dagens Industri, 26. Oktober 1987; Nytt konsortium hotar Ericsson på Mobiltelefoner, in: Veckans Affärer, 29. Oktober 1987.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

wendet werden konnte. Zweitens konnte das Unternehmen Mobilfunknetzbetreibern ab 1982 integrierte Systeme inklusive AXE, Funkbasisstationen und Mobiltelefone anbieten. In dieser Auflistung fehlt aber mit der Herausbildung von transnationalen Mobilkommunikationsstandards ein dritter Aspekt, der Ericsson letztendlich auf den Weltmärkten zum Durchbruch verhelfen sollte und der zugleich noch einmal die hochgradigen Besonderheiten des Branchensystems unterstreicht. Die Beeinflussung des standard setting hatte sowohl für Netzbetreiber als auch Ausrüster eine nahezu neuralgische Bedeutung. Unter Standards werden im Allgemeinen Konventionen verstanden, wie bestimmte technische Probleme oder Verfahrensfragen zu lösen sind. Im engeren Sinne wird ein Standard als eine vom Produzenten infolge von Selbstdurchsetzung oder auf der Grundlage eines formalen Übereinkommens eingehaltene technische Spezifikation aufgefasst.163 Kommunikationssystemstandards sind wiederum hochkomplexe Systeme mit Definitionen für Spezifikationen, die auf nicht weniger als 10.000 Seiten beschrieben werden.164 In der Telekommunika­ tion stellten Aushandlungsprozesse primär auf die Definition von Schnittstellen ab, um entweder einen möglichst hohen Grad von Kompatibilität unter technischen Systemen zu erreichen oder umgekehrt durch den Ausschluss von Technologien den Mitgliedern des ‚Standardisierungsklubs‘ Quasirenten zu ermöglichen. Die Verbreitung der Standards hing von drei ausschlaggebenden Faktoren ab: Erstens der Portierbarkeit, also inwiefern Technologie auch in anderen Standards anwendbar war; zweitens der Kompatibilität zwischen Produkten; und drittens der Interoperatibilität, also die Möglichkeit, über Landesgrenzen hinaus Gespräche führen zu können.165 Eine größere Portabilität und Interoperatibilität der Endgeräte oder der Transmissionstechnik begünstigte die Nutzung von Skalenerträgen. Kostendegressionen, wie sie im Falle SCAs in Gestalt von Skalen- oder Verbunderträgen in der Produktion ermöglicht wurden, waren abgesehen von den Endgeräten infolge der breiten Produktvarietät oder auch der Immaterialität der Softwareprogrammierung nur begrenzt möglich. Spezielle Teile ohne hohe technische Kompatibilität verursachten hohe Stückkosten, so dass eine Serienfertigung immer ein gewisses Risiko darstellte, weswegen Ericsson 163  Vgl. dazu David, P. / Greenstein, S., The Economics of Compatibility of Standards: A Survey, in: Economics of Innovation and New Technology, Vol. 1 (1990), S. 4. 164  Iversen, E., Standardization and Intellectual Property Rights: Conflicts be­ tween Innovation and Diffusion in New Telecommunications Systems, in: Jacobs, K. (Hrsg.), Information Technology Standards and Standardization: A Global Perspective, London 2000, S. 92. 165  Genschel, P., Standards in der Informationstechnik: Institutioneller Wandel in der Standardisierung. Frankfurt a. M. / New York 1995, S. 80 f.



3. Veränderungen im Branchensystem319

wie die Mehrzahl seiner Wettbewerber ein Interesse hatte, die Reichweite der Standards möglichst umfassend auszugestalten. Aus institutionenökonomischer Perspektive kam es also in der Telekommunikationsindustrie auf Netzwerkexternalitäten durch standardisierte Technologien an.166 Netzwerkeffekte treten immer dann auf, wenn die Nutzerzahl eines Gutes aufgrund seiner Kompatibilität mit anderen Gütern wächst oder abnimmt. Bei hoher Kompatibilität spricht man von positiven Netzwerkexternalitäten; bei geringer Kompatibilität von negativen Netzwerkexternalitäten. Weiterhin wird unterschieden zwischen direkten Netzwerkexternalitäten, die im Falle Ericssons durch Standardisierungsvorgaben für Telefonnetze zustande kamen und indirekten Netzwerkexternalitäten in Gestalt einer Verwendung gleichartiger Produkte oder Komponenten.167 Die Wahl eines ‚falschen‘ Standards konnte die Ausrüstungshersteller teuer zu stehen kommen, wie auch die Konzernspitze einige Male feststellen musste.168 Für die Ausrüstungshersteller war es deswegen von entscheidender Bedeutung, die Standardwahl zu beeinflussen, weil vor allem antizipatorische Standards für bereits getroffene Entscheidungen bei Technik, Patenten und Wachstumsstrategien nachhaltige Konsequenzen haben konnten. Vor allem die Durchsetzung eigener Vorstellungen im standard setting sollte Ericsson eine weltweit führende Rolle in der Mobilkommunikation einbringen. Abseits von diesen Detailfragen konnte Ericsson früher als viele andere Ausrüstungshersteller Erfahrungen mit einem institutionellen Aushandlungsprozess sammeln, als in Skandinavien der erste transnationale Mobilkom166  Solche Externalitäten treten dann auf, wenn der Nutzen einer Technikanwendung mit dem Kreis weiterer Anwender steigt. Zu den verstärkenden Mechanismen der dadurch generierten Pfadabhängigkeit zählen erstens hohe Startinvestitionen, die bei steigendem Ausstoß zu fallenden Stückkosten führen oder die Definition von Schnittstellen zwischen Komponenten und deren Integration in Netzwerke, die die Vereinfachung des Entwicklungsprozesses sowie die Konstruktion von Subsystemen erlauben; zweitens die Lerneffekte bei der Anwendung der Techniken; und drittens positive Koordinations- und Kompatibilitätseffekte, die aus der Weiterentwicklung untereinander anschließbarer Techniken und Standards erwachsen. Vgl. zu den Möglichkeiten der Netzwerkexternalitäten als Quelle von increasing returns Arthur, W. B., Increasing Returns and Path Dependence in the Economy, Ann Arbor 1997. 167  Diese führen zu positiven Skalenerträgen, weil sie erstens komplementär zu anderen Produkten oder technischen Systemen verwendet werden können und folglich zweitens die Entwicklungskosten für ein einzelnes Unternehmen entweder nur einmal anfallen oder geteilt werden können. Zur Gestalt von Netzwerkexternalitäten vgl. Tirole, J., Theory of Industrial Organization, Cambrigde / Mass. 1988, S. 405 f. 168  So sollte der Beschluss der brasilianischen Behörden im Jahr 2000, 1800 Megahertz für das sogenannte C-Band zu nutzen, für Ericsson Kosten in Höhe von 625 Mio. SKr verursachen, da man 1900 Megahertz als Frequenz nutzen wollte und auch die eigene Produktion in Brasilien darauf ausgerichtet hatte. Vgl. Brasilianskt mobilbeslut kostar Ericsson 625 Mkr, in: Dagens Industri, 21. Juli 2000.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

munikationsstandard in Europa begründet wurde. Die frühe Entwicklung in Gestalt des Nordiskt Mobiltelefonisystem (NMT)-Standards war ein first mover-Wettbewerbsvorteil für die gesamte skandinavische Telekommunikationsindustrie, der mehr oder minder zufällig zustande gekommen war. Die Idee eines Länder übergreifenden Mobilfunkstandards war vorher auch in den USA, Deutschland und Frankreich diskutiert worden, aber die gebildete NMT-Gruppe bot nun erstmals ein Forum, sie auch in die Tat umzusetzen.169 Darüber hinaus sollte sie Ausrüstungsherstellern wie Ericsson und Nokia aber auch Netzbetreibern wie Televerket jene für Netzwerkexternalitäten konstitutiven Lernerfahrungen in einer initialen Phase der Mobiltelefonie verschaffen, die sich später auf der europäischen Ebene als vorteilhaft herausstellen sollten. 1971 wurde die NMT-Gruppe ins Leben gerufen, die 40 in Frage kommende Ausrüstungshersteller zu einem Treffen einlud, darunter auch Ericsson und SRA. Diese Gruppe konnte fortan gemeinsame Systemtests durchführen und die Anforderungen an die Mobiltelefonschaltung MTX präzisieren. Schon 1975 waren alle Funktionen und Anforderungen in einem Bericht spezifiziert und das Frequenzband 450 MHz als Sendefrequenz ausgewählt worden. Ähnlich wie im Falle AXEs war die Erstinbetriebnahme des Standards 1981 im Zusammenhang mit dem 1977 vergebenen Auftrag in Saudi-Arabien erfolgt. Warum das Mobilfunksystem NMT 450 und die Nachfolgesysteme NMT 450i und NMT 900 ähnlich wie im Falle AXE zu einem Erfolg werden sollte, lässt sich am deutlichsten im Kontrast zu der Systemkons­ truktion in Japan und den USA nachzeichnen. Beiden Ländern wurde ein Wettbewerbsvorteil nachgesagt; den US-Amerikanern aufgrund der frühen Einführung des eigenen AMPS-Standards im Jahr 1983 und den Japanern wegen der profunden Kenntnisse in der Halbleitertechnik. Entscheidend war jedoch erstens, dass die NMT-Gruppe die Roaming-Funktion spezifiziert hatte, also eine automatische Meldung des Endgerätes an das System über seinen Standort.170 Zweitens waren die Schnittstellen zwischen Basisstatio169  1969 hatte eine Arbeitsgruppe auf einer nordischen Telefonkonferenz ein Gebiet gesucht, auf dem eine Länder übergreifende skandinavische Zusammenarbeit erprobt werden könnte. Die Wahl fiel auf einen einheitlichen Standard für Mobiltelefonsysteme, obwohl oder gerade weil die bis dahin teure und uneffiziente Technologie ein randständiges Dasein fristete. Die Rahmenbedingungen begünstigten dieses Vorhaben durchaus, weil die beteiligten Länder alle zu klein waren, um allein einen Mobiltelefonstandard hervorzubringen, gleichzeitig aber über ein hohes Niveau in der Telematik verfügten. Ursprünglich ging die Zusammenarbeit auf eine Initiative des 1953 gegründeten Nordischen Rates zurück, der sich zum Ziel gesetzt hatte, Kooperationsarenen in allen möglichen Bereichen zu identifizieren. Vgl. Fomin, V. / Lyytinen, K., How to Distribute a Cake before Cutting it into Pieces: Alice in Wonderland or Radio Engineers‘ Gang in the Nordic Countries? In: Jacobs, Information Technology, S.  223 ff.



3. Veränderungen im Branchensystem321

nen, Mobiltelefonschaltungen, Funkschnittstellen und lokalen Netzen alle offen. Die NMT-Gruppe hatte im Gegensatz zu angelsächsischen Standards wie AMPS oder TACS die technische Beschaffenheit der Basisstationen und Schaltungen genau spezifiziert, was eine Nichtkompatibilität von Komponenten oder Teilsystemen unterschiedlicher Ausrüstungshersteller ausschloss. Drittens sollte das Angebot auf eine rege Nachfrage treffen. Vor allem im innereuropäischen Vergleich wird der Erfolg nachvollziehbar: 1987 gab es in Westdeutschland 14.000 und in Frankreich 12.000 Mobilfunkteilnehmer. In Skandinavien waren hingegen 350.000 Mobiltelefone an das NMT-System gekoppelt.171 International zeichnete sich der Erfolg von NMT ab, als immer mehr Länder wie Spanien und die Benelux-Staaten das System übernehmen wollten. Bereits Ende 1984 nutzten 150.000 Fernsprechteilnehmer NMT-basierte Mobilfunknetze und somit fast genauso viel wie in den USA, wo Mobilfunknetze 170.000 Teilnehmer miteinander verbanden.172 170

c) GSM: Die Begründung eines einheitlichen europäischen digitalen Standards NMT war aus skandinavischer Sicht aber nur ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einem global einheitlichen digitalen Mobilfunkstandard, wie er im Jahr 2000 mit gewissen Einschränkungen Wirklichkeit werden sollte und der zwei andere Vorläufergenerationen der Mobilfunktechnologie ablöste: Eine erste, auf analoger Transmissionstechnik basierende Generation, in der neben NMT auch eine Reihe unterschiedlicher nationaler europäischer Mobilfunkstandards genutzt wurden; dann die zweite, digitale Generation mit einem einheitlichen europäischen, einem einheitlichen japanischen Standard und einer Vielzahl von US-Standards; und schließlich der 3G-Standard, der Daten- und Mobilkommunikation zusammenführte. 170  Damit konnten Mobilfunkdienste über das Netz eines fremden Betreibers oder auch in einem geografischen Gebiet außerhalb des Heimnetzwerkes genutzt werden, indem der Gesprächsteilnehmer automatisch ausfindig gemacht und Anrufe weitergeleitet wurden. Vorher mussten die Fernsprechteilnehmer selbst die Zentrale über den eigenen Aufenthaltsort informieren. 171  Europa bygger ut, in: Dagens Industri, 29. Mai 1987. Warum angefangen mit NMT die Mobilkommunikation in den skandinavischen Ländern und insbesondere in Schweden auf ein so reges Interesse stieß, ist bisher nicht überzeugend erklärt worden. So argumentiert beispielsweise Richards, dass die hohen Kosten für die Festnetzdienste durch die größeren geographischen Distanzen in Skandinavien verursacht wurden. Vgl. Richards, J., Clusters, Competition, and ‚Global Players‘ in ICT Markets: The Case of Scandinavia, in: Bresnahan, T. / Gambardella, A. (Hrsg.), Building High-Tech Clusters: Silicon Valley and Beyond, Cambridge 2004, S. 185. 172  Zur Entwicklung der Teilnehmerzahlen vgl. Garrard, G., Cellular Communications: Worldwide Market Development, Norwood 1998.

322

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Aus Abbildung 8 (324 / 325) geht jedoch nur unzureichend hervor, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts das europäische GSM als de facto-Welt­ standard durchgesetzt hatte, der in 140 Ländern von 400 Millionen Nutzern innerhalb von 370 Netzen genutzt wurde. Damit konnte dieser digitale Standard im Gegensatz zu den konkurrierenden Standards IS-95, PDC, D-AMPS und den weiter im Betrieb befindlichen analogen Mobilfunkstandards eine Nutzungsrate von 60 v. H. aller Mobilfunkteilnehmer weltweit erreichen.173 Der in den späten achtziger Jahren entwickelte Standard war eine Reaktion auf die weit verbreitete Unzufriedenheit mit den analogen Standards, die in der ersten Generation der Mobilfunknetze zur Anwendung kamen.174 Ähnlich wie ursprünglich auch im Falles NMTs kam der Impuls für einen vereinheitlichen europäischen Standard durch die Auffassung zustande, dass sich die Mobilfunktechnik als Feld gemeinsamer Technologiepolitik eignete, und somit zu einer vertieften europäischen Integration beitragen könnte.175 Gleichzeitig sah die EG-Kommission in den achtziger Jahren auch die traditionell starke Stellung der europäischen Telekommunikationsindustrie zunehmend bedroht.176 Auch das im Herbst 1984 begonnene ESPRIT-Forschungsprogramm, in dem Telekommunikationsfragen zunächst nur eine untergeordnete Rolle spielten, war begründet worden, um die innovatorische Lücke im Vergleich zur US-Industrie in der Militär- und Raumfahrttechnologie zu schließen.177 Darüber hinaus sollte im Zeichen der angestrebten innereuro­ 173  Lüders, D., Mobilfunksysteme: Grundlagen, Funktionsweise und Planungs­ aspekte, Würzburg 2001, S. 16. 174  Bei analoger Übertragung werden die Signale als elektrische Schwingungen gesendet; die digitale Übertragung sendet mit einer binären Signalkombination. Die Digitalisierung verringerte nicht nur das Frequenzrauschen, sondern auch die Betriebskosten. Außerdem konnte Software aufgerüstet oder ausgetauscht werden, ohne die Gesamtarchitektur zu verändern. Für die Mobilfunktechnik erwies sich die Digitalisierung schliesslich auch deswegen von Vorteil, weil eine größere Anzahl von Gesprächen auf einer Frequenz übertragen werden konnte, wenngleich sich für umfangreiche Datenübertragungskapazitäten die analoge Technik beispielsweise in Ge­ stalt von Modems besser eignete. 175  Ruottu, A., Governance within the European Television and Mobile Communications Industries: PALplus and GSM. A Case Study of Nokia, Sussex 1998. 176  Als Reaktion auf die empfundene Unterlegenheit gegenüber den USA und Japan waren bereits in den späten siebziger Jahren die COST-Projekte initiiert worden, an denen auch außereuropäische Länder und Schweden in Gestalt von Televerket teilnehmen durften. Später zielten Programme wie RACE unter Einbeziehung der Industrie auf die Begründung einer hegemonialen technologischen Position Europas bei Breitbandnetzwerken. Vgl. zu den Intentionen dieser Programme Glimell, H., Industriförnyelse i Norden: 80-talets programsatsningar i Norden, Roskilde 1988; Genschel, Standards, S. 122 f. 177  ESPRIT war ursprünglich ein Projekt zur grenzüberschreitenden Innovationsförderung auf dem Feld der Datenkommunikation, an dem Ericsson sich noch im



3. Veränderungen im Branchensystem323

päischen Marktliberalisierung durch Kooperation zwischen Industrie, Fernmeldebehörden und Netzbetreibern ein Konsens über technische Spezifika­ tionen erreicht werden, um das Nebeneinander inkompatibler Standards anlässlich des Übergangs zur digitalen Übertragungstechnik zu beenden. Ericsson hatte schon aufgrund seiner Orientierung auf ausländische Märkte wenig Interesse daran, standard wars auszufechten, so dass sich durch die Mitwirkung in supranationalen Standardisierungsgremien oder auch nur Technologieprogrammen die Chance bot, eine umso größere Kundenbasis außerhalb der ‚natürlichen‘ nordischen Arena aufzubauen, je allgemeiner die technischen Grundprinzipien gefasst waren. Schon allein deswegen versuchte der Konzern, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit in gemeinsame Technologieprojekte einzubringen.178 Als die Conference on European Post and Telecommunications (CEPT) mit 26 Mitgliederstaaten 1982 eine Groupe Spécial Mobile (GSM) einberief, die später in Global System for Mobile Telecommunications umbenannt wurde, war auch das Stockholmer Telekommunikationsunternehmen selbstverständlich mit von der Partie. Was dieses Gremium auszeichnen sollte, war das gleichberechtigte Zusammenwirken von Netzbetreibern und Ausrüstern. In der ersten analogen Generation hatten vor allem die Fernmeldebehörden und Netzbetreiber wie die Deutsche Bundespost oder Bell Labs in den USA die technische Entwicklung initiiert, sich aber dann zusehends auf die Bereitstellung von Dienstleistungen orientiert, so dass Netzinfrastruktur- und Endgerätehersteller die Hauptlast bei der Bestimmung von Spezifikationen trugen. Das 1989 als Nachfolgeorganisation eingerichtete European Telecommunications Standards Institute (ETSI), an das bis 1995 die Verantwortlichkeit für die Standardisierungsarbeit sukzessive delegiert wurde, wertete das Gewicht der Ausrüstungshersteller auf, weil im Gegensatz zum technischem Komitee der ITU auch die Hersteller stimmberechtigt Vollmitglieder werden durften.179 ETSI versammelte 500 Mitglieder; je ein Drittel der Stimmen wurde Ausrüstungsherstellern zugestanden, ein Drittel den Netzbetreibern und das restliche Drittel Anwendergruppen und Regulierungsbehörden.180 Trotz des Anspruchs, als offene Organisation zu wirken, nahm das ETSI ab 1988 immer mehr das Rahmen der EIS-Anstrengungen zur Standardisierung elektronischer, vernetzter Schreibmaschinen beteiligte. Vgl. Esprit öppnas för Ericsson, in: Veckans Affärer, 14. November 1985. 178  Ericsson war 1997 an nicht weniger als 20 europäischen Forschungsprogrammen wie ACTS, ESPRIT, TELEMATICS oder BRITE EURAM direkt beteiligt und indirekt an weiteren 16 Teilprojekten durch verschiedene Tochtergesellschaften. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 14 (1997). 179  Genschel, Standards, S. 54. 180  Die ETSI administrierte auch den von der CEPT eingeleiteten Standardisierungsprozess für Paging, der als ERMES 1994 vollendet wurde.

• Fokus auf Sprachüber­ mittlung

• Geringe Sicherheit und Netzkapazitäten

Analoge Über­tragung

Ab 1980

Ab 1993

Digitale Über­tragung

7 Piconetz­ standardsi

• Handliche, kostengünstige Endgeräte

• D-AMPS • CdmaOne

• Piconetze: PHS

• ANSI-95 oder cdmaOne 1995h

• ANSI – 136g

AMPS

US-Standards

• GSM

• DECTe

CT3,

• cdmaOne 1998

Telepoint

• PDCf

• Piconetzed:

NTT System

Japanische Standards

• GSM

• C450 (BRD)

• RTMS (Italien)c

• Radiocom 2000 (Frankreich)b

• TACS (Groß­ britannien)

• NMT (Skandinavien + Benelux)a

Europäische Standards

• Hohe Netzkapazität

Stimmen- und Datenübertragung bis 9,6 kb/s/ TDMA, CDMA

Stimmenübertragung / FDMA

Ausrichtung/ Funktechnik

• Verschlüsselung, hohe Sicherheit

• Applikationen wie ISDNDienste, SMS

• Internationales Roaming

Zweite Generation: • Wenige Systeme

• Unhandliche und teure Endgeräte

• Nationale Systeme

Erste Generation:

Kennzeichen

324 IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

• Applikationen für Endgeräte wie Multimedia, Internet

• Erhöhung der Datenraten

• Steigerung der Funknetz­ kapazität

• Optimierte Übertragungstechnik

• Weltweite Konvergenz der Systeme CDMAk

Stimmen- und Datenübertragung bis zu 2 Mb/s/

Ausrichtung/ Funktechnik

IMT2000

Japanische Standards

UWC 136

cdma2000 hjk

W-CDMA/UMTS

Europäische Standards

US-Standards

Abbildung 8: Entwicklung globaler Mobilfunkstandards 1980–2000

h Vorher IS-95 CDMA. i 3 CDMA-basiert; 2 TDMA-basiert; 1 DECT-basiert; 1 PHS-basiert. k Zusammengestellt nach Garrard, Cellular Communications; Lüders, Mobilfunksysteme, S. 17.

g TDMA-basiert.

e Weitere Standards waren TETRA für den Betriebs- oder Bündelfunk und ERMES für die Funkrufsysteme. f Zunächst JDC.

Flugplätzen zur Anwendung, weil sich schnurlose Telefone für translokale Netzstandards sich als zu störanfällig erwiesen.

c Ab 1989 auch TACS. d Piconetze sind Mobilfunknetze mit geringer Reichweite der Funkstrecken. Solche Piconetze gelangten beispielsweise in Krankenhäusern oder auf

a NMT 900 ab 1986, weil NMT 450 zu stark ausgelastet war. b Ab 1989 auch NMT.

Ab 2000

Multimedia

Dritte Generation:

Kennzeichen

3. Veränderungen im Branchensystem325

326

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Profil einer Standardisierungsbehörde an, obwohl eine Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Systeme und beileibe nicht die Erstellung eines gemeinsamen Standards im Vordergrund stand und Entscheidungen auf der Grundlage von Abstimmungen getroffen wurden.181 Das setzte die Teilnehmer unter Zwang, auch Entschlüsse zu akzeptieren, die den eigenen Inte­ ressen entgegenstanden. Drei grundlegende Fragen mussten bei der Standardwahl entschieden werden: erstens die Wahl der Frequenzbänder, um die Telekommunikationsbehörden auch mit anderen Nachfragern wie Militär, Radio oder Fernsehen konkurrieren mussten.182 Bereits 1979 war der Frequenzraum auf 900 MHz für GSM reserviert worden und eine Gruppe traf sich fortan regelmäßig zum Design der offenen Schnittstellen, damit GSM auf diese Weise die Teilsysteme verschiedener Hersteller integrieren konnte.183 Hinsichtlich der Über­ tragungskapazität galt es zweitens zu regeln, ob man auf Schmalband mit einer Frequenzbandbreite bis zu 3100 Hz und einer Übertragungskapazität von bis zu zwei Mbit / s sendete oder Weit- und Breitband nutzte. Drittens ging es um die Wahl eines Zugriffs- oder Multiplexverfahrens: In jedem Mobilfunksystem wird der Frequenzbereich durch Zugangs- oder Multiplexverfahren in kleinere Funkkanäle unterteilt. Das Frequenzmultiplexverfahren FDMA kam bei fast allen analogen Mobilfunktechniken zum Einsatz, wurde allerdings nach dem Übergang zur digitalen, zweiten Generation der Mobilfunktechnik kaum noch genutzt. In der digitalen Generation konkurrierte das Zeitmultiplexverfahren TDMA mit dem Codemultiplexverfahren CDMA.184 181  Der europäischen Kommission war allerdings das Recht zugesprochen worden, vermeintlich negative Beschlussfassungen für die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu blockieren. s. dazu Bekkers, R. / Verspagen, B. / Smits, J., Intellectual Property Rights and Standardization: The Case of GSM, in: Telecommunications Policy, Vol. 26, Nr. 3 / 4 (2002), S. 177. 182  Dass die Saudis sich 1977 für NMT entschieden, hatte auch damit zu tun, dass die konkurrierende Philips mit einem Frequenzband arbeitete, was schon durch die saudische Armee benutzt wurde, während das mit NMT genutzte 450-MHz-Band noch frei war. So konnte der Standard NMT 900 nach der Öffnung der RGWMärkte deswegen nicht in Osteuropa eingeführt werden, weil das Band schon für militärische Zwecke genutzt wurde. Der osteuropäische Raum war für die skandinavischen Hersteller trotzdem erschließbar, weil man sich für 450 MHz entschied, also die gleiche Grundtechnik wie im NMT 450-System. NMT 450 und die Nachfolgevariante NMT 450i (‚NMT 450improved‘) wurde im Baltikum, Osteuropa und den GUS-Staaten verkauft. Vgl. De baxade Ericsson mot toppen, in: Ny teknik, Nr. 45 (1994), S. 26–29. 183  Um den Anforderungen auch auf außereuropäischen Märkten entgegen zukommen, wurde GSM auf Betrieben der global agierenden beteiligten Unternehmen auch für das 1800-, 1900-, und 800-MHz-Band spezifiziert. 184  Weitere, nicht so relevante Verfahren waren das orthogonale Frequenzmultiplexverfahren OFDMA und das Raummultiplexverfahren SDM. Andere Fragen der



3. Veränderungen im Branchensystem327

Schon Mitte der achtziger Jahre war aber eine wichtige Vorentscheidung gefallen, die den Skandinaviern einen grundlegenden Wettbewerbsvorteil verschaffte. Bei den analogen Systemen arbeiteten noch sämtliche Standards mit dem Zugriffsverfahren FDMA, weswegen sich eine Verständigung in dieser Frage ohnehin erübrigt hatte. 1986 und 1987 stand auf Zusammenkünften der 15 Teilnehmer die entscheidende Frage an, ob die Transmission mit Schmalband- oder Breitbandtechnik bewerkstelligt werden sollte. In Schweden hatte seit 1978 eine Forschergruppe bestehend aus Ingenieuren von Televerket, Ericsson und vier beteiligten Hochschulen beide Technologien in Feldversuchen erprobt und Schmalband aufgrund der höheren Tauglichkeit für dünner besiedelte Regionen vorgezogen.185 Die Skandinavier hatten bei den Versuchen für GSM mit vier Systemen teilgenommen, wovon zwei von Televerket stammten. Die zugehörigen Patente für die Schmalband­ variante Time Division Multiple Access (TDMA) kamen jedoch mit der Ausnahme von Philips allesamt von US-Ausrüstungsherstellern wie Bull, Motorola und AT&T / Bell Labs. Motorola hatte etliche Schlüsseltechnologien an Nokia und Ericsson lizenziert, was der Schmalband-Alternative noch mehr Gewicht verlieh. Die Allianz mit den Amerikanern kam nicht von ungefähr. Ericsson war ein attraktiver Bündnispartner, weil Motorola zwar Endgeräte und Funkbasisstationen im Produktsortiment hatte, aber infolge seines Rückzugs aus dem Vermittlungsstellengeschäft keine eigenen digitalen Vermittlungsstellen vorweisen konnte, weswegen die Skandinavier sich als Partner anboten.186 Ericsson hatte umgekehrt 1986 ein Überkreuzlizenzabkommen mit Motorola abgeschlossen, was die Position des SchmalbandLagers zusätzlich stärken sollte. Dem stand der Vorschlag eines deutschfranzösischen Konsortiums bestehend aus Bundespost, Siemens, France Telecom und Alcatel gegenüber, das aufgrund der eigenen dicht bevölkerten Länder eine Breitbandlösung von SEL / Alcatel favorisierte. Auf andere neutrale Teilnehmer hatte das jedoch wie eine auf Dominanz bedachte Durchsetzung eigener Vorstellungen gewirkt, so dass alle Teilnehmer mit Aus­ nahme der Deutschen und Franzosen auf der entscheidenden Sitzung auf Madeira im Februar 1987 für Schmalband votierten.187 Standardisierungsverfahren, die über den Mobilfunk hinausgingen, waren die Nummerierung, Lizenzen, Zulassungsverfahren von Endgeräten, Lieferungsverfahren. Vgl. zu den Details von Standardisierungsverfahren Bekkers, Development, S. 99 f. 185  Meurling / Jeans, Ericssonkrönikan, S. 358 f. 186  Motorola visar vägen, in: Dagens Industri, 14. Oktober 1994. 187  Cattano, G., The Making of Pan-European Network as a Path-Dependency Process: The Case of GSM versus Integrated Broadband Communication, in: Pogorel, P. (Hrsg.), Global Telecommunication Strategies, Amsterdam 1994, S. 257 ff. Ein Überblick über die verschiedenen Vorschläge von Herstellern und Netzbetreibern findet sich bei Bekkers, Development, S. 288.

328

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Weniger in technischer, sondern in institutioneller Hinsicht zogen sowohl die Standardisierung von NMT als auch GSM eine Reihe von Veränderungen nach sich, so dass sich die in Abschnitt IV.1. dargelegte Sozialkonfiguration zwischen Herstellern und Ausrüstungsherstellern deutlich skandinavischen Verhältnissen annäherte. Zugleich wird deutlich, dass der Standardisierungsprozess in Europa durch eine institutionelle Logik geprägt war, die sich deutlich von der Praxis in angelsächsischen LMEs abhebt. Die Unterschiede lassen sich wie folgt zusammenfassen: Tabelle 8 Institutionelle Unterschiede im Standardisierungsprozess in CMEs und LMEs 188

Europäische Variante Durchsetzungsmechanismus

• Standards als Ergebnis freiwilliger Übereinkommen • Ex ante-Vereinbarung durch Koordination und ‚Coope­ tition‘

Erfolgspara­ meter zwischen Standards

• Unternehmen, Netzbetreiber und Behörden vereinbaren gemeinsam Standards • Größe und Offenheit der Gremien sind entscheidend

Erfolgspara­ meter innerhalb des standard settings

• Einbringen der eigenen Technologie in den Standard • Gewinne durch Lizenzierung der Patentrechte • erfolgreiche Zusammen­ arbeit mit Diensteanbietern in Entwicklungs- und Testphasen

Angelsächsische Variante • Unsponsored Standards • Ex post-Vereinbarung durch Marktfindungsprozesse (best practice) • Best practice durch offenes Verfahren • Wettbewerb zwischen Diensteanbietern und Erzeugern • Einführung superiorer Produkte • Erschließung neuer Kundenkreise und Absatzwege • Erwirtschaftung von Skalen­ erträgen188

Unterschieden wird im Verfahren der Einigung zwischen nicht eigentümerrechtlich geschützten unsponsored standards, die sich im Verlaufe eines nicht organisierten Beitrittsprozesses am Markt durchsetzen, und Stan188  Funk, J., Global Competition Between and Within Standards: The Case of Mobile Phones, Basingstoke 2003, Tabelle 1.1, S. 2.



3. Veränderungen im Branchensystem329

dards als Ergebnis freiwilliger Übereinkommen im Rahmen von Verbänden.189 Der angelsächsische Weg auf der Basis von unsponsored standards war hochgradig durch eine kompetitive Logik geprägt, indem so weit wie möglich versucht wurde, durch ein offenes Verfahren und durch einen ungesteuerten Wettbewerb eine best practice in Gestalt einer ex post-Festlegung zu erreichen. Weder Behörden wie die Federal Communications Commission (FCC) noch die US-Privatwirtschaft erwogen die Möglichkeit einer Teilung von Intellectual Property Rights (IPRs), wie sie im Rahmen des GSM-Standardisierungsverfahrens erfolgen sollte.190 Damit wurde nicht nur eine wettbewerbsfähige Ausrüstungsherstellerbranche verhindert, sondern auch eine gemeinsame Abstimmung in Standardisierungsfragen, so dass geschützte, proprietäre anstelle offener Standards in der US-Mobilkommunikationsindustrie vorherrschten. Die Vorstöße von AT&T in den sechziger Jahren zur Herausbildung eines offenen Standards waren konsequent von der FCC behindert worden. So gaben die Behörden nicht-kooperativen, durch den ungesteuerten Marktprozess hervorgebrachten ex postStandards den Vorzug, so dass der immerhin schon 1970 entwickelte analoge Standard AMPS nie für allgemein verbindlich erklärt wurde.191 Wenig förderlich für die Erzeugung eines einheitlichen Standards wirkte auch der Umstand, dass neben dem American National Standard Institute (ANSI) noch die beiden Betreiberzusammenschlüsse der Betreiber in Gestalt der Cellular Telecommunications Industry Association (CTIA) und der Telecommunications Industry Association (TIA) das Recht zugestanden wurde, Standards zu initiieren. Dass diese Praxis den anfänglichen Wettbewerbsvorteil der US-Amerikaner vor allem in technischer Hinsicht wieder zunichte machte, lässt sich anhand der Zuwachsraten bei Mobiltelefonen erläutern. Unzweifelhaft stieß die erste, analoge Generation in den USA auf eine größere Nachfrage als anderswo; bei der zweiten Generation sollte hingegen die Marktdurchdrin189  Sponsored standards werden durch einen oder mehrere Förderer, die die Eigentumsrechte am Standard ausüben können, durch geeignete Maßnahmen am Markt durchgesetzt. Vgl. dazu David, P. / Greenstein, S., The Economics of Compatibility of Standards: A Survey, in: Economics of Innovation and New Technology, Vol. 1, Nr.  1 / 2 (1990), S.  3–41. 190  Die Bell Telephone Laboratories wurden gemeinsam von AT&T und Western Electric besessen, die 1996 zusammen mit dem größten Teil der Geräteherstellung in das neu gegründete Unternehmen Lucent Technologies überführt wurden. Bezeichnenderweise sollten bei der Deregulierung in den USA 1984 die regionalisierten Netzbetreiber in Gestalt der Bell-Gesellschaften keinen Zugang zu den FuERessourcen von Bellcore erhalten. 191  Zur generellen Standardisierungspraxis und branchenübergreifenden institutionellen Unterschieden vgl. auch Tate, J., National Varieties of Standardization, in: Hall / Soskice, Varieties, S.  442–540.

330

IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

gung in Europa und auch in Japan deutlich über dem US-Niveau liegen. Ganz den Prämissen des freien Wettbewerbs entsprechend hatte man auf einen allgemeinverbindlichen digitalen Standard verzichtet, und drei konkurrierende inkompatible Mobilfunkstandards und sogar sieben Piconetzstandards durch das ANSI zugelassen. Die Vielfalt führte jedoch nicht zu dem beabsichtigten best practice-Verfahren, sondern verkehrte die anfänglichen vorteilhaften Rahmenbedingungen in einen Wettbewerbsnachteil. Grundsätzlich hatte in den USA die sehr hohe Marktdurchdringung mit analogen Mobilfunkgeräten dazu geführt, dass Konsumenten und Anbieter die Kosten der Umstellung auf digitale Mobiltelefone eher zögerlich auf sich nahmen. Kann in diesem Falle noch von einer kontingenten Faktoreinwirkung gesprochen werden, wurde diese wait and see-Attitüde vieler Betreiber durch die institutionellen Rahmensetzungen und das einseitige Vertrauen auf Marktwirkungsmechanismen verstärkt. Erstens führte die Inkompatibilität der digitalen US-Standards zu einem geringen landesweiten Deckungsgrad, so dass weder für Endkunden noch für Netzbetreiber ein Anreiz entstand, sich für die digitale Mobilkommunikation zu entscheiden. Zweitens bewirkte das Fehlen einheitlichen Standards, dass mögliche Skaleneffekte in der Produktion von Mobiltelefonen und Funkbasisstationen infolge fehlender Netzwerkexternalitäten als zu gering eingeschätzt wurden. Die Vielzahl der Standards führte drittens dazu, dass der notwendigen Erschließung neuer Kundenkreise Grenzen gesetzt wurde. Zu guter Letzt wirkten die hohen Lizenzkosten für die Frequenzen ebenfalls nicht investitionsanreizend.192 Die Bemühungen um die Hervorbringung des GSM-Standards in Europa sollten hingegen von deutlich mehr Erfolg begleitet sein. Ganz in der Tradition korporativer Marktwirtschaften und ihrer Nutzung marktaverser Mechanismen fand erstens das standard setting antizipatorisch im Rahmen einer ex ante-Koordination als Ergebnis freiwilliger Übereinkommen statt, indem technische Spezifikationen vor der Produkteinführung vereinbart wurden, und somit ein best practice-Verfahren bereits am Markt eingeführter Technologien ausgeschlossen wurde. Das galt nicht nur für Frequenzband und Multiplexverfahren, sondern noch für eine ganze Reihe technischer Details. Das Zustandekommen des GSM-Standards verweist auf eine weitere institutionelle Eigenart der Telekommunikationsbranche in Gestalt der häufigen Nutzung von coopetition-Konstellationen. Im Regelfall vollzieht sich diese Variante strategischer Koordination innerhalb eines identischen Wertschöpfungsabschnitts, während die ansonsten marktlich unverbundenen Partner 192  Kano, S., Technical Innovations, Standardization and Regional Comparison: A Case Study in Mobile Communications, in: Telecommunications Policy, Vol. 24, Nr. 4 (2000), S. 316.



3. Veränderungen im Branchensystem331

auf den Endproduktmärkten gegeneinander konkurrieren. Ein Zusammenwirken ereignet sich vorrangig bei Forschungs- oder Entwicklungsaufgaben oder in der Herstellung, während in den anderen Bereichen die Unternehmen als eigenständige Wettbewerber auftreten. Diese meistens zeitlich begrenzte Koordination verschaffte insbesondere Telekommunikationsunternehmen dann Effizienzgewinne, wenn Risiko und Kosten durch die Zusammenführung von Entwicklungsressourcen anlässlich der Erschließung neuer Technikfelder minimiert werden konnten.193 Im Falle von GSM wurde dementsprechend eine neue Technologieplattform kreiert, indem einbezogene Akteure intern generierte Kompetenzen oder Innovationen zur Verfügung stellten. Gleichzeitig beschränkte sich diese Form strategischer Koordination auf die gemeinsame Festlegung der technischen Details bei gleichzeitiger Zugänglichmachung von Forschungsergebnissen oder Technologien; weder in Herstellung oder Vertrieb und schon gar nicht in der Auftragsvergabe ging man gemeinsame Wege, obwohl die Protektion der national champions aufgegeben werden musste: Offener Wettbewerb, der sich allerdings auf den formierten Klub beschränkte, war erstmals ausdrücklich gewollt, um einen Benchmarking-Prozess betreiben zu können.194 Die Begründung von Spezifikationen hätte auch als geschlossenes Verfahren gestaltet werden können, um eine privilegierte Gruppe und deren Technologiewahl zu bevorzugen. Dem standen aber wohl die Lernerfahrungen mit NMT, die Vielzahl der Akteure aus 26 Mitgliederstaaten und der damit drohenden Blockade durch Partikularinteressen, aber auch die Leitidee des internen Wettbewerbs gegenüber, die das letztendliche Ergebnis auf der Produktseite offenließ.195 Damit erübrigte sich auch eine Bevorzugung von Ausrüstern oder Netzbetreibern: Mobilfunknetzbetreiber, Behörden und Endgerätehersteller mussten im Interesse der angestrebten maximalen Kompatibilität miteinander auf Augenhöhe kooperieren, nicht zuletzt um in Entwicklungs- und Testphasen zur Ausnutzung der Netzwerkexternalitäten eine maximale Abstimmung mit den Anforderungen der Diensteanbieter zu gewährleisten. Grundsätzlich wurde jedoch das Wettbewerbsverhältnis gemäß den coopetition-Prinzipien zwischen allen involvierten Akteuren nicht aufgehoben. 193  Zur Gestalt der Coopetition siehe insbesondere Bengtsson, M. / Kock, S., „Coopetition“ in Business Networks – to Cooperate and Compete Simultaneously, in: Industrial Marketing Management, Vol. 29, Nr. 5 (2000), S. 411–426. 194  Amendola, G. / Ferraiuolo, A., Regulating Mobile Communications, in: Telecommunication Policy, Vol. 19, Nr. 1 (1995), S. 29–42. 195  Anfangs hatten Ausrüstungshersteller wie Alcatel, Ericsson, Motorola, Philips und Siemens dem GSM-Standardisierungsverfahren sogar skeptisch gegenübergestanden, weil etliche darin ein Einfallstor für die japanische Konkurrenz sahen. Vgl. Cattaneo, Making, S. 67.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Es war allerdings eben jene Aushebelung der Wettbewerbsprinzipien, von der Ericsson genauso wie Nokia nicht unwesentlich profitieren sollte, da vor allem relevantes Know-how Motorolas im Zuge des Standardisierungsverfahrens teilweise zugänglich gemacht werden sollte. Ein Blick auf die GSM-Patentanmeldungen enthüllt, dass insbesondere in der Anfangsphase weniger die Europäer, sondern die Amerikaner in der Gestalt des Teilnehmer Motorolas ihre frühen Erfahrungen bei TDMA-Modulation oder Kodiertechnik zur Geltung bringen sollten.196 Vor allem bei der Gesamtpatentverteilung zeigt sich, dass Ericsson sogar nur einen bescheidenen Anteil an der Genese des neuen Standards hatte, der Löwenanteil hingegen sogar von Motorola kam.197 Dass die US-Amerikaner überhaupt bei GSM mitwirkten, war weniger auf eine neu entdeckte Vorliebe für europäische Standardisierungspraktiken zurückzuführen. Die EG-Kommission hatte 1987 vorgeschlagen, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an nicht-europäische Anbieter mindestens drei v. H. Preisabschlag und die Platzierung von mindestens 50 v. H. der mit den Aufträgen verbundenen Herstellung in einem EG-Mitgliedsstaat zu verlangen. Solche neomerkantilen Initiativen waren weniger bedrohlich für Ericsson mit Herstellungsanlagen in 11 EGLändern, sondern für die US-Unternehmen, die prinzipiell darauf hofften, ihre Marktanteile in Europa ausbauen zu können.198 Vor allem Motorola hatte sich Mitte der achtziger Jahre in einer ähnlich ungünstigen Situation befunden wie Ericsson. Auf dem Heimatmarkt war AT&T zu diesem Zeitpunkt noch ein übermächtiger Konkurrent und in Europa war noch nicht absehbar, dass sich an der protektionistischen Politik der Betreiber etwas 196  Glimstedt, H., Competitive Dynamics of Technological Standardization: The Case of Third Generation Cellular Communications, in: Industry and Innovation, Vol. 8, Nr. 1 (2001), S. 49–78. 197  Auf Innovationen des Unternehmens aus Illinois gingen rund 16 v.  H. des gesamten Patentpools zurück, während AT&T und Bull und Philips mit jeweils 8 v.  H. auch nicht unerheblich zur Technologieentwicklung beitrugen. Bezeich­ nenderweise hielt Motorola nur wenig Patente in der Vermittlungsstellentechnologie, sondern vor allem in den Anwendungsbereichen für die Endkunden. Vgl. Bekkers, R. / Liotard, I., The Tense Relation Between Mobile Telecommunications Standards and IPR, in: European Intellectual Property Review, Vol. 21, Nr. 3 (1999), S. 123. 198  Iversen, E., Standardization and Intellectual Property Rights: Conflicts be­ tween Innovation and Diffusion in New Telecommunications Systems, in: Jacobs, K. (Hrsg.), Information Technology Standards and Standardization: A Global Perspective, London, S. 94 ff. Die FCC (Federal Communications Commission) als zuständige US-Behörde für das Fernmeldewesen reagierte auf diesen Vorstoß damit, vor der Genehmigung einer Bestellung penibel die Verhältnisse auf dem Heimatmarkt des Ausrüsters dahingehend zu prüfen, ob dort US-Konkurrenten diskriminiert würden. Vgl. EG bygger mur mot Ericsson och Nokia, in: Dagens Industri, 8. November 1989.



3. Veränderungen im Branchensystem333

ändern würde. Indem sich die US-Unternehmen in den Standardisierungsprozess einbrachten, hofften sie, in Gestalt von Lizenzen für ihre Technologie eine profitable Einnahmequelle zu sichern. Diese Lizenzen sollten auch eine Gewinnquelle für alle involvierten Akteure sein, um sie auf diese Weise zu entschädigen, dass sie ihr Know-how in Form eines Klubguts unentgeltlich zur Verfügung stellten. Insofern mussten die Beteiligten dass Problem eines trade-offs zwischen den Intellectual Property Rights und deren limitierter Vergemeinschaftung innerhalb des Klubs lösen: Einerseits sollten die IPRs Innovationsrenditen garantieren. Andererseits wurde mit den Mobilfunkstandards ein gemeinsamer Pool an Patenten geschaffen, dessen Nutzung weitestgehend allen offen stand, die den Standard nutzen wollten oder zu dessen Entstehen beigetragen hatten.199 Vor allem auf Druck der Netzbetreiber sollte die ETSI im März 1993 eine P ­ olitik des ‚licensing-by-default‘ einführen: Patenthalter mussten mehr oder minder bis zur angekündigten Nutzung von Rechtsmitteln automatisch IPRs lizenzieren, während bei anderen Standardisierungsbehörden die Patenthalter explizit das Einverständnis zur Lizenzierung von IPRs erteilen mussten. Die europäischen Betreiber wollten Herstellern nur dann Aufträge gewähren, wenn diese die Betreiber gegen Patentverletzungen in Schutz nahmen, auch wenn diese von den Betreibern selbst ausgingen. Darüber hinaus sollten die Hersteller weltweit Lizenzen zur Verfügung stellen, die zur Implementation des GSM-Systems erforderlich waren. Beide Bestimmungen wurden von den Ausrüstungsherstellern mehr oder minder widerwillig akzeptiert.200 Obwohl diese Interessensdivergenz noch einmal deutlich vor Augen führt, welche Macht die Netzbetreiber im Branchensystem ausüben konnten, sollte sich im Zuge der Inwertsetzung der GSM-Patente jedoch weniger ein Konflikt zwischen Betreibern und Ausrüstungsherstellern abzeichnen, sondern vielmehr zwischen europäischen und US-amerikanischen Ausrüstungs199  Vor allem so genannte essentielle IPRs schufen Probleme, weil sie einerseits Standards entsprechen sollten, gleichzeitig das implizite Wissen der Patentgeber geschützt werden musste, um so mögliche Mitläufereffekte in Gestalt von bandwagon effects zu unterbinden. Zu deren Auswirkungen vgl. Farrell, J. / Saloner, G., Competition, Compatibility and Standards: the Economics of Horses, Penguins and Lemmings, in: Gabel, L. H. (Hrsg.), Product Standardization and Competitive Strategy, Amsterdam 1987, S. 1–21. 200  Garrard, Cellular Communications, S. 139; Cattaneo, Making, S. 63 f. Später kam man den Ausrüstungsherstellern entgegen, indem die Betreiber vor einer mögliche Inanspruchnahme von IPRs die ETSI informieren mussten und Patenthalter auch eine Lizenzierung verweigern konnten. Vgl. Zur Problematik der IPRs in Standardisierungsprozessen vgl. insbesondere Weiss, M. / Spring, M., Selected Intellectual Property Issues in Standardization, in: Jakobs, Information Technology, S. 63–79.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

herstellern. Die US-Unternehmen waren sich offensichtlich der Relevanz der IPRs nicht zuletzt wegen spektakulärer Rechtsstreitigkeiten in den achtziger Jahren mehr bewusst als die Europäer. Hingegen waren Ericssons Patente in den achtziger Jahren kaum angemeldet worden, da es schlicht keine Möglichkeit zu deren Kommerzialisierung auf internationaler Ebene gab.201 Die Erfahrungen mit NMT hatten das Unternehmen allerdings dann für die Notwendigkeit einer aktiveren Patentstrategie sensibilisiert.202 Auch opponierten die Schweden aus verständlichen Gründen gegen das Prinzip der Austauschbarkeit von Technologie bei den GSM-Vermittlungsstellen, was man im Falle NMTs noch für gut befunden hatte.203 Mit anderen europäischen Herstellern wie Philips hatte Ericsson jedoch im Zuge des GSMStandardisierungsprozesses vereinbart, Patentrechte in der Mobilfunktechnik auszutauschen.204 Motorola ließ hingegen die Rechte an seinen Innovationen umfassend schützen, während andere Hersteller offensichtlich die Frage der property rights durch ein gentleman’s agreement als geklärt betrachteten und auf dementsprechende Schritte verzichteten.205 Diese eigenwillige Vorgehensweise drohte den Erfolg von GSM zu blockieren, weil Motorola nur spärlich Aufträge in der Anfangsphase akquirieren konnte, die erfolgreicheren Mitanbieter jedoch immer Motorolas Lizenzen erhalten mussten. Motorola war nur zu Überkreuzlizenzen und nicht zu Lizenzverträgen bereit, in denen der Lizenznehmer die Nutzungsrechte gegen einen Geldbetrag erwarb.206 Ericsson und Motorola konnten aber schließlich 1992 ein Lizenzabkommen unterzeichnen, in dessen Rahmen sich beide Vertragsnehmer das Recht einräumten, die wichtigen GSM-Patente beider Unternehmen anwenden zu dürfen.207 Auch mit Nokia, Siemens und Alcatel wurden Abkommen abgeschlossen, so dass sich dieser Kreis einschließlich Ericsson im GSM-Netzinfrastruktur- und Endgerätemarkt die 201  Interview

mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. Unzufriedenheit mit dem ungenügenden Schutz eigener proprietärer Technologie war ein wesentliches Motiv für den Aufbau einer eigenen zentralisierten Patentabteilung in den frühen neunziger Jahren. Vgl. Ericssons GSM-satsning visar på patentens vikt, in: Finanstidningen, 13. Mai 1993; Ericsson patentklättrar, in: Dagens Industri, 10. Oktober 1994. 203  Garrard, Cellular Communications, S. 144. 204  Ericsson och Philips i mobiltelesamarbete, in: Dagens Industri, 20. April 1991. 205  Granstrand, O., The Economics and Management of Intellectual Property: Towards Intellectual Capitalism, Cheltenham, 1999, S. 207. 206  Cattaneo, Making, S. 64 f. 207  KONTAKTEN, Nr. 5 (1992). Man hatte sich auch geeinigt, auf der Basis eines Entwicklungsplans das gemeinsame Funktionieren von Motorolas Basisstationen und Ericsson GSM-Schaltungen zu ermöglichen. Vgl. Ericsson och Motorola i avtal om GSM-teknik, in: Elektroniktidningen, Nr. 6 (1992), S. 5. 202  Die



4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992335

ungehinderte Marktführerschaft sichern konnte. Die institutionelle Lösung der Kreuzlizenzen reduzierte nicht nur die Marktrisiken, sondern schuf zugleich auch wirksame Eintrittsbarrieren gegenüber kleineren europäischen, nicht am Standardisierungsprozess beteiligten Firmen wie Matra oder der dänischen Dancall. Außen vor gehalten werden konnten damit auch die japanischen Hersteller, die zwar 1992 vielversprechende GSM-Endgeräte vorgestellt hatten, jedoch erst später im Verlauf der neunziger Jahre die notwendigen Lizenzen erhielten, so dass das Geschäft vorerst den am Standardisierungsverfahren beteiligten Klubmitgliedern in Gestalt der Europäer und US-Amerikaner vorbehalten blieb. 4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992 und das Entstehen eines global players in der Mobilkommunikation Dass die jeweiligen Behörden und Netzbetreiber sich für die Einführung von GSM entschieden, bedeutete allerdings nicht, dass Ericsson bei der Installation und Produktlieferung gegenüber den anderen im Standardisierungsprozess mitwirkenden Ausrüstungsherstellern den Vorzug erhielt. Im Rennen um solche Aufträge konnte das Stockholmer Unternehmen allerdings zwei maßgebliche Vorteile ins Feld führen: So sollte sich als entscheidender Vorteil Ericssons herausstellen, dass der Konzern früher als andere Konkurrenten ein weltweites Netz von Kundenverbindungen aufgebaut hatte, bevor die jeweils nächste Generation der Mobilfunksysteme eingeführt worden war. So gelang es Ericsson, in 29 der 39 Länder, die jeweils ein NMT-basiertes Mobilfunknetz einrichteten, Aufträge zu akquirieren. Zwischen 1989 und 1992 kamen 26 neue Länder hinzu, in denen 11 NMTund 15 TACS- oder AMPS-Systeme installiert wurden; in allen konnte Ericsson Aufträge bekommen, da das Stockholmer Unternehmen auch die Technologie für die angelsächsischen Standards im Produktsortiment vorrätig hielt. Entscheidend war doch, dass man bei der Umstellung auf die zweite Generation Netzbetreiber häufig auf denjenigen Ausrüster vertraute, der sich bereits bei der Einführung eines analogen Mobilfunknetzes bewährt hatte. Vor allem im Falle der GSM-Systeme lässt sich nachvollziehen, wie nachhaltig sich eine frühe Kundenbindung auf Folgeaufträge auswirkte: Von 27 großen Netzbetreibern, die 1998 analoge und digitale Mobilfunknetze betrieben, wurden die Aufträge für das digitale Netz an mindestens einen Ausrüstungshersteller vergeben, der bereits bei der Ausrüstung des analogen Netz tätig gewesen war. Das begünstigte Hersteller wie Ericsson, die schon in der analogen Ära eine forcierte Internationalisierung betrieben hatten. Im Falle NMTs lässt sich diese Kontinuität sogar noch deutlicher nachweisen, da alle Netzbetreiber, die NMT 400 und NMT 900-Systeme installiert hat-

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

ten, auf genau den gleichen Ausrüster zurückgriffen.208 Ericsson sollte vor allem in Europa maßgeblich davon profitieren, nicht nur in vielen Ländern bereits als Ausrüstungshersteller tätig zu sein, sondern zudem die Funktion als Erst- oder Zweitlieferant im Falle der analogen Generation der Mobiltelefonie innegehabt zu haben. Zudem konnte Ericsson auf allen Märkten einen Wettbewerbsvorteil realisieren, auf denen AXE bereits installiert war, da die Vermittlungsstelle infolge ihrer modularen Architektur ermöglichte, von analoger auf digitale Übertragung umzustellen und auf diese Weise die Kapazitätsausweitung für die Netzbetreiber mit einem Minimum an Kosten zu bewerkstelligen. Außerdem zog Ericsson einen erheblichen Nutzen daraus, als Systemanbieter aufzutreten, da der Konzern in Europa in der Regel bei den Netzbetreibern sowohl Funkbasisstationen als auch Vermittlungsstellen installierte.209 Was für einen überwältigenden Erfolg die Einführung von GSM für den Konzern bedeutete, lässt sich schon allein daran ermessen, dass alleine bis 1992 der Konzern 14 der 27 neuen GSM-Mobilfunknetze in Europa mit einem kumulierten Auftragswert von fünf Mrd. SKr ausgerüstet hatte, was 60 v. H. des europäischen Marktes entsprach. In 17 europäischen Ländern hatte Ericsson 13 Netzausrüster für seine GSM-Systeme gewinnen können.210 Dabei ist auffällig, dass Ericsson vor allem bei der Erstinbetriebnahme von Netzen eine großen Umsatz vermelden konnte, da 1994 33 v. H. aller Aufträge für GSM-Vermittlungsstellen und 32 v. H. aller GSM-Funkbasisstationen durch das Stockholmer Unternehmen ausgeführt wurden.211 Entscheidend für die Sicherung der Marktmacht waren vor allem die mit einer hohen Profitabilität verbundenen turn key-Unterfangen. Wenn einem Ausrüster die vollständige Entwicklungs- und Installationsarbeit alleine überlassen blieb, ging das in der Regel mit gewinnträchtigen Folgeaufträgen einher. Weil Mobilfunksysteme in jedem Fall auf einem Standard beruhten, und es keine Marktvarianten bei der Funkübertragung gab, verringerte sich auch die Möglichkeit der Netzbetreiber, wie bei Festnetzen verschiedene Ausrüster und deren Produkte für unterschiedliche Abschnitte der Netzwerkarchitektur einzusetzen.212 Immerhin fünf von siebenundzwanzig GSMBetreibern ließen bis 1992 das Netz komplett von Ericsson ausrüsten, obwohl auch Alcatel, Nokia, Siemens, Motorola und Philips Vermittlungsstel208  Funk, J., Global Competition Between and Within Standards: The Case of Mobile Phones, Basingstoke 2003, S. 99. 209  Ebd., Tab. 4.10, S. 113 f. 210  Från 6 till 60 miljarder på fem år, in: Dagens Industri, 11. Mai 1993. 211  Mobiltelefoni: Ericsson leder GSM-ligan, in: Veckans Affärer, 7. November 1994. 212  Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008.



4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992337

len und Funkbasisstationsanbieter anboten und es im Falle von GSM möglich war, die Aufträge für ein Netz unter mehreren Anbietern aufzuteilen.213 Gerade bei der Erstinbetriebnahme des Netzes konnte der Stockholmer Konzern hinsichtlich der Funkbasisstationen über 50 v. H. und hinsichtlich der für Vermittlungsstellen sogar 65 v. H. aller Aufträge erlangen.214 Schon auf einer Pressekonferenz anlässlich der CeBIT 1993 konnte VD Ramqvist stolz einen Weltmarktanteil von 60 v. H. bei digitalen Mobilkommunikationssystemen für Ericsson vermelden, fast doppelt so viel wie die Wettbewerber Motorola und AT&T.215 Der Erfolg des Standards sollte sich aber nicht auf den europäischen Raum beschränken. Bereits 1995 hatten weltweit 99 Länder GSM als Systemstandard angenommen und nur ein Jahr später sollten schon GSM-Mobilfunknetze in 103 Ländern in Betrieb sein.216 Nun zeigte sich, dass die frühe Präsenz Ericssons in Schwellenländern wie Thailand, Indien oder China in Aufträge umgemünzt werden konnte. Auch in Ländern, die nie ein analoges Mobiltelefonnetz hatten, sondern direkt GSM einführten, wurden Aufträge akquiriert, wie in Indien, wo der erste GSMKontrakt 1995 unterzeichnet wurde. Im gleichen Jahr beanspruchte Ericsson immerhin einen weltweiten Marktanteil von 48 v. H. für alle Mobilfunkvermittlungsstellen, von 37 v. H. für Funkbasisstationen und 25 v. H. für alle Endgeräte für sich.217 Dass Ericsson eine so übermächtige Position erlangen konnte, war zum Großteil sicherlich auf die ubiquitäre Akzeptanz des GSMStandards zurückzuführen. Daneben gab es aber noch einen weiteren Grund, den der VD Lars Ramqvist in der Rückschau wie folgt hervorhob: „1990 kam GSM, aus nationalistischen und politischen Gründen setzten die USAmerikaner und Japaner schnell auf neue digitale Standards. Sollten wir nun drei Standards entwickeln oder nicht? Sollten wir sie gleichzeitig entwickeln? … Die Entscheidung, alle drei Systeme zu entwickeln, verschaffte uns die 60 v. H. auf den Weltmärkten.“218

In der Tat war Ericsson der einzige Ausrüstungshersteller, der nicht nur sowohl bei der ersten als auch zweiten Generation der Mobilfunktechnik vertreten war, sondern sich auch beim standard setting aller Mobiltelefon213  Ericsson störst i Europa- har redan 60 procent av GSM-marknaden, in: D ­ agens Industri, 27. Oktober 1992. 214  Funk, Global Competition, Tabelle 4.7, Tabelle 4.8, S. 108. 215  KONTAKTEN, Nr. 3, 1993. 216  Angaben nach KONTAKTEN, Nr. 18 (1995); Edquist, C., The Fixed Internet and Mobile Telecommunications Sectoral System of Innovation: Equipment Production, Access Provision and Content, in: Ders. (Hrsg.) The Internet and Mobile Telecommunications System Of Innovation: Developments in Equipment, Access and Content, Cheltenham 2003, S. 23. 217  Bekkers, Development, Tabelle 8.12, S. 330. 218  KONTAKTEN, Nr. 2 (1994).

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standards in Europa, Nordamerika und Japan engagierte.219 Schon früh hatte Ericsson die Strategie praktiziert, für mehrere Standards Ausrüstung zur Verfügung stellen zu können.220 Diese Strategie wurde als unabdinglich eingeschätzt, um den eingeschlagenen Wachstumspfad fortsetzen zu können.221 Dementsprechend entwickelte der Konzern nicht nur Ausrüstung für GSM, sondern auch für die Standards Digital-AMPS und PDC. Am einfachsten gestaltete sich die Zusammenarbeit in Japan, wo 1992 die japanische Telekommunikationsgesellschaft NTT begonnen hatte, das analoge Mobilfunknetz zu digitalisieren, um im März 1993 ein 800 MHz-System mit Ericsson als einem von drei Lieferanten in Betrieb zu nehmen.222 Seit 1989 hatte Ericsson an Feldversuchen zur Schaffung eines digitalen Standards teilgenommen.223 Im Mai 1990 schlossen Ericsson und NTT ein Kooperationsabkommen zur gemeinsamen Arbeit an einem digitalen Mobiltelefonsystem, das nebenbei AXE auf dem japanischen Markt etablieren sollte.224 Ein letter of intent NTTs hatte Anfang 1992 die gemeinsame Entwicklung des japanischen digitalen Mobiltelefonsystems mit Ericsson vereinbart. Es war das erste Mal, dass die Telekommunikationsgesellschaft überhaupt ein Abkommen mit einem europäischen Unternehmen einging und dem konzernintern ein hoher strategischer Wert zugemessen wurde, da Japan das einzige Industrieland weltweit war, in dem Ericsson noch kein Mobiltelefonsystem installiert hatte.225 Ganz in der Tradition japanischer Wirtschaftskultur hatte die Behörde 1989 den digitale Standard PDC initiiert, der ausschließlich für den japanischen Markt bezweckt war, und ansonsten nur noch in 219  Bekkers,

Development, Tab. 12. 10, S. 538. man in Großbritannien für BT ein NMT 900-Netz ausrüstete, förderte Ericsson trotzdem die Einführung von TACS, da man zuvor Ausrüstung für das verwandte AMPS entwickelt hatte. Vgl. Funk, Global Competition, S. 59. 221  Anfänglich, als der Erfolg der Mobilkommunikation sich noch keineswegs so deutlich abgezeichnet hatte, verbargen sich auch keine große Ambitionen dahinter, weil die Konzernleitung zunächst im Sinn hatte, die angestammten Kunden zu behalten und die Bindungen zu ihnen dadurch zu festigen, indem man sie in die nächste Phase des technischen Zyklus begleitete. Dieser Beschluss wurde bereits 1987 / 1988 gefasst, als Ramqvist noch als technischer Direktor amtierte. Vgl. Interview Lennart Grabe, Stockholm 3. Juli 2007. 222  KONTAKTEN, Nr. 1 (1995). 223  Ericsson hatte nach Bekanntgabe der Deregulierung des Telekommunikationsmarktes 1985 sofort eine Abteilung eingerichtet, um technische Entwicklungen adäquat begleiten zu können. Vgl. Partner öppnar ny jättemarknad, in: Veckans Affärer, 14. Oktober 1992. 224  Ericsson in i Japan, in: Dagens Industri, 18. Mai 1990; Ericsson siktar på Japan med AXE, in: Dagens Industri, 7. August 1990. 225  KONTAKTEN, Nr. 4 (1990); Ericsson-framgång i Japan, in: Dagens Industri, 20. September 1991. 220  Als



4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992339

Thailand installiert wurde, auch weil der Netzbetreiber NTT DoCoMo keine Erlaubnis zum Betrieb außerhalb seines Heimatlandes erhielt.226 Das gemeinsame Entwicklungsprojekt zusammen mit NTT und Nippon Telegraph sowie ein Auftrag der Tokyo Digital Phone sollten den Durchbruch auf dem japanischen Markt bedeuten, so dass mit der 1994 erfolgten Lieferung des ersten Mobiltelefonsystems Ericsson zu Recht von sich behaupten konnte, auf allen größeren Märkten in Asien etabliert zu sein.227 Wirkt die Durchsetzung eines landesweiten Standards in Japan wie eine erfolgreiche Blaupause des hierarchiegeleiteten standard settings in Europa, so wurde der Durchbruch auf dem US-Markt in erster Linie durch die gewollte Vielfalt an Standards erschwert, die ganz dem liberalen Leitbild der prozeduralen best practice entsprach. US-Betreiber neigten zudem deutlich häufiger zum Wechsel der Ausrüster, auch wenn Ericsson mit McCaw, PacTel und später auch mit Bell South drei gewichtige Netzbetreiber an sich binden konnte.228 Bei Mobiltelefonen beeindruckten die Schweden mit einem Marktanteil von 22 v. H., obwohl die USA in 300 ‚Empfangsbereiche‘ eingeteilt worden war, in denen von den zwei Betreibern jeweils einer immer eine BellGesellschaft sein musste.229 Trotz solcher Schwierigkeiten schienen die Aussichten vielversprechend, sich auch in Nordamerika durchsetzen zu können. Ericsson hatte 1990 einen Auftrag im Wert von 1,5 Mrd. SKr zur Modernisierung des bisher von Motorola ausgerüsteten New Yorker Mobilkommunikationssystems erhalten. In diesem Zusammenhang hatte sich wieder einmal AXEs modulare System­architektur bewährt, da Ericsson auch deswegen den Zuschlag erhalten hatte, weil das analoge Netz mit einer AXE-Vermittlungsstelle die Kapazität aufgrund des Übergangs zu digitaler Technik ausgeweitet werden konnte. Damit fasste die von Ericsson und auch von Northern Tele226  Begünstigt wurde die angestrebte Markterschließung durch den Umstand, dass bereits Mitte der achtziger Jahre das System JAMPS gescheitert war und die beiden von der NTT beauftragten Hersteller Daini Denden und Japan Idou Tsushin bei der Entwicklung eines TACS-Ablegers erfolglos geblieben waren. Die Einführung des US-amerikanischen Standards oder von GSM hatte das japanische Post- und Telekommunikationsministerium abgelehnt. Ohnehin war PDC trotz der Verwendung von TDMA und gewissen Analogien zu D-AMPS aufgrund der Frequenznutzung mit anderen Standards nicht kompatibel. Vgl. Edquist, Fixed Internet, S. 27. 227  Ericsson war auch das erste Unternehmen, das mit dem Verkauf von Mobiltelefonsystemen an die Hongkonger Unternehmen Pacific Link und Smart Com die Digitalisierung der Mobilfunknetze in Asien eingeleitet hatte. Vgl. Ericsson digitalpionjärer i Asien, in: Dagens Industri, 21. Oktober 1992. 228  Funk, Global, Tabelle 4.6, S. 103. 229  Da sich die Bell-Gesellschaften vorwiegend für die Ausrüstung von AT&T, Northern Telecom oder Motorola entschieden hatten, kooperierte Ericsson mit den freien Betreibern, bei denen man 1989 einen Marktanteil von 44 v. H. vorweisen konnte. Vgl. USA-genombrott på ett halvår, in: Dagens Industri, 31. Mai 1990.

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com unterstützte TDMA-Transmissionstechnik neben der von Motorola favorisierten CDMA-Technik Fuß.230 Die Konversion von analoger zur digitalen Generation sollte zunächst mit dem von der CTIA 1991 genehmigten D-AMPS-Standard erfolgen, der infolge einer hohen Kompatibilität mit AMPS umfassende Infrastrukturinvestitionen ausschloss.231 AMPS arbeitete mit Empfängersignalen auf 824 bis 849 MHz und Sendesignalen auf 869 bis 894 MHz, was FDMA als Multiplexverfahren begünstigte. Obwohl außerdem die Übertragungskapazität mit 7,25 kbit / s im Vergleich zu PDC mit 14,4 kbit / s und GSM mit 13 kbit / s außerordentlich bescheiden ausfiel, favorisierte Ericsson D-AMPS, weil seine Kunden McCaw Cellular, RogersCantel und BellSouth sich dafür entschieden hatten.232 Wie wenig jedoch dieser Standard in den ersten Jahren dem Anspruch einer best practice gerecht werden konnte, zeigt sich daran, dass sich Mitte der neunziger Jahre nach GSM das japanische PDC-System mit 2,3 Millionen Anwendern als das weltweit zweitgrößte digitale System etabliert hatte, obwohl es faktisch auf ein Land beschränkt war.233 Wie richtig die Entscheidung gewesen war, auch Systeme und Produkte für den US-Standard hervorzubringen, lässt sich daran erkennen, dass Ericsson 1997 insgesamt 50 v. H. des weltweiten D-AMPS-Marktes für sich vereinnahmen konnte.234 Mit der Entscheidung für D-AMPS waren die Grundlagen für den Durchbruch in den USA allerdings noch keineswegs gegeben. Bezeichnenderweise trat die CTIA als Lobby- und Interessenvertretung der Mobilkommunikationsindustrie als Standardisierungsgremium auf, ohne jedoch Netzbetreibern Vorgaben machen zu können. Die zuständige Kommunikationsbehörde FCC als letztliche Entscheidungsinstanz hatte ebenso entschieden, keine Vorgaben zu machen. So konnten zwei Multiplexverfahren in den USA zur Anwendung gelangen, indem AT&T und einer kleinen Gruppe TDMA nutzte, während sich andere wie das Sprint-Konsortium für CDMA entschieden. Die dadurch entstehende Vielfalt an Standards und vor allem deren Inkompatibilität hatte die Neigung der Nutzer nicht gerade befördert, von analogen Systemen zu digitalen Systemen zu wechseln. 1997 wurden 60 v. H. der Mobilfunkgespräche noch über analoge Standards getätigt, während in Europa schon fast ausschließlich GSM zur Anwendung kam. Die gesamte Marktdurchdringungsrate der digitalen Systeme war mit 20 v. H. – verglichen mit 40 bis 50 v. H. in Skandinavien – nicht gerade beeindruckend. 230  Testsucce

i USA ger Ericsson försprång, in: Dagens Industri, 16. Oktober 1991. D-AMPS und AMPS konnten identische Basisstationen verwendet werden. D-AMPS wurde gelegentlich auch als IS-54 bezeichnet. 232  Funk, Global Competition, S. 126. 233  D-AMPS konnte sich bis 1995 nur in 15 Ländern durchsetzen. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 18 (1995). 234  KONTAKTEN, Nr. 8 (1997). 231  Für



4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992341

Die offene Standardisierung sollte es Ericsson allerdings ermöglichen, einen Teil des US-Marktes in einer Allianz mit US-Netzbetreibern zu erschließen. Offensichtlich beeindruckt durch den GSM-Erfolg, hatten sich andere US-Hersteller auf IS-95 geeinigt, der wegen der Nutzung von CDMA für Ericsson nicht akzeptabel war. Zusammen mit Nokia und einigen Betreibern überzeugte man die Standardisierungsbehörden in den USA schließlich von den Vorzügen eines GSM-Netzes, welches als PCS1900 / GSM Anfang 1995 in New York in Betrieb genommen wurde. PCS konnte sowohl TDMA als auch CDMA als Multiplexverfahren nutzen.235 Sieben kanadische und US-amerikanische Anbieter schlossen sich dann 1997 in einer Koalition namens GSM Alliance zusammen, um ihre Mobilfunknetze in einem ganz Nordamerika umfassenden Netz basierend auf GSM zusammenzuführen.236 Im gleichen Jahr fand jedes dritte Mobiltelefongespräch in den USA in einem System statt, das Ericsson geliefert hatte, so dass der Konzern hinsichtlich der Marktanteile hinter Lucent mit 35 v. H. und N ­ ortel mit 20 v. H. sich einen Marktanteil in Höhe von 17 v. H. sichern konnte.237 Es sollte dann allerdings bis 2001 dauern, bis die wichtigsten US-Netzbetreiber, allen voran AT&T Wireless, sich dann für einen Systemwechsel zu GSM entschieden, wodurch der ursprünglich europäische Standard mehr oder minder zu einem de facto-Weltstandard der zweiten Generation avancierte. a) Offensive in der Krise: Der Kostensprung durch die FuE-Ausgaben Ericsson konnte 1997 wohl als einziges Telekommunikationsunternehmen von sich behaupten, nicht nur in allen Technikbereichen der Mobilkommunikation tonangebend zu sein, sondern ebenso eine dominante Stellung in nahezu allen Regionen der Erde inne zuhaben. So konnte Ericsson in Europa 33 v. H., in Nordamerika 23 v. H., in Lateinamerika 18,5 und in Asien 20 v. H. der Ausrüstermarktanteile in digitalen Mobilfunknetzen auf sich vereinigen.238 Die Entscheidung zur Beteiligung an allen drei Standards und 235  Um PCS1900 zu etablieren, hatte sich eine Allianz aus Ausrüstungsherstellern und Netzbetreibern namens MCI zusammengefunden, in der neben Northern Telecom, der Telular Corporation, dem Forschungszentrum des MIT auch Ericsson und Nokia mitwirkten. Vgl. Ericsson utvecklar nät för global telefon, in: Dagens Industri, 20. November 1993. 236  Amerikansk allians gynnar Ericsson, in: Finanstidningen, 5. August 1997. 237  Ericsson Geschäftsbericht 1997. Vgl. zu den Marktanteilen Funk, Competi­ tion, Tabelle 4.14, S. 129. 238  Bemessen nach Anzahl der Fernsprechteilnehmer. Vgl. die Daten bei Bekkers, Mobile Telecommunications Standards, Tabelle 8.13, S. 331.

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der damit verbundenen Hervorbringung entsprechender Produkte hatte aber auch eine Kehrseite in Gestalt sprunghaft steigender FuE-Aufwendungen, die sich alleine zwischen 1990 und 1993 auf 10 Mrd. SKr pro Jahr beziffern sollte. Diese erhebliche Kostenexplosion erregte deswegen Aufsehen, weil sie in einer Phase erfolgte, die einen solchen Schritt äußerst riskant erschienen ließ. Der Konzern wurde 1991 härter von einem globalen Nachfrageeinbruch getroffen, nicht zuletzt weil die privatisierten Telefonverwaltungen nunmehr auch auf volkswirtschaftliche Konjunkturveränderungen deutlich reagierten. Insgesamt ging der Auftragseingang um 20 v. H. zurück. Die Konzernleitung musste feststellen, dass auf acht der 10 größten Märkte die Bestellungen rückläufig waren. Der Konzern sah sich gezwungen, einen Gewinnrückgang von 5 Mrd. SKr in 1990 auf 1,5 Mrd. SKr in 1991 vermelden, begleitet von einem erheblichem negativen Cashflow in Höhe von zwei Mrd. SKr und einem Gewinneinbruch mit 67 v. H. Dementsprechend reduzierte sich der Konzernumsatz mit 2 v. H. auf 32 Mrd. SKr und die Gewinnspannen von 9,8 auf 4,6 v. H. Dass sich die Kennziffern so unbefriedigend entwickelten, hatte seine Ursache jedoch an erster Stelle in den 10,3 Mrd. SKr für FuE-Aufwendungen, die 23 v. H. des Umsatzes entsprachen, und die im Vergleich zum Vorjahr um 30 v. H. erhöht worden waren. Bereits im Vorjahr hatten die Kosten für diesen Posten um 30 v. H. entsprechend 6 Mrd. SKr zugenommen. Alleine die Mitwirkung bei der Entwicklung aller drei digitalen Mobilfunksysteme brachte eine Verdoppelung der Technikkosten in Höhe von 272 Mio. SKr in der Mobilfunksparte mit sich und löste parallel einen Gewinnrückgang von 76 v. H. aus.239 Was die Kosten durch die Entwicklungsarbeit an den drei Systemen vor allem in die Höhe trieb, waren die engineering costs, um Hardware und Software für jedes einzelne System anzupassen. Zugleich mussten die AXE-Systeme mit einer größeren Kapazität aufgerüstet werden, weil die Mobilfunksysteme dieses erforderten.240 Schließlich musste Ericsson, wollte man sich seiner Linie als Systemhersteller treu bleiben, nicht nur Soft- und Hardware für alle analogen und digitalen Standards hervorbringen, sondern auch Geräte und Ausrüstungsgegenstände für Kommunikationsnetzwerke wie die Weitverkehrsnetze WAN, die Lokalnetze LAN und MAN sowie Pico- und Scatternetze.241 Lars Ramqvist stellte auf der Hauptversammlung 1992 die Notwendigkeit der Erhöhung des FuE-Budgets zu Lasten der Konzernprofitabilität heraus: 239  Protokoll

Styrelse Ericsson Telecom AB 13. Februar 1991, ARAB Nr. 4695. mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008; Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 241  Scatternetze sind aus mehreren Piconetzen zusammengesetzte Konfigurationen. 240  Interview



4. Erntezeit: Der Technologiesprung 1992343 „Das verschlechterte Resultat wurde durch steigende Technikkosten verursacht, die nicht mit ausgeweitetem Verkauf zu kompensieren waren. Warum haben wir da die Kosten für die Produktentwicklung mit 2,4 Mrd. SKr mitten in einer Rezession gesteigert? Zwei Ursachen: Erstens fordern unsere Kunden neue Produkte und Systeme, basierend auf neuer Technologie und neuen Standards in vielen von Ericssons Kernaktivitäten. Der Übergang von analogen zu digitalen Systemen für Mobilkommunikation und die Einführung eines völlig neuen Systems für Transportnetze sind gute Beispiele für die Forderungen von unseren Kunden. Zweitens implizierte neue Technik eine dramatisch zu steigernde Produktivität und damit gesenkte Produktionskosten … Wenn wir unsere Position in der Frontlinie behalten wollen – und das werden wir – so haben wir keine Wahl.“242

Der VD konnte aber schon im gleichen Jahr erfreut verkünden, dass sich diese Strategiewahl und der unverminderte Technikeinsatz als richtig herausgestellt hätten, da es gelungen sei, Aufträge im Wert von 53 Mrd. SKr zu akquirieren. In der Sparte der Mobilkommunikation, die schon 1992 den Auftragseingang mit beachtlichen 50 v. H. steigern konnte, verantworteten neue Produkte und Systeme die Hälfte aller Bestellungen.243 1993 stiegen die Entwicklungskosten wiederum um 30 v. H. auf 13 Mrd. SKr an, und ein Jahr später investierte Ericsson 22 v. H. des Umsatzes entsprechend 16 Mrd. SKr jährlich in FuE, um der Anforderung Rechnung zu tragen, nun alle zwei bis drei Jahre neue Produkte hervorzubringen.244 Mit diesen Aufwendungen lag Ericsson eindeutig an der Spitze aller Ausrüstungshersteller. Lag der Branchendurchschnitt der FuE-Ausgaben bezogen auf den Umsatz 1999 bei 2,6 v. H., überflügelte das schwedische Unternehmen mit 15,4 deutlich seine Konkurrenten wie Nokia mit 10,2 v. H. oder Nortel mit 13,1 v. H.245 Aber schon 1980 hatte Ericsson mit einem FuE-Budget von 1,01 Mrd. SKr den Status als Schwedens größtem Technologiekonzern beanspruchen können, was über 15 v. H. des gesamten FuE-Aufkommens aller Industrieunternehmen entsprach. Seit Beginn der neunziger Jahre, und mit der Entscheidung über die Herstellung von Hardware und Software für sämtliche Mobilfunkstandards, trat das Profil eines Hochtechnologiekonzerns immer deutlicher zutage. Vor allem im Abgleich mit den Realinvestitionen lässt sich dieser Transformationsprozess nachvollziehen. Zwar sollten die FuE-Aufwendungen bereits ab 1980 das Volumen der Realinvestitionen durchgängig übertreffen. Damit war der Weg vorgezeichnet zu dem Hightech-Unternehmen bei einem gleichzeitigen Bedeutungsverlust der eigenen Produktion. Hatten die Zuwachsraten der Sachinvestitionen und FuE-Aufwendungen bis zu Beginn der neunziger Jahre ungefähr auf dem gleichen Niveau gelegen, so nahm seit 242  KONTAKTEN,

Nr. 4 (1992). satsade och vände, in: Dagens Nyheter, 25. Januar 1993; Ericsson lägger ned miljarder på bredbandsprojekt, in: Dagens Industri, 4. Juni 1993. 244  Kommentar av Lars Ramqvist, in: Veckans Affärer, 16. Juni 1997. 245  Fransman, Telecoms, S. 218. 243  Ericsson

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

1991 die Diskrepanz deutlich zu, da die FuE-Ausgaben ab 1991 die Sachanlageinvestitionen um das Doppelte und später sogar Dreifache übertrafen. Dieser Trend spiegelt sich auch in der Zahl der Patentanmeldungen wider: Gingen bei der nationalen Patentbehörde 1986 noch bescheidene 40 neue Patentanträge ein, so waren es 1994 schon 250. 1996 beantragte das Stockholmer Telekommunikationsunternehmen die Zulassung von 900 Patenten und bis 2000 sollte die Zahl der durchschnittlichen Anmeldungen pro Jahr bei rund 1200 Patenten liegen.246 5. Der zweite Anlauf: Die Herausforderung der Verschmelzung von Daten- und Mobilkommunikation a) Das Ende der Zusammenarbeit mit Telia Eine Möglichkeit war, die hohen Entwicklungskosten mit einem anderen Partner zu teilen, aber Ramqvist lehnte jedweden Schritt in diese Richtung mit dem Verweis auf die eigenen Stärken ab.247 Damit knüpfte der VD an die Linie seines Vorgängers an, der schon 1987 und 1989 die Notwendigkeit des Erhaltes Ericssons als selbständiges Unternehmen unterstrichen hatte, um die Basisprodukte nicht durch eine Kooperation zu ‚zerstören‘. Die enge Zusammenarbeit mit Netzbetreibern sollte aber weiterhin fortgesetzt werden.248 An möglichen und vor allem interessierten Partnern mangelte es Ericsson im folgenden Jahrzehnt keineswegs. Siemens-Vorstandsmitglieder hatten 1991 sogar ein manifestes Interesse an einem Erwerb Ericssons öffentlich zum Ausdruck gebracht, obwohl die 1987 eingeleitete Zusammenarbeit bei der Entwicklung digitaler Mobiltelefone abgebrochen werden musste, da die Münchener nicht bereit waren, AXE für Basisstations-Steuereinrichtungen und Mobilfunkvermittlungsstellen anstelle der eigenen Vermittlungsstelle namens EWSD zu akzeptieren.249 Ein Zusammengehen mit einem der Hauptkonkurrenten zur Steigerung der Marktanteile schloss Finanzvorstand Ros im gleichen Jahr jedoch grundsätzlich aus.250 Obwohl Avancen wie von Siemens von Konzernvertretern in der Öffentlichkeit stets 246  KONTAKTEN,

Nr. 17 (1997). snabba tillväxt fortsätter, in: Veckans Affärer, Nr. 1 / 2 (1991), S. 69. 248  „Jag förstår att folk tvivlade på mig“, in: Svenska Dagbladet, 6. Mai 1987; Ericsson över prognos Höjer ribban, in: Dagens Industri, 20. Februar 1989. 249  Ericsson miljardsatsar för täten i tillväxtbransch, in: Affärsvärlden, Nr. 10 (1987), S. 17–26; 19 miljarder D-mark i kassan: Siemens sugen på Ericsson, in: Dagens Industri, 3. Dezember 1991; Sugen på Ericsson: Siemens strateg vill köpa så fort, in: Dagens Industri, 4. Oktober 1991. 250  Ericsson till attack i Europa, in: Dagens Industri, 28. Januar 1987. 247  Ericssons



5. Der zweite Anlauf345

zurückgewiesen wurden, waren die immer wieder aufkommenden Gerüchte über einen Aufkauf oder Fusion nicht völlig grundlos. 1993 oder 1994 hatten Vize-VD Jan Stenberg und Lars Ramqvist intensive Gespräche mit Northern Telecom geführt, deren Leitung sogar nach Schweden reiste, offensichtlich im festen Willen, eine andauernde Allianz mit Ericsson zu begründen.251 Ein aufgrund der vielen Überschneidungen in der Trajektorie nahe liegendes Zusammengehen mit dem finnischen Konkurrenten Nokia fand hingegen Fürsprecher vor allem unterhalb der Konzernleitungsebene, als sich der technische Entwicklungsdirektor Nokias zur Teilung der Entwicklungskosten für eine Kooperation stark machte.252 Ganz abwegig war der Gedanke an eine Kooperation in diesem Falle nicht: 1991 waren sogar mit den Eignern Nokias – allerdings nicht mit der Konzernleitung – Gespräche geführt worden, die mit dem Angebot an die Schweden endeten, eine 60 v. H.-Beteiligung bei dem krisengeschüttelten Nokia-Konzern von einem Bankenkonsortium kaufen zu können. Im Oktober 1991 erteilte die Konzernleitung in Stockholm den Plänen zur Bildung eines schlagkräftigen skandinavischen Telekommunikationskonzerns jedoch eine endgültige Absage.253 Später sollte ein Zusammengehen von Ericsson und Nokia aufgrund ihrer Marktmacht schon alleine wegen der europäischen Kartellbestimmungen ohnehin vor vornherein zum Scheitern verurteilt sein, wie Nokia-VD Jorma Ollila 1999 zu Recht feststellte.254 Trotz des geradezu idiosynkratischen Beharrens auf der eigenen Unabhängigkeit erhöhte sich die Anzahl der Kooperationspartner Ericssons und die Varianten strategischer Koordination innerhalb des Branchensystems während der neunziger Jahre um ein Vielfaches. Das Aufkommen der Mobilkommunikation fiel mit einer Reihe von Veränderungen zusammen, die die Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen sowie die zunehmende Globalisierung des Wirtschaftszweiges reflektierten. Das betraf zunächst die Ausrüstungshersteller selbst, deren Anzahl sich infolge von Marktaustritten 251  Im Falle AT&Ts war man hingegen zu der Einschätzung gelangt, dass die US-Amerikaner bei der Technologie zu stark hinterherhinkten, als dass Ericsson aus einer Kooperation hätte Nutzen ziehen können. Vgl. Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 252  Ungdomliga Nokia flirtar med Ericsson, in: Veckans Affärer, Nr. 42 (1993), S.  20 f. 253  Ericsson wollte eingedenk der eigenen fehlgeschlagenen Diversifizierungspolitik während der achtziger Jahre nicht die hochgradig defizitäre Konsumentenelektroniksparte Nokias akzeptieren. Ohnehin war Nokia erst 1992 in der Mobilkommunikation aktiv geworden und verfügte über keinerlei Systemerfahrungen in Festnetzaktivitäten. s. Volvo och Ericsson var nära bli storägare i Nokia, in: Dagens Industri, 20. November 1998. 254  Nokiachefen nobbar Ericsson som partner, in: Dagens Nyheter, 25. September 1999.

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und mergers and acquisitions beträchtlich verringert hatte.255 Dieser Prozess muss wohl als Konsequenz einer wachsenden Globalität der Branche gesehen werden, die Ausrüstungshersteller dazu zwang, eine kritische Masse aufzubauen, um auf den nun deregulierten Märkten bestehen zu können. Sie war aber auch eine Reaktion auf die sich ebenfalls vollziehende Globalisierung auf der Nachfrageseite: Immer mehr Netzbetreiber, darunter etliche frühere nationale Telekommunikationsgesellschaften nutzten die Möglichkeiten liberalisierter Rahmengesetzgebungen und gingen nun über ihre na­ tionalen Grenzen hinaus. Der neuen und intensivierten Konkurrenz begegneten die früher als Monopolisten agierenden traditionellen Telefongesellschaften entweder alleine oder in Konsortien mit Zulieferern mit der Internationalisierung eigener Aktivitäten. Früher auf ihre eigenen Heimatländer beschränkte Betreiber wie die British Telecom begannen nun, selbst auf so entfernten Märkten wie Australien tätig zu werden.256 Globalisierungs- und Deregulierungsdynamiken eröffneten den Herstellungsausrüstern jedoch nicht nur neue Absatzmärkte, sondern veränderte auch die Kräfteverhältnisse zugunsten der Ausrüstungshersteller. Im Gegensatz zu anderen Branchen vervielfachte sich die Anzahl der Akteure als Folge der weltweiten Liberalisierungen und Absenkung der Eintrittsbarrieren und auch der überproportionalen Gewinne, die Mobilfunknetze versprachen. Der Durchbruch der Mobilkommunikation hatte die Anzahl der anfänglich zwei Betreiber in einem Land, von denen einer in der Regel der bisherige Monopolbetreiber des Festnetzes war, bald auf drei oder vier erhöht. Beträchtliche Gewinnpotentiale boten vor allem Akteure wie Olivetti, Mannesmann oder das von Toyota gegründete IDO, die ohne Branchenkenntnisse allesamt ihren Einstieg in Mobil- und Festnetze nur mit der Hilfe der alteingesessenen Ausrüstungshersteller bewältigen konnten.257 Außerdem musste Ericsson den Neulingen finanziell unter die Arme greifen.258 255  Durch die Liberalisierungsanstrengungen der Europäischen Kommission sahen sich europäische Unternehmen auf ihren nationalen geschützten Märkten einem wachsenden Druck ausländischer Mitbieter ausgesetzt und andererseits dazu aufgefordert, ihre eigene Internationalisierung zu forcieren. Von den 11 europäischen Systemherstellern, die Anfang der achtziger Jahre auf dem europäischen Markt tätig waren, blieben 1990 neben Ericsson nur noch sechs, nämlich Alcatel, Siemens, Bosch, Philips und Italtel übrig. Vgl. Genschel, Standards, S. 76 f. 256  Zur Globalisierung der Anbieter vgl. Bauer, J., Globalization of Telecommunications Operators under Conditions of Asymmetric National Regulation, in: Pogorel, G. (Hrsg.), Global Telecommunication Strategies and Technological Changes, Amsterdam 1994, S. 315–331. 257  Zudem verfügten diese neuen Netzbetreiber infolge ihrer Ausrichtung auf Dienstleistungen kaum über FuE-Kapazitäten, so dass auch in dieser Hinsicht die Ausrüstungshersteller die Hauptlast der Anstrengungen tragen mussten. Vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008.



5. Der zweite Anlauf347

Das deutlichste Anzeichen nicht nur einer zunehmenden Globalisierung der Branche, sondern auch einer Globalisierung des inter company systems war das allmähliche Ende der Zusammenarbeit Ericssons mit Televerket. Nach schrittweisen und eher vorsichtigen Liberalisierungsmaßnahmen, von denen vor allem neue private Anbieter auf dem schwedischen Mobilfunkmarkt seit der ersten Zulassung 1981 profitiert hatten, war die bürgerliche Regierung vorgeprescht, und mit der umfassenden und totalen Deregulierung des schwedischen Telekommunikationsmarktes 1993 sogar noch den US-Amerikanern 1996 zuvorgekommen.259 Mit der zunehmenden Liberalisierung ging der frühere Partner Televerket zunehmend auf Distanz, weil man sich ganz auf den kommenden Wettbewerb als Betreiber einstellen wollte. Immerhin wurden 1992 schon 30 v. H. der Erträge des Netzbetreibers aus internationalen Aktivitäten bestritten.260 Die Umorientierung auf die Rolle eines zunehmend international tätigen Diensteanbieters machte auch die eigene Herstellung im Rahmen der Tochtergesellschaft Teli überflüssig. Daher legte der Vorstand 1990 einen Vorschlag vor, die Einheit schon ein Jahr später zu verkaufen, die immerhin 60 bis 80 v. H. des eigenen Bedarfes bereitstellte, und teilweise auch Entwicklungsarbeiten für AXE, Mobitex, WAP und Betriebswartungssysteme ausgeführt hatte.261 Im De258

258  Gelegentlich waren es bis zu 15 bis 20 v. H. des Vertragsvolumens, das der Stockholm Telekommunikationskonzern vorfinanzieren musste. Der größte USamerikanische Mobilfunknetzbetreiber Omnipoint war beispielsweise 1998 auf die finanzielle Unterstützung der beiden Lieferanten Ericsson und Nortel angewiesen, obwohl Ericsson bereits drei Mrd. SKr für das Unternehmen bereitgestellt hatte.Vgl. Tomt i kassan hos Ericssonkund, in: Dagens Industri, 8. Oktober 1998; Pengarna tryter: Ericsson växer så fort att rörelsekapitalet inte räcker till, in: Dagens Industri, 26. August 1994. 259  Seit 1973 gab es keine legalen Barrieren mehr, um Interessenten von einem Engagement auf den Telekommunikationsmärkten abzuhalten. 1999 wurden die allerletzten Vorrechte für Televerket beseitigt, als Privatkunden sich völlig frei für einen Netzbetreiber entscheiden konnten und auch keine besondere Vorwahl mehr für ein Telefongespräch zu wählen brauchten. Vgl. zum Ablauf der Deregulierungsmaßnahmen auf dem schwedischen Telekommunikationsmarkt Thorngren, B., The Swedish Road to Liberalization, in: Telecommunications Policy, Nr. 14 (1990), S. 94–98; Karlsson, Liberalisation, S. 139 f. 260  Bereits 1989 hatte der Monopolnetzbetreiber eine Tochtergesellschaft namens Swedish Telecom International ins Leben gerufen, um auf internationalen Märkten einen bedeutenden Kundenkreis aufbauen zu können. Zwei Jahre später wurde zusammen mit der niederländischen Unisource das erste Joint Venture mit einem ausländischen Netzbetreiber eingegangen, dem später weitere in der Schweiz und Spanien folgten. Vgl. zu diesen Aktivitäten Carleheden, S.-Å., Telemonopolens strategier: En studie av telekommunikationsmonopolens strategiska beteende vid liberalisering av teleoperatörsbranschen (Lund Studies in Economics and Management 47), Lund. 1999. 261  ETX-Bolagsstyrelse Styrelseprotokoll Nr. 6, 3. Dezember 1990, ARAB Nr. 4695.

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zember 1993 wurde ein Abkommen zwischen Telia und Ericsson unterzeichnet, das die Übernahme Telis mit seinen 1350 Beschäftigten vorsah.262 Mit dem sich immer mehr abzeichnenden Profil als privatwirtschaftlicher Akteur mit einem über die Ländergrenzen hinausgehenden Aktionsradius fehlte es Telia darüber hinaus an Interesse, neue Telekommunikationssysteme oder Standards gemeinsam mit Ericsson hervorzubringen. Umgekehrt hatte das Entstehen neuer und größerer ausländischer Netzbetreiber wie Vodafone bedeutet, dass der traditionelle Partner Ericssons in der Entwicklungsarbeit immer mehr an Gewicht verlor.263 Wichtige Transmissionstechniken waren bereits mit anderen Herstellern konzipiert worden wie beispielsweise TDMA, bei dessen Zustandekommen Ericsson mit AT&T zusammenarbeitete.264 Dass die beiden früheren Partner immer mehr auf Distanz hielten, lässt sich wohl am deutlichsten mit der Abwicklung der gemeinsamen Entwicklungsgesellschaft Ellemtel illustrieren. Schon zu Beginn der neunziger Jahre musste man bei Ericsson registrieren, dass es einen immer größeren Unwillen seitens Televerkets gab, den abgesprochenen 27,5 v. H.-Anteil an Entwicklungsprojekten zu übernehmen, die außerhalb Ellemtels auf der Basis besonderer Übereinkünfte realisiert wurden.265 1994 entsprach dann Telias finanzieller Beitrag für Ellemtel gerade nur einem v. H. der gesamten Technikkosten Ericssons.266 Es war nur konsequent, dass im Herbst 1995 Ericsson die Gesamtverantwortung für Ellemtel übernahm, die 1996 mit der Aufgabe betraut wurde, die Modernisierung von AXE zu betreiben. Ellemtel-VD Erik Eriksson versicherte zwar, dass Telia und Ericsson weiterhin kooperieren würden, aber über eine direkte und bedarfsorientierte Zusammenarbeit und nicht über den Vorstand einer gemeinsamen Tochtergesellschaft.267 Sein endgültiges Ende fand Ellemtel 1999, als Personal und Projekte auf andere Konzerneinheiten verteilt wurden. Zu diesem Zeitpunkt war die Zusammenarbeit zwischen Ericsson und Telia schon auf ein Minimum zusammengeschrumpft.

262  Der Erwerb war gewissermaßen eine Vorbedingung, um den Auftrag für die Digitalisierung der restlichen 300 bis 400.000 Leitungen im schwedischen Telefonsystem zu erhalten. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 263  Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 264  Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 265  ETX-Bolagsstyrelse Styrelseprotokoll Nr.  6, 3.  Dezember 1990, ARAB Nr. 4695. 266  KONTAKTEN, Nr. 6 (1995). 267  KONTAKTEN, Nr. 10 (1999), 10. Juni 1999.



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b) Sunk Costs: Das Scheitern von AX-N Vor allem die Integration von Daten- und Mobilkommunikation war die entscheidende Herausforderung, die Ericsson in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre nun mit der Hilfe anderer Partner meistern musste. Bis Mitte der neunziger Jahre war die Vermittlungstechnologie in einer vertikalen Struktur organisiert, die die Übertragung in den Fernsprechnetzen separat von der Übertragung zwischen Rechnernetzwerken oder der Fernsehtechnik abwickelte. Jedes Netz war mit einer eigenen Netzüberwachung, Vermittlungsstellen, einer access-Struktur und Transporttechniken ausgestattet. Der neue technologische Sprung den die Telekommunikationsbranche bewältigen musste, war ein Transportnetz zu entwickeln, welches alle Typen der Überführung über vereinheitlichte Übertragungswege bewältigte, und dass neben einem beachtlichen Kostensenkungseffekt auch eine erleichterte Implementation neuer Dienstleistungen ermöglichen sollte.268 Es ging aber auch um eine Veränderung der Markthierarchie mit den dominanten Netzbetreibern an der Spitze, da die von der Netzwerkbedienung separierten Dienstleistungen rein theoretisch selbst von branchenfremden Serviceanbietern wie Energiekonzernen oder Kabel-TV-Betreibern offeriert werden konnten. Solche Projektionen sollten sich vorerst nur wenig bewahrheiten, aber sie lassen erahnen, von welchen Unwägbarkeiten das Verschmelzen von Daten- und Telekommunikation begleitet war. Die Unsicherheit, nach dem Fehlschlag mit EIS noch einmal den Schritt in neue, aber unbekannte Bereiche zu wagen, wurde von Forschungsdirektor Bernt Ericson deutlich auf den Punkt gebracht: „… es wird eine Verschmelzung von Geräuschen, Text und Bildern geben, dass heißt, dass das gewöhnliche Telefon weiterentwickelt wird zu Multimediakommunikation. Aber was bedeutet das? Sollen wir wieder Bildterminals entwickeln? Das war ein Bereich, in dem wir uns schon einmal erfolglos versucht hatten … Bisher hatten wir keine eigene Auffassung, was die Endkunden eigentlich haben wollen, wir haben uns mit den Spezifikationen der Betreiber begnügt. Aber diese hatten eigentlich auch keine Auffassung davon … nun kommen viele neue Betreiber, die das Telekommunikationsgeschäft kaum kennen, aber gerne Geld verdienen möchten.“269

Dass sich eine Konversion vollziehen würde, galt als unumstritten; was die Diskussionen innerhalb des Konzerns kennzeichnen sollte, war aber vielmehr die Frage, wann und wie sie sich vollziehen würde. Wie man trotz unsicherer Zukunftsaussichten und eigener schlechter Erfahrungen die Aufgabe angehen wollte, sollte mit Hilfe von McKinsey und verschiedenen Projektionen geklärt werden. Im April 1995 hatte sich die Spitze des Unter268  KONTAKTEN, 269  Ericsson

Nr. 5 (2000), Beilage, 23. März 2000. håvar in framtiden, in: Ny teknik, Nr. 45 (1994), S. 24–25.

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nehmens zu einer dreitätigen Konferenz in Gnesta eingefunden, um über den zukünftigen Kurs des Unternehmens zu beraten. Drei Szenarien wurden dem höheren und mittleren Management vorgestellt: Die Variante ‚Gran Tradizione‘ beschrieb eine Konstellation, die den Netzbetreibern die Rolle als nach wie vor dominierender Anbieter zuwies. ‚Service Mania‘ antizipierte fallende Preise bei Kommunikationsdienstleistungen, denen jedoch durch fortgesetzte Kostenrationalisierungen seitens der Netzbetreiber erfolgreich begegnet werden konnte. Durch Preissenkungen sollte die Attraktivität des Telekommunikationsverkehrs gesteigert, und so die durchschlagende Bedeutung des Internets neutralisiert werden. Bei Endgeräten mit zahlreichen zusätzlichen elektronischen Daten- und Informationsdienstleistungen würden sich jedoch die Endverbraucher zunehmend direkt an den Ausrüstungshersteller wenden, so dass sich Ericsson hier die Chance bot, neue Kundenkreise zu erschließen. ‚Up & Away‘ zeichnete ein daran anknüpfendes, aber radikalisiertes Zukunftsbild, in der die Hierarchien völlig aufgehoben wurden. Die Verschmelzung von Multimedia und Telekommunikation wurde als so bedeutend eingeschätzt, dass sich die Schlusskunden selbst ‚Pakete‘ mit Medien- und interoperablen Telekommunikationsdienstleistungen zusammenstellen könnten, so dass Netzbetreiber als entscheidende Intermediäre völlig an Gewicht verlieren würden. Als Konsequenz sollte Ericsson wie andere Ausrüstungshersteller sämtliche Dienstleistungen und Technologien selbst offerieren.270 Die Konferenz war nicht ohne Spannungen, weil Leiter der Abteilung für Unternehmensentwicklung Lennart Grabe und der technische Direktor Håkan Jansson ganz im Sinne des zweiten und dritten Szenarios mehr oder minder offen das Ende der AXE-Ära und einen schnellen Übergang zu IPSystemen prognostizierten, auf die alle Entwicklungsanstrengungen ausgerichtet werden sollten. Zu diesem Zwecke wurde der Erwerb eines USComputerunternehmens wie Cisco, Ascend Communications oder Bay Networks empfohlen, die zu diesem Zeitpunkt die ersten bahnbrechenden Erfolge in der IP-Telephonie feiern konnten. Die Mehrheit der Anwesenden hegte jedoch aus technischen Gründen Zweifel an einer möglichen Akquisition. Cisco, das nur innerhalb weniger Jahre zu einem ebenbürtigen Konkurrenten Ericssons aufsteigen sollte, wurde als kleines, überbewertetes Computerunternehmen betrachtet, dessen Erwerb bereits 1990 Analytiker von Morgan Stanley anlässlich eines Treffens mit Finanzvorstand Carl Wilhelm Ros vergeblich nahegelegt hatten.271 Das bei Ericsson besonders stark ausgeprägte not invented here-Syndrom und das Vertrauen auf die eigenen 270  Ericsson

Geschäftsbericht 1996. L. / Ellgren, C., Ericsson – Historien om ett svenskt företag, Stockholm 2001, S. 288. 271  Åsgard,



5. Der zweite Anlauf351

Fähigkeiten in der Mobilfunksparte ließ den Kauf fremder Systeme als Affront gegen die eigene Überlegenheit erscheinen.272 Ohnehin hatte man der IP-Technologie kein besonderes Interesse entgegengebracht: In der im Januar 1986 gegründeten Internet Engineering Task Force (IETF), einem für alle Interessenten offenen Organ, welches die Regularien für das Internet diskutierte, hatte Ericsson sich nicht engagiert. Obwohl sich schon vor den Konferenzen Techniker und Ingenieure aus dem Konzern vereinzelt für die neue Technologie stark gemacht hatten, gerieten solche Initiativen schnell in den Schatten der Mobilkommunikation, in die nach 1990 die Mehrheit der Entwicklungsressourcen gelenkt wurde. Deren Erfolge hatten aber nicht verdecken können, dass ausgerechnet in der technischen Domäne des Konzerns unerwartete Schwierigkeiten auftraten. Ein Teil der hohen Entwicklungskostenzuwächse wurde seit 1993 für die Breitbandtechnologie aufgewendet, die die Überführung von Daten, Stimmen und Bildern über ein einziges Kabel ermöglichen sollte. Ericsson hatte zwar seit 1984 Forschung in diesem Bereich betrieben, aber neben der Herstellung von geeigneten Glasfaserkabeln mussten auch die eigenen Transmissionssysteme angepasst werden. Vor allem stand aber eine Entscheidung darüber an, welches der beiden Datenkommunikationstransportprotokolle anstelle von digitalen Zeitfenstern genutzt werden sollten. Anstelle des Netzwerkprotokolls IP galt vielen Ausrüstungsherstellern das für LAN und später auch WAN konzipierte Datenkommunikations-Backbone ATM als attraktiver, weil es die Vorteile der Durchschaltevermittlung mit der Flexibilität der Paketvermittlung kombinierte.273 Die großen europäischen Telekommunikationsgesellschaften trieben die Einführung energisch voran, weil die Deregulierung den Marktzugang auch für Netzbetreiber aus der Datenkommunikationsbranche ermöglicht hatte.274 In den USA planten 272  Interview

Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007. mit einer Datenübertragungsmöglichkeit bestanden aus Accessnetzen, lokalen Telefonschaltungen und kleineren Netzknoten sowie Computerschaltungen. Für darüber hinaus gehende Überführungen wurden Transitschaltungen und sog. Backbone-Router im IP-Netz angewandt. Unter Backbone wird der Kernbereich eines Telekommunikationsnetzes mit sehr hohen Datenübertragungsraten verstanden, der meist aus einem Glasfasernetz sowie satellitengestützten Kommunikationselementen besteht. Da dort die Bandbreiten aller Endbenutzer zusammengeführt werden, sind besonders große Bandbreiten und schnelle Übertragungsraten erforderlich. Ursprünglich war ATM für Breitband-ISDN konzipiert worden, in der Daten durch asynchrones Zeitmultiplexing übermittelt wurden, hatte sich dann aber als Möglichkeit herausgestellt, Tele- und Datenkommunikationsüberführung mit einer hohen Übertragungsgeschwindigkeit zu bewerkstelligen. 1990 hatte das RACE-Projekt der EG beschlossen, ATM ab 1995 flächendeckend einzuführen. 274  ATM-växlar ödesfråga för Ericsson, in: Elektroniktidningen, Nr. 7 (1993), S. 4. 273  Festnetze

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die Bell-Gesellschaften ab 1993 ATM-Vermittlungsstellen zu kaufen, so dass sie neue Vermittlungsstellen hervorbringen mussten, die eine Geschwindigkeitsüberführung von 2 Mbit pro Sekunde bewältigen konnten. Für die Vermittlungsstellenhersteller wurde die Einführung von ATM, das als Multiplextechniken entweder die Plesiochrone Digitale Hierarchie (PDH) oder die Synchrone Digitale Hierarchie (SDH) nutzte, fast schon als eine Schicksalsfrage angesehen, weil angenommen wurde, dass auf die lange Sicht die ATM-Schaltungen die digitalen Schaltungen wie die Variante AXE10 ersetzen würden.275 Ramqvist teilte deswegen mit, dass die Gewinne aus den verkauften AXE-Systemen in entsprechende Breitbandprojekte reinvestiert würden.276 Der Schritt hin zur Breitbandtechnik konnte aber nicht verdecken, dass man technisch gegenüber anderen Anbietern deutlich ins Hintertreffen geraten war, was sich fatalerweise zunächst auf dem eigenen Heimatmarkt bestätigen sollte. Telia hatte bisher AXE-Schaltungen für rund 10 Mrd. SKr gekauft, aber 1993 erwarb der Netzbetreiber aufgrund von Verzögerungen zum ersten Mal ATM-Technologie von AT&T, das im Gegensatz zu Ericsson bereits die Serienproduktion der ATM-Vermittlungsstellen aufgenommen hatte.277 Konzernintern schätzte man es als zeitraubenden Fehler ein, ATM 1987 auf einer völlig neuen Plattform entwickelt zu haben, auch wenn die verantwortlichen Techniker für ATM-Produkte glaubten, bis 1995 oder 1996 diesen Nachteil auszugleichen.278 Folgenreicher als dieser Prestigeverlust war jedoch das Misslingen, SDH gemäß Vorgaben zu entwickeln. Schon 1992 rüstete Televerket, das sich als einer der ersten Betreiber für SDH entschieden hatte, für mehrere Milliarden SKr eine neue Generation Schaltungen im Telekommunikationsnetz basierend auf SDH aus, für die neben der britischen Marconi Ericsson AXD-Vermittlungsstellen, Überführungsausrüstung und Steuerungssysteme des fiberoptischen Kabelnetzes liefern sollte.279 Am 29. November 1994 gab das Stockholmer Unternehmen dann 275  AXE-10 war ein schmalbandiges System und konnte folglich nur für Fernsprechübertragung und nicht für Bild- oder andere Signalübertragungen genutzt werden. 276  1993 verteilte Ericsson 13 Mrd. SKr für FuE zu je gleichen Anteilen auf die Mobilkommunikation, ATM und Transmissionsnetze. Vgl. Ericsson: stabil grund för att fortsatta framgångar, in: Veckans Affärer, Nr. 49 (1993), S. 40–43. 277  Auch die Deutsche Telekom hatte die erste ATM-Vermittlungsstelle zurückgeschickt, ein erstes Anzeichen dafür, dass die Investitionen in Höhe von sechs bis sieben Mrd. SKr vergebens waren. Vg. Dazu Ericssons ATM ett år efter AT&T, in: Elektroniktidningen, Nr. 18 (1993), S. 4; Nya rekord: Men ATM-växelns lönsamhet dröjer, in: Veckans Affärer, 10. April 1995. 278  Sent ute med nya växeln, in: Veckans Affärer, 17. November 1993. 279  Die USA und Kanada hatten sich gegen den Trend für einen anderen Standard namens SONET entschieden.



5. Der zweite Anlauf353

den Abbruch der SDH-Lieferungen an Telia bekannt.280 Konnte 1994 Ericsson noch stolz auf 15 SDH-Bestellungen in 14 Ländern verweisen, musste der Konzern ein Jahr später Marconi-Produkte in Lizenz verkaufen und teils bereits entwickelte Produkte wie einen eigens entwickelten KanalgruppenUmsetzer zurücknehmen.281 Erst im März 1995 konnte Ericsson der Öffentlichkeit eine eigene ATM-Schaltung präsentieren, die an die Deutsche Bundespost ausgeliefert wurde. Die Stornierungen einzelner Aufträge waren noch zu verkraften, aber SDH und ATM gingen in eine neue AXE-Variante namens AXE-N ein, deren Scheitern unangenehme Erinnerungen an EIS geweckt haben dürfte. Angesichts des Glaubens an die kommende Breitband-Revolution wurde der technische Direktor Bo Hedfors damit beauftragt, AXE-N basierend auf der gleichen Technikplattform wie AXE zu entwickeln. Obwohl sowohl Breitband-ATM als auch SDH zur Anwendung gelangen sollten, ging es bei AX-N zunächst nicht um ein völlig neues System, sondern vorerst nur um die Hervorbringung neuer Module und Komponenten mit dem Ziel der Integration in die befindliche AXE-Architektur. Später hatten die Verantwortlichen sich überzeugen lassen, ein völlig neues System zu entwickeln, was dazu führte, das selbst die Mobilfunksparte Funkmodule für AX-N konstruierte.282 AXE-N sollte nach zehn Jahren Entwicklungsarbeit 1998 vollständig ausgereift sein. 1995 hatten Lars Ramqvist und der Verantwortliche Anders Igel die Erwartungen gedämpft, die mit dem angekündigten Multimedia-Engagement verbunden waren. Ende Oktober beschloss die Konzernleitung trotz geschätzter 10 Mrd. SKr Entwicklungskosten das Projekt, das gedacht war, Ericsson eine stärkere Stellung im Transmis­ sionsbereich zu verschaffen und die Multimedia-Anforderungen zu bewältigen, vollständig niederzulegen.283 Auch wenn der technische Direktor Håkan Jansson in der Öffentlichkeit darauf insistierte, dass die Grundidee 280  Ericsson musste eine Konventionalstrafe an Telia wegen Vertragsbruches bezahlen, das stattdessen Marconi als alleinigen Ausrüster bevorzugte. Vgl. Ericsson bryter avtal med Telia, in: 30. November 1994. 281  Ericssons SDH-satsning – Ett lyckat fiasko, in: Affärsvärlden, 1. November 1995. 282  Dass das Projekt anfänglich in der Tat nicht auf eine völlig neue Vermittlungsstelle abstellte, zeigt sich schon daran, dass das Projekt zunächst den Namen AXENHANCED bekommen hatte und eine Anzahl switching-Module hervorbringen sollte, damit Breitband und Internet übertragungsfähig wurden. Weiterhin sollten neue Steuerungssysteme zur Implementation von Internetfunktionen ebenso wie eine neue Programmierungstechnik konstruiert werden, mit dem Ziel C++ und andere Programmiersprachen nutzbar zu machen. Vgl. zu den Zielsetzungen Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 283  Die mit den Entwicklungsarbeiten befassten Ingenieure sollten sich zukünftig auf kleinere Vermittlungsstellen und Accessprodukte konzentrieren, während die

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weiterhin richtig und nur der Kurs der Produktentwicklung geändert worden sei, war klar, dass das Milliardenprojekt ATM in der Gestalt von AXE-N aufgegeben worden war, um anstelle dessen die Vermittlungsstellenvariante AXE 10 weiterentwickeln.284 Gleichzeitig baute Ericsson seine Breitbandaktivitäten umfassend zurück, da die großen Bestellungen von den Betreibern ausgeblieben waren. 1996 wurde bekannt gegeben, dass der Fokus sich von ATM und Breitband nun auf Anwendungen wie Internet und Intranet verschoben hätte.285 c) Best Practice: Standardfindung im Infocom-Innovationsregime Kann AX-N als geradezu klassisches Exempel dafür gewertet werden, wie von den Netzbetreibern eingeforderten Innovationen sunk costs verursachen können, war der Schaden aber nicht nur allein in finanzieller Hinsicht erheblich. Als zentrales Problem stellte sich heraus, dass AXE für Stimmenübertragung entwickelt wurde, während der Internet-Verkehr über Router erfolgte, die Ericsson nicht im Produktprogramm hatte.286 Hatte im Zuge des upgrading vor der ersten analogen Generation zur digitalen zweiten Generation die Sicherung der Kundenloyalitäten entscheidend zum Erfolg beigetragen, so drohte das Stockholmer Unternehmen bei der dritten Mobilfunkgeneration ins Hintertreffen zu geraten, falls nicht den Anforderungen an die Integration von Datenkommunikationsdiensten Genüge getan würde. Der Geschäftsbericht für das Jahr 1997 gab folglich bekannt, dass nun die volle Aufmerksamkeit IP-basierten Kommunikationssystemen galt.287 Dessen ungeachtet waren die Versäumnisse nicht zu übersehen: Während an ATM viele Jahre gearbeitet worden war, hatte Ericsson keine Kenntnisse von Routern.288 Die Schwierigkeiten mit den neuen Transmis­ Entwicklung großer ATM-Vermittlungsstellen in die Zukunft verschoben wurde. Vgl. Ericsson byter fot, in: Affärsvärlden, 13. Dezember 1995. 284  „ATM-miljarderna är väl investerade lärpengar“, in: Elektroniktidningen Nr. 1 (1996), S. 40. 285  Ericsson håller undan: Pressen på Ericssons aktiekurs är omotiverad, in: ­Veckans Affärer, 22. April 1996. 286  Router sind aus Hard- und Software bestehende Systeme, die Datenpakete zwischen zwei Netzwerken weiterleiten. Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Datenübertragung ist, dass Sender und Empfänger das gleiche Netzwerkprotokoll namens IP (Internet Protocol) verwenden, das Adressinformationen sowie Informationen enthält, die es wiederum ermöglichen, Datenpakete zu versenden. 287  Ericsson Infokom: den hotande revolutionen, in: Affärsvärlden, Nr. 41 (1997), S. 50–55. 288  Zwar war intern auch zu IP geforscht worden, aber aufgrund einer schlechten Steuerung der Produktentwicklung waren solche Anstrengungen nie zu konkreten Ergebnissen gelangt. Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008.



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sionstechnologien ließen immer mehr die Wettbewerbsvorteile der US-Amerikaner und der damit verbundenen institutionellen Arrangements in diesem Feld zutage treten. Wie in Abschnitt IV.3.c) dargelegt, war einer der wesentlichen Erfolgsgründe für die Durchsetzung von GSM die formalisierte ex ante-Standardisierung und die Nutzung marktaverser Koordinationsmechanismen. Die offenen Netzwerkprotokolle waren hingegen in einem institu­ tionellen Rahmen hervorgebracht worden, der ganz den angelsächsischen Prinzipien einer ex post-Standardisierung und der angestrebten best practice entsprach. Seit den sechziger Jahren hatte die zuständige US-amerikanische Behörde FCC die Datenkommunikationsbranche von allen regulativen Standards und Vorgaben befreit, so dass damit geförderte offene Netzwerkarchitekturen die Basistechnologien des Internets hervorbrachten. Die Verbindungs- und Anschlussfähigkeit und Interoperabilität sollte nicht durch Vorgaben, sondern alleine durch die Markttauglichkeit bestätigt werden. In der Tat sollte die Produktentwicklung entlang konkreter Nutzungskontexte zu einer best practice im Bereich der Datenkommunikation führen. Die Präferenz für ex post oder besser de facto-Standards ließ zu, dass die Paketdatenvermittlung TCP  /  IP im Rahmen existierender Netzwerkarchitekturen immer eng an Kundenbedürfnissen in Gestalt des Arpa- und Internets entwickelt worden war.289 Dass sich die Nutzung des Marktes als prozedurales Selektionsinstrument in diesem technischen Feld als überlegen erwies, bezeugt umgekehrt das Scheitern des Open Standard Interface (OSI). Dieser 1982 zugelassene europäische Standard war zwar ausdrücklich zur Überwindung propreritärer Systeme als offener Standard konzipiert worden, stieß allerdings auf ein zu geringes Interesse und erreichte einen zu geringen Grad der Marktdurchdringung, als dass ihm eine dauerhafte Zukunft beschieden war. Die Europäer hatten zwar die Auseinandersetzung um die Telekommunikationsstandards für sich entscheiden können; aber die USAmerikaner hatten den ‚Standardkrieg‘ um das Internet spätestens dann gewonnen, als TCP / IP Ende der achtziger Jahre zum globalen Standard avancierte, nachdem das kaum genutzte OSI aufgegeben worden war. Ganz marktlichen Prinzipen entsprechend, hatte sich der Durchsetzungsmechanismus speed anstelle von consensus bewährt, da weder Behörden noch Standardisierungsgremien das Netzwerkprotokoll offiziell zu einem allgemein verbindlichen Standard erhoben hatten.290 Diese Entwicklung war aber nur ein institutionelles Merkmal des ‚Infocom‘-Systems, also der für die Daten289  Zur Entstehungsgeschichte des Internets vgl. Hart, J. / Reed, R. / Bar, F., The Building of the Internet: Implications for the Future of Broadband Networks, in: Telecommunications Policy, Vol. 16, Nr. 8 (1992), S. 666–689. 290  Schmidt, S. / Werle, R., Coordinating Technology: Studies in the International Standardization of Telecommunications, Cambridge / Mass. 1998; Rada: Consensus versus Speed, in: Jakobs, K. (Hrsg), Information Technology, S. 19–34.

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kommunikation charakteristischen Innovationsstruktur. Erstens wurden Innovationssysteme offen und nicht geschlossen gestaltet, so dass im Prinzip jeder mit eigenen Ideen und Erfindungen einen Beitrag leisten wollte, während das Innovationsregime der Telekommunikationsindustrie noch auf eine selektive Abschließung gesetzt hatte, um Innovationsrenditen nicht durch eine Vergemeinschaftung zu verlieren. Solche Eintrittsbarrieren in Gestalt von Klubs wurden in der Datenkommunikationsbranche beseitigt, indem Hauptbetriebssysteme jedem zugänglich gemacht wurden. Das Infocom-Innovationsregime ermöglichte auf diese Weise anstelle der geschlossenen Innovatorennetzwerke eine Beteiligung vieler Innovateure, da die Softwarekosten sich deutlich in Grenzen hielten, andererseits aber die hohen Gewinnmargen der Anwendungen ein lohnendes Engagement in Aussicht stellten. Zusätzlich entfielen langwierige Einführungs- und Prüfungsverfahren, da zeitgleiche Innovationsbeiträge die zügige Implementation neuer Techniken ermöglichten. d) ‚String of Pearls‘: Die Akquisitionen in den USA Für Ericsson bedeutete die sich abzeichnende Integration von Sprache, Bild und Text nicht nur, dass die Produktzyklen sich maßgeblich verkürzten.291 Die ab 1996 forcierte Verlegung oder Ansiedlung von FuE-Einheiten in US-amerikanischen IT-Clustern konnte die eigenen Versäumnisse nicht aufwiegen. Da das konzerninterne Know-how in Fragen IP und Routertechnologie nicht ausreichte, musste die Aufrüstung eigener Produkte auf dem Wege einer Zusammenarbeit mit Anderen oder durch Akquisitionen erreicht werden, weswegen die Konzernleitung ihre angestammte Praxis der eigenständigen Systementwicklung unter eigenem Dach zumindest teilweise aufgab, auch wenn die Partner wie die deutsche Fuba, die schweizerische Ascom oder das US-Unternehmen Raynet später aufgekauft und in den Konzern eingegliedert wurden. So war das 1991 lancierte softwaregestützte Transmis­ sionsnetz ETNA mit einer digitalen Kreuzverbindung zusammen mit Ascom und Fuba zur Marktreife gebracht worden.292 Solche Anstrengungen beschränkten sich keineswegs auf kleinere Nischenfirmen: 1993 nahm die Ko291  So wurde die Lebensdauer eines AXE-Systems von dem technischen Direktor Bo Hedfors 1992 auf rund 20 Jahre veranschlagt, der Zeitraum zwischen Einführungs- und Degenerationsphase neuer Anwendungsapplikationen jedoch nur auf drei bis fünf Jahre. Vgl. I hans huvud finns kunskap för 30 miljarder, in: Dagens Industri, 13. Februar 1992. 292  Das Breitbandunternehmen Raynet, mit dem 1994 zum Positionsausbau im Accessbereich und für fiberoptische Accessprodukte wie Breitbandanwendungen ein Joint Venture gegründet worden war, wurde in zwei Tranchen 1994 und 1996 erworben. Vgl. Uppstickare på GSM-marknaden, in: Dagens Industri, 4. Mai 1993.



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operation mit HP in der Ericsson Hewlett-Packard Telecommunications AB ihren Auftakt, die das Marketing und den Verkauf des Betriebs- und Unterhaltsystems TMOS absichern sollte, und die Fähigkeiten der Schweden bei der Administration größerer Netzwerke mit HPs Mess- und Testkenntnissen bei ATM zusammenführte.293 Schließlich kooperierte man auch mit IBM, um die Kompatibilität zwischen LAN bei Unternehmensnetzen und den TMOSBetriebsstützsystemen Ericssons zu ermöglichen.294 Kann diese Vielzahl kollaborativer Arrangements noch als im Sinne einer tit for tat-Logik bewertet werden, indem die Systemkompetenzen Ericssons gegen fachliche Kompetenzen im Bereich der Datenkommunikation ausgetauscht wurden, so stellte sich nun die Herausforderung, sich Kenntnisse in der Routertechnologie anzueignen, wollte man nicht den Anschluss bei der Zusammenführung von Daten- und Telekommunikation und damit letztlich der Entwicklung der dritten Mobilfunkgeneration verpassen. Wie sehr die US-Amerikaner ihre komparativen institutionellen Wettbewerbsvorteile zur Geltung bringen konnten, lässt sich daran ermessen, dass 80 v. H. des Routermarktes von dem US-Unternehmen Cisco dominiert wurde. Durch den Kauf von StrataCom 1996 hatte Cisco Zugang zur ATM-Technik bekommen, und konnte so die traditionellen Telekommunikationsunternehmen herausfordern.295 Das 1984 als spin-off von der Stanford University abgekapselte Unternehmen hatte strategische Abkommen mit Alcatel, Microsoft und Intel abgeschlossen, und wollte auch Ericsson zu einem von zehn strategischen Partnern aufwerten. Immer wieder machten Gerüchte über eine Allianz zwischen Ericsson und dem Routerhersteller die Runde.296 In Stockholm blieb man sich jedoch weiterhin seiner bisher befolgten Maxime treu, im Kerngeschäft der Vermittlungsstellen ohne Partner zu operieren, obwohl Ericsson Cisco-Datenschaltungen in Lizenz verkaufte. Dieses Selbstbewusstsein konnte die Unternehmensspitze jedoch nur weiter pflegen, falls Ericsson einen Router anbieten konnte, der mit der 7000erSerie Ciscos mithielt. Große US-Kapitalgeber hatten Ericsson 1997 angesichts des aggressiven Aufkaufgebahrens von Cisco aufgefordert, größere 293  1993 unterzeichnete Ericsson auch ein Abkommen mit dem US-Computerunternehmen Network Equipment Technologies, um eigene Unternehmensschaltungen für Multimediagebrauch anzupassen. Vgl. Ericsson: stabil grund för att fortsatta framgångar, in: Veckans Affärer, Nr. 49 (1993), S. 43. 294  KONTAKTEN, Nr. 8 (1991). 295  En uppstickare värd att minnas: Första eller andra plats, annars får det vara för Cisco, in: Veckans Affärer, Nr. 47 (1997), S. 52–56. 296  1997 war es auch zu vertieften Diskussionen gekommen, weil die US-Amerikaner an der breiten Kundenbasis der Schweden Interesse hegten und sich bei der Aufrüstung der nun in 120 Ländern installierten AXE-Vermittlungsstellen Hoffnungen machten. Vgl. Ericsson över drömgräns, in: Dagens Industri, 26. Juni 1997.

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Erwerbungen zu tätigen. Der Vorstand hatte bereits 1995 und 1996 den Kauf einer Reihe von Firmen für Routertechnologie und Datenkommunikationsnetzausrüstung genehmigt, die mit dem Erwerb Junipers im August 1997 ihren Auftakt nahmen. Insofern griff auch Ericsson zu dem Mittel, von dem auch SCA und Sandvik Gebrauch machen sollten, nämlich der Integration neuer oder verwandter Produktbereiche in die eigene Wertschöpfung über Akquisitionen. Die umfassenden Aufkäufe von kleinen und mittleren Unternehmen, denen zumeist Kooperationsabkommen vorausgegangen waren, wurden auch als string of pearls-Strategie bezeichnet, mit der man die eigenen Defizite hinsichtlich der Netzausrüstung für den IP-Verkehr ausgleichen wollte. Obwohl etliche der Käufe insbesondere in Relation zu den Mitarbeitern überdimensioniert wirkten – ACC mit seinen 200 Beschäftigten war der Stockholmer Konzernzentrale 2,3 Mrd. SKr wert, was umgerechnet 11 Mio. SKr pro Mitarbeiter entsprach – müssen die Unternehmenskäufe im Vergleich als zurückhaltend bewertet werden.297 Bei dem wichtigsten Erwerb in Gestalt Junipers hielt Ericsson nur eine Minderheitenbeteiligung für sieben Mio. US-Dollar, die in eine Gesamtbeteiligung von 40 Mio. US-Dollar einging, die die Stockholmer zusammen mit Nortel, Siemens, Lucent, 3Com und Uunet in ein Unternehmen investiert hatte, das erst im Februar 1996 von einem Dutzend Routerspezialisten gegründet worden war, und im März 1999 mal gerade 270 Mitarbeiter beschäftigte.298 Einen eigenen Router wollte Ericsson nicht entwickeln, sondern an der Konstruktion des GigaRouters teilnehmen und ihn in Lizenz verkaufen.299 Mit Junipers Backbonerouter M40, der mit allen neueren Datenübertragungstechniken wie IPv6, IPv4, Frame Relay und X.25 interoperabel war und von Ericsson unter dem Namen AXI520 vertrieben wurde, konnten die Schweden erstmals große US-Internetbetreiber wie MCI, WorldCom, Verio und Cable&Wireless als Kunden gewinnen.300 Auch mit Bay Networks hatte die Konzernzentrale 297  Cisco sollte mit dem Kauf von 70 Unternehmen innerhalb von nur acht Jahren eine Erwerbsneigung demonstrieren, die die vorsichtige Akquisitionspolitik Ericssons deutlich in den Schatten stellte, das selbst zwischen 1995 und 2000 zwölf IPUnternehmen in seine Konzernstruktur integrierte. Lucent erwarb zwischen 1995 und 2000 38 Unternehmen, Nortel 17, Siemens acht und Nokia und Marconi jeweils 12 Unternehmen. Angaben nach Dalum, B. / Villumsen, G., Fixed Data Communications: Challenges for Europe, in: Edquist, C. (Hrsg.) The Internet and Mobile Telecommunications, Cheltenham 2003, Tabelle 2.2, S. 54. 298  Ericsson flyttar ut, in: Veckans Affärer, Nr. 38 (1997), S. 18–19. 299  Ericsson utmanar Cisco, in: Finanstidningen, 1. September 1997. 300  Der AXI 520 IP Backbone Router war ein anwendungsspezifischer IP-Router für Internet-Service-Provider und Multiservice-Anbieter, der für den Einsatz im Kernbereich von IP-Netzen bestimmt war. Auf gleiche Weise vermarktete Ericsson ACCs EDGE-Router und eine ATM-Schaltung von Mariposa. Für KMUs offerierte man eine



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eine globale Zusammenarbeit in die Wege geleitet, in deren Rahmen Ericsson die neuen Produkte über seine Vermarktungseinheiten für Telekommunikationsunternehmen offerierte, die ihre IP-basierten Netze ausbauen wollten. Anfang März 1998 stellte Ericsson die Hochleistungsvermittlerserie AXD300 vor, die für die umfassende Integration von IP-Verkehr, Datacom und Telefonie in 3G bezweckt war. Mit Versionen der ursprünglich nur für Zwischennetze gedachten ATM-Schaltung AXD301, einem Juniper-Router, einem IP-Router von Torrent und einem weiteren IP-Router von ACC bot Ericsson nun eine breit gefächerte Produktfamilie an. Auch wenn Cisco immer noch ungefähr 70 bis 80 v. H. des globalen Routermarktes für Langdistanzverkehr kontrollierte, konnte Ericsson-VD Sven-Christer Nilsson mit Verweis auf das eigene Produktportfolio folglich 1999 das Werben seitens der US-Amerikaner selbstbewusst zurückweisen.301 Im Frühjahr 1998 wählte mit der British Telecom zum ersten Mal ein Großkunde eine Systemlösung Ericssons, was zu Recht Hoffnungen Auftrieb gab, dass auch andere AXE-Kunden dazu bewogen werden konnten, die Aufrüstung der Telekommunikationsnetze zusammen mit Ericsson zu realisieren.302 Damit gelang es, den Erfolg von AXE durch den Rückgriff auf die gleiche Grundidee zu wiederholen. Hatte die Vermittlungsstelle mit dem Modularisierungsprinzip sich im Übergang von analoger zur digitalen Mobilfunkgeneration mit Erfolg bewährt, so konnten durch die Integration von AXE und AXD301 die alten Transitvermittlungsstellen entfernt und die Transportnetze gleichzeitig so rekonfiguriert werden, dass sie die Übertragung von Datenpaketen in einem Netz gestatteten, um Sprach- und Datendienste auf IP-Basis anbieten zu können. In den 130 Ländern, wo AXE installiert war, brauchten nur die befindlichen Transitschaltungen ausgetauscht werden, was den Netzbetreibern Kostensenkungen in Höhe von 90 v. H. ermöglichte.303 Den endgültigen für den Internetverkehr fähige Vermittlungsstelle, die von Touchwave entwickelt wurde. Vgl. Ny ATM-växel från Ericsson, in: Dagens Industri, 4. März 1998. 301  Zu den Diskussionen um eine Zusammenarbeit vgl. Lilla Ericsson Telebit vill klå Cisco på routrar, in: Elektroniktidningen, Nr. 3 (2000), S. 11; Cisco öppnar för framtida samarbete: VD-n ser nya möjligheter sedan den svenska telejätten bytt ledning, in: Dagens Nyheter, 5. Februar 1999; „Vi står för kompetensen“: Amerikanska dataföretaget Cisco ligger i vissa stycken flera år efter, menar Ericssonchefen, in: Dagens Nyheter, 5. Februar 1999; Trådlös datatrafik ny guldkalv: Sven-Christer Nilsson är säker på strategin efter det första tuffa året i vd-stolen, in: Dagens Nyheter, 11. Februar 1999, Cisco hoppas på Ericsson, in: Dagens Industri, 27. November 1999; Cisco flirtar med Ericsson, in: Dagens Industri, 1. Februar 1999; Interview mit Nilsson, in: Ökad bredd ska ge Ericsson styrka, in: Finanstidningen, 13. Oktober 1998; Trådlöst och internet blir Ericssons nya giv, in: Finanstidningen, 13. Oktober 1998. 302  AXD301 vermittelte simultan Festnetz und Mobiltelefonie, Datenverkehr mit Internet und machte den Aufbau lokaler Netzwerke über IP-Adressen möglich. 303  BT sparar stora pengar med Ericssons nya ATM-nät, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (1999), S. 9.

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Durchbruch verzeichnete Ericsson dann mit der Netzlösung ENGINE, die verschiedene Dienste in einem einzigen Trägernetz vereinte, Mobil- und Festnetzkommunikation inklusive der Übermittlung von Daten und Internet ermöglichte und somit die ausgereifteste Lösung für die Integration von Sprache, Bild und Text vor allem für alteingesessene Netzbetreiber bot. Diese konnten zu IP-Verkehr in bereits existierende Netze übergehen, ohne eine völlig neue Architektur aufbauen zu müssen.304 Durch den Ersatz einiger alter Stationen mit neuen integrierten ENGINE-Vermittlungsstellen konnten die Betreiber 30 bis 50 v. H. der Betriebskosten einsparen.305 6. Der Übergang zu offenen Standards Neben den Akquisitionen suchte der Konzern verstärkt die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, an der im wachsenden Ausmaß auch branchenfremde Akteure teilnahmen. Im Februar 1993 hatte Ericsson zusammen mit Intel, BellSouth und dem Netzbetreiber RAM eine Allianz gebildet, um ein System für drahtlose Datenkommunikation hervorzubringen.306 Seit 1995 wurde gemäß einer Vereinbarung mit Microsoft das Betriebssystem Windows NT für die eigenen Unternehmensschaltungen genutzt. Im gleichen Herzstück jeder AXE-Vermittlungsstelle war der APZ-Prozessor, dessen 1996 hervorgebrachte Nachfolgeversion APZ 212 20 neben AXE auch für ATM-Schaltungen genutzt werden konnte. Vgl. ATM sparar miljarder, in: Elektroniktidningen, Nr. 6 (1998), S. 23; Ericsson och Bay Networks i ökat samarbete, in: Dagens Industri, 17. März 1998. 304  Zugute kam Ericsson dabei, dass GPRS auf GSM basierte, aber paketvermittelte Datenübertragung nutzen konnte. Das GSM-Funkverfahren wurde um einen Paketdatenkanal erweitert, der exklusiv für die Datenübertragung bestimmt war, so dass die Übertragungskapazität bis zu 171,2 kbit / s im Höchstfall erweitert werden konnte. Eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit war für die Datenübertragung beispielsweise von Videokonferenzen eine grundlegende Voraussetzung, da solche Dienste mindestens 64 Kilobyte in Anspruch nahmen. Die normale Überführungsgeschwindigkeit bei GSM lag aber nur bei 9,6 Kilobyte. Ericsson entwickelte auch GSM durch Verbindung mit MMS, GPRS oder i-mode in Gestalt von spezifizierten Diensten weiter. Diese zumeist auf dem Paketdatenstandard GPRS basierten Systeme konnten in das befindliche GSM-System integriert werden, weil damit Datenpakete mit einer Geschwindigkeit von bis zu 115 Kilobit pro Sekunde übertragen werden konnten und so der Zugriff auf Internetfunktionen möglich wurde. Vgl. Ericssons nya miljarder finns i GSM, ATM och IP, in: Elektroniktidningen, Nr. 19 (1998), S. 48. 305  KONTAKTEN, Nr. 15 (2000), 18. September 2000. 306  Damit reagierte der Konzern auf ähnliche Schritte von Kunden und Konkurrenten: McCaw, ein treuer Kunde Ericssons in der Mobilkommunikation, war eine Allianz mit anderen Bellgesellschaften eingegangen und Motorola hatte sich mit IBM unter dem Namen Ardis zusammengetan. Vgl. Ericsson inleder samarbete med Intel, in: Dagens Industri, 30. März 1993.



6. Der Übergang zu offenen Standards361

Jahr kam ein Kooperationsabkommen mit General Datacom für AXESchaltungen und mit Sun Microsystems bei der Integration von Unternehmensvermittlungsstellen hinzu.307 1997 leitete man eine Zusammenarbeit mit Marconi und General Datacom ein, um Resultate aus den eigenen Forschungen zu Breitband für Betreiberzwecke anwendbar zu machen.308 2000 kam es zu einer Allianz mit der IBM-Gesellschaft Tivoli, um das upgrading von in Mobiltelefonen genutzten Programmen zu erleichtern.309 Die im Frühjahr 1998 lancierte neue Plattform für IP-Telefonie unter dem Namen Internet Telephony Solutions for Carriers (IPTS) wurde zusammen mit dem US-Betreiber Delta Three konzipiert.310 1999 vereinbarten die Schweden eine Zusammenarbeit mit den Automobilzulieferern Mannesmann VDO und Delphi Automotive Systems, um Autos mit mobilem Internet ausrüsten und so zukünftige Standards beeinflussen zu können.311 Im Dezember 1999 kamen Microsoft und Ericsson überein, eine gemeinsame Tochtergesellschaft zu gründen, die die kabellosen Kommunikationslösungen Ericssons und die E-mail- und Suchprogramme Microsofts zusammen weiterentwickeln sollte.312 Es war jedoch nicht nur die reine Zunahme strategischer Koordinationen, an denen sich eine neue Qualität der Zusammenarbeit ermessen ließ. Ganz dem ‚Up & Away‘-Szenario entsprechend wurden nun Netzbetreiber wie auch Standardisierungsgremien immer häufiger außen vor gelassen, so dass eine ganze Reihe neuer Standards entweder in Absprache mit branchenfremden Akteuren wie Master Card oder Dell oder anderen Ausrüstungsherstellern begründet wurden. Das herausragendste Gremium sollte neben der Bluetooth Special Interest Group das WAP Forum werden, in dessen Rahmen Ericsson zum ersten Mal an der Begründung eines offenen Standards mitwirkte. Damit wollte man das Eindringen von Datenkommunikationsunternehmen in die Domäne der Telekommunikation mit einer offensiven 307  Ericsson-Microsoft

i allians, in: Dagens Industri, 7. Juni 1995. ger telekomjätten ny marknad: Ericsson koncernchef Lars Ramqvist tror att Internet kommer att skapa nya affärer för Ericsson, in: Dagens Industri, 17. Februar 1997. 309  Ericsson samarbetar med IBM-bolag, in: Dagens Industri, 14. Dezember 2000. 310  Ericsson satsar på Internet, in: Dagens Nyheter, 15. April 1998. 311  Bilindustrin hägrande kund för Ericsson, in: Elektroniktidningen, Nr. 8 (2000), S. 9. 312  Die Ericsson Microsoft Mobile Venture AB mit einer 70 v. H. Mehrheitsbeteiligung Ericssons wurde im Sommer 2000 ins Leben gerufen, um mobile EmailLösungen und Kalenderfunktionen in Gestalt von PIM für Betreiber zu liefern. Während Ericsson Microsofts Mobile Explorer für Endgeräte nutzte, erhielt Microsoft Zugang zu Ericssons WAP-Technologie. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 14 (2000), 14. September 2000; Ericsson och Microsoft startklara i nya bolaget, in: Dagens Industri, 12. September 2000. 308  Internet

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Gegenstrategie konterkarieren. Bereits 1997 hatte das Stockholmer Unternehmen ein offenes Protokoll für die Mobiltelefonstandards namens WAP initiiert, mit dem eine direkte Verbindung zwischen Internet und Mobilsystemen geschaffen werden konnte. Zusammen mit Nokia und den später hinzugestoßenen Unternehmen Motorola und Unwired Planet wurde im Sommer 1997 dieser globalen, interaktiven und offenen Standard vorgestellt, der durch das WAP Forum spezifiziert werden sollte.313 Dieses Forum bedeutete nicht nur einen Einschnitt, weil zum ersten Mal im standard setting auf die Einbindung öffentlicher Gremien wie der ETSI oder Netzbetreiber verzichtet wurde. In gewisser Weise reflektierte es die durch wachsende Anforderungen an die Endgeräte beförderte zunehmende vertikale Integration, die Allianzen mit Datenkommunikationsunternehmen zunehmend attraktiver werden ließen. Wie dieses gemeinsame standard setting nun vonstatten ging, lässt sich am Falle Bluetooths nachzeichnen, an dem Ericsson federführend beteiligt war. Die Idee für den Standard, der die kabellose Kommunikation zwischen mobilen Endgeräten vereinheitlichen und vereinfachen sollte, war 1994 bei der Einheit Ericsson Mobile Communications in Lund entstanden. Mobiltelefone konnten auf diese Weise als eine Art Basisstation an weitere Endgeräte wie Computer oder Kameras angeschlossen werden. 1997 wurden Nokia und andere zur Mitarbeit eingeladen, da der im Mai 1998 der Öffentlichkeit vorgestellte Standard von Beginn an nicht-propreritär sein sollte.314 Kernelement war ein 1996 bei Ericsson entwickelter neuer, billiger kabelloser Funkchip, der ab 1998 an andere Unternehmen ausgeliefert wurde. Zur Unterstützung und zur Spezifikation der Technologie bildete Ericsson 1998 unter anderem mit IBM, Intel, Lucent, Microsoft, Nokia oder Toshiba die Bluetooth Special Interest Group, der sich bis 2000 rund 1900 weitere Unternehmen anschlossen, die sich alle einverstanden erklärt hatten, konkurrierende Patente in einen gemeinsamen Patentpool einzuspeisen und das freie Frequenzband 2,4–2,5 Gigahertz zu nutzen.315 Ähnlich verfuhr Ericsson in einem weiteren Endpro313  Stort steg framåt för mobilsamarbete, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (1998), S. 7. Wichtigste Aufgabe sollte die auf HTML- und WAP-Protokollen basierte kabello-

se Überführung von e-post sein, die Ericsson in feature phones integrieren wollte. Die Kooperation bezweckte aber auch die Weiterentwicklung offener Industriestandards für Produkte basierend auf Bluetooth-Technik, WAP-Technik und Universal Plug and Play. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 21 (1999), 16. Dezember 1999. 314  Bluetooth basierte auf einer Funktechnologie, die in der 2,45 Gigahertz-Re­ gion arbeitete, Reichweiten bis zu zehn Meter zwischen den Geräten abdeckte, Übertragungsraten von bis zu 720 Kilobit pro Sekunde ermöglichte und somit ­Daten- als auch Sprachübertragung unterstützen konnte. 315  Etliche Unternehmen wie Qualcomm, ST Microelectronics und Philips Semiconductor hatten Abkommen mit Ericsson gezeichnet, um die Bluetoothchip von Ericsson in eigenen Produkten anzuwenden. Vgl. zu den Übereinkünften Teknik som



6. Der Übergang zu offenen Standards363

duktbereich, den stark nachgefragten Personal Digital Assistants. Auch in diesem Fall hatte sich das Unternehmen gemeinsam mit Psion, Nokia, Motorola im Juni 1998 in einem Venture namens Symbian zusammengeschlossen, zu dem auch später Panasonic und Sony hinzustießen, um Palm seine Dominanz bei den PDAs streitig zu machen. Bei Symbian wurde das Betriebssystem Epoc für schnurlose Smartphones und Computer hervorgebracht, während das Interfacedesign den beteiligten Unternehmen vorbehalten blieb. Damit konnten die beteiligten Unternehmen Microsoft außen vor halten, obwohl Bill Gates im März 1998 höchstpersönlich die Konzernleitungen von Ericsson und Nokia aufgesucht hatte, um beide von den Vorteilen des Betriebssystems Windows CE zu überzeugen.316 Eigentlich waren es die Hybridprodukte wie die Smartphones mit Funktionen wie Kameras oder tragbaren Computern, die die Distanz zu Endkunden verringerte und Kooperationen mit branchenfremden Akteuren Vorschub leistete. Diese neuen Produktarchitekturen bewirkten nicht nur eine Verwischung der Branchengrenzen, sondern auch eine Restrukturierung der Hierarchien, da die Betreiber in Relation mit den Anbietern immer mehr an Einfluss verloren. Allerdings musste man sich in Stockholm auch dazu bequemen, die propreritäre zugunsten einer kollaborativen Technologieentwicklung aufzugeben. Zwar hatte der Konzern bereits 1995 die Unterstützung offener Systemarchitekturen und Standards bekannt gegeben, allerdings versehen mit dem expliziten Hinweis, dass dieser Schritt solcher offener Systeme auf Anforderungen der Märkte und Kunden zurückging.317 Traditionell hatte sich Ericsson immer schwer getan, propreritäre Technologien in offene umzuwandeln. So hätte die Programmiersprache Plex von vornherein als offenen Standard angemeldet werden können, um dann gemeinsam mit großen Prozessorherstellern fehlerfreie und modularisierte Systeme zu bauen, aber nicht nur in diesem Fall machte sich eine gewisse Hybris des Technologiekonzerns bemerkbar.318 Die Hinwendung zu einer neuen Innovationskultur war insofern kopplar sladdlöst Funkvågor länkar apparater: Bluetooth lämpar sig bäst för hemmiljö, in: Dagens Nyheter, 16. Juli 2000; KONTAKTEN, Nr. 7 (1999), 29. April 1999; Philips hjälper Ericsson med Bluetoothlösningar, in: Dagens Industri, 8. Dezember 1999. 316  Microsoft-CEO Steve Ballmer versuchte später erfolglos, einzelne Unternehmen aus der Symbian-Allianz herauszulösen und leitete eine Zusammenarbeit mit der British Telecom ein, die sich mehr oder minder direkt gegen Symbian richtete. Ericsson, das 400 Mio. SKr in das durch die Tantiemen der Teilnehmer finanzierte Symbian investiert hatte, lancierte das erste Smartphone im Jahr 2000. Vgl. Hotet från PC enar mobiljättarna, in: Dagens Industri, 1. September 1998; Microsoft till attack mot Symbian, in: Dagens Industri, 2. Juni 1999. 317  KONTAKTEN, Nr. 3 (1995). 318  So die Wahrnehmung des ehemaligen Forschungsdirektors: „Das machten wir nicht, das machten wir selbst, weil wir dachten, es sei besser, das für uns selbst zu

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von Schwierigkeiten begleitet, da sich insbesondere die Mobilfunksparte hartnäckig offenen Standards widersetzte.319 Ab Mitte der neunziger Jahren wirkte dann nicht nur ein gewisser Lerneffekt aus den Standardisierungsarbeiten nach, sondern auch die Notwendigkeit, die eigene Marktposition über die Gewährleistung von Netzwerkexternalitäten zu wahren.320 Da die für vielfältige Zwecke nutzbare software einen immer größeren Teil von Angeboten an Kunden ausmachte, war das Unternehmen darauf angewiesen, Lösungen hervorzubringen, die durch die Öffnung die Innovationsrendite verringerte, andererseits aber durch die Vielzahl möglicher Applikationen wie bei den Endgeräten neue Produktfelder erschloss. Wichtigstes Signal für eine größere Offenheit die Entscheidung, die intern entwickelte Programmiersprache ERLANG allgemein zugänglich zu machen. Die um 1987 bei Ellemtel konzipierte leicht zu erlernende Programmiersprache wurde zunächst für Prototypentwicklungen und Experimente, später als eigenständige Programmiersprache genutzt und wurde zum ersten Mal bei einem großen Prototypensystem für Unternehmensvermittlungsstellenapplikationen angewandt. 1998 wurde ERLANG / OTP zu open source: jeder der wollte, konnte nun Zugang zu den Quellcodes bekommen und sie ändern oder ergänzen.321 Anstelle der Nutzung von Plex oder ERLANG ging umgekehrt Ericsson auch dazu über, offene Sprachen wie die Unified Modeling Language UML in Kombination mit objektorientierten Sprachen wie Java und C++ in neuen Plattformen zu verwenden.322 In einer neuen behalten. Und das ist immer noch so bei Ericsson. Der Nachteil ist, man muss alles selbst machen, man muss die Neuentwicklung selber machen, neue Konstruktionen selber hervorbringen anstelle auf den Entwicklungen anderer mitzusurfen.“ Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 319  Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 320  Diese Situation wurde von einem Verantwortlichen wie folgt beschrieben: „Also was wir bei GSM gelernt haben, war ja, dass man mit offenen Standards sehr erfolgreich arbeiten konnte. Man begann, über solche Sachen nachzudenken, mit Bluetooth, Symbian. Bluetooth kam aber beispielsweise auf die Initiative von Leuten auf der Mobiltelefonseite. Ericsson hatte 25 v. H. Weltmarktanteil, das wäre dumm gewesen, wenn Ericsson sein Ding, und Motorola sein Ding und Nokia sein Ding machen würde. Das hätte schlicht und einfach nur dazu geführt, dass sie nicht kompatibel gewesen wären.“ Vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 321  KONTAKTEN, Nr. 19 (1998), 10. Dezember 1998. Open Source oder Open Access begann ursprünglich als eine Initiative von Programmierern, den Quellcode der von ihnen programmierten Software zu veröffentlichen, so dass andere die Möglichkeit hatten, das Programm zu verbessern oder zu verändern. 322  Was die Entscheidung hinsichtlich ERLANGs erleichtert haben dürfte, war der Umstand, dass ERLANG mehr Prozessorenkraft als die Programmiersprachen C und C++ beanspruchte. Vgl. zu der Nutzung von Programmiersprachen Glimstedt, H. / Zander, U., Sweden’s Wireless Wonders: The Diverse Roots and Selective Adap-



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AXE-Version namens AXE Local 6 wurde zum ersten Mal auch ein offener Standard angewandt, der es erleichterte, Datenlösungen von anderen Unternehmen zu implementieren.323 Diese Hinwendung zu offenen Standards wurde durch den Umstand befördert, dass Innovationen wie Bluetooth oder WAP oder die viel genutzten mobile scripting languages wie UML einen Vereinheitlichungseffekt im Sinne der Portabilität bewirkten, da die gemeinsame Entwicklung von development tools, Protokollen und Verbindungstechnikstandards immer mehr zu konvergierenden Programmiersprachen und Interfaces führte.324 Neben der intensivierten Zusammenarbeit mit Datenkommunikationsunternehmen und der Hinwendung zu offenen Standards muss auch ein verändertes Verhalten gegenüber spin-offs aus dem eigenen Unternehmen zu den institutionellen Veränderungen im Branchensystem gerechnet werden. Nahezu vor der Haustür des Konzerns erblühten eine Vielzahl kleinerer Nischenfirmen mit selten mehr als 30 Mitarbeitern, die insofern ganz dem Bild kleiner dynamischer Innovationszellen angelsächsischer Provenienz entsprachen, welche mit radikalen Innovationen und geprägt durch deregulierte Kapital- und Arbeitsmärkte die alteingesessenen Unternehmen herausforderten.325 Lange hatten die Verantwortlichen das Potential dieser kleineren Firmen im eigenen Umfeld verkannt, deren Technologie nicht selten sogar bei Ericsson selbst entwickelt worden war.326 Diese spin-offs warben teilweise im umfassenden Ausmaß Personal von Ericsson ab, so dass 1997 Forderungen laut wurden, der Konkurrenz dieser IT-Unternehmen mit kurzen Produktzyklen und niedrigen Kosten etwas entgegenzusetzen.327 Interessanterweise fand man in Gestalt gesteuerter anstelle unkontrollierter Ausgründungen einen Weg, um KMUs in einem vermeintlich disparaten tations of the Swedish Internet Economy, in: Kogut, B. (Hrsg.), The Global Internet Economy, Cambridge 2003, S. 141 f. 323  Auch die mit ERLANG betriebene Open Telecom Platform (OTP), einer Systemplattform, auf deren Grundlage die software für viele Ericsson-Produkte wie beispielsweise die ATM-Vermittlungsstellen konzipiert wurde, bot verschiedene Funktionalitäten an und konnte nun auch mit anderen Betriebssprachen als mit ERLANG kombiniert werden. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 1 (1997). 324  Die Unified Modeling Language (UML) ist eine standardisierte Sprache für die Modellierung von Software und anderen Systemen. 325  Richards, Clusters, S. 166. 326  So brachte der Forscher Lars Gauffin an der KTH die innerhalb eines Forschungsprojektes von SICS, KTH, Ericsson und Telia entwickelte GSM-basierte DTM-Technik zur Marktreife, die eine Übertragung von TV-Bildern und anderen Informationen über das Breitbandsnetz ermöglichte, deren Weiterentwicklung konzernintern jedoch gestoppt worden war.Ericsson lyfter Dynarc, in: Elektroniktidningen, Nr. 10 (1999), S. 6. 327  Ericssonteam gör utbrytning, in: Dagens Industri, 18. Januar 1999.

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institutionellen Umfeld anzubinden. Als Reaktion auf den unkontrollierten Abgang von potentiell hochqualifizierten Mitarbeitern soll eine Tochtergesellschaft namens Ericsson Business Innovation gezielt in ‚Ausbrecherunternehmen‘ investieren, um einen brain drain aus dem Unternehmen zu verhindern. Anstelle dass die KMUs in Konkurrenz zu Ericsson traten, sollten systematische Verbindungen zu neuen Innovationszellen aufgebaut werden, indem der Konzern selbst als Initiator auftrat und insofern die bewährte institutionelle schwedische Lösung der spill-overs im umfassenden Ausmaß nutzte.328 Eine Arbeitsgruppe für Innovationsmanagement und ein Venture Board sollten zunächst Vorschläge für mögliche Ausgründungsprojekte und start-ups erarbeiten, die dann durch einen ‚Innovation Guide‘ angeleitet werden sollten.329 Ericsson Business Innovation sollte als interne Risikokapitalgesellschaft kreative Vorschläge im Konzern evaluieren, sie bei Kunden testen und Innovationszellen innerhalb von ein bis drei Monaten zu einer Reifephase bringen. Im Falle eines positiven Beschlusses sollte ein kleines Unternehmen ausgegründet werden, das sich auf die Unterstützung des Konzerns in Gestalt von Personal, Prototypentwicklung und FuE-Mitteln verlassen konnte. Anders als im Falle der freistehenden Unternehmensgründungen sollte die Kontrollmöglichkeit durch eine Mehrheitsbeteiligung des Telekommunikationskonzerns gewahrt werden. 2000 hatte Ericsson Business Innovation bereits fünf Innovationszellen und sieben Joint Ventures gegründet, die von Ausrüstung für Online-Computerspiele bis hin zu Software für Lastenbalancierung eine ausdifferenzierte Bandbreite an Produkten anboten. ­Etliche Unternehmensprojekte wie Connect Things oder Terraplay Systems, die sich nach der Reifephase von 12 bis 18 Monaten bewährten, konnten später in die Struktur des Konzerns reintegriert werden.330 Darüber hinaus sollte ein eigens eingerichteter Risikokapitalfond mögliche neue Produkt328  Dabei erwies sich die Programmiersprache Erlang häufig als nützliches Verbindungsglied: So beispielsweise im Falle Bluetails, das 1999 von 12 ehemaligen Mitarbeitern gegründet worden war, um Sicherungsprogramme für Webseiten und Emailsysteme zu konzipieren. Vgl. Avhoppare från Ericsson utvecklar program för säkrare e-post, in: Ny teknik, Nr. 24 (2000), S. 23. 329  Sigurdson, J. / Liyanage, S., The Ericsson Experience in the Swedish Innova­ tion Landscape, in: International Journal of Learning and Change, Vol. 1, Nr. 1 (2005), S. 141–155. 330  Connect Things wurde im Herbst als ein eigenes Unternehmen für Informa­ tionssuche im Internet mit Ericsson als Teileigner gegründet. Eine Beteiligung erwarb der Konzern auch bei Multilet, das Filter zur Nutzung von Koaxialkabeln in Kabel-TV-Netzen für einen schnellen und billigen Internetzugang verkaufte. Weitere Beispiele solcher Neugründungen finden sich in KONTAKTEN, Nr. 2 (2000), 10. Feb­ ruar 2000; Ericsson tänker om – knoppar av bolag med personal som delägare, in: Dagens Industri, 15. November 1999.



6. Der Übergang zu offenen Standards367

bereiche für start ups identifizieren und Finanzierungslösungen erarbeiten. So sollte die 2000 ins Leben gerufene Risikokapitalgesellschaft namens Ericsson Ventures Partners, in die Ericsson, Investor, Industrivärden und Merril Lynch ein Startkapital von zusammen 2,9 Mrd. SKr eingebracht hatten, in nordamerikanischen und europäischen IT-Unternehmen Beteiligungen zwischen 10 bis 30 v. H. erwerben. In die Risikokapitalgesellschaft Guoco Land investierte Ericsson im Frühling 2000 zusammen mit anderen Partnern wie Investor und Hutchison Whampoa als Anteilseigner mit 16,4 v. H. insgesamt 177 Mio. SKr. Ein dritter Risikokapitalfond namens Fond Ericsson-Deutsche Technology Fund sollte ausgestattet mit einem Grundkapital von 100 Mio. SKr nach interessanten Objekten im ostasiatischen Raum Ausschau halten.331 a) Die Zusammenarbeit mit Universitäten und Hochschulen Eingedenk des überproportionalen FuE-Engagements seit 1992 erscheint es evident, dass bei Ericsson ein vitales Interesse vorhanden war, die Kompetenzen schwedischer Hochschuleinrichtungen für eigene Zwecke zu nutzen. Was das Stockholmer Telekommunikationsunternehmen in der Tat von SCA und Sandvik signifikant unterscheiden sollte, war das intensive Bemühen um einen Austausch mit sowohl einheimischen als auch ausländischen Forschungseinrichtungen und einen verstetigten Personal- und Wissenstransfer, obwohl nur fünf v. H. der Konzernmittel in die grundlegende reine Forschung flossen und 95 v. H. für die Produktentwicklung aufgewendet wurden.332 Prominentestes Beispiel für das in Schweden praktizierte Zusammenwirken zwischen Forschungsinstitutionen, öffentlichen Transferinstitu­ tionen wie NUTEK und Industrie war sicherlich der 1975 gegründete Kista Science Park bei Stockholm, in dem sich schon früh neben Ericsson-Tochtergesellschaften weitere Elektronikunternehmen niedergelassen hatten. Der Aufgabe der Ausbildung und Pflege von Netzwerkbeziehungen in diesem Cluster hatte sich die im März 1988 eingeweihte Forschungsstiftung Electrum angenommen, hinter der wiederum die Stiftung Electronikcentrum stand, in der etliche IT-Unternehmen vertreten waren.333 In Kista ließen sich 331  Der Partner war die Deutsche Bank-Tochtergesellschaft Deutsche Asset Management. Vgl. zu den einzelnen joint ventures KONTAKTEN, Nr. 14 (2000), 14. September 2000; Industrivärden kliver in i den nya ekonomin, in: Dagens Industri, 31. August 2000; … och ytterligare ett med Ericsson, Dagens Industri, 28. März 2000. 332  Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 333  Electrum war 1985 von ASEA, Ericsson und der Stadt Stockholm aus der Taufe gehoben worden, um die Kontakte zwischen Industrie, Gewerbeleben und Hochschulen zu fördern. Die Stiftung fungierte in erster Linie als Forum für Forscher und Unternehmen, um spezielle privatwirtschaftliche Anforderungen und neue

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eine ganze Reihe spezialisierter halböffentlicher Forschungsinstitutionen nieder, wie das Swedish Institute for Computer Science (SICS), das teilweise nach Vorgaben oder Ersuchen von Ericsson oder Telia zu Realzeitsystemen, Netzarchitekturen oder Netzwerkprotokollen forschte und teils direkt durch die Unternehmen, teils durch die staatliche Technologietransfereinrichtungen IRECO und NUTEK finanziert wurde.334 Vergleichbare Steuerungs- und Finanzierungsstrukturen fanden sich bei dem Institut für Mikroelektronik (IM), das sich aufgrund seiner Ausrichtung auf Mikrochiptechnologie, fiberoptischer Komponenten, Supraleitern und Mikrowellentechnik für Ericssons Komponentenherstellung als Zusammenarbeitspartner anbot. Gleiches galt für das schwedische Institut für Systementwicklung und Informationsbehandlung (SISU) und den universitären Einrichtungen wie der Funksystemabteilung der KTH und dem Institut für Informationssysteme der Stockholmer Universität. Die KTH war noch vor Chalmers, mit der Ericsson zur Weiterentwicklung der Verteidigungs- und vor allem Mikrowellentechnologie eine Zusammenarbeit pflegte, die wichtigste Universität für den Telekommunikationskonzern.335 In Kista konnten zusätzlich die Beziehungen zu Zulieferern wie Sund, von dem Ericsson seine CAD-Systeme bezog, oder Instrumenten- und Laboratoriumsausrüstungslieferanten wie IBM und Hewlett-Packard gepflegt werden.336 Spezielle Forschungsprogramme der Stockholmer Hochschule für Hochgeschwindigkeits- und Personenkommunikation und die Kompetenz bei Electrum hatten maßgeblich die Entscheidung beeinflusst, die Chipfabrik des Konzerns in Kista und nicht in Texas zu errichten.337 Eine ähnliche erfolgreiche Nutzung polyvalenter Potenzialfunktionen lässt sich auch anhand von dem 1983 in Lund als ersten schwedischen Technologiepark überhaupt etablierten Ideon illustrieForschungsergebnisse in einer Art day-to-day-Austausch mit Forschergruppen zu diskutieren. Der Electrum-OD übte in der Regel eine leitende Funktionen bei Ericsson aus, obwohl der Telekommunikationskonzern nicht die antreibende Kraft bei der Gründung der Einrichtung gewesen war. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 5 (1991); zur Rolle Electrums Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007. 334  SICS war zusammen mit SISU bei der Konstruktion einer Multimediavermittlungsstelle für Ericsson im Rahmen des CHEST-Projektes behilflich, an dem neben Ericsson auch Telia, Hewlett Packard und Chalmers mitwirkten. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 7 (1996). 335  Die KTH war auch in den Programmen RACE und bei ESPRIT zusammen mit SICS und SISU aktiv. Die Verbindungen wurden ab 1993 noch gestärkt, als 14 KTH-Professuren und die Institute für Teleinformatik und Elektronik nach Kista verlagert wurden. Anfänglich war sogar geplant worden, die gesamte KTH in Kista anzusiedeln. Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 336  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 337  KONTAKTEN, Nr. 3 (1993); Nya Kistafabriken ett bygge i Bert Jeppssons smak, in: Elektroniktidningen, Nr. 11 (1993), S. 9–10.



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ren, der eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Ericsson-Mobiltelefone spielte.338 Die Forschung an Schaltkreisen in Lund hatte eine lange Tradition, da in der südschwedischen Stadt schon 1981 der erste integrierte Schaltkreis und der erste Mobilfunkchip konstruiert worden war. Ab 1985 konnten mit Hilfe Ideons direkt von der Lunds Tekniska Högskola (LTH) rekrutierte Ericsson-Ingenieure zur Antennenausrichtung, Kodierung und Gesprächsqualität der Endgeräte beitragen.339 Für die eigene Schaltkreiskonstruktion finanzierte der Konzern in den neunziger Jahren das Kompetenzzentrum Competence Centre for Circuit Design (CCCD), das 1998 seine Tätigkeit aufnahm.340 Nach dem Vorbild von Kista oder Lund wurden auch anderswo Einheiten angesiedelt, um die Kompetenzen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu nutzen und Forscher und Ingenieure anzuwerben. Wie im Falle Lunds stimmten sich die Universitäten oft sogar direkt mit den einzelnen Standorten Ericssons ab. Die für Software und Elektronikentwicklung zuständige Einheit Erisoft wurde in Luleå aufgrund der Nähe zu LTH und der Universität Umeå sogar direkt auf dem Universitätsgelände platziert, um neben einem möglichst direkten Transfer der Basisforschung auch direkt Nachwuchskräfte von den Hochschulen abwerben zu können.341 In Mjärdevi, nahe an der Linköpings Universität, errichtete man eigene Einrichtungen 338  Ideon war eigentlich eine Initiative der Stiftung SUN, der Universität Lund, der schonischen Handelskammer und dem Entwicklungsfonds, um der Abwanderung aus der Region etwas entgegenzusetzen und Kontakte zwischen Industrie und Universität zu vermitteln. Die Mobilfunkingenieure des Konzerns fanden dort aufgrund des Platzmangels in Stockholm und der Konkurrenz der übermächtigen Systemseite deutlich bessere Arbeitsbedingungen vor. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007. 339  Wichtige Innovationsschritte für W-CDMA und Bluetooth wurden ebenfalls in Lund realisiert. Vgl. Zur Rolle Lunds KONTAKTEN, Nr. 5 (1986), Juni 1986; Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 340  Auch andere IuK-Unternehmen wie Telia Research, Sun, Cadence und Agro Vision wirkten hier mit und beteiligten sich an der Finanzierung der 12 Mio. SKr. Der größte Teil der Kosten wurde allerdings von NUTEK mit vier Mio. Skr. und Ericsson mit 2,9 Mio. SKr übernommen. Vgl. Lunds tioåriga Teknikby en av Europas största, in: Elektroniktidningen, Nr. 11 (1993), S. 13; KONTAKTEN, Nr. 4 (1996); I Lund utvecklas framtidens CMOS-kretsar, in: Elektroniktidningen Nr. 7 (1999), Messebeilage, S. 24. 341  Das joint-venture Erisoft hatte zwar mit Programatic einen Teileigner, aber 80 v. H. der Aufträge kamen von Ericsson. Später sollte das Mäkitalo Research Center in Luleå mobiles Internet in Zusammenarbeit mit Firmen wie Ericsson, Telia und Frontec erforschen. Ericsson investierte 1997 noch einmal 40 Mio. SKr in eine Professur an der Mitthögskola in Östersund, die sich in der Praxis und anstehenden Forschungsfragen mit der eigenen Produktionsanlage in Östersund abstimmen sollte. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 6 (1988); KONTAKTEN, Nr. 17 (1997); Nytt forskningscentrum för IT i Luleå, in: Dagens Nyheter, 14. Februar 2000.

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der Softwareentwicklung für AXE und Mobiltelefone.342 1997 wurde ein FuE-Zentrum in Ronneby eingeweiht, um die Software-Entwicklung der Datenkommunikationsprodukte in enger Zusammenarbeit mit der Blekinge Tekniska Högskola in Karlskrona zu realisieren.343 In Göteborg nutzte der Telekommunikationskonzern die führende Rolle Chalmers’ bei Hochfrequenz- und Mikrowellentechnologie, die über ein spezielles Forschungszentrum für Hochgeschwindigkeitselektronik namens CHACH bei Datenüberführung mit hohen Geschwindigkeiten bis zu 10 Gbit / s behilflich war.344 Insbesondere in den neunziger Jahren setzte der Konzern umfassende Mittel ein, um Kompetenzen an schwedischen Hochschulstandorten erschließen zu können. Dabei konnte das Telekommunikationsunternehmen stets mit der hilfreichen Hand der staatlichen Innovationsförderungsgremien rechnen. Bereits ab 1955 wurde mit der Begründung des Instituts für optische Forschung (IOF) in Schweden die für die konzerneigene Komponentenherstellung wichtige Fiberoptik erschlossen.345 Auch in der Mikroelektronik hatte der Reichstag 1983 ein mikroelektronisches Programm namens NMP mit der Laufzeit von vier Jahren beschlossen, um im Halbleiterbereich durch staatliche Hilfeleistungen zu den USA und Japan aufzuschließen.346 Daneben hatte 1980 der STU zusammen mit NUTEK ein Programm für Datenverarbeitung gestartet, das 1985 zur Gründung von SISU und SICS 342  2000 wurde ein neues Entwicklungszentrum im Mjärdevi Science Park eröffnet, in dem Mikrochips für Breitbandselektronik und Kopplungen für mobiles Internet entwickelt werden sollen. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 1 (1987); KONTAKTEN, Nr. 10 (2000), 8. Juni 2000. 343  Auch hier wurde nach dem Vorbild Kistas ein Netzwerkprojekt namens Telecom City unter anderem durch Ericsson, Nokia, Nordic Tel  /  Europolitan, France Télécom und Telia ins Leben gerufen. Vgl. Telekom tände hoppet: Karlskrona vill bli smältdegel för innovativa företag, in: Dagens Nyheter, 13. Januar 1995. 344  Auch Antennen wurden von Ericsson Microwave Systems in Zusammenarbeit mit Chalmers konstruiert. Ein zugehöriges Forschungsprojekt, an dem Ingenieure und Doktoranden seit Juni 1997 arbeiteten, wurde von Ericsson mit 25 Mio. SKr für einen Zeitraum von fünf Jahren finanziert. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 14 (1997). 345  Durch das NMP konnte das IM von Forschungen mit Lithiumniobat, Galliumarsenid und Indiumphosphid profitieren, was sich später bei der Chip- und Platinenherstellung als bedeutend erwies. Vgl. zu den frühen Technologieprogrammen vor allem Jamison, A., National Styles in Technology Policy: Comparing the Swedish and the Danish State Programmes in Microelectronics / Information Technology, in: Hilpert, U. (Hrsg.), State Policies and Techno-Industrial Innovation, London / New York 1991, S. 305–328; Jamison, A., Nationella särdrag i teknikpolitiken: Om traditioners och kulturella faktorers betydelse för dagens FoU-satsningar, in: Glimell, H. (Hrsg.), Industriförnyelse i Norden: 80-talets programsatsningar på mikroelektronik, Roskilde 1988, S. 134 ff. 346  Die ‚mikroelektronische Revolution‘ wurde zusätzlich auch als Herausforderung in der Verteidigungstechnologie wahrgenommen. Vgl. zu den Programmen insbesondere Jamison, National Styles, S. 317 f.



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führte, und ein 1979 bis 1984 laufendes Programm für elektro- und optoelektronische Komponenten initiiert. Obwohl die Forschungsergebnisse nach Angaben von Ericsson-Repräsentanten bescheiden ausfielen – so waren die eigenen Anstrengungen zur Hervorbringung eines CMOS-Schaltkreises nicht von Erfolg gekrönt – hatte insbesondere das NMP-Programm als Initialzündung für eine engere Zusammenarbeit mit den Universitäten gewirkt.347 Folgeprogramme wie das ‚Digital Kommunikation 100‘ und das ‚IT4‘ mit einem Budget von einer Mrd. SKr und einer Laufzeit von fünf Jahren bezogen sich schon direkt auf produktorientierte Anwendungen und ermöglichten unter anderen Ericsson und Telia den Bau eines Prototyps für ein GSM-System.348 1991 schloss das nationale Forschungsprogramm IT2000 für Systemtechnologie die Ära der großen Rahmenprogramme ab. Dienten anfängliche forschungspolitische Initiativen noch der grundlegenden Wissensdissemination, waren diese Programme in den neunziger Jahren schon deutlich auf Bedürfnisse Ericssons zugeschnitten. Zum Ärger anderer Interessenten sollte das Stockholmer Telekommunikationsunternehmen regelmäßig den Löwenanteil hinsichtlich finanzieller Mittel und Ausrichtung beanspruchen.349 Teilprojekte wie das von NUTEK finanzierte Dreijahresprogramm SWAP knüpften dann direkt an die Bedürfnisse Ericssons bei ATM an. Eine solche enge Abstimmung hatte sich auch die strategische Forschungsstiftung (SSIF) zum Ziel gesetzt, die ab Mitte 1995 Projekte finanzierte, um eine Konvergenz von Grundlagen- und Anwendungsforschung über ein enges Zusammenwirken von Hochschulen und Unternehmen zu verbessern.350 Solche Anstrengungen waren auch eine Reaktion darauf, dass es weltweit keine Hochschule gab, die von sich behaupten konnte, in der Mobilkommunikation ein für unternehmerische Zwecke nutzbares Wissenspotenzial akkumuliert zu haben.351 Um diesen Mangel zu beheben, wurden Programme initiiert, die Forschungen an der KTH, Chalmers und den Hoch347  Interview

mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. IT4-Programm orientierte sich allerdings immer noch sehr stark auf die Mikroelektronik. Vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 349  Vgl. dazu die Interviewäußerung des ehemaligen Forschungsdirektors: „Da haben wir natürlich lobbyiert, dass die Telekom-Programme groß werden; das läuft natürlich über die Branchenorganisationen, die dann ihre Interessen durchsetzen; alle antichambrieren bei den Forschungsinstitutionen.“ Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 350  Enkretsfunk för framtidens mobiltelefon får Nutekmiljioner, in: Elektroniktidningen Nr. 2 (1994), S. 21. 351  So die Darstellung des technischen Direktors: „Am liebsten hätten wir natürlich mit einer Hochschule zusammengearbeitet, die bei Mobilkommunikation stark war, aber die gab es nirgendwo, das hatten die zuletzt in den zwanziger Jahren gemacht. Selbst in den USA gab es nichts. In Europa gar nichts, nur in Japan etwas, betrieben von NTT DoCoMo.“ Vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 348  Das

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schulen in Linköping und Lund speziell zur drahtlosen Telefonie möglich machten.352 Neben der SSIF legte auch NUTEK zwischen 1993 und 1999 allgemeine Forschungsprogramme für Telekommunikation mit einem jähr­ lichen Budget von zunächst 20 Mrd. SKr, später 12 Mrd. SKr auf, aus denen Teilprojekte wie beispielsweise in der Mikroelektronikforschung mit den technischen Hochschulen in Uppsala, Stockholm, Göteborg, Lund und Linköping realisiert wurden.353 Ab 1997 wurden die diversen Projekte durch das schwedische IT-Institut (SITI) als Dachorganisation angeleitet, in der neben öffentlichen bzw. halbstaatlichen Einrichtungen auch Ericsson und Telia als Miteigentümer auftraten, so dass sichergestellt werden konnte, dass den Bedürfnissen der beiden privatwirtschaftlichen Akteure Genüge getan wurde.354 Dieses systematische Bemühen um eine Wissensdiffusion aus dem Hochschulsektor beschränkte sich im Falle Ericssons nicht auf den schwedischen Raum. 2000 wurde in Neuseeland im Rahmen eines Joint Ventures das sechsundzwanzigste Technologiezentrum begründet, das eine ganze Reihe anderer Zentren in dreizehn europäischen Ländern, Nord- und Südamerika, Süd­ afrika, Australien, Japan, China, und Indien ergänzte. Diese Vielfalt war mehr oder minder ein direktes Erbe der Internationalisierungstätigkeit des Unternehmens. In den Ländern, in denen Ericsson Aufträge erhielt, wurde nicht nur Produktion angesiedelt, sondern auch Installationseinheiten, da es ein ganzes Jahr dauerte, bis eine große Vermittlungsstelle installiert worden war. Später musste man für Kunden Leistungen wie Datenanpassung, Konstruktionsarbeit und die Anpassung an Standards erbringen, so dass eine gewisse Spezialisierung an lokale Gegebenheiten folgte.355 Je mehr markt352  Nu vaknar Ramqvist: Internet nästa för Ericsson efter GSM-vågen, in: ­Veckans Affärer, Nr. 23 (1997), S. 17. Im Rahmen des Projektes Personal Computing and Communication (PCC) mit Projektleitern von Ericsson, Telia und Nokia wurden Doktoranden der THs Stockholm, Göteborg und Lund ausgebildet, die nach der Promotion direkt bei Ericsson und Telia ihre erworbenen Kenntnisse umsetzen sollten. Umgekehrt sollten auch die Hochschulen von den erworbenen Kompetenzen profitieren. So vereinbarten Ericsson und die TH Linköping 1999 ein Rahmenabkommen über eine Zusammenarbeit im Bereich Mikroelektronik und software engineering, das den Konzern darauf verpflichtete, seine praktischen Erfahrungen in die Evaluation und Entwicklung einer auf IKT ausgerichteten Ingenieursausbildung einzubringen. Vgl. Doktorander skräddarsys för Ericsson och Telia, in: Dagens Industri, 3. Mai 1997; Högskola forskar åt Ericsson, in: Dagens Nyheter, 20. Juni 1999. 353  In die Programme waren auch Telia, ABB, Allgon, CelsiusTech und Saab Dynamics involviert. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 19 (1995). 354  Lindmark, Telecom Dynamics. 355  AXEs modulare Systemkultur vereinfachte es zusätzlich, die Designverantwortung an die Ericssoneinheiten zu delegieren, in denen die größten AXE-Kunden aktiv waren. Vgl. Ericsson Geschäftsbericht 1999.



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gesteuert die Technikentwicklung war, desto mehr betrachtete man es zusätzlich als Wert, für produktionsreife Lösungen auf den Märkten auch mit FuE-Aktivitäten vertreten zu sein.356 Demgemäß bestanden die Netzbetreiber auf einer Präsenz von Ericsson-Technikern, die in Abstimmung mit Kunden die Weiterentwicklung der digitalen Mobiltelefonsysteme betreiben sollten.357 Als die Betreiber sich für einen der jeweiligen Standards wie GSM, PDC oder TACS entschieden, platzierte die Unternehmensleitung Einheiten vor Ort, um die Implementation und Handhabung betreuen zu können.358 Langsam bildete sich in den ausländischen Tochtergesellschaften eine knowledge base heraus, so dass auch komplexere Entwicklungsaufgaben aus Schweden delegiert und nach schwedischem Vorbild Beziehungen mit Universitäten und Hochschulen geknüpft wurden, um Personal und Know-how zu rekrutieren.359 Dementsprechend wurde das ‚Lund-Modell‘ auch bei Entwicklungseinheiten wie im Triangle Park in den USA oder im britischen Basingstoke umgesetzt, wo ein enger örtlicher Kontakt mit Universitäten einen möglichst präzisen Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Anwendungsbereiche sicherte.360 So weihte Ericsson 1991 sein neues europäisches Forschungs- und Entwicklungszentrum Ericsson Eurolab in Aachen-Herzogenrath ein, das bis 1994 für 150 Mio. D-Mark ausgebaut werden sollte, da infolge des Mannesmann-Auftrages dort 500 Ingenieure an der Weiterentwicklung der digitalen GSM-Kommunikationssysteme arbeiten konnten.361 Auch in Indien wurde 1996 eine neue Toch356  So ein Verantwortlicher für die Produktion: „Man kann keine Mobiltelefone in Lund für Japan entwickeln. Wenn ein Markt Adressat einer Technologie ist, dann muss es auch dort entwickelt werden. Da ging es um toolbox, design tools etc. … Auch Mobiltelefone wurden in den USA für den US-Markt entwickelt. Da waren die Kunden, da waren die Standardisierungsorgane, die US-Kunden hatten einen anderen Geschmack. Das Industriedesign wird dort entwickelt.“ Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 357  Nödrop från Ericsson: 3000 ingenjörer saknas, in: Dagens Industri, 5. Juni 1990. 358  In diesen Einrichtungen ging es um Fragen wie den Grenzschnitt zwischen Frequenzbereichen, Signalarbeit etc., allerdings weniger um die Programmierung. Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 359  In den achtziger Jahren hatte man dann begonnen, kleinere Produktionseinheiten aus Rentabilitätsgründen wegen fehlender Skalenerträge abzubauen, behielt aber die FuE-Abteilungen bei und transformierte Beschäftigte aus den rückgebauten Hardware-Einheiten in die Entwicklungsarbeit. Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 360  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 361  Aachen knutpunkt för Ericsson i EG, in: Veckans Affärer, 30. Mai 1990. Dass die Wahl auf Aachen fiel, war nicht nur der zentralen Lage in Europa und der Nähe zu den Benelux-Märkten geschuldet, sondern auch der Nähe zu der RWTH, wo zu Systemdesign für Mobil- und Festnetzen geforscht wurde und sich die Möglichkeit bot, Ingenieure und Forscher abzuwerben. Neben Aachen und einer Koope-

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tergesellschaft in Bangalore platziert, nachdem die zuständigen Behörden GSM als Standard gewählt hatten.362 Gelegentlich wurde auch von Regierungsseite ein sanfter Druck ausgeübt, wie bei dem Bau des Ericsson Open Laboratory for Mobile Multimedia in P ­ eking Ende 2000 zur Erforschung der Technik der dritten Mobilfunkgeneration.363 Ähnlich wie in Schweden nutzte Ericsson auch im Ausland den Weg direkter Forschungszusammenarbeit wie mit dem Center for Integrated Systems (CIS) der Universität Stanford zur Forschung an optischen Überführungswegen. Auch Berkeley, Rutgers und Davis, die Universität Tokio und diverse europäische Universitäten zählten zu den ausländischen Partnerhochschulen, an denen Ericsson eine Professur oder Forschungsvorhaben finanziell unterstützte, Personal im Rahmen von Austauschprogrammen entsandte oder in den eigenen Einheiten weiter qualifizierte.364 In einigen Ausnahmen wurde auch wie in Silicon Valley oder in Mailand Einheiten etabliert, da in Schweden entsprechende Kompetenzen nicht vorhanden waren.365 Die Forschung wurde allerdings während des gesamten Untersuchungszeitraums vorrangig in Schweden betrieben, so dass Tochtergesellschaften und Entwicklungszentren sich primär Entwicklungsfragen oder der Bearbeitung kundenspezifischer Probleme widmeten und die Kooperation mit örtlichen Hochschuleinrichtungen die Grundlagenforschung nur selten tangierte.366 Was den Aufbau eines transnationalen Entwicklungsnetzwerkes unter dem Konzerndach erleichtern sollte, war der zunehmend immaterielle Gehalt der Wertschöpfung, die es erlaubte, spezifische Projekte sogar in Kooperation zwischen verschiedenen Entwicklungszentren zu realisieren. Der Anteil einer hochgradig ortsgebundenen Materialforschung, die wie in Sandviken ration mit dem Fraunhofer-Institut in Kaiserslautern baute Ericsson in Deutschland weitere Vertretungen wie in Hildesheim auf, um dort Breitbandssysteme, Vermittlungsstellenausrüstung und Wartungs- und Betriebsysteme zu entwickeln. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 7 (1991); KONTAKTEN, Nr. 16 (1996). 362  KONTAKTEN, Nr. 1 (1998), Februar 1998. 363  Telefongodis ger Ericsson försprång, in: Dagens Industri, 9. November 2000. 364  Dementsprechend engagierte sich das Unternehmen auch finanziell im Ausland: So spendete Ericsson 116 Mio. SKr an die University of California für die Erforschung von CDMA. Vgl. Ericsson donerar till forskning i USA, in: Dagens Industri, 12. Dezember 2000. 365  So veranlasste das ungenügende Know-how in Schweden eine der profitabelsten Einheiten des Konzerns, Ericsson Microwave Systems, Teile der eigenen Entwicklungsarbeit in Mailand anzusiedeln, um die Wissensvorsprünge der dortigen Hochschule in der Mikrowellentechnologie ausnutzen zu können. Vgl. Ericsson Microwave flyttar forskning utomlands, in: Dagens Industri, 23. April 1998. 366  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007; Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008.



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durch ihre Nähe zu der verarbeitenden Produktion profitieren konnte, war ohnehin relativ klein. Eine AXE-Vermittlungsstelle bestand Mitte der neunziger Jahre zu vier Fünfteln aus Software und nur zu einem Fünftel aus Hardware.367 Via Internet oder dem Austausch von Forschern konnten Projekte auf verschiedene Zentren aufgeteilt werden. Die Arbeit an GSM wurde in Stockholm und Deutschland, teilweise aber auch in Spanien und Großbritannien ausgeführt, D-AMPS in Schweden und Kanada und PDC hauptsächlich in Schweden und Finnland realisiert.368 So waren anders als bei Unternehmen der verarbeitenden Industrie dem global sourcing keine Grenzen gesetzt, weil weder instabile Transportketten noch Kommunika­ tionsfriktionen die Softwareentwicklung behindern konnten.369 Die Vielzahl der Labore und Forschungseinheiten korrespondierte mit den überdurchschnittlichen Wachstumsraten des Konzerns, die gelegentlich zu einem regelrechten Wildwuchs neuer Technikeinheiten führten. 1995 waren weltweit 14.000 Ingenieure in 40 FuE-Einheiten beschäftigt. 1998 befassten sich rund 22.000 Techniker in 23 Ländern mit FuE-Fragen, von denen 12.400 in Schweden arbeiteten.370 Obwohl die Mehrheit der Forschungsaktivitäten in Schweden ausgeführt wurden, war die umfassende Internationalisierung der Forschungsaktivitäten zunächst dem profanen Umstand geschuldet, dass der Personalzuwachs – jedes Jahr wurden alleine 1000 Ingenieure eingestellt – vornehmlich bei Ingenieuren und hochqualifizierten Facharbeitern nicht immer durch das schwedische Arbeitskräfteangebot gedeckt werden konnte.371 Ein Grund für den weltumspannenden Ausbau der Entwicklungsein367  KONTAKTEN,

Nr. 8 (1986), November 1986. Einheit Broadband Network Systems verteilte sich auf Entwicklungseinheiten in Schweden, Italien, USA, Norwegen, Finnland und Deutschland und China, wo zusammen mit dem Wuhan Research Institute an SDH gearbeitet wurde. Vgl. Ericsson startar samarbetsbolag, in: Dagens Nyheter, 20. Juni 1997. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit war die Mobitex-Software, die gemeinsam in Mexiko, von der ERA-Entwicklungsgruppe in Mjärdevi / Linköping, in Großbritannien und in Montreal entwickelt wurde. Ähnlich kooperierten Forschungseinheiten aus Stockholm, Sundsvall und dem britischen Milton Keynes bei dem Funkrufsystem UMS 8000. Vgl. Åke Johanssons Mobitex erövrar världen efter 20 års utveckling, in: Elektroniktidningen, Nr. 6 (1995), S. 19; KONTAKTEN, Nr. 3 (1998). 369  Vgl. zu diesem Apsekt insbesondere Genosko, J., Veränderte Raumbezüge in globalen Organisationen, in: Eckard, A. et al. (Hrsg.), Global Players in lokalen Bindungen: Unternehmensglobalisierung in soziologischer Perspektive, Berlin 1999, S.  150 f. 370  Forskning och utveckling: Ömtålig utveckling, in: Affärsvärlden, 18. März 1998. 371  Bereits 1984 hatte VD Björn Svedberg angekündigt, neben der herstellenden Verarbeitung nun auch FuE-Aktivitäten ins Ausland zu verlagern, weil die Ressourcen in der schwedischen Forschungslandschaft an ihre Grenzen stießen. Vgl. Björn Svedberg, VD Ericsson: „Inte skraj för Japan“, in: Dagens Industri, 12. Juli 1984. 368  Die

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richtungen war also schlicht ein veritabler Personalmangel, der durch das überproportionale Wachstum verursacht wurde.372 Wie groß der Personalbedarf sein sollte, lässt sich daran ermessen, dass 1996 Ericsson alle 900 neuen Zivilingenieure aller schwedischen Universitäten einstellte, die Computer- und Elektronikfachgänge absolviert hatten.373 Auch im Ausland nutzte man den Gangabstand zu Universitäten wie Berkeley, wo Ericsson 2000 ein neues FuE-Zentrum aufgrund der Spitzenkompetenz der Universität in der Internettechnik eröffnete, aber auch um Studenten und Doktoranden anzuwerben.374 Die Streuung der FuE-Einrichtungen und der damit verbundenen Gefahr der Verinselung versuchte man organisatorisch zu begegnen, da die Kommunikation mittels des konzernweiten Technikrates als mangelhaft wahrgenommen wurde und gelegentlich an Technologien gearbeitet wurde, ohne dass das höhere Management von dieser Tätigkeit wusste.375 Vor allem die erheblichen FuE-Ausgaben für AXE-N und W-CDMA gaben Ericsson eine zentralisierte FuE-Struktur, auch wenn erst 1998 die Forschungseinheiten in der zentral gesteuerten Einheit namens Ericsson Research zusammengeführt wurden.376 372  So ein Forschungsdirektor: „Das war eigentlich der Grund, warum man sich dort etablierte, wo es Ingenieure gab. Da können wir nicht nur in Stockholm sein, sondern vor Orten, an denen man Ingenieure ausbildet. Wir mussten ja expandieren. dass war damals gar nicht so leicht, Leute in Stockholm zu kriegen, das ging besser in Lund … Aber es handelt sich darum, Kompetenzen zu akquirieren. man verdoppelte ja den Umsatz jedes Jahr. Vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 373  Ericssons exportraket: från 0,7 till 10 miljarder på bara fem år, in: Ny teknik, Nr. 51 / 52 (1996), S. 12–13; Liten nalle stöttar Sverige, in: Ny teknik, Nr. 20 (1997), S. 24–25. 374  KONTAKTEN, Nr. 19 (2000), 9. November 2000. Die Vorgehensweise in diesem Zusammenhang wird wie folgt beschrieben: „Die tüchtigsten Studenten sollten bei Ericsson beginnen. Dass gilt auch im Ausland, dass man der Universität als Institution nahe kommt … da macht man dann Vorträge über die Branche, inspiriert die Studenten, dass die denken, hm, dass ist lustiger als etwas anderes, so dass sie bei uns arbeiten wollen. Dass war eine bewusste Strategie. Dann ‚verleiht‘ man seine Leute und nimmt in Auswertungsgruppen teil.“ Vgl. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 375  Protokoll från koncernrådets sammanträde, 14. November 1986 (Koncernrådet för den svenska delen av Ericssonkoncernen), ARAB Nr. 4695. 376  Die ein Jahr später reformierte Unternehmensstruktur bzw. die in dessen Rahmen eingerichteten 60 Produkteinheiten schlossen auch die FuE-Einheiten ein. Ab 2002 wurden dann 30 bis 40 Technikzentren weltweit geschlossen. Diese Straffung der Organisation ist nach Angaben von Gewerkschaftsvertretern auf den massiven Umsatzeinbruch nach 2001 zurückzuführen, der der außergewöhnlichen Wachstumsdynamik ein jähes Ende setzen sollte: „Nach 2001 reisten die Verantwortlichen umher und entdeckten, dass an fünf Stellen etwas gleichzeitig gemacht wurde, man kann also sagen, dass die 1990er eine große Zeit der Verschwendung waren, das



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b) Der Weltstandard W-CDMA: Die Allianz mit den Japanern Hatte der Konzern die Integration von Daten- und Telekommunikation ab Mitte der neunziger Jahre durchaus mit Erfolg gemeistert, so stellte sich ab 1998 die erneute Herausforderung für Ericsson, das standard setting für die dritte Generation der Mobilfunktechnologie im eigenen Sinne beeinflussen zu können. Bereits zu Beginn der neunziger Jahre hatte sich die internationale Fernmeldeunion ITU dieser Aufgabe angenommen, um eine vollständige Integration von Datenkommunikationstransfers zu ermöglichen und bei der Gelegenheit die Disparität bestehender Standards aufzuheben.377 Ähnlich wie auch im Falle GSMs sollte sich ein grundlegender Konflikt an der Frage entzünden, welches Multiplexverfahren für den Standard der dritten Generation genutzt werden sollte, der in Europa die Bezeichnung UMTS erhielt und ansonsten als IMT 2000 firmierte. Ähnlich wie Ericsson im Falle der Durchsetzung von TDMA erfolgreich mit Televerket kooperiert hatte, sollte der Konzern mit Nokia und der japanischen NTT DoCoMo auf zwei Partner bei der Durchsetzung eigener Vorstellungen im Hinblick auf die UMTS-Standardisierung vertrauen können, was verdeutlicht, wie umfassend sich die Branchenkooperation nun vollständig auf die internationale Ebene verlagert hatte.378 NTT und das dazugehörige Firmenkonglomerat gehörten schon seit den siebziger Jahren zur Innovationsspitze in der internationalen Telematik.379 Trotzdem waren japanische Telekommunikationsunternehmen hinsichtlich eigener Internationalisierungsbestrebungen und auch der Teilnahme an Standardisierungsaktivitäten anfänglich sehr zurückhaltend gewesen, auch weil es offensichtlich an Willen mangelte, die mikroelektronische Vorherrschaft, die den Japanern eine Spitzenposition bei den Endgeräten verschafft hatte, durch die Erschliekonnte man einfach nicht fortsetzen, da ist man dann auf die Bremse getreten.“ Vgl. Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. 377  Der grundlegendste Unterschied im Vergleich mit der digitalen Generation war das Übertragungsverfahren, das erstmals paketvermittelt eingerichtet wurde. Spätestens damit sollte die Lücke zwischen mobiler Sprach- und Datenkommunikation geschlossen werden, weil die hohen Übertragungskapazitäten die Nutzung von Internetfunktionen ermöglichten. Am 4. Dezember 1998 wurde das 3rd Generation Partnership Project (3GPP) als globale Kooperationsplattform aus der Taufe gehoben, um einen einheitlichen Mobilfunkstandard spätestens 2001 für Fernsprechteilnehmer zugänglich zu machen. Vgl. Klart för global mobilstandard, in: Finanstidningen, 7. Dezember 1998. 378  NTT DoCoMo hatte sich 1992 als weltweit größter Mobilfunkbetreiber von der NTT abgespalten, die 1999 aber noch eine 67 v. H.-Beteiligung hielt. 379  Schneider, Transformation, S. 220.

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ßung der restlichen Netzarchitekturabschnitte zu vervollkommnen.380 Zwar dominierten 1988 NEC, Mitsubishi und Panasonic 80 v. H. des Marktes für Endgeräte in den USA und 40 v. H. in Großbritannien, aber die entsprechenden Anteile bei Systemen, Funkbasisstationen und Vermittlungsstellen kamen nicht über eine quantité négligeable hinaus, was der Neigung zur Mitwirkung im GSM-Standardisierungsprozess nicht gerade förderlich war.381 Als japanische Ausrüstungshersteller in Europa expandieren wollten, mussten sie allerdings feststellen, welche Nachteile die unterlassene Mitwirkung in den Standardisierungsprozessen hatte. Trotzdem war für sie der Wegfall dieses potentiellen Absatzgebietes zunächst leicht zu verkraften gewesen, hatte doch die Einführung von PDC und eine verbraucherfreundlichere Politik eine Wachstumsdynamik ausgelöst, die vergleichbare Entwicklungen in Europa und Nordamerika mühelos in den Schatten stellte.382 Nichtsdestotrotz hatte man aus der mangelhaften Verbreitung von PDC sowie der Nachzüglerrolle der eigenen Ausrüstungshersteller die Lehren gezogen und vor allem die Bedeutung des mobilen Internets erkannt. Im Gegensatz zu den europäischen Betreibern entwarfen die Japaner außerdem nun eine kohärente Geschäftsstrategie, die beim standard setting begann und bei Endgeräten mit einem Set von Produktkomplementaritäten für mobile Internet-Dienstleistungen endete.383 Insofern war jetzt auch das Bedürfnis vor380  Zwar hatte sich die japanische Fernmeldebehörde NTT, ihre Tochtergesellschaft NTT DoCoMo, NEC und Fujitsu auf einen Standard verständigen können, aber hohe Lizenz- und Abonnementgebühren, eine fehlende Einbeziehung ausländischer Akteure und bürokratische Hemmnisse bewirkten, dass sich die Pro-KopfZuwachsraten mit 200.000 Fernsprechteilnehmern im Kontrast zu den USA und Skandinavien doch sehr bescheiden ausnahmen. Fehlender Wettbewerb unter den Diensteanbietern und ein mangelndes Interesse seitens der Post- und Telefonministeriums taten ihr Übriges. Das Ministerium förderte anfänglich sogar hohe Gebühren, da es keine Kunden wollte, die sich Mobiltelefone nicht leisten konnten. Zudem sollten Mobiltelefone an die Nutzer verliehen und nicht verkauft werden, da die Behörden der Auffassung waren, eine Vielfalt an Endgeräten könnte die Kunden nur verwirren. Vgl. zu den Bedingungen in Japan Funk, Global Competition, S. 56. 381  Japanischen Exportanstrengungen war nur in Hongkong, Singapur und Kuwait ein Erfolg beschieden. Vgl. Här har de halkat efter: Ericsson har ännu ingen japansk konkurrens, in: Veckans Affärer, 15. Dezember 1988. 382  In Japan wurden jährlich 11 bis 17 Millionen neue Mobilfunkteilnehmer verzeichnet, was einer Notwendigkeit der Erschließung ausländischer Märkte alles andere als zuträglich war. NTT DoCoMo machte sich schon alleine deswegen für einen Übergang zur dritten Mobilfunkgeneration stark, weil angesichts der raschen und großen Nachfrage in Japan Kapazitätsengpässe auftraten und keine weiteren Frequenzen erhältlich waren. Vgl. zur Entwicklung in Japan Kano, Technical Innovations, S. 317. 383  Glimstedt, H., Competitive Dynamics of Technological Standardization: The Case of Third Generation Cellular Communications, in: Industry and Innovation, Vol. 8, Nr. 1 (2001), S. 49–78.



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handen, die 3G-Standardisierung im eigenen Sinne zu beeinflussen, wozu der weltweit größte Netzbetreiber Verbündete brauchte. Anlässlich der Hervorbringung von PDC hatte Ericsson enge Beziehungen zu NTT DoCoMo aufbauen können und war schon alleine zur Vergrößerung seines Patentportfolios an einem Partner interessiert. Das Know-how der Schweden wurde vor allem im Zusammenhang mit der Einführung von TDMA zu schätzen gelernt, das NEC und Fujitsu erst relativ spät erschlossen hatten und spätestens ab 1995 waren die gemeinsamen Anstrengungen hinsichtlich des 3G-Standards forciert worden.384 UMTS nutzte im Gegensatz zu allen Varianten der zweiten Generation Frequenzbänder zwischen 1290 und 2170 MHz und auch erstmals das Multiplexverfahren CDMA, während bei PDC, GSM und D-AMPS TDMA zur Anwendung gelangt war.385 Diese von der TIA 1992 zugelassene Transmissionstechnik und der daraus hervorgegangene Standard CDMAone war maßgeblich von dem 1985 gegründeten Unternehmen Qualcomm entwickelt worden.386 Ende der achtziger Jahre hatte Ericsson die Arbeit an CDMA für die Erforschung eines Roamingverfahrens namens soft hand-over wieder aufgenommen, und als etliche Mitglieder des Sprint- Konsortiums in den USA und südostasiatische Netzbetreiber sich 1995 für CDMA entschieden, hatte Ericsson erklärt, Systeme auf CDMA-Basis zu liefern.387 Ericsson-Repräsentanten hatten 1996 dem japanischen Post- und Telekommunikationsminister 1996 vorgeschlagen, das GSM ähnelnde Wideband-CDMA (W-CDMA), an dem Ericsson gemeinsam mit Nokia und diversen japanischen Systemlieferanten geforscht hatte, als Standard der nächsten Generation in Japan zu etablieren.388 Nachdem NTT Ericsson mit der privilegierten Aufgabe betraut hatte, 384  Funk, Global Competition, S. 133; zum Beginn der gemeinsamen Arbeit vgl. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008. 385  Im Gegensatz zu den bei TDMA verwandten Zeitschlitzen und der im Falle FDMAs genutzten Frequenz nutzte CDMA das gesamte Frequenzband aus, indem mit jedem Gespräch ein spezifisches Codesignal verbunden wurde. Jedes Bit wurde mit dem spezifischen Codesignal multipliziert und dadurch im Frequenzbereich gespreizt, was die aufwendige Frequenzplanung entfallen ließ. CDMA nutzte die gleichen Frequenzbereiche wie D-AMPS, nämlich 800 MHz und 1900 MHz, war aber vor allem hinsichtlich der Übertragungskapazität mit 8,55 kbits / s etwas verbessert worden. 386  Ericsson hatte CDMA zu Beginn der achtziger Jahre für militärische Zwecke und Satellitenkommunikationsnetzwerke genutzt, ohne es für den Mobilkommunikationsbedarf zu verwenden, weil die Sprechqualität als zu schlecht befunden wurde. Das Unternehmen konnte sich zunächst in der Richtigkeit dieser Entscheidung bestärkt fühlen, weil die US-Branchenvereinigung CTIA 1989 den Standard IS-54 mit einer anderen Transmissionstechnik vorgezogen hatte. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 4 (1993). 387  Ericsson fortsätter imponera, in: Finanstidningen, 18. August 1995; KONTAKTEN, Nr. 11 (1995). 388  KONTAKTEN, Nr. 8 (1997).

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alleine die basale Netzwerkinfrastruktur zu erstellen, ließ man in Stockholm alle Pläne fallen, das TDMA-basierte GSM für die dritte Generation der Mobilkommunikation weiterzuentwickeln.389 War durch die Zusammenarbeit mit NTT DoCoMo die Frage des standard setting für den japanischen Markt schon gelöst, galt es nun, auch die Europäer und US-Amerikaner von der Vorteilhaftigkeit W-CDMAs zu überzeugen. Die europäische Verständigung auf einen Nachfolgesystem für GSM erinnert frappant an die Konfliktlinien während des Findungsprozesses für den digitalen Standard, mit denselben Protagonisten in den gleichen Kooperations- und Konfliktkonstellationen. Auf einer ersten ETSI-Konferenz hatten Ericsson, Telia und Nokia sich mit ihrem Votum für W-CDMA durchgesetzt, während eine Minderheit bestehend aus Nortel, Motorola, Siemens, Alcatel, Bosch und Italtel mit ihrer Hybridlösung aus CDMA und TDMA namens TD-CDMA keine Mehrheit auf sich vereinigen konnte.390 Hätte sich das Gremium auf einen anderen Standard verständigt, wäre Ericsson entweder zur Aufgabe der Kooperation mit den Japanern gezwungen worden – immerhin hatte NTT 14,4 Millionen Kunden- oder zur Aufgabe des europäischen Marktes. Auch 16 andere asiatische GSM-Betreiber, die sich für W-CDMA entschieden hatten, wären im Falle eines abweichenden Votums als Kunden weggefallen. Am 29. Januar 1998 entschied sich nach leichten Konzessionen eine Mehrheit innerhalb ETSIs mit 61 v. H. endgültig für den japanisch-skandinavischen Vorschlag.391 Ein Problem war mit der Durchsetzung von W-CDMA aber noch nicht gelöst, nämlich die US-Amerikaner in die Herausbildung eines einheitlichen Weltstandards einzubinden. Die Europäer warben für die Übernahme von UMTS, das gemäß eigener institutioneller Praktiken als ex ante-Standard vor der Inbetriebnahme von Behörden oder Standardisierungsorganen spezifiziert und von der ITU bestätigt werden sollte. Dass Behörden einen Standard vorgeben sollten, kam in den Augen der Amerikaner einem Marktmechanismen behindernden Oktroi gleich, der ein marktgesteuertes best practice-Auswahlverfahren von vornherein unmöglich machte. Eine Konfrontation zwischen den zwei Wirtschaftskulturen in Gestalt der von den Angelsachsen favorisierten ex post-Standardisierung einerseits, und des europäischen ex ante-Verfahrens andererseits, ließ sich bei der Begründung eines Weltstandards allerdings nicht umgehen. Die FCC stand der europäi389  Bekkers,

Development, S. 462. made by Ericsson, in: Veckans Affärer, Nr. 51  /  52 (1997), S. 40–49; Motgång för Ericsson i val av nästa mobilstandard, in: Dagens Industri, 19. September 1997; Siemens fortsätter slåss, in: Dagens Industri, 18. Dezember 1997. 391  KONTAKTEN, Nr. 1 (1998), Februar 1998; Siemens och Ericsson på samma sida, in: Dagens Industri, 27. Januar 1998. 390  Mobiltelekriget:



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schen Initiative allerdings nicht nur wegen ihrer traditionellen laissez fairePolitik äußerst reserviert gegenüber. Viele US-Anbieter bevorzugten unterschiedliche technologische Standards bei der Einführung von 3G, so dass sich die Behörde deswegen zu Neutralität verpflichtet fühlte. Die angestrebte ex ante-Festsetzung war auf Vorbehalte bei den US-Netzbetreibern gestoßen, weil das Aufrüsten von 2G auf 3G verständlicherweise mit so einer hohen technologischen Kompatibilität wie möglich einhergehen sollte. Der 3G-Standard Ericssons basierte auf einem GSM-Technologierahmen, so dass die US-Hersteller die Aufgabe hätten übernehmen müssen, die Interoperabilität mit CDMA / IS-95 oder TDMA / IS-136 selbst zu konfigurieren, was erhebliche finanzielle und technische Ressourcen in Anspruch genommen hätte.392 Ericsson sollte jedoch mit dem Versuch erfolgreich sein, in den USA Alliierte zu finden. Am 9. Februar 1999 wurde zwischen dem Universal Wireless Communications Consortium (UWCC), der North American GSM Alliance (GSMA) und den mit TDMA / IS-136 und GSM-Netzwerken arbeitenden Betreibergruppen eine TDMA-GSM-Interoperabilitätsvereinbarung unterzeichnet, die auch die AMPS-Netzwerke einschloss und eine enge Kooperation zwischen Betreibern und Herstellern zur Herstellung einer vollständigen Netzkompatibilität auf allen Ebenen anstrebte.393 War auf dieses Weise ein entscheidendes Problem aus dem Weg geräumt worden, so sollte sich an der Frage, wer die Schlüsselpatente für die CDMA-Technologie hielt, ein zusätzlicher unerwarteter Konflikt entzünden, der erneut auf die unterschiedlichen institutionellen Praxen auf beiden Seiten des Atlantiks verweist. Der US-Ausrüstungshersteller Qualcomm hatte den Anspruch geltend gemacht, alleine Lizenzen für CDMA-Patente vergeben zu können, was Ericsson veranlasste, sich an die ITU zu wenden, da man überzeugt war, selbst über die essentiellen Patentrechte zu verfügen. Die Frage der IPRs war für das Unternehmen aus San Diego mit seinen nur 9500 Mitarbeitern allerdings von entscheidender Bedeutung, da der überwiegende Teil der eigenen Gewinne aus Patentgeschäften stammte. In Stockholm verfolgte man insbesondere die Versuche Qualcomms zur Hervorbringung mobiler Breitbandsnetze unter dem selbst kreierten 3G-Standard cdma2000 mit Unbehagen, da Qualcomm die eigenen IPRs ganz der institutionellen Praxis 392  Ericsson

dubblerar försäljningen i USA, in: Dagens Industri, 6. Juni 2000. Allianz mit Ericsson bot durchaus Vorteile für die Betreiber, da TDMA  /  IS-136 und GSM nicht durch eine völlig neue 3G-Technologie abgelöst werden sollte und insofern in einer Art aggregativen Kohabitation weiter existieren konnten. Als Übergangstechnologie wurde EDGE genutzt, das wie GPRS von der ETSI als „freiwilliger Standard“ klassifiziert worden war, in nicht-europäischen Ländern als Zwischenschritt zu UMTS fungieren sollte. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 8 (1999), 13. Mai 1999. 393  Diese

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von US-Unternehmen entsprechend nicht freigeben wollte.394 Die Offerte eines freien Zugangs zu eigenen Patenten hatte Qualcomm abgelehnt, dessen Management nur unter der Voraussetzung W-CDMAs der Kompatibilität mit dem US-Standard ANSI-41 hatte einlenken wollen.395 Umgekehrt drohten die Schweden, keine eigenen Patente für Qualcomms cdma2000-Technik freizugeben.396 Der entscheidende Anstoß zur überraschenden Einigung kam aus einer völlig anderen Weltregion. Die chinesische Regierung hatte signalisiert, ihren Markt für Qualcomms CDMA-Technologie zu öffnen, falls die USRegierung den Beitritt der Volksrepublik zur WTO unterstützen würde; Ericsson mit einem Marktanteil von 40 v. H. in der chinesischen Mobilfunkinfrastruktur war dadurch erheblich unter Druck gesetzt worden, sich auf einen Kompromiss einzulassen, wollte man nicht einen der bedeutendsten Absatzmärkte verlieren. Immerhin wollte die Konzernleitung in den nächsten Jahren zusammen mit Kooperationspartnern 50 Mrd. SKr in dem asiatischen Land investieren, wovon Ericsson selbst 12 Mrd. SKr übernehmen wollte.397 Der Konflikt schien dann endgültig beseitigt, als Ericsson den Kauf von Qualcomms Infrastruktursparte inklusive des CDMA-Forschungszentrums in San Diego bekannt gab.398 Qualcomm konzentrierte sich fortan auf die CDMA-Patente und seine CDMA-Chipherstellung und sicherte zu, fortan keine Ausrüstung für CDMA-Infrastruktur herzustellen. Durch die Integration der eigenen Vermittlungsstellenplattformen in Qualcomms Netzzugangausrüstung schuf Ericsson eine völlig neue Systemlösung für CDMA. Gleichzeitig wurde durch ein Kreuzlizenzabkommen der sich anbahnende standard war zwischen beiden Akteuren schon im stadium nascendi beigelegt.399 Beide Unternehmen verpflichteten sich schließlich darauf, gemeinsam mit der TIA und der ETSI darauf hinzuwirken, dass differente Standards 394  Ericsson

gör upp i patentstrid i USA, in: Dagens Industri, 23. Februar 1999. sollte bei einzelnen Streitfällen entweder die Kompatibilität mit existierender Technologie oder eine relational höhere Kosten- oder Technikeffizienz entscheiden. 396  Ericsson till offensiv i patentstrid, in: Dagens Nyheter, 22. September 1998. 397  Ericsson fördubblar investeringar i Kina, in: Dagens Industri, 9. Dezember 2000. 398  Dass der Kauf vorrangig auf eine Einigung in den Patentstreitigkeiten abstellte, lässt sich daran erkennen, dass die Einheit mit 1300 Beschäftigten gemeinhin als unprofitabel galt. Vgl. Ericsson: På toppen av isberget, in: Veckans Affärer, 11. Oktober 1999. 399  Allerdings auch deswegen, weil die ITU den Dauerzwist zwischen den beiden Kontrahenten überdrüssig geworden war und auf einen Kompromiss drang. Vgl. zu den Details und Hintergründen der Einigung Ericsson kompromissar, in: Dagens Industri, 10. Dezember 1998; Rally i Ericsson efter köp av bolag i USA, in: Da­gens Industri, 26. März 1999; KONTAKTEN, Nr. 10 (1999), 10. Juni 1999. 395  Gleichzeitig



7. Zwischen Konflikt und Konsens383

weiterhin akzeptabel sein würden. Insofern existierten also zwei Versionen einer CDMA-Funkschnittstelle in Gestalt von W-CDMA oder cdma2000, was bedeutete, dass UMTS in Europa und cdma2000 in den USA als zwei Varianten des Weltstandards IMT koexistierten.400 Dennoch war der Weg endgültig frei, den Erfolg von GSM zu wiederholen: Von den im Jahr 2000 abgeschlossenen 30 Abkommen über Lieferungen von 3G-Bedarf an mit UMTS-Lizenzen ausgestatteten Netzbetreiber entfielen auf Ericsson 44 v. H., während der schärfste Konkurrent Nokia sich mit 19 v. H. zufrieden geben musste.401 Ein Grund für die sich abzeichnende Marktmacht waren außerdem die teilweise in Zusammenarbeit mit NTT DoCoMo hervorgebrachten Innovationen Ericssons in der Frequenztechnik, Datenübertragung, Sprachverschlüsselung, Kodierung und Steuerung. Dass man sich nun weniger als im Rahmen des GSM-Standardisierungsprozesses auf die freiwillige oder unfreiwillige Zuarbeit anderer Klubmitglieder verlassen musste, wird daran ersichtlich, dass die Schweden im Jahr 2000 45 der wichtigsten 172 Patente für die 3G-Technik weltweit hielten.402 7. Industrielle Beziehungen in einem Hochtechnologieunternehmen: Zwischen Konflikt und Konsens Ähnlich wie im Falle Sandviks lassen sich auch im Falle Ericssons die Elemente einer korporatistischen Betriebspolitik bis in das frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen. Schon um die Jahrhundertwende war eine Krankenkasse eingerichtet worden und ab 1918 konnten sich Mitarbeiter aus firmeneigenen Kontoren mit Waren zu Vorzugspreisen versorgen. Trugen solche Initiativen noch die Züge eines Unternehmenspaternalismus, wurden die Gewerkschaften in den zwanziger Jahren allmählich in die Entscheidungsfindung von Freizeitkomitees, Hilfsfonds oder werkseigenen Versicherungen eingebunden.403 Als zentrale Mitbestimmungseinrichtung trat gemäß 400  Ergebnis dieses Prozesses war, dass in Europa CDMA als W-CDMA genutzt wird, während in USA, Südkorea aber auch Japan der Standard cdma2000 1xEV als Nachfolger von cdmaOne zur Anwendung gelangt, so dass das roaming mit Hilfe von dual-mode-Telefonen bewerkstelligt werden musste. Vgl. Ta med mobiltelefonen världen över, in: Dagens Industri, 4. Juni 1999; Ny mobilstandard lyft för Ericsson, in: Dagens Industri, 4. Juni 1999. 401  Die dominierende Position der Skandinavier wird noch einmal deutlich im Vergleich mit Nortel, Motorola, Siemens, Lucent, Alcatel und NEC, deren Anteile sich auf unter 10 v. H. addierten. Vgl. Ericsson leder 3G-kampen, in: Dagens Industri, 16. Dezember 2000. 402  Sverige har vart tredje 3G-patent, in: Dagens Industri, 22. Dezember 2000. 403  Die Unternehmensleitung sah sich allerdings auch schon früh einer gut organisierten Arbeitnehmerbewegung gegenüber: Der Zusammenschluss der bei Ericsson

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dem Abkommen von 1946 der Zentralbetriebsrat zusammen.404 Das Gre­ mium sollte einmal pro Quartal zusammentreten, angeleitet durch einen Arbeitsausschuss, der die Zusammenkünfte vorbereiten sollte, mit je drei Repräsentanten aller Gewerkschaften und zusätzlichen ‚Ökonomiekomitees‘ mit jeweils drei Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Diese Ökonomiekomitees sollten über die wirtschaftliche Stellung und Entwicklung des Konzerns auf dem Laufenden gehalten werden.405 1985 wurde auf der Basis des gleichen Abkommens der Konzernbetriebsrat in Konzernrat umbenannt, die bisher geschaffenen Strukturen aber weitestgehend beibehalten.406 Ähnlich wie auch in anderen Unternehmen diente dieses dreimal jährlich tagende Gremium mit 18 Mitgliedern inklusive den Mitgliedern der Konzernleitung vorrangig als ein Informationsorgan.407 Entscheidende Fragen wurde vorrangig im Arbeitsausschuss des Konzernrates mit acht Mitgliedern verhandelt, der insofern als wichtigste Mitbestimmungsinstanz eingeschätzt werden kann. Die Konzernleitung sicherte anlässlich organisatorischer Veraktiven Metall-Klubs in Stockholm konnte bereits in den zwanziger Jahren von sich behaupten, die reichsweit größte betriebliche Grundorganisation mit über 4000 Mitgliedern zu sein. Nach dem Krieg konnte der Metallindustriarbetareförbundet ein Organisationsgrad von mehr oder minder 100 v. H. unter den Arbeitern erreichen, ohne dass es irgendeine closed shop-Regel gegeben hätte. Die Frühgeschichte der industriellen Beziehungen bei Ericsson wird beschrieben in Sund, B., Hundra år på LM: LM Ericssons verkstadsklubb 1898–1998, Stockholm 1998. 404  Die LO-Gewerkschaften entsandten neun Repräsentanten, SIF, SALF und CF zusammen höchstens acht Repräsentanten in das Gremium. Ab 1975 trafen in dem LME-Konzernbetriebsrat neun Repräsentanten der Unternehmensleitung mit 17 gewerkschaftlichen Repräsentanten zusammen. Das 1983 verabschiedete Entwicklungsabkommen veränderte die Kräfteverhältnisse im Arbeitsausschuss dahingehend, dass drei Mitglieder der Konzernleitung nun mit vier Angestellten- und drei LOVertretern verhandelten, die bei MBL-Verhandlungen auch die Verhandlungsdelegation bilden sollten. Vgl. UVA (DKP 4009), ARAB Nr. 4695. 405  Der VD des Unternehmens amtierte sowohl im Arbeitsausschuss als auch im Konzernrat als Vorsitzender. Vgl. PM 21. Mai 1975; Sammanfattning av förslag till lösning och handläggning av frågorna om koncernföretagsnämnd, ekonomikommitté och arbetsmiljöfonder, ARAB Nr. 4695. 406  Den PTK-Gewerkschaften wurde allerdings ein weiterer Vertreter zuerkannt, so dass nun neun Arbeitgeberrepräsentanten insgesamt 18 Gewerkschaftsvertreter gegenüber saßen. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde, Bilaga 1, 10. September 1985; Verkstadsklubbarnas Samorganisation LME, Årsmöte 1984, 22.– 23. Mai 1984, ARAB Nr. 4695. 407  Einmal in 12 Monaten gab es seit 1950 auch eine noch größere Zusammenkunft in Gestalt des ‚Konzerntreffs‘, zu dem jeder Klub eingeladen wurde. Diese Zusammenkunft mit bis zu 200 Gewerkschafts- und Unternehmensrepräsentanten fand an den schwedischen Produktionsorten statt und sollte mit Werksbesichtigungen, allgemeinen Diskussionen und Lageeinschätzungen sowie Debatten mit externen Gästen wohl mehr ein kooperatives Klima fördern und diente weniger als Forum für konkretisierte Verhandlungen.



7. Zwischen Konflikt und Konsens385

änderungen zu, dass die Gewerkschaften in neu gebildeten Tochtergesellschaften denselben Status erhalten sollten.408 Ähnlich wie in anderen schwedischen Unternehmen wurden konzerngewerkschaftliche Aktivitäten wie Weiterbildungsmaßnahmen oder Konferenzen durch das Unternehmen direkt bezuschusst.409 Eine mögliche Einflussnahme auf Entscheidungen war weiterhin über die direkte Repräsentation im Konzernvorstand möglich, in den ab 1987 die Gewerkschaften drei ordentliche Vorstandsmitglieder entsandten.410 Auch in den 2000 eingerichteten Finanz-, Entlohnungs- und Revisionskomitees des Vorstandes wurde den Gewerkschaften eine Repräsentation zugestanden.411 Auch wenn weder im Vorstand noch in diesen Komitees die Arbeitnehmervertreter nach eigener Einschätzung auf Vorbehalte trafen, mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass sich die Konzernleitung in fast allen anderen entscheidungsrelevanten Fragen vorrangig mit den beiden Großeignern in Gestalt der Svenska Handelsbanken und der WallenbergSphäre abstimmte.412 Die Gewerkschaften waren sich den Grenzen ihres eigenen Handlungsspielraumes auf der Vorstandsebene durchaus bewusst, da das 1983 verabschiedete konzernweite Entwicklungsabkommen – ganz der schwedischen Mit­ bestimmungspraxis entsprechend – vorrangig eine umfassende Information über Verfassung des Unternehmens beziehungs408  So zum Beispiel 1987, als Einheiten nun auch den juristischen Status einer Tochtergesellschaft im Vollbesitz erhielten. Vgl. Ericsson RRS Bolagsstyrelse, Protokoll, 20. November 1987; Protokoll lokal förhandling, 17. Dezember 1987, ARAB Nr. 4695. 409  PTK- und LO-Gewerkschaften bekamen für Informationsarbeit und Vorstandskonferenzen 1987 für vier Jahre jeweils 100.000 SKr; der Betrag wurde später auf 200.000 SKr aufgestockt. Für die Ausbildungsaktivitäten der betrieblichen Metallgewerkschaft schoss der Konzern seit 1973 pro Teilnehmer und Abend 16,50 SKr zu, die allerdings nicht für Maßnahmen zu Themen wie Arbeitsschutz, Mitbestimmung, politische Themen oder Sprachausbildung verwendet werden durften. Vgl. AU Protokoll Nr. 4 1987–1988, ARAB Nr. 4695; Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll Nr. 5 1987–1988; Montag, 28. März 1987, ARAB Nr. 4695; Verkstadsklubbarnas Samorganisation LME, Årsmöte, 17.–18. Juni 1982, ARAB Nr. 4695; DK 89039 vom 10.4.1989, ARAB Nr. 4695. 410  Die Ledarna hatten so wenige Mitglieder, dass sie von einer Vorstandsrepräsentation Abstand nahmen. Die drei Stellvertreter nahmen ebenfalls an den Zusammenkünften des Vorstandes teil. 1981 hatten die Gewerkschaften weder die Hauptkapitalgeber noch Vorstandsmitglieder mit ihrem Ansinnen überzeugen können, noch einen zusätzlichen Stellvertreterposten für je einen LO- und PTK-Vertreter einzurichten. Vgl. dazu Verksamhetsberättelse för Verkstadsklubbarnas samorganisation, 13. Juni 1980–17. Juni 1981, ARAB Nr. 4695. 411  Storägares makt minskar: Ericsson siktar på att få in fler utländska ledamöter på styrelseposter, in: Dagens Nyheter, 20. Februar 2000. 412  Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007.

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weise anstehende Schritte garantierte.413 Erst anlässlich der Debatte um das Gewinnbeteiligungssystem forderten die gewerkschaftlichen Repräsentanten im Vorstand etwas unmittelbar ein und verhandelten direkt mit den Kapitalgebern.414 Mögliche Konflikte wurden allerdings seit Ende der achtziger Jahre ohnehin dadurch entschärft, indem wie bei SCA auf Zusammenkünften vor dem Zusammentreten des Vorstandes gemeinsam mit dem VD die für Konzernmitarbeiter relevanten Probleme erörtert wurden.415 Trotz der Vielfalt an Einflussmöglichkeiten zeichnete sich also wie bei den anderen untersuchten Unternehmen die Mitbestimmungspraxis durch einen hochgradig prozessualen Charakter aus. Auch im Falle des Telekommunikationsunternehmens bestätigt sich das Bild, dass zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Belange weniger formalisierte Mitbestimmungsprozeduren entscheidend waren, sondern die möglichst frühe Information über anstehende Entscheidungen.416 Eine weitere Analogie zur gewerkschaftlichen Organisationsstruktur anderer Fallstudienunternehmen war das Beharren auf dem Primat dezentraler Entscheidungsprozesse.417 Die Werksorganisationen der Metallgewerkschaft hatten sich seit 1957 in einer Dachorganisation mit dem Namen Koncernklubbarnas Samorganisation zusammengeschlossen, die sich mit generellen Arbeitsbedingungen, Versicherungsfragen und der Entsendung von Repräsentanten in Mitbestimmungsinstanzen befasste.418 Die gemeinsamen Akti413  Konkret sollte die Konzernleitung die gewerkschaftlichen Vertreter über Zukunftsaussichten, Branchentrends, Verkauf und Kauf von Unternehmen, Investitionsund Desinvestitionsentscheidungen, Organisationsveränderungen und Personalentscheidungen umfassend unterrichten. Vgl. UVA (DKP 4009), ARAB Nr. 4695. 414  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 415  Diese Zusammenkunft ging auf VD Lars Ramqvist zurück, die unter seinem Nachfolger Kurt Hellström eine zusätzliche Aufwertung erfuhr, indem noch weitere Mitglieder der Konzernleitung dazu kamen. Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 416  Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. Das Dilemma der limitierten Mitbestimmung lässt sich an der Reaktion der Gewerkschaften verdeutlichen, als nach der Hauptversammlung 1998 die Vorstandsbezüge mit 40 v. H. erhöht wurden, während die Arbeitnehmerlöhne nur mit drei v. H. stiegen. Trotz der scharfen Verurteilung der Erhöhung, die von Unternehmensseite mit dem Verweis auf US-Praktiken gerechtfertigt wurde, verweigerten die Gewerkschaftsrepräsentanten im Vorstand nicht ihre Zustimmung. Der Metall-Vorstandsrepräsentant Christer Binning begründete diese Positionierung mit dem Bestreben, „anstelle praktizierter Routinen und Rituale eine Einflussnahme zu suchen, die höhere Chancen einer Realisierung im Sinne der Gewerkschaften bot.“ Vgl. ‚Ericssons arvoden saknar sans‘, in: LO-Tidningen, 3. April 1998. 417  Selbst das Entwicklungsabkommen hob explizit hervor, dass die Mitbestimmung innerhalb des Konzerns mit Rücksicht auf einzelbetriebliches Gewicht realisiert werden sollte. Vgl. UVA (DKP 4009), ARAB Nr. 4695.



7. Zwischen Konflikt und Konsens387

vitäten hörten jedoch schon in den Tarifverhandlungen auf.419 Auch wenn die Vielzahl der Produktionsorte bewirkte, dass die Metall-Klubs untereinander in Konflikt gerieten, hielt sich die Samorganisation aus den Konflikten heraus und überließ es den Werksorganisationen, ihre Interessen selbst durchzusetzen.420 Trotz gelegentlicher Konflikte verlief die Zusammenarbeit zwischen Metall-Klubs wie auch zwischen den Angestellten- und LO-Gewerkschaften insgesamt weitgehend reibungslos.421 Meinungsunterschiede wurden intern geklärt, so dass abseits von Lohnfragen eine gemeinsame gewerkschaftliche Linie erreicht werden konnte.422 Die innergewerkschaft­ liche Solidarität reichte soweit, dass im Falle der umfassenden Abwicklung von Produktionsstandorten Ende der neunziger Jahre die CF aktiv die vorrangig betroffenen Metaller unterstützte. Umgekehrt bot die betriebliche 418

418  Dass selbst solche Zusammenschlüsse noch nicht einmal verbindlich vorgesehen waren, zeigt ein Blick in die Satzung der Metallgewerkschaft. Erstens war deren Einrichtung nicht bindend vorgeschrieben und bedurfte zweitens eines Placets von mehr als der Hälfte der im Konzern organisierten Verbandsmitglieder. Neu entstandene oder infolge von Unternehmenskäufen ins Unternehmen gekommene Klubs mussten die Aufnahme in die Samorganisation beantragen, die 1990 24 Klubs umfasste. 419  Noch Anfang der neunziger Jahre stellte der Vorstand der Samorganisation fest, dass die einen Klubs keine Informationen darüber hatten, mit welchen Lohnforderungen die anderen betrieblichen Grundorganisationen in die Verhandlungsrunden gingen, so dass diskutiert wurde, eine konzernweite Lohnstatistik zu erstellen. Vgl. Samorganisationens Styrelse, Planeringskonferens på Finlandsfärjan, 31. August 1989; Styrelseprotokoll, 16. Februar 1989, ARAB Nr. 4695. 420  So kam es zu internen Auseinandersetzungen, als im Herbst 1995 die Anzahl der Arbeiter in der Norrköpingsfabrik um die Hälfte verringert werden sollte, weil Norrköping alleine die Hauptlast der Rationalisierungen tragen sollte, obwohl in den Standorten Norrköping und Östersund die gleichen Produkte hergestellt wurden. Auch bei der Auslagerung von Produktionsabschnitten in Linköping an einen Zulieferer kam es zu vergleichbaren Spannungen. Die Samorganisation unterstützte in dieser Situation jeweils den Klub mit der schwierigsten Ausgangslage. Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 421  Nur 1980 kam es zu vereinzelten Reibereien, als die Zuständigkeit von Gewerkschaften in einzelnen Produktionsanlagen geklärt werden musste. Vgl. dazu Verksamhetsberättelse för Verkstadsklubbarnas samorganisation: 8. Juni 1979– 13. Juni 1980, ARAB Nr. 4695. 422  Allerdings sollte es bis zum Frühling 1991 dauern, bis die drei Konzernvorstandsvertreter aller Gewerkschaften in einer gemeinsamen Strategiegruppe und Konzernvorstandskonferenzen die zukünftige Strategie inklusive der Konzernvorstandsarbeit systematisch absprechen sollten. Später wurde beschlossen, gemeinsame Konzernvorstandskonferenzen mit der PTK abzuhalten. Ab 1991 trafen sich Anfang Juni die gewerkschaftlichen Leitungsgruppen und konzipierten gemeinsam einen Strategieplan. Vgl. zur Zusammenarbeit mit der PTK Verksamhetsberättelse för Verkstadsklubbarnas samorganisation: 13. Juni 1980–17. Juni 1981, ARAB Nr. 4695; AU Protokoll Nr. 8 1989–1990, ARAB Nr. 4695; Samorganisationens styrelse, Styrelseprotokoll Nr. 6 1989–1990; 10. Mai 1990, ARAB Nr. 4695.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Metallgewerkschaft von sich aus an, freiwillig im Konzernvorstand auf ein Mandat zugunsten der CF zu verzichten, so dass eingerechnet der Stellvertreterplätze zwei CF-, zwei SIF- und zwei Metall-Vertreter im Konzernvorstand Platz nahmen.423 Dieser Schritt war allerdings weniger einer machtpolitischen Generösität geschuldet, sondern dem Umstand, dass im Gegensatz zu den anderen untersuchten Unternehmen sich das Gewicht immer mehr zu den PTK-Gewerkschaften verschob. Allein der Ingenieursverband CF, der in den anderen untersuchten Unternehmen ein Schattendasein führte und zumeist nur auf Konzernniveau oder in größeren Produktionseinheiten als organisatorische Einheit in Erscheinung trat, mobilisierte im Jahr 2000 rund 30 betriebliche Grundorganisationen. Diese Vormachtstellung konnte in dem Ausmaß ausgebaut werden, je mehr sich Ericsson in ein Hochtechnologieunternehmen transformierte. Zum Jahresanfang 1993 beschäftigte Ericsson in Schweden 19.000 Angestellte, aber nur noch 11.000 Arbeiter. Da sich das Gewicht der verarbeitenden Herstellung systematisch verringerte, konnte die Metallgewerkschaft im Jahr 2000 von den 45.000 schwedischen Arbeitnehmern nur jeden vierten Beschäftigten organisieren.424 Allerdings unterschied sich die CF bei Ericsson zumindest nach Auffassung ihres Konzernvorstandsrepräsentanten deutlich von den Ingenieursvereinigungen in anderen Unternehmen, die Unternehmens- und Arbeitnehmerbelange hinten anstellten und sich häufig als reine Lobbyisten ihres Berufsstandes gerierten.425 War Ericsson hinsichtlich der Dominanz der PTK-Gewerkschaften sicherlich eine Ausnahme, so unterschieden sich auf der internationalen Ebene die industriellen Beziehungen nicht erheblich, obwohl hinsichtlich des ausländischen Beschäftigungsanteils der Konzern SCA oder Sandvik deutlich überflügeln sollte. Erst im September 1990 richtete die Samorganisation gemeinsam mit der PTK ein internationales Komitee ein, das anstelle der bis dahin üblichen sporadischen Besuche von schwedischen Gewerkschaftsvertretern an ausländischen Standorten eine systematisierte internationale Kooperation begründen sollte.426 Auch bei der Gründung eines europäischen Betriebsrates tat sich Ericsson nicht hervor, obwohl das Unternehmen zu den ersten 423  Interview

mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. än 5000 Ericsson-jobb har försvunnit på fem år: var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 16. Juni 2000. 425  Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. 426  Skrivelse ang. internationell fackligt arbete inom koncernen, 10. Januar 1990 av Kenth Sankvist (OD verkstadsklubben Ericsson Telecom AB), Söderhamn och Sven-Olof Larsson, Ombudsman för internationella frågor; Samorganisationens Styrelse, Planeringskonferens på Birka Princess, (Styrelse Protokoll Nr. 3 1990–1991; 3.–4. September 1988; Dk 034; Verkstadsklubbarnas Samorganisation LME, Årsmöte, 17.–18. Juni 1982, ARAB Nr. 4695. 424  Mer



7. Zwischen Konflikt und Konsens389

gehörte, die die Direktive in die Tat umsetzten.427 Anders als bei Sandvik konnte das Gremium auch nie seinen rein konsultativen Charakter abstreifen. Dort vermittelte Informationen hatten die schwedischen Gewerkschaften ohnehin schon früher bekommen, die zudem auf effektivere Mitbestimmungsprozeduren vertrauen konnten, um im Gegensatz zu ausländischen Gewerkschaftern die Konzernleitung an den Verhandlungstisch zu zwingen.428 Eine Erweiterung der Mitbestimmungsroutinen in Gestalt eines Weltkonzernrates nach dem Vorbild Volvos stand im Untersuchungszeitraum weder bei Gewerkschaften noch bei der Konzernspitze auf der Agenda, obwohl die Gründung eines solches Forums angesichts der hohen Präsenz im außereuropäischen Raum durchaus nachvollziehbar gewesen wäre. Mit den anderen Fallstudienunternehmen hatte das Telekommunikationsunternehmen allerdings den fehlenden Willen gemein, die in Schweden praktizierte mikrokorporatistische Betriebspolitik in die ausländischen Tochtergesellschaften zu übertragen, so dass es in der Regel dem jeweiligen Betriebsmanagement überlassen blieb, die Beziehungen zu Arbeitnehmern und Gewerkschaften zu gestalten. Vor allem an den außereuropäischen Standorten bemühte sich das schwedische Führungspersonal um ein gutes und konfliktfreies Verhältnis zu Gewerkschaften. So setzte sich der schwedische Personaldirektor der Tochtergesellschaft Ericsson do Brasil, wo Ericsson allerdings nicht über eine Stimmrechtsmajorität verfügte, erfolglos dafür ein, eine dreiköpfige Arbeitnehmerrepräsentation inklusive eines Gewerkschaftsrepräsentanten zu akzeptieren.429 In Malaysia hatte die Ericsson Telecommunications Sdn. Bhd im Unterschied zu der im staatlichen Mehr427  Die Einsetzung eines solchen Gremiums war drei Jahre lang von Gewerkschaftsseite vorangetrieben worden, ohne dass der Konzernleitung besonderes Engagement in der Frage nachgesagt werden konnte. Nach dem Erlass der Direktive 1994 hatte dann die Unternehmensspitze plötzlich eine offensivere Gangart an den Tag gelegt, um selbst den Verlauf der Dinge beeinflussen zu können. So konnte Ericsson mit Stolz vermelden, eines der schwedischen Unternehmen zu sein, die die Direktive noch vor der offiziellen Ratifizierung umgesetzt hatten. Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 428  Zwar gab es Vorstöße, durch einen vom EWC vergebenen Gleichstellungspreis oder Diskussionen über einen konzernweiten code of conduct dessen Bedeutung zu steigern, aber nach der weltweiten Abwicklung von Standorten und Niederlassungen nach 2000 hat die Bedeutung des Organs nach Einschätzung von Gewerkschaftern sogar noch einmal abgenommen. Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 429  Brev av Lars Wiklund, Personaldirektör (PC 88329), ARAB Nr. 4695. Nach einem Streik 1987 versuchte man nach brasilianischen Gewerkschaftsangaben die Vertrauensleute durch Erpressung aus dem Unternehmen zu entfernen, obwohl laut Aussage eines Vertrauensmannes der CUT nicht versucht wurde, die gewerkschaftliche Arbeit zu behindern. Vgl. Minnesanteckningar från det svensktbrasilianskt seminariet, 24. September–8. Oktober 1988, ARAB Nr. 4695.

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heitsbesitz befindlichen Tochtergesellschaft Malaysia Perwira Ericsson gewerkschaftliche Abkommen abgeschlossen, nachdem der staatliche Mehrheitsaktionär Jahre zuvor erfolglos versucht hatte, die Gründung einer Gewerkschaftsorganisation im Grundsatz zu behindern.430 In Europa hingegen passte man sich durchgängig an die jeweiligen Muster der betrieblichen Sozialbeziehungen an.431 Ein möglicher institutioneller Transfer, so war man sich auf schwedischer Gewerkschaftsseite sicher, hätte nicht nur Konflikte mit den ausländischen Werksleitungen, sondern auch mit den italienischen und französischen Gewerkschaften aufgrund der grundlegend unterschiedlichen Auffassungen über die Gestalt industrieller Beziehungen geschürt. Vor allem die Teilnahme an Zusammenkünften der Internationalen Metallarbeiterföderation (IMF) hatte die Einsicht bei den schwedischen Metall-Repräsentanten befördert, dass deren konfliktaffines Verhalten mit der schwedischen Tradition des Co-Managements nur schwer hätte in Einklang gebracht werden können.432 a) Konflikttreiber: Outsourcing und Standortschließungen Wenn auch die Strukturen der Mitbestimmungspraxis viele Gemeinsamkeiten zu den Aushandlungsrahmen und -routinen der industriellen Beziehungen anderer Fallstudienunternehmen offenbaren, so sollten die Bezie430  Die Unternehmensleitung von Malaysia Perwira Ericsson versuchte auch, angesichts einer deutlichen Lohnerhöhung mittels einer Intervention bei den staatlichen Arbeitsmarktbehörden den eigenen Mitarbeitern den Abschluss eines Tarifabkommens zu versagen. In diesem Fall hatten die schwedischen Gewerkschaften interveniert und im EWC und auch im direkten Kontakt mit der Konzernleitung für eine arbeitnehmerfreundliche Regelung vorgesprochen. Die Behörden hatten zur Anlockung ausländischer Investoren beschlossen, dass sich in ausgewählten Wirtschaftszweigen nur inhouse-unions – also Unternehmensgewerkschaften ohne Tarifbindung – bilden durften. In Elektronikunternehmen durften sich Gewerkschaftler nicht einem nationalen Dachverband anschließen, so dass die Unternehmen nicht unter die Regelungen landesweiter Tarifvereinbarungen fielen. Bei Ericsson Perwira hatte man trotz des staatlichen Teileigentümers seit 25 Jahren Tarifverträge vereinbart, aber ein neuer Unternehmensleiter hatte dann behauptet, man sei ein Elektronikunternehmen, so dass man keine Kollektivtarifabkommen abschließen konnte. Vgl. zu den Vorgängen in Malaysia Skrivelse till IMF-Generalsekretär Herman Rebhan av Svenska Metallarbetareförbundet, 15. Mai 1987 (HA / AT), ARAB Nr. 4695; Ericsson i Malaysia försöker slänga ut facket, in: LO-Tidningen, 22. September 2000. 431  Bei der Ericsson Mobilfunk GmbH Düsseldorf wurde kein Betriebsrat gegründet, was den deutschen IG-Metall-Vertreter dazu veranlasste, den ausgebliebenen Export des schwedischen Modells der Mitbestimmung ausdrücklich zu beklagen. Vgl. dazu Elvander / Elvander, Gränslös Samverkan, S. 180. 432  So ein führender Metall-Gewerkschafter: „Wir haben versucht, das zu erklären, aber wir haben eingesehen, dass ein Transfer wohl eher an den Gewerkschaften scheitern würde.“ Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007.



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hungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmensspitze bei Ericsson einer Belastungsprobe ausgesetzt werden, die deutlich werden ließ, dass auch der schwedische Mikrokorporatismus an seine Grenzen stoßen konnte. Zunächst hob sich das Stockholmer Unternehmen in atmosphärischer Hinsicht von solchen Unternehmen wie Sandvik ab. Ein Vertreter der Metallgewerkschaft im Konzernvorstand pointierte den Unterschied wie folgt: „Ericsson war niemals Avantgarde, Ericsson sprang niemals in die Bresche, was solche Sachen anging. Wir haben eine passable Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaften. Wir sind keine Alliierte, wir nehmen unsere Verantwortung wahr, aber wir haben auch heftige Konflikte, wir haben unterschiedliche Auffassungen und wir waren auch nicht ängstlich, diese Unterschiede erkennbar zu machen.“433

Als wesentliche Ursache dieser Konflikte stellten sich die anstehenden Restrukturierungsmaßnahmen infolge der Transformation in ein Hochtechnologieunternehmen mit einem immer geringeren Anteil an stofflicher Umwandlung von Innovationen dar, die vom Management als Restrukturierungsmaßnahmen nicht immer im Einvernehmen mit den Arbeitnehmerorganisationen realisiert wurden. Bereits anfangs der achtziger Jahre war der Stellenabbau in den verstreuten schwedischen Produktionsstätten auf die Agenda der Konzernleitung geraten. War die Herstellung bis in die sechziger Jahre auf Stockholm konzentriert, hatte Ericsson angesichts der überhitzten Arbeitsmärkte und schwer zu bekommender Baugenehmigungen bis 1974 über das ganze Land verstreut 22 Fabriken in kleineren Städten errichtet, an denen jeweils durchschnittlich 100 bis 400 Arbeitnehmer beschäftigt wurden. Obwohl Stockholm mit rund 20.000 Arbeitnehmern bis in die neunziger Jahre hinein der Hauptstandort für die Mehrzahl der Produktionsaktivitäten blieb, wurden auch ein bedeutender Teil der innerbetrieblichen Wertschöpfung an anderen Orten disloziert. Diese Zersiedelung der Produktion wurde durch die Inanspruchnahme von Investitionsfondmitteln gefördert, hatte allerdings auch dazu geführt, dass viele Aufgaben und Funktionen doppelt vorhanden waren und Know-How und Ressourcenverteilung folglich nicht immer allokativen Wirtschaftlichkeitskriterien entsprachen.434 Bis Mitte der siebziger Jahre hatte die Elektromechanik, in der noch teilweise umfassende manuelle Tätigkeiten ausgeführt wurden, in der Produktion dominiert. Schon seit 1975 hatte Ericsson als Folge der sich anbahnenden Hinwendung zur Digitaltechnik die Gelegenheit genutzt, jedes Jahr rund 1000 Stellen abzubauen. 1980 hatte der Konzernvorstand die Herstellung in Kleinstädten wie Delsbo, Karlstad, Örebro, Olofström und Vedeby als zu klein für eine rational organisierte Produktion befunden und Schließungen 433  Interview 434  Interview

mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

einzelner Standorte sowie einen Personalabbau zumeist in Gestalt von Vorzeitpensionierungen angeordnet, um die Anzahl der schwedischen Mitarbeiter um 5000 Beschäftigte in einer Vierjahresperiode zu reduzieren.435 Diese Verschiebung weg von Facharbeiter- hin zu Ingenieurstätigkeiten machte sich allmählich in der Beschäftigungsstruktur bemerkbar: 1975 waren noch 15.300 Arbeiter in den schwedischen Fabriken tätig, 1982 waren es nur noch 9000, obwohl sich die Anzahl der Produktionsstätten nur geringfügig auf 20 verringert hatte.436 Auch die Beschäftigtenzahlen in dem Stock­ holmer Stammwerk sollten sich von 1976 bis 1986 immerhin mehr als halbieren. Der kontinuierliche Rückbau von Arbeitsplätzen verursachte insbesondere bei der betrieblichen Metallgewerkschaft Sorgen, die darauf ganz in der Manier schwedischer Gewerkschaften nicht mit Protesten und Konfliktmaßnahmen reagierte, sondern durch eigene Anregungen zur Rentabilitäts- und Wachstumsförderung beitragen wollte. So war man sich grundsätzlich bewusst, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen mit einer Restrukturierung des Unternehmens einher gehen musste. So hatten die Arbeitnehmervertreter 1982 im Vorstand einen eigenen Entwicklungsplan vorgelegt, der auf einen höheren Umsatz und die Hervorbringung neuer Produkte zielte.437 Allerdings votierten die LO-Gewerkschaftler zwischen 1980 und 1985 im Vorstand mehrmals gegen Dividendenerhöhungen, um so die eigene Haltung im Zielkonflikt zwischen Wachstum und Ausschüttungserhöhungen zumindest symbolisch deutlich zu machen.438 Auch wurde 1988 der Konzernleitung attestiert, in vielen Bereichen zu lange an Produkten festgehalten zu haben, 435  LM

Ericsson Vorstand, Protokoll vom 29. März 1980, ARAB Nr. 4695. fabrik glest mellan arbetarna när datan tar över, in: Dagens Industri, 26. August 1982. 437  Der Abwertungsgewinn in Höhe von etwa 150 Mio. SKr, den Ericsson dank der ersten massiven Kronenabwertung einstreichen konnte, sollte für Preissenkungen eingesetzt werden, um auf diesem Wege wieder eine höhere Beschäftigung zu erreichen. Der Konzernvorstand entschied sich hingegen für den Ausbau der Fabrik in Ingelsta, um selbst Platinen herstellen zu können, anstelle sie aus Taiwan zuzukaufen. Vgl. Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll, 7. Dezember 1981, ARAB Nr. 4695; KONTAKTEN, Nr. 2 (1982), Mai 1982. 438  Auch wurde gefordert, die Gewinne in einem besonderen Fond unter Arbeitnehmerkontrolle zu thesaurieren. Alternativ sollte eine Privatplatzierung an die Arbeitnehmerfonds oder an den 4. AP-Fond in Erwägung gezogen werden. Dieser Vorschlag fand allerdings bei den PTK-Vertretern im Vorstand keine Unterstützung. Vgl. Verksamhetsberättelse för Verkstadsklubbarnas samorganisation: 13. Juni 1980– 17. Juni 1981; AU Protokoll, 3. April 1980; Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll, 6. Dezember 1983,; Verksamhetsberättelse 1985–1986, ARAB Nr. 4695. Die Dividendenpolitik Ericssons war allerdings kein dauerhafter Konfliktpunkt, da sich die Gewerkschaften in der Regel den Dividendensteigerungen nicht verweigerten. Vgl. Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. 436  Framtids



7. Zwischen Konflikt und Konsens393

obwohl die Deregulierung ihre Herstellung unprofitabel gemacht hätte. Trotz sich abzeichnender Liberalisierung seien weder die Konzernstruktur effektiviert noch notwendige Investitionen in Schweden erfolgt.439 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich jedoch die Beschäftigungssituation deutlich entspannt. Zwischen 1985 und 1988 verringerte sich die Zahl der Mitarbeiter in Schweden zwar wegen des EIS-Desaster von 40.000 auf 31.000, aber weil der Zuwachs in den Beschäftigtenzahlen vorrangig durch die Unternehmenskäufe zustande gekommen war, wurden Arbeitnehmer in den Kernsparten von den Devestitionen kaum tangiert. Erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre sollte die Abwicklung von Produktionsstandorten wieder an Dynamik gewinnen. Im Zuge der Umorientierung auf Glasfaserkabel wurden die Kabelfabriken in Stockholm, Delsbo, Gröndal und Kungsbacka geschlossen, als die Rentabilität der dort gefertigten Hochspannungskabel eine Fortführung der Produktion nicht mehr rechtfertigte. Das gleiche galt für die seit Jahren defizitäre Herstellung der jährlich 500.000 Festnetztelefone, die zwar nur mit 1,5 v. H. zum Konzernumsatz beitrugen, aber deren Herstellung angesichts der geringen Fertigungstiefe und Entwicklungsintensität kostengünstiger in Niedriglohnlohnländern anzusiedeln war.440 Aus der Hauptproduktionsstätte in Karlskrona war 1987 aufgrund fehlender Wettbewerbsfähigkeit und der Konkurrenz von Billigherstellern die Herstellung nach Taiwan verlagert worden, wovon 700 Arbeitnehmer betroffen waren.441 Ungeachtet dieser ersten Vorzeichen einer vermehrten Auslagerung von Produktionsabschnitten mit einem niedrigen Veredelungsgrad hatten sich Entlassungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre deutlich in Grenzen gehalten, weil der Erfolg der Mobiltelefonie und das Wachstum der Netzbau- und Kabelsparte die Übernahme von Beschäftigten aus den Einheiten erlaubte, die überzählige Arbeitskräfte aufwiesen. Alleine 1987 bis 1989 stieg die Anzahl der Beschäftigten im der Sparte Mobilkommunikation von 4700 auf 10.100 Mitarbeiter.442 Selbst die Rezession zu Beginn der neunziger Jahre, die das Stockholmer Unternehmen in der Gestalt eines drastischen Auftrags- und Gewinnrückgangs zu spüren bekam, führte zwar zu der Ankündigung des Abbaus von 8000 Arbeitsplätzen, aber die dann letztendlich 439  Protokoll från koncernrådets sammanträde, 22. November 1988; 2. Dezember 1988, ARAB Nr. 4695. 440  Blekinge drabbas: Ericsson lägger ner telefontillverkning, in: Dagens Industri, 2. November 1988. 441  Ericsson stänger ytterligare en fabrik, in: Veckans Affärer, 10. November 1988. 442  Verksamhetsberättelse 1985–1986, ARAB Nr. 4695; Nödrop från Ericsson: 3000 ingenjörer saknas, in: Dagens Industri, 5. Juni 1990.

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7500 realisierten Entlassungen fanden vornehmlich im Ausland statt. 1993 war Ericsson eines der wenigen schwedischen Unternehmen, die wieder Neueinstellungen vornahmen. Aufgrund des rasant steigenden Auftragseinganges musste sogar noch im gleichen Jahr mit den Betriebsorganisationen der Metallgewerkschaft über einen Dispens zur Überstundenregelung verhandelt werden.443 Ähnlich wie auch bei den anderen Fallstudienunternehmen versuchten und wollten die Gewerkschaften sich ansonsten einem Personalrückbau nicht in den Weg stellen, da mit dem Erhalt des Unternehmens begründete Entlassungen grundlegend akzeptiert und ähnlich wie im Falle Sandviks mit Hilfe sozialverträglicher Maßnahmen wie Vorzeitpensionierungen abgemildert wurden. In solche Programme wurden auch die Gewerkschaften umfassend mit einbezogen.444 Darüber hinaus versuchte die Konzernleitung nach Möglichkeit, Mitarbeiter intern umzubesetzen, falls Arbeitsplätze wegfielen. Begünstigt wurden diese Anstrengungen dadurch, dass Qualifikations- und Produktionsstrukturen so flexibel und im gewissen Ausmaß auch so fungibel waren, dass Produktionsabschnitte und Mitarbeiter aus anderen Standorten übernommen werden konnten. So kündigte man 1987 an, als Ersatz für die Telefonherstellung andere Aktivitäten nach Blekinge zu verlagern.445 1994 wechselte die für AXE-Vermittlungsstellen zuständige Fabrik in Visby aus der Festnetz- in die Mobilfunksparte. Nach der Verlagerung der Komponenten nach Kristianstad wurde in Visby die Einheit für AMPS- und TACS-Systemtransceiver platziert, während für Vermittlungsstellen nur noch die Interfaces zwischen AXE10 und Funkbasisstationen und antennennahe Produkte hergestellt wurden. Auf eine vergleichbare Weise wurde der Standort in Katrineholm nach der Ausgliederung der Produktion von Mobilfunkbasisstationssystemen in eine supply unit umgewandelt, die e-boxes mit Bluetooth-Technologie und GPRS fertigte.446 Nicht nur hinsichtlich des Beschäftigungszuwachses, sondern auch des internen Personalumsatzes machte kein anderes Unternehmen Ericsson seinen Spitzenplatz streitig, da zwischen 1989 und 1999 43.417 Neueinstellungen in Schweden 27.589 443  Kraftig ökning av övertiden, in: Veckans Affärer, 28. April 1993; Tack för avtalet! Ericsson nyanställer 1300, in: Dagens Industri, 11. Mai 1993. 444  So die Darstellung eines Gewerkschaftsvertreters: „Es ging eher darum, Entwicklungs- oder Produktionsvolumen zu beeinflussen. Da gab es eigentlich keinen Konflikt. Da ging es dann um freiwillige Kündigungen, Vorzeitpensionierungen, outplacement-Berater. Da waren auch die PTK-Klubs in Transformationseinrichtungen involviert, da versuchte die Konzernleitung auch nicht, die Gewerkschaften außen vor zu halten.“ Vgl. Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. 445  Efter telefonnedläggningen: Ericsson lovar rationaliseringar inom alla verksamheter, in: Dagens Industri, 3. November 1988. 446  Ericsson måste jaga över hela världen, in: Dagens Industri, 20. Juli 2000.



7. Zwischen Konflikt und Konsens395

Personalumbesetzungen gegenüberstanden.447 Das Unternehmen stimmte sich zur Erleichterung von Personaltransfermaßnahmen mit den Arbeitsmarktbehörden ab. So wurden in Visby anlässlich der Überführung der dortigen Fabrik in einen neuen Geschäftsbereich umfassende Umschulungsmaßnahmen und Schulungskurse in Funktechnologie an der Gotländer Hochschule organisiert, die auf die Bedürfnisse des Konzerns zugeschnitten waren. Für von Entlassung bedrohte Mitarbeiter wurde 1998 ein firmeninternes Job Center eingerichtet, was bei der Arbeitsplatzsuche außerhalb des Konzerns behilflich war und verschiedene Programme zur Weiterqualifizierung initiierte.448 Weder bei solchen Gelegenheiten noch anlässlich der zahlreichen Rationalisierungsprogramme, die im Gefolge des Absatzeinbruches 1992 initiiert worden waren, hatten sich die Gewerkschaften einer konstruktiven Mitwirkung verschlossen. So wurden das TRIM-Programm 92 und das Nachfolgeprogramm TRIM 93, mit denen Kosten im Lagerbestand, bei internen ITAufwendungen, Logistik und Support-Aktivitäten eingespart werden sollten, in Übereinstimmung und unter Mithilfe der Gewerkschaften durchgeführt worden, obwohl dadurch 4000 Arbeitsplätze wegfallen sollten.449 Die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter war auch bei dem FOCUS-Programm zwischen 1990 und 1996 gefragt, als der Konzern versuchte, eine mehr an Kundenbedürfnissen ausgerichtete Produktionsstruktur durchzusetzen. Dazu gehörte ferner eine durchgängige Einführung der Teamarbeit, deren Zweck es war, kürzere Lieferzeiten und eine Anpassung an Kundenwünsche herbeizuführen. Jedes Produktionsstadium sollte unter Kontrolle nur einer einzelnen Managementfunktion stehen und der ganze Prozess durch Arbeitsteams bewerkstelligt werden. Ähnlich wie bei Sandvik wurden nun viele der früheren Angestelltenaufgaben in die Arbeit der Teams integriert und die Hierarchien abgeflacht. Da das Programm zahlreiche Ähnlichkeiten zu dem reichsweiten Metall-Programm der ‚Guten Arbeit‘ aufwies, wirkten die Gewerkschaften in Projektgruppen an einzelnen Entwicklungsschritten mit.450 Das galt auch für Projekte wie die Aufteilung der Produktion in 447  „Ericsson ser oss som andra klassens människor“, in: LO-Tidningen, Nr. 3 (1999), S. 10–11. 448  KONTAKTEN, Nr. 2 (1998). 449  KONTAKTEN, Nr. 3 (1992). 450  Allerdings wurde dann ab 1998 beispielsweise in Norrköping der Arbeitsprozess wieder in den traditionellen Pfaden der Arbeitsorganisation arrangiert. Auch zogen Gewerkschafter ein eher skeptisches Resümee des Prozesses, weil an dessen Ende mehr die Elemente der lean production im Vordergrund standen und weniger das Konzept der ‚Guten Arbeit‘. Vgl. zu den Veränderungen in der Arbeitsorganisation Huzzard, T., Labouring to Learn: Union Renewal in Swedish Manufacturing, Umeå 2000, S. 237 f.

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‚Mikrofabriken‘, die die vollständige Verantwortung für Produkte, Kundenkontakte und Produktionsablauf erhielten, um kürzere Durchlaufzeiten und eine verringerte Kapitalbindung zu ermöglichen.451 Auch im diesen Fall hatten die Arbeitnehmervertreter die Implementierung mitgetragen, allerdings immer im Bestreben, mögliche negative Auswirkungen auf Lohnstrukturen im Zaum zu halten.452 Obwohl Veränderungen in der Produktionsorganisation niemals eine gewichtige Rolle spielen sollten waren sie gleichzeitig Ausdruck eines deutlich gesteigerten Kostenbewusstseins, das sicherlich seinen Ursprung in den kritischen Jahren zwischen 1990 und 1993 hatte, in denen wie bereits in Abschnitt IV.4.b) illustriert, umfangreiche Ressourcen in die Forschungsund Entwicklungsaktivitäten umgelenkt wurden. 1996 entfielen dann schon 70 bis 75 v. H. des gesamten Forschungsbudgets auf Software-Entwicklung.453 Diese Transformation Ericssons in einen Hochtechnologiekonzern ließ aber die Bedeutung der Produktion in eigener Hand noch weiter zurückgehen. Anders als im Falle Sandviks lag die herausragende Befähigung Ericssons in der Systemkonstruktion und Programmierung und weniger in einer diversifizierten Produktqualität oder einer kostenintensiven Herstellung: „Ericssons Stärke war ja die Systemkenntnis, nicht die Produktion. Der Produktion wurde kein strategischer Stellenwert zugemessen.“454 Lars Ramqvist hatte Mitte Februar 1992 auf einer Pressekonferenz neben 8000 Entlassungen auch die Reduzierung der weltweit 65 Fabriken auf 30 Produktionsstandorte in einer Fünfjahresperiode angekündigt, weil die eigene Wertschöpfung im wachsenden Ausmaß auf Forschung und Systementwicklung ausgerichtet werden sollte und die Notwendigkeit einer lokalen Produktionsaufnahme infolge der omnipräsenten Liberalisierung entfiel. Die 25.000 Arbeitsplätze in der verarbeitenden Herstellung sollten dementsprechend deutlich rückgebaut werden.455 Eine neue Dynamik erhielten die Bemühungen zum Rückbau der eigenen Produktion jedoch erst, als nach den Problemen mit ATM die IP- und Breitbandprodukte in den Fokus der Entwicklungsanstrengungen rückten. 1995 hatte der Geschäftsbericht angekündigt, dass Ericsson den Fokus auf den Bereich Mobilkommunikation ausrichten würde, da bei den Produkten und 451  Ny

S. 4.

Fabriksorganisation spar miljarder, in: Elektroniktidningen Nr. 1 (1999),

452  Interview

mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. håller undan: Pressen på Ericssons aktiekurs är omotiverad, in: ­Veckans Affärer, 22. April 1996. 454  Interview mit Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007. 455  Trådlös kontakt mellan datorer, in: Dagens Nyheter, 29. Januar 1992; Det ska gå som en dans i öst, in: Dagens Industri, 9. August 1996. 453  Ericsson



7. Zwischen Konflikt und Konsens397

Systemen für öffentliche Festnetze eine immer stärkere Konkurrenz spürbar sei.456 Die Sparte konnte aufgrund des anhaltenden Preisdrucks immer weniger die Erwartungen erfüllen. Nach wie vor erforderte deren Installation der AXE-Vermittlungsstellen in nun 111 Volkswirtschaften trotz des beeindruckenden Marktanteils von 50 v. H. erhebliche Anpassungsleistungen, so dass 1996 die Hälfte des FuE-Konzernbudgets von 19 Mrd. SKr für die Modernisierung AXEs in Festnetz- und Mobilkommunikationsnetzen aufgewendet werden musste.457 Die restlichen Technikbereiche wie die Unternehmensnebenstellenanlagen oder Access- und Datenkommunikationstechnologien wie DECT entpuppten sich genauso Verlustquellen wie die Breitbandanstrengungen, ganz zu schweigen von AX-N. Am 22. November 1996 war der Öffentlichkeit eine neue Konzernorganisation vorgestellt worden, die im Sinne der Herausstreichung der Kernaktivitäten die Geschäftsbereiche von fünf auf drei reduzierte und erstmals in der Geschichte des Unternehmens die Mobiltelefone in einen separaten Konsumentenbereich abspaltete.458 Daneben sollte ein neuer Geschäftsbereich namens Infokom nicht nur die früheren Einheiten für öffentlichen Telekommunikationsbedarf sowie Unternehmenskommunikation in sich vereinen, sondern auch Ericssons Netzlösungen für Multimedia, Datacom und IP-basierte Kommunikation integrieren, da laut Konzernvertretern die Verschmelzung von Tele- und Datenkommunikation die klassischen Unterscheidungslinien obsolet gemacht hatte.459 In der dritten Sparte für Mobilfunksysteme sollten alle funkbasierten Übermittlungsdienste und -systeme konzentriert werden, die sich auf die Mobilkommunikation bezogen. Insgesamt wurden laut dem im Juni 1995 vorgestellten Maßnahmenpaket 20.000 von insgesamt 80.000 Mitarbeitern in neue Aufgaben eingewiesen.460 Bis Herbst 1997 hatte sich ein umfassender Personalabbau mit 10.000 Beschäftigten bei Infokom vollzogen, das 1995 noch 27.000 Beschäftigte umfasst hatte.461 456  Ericsson

Geschäftsbericht 1995, S. 7. information, Ericsson, in: Veckans Affärer, 21. November 1994; Ericsson håller undan: Pressen på Ericssons aktiekurs är omotiverad, in: Veckans Affärer, 22. April 1996. 458  Angesiedelt wurden hier Mobiltelefone, kabellose Telefone für den Heimgebrauch, Kabelmodems und moderne Netzterminals. Bereits 1992 war die Kabel- mit der Komponentensparte zusammengelegt und eine neue Sparte namens Unternehmenskommunikation ins Leben gerufen worden, so dass bis 1996 insgesamt fünf Geschäftsbereiche – Mobilfunkkommunikation, Öffentliche Kommunikation, Unternehmenskommunikation  /  Netze, Komponenten und Verteidigung – die Aktivitäten Ericssons strukturierten. 459  Der Name Ericsson Infokomsystem sollte laut Ramqvist markieren, dass man alle Lösungen für Produkte und Netze der Multimediakommunikation offerieren wollte. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 1 (1997). 460  Ericsson retirerar, in: Dagens Industri, 1. September 1995. 457  Bättre

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Die neue Orientierung auf Dienstleistungen und Produkte mit einem höheren Veredelungswert, die innerhalb des neu gebildeten Geschäftsbereichs Infokom realisiert werden sollte, hatte zum ersten Mal nachhaltigere Konsequenzen für die Beschäftigten. Anstelle dass die eigene Komponentensparte Elemente wie Kabel und Chips selber fertigte, kaufte Ericsson diese im großen Maßstab von anderen Herstellern ein, wovon man sich billigere Komponenten und eine geringere Kapitalbindung erhoffte, aber auch eine Erhöhung des zwischenzeitlich negativen Cashflows. Daneben ging es auch um die Freisetzung von Mitteln für die FuE-Aktivitäten.462 Vor diesem Hintergrund sollte der Konzern die Fertigung von Komponenten und Systemen aufgeben, die ebenso gut von Zulieferern hergestellt werden konnten, um sich ganz auf neu definierte Kernaktivitäten wie der Entwicklung der AXE-Software zu konzentrieren.463 461

In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, kurz auf die Beziehungen zwischen Ericsson und seinen Zulieferern einzugehen, wenngleich die Quellenlage es leider nicht zulässt, die Entwicklung der Einkaufspolitik in ihrer Gänze für den Untersuchungszeitraum nachzuzeichnen. Trotzdem kann festgehalten werden, dass deren Grundlinien vor allem in den neunziger Jahren stark an die Modifikationen erinnern, die schon in Fahrzeugkonzernen die Beziehungen zu diesen stakeholdern prägen sollten. Erstens ging die Auslagerung von Produktionsaktivitäten bei Ericsson mit einer angestrebten Verringerung der Zuliefereranzahl einher, die ab 1998 bis 2001 von 4000 bis 3000 auf 500 bis 300 und je nach Sparte dementsprechend von 300 bis 200 auf 20 Zulieferer verringert werden sollte. Die Idee der Auf­ teilung in Premiumzulieferer und second tier suppliers sowie die damit verknüpfte Verringerung des eigenen Wertschöpfungsanteils in der Komponentenerzeugung war ebenfalls hinlänglich aus der Fahrzeugindustrie bekannt.464 Zwei oder drei Lieferanten für einzelne Bereiche wie Platinenher461  Anders Igel, VD i Ericsson Infokom: Datakom framtiden, in: Veckans Affärer, 8. Dezember 1997; Ericsson Infocom skär ned nästa år, in: Dagens Industri, 4. Dezember 1997. 462  Berg tar över Ericssons don, in: Elektroniktidningen, Nr. 12 (1996), S. 4; Bilbyggare lär Ericsson lägga ut tillverkningen, in: Ny teknik, Nr. 22 (1997), S. 14–15. 463  Lars Ramqvist pointierte in einem Interview 1997 die Zielsetzungen folgendermaßen: „Wir werden viel in der Produktion entfernen. Gibt es andere Unternehmen, die Komponenten billiger herstellen können, so werden wir diese bevorzugen. Deswegen haben wir beispielsweise die Plastikherstellung an Nolato verkauft, da wir nicht einer der führenden Plastikhersteller der Welt werden können.“ Vgl. Interview mit Lars Ramqvist, in: „Så lugnt som i morse fåvr vi det aldrig igen“, in: Ny teknik, Nr. 20 (1997), S. 31. 464  Es war wohl kein Zufall, dass zwei Verantwortliche für Zuliefererfragen direkt von Volvo rekrutiert wurden, die sich dort bereits erfolgreich in der Durchsetzung einer neuen Beschaffungsstrategie bewährt hatten.



7. Zwischen Konflikt und Konsens399

stellung, Mechanik, Kabelbäume sowie Plastikkomponenten sollten bevorzugt Aufträge erhalten, um ihnen Skalenerträge in der Produktion zu ermöglichen. Umgekehrt erwartete Ericsson neben einer hohen und konstanten Qualität auch Just in Time-Lieferungen. Vertreter des Konzerns betonten, dass man von Teileherstellern nicht nur erwartete, auch an anderen Standorten Ericssons eine Produktion zu unterhalten, sondern auch einen Kundenstamm mit 10 bis 20 Unternehmen aufzubauen. Das sollte die Zulieferer zur eigenen Produktentwicklung befähigen, so dass Ericsson infolgedessen die Herstellung wertschöpfungsintensiver Sequenzen auslagern konnte. Schließlich sollte dieser Kreis der Premiumzulieferer auf eigene Rechnung mit den eigenen nachgeordneten Zulieferern arbeiten.465 Wirkt diese Agenda wie eine Blaupause der bei Automobilunternehmen verfolgten Neustrukturierung der Beschaffungsstrategie, so lassen sich aus dem vorliegenden Material leider nur wenige Schlüsse ziehen, inwiefern sich die Relationen zwischen dem Telekommunikationskonzern und seinen einheimischen Zulieferern verändern sollten. Grundsätzlich waren die Beziehungen zwischen Ericsson und seinen schwedischen Zulieferern seit jeher durch Langfristigkeit und eine enge Abstimmung geprägt. Die Abhängigkeit dieser Gruppe von dem schwedischen Telekommunikationskonzern als Hauptkunden war recht hoch: So bestritt Nolato 85 v. H. der eigenen Herstellung mit Produkten für Ericsson und lieferte den Hauptteil der Plastikhüllen für Mobiltelefone.466 Das Filter für die Funkbasisstationen herstellende Arkivator realisierte ebenfalls ein Drittel seines Umsatzes mit Ericsson.467 Diese Zusammenarbeit war offensichtlich nicht zum Schaden der Zulieferer gediehen: Nolato konnte bei Spritzgussverfahren für Mobiltelefonplastikkomponenten genauso zu den weltweit führenden Herstellern gezählt werden wie Segerström & Svensson, das zu den drei vier größten Herstellern von Umschließungsgehäusen für Funkbasisstationselektronik gehörte. Mit dem Appell an die schwedischen Zulieferer, die eigene Produktion parallel zu Ericsson zu internationalisieren, schien das Telekommunikationsunternehmen Erfolg zu haben: Unternehmen wie Segerström & Svensson schlossen mit dem Konzern Kooperationsabkommen ab, die eine begleitende Internationalisierung in der Gestalt vorsahen, dass sich die Zulieferer auch im Ausland in der Nähe von Ericsson-Standorten ansiedelten. Dementsprechend hatte Segerström & Svensson parallel zur Ericsson in Nordamerika eine Fertigung aufgebaut und in Brasilien die dortige mechanische Einheit von Ericsson do Brasil in Eigenbesitz überführt.468 Nefab, das seine Produktkon465  Ericssons omvärld: Dansen kring guldkalven, in: Veckans Affärer, Nr. 40 (1998), S. 46. 466  Usel information från Nolato, in: Affärsvärlden, 25. September 1996. 467  Arkivator ett fynd, in: Veckans Affärer, 23. November 1998.

400

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zepte in enger Absprache mit Ericsson entwickelte, hatte sogar schon in den achtziger Jahren seine Internationalisierung auf Initiative Ericssons betrieben, als der Konzern seinen Zulieferer ermuntert hatte, die Kundenbasis zu verbreitern.469 Weniger diese Internationalisierung einheimischer Zulieferer, sondern die Neustrukturierung der Zuliefererbeziehungen in Produktbereichen wie einfachen Telefon- und Unternehmensschaltungen, Kabelage, Werkzeug- und Plastikherstellung, Platinen, Blechen, Relais‘ sowie Transformatoren sollte für Beschäftigte des Konzerns nachhaltigere Konsequenzen haben. Ähnlich wie auch im Falle von Automobilunternehmen zeichnete sich die Zuliefe­ rerstruktur Ericssons zunehmend durch ein Übergewicht großer, international präsenter Teilehersteller aus, deren Umsatzanteil bezogen auf die für Ericsson erbrachten Produkte und Dienstleistungen auf 30 bis 40 v. H. ansteigen sollte und mit denen der Konzern Grundlagenabkommen über die Ausgliederung eigener lohnintensiver Wertschöpfungssequenzen abschloss.470 In diesem Zusammenhang fällt das Übergewicht US-amerikanischer Unternehmen wie SCI, Avex, Flextronics oder Solectron auf, die wie Flextronics mit einem Konzernumsatz von 90 Mrd. SKr oder Solectron mit einem Umsatz von 150 Mrd. SKr teilweise ein Vielfaches des Umsatzes ihrer Abnehmer erwirtschafteten. Alle verfügten über ein internationales Produktionsnetzwerk, mit dem neben Ericsson auch andere gleichrangige Hersteller aus der IKT-Branche beliefert wurden. Flextronics mit insgesamt 27.000 Mitarbeitern produzierte unter anderem an Standorten in Mexiko, Singapur, USA und Wales auch für Microsoft, HP und Philips. Als einer der maßgeblichen Zuliefererunternehmen konnte Flextronics nicht nur Dienstleistungen hinsichtlich Produktdesign, Einkauf, Logistik, Tests, Systemintegration, Installation und Vertrieb offerieren, sondern mit der Herstellung – angefangen von Computern bis hin zu Routern oder sogar ganzen Mobilfunksystemen – nahezu jeden produktionsintensiven Wertschöpfungsabschnitt eines Telekommunikationskonzerns übernehmen.471 Im Unterschied zu anderen Fallstudienunternehmen sollte Ericsson weidlich von diesen fremden Kompetenzen in Gestalt einer massiven Auslagerung eigener Produktionsabschnitte 468

468  Underleverantörer hänger på: Ericssons underleverantörer är beredda att följa Ericsson ut i världen, in: Dagens Industri, 2. Oktober 1998; KONTAKTEN, Nr. 10 (1998), 18. Juni 1998. 469  Das Verpackungsdesignunternehmen, bei dem 20 v. H. des eigenen Umsatzes auf den Telekommunikationskonzern entfielen, war seit 1997 in China und den USA sowie seit 1998 in Brasilien in Nähe der dortigen Produktionsanlagen Ericssons vertreten. Vgl. Ericssons omvärld: Dansen kring guldkalven, in: Veckans Affärer, Nr. 40 (1998), S. 45–51; Nefab: Packat och klart, in: Veckans Affärer, 29. Oktober 1997. 470  Fler stora besparingar väntar i Ericsson, in: Finanstidningen, 11. Juli 1997. 471  Mobilunderleverantörerna – Världen väntar, in: Affärsvärlden, 1. November 2000.



7. Zwischen Konflikt und Konsens401

Gebrauch machen. Insgesamt waren bis 2000 in Karlskrona, Katrineholm, Kristianstad, Söderhamn, Östersund und Stockholm 6300 Mitarbeiter von Ausgliederungsaktivitäten betroffen.472 Alleine Flextronics kaufte bis 2000 für annähernd anderthalb Mrd. SKr sieben Fabriken von Ericsson und ABB in Schweden, modernisierte die Anlagen mit einer halben Mrd. SKr und richtete in Karlskrona, wo die Unternehmensschaltung MD 110 für Ericsson gefertigt wurde, sein europäisches Hauptquartier ein.473 Was die Arrangements mit Zulieferern wie Flextronics so attraktiv machen und die Outsourcingsdynamik ab 1995 maßgeblich beschleunigen sollte, war der Umstand, dass die US-Amerikaner auf mittelfristige Sicht sinkende Stückkosten in Aussicht stellten, falls Ericsson ihnen die Produktionsanlagen meistens für einen symbolischen Betrag überließ. Neue eigene Herstellungseinheiten eröffnete Flextronics in Schweden nicht. In solche Abmachungen ging auch das Versprechen ein, alle Kunden, alle Beschäftigten und den Lagerbestand zu festen Kosten abzunehmen, so dass die Verantwortlichen bei Ericsson kaum zögerten, auf diesen Handel einzugehen. Auch anderen Herstellern überließ der Konzern mehrere Produktionsstätten, darunter die traditionsreiche Fabrik am Stockholmer Midsommarkrans, die an Segerströms & Svenssons verkauft wurde. Wie die von Solectron erworbene Produktionsanlage in Östersund befanden sich darunter in ihrer Mehrheit Einheiten, die zuvor einen Prozess der Rationalisierung und Konsolidierung durchlaufen hatten. Früher für alle Produktionsanlagen geltende Beschaffungs-, Planungs- und Steuerungssysteme waren bereits getrennt worden, um neue Kunden außerhalb des Konzerns attrahieren zu können und Skalenvorteile zu ermöglichen.474 Die Verstreutheit der Produktion auf die verschiedenen geografischen Standorte in Schweden erleichterte es zusätzlich, die abgrenzbaren Einheiten zu veräußern, ohne dass in der innerbetrieblichen Organisation umfassende Veränderungen vorgenommen werden mussten. Die Zahl der nicht mit der Programmentwicklung befassten Mitarbeiter an den zur Übernahme vorgesehenen einzelnen Standorten in Schweden bewegte sich in der Regel zwischen 80 bis 3000, so dass der Transfer der Beschäftigungsverhältnisse mühelos bewerkstelligt werden konnte. Nur in Stockholm arbeiteten 20.000 Beschäftigte, die bezeichnenderweise von den Auslagerungsbemühungen mit Ausnahme der traditionsreichen Fabrik am Midsommarkrans verschont blieben.475 Auch andere eu472  Mer än 5000 Ericsson-jobb har försvunnit på fem år: var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 2000, Nr. 21 / 22, S. 6–7. 473  Ledande lätt för lego, in: Elektroniktidningen, Messebeilage, 11. September 1997, S. 24. 474  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 475  Vgl. die Übersicht über die Produktionsorte in Schweden in KONTAKTEN, Nr. 4 (1996); Ericsson fortsätter sälja ut, in: Dagens Industri, 27. März 1999.

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ropäischen Produktionsorte wie im spanischen Leganès, wo 350 Mitarbeiter Platinen fertigten, wurden ab 1999 durch Solectron und SCI übernommen, das ab 2000 auch in Lynchburg die Produktion der Funkbasisstationen verantwortete.476 In Österreich wurden 1999 670 Beschäftigungsverhältnisse und im französischen Longuenesse 480 Arbeitsplätze an Solectron ausgesourct, das somit sogar an der Herstellung einer neuen Generation von AXE-Vermittlungsstellen mitwirkte.477 Wie sich an den übernommenen Produkten schon erkennen lässt, beschränkten sich die Outsourcingsaktivitäten keineswegs auf vorrangig lohnintensive Sequenzen, sondern bezogen fast das gesamte Spektrum der Produktion mit ein. Zwar wurden auch Produkte aus früheren Stadien des Produktzyklus wie die vor allem für den osteuropäischen Raum gedachten NMT-Funkbasisstationen ausgelagert.478 Die an Flextronics übergebene Netzunterhaltung für Installation von Tele- und Datenkommunikationsweichen musste genauso zu Kernproduktbereichen gerechnet werden wie die von AU System übernommene Ericsson-Einheit für Softwarekonstruktion in Östersund.479 Allerdings waren nicht nur ausländische, sondern ebenso einheimische Zulieferer Nutznießer. In diesem Zusammenhang ist es auffällig, dass die Schweden vorrangig mit der Aufgabe der Verarbeitung mechanischer Produkte betraut wurden.480 Diese Auslagerung der eigenen Herstellung war wohl der ausschlaggebende Grund, warum 1999 von den 43.990 schwedischen Arbeitnehmern des Stockholmer Telekommunikationskonzerns nur noch 15.900 in der Produktion tätig waren.481 Was die Beziehungen mit den Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Auslagerung der Produktion zunehmend belasten sollte, war weniger der Stellenabbau, sondern vielmehr, wie er seitens der Konzernleitung kommuniziert wurde. Bereits in den achtziger Jahren hatten Repräsentanten der Metallgewerkschaft nervös reagiert, als etwa OD Hans Werthén 1987 öffentlich Ericssons Rolle als Akteur im verarbeitenden Gewerbe sowie als Hersteller von Massenprodukten in Frage stellte und stattdessen den Zukauf 476  KONTAKTEN,

Nr. 17 (2000), 28. Oktober 2000. Geschäftsbericht 1997. 478  Flextronics köper av Ericsson, in: Dagens Nyheter, 5. September 1999. 479  Selbst Bestandteile der Vermittlungsstellenvariante AXE Classic wurden später in Katrineholm von Flextronics hergestellt. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 18 (1999), 4. November 1999. 480  So wurde zwischen 1995 und 2000 in Kristianstad die Plastikverarbeitung an Nolato oder die Blechverarbeitung in Stockholm mit 520 Beschäftigten an Segerström & Svenssons ausgelagert. Vgl. Packat och klart, in: Veckans Affärer, 29. Oktober 1997. 481  Mer än 5000 Ericsson-jobb har försvunnit på fem år: var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 2000, Nr. 21 / 22, S. 6–7. 477  Ericsson



7. Zwischen Konflikt und Konsens403

standardisierter Produkte empfahl. VD Björn Svedberg versicherte im Konzernrat jedoch, dass man anstrebe, die Produktion in Schweden im gleichen Ausmaß fortzusetzen. Ein Jahr zeigten sich Metallvertreter irritiert, dass im Rahmen des diskutierten ‚globalen Produktionskonzeptes‘ und der Rationalisierung von Produktionsstrukturen von Unternehmensseite auch die Suche nach Produktherstellern erwogen wurde, die Teile der Herstellung von Ericsson übernehmen sollten. In den weltweit 90 Produktionseinheiten war zu diesem Zeitpunkt eine rationalere Anordnung der Produktionsstruktur angestrebt wurden, in dessen Rahmen beispielsweise die Fertigung für die Nebenstellenanlage MD 110 vollständig in den Niederlanden angesiedelt wurde.482 Generell waren sich die Gewerkschaften bewusst, dass die Ansiedlung der Produktion im Ausland mehr Ausdruck des tariff jumping war, so dass offene Drohungen einer institutionellen Arbitrage ihre Wirkung verfehlt hätten. Ohnehin bedeutete der expansive Wachstumspfad, den Ericsson in den neunziger Jahren einschlug, dass sowohl in Schweden als auch im Ausland neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, was die Möglichkeiten eines Ausspielens der Arbeitnehmer gegeneinander erheblich einschränkte.483 Zudem trugen auch die Arbeitnehmervertreter nach eigenen Angaben im Grundsatz eine eventuell mit negativen Arbeitsplatzeffekten verbundene Aufwertung ausländischer zu Lasten der schwedischen Standorte dann mit, falls sie keine Auswirkungen auf die Löhne nach sich zog.484 Weniger der Internationalisierungspfad des Unternehmens, sondern vorrangig die Outsourcing-Problematik sollte dann in den neunziger Jahren zum Hauptkonfliktpunkt zwischen Metallgewerkschaft und Konzernleitung avancieren, da bis 1998 von Maßnahmen wie Outsourcing, Arbeitsplatztausch oder Entlassungen immerhin 15.000 Beschäftigte betroffen sein 482  Vize-VD Jan Stenberg hatte demgemäß argumentiert, dass unter dem propagierten globalen Produktionskonzept vorrangig die Koordination und Konzentration der Aktivitäten der europäischen Produktionsanlagen sowie in Brasilien, Australien und Mexiko zu verstehen sei und nur die Aktivitäten in Finnland und Irland zur Disposition stünden. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde 9. September 1987; Protokoll från koncernrådets sammanträde am 22. November 1988, ARAB Nr. 4695. 483  So ein Vertreter der Konzernleitung: „Was die Beziehungen zu den Gewerkschaften erleichterte, war die Tatsache, dass sie wussten: Für jeden Job, den wir im Ausland schaffen, schaffen wir auch einen im Inland. Aktivitäten in Brasilien oder China bedeuteten auch einen wichtigen Lieferungsfluss von Schweden. Wenn Fabriken in Schweden geschlossen wurden, waren auch welche im Ausland dran. Expansion bedeutete internes Wachstum.“ Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 484  So ein Gewerkschaftsvertreter: „Ein Kennzeichen der schwedischen Gewerkschaftsbewegung ist auch: Wir verteidigen in erster Hand die Löhne. Wenn das Unternehmen meint, Arbeitsplätze verlagern zu müssen, dann ja, aber senkt nicht unsere Löhne.“ Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007.

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sollten. In der Konzernleitung war um 1992 eine dezidierte Strategie des Outsourcings verabredet worden, von der die Gewerkschaften allerdings nicht in Kenntnis gesetzt worden waren, sondern erst im Nachhinein davon erfuhren.485 Diese hatten sich der Notwendigkeit einer Neustrukturierung der Produktion nicht grundsätzlich verschlossen, auch weil Ramqvist 1996 bei einem Treffen zugesichert hatte, dass die Hardware-Produktion auf alle Fälle in Schweden verbleiben sollte.486 Der Metall-Vorstandsrepräsentant bekundete 1999 zwar noch seine Unterstützung für die Auslagerungsmaßnahmen, störte sich aber an der unkritischen Haltung des Managements.487 Was zu einem deutlichen Unbehagen führte, war nicht nur die Rigidität, mit der die Konzernleitung die Pläne vorantrieb. Die Gewerkschaftsvertreter beanstandeten auch die von Ihnen so wahrgenommene fehlenden Dialogbereitschaft seitens des Managements, die sowohl in einzelnen Einheiten, wie auch im Konzernvorstand registriert wurde.488 Dabei offenbarten sich nach Auffassung des Metall-Konzernvorstandsvertreters auch die Grenzen des schwedischen Mitbestimmungsmodells: „Also, das Fantastische am MBL [das schwedische Mitbestimmungsgesetz, G. F.] ist ja, dass die Konzernleitung gezwungen ist, sich hinzusetzen und verhandeln muss und dass die Konzernleitung nicht gezwungen ist, mit uns eine Einigung zu erzielen; wir haben ja keine anderen Möglichkeiten, das ist das MBL … Unsere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, hängt also von der argumentativen Stärke ab, ansonsten können wir die Entscheidungsfindung nicht beeinflussen. Und diese Beeinflussung hängt davon ab, in welchem Stadium wir einbezogen werden … Gelegentlich war man sehr offen, als wir die große Umorganisation vorgenommen haben, als wir die großen Geschäftsbereiche geschaffen haben, als wir das business network gemacht haben. Da waren wir in einem frühen Stadium dabei, da hatten wir die Möglichkeit, frühzeitig im Prozess mit teilzunehmen. Aber in anderen Fragen hat man uns sehr spät hineingelassen.“ 485  Interview

mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. Styrelse, Styrelseprotokoll, 19. Juni 1996, ARAB Nr. 4695. 487  So das Konzernvorstandsmitglied der Metallgewerkschaft 1999: „Von der Seite der Gewerkschaften haben wir eine pragmatische Sicht auf das Outsourcing. Wir haben gesehen, dass die Technikrationalisierung so schnell vonstatten gegangen ist, dass es langfristig nicht mehr möglich war, die Fabriken mit Arbeit von Ericsson zu füllen, so dass wir den Verkauf akzeptierten, was wiederum die Türen für Jobs von anderswo öffnete. So haben wir wahrscheinlich dabei mit geholfen, mehr Jobs zu retten. Wogegen ich kritisch bin, ist die fast religiöse und ideologische Sichtweise auf Outsourcing, die es an einigen Stellen bei Ericsson gibt. Es ist fast eine Art Halleluja geworden.“ Vgl. Facket fixar jobb åt uppsagda på Ericsson, in: LO-Tidningen, 12. März 1999. 488  Dort hatte man die Problematik auf einer Sitzung 1996 zur Sprache gebracht, aber die Diskussion war nach einem Machtwort Peter Wallenbergs mehr oder minder im Sande verlaufen. Vgl. Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll, 9. Januar 1996, ARAB Nr. 4695. 486  Samorganisationens



7. Zwischen Konflikt und Konsens405

Frage: Zum Beispiel bei Outsourcing? „Ja, da zum Beispiel oder bei Fabrikschließungen und solchen Sachen. … Man kann es so sagen: Alles, was keine unmittelbaren Konsequenzen hat, da hat das Unternehmen es leichter, einzuladen: was mittelbare und negative Konsequenzen hat, da versucht man erst, sich selbst zu überzeugen und erst später andere einzuladen.“489

So kam das Management Forderungen betrieblicher Metall-Klubs nach einer Verlagerung der überzähligen Beschäftigungsverhältnisse an andere Standorte genauso wenig nach wie nach einem grundsätzlichen Ende der Auslagerungen. Negative Konsequenzen für die Arbeitnehmer waren nach Gewerkschaftsangaben hingegen in den mit der Übernahme von Produk­ tionsabschnitten betrauten Unternehmen aufgrund des harten Kostendrucks, den Ericsson nun an seine Zulieferer weitergab, immer deutlicher spürbar. Eine beschleunigte Rationalisierung und höhere Effizienz machte sich nach ihrer Auffassung im Produktionsablauf entgegen den Versprechungen nicht bemerkbar.490 An ausländischen Standorten mussten in einzelnen Fällen auch Verschlechterungen der Vergütung hingenommen werden.491 Auch zeichnete sich immer mehr ab, dass auf den Erhalt des Arbeitsplatzes nicht vertraut werden konnte. Während bei Flextronics der Personalbestand nahezu übernommen wurde, auch weil nahezu 70 v. H. des schwedischen Umsatzes auf Ericsson entfiel, verlagerte SCI Systems schon bald die Produktion aus Norrköping nach Schottland.492 Auch Solectron besaß rein theoretisch die Möglichkeit, die Produktion aus Frankreich und Österreich an andere Standorte in Malaysia, Brasilien, Kroatien, Norwegen, Spanien und Großbritannien zu vergeben.493 Vor allem nach 2000 stellte sich dann heraus, dass auch Flextronics infolge mangelnder Aufträge zu massiven Schließungen und Zusammenlegungen übergehen sollte.494 Das Konzernvorstandsmitglied der Metallgewerkschaft sah in diesem Vorgehen eine explizite, aber offiziell verleugnete Strategie der Konzernspitze am Werk, mit dem Ausverkauf der Fabriken die Produktion indirekt in das Ausland zu verlagern: 489  Interview

mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. än 5000 Ericsson-jobb har försvunnit på fem år: var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 2000, Nr. 21 / 22, S. 6–7. 491  Im spanischen Leganès, wo Ericsson trotz eines fehlenden landesweiten Tarifvertrages überdurchschnittliche Löhne gezahlt und ein System zusätzlicher sozialer Vergütungen eingerichtet hatte, stellte die neue SCI-Firmenleitung die Beschäftigten vor die Wahl der Frühverrentung oder der Übernahme zu deutlich verschlechterten Bedingungen. Vgl. Uppsagd – och försörjd livet ut: Spansk förtidspensionär får 170.000 kronor om året, in: LO-Tidningen, 20. August 1999; Lönerna chocksänktes, in: LO-Tidningen, 20. August 1999. 492  Flextronics – Ericssons hjälpreda, in: Affärsvärlden, 22. März 2000. 493  Ericsson Geschäftsbericht 1997. 494  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 490  Mer

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„Das Motiv war, die Herstellungskosten zu verringern und da sollten die Unternehmen, an die man auslagerte, diese Kostenproblematik übernehmen. Es war eine Strategie, dass man Flextronics, Solectron und alle diese Unternehmen drei Jahre gut bezahlte. Bis dahin hatten sie ihre Käufe refinanziert und Profite gemacht. Dann konnte man schließen und in ein Niedriglohnland ziehen. Da konnte man das sich ersparen, dass man mit nackten Beinen dastand, wie bei dem, was in Norrköping passierte, dass es Demonstrationen und Anklagen gegen ein erfolgreiches Unternehmen gab, dass es tausende Arbeitslose gab. Das konnte Ericsson umgehen. Die können innerhalb von sechs Wochen die Produktion verlagern.“495

Im Falle Ericssons traf also tatsächlich das in der Globalisierungsdebatte viel beschworene Szenario zu, dass eine Neuausrichtung der Zuliefererstrukturen mit Konsequenzen für die Beschäftigten vor allem in Gestalt von Arbeitsplatzverlusten einherging. Das traf allerdings nicht auf die Angestellten zu, die von Outsourcingmaßnahmen weitestgehend verschont bleiben sollten. Der umfangreiche Einsatz von externem Beratungspersonal in Gestalt von immerhin 5000 bis 10.000 Programmierern hatte zwar zu gelegentlichen Spannungen geführt. Da es bei Konzernangestellten und externen Beratern parallel ein Wachstum in der Beschäftigung gab, also keine Substitutionseffekte auftraten, drehten sich die Diskussionen allerdings vorrangig um die Frage, mit welchen Aufgaben unternehmensexterne Arbeitskräfte betraut werden sollten.496 Neben der durch liberale Maximen gekennzeichneten Beschaffungspolitik mit deutlich negativen Konsequenzen für die Arbeitnehmer kam es auch sich in der Frage der Arbeitszeitpolitik mit den Gewerkschaften zu Reibereien. Anders als im Falle anderer Unternehmen gab es keine konzernweite Regelung einer konjunkturbedingten Flexibilisierung der Arbeitszeit, die je nach Standort unterschiedlich gelöst wurde. Die Metallgewerkschaft musste feststellen, dass in Gävle immerhin jeder dritte Arbeitnehmer mit Kettenarbeitszeitverträgen beschäftigt wurde, seit es ab 1997 zum umfassenden Einsatz von Zeitarbeitsunternehmen gekommen war.497 Die Samorganisation hatte angesichts der befürchteten Aushöhlung tarifärer Bestimmungen sowohl LO als auch den eigenen Dachverband unter Druck gesetzt, Abkommen für Zeitarbeitsverhältnisse auf Reichsebene abzuschließen.498 Die 495  Interview

mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. pressar priser på dussinkonsulterna, in: Dagens Industri, 7. Juli 1999; Interview mit Göran Engström, Göteborg 3. September 2007. 497  „Ericsson ser oss som andra klassens människor“, in: LO-Tidningen, 1999, 29. Januar 1999; Var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 6. Januar 2000. 498  Vor allem die Entwicklung in der Mobiltelefonfabrik in Lynchburg hatte die Arbeitnehmervertreter in der Notwendigkeit einer solchen Regelung bestärkt, weil in Virginia bestimmte Produktionsabschnitte ausschließlich von Zeitarbeitskräften ausgeführt wurden, die nur 60 v. H. des Lohns der Festangestellten verdienten. 496  Ericsson



7. Zwischen Konflikt und Konsens407

reichsweiten Tarifverträge ließen die Zeitarbeitsentgelte teilweise sogar höher steigen als die Tariflöhne im Falle einer Festanstellung. Folglich führte die Zeitanstellung auch bei Ericsson nicht zu einer automatisch verschlechterten Einkommenssituation.499 Auch wenn der zuständige Personalchef für die schwedischen Fabriken Zeitarbeitsunternehmen als Lösung für eine konjunkturangepasste Produktion verstand, blieb das Thema auch in den folgenden Jahren weiterhin ein rotes Tuch für die betriebliche Metall-Organisation.500 Bewähren sollte sich hier jedoch ein grundlegendes Prinzip der schwedischen Gewerkschaftsbewegung, sich niemals von Arbeitgebern gegeneinander ausspielen zu lassen und sich in der Frage der Reichweite von Tarifverträgen nicht auf Kompromisse einzulassen.501 Was sich nach 1997 allmählich als drittes Konfliktfeld herauskristallisieren sollte, war die zunehmende Bereitschaft der Konzernleitung, auch abseits der Outsourcingaktivitäten in der eigenen Produktion die Beschäftigung rückzubauen. Bis dahin hatte der Konzern einen umfassenden Stellenabbau noch ausschließen können, aber vor allem die Stagnation in der Festnetzkommunikationssparte ab 1995 hatte zu etlichen überzähligen Beschäftigungsverhältnissen geführt. AXE war zwar laut Ramqvist nach wie vor erfolgreich, aber der Preisdruck und stagnierende Volumina hatten weitere personaleinsparende Rationalisierungen in der Festnetzsparte erzwungen.502 In diesem Zusammenhang wurde auch zum ersten Mal ersichtlich, dass der bis dahin praktizierte Personaltransfer in andere Geschäftsbereiche nun aufgegeben wurde. Von den 10.000 Beschäftigten, die den Geschäftsbereich Infokom 1995 und 1996 verlassen mussten, hatten immerhin 4500 bei der Sparte Mobilkommunikation neue Arbeit gefunden, obwohl die dortigen Verantwortlichen sich mit der Kompetenz der Neuzugänge unzufrieden zeigten. 1998 kündigte der neue VD Sven-Christer Nilsson erneut den Wegfall von 11.600 der weltweit 104.000 Arbeitsplätze an, wovon in Schweden 3300 Beschäftigte betroffen sein sollten. Als sich dann das Versagen des 499  1999 hatte die bessere Bezahlung der Zeitmitarbeiter in Nynäshamn und in Gävle, wo die Metall-Grundorganisation ein Abkommen mit dem Zeitarbeitsunternehmen Proffice geschlossen hatte, sogar für Unruhe in der Belegschaft gesorgt. Die Situation in Nynäshamn war allerdings ein Ausnahmefall, da erhebliche Produk­ tionsschwankungen und technische Umstellungen vorkamen, so dass die dortige Gewerkschaftsleitung nach Verhandlungen auf höherer Ebene dazu gezwungen wurde, Zeitanstellungen mit Halbjahresverträgen zu akzeptieren. Vgl. Inhyrda får högre lön, in: LO-Tidningen, 9. Juni 2000; Inhyrning skapar splittring, in: LO-Tidningen, 18. Februar 2000; Här gäller samma villkor för inhyrda och anställda, in: LO-Tidningen, 5. März 1999. 500  Gick du på pumpen Thalén? in: Veckans Affärer, 26. Juni 2000. 501  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 502  Ericsson tappar tråden, in: Affärsvärlden, Nr. 49 (1995), S. 50–55; Nya arbetsgivare får ta över tusentals jobbare i Ericsson, in: LO-Tidningen, 23. August 1996.

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Konzerns bei der Entwicklung der neuen Mobiltelefongeneration immer mehr abzeichnete [vgl. Abschnitt IV.8.c)], sollten 1999 im Rahmen eines Umstrukturierungsprogramms noch einmal 8000 Arbeitsplätze weltweit wegfallen, um ab 2001 insgesamt 3,5 Mrd. SKr einsparen zu können.503 Was in diesem Zusammenhang als Affront gewertet wurde, war die Vorgehensweise bei der Schließung der Platinenfabrik in Norrköping. Die Mitarbeiter hatten nach einer Ankündigung, dass die dortige Platinenfertigung nicht mehr zum Kerngeschäft gezählt wurde, eine Outsourcing-Lösung und nicht eine komplette Niederlegung erwartet.504 Als Ende Januar 1999 die komplette Abwicklung des Standortes bekannt gegeben wurde, hatte die Konzernleitung nach Gewerkschaftsangaben die Arbeitnehmer nur zögerlich über ihre Absichten aufgeklärt. Die Auseinandersetzungen um die Fabrik in Norrköping führten sogar auf der Aktionärshauptversammlung im gleichen Jahr in Stockholm zu Vorwürfen, gegebene Zusagen seien gebrochen worden.505 Hatten die gewerkschaftlichen Repräsentanten jedes Mal die Maßnahmen der Konzernleitung nach außen hin verteidigt, reagierten sie auf den Schließungsbeschluss mit deutlicher Verärgerung, obwohl VD SvenChrister Nilsson auf einer Pressekonferenz seine Kooperationsbereitschaft und Offenheit für Diskussionen mit den Gewerkschaften zu erkennen gegeben hatte.506 Die durchgängig negative Resonanz in der Bevölkerung, eine negative Berichterstattung in den Medien, Demonstrationen und Proteste staatlicher Stellen, hatten jedoch zu deutlich die Reputation des Konzerns schon bei der ersten Teilrationalisierung beschädigt, so dass mögliche Maßnahmenprogramme dieses Mal früher zur Sprache kamen.507 Gewerkschaftliche Vertreter, kommunale Behörden, Arbeitsamt und Trygghetsråd arbeiteten mit dem Vermittlungsunternehmen Proffice zusammen, das von Ericsson angeheuert wurde, um die entlassenen Beschäftigten weiter zu vermitteln. Gemäß einem Abkommen mit den Gewerkschaften zahlte Ericsson bis zu 12 Monate die Löhne weiter, bis die Entlassenen einen neues Beschäftigungsverhältnis fanden.508 Auch bei weiteren Schließungen wurden fortan die betroffenen Klubs in einem deutlich früheren Stadium informiert.509 503  KONTAKTEN,

Nr. 12 (1999), 12. August 1999. Nr. 6 (1997). 505  Immerhin waren die Gewerkschaften durch das Vorgehen so aufgebracht, dass die Metall-Betriebsorganisation ihre Zustimmung zur plötzlichen Entlassung Nilssons im Juli 1999 explizit mit den umfassenden Personalfreisetzungen rechtfertigte, die dem Nachfolger Ramqvists angelastet wurden. Vgl. Metall välkomnar VD-bytet, in: Dagens Nyheter, 8. Juli 1999. 506  Irritation på bolagsstämman. Koncernchef Sven-Christer Nilsson vägrar ge de anställda några löften, in: Dagens Nyheter, 24. März 1999. 507  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 508  Kostsam Ericssonnedläggning, in: Dagens Nyheter, 28. Mai 1999. 509  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 504  KONTAKTEN,



7. Zwischen Konflikt und Konsens409

Hatte die Konzernleitung in diesem Fall also einen gewissen Lernprozess durchgemacht, so bargen die Lohnfindungsstrukturen auf betrieblicher Ebene ein dauerhaftes Konfliktpotenzial. Angesichts des hohen Anteils der Ingenieure war Ericsson im höheren Ausmaß als andere darauf angewiesen, mög­ liche Nachfrage bedingte negative Faktoreffekte in Gestalt von außertariflichen Lohnsteigerungen durch einen Wettbewerb um Ingenieure bei konstantem Arbeitskraftangebot durch institutionelle Arrangements zu neutralisieren. Um ein mögliches poaching zu vermeiden, war der Konzern in einem Tarifkartell namens Oktogonen organisiert, das zu große Varianzen vor allem in den Eingangsgehältern von Ingenieuren zwischen Unternehmen mit Erfolg verhinderte.510 Die PTK-Gewerkschaften hatten ein Gegenstück auf der gewerkschaftlichen Seite mit allen betroffenen Klubs formiert und hielten gemeinsame Konferenzen ab, um Absprachen auf der Arbeitgeberseite entgegen zuarbeiten, deren Existenz allerdings hartnäckig bestritten wurde.511 Dass der Abwerbeeffekt vor allem bei den Eingangslöhnen mit Hilfe der Absprachen in Grenzen gehalten werden konnte, zeigt sich daran, dass 1999 die Varianz dieser Entgeltkategorie im Falle der Unternehmen nur in einer Bandbreite zwischen 18.300 und 18.900 SKr schwankten und insgesamt drei v. H. unter dem Landesdurchschnitt lagen.512 Einen weiteren institutionell bedingten komparativen Kostenvorteil infolge der solidarischen Lohnpolitik konnte Ericsson auch international ausspielen: Die durchschnittlichen Nettolöhne für schwedische Ingenieure lagen 1993 laut CF-Verbandsangaben bei 16.400 SKr, auf dem italienischen oder britischen Niveau, aber rund 10.000 SKr niedriger als in Deutschland. So konnten die Lohnkosten um etliche tausende Kronen unter dem Niveau der ausländischen Konkurrenten gehalten werden.513 Trotz des offensichtlichen Nutzens einer kartellierten Lohnfindung 510  Ursprünglich war Oktogonen als informelles Forum Mitte der siebziger Jahre im Zuge der Mitbestimmungsdebatte und der angespannten Beziehungen zu den Gewerkschaften gegründet worden und vereinte 1995 mit ABB, Atlas Copco, Electrolux, Ericsson, Sandvik, SKF und Volvo nahezu alle führenden Großunternehmen des Landes, die rund 25 v. H. aller schwedischen Ingenieure beschäftigten. Vgl. zu Oktogonen Hemström, M., Salary Determination in Professional Labour Markets, Uppsala 1998. 511  Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. 512  Arbetsmarknad: Kartell håller nere ingenjörlönerna, in: Dagens Nyheter, 21. Juli 1999. Eine Studie zeigt, dass die Varianz des Lohnwachstums in den Oktogonen-Unternehmen in der Tat etwas niedriger als im landesweiten Durchschnitt ausfiel. Unabhängig davon war auch das generelle Lohnniveau innerhalb der im Kartell organisierten Unternehmen etwas niedriger, ebenso die Lohnspreizung und -zugewinne im Falle eines Positionswechsels, obwohl 20 v. H. der Ingenieure jährlich den Arbeitsplatz innerhalb der im Kartell organisierten Unternehmen wechselten. Vgl. Hemström, Salary Determination. 513  Bolag angrips för lönekartell: Verkstadsjätterger nya ingenjörer samma villkor, in: Dagens Nyheter, 18. August 1995; Löner – Nitlott sitta stilla i storföretag, in:

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

hatte Ericsson wie andere schwedische Großunternehmen auch 1992 die Dezentralisierung der Tarifverträge und einheitliche Abkommen für Angestellte und Arbeiter im Rahmen der Mitarbeiterabkommen angestrebt. Die Gewerkschaften standen dieser Idee durchaus nicht ablehnend gegenüber, obwohl Lars Ramqvist damit explizit die Notwendigkeit einer ausgeweiteten Lohnstreuung verband.514 Der Konzernleitung war ihrerseits wenig daran gelegen, die Initiative gegen den Widerstand der Gewerkschaft durchzusetzen und war anfänglich auf eine gewisse Bereitschaft zur Mitarbeit gestoßen. Am 11. Mai 1992 trat eine Projektgruppe inklusive gewerkschaftlicher Repräsentanten zusammen, um die Richtlinien für ein mögliches Mitarbeiterabkommen, das unter dem Namen ‚Projekt ETT‘ figurierte, gemeinsam auszuhandeln.515 Bereits im November 1991 hatte die Samorganisation den Beschluss gefasst, ein auf Östersund beschränktes Mitarbeiterabkommen zu vereinbaren, während die übrigen Klubs noch abwarten sollten.516 Auch SIF und SALF hatten die Idee akzeptiert, allerdings nur unter der conditio sine qua non eines reichsweiten Rahmenabkommens. Die anfänglich verhalten positiv gestimmten Reaktionen waren allerdings schnell in offene Ablehnung umgeschlagen. Die Metall-Mitglieder befürworteten zwar die Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeitern und Angestellten, aber die Attacken der Arbeitgeber gegen die solidarische Lohnpolitik, Befürchtungen über eine willkürliche Lohnfindung und die angestrebte Anpassung von Löhnen und Arbeitszeiten an konjunkturelle Schwankungen, ließen die anfängliche Kooperationsbereitschaft rasch schwinden.517 Die gewerkschaftliche Verhandlungsgruppe war 1993 zu der Erkenntnis gelangt, dass die Ambitionen des Unternehmens nur so weit reichten, die Bestimmungen der Zentralabkommen zu beseitigen. Nach Rücksprache mit dem Metall-Zentralvorstand beschloss man, nicht länger an Verhandlungen darüber teilzunehmen. Gleichzeitig zogen sich die CF- und SIF-Betriebsorganisationen mit der offiziellen Begründung aus den Diskussionen zurück, dass die Abkommen deutlich verschlechterte Bedingungen für die Angestellten nach sich ziehen würden.518 Dass sich die Angestelltenvereinigungen der Veckans Affärer, 30. November 1998; Lönen driver allt fler utomlands: Svenska civilingenjörers köpkraft sämst i Europa, in: Dagens Nyheter, 19. August 1995; Stor variation i ingenjörslöner, in: Svenska Dagbladet, 15. Juni 1994. 514  KONTAKTEN, Nr. 2 (1993). 515  Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll, 27.  August 1992, ARAB Nr. 4695. 516  Verkstadsklubbarnas Samorganisation LME, Årsmöte, 20. Mai 1992, ARAB Nr. 4695. 517  KONTAKTEN, Nr. 6 (1992). 518  Verkstadsklubbarnas samorganisation: Verksamhetsberättelse 1992–1993, ARAB Nr. 4695.



7. Zwischen Konflikt und Konsens411

Idee tendenziell aufgeschlossener zeigten als die LO-Gewerkschaft, lässt sich daran ermessen, dass die betriebliche Metall-Organisation als erste von dem Projekt Abstand genommen hatte. Die SIF war erst nach der Intervention der eigenen Zentralorganisation zu diesem Schritt bereit. Bei der CFOrganisation Ericssons waren die Verhandlungen mit der Unternehmensleitung am weitesten gediehen; auch hier hatte dann der Zentralverband interveniert, weil das unter Aufsicht der Rehnberg-Kommission ausgehandelte Abkommen kurz vor dem Abschluss stand und Metallindustriarbetareförbundet sowie SIF die Verantwortlichen der Ingenieursvereinigung auf die Unmöglichkeit hingewiesen hatten, mit betrieblichen Klubs Abkommen schließen zu lassen, die gleichzeitig ein reichweites Abkommen ad absurdum geführt hätten. 1994 hatten sich gewerkschaftliche Vertreter von Ericsson, ABB und Volvo zusammen mit einem aus Metallgewerkschaft, SIF und CF formierten Verhandlungsrat auf die Linie festgelegt, betriebliche Verhandlungen über Mitarbeiterabkommen in jedem Fall zu verweigern.519 Nur die Ledarna waren aus dieser Front ausgeschert, so dass es der Konzernleitung gelang, mit den insgesamt 15 gewerkschaftlichen Grundorganisationen rein betriebliche Tarifverträge abzuschließen, was aber das gesamte lohn­ politische Gefüge kaum beeinträchtigte, organisierte diese Gewerkschaft doch nur einen Bruchteil der Arbeitnehmer im Unternehmen.520 Was hingegen die Beziehungen zur Konzernleitung nachhaltig erschüttern sollte, war ein geplantes Bonuslohnsystem, das nicht nur im scharfen Kontrast zu den Prinzipien der egalitären Lohnpolitik stand, sondern SHVkompatible Anreizstrukturen gleich auf das gesamte Unternehmen ausgedehnt hätte. Eine Koppelung der Entlohnung an die Unternehmensperformance hatte sich lange auf den VD beschränkt, der unter bestimmten Bedingungen das Grundentgelt zunächst mit 50 v. H. und unter der Voraussetzung der Erfüllung bestimmter Ziele noch einmal mit 30 v. H. aufbessern konnte, ohne dass der Konzern sich übrigens verpflichtet fühlte, die Kriterien dafür offen zu legen.521 Erst 1998 folgte ein Optionsprogramm für 500 Mitglieder des höheren Managements mit siebenjähriger Laufzeit, das 1999 auf 2000 und ein Jahr später wiederum auf 8000 Teilnehmer erweitert wurde.522 Besondere Vergütungen für die Lohnabhängigen wurden in Gestalt des 1981 519  AU

Protokoll Nr. 5 1993–1994, ARAB Nr. 4695. Whitlock: Gör det alla pratar om, in: Veckans Affärer, 18. September

520  Göran

1995.

521  Högsta

VD-lön till Ramqvist, in: Dagens Industri, 12. April 1994. Optionsprogramme bestanden aus Kaufoptionen mit einer siebenjährigen Laufzeit, deren Zuteilung von Gewinn pro Aktie, Entgelt und Bonuskategorie abhängig gemacht wurden. Vgl. zu den Optionsprogrammen Ericsson Geschäftsbericht 1999, S. 4, Ericsson Geschäftsbericht 2000, S. 52; Ericssons kursuppgång ger anställda miljarder, in: Dagens Industri, 10. März 2000. 522  Die

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

eingerichteten Aktiensparfonds und des 1984 gegründeten Ericsson Allemansfond ausgeschüttet, die jedoch trotz steuerlicher Begünstigungen nur 2000 bis 3000 Mitarbeiter als Teilnehmer gewinnen konnten.523 Auf eine höhere Resonanz stießen hingegen die beiden ausschließlich an die eigenen Mitarbeiter gerichteten Kapitalbeteiligungsprogramme.524 Ein von den Gewerkschaften favorisiertes Gewinnbeteiligungssystem nach dem Vorbild Volvos fand hingegen keine Unterstützung, obwohl dafür auch die Konzernleitung gewonnen werden konnte.525 Insbesondere Vertreter der Svenska Handelsbanken verwarfen auf einem außerordentlichen Vorstandstreffen den Vorschlag, obwohl sich die Gewerkschaften das Modell der bankeigenen Personalstiftung Oktogonen zum Vorbild genommen hatten, bei dem das eingezahlte Geld zunächst in einem Pensionsfonds ohne jährliche Dividende thesauriert werden sollte. Da sich auch Vertreter der Wallenberg-Sphäre im Konzernvorstand hartnäckig dem Ansinnen widersetzten, zogen die Gewerkschaften 1998 ihre Forderung resigniert zurück.526 Stattdessen hatte sich die Unternehmensspitze auf ein Bonusprogramm verständigt, mit dem die Frage der Gewinnbeteiligung in den nächsten drei Jahren vom Tisch sein sollte und für das sich dementsprechend die Repräsentanten der SHB und der Wallenberg-Familie im Vorstand stark machten.527 Im Jahr 2000 sollten 523  Die Allemansfonder mussten im Jahr 2000 ihre Aktivität einstellen und wurden mit dem Aktienindex Fond Sverige zusammengeführt, da die schwedische Finanzinspektion den bisherigen ausschließlichen Ankauf von Ericssonaktien beanstandete. Der Fond verwaltete zum Schluss 600 Mio. SKr für 1200 Mitarbeiter. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 20 (2000), 7. Dezember 2000. 524  1987 wurde die erste Offerte der Belegschaftsaktien in Form einer Wandelanleihe mit 700 Mio. SKr von 20.000 Beschäftigten gezeichnet. 1997 folgte mit einem Volumen von fünf Mrd. SKr die zweite Wandelanleihe, die Ramqvist ausdrücklich als Beteiligung des Personals am Unternehmenserfolg und nicht zur Aufbesserung des ohnehin positiven Cashflows verstanden wissen wollte. Bis 2000 zeichneten 40.000 Mitarbeiter in 46 Ländern Anteile, die allerdings nicht zur Auszahlung von Dividenden berechtigten. Vgl. Interview mit Ramqvist in: 5000 jobb måste bort, in: Veckans Affärer, Nr. 39 (1997), S. 13–16. 525  Von der SALF war auf einem Konzerntreffen 1983 ein solches Modell ins Gespräch gebracht worden und bei ERA war es im gleichen Jahr darüber schon zu MBL-Verhandlungen gekommen, aber die Samorganisation lehnte das Vorhaben damals noch grundsätzlich ab. Verkstadsklubbarnas Samorganisation LME, Årsmöte, 24. Mai 1983; Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll Nr. 4, 24. Mai 1982; Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll Nr. 3, 6. Dezember 1983, ARAB Nr. 4695. 526  Ericsson utlovar bonuslön, in: LO-Tidningen, Nr. 31 (1998), S. 5. 1996 war das Gewinnbeteiligungssystem von Astra erörtert, dann aber wieder verworfen worden, da Ramqvist meinte, dass das Modell bei einer konzernweiten Anwendung zu teuer werden würde. Vgl. Samorganisationens Styrelse, Styrelseprotokoll; 14. Februar 1996, ARAB Nr. 4695. 527  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007.



7. Zwischen Konflikt und Konsens413

nahezu alle Beschäftigten in ein solches System mit Bonuszahlungen in Höhe von 10 bis 20 v. H. der Grundentgelte involviert sein.528 Solche Programme waren in schwedischen Unternehmen im Zuge einer ausgeweiteten Finanzmarktorientierung, wie schon bei den bisher gezeigten Fallstudien gezeigt wurde, keine Besonderheit. Im Grunde hatten auch die Gewerkschaften nichts gegen ein Bonusprogramm, falls es an das Aktiensparfonds- oder Pensionsfondsmodell anknüpfte und sämtliche Mitarbeiter einschloss. Was jedoch ihren heftigen Widerstand hervorrufen sollte, war das im Herbst 1998 von VD Sven-Christer Nilsson präsentierte Konzept, das der Idee der Performance-Entlohnung eine neue Qualität verleihen sollte. Das gesamte schwedische Personal umfassende Konzept unterschied drei Bonuskategorien, unterteilt in eine Spitzengruppe mit 300 bis 400 Personen, einer weiteren mit 10.000 Mitarbeitern und schließlich der größten Gruppe, die die restlichen rund 35.000 schwedischen Beschäftigten umfasste. In allen drei Kategorien sollte die Übererfüllung von Zielvorgaben prämiert werden, allerdings auch im Falle der Nichterfüllung ein Gehaltsabzug erfolgen. Mit dieser Variabilisierung der Vergütungsstrukturen wurde im Gegensatz zu den anderen Fallstudienunternehmen auch der Grundlohn einfacher Beschäftigter tangiert. Zudem waren die Prämien und Abzüge unterschiedlich kalkuliert: Konnten Mitglieder der obersten Spitzengruppe mit einem 50 v. H. Bonus beziehungsweise einem Malus von 25 v. H. rechnen, betrug der Bonus in der zweiten Gruppe 30 v. H. und in der untersten Gruppe nur 20 v. H. Beschäftigte beider Kategorien mussten im Falle der Nichteinhaltung von Zielvorgaben mit einem Lohnabzug von 15 v. H. rechnen.529 Offensichtlich hatten die Optionsprogramme der start ups Eindruck hinterlassen, die sich den verbandspolitischen Sanktionen in Gestalt des OktogonenKartells weitgehend entzogen: Wie ein Mitarbeiter der Personalabteilung erklärte, sollten mit den Bonuszahlungen die Entgelte der Spitzenkräfte schneller angehoben werden können, um einen Wettlauf mit anderen Stockholmer IT-Unternehmen mit ihren flexibilisierten Anreizstrukturen um hochqualifizierte Ingenieure oder Manager zu vermeiden.530 Obwohl in den schwedischen Produktionsstätten Ericssons feste Monatslöhne dominierten, waren Bonuslöhne den Mitarbeitern durchaus vertraut. Insbesondere die Koppelung der Sanktionsabschläge an den Grundlohn 528  Miljard-bonus,

in: Affärsvärlden, 21. Oktober 1998. om lön med bonus och straff: De anställda vill inte ha ett system där lönerna kan sänkas, in: Dagens Nyheter, 21. Oktober 1998. 530  So der Konzernverantwortliche für Entlohnungs- und Rekrutierungsfragen Lars Härenstam. Vgl. Löner – Det går inte att vara snäll längre, in: Veckans Affärer, 30. November 1998; Sämre prestation ger avdrag på lönen: Ericsson vill pröva nytt bonussystem, in: Dagens Industri, 20. Oktober 1998. 529  Strid

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

provozierte den Widerstand der Gewerkschaften, obwohl der Civilingenjörsförbund seine grundsätzliche Unterstützung bekundete.531 Die von dem Metall-Konzernvorstandsvertreter Jan Hedlund treffend als ‚Lohnlotto‘ apostrophierte Grundidee stieß allerdings auch bei der SIF auf eine kompromisslose Ablehnung, so dass die Konzernleitung einlenkte und im Februar 1999 bekannt gab, das Projekt nicht weiter zu verfolgen.532 Auch die Bonusprogramme für das Spitzenpersonal wurden heftig kritisiert, weil sie an den Cashflow gekoppelt waren. Vor allem als der gesamte Immobilienbestand veräußert wurde, um den negativen Cashflow ins Plus zu bekommen, bemängelten die Gewerkschaften, dass die Bonusprogramme nicht ein Anreiz für die Veräußerung der Aktiva darstellen sollten.533 Dass die Beziehungen auch weiterhin angespannt blieben, verdeutlicht die arbeitsgerichtliche Klage der Samorganisation wegen der unterlassenen Information bei der Berufung eines neuen Informationsdirektors, eines Konzerncontrollers, Finanzvorstandes sowie den Umzug des Personalvorstandes nach London; dadurch war die LO-Gewerkschaft höchst aufgebracht. Ausdrücklich unterstrich Hedlund, dass das Verhandlungsklima im Unternehmen sich immer mehr verschlechtert habe und das juristische Vorgehen der Gewerkschaft auch als Zeichen verstanden werden sollte, dem so empfundenen Mangel an Kooperationsbereitschaft Grenzen zu setzen.534 8. Finanzierungs- und Unternehmenskontrollstrukturen im institutionellen Wandel a) Entente cordiale: die Wallenberg-Familie und die Svenska Handelsbanken als aktive Eigentümer bei Ericsson Mehr als in allen anderen institutionellen Feldern wurzelten die auch für schwedische Verhältnisse einzigartigen Unternehmenskontrollstrukturen in einer historischen Besonderheit, deren Entstehung unmittelbar mit den existenzbedrohenden Schwierigkeiten zu tun hatte, in die der Konzern in den 531  Löner

1998.

– Det går inte att vara snäll längre, in: Veckans Affärer, 30. November

532  Strid om lön med bonus och straff: De anställda vill inte ha ett system där lönerna kan sänkas, in: Dagens Nyheter, 21. Oktober 1998, Nytt bonussystem får kritik, in: Dagens Industri, 21. Oktober 1998. 533  12 ODs der betrieblichen Metall-Grundorganisationen bekundeten daraufhin öffentlich, dass sie auf jegliche Bonuszahlungen verzichten wollten. Vgl. Ericsson drar tillbaka kritiserad lönebonus, in: LO-Tidningen, 5. Februar 1999. 534  MBL-brott kan kosta Ericsson 200.000, in: Dagens Nyheter, 1. Dezember 2000.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel415

zwanziger Jahren geraten war. Das Unternehmen LM Ericsson hatte 1918 mit der 1883 gegründeten Stockholms Allmänna Telefonaktiebolag (SAT) Henrik Tore Cedergrens fusioniert, indem die SAT-Eigentümer eine Mehrheitsbeteiligung bei Ericsson erwarben. Als Hauptaktionäre, die auch zuvor bei der SAT Mehrheitseigner gewesen waren, wurden nun neben Ida Cedergren, dem H. T. Cedergrens Uppfostringsfond noch die Abwicklungsgesellschaft SAT in Liquidation und der Pensionsfond der SAT geführt, die beide de facto von dem Ericsson-Vorstandsmitglied Karl Fredrik Wincrantz kontrolliert wurden. Die SAT-Aktien waren 1918 im Rahmen eines Aktienswaps gegen neue Ericsson-Aktien ausgetauscht worden, jedoch wurden die Cedergren- und Fondsaktien als Anleihensicherheit für eine Neuemission verwendet. Ericsson hatte allerdings nach der Oktoberrevolution in Russland erhebliche Vermögenswerte verloren; der daraus resultierende Stopp der Dividendenzahlungen und die Abschreibung des Aktienwertes um 50 v. H. brachten Cedergren und den Pensionsfond in Zahlungsschwierigkeiten. Karl Fredrik Wincrantz hatte die Gunst der Stunde genutzt und von der Eigentümergruppe aus der alten SAT durch seine Ängsvik AB eine Mehrheit der Stimmrechte bei Ericsson erwerben können, so dass der VD nun als maßgeblicher Kapitalgeber im eigenen Unternehmen auftrat. Bis heute ist allerdings ungeklärt, ob Wincrantz nicht ohnehin von vornherein als Strohmann von Ivar Kreuger auftrat. Durch eine Kapitalbeteiligung bei Ängsvik im Februar 1925 war der legendäre Finanzmagnat ohne Wissen des Ericsson-Vorstandes indirekt selbst ein gewichtiger Aktionär geworden, der im Hintergrund die Fäden zog. Ende August 1930 konnte Kreuger bei der Holddinggesellschaft 50 v. H. der Aktien und zugleich Wincrantz’ Beteiligung bei Ericsson an sich bringen, aber offensichtlich nur durch ein illegales Querfinanzierungsgeschäft: Kreuger hatte 28 Millionen SKr für die Aktien zu zahlen, hatte sich aber gleichzeitig Kapital von Ericsson gegen deutsche Obligationen als Sicherheit geliehen. Den Kauf der eigenen Wertpapiere bezahlte das Telekommunikationsunternehmen so faktisch selbst. Der neue von Kreuger ausgesuchte Vorstand beschloss, dass es nicht angehe, dass die SAT in Liquidation Aktien besitzen dürfe, womit ein weiterer gewichtiger Kapitalgeber neutralisiert wurde, da auch diese Holding ihre Beteiligung an Kreuger&Toll überlassen musste. Den Kollaps seines eigenen Imperiums vor Augen sollte Kreuger im Juni 1931 seine Beteiligung an ITT verkaufen, das sich die Chance zur Machtübernahme seines hartnäckigsten Konkurrenten auf internationalen Märkten nicht entgehen ließ. Obwohl das US-Unternehmen die Mehrzahl der Stimmrechte de facto auf sich vereinigte, kam es trotzdem zu einer Pattsituation, da ITT seine Stimmrechte aufgrund des Vorbehaltes in der Unternehmensordnung Ericssons, die die Ausübung von Stimmrechten ausländischer Kapitalgeber auf 20 v. H.

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begrenzte, nicht ausnutzen konnte. Waren solche Bestimmungen zur Wahrung des schwedischen Einflusses nichts Ungewöhnliches, so zeichneten sich die Unternehmenskontrollstrukturen Ericssons seit Mitte der zwanziger Jahre durch die Besonderheit aus, dass das Stimmrecht einer A-Aktie den Stimmrechten von 1000 B-Aktien entsprach.535 Angesichts solcher unerwarteter Hürden mussten sich die US-Amerikaner vorerst mit der Zusicherung Kreugers begnügen, die Instruktionen ITTs bei Abstimmungen im Vorstand zu befolgen. Die vertrackte Situation mit dem ungeliebten Anteilseigner sollte sich jedoch wieder ändern. Teure ausländische Konzessionen und Kreugers Luftbuchungen hatten das Telekommunikationsunternehmen in eine gravierende Finanzsituation geraten lassen, so dass ITT nach der Überprüfung des Buchschlusses 1931 wusste, wie es um das schwedische Telekommunikationsunternehmen in Wirklichkeit bestellt war. Im Februar 1932 kündigte ITT das Abkommen über den Kauf der Aktien und verlangte von Kreuger die 11 Mio. Dollar zurück, der bald darauf aufgrund seiner nun völlig hoffnungslos gewordenen Lage in Paris Selbstmord beging.536 Mehr noch als im Falle SCAs lässt sich bei Ericsson nahezu mustergültig skizzieren, wie ‚aktive Eigentümer‘ sich bereit fanden, im Austausch gegen die Überlassung von Unternehmenskontrollrechten bei der Neustrukturierung krisengeschüttelter Unternehmen mitzuhelfen. Bei dem Telekommunikationsunternehmen mussten schon die beiden führenden schwedischen Banken intervenieren, um einen Bankrott abzuwenden. Sowohl zur SEB als auch zur SHB hatte Ericsson schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts enge Kreditbeziehungen gepflegt und von den internationalen Kontakten der beiden Finanzhäuser bei dem Aufbau ausländischer Niederlassungen profitiert. Beide Banken hatten parallel zu ihrer Funktion als Kreditoren Beteiligungen im Telekommunikationsunternehmen erworben. Im März 1932 war eine konzertierte gemeinsame Stützungsaktion von SEB und Svenska Handelsbanken unvermeidlich geworden, die die Gunst der Stunde nutzten, um fortan auf die Unternehmensgeschicke Einfluss nehmen zu können. Im September 1932 gelang es auch, sich mit ITT zu einigen, indem die Amerikaner die von Kreuger & Toll übernommenen Verbindlichkeiten 535  Auf die Initiative Wincrantz’ war 1926 eine Verbesserung der nach wie vor prekären Liquiditätsgrundlage durch die Inanspruchnahme internationaler Finanzmärkte angestrebt worden. Damit der Einfluss der einheimischen Besitzer gewahrt blieb, griff man zu einem Mittel, das auch in der Geschichte der schwedischen Unternehmenskontrolle außergewöhnlich war, nämlich die Ausgabe von 1:100-Ak­ tien anlässlich zweier Großemissionen 1928 mit zusammen 800.000 Aktien, die trotz der Steigerung des gesamten Aktienvolumens um fünfzig v. H. die Stimmrechtsrelationen nur mit 0,1 v. H. verändern sollten. 536  Kreuger hatte die Ericsson-Tochtergesellschaften in Frankreich und Argenti­ nien als Sicherheit eingesetzt, um neue Kredite zu erhalten.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel417

sich in Form von 19 v. H. der Stimmrechte entgelten ließen.537 Durch langfristige und günstige Kreditlinien konnten die Schulden von LM Ericsson, die 1935 41,4 Mio. SKr betrugen, bis 1939 auf 12 Mio. SKr reduziert werden. Solche Situationen sollten in den kommenden Jahren öfters in der Gestalt wiederkehren, aber die technische Kompetenz der Banken und Finanziers ließ auch in Krisenphasen an dem Stockholmer Unternehmen festhalten. Dazu gab es öfter Gelegenheit, da das Telekommunikationsunternehmen zwecks Behauptung gegen die Hauptkonkurrenten Siemens und ITT erhebliche Mittel für Konzessionsgesellschaften einsetzte. So mussten die Aktionäre zwischen 1931 und 1936 sowie in den Jahren 1939 und 1940 ohne Dividendenausschüttungen auskommen. Auch wenn Ericsson so von der Grundphilosophie schwedischer aktiver Eigentümer profitierte, nämlich dem Vorrang des Erhalts eines Unternehmens vor einer Liquidation, war ein Problem nach wie vor ungelöst, nämlich die Präsenz des härtesten internationalen Konkurrenten Ericssons.538 Im Februar 1960 konnte die Blockadesituation jedoch beseitigt werden, als im Anschluss an ein Abkommen mit ITT-Chef Harold Geneen das Aktienpaket zu einem deutlichen Überkurs erworben werden konnte, da die US-Amerikaner für die Finanzierung ihrer ambitiösen Diversifikationsstrategie auf flüssige Mittel angewiesen waren. Zu diesem Zeitpunkt konnte Ericsson sowohl in der Wallenberg- als auch Svenska Handelsbanken-Sphäre zu den Kernbeteiligungen gezählt werden. 1946 und 1948 hatten die SEB-nahen Holdinggesellschaften Providentia und Investor so viele A-Aktien aufgekauft, dass Svenska Handelsbanken und SEB sich gegenseitig blockierten. Man vereinbarte, dem Management prinzipiell eine erhebliche Handlungsfreiheit zuzugestehen, die beiden schwedischen Großeigner sich aber vor wichtigen Entschlüssen absprechen sollten. Mit ihrer Vormacht wurde allerdings auch sichergestellt, dass so gut wie kein anderer Kapitalgeber fortan als strategischer Aktionär auftreten konnte. Seit den fünfziger Jahren verstärkte ein zehnjähriges Vorkaufsrechtsabkommen die Abschottung.539 Fort537  Damit konnten die Stimmrechte in Einklang mit der Unternehmensordnung ausgeübt werden, wenn auch ITT nach wie vor auf Verbündete unter schwedischen Kapitalgebern angewiesen war. Im Dezember 1932 hatte man sich mit ITT darauf geeinigt, dass ITT seine Forderung von 11 Millionen Dollar an Kreuger & Toll fallen ließ, aber im Ausgleich 154.600 A-Aktien und 455.600 B-Aktien entsprechend 19 v. H. der Stimmrechte bei Ericsson erhalten sollte; SHB und SEB sollten die übrigen 255.400 A-Aktien erhalten. 538  Ericsson wirkte auf Außenstehende gelegentlich wie eine Tochtergesellschaft des US-Giganten, auch weil dank seines Vorstandsmandates der ITT-CEO Sos­thenes Behn über alle in Stockholm gefassten Beschlüsse im Bilde war. Vgl. Åsgard  /  Ellgren, Ericsson, S. 107. 539  Industrivärden kontrollierte 1960 400.000 A-Aktien, Providentia 155.000, Investor 55.000 und der SEB-Pensionsfond 36.355 A-Aktien. Caritas hatte schon 1952

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an kontrollierten die SHB und die Wallenberg-Sphäre jeweils rund 34 v. H. der stimmrechtsstarken Aktien, auch wenn zwischenzeitlich wie 1983 die SEB-Sphäre ihren Anteil an A-Aktien ausweitete und einige Stimmrechte mehr als die Svenska Handelsbanken einsetzen konnte.540 Die anfängliche entente cordiale zwischen den beiden großen Sphären nahm jedoch dann immer Züge einer entente avec méfiance an, wenn einer der beiden versuchen sollte, die eigene Beteiligung überproportional zu erhöhen. So hatte am 6. März 1987 Skandia 114.000 A-Aktien – immerhin 3,1 v. H. der Stimmrechte – an die Svenska Handelsbanken-Sphäre veräußert. Nicht nur weil das Geschäft im nach hinein publik wurde, zeigte sich Peter Wallenberg irritiert und stellte auf der nächsten Ericsson-Vorstandssitzung SHB-OD Jan Wallander zur Rede, der das in den fünfziger Jahren vereinbarte Abkommen nicht durch den Erwerb tangiert ansah. Nach dem Kauf von 324.295 A-Aktien des 4. AP-Fonds, dessen Direktor Sten Wikander offensichtlich um einen Ausgleich bemüht war, zog die WallenbergSphäre wieder mit der SHB gleich, da nun beide rund 36 v. H. der Stimmrechte kontrollierten.541 Eventuell spielten diese Auseinandersetzungen auch eine Rolle, als 1987 diskutierte wurde, ob angesichts der engen Beziehungen der spanische Netzbetreiber Telefónica nicht durch die Überlassung von 5 bis 10 v. H. der A-Aktien stärker an den Konzern gebunden werden sollte.542 Angesichts des starken Gewichts auf den südeuropäischen Märkten, wo Ericsson Marktanteile zwischen 20 v. H. und 25 v. H. hielt, und der zu erwartenden milliardenschweren Aufträge einer Modernisierung des Telefonnetzes hatten Vertreter der Svenska Handelsbanken vorgeschlagen, auch die italienische staatseigene Italtel oder alternativ die Telefongesellschaft Telit die eigenen Aktien an die anderen Wallenberg-Gesellschaften überlassen. Vgl. ­Jacobæus, C. et al., LM Ericsson 100 Years, Vol. 3: Evolution of Technology 1876–1976, Tabelle 100, S. 349. 540  Ericsson toppar på börsen, in: Dagens Nyheter, 13. Februar 1983. 541  Der vierte AP-Fonds hatte im Gegenzug rund 325.000 B-Aktien auf dem freien Markt erworben, anlässlich dessen VD Sten Wikander noch mal die strategische Bedeutung Ericssons im Portfolio des Pensionsfonds unterstrich. Vgl. zur Auseinandersetzung Wallenberg stärker greppet i Ericsson, in: Dagens Industri, 31. März 1987; Slut på ägarfriden i Ericsson, in: Dagens Nyheter, 4. Dezember 1987; Wallenberg upp i Ericsson „Affär i största harmoni“, in: Veckans Affärer, 2. April 1987. 542  Die staatliche spanische Telefongesellschaft bot sich als Partner an, da sie bereits mit dem schwedischen Telekommunikationsunternehmen über die EricssonTochtergesellschaft Intelsa zusammenarbeitete und zu den wichtigsten Abnehmern von Produkten und Systemen gerechnet werden musste. Auch VD Björn Svedberg hatte sich der Idee gegenüber aufgeschlossen gezeigt, die Netzbetreiber nach einer Neuemission mit einer Beteiligung von jeweils 5 bis 10 v. H. ins Boot zu holen. Vgl. Nya chanser för Ericsson i Frankrike, in: Veckans Affärer, 12. Februar 1987.



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mit 10 v. H. der A-Aktien zu beteiligen.543 Ericsson verhandelte bereits mit Spaniens Industrieminister Louis Carlos Croissier über die Bildung eines schlagkräftigen Gegengewichts gegen Alcatel und ATT-Philips, indem die Schweden die Unternehmen Marconi Espaniola und Standard Electrica im Tausch für eine Kapitalbeteiligung Telefónicas bei Ericsson übernehmen sollten. Peter Wallenberg hatte jedoch den Vorschlag einer Einbeziehung ausländischer Netzbetreiber im Grundsatz verworfen.544 Nach diesem Scheitern blieben die Unternehmenskontrollstrukturen im Falle Ericssons nach wie vor durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: Erstens war der Telekommunikationskonzern das einzige schwedische Großunternehmen, in dem die beiden größten schwedischen business groups Beteiligungen hielten, sich aber gleichzeitig gegenseitig blockieren konnten. Gleichzeitig wurde Ericsson zu den Kernbeteiligungen sowohl der SHB als auch der Wallenberg-Sphäre gerechnet. Da zweitens die A-Aktien im Verhältnis zu den B-Aktien immer noch in einem Verhältnis von 1:1000 bewertet wurden, konnten mit nur 8 v. H. der Kapitaleinlage aber rund 80 v. H. der Stimmrechte letztlich alle Entscheidungen durch Wallenberg- und Svenska Handelsbanken mittels ihrer Holdinggesellschaften Industrivärden und Investor bestimmt werden. Die Stimmrechtsasymmetrie erlaubte es ihnen gelegentlich auch, wie 1984 oder 1993 im größeren Umfang B-Aktien zu veräußern, um von Wertsteigerungen an der Börse indirekt zu profitieren.545 Die Übermacht der beiden Sphären wurde zusätzlich durch die ausschließliche Besetzung des Vorstandes mit eigenen Vertretern, der lange wie ein Stelldichein des schwedischen Wirtschaftsadels wirkte. Bis 1996 wurde das Kontrollgremium mit jeweils drei Repräsentanten aus den Personalnetzwerken der beiden Sphären besetzt, die als ‚multiple Direktoren‘ auch leitende Funktionen bei Investor und Industrivärden innehatten. In der Regel waren die ODs oder VDs der Holdinggesellschaften auch im Vorstand Ericssons vertreten. Noch mehr als bei Sandvik fällt im Falle Ericssons auf, dass der Anteil der aus der eigenen Branche rekrutierten Vorstandsmitglieder extrem gering 543  Telit war ein Gemeinschaftsunternehmen der staatlichen Italtel und der Fiateigenen Telettra. Vgl. zu den Diskussionen Ericsson steget före i Italien, in: Dagens Industri, 26. Januar 1986, Italiens statsföretagschef: Ericsson missade Italtel-chans, in: Dagens Industri, 20. Januar 1988. 544  Die spanische Telefonbehörde sollte sich dann noch im gleichen Jahr aus der gemeinsamen Tochtergesellschaft Intelsa zurückziehen. s. zu den Verhandlungen in Spanien Telejättar in i Ericsson, in: Dagens Industri, 5. Februar 1987; Telefónica – Ericsson bygger „tredje blocket“, in: Dagens Industri, 26. Januar 1987; Spanien vill bryta med Ericsson, in: Dagens Industri, 26. September 1986; Gynnsamt läge för Ericsson i Spanien, in: Dagens Industri, 4. Februar 1987. 545  Ericsson spränger 100-miljardersvall, in: Dagens Industri, 15. Oktober 1993; Industrivärden, in: Dagens Industri, 22. November 1984.

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war. Die Wahrung der Pattsituation genoss offensichtlich lange eine höhere Priorität als die Einbeziehung konzernexternen Sachverstandes, auch wenn in den neunziger Jahren daran vermehrt Anstoß genommen wurde. Tatsächlich konnte den von den beiden Hauptkapitalgebern berufenen Vorstandsmitgliedern kaum nachgesagt werden, über fundierte Kenntnisse in Fragen der Datenkommunikation oder auch Konsumentengütern zu verfügen. So erwuchs in der Öffentlichkeit gelegentlich der Eindruck, der Vorstand sei in operativen Fragen ein willfähriges Instrument der Konzernleitung. Tatsächlich ließ das höchste Kontrollgremium nach Auffassung einiger ehemaliger Mitglieder einen sehr hohen Handlungsspielraum für das Management zu, das sich ähnlich wie im Falle SCAs und Sandviks nicht nur durch einen überproportional hohen Anteil an intern rekrutierten Managern auszeichnete, sondern auch durch eine ausgeprägte technikerlastige Orientierung, was gelegentlich sogar als Problem empfunden wurde.546 Die Präferenz für ingenieurwissenschaftliche Qualifikationen und Personal mit langen Hauskarrieren lässt sich mit den vier VDs explizieren, die zwischen 1980 und 2000 das Unternehmen leiteten und die in der Regel anschließend auf die Posi­ tion des ODs überwechselten.547 Diese Kontinuität an der Führungsspitze, die nur durch den spektakulären Abgang Sven-Christer Nilssons 1999 unterbrochen wurde, galt auch für das höhere Management. Obwohl interne Positionswechsel durchaus häufig waren, gab es mit Ausnahme des VizeVDs Håkan Ledins, dem 1985 das Scheitern des EIS-Projektes angelastet wurde, fast keine unfreiwilligen Abgänge. Im Übrigen wurde nicht nur der Stammkonzern, sondern auch nahezu alle wichtigen Tochtergesellschaften 546  VD Björn Svedberg bezifferte 1987 in einer Diskussion den Anteil der Techniker unter dem Führungspersonal auf über 90 v. H., denen es angesichts ihrer Qualifikation und Ausbildung gelegentlich an Führungsqualitäten und anderen Fähigkeiten des Management ermangele. Vgl. Protokoll från koncernrådets sammanträde, 9. September 1987, ARAB Nr. 4695. 547  Der ab 1977 als VD amtierende Björn Svedberg war nach ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung 1962 in das Stockholmer Unternehmen eingetreten und hatte es bis 1991 geleitet, um anschließend den Platz von Hans Werthén als OD zu übernehmen. Der promovierte Chemiker Lars Ramqvist, der im Oktober 1980 als Abteilungsleiter für Ericsson tätig wurde, und die Geschicke des Konzerns bis zu seinem Wechsel in den OD-Posten 1998 prägen sollte, entsprach noch weniger dem Typus des in angelsächsischen Ländern dominierenden Finanzwissenschaftlers. Gleiches traf auf seinen nur wenige Monate amtierenden Nachfolger Sven-Christer Nilsson zu, der 1969 die Universität in Lund mit einem Examen in Mathematik und Datenbehandlung abgeschlossen hatte und vor seinem Eintritt in das Unternehmen 1990 bei Datasaab und Inter Innovation erste Erfahrungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie hatte sammeln können. Kurt Hellström, der 1999 die Nachfolge Nilssons antrat, hatte nach einer Ausbildung zum Ökonomen an der Stockholm Handelshochschule und einem ingenieurwissenschaftlichen Studium an der KTH seit 1984 für Ericsson gearbeitet.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel421

wie in den USA, Brasilien, Mexiko oder Australien von schwedischen Führungskräften geleitet, so dass der Anteil ausländischer Manager verschwindend gering war. Erst mit dem 1999 von Daimler-Chrysler abgeworbenen Deutschen Roland Klein trat eine ausländische Führungskraft in das Unternehmen ein. Ungeachtet der sehr besonderen Verhältnisse der Corporate GovernanceStrukturen schildern unabhängige Mitglieder des Vorstandes die Arbeit des Gremiums als weitgehend frei von Spannungen und mit einem weiten Spielraum für die Unternehmensleitung. Im Vorstand, indem bis zu seinem Abgang Peter Wallenberg eine tonangebende Rolle einnahm, kam es nur selten zu einer Lagerbildung, in dessen Rahmen sich SHB und Wallenberg-Vertreter gegenüberstanden.548 Auch in der Öffentlichkeit hoben Mitglieder der Konzernleitung wie Björn Svedberg hervor, dass die Vorstandsmitglieder sich vorrangig dem Wohlergehen des Unternehmens verpflichtet fühlten.549 Zwar kam es sporadisch zu heftigen Diskussionen, wie als sich die Möglichkeit zum Erwerb einer 60 v. H.-Beteiligung bei Nokia bot. Die durchaus verlockende Offerte führte zu Streitereien im Vorstand, da die enormen Verluste Nokias Ericsson in der Abschwungphase 1991 schwer belastet hätten, aber wie auch in anderen Fällen waren Auffassungen in dieser Frage nicht an die Sphärenzugehörigkeit gekoppelt.550 Der einzige Zwist zwischen den beiden Großeignern in den neunziger Jahren sollte sich an der Frage der Verlagerung von Ericssons Unternehmenszentrale nach London entzünden, die insbesondere von dem Svenska Handelsbanken-VD Tom Hedelius betrieben wurde, was allerdings von Repräsentanten der Wallenbergsphäre und Konzernleitung mit Reserviertheit aufgenommen wurde. Der Vorstand hatte sich letztendlich für eine Verlagerung gewisser Konzernfunktionen entschieden, auch wenn der Kauf einer Immobilie in London mit rund 1,5 Mrd. Skr zu Buche schlug und steuerpolitische Vorteile nicht zu erwarten waren.551 548  Interview Bert Olving, Göteborg, 5. Juni 2007; Interview mit Göran Eng­ ström, Göteborg, 4. September 2007. 549  Interview mit Björn Svedberg, in: „Visst har det svidit“, in: Veckans Affärer, Nr. 14 (1988), S. 100–103. 550  Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 551  Allerdings machte dieser Schritt es erforderlich, dass VD Nilsson und VizeVD Ros genauso wie die Leiter der Regionalabteilungen zwischen London und Stockholm pendeln mussten, während die funktionsbezogenen Verantwortlichkeiten für Personal, Technik und Information in Stockholm bzw. Kista blieben. Infolge des zwischen Schweden und Großbritannien abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens hätte eine komplette Verlagerung sogar negative bilanzielle Konsequenzen gehabt, da Schweden mit einem durchschnittlichen Unternehmenssteuersatz von 28 v. H. den britischen Wert mit 31 v. H. noch unterbot, so dass auch die Regierung gelassen auf die Ankündigungen reagierte. Vgl. zur Diskussion um die Verlagerung

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Solche Meinungsverschiedenheiten stellten jedoch nie die Trajektorie des Unternehmens in ihrer Gesamtheit in Frage. Ganz im Gegenteil sollten beide Großaktionäre ihre Qualität als aktive Eigentümer insbesondere im Hinblick auf Renditeerwartungen und der Bereitschaft zur Unterstützung eines langfristig angelegten Wachstumspfades häufiger als in anderen Unternehmen unter Beweis stellen. Ihre Rolle wird von einem gewerkschaft­ lichen Konzernvorstandsmitglied folgendermaßen umrissen: „Ich denke, das war gut für Ericsson, dass wir zwei Großeigner hatten mit gemeinsamen Interessen und ausreichend stark, um sich auszubalancieren, so dass keiner ausreichend stark genug war, den anderen herauszufordern und dass nicht die Möglichkeit bestand, Ericsson aufzukaufen. Das war eine Sicherheit. Sie waren außerdem langsichtig, muss ich sagen. In den neunziger Jahren vielleicht sogar zu langsichtig, man schaute nicht so sehr auf die Dividende oder Gewinn oder so etwas, sondern das Interessanteste war das Unternehmenswachstum … Das bedeutete Stabilität.“552

Dieses Charakteristikum der Weitsichtigkeit hat im Falle Ericssons eine besondere Bedeutung, da das Unternehmen eine deutlich volatilere Gewinnentwicklung zu verzeichnen hatte als andere Unternehmen. Insbesondere in den achtziger Jahren sollte die Ertragslage auf einem konstant niedrigen Niveau verharren, um dann zeitgleich mit dem Durchbruch der Mobilkommunikation ab 1994 in vorher unbekannte Höhen zu schnellen. Hatte der Konzern in den achtziger Jahren nur selten einen Vorsteuergewinn über einer Mrd. SKr erwirtschaftet, so waren es 1994 5,6 Mrd. Skr, 1998 beachtliche 18 Mrd. SKr und 2000 sogar 28 Mrd. SKr. Dass die Geduld der Kapitalgeber hinsichtlich der Rentabilität auf eine ausdauernde Probe gestellt wurde, beruhte auf mehreren Besonderheiten, die noch einmal auf die Implikationen der Wachstums- und Innovationsstrategie Ericssons verweisen. Erstens wechselten sich in der Geschichte des Unternehmens Krisen mit außerordentlichen Erfolgen ab, die aber jeweils stark vom Durchbruch einzelner technologischer Großprojekte abhing. Dieses Verlaufsmuster lässt sich beginnend mit dem Vorzeigeprodukt AXE exemplifizieren. 1977 hatten Ericsson zusammen mit Philips und Bell den Auftrag bekommen, das saudiarabische Telefonnetz mit der gerade neu entwickelten Vermittlungsstelle zu erneuern. Das kam gerade recht zu einer Zeit, als die Nachfrage nach den Schaltungen AKE und ARE stetig sank und der permanent negative Cashflow zu Diskussionen um Personaleinschränkungen und Fabrikschließungen im Ericsson-Vorstand geführt hatte. Immerhin Ericssons ledning vill fly skattetrycket, in: LO-Tidningen, 21. November 1997; Regeringen ignorerar Ericssons flyttplaner, in: Finanstidningen, 18. März 1998; Flyttade för att skapa bättre affärsklimat, in: Dagens Industri, 1998; Ericssons mobiltelefoni flyttar till London, in: Dagens Nyheter, 25. September 2000. 552  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel423

gelangte selbst Björn Svedberg in der Rückschau zu der Auffassung, dass ein Fehlschlag mit AXE eine Katastrophe für Ericsson bedeutet und vermutlich die Fortexistenz des Unternehmens als eigenständigen Telekommunikationskonzern sogar in Frage gestellt hätte.553 Bis 1989 war der Erfolg maßgeblich durch den Durchbruch für AXE und die analogen Mobilfunksysteme bestimmt worden. Danach konnte Ericsson durch GSM seinen Wettbewerbsvorsprung als Systemanbieter ausbauen, weil zu diesem Zeitpunkt die Vermittlungsstelle ihre große Wachstumsphase in den Festnetzen hinter sich hatte. Die Entwicklungsanstrengungen konnten sich fortan auf Accesslösungen, Breitband und Mobilfunknetze richten, auch wenn es bis zum Frühling 1994 dauern sollte, bis die Zahl der GSM-Fernsprechteilnehmer schneller als die des 1986 eingeführten NMT 900 wuchs. Der weltweite Siegeszug des europäischen Standards und der damit verbundene sprunghaft ansteigende Auftragseingang sollte dann bis 1999 den Übergang zu der dritten Generation maßgeblich erleichtern, der für den Konzern nach dem anfänglichen Fehlschlag mit AXE-N in Gestalt des W-CDMAStandards seinen glücklichen Abschluss fand. Grosso modo lässt sich also ein Verlaufsmuster mit Zyklen von fast rund sechs Jahren identifizieren, in denen die umfassenden Forschungs- und Investitionsprogramme von ‚Ernteperioden‘ abgelöst wurden. Dass dennoch die Möglichkeiten der Konzernleitung beschnitten waren, Gewinne in Form von höheren Dividendenausschüttungen an die eigenen Aktionäre weiterzugeben, lag primär an den konstant steigenden FuE-Aufwendungen. So wurden die Gewinne für AXE nicht nur durch EIS aufgezehrt, sondern zusätzlich durch die Anpassung der Vermittlungsstelle an regionale, nationale oder technische Gegebenheiten. Alleine diese Kosten bezifferten 1984 sich auf acht Mio. SKr, was immerhin 11 v. H. des Produktumsatzes entsprach.554 Noch 1989 wurde AXE von VD Björn Svedberg in einem Interview als Kostentreiber bezeichnet, obgleich die Technologie nach wie vor als eine Zukunftsinvestition eingestuft wurde.555 Wenn man die Periode 1985 bis 1995 als Berechnungsgrundlage zugrunde legt, also den Zeitabschnitt zwischen dem Scheitern des EIS-Projektes und dem Aufstieg Ericssons zum Weltmarktführer bei allen drei Mobilkommunikationsstandards, dann sind in diesem Zeitraum 61 Mrd. SKr für FuE investiert worden, umgerechnet 13,4 v. H. des Umsatzes oder das 2,5 fache des Vorsteuergewinns. Dafür mussten sich die Eigner mit einer bescheidenen Gewinnspanne von 3,9 v. H. 553  Vedin,

Teknisk revolt, S. 16. lovar Ericsson att infria förväntningarna, in: Affärsvärlden, Nr. 18 (1983), S. 28–36; „Ericsson måste tjänar en ytterligare miljard“, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1984), S. 48–50. 555  Lång väntan på USA-genombrott, in: Veckans Affärer, Nr. 3 (1989), S. 36–39. 554  Nu

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begnügen. Dass das Wachstum in dieser Periode eine höhere Priorität als die Profitabilität genoss, verdeutlicht der Umstand, dass bei einem konstant gehaltenen FuE-Anteil von 10 v. H. berechnet auf den Umsatz die Gewinnspannen auf 7,5 v. H. hätten verdoppelt werden können. Erst 1996 war Ericsson in der Lage, auch durch einen Auftragseingang über der Schwelle von 100 Mrd. SKr einen Gewinn von mehr als 10 Mrd. SKr innerhalb eines Jahres zu erwirtschaften. Alleine die Mobilkommunikationssparte hatte 1996 den Umsatz mit 79 Mrd. SKr entsprechend 46 v. H. steigern können und trug mit 9,5 Mrd. SKr zu dem gesamten Betriebsgewinn von 10,8 Mrd. SKr bei. Die ein Jahr später vermeldete Gewinnsteigerung um 70 v. H. auf nun 17,2 Mrd. SKr war laut Ramqvist wiederum zum Großteil auf die Mobiltelefonsparte zurückzuführen, auch weil deren Umsatz mit 87 v. H. stieg.556 Dass die Eigner durchgängig bereit waren, auch in kritischen Momenten diesen langfristig ausgerichteten Kurs der Unternehmensleitung zu stützen, lässt sich in mehreren erfolgsentscheidenden Situationen nachweisen: Erstens in der kritischen Phase Mitte der achtziger Jahre, als anlässlich des EIS-Debakels die Eigenständigkeit des Konzerns gewahrt wurde.557 So konnte der Konzernvorstand den Expansionskurs in den angelsächsischen Ländern fortführen und deswegen auch die hohen Anpassungskosten für AXE in Kauf nehmen. VD Björn Svedberg hatte auf der Hauptversammlung 1986 mitgeteilt, die Aktivitäten des Konzerns nicht nur auf die angestammten Märkte zu beschränken, hatte aber zugleich deutlich gemacht, dass die Aktionäre nicht mit der gleichen Rentabilität bei auf öffentliche Fernsprechnetze bezogenen Aktivitäten rechnen konnten wie 1983 und 1984, da man erhebliche Mittel für die Anpassung AXEs in den USA und Großbritannien hätte aufwenden müssen.558 Auf der Aktionärsversammlung am 19. Mai 1988 hatte der VD dann deutlich und fast euphorisch gegenüber den Großeignern den Dank für deren Langfristigkeit zum Ausdruck gebracht: „Danke, dass Ihr so geduldig wart. Danke, dass Ihr uns drei Jahre gegeben habt, um unsere Stellung langfristig zu verstärken, so dass wir uns in den neunziger Jahren nicht nur unter den weltweit führenden Kommunikations­unternehmen 556  Der Gewinn konnte auch deswegen stabilisiert werden, weil der Preisdruck sich laut Ramqvist mit 10 bis 15 v. H. in Grenzen hielt und der Konzern erfolgreich die Produktionskosten hatte senken können. Vgl. Ericsson sätter svenskt rekord i lönsamhet: Mobiltelefoner drog upp resultatet under 1997 med hela 70 v. H., in: Dagens Nyheter, 30. Januar 1998. 557  Diskutiert wurde in der Öffentlichkeit wohl ein Verkauf Ericssons an ASEA. Wie ernst diese Idee intern diskutiert wurde, lässt sich nur schwer sagen; ASEA-VD Percy Barnevik war jedenfalls nicht an einem Zusammengehen oder einer Übernahme interessiert. Vgl. Krisen ännu inte övervunnen, in: Dagens Nyheter, 16. Februar 1987; Ryktesflora kring Ericsson, in: Veckans Affärer, 28. August 1986. 558  KONTAKTEN, Nr. 5 (1986), Juni 1986.



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befinden, sondern eine noch bessere Stellung unter den allergrößten einnehmen können.“559 Auch Ramqvist ließ es sich 1992 nicht nehmen, zu betonen, dass im Vorstand eine einhellige Unterstützung für den eingeschlagenen Kurs vorherrsche und niemand eine Dämpfung der Entwicklungskosten befürwortet hätte. Dass sich Aktionäre und Analytiker später trotz des spektakulären Durchbruchs für GSM und der damit verbundenen Auftragshausse trotzdem in Geduld üben mussten, hatte damit zu tun, dass Ericsson die erwirtschafteten Gewinne für die Entwicklung der Breitbandtechnik und der Transportnetze aufwendete, die einen Großteil der FuE-Ressourcen verschlangen. Folglich musste der VD 1993 noch einmal einräumen, dass vorerst mit vorzeigbaren Gewinnen wiederum nicht zu rechnen sei, da die Erträge aus den verkauften AXE-Systemen in die Breitbandprojekte reinvestiert wurden.560 Erst ab 1996 konnten dann die überdurchschnittlichen Gewinne verzeichnet werden, die dementsprechend in einer angemessenen Dividende ihren Niederschlag fanden. Dass der Konzern die Renditeerwartungen über einen langen Zeitraum hinten an stellte, verdeutlicht die Aussage von Ramqvist in einem Interview: „Hätte ich Rücksicht auf die Aktien genommen, wären wir heute nicht da, wo wir sind. Wir werden nicht von dem Kurs der Zeit, sondern von einer langfristigen Strategie gesteuert, bei der wir recht hartnäckig sind. Ich bekam nicht gerade großen Applaus auf der Wall Street, als ich 1991 verkündete, dass wir noch mehr als zuvor auf FuE setzen sollten und das trotz Rezession und geringeren Gewinnen.“561 Was die aktiven Eigner folglich bereit waren, zu tolerieren, war ein ketchup bottle-Effekt in der Gewinnentwicklung. Unter diesem Effekt wird gemeinhin verstanden, dass umfassende Investitionskosten sich aufgrund der Risikoneigung und den damit verbundenen sunk costs erst nach einer gewissen Zeitspanne amortisieren, die Gewinnentwicklung folglich durch erhebliche Fluktuationen und Durststrecken gekennzeichnet war. Einen nachgeordneten Stellenwert genossen aber nicht nur die Renditeerwartungen der Aktionäre, sondern auch das Bemühen, deren Belangen hinsichtlich der Steigerung des Unternehmenswertes Rechnung zu tragen. Wie das Zitat Ramqvists bereits andeutet, war der Aktienkurs – so zumindest die Wahrnehmung eines Mitglieds der von Technikern dominierten Konzernleitung – ein Faktor, der durchgängig auf die Entscheidungen keinen Einfluss ausüben sollte.562 Die Annahme, dass Aktionärsinteressen während der Phase einen nachgeordneten Stellenwert genossen, wird zusätzlich durch die Entwick559  KONTAKTEN,

Nr. 4 (1988), 1988. ord utlöste årets kursras: USA-placerare tålde inte sanningen om Ericssons vinst, in: Dagens Industri, 22. Dezember 1993. 561  Han är placernarnas kelgris, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1993), S. 43. 562  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 560  Hans

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lung der Dividendenpolitik untermauert. Trotz gewisser Dividendenkontinuität wurde dem Wachstum durchgängig ein höherer Stellenwert eingeräumt. Vor allem im Vergleich zu den Steigerungsraten für FuE-Aufwendungen, die gelegentlich das Fünfzehnfache der Dividendenausschüttungen ausmachten, wird deutlich, wo die Prioritäten des Telekommunikationsunternehmens lagen. Diese vermeintliche Indifferenz gegenüber Aktionärsinteressen mag vor allem verwunderlich anmuten, da Ericsson wie kein anderes der hier untersuchten Unternehmen, von der Möglichkeit Gebrauch machen sollte, die ­eigenen Wachstumsanstrengungen durch den Rückgriff auf Unternehmensextern generierte Mittel zu finanzieren. Was Ericsson hinsichtlich der Unternehmensfinanzierung im Vergleich zu den anderen Fallstudienunternehmen hervorhebt, war erstens das Vertrauen auf Aktienmärkte als Finanzierungsinstrument und zweitens der Umfang der Emissionen. Drittens unterschied sich das Telekommunikationsunternehmen durch die Bereitwilligkeit, auch ausländische Kapitalmärkte für seinen Finanzierungsbedarf in Anspruch zu nehmen. Bereits im Zusammenhang mit dem Verkauf der ITT-Beteiligung wurden die Ericsson-Aktien auch in Paris, Amsterdam, London sowie Frankfurt eingeführt und 1980 als B-Aktien auch in Düsseldorf, Genf, Hamburg, und Oslo gehandelt. Im gleichen Jahr beschloss der Vorstand, ein Rating für eine Anleihe auf dem US-Markt für kurzfristige ungesicherte Schuldbriefe zu beantragen, in der Gewissheit, anders als andere ausländische Unternehmen mit einem dafür notwendigen a1p1-Rating oder einem AA-A-Rating rechnen zu können. Neben der Inanspruchnahme einer kostengünstigen Alternative zu Bankkrediten plante der Vorstand, sich auf diese Weise auf dem US-Kapitalmarkt einen höheren Bekanntheitsgrad verschaffen zu können.563 Anders als im Falle Sandviks ging es jedoch nicht nur um einen profanen Marketingeffekt: Die niedrige Eigenkapitalquote infolge der Akquisitionen für EIS hatte nicht nur den Bedarf einer Ausstattung mit einer breiteren Kapitalbasis erzeugt, sondern Ericsson musste zur Erschließung des US-Marktes auf ­auswärtige Kapitalmärkte zurückgreifen. In Folge der am 10. Mai 1983 realisierten Börseneinführung von vier Millionen B-Aktien zum Stückpreis von 62 Dollar – zum damaligen Zeitpunkt die größte Emission eines ausländischen Unternehmens in den USA überhaupt – wurden dem Stockholmer Konzern 240,2 Mio. US-Dollar (1,8 Mrd. SKr) zugeführt.564 Auffällig ist im Falle Ericssons vor allem, in welchen kurzen Zeitabständen und in welchem Umfang von der Mittelbeschaffung über Kapitalmärkte Gebrauch gemacht wurde. Der US-Emission war 1981 eine an der Lon563  LM

Ericsson Vorstand, Protokoll vom 13. Februar 1980, ARAB Nr. 4695. Ericsson in i USA med rekordemission – avstår från Sverige, in: Veckans Affärer, 17. Februar 1983. 564  Vgl.



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doner Börse platzierte Wandelanleihe mit einem Umfang von 40 Millionen Eurodollar vorausgegangen, womit Ericsson als erst viertes schwedisches Unternehmen eine auf internationale Märkte gerichtete Konvertierungsanleihe emittierte.565 1984 folgte eine Obligationsanleihe mit 500 Mio. SKr für den schwedischen Markt, eine Revolving Underwriting Facility mit 100 Mio. US-Dollar für den Eurodollarmarkt, ein Programm zur Emission von Commercial Papers in den USA mit 100 Mio. US-Dollar und eine auf den US-Markt gerichtete Obligationsanleihe ebenfalls mit 100 Mio. US-Dollar.566 1985 konnte eine nächste Obligationsanleihe auf dem Eurodollarmarkt mit 100 Mio. US$ gezeichnet werden. Schon im nächsten Jahre legte Ericsson ein Programm für Euro Commercial Papers auf, um so die Emission von kurzfristigen Geldmarktpapieren im Wert von 100 Mio. US-$ und die Aufnahme einer fünfjährigen Eurobondanleihe von 100 Mio. US-$ zu realisieren.567 1987 profitierten 70.000 Mitarbeiter von rund zwei Millionen neuen Belegschaftsaktien in Gestalt einer Wandelanleihe von 626 Mio. SKr. Auch zwei Wandelschuldverschreibungen im Wert von einmal 135 Mio. Schweizer Franken und einmal 60 Mio. US-Dollar wurden im gleichen Jahr auf Schweizer und US-Kapitalmärkten platziert. In den neunziger Jahren verlängerten sich zwar die Zeitabstände zwischen den Emissionen etwas, die aber vor allem hinsichtlich ihrer Finanzierungsvolumina beachtliche Größen erreichten. Anlässlich der sich deutlich verbessernden Gewinnsituation und Eigenkapitalquote und vorhandener nicht ausgenutzter Kreditlinien mit einem Volumen von fünf Mrd. SKr dauerte es bis 1993, ehe wiederum eine Wandelanleihe für 2,17 Mrd. SKr aufgelegt wurde, die das Grundkapital potentiell mit 8,4 Mio. neuen B-Aktien erhöhen sollte.568 1995 folgte zur Finanzierung der umfassenden Erwerbungen von 5,3 Mrd. SKr dann die nächste Rekordemission in der schwedischen Wirtschaftsgeschichte mit 7,5 Mrd. SKr. Schließlich setzte die größte Obligationsanleihe im Mai 1999 mit 10 Mrd. SKr, die je in Skandinavien aufgelegt wurde, ergänzt durch auf internationale Märkte ausgerichtete Obligationsanleihen im Wert von 2,9 Mrd. SKr einen vorläufigen Schlusspunkt. Infolgedessen stieg das Grundkapital kontinuierlich an, so dass sich die Anzahl der Finanztitel von rund 22 Millionen Aktien Ende 1979 auf rund 791 Millionen Aktien im Jahr 2000 vervielfachen sollte. Dass der Telekommunikationskonzern einen so umfassenden Gebrauch von Aktienmärkten machte, lässt sich auf drei Gründe zurückführen: Erstens 565  LM Ericsson ger ut konvertibel på Euromarknaden, in: Veckans Affärer, 17. August 1981, S. 17. 566  Ericsson Geschäftsbericht 1984. 567  Ericsson Geschäftsbericht 1986, S. 11. 568  Nya konvertibler: Ericsson tar in 1,5 mdr, in: Dagens Industri, 27. April 1987.

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waren die Emissionsvolumina deswegen so groß, weil das Unternehmen ein überragendes Wachstum an den Tag legte und selbst die Alternative der Kreditaufnahme bei Banken nicht ausgereicht hätte. Aufgrund der Eigentümerkonstellation waren die SEB und Svenska Handelsbanken, die ab 1936 übereingekommen waren, die Kreditbeziehungen unter sich aufzuteilen, zwar die ‚natürlichen‘ Hausbanken. Der Telekommunikationskonzern benötigte jedoch infolge der Expansion immer umfassendere Kreditlinien, so dass mit der Zeit auch andere Banken mit größerer finanzieller Kapazität miteinbezogen werden mussten. Auch die internationalen Emissionen wurden in der Regel durch globale Finanzintermediäre arrangiert, da die schwedischen Hausbanken, wenn auch immer zuerst über mögliche Schritte in Kenntnis gesetzt, schlicht und einfach zu klein waren.569 Ein zweiter und wichtigerer Grund lag in den Lücken zwischen den einzelnen technischen Großprojekten, deren Rentabilität zudem nicht unbedingt gewiss war. Wie bereits gezeigt, lässt sich der Innovationspfad Ericssons als eine Reihung von Projekten mit dem immanenten Risiko hoher sunk costs darstellen und es ist bezeichnend, dass große Emissionen sich zeitlich meistens mit dem Beginn ambitionierter Innovationsprojekte überschnitten, die auch die Entscheidungshorizonte bestimmten: „Man dachte von technischem Projekt zu technischem Projekt. Es gab Fünfjahrespläne, aber man war es gewohnt, in langfristigen Bahnen zu denken, da es auch einfach dauerte, bis die Systeme hervorgebracht wurden.“570 Dass die Erträge der verschiedenen technologischen Projekte einander finanzierten, wurde jedoch schon allein dadurch verhindert, dass sie zeitlich zu weit auseinander lagen. Deswegen war man auf die Emissionen angewiesen, da auch die Erträge aus Aufträgen für AXE zeitlich und hinsichtlich der Volumina nicht ausreichten, mittels der erwirtschafteten Gewinne für die nächste große technische Herausforderung in Form einer Internfinanzierung aufzukommen. AXE hatte in den 1980ern in gewisser Weise im begrenzten Umfang die Entwicklung der Mobiltelefonsysteme finanziell ermöglicht, da die Konzernleitung sich darauf verständigt hatte, so viel wie möglich von den Gewinnen aus dem Verkauf der Vermittlungsstellen in die Entwicklung der Mobiltelefonsysteme umzuleiten. Nicht zu vermeidende, allerdings sich zumeist in Grenzen haltende Verluste auf der Mobiltelefonieseite wurden folglich durch Einnahmen in der Festnetzsparte ausgeglichen. Nur die Verteidigungs- und die Kabelsparte hatten durchgängig zu den Konzerngewinnen beigetragen, waren aber beide zu klein, um mittels einer Quersubven­ tionierung ein ausreichendes finanzielles Polster garantieren zu können. Erst der umfassende Erfolg in der Mobilkommunikation ermöglichte es über 569  Telefoninterview 570  Interview

mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007.



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einen längeren Zeitraum, andere Aktivitäten ohne Rückgriff auf externe Mittel zu bewerkstelligen.571 Die umfangreiche Außenfinanzierung begleitet von einer Reihe Umsatz fördernder Maßnahmen wie Stockdividenden und Aktiensplits stießen auf den Kapitalmärkten auf ein reges Interesse. Bereits 1981 bezifferte sich der Börsenwert des Konzerns auf 4,73 Mrd. SKr, womit Ericsson deutlich vor den anderen Schwergewichten, nämlich der SEB mit 4,18 Mrd. SKr und sogar Volvo mit 4,04 Mrd. SKr rangierte.572 Die Erfolge des Unternehmens in der Mobilkommunikation koinzidierten ab 1990 mit einer überproportionalen Börsenwertsteigerung des Unternehmens. Bezifferte sich der Marktwert am letzten Börsentag des Jahres 1990 noch auf 39 Mrd. SKr, waren es 1994 bereits 90 Mrd. SKr, 1996 203 Mrd. SKr und 1999 1073 Mrd. SKr.573 Dass das Telekommunikationsunternehmen maßgeblich zu den überproportionalen Umsatzsteigerungen an der Stockholmer Börse beitrug, verdeutlicht der Umstand, dass Ende 1999 Ericsson siebenundvierzig mal höher als im Krisenjahr 1990 bewertet wurde, entsprechend einer Börsenwertsteigerung mit 4700  v. H.574 1993 hatte Ericsson bezüglich des Börsenwertes zum ersten Mal die 100 Mrd. SKr-Schwelle, 1997 die 300 Mrd. SKr-Schwelle überschritten und war als einziges schwedisches Unternehmen in die Klasse der 100 weltweit am höchsten bewerteten Aktiengesellschaften aufgestiegen.575 Damit löste der Stockholmer Konzern Astra ab, das bis dahin an dem führenden schwedischen Kapitalmarkt am höchsten bewertet worden war.576 Allein zu der Börsenhausse im Jahr 1999 sollte der Umsatz mit Ericssonaktien fast 80 v. H. beitragen, so dass im folgenden Frühjahr der Börsenwert des Telekommunikationsunternehmens mit fast 1700 Mrd. SKr rund 40 v. H. des kumulierten Börsenwerts des Stockholmer Aktienmarktes entsprach. Im Jahr 2000 rangierte Ericsson mit einem Börsenwert von 1803 Mrd. SKr sogar auf dem zehnten Platz, auch wenn Lucent, Nokia und Cisco in dieser Hinsicht die Schweden noch übertreffen sollten.577 571  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007; Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 572  De tio högst värderade företagen på stockholmsbörsen, in: Dagens Industri, 7. September 1982. 573  KONTAKTEN, Nr. 5 (2000), 23. März 2000, Beilage S. 5; Ericsson Geschäftsberichte, verschiedene Ausgaben. 574  KONTAKTEN, Nr. 5 (2000), 23. März 2000. 575  Ericsson över drömgräns, in: Dagens Industri, 28. Juni 1997. 576  Vgl. dazu die Angaben in: Sundin, A. / Sundqvist, S.-I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag 2000, Stockholm 2000, S. 26. 577  Ericsson avgör, in: Affärsvärlden, 18. Oktober 2000, Därför är Ericssons rapport viktigare än riksdagsdebatt, in: Dagens Industri, 29. April 2000; Ericsson skapar miljonärer: Tiotusentals nya förmögenheter, in: Dagens Nyheter, 11. März 2000.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Die hohe und lebhafte Nachfrage nach den Finanztiteln des Konzerns ging einher mit einer veränderten Zusammensetzung des Eigentümerkreises, der sich jedoch schon vor der Hausse ab 1996 abzeichnete. Wie kein anderes schwedisches Unternehmen sollte Ericsson schon frühzeitig die Aufmerksamkeit von Investoren vorrangig aus dem angelsächsischen Raum erregen. Sind bei den anderen hier untersuchten Unternehmen bemerkenswerte Ak­ tienkäufe durch ausländische Eigentümer erst seit Anfang der neunziger Jahre im Zuge der Deregulierung zu verzeichnen, so ist dies bei Ericsson schon seit Anfang der achtziger Jahre der Fall, obwohl für den direkten Kauf eigener Aktien durch Ausländer es noch einer Ende April 1981 erteilten Genehmigung der Reichsbank bedurfte.578 Ende 1982 erwarben ausländische Investoren mehrheitlich aus den USA für einen Gegenwert von 100 Mio. SKr rund 800.000 Aktien, so dass Finanzvorstand Fritz Staffas bei der Reichsbank einen Dispens über weitere Aktien im Gegenwert von 100 Mio. SKr erwirken wollte.579 Kaum ein anderes schwedisches Unternehmen konnte zu diesem Zeitpunkt einen so bedeutsamen Zufluss ausländischen Kapitals verzeichnen: Ungefähr 40 v. H. des Wertpapierbestandes wurden schon gegen Jahresende 1983 von Investoren aus anderen Ländern gehalten, darunter allein 33 v. H. von Besitzern der Ericsson-Aktien, die in New York notiert worden waren.580 Beflügelt durch hochgesteckte Erwartungen über einen Erfolg der Mobilkommunikation war mit den Solomon Brothers zum ersten Mal auch ein wahrnehmbarer Großinvestor auf den Plan getreten, der die Gelegenheit nutzte, Aktien eines IKT-Unternehmens zu erwerben, die verglichen mit entsprechenden US-Unternehmen nur die Hälfte kosteten.581 Nur ein Jahr später wurde vermeldet, dass bei Ericsson als einer der größten schwedischen Ak­ tiengesellschaften ein ausländischer Investor den Status als größter Aktionär für sich beanspruchen durfte: Der kalifornische Capital Guardian Trust hatte zusammen mit dem Nebenfonds Capital Guardian Research and Management zwei Millionen B-Aktien gekauft und überflügelte mit 5 v. H. des Aktienkapitals die Handelsbank- und Wallenbergsphäre, die zusammen nur über nur 1,8 Mio. B-Aktien verfügten. Dass bereits 1985 eine Mehrheit von 54,4 v. H. der Kapitaleinlage sich in den Händen ausländischer Aktionäre befand, empfand Ericsson-OD Hans Werthén angesichts des von ihm so wahrgenommenen Vermögens der US-Amerikaner zur ‚angemessenen‘ Bewertung des eigenen Unternehmens ausdrücklich als positiv und erhoffte sich einen spillover-Effekt auf die Stockholmer Börse.582 578  … och riksbanken ger nya tillstånd för försäljning, in: Veckans Affärer, 30. April 1981. 579  Stora utlandsköp av LM och Atlas, in: Veckans Affärer, 12. März 1983. 580  Ericsson Geschäftsbericht 1983. 581  Amerikaner köper upp Ericsson, in: Dagens Industri, 25. November 1984. 582  USA-fond största ägare i Ericsson, in: Veckans Affärer, 24. Oktober 1985.



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Der freundliche Empfang der neuen Eigentümer hatte seine Ursache wohl nicht nur in deren willkommenen Beitrag zur Verbreiterung der Kapitalbasis, sondern auch einer Bestimmung in der Unternehmensordnung, dass nur freie A-Aktien an Ausländer verkauft werden durften. Weil dort nach wie vor festgeschrieben war, dass der ausländische Besitz höchstens 35 v. H. ausmachen durfte, konnten 1985 nicht-schwedische Investoren zusammen nur unbedeutende 0,4 v. H. der Stimmrechte auf der Hauptversammlung einsetzen.583 Mehrere Gründe sprechen dafür, dass das Interesse der USAmerikaner sich weniger an der Möglichkeit zur Eigentümerkontrolle oder den Renditepotenzialen orientierte, sondern vor allem an der Eigenschaft Ericssons als Hightech-Unternehmen. Dem anfänglichen Ruf als attraktives Anlageobjekt konnte Ericsson zumindest in den achtziger Jahre jedoch nicht gerecht werden. Zwar wurde dank einer Wertsteigerung innerhalb zweier Jahre um 200 v. H. 1983 ein vorläufiger historischer Höchststand des Börsenkurses mit einem Tageskurs von 480 SKr erreicht.584 Die Turbulenzen um das EIS-Projekt hatten jedoch die Anleger bald das Vertrauen verlieren lassen, so dass 1986 Ericsson-Aktien nur noch zu einem Tageskurs von 228 SKr gehandelt wurden. 1988 rutschte der Kurs in Stockholm sogar auf 209 SKr ab.585 Auf dem US-Markt sahen die Dinge nicht viel besser aus: So musste die Unternehmensspitze 1985 auf der road show in London und New York den ausländischen Eigentümern und Analytikern Rede und Antwort stehen, warum die zum Stückpreis von 62,50 US$ erworbenen Aktien nur noch die Hälfte wert waren. Die US-Investoren, die bei der Emission von dem für Telekommunikationsunternehmen günstigen Preis von 450 SKr pro Aktie angelockt worden waren, mussten drei Jahre später zur Kenntnis nehmen, dass der Kurs bei bescheidenen 217 SKr angelangt war.586 Die trotzdem andauernde Bereitschaft bei US-Investoren zum Erwerb von Finanztiteln dürfte vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass das Telekommunikationsunternehmen zu einer Branche zählte, die bereits in den achtziger Jahren zum bevorzugten Anlageobjekt von bedeutenden US-Investoren geworden war. Wie die Konzernzeitschrift 1987 nicht ohne Stolz hervorhob, verfolgten ungefähr 20 Consulting-Unternehmen und Analytiker 583  Informationsdirektor John Meurling hatte 1983 anlässlich der ersten USEmission explizit in einem Artikel darauf hingewiesen, dass mit der Emission zwar 30 v. H. des Aktienkapitals im Ausland platziert waren, jedoch durch die Stimmrechtsasymmetrien eine Einflussnahme auf das Unternehmen verwehrt sei und somit die Beschäftigten nichts durch die forcierte Internationalisierung der Unternehmensfinanzierung zu befürchten hätten. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 3 (1983), Juni 1983. 584  Ericsson toppar på börsen, in: Dagens Nyheter, 13. Februar 1983. 585  Ericsson bättre än väntat-men trögt vända EIS, in: Veckans Affärer, 4. September 1986. 586  Strippen ska rädda Ericsson, in: Dagens Nyheter, 27. Juli 1987.

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in den USA regelmäßig die Entwicklung Ericssons mit mehrmals jährlich publizierten Berichten und Gewinnextrapolationen.587 Die Attraktivität des Stockholmer Unternehmens ließ nur in der Krise 1991 / 1992 etwas nach, als der Anteil ausländischer Investoren auf 34,2 v. H. schrumpfte, obwohl der Pensionsfond der Universität von Kalifornien im Mai 1991 die Chance nutzte und angesichts des nachgebenden Börsenkurses ein umfassendes Paket erwarb.588 Zwischen 1992 und 1999 sollte sich der Anteil der Aktien im Besitz von Ausländern kontinuierlich von 18,9 auf 52,3 v. H. erhöhen.589 Schon 1993 hatte sich der Anteil der US-Investoren innerhalb nur eines Jahres von 28 auf 46 v. H. erhöht, auch beflügelt durch Umschichtungen von US-Sparvorhaben von Bankkonten zu Wertpapierfonds.590 Die im gleichen Jahr emittierte Wandelanleihe mit 2,2 Mrd. SKr wurde zu mehr als der Hälfte im Ausland und vor allem in den USA gezeichnet, so dass der Anteil US-amerikanischer Eigner wieder auf 40 v. H. anstieg.591 Die Wertpapiere des Stockholmer Konzerns erfreuten sich einer hohen Beliebtheit in den USA, so dass gemessen an schwedischen Verhältnissen Ericsson dort nahezu eine Volksaktie wurde. Alleine zwischen 1995 und 1998 stieg die Anzahl der US-Eigner von 27.500 auf 227.000 an. Nur drei andere schwedische Börsenunternehmen, die Föreningssparbanken, die SEB und Assidomän konnten ähnlich viele US-Aktionäre für sich interessieren.592 Im Unterschied zu den anderen untersuchten Fallstudienunternehmen verteilte sich auch der Umsatz von Ericsson-Aktien bis 1998 mehr oder minder gleichmäßig auf die Börsen in Stockholm, dem NASDAQ in New York und die Londoner Börse, was bezeugt, wie umfassend das Interesse unter ausländischen Kapitalmarktteilnehmern gewesen sein muss.593 Ab 1985 entfiel der Hauptteil des Umsatzes auf die Wall Street. 1998 wurde noch der Großteil der 587  Im Gegensatz zu europäischen Börsenplätzen, an denen Analytiker sich vorwiegend auf schwedische Firmen unabhängig von der Branchenzugehörigkeit spezialisiert hatten, waren an der NYSE bei Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen wie EF Hutton, Merrill Lynch, Morgan Stanley oder Smith Barney 25 Analytiker ausschließlich für die Telekommunikationsindustrie zuständig. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 5 (1986), Juni 1986. 588  Der Fonds diente zur Finanzierung von Pensionen der 133.500 Angestellten an den neun kalifornischen Universitäten. 589  „Ägarmissen“ i Ericsson, in: Dagens Industri, 13. November 1999. 590  Halva Ericsson i utländska händer, in: Dagens Industri, 14. September 1993. 591  Ericsson närmar sig Astras börsvärde, in: Dagens Industri, 16. Juli 1993; Långsamt bättre natten till lördag, in: Dagens Industri, 20. November 1993. 592  Ericsson het aktie bland amerikanska småsparare, in: Dagens Industri, 10. August 1999. 593  Bezeichnenderweise waren alle sieben schwedischen Unternehmen mit einer Börsennotierung in den USA am Nasdaq und nicht an der NYSE notiert, weil die New Yorker Börse keine Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten zuließ. Vgl. Ericsson mest omsatt på Nasdaq, in: Dagens Industri, 14. März 1995.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel433

Ericsson-Wertpapiere an der Nasdaq gehandelt, bis die Stockholmer Börse zum Haupthandelsplatz wurde, an dem nach einigen Monaten doppelt soviel Ericsson-Aktien wie in New York umgesetzt wurden.594 Wirft man einen genaueren Blick auf die Zusammensetzung der ausländischen Investoren, dann muss zunächst festgehalten werden, dass Ericsson mit Abstand den höchsten Verbreitungsgrad als schwedische Aktie im Besitz ausländischer institutioneller Investoren vorweisen konnte. Die Wertpapiere fanden sich Mitte der neunziger Jahre immerhin als einer der drei größten Aktienposten in elf der 15 größten Auslandsportfolios. In acht dieser Portfolios war Ericsson zugleich der größte schwedische Aktienbestand.595 Ohnehin verteilte sich das Interesse an schwedischen Wertpapieren sehr ungleich: 72 v. H. des ausländischen Besitzes schwedischer Aktien entfiel auf Ericsson, Astra, Volvo und sieben andere Aktiengesellschaften, wobei Ericsson 1996 alleine für 19 v. H. stand.596 Angesichts dieser Verdichtung verwundert es nicht, dass sich unter den Investoren viele Investmentfonds befanden. Dass man ansonsten ein begrenztes Interesse an anderen schwedischen Großunternehmen zeigte, verdeutlicht der Umstand, dass der Investmentfond Fidelity Beteiligungen bei rund siebzig schwedischen Unternehmen hielt, von denen aber hinsichtlich der Anzahl der Aktien die Hälfte alleine auf Wertpapiere Ericssons entfiel.597 Zugleich fällt auf, dass viele dieser Investoren sich auch bei anderen Unternehmen aus der IKT-Branche und meistens auch bei Ericssons Konkurrenten engagierten. Fidelity Investments aus Boston avancierte Mitte der neunziger Jahre zum Großeigner bei allen drei weltweit führenden Mobilkommunikationsunternehmen Ericsson, Nokia und Motorola mit Beteiligungen, die auf einen kumulierten Marktwert von 23 Mrd. SKr geschätzt wurden. Auch der kalifornische Provident Investment Councel, der aufgrund seiner 4,2 Millionen Aktien zum achtgrößten Investor bei Ericsson aufstieg, wurde gleichzeitig mit 10,8 Millionen Aktien als siebtgrößter Eigner bei Motorola geführt. Der Pensionsfond der Universität von Kalifornien, Ericssons viertgrößter Eigner mit 7,25 Mio. SKr Aktien verfügte bei Motorola als achtgrößter Eigner über 8,72 Mio. Aktien.598 Trotz ihres bedeutenden Gewichts verzichteten die ausländischen Eigentümer wie auch bei SCA und Sandvik auf einen umfassenden Erwerb von A-Aktien. Der kumulierte Anteil der A-Aktien in den Händen nichtschwedischer Eigner sollte nur selten den Wert von 2 v. H. überschreiten. 594  OMs

oktoberfest, in: Dagens Industri, 20. November 2000. storsäljare av Ericssonaktier, in: Dagens Industri, 16. Dezember

595  USA-fond

1995.

596  Utländska

ägare – satsar på kvalitetsbolag, in: Affärsvärlden, 28. August 1996. 3000 Miljarder, in: Dagens Industri, 13. Dezember 1994. 598  Fidelity största ägaren inom mobiltelefoni, in: Dagens Industri, 26. Januar 1995. 597  Placerar

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Selbst langfristige institutionelle Investoren wie Capital Guardian Trust Fidelity Funds, der Ivy International Fund, Putnam Funds und der Pensionsfonds der kalifornischen Universitäten nahmen davon Abstand, stimmrechtstarke Ericsson-Aktien zu erwerben. Folglich fehlte genau wie bei den anderen Fallstudienunternehmen innerhalb dieser Eigentümergruppe, die sich trotz der identifizierbaren institutionellen Investoren aus Treuhändern zusammensetzte, ein Kapitalgeber, der seine Beteiligung dazu nutzte, Einfluss auf die Unternehmensgeschicke über den Weg der Vorstandsrepräsentation zu nehmen. Auch im Falle des Telekommunikationsunternehmens lässt sich also das bei den anderen Unternehmen schon erkennbare vorrangig finanzielle Platzierungsmotiv erkennen, das den Erwerb und Verkauf von Ericsson-Wertpapieren bestimmte. Nichtsdestotrotz lässt sich ihre Rolle im Unterschied zu anderen Unternehmen nicht unbedingt auf die passiver Eigentümer reduzieren: „Natürlich konnte man sie nicht immer überzeugen, aber diese Investoren waren sehr hilfreich… Sie waren zufrieden mit Quartalsberichten und Geschäftsberichten und forderten keine weiteren Prognosen. Hingegen waren sie sehr interessiert, die zukünftige Technikentwicklung erklärt zu bekommen und welche Möglichkeiten die bot, ohne dass Prognosen kamen. Es ging darum, die Beschlüsse zu verstehen, es ging mehr darum, welche Beschlüsse man fassen musste, um erfolgreich zu bleiben und welche Märkte das größte Potential hatten. Sie legten nicht so viel Wert auf kurzsichtige Prognosen, daran waren vor allem die schwedischen institutionellen Investoren interessiert. Sie [die US-Investoren, G. F.] waren langfristiger in ihren Aktivitäten, denke ich. Das war merkwürdig genug.“599

Trotz fehlender Machtabsicherung über den Erwerb von A-Aktien kann den US-Investoren also durchaus attestiert werden, wie ‚aktive Eigentümer‘ zu handeln. Vor allem in der Situation zu Beginn der neunziger Jahre war ihre stützende Funktion zum ersten Mal deutlich geworden. Ramqvist hatte in New York den versammelten Analytikern und Fremdkapitalgebern in unverblümter Manier verkündet, dass in den nächsten Jahren keine Gewinne zu erwarten seien. Im November 1991 hatte Ramqvist eine Anzahl großer amerikanischer Investoren getroffen, um sie über die Pläne zur Ausweitung der FuE-Ausgaben ins Bild zu setzen, was bedeutete, dass der Konzern das Fünfzehnfache für FuE wie für die Dividende an seine Eigentümer ausgeben wollte. Der Börsenkurs sollte sich in Bestätigung dessen 1991 nahezu halbieren, aber wichtige Investoren konnten gehalten werden, da die wichtigsten US-Investoren signalisierten, dass für sie eine Veräußerung ihrer Beteiligungen nicht in Frage käme.600 Auch in der Folgezeit hielt die Mehrzahl dieser stakeholder Ericsson die Treue, wenn auch einige Eigner wie Fidelity ein volatiles Kauf- und Verkaufsverhalten an den Tag legten, das 599  Telefoninterview 600  Nilsson,

mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. T., Makten över Ericsson, Stockholm 2002, S. 41.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel435

entweder durch negative Quartalsberichte, unbefriedigende Nachrichten aus anderen Mobilkommunikationsunternehmen oder auch durch grundlegende strategische Umorientierungen in der Anlagepolitik gesteuert wurde. Im November 1993 hatte die Veräußerung des beinahe gesamten Aktienpaketes von 15 der insgesamt 16 Mio. Aktien durch Fidelity Funds den Börsenkurs Ericssons mit 30 v. H. abstürzen lassen, aber ebenso zu dessen Beruhigung beigetragen, als der Investor zum September 1994 wieder insgesamt 9.872.400 B-Aktien erwarb.601 Bis Oktober 1995 steigerte Fidelity den Besitz wieder auf 32,5 Millionen Ericsson-Aktien. Nur wenige Monate später sollte dann der zuständige Tochter-Fond Fidelity Magellan – zu diesem Zeitpunkt immerhin der weltweit größte Aktienfond überhaupt – den Beschluss fassen, sämtliche Beteiligungen bei Hochtechnologieunternehmen aufzugeben und stieß folgerichtig nahezu alle Beteiligungen bei Nokia und Ericssons ab.602 Erst im Herbst 1999 lancierte Fidelity zwei europäische Branchenfonds, um zielgerichtet in Hochtechnologie- und Telekommunikationsaktien investieren zu können. Bis dahin hatte der Fidelity Funds wieder 300.000 Aktien erworben, so dass sich zum Halbjahr 1,2 Mio. Aktien entsprechend 0,2 v. H. des Kapitals wieder im Besitz des institutionellen Investors befanden.603 Auch die Capital Group hatte im Herbst 1995 nach rund zehn Jahren ein Drittel der Ericsson-Aktien mit 12,5 Millionen Aktien verkauft. Solch ein volatiles Verhalten, das durch negativ empfundene Unternehmensperformanz oder strategische Umschichtungen beeinflusst wurde, lässt sich bei den schwedischen institutionellen Investoren nicht ausmachen. Die Zusammensetzung der Hauptkapitalgeber dokumentiert, dass die schwedischen institutionellen Eigner mit deutlich mehr Ausdauer an ihren Beteiligungen festhielten. Diese Trias aus ausländischen Aktionären, einheimischen institutionellen Investoren und den Haupteignern oder aktiven Eigentümern ist zumindest von SCA und Sandvik bereits hinlänglich bekannt. Was im Falle Ericssons unweigerlich ins Auge sticht, ist dennoch die durch die Stimmrechtsasymmetrie bedingte Diskrepanz zwischen Stimmrecht starken und Stimmrecht schwachen Wertpapieren. Die Erweiterung der Kapitalbasis von 38 Millionen B-Aktien im Jahr 1985 auf 7,9 Mrd. B-Aktien im Jahr 2000 führte zu einer Konstellation mit zwei koexistierenden Governance-Strukturen: Auf der einen Seite die traditionellen aktiven Eigentümer mit einer unangefochtenen Kontrollmacht; und auf der anderen Seite die zahlreicheren und trotz 601  Amerikanska Fidelity störst ägare i Ericsson, in: Dagens Industri, 1. Dezember 1994. 602  Fidelity flaggade fel i Ericsson, in: Dagens Industri, 11. Oktober 1995; Amerikansk fondjätte säljer alla sina aktier i Ericsson och Nokia, in: Dagens Industri, 21. Mai 1996. 603  Fidelity tror åter på Ericsson, in: Dagens Industri, 25. September 1999.

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größerer Kapitaleinlage letztendlich machtlosen Eigner der B-Aktien. Trotzdem war Ericsson auf deren Engagement angewiesen, da die erläuterte unumgängliche Kapitalbeschaffung zur Finanzierung langfristiger Innovationen über die Aktienmärkte die Erweiterung des Aktionärskreises unweigerlich nach sich zog. Dessen ungeachtet blieb die Vormachtstellung der SHB und der Wallenberg-Sphäre unangetastet. So waren im Zuge der Emissionen zwar auch immer neue A-Aktien auf den Kapitalmärkten eingeführt worden, jedoch nie in dem Ausmaß, das SHB und Wallenberg-Sphäre umfassende Mittel einsetzen mussten, um ihre Vorrangstellung zu wahren. b) Erfahrungen mit dem Quartalskapitalismus: Die zögerliche Adaption von Finanzmarktnormen und die Entlassung Nilssons Ungeachtet der ungewöhnlichen Verfasstheit der Unternehmenskontrolle, die einer Abschließung nach außen besonders zuträglich war, genoss im Gegensatz vor allem zu SCA und Sandvik die Kommunikation insbesondere mit den ausländischen Kapitalgebern schon früh eine sehr hohe Priorität. Mehr noch als in anderen Unternehmen war die regelmäßige Kommunikation mit gewichtigen Kapitalgebern ein fester Bestandteil der Vorstandsarbeit.604 Konzernleitung oder die Geschäftsbereichsleiter reisten etliche Male im Jahr zu Zusammenkünften mit Investoren und Analysten in die USA und nach London. Zusätzlich fand noch mindestens einmal jährlich eine road show zur Erläuterung zukünftiger Schritte und Entscheidungen statt. Darüber hinaus hatte der Konzern immerhin seit 1983 eine IR-Abteilung in New York mit der Aufgabe betraut, den US-Kapitalmarkt mit Informationen zu versehen. In den neunziger Jahren nahm die Intensität der Finanzmarkt- und Eigentümerkommunikation noch einmal deutlich zu. Die Investor RelationsAbteilungen in Stockholm und New York wurden später durch eine dritte Abteilung in London verstärkt, die auch die Konferenzen begleiteten, auf denen den in der Regel rund 450 anwesenden Analytikern und Investoren die Quartalsberichte vorgestellt wurden. Gewichtige langfristige Kapitalgeber wie der Pensionsfond der Universität von Kalifornien wurden von der Leitung der US-amerikanischen Tochtergesellschaft in Oakland auf dem Laufenden gehalten und nahmen an Telefonkonferenzen im Anschluss an Jahresabschlüssen und Quartalsberichten teil.605 Allein der Finanzvorstand hielt sich nun mindestens fünf bis sechsmal jährlich in den USA auf, um Kontakte mit gewichtigen Investoren zu pflegen. Auch nach Quartals- und 604  Telefoninterview

mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. än Investor: University of California okänd storägare i Ericsson, in: Dagens Industri, 26. Oktober 1994. 605  Större



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel437

Halbjahresberichten reisten Mitglieder der Investor Relations-Abteilung, begleitet von Konzerncontrollern, dem VD oder dem Finanzvorstand, in die USA, nach London oder Paris, so dass vor Ort Kapitalgeber und Analysten auf den neuesten Stand der Dinge gebracht werden konnten. Schließlich gab es noch gesonderte Zusammenkünfte anlässlich besonderer Ereignisse oder Produktneueinführungen, auf denen bis zu 100 Experten Auskünfte von Mitgliedern des höheren Managements erhielten.606 Diese Bereitschaft zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Unternehmensperformanz ging aus einer Rendite orientierten Shareholder ValuePerspektive jedoch nicht weit genug. Bereits 1987 hatten US-Analytiker zwar die stetige Verbesserung der Informationspolitik des Unternehmens gelobt und ihr in dieser Hinsicht bescheinigt, mit US-Unternehmen mithalten zu können. Allerdings wurden die bei Ericsson noch nicht üblichen Quartalsberichte und die Ausweisung des Gewinns nach Geschäftsbereich sowie das unvorteilhafte Börsenkurs-Gewinn-Verhältnis beanstandet.607 Kritik wurde auch an Ericssons Verfahren geübt, nur addierte Kennziffern auf Konzerniveau zu publizieren, was Vergleiche mit Geschäfts- und Quartalsberichten anderer Unternehmen unmöglich machte.608 Die fehlende Ausweisung der Gewinnlage einzelner Geschäftsbereiche, die aus der Perspektive von SHV-orientierten Protagonisten für die erforderliche Identifikation von Verlusttreibern notwendig war, hatte nicht nur bei Analysten für Unmut gesorgt. Wie hoch beispielsweise die Verluste der Festnetzsparte 1995 ausfielen, wollte der Konzern nicht bekannt geben, so dass sich Analysten mit der ungefähren Mitteilung begnügen mussten, dass die Gewinnentwicklung ‚zufriedenstellend‘ sei. Renditeorientierte Kapitalmarktteilnehmer forderten eine transparente Segmentberichterstattung ein, um defizitäre Wert vernichtende Unternehmenssegmente zu identifizieren und deren Reorganisation oder Abspaltung einzuleiten. Wie schon bei SCA oder Sandvik dargelegt, reduzieren ausführliche Geschäftsberichte und eine häufige und detaillierte Segmentberichterstattung die Informationsasymmetrie zwischen Investoren und Unternehmensspitze und mindern die agency costs in Gestalt von Beobachtungs- und Opportunitätskosten, deren Anstieg Risikoprämien wahrscheinlich werden lässt. Bereits auf der Hauptversammlung 1994 hatten Vertreter des Kleinaktionärsverbandes dementsprechende Auskünfte gefordert, was Ramqvist mit einem Verweis auf einen möglichen Nutzen für 606  KONTAKTEN,

Nr. 19 (2000), 9. November 2000. Nr. 2 (1987). 608  Zudem zogen Finanzdienstleister und Analytiker Angaben aufgeschlüsselt nach geografischer Schwerpunktverteilung vor, während Ericsson diese vorrangig nach Technologiebereichen strukturierte. Vgl. zu den Kritikpunkten Spezial: Ericsson, in: Veckans Affärer, 20. März 2000. 607  KONTAKTEN,

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Konkurrenten Ericssons abgelehnt hatte.609 Auch bei anderer Gelegenheit bemühten Unternehmensvertreter immer wieder das Argument, dass durch die Offenlegung des internen Liquiditätsausgleichs oder auch nur die Bekanntgabe der Zahl verkaufter Mobiltelefone die Gefahr einer zu großen Einsicht für Konkurrenten entstehen könnte. Die Beanstandungen auf den Hauptversammlungen 1996 und 1997 an fehlenden Prognosen und Sparten bezogenen Bilanzen parierte Ramqvist mit dem Hinweis, dass auch keiner der Konkurrenten Prognosen veröffentlichen würde und die Quartalsberichte als Informationsbasis ausreichen müssten. Auch die Ausweisung der Gewinne nach Geschäftsbereichen in der Bilanz sei ungeeignet, da ein Großteil der Aktivitäten ohnehin gemeinsam ausgeführt würde, so dass eine vorgenommene Aufteilung nur mit rein willkürlichen Kriterien erfolgen könnte.610 Die Schwierigkeit der Zuordnung von Aktivitäten eines Telekommunikationsunternehmens, das sich als Systemhersteller verstand, war allerdings nicht nur ein vorgeschobenes Argument. So wurde AXE bei Mobilfunk-, aber auch bei Festnetzsystemen genutzt, was dazu führte, dass eine Reihe gemeinsamer Patente nicht eindeutig einem bestimmten Geschäftsbereich zugeordnet werden konnte. Darüber hinaus waren nach Angaben von Konzernvertretern auch die Gewinn- und Kostenanteile bei basalen FuE-Aktivitäten nur schwer zu kategorisieren.611 Eine höhere Transparenz wurde dadurch ebenso erschwert wie durch das schon frühzeitig praktizierte Cash Pooling-Verfahren, da der Konzern auf diese Weise die schwedischen Kapitalverkehrskontrollen zumindest teilweise umgehen und seine Auslandsaktivitäten ohne eine ansonsten erforderliche Kreditaufnahme im Ausland finanzieren konnte.612 Allerdings machte der Konzern nicht von der Möglichkeit Gebrauch, die hohen FuE-Kosten als Investitionen mit einer Abschreibungsfrist von fünf Jahren auszuweisen, mit der andere Unternehmen ihre reale Kostenstruktur verschleierten. Im Unterschied zu den Konkurrenten nahm Ericsson auch nicht große Einmalabschreibungen vor, sondern klassifizierte alle Aufwendungen inklusive die für technische Entwicklungen als laufende Kosten.613 609  Allerdings konnte die Konzernspitze als Argument anführen, dass es auch bei den Wettbewerbern keine detaillierte Segmentberichterstattung gab. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 8 (1994). 610  Ramqvist hatte 1991 sogar die Auffassung vertreten, dass die Bilanzierung nach Geschäftsbereichen ohnehin an Bedeutung verlieren würde. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 1 (1991). 611  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 612  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 613  So wäre der Jahresgewinn für 1990 eine Milliarde SKr höher ausgefallen als angegeben. Vgl. Marknaden tappar tron på Ericsson, in: Dagens Industri, 15. November 1991.



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Dabei hatte Ericsson wohl mehr als andere Unternehmen Grund genug, durch eine offenere Informationspolitik auf die Preisbildung auf den Aktienmärkten Einfluss zu nehmen. Insgesamt wird durch einen Vergleich der Aktienkursentwicklung mit realwirtschaftlichen Kennziffern erkennbar, dass die Bewertung des Unternehmens auf den Kapitalmärkten sich erheblich von dem Wachstumspfad abhob. Am 18. November 1993 hatte Ericsson eine spektakuläre Gewinnsteigerung in seinem Neunmonatsbericht von 120 Mio. SKr in 1992 auf 1,8 Mrd. SKr in 1993 angekündigt. Als die Gewinnprognose für das gesamte Geschäftsjahr einen Tag später wörtlich von ‚mindestens eine Verdoppelung‘ zu ‚ungefähr einer Verdoppelung‘ korrigiert wurde, fiel am 19. November 1993 der Börsenkurs von 421 auf 356 SKr, weil US-Investoren einen noch höheren Gewinn erhofft hatten.614 3,2 Millionen Ericsson-Aktien im Wert von 1,4 Mrd. SKr wechselten in New York den Besitzer, als Ericsson den Neunmonatsbericht präsentierte. Als die Bilanz für das Jahr 1996 und damit ein durchaus spektakuläres Rekordergebnis am 11. Februar 1997 bekannt gegeben wurde, quittierte die Börse diese Nachricht mit einem Kursfall mit vier SKr auf 247,50 SKr pro Aktie.615 Das erscheint insofern bemerkenswert, weil selbst solche Rekordgewinne, die sogar von Ericsson selbst gesteckten Zielmarken übertrafen, die hohen Erwartungen der Fremdkapitalgeber nicht erfüllten. Nur bei einigen Gelegenheiten wie dem Beschluss des Sprintkonsortiums 1995, anstelle von GSM die CDMA-Technik vorzuziehen, korrelierte die Verringerung des Börsenwerts um sechs Mrd. SKr mit einem manifesten realwirtschaftlichen Vorkommnis, da mit einem verringerten Auftragseingang zu rechnen war.616 Ansonsten mussten die Verantwortlichen immer öfter die Erfahrung machen, dass eigene Indikatoren als ausschlaggebende Größe für die Börsenkursentwicklung keine Gültigkeit zu besitzen schienen und selbst eine positive Gewinnentwicklung die hochgesteckten Erwartungen gelegentlich unterschritt. Insofern entsprach der Umgang mit den Wertpapieren des Unternehmens dem berühmten Keynesschen Modell des beauty contest, dem zufolge die Preisbildung auf Aktienmärkten nicht auf der Basis von Erwartungen über die zukünftige Profitabilität, sondern auf der Basis von ErwartungsErwartungen erfolgt. Für höhere Börsenumsätze bedurfte es folglich gelegentlich sogar gar keiner offizieller Äußerungen oder Berichte. Pessimistische Kommentare von Fondsverwaltern oder Gewinnwarnungen bei Konkurrenten wie Nokia reichten aus, um für Nervosität unter Aktienmarktteilnehmern und dementsprechende Reaktionen zu sorgen. Am 2. April 1996 hatten Ericsson-Wertpapiere zu 40 v. H. des Umsatzes an der Stockholmer 614  Ras

för telekom, in: Dagens Industri, 10. November 1995. tio miljarder kronor. Fortsatta framgångar inom mobiltelefonin gav en vinstökning på 33 v. H., in: Dagens Nyheter, 21. Februar 1997. 616  Aktieras när Ericsson missade USA-order, in: Dagens Nyheter, 1. August 1995. 615  Vinst:

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Börse beigetragen, als infolge eines skeptischen Statements eines Vermögensverwalters im US-Fernsehen zum Quartalsergebnis der Börsenkurs mit 5,6  v. H. fiel.617 Ramqvist hatte deswegen Ende 1996 angesichts der schlechten Erfahrungen mit der Börsenvolatilität bei der Vorstellung der Quar­ talsberichte anstelle von Prognosen der Entwicklung der Auftragseingänge den Vorzug gegeben. Ohnehin hatte sich Ramqvist hartnäckig allen For­ derungen widersetzt, die Wertschätzung der eigenen Aktien durch eine freizügigere Informationspolitik zu honorieren. Dass man in Aussagen gegenüber Analytikern und der Öffentlichkeit stattdessen eine größere Zurückhaltung an den Tag legte, war vorrangig dem Bestreben geschuldet, der Börsenkursvolatilität nicht auch noch durch unbedachte Äußerungen Vorschub zu leisten.618 Es schien jedoch, als ob der neue VD Christer Nilsson den Informationsbedürfnissen größere Rechnung tragen würde als seine Vorgänger. Am 29. Januar 1998 hatte der Konzern den neuen VD der Öffentlichkeit vorgestellt, der trotz seiner bisherigen Position als einer der 20 ranghöchsten Manager bei Ericsson nicht nur für Medienvertreter ein unbeschriebenes Blatt war.619 Schon bald sollte Nilsson die Möglichkeit bekommen, die mit ihm verknüpften Hoffnungen in die Tat umzusetzen. Der Herbst 1998 war Auftakt einer Börsenvolatilität, die das größte schwedische Börsenunternehmen bisher noch nicht erlebt hatte. Vom Kursrekord im Juli mit 263 SKr wurde im Oktober die Aktie nur noch mit 129 SKr bewertet. Nachdem sich der Kurs wieder erholt hatte, fiel im Dezember der Wert wieder von 238 auf 174 SKr.620 Nach einem Kurssturz am 17. September 1998 versprach Nilsson, nicht nur den Informationsfluss generell deutlich zu verbessern, sondern ab 1999 zu einer detaillierten Segmentberichterstattung überzu­ gehen und unternehmensexternen Akteuren präzisere Informationen über 617  Ras i Ericsson, in: Dagens Industri, 3. April 1996; Ericssons NY-premiär, in: Dagens Industri, 16. Oktober 2000; Motorolas vinstvarning skrämde kortsiktigt, in: Dagens Industri, 7. März 1998. 618  Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 619  Dass jemand aus der zweiten Reihe nach einem aufwendigen internen Rekrutierungsverfahren an die Spitze des Konzerns rückte, war allerdings kein Zeichen für ein neues Bestreben, mögliche personelle Verkrustungen an der Konzernspitze aufzubrechen, sondern wohl schlicht auf den Umstand zurückzuführen, dass etliche in der Öffentlichkeit gehandelte Nachfolger Ramqvists abgewinkt hatten und Spitzenpositionen in anderen Unternehmen vorzogen. Der frühere Vize-VD Jan Stenberg war zur SAS gegangen und der in den Medien als Favorit gehandelte Anders Igel hatte die Gewerkschaftsvertreter durch sein Agieren im Zusammenhang mit den Schließungen in Norrköping gegen sich aufgebracht. Als mögliche weitere Kandidaten galten Kurt Hellström, der Finanzvorstand und Vize-VD Carl Wilhelm Ros sowie Telia-VD Lars Berg. Vgl. Nilsson, Makten, S. 19. 620  Missförstådda Nilsson, in: Affärsvärlden, Nr. 1 / 2 (1999), S. 45–48.



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strategische Wegemarken zukommen zu lassen.621 Schon anlässlich der Veröffentlichung des Halbjahresberichtes 1998 war beschlossen worden, auf die von Ramqvist bevorzugte Dokumentation des Auftragseinganges zu verzichten, da dieser laut Darstellung der Konzernleitung nicht mehr als Aussage relevanter Indikator eingeschätzt wurde.622 Auf dem einem Kapitalmarkttag im Oktober machte Nilsson eine weitere Ankündigung wahr und gab erstmals öffentlich die Zielvorgaben in Gestalt einer durchschnittlichen Gesamtkapitalrentabilität von 20 v. H., einer durchschnittlichen Gewinnspanne von 10 v. H., einer ‚langfristigen‘ Umsatzsteigerung von 20 v. H. jährlich sowie einen möglichst durchgängigen positiven Cashflow bekannt. Allerdings genügten diese Vorgaben einer Finanzmarkt orientierten Informationspolitik nur im Ansatz, da die Fristen zur Erfüllung der Zielvorgaben mit fünf Jahren doch großzügig bemessen waren und auch der Zahlungsmittelüberschuss sollte für ‚strategische Akquisitionen‘ über Gebühr in Anspruch genommen werden können.623 Obwohl die Veränderungen somit nur im Ansatz den Empfehlungen entsprachen, schien das Unternehmen den ersten Schritt hin zu einer stärkeren Gewichtung von Kapitalmarktinteressen getan zu haben. Bald sollten jedoch sowohl VD als auch das gesamte Unternehmen die Erfahrung machen, dass solche Maßnahmen nicht ausreichen sollten, um die Erwartungshaltung der Kapitalmarktteilnehmer zu befriedigen. Obwohl bei der Präsentation des Buchschlusses im Januar 1999 zum ersten Mal Ericsson den Gewinn aufgeteilt nach Geschäftsbereichen darlegte, wurde der erstmals nur leicht gestiegene Vorsteuergewinn mit 18,21 Mrd. SKr mit Enttäuschung aufgenommen.624 Vor allem der Vergleich mit Nokia, das mit der Hälfte der Beschäftigten einen doppelt so hohen Umsatz erwirtschaftete, schien die Schwächen des Stockholmer Telekommunikationsunternehmens offenzulegen, obgleich Ramqvist zu Recht darauf hinwies, dass der Vergleich angesichts des weitaus kleineren Produktspektrums des finnischen 621  N. N.,

in: Dagens Nyheter, 18. September 1998. skapar tystnad: SEB och Ericsson stryper information av rädsla för att aktieägarna ska fly, in: Dagens Nyheter, 22. September 1998. 623  Im Geschäftsbericht wurde die Notwendigkeit solcher weit gefasster Zielvorgaben unterstrichen, da die Datenkommunikationsmärkte erst ihre Wachstumsdynamik entfalten sollten und insofern nicht in jedem Tätigkeitsfeld des Konzerns gleichartige Rahmenbedingungen vorzufinden seien. Finanzdirektor Carl Wilhelm Ros präzisierte bei anderer Gelegenheit die Angaben dahingehend, dass ‚auf lange Sicht‘ eine Zeitspanne von zwei bis fünf Jahren bedeutete. Vgl. Ericsson räknar med högre vinster på sikt: Framtidstro och optimism hos ledningen, trots den osäkra världsekonomin, in: Dagens Nyheter, 29. Oktober 1998; Ericsson Geschäftsbericht 1999, S. 9. 624  Ny telefonprognos från Ericsson, in: Dagens Industri, 14. Mai 1999. 622  Börsoro

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Konkurrenten unangemessen war.625 Noch weniger dürfte die anwesenden Aktionäre auf der Hauptversammlung im März 1999 die Ankündigung Nilssons begeistert haben, dass 1999 kein ‚Erntejahr‘ werden würde, sondern eines, in dem sich der Konzern rüsten müsse.626 Dass diese Behauptung nicht aus der Luft gegriffen war, hatte bereits der erste Quartalsbericht 1999 erahnen lassen, da der Cashflow entgegen den selbst gesteckten Zielen im ersten Quartal mit 11 Mrd. SKr im Minus war. Bis Jahresmitte sollte der Cashflow sogar auf minus 18 Mrd. SKr absinken. Davon ließen sich acht Mrd. SKr auf Erwerbungen und außerordentliche Maßnahmen zurückführen. Im ersten Halbjahr hatte sich der Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit 44 v. H. auf 4,26 Mrd. SKr verringert, obwohl der Umsatz bedingt durch den anziehenden Umsatz der Mobiltelefonsysteme mit 12 v. H. auf 92,4 Mrd. SKr anstieg. Kennzahlen, wie der Cashflow, die nicht auf buchhalterischen Gewinnen, sondern auf Zahlungsströmen basieren, eignen sich aus der Sicht von Rendite orientierten Investoren besser zu einer Plausibilitätsüberprüfung von Ertragsprognosen, weswegen sie beispielsweise bei SCA im Zuge der Realisierung des CVA-Konzeptes als zentrale Leitgröße genutzt wurden. Demgemäß sollen Unternehmensleitungen und das Controlling idealiter für die Geschäftsentwicklung nicht die Kennzahlen des klassischen Rechnungswesens als Maßstab nutzen, sondern Investitionsentscheidungen an Größe und Zeitpunkt zukünftiger Zahlungsmittelüberschüsse koppeln.627 Negative Cashflow-Kennziffern in den ersten drei Quartalen waren aber durchaus bei Ericsson an der Tagesordnung, da bei den Mobiltelefonen der Verkauf erst immer im letzten Quartal anzog.628 Selbst mit der Performanz Ericssons vertraute Analytiker bezeichneten einen erheblich negativen Cashflow im ersten Halbjahr als nichts Ungewöhnliches.629 Neben erheblichen Problemen mit den Endgeräten, der stark zurückgehenden Nachfrage nach AXE aufgrund der Asienkrise und der sich zu Ende neigenden Netz625  Ramqvist hatte 1997 den Unterschied zwischen Ericsson und Nokia so hervorgehoben: „Nokia hat nicht die Infokomseite, die eine unerhörte Belastung für uns ist und die eine unzufrieden stellende Gewinnentwicklung aufweist. Wir sind ein breiteres Unternehmen als Nokia und das kostet. Wir haben mehr Systemstandards und wollen nicht zu eng werden. Es ist besser, mehrere Standbeine zu haben als Sicherheit für den Konzern in seiner Gänze.“ Vgl. 5000 jobb måste bort, in: Veckans Affärer, Nr. 39 (1997), S. 15; zum Vergleich zwischen Ericsson und Nokia an den Börsen vgl. Ett steg på vägen, in: Affärsvärlden, 31. März 1999. 626  „1999 inget skördeår för Ericsson“, in: Dagens Industri, 24. März 1999. 627  Rappaport, Shareholder Value, S. 46. 628  Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 629  Väl bäddat för kursstegring: Ramqvist kan ha överdrivit problemet med negativa kassaflöden för att kunna visa ett snabbt lyft, in: Dagens Nyheter, 19. September 1999.



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digitalisierung waren auch die hohen Kosten für Unternehmenskäufe bis April 1999 ein weiterer Grund für den sich verschlechternden Cashflow.630 Es war das Präsidium des Konzernvorstandes, das den VD wohl vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen dazu bequemte, eine Gewinnwarnung für das letzte Quartal und den Wegfall von 11.300 Arbeitsplätzen bekannt zu geben.631 Die mehr oder minder ungeschickte spontane Gewinnwarnung auf einem Mittagessen der Sveriges Finansanalytikers Förening, bei der Nilsson den Abbau der Beschäftigungsverhältnisse und einen Gewinnrückgang um 15 bis 20 v. H. ankündigte bewirkte einen Kursverfall um 16 v. H. oder 50 SKr innerhalb von nur 15 Minuten.632 Am folgenden Tag, dem 10. November 1998 war Ericssons B-Aktie mit 16,2 v. H. auf 199 SKr gefallen, so dass der Börsenwert um 75 Mrd. SKr verringert wurde.633 Diese heftige Reaktion auf die Gewinnwarnung fügte sich in einen Trend ein, in dessen Gefolge der trade-off zwischen langfristiger Wachstumsorientierung und kurzfristigen Zinsansprüchen der Kapitalmarktteilnehmer immer offenbarer wurde. Trotzdem war es für die Öffentlichkeit wohl eine Überraschung, als am 7. Juli 1999 bekannt wurde, dass der Konzernvorstand einstimmig beschlossen hatte, Sven-Christer Nilsson von seinen Aufgaben zu entbinden und OD Lars Ramqvist als Konzernchef einzusetzen, der nach außen hin die Entlassung seines Vorgängers mit den schlechten Gewinnspannen und den negativen Cashflow von 18,7 Mrd. SKr legitimierte.634 Mit der Posi630  Zudem hatte AT&T aufgrund von Schwierigkeiten mit dem New Yorker Mobiltelefonnetz Ericsson einige Teilaufträge entzogen und an neue Lieferanten wie Alcatel und Lucent vergeben. AT&T hatte noch 1998 Ausrüstung für geschätzte 3,5 Mrd. SKr von Ericsson erworben, aber Folgeaufträge mussten nun mit den USKonkurrenten geteilt werden. Vgl. „Nätet i New York har inte fungerat, kunden har tröttnat“, in: Dagens Industri, 31. August 1999. 631  När VD lämnet tystnade, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1999), S. 20 f. 632  Befremden weckte auch der ungünstige Zeitpunkt, weil die Gewinnwarnung um 13 Uhr Stockholmer Zeit erfolgte, also als in den USA noch Nacht war. Gleichzeitig hatte man eine Pressemitteilung herausgeschickt. Die Unternehmensleitung war zudem nach der Rede Nilssons nicht erreichbar. Vgl. „Klantigt Ericsson!“, in: Finanstidningen, 14. Dezember 1998; Förödande för förtroendet: Tvärtemot vad Sven-Christer Nilsson påstår har förväntningarna på Ericssons vinst sjunkit, in: Dagens Nyheter, 11. Dezember 1998. 633  Börsvärdet föll med 75 miljarder kronor, in: Dagens Industri, 11. November 1998. 634  In der Tat hatte Nilsson bei der Erörterung des negativen Cash Flows im Vorstand eine unglückliche Figur gemacht, aber es waren offensichtlich die angespannten Beziehungen mit dem Vorstand, die seiner Karriere ein frühes Ende setzten. Vgl. När VD lämnade tystnaden, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1999), S. 22; Ericssons styrelse ville ha Ramqvist, in: Dagens Industri, 10. Juli 1999; vgl. Interview mit Ramqvist in: „Jag har inga maktambitioner“, in: Affärsvärlden, Nr. 37

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tion des VDs wurde der Leiter der Asien-Abteilung Kurt Hellström betraut, der schon vor der Wahl Nilssons als Favorit gegolten hatte, es damals jedoch vorzogen hatte, die Expansion Ericssons im Fernen Osten voranzutreiben.635 Ob die Cashflow-Problematik wirklich die Entlassung Nilssons rechtfertigte, mag dahin gestellt sein. Der Zahlungsmittelüberschuss sollte sich dank des anziehenden Mobiltelefonverkaufs und den ersten Aufträgen für 3G-Mobilkommunikationssysteme, die erst in der zweiten Hälfte des Jahres geliefert wurden und bei denen die Kosten für das erste Halbjahr angefallen waren, rasch verbessern. Auch Kurt Hellström verwies darauf, dass ein Teil des negativen Cashflows auf Lageraufbau, Produktlancierungen und Erwerbungen zurückzuführen war und nur zum geringeren Teil auf nicht erfüllte Kundenforderungen und verspätete Lieferungen.636 Da Erwerbungen mit Cashflow-Mitteln finanziert worden waren und die Mobiltelefonherstellung sich in der Verlustzone befand, konnte der Konzern erst für das vierte Quartal Übergewinne ankündigen, was dann auch eintrat. Gegen die kritischen Stimmen wurde im Halbjahresbericht für das Jahr 1999 mit Nachdruck hervorgehoben, dass Ericsson seine Position als einziger Lieferant für sämtliche digitalen Mobilfunktechnologien der zweiten Generation sowie die Zukunftstechnik GPRS gefestigt habe. Auch konnte vermeldet werden, dass sechs GSM-Betreiber Ericsson ausgewählt hatten, um ihre Netze mit GPRS aufzurüsten. Trotz sinkender Gewinnspannen prognostizierte die Konzernleitung einen Verkaufszuwachs für Mobilkommunikationssysteme mit 20 bis 30 v. H. für 1999 und 2000 und infolgedessen wieder eine positive Gewinnentwicklung.637 Die zusätzlichen Kostenbelastungen sollten durch ein Ra­tionalisierungsprogramm aufgefangen werden, das 1999 2,25 Mrd. SKr und im folgenden Jahr noch einmal 750 Mio. SKr erbringen sollte. Zusätzlich hatte sich der Vorstand darauf verständigt, zur Verbreiterung der Liquiditätsbasis alle Immobilien zu verkaufen.638 In der Tat sollte dieses Kalkül auch aufgehen: Der Cashflow verringerte sich zwar infolge höherer Kundenforderungen und den Entwicklungskosten für 3-G-Mobiltelefonsysteme insgesamt mit neun Mrd. (1999), S. 102–106; Mobiltelefoner är Ericssons svaga länk, in: Dagens Industri, 24. Juli 1999. 635  Nilsson hatte nie die Zweifel an seiner Person ausräumen können und galt ohnehin nur als Notlösung, weil Kurt Hellström abgesagt hatte. Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 636  Ny VD tonar ned problemen: Kurt Hellström tycker att konsekvenserna av millennieskiftet är ett större bekymmer än företagets finanser, in: Dagens Nyheter, 19. September 1999. 637  Snabbstädning sänker prognoser för Ericsson, in: Dagens Industri, 8. Mai 1999. 638  Ericsson säljer fastigheter för 10 miljarder, in: Dagens Industri, 31. August 1999.



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SKr in 1999. Da die Erwerbungen jedoch alle in der ersten Jahreshälfte getätigt wurden, fielen für die zweite Jahreshälfte 1999 keine adäquaten Kosten an. Für das gesamte Geschäftsjahr verzeichnete die Bilanz ein Umsatzwachstum von 18 v. H., nicht ganz der Vorgabe von 20 v. H. entsprechend.639 Bei der Präsentation des Geschäftsberichtes für 1999 konnten Ramqvist und Hellström so Ende Januar 2000 einen Vorsteuergewinn mit insgesamt 16, 4 Mrd. SKr bekannt geben, der um allerdings 10 v. H. niedriger als in 1998 ausfiel, auch wenn das letzte Quartal das Beste in der Firmengeschichte sein sollte. Hatten die Reaktionen an der Börse einen Vorgeschmack auf die Effekte des – im wahrsten Sinne des Wortes –‚Quartalskapitalismus‘ gegeben, so ließ sich die Konzernleitung hinsichtlich der Einschätzung von Zukunftsaussichten nicht beirren und hielt an dem Wachstumsziel von 20 v. H. und der Gewinnschwelle von 10 v. H. fest, versprach aber, diesen Vorsatz mit einem durchgängig positiven Cashflow zu finanzieren.640 Dieser Optimismus entbehrte nicht einer gewissen Grundlage, da Lieferungsprobleme mit dem Mobiltelefon T28 behoben worden waren und auch die Festnetzaktivitäten sich nun endlich wieder konsolidiert zeigten. Anlässlich der Bilanzpräsentation zum Jahresende 1999 prognostizierten Hellström und Ramqvist eine Verkaufssteigerung von 20 v. H.641 Nun sollten es die Endgeräte sein, die die Turbulenzen im Vorjahr als eine unbedeutende Eskalation erscheinen lassen sollten. Der Absatz von Mobiltelefonen war 1999 noch um beachtliche 49 v. H. gesteigert worden. Ein plötzlicher Umschlag im Absatz der Endgeräte und ein negativer Cashflow verringerte den Halbjahresgewinn trotz einer Umsatzsteigerung von 12 v. H. im Vergleich zu Vorjahr wieder mit 44 v. H. auf 4,26 Mrd. SKr.642 Am 21. Juli 2000 gab Ericsson nach einem Brand Anfang März 2000 in einer Philips-Fabrik in New Mexiko, wo das Unternehmen Mobiltelefon in Auftragsherstellung fertigen ließ, wiederum eine Gewinnwarnung heraus und verkündete, dass der Marktanteil Ericssons bei Mobiltelefonen auf unter 10 v. H. sinken und folglich das selbstgesteckte Ziel eines globalen Marktanteils von 15 v. H. verfehlt werden würde. In der Tat sank der Marktanteil von 11,5 v. H. im ersten Quartal auf 10,3 v. H. 639  Der Zahlungsmittelüberschuss vor Erwerbungen bezifferte sich auf 2,9 Mil­ lionen SKr, die Gesamtkapitalrentabilität verfehlte mit 19 v. H. genauso wie die Umsatzrenditen mit 8,2 v. H. nur leicht die Zielvorgaben. Vgl. Ericsson Geschäftsbericht 1999. 640  Ericssons höga värdering, in: Dagens Industri, 1. Februar 2000. 641  Kursvård framför allt, in: Affärsvärlden, Nr. 5 (2000), S. 6 f. 642  Der Geschäftsbereich für Konsumentenprodukte wies trotz einer Umsatzsteigerung mit 40 v. H. einen Verlust von 2,3 Mrd. SKr auf, obwohl die ersten GPRSund Bluetooth-Telefone präsentiert wurden. Vgl. KONTAKTEN, Nr. 12 (2000), 17. August 2000.

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im zweiten Quartal ab.643 Ericsson musste zudem im November 2000 das erst im Frühsommer lancierte Bluetooth-Telefon T36 zurückrufen. So musste Kurt Hellström die Vorstellung des Neunmonatsberichts mit der Nachricht einleiten, dass der für die Mobiltelefonherstellung zuständige Geschäftsbereich ein Minus von 16 Mrd. SKr aufweisen würde, selbst wenn die Mobilsystemsparte einen Gewinn von 33 Mrd. SKr erwirtschaftete. Diese Verluste konnten, wie Hellström zugab, nicht nur auf das Umstrukturierungsprogramm zurückgeführt werden, sondern auch auf einen Preisniedergang und spürbare Marktanteilsverluste, so dass er einen Verkauf der Mobiltelefoneinheit nicht ausschließen wollte.644 Die Konstruktion leistungsfähiger Endgeräte hatte im Konzern lange nur eine nachgeordnete Priorität genossen, weil sowohl bei Netzbetreibern als auch Ausrüstern besonders in der Anfangszeit das Interesse an ‚starken‘, also leistungsfähigen Netzen vorherrschte, in denen die Endgeräte nur mit vier bis fünf v. H. der Gesamtkosten ins Gewicht fielen.645 Darüber hinaus tat man sich in Stockholm erstens schwer damit, Massenprodukte wie die Endgeräte herzustellen, da sich Mobilfunk-Infrastrukturprodukte aufgrund ihre komplexen Natur und den seltenen Verkaufsgelegenheiten sich nur bedingt für eine Serienfertigung eigneten.646 Eine weitere Herausforderung bestand zweitens darin, dass bei der Standardfindung der entscheidende Wettbewerbsvorteil durch die Kooperation mit den Diensteanbietern und der Durchsetzung eigener technologischer Prioritäten zustande kam; das Prädikat der Mobiltelefonherstellung war hingegen die Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen.647 Ein breit angelegtes business to consumer-Marketing anstelle technischer Exzellenz oder selbst die Erfassung der Verkaufsziffern über Wochen- anstelle von Halbjahresberichten musste der Konzern jedoch erst nahezu akkulturieren, da der Verkauf von Mobiltelefonen andere Erfordernisse voraussetzte als eines über jahrzehntelang in Betrieb gehaltenen Vermittlungsnetzes auf der Grundlage vertraglicher Beziehungen mit einer 643  Ericsson vinstvarnar, in: Dagens Industri, 22. Juli 2000; Ericsson fick nog: Byter leverantör efter miljardbranden i USA, in: Dagens Industri, 12. August 2000; Telefonstädning i Ericsson, in: Dagens Industri, 27. September 2000. 644  Det klassiska felet, in: Dagens Industri, 24. Oktober 2000; „Det är ett klokt förslag att sälja av mobilerna“, in: Dagens Industri, 21. Oktober 2000. 645  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 646  Die Entwicklung mobiler Endgeräte beruhte ebenso wie die Basis- und Vermittlungsstationen auf der Halbleiter- und Funktechnik. Mit der Ausnahme Lucents stellten auch alle anderen großen Netzinfrastrukturausrüster Endgeräte her, nicht zuletzt deswegen, um Verbunderträge in der Entwicklungsarbeit ausnutzen zu können. Vgl. Gerum, E. / Sjurts, I. / Stieglitz, N., Der Mobilfunkmarkt im Umbruch: eine innovationsökonomische und unternehmensstrategische Analyse, Wiesbaden 2003, S. 67. 647  Funk, Global Competition, S. 5.



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überschaubaren Anzahl von Kunden.648 Drittens waren anders als bei nahezu allen anderen Produkten und Dienstleistungen des Konzerns die Marketingaufwendungen höher als die FuE-Kosten: Wurden durchschnittlich 18 bis 20 v. H. des Umsatzes bei Festnetzen und Mobiltelefonnetzen für FuE investiert, waren es bei Mobiltelefonen nur 7 v. H.649 Anfänglich hatten sich die Herstellungskapazitäten in kleinen Serien mit maximal 30.000 Exemplaren beschränkt, ohne dass die Mobiltelefonproduktion Gewinne abwarf.650 Erst als 1988 der Verkauf der Mobiltelefone verdoppelt werden konnte, musste die Jahresproduktion in der Fabrik Kumla auf 200.000 Mobiltelefone aufgestockt werden. Bestellungen in einer Größenordnung wie die 30.000 GSM-Telefone für Mannesmanns D2-Netz führten dann ab Beginn der neunziger Jahre dazu, dass die Produktion kaum mit der Nachfrage Schritt halten konnte und auf fünf Millionen Apparate ausgeweitet werden musste.651 Hatte man insgesamt fünf Millionen Mobiltelefone in 1995 verkauft, so waren es 1996 schon 10 Millionen und 1997 20 Millionen.652 Folglich trugen die Mobiltelefone mit geschätzten 15 v. H. zum Konzernumsatz bei, während es noch zu Anfang des Jahrzehnts nur ein paar v. H. waren, da die Endgeräteproduktion mit einem Wachstum von 30 bis 40 v. H. jährlich beeindrucken konnte. Sogar der Aufbau von Lagerbeständen konnte vermieden werden, ohne dass die zuständige Einheit irgendeine Vorgabe der Just in time-Produktion befolgt hätte.653 Dass der Stockholmer Telekommunikationskonzern plötzlich so überragende Erfolge auf dem an und für sich unbekannten Terrain der Konsumentenprodukte feiern konnte, lässt sich jedoch nicht alleine auf die Durchset648  Erst mit EIS war Ericsson mit einer an Konsumenten ausgerichteten Produktkultur in Berührung gekommen: „Das merkten wir, als wir Datasaab kauften und da gab es doch einen Kulturschock, weil unsere Ingenieure genau wie die von Televerket dachten. Die [Verantwortlichen bei Datasaab, G. F.] hatten ja eine andere Entwicklungskultur und sahen schnell, was wollen die Kunden haben? Eine Kamera? Einen Musikspieler? Also müssen wir das entwickeln. Diese Mentalität kannte man nicht.“ Vgl. Interview mit Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007. 649  Ericssons mobiltelefoner: den lilla jätten, in: Affärsvärlden, Nr. 25 (1998), S. 58. 650  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 651  Ericsson börsfavorit igen: Världsbäst på mobil- och persontelefoner, in: Affärsvärlden, Nr. 17 (1990), S. 72; Ericssons mobiltelefoner: den lilla jätten, in: Affärsvärlden, Nr. 25 (1998), S. 58–65. 652  1997 konnte Ericsson somit zu den beiden anderen großen Herstellern im Weltmaßstab Motorola und Nokia aufschließen. 1997 verkaufte Motorola 25 Millionen und Ericsson ungefähr 20 Millionen Mobiltelefone. Vgl. Ericssons mobiltelefoner: den lilla jätten, in: Affärsvärlden, Nr. 25 (1998), S. 58. 653  Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007.

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zungsfähigkeit in der Standardsetzung zurückführen.654 Dass sich die Schweden neben den beiden Hauptkonkurrenten Nokia und Motorola allmählich behaupten konnten, lag aber vor allem an den relational kleineren Mobiltelefonen, weil es gelungen war, den Chipsatz erheblich zu verkleinern und alle Hohlräume innerhalb des Gehäuses zu beseitigen. Das GSM-Telefon GH 337, seines Zeichens das kleinste Mobiltelefon, das bei der Einführung auf dem Markt war, sollte zum herausragenden Produkt des Konzerns avancieren. Trotz des spektakulären Erfolges wurden Mobiltelefone bei dem Systemhersteller Ericsson im Gegensatz zu Nokia als Komplement angesehen. Erst angesichts des überragenden Wachstums wurde man dazu gezwungen, sie zum Kerngeschäft zu rechnen. Dennoch hatten Konzernrepräsentanten laut darüber nachgedacht, ob die Telefonherstellung nicht außerhalb des Unternehmens besser angesiedelt sein würde. Die offensichtlichen Stärken der Japaner in der Mikroelektronik hatte bereits 1994 konkrete Planungen eines Joint Ventures mit Sony in der Mobiltelefonsparte befördert, das bezeichnenderweise auf die Forderung der großen Netzbetreiber zurückging, Mobiltelefonherstellung nicht vollständig aus der Hand zu geben.655 Da das Stockholmer Unternehmen als Systemlieferant auftrat, sollten auch Mobiltelefone zur Verfügung gestellt werden, die zum überwiegenden Teil von den Netzbetreibern abgenommen wurden. Obwohl Analytiker empfahlen, diese Forderung zu ignorieren, scheiterte das Vorhaben an der hartnäckigen Forderung der Netzbetreiber nach einer Mehrheitsbeteiligung Ericssons im Rahmen des Joint Ventures, der sogar durch die Drohung einer Stornierung von Mobiltelefonsystemprojekten Nachdruck verliehen wurde.656 Allerdings hatte die Konzernspitze in dieser Frage auch nachgegeben, weil zwei Drittel der Endgeräte an die Betreiber gingen und weil über die Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern Informationen erhältlich wurden, welche Dienstleistungen und Funktionen die Schlussanwender nachfragten.657 Konsequenter654  Der plötzliche Boom war nicht nur allein durch eine verbesserte technische Qualität oder den Wechsel zur digitalen Mobilfunkgeneration ausgelöst worden, sondern zusätzlich dadurch, dass die Netzwerkbetreiber begonnen hatten, die Mobiltelefone zu subventionieren und so die Kosten für den Endkunden zu drücken. So erlaubte der Auftrag Mannesmanns nicht nur die Saldierung eines großen Teils der Entwicklungskosten, sondern auch eine Senkung der Preise für GSM-Telefone mit 25 v. H. In gleicher Weise wurde das Marktwachstum durch die Bündelung von Tarifangeboten beeinflusst. Vgl. Ericsson dumpar GSM-pris, in: Dagens Industri, 8. Juni 1993. 655  In den USA war diskutiert worden, mit der japanischen Sharp zusammenzugehen, einem langjährigen Partner von General Electric. Vgl. Interview mit Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007. 656  Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 657  „Nej, vi ska inte sälja telefonerna“, in: Dagens Industri, 29. April 2000.



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weise wurde noch im März 2000 ein Verkauf mit dem Verweis auf die eigene Position als Systemlieferant ausgeschlossen.658 Dass in der Konzernzentrale dennoch eine Abspaltung überhaupt in Erwägung gezogen wurde, hatte damit zu tun, dass die Mobiltelefone nur mit rund 20 v. H. zum Umsatz beitrugen und nicht wie bei Nokia mit 70 v. H. und bei Motorola mit 40 v. H. Folglich stand die Endgerätekonstruktion völlig im Zeichen der Systemarchitektur. Im Unterschied zu Nokia, das durch Erwerbungen gezielt neue Mobiltelefonapplikationen erwarb, wurden die Endgeräte bei Ericsson als Ergänzung für den Systemverkauf betrachtet. Dieses Primat hatte in der Konstruktion einen nicht immer auf die Bedürfnisse der Endkunden zugeschnittenen Entwicklungsprozess zur Folge.659 Die einzelnen Modelle waren auf der Grundlage verschiedener Plattformen entwickelt worden, aber bei Ericsson wurde die Gewichtsverringerung als ausschlaggebend für den Markterfolg angesehen, während ästhetisches Design, Benutzerschnittstellen und zusätzliche Software-Anwendungsmöglichkeiten vernachlässigt wurden.660 Gegen Ende der neunziger Jahre erhöhten sich die Kundenanforderungen hinsichtlich Funktionalität und zusätzlichen Servicefunktionen, während das Gerätegewicht allmählich in den Hintergrund trat.661 Ericsson verlor gegenüber Nokia und Motorola deutlich an Boden. Anfangs 1999 betrug nach eigenen Angaben der globale Anteil am Mobiltelefonmarkt nur noch 10,5 v. H., während es 1997 noch 17 v. H. gewesen waren.662 Erst als das T28 im Januar 1999 und das T18 im März 1999 auf den Markt kamen, konnte Ericsson wieder von sich behaupten, wieder Schritt mit den Hauptkonkurrenten halten zu können.663 Offensicht658  Den kära nallen, in: Affärsvärlden, Nr. 33 (2000), S. 57; Spezial: Ericsson, in: Veckans Affärer, 20. März 2000. 659  Ein Beispiel für Konzessionen, die die Mobiltelefonsparte machen musste, waren die dual band-Telefone, die ein Roaming zwischen AMPS und GSM ermöglichten oder spezielle 1800 MHz-Bandtelefone, die für den deutschen Anbieter D2 entwickelt wurden. Vgl. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007. 660  Plattformprodukte definiert Funk als Produkte mit einem neuen Basisband oder Funkfrequenzdesign. Vgl. zu den einzelnen Modellen und den Plattformen Ericssons Funk, Global Competition, Figur 5.6, S. 159. 661  Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008. 662  Ericsson trea i världen, in. In: Dagens Industri, 9. Februar 2000; Nokia och Ericsson: Ollilas trovärdighet högre, in: Affärsvärlden, 27. Oktober 1999. 663  Das Gerät galt aufgrund seiner Leichtigkeit und seiner geringen Größe als dünnstes Mobiltelefon der Welt und basierte auf einer neuen technischen Plattform, inklusive neuem Prozessor, Funksubsystem und Batterietechnologie. Das konnte jedoch die deutlich verspätete Markteinführung nicht wettmachen, die allerdings durch Qualitätsmängel bei dem Zulieferer Nolato verursacht worden waren. Zudem fehlte dem Gerät die WAP-Technologie, so dass zu Unrecht befürchtet wurde, das die Netzbetreiber keine Aufträge an Ericsson für die 3G-Generation vergeben würden.

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lich war jedoch den Verantwortlichen entgangen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits 70 v. H. der nun weltweit 60 Millionen Mobiltelefone Niedrigpreistelefone waren, so dass Ericsson plötzlich einen Verlust von 400 SKr pro verkauftem Telefon machte, weswegen im Stillen schon länger nach einem Partner auf der Telefonseite unter den kleineren Herstellern gesucht wurde.664 Da Ericsson 16 von 21 Bestellungen für die 3G-Mobiltelefonsysteme erobert hatte und bei vier bis fünf Aufträgen auch Endgeräte in die Bestellung eingingen, blieb die im Vorstand zunächst diskutierte Option der Veräußerung der gesamten Herstellung ohne Folgen.665 Stattdessen wurde in Asien eine spezielle Organisation für Niedrigpreistelefone aufgebaut, um die Kosten bis 2002 mit 10 Mrd. SKr zu verringern.666 c) Das plötzliche Erwachen: Das jähe Ende der new economy Das Auf und Ab in der Unternehmensentwicklung ab 1999 spiegelt sich auch in der an Volatilität kaum zu überbietenden Börsenkursentwicklung ­wider, die zugleich mit der sich immer deutlicher abzeichnenden dotcombubble ihren Kulminationspunkt erreichen sollte. Bereits die positiven Mitteilungen des Neunmonatsberichts 1999 hatte die Börse mit einem Sprung von 40,50 SKr auf 309,50 SKr pro Aktie quittiert, so dass die Ericsson-Wertpapiere an einem Tag für einen Umsatz von 19,8 Mrd. SKr sorgten.667 Von dem gesamten Börsenwert in Höhe von 3229 Mrd. SKr entfielen 1999 auf Vgl. Den lojale direktören från vindeln, in: Veckans Affärer, Nr. 34 (1999), S. 21; Konstruktionsfel på Ericssons T28, in: Dagens Industri, 24. Februar 2000. 664  Ericsson behöver en hjälpande hand, in: Affärsvärlden, Nr. 43 (2000), S. 6. 665  Die eigene Herstellung von billigen Modellen wurde schon im Sommer 2000 aufgegeben. Die Konzernleitung wollte fortan auch die Anzahl der Modelle verringern. Vgl. Telefonerna ringer falskt, in: Dagens Industri, 24. Oktober 2000; Egen tillverkning ges upp, in: Finanstidningen, 22. Juli 2000. 666  Der taiwanesische Kontrakthersteller Arima wurde mit der Herstellung der Niedrigpreismodelle beauftragt, damit Ericsson sich auf die anspruchsvolleren Geräte konzentrieren konnte, ohne die Volumenproduktion völlig aufzugeben. Die gesamte Mobiltelefonherstellung in Kumla und Lynchburg wurde geschlossen und nach Linköping verlagert, während die entry level phones in Fabriken in Malaysia, China und Brasilien ausgelagert wurden. Die Taiwanesen, die 2000 schon ein Siebtel der Produktion übernommen hatten, sollten auch die Verantwortung für die Entwicklung übertragen bekommen. Vgl. Telefonstädning i Ericsson, in: Dagens Industri, 27. September 2000; Ericsson lägger ut billiga mobiler i Taiwan, in: Elektroniktidningen, Nr. 13 (2000), S. 20; Ericsson ökar produktion i Brasilien, in: Dagens Industri, 11. Mai 2000. 667  Börsrekord för Ericsson: Aktien steg kraftigt efter oväntat bra delårsrapport, in: Dagens Nyheter, 23. Oktober 1999.



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Ericsson alleine 1250 Mrd. SKr.668 Seit Oktober 1999 stieg der Kurs mit 260 v. H. auf das Spitzenniveau im März 2000.669 Diese Hausse fügte sich einem globalen Trend ein, der auf allen Börsenplätzen weltweit dafür sorgen sollte, dass die Nachfrage nach Wertpapieren von Daten- und Telekommunikationsunternehmen in bisher nie gekannte Höhen kletterte. Während sich Unternehmen wie Cisco mit einer Steigerung ihres Börsenwertes um 123 v. H. begnügen musste, waren es bei Oracle 175 v. H., bei Nokia 195 v. H. und bei Nortel sogar 246 v. H.; auch die Wertsteigerung von Ericsson-Wertpapieren mit 185 v. H. dürfte den eigenen Aktionären gefallen haben.670 Diese Entwicklung kam nicht von ungefähr. Im Herbst 1999 war die WAP-Technik, die über verschiedene Techniken und Protokolle Internet­ inhalte für die langsamere Übertragungsrate im Mobilfunk nutzbar machen sollte, zum buzzword der gesamten Branche geworden. Übertriebene Erwartungen an die Wachstumsraten der dritten Mobilfunkgeneration verstärkt durch euphorische Äußerungen von Analysten, Medien und Experten verursachten eine gigantische Hausse der Börsenkurse aller in die Entwicklung und Nutzung von WAP einbezogenen Unternehmen. Selbst die für die eigenen Zukunftsaussichten nicht unbedingt entscheidende Allianz mit Microsoft hatte offensichtlich zur Steigerung des Börsenwertes mit rund 100 Mrd. SKr beigetragen. Entsprach alleine diese Steigerung dem Börsenwert Volvos, addierte sich nun der gesamte Börsenwert Ericssons auf 1165 Mrd. SKr.671 Das im Vergleich zum Vorjahr verdoppelte Rekordergebnis im Jahr 2000 mit 40 Mrd. SKr kam allerdings maßgeblich durch Immobilienverkäufe und Reingewinne aus weiteren Veräußerungen zustande.672 Damit fügte sich Ericsson in das Bild einer globalen spekulativen Finanzblase ein, die nachher zum Sinnbild der globalen new economy werden sollte. Am 20. Juli 2000 tauschten an der Stockholmer Börse Aktien für 33 Mrd. SKr den Eigner. Davon entfielen 25,5 Mrd. SKr auf Ericsson, da der Vorsteuergewinn im Halbjahresbericht mit 10,4 Mrd. SKr rund 200 Mio. SKr unter den Erwartungen blieb, was einen prompten Kursverfall in Höhe von 11 v. H. evozierte.673 668  Sundin, A. / Sundqvist, S.-I., Ägarna och makten i Sveriges börsföretag 2000, Stockholm 2000, S. 22. 669  Risk att Ericsson storknar, in: Dagens Industri, 3. August 2000. 670  Höga marginaler på slug nalle: Exklusiv marknad i sikte för Ericsson  / Microsoft, in: Dagens Industri, 10. Dezember 1999. 671  Börsvärdet steg med 100 mdr efter alliansen, in: Dagens Industri, 12. September 1999. 672  Ericsson säljer halva Juniperinnehavet, in: Finanstidningen, 7. Dezember 2000; Ericsson gör klipp på Juniperförsäljning, in: Dagens Industri, 7. Dezember 2000. 673  Jätteras efter Ericssonrapporten, in: Dagens Industri, 22. Juli 2000.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Es waren nur die Vorzeichen des Kollapses der new economy bubble, den auch Ericsson in aller Härte zu spüren bekommen sollte. Ursache waren vor allem die völlig überzogenen Erwartungen hinsichtlich WAP. Die Übertragungstechnik für drahtlose Kommunikation sollte sich rasch als ein kommerzieller Fehlschlag herausstellen, da es den Innovatoren nicht gelingen sollte, sich auf taugliche und verbindliche technische Parameter für alle Akteure zu verständigen. Die enge Bandbreite der GSM-Netzwerke und die Struktur der Zeitschlitze verwandelten den schnurlosen access für Datenkommunikationsdienstleistungen in eine langsame und vor allem teure Angelegenheit, die auch durch die Vergrößerung der Bandbreite mittels GPRS nicht grundlegend verbessert wurde. Allmählich wurde offenbar, dass entgegen den euphorischen Erwartungen der Durchbruch für den IP-gestützten Mobilfunk, auf den die Börsenplätze spekuliert hatten, sich als Luftgespinst entpuppte.674 Da die Netzbetreiber teilweise enorme Summen in den Erwerb der UMTS-Lizenzen gesteckt hatten, sollte der ausbleibende Durchbruch zu einer Investitionszurückhaltung führen, die alle Ausrüster und damit auch Ericsson hart traf. Der sich abzeichnende Wachstumseinbruch sollte auch an den Finanzmärkten nicht ohne Folgen bleiben. Schlechte Daten von Motorola, die Gewinnwarnung Lucents und die nun nicht mehr zu verdeckenden Probleme in der Mobiltelefonproduktion führten im Falle Ericssons zu einem 27-prozentigen Rückgang im Marktwert innerhalb nur eines Monats.675 Kritik wurde vor allem hinsichtlich einer fehlenden Gewinnwarnung laut, da die Konzernleitung hartnäckig jedwede Krisensituation durchgängig dementiert hatte.676 Der erneute Umsatzrekord von 46 Mrd. SKr Ende Oktober an der Stockholmer Börse, der bei Beobachtern den Eindruck von Panikverkäufen aufkommen ließ, war wiederum zu zwei Dritteln auf Ericssonaktien zurückzuführen. Der Wertverlust von 16 v. H. entsprach einer weiteren Verringerung des Börsenwerts um rund 190 Mrd. SKr.677 Insgesamt sollte sich der Börsenwert Ericsson im Jahr 2000 mit 75 v. H. verringern. 674  Erst ab 2007 zeichnete sich ab, dass 3G die zweite Generation allmählich ablösen sollte, immerhin 12 Jahre nach den ersten Überlegungen zur Begründung damit verknüpfter Standards. 675  Ericssons värde: minus 400 mdr, in: Dagens Industri, 12. Oktober 2000. 676  Berufen konnte man sich auf eine ab 1. Januar 1999 geltende Richtlinie, die Informationsdirektorin Pia Gideon so wiedergab: „Wir geben nur eine Gewinnwarnung heraus, wenn wir registrieren, dass etwas eintrifft, was wesentlich von unseren Prognosen abweicht und den Markt stark beeinflusst.“ Die Abweichungen wurden nicht quantifiziert und galten auch nur für den ganzen Konzern und nicht für die einzelnen Geschäftsbereiche. Vgl. Ericsson kritiseras för luddig policy, in: Dagens Industri, 6. Oktober 2000. 677  Panikhandel gav fritt fall i Ericsson, in: Dagens Industri, 21. Oktober 2000.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel453

d) Das Ende der aktiven Eigentümer? Der Machtverlust der SHB und der Wallenberg-Sphäre Die turbulenten Ereignisse auf den Kapitalmärkten, die abrupte Neubesetzung an der Unternehmensspitze, der zögerliche Zukauf von Internettechnologie in den USA, die plötzlich auftretenden Schwächen im Endgerätebereich und schließlich der dramatische Kursverfall an der Börse sollten den Auftakt zu einer grundlegenden Veränderung der Corporate GovernanceStrukturen bilden, an deren Ende die Aufgabe der 1:1000-Stimmrechtsunterschiede stand, was de facto bedeutete, dass die SHB und die WallenbergSphäre ihre bisherige unangefochtene Vormachtstellung bei Ericsson ein­ büßen sollten. Genau wie bei SCA sollte der entscheidende Vorstoß zur grundlegenden Transformation der Unternehmenskontrolle aus dem Kreis der schwedischen institutionellen Investoren kommen. Über lange Jahre hinweg hatte dieser Aktionärskreis an der Eigentümerkonstellation im Telekommunikationsunternehmen nichts auszusetzen gehabt und nur den Wunsch nach ausführlicheren Informationen artikuliert.678 Im wachsenden Ausmaß wurde jedoch seitens der Anleger, zu denen fast alle namhaften schwedischen Banken- und Investmentfonds sowie Versicherungen zählten, in den neunziger Jahren die Zusammensetzung des Vorstandes in Frage gestellt. Damit rückten die internen Strukturen des Kontrollorgans in den Mittelpunkt, die in der Tat infolge der Insiderdominanz der SHB- und WallenbergSphäre eine Abschließung gegenüber unliebsamen Interessen erlaubten. Die Vorrangstellung der Sphären kam erstens dadurch zum Ausdruck, dass die Spitzenvertreter der beiden Sphären in der Regel als Ericssons Vize-ODs amtierten. Dem Präsidium, dem der OD und die Vize-ODs des Konzerns angehörten und infolgedessen nur die Spitzenrepräsentanten von Investor und Industrivärden einbezog, wurde nachgesagt, wesentliche Beschlüsse vorzubereiten, so dass die übrigen Vorstandsmitglieder gelegentlich bereits getroffene Entscheidungen nur akklamierten.679 Dieser Arkanbereich der Unternehmenskontrolle diente außerdem zur Ausräumung eventueller Meinungsverschiedenheiten zwischen der Wallenberg- und der Svenska Handelsbanken-Sphäre.680 678  Telefoninterview

mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. Wilhelm Ros, der als Stellvertreter des VDs an den Vorstandssitzungen teilnahm, vertritt allerdings die Auffassung, dass das Präsidium zwar gewisse Beschlüsse vorbereitete, aber auf diese Weise der Konzernleitung zuarbeitete, da Fragestellungen und Themen pointierter im Vorstand zur Sprache kamen. Seinen Angaben zufolge war es nicht ungewöhnlich, dass Beschlussfassungen oder Empfehlungen des Präsidiums im Vorstand wieder zur Diskussion gestellt wurden und auch ein abweichendes Votum erfolgte. Vgl. Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007. 680  Die Verständigung hinter den Kulissen wurde von einem Gewerkschaftsvertreter folgendermaßen beschrieben: „Früher war es so, dass der Sitzungsleiter auf 679  Carl

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Immerhin war man den einheimischen institutionellen Anlegern soweit entgegengekommen, dass der Skandia-OD Lars-Eric Petersson 1996 als Repräsentant der institutionellen Investoren in den Ericsson-Vorstand gewählt wurde.681 Vorerst hatte jedoch damit die Konzessionsbereitschaft von SHB und Wallenberg-Sphäre ihr Ende gefunden. Auf der Hauptversammlung 1996 hatte der Kleinsparerverband ein Nominierungskomitee für die zukünftige Vorstandsrekrutierung vorgeschlagen, wie es mittlerweile in vielen anderen schwedischen Aktiengesellschaften üblich war. Der Antrag wurde aber nach Unmutsäußerungen der Großeigentümer niedergestimmt.682 Die institutionellen Anleger hatten anlässlich der Hauptversammlung 1999 erneut reale Veränderungen im Vorstand eingefordert, um die Vormachtstellung der beiden schwedischen Sphären zu brechen, aber der Vorstoß war ohne Erfolg geblieben, da neben Lars-Eric Petersson nur der ABB-Konzernchef Göran Lindahl und Sven Ågrup in das oberste Kontrollorgan entsandt werden konnten.683 Nach wie vor kontaktierte die Unternehmensleitung bei anstehenden grundlegenden Entscheidungen grundsätzlich zuerst immer die beiden Sphären. Medienberichten zufolge wurde im Falle der Entlassung Sven-Christer Nilssons keine Stellungnahme von gewichtigen institutionellen Investoren wie dem 4. AP-Fonds oder Skandia eingeholt, so dass deren Führungsspitzen von der Nachricht genauso überrascht wurden wie die Öffentlichkeit.684 Diese vermeintliche Hoffart wurde jedoch zumindest im Falle eines Großeigentümers schon bald durch eine größere Konzilianz abgelöst. Der bis 1999 als VD bei Investor amtierende Claes Dahlbäck hatte sich bemüht, die Zusammenarbeit mit Fonds und Versicherungsgesellschaften zu verbessern und Investor ließ verlautbaren, dass man zur Änderung der großen Stimmrechtsdifferentiale bereit war.685 Bei den von der Wallenberg-Sphäre kontrollierten Unternehmen Electrolux war bereits erfolgreich eine Umwertung der stimmrechtsstarken Aktien von 1:1000 auf 1:10 vorgenommen worden und bei SKF stand eine gleichartige Veränderung an. Im Jahr 2000 den Industrivärden-Repräsentanten und auf den Wallenberg-Repräsentanten schaute, und bei Nicken wurde dann der Beschluss gefasst.“ Vgl. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 681  Die Kräfteverhältnisse wurden dadurch allerdings nicht verändert, weil er die Nachfolge des seit 1980 dem Vorstand angehörenden und als neutral geltenden Chalmers-Rektors Sven Olving antrat. 682  KONTAKTEN, Nr. 8 (1996). 683  Ågrup hatte zwar eine Karriere als OD des Gasunternehmens AGA hinter sich, das zur Svenska Handelsbanken-Sphäre gerechnet wurde, legte aber gegenüber der SHB eine etwas distanziertere Haltung an den Tag. 684  Palatskupp tvingade bort Nilsson, in: Dagens Industri, 20. Juli 1999. 685  „Förlegat röstsystem“: SPP kapitalförvaltning efterlyser en översyn, in: ­Dagens Nyheter, 27. Oktober 1999.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel455

sollte Dahlbäcks Nachfolger Percy Barnevik dann sogar eine einheitliche Aktienkategorie ohne Stimmrechtsasymmetrien in Aussicht stellen, obwohl mit einem solchen Schritt auch die Machtgrundlagen des Investors ernsthaft in Frage gestellt worden wären.686 Bereits 1998 hatte sich der langjährige Sandvik-OD für kleinere Vorstände mit kürzeren Amtszeiten und mit für Ausländer reservierten Vorstandsposten ausgesprochen.687 Immerhin war auch bei Ericsson 1996 mit Peter Sutherland das erste ausländische Mitglied des Kontrollorgans auf Vorschlag der Wallenberg-Sphäre berufen worden, der bei ABB und Investor Vorstandsmandate wahrnahm.688 Als auf der Hauptversammlung 1998 der gesamte Vorstand mit Ausnahme Björn Svedbergs bestätigt wurde, der seinen OD-Posten an Ramqvist abgab, äußerte Dahlbäck offen seine Enttäuschung, dass es nicht gelungen sei, noch ein weiteres ausländisches Vorstandsmitglied zu nominieren. Hingegen verwies Tom Hedelius von der SHB auf die seiner Auffassung nach ausgezeichnete Arbeit des Vorstandes und wollte keinen Veränderungsbedarf erkennen.689 Dass die Svenska Handelsbanken eine spürbare Reserviertheit gegenüber Veränderungen an den Tag legte, dürfte nicht zuletzt an der Bedeutung des Telekommunikationsunternehmens für die eigene Sphäre liegen, da Industrivärden ab 1997 seinen Wertpapierbestand immer mehr auf vier Kernbeteiligungen konzentrierte.690 Im Jahr 2000 machten alleine die Beteiligungen bei Ericsson und Skandia zusammen 67 v. H. des Portfolios aus.691 Im Gefolge ihres Höhenfluges an der Stockholmer Börse hatten die EricssonWertpapiere immer mehr an Bedeutung für Industrivärdern gewonnen. 1998 trugen die Aktien des Telekommunikationsunternehmens bereits mit 30 v. H. zum Substanzwert der Holdinggesellschaft bei.692 Im September 1999 machten Ericsson-Aktien sogar zwei Drittel des Portfoliowertes aus, während es bei Investor nur 16 v. H. waren.693 Bei Industrivärden sollte Ericsson 686  En

aktie – en röst kräver fondjättar, in: Dagens Industri, 4. April 2000. den Vorschlägen Barnevik lever inte som han lär, in: Dagens Nyheter, 30. Januar 1998. 688  Das war deswegen ungewöhnlich, weil andere ausländische Vorstandsmitglieder in Schweden meistens nur ein einziges Vorstandsmandat innehatten. Vgl. Bolagsstyrelser: Utlänningar hålls utanför, in: Dagens Nyheter, 4. Dezember 1997. 689  Ericsson: Hård kritik mot gubbväldet, in: Veckans Affärer, 14. April 1998. 690  Berechnet als Anteil am Gesamtbestand aller Beteiligungen der Holdinggesellschaft entfielen auf AGA 16 v. H., auf SCA 15 v. H., auf die SHB 14 v. H. und auf Ericsson sogar 28 v. H. Vgl. Industrivärden slog börsen: Bolaget klarade oron, och kursen har stigit 19 v. H. sedan årsskiftet, in: Dagens Nyheter, 30. April 1997. 691  Sista året för Reuterskiöld, in: Dagens Industri, 6. Mai 2000. 692  Ericsson lyfte resultatet, in: Dagens Nyheter, 11. Februar 1998; Industrivärden letar läkemedel, in: Dagens Industri, 18. August 1998. 693  Ericsson väger för tungt i Industrivärden, in: Dagens Industri, 4. September 1999. 687  Zu

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

dann am Jahresanfang 2000 48 v. H. und dann im Mai 2000 sogar 54 v. H. des Portfoliowertes ausmachen, um dann im September 2000 auf 46 v. H. zurückzufallen.694 Dieser Fokus auf große und profitable Unternehmen hatte seine Ursache nicht zuletzt in dem Umstand, dass Industrivärden selbst deutlich unter den Druck institutioneller Investoren geraten war, der sich bereits in der Auflösung der Kreuzverflechtung mit SCA bemerkbar gemacht hatte. Die Sphäre war später erneut herausgefordert worden, als Mats Qviberg und Sven Hagströmer über Öresund und mit Hilfe ihres Kontrollpostens bei Custos eine 10,3 v. H.-Beteiligung bei Industrivärden erwerben und sogar einen eigenen Vorstandsplatz in der Holdinggesellschaft durchsetzen können.695 Die Bank als dominierender Eigner bei Industrivärden hatte auf die Aktienkäufe durch Öresund mit einem Kreuzgeschäft reagiert, indem Industrivärden A-Aktien Ericssons von der bankeigenen Wallander och Hedelius stiftelse kaufte, die mit dem Erlös umgekehrt Industrivärden-Aktien auf dem freien Markt und von AGA erwarb.696 So konnte die Handelsbanken ihre Stiftungen und Fonds mit zusammen 20 v. H. einsetzen und im Bedarf auf die Hilfe Ikeas mit drei v. H. der Stimmrechte zählen, aber Hagströmer und Qviberg hatten Verbündete unter den institu­tionellen Investoren wie dem 5. AP-Fond und Skandia gefunden, die offen den mittlerweile auf 40 v. H. angestiegenen Konglomeratsabschlag bei Industrivärden zum Anlass nahmen, sogar eine Liquidation Industrivärdens in Betracht zu ziehen.697 Wie Clas Reuterskiöld auf der Hauptversammlung 1999 bekannt geben sollte, war auch das seit Ende der vierziger Jahre gültige Abkommen zwischen Industrivärden und Investor über die einvernehmliche Begrenzung stimmrechtsstarker Aktien bei Ericsson zwischenzeitlich aufgegeben worden.698 Insofern erklärt sich, dass die Bereitschaft dieses Vetospielers, sich auf Veränderungen in dem wichtigsten Sphärenunternehmen einzulassen, deutliche Grenzen hatte. Da es zu einer Veränderung der Unternehmensord694  Bankirernas återkomst, in: Affärsvärlden, Nr. 46 (2000), S. 32; Industrivärden får draghjälp av Ericsson, in: Dagens Nyheter, 16. Februar 2000; Sista året för Reuterskiöld, in: Dagens Industri, 6. Mai 2000. 695  Rydin hatte allerdings noch im Sommer 1999 bestätigt, dass er über den Einstieg von Hagströmer und Qviberg im Vornhinein informiert gewesen war. Vgl. Full fart mot pensionen, in: Veckans Affärer, 21. Juni 1999. 696  Under belägring: Handelsbanksfären, in: Veckans Affärer, Nr. 1  /  2 (2000), S. 24–32; Maktkampen skärps, in: Dagens Industri, 1. Juni 1999; Qviberg vill behålla röstskillnaden i Ericsson, in: Dagens Industri, 29. Oktober 1999. 697  Überdies hatte der Schweizer Finanzmann Martin Ebner mittels seines Unternehmens Gas Vision AG ein umfassendes Aktienpaket bei AGA erworben, so dass die Bank nicht mehr vorbehaltlos auf den Beistand dieses Unternehmens als möglicher ‚weißer Ritter‘ vertrauen konnte. Vgl. Handelsbanksfären – Under belägring, in: Veckans Affärer, 10. Januar 2000. 698  VD förnekar maktaffär, in: Dagens Industri, 22. April 1999.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel457

nung einer Zweidrittelmehrheit bedurfte, die die Svenska HandelsbankenSphäre infolge ihrer Beteiligungsquote bei den A-Aktien jedoch problemlos durch eine entsprechende Beschlussfassung verhindern konnte, war eine Einwilligung allerdings unabdingbar. Der Druck auf die Alteigentümer nahm aber nicht nur angesichts der Turbulenzen um den Abgang Nilssons zu. Vor allem ausländische Investoren, die 1999 zusammen 49,7 v. H. des Aktienkapitals entsprechend einem Wert von 950 Mrd. SKr besaßen, hatten damit begonnen, ihre Beteiligungen abzustoßen. Nach einem Abkommen mit Microsoft und dem sich abzeichnenden Durchbruch im 3G-Mobilfunk hatte zwar innerhalb nur einen Monats der ausländische Kapitalanteil mit 58,2 v. H. seinen Spitzenwert erreicht.699 Ähnlich wie auch im Falle anderer IKT-Unternehmen ließ die Anziehungskraft von Wertpapieren des schwedischen Telekommunikationskonzerns auf wichtige US-Investoren schon bald drastisch nach. 1999 hatte sich der Wert der Ericsson-Aktie angesichts der offenbar gewordenen Schwierigkeiten mit den Mobiltelefonen vom Kursrekord im Juli mit 263 SKr bis Oktober mit 129 SKr nahezu halbiert, was einen Vorgeschmack auf den Kursverfall um 75 v. H. im Folgejahr geben sollte. Bereits am 15. September 1998 wurde vermeldet, dass der Pensionsfonds der Universität von Kalifornien, der 2,5 v. H. des Grundkapitals bei Ericsson hielt, 8,8 Millionen abgestoßen hatte.700 1999 sollte der Fonds wiederum 20 Millionen Aktien veräußern, so dass sich der Bestand auf 28 Millionen Aktien mit einem geschätzten Börsenwert von rund 5,8 Mrd. SKr reduzierte. Gleichzeitig erwarben die Amerikaner einen Posten bei Nokia für 1,9 Mrd. SKr.701 Nachdem der Fonds infolge neuer Zukäufe wieder über 103,5 Millionen EricssonAktien zu Beginn des Jahres 2000 verfügen konnte, wurden im Mai und Juni 2000 erneut rund 40 Millionen Aktien abgestoßen, so dass sich Ende Oktober 2000 nur noch 45,7 Millionen B-Aktien in den Händen der USAmerikaner befanden. Von der 2  v.  H.-Beteiligung zum Jahreswechsel 1998 / 1999 blieben entsprechend nur noch 0,6 v. H. übrig, aber so konnte der Fonds noch schätzungsweise 2,5 Mrd. SKr aus dem Börsenstrudel retten.702 Auch andere gewichtige US-Kapitalgeber wie Fidelity Funds, der AIM Funds, die Capital Group und Putnam hatten Ende 2000 150 Millionen Ericsson-Aktien abgestoßen.703 Wiewohl es nicht zu einem totalen Exodus der US-Amerikaner kam, konnten diese Verkaufsentscheidungen eine Sig699  Utländska

ägare ökar i Ericsson, in: Dagens Industri, 14. März 2000. på efterkälken, in: Dagens Nyheter, 18. September 1998. 701  Auch die Beteiligung bei Motorola wurde zeitgleich abgestossen. Vgl. Storägare säljer Ericsson, in: Dagens Industri, 14. April 1999. 702  Amerikansk storägare sålde Ericsson i tid, in: Dagens Industri, 23. Oktober 2000. 703  Utlänningar flyr svenska aktier, in: Dagens Industri, 11. November 2000. 700  Ericsson

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

nalwirkung auf den Aktienkurs entfalten, da sich auch andere Aktionäre bemüßigt fühlen können, ihre Beteiligungen aufzugeben. Die Anleger aus den USA hatten aber nicht nur von ihrer exit option, sondern auch von ihrer voice option Gebrauch gemacht: So hatten Vertreter des Fonds der kalifornischen Universitäten offen ihre Unzufriedenheit mit der Berufung Kurt Hellströms geäußert.704 Auch andere US-Investoren, die die schlechten Neuigkeiten der letzten drei Quartale mit immer größerer Nervosität aufnahmen, hatte der neue VD trotz Telefonkonferenzen offensichtlich nicht überzeugen können.705 Der schwindende Rückhalt hatte dem Ruf nach Veränderungen noch mehr Gewicht verliehen. Der OD der SEB-Fonds Harry Faulkner kritisierte 1999 offen die Zusammensetzung des Ericsson-Vorstandes sowie die Mitgliedschaft von Tom Hedelius und Marcus Wallenberg und forderte eine angemessenere technische Kompetenz im Vorstand.706 Auf der Hauptversammlung 2000 wurde der Konzernvorstand noch einmal um zwei unabhängige Kandidaten erweitert, als mit dem CEO des Computerherstellers Compaq Eckhard Pfeiffer und dem Unilever-CEO Niall FitzGerald 2000 zwei Mitglieder berufen wurden, die als Manager von Konsumproduktunternehmen eine bis dahin vermisste Sachkenntnis in das Kontrollgremium einbringen konnten. SHB und Wallenberg-Sphäre waren ihren Kritikern auch an anderer Stelle entgegengekommen, als im Jahr 2000 das Präsidium durch ein Finanz-, Entlohnungs- und Revisionskomitee ersetzt wurde und sich auf diese Weise die Entscheidungsfindung zurück in den erweiterten Vorstandskreis verschob.707 Den institutionellen Anlegern gingen aber solche Veränderungen nicht weit genug. Ericsson war nunmehr das einzige schwedische Unternehmen, in dem noch die 1:1000-Unterschiede zur Anwendung gelangten, seitdem es gelungen war, die Stimmrechte bei Electrolux und SKF ohne Kompensa­ tionen auf 1:10 verändern. Auch in diesem Zusammenhang war der Impuls von institutionellen Investoren in Gestalt der Öhman Fondkommission ausgegangen, die sogar die Idee ventiliert hatte, im Falle SKFs bis zum Jahresende alle A- in B-Aktien umzutauschen.708 Auch bei Ericsson hatte 704  Amerikansk

2000.

705  Telefonerna

storägare sålde Ericsson i tid, in: Dagens Industri, 23. Oktober

slukar halva vinsten, in: Dagens Industri, 21. Oktober 2000. behöver nya styrelsenamn, in: Dagens Industri, 1. November 1999. 707  Storägares makt minskar: Ericsson siktar på att få in fler utländska ledamöter på styrelseposter, in: Dagens Nyheter, 20. Februar 2000; Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007. 708  Während dieser Vorschlag bei vielen institutionellen Eignern positiv aufgenommen wurde, zeigte man sich bei Investor diesmal äußerst reserviert, da eine 1:1-Umwertung die eigene Stellung als strategischer Aktionär im Göteborger Kugel706  Ericsson



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel459

Lars-Eric Pettersson als Repräsentant der institutionellen Investoren bei mehreren Gelegenheiten die Stimmrechtsfrage im Vorstand thematisiert.709 Unbeeindruckt von solchen Forderungen schloss Bo Rydin nach der Aktionärsversammlung 1999 eine Stimmrechtsveränderung aus. Die Debatte hatte gleichwohl im gleichen Monat erneut an Fahrt gewonnen, weil Nokias Vorstand eine einheitliche Aktiengattung eingeführt hatte, um nach Privatplatzierungen und Aktientausch Datenkommunikationsunternehmen erwerben zu können.710 Am 27. Oktober 1999 hatte SPP, einer der wichtigsten institutionellen Investoren aus dem Aktionärskreis Ericssons, den großen Stimmrechtsunterschied öffentlich beanstandet. Anfang November machten auch Robur und die SEB-Fonds deutlich, dass sie in dieser Frage eine Veränderung herbeiführen wollten. Zuletzt reihte sich Skandia Mitte November 1999 in die Reihe der Veränderungsbefürworter ein.711 Es sollte jedoch nicht nur bei der Gruppe der schwedischen institutionellen Investoren bleiben, die 1999 zusammen nur eine Beteiligung von rund 6,4 v. H. bei Ericsson hielten. Zum ersten Mal in der Geschichte eines schwedischen Großunternehmens mahnten auch ausländische Aktionäre wie der US-Fond Franklin-Mutual und andere Investmentbanken eine Veränderung der Corporate Governance-Strukturen an.712 Was die Konzernleitung von solchen Forderungen hielt, lässt sich am deutlichsten an dem Kommentar Kurt Hellströms verdeutlichen, der eine Umbewertung der Aktien mit einer kommunistischen Enteignung verglich.713 lagerunternehmen in Frage gestellt hätte. Der gleichzeitig stark steigende Abschlag bei Investor, der ähnlich wie bei Industrivärden periodisch die 40 v. H.-Marke durchbrechen sollte, indizierte, dass der Aktienmarkt wie im Falle SCAs und Industrivärdens nicht länger bereit war, das Festhalten an den klassischen Kontrollinstrumentarien zu tolerieren. Allerdings konnte dann eine Umwandlung in ein 1:10-Verhältnis durchgesetzt werden. Vgl. Reiter, Changing. 709  Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007. 710  Bezeichnenderweise wurde diese in der Branche häufig praktizierte Variante der Akquisitionsfinanzierung von dem Stockholmer Unternehmen so gut wie gar nicht genutzt, war doch der Erwerb von Ericsson-Aktien für die Zielunternehmen infolge der Stimmrechtsasymmetrie und der Vormacht der beiden Sphären äußerst unattraktiv. Kritik an dieser Selbstbeschränkung war selbst aus den eigenen Reihen wie vom Konzernstrategen Torbjörn Nilsson gekommen, auch wenn Tom Hedelius kein prinzipielles Hindernis darin sah, anlässlich einer außerordentlichen Aktionärsversammlung neue A-Aktien zu emittieren und als Zahlungsmittel einzusetzen. Vgl. dazu „Ericsson kan inte betala med aktier“, in: Dagens Industri, 1. April 1999; … men styrelsen ser inga problem, in: Dagens Industri, 1. April 1999. 711  Skandia vill förändra rösträtten för att höja bolagets värdering, in: Dagens Nyheter, 25. November 1999; Industrivärden säger nej: Röstskillnaden i Ericsson blir kvar, in: Dagens Industri, 5. November 1999. 712  Robur tar strid med Industrivärden, in: Dagens Industri, 8. November 1999. 713  Ja-sägaren Hellström, in: Affärsvärlden, Nr. 4 (2000), S. 6 f.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

Anders als Investor, der ein vorsichtiges Entgegenkommen signalisierte, verweigerte Industrivärden-OD Bo Rydin die Zustimmung, da sich an der zentralen Bedeutung des Telekommunikationskonzerns für die SHB nichts geändert hatte.714 Gleichwohl hatte man sich bei der Holdinggesellschaft auf die Strategie verlegt, anstelle der bisher demonstrierten Intransigenz eine flexiblere Strategie zu verfolgen. Am 2. September 1999 hatten Vertreter auf einem informellen Treffen mit Journalisten und Investoren durchblicken lassen, dass bei einer Taxierung von 400 SKr pro A-Aktie im Rahmen einer Umwertung die Aufgabe der Stimmrechtsasymmetrien durchaus in Frage käme, was aber angesichts des damaligen Tageskurses von 270 SKr pro Aktie ein stolzer Preis war.715 Während der neunziger Jahre hatte der Kursunterschied zwischen den A- und B-Aktien zwar durchschnittlich 10 v. H. betragen, aber der Tagesumsatz der A-Aktien addierte sich in der Regel auf wenige 10.000 Aktien, während mehrere Millionen B-Aktien den Besitzer wechselten.716 Bezifferte sich der Unterschied zwischen den Wertpapierkategorien im Durchschnitt auf rund 10 SKr, so waren es im Juli 1999 schon 20 SKr und im August 30 SKr.717 Die Verteidiger des Status quo wie Industrivärden-VD Clas Reuterskiöld beriefen sich folglich darauf, dass im Falle einer Umwertung dieser Überwert wegfallen würde, wofür die Halter großer Aktienpakete mit stimmrechtsstarken Wertpapieren entschädigt werden müssten.718 Solche Prämien waren im Falle einverständlicher Übernahmen in der Tat durchaus üblich. Eine Kompensation mit nur 10 v. H. des Wertes der B-Aktien hätte jedoch bedeutet, dass alleine für die 186 Millio714  Paradoxerweise erhielt Industrivärden Schützenhilfe von Mats Qviberg, der 1999 die Aufgabe der Stimmrechte noch abgelehnt hatte und ein Jahr später eine Kompensation für die Eigentümer stimmrechtsstarker Aktien forderte. Auch Sven Hagströmer warnte, dass Ericsson ohne den Schutz unterschiedlicher A- und BAktien innerhalb eines Jahres von Nortel oder Lucent gekauft werden würde. Allerdings darf diesen Finanzinvestoren wohl weniger eine Sorge um den Verbleib Ericssons in den Händen aktiver Eigentümer unterstellt werden, sondern dass man sich infolge des Einkaufs bei Industrivärden in der gleichen Interessenlage befand. Vgl. zu der Positionierung der Industrivärden-Kapitalgeber „Ericsson kan vara uppköpt om ett år“, in: Dagens Industri, 2. September 1999; Storägare beredd släppa Ericsson, in: Dagens Industri, 4. September 1999. 715  Marknaden gillar nog en försäljning: Det är lätt att hålla med om att det vore det slutliga nederlaget för Industri-Sverige, in: Dagens Nyheter, 6. September 1999. 716  Zu Beginn der neunziger Jahre waren es noch 50 v. H. gewesen, Vgl. Kamp om rösträtt i Ericsson: A-aktieägarna vill ha miljarder i kompensation, in: Dagens Industri, 6. Dezember 2000. 717  Sug efter maktaktier i Ericsson, in: Dagens Industri, 30. August 1999; „Förlegat röstsystem“: SPP kapitalförvaltning efterlyser en översyn, in: Dagens Nyheter, 27. Oktober 1999. 718  Ändrad rösträtt bra för kursen: Ericssonaktiernas olika röstvärde kan vara på väg att omprövas, in: Dagens Nyheter, 7. November 1999.



8. Finanzierungsstrukturen im institutionellen Wandel461

nen A-Aktien Industrivärdens im März 2000 die Summe von 4,3 Mrd. SKr entrichtet hätte werden müssen. Selbst nach dem Kurssturz im Dezember 2000 wären noch 2,1 Mrd. SKr fällig geworden. Neben den 282 Millionen A-Aktien der SHB-Sphäre hätten zusätzlich die 258 Millionen A-Aktien der Wallenberg-Sphäre dementsprechend vergütet werden müssen.719 Dass die Frage der Stimmrechte nichtsdestotrotz einer Lösung bedurfte, wurde ersichtlich, als sich am 31. März 2000 rund 3000 Aktionäre in Stockholm zur alljährlichen Hauptversammlung einfanden. Es war ein einzelner Aktionär, der bei dem letzten Tagesordnungspunkt die Frage aufwarf, wie es mit dem Stimmrechtsunterschied bestellt sei und sich dafür aussprach, durch eine Anpassung an angelsächsische Regeln den Aktien eine liquidere Basis zu verschaffen. Der SPP-VD Bo Eklöf ergriff das Wort, um mitzuteilen, dass SPP, Robur, SEB-Fonder und der 4. AP-Fonds die Möglichkeit einer solchen Veränderung prüfen wollten, während der Vertreter Skandias sich offen für eine Umwertung aussprach. Sowohl Industrivärden als auch die Vertreter der Wallenbergstiftungen bezogen jedoch eine ablehnende Haltung gegenüber einer Stimmrechtsänderung. Die Versammlung verwarf nicht zuletzt durch das geschlossene Nein der beiden Haupteigner den Vorschlag einer Änderung, akzeptierte jedoch den Kompromissvorschlag Bo Eklöfs, die möglichen Konsequenzen einer 1:1-Umwertung im Kreise der fünf größten Eigner zu evaluieren. Am 20. Dezember 2000 trafen dann Bo Rydin, Thomas Halvorsen vom 4. AP-Fonds und Bo Eklöf zusammen, um einen für alle zufriedenstellenden Weg zur Stimmrechtsveränderung zu ermöglichen.720 Die Verhandlungen sollten sich noch über zwei Jahre mehr oder minder ergebnislos hinziehen. Es waren paradoxerweise die SHB und die Wallenberg-Sphäre, die ihre Verantwortung als aktive Eigentümer für das Hochtechnologieunternehmen Ericsson zum letzten Mal wahrnahmen, indem sie bereit waren, die Doppelrolle von Aktienmärkten als Kapitalmärkte und als Märkte für Unternehmenskontrolle nun endgültig zu akzeptieren. Im Juni 2002 emittierte Ericsson neue Aktien im Gesamtwert von 30 Mrd. SKr – erneut die höchste Emission in der schwedischen Wirtschaftsgeschichte – um die anstehenden Investitionen zu finanzieren und die nach 2000 kräftig angewachsenen Verbindlichkeiten zu tilgen. Eine mögliche Stabilisierung des verschärft durch das weltweite Zusammenbrechen der dotcom-bubble nach 2000 hochgradig volatilen Aktienkurses wäre nur durch umfassende Stützungskäufe möglich gewesen. Diese Option blieb den Holdinggesellschaften der Sphären mit ihren Kapitalmarktabschlägen bis zu 40 v.  H. 719  Kamp om rösträtt i Ericsson: A-aktieägarna vill ha miljarder i kompensation, in: Dagens Industri, 6. Dezember 2000. 720  Ericsson ägare höjer rösten, in: Finanstidningen, 21. Dezember 2000.

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IV. Der lange Weg zur Weltspitze in der new economy

verwehrt, so dass die eigene Liquiditätsdecke für eine wirksame Interven­ tion zu dünn war. Das Unternehmen war deswegen dringend darauf angewiesen, neue Investoren zu attrahieren, was angesichts eines Aktienkurses, der von seinem Spitzenniveau mit über 240 SKr pro Aktie im Sommer 2000 auf 40 SKr Mitte 2001 abgestürzt war, von Schwierigkeiten begleitet war. Diese Notwendigkeit nahmen in- und ausländische Investoren zum Anlass, angesichts der Kapitalerhöhung nun mit einer Sanktionsdrohung eine Umwertung der Stimmrechte einzufordern. Die institutionellen Investoren hatten sich aber nur zur Teilnahme an der Emission bereit erklärt, wenn auch eine Veränderung bei den Stimmrechten erreicht werden würde. Nach langen Verhandlungen erzielten die Verhandlungspartner einen Kompromiss, der die Einrichtung einer Arbeitsgruppe einschließlich der größten Anteilseigner vorsah, um die Umstellung auf ein Stimmrechtsverhältnis von 1 : 10 für 2003 zu arrangieren, auch weil der Handelsbanken-OD Arne Mårtensson inzwischen zur Aufgabe der alten Relationen bereit war.721 Etliche, vor allem ausländische Anleger waren zwar wenig geneigt, den gefundenen Ausgleich zu akzeptieren, aber vor allem die schwedischen Investoren hatten sich überzeugen lassen, dass der niedrige Aktienkurs kombiniert mit einer 1:1-Stimmrechtsänderung eine unmittelbare Übernahme ermöglicht hätte.722 Wallenberg- und SHB-Sphäre wurde während eines begrenzten Zeitraums das Recht zugestanden, ihre B- in A-Aktien umzuwandeln und diese Umwandlungsrechte auch zu handeln. Nach der Umwandlung und Umtausch aller B-Aktien verfügte Investor über einen Stimmenanteil von 19,4 v. H., während Industrivärdens Stimmrechtsanteil auf 13,3 v. H. schrumpfte. Obwohl SHB und Wallenberg-Sphäre somit immer noch die beiden größten Hauptkapitalgeber bleiben sollten, hatte im Frühjahr 2004 somit die ungebrochene Vorherrschaft der aktiven Eigentümer ihr vorläufiges Ende gefunden.

721  Allerdings beharrte Mårtensson auf der alten Forderung nach einer Kompensation. Vgl. SHB öppnar för omstämpling, in: Dagens Industri, 4. Juni 2002. 722  Ericssons ägare backar om rösträtt, Dagens Industri, 5. Juni 2002; Och rådgivare gör tummen ner, in: Dagens Industri, 5. Mai 2002; Treschow banar väg för nyemissionen, in: Dagens Nyheter, 26. Mai 2002; Ericssons ras pressar Wallenberg, in: Dagens Nyheter, 5. Juni 2002.

V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel Für viele Beobachter waren die Vorzeichen eines institutionellen Wandels im ‚Modell Schweden‘ und eine schrittweise Anpassung an die Wirtschaftskultur der Liberal Market Economies ab Mitte der achtziger Jahre nicht zu verkennen: Die deutliche Zunahme von Börsengängen und Kapitalerhöhungen auf ausdifferenzierten Kapitalmärkten anstelle der Mittelbeschaffung über eigene Rücklagen und Kreditaufnahme wurde genauso als Indiz für eine Annäherung an angelsächsische Verhältnisse gewertet wie die Lockerung der langfristigen Kreditbeziehungen zu den Hausbanken. Im Bereich der Unternehmenskontrolle sind in Gestalt der ausländischen und schwedischen institutionellen Anleger neue Kapitalgeber auf den Plan getreten, die teilweise ihre frühere passive Rolle aufgaben und in Konkurrenz zu alteingesessenen familialen Eigentümern und den großen Sphären eine Einflussnahme bei der Steuerung der Unternehmensgeschicke beanspruchten. Auch die allmähliche Durchsetzung von Finanzmarktnormen, die Zunahme der Übernahmen sowie das zwischenzeitliche Aufkommen unabhängiger Unternehmensleitungen in den achtziger Jahren schienen zu signalisieren, dass nun die institutionellen Verhältnisse liberaler Marktökonomien in dem größten skandinavischen Land Einzug hielten. Und wohl in keinem anderen Feld sind die institutionellen Arrangements so einer Belastungsprobe ausgesetzt worden wie die industriellen Beziehungen, in denen nach 1990 gleich das ganze Modell der überbetrieblichen Lohnfindung zur Disposition stand. Ist also in den neunziger Jahren das schwedische Produktionsregime auf einen Pfad eingeschwenkt, an dessen Ende eine vollständige Transformation des schwedischen Modells stand? Einleitend ist die These formuliert worden, dass die Gestalt institutioneller Veränderungen auf der Unternehmensebene genauso durch institutionelle Modifikationen auf nationaler Ebene beeinflusst wird wie durch unternehmensspezifische Innovations- und Wachstumsstrategien sowie Internationalisierungserfordernissen, Veränderungen auf Faktor- und Gütermärkten und Firmenidiosynkrasien. Als erstes Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme kann der Sachverhalt gewertet werden, dass Veränderungen im nationalen Rahmen nicht unmittelbar Auswirkungen auf der Unternehmensebene evozierten. Das wird insbesondere ersichtlich, wenn die Ergebnisse der Fallstudien nicht vertikal, also im Zusammenhang der Unternehmenstrajektorien, sondern horizontal, also im

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V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel

Hinblick auf Veränderungen in den institutionellen Feldern betrachtet werden. So ist erstens hinsichtlich der Unternehmensfinanzierung festzuhalten, dass nicht alle Unternehmen ihre Mittelbeschaffung nach der Deregulierung der Kapitalmärkte auf eine zunehmende Außenfinanzierung umgestellt haben. In dieser Hinsicht heben sich Ericsson und SCA von Sandvik ab. Das Bergslagener Unternehmen hat nicht zuletzt dank der permanent hohen Eigenkapitaldecke bis auf drei zu vernachlässigende Ausnahmen auf die Möglichkeit oder auch die Notwendigkeit von Emissionen verzichtet, so dass der Bergslagener Konzern in dieser Hinsicht für eine institutionelle Kontinuität steht. SCA griff hingegen zur Finanzierung seiner umfangreichen Akquisi­ tionen regelmäßig auf das Instrument der Außenfinanzierung zurück. Das Forstwirtschaftsunternehmen konnte allerdings genauso wenig wie andere Unternehmen in dieser Hinsicht Ericsson den Spitzenplatz streitig machen. Diese Diskrepanzen finden sich ebenso im nächsten Feld der Unternehmenskontrolle wieder, obwohl es wohl als der Bereich eingestuft werden kann, in dem sowohl auf nationaler als auch auf Konzernebene ein signifikanter institutioneller Wandel festzustellen ist. In allen vier Unternehmen sind Veränderungen in der Gestalt aufgetreten, dass meistens ab Mitte der neunziger Jahre finanzmarktorientierte Leitbilder als Bestandteil der Unternehmensstrategien akzeptiert wurden. Gleichzeitig hat sich der Kreis der Kapitalgeber in allen drei Unternehmen deutlich verändert, indem er um ausländische institutionelle Anleger erweitert wurde. Doch auch in diesem Zusammenhang lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den Fallstudienunternehmen ausmachen. Beschränkt man sich auf den Aspekt der Renditestrategien, so haben zwar alle Unternehmen ihre Informationspolitik den Bedürfnissen von Kapitalmarktteilnehmern angepasst und Wachstums- und Gewinnziele publik gemacht, wenn auch selten die Maximalforderungen nach einer konsequenten Segmentberichterstattung und Mindestrenditezielen erfüllt worden sind. Aber nur das aufgrund seiner Branchenzugehörigkeit eigentlich als konservativ einzustufende SCA hat seine Zielvorgaben durch die Cashflow-bezogene Residualgewinngröße CVA am konsequentesten an der Shareholder Value-Philosophie ausgerichtet, während die anderen Unternehmen an ihren aus Marktentwicklungsanalysen, Vergleichen mit Branchenwettbewerbern oder anderen nicht auf den Aktienkurs bezogenen Variablen gewonnenen Vorgaben festhielten. Auch hinsichtlich der Anreizkompatibilität der Managervergütung mit dem Aktienkurs präsentiert sich das Forstwirtschaftsunternehmen als Schrittmacher, während bei Ericsson und Sandvik die Realisierung von Gewinn- und Wachstumsvorgaben im Vordergrund stand. Umgekehrt verweigerte sich ausgerechnet der Stockholmer Telekommunikationskonzern trotz seiner signifikanten Wertschätzung an den Börsenplätzen lange den Informationsbedürfnissen außerhalb des Unternehmens stehender Wirtschaftssubjekte genauso wie hinsichtlich der Aus-



V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel465

schüttungspolitik, die bei Sandvik und SCA deutlicher als zuvor an den Interessen der Aktionäre ausgerichtet wurde. Gleichzeitig ist keines der Unternehmen so weit gegangen, der Rendite und dem Aktienkurs eine höhere Priorität als dem eigenen Umsatzwachstum einzuräumen. Den Forderungen renditeorientierter Investoren und Analysten nach einer Abspaltung vermeintlicher Verlusttreiber wurden auch in der Konzernspitze SCAs eine deutliche Absage erteilt. Schließlich wurden auch die Unternehmensleitungen nicht dahingehend verändert, dass Manager mit einem finanzwissenschaftlichen Hintergrund bevorzugt wurden: Auch weiterhin wurden die Führungspositionen mit Ingenieuren und Technikern besetzt, die häufig aus dem eigenen Unternehmen rekrutiert wurden und in der Regel lange in ihren Positionen verweilten. Weitaus gravierender waren Veränderungen, die sich auf der Ebene der unmittelbaren Unternehmenskontrolle ergaben. Zunächst erlebten alle vier Fallstudienunternehmen einen deutlichen Zufluss ausländischen Kapitals zumeist aus dem angelsächsischen Raum, dem zumindest theoretisch eine Fremdheit gegenüber der schwedischen Wirtschaftskultur unterstellt werden kann. Bei allen vier Unternehmen sind jedoch die ausländischen Eigentümer nie aus ihrer anonymen Rolle herausgetreten und haben, wie das signifikant geringe Interesse an den stimmrechtsstarken Aktien beweist, auch nicht versucht, Entscheidungen der Unternehmensspitze aktiv im eigenen Sinne zu beeinflussen. Im Falle einer andauernden Unzufriedenheit haben sie ihre Beteiligungsquoten teilweise oder sogar völlig reduziert. Insofern lässt sich aufgrund der Fallstudienergebnisse nur wenig Evidenz für die These finden, dass von diesem Aktionärskreis Institutionen verändernde Impulse zur Adaption angelsächsischer Corporate Governance-Strukturen ausgingen. Blieb also den ausländischen Anlegern eine Rolle als Transformationsagenten versagt, so verhält es sich mit den einheimischen schwedischen institutionellen Anlegern doch deutlich anders. Weniger bei Sandvik, aber sowohl bei SCA und auch bei Ericsson trat dieser Investorenkreis aus seiner angestammten passiven Rolle heraus, um sich aktiv an der Unternehmensführung zu beteiligen. Das Forstwirtschaft musste unter dem Druck der institutionellen Investoren seine Kreuzverflechtung mit der SHB aufgeben. Auch wenn man sich weiterhin auf den Schutz der Hausbank nun in der Rolle als ‚weißer Ritter‘ verlassen konnte, führte das offensive Auftreten Custos’ zu einer deutlich aktiveren Finanzmarktorientierung. Auch bei Ericsson hat sich dieser Aktionärskreis in einer ähnlich konfliktiven Weise für Veränderungen in der Vorstandszusammensetzung und für die Aufgabe der Stimmrechtsasymmetrien engagiert. Das Sandvik-Management, das sich im Untersuchungszeitraum immerhin mit gleich drei neuen Großaktionären konfrontiert sah, konnte sich hingegen durchgängig auf die Protektion aktiver ­Eigentümer in Gestalt Stenbecks, dann Skanskas und schließlich der SHB

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V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel

verlassen. Dieser Eindruck unterschiedlicher Reaktionen auf Veränderungen in der institutionellen Umwelt verstärkt sich, wenn der analytische Rahmen um die Kontrollinstrumente in Form der Stimmrechtsasymmetrien erweitert wird. SCA hat trotz der Aufgabe der Überkreuzverflechtungen die Stimmrechtsasymmetrien beibehalten. Die Unternehmensspitze Sandviks hat den Unterschied zwischen A- und B-Aktien beseitigt, gleichzeitig aber durch die Verankerung eines verpflichtenden Übernahmeangebotes einen wirksamen Schutzschirm gegen feindliche Übernahmeabsichten eingeführt. Der Stockholmer Telekommunikationskonzern hat hingegen erst nach heftigen Auseinandersetzungen die Stimmrechtsunterschiede aufgegeben, was gegen den lang anhaltenden Widerstand der Alteigentümer durchgesetzt werden musste. Im Kontrast dazu ging bei Sandvik die Initiative zur Abschaffung der A-Aktien einseitig von der Führungsspitze des Konzerns aus. Diese Divergenzen lassen sich ebenso in einem anderen institutionellen Feld, nämlich dem schwedischen Branchensystem identifizieren. Auffällig ist, dass die beiden Unternehmen, die den schwedischen Grundstoffindustrien zuzurechnen sind, einen teilweisen Rückzug aus der verbandskoordinierten Zusammenarbeit auf ihrem Heimatmarkt angetreten haben. Bei Sandvik machte sich eine Zurückhaltung schon in den achtziger Jahren bemerkbar, als man an der konzertierten Neuordnung der schwedischen Spezialstahlindustrie nur im begrenzten Ausmaß teilnahm und sie vorrangig dafür nutzte, eigenen, als peripher eingeschätzten Randbereichen ein stabileres Fundament zu verschaffen. Vor allem der Preiskrieg mit Atlas Copco, der einen Schlusspunkt hinter eine immerhin fast vierzig Jahre andauernde Zusammenarbeit setzte, kann auf den ersten Blick als weiteres Indiz dafür gewertet werden, dass die Kooperationsneigung im Unternehmen deutlich abgenommen hat. Zu dem gleichen Schluss kann man auch im Falle SCAs kommen, das als Konsequenz einer stringenteren Ordnungspolitik seine Mitgliedschaft in gemeinsamen Verkaufsgesellschaften und Einkaufskartellen aufgeben musste, aber auch branchenbezogene Technologietransfereinrichtungen aus freiwilligen Stücken verließ. Im Kontrast dazu hat Ericsson die strategische Koordination mit einheimischen Unternehmen allerdings im internationalen Rahmen bedeutend ausgebaut. Wenn auch die Verantwort­ lichen niemals so weit gegangen sind, die Verantwortlichkeit für die eigene Produktion aus der Hand zu geben, so wäre die Erfolgsgeschichte des Stockholmer Telekommunikationsunternehmens ohne die Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Partnern wohl kaum angemessen darzustellen, die in der gemeinsamen Entwicklungsarbeit mit Televerket ihren Auftakt nahm und die später durch eine Abstimmung innerhalb der Standardisierungsgremien und mit ausländischen Netzbetreibern ergänzt wurde. Vor allem die mit der IP-Technologie verknüpften Anwendungsfelder hat das Unternehmen in den späten neunziger Jahren mit einer beeindruckenden



V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel467

Anzahl strategischer Allianzen mit anderen Wettbewerbern und Forschungseinrichtungen erschlossen. Werden innerhalb der Analyse des Branchensystems zusätzlich die Beziehungen der Unternehmen zu ihren Zulieferern berücksichtigt, so bestätigt sich erneut der Eindruck einer unterschiedlichen Entwicklung. Dabei muss allerdings zunächst in Rechnung gestellt werden, dass weder bei SCA noch bei Sandvik infolge der Bedeutungslosigkeit dieser stakeholder-Gruppe überhaupt die Möglichkeit existierte, den Kostendruck zu externalisieren oder die Beziehungen auf eine andere Weise zu verändern. Bei Ericsson standen hingegen die Implikationen einer Kostensenkungspolitik im Vordergrund, die auf eine umfassende Ausgliederung produktionsintensiver Wertschöpfungsabschnitte zielte und somit mehr den Usancen liberaler Marktökonomien entsprach. Eine deutliche Konstanz zeichnet sich hingegen im Feld der industriellen Beziehungen ab, obwohl immerhin auf nationaler Ebene zu Beginn der neunziger Jahre keineswegs ersichtlich war, ob das System der betriebsübergreifenden intersektoralen Flächentarifverträge Bestand haben würde. Die betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen in allen Fallstudienunternehmen haben jedoch die Vorstöße ihrer Konzernleitungen zur durchgehenden Verbetrieblichung und Individualisierung der Lohnfindung abwehren können. Hat sich also in dieser Hinsicht offenbar die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ausgezahlt, so konnte die Arbeitgeberbank in allen Unternehmen von deren Bereitschaft profitieren, in kritischen Situationen den Rückbau von Arbeitsplätzen mitzutragen, wie anhand Sandviks gezeigt werden kann. Aber auch sonst haben sich die schwedischen Gewerkschaften ganz im Zeichen der Sozialpartnerschaft und des von ihnen praktizierten konsensstiftenden Co-Managements nur höchst selten der Einführung von Neuerungen widersetzt. Unterschiede zwischen den Unternehmen sind eher in Nuancen zu erkennen, wie bei der Frage, vom wem die Initiative zur Gründung der europäischen Betriebsräte ausging. Fast alle Unternehmensleitungen haben den beneficial constraint der Mitbestimmung für eigene Zwecke einzusetzen gewusst. In gewisser Hinsicht weicht Ericsson jedoch auch hier von SCA und Sandvik ab, da es insbesondere im Zuge der Überlassung eigener Fertigungsanlagen an Zulieferer, den ungeschickt kommunizierten Standortschließungen und schließlich in der Frage der Einführung eines konzernweiten variabilisierten Bonisystems zu Auseinandersetzungen vorrangig mit der Metallgewerkschaft kam. Die institutionellen Restrukturierungsprozesse in den einzelnen Unternehmen im Untersuchungszeitraum lassen sich wie folgt zusammenfassen:

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V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel

Tabelle 9 Institutionelle Veränderungsdynamiken in den Fallstudienunternehmen

Corporate Governance

Ericsson

Sandvik

SCA

Moderate Anpassung an finanzmarktorientierte Leitlinien in den neunziger Jahren

Offensive Anpassung an finanzmarktorientierte Leitlinien in den neunziger Jahren durch das Management

Erzwungene Anpassung an finanzmarktorientierte Leitlinien in den neunziger Jahren

Erzwungener Machtverlust der aktiven Eigentümer Industrielle Beziehungen

Branchen­ system

Fortbestand der aktiven Eigentümer

Fortbestand der aktiven Eigentümer

Wachsende Konfliktbereitschaft und Schwächung der sozialpartnerschaft­ lichen Orientierung in Fragen des Outsourcings und der Entgeltstruktur

Hohe Konsensorien- Hohe Konsensorientierung tierung

Ausweitung der Koordination im Rahmen eines internationalisierten Branchensystems

Teilrückzug aus der nationalen verbandsgeleiteten Koordination

Teilrückzug aus der nationalen verbandsgeleiteten Koordination

Finanzierung über Eigenmittel

Intensive Inanspruchnahme der Aktienmärkte

Unternehmens- Intensive Inanspruchnahme der finanzierung Aktienmärkte

Einbindung der Gewerkschaften in die Internationalisierung der neunziger Jahre

Vor diesem Hintergrund lässt sich als vorläufiges Ergebnis festhalten, dass in Schweden der institutionelle ‚Big Bang‘ in Gestalt eines umfassenden regime change ausgeblieben ist. Zweitens trifft aber auch das Fazit von auf den ‚Rheinischen Kapitalismus‘ und seinen Wandlungsprozessen bezogenen Studien zu, die das Ausmaß der von der VOC-Theorie behaupteten Kopplung zwischen den verschiedenen Sphären eines Produktionsregimes deutlich relativieren.1 So hat in Schweden die partielle oder vollständige Übernahme von kapitalmarktorientierten Leitbildern oder der relative Machtverlust aktiver Eigentümer keinesfalls automatisch eine Abkehr von der mikrokorporatistischen Praxis einer konsensstiftenden Sozialpartner1  Streeck, W. / Höpner, M., Vorbemerkung, in: Dies. (Hrsg.): Alle Macht dem Markt? Fallstudien zum Ende der Deutschland AG, Frankfurt 2003, S. 9.



V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel469

schaft nach sich gezogen. Umgekehrt evozierte eine ausgeweitete Inanspruchnahme von Kapitalmärkten nicht unbedingt einen Wandel in der Corporate Governance: Unternehmensspitzen haben sich nicht dazu bemüßigt gefühlt, den Interessen realer oder auch potentieller Kapitalgeber durch die Befolgung von Finanzmarktparametern anstelle von technisch-industriellen Paradigmen entgegen zu kommen, um im Hinblick auf gegenwärtige oder auch zukünftige Kapitalerhöhungen eine möglichst hohe Nachfrage nach eigenen Wertpapieren zu kreieren. Und Veränderungen im inter company system scheinen sogar von parallelen Veränderungen in diesen institutionellen Feldern völlig unberührt zu bleiben, nimmt man die Effekte veränderter Zuliefererbeziehungen einmal aus. Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sprechen insofern eher für das Vorhandensein von soft linkages in dem Sinne, dass Modifikationen in einzelnen institutionellen Feldern nicht unmittelbar Auswirkungen auf die Gesamtstabilität eines Produktionsregimes haben. Auch erfolgreiche Institutionenordnungen können offensichtlich eine größere Menge von internen Widersprüchen bewältigen, als es die Komplementaritätsannahme nahelegt. Neuere Ansätze vornehmlich aus der Wirtschaftssoziologie plädieren vor diesem Hintergrund dafür, Transformationsprozesse nicht im Rahmen der Polaritäten Pfadwechsel und Persistenz oder als plötzlichen Übergang von einem institutionellen Gleichgewichtszustand in einen anderen zu untersuchen. In der Forschung wurde lange unter Verweis auf die Pfadabhängigkeitshypothese zwischen Momenten transformationsfördernder institutioneller Offenheit und Veränderung differenziert. Institutionen, so die gängige Annahme, seien einmal geschaffen, entweder zu überleben oder zu kollabieren angesichts exogener Schocks.2 Institutioneller Wandel wird in neueren Perspektiven nicht als ein Bruch oder als ein Wechsel von einem Gleichgewicht zu einem anderen Gleichgewicht wahrgenommen, sondern als historischer Prozess mit offenem Verlauf und Ausgang, als institutional layering, wobei es simultan zur Neuaushandlung oder Übernahme neuer institutioneller Arrangements kommt, während andere Elemente intakt bleiben.3 Diese Problematik verweist auf ein zu Recht beanstandetes Defizit der VOC-Theorie, die zwar hinsichtlich der Erklärung von Effizienzsteigerungen überzeugt, aber nicht präzisiert, wie und wann im Zuge institutio2  Thelen, T., How Institutions Evolve: Insights from Comparative Historical Analysis, in: Mahoney, J. / Rueschemeyer, D. (Hrsg.) Comparative Historical Analysis in the Social Sciences, Cambridge 2003, S. 209. 3  Vgl. zu den Transitionsmechanismen Thelen, K., Historical Institutionalism in Comparative Politics, in: Annual Review of Political Science, Bd. 2 (1999), S. 369– 404; Jackson, G. / Höpner, M., Das deutsche System der Corporate Governance zwischen Persistenz und Konvergenz, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Vol. 54, Nr. 2 (2002), S. 362–368.

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V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel

neller Transformationsprozesse ausgelöste Effizienzverringerungen die gesamte Systemkohärenz in Frage stellen.4 Als Konsequenz dieser Erkenntnis haben polyfaktorielle Erklärungsansätze an Prominenz gewonnen, die die Stärken funktionalistisch-nutzentheoretischer Modelle in der Tradition der Institutionenökonomik, der politikwissenschaftlich geprägten Machtmobilisierungs-Perspektive und kulturell-soziologische Interpretationsmuster zusammenführen, um den Wandel von Produktionsregimen im situativen Spannungsfeld zwischen Performance-, Macht- und Kultureffekten auszuloten und zu erklären. Dieser historische Institutionalismus plausibilisiert die Fortdauer institutioneller settings gerade mit ihrer Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit: Sowohl Pfadabhängigkeit als auch Institutionenwechsel werden als Polaritäten betrachtet, zwischen denen ein institutioneller Wandel als ergebnisoffene Weiterentwicklung durch endogene und exogene Einflüsse interpretiert wird.5 Nun greifen solche Erklärungsansätze vornehmlich auf der nationalen Ebene, wo die politische Einflussnahme auf institutionelle Arrangements als bedeutsamer eingeschätzt werden kann als auf der Unternehmensebene, auf der Wirtschaftssubjekten unterstellt werden kann, dass sie die Befolgung oder Nichtbefolgung von Regeln alleine von Effizienzgesichtspunkten und weniger von dem Kriterium der funktionalen Regelkomplementaritäten abhängig machen.6 So können unternehmensinterne Akteure, die bewusst und aktiv auf Veränderungen im Feld der industriellen Beziehungen hinarbeiten, gleichzeitig ein Interesse daran haben, dass angestammte institutionelle Verhältnisse im Feld der Corporate Governance fortexistieren. Solche vermeintlichen Widersprüchlichkeiten müssen aber nicht unbedingt in einem trade-off kulminieren, da institutionelle Strukturen in Produktionsregimen grundsätzlich dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einerseits eine Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten einschränken, andererseits aber auch solche 4  Zu dieser Kritik vgl. vor allem O’Sullivan, M., Typologies, Ideologies and Realities of Capitalism, in: Socio-Economic Review, Vol. 3, Nr. 3 (2005), S. 547– 558. 5  Als funktionalistisch-utilitarische Ansatz wird das im Gefolge der Institutionenökonomik entstandene Theoriegebäude eingeordnet, die Institutionen als Resultat von rational handelnden Akteuren begreifen, um die bekannten Probleme wie Property Rights-Fragen zu lösen oder Transaktionskosten zu reduzieren. Im Falle des Institutionenversagens werden sie ausgetauscht oder beseitigt. Machttheoretische Ansätze interpretieren einen solchen Wandel als Resultat politischer Konfliktaustragungen und Verteilungskämpfe. In einer kulturalistischen Perspektive reflektieren Institutionen nicht effizienzmaximierende Problemlösungen, sondern soziale Leitbilder oder soziale Legitimität. Vgl. zur Klassifikation auch Thelen, Institutions. 6  Streeck, W., Preface, in: Ebbinghaus, B.  / Manow, P. (Hrsg.), Comparing Welfare Capitalism: Social Policy and Political Economy in Europe, Japan and the USA, London 2001, S. 14–20.



V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel471

Wahlentscheidungen zulassen.7 In diesem Zusammenhang muss den verfolgten Innovations- und Wachstumsstrategien ein hohes, wenn nicht sogar entscheidendes Gewicht zugebilligt werden, will man Beharrungsvermögen und Umbruchsdynamik institutioneller settings nachvollziehen. Im Folgenden sollen Kontinuität und Wandel der institutionellen Arrangements innerhalb der Unternehmen noch einmal in diesem Zusammenhang reflektiert werden, indem die Modifikationen diesmal nicht in einem horizontalen, sondern vertikalen Betrachtungsraster nachgezeichnet werden, um die These zu überprüfen, dass institutionelle Komplementaritäten je nach Unternehmen unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägt sind. Genauso kurz wie das Kapitel über Sandvik kann auch das Fazit bezüglich der Frage ausfallen, inwiefern sich analog zu den theoretischen Projektionen der VOC-Theorie auf der Unternehmensebene ein Isomorphismus zwischen den institutionellen Feldern nachzeichnen lässt. Die Innovationsstärke Sandviks beruhte auf einer diversifizierten Qualitätsproduktion, mit der das Unternehmen die Preisführerschaft auf internationalen Märkten anstrebte, indem mit einem ausgefächerten Spektrum hochqualitativer Nischenprodukte spezifischen Kundenbedürfnissen im maximalen Ausmaß Rechnung getragen wurde. Entscheidend war also das Vertrauen der Kunden in den Spezialistenstatus des Bergslagener Unternehmens und dessen Fähigkeit, anspruchsvolle Herstellungsprobleme zu lösen. Diesem Anspruch konnte Sandvik aber durchgängig gerecht werden, wohingegen Veränderungen auf Faktor- und Gütermärkten für das Unternehmen nur eine nachrangige, wenn nicht sogar marginale Bedeutung gehabt haben. Als zentrale Herausforderung stellte sich der Unternehmensspitze die Bewältigung der durch die verfehlte Diversifizierungspolitik ausgelösten Krise zu Beginn der achtziger Jahre, die den Konzern dazu bewogen, neben der Rückbesinnung auf das Kerngeschäft Rationalisierungsmaßnahmen einzuleiten, die den anderen schwedischen Unternehmen in den neunziger Jahren noch bevorstanden. Kostensenkungspotentiale wurden vorrangig durch die Effektivierung des Vertriebs und der Lagerhaltung ausgenutzt, was wiederum durch das Aufkommen computerisierter Produktionsplanungshilfsmittel und generativer Fertigungs- und Designverfahren begünstigt wurde. Solche Verfahrensinnovationen, die die Flexibilisierung der Herstellung erleichterten, passten sich mit dem Angebot der Kosten- und Lieferungsvergleiche für die Kunden in die Ausrichtung der Innovationsstrategie ein. Sandvik hat seine Innovations- und Produktionsstrategie in Gestalt der diversifizierten Qualitätsproduktion in diesem Jahrzehnt noch einmal einer Konzentration unterworfen, um im Zeichen der Preisführerschaft innovationsbedingte maximale Monopolrenditen zu erwirtschaften. Eine Stückkostendegression 7  Hall / Soskice,

Introduction.

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V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel

hätte Sandvik nur schwer realisieren können, da eine solche Strategie sich nur bedingt mit den Ansprüchen einer Qualitätsproduktion vertrug. Die Kostenvorteile von Desintegration und Spezialisierung bestimmten die Investitions- und Devestitionsentscheidungen genauso wie die forcierte Internationalisierung in den neunziger Jahren, so dass am Ende des Jahrzehnts das Bergslagener Unternehmen mit drei gleich großen und schlagkräftigen Sparten aufwarten konnte. Obwohl Sandvik mit den Kunden eine enge Zusammenarbeit pflegte, die in ihrer Intensität vielleicht nur noch von Ericsson übertroffen wurde, setzte die Wachstums- und Innovationsstrategie und vor allem das Primat der Preisführerschaft der Bereitschaft zur Zusammenarbeit innerhalb des Branchensystems sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene deutliche Grenzen. Das traf in erster Linie für die Zulieferer zu, da die möglichst weitgehende Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen in der Produktentwicklung sowie die dadurch bedingte hohe Fertigungstiefe die Einbindung in bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten oder auch die bloße Weitergabe des Kostendrucks verhinderte. Auch ansonsten zeigte Sandvik ein gewisses Bestreben, andere korporative Akteure so weit wie möglich außen vor zu halten und ganz auf das eigene Know-how zu vertrauen. Die Imperative der Innovationsstrategie bestimmten insofern auch ein anderes Verhaltensmuster, nämlich die weitgehende Zurückhaltung in der Restrukturierungsphase der gesamten schwedischen Spezialstahlbranche, die in den späten siebziger Jahren ihren Auftakt nahm und gegen Ende der achtziger Jahre abgeschlossen wurde. Stellte die staatlich konzertierte Aufteilung der Produktion oder die Schaffung neuer Unternehmen auf die Hervorbringung nachhaltiger wirtschaftlicher Strukturen in jeweils einem spezifischen Produktumfeld ab, hatte Sandvik nicht nur mit seiner allmählichen Umorientierung auf Hartmetall diese Grundidee in nuce schon vorweggenommen. Was das Interesse des Managements an der Produktaufteilung zusätzlich gering halten sollte, war der Umstand, dass Sandvik schon frühzeitig auf hochveredelte Stahlqualitäten gesetzt hatte und seit dem umfassenden Einstieg in die Hartmetallproduktion sich weniger den global bedingten Stahlkonjunkturen ausgesetzt sah. Hingegen wurde das Verhalten gegenüber anderen Unternehmen im intercompany system durch die Prämisse der Preisführerschaft bestimmt, wie das Ende der Zusammenarbeit mit Atlas Copco und der Preiskrieg unter Beweis stellt. Sie plausibilisiert, warum Sandvik als Konsequenz dieser Auseinandersetzung neben den anderen ‚präventiven‘ Akquisitionen auf die beiden ‚offensiven‘ Übernahmen von Tamrock und Kanthal so viel Energie und finanzielle Mittel verwandte. Wie die Analyse des Branchensystems im Falle Sandviks zeigt, tendieren auch schwedische Unternehmen untereinander nur unter bestimmten Bedingungen und nicht aufgrund ihrer Wirtschaftskultur zu einem kooperativen Verhalten und machen im Fall der



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Fälle von durch Kosten-Nutzen-Kalkülen geprägten Alternativen wie der Vorwärtsintegration anstelle einer Zusammenarbeit Gebrauch. Gleichzeitig hat sich Sandvik aber nicht aus Branchenvereinigungen wie dem Jernkontoret zurückgezogen und nimmt nach wie vor die Dienste dieser Organisation zur Wissensdissemination – beispielsweise hinsichtlich neuer Verfahrensinnovationen – in Anspruch. Lässt sich also im Feld des inter company systems ein gewisser institu­ tioneller Wandel beobachten, so beeindrucken die industriellen Beziehungen im Konzern durch ihr hohes Ausmaß an Kontinuität. Insgesamt hat die Unternehmensführung alle wesentlichen Schritte und selbst Personalrückbaumaßnahmen im Konsens mit den Gewerkschaften durchführen können, so dass es wenige Anreize gab, die gepflegte Kultur der Sozialpartnerschaft mit der möglichen negativen Konsequenz eines dauerhaft gestörten Betriebsfriedens aufzugeben. In diesem Zusammenhang beweist sich die transaktionskostensenkende Wirkungsmacht eines betrieblichen Mikrokorporatismus, welcher weniger seine Prägekraft durch die Befolgung von Verhandlungsroutinen im Rahmen vorgegebener Mitbestimmungsinstanzen erhält, sondern durch den Aufbau vertraulicher Beziehungen und vor allem durch eine umfassende und detaillierte Information der Gewerkschaften über kommende Schritte. So hat Sandvik sein benchmarking-Modell, das die Möglichkeit der Produktionsverlagerung nicht grundlegend ausschließt, im Konsens und nicht im Konflikt mit den Gewerkschaften entwickeln und implementieren können. Nahezu mustergültig lässt sich anhand der Neuformierung von Aushandlungsarenen wie dem europäischen Betriebsrat oder dem Weltkonzernrat zeigen, inwiefern die Arbeitgeberseite die beneficial constraints der gewerkschaftlichen Mitbestimmung für eigene Absichten zu nutzen wusste, was auch erklärt, warum die Initiative zu MBL-Verhandlungen häufig von Vertretern des Managements ausging. Dass ansonsten die industriellen Beziehungen weitgehend spannungsfrei blieben, ist aber auch darauf zurückzuführen, dass viele Konfliktfelder, die in anderen Unternehmen die Interessensgegensätze zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern in den neunziger Jahren verschärfen sollten, im Falle Sandviks nicht existierten. Erstens beschränkte sich ein umfassender Rückbau von Arbeitsplätzen auf eine kurze Phase infolge der Sanierungsanstrengungen zu Beginn der achtziger Jahre. Zweitens beförderte die zunehmende Internationalisierungsdynamik keine Überlegungen in der Konzernspitze, einen systematischen Standortwettbewerb in Gang zu setzen und auf diese Weise über arbiträre Kosten-, Kompetenz- oder andere Performanzvergleiche lohnpolitische Zugeständnisse von Arbeitnehmern zu erzwingen. Genauso wie bei SCA blieb auch das Bemühen um die Hervorbringung drei möglichst gleich großer Wachstumsbereiche ohne gravierende Konsequenzen für die Beschäftigten. Drittens verbot sich wie bereits erwähnt die Möglichkeit der

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Auslagerung von Vor- und Zwischenprodukten an Zulieferer bei gleichzeitiger Konzentration des Produktprogramms am Ende der Wertschöpfungskette schon alleine deswegen, weil der Konzern eine hohe Fertigungstiefe anstrebte. Folglich sahen sich die Arbeitnehmer anders als bei Ericsson auch nicht der Gefahr ausgesetzt, infolge des dadurch bedingten Unternehmenswechsels verschlechterte tarifliche Bedingungen oder gar den Verlust ihres Arbeitsplatzes in Kauf nehmen zu müssen. Diese Persistenz in den industriellen Beziehungen deckt sich mit einer ebenso ausgeprägten Kontinuität im Feld der Unternehmensfinanzierung. Sandvik hat während des gesamten Untersuchungszeitraums eine zurückhaltende Finanzierungspolitik verfolgt und abgesehen von einigen Ausnahmen auch nicht von einer Außenfinanzierung über den Aktienmarkt Gebrauch gemacht. Allerdings bestand dazu angesichts der beachtlichen akkumulierten Kapitalreserven auch keine Notwendigkeit. Erstaunlicherweise ist die Spitze des Bergslagener Unternehmens dann scheinbar ohne Not auf eine deutlich aktionärsfreundlichere Politik in Gestalt signifikant höherer Dividendenausschüttungen, Aktienoptionsprogrammen und auf die Aufgabe stimmrechtsstarker Aktien eingeschwenkt. Dahinter eine grundlegende Kehrtwende der techniker- und ingenieursdominierten Konzernleitung aufgrund der Übernahme angelsächsischer Leitbilder zu vermuten, wäre jedoch verkehrt. Die ausgeweitete Finanzmarktorientierung spätestens seit dem Amtsantritt Hedströms war kein fremdbestimmtes Resultat kurzfristig orientierter Kapitalgeber, sondern ergänzte mit dem expliziten Ziel der Aktienkurssteigerung als Übernahmebarriere die schon existierenden Schutzfunk­ tionen wie die Rolle der SHB als aktiver Eigentümer und die in der Unternehmensordnung verankerte Einlösepflicht. Sowohl Sandvik wie übrigens auch SCA integrierten im unterschiedlichen Ausmaß Elemente der Shareholder Value-Philosophie, ohne auf die nützliche Funktion eines aktiven Eigentümers im Hintergrund zu verzichten. Insofern lässt sich diese Nuance der Unternehmenssteuerung bei Sandvik nicht vorschnell als unfreiwillige Adaption eines angelsächsischen Verhaltensmusters interpretieren, sondern vielmehr als Fortschreibung des Bestrebens, sich im Interesse einer langfristigen Ausrichtung der eigenen Unternehmenspolitik nicht den Neigungen volatiler Akteure auszusetzen. Wie dieser Abriss zeigt, sind die institutionellen Veränderungen im Falle Sandviks nicht nur recht überschaubar, sondern auch die Interdependenzen zwischen den institutionellen Feldern als tendenziell gering einzustufen. Institutioneller Wandel war nicht durch Regelinterdependenzen und auch nur im geringen Ausmaß durch die Wachstums- und Innovationsstrategie bedingt, sondern durch endogene Entwicklungen im jeweiligen Feld. Am deutlichsten hat sich die von der Unternehmensspitze verfolgte Wachstumsund Innovationsstrategie infolge der frühzeitigen Spezialisierung auf die



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Verhältnisse im Branchensystem ausgewirkt. Der Erfolg Sandviks auf den Weltmärkten war aber im Gegensatz zu SCA oder Ericsson nicht an ein bestimmtes Modell der Corporate Governance gebunden. Folglich lässt sich die soft conversion im Bereich der Unternehmenskontrolle nicht auf Veränderungen in der Innovationsstrategie, aber auch nicht in der Unternehmensfinanzierung zurückführen; Veränderungen im Branchensystem wirkten sich ebenfalls nicht auf die industriellen Beziehungen aus, wie wohl hierbei das Fehlen transformationsfördernder Rahmenbedingungen in Rechnung gestellt werden muss. Sandvik kann insofern als das Unternehmen eingeschätzt werden, das in der Gesamtbetrachtung zwar am wenigsten einen institutionellen Wandel durchlaufen hat, aber in dem die institutionellen Komplementaritäten auch am schwächsten ausgeprägt waren:

Unternehmenskontrolle

Unternehmensfinanzierung

Innovations- und Wachstumsstrategie

Industrielle Beziehungen

Branchensystem

Abbildung 9: Regelinterdependenzen der institutionellen Arrangements im Falle Sandviks

Erstaunlicherweise zeichnen sich im Entwicklungspfad zwischen SCA und Sandvik eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten ab, obwohl die Grundlagen der Innovations- und Wachstumsstrategien grundverschieden waren. Der unternehmerische Erfolg des Sundsvaller Unternehmens gründete sich nicht auf eine Bedürfnis angepasste Produktinnovation, sondern auf den elementaren Vorteil des kostengünstigen Rohstoff- und Energiezugangs. Einerseits konnte SCA Skalenerträge erwirtschaften, in dem die Fixkosten auf ein größtmögliches Produktionsvolumen verteilt wurden. Gleichzeitig wurden Verbunderträge in dem Mehrproduktunternehmen durch stoffliche Verkettungseffekte realisiert, indem Halbfertigprodukte entweder veräußert oder in einem nachgelagerten Produktionsabschnitt Verwendung fanden. Auf der Basis dieser vertikal integrierten und horizontal diversifizierten Portfoliostruktur hatte die Konzernleitung schon in den siebziger Jahren den Grundsatzbeschluss gefasst, den Anteil höherveredelter Produkte durch die

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Vorwärtsintegration in die drei Bereiche grafisches Papier, Verpackungen und Hygieneprodukte sukzessive auszubauen und dem Unternehmen auf diese Weise ein konjunkturstabileres Fundament zu verschaffen. So strebte SCA in seiner langfristigen Strategie eine Verschiebung hin zu Konsumentengütern in Gestalt der Hygieneprodukte an, da man in diesen Bereichen zu Recht eine stabilere Gewinnentwicklung und höhere Wachstumsraten vermutete als in den konjunkturreagibleren klassischen Forstwirtschaftseinheiten. Dieses Ziel war nur über eine Reihe umfangreicher und teilweise spektakulärer Akquisitionen im europäischen Raum zu erreichen, die SCA in den neunziger Jahren tätigte, nachdem im Jahrzehnt zuvor die eigenen Produktionsanlagen beginnend mit dem Ö80-Projekt umfassend modernisiert worden waren, um die Rohstoffversorgung auf nutzholzsparende Zellstoffqualitäten umstellen zu können. Mit der Entscheidung zur Vorwärtsintegration und vor allem mit dem Schritt in die Hygieneproduktion setzte sich SCA allmählich von den übrigen schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen und insbesondere von den beiden anderen Schwergewichten Stora und MoDo ab. Damit verschob sich die Position des Sundsvaller Konzerns immer mehr an den Rand der Branche. Ähnlich wie in der schwedischen Spezialstahlindustrie vollzog sich auch in der schwedischen Forstwirtschaft während der neunziger Jahre ein Prozess der Produktaufteilung, der der Kooperationsneigung in einer Branche entgegenwirkte, die wohl wie keine andere während des 20. Jahrhunderts von der Möglichkeit strategischer Koordination Gebrauch gemacht hatte, um Unsicherheiten in Gestalt schwankender Wechselkurse, Dumpingattacken der US-Konkurrenz und der Rohstoffversorgung zu neutralisieren.8 Gleichzeitig nahmen die Schnittmengen mit anderen Forstwirtschaftsunternehmen sukzessive ab. Konsequenterweise ist der Sundsvaller Konzern noch einen Schritt weiter als Sandvik gegangen und hat aus freiwilligen Stücken Technologietransfereinrichtungen verlassen, nachdem infolge veränderter ordnungspolitischer Rahmensetzungen bereits die Mitgliedschaft in Verkaufsgesellschaften und Einkaufskartellen aufgegeben werden musste. Nur in peripheren Produktbereichen machte die Konzernleitung ähnlich wie Sandvik von Arrangements mit anderen Branchenunternehmen Gebrauch: Hatte der Bergslager Konzern seine Walzstahlproduktion neu ordnen können, so wurde im Falle SCAs durch die Zusammenarbeit mit MoDo ein reibungsloser Rückzug aus dem ungeliebten Produktfeld der Feinpapierherstellung ermöglicht. Genau wie bei Sandvik steht dem durch die Innovations- und Wachstumsstrategie bedingten institutionellen Wandel im Feld des Branchensystems eine weitgehende Kontinuität im Feld der industriellen Beziehungen gegenüber, aber erneut lässt sich dieser Zustand darauf zurückführen, dass trans8  Melander,

Industrial Wisdom, S. 294.



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formationsfördernde Rahmenbedingungen nicht vorhanden waren. Erstens blieb sich das Management seiner Linie treu, dem abgesehen von dem Einschnitt zu Beginn der neunziger Jahre überschaubaren Arbeitsplatzabbau möglichst durch Maßnahmen sozialer Folgenbewältigung zu begegnen. Zweitens mussten Kosteneinsparungsprogramme im Konsens mit der Arbeitnehmerschaft durchgeführt werden, da infolge der technischen Komplexität der Papiermühlen und anderer Produktionsanlagen kaum Auslagerungsmöglichkeiten existierten. Aufgrund der hohen Fertigungstiefe entfiel folglich nicht nur die Möglichkeit, Wertschöpfungsabschnitte nach einer Desintegration in die Hände von Zulieferern zu übergeben, sondern ebenso die Problematik des damit verbundenen Stellenabbaus oder verschlechterter Tarifabschlüsse. Drittens verbot es sich, selbst nach der Akquisition anderer Unternehmen durch ein systematisiertes Benchmarking-Verfahren die Beschäftigten mit Lohn- oder anderen Performanzvergleichen unter Druck zu setzen, weil die Erwerbungen wie im Falle Reedpacks, Laakirchens und der PWA-Weichpapierherstellung auf komplementäre Produktbereiche ohne Möglichkeiten zur Substitution abstellten. Ohnehin hätte die Komplexität der Werkstechnik selbst im Falle von Lohnkostenvorteilen eine schnelle Verlagerung von Produktionsabschnitten erschwert. Wird die Betrachtung mit den zwei verbleibenden Feldern in Gestalt der Unternehmensfinanzierung und -kontrolle abgeschlossen, so kommt man nicht umhin, festzustellen, dass ausgerechnet das Forstwirtschaftsunternehmen sich am stärksten den Praktiken liberaler Marktwirtschaften angenähert zu haben scheint. Grundsätzlich hat sich SCA ähnlich wie auch Sandvik um eine solide finanzielle Basis und eine stabile Eigenkapitalquote bemüht. Anders als das Stahl- und Hartmetallunternehmen musste der Forstwirtschaftskonzern die Mittelbeschaffung auf die Kapitalmärkte ausweiten, um die Wachstumsziele und die damit verknüpften umfassenden Großerwerbungen während der neunziger Jahre zu realisieren. Paradoxerweise kann jedoch die Nutzung dieser Finanzierungsmöglichkeit nicht als Ursache für die in den späten neunziger Jahren realisierte Shareholder Value-Strategie benannt werden. Auch haben weder angelsächsische Anleger noch die Svenska Handelsbanken als Hauptaktionär auf den Paradigmenwechsel hingearbeitet. Hingegen haben die schwedischen institutionellen Anleger maßgeblich zu Veränderungen in der Unternehmenskontrolle beigetragen, indem sie zunächst entscheidend darauf einwirkten, dass zur Steigerung des Börsenwerts von Industrivärden die Kreuzverflechtung mit der SHB aufgelöst wurde. Später war es Custos, das sich zum Sprachrohr aller derjenigen machte, die eine deutlichere Gewinnorientierung des Konzerns notfalls auch um den Preis einer Desintegration der Konzernstrukturen für wünschenswert hielten. Insofern lässt sich im Unterschied zu Sandvik von einer defensiven Adaption der Shareholder Value-Philosophie sprechen. Forderungen nach einer

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Zergliederung des Konzerns, die auch nach dem Jahr 2000 immer wieder laut wurden, sollten durch eine durchgängige Rendite- und Finanzmarkt­ orientierung in ihrer Plausibilität entkräftet werden. In der Tat war SCA aus dem Kreis der untersuchten Unternehmen dasjenige, welches nach der Implementation des CVA-Konzeptes und der Leistungsanreize für das höhere Management von sich behaupten konnte, bei der Verwirklichung der Finanzmarktorientierung am konsequentesten vorgegangen zu sein. Trotzdem hat das Forstwirtschaftsunternehmen nie eine vollständige Anpassung an angelsächsische Verhältnisse nachvollzogen, auch weil das Management vor allem in kritischen Phasen auf den Rückhalt der aktiven Eigentümer vertrauen konnte. Interessanterweise findet man bei SCA die Svenska Handelsbanken in der gleichen Funktion wie bei Sandvik: Offene und sichtbare Kreuzverflechtungen wurden durch eine Schutzkonfiguration abgelöst, in der die Bank eine mehr informelle Rolle als ‚weißer Ritter‘ einnahm. Dieser modifizierte Fortbestand marktwidriger Unternehmenskontrollformen ist in beiden Fällen offensichtlich gut vereinbar mit einer verstärkten Ausrichtung auf Finanzmarktnormen. Dass Custos sich letztendlich nicht durchsetzen konnte, lag aber auch daran, dass andere schwedische institutionelle Investoren sich nicht zu einem Anlegerbündnis gegen das Management bereit fanden. Selbst dieser Aktionärskreis muss also noch einmal unterteilt werden in radikal veränderungsbereite Investoren, die versuchten, eine konsequente Finanzmarkorientierung auch um den Preis eines offenen Konflikts durchzusetzen und gemäßigt veränderungsbereite Anleger, die sich gegenüber langfristig orientierten Unternehmensleitungen loyal zeigten. Mit dem Rückhalt dieser stakeholder gelang es der Unternehmensspitze um Löf, mit dem beharrlichen Verweis auf die produktionsökonomischen Synergiegewinne allen Forderungen nach einer Ausgliederung weniger ertragreicher Sparten oder einer Teilnotierung eine Absage zu erteilen. Aus einer strikten finanzmarktorientierten Perspektive waren die Argumente Löfs nicht immer nachvollziehbar, da Synergien anhand von messbaren und kommensurablen Parametern ermittelt werden sollen und nicht als Resultante einer rein ingenieurstechnischen Steuerungslogik. Eine Ausgliederung der Produktbereiche war entgegen den Behauptungen des VDs durchaus möglich, da angesichts der Gleichförmigkeit des Grundstoffinputs in Gestalt des Zellstoffs auch verarbeitende Einheiten ausgegliedert werden konnten, ohne dass die Verbundproduktion dabei nachhaltigen Schaden nahm. Vor allem an diesem Punkt lässt sich jedoch zeigen, dass der Rückhalt der aktiven Eigentümer eine wichtige Voraussetzung für die langfristig angelegte Innovationsund Wachstumsstrategie war. Das auf CMEs gemünzte Schlagwort des patient capitalism lässt sich im Falle des Sundsvaller Forstwirtschaftskonzerns und seiner Innovationsstrategie nahezu mustergültig explizieren. Schon alleine wegen der hohen Kapitalintensität und des Regenerationszyklus der



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Rohstoffbasis musste die Unternehmensspitze langfristige Investitionsentscheidungen treffen. Entscheidender war jedoch, dass selbst in Situationen, in denen der Restrukturierungsbedarf im Grunde sehr niedrig war, konsequent an dem Ziel des Umbaus festgehalten wurde. Die Beschlüsse, 1975 in den Hygienebereich und 1979 in den Verpackungsbereich zu expandieren, wurden zu einem Zeitpunkt getroffen, als die Rahmenbedingungen für die klassische Forstwirtschaft kaum vorteilhafter sein konnten, da die hohen Zellstoffpreise einen solchen Schritt keineswegs nahe legten.9 Insofern kann die beharrliche Weiterentwicklung der Sparten und deren Stärkung über die in den neunziger Jahren betriebene Internationalisierung als Fortschreibung der 1958 eingeleiteten Vorwärtsintegration gesehen werden, die mit der Konzentration auf die drei Schwerpunktbereiche in den neunziger Jahren ihren erfolgreichen Schlusspunkt fand. Folglich lässt sich die These formulieren, dass eine deutlich ausgeprägtere Interdependenz zwischen Innovations- und Wachstumsstrategie und der Corporate Governance bestand als im Falle Sandviks. Die stärkere Inanspruchnahme von Aktienmärkten und der Rückzug aus der strategischen Koordination im Branchensystem kann ebenfalls auf die Imperative der Innovations- und Wachstumsstrategie zurückgeführt werden. SCA ist insofern als ein Unternehmen einzuschätzen, in dem die institutionellen Komplementaritäten deutlich stärker ausgeprägt waren als bei dem Bergslagener Hartmetall- und Spezialstahlunternehmen:

Unternehmenskontrolle

Unternehmensfinanzierung

Innovations- und Wachstumsstrategie

Industrielle Beziehungen

Branchensystem

Abbildung 10: Regelinterdependenzen der institutionellen Arrangements im Falle SCAs

9  Die Kapitalrendite des Handelszellstoffes war zu diesem Zeitpunkt gelegentlich deutlich höher als bei höherveredelten Produkten. Vgl. Peterson, Finsk ingenjörskonst, S. 123.

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V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel

Trifft also das Szenario des von der VOC-Theorie behaupteten institutionellen Isomorphismus auf SCA und Sandvik nur im bedingten Ausmaß zu, so verhält es sich im Falle Ericssons anders. Dass institutionelle Rahmenbedingungen vielleicht sogar mehr als in den drei anderen untersuchten Unternehmen ihre Relevanz entfalteten, hat zunächst damit zu tun, dass kein anderes Unternehmen zu einer intensiven Marktbeobachtung, großen Anpassungsforderungen an Kundenwünsche, einem erheblichen Auswahlsortiment und einem internationalen Aktionsradius gezwungen wurde. Bis in die achtziger Jahre musste aufgrund der Größe des Binnenmarktes das Wachstum auf den Auslandsmärkten realisiert werden. Ähnlich wie für Sandvik war es auch deswegen für Ericsson von entscheidender Bedeutung, die eigenen Produkte den jeweiligen Kundenbedürfnissen anzupassen, aber anders als das Spezialstahl- und Hartmetallunternehmen konnte der Stockholmer Telekommunikationskonzern trotz langer Zeithorizonte in Kundenbeziehungen und dem Aufbau verdichteter Beziehungen über eine enge technische Zusammenarbeit nicht immer aus einer Position der Stärke heraus agieren. Der Innovationsrhythmus Ericssons wurde erstens durch dedicated assets vorstrukturiert, also Innovationen und Investitionen zugunsten eines bestimmten Kunden und der von ihm gewünschten Technologie. Zweitens standen den wenigen als Monopsonisten auftretenden und nur selten komplette Telekommunikationssysteme nachfragenden Netzbetreibern Netzausrüster gegenüber, die zwar Grossbestellungen mit einem beträchtlichen finanziellen Auftragswert akquirieren konnten, welche aber aufgrund eines langen Produktlebenszyklus selten vergeben wurden. Die Wachstums- und Innovationsstrategie Ericssons beruhte maßgeblich darauf, dass es dem Unternehmen gelang, diesen Wettbewerbsnachteil in einen Wettbewerbsvorteil umzumünzen und sich eine Ausgangsposition zu verschaffen, die die Konkurrenten ins Hintertreffen gelangen ließ. Erstens zog die Ausrichtung auf internationale Märkte nach sich, dass man mehr als andere gezwungen war, Anforderungen der Netzbetreiber im höchstmöglichen Ausmaß in der eigenen Technologieentwicklung zu berücksichtigen. In dieser Hinsicht kann AXE als verdinglichter exemplarischer Beleg dafür gewertet werden, wie der Stockholmer Konzern zu einer Lösung fand, in der sich die Zusammenarbeit mit dem einheimischen Netzbetreiber Televerket genauso bewähren sollte wie die durch die Internationalisierung bedingte Fähigkeit des Konzerns, auf unterschiedliche Anforderungen internationaler Märkte durch eine Diversifizierte Qualitätsproduktion flexibel zu reagieren. Dass das Unternehmen mit dem Aufkommen der Mobilfunktechnik so außergewöhnliche Erfolge feiern konnte, hatte seine Ursache in der firmen­ idiosynkratischen Festlegung auf das Agieren als Systemanbieter mit einem Produktspektrum, das sämtliche branchenspezifische Beschaffungsmarktprodukte einschloss. Nach einigen Akquisitionen konnte Ericsson den Betrei-



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bern ab 1982 integrierte Mobilfunksysteme mit allen Netzarchitekturabschnitten anbieten. Musste der Stockholmer Telekommunikationskonzern mit dem EIS-Projekt als dem ersten groß angelegten Versuch zur Integration von Daten- und Telekommunikation zunächst einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen, war beginnend mit der Verbreitung des digitalen Mobilfunkstandards GSM der Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Begünstigt durch nationale Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen in verschiedenen Ländern löste der Aufschwung der Mobilkommunikation eine globale Dynamik aus, von der Ericsson besonders profitierte, weil das Unternehmen in enger Zusammenarbeit mit anderen Ausrüstungsherstellern und Netzbetreibern Hard- und Software für alle nationalen und regionalen Standards sowie für alle Mobilfunkgenerationen anbieten konnte und dafür auch die Explosion der FuE-Aufwendungen trotz gleichzeitiger Verschlechterung der konjunkturellen Rahmenbedingungen in Kauf nahm. Ericsson ist insofern das Unternehmen, das weniger von Veränderungen auf Faktor- aber vor allem auf Gütermärkten am stärksten beeinflusst wurde. Auch die Herausforderung der IP-Technologie und der Datenkommunikation hat Ericsson nach einigen zwischenzeitlichen Schwierigkeiten mit Hilfe einiger Akquisitionen und einer Vielzahl von Kooperationsprojekten erfolgreich gemeistert. Erst die Umsatzeinbrüche bei den Endgeräten und die Unzulänglichkeiten nahmen dann den generellen Niedergang der new economy vorweg, als der Durchbruch für die dritte Generation der Mobilfunktechnik nicht wie erhofft eintrat und in dessen Gefolge auch Ericsson ab 2000 schwere Umsatzeinbrüche verzeichnen musste. Anders als im Falle SCAs und Sandviks war der Aufstieg Ericssons zu einem global player und die Innovations- und Wachstumsstrategie nahezu essentiell verknüpft mit der institutionellen Praxis des intercompany systems. Während in Schweden im Unterschied zu anderen Ländern weitestgehend darauf verzichtet wurde, Ericsson zu einem national champion auf der Basis festgelegter Beschaffungsquoten aufzubauen und Televerket nicht nur als Abnehmer, sondern sogar als Konkurrent auftrat, zeichnete sich die Beziehung durch einen ungewöhnlich hohen Grad gemeinsamer Systemtechnologieentwicklung aus. Dieses Zusammenwirken in Gestalt eines der für das schwedische Produktionsregime so typischen development pairs kann nicht nur ein gelungenes Beispiel für die Gleichzeitigkeit von Wettbewerb und Zusammenarbeit angeführt werden, wie sie sonst kaum in der Telekommunikationsindustrie vorzufinden war. Sie bot auch Gewähr dafür, dass Ericsson in hohem Ausmaß die Interessen und Anforderungen der Netzbetreiber berücksichtigte. Diese Zusammenarbeit sollte sich auch im Rahmen der GSM-Mobilfunkstandardfindung bewähren, als sich Ericsson gemeinsam mit Televerket und anderen nordischen Herstellern und Betreibern in technischen Detailfragen durchsetzen konnte. Solche Festlegungen können des-

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wegen anders als im Falle Sandviks und SCAs als Wettbewerbsvorteil bewertet werden, weil es in der Telekommunikationsindustrie von entscheidender Bedeutung war, die Wahl antizipatorischer Standards so zu beeinflussen, dass bereits getroffene Entscheidungen bei Technik, Patenten und Wachstumsstrategien sich nicht als falsch herausstellten. Sunk costs konnten dann vermieden werden, wenn es den Mitgliedern des Standardisierungsklubs gelang, sich mit ihren eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Ericsson konnte nicht nur in dieser Hinsicht Erfolge verzeichnen, sondern zusätzlich daraus Nutzen ziehen, dass sich das zunächst in Skandinavien erprobte exante Standardisierungsverfahren besser bewähren sollte als die angelsächsische Variante mit ihrer ex post-Vereinbarung über einen reinen Marktfindungsprozess. Aber auch in Nordamerika und Japan sollte Ericsson über die Zusammenarbeit mit Netzbetreibern erfolgreich sein. Die Standardisierungsprozeduren waren zweifellos das Kernstück des Branchensystems, aber Ericsson nutzt im zunehmenden Ausmaß die Möglichkeit der strategischen Koordination im internationalen Maßstab, um eigene Schwächen zu kompensieren. Das traf zunächst auf die durchgängige Zusammenarbeit in der eigenen Teileherstellung, aber auch auf die ab 1987 eingegangenen Marktsicherungsallianzen auf den verriegelten europäischen Kernmärkten und zur Erschließung des US-Marktes zu. Insbesondere angesichts der Probleme mit der IP-Technologie gab der Konzern seine angestammte stand alone-Strategie auf und engagierte sich in einer Vielzahl von Allianzen und zeitlich begrenzten Kooperationsprojekten zumeist unter Einschluss von Datenkommunikationsunternehmen im Rahmen von ad hocKonsortien. Darüber hinaus pflegte der Telekommunikationskonzern im weitaus stärkeren Ausmaß als die drei anderen Fallstudienunternehmen enge Beziehungen zu Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen im Inund Ausland, allein schon um im Zuge des außergewöhnlichen Wachstums die Rekrutierungsbasis für eigenes Personal sicherzustellen. Lässt sich sagen, dass sich die angestammten institutionellen schwedischen Arrangements mit ihrer Bevorzugung marktaverser Kooperationsformen zunächst im nationalen später auch im internationalen Rahmen nicht nur bewährten, sondern maßgeblich zum Unternehmenserfolg beitrugen, so waren es die industriellen Beziehungen, in denen sich ein partieller institutioneller Wandel vollzog und der nachhaltig durch die Transformation Ericssons in ein wissensbasiertes Hightech-Unternehmen gekennzeichnet war. In vielerlei Hinsicht unterschied sich die Praxis der Sozialpartnerschaft nicht von der in den anderen Fallstudienunternehmen, auch wenn es sicherlich übertrieben wäre, die Beziehungen zwischen Management und Gewerkschaften bei Ericsson als eine Allianz zu kennzeichnen. Rationalisierungskonzepte wurden von den Gewerkschaften genauso mitgetragen wie der



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systematische Rückbau der Produktion mit einem niedrigen Veredelungsgrad in den achtziger Jahren, allerdings immer in der Gewissheit, dass entweder die Übernahme von Beschäftigten in andere Einheiten oder sozialverträg­ liche Maßnahmen wie Vorzeitpensionierungen die Folgen für die Betroffenen abmilderten. Auch die internationale Expansion des Konzerns und damit mögliche Produktionsverlagerungen ins Ausland wurden als unproblematisch aufgefasst. Ohnehin hatte der expansive Wachstumspfad in den neunziger Jahren zur Folge, das pari passu in Schweden und im Ausland Arbeitsplätze geschaffen wurden, was die Möglichkeiten eines concession bargain­ing grundlegend einschränkte. Gravierender waren jedoch die Konsequenzen, die sich aus dem ab Beginn der neunziger Jahre forcierten Rückzug aus der Produktion ergaben. Da die entscheidende Stärke des Konzerns im Zuge des technischen Wandels immer mehr in der Konstruktion von Software-gestützten Systemen gesehen wurde, erschien es dem Management als überflüssig, an einer eigenen Hardware-Produktion festzuhalten. Ab Mitte der neunziger Jahre orientierte sich die Beschaffungspolitik dann an den Prämissen einer geringeren Kapitalbindung und der Kostensenkung durch verbilligte, nun Konzern extern gefertigte Komponenten, um die Fertigungstiefe durch die Auslagerung niedrig veredelter Wertschöpfungssequenzen zu verringern. Neu identifizierte Premiumzulieferer bauten allerdings keine eigene Produktion in der räumlichen Nähe der Standorte Ericssons auf. Vollzog sich anderswo die Neustrukturierung der Zuliefererbeziehungen als eine Vertiefung wechselseitiger Abhängigkeiten, so dominierte im Falle Ericssons vorrangig das Kostenmoment, da es keine Notwendigkeit zu einer Verknüpfung konzentrierter Kernstandorte mit räumlich nahe gelegenen Zuliefererparks gab. Da die Teilehersteller über ein großes inter­ nationales Produktionsnetzwerk verfügten, mussten vormalige Arbeitnehmer Ericssons in den betroffenen Produktionsabschnitten mit einem Stellenabbau rechnen, falls die in Schweden befindliche Fertigung geschlossen oder in Länder mit komparativ vorteilhafterer Faktorausstattung überführt wurden. Die damit verbundene Problematik des Stellenabbaus hat dann in den neunziger Jahren die Beziehungen zwischen Metallgewerkschaft und Konzernleitung im wachsenden Ausmaß belastet, weil das Management ganz entgegen der Tradition des schwedischen Mikrokorporatismus darauf verzichtete, sich in dieser Frage mit den Arbeitnehmervertretern abzustimmen. Auch in anderen Fragen wie der Einführung des konzernweiten Bonuslohnsystems, der Dezentralisierung und Flexibilisierung der Lohnfindung oder der Einführung eines Gewinnbeteiligungssystems sind die Spannungen nicht zu übersehen, selbst wenn insgesamt fraglich ist, ob das Management wirklich eine dezidierte Abkehr von der betrieblichen Sozialintegration verfolgte und nicht vielmehr das etwas erratische Gebaren der Unternehmensseite gelegentliche Verstimmungen und Konflikte auslöste.

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Der Stabilität im intercompany system und den relativen Veränderungen im Feld der industriellen Beziehungen steht ein signifikanter institutioneller Pfadwechsel im Corporate Governance-System gegenüber, der aber nicht isoliert von Veränderungen in der Unternehmensfinanzierung gesehen werden kann. Was Ericsson hinsichtlich der Unternehmensfinanzierung von den anderen Fallstudienunternehmen unterschied, war nicht nur das prinzipielle Vertrauen auf Aktienmärkte als Finanzierungsinstrument, sondern auch die Emissionsvolumina. Dass das Unternehmen einen so umfassenden Gebrauch von Aktienmärkten machte, lässt sich auf zwei wesentliche Gründe zurückführen: Erstens waren die Volumina der Kapitalerhöhungen deswegen so groß, weil das Unternehmen eine beispiellose Expansion finanzieren musste, für die die Kreditkapazitäten der Hausbanken SEB und Svenska Handelsbanken, aber auch anderer Finanzintermediäre bei weitem nicht ausgereicht hätten. Zweitens waren die Ertragsphasen der einzelnen technischen Großprojekte nicht immer ausreichend, um eine stabile finanzielle Basis für das nächste Projekt zu bilden. Diese Implikationen der Mittelbeschaffung hatte zwei weit reichende Konsequenzen, die sich auch auf die Unternehmenskontrollstrukturen auswirkten: Die umfangreichen Emissionen begleitet von einer Reihe umsatzfördernder Maßnahmen stießen auf schwedischen aber auch internationalen Kapitalmärkten auf einen regen Widerhall, so dass Ericsson hinsichtlich des Börsenwerts schon bald die Liste schwedischer Aktiengesellschaften anführen sollte. Offensichtlich haben sich die Anleger bei ihren Entscheidungen für den Beteiligungserwerb weniger durch die Rentabilitätsperformanz leiten lassen, sondern durch den internationalen Bekanntheitsgrad und die Branchenzugehörigkeit. Vor allem die überproportionale Attraktivität Ericssons bei Kapitalanlegern aus den USA indiziert, dass die Zugehörigkeit zu der mit vielen Hoffnungen begleiteten Wachstumsbranche der new economy ausschlaggebend war und weniger die Dividenden- und Ertragsentwicklung. So hat die Börsenkapitalisierung in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre im Verhältnis zur Geschäftstätigkeit und erwirtschafteten Überschüssen überproportional zugenommen, obwohl der Stockholmer Telekommunikationskonzern nicht gerade als Vorreiter einer radikal finanzmarktorientierten Unternehmenspolitik eingestuft werden kann. Ganz im Gegenteil wirkte trotz der Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Kapitalmärkten Ericsson lange wie ein nahezu typisches Beispiel für ein insiderorientiertes, kapitalmarktabgewandtes Unternehmen, das sich eher zögerlich dazu durchrang, Transparenz erhöhende Instrumente wie die Ausweisung der Gewinnentwicklung nach Geschäftsbereichen oder Gewinnzielvorgaben einzusetzen, obwohl solche Maßnahmen möglicherweise positiv auf die extreme Volatilität des Börsenkurses eingewirkt hätten. Dass den Bedürfnissen der Kapitalmarktteilnehmer lange nur ein untergeordneter Stellenwert zuerkannt wurde, hatte wohl maßgeblich mit den



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eigenen Unternehmenskontrollstrukturen zu tun. Ericsson war nicht nur eines der wenigen schwedischen Unternehmen, in dem A-Aktien im Verhältnis zu den B-Aktien noch im Verhältnis von 1:1000 gewertet wurden. Das bedeutete, dass mit einem geringen Eigenkapitalanteil durch das Übergewicht in den Stimmrechtsaktien letztlich alle Entscheidungen durch die Wallenberg-Sphäre und Svenska Handelsbanken getroffen wurden, die beide mit rund acht v. H. der Kapitaleinlage 80 v. H. der Stimmrechte kontrollierten. Konsequenterweise blieb der Vorstand ihren Repräsentanten vorbehalten, was aber nicht zum Schaden des Unternehmens sein sollte, da diese sich der klassischen Agenda der ‚aktiven Eigentümerschaft‘ verpflichtet fühlten. Mehr noch als in den anderen drei Unternehmen muss dieser Begriff als Synonym für die Bereitschaft verstanden werden, nicht nur auch in Krisenzeiten die Kapitaleinlage aufrecht zuerhalten, sondern auch dem Management die Unterstützung für einen langfristig angelegten Wachstumspfad zuzusichern. Das war im Falle Ericssons durchaus angebracht, denn die Transformation in ein Hochtechnologieunternehmen war von Fehlschlägen und unwägbaren Risiken begleitet. Grundsätzlich war der Konzern auf den Erfolg einzelner technologischer Großprojekte angewiesen, die beachtliche sunk costs nach sich ziehen konnten. Zweitens mussten sich die Kapitalgeber mit ihren Gewinnerwartungen lange in Geduld üben. SHB und Wallenberg-Sphäre waren folglich bereit, einen ketchup bottle-Effekt in der Gewinnentwicklung zu tolerieren, der sich in einer deutlich langsameren Amortisation der Investitionskosten und einer ausgeprägte Fluktuation in der Rentabilitätsentwicklung bemerkbar machte. Insofern existierte wie bei SCA über das Erfordernis eines patient capitalism eine essentielle Verbindung zwischen Innovations- und Wachstumsstrategie und der Unternehmenskontrolle, da die beiden strategischen Großaktionäre dem Management die Unterstützung für einen langfristig angelegten Wachstumspfad zusicherten. Ähnlich wie im Falle des Forstwirtschaftsunternehmens wurde der institutionelle Wandel in diesem Feld durch einheimische institutionelle Anleger ausgelöst. Entgegen gängiger Annahmen betätigten sich vor allem die großen US-Aktionäre nicht als Triebkraft institutioneller Veränderungen, sondern stützten bis 1999 den Kurs der Unternehmensleitung. Hingegen drang die Gruppe der alteingesessenen schwedischen institutionellen Investoren immer deutlicher auf Veränderungen in den Corporate GovernanceStrukturen, die sich zunächst auf die Forderung nach einer Repräsentation im Vorstand beschränkte. Obwohl die beiden großen Sphären sich in dieser Frage zunehmend konziliant zeigten, blieb ihnen jedoch aufgrund ihrer Kontrollpakete die letztendliche Entscheidungsfindung vorbehalten. Der Abschwung gegen Ende des Jahrzehnts wurde jedoch als Notwendigkeit, aber auch als Chance gedeutet, die Hegemonie der beiden Sphären zu bre-

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chen, was nur über den Weg der Veränderung der Relation in den A- und B-Aktien geschehen konnte. Ähnlich wie bei SCA lassen sich jedoch die Veränderungen nicht ohne die Umbrüche auf der Ebene der Großaktionäre selbst verstehen. Anders als die Wallenberg-Sphäre mit ihren robusten Eigentümerstrukturen tat sich Svenska Handelsbanken angesichts des wachsenden Einflusses anderer Kapitalgeber bei Industrivärden und der starken Konzentration eigener Beteiligungen sichtlich schwerer damit, die Kontrolle über eine hoch bewertete Kernbeteiligung aus der Hand zu geben. Der wahrscheinlich ausschlaggebende Grund, warum sich beide Sphären letztendlich doch auf eine Veränderung der Stimmrechtsrelationen einließen, war jedoch die für 2002 avisierte Großemission. Eine mögliche Stabilisierung des im Gefolge des Platzens der dotcom-bubble abstürzenden Aktienkurse wäre nur durch massive Stützungskäufe möglich gewesen, was sowohl Svenska Handelsbanken als auch der Wallenberg-Sphäre infolge einer zu kleinen Liquiditätsdecke verwehrt war. Um den Erwerb von Wertpapieren weiterhin attraktiv zu halten und den angedrohten Boykott der institutionellen Investoren abzuwenden, mussten Konzernleitung und Eigentümer die Kontrollinteressen möglicher neuer shareholder im größeren Ausmaß als zuvor berücksichtigen, so dass die beiden Sphären schließlich einwilligten, die Stimmrechtsrelationen von 1:1000 auf 1:10 zu verringern. Die Auflösung des trade-offs zwischen Unternehmenskontrolle und Unternehmensfinanzierung in Gestalt der zur Weiterverfolgung der Innovations- und Wachstumsstrategie notwendige Mittelbeschaffung einerseits und dem Wunsch nach verstärkter Partizipation neuer Kapitalgeber anderseits war letzten Endes nur um der Preis der Aufgabe angestammter Kontrollinstrumente möglich. Ericsson kann insofern als das Unternehmen eingeschätzt werden, in dem die von der VOC-Theorie angenommene Effizienzsteigerung durch das Zusammenspiel von Institutionen genauso zutrifft wie der Rückkoppelungseffekt. Wenn Sandvik hinsichtlich dessen an einem Ende einer Skala verantwortet werden kann, so trifft auf Ericsson das genaue Gegenteil zu: Der Erfolg der Wachstums- und Innovationsstrategie war mit dem Erfolg innerhalb des Branchensystems in Gestalt der Zusammenarbeit mit Televerket und später auch anderen Ausrüstungsherstellern sowie der Durchsetzung in Standardisierungsprozessen verknüpft. Anders als bei den anderen drei Fallstudienunternehmen lässt sich auch ein Zusammenhang herstellen zwischen der sukzessiven Transformation des Konzerns in ein Hightech-Unternehmen, der Veränderung in den Zuliefererbeziehungen und den zunehmend konfliktiveren industriellen Beziehungen infolge des Outsourcings der Produktion. Zusätzlich kann im Falle Ericssons gezeigt werden, dass der Aspekt der Unternehmensfinanzierung nicht losgelöst von der Innovations- und Wachstumsstrategie betrachtet werden kann: Die konstant steigenden FuE-Auf-



V. Plus ça change …? Das ‚Modell Schweden‘ im Wandel487

wendungen und die lange Amortisationsdauer einzelner technologischer Großprojekte machten es erforderlich, sich des Aktienmarktes im deutlich stärkeren Ausmaß zu bedienen, als dies andere schwedische Großunternehmen taten. Der Wandel im institutionellen Feld der Unternehmenskontrollstrukturen ist aber wiederum nur im Zusammenhang mit den Notwendigkeiten der Unternehmensfinanzierung zu verstehen:

Unternehmenskontrolle

Unternehmensfinanzierung

Innovations- und Wachstumsstrategie

Industrielle Beziehungen

Branchensystem

Abbildung 11: Regelinterdependenzen der institutionellen Arrangements im Falle Ericssons

Fasst man die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit abschließend zusammen, dann bestätigen sie einerseits die Befunde anderer Forschungen, dass die koordinierten Marktökonomien sich trotz einer intensivierten Globalisierungsdynamik als weitgehend resistent gegenüber einem grundlegenden Wandlungsdruck präsentieren.10 In einer langfristigen wirtschaftshistorischen Perspektive ist die Erkenntnis nicht neu, dass radikale Institutionenwechsel die Ausnahme und nicht die Regel darstellen und nur an wenigen Wendepunkten der Geschichte nationaler Ökonomien auftreten. In diesem Sinne stellt sich also die Herausforderung, die Veränderungen in Gestalt von Graustufen zwischen den idealtypisierten Extremen marktlicher und hierarchischer Steuerungsformen herauszuarbeiten.11 Die Fallstudien bieten in diesem Zusammenhang Gewähr für die Hypothese, dass insbesondere auf Unternehmensebene Wandlungstendenzen nur ungenau erfasst werden, solange die institutionellen Strukturkonstellationen inhärenten restriktiven und fazilitativen Faktoren nicht identifiziert werden, die die Bandbreiten von Entwicklungen und dadurch entstehende oder sich verengende Handlungs10  Lütz, S., Governance in der politischen Ökonomie, MPIfG Discussion Paper 3 / 2003, Köln 2003. 11  Jackson / Höpner, System.

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korridore von Wirtschaftssubjekten abstecken. Erklärungen institutionellen Wandels bleiben folglich immer lückenhaft, wenn sie die Bedingungskombinationen oder Kontextstrukturen für die jeweils zu erklärenden Ereignisse nicht spezifizieren.12 So hat die Globalisierungsdynamik nur in einem sehr begrenzten Ausmaß eine transformationsfördernde Wirkung entfalten können, da schwedische multinationale Unternehmen hauptsächlich durch Unternehmenserwerbungen wuchsen und den übergroßen Anteil ihrer Aktivitäten nach wie vor in ihrem Heimatland ausführen.13 Auch andere Erklärungsversuche wie Veränderungen in politischen Rahmensetzungen oder andere exogene Faktoren wie der technologische Wandel greifen insgesamt zu kurz, obwohl die Deregulierung der Finanzmärkte eine wichtige Voraussetzung für den Zufluss ausländischen Kapitals darstellte und das Aufkommen der Mobilfunktechnik für Ericsson neue Perspektiven eröffnete.14 Das Gewicht der unternehmensspezifischen Innovations- und Wachstumspfade und ihre Auswirkungen auf die Regelinterdependenzen im Zusammenhang institutioneller Veränderungen lässt den Schluss zu, dass nicht nur koordinierte Marktwirtschaften immer stärker zu ‚institutionellen Hybriden‘ mutieren, die in ihrer Gesamtkonfiguration Elemente liberaler Ökonomien einschließen, sondern dass Unternehmen im unterschiedlichen Ausmaß dazu gezwungen sind, auf Veränderungen zu reagieren oder sie offensiv im eigenen Sinne zu nutzen. Das muss nicht zur Herausbildung von ‚Modellen innerhalb von Modellen‘ führen, wie es neuere Ansätze suggerieren, sondern zunächst einmal zu einer ausgeweiteten institutionellen Vielfalt auf Unternehmensebene.15 Dieses patchwork impliziert aber keineswegs eine Geschichtsteleologie im Sinne einer zwangsläufigen Anpassung des schwedischen Produktionsregimes an angelsächsische Verhältnisse. Die institutionellen settings immanenten komplexen Abhängigkeiten und Kohärenzanforderungen erfordern Passgenauigkeiten, die sich in der Regel über teilweise langwierige Anpassungsbewegungen herausbilden, die auch eventuell in der größten skandinavischen Volkswirtschaft erst noch anstehen könnten. In diesem Sinne ist die Zukunft des ‚Modells Schweden‘ noch offen. 12  Scharpf, F., Interaktionsformen: Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000. 13  Vgl. zu den Internationalisierungsstrategien der schwedischen multinationalen Unternehmen und ihren Auswirkungen die Analyse des Institutet för Tillväxtpolitiska Studier (ITPS), Näringslivets internationalisering: Effekter på sysselsättning, produktivitet och FoU, Stockholm 2004, S. 7 f. 14  Vgl. zu solchen Kontextvariablen Kitschelt, H. et al., Convergence and Divergence in Advanced Capitalist Democracies, in: Ders., Continuity, S. 450 f. 15  Vgl. zur Annahme der Modelle innerhalb von Modellen Deeg, R. / Jackson, G., Towards a More Dynamic Theory of Capitalist Variety, in: Socio-Economic Review, Vol. 5, Nr. 1 (2007), S. 149–179.

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Quellenverzeichnis Da die Datenbank Affärsdata dem Autor erst nach einigen Monaten zur Verfügung stand, werden bei den in der Königlichen Bibliothek ausgewerteten Presseartikeln die Nummer der Veröffentlichung im Publikationsjahr und die Seitenzahlen angegeben. Bei den mit Hilfe der Datenbank ausgewerteten Artikeln sind dazu keine Angaben erhältlich, so dass der bei Zeitungen gebräuchliche Tag der Veröffentlichung angegeben wird.

1. Ericsson a) Interviews 1. Interview mit Bernt Ericson, Stockholm, 29. Mai 2008 2. Interview mit Bert Olving, Göteborg, 5. Juni 2007 3. Interview mit Göran Engström, Göteborg, 4. September 2007 4. Interview mit Jan Hedlund, Kista, 26. Juni 2007 5. Interview mit Jan Uddenfeldt, Kista, 28. Mai 2008 6. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 13. Juni 2007 7. Interview mit Johan Siberg, Stockholm, 30. August 2007 8. Interview mit Lennart Grabe, Stockholm, 3. Juli 2007 9. Telefoninterview mit Carl Wilhelm Ros, 20. Juni 2007

b) Archivmaterialien 1. KONTAKTEN, Jahrgänge 1980–2000 2. Archiv der Verkstadsklubbarnas samorganisation, Schwedisches Archiv der Arbeiterbewegung, ARAB Nr. 4695

c) Presseartikel 1. 19 miljarder D-mark i kassan: Siemens sugen på Ericsson, in: Dagens Industri, 3. Dezember 1991 2. „1999 inget skördeår för Ericsson“, in: Dagens Industri, 24. März 1999 3. 5000 jobb måste bort, in: Veckans Affärer, Nr. 39 (1997), S. 13–16

506 Quellenverzeichnis   4. Aachen knutpunkt för Ericsson i EG, in: Veckans Affärer, 30. Mai 1990   5. „Ägarmissen“ i Ericsson, in: Dagens Industri, 13. November 1999   6. Åke Johanssons Mobitex erövrar världen efter 20 års utveckling, in: Elektroniktidningen, Nr. 6 (1995), S. 19   7. Aktieras när Ericsson missade USA-order, in: Dagens Nyheter, 1. August 1995   8. Alla räknar med att öka sina GSM-andelar, in: Elektroniktidningen, Nr. 12 (1992), S. 22–24   9. Amerikaner köper upp Ericsson, in: Dagens Industri, 25. November 1984 10. Amerikansk allians gynnar Ericsson, in: Finanstidningen, 5. August 1997 11. Amerikansk fondjätte säljer alla sina aktier i Ericsson och Nokia, in: Dagens Industri, 21. Mai 1996 12. Amerikansk storägare sålde Ericsson i tid, in: Dagens Industri, 23. Oktober 2000 13. Amerikanska Fidelity störst ägare i Ericsson, in: Dagens Industri, 1. Dezember 1994 14. Än mer trådlöst för Ericsson, in: Dagens Industri, 5. Dezember 2000 15. Anders Igel, VD i Ericsson Infokom: Datakom framtiden, in: Veckans Affärer, 8. Dezember 1997 16. Ändrad rösträtt bra för kursen: Ericssonaktiernas olika röstvärde kan vara på väg att omprövas, in: Dagens Nyheter, 7. November 1999 17. Arbetsmarknad: Kartell håller nere ingenjörlönerna, in: Dagens Nyheter, 21. Juli 1999 18. Arkivator ett fynd, in: Veckans Affärer, 23. November 1998 19. ATM sparar miljarder, in: Elektroniktidningen, Nr. 6 (1998), S. 23 20. „ATM-miljarderna är väl investerade lärpengar“, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (1996), S. 40 21. ATM-växlar ödesfråga för Ericsson, in: Elektroniktidningen, Nr. 7 (1993), S. 4 22. Avhoppare från Ericsson utvecklar program för säkrare e-post, in: Ny Teknik, Nr. 24 (2000), S. 23 23. Bankirernas återkomst, in: Affärsvärlden, Nr. 46 (2000), S. 32 24. Barnevik lever inte som han lär, in: Dagens Nyheter, 30. Januar 1998 25. Bättre information, Ericsson, in: Veckans Affärer, 21. November 1994 26. Berg tar över Ericssons don, in: Elektroniktidningen, Nr. 12 (1996), S. 4 27. Bilbyggare lär Ericsson lägga ut tillverkningen, in: Ny Teknik, Nr. 22 (1997), S. 14–15 28. Bilindustrin hägrande kund för Ericsson, in: Elektroniktidningen, Nr. 8 (2000), S. 9

Quellenverzeichnis507 29. Biljonbolaget Ericsson, in: Affärsvärlden, 8. Dezember 1999 30. Björn Svedberg, VD Ericsson: „Inte skraj för Japan“, in: Dagens Industri, 12. Juli 1984 31. Blekinge drabbas: Ericsson lägger ner telefontillverkning, in: Dagens Industri, 2. November 1988 32. Bolag angrips för lönekartell: Verkstadsjätterger nya ingenjörer samma villkor, in: Dagens Nyheter, 18. August 1995 33. Bolagsstyrelser: Utlänningar hålls utanför, in: Dagens Nyheter, 4. Dezember 1997 34. Börsoro skapar tystnad. SEB och Ericsson stryper information av rädsla för att aktieägarna ska fly, in: Dagens Nyheter, 22. September 1998 35. Börsrekord för Ericsson: Aktien steg kraftigt efter oväntat bra delårsrapport, in: Dagens Nyheter, 23. Oktober 1999 36. Börsvärdet föll med 75 miljarder kronor, in: Dagens Industri, 11. November 1998 37. Börsvärdet steg med 100 mdr efter alliansen, in: Dagens Industri, 12. September 1999 38. Brasilianskt mobilbeslut kostar Ericsson 625 Mkr, in: Dagens Industri, 21. Juli 2000 39. Bredband: Global standard etableras, in: Dagens Nyheter, 15. September 1999 40. BT sparar stora pengar med Ericssons nya ATM-nät, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (1999), S. 9 41. Cisco flirtar med Ericsson, in: Dagens Industri, 1. Februar 1999 42. Cisco hoppas på Ericsson, in: Dagens Industri, 27. November 1999 43. Cisco öppnar för framtida samarbete: VD-n ser nya möjligheter sedan den svenska telejätten bytt ledning, in: Dagens Nyheter, 5. Februar 1999 44. Därför är Ericssons rapport viktigare än riksdagsdebatt, in: Dagens Industri, 29. April 2000 45. Daten vom CF, in: Veckans Affärer, 20. Juli 1999 46. De baxade Ericsson mot toppen, in: Ny Teknik, Nr. 45 (1994), S. 26–29 47. De tio högst värderade företagen på stockholmsbörsen in: Dagens Industri, 7. September 1982 48. Den kära nallen, in: Affärsvärlden, Nr. 33 (2000), S. 54–58 49. Den lojale direktören från vindeln, in: Veckans Affärer, Nr. 34 (1999), S. 21 50. „Det är ett klokt förslag att sälja av mobilerna“, in: Dagens Industri, 21. Oktober 2000 51. Det klassiska felet, in: Dagens Industri, 24. Oktober 2000 52. Det ska gå som en dans i öst, in: Dagens Industri, 9. August 1996

508 Quellenverzeichnis 53. Doktorander skräddarsys för Ericsson och Telia, in: Dagens Industri, 3. Mai 1997 54. Efter telefonnedläggningen Ericsson lovar rationaliseringar inom alla verksamheter, in: Dagens Industri, 3. November 1988 55. EG bygger mur mot Ericsson och Nokia, in: Dagens Industri, 8. November 1989 56. Egen tillverkning ges upp, in: Finanstidningen, 22. Juli 2000 57. Elektronik på offensiven: Försvarets nedskärningar drabbar inte Ericsson Microwave, in: Dagens Nyheter, 15. April 1995 58. En aktie – en röst kräver fondjättar, in: Dagens Industri, 4. April 2000 59. En uppstickare värd att minnas: Första eller andra plats, annars får det vara för Cisco, in: Veckans Affärer, Nr. 47 (1997), S. 52–56 60. Enkretsfunk för framtidens mobiltelefon får Nutekmiljioner, in: Elektroniktidningen 1994, Nr. 2 (1994), S. 21 61. Ericsson ägare höjer rösten, in: Finanstidningen, 21. Dezember 2000 62. Ericsson är på rätt väg: Finansiering problemet i ny tillväxtperiod, in: Affärsvärlden, Nr. 49 (1988), S. 48–54 63. Ericsson avgör, in: Affärsvärlden, 18. Oktober 2000 64. Ericsson bättre än väntat-men trögt vända EIS, in: Veckans Affärer, 4. September 1986 65. Ericsson behöver en hjälpande hand, in: Affärsvärlden, Nr. 43 (2000), S. 6 66. Ericsson behöver nya styrelsenamn, in: Dagens Industri, 1. November 1999 67. Ericsson börsfavorit igen: Världsbäst på mobil- och persontelefoner, in: Affärsvärlden, Nr. 17 (1990), S. 70–75 68. Ericsson bryter avtal med Telia, in: 30. November 1994 69. Ericsson bygger nytt FoU-centrum i Kina, in: Dagens Industri, 10. April 1997 70. Ericsson byter fot, in: Affärsvärlden, 13. Dezember 1995 71. Ericsson digital-pionjärer i Asien, in: Dagens Industri, 21. Oktober 1992 72. Ericsson donerar till forskning i USA, in: Dagens Industri, 12. Dezember 2000 73. Ericsson drar tillbaka kritiserad lönebonus, in: LO-Tidningen, 5. Februar 1999 74. Ericsson dumpar GSM-pris, in: Dagens Industri, 8. Juni 1993 75. Ericsson får Sverigeorder, in: Dagens Industri, 1. November 1990 76. Ericsson fick nog: Byter leverantör efter miljardbranden i USA, in: Dagens Industri, 12. August 2000 77. Ericsson flyttar ut, in: Veckans Affärer, Nr. 38 (1997), S. 18–19 78. Ericsson fördubblar investeringar i Kina, in: Dagens Industri, 9. Dezember 2000

Quellenverzeichnis509   79. Ericsson fortsätter imponera, in: Finanstidningen, 18. August 1995   80. Ericsson fortsätter sälja ut, in: Dagens Industri, 27. März 1999   81. „Ericsson gör allt – än så länge …“, in: Veckans Affärer, 21. Oktober 1992   82. Ericsson gör klipp på Juniperförsäljning, in: Dagens Industri, 7. Dezember 2000   83. Ericsson gör upp i patentstrid i USA, in: Dagens Industri, 23. Februar 1999   84. Ericsson håller undan: Pressen på Ericssons aktiekurs är omotiverad, in: Veckans Affärer, 22. April 1996   85. Ericsson halverar vid PC-fabriken i Bräkne-Hoby, in: Veckans Affärer, 15. August 1985   86. Ericsson håvar in framtiden, in: Ny Teknik, Nr. 45 (1994), S. 24–25   87. Ericsson het aktie bland amerikanska småsparare, in: Dagens Industri, 10. August 1999   88. Ericsson i konsortium för „europeisk skrivmaskin“, in: Veckans Affärer, 15. Mai 1986   89. Ericsson i Malaysia försöker slänga ut facket, in: LO-Tidningen, 22. September 2000   90. Ericsson i samarbete om säker e-betalning, in: Dagens Industri, 12. April 2000   91. Ericsson in i Japan, in: Dagens Industri, 18. Mai 1990   92. Ericsson in i USA med rekordemission – avstår från Sverige, in: Veckans Affärer, 17. Februar 1983   93. Ericsson Infokom skär ned nästa år, in: Dagens Industri, 4. Dezember 1997   94. Ericsson Infokom: den hotande revolutionen, in: Affärsvärlden, Nr. 41 (1997), S. 50–55   95. Ericsson inför stor omställning: Bromsar och satsar men tappar tempo, in: Affärsvärlden, Nr. 6 (1985), S. 15–20   96. Ericsson Information byter både marknad och kunskapsområde: Sveriges största satsning, in: Affärsvärlden, Nr. 4 (1982), S. 14–19   97. Ericsson inleder samarbete med Intel, in: Dagens Industri, 30. März 1993   98. „Ericsson kan inte betala med aktier“, in: Dagens Industri, 1. April 1999   99. „Ericsson kan vara uppköpt om ett år“, in: Dagens Industri, 2. September 1999 100. Ericsson kompromissar, in: Dagens Industri, 10. Dezember 1998 101. Ericsson kritiseras för luddig policy, in: Dagens Industri, 6. Oktober 2000 102. Ericsson lägger ned miljarder på bredbandsprojekt, in: Dagens Industri, 4. Juni 1993

510 Quellenverzeichnis 103. Ericsson lägger ut billiga mobiler i Taiwan, in: Elektroniktidningen, Nr. 13 (2000), S. 20 104. Ericsson lanserar multimedia, in: Dagens Nyheter, 11. Februar 1995 105. Ericsson leder 3G-kampen, in: Dagens Industri, 16. Dezember 2000 106. Ericsson ligger först i spåret, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (2000), S. 24 107. Ericsson lyfte resultatet, in: Dagens Nyheter, 11. Februar 1998 108. Ericsson lyfter Dynarc, in: Elektroniktidningen, Nr. 10 (1999), S. 6 109. Ericsson måste byta namn på Hot Line in: Dagens Industri, 2. Juni 1993 110. Ericsson måste jaga över hela världen, in: Dagens Industri, 20. Juli 2000 111. „Ericsson måste tjänar en ytterligare miljard“, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1996), S. 48–50 112. Ericsson mest omsatt på Nasdaq, in: Dagens Industri, 14. März 1995 113. Ericsson Microwave flyttar forskning utomlands, in: Dagens Industri, 23. April 1998 114. Ericsson miljardsatsar för täten i tillväxtbransch, in: Affärsvärlden, Nr. 10 (1987), S. 17–26 115. Ericsson närmar sig Astras börsvärde, in: Dagens Industri, 16. Juli 1993 116. Ericsson och Bay Networks i ökat samarbete, in: Dagens Industri, 17. März 1998 117. Ericsson och Microsoft startklara i nya bolaget, in: Dagens Industri, 12. September 2000 118. Ericsson och Motorola i avtal om GSM-teknik, in: Elektroniktidningen, Nr. 6 (1992), S. 5 119. Ericsson och Philips i mobiltelesamarbete, in: Dagens Industri, 20. April 1991 120. Ericsson och Siemens i samarbete om mobiltelefoner, in: Dagens Industri, 20. Januar 1987 121. Ericsson ökar produktion i Brasilien, in: in: Dagens Industri, 11. Mai 2000 122. Ericsson omorganiserar efter EIS-floppen, in: Veckans Affärer, 29. August 1985 123. Ericsson omorganiserar koncernen, in: Veckans Affärer, 18. April 1985 124. Ericsson över drömgräns, in: Dagens Industri, 26. Juni 1997 125. Ericsson över prognos höjer ribban, in: Dagens Industri, 20. Februar 1989 126. Ericsson på efterkälken, in: Dagens Nyheter, 18. September 1998 127. Ericsson patentklättrar, in: Dagens Industri, 10. Oktober 1994 128. Ericsson pressar priser på dussinkonsulterna, in: Dagens Industri, 7. Juli 1999

Quellenverzeichnis511 129. Ericsson räknar med högre vinster på sikt: Framtidstro och optimism hos ledningen, trots den osäkra världsekonomin, in: Dagens Nyheter, 29. Oktober 1998 130. Ericsson retirerar, in: Dagens Industri, 1. September 1995 131. Ericsson säljer fastigheter för 10 miljarder, in: Dagens Industri, 31. August 1999 132. Ericsson säljer halva Juniperinnehavet, in: Finanstidningen, 7. Dezember 2000 133. Ericsson samarbetar med IBM-bolag, in: Dagens Industri, 14. Dezember 2000 134. Ericsson satsade och vände, in: Dagens Nyheter, 25. Januar 1993 135. Ericsson satsar 600 Mkr i Kista, in: Veckans Affärer, 16. Januar 1991 136. Ericsson satsar på Internet, in: Dagens Nyheter, 15. April 1998 137. Ericsson satsar på trådlösa kontor, in: Affärsvärlden, 7. Oktober 1992 138. Ericsson satsar på USAs persondatormarknad, in: Dagens Industri, 17. April 1984 139. Ericsson sätter svenskt rekord i lönsamhet: Mobiltelefoner drog upp resultatet under 1997 med hela 70 v. H., in: Dagens Nyheter, 30. Januar 1998 140. „Ericsson ser oss som andra klassens människor“, in: LO-Tidningen, 29. Januar 1999 141. Ericsson siktar på Japan med AXE, in: Dagens Industri, 7. August 1990 142. Ericsson skapar miljonärer: Tiotusentals nya förmögenheter, in: Dagens Nyheter, 11. März 2000 143. Ericsson slår Japan, in: Dagens Industri, 24. September 1984 144. Ericsson spränger 100-miljardersvall, in: Dagens Industri, 15. Oktober 1993 145. Ericsson städar, in: Dagens Industri, 21. Januar 1988 146. Ericsson stänger ytterligare en fabrik, in: Veckans Affärer, 10. November 1988 147. Ericsson står starkt även i konjunktursvacka, in: Veckans Affärer, 23. November 1989 148. Ericsson startar jakten på de amerikanska telejättarna, in: Veckans Affärer, 17. März 1983 149. Ericsson startar samarbetsbolag, in: Dagens Nyheter, 20. Juni 1997 150. Ericsson steget före i Italien, in: Dagens Industri, 26. Januar 1986 151. Ericsson störst i Europa – har redan 60 procent av GSM-marknaden, in: Dagens Industri, 27. Oktober 1992 152. Ericsson störst i USA efter ny miljardorder, in: Dagens Industri, 4. Oktober 1990

512 Quellenverzeichnis 153. Ericsson tänker om – knoppar av bolag med personal som delägare, in: Dagens Industri, 15. November 1999 154. Ericsson tappar tråden, in: Affärsvärlden, Nr. 49 (1995), S. 50–55 155. Ericsson till offensiv i patentstrid, in: Dagens Nyheter, 22. September 1998 156. Ericsson toppar på börsen, in: Dagens Nyheter, 13. Februar 1983 157. Ericsson trea i världen, in: Dagens Industri, 9. Februar 2000 158. Ericsson utlovar bonuslön, in: LO-Tidningen, Nr. 31 (1998), S. 5 159. Ericsson utmanar Cisco, in: Finanstidningen, 1. September 1997 160. Ericsson utvecklar nät för global telefon, in: Dagens Industri, 20. November 1993 161. Ericsson väger för tungt i Industrivärden, in: Dagens Industri, 4. September 1999 162. Ericsson väljer Texas DSP för 3G, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (2000), S. 6 163. Ericsson vill klara sig själv, in: Dagens Nyheter, 14. November 1994 164. Ericsson vill sälja i Argentina för att få fördel i Spanien, in: Dagens Industri, 3. Juni 1993 165. Ericsson vinstvarnar, in: Dagens Industri, 22. Juli 2000 166. Ericsson, in: Veckans Affärer, 20. März 2000 167. Ericsson: „Timing“ viktigt, in: Dagens Industri, 23. August 1989 168. Ericsson: Hård kritik mot gubbväldet, in: Veckans Affärer, 14. April 1998 169. Ericssonägda Rifa arbetar med 1990-talets kretsar, in: Dagens Industri, 18. Juni 1984 170.  Ericsson-framgång i Japan, in: Dagens Industri, 20. September 1991 171. Ericsson-Microsoft i allians, in: Dagens Industri, 7. Juni 1995 172. Ericssons ägare backar om rösträtt, in: Dagens Industri, 5. Juni 2002 173. ‚Ericssons arvoden saknar sans‘, in: LO-Tidningen, 3. April 1998 174. Ericssons ATM ett år efter AT&T, in: Elektroniktidningen, Nr. 18 (1993), S. 4 175. Ericssons ATM-växel bryter ny mark(nad), in: Dagens Industri, 5. Mai 1994 176. Ericsson dubblerar försäljningen i USA, in: Dagens Industri, 6. Juni 2000 177. Ericssons exportraket: från 0,7 till 10 miljarder på bara fem år, in: Ny Teknik, Nr. 51 / 52 (1996), S. 12–13 178. Ericssons GSM-satsning visar på patentens vikt, in: Finanstidningen, 13. Mai 1993 179. Ericssons höga värdering, in: Dagens Industri, 1. Februar 2000 180. Ericssons inköpare tjänar på krisen, in: Dagens Industri, 17. Januar 1998 181. Ericssons kursuppgång ger anställda miljarder, in: Dagens Industri, 10. März 2000

Quellenverzeichnis513 182. Ericssons ledning vill fly skattetrycket, in: LO-Tidningen, 21. November 1997 183. Ericssons mobiltelefoner: den lilla jätten, in: Affärsvärlden, Nr. 25 (1998), S. 58–65 184. Ericssons mobiltelefoni flyttar till London, in: Dagens Nyheter, 25. September 2000 185. Ericssons nya miljarder finns i GSM, ATM och IP, in: Elektroniktidningen, Nr. 19 (1998), S. 48 186. Ericssons NY-premiär, in: Dagens Industri, 16. Oktober 2000 187. Ericssons omvärld: Dansen kring guldkalven, in: Veckans Affärer, Nr. 40 (1998), S. 45–51 188. Ericssons radar flyger lika högt som JAS, in: Dagens Industri, 21. Oktober 1999 189. Ericssons ras pressar Wallenberg, in: Dagens Nyheter, 5. Juni 2002 190. Ericssons SDH-satsning – Ett lyckat fiasko, in: Affärsvärlden, 1. November 1995 191. Ericssons snabba tillväxt fortsätter, in: Veckans Affärer, Nr. 1 / 2 (1991), S. 64–69 192. Ericssons snabbväxare flyttar till USA, in: Dagens Industri, 3. Juli 1998 193. Ericssons styrelse ville ha Ramqvist, in: Dagens Industri, 10. Juli 1999 194. Ericssons värde: minus 400 mdr, in: Dagens Industri, 12. Oktober 2000 195. Ericssonteam gör utbrytning, in: Dagens Industri, 18. Januar 1999 196. Esprit öppnas för Ericsson, in: Veckans Affärer, 14. November 1985 197. Ett steg på vägen, in: Affärsvärlden, 31. März 1999 198. Europa bygger ut, in: Dagens Industri, 29. Mai 1987 199. Facket fixar jobb åt uppsagda på Ericsson, in: LO-Tidningen, 12. März 1999 200. Fiasko för lokalsystem bäddar för Ericsson, in: Elektroniktidningen, Nr. 7 (1998), S. 8 201. Fidelity flaggade fel i Ericsson, in: Dagens Industri, 11. Oktober 1995 202. Fidelity största ägaren inom mobiltelefoni, in: Dagens Industri, 26. Januar 1995 203. Fidelity tror åter på Ericsson, in: Dagens Industri, 25. September 1999 204. Fler stora besparingar väntar i Ericsson, in: Finanstidningen, 11. Juli 1997 205. Flextronics – Ericssons hjälpreda, in: Affärsvärlden, 22. März 2000 206. Flextronics köper av Ericsson, in: Dagens Nyheter, 5. September 1999 207. Flyttade för att skapa bättre affärsklimat, in: Dagens Industri, 1998 208. Fondjätte i USA sänkte Ericsson, in: Dagens Industri, 20. Februar 1995

514 Quellenverzeichnis 209. „Förlegat röstsystem“. SPP kapitalförvaltning efterlyser en översyn, in: Dagens Nyheter, 27. Oktober 1999 210. Förödande för förtroendet: Tvärtemot vad Sven-Christer Nilsson påstår har förväntningarna på Ericssons vinst sjunkit, in: Dagens Nyheter, 11. Dezember 1998 211. Forskning och utveckling: Ömtålig utveckling, in: Affärsvärlden, 18. März 1998 212. Fortsatta förluster: PCn „lik i lasten“, in: Datornytt, Nr. 9 (1985), S. 37 213. „Förväntningarna är enorma“, in: Veckans Affärer, 15. Dezember 1988 214. Framtids fabrik glest mellan arbetarna när datan tar över, in: Dagens Industri, 26. August 1982 215. Från 6 till 60 miljarder på fem år, in: Dagens Industri, 11. Mai 1993 216. Gick du på pumpen Thalén? in: Veckans Affärer, 26. Juni 2000 217. Glasfibern jämnar vägen för bredband, in: Ny Teknik, Nr. 35 (2000), Beilage, S. 12–13 218. Global standard för trådlöst, in: Dagens Industri, 15. September 1999 219. Göran Whitlock: Gör det alla pratar om, in: Veckans Affärer, 18. September 1995 220. Gynnsamt läge för Ericsson i Spanien, in: Dagens Industri, 4. Februar 1987 221. Halva Ericsson i utländska händer, in: Dagens Industri, 14. September 1993 222. Han är placernarnas kelgris, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1993), S. 43–45 223. Han tror på Sverige: Lars Ramqvists Ericsson satsar 1 miljard på chips­ fabrik, in: Veckans Affärer, 20. Juni 1994 224. Handelsbanksfären – Under belägring, in: Veckans Affärer, 10. Januar 2000 225. Hans ord utlöste årets kursras: USA-placerare tålde inte sanningen om Ericssons vinst, in: Dagens Industri, 22. Dezember 1993 226. Här gäller samma villkor för inhyrda och anställda, in: LO-Tidningen, 5. März 1999 227. Här har de halkat efter: Ericsson har ännu ingen japansk konkurrens, in: Veckans Affärer, 15. Dezember 1988 228. Höga marginaler på slug nalle: Exklusiv marknad i sikte för Ericsson / Microsoft, in: Dagens Industri, 10. Dezember 1999 229. Högskola forskar åt Ericsson, in: Dagens Nyheter, 20. Juni 1999 230. Högsta VD-lön till Ramqvist, in: Dagens Industri, 12. April 1994 231. Hotet från PC enar mobiljättarna, in: Dagens Industri, 1. September 1998 232. I hans huvud finns kunskap för 30 miljarder, in: Dagens Industri, 13. Februar 1992

Quellenverzeichnis515 233. I Lund utvecklas framtidens CMOS-kretsar, in: Elektroniktidningen, Nr. 7 (1999), Messebeilage Nr. 7, S. 24 234. I väntan på jättevågen, in: Ny Teknik, Nr. 3 (1998), S. 12–14 235. Industrivärden får draghjälp av Ericsson, in: Dagens Nyheter, 16. Februar 2000 236. Industrivärden kliver in i den nya ekonomin, in: Dagens Industri, 31. August 2000 237. Industrivärden letar läkemedel, in: Dagens Industri, 18. August 1998 238. Industrivärden säger nej: Röstskillnaden i Ericsson blir kvar, in: Dagens Industri, 5. November 1999 239. Industrivärden slog börsen: Bolaget klarade oron, och kursen har stigit 19 v. H. sedan årsskiftet, in: Dagens Nyheter, 30. April 1997 240. Industrivärden, in: Dagens Industri, 22. November 1984 241. Inhyrda får högre lön, in: LO-Tidningen, 9. Juni 2000 242. Inhyrning skapar splittring, in: LO-Tidningen, 18. Februar 2000 243. Internet ger telekomjätten ny marknad: Ericsson koncernchef Lars Ramqvist tror att Internet kommer att skapa nya affärer för Ericsson, in: Dagens Industri, 17. Februar 1997 244. Irritation på bolagsstämman: Koncernchef Sven-Christer Nilsson vägrar ge de anställda några löften, in: Dagens Nyheter, 24. März 1999 245. Italiens statsföretagschef: Ericsson missade Italtel-chans, in: Dagens Industri, 20. Januar 1988 246. „Jag förstår att folk tvivlade på mig“, in: Svenska Dagbladet, 6. Mai 1987 247. „Jag har inga maktambitioner“, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1999), S. 102–106 248. Ja-sägaren Hellström, in: Affärsvärlden, Nr. 4 (2000), S. 6–7 249. Jätteras efter Ericssonrapporten, in: Dagens Industri, 22. Juli 2000 250. Kabel blev kvarnsten för Ericsson i USA, in: Dagens Industri, 12. Januar 1988 251. Kamp om rösträtt i Ericsson: A-aktieägarna vill ha miljarder i kompensation, in: Dagens Industri, 6. Dezember 2000 252. Kampen om mobiltelefoner: Nokia-allians mot Ericsson, in: Dagens Industri, 26. Oktober 1987 253. „Klantigt Ericsson!“, in: Finanstidningen, 14. Dezember 1998 254. Klart för global mobilstandard, in: Finanstidningen, 7. Dezember 1998 255. Kommentar av Lars Ramqvist, in: Veckans Affärer, 16. Juni 1997 256. Konstruktionsfel på Ericssons T28, in: Dagens Industri, 24. Februar 2000 257. Kostsam Ericssonnedläggning, in: Dagens Nyheter, 28. Mai 1999 258. Kraftig ökning av övertiden, in: Veckans Affärer, 28. April 1993

516 Quellenverzeichnis 259. Kravmaskinen, in: Veckans Affärer, Nr. 38 (2000), S. 21 260. Krisen ännu inte övervunnen, in: Daghens Nyheter 16. Februar 1987 261. Kursvård framför allt, in: Affärsvärlden, Nr. 5 (2000), S. 6–7 262. Lång väntan på USA-genombrott, in: Veckans Affärer, Nr. 3 (1989), S. 36–39 263. Långsamt bättre natten till lördag, in: Dagens Industri, 20. November 1993 264. Ledande lätt för lego, in: Elektroniktidningen, 11. September 1997 265. Lilla Ericsson Telebit vill klå Cisco på routrar, in: Elektroniktidningen, Nr. 3 (2000), S. 11 266. Liten nalle stöttar Sverige, in: Ny Teknik, Nr. 20 (1997), S. 24–25 267. LM byter strategi: Jättemarknad lockar, in: Affärsvärlden, Nr. 19 (1981), S. 25–29 268. LM Ericsson ger ut konvertibel på Euromarknaden, in: Veckans Affärer, 17. August 1981 269. Lönen driver allt fler utomlands: Svenska civilingenjörers köpkraft sämst i Europa, in: Dagens Nyheter, 19. August 1995 270. Löner – Det går inte att vara snäll längre, in: Veckans Affärer, 30. November 1998 271. Löner – Nitlott sitta stilla i storföretag, in: Veckans Affärer, 30. November 1998 272. Lönerna chocksänktes, in: LO-Tidningen, 20. August 1999 273. Lönsamheten pressas för Ericssons vinstmaskin, in: Dagens Industri, 24. August 1999 274. Lönsammast i Ericsson, in: Dagens Industri, 27. September 1988 275. Lunds tioåriga Teknikby en av Europas största, in: Elektroniktidningen, Nr. 11 (1993), S. 13 276. Maktkampen skärps, in: Dagens Industri, 1. Juni 1999 277. Marknaden gillar nog en försäljning: Det är lätt att hålla med om att det vore det slutliga nederlaget för Industri-Sverige, in: Dagens Nyheter, 6. September 1999 278. Marknaden tappar tron på Ericsson, in: Dagens Industri, 15. November 1991 279. MBL-brott kan kosta Ericsson 200.000, in: Dagens Nyheter, 1. Dezember 2000 280. … men styrelsen ser inga problem, in: Dagens Industri, 1. April 1999 281. Mer än 5000 Ericsson-jobb har försvunnit på fem år: var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 16. Juni 2000 282. Metall välkomnar VD-bytet, in: Dagens Nyheter, 8. Juli 1999 283. Mexiko vill ha Ericsson som delägare i Telmex, in: Dagens Industri, 25. September 1989

Quellenverzeichnis517 284. Microsoft till attack mot Symbian, in: Dagens Industri, 2. Juni 1999 285. Miljard-bonus, in: Affärsvärlden, 21. Oktober 1998 286. Missförstådda Nilsson, in: Affärsvärlden, 1999, Nr. 1 / 2 (1999), S. 45–48 287. Mobiltelefoner är Ericssons svaga länk, in: Dagens Industri, 24. Juli 1999 288. Mobiltelefoni: Ericsson leder GSM-ligan, in: veckans Affärer, 7. November 1994 289. Mobiltelekriget: made by Ericsson, in: Veckans Affärer, Nr. 51 / 52 (1997), S. 40–49 290. Mobilunderleverantörerna – Världen väntar, in: Affärsvärlden, 1. November 2000 291. Motgång för Ericsson i val av nästa mobilstandard, in: Dagens Industri, 19. September 1997 292. Motorolas vinstvarning skrämde kortsiktigt, in: Dagens Industri, 7. März 1998 293. N. N., in: Dagens Nyheter, 18. September 1998 294. När VD lämnet tystnade, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1999), S. 20–21 295. „Nätet i New York har inte fungerat, kunden har tröttnat“, in: Dagens Industri, 31. August 1999 296. Nefab: Packat och klart, in: Veckans Affärer, 29. Oktober 1997 297. „Nej, vi ska inte sälja telefonerna“, in: Dagens Industri, 29. April 2000 298. Nilsson, in: Ökad bredd ska ge Ericsson styrka, in: Finanstidningen, 13. Oktober 1998 299. Nödrop från Ericsson: 3000 ingenjörer saknas, in: Dagens Industri, 5. Juni 1990 300. Nokia och Ericsson: Ollilas trovärdighet högre, in: Affärsvärlden, 27. Oktober 1999 301. Nokiachefen nobbar Ericsson som partner, in: Dagens Nyheter, 25. September 1999 302. Nu lovar Ericsson att infria förväntningarna, in: Affärsvärlden, Nr. 18 (1983), S. 28–36 303. Nu måste Ericsson visa resultat också! In: Veckans Affärer, Nr. 21 / 22 (1987), S. 88–91 304. Nu vaknar Ramqvist: Internet nästa för Ericsson efter GSM-vågen, in: Veckans Affärer, Nr. 23 (1997), S. 16–17 305. Ny ATM-växel från Ericsson, in: Dagens Industri, 4. März 1998 306. Ny fabriksorganisation spar miljarder, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (1999), S. 4 307. Ny mobilstandard lyft för Ericsson, in: Dagens Industri, 4. Juni 1999

518 Quellenverzeichnis 308. Ny persondator från Ericsson, in: Dagens Industri, 15. Juni 1986 309. Ny telefonprognos från Ericsson, in: Dagens Industri, 14. Mai 1999 310. Ny VD tonar ned problemen. Kurt Hellström tycker att konsekvenserna av millennieskiftet är ett större bekymmer än företagets finanser, in: Dagens Nyheter, 19. September 1999 311. Nya arbetsgivare får ta över tusentals jobbare i Ericsson, in: LO-Tidningen, 23. August 1996 312. Nya chanser för Ericsson i Frankrike, in: Veckans Affärer, 12. Februar 1987 313. Nya Kistafabriken ett bygge i Bert Jeppssons smak, in: Elektroniktidningen, Nr. 11 (1993), S. 9–10 314. Nya konvertibler: Ericsson tar in 1,5 mdr, in: Dagens Industri, 27. April 1987 315. Nya rekord: Men ATM-växelns lönsamhet dröjer, in: Veckans Affärer, 10. April 1995 316. Nytändning i Ericsson, in: Dagens Industri, 10. Februar 1989 317. Nytt bonussystem får kritik, in: Dagens Industri, 21. Oktober 1998 318. Nytt forskningscentrum för IT i Luleå, in: Dagens Nyheter, 14. Februar 2000 319. Nytt konsortium hotar Ericsson på Mobiltelefoner, in: Veckans Affärer, 29. Oktober 1987 320. Och rådgivare gör tummen ner, in: Dagens Industri, 5. Mai 2002 321. … och riksbanken ger nya tillstånd för försäljning, in: Veckans Affärer, 30. April 1981 322. … och ytterligare ett med Ericsson, Dagens Industri, 28. März 2000 323. „Om satsningen lyckas i USA, ligger hela världen öppen“, in: Veckans Affärer, Nr. 39 (1983), S. 99–101 324. OMs oktoberfest, in: Dagens Industri, 20. November 2000 325. Optokomponenter byggs för hand, in: Ny Teknik, Nr. 37 (2000), Beilage, S. 12–13 326. På toppen av isberget, in: Veckans Affärer, 11. Oktober 1999 327. Packat och klart, in: Veckans Affärer, 29. Oktober 1997 328. Palatskupp tvingade bort Nilsson, in: Dagens Industri, 20. Juli 1999 329. Panikhandel gav fritt fall i Ericsson, in: Dagens Industri, 21. Oktober 2000 330. Partner öppnar ny jättemarknad, in: Veckans Affärer, 14. Oktober 1992 331. Pengarna tryter: Ericsson växer så fort att rörelsekapitalet inte räcker till, in: Dagens Industri, 26. August 1994 332. Philips hjälper Ericsson med Bluetoothlösningar, in: Dagens Industri, 8. Dezember 1999 333. Placerar 3000 Miljarder, in: Dagens Industri, 13. Dezember 1994

Quellenverzeichnis519 334. Prognosmiss i Ericsson, in: Dagens Industri, 20. November 1984 335. Qviberg vill behålla röstskillnaden i Ericsson, in: Dagens Industri, 29. Oktober 1999 336. Rally i Ericsson efter köp av bolag i USA, in: Dagens Industri, 26. März 1999 337. Ras för telekom, in: Dagens Industri, 10. November 1995 338. Ras i Ericsson, in: Dagens Industri, 3. April 1996 339. Reavinst räddar dyster utveckling i Ericsson, in: Veckans Affärer, 18. November 1987 340. Rebell bakom framgången, in: Veckans Affärer, 7. Oktober 1992 341. Regeringen ignorerar Ericssons flyttplaner, in: Finanstidningen, 18. März 1998 342. Risk att Ericsson storknar, in: Dagens Industri, 3. August 2000 343. Robur tar strid med Industrivärden, in: Dagens Industri 8. November 1999 344. Ryktesflora kring Ericsson, in: Veckans Affärer, 28. August 1986 345. „Så lugnt som i morse fåvr vi det aldrig igen“, in: Ny Teknik, Nr. 20 (1997), S. 31 346. Saab Ericsson Space blir störst i Europa, in: Dagens Industri, 29. November 2000 347. Sämre prestation ger avdrag på lönen: Ericsson vill pröva nytt bonussystem, in: Dagens Industri, 20. Oktober 1998 348. Sent ute med nya växeln, in: Veckans Affärer, 17. November 1993 349. SHB öppnar för omstämpling, in: Dagens Industri, 4. Juni 2002 350. Siemens fortsätter slåss, in: Dagens Industri, 18. Dezember 1997 351. Siemens och Ericsson på samma sida, in: Dagens Industri, 27. Januar 1998 352. Sista året för Reuterskiöld, in: Dagens Industri, 6. Mai 2000 353. Skandia vill förändra rösträtten för att höja bolagets värdering, in: Dagens Nyheter, 25. November 1999 354. Slut på ägarfriden i Ericsson, in: Dagens Nyheter, 4. Dezember 1987 355. Snabbstädning sänker prognoser för Ericsson, in: Dagens Industri, 8. Mai 1999 356. Spanien vill bryta med Ericsson, in: Dagens Industri, 26. September 1986 357. Stabil grund för att fortsatta framgångar, in: Veckans Affärer, Nr. 49 (1993), S. 40–43 358. Stärkta finanser och nya AXE-marknader: Dags för offensiv i nygammalt Ericsson, in: Affärsvärlden, Nr. 7 (1988), S. 64–71 359. Stor variation i ingenjörslöner, in: Svenska Dagbladet, 15. Juni 1994

520 Quellenverzeichnis 360. Stora utlandsköp av LM och Atlas, in: Veckans Affärer, 12. März 1983 361. Storägare beredd släppa Ericsson, in: Dagens Industri, 4. September 1999 362. Storägare säljer Ericsson, in: Dagens Industri, 14. April 1999 363. Storägares makt minskar: Ericsson siktar på att få in fler utländska ledamöter på styrelseposter, in: Dagens Nyheter, 20. Februar 2000 364. Större än Investor: University of California okänd storägare i Ericsson, in: Dagens Industri, 26. Oktober 1994 365. Stort steg framåt för mobilsamarbete, in: Elektroniktidningen, Nr. 1 (1998), S. 7 366. Strid om lön med bonus och straff: De anställda vill inte ha ett system där lönerna kan sänkas, in: Dagens Nyheter, 21. Oktober 1998 367. Strippen ska rädda Ericsson, in: Dagens Nyheter, 27. Juli 1987 368. Sug efter maktaktier i Ericsson, in: Dagens Industri, 30. August 1999 369. Sugen på Ericsson: Siemens strateg vill köpa så fort, in: Dagens Industri, 4. Oktober 1991 370. Superstrategen som vann styrelsens öra, in: Veckans Affärer, Nr. 8 (1990), S. 56–59 371. Sven-Christer Nilsson: „London är en trevlig stad.“ In: Affärsvärlden, Nr. 13 (1998), S. 8–13 372. Svensk optoforskning vinner på RACE, in: Elektroniktidningen Nr. 3 (1992), S. 24 373. Sverige har vart tredje 3G-patent, in: Dagens Industri, 22. Dezember 2000 374. Sveriges spionplan, in: Ny Teknik, Nr. 22 (1991), S. 16–17 375. Svettigt, Ramqvist! Operatörnernas tuffa finansieringskrav hämnar Ericsson i USA, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1995), S. 14–15 376. Ta med mobiltelefonen världen över, in: Dagens Industri, 4. Juni 1999 377. Tack för avtalet! Ericsson nyanställer 1300, in: Dagens Industri, 11. Mai 1993 378. Teknik som kopplar sladdlöst Funkvågor länkar apparater: Bluetooth lämpar sig bäst för hemmiljö, in: Dagens Nyheter, 16. Juli 2000 379. Tele- och datakombranschen – I Ericssons fotspår, in: Veckans Affärer, 16. November 1998 380. Tele2 får inte köpa svenskt, in: Veckans Affärer, 24. April 1991 381. Telefonerna ringer falskt, in: Dagens Industri, 24. Oktober 2000 382. Telefonerna slukar halva vinsten, in: Dagens Industri, 21. Oktober 2000 383. Telefongodis ger Ericsson försprång, in: Dagens Industri, 9. November 2000 384. Telefónica – Ericsson bygger „tredje blocket“, in: Dagens Industri, 26. Januar 1987

Quellenverzeichnis521 385. Telefonstädning i Ericsson, in: Dagens Industri, 27. September 2000 386. Telejättar in i Ericsson, in: Dagens Industri, 5. Februar 1987 387. Telekom tände hoppet: Karlskrona vill bli smältdegel för innovativa företag, in: Dagens Nyheter, 13. Januar 1995 388. Televerket tränger ut Ericsson, in: Dagens Industri, 9. Oktober 1986 389. Telia inviger första ATM-nätet – utan Ericsson, in: Dagens Industri, 16. Mai 1995 390. Telia köper tjänster från Cisco, in: Dagens Industri, 25. Februar 1999 391. Telia Light ratar Ericsson, in: Dagens Industri, 24. November 1998 392. Testsuccé i USA ger Ericsson försprång, in: Dagens Industri, 16. Oktober 1991 393. Tomt i kassan hos Ericssonkund, in: Dagens Industri, 8. Oktober 1998 394. Trådlös datatrafik ny guldkalv: Sven-Christer Nilsson är säker på strategin efter det första tuffa året i vd-stolen, in: Dagens Nyheter, 11. Februar 1999 395. Trådlös kontakt mellan datorer, in: Dagens Nyheter, 29. Januar 1992 396. Trådlöst modem framme, in: Dagens Industri, 29. Januar 1992 397. Trådlöst och internet blir Ericssons nya giv, in: Finanstidningen, 13. Oktober 1998 398. Treschow banar väg för nyemissionen, in: Dagens Nyheter, 26. Mai 2002 399. Trots misslyckad datasatsning och dålig lönsamhet: Ericsson har säkrat en plats i A-laget, in: Affärsvärlden, Nr. 20 (1987), S. 58–67 400. Underleverantörer hänger på: Ericssons underleverantörer är beredda att följa Ericsson ut i världen, in: Dagens Industri, 2. Oktober 1998 401. Ungdomliga Nokia flirtar med Ericsson, in: Veckans Affärer, Nr. 42 (1993), S. 20–21 402. Uppsagd – och försörjd livet ut: Spansk förtidspensionär får 170.000 kronor om året, in: LO-Tidningen, 20. August 1999 403. Uppstickare på GSM-marknaden, in: Dagens Industri, 4. Mai 1993 404. USA-fond storsäljare av Ericssonaktier, in: Dagens Industri, 16. Dezember 1995 405. USA-fond största ägare i Ericsson, in: Veckans Affärer, 24. Oktober 1985 406. USA-genombrott på ett halvår, in: Dagens Industri, 31. Mai 1990 407. USA-placerare tålde inte sanningen om Ericssons vinst, in: Dagens Industri, 22. Dezember 1993 408. USA-satsning ett vågspel, in: Dagens Nyheter, 24. Februar 1985 409. Usel information från Nolato, in: Affärsvärlden, 25. September 1996 410. Utländska ägare – Satsar på kvalitetsbolag, in: Affärsvärlden, 28. August 1996

522 Quellenverzeichnis 411. Utländska ägare ökar i Ericsson, in: Dagens Industri, 14. März 2000 412. Utlänningar flyr svenska aktier, in: Dagens Industri, 11. November 2000 413. VA frågar Hans Werthen, går in i Ericsson som arbetande ordförande, in: Veckans Affärer, 21. November 1985 414. Väl bäddat för kursstegring: Ramqvist kan ha överdrivit problemet med negativa kassaflöden för att kunna visa ett snabbt lyft, in: Dagens Nyheter, 19. September 1999 415. Var tredje arbetare inhyrd av Ericsson, in: LO-Tidningen, 6. Januar 2000 416. Västtysk marknad öppnas för Ericsson, in: Dagens Industri, 3. Oktober 1989 417. VD förnekar maktaffär, in: Dagens Industri, 22. April 1999 418. „Vi står för kompetensen“: Amerikanska dataföretaget Cisco ligger i vissa stycken flera år efter, menar Ericssonchefen, in: Dagens Nyheter, 5. Februar 1999 419. Vinst: tio miljarder kronor. Fortsatta framgångar inom mobiltelefonin gav en vinstökning på 33 v. H., in: Dagens Nyheter, 21. Februar 1997 420. „Visst har det svidit“, in: Veckans Affärer, Nr. 14 (1988), S. 100–103 421. Volvo och Ericsson var nära bli storägare i Nokia, in: Dagens Industri, 20. November 1998 422. Wallenberg stärker greppet i Ericsson, in: Dagens Industri, 31. März 1987 423. Wallenberg upp i Ericsson: „Affär i största harmoni“, in: Veckans Affärer, 2. April 1987

2. Sandvik a) Interviews 1. Interview mit Anders Ilstam, Halmstad, 3. September 2007 2. Interview mit Bo Boström, Sandviken, 27. März 2007 3. Interview mit Clas-Åke Hedström, Stockholm, 22. August 2007 4. Interview mit Eino Honkamäki, Gimo, 22. März 2007 5. Interview mit Gunnar Björklund, Stockholm, 19. März 2007 6. Interview mit Lars Ivar Hising, Stockholm, 1. März 2007 7. Interview mit Per-Olof Eriksson, Stockholm, 16. März 2007

b) Quellenmaterial 1. Företagsnämnd och samarbetskommittéer, Sandvik, ohne Jahresangabe; Företagsnämnd, riktlinjer för Information och samråd, Sandviken 1972

Quellenverzeichnis523

c) Presseartikel   1. AGA och Sandvik vill sälja aktier utomlands, in: Veckans Affärer, 2. April 1981   2. Ägarbyte i Sandvik, in: Dagens Industri, 27. September 1997   3. Aktier för 5 miljarder köps tillbaka, in: Dagens Nyheter, 6. Mai 1997   4. Allt blev bättre: Sandviks sågfabrik visar vägen, in: Dagens Industri, 14. Januar 1992   5. Aseas framtid tvingar Barnevik skaffa ny bas, in: Finanstidningen, 24. Januar 1996   6. Atlas / Sandvik: Kraftiga förluster med marknadskrig, in: Veckans Affärer, 5. September 1990   7. Avtal om flextid räddar 200 metalljobb i Gimo Sandvik, in: LO-Tidningen, 9. Februar 1996   8. Bara priskrig kann hota det starka Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 36 (1988), S. 54–61   9. Barnevik bjuder ut cornerpost i Custos, in: Dagens Industri, 23. Januar 1996 10. „Barnevik bra för Sandvik“, in: Dagens Industri, 18. April 1998 11. Barnevik slår tillbaka – köper Custos igen, in: Dagens Industri, 18. Januar 1996 12. Bra att cementgjuteriet sätter fart på Sandvik, in: Dagens Industri, 14. September 1983 13. Branschen där bara de hårdasta överlever, in: Veckans Affärer, 14. März 1990 14. Brukinvest delas upp mellan de fyra ägarna, in: Svenska Dagbladet, 17. Januar 1992 15. Brynäsar’n fixar flödet: Rullande påläggskalv höjer produktiviteten, in: Ny teknik, Nr. 50 (1991), S. 12–13 16. Budet på Atlantica lär väcka intresse, in: Dagens Nyheter, 24. Februar 1997 17. Cementgjuteriets Bengt Haak bryter tystnaden: „Därför tog vi kontrollen i Sandvik“ in: Dagens Industri, 2. September 1983 18. Cementgjuteriets kupp mot Jan Stenbeck: Så planerades maktövertagandet i Sandvik, in: Veckans Affärer, 22. September 1983 19. Claes Hedström – Starkare än stål, in: Dagens Industri, 17. Juli 1999 20. „Custosaktier skall avyttras snarast“, in: Svenska Dagbladet, 20. Januar 1996 21. Custos säljer Sandvik, in: Dagens Industri, 7. Mai 1992 22. Dags att bjuda upp med pengar i fickan, in: Veckans Affärer, Nr. 12 (1992), S. 40–42 23. Direktörernas favorit, in: Veckans Affärer, Nr. 152 (2001), S. 50–53

524 Quellenverzeichnis 24. Dolda värden i Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 16 (1996), S. 54–59 25. Doldis styr Sandvik från utlandet: Hårdmetall avgör framtiden, in: Dagens Nyheter, 10. Februar 1982 26. Duellen: Sandvik och Atlas i hårt priskrig, in: Dagens Industri, 22. Mai 1990 27. Dyrköpt seger i bergborrs-VM men Sandvik ser ljuset i tunneln, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 4 (1990), S. 12–16 28. Efter branden i betverket: Konkurrenterna hjälper Fagersta, in: Dagens Industri, 5. November 1981 29. Efter Sandvik försäljningen, in: Veckans Affärer, 29. September 1983 30. En seger, en oavgjord: Dags för Hedström, att tala med Per-Olof-Norberg, in: in: Veckans Affärer, 3. Juni 1996 31. Eriksson vill dela ut Sandviks kassa, in: Dagens Industri, 28. Januar 1994 32. Ett ljus i mörkret: Vinstdelningsystem i Sandvikskoncernen, in: Arbetarehistoria: Meddelanden från Arbetarerörelsens arkiv och bibliotek, Vol. 56–57, Nr.  4 / 1 (1990 / 1991), S.  53–54 33. Facket kritiserar lokalt avtal, in: Svenska Dagbladet, 9. Juni 1996 34. Fagersta behåller „godbitar“ och tyr sig till Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 13 (1982), S. 76–77 35. Finska Tamrock blir helägt av Sandvik, in: Svenska Dagbladet, 11. November 1997 36. Flera varningssignaler efter Sandviks vinsttap, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1982). S. 22–26 37. Från Göransson till Eriksson: Sandvik 125, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 3 (1987), S. 10–13 38. Full fart på alla Sandviks marknader, in: Svenska Dagbladet, 5. Mai 2000 39. Fullvärderat Sandvik, in: Finanstidningen, 16. Juni 1999 40. Få hot mot Sandvik: Nu banas väg för nya köp, in: Veckans Affärer, Nr. 44 (1998), S. 88–93 41. Glänade affärer: Sandviks kärnkraftsrör hävdar sig påvärldsmarknaden, in: Dagens Industri, 15. September 1992 42. Går mot en enda aktie, in: Svenska Dagbladet, 19. Februar 2000 43. Gökungeklipp: Så tjänade Sandvik miljoner, in: Veckans Affärer, 29. Januar 1987 44. Hård strid om finska Tampella: Sandvik ligger bäst till, in: Dagens Nyheter, 15. April 1996 45. Hård strid om Tampella: Sandvik och Svedala ger bud, in: Dagens Nyheter, 18 Mai 1996 46. Jag trodde att det var ett illasinnat rykte, in: Dagens Industri, 19. Januar 1996

Quellenverzeichnis525 47. Kanthals styrelse avvisar bud, in: Dagens Nyheter, 2. Juni 1996 48. Kartellmyndighet stoppar Sandvikförvärv, in: Finanstidningen, 30. September 1994 49. Koncentration Sandviks Medicin, in: Svenska Dagbladet, 26. Juli 1986 50. Korsnäs säljer Sandvik-aktier, in: Dagens Industri, 19. September 1985 51. Korsnäs säljer Sandvik-aktier, in: Veckans Affärer, 10. November 1983 52. Kreativ förnyelse på Sandvik, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 5 (2000), S. 18–20 53. Kritik mot Sandviks „mur“, in: Dagens Industri, 2. Juni 1992 54. Kuppen i Sandvik cementgjuteriet talar maktspråk, in: Veckans Affärer, 15. September 1983 55. Köpsugen, in: Dagens Industri, 12. September 1988 56. Ledningen överväger kraftigt höjd utdelning, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1991), S. 34–37 57. Låga räntor inte bara glädjeämne för Sandvik, in: Dagens Industri, 14. Januar 1997 58. Mindre Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 24 (1999), S. 48–51 59. Naturligt schackdrag som kan ge kursen ett lyft, in: Dagens Industri, 16. Februar 1984 60. Norberg lämnar Kanthal, in: Finanstidningen, 16. März 1998 61. Nu gäller det att Sandvik inte slår sig till ro, in: Affärsvärlden, Nr. 22 (1987). S. 62–65 62. Nu kommer Sandvik, in: Affärsvärlden, 22. September 1993 63. Nu lastas trailern på dataskärmen, in: Veckans Affärer, 4. September 1991 64. Ny bomb från Haak: SCG-imperiet bryts upp – „för omodernt“, in: Veckans Affärer, 22. September 1983 65. Ny VD och gammal metod ska lyfta SMC, in: Veckans Affärer, 16. November 1996 66. Nya forutsättningar för sanerade Sandvik, in: Affärsvärlden, Nr. 4. (1986), S. 34–41 67. Nya förvärv enda chans för Sandvik, in: Veckans Affärer, Nr. 23 (1991), S. 48–51 68. „Nya“ Sandvik testas i nästa lågkonjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1985), S. 56–59 69. Nyckelpersoner i dubbelroll, in: Dagens Industri, 25. Juni 1990 70. Nyemission i Sandvik, in: Dagens Nyheter, 31. Mai 1997 71. Nytt stålbolag med 1600 anställda: blir världsstörst på rostfria rör, in: Dagens Industri, 29. April 1983

526 Quellenverzeichnis 72. Nöjd VD sover gott om natten, in: Dagens Nyheter, 14. März 1993 73. Öka tempot, Sandvik – Nye VD:n Clas Åke Hedström bör lägga in en högre växel, in: Veckans Affärer, 24. Mai 1994 74. Överfyllda kassor: Industrivärden borde lösa in egna aktier, in: Dagens Nyheter, 16. Februar 1997 75. Percy Barnevik förklarar sig: „Korsägandet är tillfälligt“, in: Finanstidningen, 19. Januar 1996 76. Percy Barnevik skåningarnas man i Sandvik, in: Dagens Industri, 14. September 1983 77. Per-Olof Eriksson, VD i Sandvik: „Företagsköp finns åter i planerna“, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1985) S. 94–97 78. Regeringen avgjorde: Bruksinvest slaktas, in: Dagens Industri, 17. Januar 1992 79. Ränte-fest: Hundratals miljoner till storföretagen, in: Dagens Industri, 11. September 1992 80. Sandvik behöver minska med 1000, in: Dagens Industri, 24. September 1982 81. Sandvik fortsätter städa: 500 tjänstemän måste flyttas om, in: Dagens Industri, 20. Mai 1983 82. Sandvik går framåt, in: Affärsvärlden, Nr. 20 (1998), S. 55–57 83. Sandvik går mot sämre konjunktur, in: Veckans Affärer, Nr. 42 (1986), S. 60–61 84. Sandvik hoppas på ny teknik, in: Svenska Dagbladet, 2. Dezember 1992 85. Sandvik in China, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 3 (1988), S. 56 86. Sandvik in i Kanthals styrelse: Samarbete efter bråk, in: Dagens Nyheter, 15. Mai 1997 87. Sandvik jagar företag utan större lycka, in: Dagens Industri, 15. Juni 1995 88. Sandvik kan dela ut mycket mer, in: Affärsvärlden, Nr. 12 (1996), S. 59 89. Sandvik kortar ledtiderna i konstruktionen, in: Ny teknik, Nr. 20 (2000), CAD-Beilage Nr. 3, S. 10 90. Sandvik lämnar Strip Steel, in: Dagens Industri, 16. Mai 1989 91. Sandvik löser in aktier för 4 miljarder kronor, in: Dagens Industri, 25. Februar 1997 92. Sandvik med ny ägare: Storstädning gav flygande start, in: Veckans Affärer, 1984, Nr. 32 (1984), S. 26–28 93. Sandvik nära ta över Kanthal, in: Finanstidningen, 13. Juni 1997 94. Sandvik och Skanska säljer Custosinnehav, in: Finanstidningen, 16. April 1996 95. Sandvik och Svedala i finsk dragkamp, in: Svenska Dagbladet, 14. April 1996 96. Sandvik på ny köpjakt, in: Finanstidningen, 10. September 1998

Quellenverzeichnis527   97. Sandvik satsar på livsmedelsindustrin genom att köpa företag, in: Dagens Industri, 27. Januar 1981   98. Sandvik ska växa 6 procent, in: Dagens Nyheter, 27. Mai 2000   99. Sandvik skyddar sig mot ovälkomna ägare, in: Affärsvärlden, 13. Mai 1993 100. Sandvik slipper ej strafftull, in: Veckans Affärer, 24. April 1991 101. Sandvik slipper USA:s ståltullar: Tillverkning tillsammans med värsta konkurrenten i „amerikanskt“ företag, in: Dagens Nyheter, 7. Februar 1994 102. Sandvik slår rekord, in: Veckans Affärer, 28. August 1995 103. Sandvik säger upp Atlas Copco-avtalet, in: Dagens Industri, 5. Juli 1988 104. Sandvik sätter USA-dottern på fötter igen: Resultaten stigermed färre mellanhänder och byråkrater, in: Dagens Industri, 5. Juli 1987 105. Sandvik tar „hämnd“ på Atlas Copco: Går samman med finländsk konkurrent, in: Dagens Industri, 23. Januar 1989 106. Sandvik tar över Programator, in: Dagens Nyheter, 8. Februar 1992 107. Sandvik trappar upp kampen om Japan, in: Dagens Industri, 26. März 1990 108. Sandvik ute ur Custos, in: Dagens Industri, 14. September 1996 109. Sandvik vann i USA: Slipper strafftullar, in: Dagens Industri, 9. Mai 1992 110. Sandvik vann kampen om Kanthal, in: Finanstidningen, 16. Juni 1997 111. Sandvik världsetta, in: Dagens Industri, 6. August 1987 112. Sandvik ändrar sig, in: Affärsvärlden, Nr. 37 (1994), S. 81–85 113. Sandvik är i slagläge, in: Dagens Industri, 31. August 1999 114. Sandvik ökar takten i Japans Norrland, in: Dagens Industri, 6. Februar 1992 115. Sandvik: Bara två centrallager, in: Veckans Affärer, 19. Februar 1987 116. Sandvik: format verktyg, teknik för 1980-talet, in: Veckans Affärer, 3. Dezember 1983 117. Sandvik: Förvärv ökar tempot, in: Veckans Affärer, Nr. 49 (1997), S. 32–34 118. Sandvik: Reavinst ökar kassan med 215 Mkr, in: Dagens Industri, 11. Mai 1990 119. Sandvikare har satsat 85 Mkr i konvertibler, in: Dagens Industri, 12. August 1985 120. Sandvikköp stoppas av kartellmyndighet, in: Dagens Industri, 30. September 1994 121. Sandviks guld ska ge mer metall, in: Svenska Dagbladet, 27. August 1994 122. Sandviks kassakista full trots kristider, in: Dagens Nyheter, 14. März 1993 123. Sandviks kurs är tillbaka på tillväxtlinjen, in: Dagens Industri, 17. Juli 1999 124. Sandviks köpvåg, in: Dagens Industri, 21. August 1996

528 Quellenverzeichnis 125. Sandviks nye VD: för mig är inget heligt, in: Dagens Industri, 30. August 1983 126. Sandviks snabbaste fabrik, in: Dagens Industri, 26. September 1990 127. Sandviks trimmar egna bolag: „Dags skörda frukterna“, in: Veckans Affärer, Nr. 12 (1982), S. 68–71 128. Sandviks tysta revolution: Skär guld med hårdmetall och trappar ner stålet, in: Veckans Affärer, Nr. 13 (1980), S. 70–72 129. Sandviks VD positiv till återköp av egna aktier, in: Dagens Industri, 24. Juni 1999 130. Sandviks VD: „Kurvorna pekar åt rätt håll“, in: Dagens Industri, 19. Februar 2000 131. Sandviks våroffensiv blev populär, in: Svenska Dagbladet, 9. Juni 1996 132. SCG säljer Sandvik-aktier för 360 Mkr, in: Dagens Industri, 16. Februar 1984 133. Skånska minskar innehavet i Sandvik, in: Dagens Industri, 30. August 1984 134. Seco Tools: Krisföretag blev lönsamhetskomet, in: Veckans Affärer, 14. August 1986 135. „Självtilliten återkommer till bruket“, in: Veckans Affärer, Nr. 20 (1984), S. 98–72 136. Skanska kliver av Custos, in: Finanstidningen, 11. September 1996 137. Skanskas reavinst i Sandvik högre än väntat, in: Dagens Industri, 24. Mai 1997 138. Skattefrihet ger SCG chans till lönsamhet, in: Veckans Affärer, Nr. 37 (1983), S. 55–57 139. Skeppningsdata via tele minskar dokumentflödet, in: Dagens Industri, 10. Juni 1982 140. Skåningarna har köpt 10 procent i Sandvik, in: Dagens Industri, 21. März 1983 141. Skärpan hänger på tusendelarna: Företagen eggade varandra, in: Ny teknik, Nr. 11 (1991), S. 50–51 142. Slut på borrkriget mellan Atlas och Sandvik, in: Dagens Industri, 8. Juni 1991 143. Soros vågar satsa svenskt. Valutaspekulant köper in sig i Investor, Sandvik, Skandia och Esselte, in: Dagens Nyheter, 11. September 1993 144. Specialstålet: Regeringen kräver ägaransvar, in: Dagens Industri, 11. November 1983 145. Starkare än stål, in: Dagens Industri, 17. Juli 1999 146. Stålfusion utan Fagersta, in: Dagens Industri, 15. September 1983 147. Stålkrönika: Fagersta får vika sig för Kinnevik, in: Dagens Industri, 18. April 1984

Quellenverzeichnis529 148. Stålvärk, in: Affärsvärlden, Nr. 35 (2000), S. 36–41, S. 38 149. Stärkt finansnetto räddar årets vinst, in: Veckans Affärer, 5. September 1990 150. Succésajt i Sandviken, in: Affärsvärlden, 25. Oktober 2000 151. Svenska aktier drar utländska placerare, in: Dagens Nyheter, 30. Juli 1994 152. Trustors VD hoppas på samarbete med Sandvik, in: Svenska Dagbladet, 10. April 1996 153. Unik åtgärd i svenskt näringsliv: „skåningarna“ avsätter hela styrelsen i Sandvik, in: Dagens Industri, 13. September 1983 154. USAB tar över SKF Steelstrip, in: Dagens Industri, 7. September 1982 155. Välfärdsproblem i Seco Tools, in: Affärsvärlden, 1. Juni 1994 156. Vändskär ger Gimo världsplacering, in: Svenska Dagbladet, 20. Januar 1991 157. Världsledande på hål: Coromant provar torrbearbetning efter kundkrav, in: Ny teknik, Nr. 13 (1999), S. 9 158. Vektorteknik för kataloger: alltid öppet på Internet, in; Magasinet Verkstäderna, Nr. 12 (1998), S. 28–29 159. Verktygsberedning med datorstöd, in: Dagens Industri, 9. Oktober 1989 160. Vinst i Sandviks tyska dotter, in: Dagens Industri, 24. Juni 1986 161. „Vi måste mäta oss med våra konkurrenter inte med varann.“, in: Bergsmannen med Jernkontorets annaler, Nr. 1 (1992), S. 14–16

3. SCA a) Interviews 1. Interview mit Åke Rietz, Stockholm, 28. Mai 2008 2. Interview mit Alf Söderlund, Sundsvall, 3. April 2007 3. Interview mit Bernt Norberg, Stockholm, 23. August 2007 4. Interview mit Börje Nordenö, Stockholm, 22. Mai 2007 5. Interview mit Folke Burstrand, Arlanda, 13. April 2007 6. Interview mit Gerhard Gustavsson, Trollhättan, 27. April 2007 7. Interview mit Martin Orrbeck, Mölndal, 6. Juni 1996 8. Interview mit Tjell-Åke Hägglund, Sundsvall 3. April 2007 9. Interview mit Ulf Frölander, Stockholm, 2. April 2007

530 Quellenverzeichnis

b) Presseartikel   1. A-aktier skyddar industrin: Börsens utspel välkomnas, in: Dagens Nyheter, 27. Januar 1995   2. Affärer i korthet: SCA, in: Veckans Affärer, 6. Mai 1992   3. Amerikansk konkurrens tränger ut Mölnlycke, in: Dagens Industri, 9. Oktober 1990   4. Äntligen svarar SCA, in: Affärsvärlden, Nr. 46 (1997), S. 46   5. Assi godtar EGs nya papperspris, in: Dagens Industri, 15. April 1987   6. Backar i blöjkriget: Mölnlycke drar sig ur flera stora marknader, in: Dagens Industri, 3. April 1996   7. Bakslag för Mölnlycke i blöjkriget, in: Dagens Industri, 28. März 1991   8. Bo Rydin, styrelseordförande, SCA: låg dollar största hotet mot skogen, in: Veckans Affärer, Nr. 3 (1991), S. 38–40   9. Börsbolag följer Volvo: Tretton storföretag planerar vinstdelning, in: Veckans Affärer, 5. Mai 1983 10. Börsportföljen betydligt sämre än index, in: Dagens Industri, 9. August 1995 11. Bra idé slå samman Custos och Industrivärden, in: Veckans Affärer, Nr. 18 (1997), S. 22–24 12. Brittiskt köp bara början för SCA, in: Svenska Dagbladet, 1. September 1999 13. Budgeten blev börsens räddning efter dålig vecka, in: Dagens Nyheter, 22. September 1996 14. „Carlgren valde att inte sälja till mig“, in: Dagens Industri, 14. Dezember 1990 15. Christer Zetterberg hjälper Fredrik Lundberg i Modo, in: Finanstidningen, 1. Juli 1993 16. Custos ökade börsportfölj, in: Dagens Nyheter, 9. September 1996 17. Custos pekas ut: Maktkamp väntas i SCA, in: Dagens Nyheter, 20. September 1996 18. Custos vill sälja SCA, in: Dagens Industri, 2. Juni 2000 19. Custos: Heliga innehav hämmar aktien, in: Veckans Affärer, 31. August 1998 20. Custosangrepp mot fyra storbolag, in: Dagens Industri, 30. April 1997 21. Dags att kalhugga SCA, in: Veckans Affärer, Nr. 9 (1999), S. 42–43 22. Datorstöd minskade förbrukningen av maskinbeklädnad i Obbola, in: Svensk Papperstidning, Nr. 9 (1997), S. 22–24 23. Den nye Mr Kleenex, in: Veckans Affärer, 2. September 1996 24. Det här är önskeaffärerna 1997, in: Dagens Nyheter, 22. Dezember 1996 25. Detta är Industrivärden, in: Veckans Affärer, 1. Juni 1984

Quellenverzeichnis531 26. EG anklagar massaexportörer, in: Dagens Industri, 24. September 1981 27. EG: Assi och SCA prisdumpar, in: Dagens Industri, 29. August 1986 28. Egen linje fick VD på fall, in: Dagens Nyheter, 7. Juni 1994 29. Ekonomistyrning: Långtidsplanering – för tidigt att dödförklara, in: Ledarskap /  Ekonomen, Nr. 3 (1988), S. 48–51 30. „En fondförvaltare som gjort lika dåliga affärer hade sparkats“, in: Dagens Nyheter, 4. Dezember 1994 31. En helt riktig affär, in: Svenska Dagbladet, 29. April 1999 32. En Pappersallianz med plats på världstoppen, in: Affärsvärlden, Nr. 28 (1990), S. 65–67 33. Enskilda återuppstår på Nybrokajen, in: Dagens Nyheter, 6. Oktober 1996 34. Ett köp i rättan tid, in: Dagens Nyheter, 7. Januar 1995 35. „Får MoDo och NCB subventioner då protesterar jag högljutt.“, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1980), S. 64–67 36. „Färdiginvesterat“: SCA rustat för expansion, in: Veckans Affärer, Nr. 21 (1985), S. 58–61 37. „Fegt att förklara sig jävig“, in: Svenska Dagbladet, 18. Mai 1992 38. Fler borde ta efter SCA-erbjudande, in: Svenska Dagbladet, 2. April 1998 39. Flera spekulanter på SCA:s post i Industrivärden, in: Finanstidningen, 13. November 1996 40. Folk i farten: Sverkers mantra, in: Dagens Industri, 15. Februar 1997 41. Fortsatt hög rabatt i Investor, in: Finanstidningen, 13. Oktober 2000 42. Frakttiden från Umeå till England har minskat från 14 till 10 dagar, in: Dagens Industri, 23. Oktober 1996 43. Fullt upp för Sverker, in: Affärsvärlden, Nr. 39 (1996), S. 94–95 44. Fusionsrykte föder affärer i skogsaktier: SCA och Modo verkar hetast i funderingar om samarbete, in: Dagens Nyheter, 27. April 1999 45. Fyra svenska skogsbolag får böta, in: Dagens Nyheter, 15. Mai 1999 46. Ger upp Frankrike: Blöjkrig över för SCA. Svenska bolaget klarade inte konkurrensen, in: Dagens Nyheter, 28. August 1996 47. Graninge-SCA bildar nytt sågverksbolag, in: Dagens Industri, 29. Februar 2000 48. Hagströmer välkomnar Rydins utspel, in: Finanstidningen, 23. September 1996 49. Han vägrar att stycka SCA … men korsägandet vill Sverker Martin-Löf avveckla, in: Dagens Industri, 8. Oktober 1996 50. Handelsbankgruppen: Imperiet försvagas utan stark ägare, in: Veckans Affärer, Nr. 33 (1984), S. 22–24 51. Importen av massaved för dyr, in: Dagens Industri, 16. Juli 1981

532 Quellenverzeichnis 52. Industrin väger lätt på börsen: Analytikerna håller fast vid skogs- och verkstadsföretagen trots att informations- och tjänsteföretagen är dominerande, in: Dagens Nyheter, 12. Juli 1998 53. Industrivärden i knipa: Storägare hotar att sälja om inte ledningen ser till att aktiekursen höjs, in: Dagens Nyheter, 29. November 1994 54. Industrivärden, in: Veckans Affärer, 7. Juni 1984 55. Industrivärden: Ratos störst, in: Dagens Industri, 31 Januar 1989 56. Kampen om MoDo, in: Affärsvärlden, Nr. 16 (1992), S. 31–37 57. Kempe och Carlgren blockerar MoDo-SCA, in: Dagens Industri, 14. März 1992 58. Kompakt tystnad bland SCA:s storägare, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996 59. Konsolideringen ha påverkat forskningen, in: Svensk Papperstidning, Nr. 11 (2000), S. 8–9 60. Kritik i sista minuten, in: Dagens Industri, 9. Mai 1996 61. Laakirchenköpet, in: Veckans Affärer, 27. Oktober 1988 62. Lätt att lova guld i gröna skogar, in: Dagens Industri, 11. Oktober 1996 63. Löf står fast, in: Dagens Industri, 14. Mai 1992 64. Löf, Sverker Martin: Skrota STFI, in: Svensk Papperstidning, Nr. 3 (1987), S. 6 65. Lundberg och SCA planerar bud på Modo, in: Finanstidningen, 30. Juni 1993 66. Lundbergs tar hand om Modo, in: Finanstidningen, 19. Oktober 1993 67. Martin-Löf anlägger moteld, in: Dagens Industri, 11. Dezember 1996 68. Martin-Löf aviserade nya köp på stämman, in: Dagens Industri, 29. April 1997 69. Martin-Löf kräver ägarnas stöd kring SCA:s strategi, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996 70. …men här får Browaldh stöd, in: Dagens Industri, 28. Juni 1996 71. MoDo blir inget dotterbolag till SCA! In: Svensk papperstidning / Nordisk cellulosa, Nr. 1 (1991), S. 20–24 72. Modo friar till SCA? In: Finanstidningen, 18. Januar 1993 73. MoDo Paper – ny finpappersjätte, in: Svensk Papperstidning, Nr. 6 (1999), S. 52–55 74. Modo: SCA deltar i nyemissionen, in: Veckans Affärer, 22. September 1993 75. Modos Bernt Löf fortsätter omstruktureringen, in: Finanstidningen, 6. Februar 1992 76. Mölndal förlorade dragkampen, in: Göteborgs-Posten, 15. August 1997 77. Mölnlycke gav upp: säljer Cederroth-post, in: Dagens Industri, 27. Juni 1992

Quellenverzeichnis533   78. Mölnlycke ger upp på blöjmarknaden, in: Dagens Nyheter, 4. April 1996   79. Mölnlycke lägger ned fyra fabriker, in: Dagens Industri, 10. Oktober 1990   80. Mölnlycke rustat för Procters marknadskrig, in: Finanstidningen, 1. Juni 1992   81. Mölnlycke siktar på Östeuropa efter EG-bakslaget, in: Dagens Industri, 7. November 1991   82. Mölnlycke tar över Playtex-Wallac, in: Dagens Industri, 21. November 1983   83. Mölnlycke till belgisk frizon: „Lättare rekrytera experter“, in: Dagens Industri, 30. Mai 1986   84. Mölnlycke tog hem Metsä-Serlas blöjor, in: Dagens Industri, 29. März 1990   85. Mölnlycke växer i Asien – Planerar tillverkning i Japan, Kina och Taiwan, in: Dagens Industri, 9. August 1995   86. Mölnlycke, in: Dagens Industri, 16. Juni 1987   87. Mölnlycke, in: Veckans Affärer, 10. Oktober 1990   88. Mölnlycke, in: Veckans Affärer, 22. August 1990   89. Mölnlyckes VD sparkas efter schism, in. Finanstidningen, 30. Mai 1994   90. Närmande Volvo och Industrivärden, in: Affärsvärlden, Nr. 23 (1989), S. 29   91. Nya maktköp ökar trycket på SCA, in: Dagens Industri, 26. August 1999   92. „Nu sprider vi oss i Europa.“, in: Veckans Affärer, Nr. 3 (1995), S. 26–27   93. Optioner till SCA-toppen från Industrivärlden, in: Dagens Industri, 21. Dezember 1987   94. Östrand ökar kapaciteten och minskar utsläppen, in: Svensk Papperstidning, Nr. 3 (1996), S. 38–39   95. Paketlösningar för framtidens massaindustri, in: Dagens Industri, 5. Dezember 198   96. Penser ut i kylan, in: Veckans Affärer, 21. April 1997   97. Prisras på presspapper, in: Dagens Nyheter, 10. März 1992   98. Procter & Gamble fortsätter växa, in: Dagens Industri, 29. April 1993   99. PWA-affären ska stärka SCA, in: Svenska Dagbladet, 16. Januar 1995 100. Råd till SCA: bud på Esselte förnuftigare än motköp i Industrivärden, in: Dagens Industri, 18. Mai 1982 101. Rekordvinster SCA +315 Stora +560 MoDo +424 Vinstökning i Mkr, in: Dagens Industri, 15. Oktober 1987 102. Resultatras för MoDo, in: Dagens Nyheter, 17. März 1992 103. Så lyckades Mölnlycke vinna tillbaka kunderna, in: Veckans Affärer, 22. September 1993 104. Samarbetet uteblev: SCA besviken på MoDo efter miljardköpet, in Dagens Nyheter, 17. März 1992

534 Quellenverzeichnis 105. SCA – Aptitligt i bitar, in: Affärsvärlden, 12. Juni 1996 106. SCA – Hygienrörelsen, in: Affärsvärlden, 4. Oktober 1995 107. SCA – Värdepapper, in: Affärsvärlden, 23. Februar 2000 108. SCA ännu en skogspessimist, in: Dagens Industri, 31. Januar 1997 109. SCA berett lägga bud på hela MoDo, in: Veckans Affärer, 19. Dezember 1990 110. SCA betalar skulder, in: Dagens Nyheter, 10. März 1992 111. SCA binder ihop Östrand med Wifstavarf, in: Nordisk Cellulosa, Nr. 10 (1988), S. 8–13 112. SCA blir Europaetta efter brittiskt köp, in: Dagens Industri, 1. September 1999 113. SCA blir europeisk pappersjätte: Sammanslagning med Tysklands stora skogsbolag PWA betyder entrebiljett till den tyska marknaden, in: Dagens Nyheter, 7. Januar 1995 114. SCA blir störst i Europa, in: Svenska Dagbladet, 7. Januar 1995 115. SCA bygger i Frankrike, in: Dagens Industri, 6. September 1988 116. SCA bygger ut i Ortviken, in: Dagens Industri, 1. September 1981 117. SCA byter fartygsfilosofi: Bättre renovera än köpa nytt, in: Dagens Industri, 15. November 1985 118. SCA emitterar konverteringslån, in: Dagens Industri, 12. Januar 1989 119. SCA expanderar österut, in: Dagens Industri, 10. August 1999 120. SCA färdiginvesterat: Var satsar pengarna? In: Affärsvärlden, Nr. 15 (1984), S. 36–40 121. SCA föll 1 miljard, in: Dagens Nyheter, 12. Juni 1992 122. SCA försiktigt värderat, in: Dagens Industri, 5. Mai 1989 123. SCA fortsätter banta, in: Dagens Industri, 5. April 1991 124. SCA framgångar för Mölnlycke dämpar koncernens vinstfall, in: Veckans Affärer, 5. November 1981 125. SCA ger upp i franskt blöjkrig, in: Svenska Dagbladet, 28. August 1996 126. SCA gör miljardemission, in: Svenska Dagbladet, 28. August 1993 127. SCA gör Norrlands största sågverksinvestering: 400 miljoner satsas på nya sågverket i Munksund, in: Norrländsk tidskrift, Nr. 8 (1999), S. 18–19 128. SCA gör vinsten på sjön, in: Dagens Industri, 23. Oktober 1996 129. SCA håller spanskt varv flytande, in: Dagens Industri, 29. Mai 1996 130. SCA hotar flytta delar utomlands, in: Dagens Industri, 5. Mai 1988 131. SCA i hård strid om mjukt papper, in: Veckans Affärer, 14. Dezember 1998 132. SCA i strukturdilemma: Ledningen pressad – Trycket från storägare motiverar kurslyft, in: Finanstidningen, 17. Oktober 1996

Quellenverzeichnis535 133. SCA investerar 400 Mkr i sågverk, in: Dagens Industri, 15. Dezember 1998 134. SCA investerar i finpapper, in: Dagens Nyheter, 11. Januar 1992 135. SCA köper franskt – gör ny miljardemission, in: Dagens Industri, 19. März 1994 136. SCA kräver Bernt Löf:s avgång, in: Veckans Affärer, 8. September 1993 137. SCA lugnar kritiker, in: Veckans Affärer, 3. Februar 1997 138. SCA minskar i Industrivärden, in: Dagens Industri, 15. November 1995 139. SCA minskar MoDo-innehav, in: Dagens Industri, 20. November 1993 140. SCA och AGA lämnar PLM, in: Dagens Industri, 4. Oktober 1995 141. SCA och MoDo blir lika stort som Stora, in: Dagens Industri, 12. Dezember 1990 142. SCA och Modo nära storaffär in: Dagens Industri, 16. April 1999 143. SCA ökar ägandet i PWA, in: Dagens Industri, 4. März 1995 144. SCA räknar med nollresultat, in: Veckans Affärer, 28. Oktober 1992 145. SCA Recycling säljer 2,4 miljoner ton returpapper, in: Svensk Papperstidning, Nr. 12 (1994), S. 20–21 146. SCA redo gå ur Industrivärden: Skogsbolaget behöver pengar till expansion, in: Dagens Nyheter, 3. Januar 1995 147. SCA säljer aktier i Industrivärden: Korsägande upplöses, in: Dagens Nyheter, 17. April 1997 148. SCA säljer Modoinnehav, in: Dagens Nyheter, 8. April 1994 149. SCA satsar på Asien med Weyerhaeuser, in: Svenska Dagbladet, 30. August 1996 150. SCA satsar på sjötransporter, in: Svensk Papperstidning, Nr. 12 (1994), S. 16–17 151. SCA segrade i kampen om Svanö AB, in: Veckans Affärer, 14. November 1985 152. SCA siktar mot redovisning i euro, in: Svenska Dagbladet, 1. April 1998 153. SCA söker skogspartner, in: Dagens Industri, 6. September 2000 154. SCA specialiserar sina sågverk, in: Göteborgs-Posten, 14. Oktober 1998 155. SCA står kvar på sina tre ben, in: Svens Papperstidning, Nr. 9 (2000), S. 8–9 156. SCA startar ny pappersmaskin, in: Dagens Industri, 11. Januar 1996 157. SCA tar grepp om hela Västeuropa, in: Veckans Affärer, 28. Januar 1988 158. SCA tar ledningen i skogsjättarnas mara, in: Veckans Affärer, Nr. 47 (1990), S. 74–77 159. SCA tar sitt första steg in i USA, in: Svenska Dagbladet, 12. Mai 2000 160. SCA vacklar om när korsägandet försvinner, in: Finanstidningen, 31. Januar 1997

536 Quellenverzeichnis 161. SCA valde Reedpack, in: Dagens Industri, 21. Juni 1990 162. SCA växer i Metsä Tissue, in: Dagens Industri, 2. September 1999 163. SCA viker sig i den europeiska blöjstriden, in: Dagens Industri, 28. August 1996 164. SCA vill ha 400 mkr av aktieägarna, in: Dagens Industri, 9. März 1983; 165. SCA vill sänka lönerna: Skogsbolag i knipa räknar med stöd från de anställda, in: Dagens Nyheter, 23. Oktober 1992 166. SCA: Ännu ett snäpp finare, in: Veckans Affärer, 20. Mai 1996 167. SCA: Klar att lyfta, in: Dagens Industri, 24. März 1987 168. SCA: Rekordrapport, in: Veckans Affärer, 4. September 1995 169. SCA:s återställare, in: Affärsvärlden, Nr. 3 (1995), S. 28 170. SCA:s dilemma: allians eller emission? in: Affärsvärlden, 15. April 1993 171. SCA:s Modoinvestering snart hemma, in: Finanstidningen, 12. Januar 1994 172. SCA-aktier till New York, in: Dagens Industri, 29. September 1995 173. SCA-anställda köper 186.000 optioner i Custos, in: Dagens Industri, 8. Januar 1990 174. SCA-Chefen Bo Rydin: Elberoendet konstant i tio år – stäng inte av kärnkraften! In: Nordisk cellulosa, Nr. 8 (1986), S. 36–37 175. SCA-chefen öppnar för börsnotering av Mölnlycke, in: Dagens Industri, 8. August 1997 176. SCA-chefen på charmoffensiv. „Fördubblad försäljningstillväxt inom kort“. Martin-Löf försöker övertyga om att storlek är viktigt, in: Dagens Nyheter, 9. Februar 1997 177. SCA-chefens strategi ger resultat: mindre skog ökar slagkraften, in: Veckans Affärer, Nr. 13 (1979), S. 18–19 178. SCA-klipp i Obbola, in: Dagens Industri, 17. Oktober 1985 179. SCAs huvudstrategi: Minska flisen i massan, in: Dagens Industri, 28. November 1984 180. SCAs nya pappersbruk behöver inga träd, in: Dagens Industri, 15. März 1994 181. SCAs VD-byte avblåst, in: Dagens Industri, 18. September 1999 182. SCA-uppgång efter slaktuppgifter, in: Dagens Industri, 3. Juni 2000 183. Skogens Konung, in: Veckans Affärer, Nr. 1 (2001), S. 34 184. „Skogsaktier vänder snart uppåt“: SCA-chefen tror amerikansk högkonjuktur ska smitta av sig, in: Dagens Nyheter, 1. April 1995 185. „Skogsbolag prissamarbetar“, in: Dagens Nyheter, 8. September 1995 186. Skogsbolag ligger lågt med satsningar, in: Dagens Nyheter, 5. September 1994

Quellenverzeichnis537 187. Skogsbolag slopar virkeskartell, in: Dagens Nyheter, 16. Oktober 1993 188. Skogsbolagen in från kylan, in: Dagens Nyheter, 17. Januar 2000 189. Skogsindustrier skrotar virkeskartell i Norrland, in: Dagens Industri, 15. Oktober 1993 190. Skolan styr forskare mot skogsindustrin, in: Svensk Papperstidning, Nr. 5 (1998), S. 64–65 191. Spritt ägande i PLM, in: Svenska Dagbladet, 12. Oktober 1995 192. Stora strukturaffärer behövs: Svensk skogsindustri måste få upp lönsamheten för att på sikt klara konkurrensen utländska producenter, in: Dagens Nyheter, 20. Februar 1998 193. Storaffär i tysthet: Volvo störste ägare i Industrivärden, in: Dagens Industri, 27. April 1982 194. Största risken för SCA: att nya maskiner inte startar, in: Veckans Affärer, Nr. 16 (1981), S. 60–61. 195. Strategiskt vägval för SCA: stark sits ger valfrihet, in: Veckans Affärer, Nr. 35 (1982), S. 74–76 196. Svårfångade skogsvärden, in: Dagens Industri, 11. Mai 1990 197. Svensk finpappersjätte bildas, in: Svenska Dagbladet 29. April 1999 198. Svenskar misstänks för kartell, in: Svenska Dagbladet, 31. Dezember 1992 199. „Svenskarna kom som erövrare“: SCAs köp satte fart på fransk blöjfabrik, in: Dagens Industri, 21. Mai 1992 200. Svenskt företag – bortom svensk skatt, in: Göteborgs Posten, 20. März 1999 201. Tuff tid väntar Mölnlycke i SCA, in: Veckans Affärer, Nr. 45 (1989), S. 80–83 202. Tyska krav på svensk skog: Tidningsutgivare ställer miljövillkor för köp av papper, in: Dagens Nyheter, 30. Januar 1994 203. Utländskt ägande ökar starkt. En femtedel av börsvärdet hos utländska placerare, in: Dagens Nyheter, 14. September 1993 204. Utnyttjade synergier minskade kostnader, in: Svenska Dagbladet, 16. Dezember 1999 205. Värdepapper, in: Affärsvärlden, Nr. 54 (2000), S. 54 206. Volvo får fler efterföljare, in: Veckans Affärer, 7. Januar 1983 207. „Vi ska se till att behålla tätpositionen.“ in: Veckans Affärer, Nr. 4 (1985), S. 62–65

Interviewte Personen Ericsson 1. Engström, Göran, Konzernvorstandsvertreter für den CF ab 1994 2. Ericson, Bernt, seit 1994 Forschungsdirektor, Vize-VD der FuE-Organisation 3. Grabe, Lennart, Justitiar, Vorstandsassistent, 1992–1999 Mitglied der Konzernleitung, u. a. als Leiter der Strategieabteilung 4. Hedlund, Jan, Konzernvorstandsvertreter Metallgewerkschaft ab 1994 5. Olving, Bert, Konzernvorstandsmitglied 1982–1994 6. Ros, Carl Wilhelm, 1985–1998 Vize-VD, Stellvertreter im Konzernvorstand 1986–1997 7. Siberg, Johan, Produktionsdirektor, ab 1991 Mitglied der Konzernleitung, u. a. Geschäftsbereichsleiter Mobilkommunikation und der Konsumentenproduktsparte 8. Uddenfeldt, Jan, Forschungsdirektor, 1990 Vize-VD, ab 1998 Mitglied der Konzernleitung und VD für alle FuE-Aktivitäten (CTO)

Sandvik 1. Björklund, Gunnar, Leiter des Geschäftsbereichs Sandvik Steel 1982–1997, Vize-VD 1997–2000 2. Boström, Bo, Konzernvorstandsvertreter Metallgewerkschaft ab 1988 3. Eriksson, Per-Olof, 1984 Konzern-VD, ab 1994 einfaches Mitglied des Konzernvorstands 4. Hedström, Clas-Åke, Leiter des Geschäftsbereichs Sandvik Tooling bzw. Sandvik Coromant 1980–1994, Konzern-VD bis 2000 5. Hising, Lars Ivar, Vize-VD 1980–1986, 1997 Mitglied des Konzernvorstands 6. Honkamäki, Eino, stellvertretendes Konzernvorstandsmitglied für die Metallgewerkschaft 1974–1995 7. Ilstam, Anders, Leiter des Geschäftsbereichs Sandvik Mining & Construction ab 1998



Interviewte Personen539

SCA 1. Burstrand, Folke, Leiter der Einheit SCA Nordliner ab 1975 2. Frölander, Ulf, 1990 VD SCA Graphic Paper, ab 1997 VD SCA Raw Materials and Logistics 3. Gerhard Gustavsson, Konzernvorstandsvertreter SALF ab 1989 4. Hägglund, Tjell-Åke, Konzernvorstandsvertreter SIF ab 1985–1992 und 1997–2000 5. Norberg, Bernt, Leiter der Einheit SCA Paper AB bis 1990 6. Nordenö, Börje, VD SCA Shipping 1976–1981, VD SCA Packaging 1981 bis 1989 7. Orrbeck, Martin, seit 1975 Vize-VD und Wirtschaftsvorstand der Mölnlycke AB, ab 1997 Finanzvorstand der SCA Hygiene Products 8. Rietz, Åke, Vize-VD und Finanzvorstand seit 1988 9. Söderlund, Alf, Konzernvorstandsvertreter Pappers ab 1985

Sachregister 15 Familien 85 A-Aktien  38 f., 43, 110, 113, 155 ff., 163 f., 167, 171 f., 206, 208, 250–255, 262 f., 417 ff., 431–434, 436, 456 f., 460 ff., 466, 485 Aktive Eigentümer  46, 81 f., 85 f., 157 f., 171, 249, 254, 262, 414, 416, 422, 434 f., 453, 462, 468, 474, 478, 485 AMPS  290, 320 ff., 324, 329, 335, 338 ff., 375, 379, 381, 394, 449 Annell-Abzug  32 AXE  282, 287, 289, 291 f., 294–301, 303, 305, 308–313, 316 ff., 320, 336, 338 f., 342, 344, 347 f., 350–354, 356 f., 359 ff., 365, 370, 375, 394, 397 f., 402, 407, 422–425, 428, 438, 442, 480 AX-N  349, 353 f., 397 B-Aktien  38 f., 41–107, 112, 156 f., 163 f., 167, 171, 206, 208, 242, 245 f., 250, 252 ff., 263, 271, 416–419, 426 f., 430, 435 f., 443, 457 f., 460, 462, 466, 485 f. Belegschaftsaktien  164, 246, 412, 427 Betriebsrat, europäischer  151, 238 ff., 388, 467, 473 Betriebsräteabkommen  57 f., 144 Bonuslohn  411, 413, 483 (Business) Coordinated Market Economies (CME)  22, 24–27, 37, 50, 76, 328, 478 business recipe  17 CAD  120 f., 190, 368 CAM  95

CAPP  121, 147 Cash pooling  245, 438 CDMA  324 ff., 340 f., 474, 379–383, 439 CF  51, 387, 388, 410 f. Coating  94 Coopetition  328, 330 f. Coromant  95, 97–100, 102 f., 105, 113, 118, 120–122, 136, 147 f., 161 CTMP  184, 192 ff., 202, 226, 228 Custos  154–158, 243 f., 252 ff., 261–265, 267, 271, 456, 465, 477 f. CVA  265, 269 f., 442, 464, 478 Dedicated assets  279, 480 Development pair  71, 81, 83, 85, 291, 296, 298, 481 Diversifizierte Qualitätsproduktion  121, 133, 189, 191, 291, 298, 471, 480 Economies of scale  203 Economies of scope  203 EFO-Modell  64 Exportwirtschaft  56, 64 Funktionaler Sozialismus, Funktions­ sozialismus  54, 58 Genius companies  78, 91, 106 GSM  280, 321–324, 326–333, 341, 355, 360, 364 f., 371, 373 ff., 377–381, 383, 423, 425, 439, 444, 447 ff., 452, 481 Hartmetall  86, 88, 92 f., 95, 98, 118, 136 f., 139, 472

Sachregister541 Immaterielle Produktion  79, 97 Industriavtalet  64 Industrivärden  43, 47, 157, 173, 241–244, 249–253, 255, 262 ff., 271, 367, 417, 419, 453–456, 459–462, 477, 486 Inkrementelle Innovation  23, 46, 76, 79, 83, 96, 100, 189 Institutionelle Eigentümer, institutio­ nelle Investoren  86, 156, 162 f., 249 f., 251–255, 263 ff., 434 f., 453 ff., 456–459, 462, 465, 478, 485 f. Institutioneller Isomorphismus  22, 81, 471, 480 Intellectual Property Rights (IPRs)  329, 333 f., 381 Investor  41, 43, 47, 158, 250, 265, 367, 417, 419, 453–456, 458, 460, 462

Metallgewerkschaft  145, 233, 385–388, 391 f., 394, 402–406, 411, 467, 483 Modell Schweden  1, 13 ff., 74, 463 National champion  66, 282 f., 293, 331, 481 Netzwerkarchitektur  285, 299, 312, 336, 355 Netzwerkexternalitäten  319, 320, 330, 331, 364 NMT  297, 311 f., 317, 320 f., 324 ff., 328, 331, 334 f., 338, 402, 423 NUTEK  74, 200, 367–372 Ordförande Direktör  37 Outsourcing  86, 98, 148 f., 188, 390, 401–408, 468

Kapitalmarktkontrollen  81, 84 Ketchup bottle-Effekt  425, 485 Komparative (Kosten)vorteile  23, 74, 82, 176, 202, 220, 357, 409 Konglomeratsabschlag  249, 255, 456 Korporatismus  21, 50, 52, 63, 391, 473 Kreuger  177 f., 241, 415 ff.

PDC  322, 324, 338 ff., 373, 375, 378 ff. Pfadabhängigkeit  82, 319 Poaching  26, 55, 56, 83 Prinzipal-Agent-Problem  36, 46 Procter & Gamble  227–231, 257 Produktionsregime  15 f., 22 f., 28, 81, 88, 276, 463, 481 PTK  51 f., 146, 234, 273, 384 f., 387 f., 392, 394 f., 397 f., 409

Leverage buy out  172 Liberal Market Economies (LME)  19, 21–27, 36, 160, 276, 463, 328 LO  51–59, 62 ff., 144 f., 233 f., 239, 384 f., 387, 392, 406, 411, 414 Lohndrift  61

Radikale Innovation  23, 26, 189, 276, 365 Raider  168, 172, 260 Rehn-Meidner-Modell  56 f., 62 Roaming  320, 324, 379, 383, 449 Rules of the Game  18

Marktwirtschaft, korporative  16, 19, 23–26, 30, 40, 50, 66, 76, 82 f., 96, 276, 330 Marktwirtschaft, liberale  19, 23, 25 f., 36, 46, 66, 76, 104, 463, 467, 477, 488 MBL, Mitbestimmungsgesetz  58 f., 147, 384, 404, 412, 473

SAF  51 ff., 55 ff., 59, 63 ff., 144, 234 Saltsjöbaden, Abkommen von  56, 83, 106 Schlüsselindustrie  75 Schwedische Methode  93, 136 Shareholder Value  17, 24, 85, 160, 162, 173, 240, 255, 267–270, 437, 464, 474, 477

542 Sachregister Short-termism  22 SIF  51, 65, 145 f., 233 f., 384, 388, 410 f., 414 Skalenerträge  87, 104 f., 178, 181, 191, 203, 241, 318 f., 328, 373, 399, 475 Skanska  47, 106 f., 110, 112 f., 154–158, 163, 171, 254 ff., 263, 465 Spin-off  69, 81, 357, 365 Stakeholder Value  81 f., 85 f. Stenbeck-Sphäre  107 STFI  72, 199, 200 f. Stimmrechtsdifferenzierung  38, 47 Stockholms Enskilda Bank, SEB  29 f., 42 f., 45, 244, 253, 255, 265, 416 ff., 428 f., 431, 484 Sunk costs  249, 280, 354, 425, 428, 482, 485 Svenska Handelsbanken, SHB  29 f., 41, 43, 45, 106, 154, 157 f., 163, 171, 173, 177, 206, 240–245, 248 f., 251 f., 262, 385, 412, 414, 416–419, 421, 428, 436, 453 ff., 457 f., 460 ff., 456, 474, 477 f., 484 ff. TDMA  324–327, 332, 339 ff., 348, 377, 379 ff. Televerket  126, 277, 283, 290–300, 303, 310 f., 317, 320, 322, 327, 347, 352, 377, 447, 466, 480 f., 486 Teli  290, 294 f., 297, 347

Telia  294 f., 344, 348, 352 f., 365, 368–372, 380 TMP (Thermo-Mechanical Pulp)  184, 192, 193, 195, 202, 218 Trennbankensystem  24, 28, 29 Übernahmen, feindliche  25, 40, 81 f., 85, 110, 112, 154, 167, 172 f., 466 Universalbanken  24, 28 f., 82 UVA, Entwicklungsabkommen  59, 234, 384 ff. Varieties of Capitalism (VOC)  20, 22, 27, 51, 74, 76, 96, 240, 468 f., 471, 480, 486 Verbundwirtschaft  185, 192, 217 Verkställande Direktör  37 Wallenberg-Sphäre, -Familie  41 ff., 45, 110, 158, 241 f., 385, 412, 414, 417 ff., 421, 430, 436, 453 ff., 458, 461 f., 485 f. W-CDMA  290, 369, 376 f., 380, 382 f., 423 Wendeschneidplatten  94, 95, 99, 102, 103, 121 Wohlfahrtsstaat  13, 15, 83 Zulieferer  25, 70, 81, 85, 98, 143, 188, 289, 387, 398 ff., 402, 405, 449, 467, 472, 474